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Steinkohle

Globalisierung 2009
braucht
Sicherheit

Gesamtverband Steinkohle
Steinkohle
Jahresbericht
2009

Gesamtverband Steinkohle
Ein Wort zuvor

„Globalisierung braucht Sicherheit“, Auch der deut­sche Steinkohlen-


das ist das Motto des Steinkohlen- bergbau ist auf einen gesicherten
tags 2009 des Gesamtverbands politischen Rahmen angewiesen, um
Steinkohle und auch des vorliegen- seinen gesetzlichen und vertragli-
den Jahresberichts. Damit wollen chen Auftrag zuverlässig erfüllen zu
wir betonen: Die Globalisierung ist können. Diesen Rahmen haben wir
für die gesamte Wirtschaft und durch das Steinkohlefinanzierungs-
somit auch für die Energie- und gesetz erhalten. Die­sem Auftrag
Kohlewirtschaft heute Normali- gemäß ist unsere Bergbauplanung
tät. Niemand kann sich mehr den darauf ausgerichtet, die subven-
globalen ökonomischen wie auch tionierte Steinkohlenförderung in
politischen Zusammenhängen Deutschland weiter sozialverträglich
entziehen. Daraus ergeben sich zurückzuführen und zum Ende des
für eine Volkswirtschaft beson- Jahres 2018 zu beenden. Wir sind
dere Chancen, aber auch Risiken. aber auch darauf vorbereitet, im
Eindrucksvoll gezeigt haben das in Falle einer Revision der Auslauf-
diesem Jahr die Auswirkungen der entscheidung durch den Deutschen
globalen Wirtschafts- und Finanz- Bundestag den heimischen Stein-
krise, die die deutsche Volkswirt- kohlenbergbau langfristig weiter-
schaft in die tiefste Rezession zuführen.
der Nachkriegszeit gestürzt hat.
Dadurch wurden zeitweise auch Globalisierung ist notwendig.
der Steinkohlen- und Koksabsatz in Globalisierung braucht in Zukunft
Deutschland beeinträchtigt. gleichzeitig sichere Leitplanken,
in den Regionen und vor Ort. Dazu
Deutschland ist eine führende zählen auch sichere Energiekonzep-
Exportnation. Unser Wohlstand te. Wir werden hierzu unseren Teil
hängt langfristig von dem Erfolg auf beitragen.
den internationalen Märkten und
von den Fähigkeiten ab, die Chan-
cen der Globalisierung zu nutzen. Essen, im Oktober 2009
Dafür ist unser Wirtschaftsstandort
auf nationaler und europäischer
Ebene auf ge­eignete Rahmenbedin-
gungen wie Rechts- und Planungs- Bernd Tönjes
sicherheit, so­ziale Sicherheit und
auch Energiesicherheit angewiesen. Vorsitzender des Vorstands des
Dass gerade die Energiesicherheit Ge­s amt­v er­b an­ds Steinkohle e. V.
hier­zulande vor großen, in der
öffentlichen Debatte allerdings
wenig beachteten Herausforderun-
gen steht, macht der vorliegende
Jahresbericht deutlich.

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Inhalt

Ein Wort zuvor 3

Globalisierung braucht Sicherheit 5

Deutsche Steinkohle 9
Besondere Herausforderungen für den Personalabbau 10
Konsultationsverfahren für die Verlängerung der EU-Ratsverordnung zur Genehmigung
von Steinkohlebeihilfen 14
Innovative deutsche Bergbautechnik ist weltweit führend 22
Innovationen treiben die Technologieentwicklung voran 22

Klima und Umwelt 27


Aktuelle Entwicklungen in der nationalen und internationalen Klimapolitik 28
CO 2-Abtrennung und -Speicherung (CCS) 32
Erneuerbare Energien und Grubengas 35
Potenziale der Kohlenutzung 36
Energieeffizienz und Industrieemissionen 38

Internationale Trends der Energie- und Steinkohlenmärkte 41


Die Krise hat auch den Energiesektor getroffen 42
Globale Megatrends setzen sich fort 43
Entwicklung auf den internationalen Steinkohlenmärkten 2008/2009 46

Strategische Risiken der globalen Energiesicherheit - Gastbeitrag von Dr. Frank Umbach 49
Internationale Energienachfrage bis 2030 und die Frage der globalen Versorgungssicherheit 51
Geopolitische Risiken und strukturelle Versorgungsengpässe 53
Auswirkungen auf die europäische Energieversorgungssicherheit 54

Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik 57


Die heimische Steinkohle im Zieldreieck der Energiepolitik 58
Die Suche nach einem energiepolitischen Gesamtkonzept 61
Gegenwärtige Situation und Trends der deutschen Energieversorgung 68
Staatliche und marktbestimmte Entwicklungen der Energiepreise 70
Importabhängigkeit, heimische Primärenergiegewinnung und Versorgungsrisiken 72
Perspektiven der Energieversorgung bis 2020 – gefährdete Energiesicherheit 75

Anhang
Statistik 82
Organisation des GVSt 86
Verzeichnis der Grafiken und Tabellen 87
Impressum 88
Kennzahlen zum Steinkohlenbergbau 2008 89

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Globalisierung braucht Sicherheit

Im GVSt-Jahresbericht „Steinkohle über die Steinkohlebeihilfen. Ihre falls bedacht und berücksichtigt
2008“ vom November 2008 wurde Geltungsdauer endet 2010. Über werden. Die deutsche Zuliefer-
noch betont, wie sich die Preise eine Anschlussregelung wird industrie treibt die Entwicklung
von Rohstoffen und Energie in un- derzeit intensiv beraten. Von der modernster Techniken beim Abbau
geahnte Höhen geschraubt hatten. Europäischen Kommission wurde der Steinkohle sowie bei ihrer
Der darauf folgende massive ein Konsultationsverfahren in Gang Nutzung gemeinsam mit dem deut-
Einbruch durch die globale Wirt- gesetzt, in dessen Rahmen auch schen Steinkohlenbergbau voran.
schafts- und Finanzkrise über- die deutsche Steinkohle ausführ- Herausragende Leistungen bei der
raschte Marktteilnehmer und Ana- lich ihren Standpunkt darlegte. unternehmensinternen Entwicklung
lysten gleichermaßen. Nun stehen Diese Position wird in dem vorlie- innovativer Techniken zeichnet die
die Auswirkungen der Krise und genden Bericht näher erläutert. Ihr RAG Aktiengesellschaft jedes Jahr
andere globale Zusammenhänge Kernpunkt: Grundsätzlich müssen mit ihrem Forschungspreis aus.
von energie-, umwelt- und rohstoff- zur Umsetzung der deutschen
politischer Relevanz zusammen mit Steinkohlepolitik alle bisherigen Die Zukunft des Energieträgers
der Lage des deutschen Steinkoh- Beihilfeinstrumente auch künftig Steinkohle insgesamt wird zuneh-
lenbergbaus im Mittelpunkt dieses verfügbar bleiben. mend von den Weichenstellungen
neuen Jahresberichts „Steinkohle in der Klimapolitik bestimmt.
2009“ des Gesamtverbands Stein- Klar ist: Der bisherige und vorge- Eine CO 2-arme Energiegewinnung
kohle. zeichnete weitere Anpassungspro- und -verwertung gehört seit den
zess des Steinkohlenbergbaus in international eingegangenen
Der Anpassungsprozess wurde Deutschland zieht neben den ener- Verpflichtungen im Kyoto-Protokoll
und wird entsprechend der durch giepolitischen Implikationen auch zu den Zielvorgaben der deutschen
das Steinkohlefinanzierungsgesetz erhebliche regionalwirtschaftliche, Energiepolitik. Gerade hier wird
vorgegebenen Beendigung des soziale und sektorale Folgen nach deutlich, wie sehr Deutschland in
subventionierten Steinkohlenab- sich. Sie müssen politisch eben- ein globalisiertes Umfeld einge-
baus zum Ende des Jahres 2018
weitergeführt – auch wenn der
Bundestag den Beschluss 2012
noch einmal energiepolitisch über-
prüfen wird. Der Bergbauplanung
entsprechend ging die Belegschaft
auf rund 30.000 Mitarbeiter (Ende
2008) und die Förderung auf 17
Mio. t zurück. Im Jahr 2009 hat
sich diese Anpassung fortgesetzt.
Staatliche Beihilfen müssen in
der EU von der Europäischen
Kommission genehmigt werden.
Diese Genehmigung wiederum
braucht eine gemeinschaftsrecht-
liche Grundlage. Gegenwärtig
besteht dieser Rechtsrahmen in
der Ratsverordnung 1407/2002

5
bettet ist, in dem es bislang eine noch die Akzeptanz der Bevölke- noch gut 80% des Energiebe-
internationale Vorreiterfunktion rung erreicht werden. Der Einsatz darfs von fossilen Energieträgern
übernommen hat. Die in die Kyoto- von CCS ist aber nicht nur beim gedeckt werden, so z. B eine
Verpflichtungen zumindest bis zur Einsatz in Kraftwerken eine erfolg- IEA-Prognose. Selbst bei stärkerer
Konferenz in Kopenhagen noch versprechende Maßnahme. Auch Nutzung der regenerativen Ener-
nicht eingebundenen großen CO 2- in Kohleverflüssigungsanlagen gien würde dieser Anteil dann
Emittenten USA, China und Indien oder kombiniert bei einer untertä- noch um die 70% betragen. Die
haben mittlerweile erkannt, dass gigen Kohlevergasung sind CCS- Sicherheit der Versorgung mit Ener-
auch sie eigene Anstrengungen Technologien eine Möglichkeit, gierohstoffen wird angesichts des
unternehmen müssen. Ob die Welt- die CO 2-Emissionen zu verringern. Wachstums insbesondere in China
klimakonferenz in Kopenhagen Entsprechende Forschungen hierzu und Indien mit zunehmenden öko-
jedoch zu einem neuen internatio- finden bereits statt. Eine weitere nomischen wie auch geopolitischen
nalen oder sogar wirklich globa- Klimaschutzmaßnahme ist die Risiken behaftet sein. Bestehen-
len Abkommen führt, muss sich bewährte und zunehmende Absau- de oder neu gebildete Allianzen
zeigen. Die Kohle, weltweit und gung und Nutzung von Grubengas. Rohstoff produzierender Länder
hierzulande der Energieträger Nr. 1 (OPEC, bzw. GECF – Gas Exporting
in der Stromerzeugung und der Die globalen konjunkturellen Ent- Countries Forum) zeigen bereits
Energierohstoff mit den größten wicklungen der vergangenen Mo- auf, wie hoch die Machtballung in
Vorkommen, wird unter dem Aspekt nate überlagern die seit längerem diesem Bereich ist.
der CO 2-Emissionen als Problem vorhandenen Megatrends, wie der
angesehen. Sie kann aber auch Teil global steigende Energie- und Roh- Die Abhängigkeiten auf dem Ener-
der Lösung der Klimafrage sein. stoffbedarf. Die Weltbevölkerung gie- und Rohstoffsektor sind für ei-
Eine Lösung wird im globalen Maß- wächst weiter – vorwiegend in den nen Industriestandort wie Deutsch-
stab nicht allein über erneuerbare Entwicklungs- und Schwellenlän- land von herausragender Bedeu-
Energien und Energieeinsparung dern – und somit steigt dort der tung. Heimische Rohstoffe, so auch
zu erreichen sein, sondern auch Energiebedarf überproportional. die Steinkohle, haben deswegen
auf innovative Kohletechnologien Die Rezession der vergangenen einen besonderen Stellenwert. Es
setzen müssen. Dazu sind weitere Monate hat auf den Energie- und gilt dabei, das Zieldreieck der Ener-
Forschungs- und Entwicklungsan- Rohstoffmärkten zwar zu Nachfra- giepolitik – Wirt­s chaftlichkeit, Ver-
strengungen nötig. gerückgängen und Preiseinbrüchen sorgungssicherheit und Umwelt-
geführt. Nachfrage und Preise verträglichkeit – zu beachten, ohne
In besonderem Maße gilt dies für sind hier aber trotz der Krise auf dass die drei Ziele aus der Balance
Techniken, mit denen CO 2 abge- einem höheren Niveau als noch geraten. Wie diese Balance er-
trennt werden kann (CCS – Carbon vor wenigen Jahren. Sie werden reicht wird, hängt maßgeblich von
Capture and Storage = CO 2-Abtren- aller Voraussicht nach im nächsten den Entscheidungen der Politik ab.
nung und -speicherung) aber auch Aufschwung wieder anziehen. Ein energiepolitisches Gesamtkon-
für weitere Wirkungsgradverbes- Speziell China weist weiterhin ein zept, das allen drei zentralen Zielen
serung – die vielversprechendsten hohes Wachstum auf und zeigt gleichgewichtig Rechnung trägt,
Methoden zur Emissionsbegren- sich in der Baisse vorausschauend liegt seit Jahren nicht vor. Ver-
zung. Dabei muss CCS noch in als Hauptakteur im Kampf um die suche gab es immer wieder. Anfang
Pilotanlagen getestet und techno- Rohstoffe. 2009 hat eine Projektgruppe Ener-
logisch weiterentwickelt werden. giepolitisches Programm (PEPP)
Zudem muss für diese Technologie Der weltweite Energiemix wandelt
sich nur allmählich. 2030 werden

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Globalisierung braucht Sicherheit

des Bundeswirtschaftsministeri- litischen Maßnahmen deutlich Deutschland bei Mineralöl und


ums neue energiepolitische Hand- zu verschieben. Im Strombereich Erdgas vollständig von Importen
lungsleitlinien vorgeschlagen. Auch haben erneuerbare Energien und abhängig sein. Wenn es keine
das Bundesumwelt­ministerium Erdgas in den letzten Jahren ihren Revision der Auslaufentscheidung
widmete sich dem Thema mit einer Anteil verdoppeln können, während für den heimischen Steinkohlen-
„Roadmap Energiepolitik 2020“, Kohle und Kernenergie ihren Anteil bergbau gibt, gilt das auch für die
die mit eigenen Akzenten die Ver- verringerten. Diese Tendenz dürfte Steinkohle. Das RWI hat dafür
einbarkeit bisheriger energiepoli- sich fortsetzen. einen Indikator entwickelt: Dem-
tischer Weichenstellungen auch in nach hat sich das Gesamtrisiko der
mittel- und langfristiger Hinsicht deutschen Primärenergieversor-
darzustellen versucht. gung seit 1980 mehr als verdoppelt
und wird sich bis 2020 mehr als
Auf europäischer Ebene verdreifachen. Was kann
wurden die drei zentra- gegen die zunehmenden
len Ziele der Ener- Bezugsrisiken auf den
giepolitik ebenfalls Rohstoff- und Ener-
verstärkt themati- giemärkten unter-
siert, wenngleich nommen werden?
mit dem EU- Der Ausbau der
„Klimapaket“ erneuerbaren
eher einseitige Energien allein
Akzente ge- wird nicht
setzt worden reichen. Der
sind. Die Ener- vorliegende
gieversorgungs­ Bericht zeigt
sicherheit wird einige wichtige
bislang nicht mit Aspekte und
gleichem Gewicht Ansatzpunkte
in den Abwägungs- zur Beantwortung
prozess einbezogen. dieser Frage auf.
Der noch nicht verab- Auch energiepolitisch
schiedete Vertrag von lautet die Schlussfolge-
Lissabon verlangt definitiv rung: Globalisierung braucht
ihre Gewährleistung. Die Be- Sicherheit.
deutung dieser Fragen gerade aus
europäischer Sicht hat der Gaskon- In einem Gastbeitrag geht Dr. Frank
flikt Russland/Ukraine im Januar Fest steht auch: Die hohe und ten- Umbach, Senior Associate für in-
2009 drastisch unterstrichen. denziell zunehmende Abhängigkeit ternationale Energiesicherheit am
von Energieimporten aus Ländern Centre for European Security Stra-
In Deutschland ist der Energie- mit teils hohen Risikokennziffern tegies (CESS), München-Berlin,
trägermix breit angelegt. Doch (nach HERMES oder OECD) hat das auf „die strategischen Risiken der
er beginnt sich durch die gegen- Energieversorgungsrisiko hierzu- globalen Energiesicherheit“ ein.
wärtigen klima- und energiepo- lande steigen lassen und wird es
weiter erhöhen. Nach 2020 wird

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Deutsche Steinkohle

Fotos:
Steinkohlenmischhalle; im Streb
Die globale Finanz- und Wirt- bau weiter gefördert wird“. Der des im Unternehmen vorhandenen
schaftskrise machte auch vor der Bundestag kann somit aus ener- Know-hows zur Förderung von
deutschen Wirtschaft nicht Halt. giepolitischen Gründen auch die Steinkohle.
Waren im Herbst 2008 erst nur Weiterführung eines tragfähigen
die Finanzmärkte betroffen, zog Steinkohlenbergbaus beschließen. Im Berichtszeitraum wurde zum
die Krise anschließend nahezu alle Die RAG ist für beide Fälle gerüs- 1. Januar 2009 das Bergwerk Lippe
Wirtschaftsbereiche in ihren Sog. tet. Garant dafür ist das für den in Gelsenkirchen stillgelegt. Die
So auch die deutsche Steinkohle. Personalabbau politisch zugesagte Stilllegung des Bergwerks Ost in
Das den deutschen Steinkohlen- Prinzip der Sozialverträglichkeit. Hamm ist zum 30. September 2010
bergbau tragende Unternehmen Die Umsetzung dieses Anpassungs- festgelegt. Das letzte Bergwerk
RAG Aktiengesellschaft erlebte prozesses hat für den Steinkohlen- im Saarrevier, das Bergwerk Saar
infolge der Rezession zu Jahres- bergbau höchste Priorität. mit dem Förderstandort Ensdorf,
beginn 2009 temporäre Störungen stellt zum 1. Juli 2012 seine För-
beim Kohleabsatz, die voraussicht- Seit 2008 vereint die „neue“ RAG derung ein. Darüber hinaus sieht
lich bis zum Jahresende wieder Aktiengesellschaft mit Sitz in die Bergbauplanung das Ende des
ausgeglichen werden. Herne unter ihrem Dach u. a. die Bergwerks West in Kamp-Lintfort
RAG Deutsche Steinkohle AG, die zum Jahreswechsel 2012/2013 vor,
Das Jahr 2009 stand zunächst ganz RAG Anthrazit Ibbenbüren GmbH auch wenn es dazu noch keinen
im Zeichen der Umsetzung der als reine Bergbaubetriebsgesell- Gremienbeschluss gibt. So wird
Bergbauplanung, die der Vorstand schaften sowie die RAG BILDUNG sich die heimische Steinkohlenför-
und Aufsichtsrat der RAG im Som- GmbH und die RAG Montan Immo- derung ab 2013 voraussichtlich auf
mer 2008 beschlossen hatten. Mit bilien GmbH. Mitte April 2009 kam nur noch drei Bergwerke in Nord-
dem Steinkohlefinanzierungsgesetz als weitere Gesellschaft die RAG rhein-Westfalen konzentrieren:
vom Dezember 2007 und dem damit Mining Solutions GmbH hinzu. Ihre Prosper-Haniel in Bottrop, Auguste
verknüpften Vertragswerk waren Aufgabe ist die internationale Victoria in Marl und Ibbenbüren an
hierfür die entsprechenden Rah- Vermarktung gebrauchter und er- der Grenze zu Niedersachsen.
menbedingungen geschaffen. Da- probter Bergbauausrüstungen und
mit ist der weitere Anpassungskurs
vorgegeben. Gemäß § 1 Abs. 1 des
Steinkohlefinanzierungsgesetzes Besondere Herausforderungen für den
wird „die subventionierte Förde-
rung der Steinkohle in Deutschland Personalabbau
zum Ende des Jahres 2018 been-
det“. Zugleich gibt es in § 1 Abs. 2 Mit der Zahl der Bergwerke wird Darüber hinaus sind begleitende
ein Überprüfungsgebot: Auf der bis 2012 auch die Förderung von tarifvertragliche Regelungen
Grundlage eines spätestens bis 17 Mio. t im Jahr 2008 auf unter getroffen worden, um die Ziele
zum 30. Juni 2012 vorzulegenden 12 Mio. t/a zurückgehen. Zugleich erreichen zu können.
Berichts der Bundesregierung prüft wird sich die Mitarbeiterzahl auf
danach der Deutsche Bundestag etwa 15.000 verringern. Gerade die Für die Personalanpassung gibt es
„unter Beachtung der Gesichts- Belegschaftsanpassung stellt den ein vielfältiges Instrumentarium.
punkte der Wirtschaftlichkeit, der Steinkohlenbergbau vor große Her- Eine wesentliche Rolle spielt dabei
Sicherung der Energieversorgung ausforderungen. Dies setzt weiter- auch in Zukunft das seit 1972 be-
und der übrigen energiepolitischen hin die Nutzung aller verfügbaren stehende Anpassungsgeld (APG)
Ziele, ob der Steinkohlenberg- personal- und sozialpolitischen für Arbeitnehmer im Steinkohlen-
Anpassungsinstrumente voraus.

10
Deutsche Steinkohle

Steinkohlenbergwerke in Deutschland

Bergwerke

Bergwerke zur Still-


Osnabrück legung vorgesehen
6
Ibbenbüren
Stand: Oktober 2009

Ruhrrevier
3
Marl e Hamm
Kamp- Lipp 4
Lintfort Dinslaken Reckling-
Gelsen- hausen
1 2 kirchen
Herne
Bottrop Dortmund
Duisburg Bochum
Essen

r
Rhe
in Ruh

Saarrevier 1 West
2 Prosper-Haniel
Saarlouis 3 Auguste Victoria
5 4 Ost
Saarbrücken 5 Saar
Saar
6 Ibbenbüren

20-4_2009 23.09.2009
bergbau. Danach können die Mitar- 1.840 Mitarbeiter aus dem aktiven des Bergbaubereichs finden. Auf
beiter bei Erfüllung bestimmter Vor- Arbeitsleben ausscheiden. diese Problematik hat die deut-
aussetzungen – etwa Überschreiten sche Steinkohle mit einem breit
einer festgelegten Altersgrenze Allerdings können für z. Zt. noch gefächerten personalpolitischen
und Betriebszugehörigkeitsdauer rund 2.100 jüngere Mitarbeiter Instrumentarium reagiert. Es unter-
– vorzeitig in den Vorruhestand diese Regelungen nicht angewandt stützt in unterschiedlichster Form
wechseln. 2008 konnten damit werden. Sie sollen bis 2012 das eine Integration der betroffenen
Unternehmen verlassen und eine Mitarbeiter in den allgemeinen
andere Beschäftigung außerhalb

11
Arbeitsmarkt. Hervorzuheben ist und IG BCE – im Juni 2009 den bruch und nehmen derzeit keine
die Einarbeitungsqualifizierung: Sie „Tarifvertrag zur sozialverträglichen Neueinstellungen vor. Es ist nicht
ermöglicht es, in einer mehrmona- Flexibilisierung des rheinisch- auszuschließen, dass sich die Ar-
tigen „Kennenlernphase“ Arbeits- westfälischen und des Ibbenbü- beitsmarktlage in Deutschland und
plätze außerhalb des Bergbaus zu rener Steinkohlenbergbaus“. Er trat so auch in den Bergbauregionen
erproben. Des Weiteren können zum 1. Juli 2009 in Kraft und kann noch spürbar verschärfen wird.
sich Mitarbeiter in bis zu dreijäh- frühestens zum 31. Dezember 2012
rigen Umschulungsmaßnahmen gekündigt werden. Damit sollen die Auch der GVSt hat Anpassungen
für zukunftsträchtige Berufsfelder Interessen aller an dem Prozess Be- vorgenommen und seine Strukturen
außerhalb des Bergbaus qualifi- teiligten zu einem angemessenen verändert. Bei seiner Gründung
zieren. Darüber hinaus behalten Ausgleich gebracht werden. So im Jahr 1968 vereinte er noch die
auch weitere, in den vergangenen tragen seine Regelungen einerseits Interessen von fünf Unternehmens-
Jahren erfolgreich erprobte unter- den Interessen der Mitarbeiter an verbänden des deutschen Steinkoh-
nehmensinterne Programme ihre einem höchstmöglichen Bestands- lenbergbaus unter seinem Dach.
Gültigkeit. Sie geben jüngeren schutz ihrer Arbeitsverhältnisse Heute ist er die einzige Interessen-
Mitarbeitern alternative beruf- Rechnung. Andererseits fordern vertretung der Branche. Nachdem
liche Perspektiven innerhalb und sie im Gegenzug von den Arbeit- der GVSt bereits die Aufgaben des
außerhalb des RAG-Konzerns und nehmern aber ein sehr hohes Maß Unternehmensverbandes Stein-
bieten ihnen Anreize zur Förderung an Flexibilität – sowohl hinsichtlich kohle (UVSt) übernommen hatte,
der Flexibilität. Art und Ort ihrer Arbeitstätigkeit wurde 2009 der traditionsreiche
als auch der Bereitschaft zur Teil- Verein für die bergbaulichen Inte-
Ein geordneter Stilllegungsprozess nahme an erforderlichen Qualifizie- ressen (VbI), der im letzten Jahr
des deutschen Steinkohlenberg- rungen. sein 150-jähriges Jubiläum gefeiert
baus bei gleichzeitiger Aufrecht- hatte, auf den GVSt verschmolzen.
erhaltung einer mit Blick auf die Mit diesen und ähnlichen Instru- Außerdem wurde der Gesamtver-
Revisionsklausel funktionsfähigen menten ist es in den vergangenen band Steinkohle in das Vereinsregi-
Anpassung Unternehmensstruktur: Mit diesem 40 Jahren seit Gründung der Ruhr- ster eingetragen. Die Belegschaft
im deutschen Ziel schlossen die Tarifparteien kohle AG gelungen, die Anzahl der wird parallel zur Anpassung im
Steinkohlen- des Steinkohlenbergbaus – GVSt Mitarbeiter von damals 280.000 Steinkohlenbergbau verkleinert.
bergbau auf rund 30.000 (Stand Ende 2008) Im Zuge der Anpassung wird der
– also um über 90 % – sozialver- Verband seinen Sitz zum 1. Januar
150
träglich, d. h. ohne betriebsbe- 2010 nach Herne verlegen – an
dingte Kündigungen zu reduzieren. den Standort seines wichtigsten
Belegschaft
130,3 in Tausend Um das personalpolitische Ziel Mitglieds, der RAG Aktiengesell-
Steinkohlenförderung einer sozialverträglichen Anpas- schaft.
100 in Mio. t SKE sung der Belegschaft bis 2012 zu
Bergwerke realisieren, wird es nötig sein, alle Trotz der Notwendigkeit, die Perso-
71,0 Anzahl genannten Instrumente weiterhin nalzahlen an die geringer werdende
anzuwenden. Erschwert werden die Förderung anzupassen, gehört der
50 Bemühungen, den Personalabbau deutsche Steinkohlenbergbau noch
zu bewältigen, derzeit allerdings immer zu den großen Ausbildern
27 30,4 durch die Entwicklungen auf dem in Nordrhein-Westfalen und dem
17,7 Arbeitsmarkt. Viele Betriebe leiden Saarland. Er kommt so seiner sozia-
0 7* unter dem durch die Wirtschafts- len und regionalen Verpflichtung
1990 1995 2000 2005 2008 krise ausgelösten Konjunkturein-
* 2009: 6
23-1_2009 17.09.2009

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Deutsche Steinkohle

Auszubildende 2008 insgesamt 1.797


Aufgaben des Gesamtverbands Steinkohle e. V.
Sonstige
Bergtechnik
Der Gesamtverband Steinkohle e. V. (GVSt) wurde am 11. Dezember 4%
6%
1968 als Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus ge-
gründet. Heute vertritt und fördert er die allgemeinen Belange seiner Maschinen-
Mitglieder aus Steinkohlenbergbau und verwandten Branchen, insbe- technik
sondere auf wirt­s chaftspolitischem und sozialpolitischem Gebiet, und
fungiert als Arbeitgebervereinigung und Tarifpartei für seine ordent-
50% Elektro-
lichen Mitglieder. 40% technik

Wie andere Branchenverbände auch beteiligt er sich direkt und indirekt


über Dachverbände an der politischen Willens- und Entscheidungsbil-
dung in Deutschland. So ist der GVSt über die Vereinigung Rohstoffe
und Bergbau e. V. (VRB) mittelbar im Bundesverband der Deutschen
Industrie e. V. (BDI) vertreten. Als Arbeitgeberverband des deutschen
Steinkoh­lenbergbaus ist der GVSt Mitglied der Bundesvereinigung der Fachrichtungen der Auszubildenden im Steinkohlenbergbau 2008
Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sowie der Landesvereinigung Fachrichtungen
neu_01-1_2009 23.09.09
der Arbeitgeberverbände NRW und ist in allen wichtigen Gremien der für Betriebstechnik, Mechatroniker der Auszu-
Sozialversicherungsträger vertreten. Der Verband pflegt als Interessen­ sowie im kaufmännischen Bereich bildenden im
vertretung der Branche Kontakte zu den für den Steinkohlenbergbau liegen. Steinkohlen-
maßgeblichen Instanzen in Politik, Ministerien, Behörden sowie zu bergbau
Universitäten, Forschungseinrichtungen, Kirchen und der Öffentlichkeit. Mit der personellen Anpassung eng
verbunden ist die Notwendigkeit
Gerade der Montanbereich steht – und stand seit 1950 – unter einem der Know-how-Sicherung. Mit je-
besonderen europäischen Fokus. So ist der GVSt auch Gründungsmit- dem Mitarbeiter, der das Unterneh-
glied des Dachverbands des europäischen Kohleberg­b aus EURACOAL, men verlässt, drohen auch dessen
dem mittlerweile 28 Verbände und Unternehmen aus fast allen Kohle- Fachwissen und Erfahrung verloren
ländern Europas angehören. Er vertritt über sein Brüsseler Büro auch zu gehen. Um diesem Problem wirk-
spezifische Belange der deutschen Steinkohle, so vor allem in der euro- sam begegnen zu können, bedarf
päischen Umweltpolitik. Darüber hinaus wirkt er in weiteren internatio- es zunächst eines Überblicks über
nalen Organisationen wie dem World Coal Institute (WCI) mit. alle unternehmensweit vorhan-
denen Qualifikationen. Hierfür hat
Gemeinsam mit dem Deutschen Braunkohlen-Industrie-Verein e. V. die RAG das Know-how-Siche-
(DEBRIV) betreibt der GVSt den Statistik der Kohlenwirtschaft e. V. rungssystem (KHS) eingeführt, das
Dieser Verein hat die Aufgabe, für die Kohleunternehmen die behördlich die Qualifikationen und Kompe-
angeforderten Statistiken zu erstellen und im Rahmen dieses Zweckes tenzen aller Mitarbeiter umfassend
Behörden und öffentliche Institutionen zu beraten. abbildet. Dadurch wird es möglich,
für die auftretenden Qualifika-
tionslücken den bestmöglichen
Know-how-Träger zu identifizieren.
nach. Auch im Jahr 2009 haben Unternehmen zu Beginn des Aus- Er kann dann entsprechend dem
wieder rund 300 junge Menschen bildungsjahres 2009/10 insgesamt Bedarf im Unternehmen eingesetzt
ihre Ausbildung bei der RAG ca. 1.340 Auszubildende, wobei die oder qualifiziert werden.
begonnen. Damit beschäftigt das Schwerpunkte in den Bereichen
Industriemechaniker, Elektroniker

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Konsultationsverfahren für die Verlängerung der EU-Ratsverordnung zur
Genehmigung von Steinkohlebeihilfen
Für den sozialverträglichen An- Zeitpunkt wäre angesichts der seine Produktionskosten so weit
passungsprozess des deutschen Altersstruktur der Belegschaft und verringern lassen, dass sie das
Steinkohlenbergbaus und die Um- der gerade in den Bergbauregionen Niveau von Importkohle aus Dritt-
setzung der steinkohlepolitischen schwierigen Arbeitsmarktsituation ländern erreichen. Der Steinkohlen-
Beschlüsse muss auch weiterhin die sozialverträglich unmöglich. Darauf bergbau insgesamt wäre daher dau-
EU-rechtliche Genehmigung der ge- weist auch der von der deutschen erhaft nicht überlebensfähig, wenn
währten Kohlehilfen möglich sein. Bundesregierung in diesem Zusam- keine Maßnahmen zur Gewährung
Rechtsgrundlage dafür ist bis zum menhang bei der EU-Kommission staatlicher Hilfen getroffen würden.
Jahr 2010 die geltende EU-Ratsver- notifizierte Umstrukturierungsplan Erst recht ist er auf Beihilfen zur
ordnung 1407/2002 über staatliche bis 2018 hin. Seine Genehmigung Rücknahme der Fördertätigkeit
Beihilfen für den Steinkohlenberg- steht noch aus und ist in enger Ver- angewiesen, die unter Wahrung des
bau. Für die Zeit ab 2011 ist eine bindung zu sehen mit den Konsulta- Prinzips der Sozialverträglichkeit
neue EU-Regelung der Kohlebeihil- tionen in Zusammenhang mit dem durchgeführt werden sollen, wie es
fen nötig. Andernfalls würden die Auslaufen der EU-Ratsverordnung im deutschen Steinkohlenbergbau
allgemeinen Bestimmungen des 1407/2002. der Fall ist.
EU-Vertrags Anwendung finden,
die allerdings für die Zwecke des Wettbewerb durch Beihilfen Heimische Steinkohle be-
deutschen Steinkohlenbergbaus nicht beeinträchtigt deutet Energieversorgungs-
nicht ausreichen. sicherheit
Auch aus Sicht der EU-Kommission
Auf europäischer Ebene ist 2009 haben die Steinkohlebeihilfen bis- Die Europäische Kommission be-
ein Konsultationsverfahren zum her nie zu Beeinträchtigungen des gründete die bestehende Verord-
Auslaufen der Gemeinschaftsre- Wettbewerbs auf den wichtigsten nung bisher auch immer mit dem
gelungen der Steinkohlebeihilfen Kohleabsatzmärkten geführt. Spe- Beitrag der Steinkohlenförderung
eingeleitet worden. Es hat eine ziell in Deutschland hat sich gerade für die Energieversorgungssicher-
Reihe von kohlepolitischen und durch die stark rückläufige Stein- heit. Denn eine völlige Abhängigkeit
beihilferechtlichen Grundsatzfragen kohlenförderung ein großer Raum von Importkohle aus Drittländern
aufgeworfen. In diesem Zusam- für Steinkohlenimporte eröffnet. könnte nach Auffassung der
menhang haben der GVSt und die Insofern ist der Umstrukturierungs­ Kommission die Risiken und Un-
RAG der Europäischen Kommission plan mit dem Gemeinschaftsrecht wägbarkeiten bei der langfristigen
eine gemeinsame Stellungnahme vereinbar. Die Kommission hat sich Sicherheit der Energieversorgung
vorgelegt. dieser Einschätzung nicht anschlie- der EU vergrößern. Gerade in einer
ßen können. immer stärker globalisierten Welt
Darin betonen sie, dass ein we- mit zunehmender Konkurrenz um
sentlicher Aspekt des Steinkohle- In ihrer Stellungnahme weist die die vorhandenen Ressourcen stellt
finanzierungsgesetzes die Sozial- deutsche Steinkohle des Weiteren die Versorgungssicherheit durch
verträglichkeit bei der Rückführung darauf hin, dass der Steinkohlen- Zugang zu heimischen Steinkohlen-
der Förderung ist. Ein Auslaufen der bergbau in den Ländern der EU vorkommen ein hohes Gut dar.
Subventionen zu einem früheren größtenteils unter geologisch
schwierigen Bedingungen statt-
findet. Dies verhindert, dass sich

14
Deutsche Steinkohle

Es ist nämlich durchaus nicht sicher, Fall würden die Weltmarktpreise Unter Umweltgesichtspunkten
dass Kohle immer in ausreichendem erheblich stei­gen; ein Szenario, das ist die Frage der Beihilfen für die
Maße in der gewünschten Qua- 2008 – zunächst vorübergehend – Steinkohlengewinnung im Übrigen
lität zu einem akzeptablen Preis auch eingetreten ist. Auf Grund der getrennt zu betrachten von den
auf dem Weltmarkt zur Verfügung Studie erscheint eine umfassendere Auswirkungen der Steinkohlen-
steht. Einer Analyse vom Frühjahr und effizientere Nutzung der heimi- nutzung. Letztere treten beim
2008 zufolge wird bereits im Jahr schen Steinkohlenre­s erven der EU Einsatz von Importkohle genauso
2011 wieder damit zu rechnen sein, sinnvoll. Dies würde nicht nur die ein. Die Probleme gelten unabhän-
dass Angebot und Nach­f rage auf Importabhängigkeit reduzieren, son- gig von der Herkunft der Kohlen.
dem Weltkraftwerkskohlenmarkt dern auch zusätzliche vorteilhafte Dies gilt insbesondere für die
die Kapazitätsgrenzen erreichen. Synergien wie z. B. eine Sicherung Verringerung der CO 2-Emissionen
Ab 2012 müssten sogar Engpässe der Beschäftigung in Bergbau und aus Kohlekraftwerken. Denn die
erwartet werden („Development Zulieferindustrie ermöglichen. Die Umwelt- und Klimafreundlichkeit
and Perspectives on Supply and Sicherung der Beschäftigung hat der Kohlekraftwerke hängt ab von
Demand in the Global Hard Coal in Folge der Krise europaweit nach den jeweiligen Emissions­s tandards
Market“, Maggi Rademacher in: Auffassung der EU-Kommission im Kraftwerkssektor und der Höhe
Zeitschrift für Energiewirtschaft höchste Priorität erlangt. der Wirkungsgrade, künftig auch
2/2008, S. 67ff.). Durch die danach von der Entwick­lung und Durchset-
eingetretene globale Wirtschafts- Auch wenn durch die Weltwirt- zung der nahezu CO 2-freien CCS-
krise ist eine zeitliche Verschiebung schaftskrise ein anderes zeitliches Technologien.
dieser Tendenz zu erwarten. Am Szenario eintreten wird, so ist eine
Ergebnis der Analyse ändert dies im Verknappung offenbar nur eine Umgekehrt würde die Einstellung
Grundsatz aber wenig. Frage der Zeit. Be­r eits vor Erreichen der Steinkohlenförderung in den
der Vollauslastung der Kapazitäten Mitgliedstaaten der EU bedeuten,
Ähnliche Einschätzungen hat die im in der gesamten Kohlekette werden dass die Produktion auch für den
Jahr 2007 veröffentlichte Studie die Preise deutlich anstei­gen, wie europäischen Markt verstärkt in
„The Future of Coal“ des Energie- die Erfahrung im vergangenen Jahr dritte Länder verlagert wird, in
Instituts des Joint Research Center zeigte. denen in der Regel erheblich gerin-
der EU-Kommission vertreten. Nach gere Umweltstandards als in der
dieser Studie ist es nicht sicher, Eine Umstellung der bestehenden EU herrschen. Hinzu kämen unter
dass die zur Deckung der mittel- Kohlekraftwerke auf Weltmarktkoh- Klimagesichtspunkten u. a. auch die
und langfristigen Koh­lenachfrage le wäre im Übrigen nicht in je­dem Emissionen durch den zusätzli­chen
erforderliche Steigerung des Fall möglich – und wenn, dann auch internationalen Kohletransport.
globalen Angebots erfolgen wird. nur nach mehr oder weniger um- Die globale „Ökobilanz“ der Stein-
Die Lieferper­spektiven für Kohle fangreichem Umbau der Kraftwerke kohlenproduktion insgesamt würde
auf dem Weltmarkt wären auf bzw. Umstellung der Transportinfra­ dadurch keineswegs verbessert,
Dauer keineswegs so sicher wie struktur. Vor dem Hintergrund der sondern in aller Regel verschlech-
häufig angenommen. Der Grund öffentlichen Diskussion über den tert. Eine Mindestproduktion
dafür ist die re­lativ rasche Abnah- Neubau von Kohlekraftwerken sind subventionierter heimischer Stein-
me der wirtschaftlich gewinnbaren daher zusätzliche Veränderungen kohle dagegen hätte klare Vorteile.
Reserven sowie die sehr hohe im Kraftwerkspark zu Las­t en eines Sie würde – wie schon die bisher
Länder- und die steigende Unter- ausgewogenen Energiemix in der geltende EU-Regelung feststellt
nehmenskonzentration. In jedem Stromerzeugung absehbar(s. a. – die An­r eize und Chancen in den
Kapitel Herausforderungen für die Mitgliedstaaten erhöhen. Auch die
europäische und deutsche Energie-
politik).

15
Führungsposition der europäischen
Technologie würde gesichert wer- Primärenergiegewinnung in Deutschland
den, in der eine umweltschonende in Mio. t SKE
2008 insgesamt: 130,7 Mio. t SKE
Förderung der Kohle, deren sau-
bere Verbrennung und zugleich ein Erneuerbare Energien (27 %): Fossile Energieträger (71 %):
Transfer dieser Technologie zu den - Sonstige Erneuerbare* (2,4 Mio. t SKE)
- Solarenergie (1,0 Mio. t SKE)
großen Kohle produzierenden Re­ - Wasserkraft (2,5 Mio. t SKE)
gionen außerhalb der EU ermöglicht - Windkraft 5,0
würde. - Biosprit 6,1
- Biomasse Braunkohle
Zugang zur Lagerstätte 18,4
sichern 53,8
Übrige Energie-
Eine Fortsetzung der Steinkohlen- träger (2 % = 2,5
förderung sichert auch den Zugang Mio. t SKE)
4,5
zur Lagerstätte. Die technisch Mineralöl
gewinnbaren Vorräte in den deut-
16,8
schen Steinkohlenlagerstätten sind Erdgas
die bei weitem größten Energie- 17,7
vorräte innerhalb der EU. Bezogen Steinkohle
* u. a. Grubengas, Geothermie
auf Deutschland haben sie einen
Anteil von 63% an den heimischen 36-2_2009 05.10.09
Energievorräten.
Dem infolge der einsetzenden Besitz der Stahlproduzenten befin-
Die heimische Steinkohle liefert – Rezession bereits 2008 nahezu denden Kokereien in Deutschland
bei einem Anteil von rund 4% am stagnierenden Stromverbrauch auch.
Primärenergieverbrauch und etwa folgte 2009 auch ein monatelanger
einem Drittel bei der Stromerzeu- Abwärtstrend bei der Stromerzeu- Seit dem Sommer 2009 gibt es
gung aus Steinkohle – nicht nur gung – begründet im geringeren allerdings wieder deutliche Signale
im Hinblick auf den Zugang zu den industriellen Verbrauch. So hat es dafür, dass die konjunkturelle Tal-
Vorkommen nach wie vor einen beispielsweise bei der Rohstahl- sohle durchschritten ist (Stand
bedeutsamen Beitrag zur Energie- produktion in Deutschland seit dem September 2009).
versorgung in Deutschland. Sie Jahresbeginn massive Einbrüche
könnte dies vor dem Hintergrund um bis zu 42% gegeben. Sowohl Öffentliche Hilfen
der vorhandenen Vorkommen auch beim Absatz von Kraftwerkskohle
noch für mehrere Jahrhunderte als auch von Kokskohle und Koks ist Für das Jahr 2008 waren für den
leisten. Anders als noch vor 25 es im ersten Halbjahr konjunkturell deutschen Steinkohlenbergbau
Jahren dominiert heute mit einem bedingt zu erheblichen Rückgängen gemäß Haushaltsplan 2,378 Mrd. €
Anteil von rund 77% der Absatz an gekommen. Die letzte unter dem an öffentlichen Hilfen für die
die Stromwirtschaft. Der Anteil, der Dach der RAG verbliebene Kokerei laufende Förderung, Altlasten und
2008 in die Stahlindustrie ging, be- Prosper musste nach Jahren der Stilllegungsmaßnahmen bereit-
trug 21%. Kleinere Mengen werden Vollauslastung ihre Kapazitätsaus- gestellt worden. Davon entfielen
daneben – subventionsfrei – in den lastung zeitweise auf die tech- 1,862 Mrd. € auf den Bundes- und
Wärmemarkt geliefert (Anthrazit- nische Untergrenze zurücknehmen, 0,516 Mrd. € auf den nordrhein-
kohlen). genauso wie alle übrigen sich im

16
Deutsche Steinkohle

westfälischen Landeshaushalt. Das


Saarland beteiligt sich an diesen Öffentliche Hilfen für die deutsche Steinkohle
Kohlehilfen nicht. Auf Grund der Mrd. €
auf dem Importkohlenmarkt zu 6
verzeichnenden Preissteigerungen 5,3
5
reduzierte sich der Bedarf jedoch, 4,3
sodass Anfang 2009 ein um fast 4 Planansätze
600 Mio. € verminderter Betrag 3 (vor erlösabhängiger Kürzung)
ausgezahlt wurde. 2,4 2,2
2 0,6* 1,8
Wurden die Steinkohlesubventio- 1 1,1
1,8
nen in den vergangenen Jahren 0
0
gerade von Ökonomen sehr kritisch
1996 2000 2008 2009 2012 2018 2030
beurteilt, so scheint sich mittler-
weile hier und da eine Neubewer- Ohne RAG-Eigenanteil; * erlösabhängige Kürzung
tung zu ergeben. Die Wirtschafts- Bis 2008: gemäß Zusagen aus den kohlepolitischen Vereinbarungen 2003 (ohne Berücksichtigung
der zeitlichen Zahlungsverschiebungen); ab 2009 Planansätze gemäß Rahmenvereinbarung 2007;
und Finanzkrise und die dadurch ini- 2018 unter Vorbehalt der Revision in 2012; ab 2019: keine Absatzhilfen
tiierten umfangreichen staatlichen
Rettungsmaßnahmen verschoben 16-2_2009 09.10.09
die Relationen im Subventionsge-
schehen und im staatlichen Handeln in seinem Buch „Ist der Markt noch Kieler Instituts für Weltwirtschaft
sehr deutlich. So äußerte sich bei- zu retten?“ im Zusammenhang mit (IfW): „Man kann sich bei jeder
spielsweise Prof. Peter Bofinger, der Subventionsdebatte und spezi- dieser Positionen streiten, ob dafür
Mitglied des Sachverständigenrats, ell zu den Subventionsstudien des öffentliche Mittel eingesetzt werden
sollten. Aber es gibt für die meisten
dieser Subventionen durchaus eine
ökonomische Rechtfertigung. Dies
Entwicklung der Subventionen in Deutschland gilt selbst für die Steinkohle, die bei
Index branchenübergreifende Subventionen
(1996 = 100) steigenden Energiepreisen durchaus
sektorspezifische Subventionen
180 wieder attraktiv werden kann.“
Steinkohle-Subventionen
160 Subventions-
Mrd. € zunahme Fiskalische Folgekosten
140 29,7
Mrd. € +38%
120 Der Steinkohlenbergbau ist nach
69,1
100 73,3 wie vor von beträchtlicher Be­
+6%
80 21,5 deutung für die Städte und Gemein-
60 den in den Revieren. Ein Anfang
5,3
2008 veröffentlichtes Gutachten
40
1,8 Subventions- der Prognos AG zur regional-
20 -66% wirtschaftlichen Bedeutung des
abbau
0 Steinkohlenbergbaus im Ruhr­gebiet
1996 97 98 99 2000 01 02 03 04 2005 06 07* 08** zeigte Folgendes: Auf einen Berg-
* 2006/07: verringerter Abbau wegen Umstellung der Auszahlungsmodalitäten bauarbeitsplatz kommen 1,3 wei-
und Nachzahlung vorher verschobener Auszahlungen („Bugwelle“)
** 2008: Kohlehilfen nach erlösabhängiger Kürzung
tere Arbeitsplätze im wirtschaft-
Quelle: IfW, Bundes- und Länderhaushalte
17-2_2009 08.10.2009

17
lichen Umfeld – davon rechnerisch
ungefähr ein Arbeitsplatz in der Beschäftigungseffekte des deutschen
Region selbst. So wird durch den Steinkohlenbergbaus nach Regionen
Bergbau nicht nur direkt, sondern 70 Tausend
auch indirekt Arbeit geschaffen. - außerhalb
60 der Reviere
Es handelt sich hier zum einen um Zusätzlich
Arbeitsplätze in der Zulieferindu- 50 bergbauabhängig
strie, zum anderen aber auch um Beschäftigte - in den Revieren
40
solche, die durch die Kauf­k raft der
30
Bergbaubeschäftigten zusätzlich Ibbenbüren
gesichert werden – etwa im Handel 20 Saarrevier
Bergleute
oder im Handwerk der Region. In 10 in den Revieren
Ruhrrevier
vielen ehemaligen Bergbauregionen
und Berg­b aurückzugsgebieten 0
ist deshalb die Arbeitslosigkeit Bergleute Bundesweit vom
typischerweise überdurchschnitt­ in den Revieren Bergbau abhängig
2008 Beschäftigte
lich hoch.

Zu berücksichtigen sind auch die


fiskalischen Folgekosten. Werden Zwar hat es in der Vergangenheit Zusammenfassend ist über die Ende
in der Folge von Bergwerksstillle- vielfältige regionalwirtschaftliche 2010 auslaufende EU-Ratsverord-
gungen Steuern und Sozialversiche- Flankie­r ungsmaßnahmen auch nung über Steinkohlebeihilfen daher
rungsbeiträge nicht mehr geleistet, durch EU-Programme gegeben (z. B. festzuhalten: Sie hat sich bewährt
kann das trotz der eingesparten RECHAR,RESIDER oder Ziel-2-Maß- und zu keinen gravierenden Proble-
Subventionen per Saldo für viele nahmen); doch sie konzentrierten men geführt, die Anlass zu einer
Jahre sogar zu Nettobelastun­gen sich auf das allgemeine Umfeld, Änderung während der Laufzeit
der öffentlichen Kassen führen. nicht aber auf die unmittelbaren der Verordnung gegeben haben.
Erschwert wird somit auch die Auswir­k ungen der Arbeitsplatzver- Dies hat die EU-Kommission in
Finanzierung regionalpoli­tischer luste im Steinkohlenbergbau und ihrem Monitoring-Bericht zu dieser
Strukturanpassungsmaßnahmen. den von ihm abhängigen Sektoren. Verordnung selbst festgestellt.
Der deutsche Steinkohlenbergbau
Bereits vor dem Beschluss im Jahr hatte sich deshalb schon 2006 in
2007, die subventionierte Förderung seiner Stellungnahme im Rahmen
Fiskalische Folgekosten bei unterschiedlichen
Arbeitsplatzersatzraten der Steinkohle in Deutschland zu der Konsul­t ation zum Monitoring-
beenden, wurde die Förderung über Bericht für eine – modifizierte –
Arbeits- Fiskalische Fiskalische
Jahre hinweg deutlich, aber immer Fortschreibung dieser Verordnung
platzverluste Folgekosten Folgekosten
Arbeitsplatz- in 2018 2007 - 2018 2007 - 2018 so­zialverträglich zurückgeführt. ausgesprochen. Dies sehen auch
ersatzrate p. a. NRW NRW Deutschland Dies hat zumindest bruchartige Ent- etliche andere Kohleländer so.
wicklungen in den Bergbaurevieren Künftig sollten in jedem Fall alle
0%* - 43.726 1,43 Mrd. € 9,54 Mrd. € verhindert. Das Auslaufdatum Ende bisher bestehenden Beihilfein-
2,25% - 37.390 1,30 Mrd. € 8,57 Mrd. € 2018 wurde be­w usst so gewählt, strumente im EU-Rahmen zulässig
4,5%** - 32.963 1,18 Mrd. € 7,71 Mrd. € um größere negative soziale und bleiben.
9% - 25.054 0,99 Mrd. € 6,25 Mrd. € regionale Auswirkungen vermeiden
zu können.
* Status quo mit Normaltrend ** Referenzfall UK
Quelle: Prognos, 2008

18
“Arbeitsauftrag”,
Foto und Montage:
Andreas Ermert, 2009.
Innovative deutsche Bergbautechnik ist ansässig. 115 überwiegend mittel-
ständische Unternehmen mit mehr
weltweit führend als 13.500 Beschäftigten decken
die gesamte Palette der Tief- und
Die geordnete und schrittwei- Beiträge geleistet und ist auf dem Tagebautechnik in allen Bergbau-
se Rückführung des deutschen Weltmarkt nicht nur wettbewerbs- zweigen ab. Die Branche verzeich-
Steinkohlenbergbaus hat nicht nur fähig, sondern auch an der Spitze net seit Jahren steigende Umsätze,
regionale und soziale Folgen abge- der technologischen Entwicklung. die den geringer werdenden Anteil
federt, sondern zugleich auch die Ihr Bei­t rag ist in der EU, in Osteuro- des heimischen Markts mehr als
Anpassungsprozesse der Zulieferin- pa sowie in Ländern wie China und kompensieren. Zuletzt betrug der
dustrie. Der gute Ruf der deutschen Indien von großer Bedeutung. Zuwachs 7% für das Jahr 2008.
Bergbautechnik ist nicht zuletzt
auf die Herausforderungen zurück- Die Entwicklung in Deutschland Die führende Position der deut-
zuführen, die die geologischen zeigt inzwischen aber, dass mit schen Bergbaumaschinenindus-
und klimatischen Bedingungen an Rückführung der Steinkohlenpro­ trie auf dem Weltmarkt ist laut
einen Bergbau in Tiefen von bis duktion der Bestand einzelner Fachverband Bergbaumaschinen
zu 1.500 m stellen. So beträgt die Bergbauzulieferer gefährdet ist und im Verband Deutscher Maschinen-
durchschnittliche Gewinnungsteufe bereits Insolvenzen einzel­n er Un- und Anlagenbau (VDMA) allerdings
im heimischen Steinkohlenbergbau ternehmen zur Folge hatte. Zudem gefährdet, sollte der Auslauf-
aktuell rund 1.150 m. Bis zum Jahr dürften einige deutsche Anbieter beschluss für den deutschen
2012 wird sie etwa um weitere finanziell kaum in der Lage sein, Steinkohlenbergbau tatsächlich
100 m zunehmen. Beispiellos auf technische Neuerungen in weit umgesetzt werden. Zur Aufrecht-
der Welt sind darüber hinaus die entfernten Bergwerken im Einsatz erhaltung des weltweit hohen
hierzulande anerkannt hohen Stan- ­z u testen und zur Marktreife zu technologischen Standards der
dards für die Arbeitssicherheit, den führen. deutschen Bergbautechnik ist nach
Arbeits- und Gesundheits- sowie Ansicht des VDMA ein lebensfähi-
den Umweltschutz. Die inländische Der überwiegende Teil der Berg- ger heimischer Steinkohlenbergbau
Produktion Bergbauzulieferindustrie hat hierzu bauzulieferbetriebe ist mit seinen unverzichtbar: Die erforderlichen
der deutschen im Ver­b und mit dem heimischen Wertschöpfungs- und Beschäfti- Innovationen erfolgen und gelin-
Bergbaumaschi- Steinkohlenbergbau entscheidende gungspotenzialen in den Bergbau- gen gerade durch die Erprobung
nenindustrie revieren angesiedelt. 80% aller und Weiterentwicklung unter den
Bergbauzulieferer Deutschlands anspruchsvollen Bedingungen in
Gesamtproduktion sind z. B. in Nordrhein-Westfalen der heimischen Lagerstätte.
Mio. €
4.000 Exportanteil 2008: 86%
3.500 Innovationen treiben die Technologie-
3.000
2.500 entwicklung voran
2.000
Produktivitätssteigerungen und einen, weil die im Tagebau gewinn-
1.500
Prozessinnovationen sind heut- baren Vorräte langsam aber sicher
1.000
zutage mitentscheidend für den zur Neige gehen; zum anderen, weil
500
wirtschaftlichen Erfolg von Berg- auch andernorts die Anforderungen
0
bauunternehmen. Weltweit geht an einen umweltschonenderen
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 der Trend zu immer leistungsfä- Umgang mit der Landschaft über
Quelle: VDMA, 2009 higeren Tiefbaubetrieben: Zum
32-1_2009 23.09.09

22
Deutsche Steinkohle

Zum Selbstverständnis des deut-


Änderungen im Berufsfeld Bergbautechnologe schen Steinkohlenbergbaus zählt
auch der verantwortungsvolle
Zum 1. August 2009 startete in der Nachfolge des Bergmechanikers der Umgang mit der Umwelt. Dies
neue Ausbildungsberuf des „Bergbautechnologen“. Mit diesem Berufsfeld zeigt sich insbesondere bei den
trägt die Ausbildungspolitik den veränderten Rahmenbedingungen für den im Vorfeld aller Abbauvorhaben
Steinkohlenbergbau sowie dem Strukturwandel der bergbaulichen und durchgeführten Umweltverträglich-
bergbaunahen Berufstätigkeiten in Deutschland Rechnung. keitsprüfungen. Diese setzen sich
mit den erwarteten Umweltaus-
Berufsanfänger können sich zwischen den Spezialisierungen Tiefbohr- wirkungen auseinander und legen
technik und Tiefbautechnik entscheiden. Die Tiefbohrtechnik setzt die erforderlichen Ausgleichs- und
Schwerpunkte in den Bereichen Geologie sowie der Bohrlochkonstruktion Ersatzmaßnahmen sowie deren
und -kontrolle. Die Tiefbautechnik besitzt ihre Einsatzfelder neben dem kontinuierliche Überwachung fest.
Steinkohlenbergbau hierzulande im Kali-, Deponie-, Sanierungs- und neuer-
dings auch wieder im Erzbergbau. Ausbildungsschwerpunkte liegen dabei Ausschlaggebend für weitere
auf Fragen des Grubengebäudes, sowie der Wetter- und Klimatechnik, die Produktivitätssteigerungen sind
für die Tiefbohrtechnik nicht relevant sind. Innovationen in den Bereichen
Automatisierung, Kommunikation
Künftig können auch Frauen in diesem Beruf ausgebildet werden: Der Deut- und Infrastruktur. Diese umfassen
sche Bundestag hat das Beschäftigungsverbot für Frauen unter Tage am Verbesserungen in der Antriebs-
20. Januar 2009 aufgehoben. Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof die und Gewinnungstechnik, Logistik,
EU-Länder verpflichtet, ein Übereinkommen der Internationalen Arbeitsor- Instandhaltung, Planung und
ganisation aus dem Jahr 1935 zu kündigen, das jegliche Untertagearbeiten Organisation. Um dabei weitere
von Frauen verbot, da es gegen eine europäische Richtlinie verstoße. Fortschritte zu erzielen, arbeitet
die deutsche Steinkohle eng mit
Einrichtungen aus Wissenschaft
und Forschung zusammen.
Tage steigen. Dort, wo ohnehin tegie und zu den Voraussetzungen
bereits Steinkohle unter Tage für eine wirtschaftliche Produktion. Zur Förderung der innerbetrieb- Unfallrückgang
gewonnen wird, dringt man inzwi- Die Arbeit in Steinkohlenberg- lichen Anstrengungen zugunsten im Steinkohlen-
schen ebenfalls in immer größere werken ist durch die natürlichen bergbau
Teufen vor und lernt zunehmend die Gegebenheiten für die Bergleute
damit verbundenen Anforderungen in besonderer Weise nicht ohne Unfälle
hinsichtlich steigender Gebirgsdrü- Gefahren. Dennoch konnten die (Gesamtzahl je 1 Mio. Arbeitsstunden)
cke, höherer wetter- und klima- Unfallzahlen im deutschen Stein- 50
technischer Anforderungen und kohlenbergbau seit Anfang der
40
ähnlichem kennen. 1990er Jahre um fast 90% gesenkt
werden. Sie erreichten zuletzt 30 Unfälle unter Tage
Arbeits-, Gesundheits- und Um- einen historischen Tiefstwert. Im
weltschutz besitzen im deutschen internationalen Vergleich wie auch 20
Unfälle Gewerbliche
Steinkohlenbergbau seit jeher im Vergleich zu anderen Branchen 10 Wirtschaft insgesamt Unfälle
einen hohen Stellenwert. Sie zäh- in Deutschland nimmt damit der Steinkohlenbergbau
len zu den wichtigen Grundsätzen heimische Steinkohlenbergbau 0 insgesamt*
innerhalb der Unternehmensstra- einen Spitzenplatz bei der Arbeits- 1998 2000 2002 2004 2006 2008
sicherheit ein. * nur unter Bergaufsicht stehende Unternehmensteile
Quelle: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung; RAG

neu_03-1_2009 23.09.2009
Unfallrückgang im Steinkohlenbergbau (1998 bis 2008) 23
genutzt wird. Insbesondere das
Wissen und die Erfahrungen
der letzten 25 Jahre sind dabei
weltweit einzigartig. Eine ähnliche
Datenbank wurde auch für das
Grubenrettungswesen entwickelt.
Sie hilft nicht nur, die Sicherheit in
deutschen Bergwerken zu erhö-
hen und Know-how zu sichern:
Deutsche Standards werden damit
weltweit bekannt gemacht und
weitere Impulse gesetzt.

Daneben wurden auch Arbeiten mit


dem RAG-Forschungspreis ausge-
zeichnet, die nicht direkt mit den
Vorgängen unter Tage in Verbin-
dung gebracht werden. In einem
Fall wurde ein Planungs- und Steu-
erungssystem für eine umfassende
und effiziente Abwicklung des
Flächenrecyclings und vergleich-
Prozessleitwarte barer Großprojekte entwickelt. Bei
der Zukunft stetiger Innovationen vergibt die Für die Chancen auf dem Welt- einem weiteren Projekt („MINEO“)
RAG Aktiengesellschaft einen markt ist neben der Weiterent- handelt es sich um ein Forschungs-
Forschungspreis. wicklung dieser Techniken auch vorhaben zur Umweltüberwachung
das Know-how über das Verhalten in Bergbaugebieten mit neuen
Eine zentrale Rolle bei der Vergabe des Gebirges und den Umgang Fernerkundungsmethoden.
des Forschungspreises spielen die mit ihm von unschätzbarem Wert.
Anstrengungen zur Automatisie- Für dieses Wissen wurde unter Den Forschungspreis 2008 verlieh
rung der Arbeitsprozesse. Dazu Einsatz modernster IT-Systeme die RAG für ein System, das die
zählt die Entwicklung einer neuen und -Strukturen bei der RAG ein computergestützte Übermittlung
Hobeltechnik: Sie führte in den geotechnisches Bewertungssys- von Sprache, Bildern und Daten
Betrieben der RAG zu einer deut- tem entwickelt. Es liefert Planern möglich macht. Der Elektriker unter
lichen Steigerung der Tagesförde- ein transparenteres Bild über die Tage repariert eine hochkompli-
rung bei halbiertem Aufwand für Gesteinsschichten. Zur besseren zierte Anlage. Visuell und akustisch
Wartung und Instandhaltung sowie Gebirgsbeherrschung in Flözstre- zugeschaltet wird ein Experte der
längerer Lebensdauer der Anla- cken wurde eine selbstlernende Herstellerfirma. Ohne Zeitverlust
gen. Ferner geht es um ein neues Datenbank aufgebaut. Sie spiegelt durch Anreise, ohne stundenlan-
Antriebssystem für Kohleförderer: die Erfahrungen aus über hundert ge Stillstände im Betrieb, ist der
Es ermöglichte eine deutliche Jahren Steinkohlenbergbau in Schaden schnell behoben. In der
Produktivitätssteigerung und damit Deutschland wider. Diese Daten- Komplexität der Untertage-Welt
verbundene Kostensenkungen. Zum bank liefert erstmalig ein umfang- waren viele Voraussetzungen zu
dritten wurde ein vollautomatisier- reiches, vernetztes Zahlen- und schaffen, um diese Technologie
tes Transportsystem entwickelt. Formelwerk, das für die Planung
und Auffahrung neuer Strecken

24
Deutsche Steinkohle

Der Forschungspreis der RAG Aktiengesellschaft

Die RAG Aktiengesellschaft ver- aus Kohle und Acrylglas – an die die Innovationskraft nordrhein-
leiht seit 2002 einmal jährlich ei- Preisträger nehmen Vertreter aus westfälischer Forscherinnen und
nen Forschungspreis an Mitarbeiter Politik, Wirtschaft und der Tages- Forscher verdeutliche. Zwei Jahre
für außerordentliche Leistungen und Fachpresse teil. später unterstrich dies auch Dr.
aus dem Bereich Forschung und Michael Stückradt, Staatssekre-
Entwicklung. Hierfür bewertet Die bisherigen Veranstaltungen tär im NRW-Ministerium für Inno-
eine Jury unter Vorsitz des RAG- stoßen auf positive Resonanz. So vation, Wissenschaft, Forschung
Vorstandsmitglieds Jürgen Eikhoff betonte im Jahre 2003 die damalige und Technologie. Die deutsche
Ideen und Verbesse- B e r g b au t e c h n olo gie
rungen, die dem Unter- ist weltweit führend.
nehmen neue Impulse Stückradt: „Der Ga-
geben und somit Inno- rant, dass diese stolze
vationen vorantreiben. Bilanz auch in Zukunft
Die besonders an- erhalten bleibt, ist Ex-
spruchsvolle Geologie zellenz in Forschung und
der Lagerstätte sowie Entwicklung und deren
die weltweit führenden Umsetzung.“
deutschen Standards
bei Arbeitssicherheit Auch die Berichterstat-
und Umweltschutz er- tung der Medien fiel
fordern eine ständige durchweg positiv aus.
Weiterentwicklung der Hierbei ging neben der
deutschen Bergbau- Innovationskraft der
technologie, um eine Mitarbeiter auch die
immer höhere Effizienz zu errei- Ministerin für Wissenschaft und des deutschen Steinkohlenberg-
chen. Hinzu kommen die Anstren- Forschung des Landes Nordrhein- baus im internationalen Zusammen-
gungen, trotz Personalabbau vor- Westfalen, Hannelore Kraft, dass spiel hervor. Eine Partnerschaft, die
handenes Know-how zu erhalten der Forschungspreis zum einen die bis in den Weltraum reicht, wie
und weiterzuentwickeln. strategische Bedeutung der For- der Auftritt von Gastredner und
schungs- und Entwicklungsarbeit Astronaut Dr. Ulf Merbold bei der
An der Verleihung des Preises – für den deutschen Steinkohlenberg- Forschungspreisverleihung im Jahr
einem stilisierten Schildausbau bau unterstreiche und zum anderen 2004 zeigte.

zu realisieren. Das Projekt wurde gebrauchter, erprobter Bergbau- Unternehmen unter ihrem Konzern-
von der Europäischen Kommission technik geführt. Was unter den dach in diesem Jahr die Tochter-
gefördert. hiesigen schwierigen Bedingungen gesellschaft RAG Mining Solutions
unter Tage funktioniert, kann oft gegründet. So wurden bereits mit
Der Konzentrationsprozess im auch anderswo genutzt werden. Bergbaugesellschaften in Polen,
deutschen Steinkohlenbergbau Um diesen Markt in Zukunft zu Tschechien und der Ukraine Kon-
hat zu einem großen Angebot an bedienen, hat die RAG als weiteres

25
Der Forschungspreis 2009

Zur visuellen Unterstützung wurden auf beiden


Walzentragarmen Videokameras und Scheinwer-
fer installiert. Die Kameras liefern kontinuierlich
Bilder.

Zur Vollautomation zählt auch die Möglichkeit


der Grenzschichterkennung zwischen Kohle und
Nebengestein. Dies erfolgt mit zwei kohlenstoß-
seitig installierten Infrarotkameras. Mit der Infra-
rottechnik werden Texturen im Flöz erkannt, die
mit dem bloßen Auge kaum sichtbar sind.

Nach 20 Jahren Entwicklungsarbeit ist es bei der RAG ge- selbstständig Hindernisse und die Grenzen zwischen
lungen, den sogenannten Schrämwalzenlader – eine Ab- Kohle und Gestein. Ein effektiver und Material scho-
baumaschine – „intelligent“ zu machen. Leistungsfähige nender Abbau von Steinkohle unter Tage ist das Ergebnis.
Rechner und Kommunikationssysteme sowie modernste Das Projekt wurde im Jahr 2009 mit dem Forschungspreis
Sensorik wie Infrarotkameras, Radar und Schwingungs- der RAG-Aktiengesellschaft ausgezeichnet.
messer machen das möglich. Die Maschine erkennt

takte und Geschäftsbeziehungen Die Beispiele zeigen, dass die Ent- erfordert. Messbarer Ausdruck
aufgebaut zur Vermarktung des wicklung der Bergbautechnik trotz der weltweiten Wertschätzung
hochmodernen Equipments – für des gesunkenen Fördervolumens der Innovationsanstrengungen des
das es zum Teil hierzulande keine in Deutschland Jahr für Jahr bis deutschen Steinkohlenbergbaus
Einsatzmöglichkeiten mehr gibt – heute wesentliche Fortschritte ge- ist das große Interesse, das die
sowie des vorhandenen Know- macht hat und immer noch macht. Präsentationen von Mitarbeitern
hows. Darüber hinaus gibt es Dies liegt nicht zuletzt daran, der deutschen Steinkohle auf inter-
zunehmend Anfragen aus China, dass die Förderung von Kohle aus national besetzten Kolloquien und
der Türkei, Russland und Mexiko. einer der tiefsten Lagerstätten der Tagungen finden.
Welt technische Höchstleistungen
und umfangreiches Know-how

26
Foto:
Grubengas-BHKW
der Stadtwerke Herne
am Standort der
Klima und Umwelt
ehemaligen Schachtanlage
Mont Cenis
Aktuelle Entwicklungen in der nationalen und Sektoren, die im internationalen
Wettbewerb stehen, und die
internationalen Klimapolitik Definition von Benchmarks für eben
jene Sektoren.
Die nationale und europäische Die Vollauktionierung von Emis-
Klimapolitik wurde in der zweiten sionsrechten im Bereich der Um die Wettbewerbsfähigkeit der
Jahreshälfte 2008 und 2009 durch Stromerzeugung wird die kohlen- europäischen Industrien nicht zu
die Umsetzung des europäischen stoffreichen Primärenergieträger stark zu beeinträchtigen, sollen
Klimaschutzpaketes vom Januar Braun- und Steinkohle besonders für energieintensive Wirtschafts-
2008 („Green Package“) geprägt. hart treffen, da sich die Strom- zweige – wie beispielweise auch
Zentraler Teil des Green Package erzeugungskosten hier am stärk- die Kokereien – gewisse Ausnah-
ist die Novellierung des europä- sten erhöhen. Absehbar ist eine men vom Einstieg in die Auktio-
ischen Emissionshandelssystems „Dekarbonisierung“ besonders nierung geschaffen werden. Diese
für die Zeit nach 2012, dem Ende im Bereich von Neuanlagen, da Ausnahmen sehen eine kostenlose
der zweiten Handelsperiode und Neuinvestitionen auf Stein- und Zuteilung von Emissionsrechten für
der Verpflichtungsperiode unter Braunkohlebasis nur getätigt die 10% der effizientesten Anlagen
dem Kyoto-Protokoll. Kernelement werden, wenn die Vollkosten am im jeweiligen Wirtschaftszweig
der Novellierung des europäischen Strommarkt durchgesetzt werden vor, wobei die übrigen Anlagen des
Emissionshandelssystems, die im können. Der Emissionshandel Carbon Leakage-Sektors die ihnen
Europäischen Parlament am 17. favorisiert kohlenstoffarme Primär- zugeteilten Emissionsrechte letzt-
Dezember 2008 mit überwälti- energieträger, wie Gas. Preisniveau endlich doch zumindest teilweise
gender Mehrheit verabschiedet und Preisrisiken ließen diese im kostenpflichtig erwerben müssten.
wurde, ist die deutliche Verringe- Wärmemarkt mit großen Nutzungs- Zudem wird die Anzahl der im
rung der Emissionen im Rahmen vorteilen angesiedelten Energieträ- gesamten Emissionshandelssys-
des Emissionshandels in der Zeit ger in Deutschland bislang nicht zu tem zugeteilten Rechte – egal ob
2013 bis 2020. So sollen die dem grundlastfähigen Energieträgern in kostenfrei oder kostenpflichtig –
Emissionshandel unterliegenden der Stromerzeugung werden. Durch zwischen 2013 und 2020 um 1,74%
Anlagen ihre Emissionen bis 2020 den Emissionshandel droht jedoch pro Jahr reduziert, sodass gegen
um 21% gegenüber 2005 verrin- eine Verschiebung. Bei den übrigen Ende des Zeitraums von einer
gern. Der überwiegende Teil der Industrieanlagen soll ein stufen- erheblichen Verknappung von
Emissionsrechte wird an die Strom- weiser Einstieg in die Auktionie- Emissionsrechten ausgegangen
erzeugungsunternehmen zugeteilt. rung erfolgen, wobei die kosten- werden muss.
Diese Rechte sollen nicht – wie in lose Zuteilung im Jahr 2013 80%
der Vergangenheit – kostenfrei, beträgt, bis 2020 auf 30% und bis Auf internationaler Ebene wird die
sondern mit einem Auktionsver- 2027 auf 0% abgesenkt wird. klimapolitische Diskussion im Jahr
fahren kostenpflichtig zugeteilt 2009 durch die Vorbereitung auf
werden. Dies führt absehbar zu Die vom EU-Rat im März 2009 die 15. Vertragsstaatenkonferenz
einem erheblichen Kostenschub bei verabschiedete Richtlinie enthält (COP15) geprägt, die im Dezember
den Strompreisen, den sowohl die eine Reihe von Regelungslücken, 2009 in Kopenhagen stattfindet.
industriellen als auch die privaten die die Kommission noch vor Auf ihr sollen ein Nachfolge­
Stromverbraucher der Europäischen Beginn der dritten Handels­p eriode abkommen für das Kyoto-Protokoll
Union schultern müssen. im Januar 2013 schließen muss. aus dem Jahr 1997 verabschiedet
Hierzu gehören insbesondere die und klimapolitische Zielvorgaben
Abgrenzung der Carbon Leakage-

28
Klima und Umwelt

für die Zeit nach 2012 festgelegt


werden. Die Europäische Union hat Energiebedingte CO2-Emissionen in der Welt
2008: 31,5 Mrd. t CO2
sich im Vorfeld dieser Verhand-
lungen im Januar 2009 unilateral
auf eine Minderungsverpflichtung
übrige Welt 22% China
von 20% gegenüber 1990 festge-
legt und sich dazu bereit erklärt, 30%
ihre CO 2-Emissionen um 30% zu
senken, falls andere Industrie-
staaten vergleichbare Emissions-
minderungen beschließen. Sie for-
dert ferner, den globalen Tempe-
20%
raturanstieg auf 2°C zu begrenzen
und zur Erreichung dieses Ziels, die übrige 11% USA
globalen Emissionen bis 2050 um EU-27-Länder
50% gegenüber 1990 zu senken. 4% 4% 6%
Die endgültige Verhandlungspositi- Deutschland
on der EU soll auf einem Ratsgipfel (davon Kohlekraftwerke Japan Indien Russland
in Deutschland: 1%) nach BP, 2009
im Oktober 2009 verabschiedet
werden. 77u-2_2009 17.09.09

Die europäischen Forderungen wur- Entwicklungsländer den Industrie- generell bereit sind, aus Gründen
den vom G8-Gipfel im italienischen staaten abverlangen (etwa 40% des Klimaschutzes zumindest ihre
L’Aquila im Juli 2009 aufgegriffen. gegenüber 1990 bis 2020), so Energieeffizienz (d. h. Energieein-
Die G8-Staaten wollen ihre Klima- fallen die bislang publik gemachten satz bzw. CO 2-Emission pro Einheit
gasemissionen bis 2050 um 80% Reduzierungsabsichten deutlich Bruttosozialprodukt) bis 2020
reduzieren, wobei die weltweiten dahinter zurück. Die UN-Klimaver- deutlich zu verbessern, bzw. ihre
Emissionen um 50% verringert handlungen werden weiter dadurch CO 2-Emissionen ab ca. 2030 sogar
werden sollen. Um dieses Ziel erschwert, dass die Entwicklungs- zu stabilisieren. Dies würde gegen-
zu erreichen, müssten auch die länder von den Industriestaaten über den Trendannahmen zu einer
Entwicklungs- und Schwellenlän- jährliche Zahlungen für „Klimaschä- Emissionsminderung auch in den
der ihre Emissionen gegenüber den“ im Bereich von ca. 200 Mrd. Entwicklungsländern, insbesondere
heute bis 2050 um mindestens US-$ fordern, Forderungen, die China und Indien führen.
30% reduzieren, je nach dem, vor dem Hintergrund der gegen-
welcher Basiszeitraum seit 1990 wärtigen Wirtschafts- und Finanz- In den USA wurde nach dem Einzug
als Ausgangspunkt für die Emissi- krise wenig realistisch anmuten. von Präsident Barack Obama ins
onsminderung gewählt wird. Diese Die Entwicklungsländer selbst, Weiße Haus im Januar 2009 umge-
implizite Forderung des G8-Gipfels hauptsächlich China und Indien, hend versucht, eine klimapolitische
wird die internationale Klimapolitik die maßgeblich für den drastischen Kurswende einzuleiten. Dies führte
vor neue, schwierige Herausforde- Emissionsanstieg der letzten zehn zur raschen Vorlage und Verab-
rungen stellen. Jahre verantwortlich sind, sind schiedung eines Gesetzentwurfs
dagegen nicht bereit, verpflichten- durch den Kongress, der nach
Vergleicht man dies mit den de Emissions­b egrenzungszusagen Angaben des World Resources
CO 2-Minderungszielen, die die zu machen. Sie haben aber zu
erkennen gegeben, dass sie

29
Institute in der Summe die 28%-ige Climate 2008”, Vol. 8, Aug. 2009)
Senkung der Treibhausgasemissio- „Die Weltuntergangshysterie, auf die Entwicklung auch der letz-
nen der USA bis zum Jahr 2020 die manche Medien verbreiten, ten Jahre im Vergleich zu früheren
im Vergleich zu 2005 zur Folge wird von den wissenschaftlichen Zeiträumen eingegangen. Im Bei-
hätte. Die Verabschiedung durch Schätzungen nicht unterstützt.“ trag von Knight et al. (ebenda), der
den US-Senat steht noch aus und Prof. Dr. Richard S. J. Tol, Werte bis einschließlich Dezember
wird als unsicher eingeschätzt. Umweltökonom und Mitarbeiter 2008 verwendet, heißt es sogar
Dieses Klimaschutzprogramm ist des Intergovernmental Panel „Observations indicate that global
in seiner Breite noch umfassender on Climate Change (IPCC), temperature rise has slowed in the
als das europäische Green Package zitiert von Philip Plickert in der FAZ last decade“.
oder die deutschen klimapoli- vom 14. September 2009.
tischen Beschlüsse von Meseberg/ Die Initiative des Bundesverbands
Brandenburg (August 2007). Es der Deutschen Industrie (BDI)
umfasst nämlich alle sechs Kyoto- beschleunigt habe und dass es „Wirtschaft für Klimaschutz“, der
Gase und deckt vergleichsweise auch aus diesem Grund erforder- 40 Unternehmen und Verbände
erheblich größere Bereiche der lich sei, die Klimagasemissionen angehören, u. a. auch der GVSt, hat
amerikanischen Wirtschaft ab als noch deutlicher und nachhaltiger Ende März 2009 im Rahmen einer
das europäische Emissionshan- zu reduzieren als man es noch vor klimapolitischen Veranstaltung des
delssystem. Die Gesamt­e missions­ wenigen Jahren für erforderlich BDI eine aktualisierte Fassung der
minderungen des Gesetzentwurfs hielt. Für die Öffentlichkeit nicht erstmals 2007 vorgelegten McKin-
von Waxman-Markey werden auf erkennbar besteht in der Wis- sey-Studie „Kosten und Potenziale
ca. 17% bis 2020 im Vergleich zu senschaft ein Meinungsspektrum der Vermeidung von Treibhausgas-
1990 veranschlagt. Dies ist relativ darüber, in welchem Maße anthro- emissionen in Deutschland“ veröf-
ambitioniert, insbesondere im Ver- pogene Treibhausgas­e missionen fentlicht. Damit verfügt Deutsch-
gleich zu den gegenwärtigen Emis- für den Temperaturanstieg der land als erstes Land der Welt über
sionen, und dürfte im Vergleich letzten Jahrzehnte verantwortlich eine detaillierte Bewertung aller
zum Bezugsjahr 2005 auf stärkere sind. In den Medien und der Politik bekannten Klimaschutztechniken in
Emissions­minderungsvorgaben finden weitgehend diejenigen „€/t CO 2 “. Wesentliches Kriteri-
als in der Europäischen Union Wissenschaftler Gehör, die dem um für die „Vertretbarkeit“ von
hinauslaufen. Abgesehen von der „alarmistischen“ Ende dieses entsprechenden Umstellungs- und
Europäischen Union und den USA Spektrums angehören und mög- Vermeidungsinvestitionen war, ob
ist jedoch in den übrigen OECD- lichst drastische CO 2-Minderungen sie zu Einbußen an Wirtschafts-
Ländern gegenwärtig nicht zu verlangen, obwohl sich der Klima- wachstum, Wettbewerbsfähigkeit
erkennen, ob Bereitschaft besteht, wandel – beschrieben z. B. durch und Lebensqualität führen oder
die Klimagasemissionen bis 2020 in die globale Mitteltemperatur, den nicht.
vergleichbarem Maße zu mindern. Meeresspiegelanstieg oder die
Hurricane-Häufigkeit – in den letz- Die bis 2020 für tragbar erachtete
In Deutschland wird in der klimapo- ten Jahren nach Aussagen anderer Reduktion der Treibhausgas (THG) -
litischen Diskussion verstärkt eine Wissenschaftler nicht beschleunigt Emissionen wird auf 30% veran-
CO 2-Minderung um mindestens habe. So wird ausführlich von schlagt. 25% Reduktion könnten
40% bis 2020 mit dem Hinweis mehreren Autoren im Bulletin of demnach im Zielzeitraum durch
darauf gefordert, dass der Klima- the American Meteorological So- wirtschaftliche Hebel realisiert
wandel sich in den letzten Jahren ciety (Peterson und Bariger, Hrsg.:
Special Supplement „State of the

30
Klima und Umwelt

Reduzierung von Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2020


Mt CO2e*
1400
1200 1232 -17% -25% -26% -30% -35% Reduzierung 1990 - 2020
1025 1048 122
1000 15 49 62 Vermeidungspotenzial
800 926 911
862 (gegenüber Stand der Technik
600 800 Projektion 2020)

400
200
0
Basis- 2004 Projek- A B C D
jahr tion
1990 2020** A Nach Umsetzung wirtschaftlicher Hebel
B zzgl. Umsetzung Hebel (0-20 €/t CO2e)
* CO2-Äquivalent C zzgl. Umstellung Energiemix (Ø 64 €/t CO2e)
** Nach Stand der Technik D zzgl. aller übrigen Hebel (Ø 430 €/t CO2e)
Quelle: McKinsey-Studie, 2009 (Basisszenario) im Auftrag der BDI-Initiative „Wirtschaft für Klimaschutz“.
Die Daten berücksichtigen die Beibehaltung des Kernkraftausstiegs

alt_01-3_2009 17.09.2009

werden. 30% sind möglich, wenn EEG. Zu den Ergebnissen gehör- ne CO 2-Äquivalent immer höhere
mit politischer Unterstützung – te, dass die kostengünstigsten Vermeidungskosten.
bzw. Mehrkosten von bis zu 49 €/t Einsparpotenziale keineswegs im
CO 2-Äquivalent (CO 2e) – zusätzlich Energiesektor zu finden sind, son- BDI-Präsident Hans-Peter Keitel
die Umstellung des Energiemix auf dern im Gebäudesektor sowie in sieht die Studie als Beleg dafür,
einen höheren Anteil erneuerbarer Teilen der industriellen Produktion dass sich Klimaschutz und Wirt-
Energien erfolgt. 40% THG-Min- (insbesondere Antriebssysteme). schaftswachstum miteinander
derung werden hingegen erst bis Innerhalb des Energiesektors verbinden lassen und auch in der
2030 für tragbar gehalten, sofern zählen Retrofit-Maßnahmen bei Wirt­s chaftskrise an den Klima-
nach 2020 die CCS-Technologie Kohlekraftwerken zu den kosten- schutzzielen festzuhalten ist. Die
zum Durchbruch gelangt. günstigsten Optionen, teilweise als Klimapolitik müsse aber so ausge-
sich selbst rechnende „wirtschaft- staltet werden, dass sie Anreize
In die Untersuchung wurden liche Hebel“. Deutlich gemacht für nachhaltiges Wachstum setzt
neben dem Energiesektor auch die hat die Studie auch, dass über die und fairen Wettbewerb ermög-
Sektoren Gebäude, Transport und Ernte der wirtschaftlichen und licht. Unabhängig von der Höhe des
Industrie einbezogen. Unterstellt tragbaren Vermeidungs­p otenziale Ölpreises und selbst bei extremen
wurde die Beibehaltung des Kern- hinaus mit relativ steil anstei- Preisschwankungen gebe es ein
energieausstiegs wie auch des genden Grenzvermeidungskosten enormes Potenzial zur Vermeidung
zu rechnen ist, d. h. zusätzliche von Treibhausgasen.
Reduktionen erfordern dann je Ton-

31
CO2-Abtrennung und -Speicherung (CCS) werken und das sichere Verpressen
des CO 2 in unterirdische Lagerstät-
ten – ist eine solche Technologie,
Der Klimawandel ist ein globales bettet sein, um die Wettbewerbs- die aber noch nicht großtechnisch
Thema, Lösungen werden intensiv fähigkeit der Volkswirtschaft nicht einsatzreif ist.
gesucht, Europa und vor allem zu schwächen und Arbeitsplätze zu
Deutschland wollen einerseits sichern. Neue Energietechnologien Der Ministerrat und das Europä-
eine Vorreiterfunktion einnehmen, für die Stromerzeugung, im Ver- ische Parlament konnten sich im
können andererseits aber allein das kehr, zum Heizen und zum Kühlen Rahmen eines Trilogs am 13. De-
Klima nicht „retten“. Deshalb muss werden erforscht und an den Markt zember 2008 auf einen Kompromiss
eine nachhaltige Klimaschutzpolitik gebracht. Carbon Capture and Sto- zur Richtlinie über die Abscheidung
in internationale Klimaschutzstra- rage (CCS) – die Abtrennung von und geologische Speicherung von
tegien und -vereinbarungen einge- CO 2 aus dem Rauchgas von Kraft- Kohlendioxid (CCS-Richtlinie) eini-

CCS-Technologie: Möglichkeiten der CO2-Abtrennung und CO2-Speicherung

... vor der Verbrennung


(IGCC)
1 Anlieferung der
Kohle und Abtrennung
des CO2 ...
CO2
mit dem Schiff Zwischenlager
2
CO2
... nach der Verbrennung via Pipeline CO2
(Post-Combustion oder Oxyfuel)

Nichtabbaubare
Kohlevorkommen CO2
CO2
CO2 Erschöpfte
Gas- und
Öllager
Saline Aquifere
3
1 Abtrennung
2 Transport
3 Speicherung
Quelle: nach IZ Klima/Total AG

32
Klima und Umwelt

gen. Die Richtlinie wurde end- EU-Kommission hat darüber hinaus Beratungsgremium der Bundesre-
gültig im Frühjahr 2009 formal im Rahmen des European Energy gierung, in seiner Stellungnahme
verabschiedet und erschien am 5. Programme for Recovery (EEPR) für zum Gesetzentwurf auf viele tech-
Juni 2009 im Amtsblatt. Die vom CCS-Projekte 1,05 Mrd. € bereit nische, ökologische und finanzielle
Umwelt­ausschuss im Europäischen gestellt. Fragen im Zusammenhang mit den
Parlament vorgenommenen Ver- CCS-Technologien, die derzeit noch
änderungen des EU-Kommissions­ Die CCS-Richtlinie muss innerhalb ungeklärt seien, hingewiesen. Ver-
vorschlags wurden wieder auf ein von zwei Jahren nach der Veröf- lässliche Zahlen zum Umfang der
praktikables Maß zurückgefahren. fentlichung in nationales Recht Speicherkapazitäten in Deutsch-
Die Richtlinie sieht u. a. vor, dass umgesetzt werden. Die meisten land lägen nicht vor, sicher sei nur,
die Genehmigung von Feuerungs- großen Energieversorgungs­ dass sie begrenzt sind. Die ökolo-
anlagen ≥ 300 MW zukünftig an unternehmen, die sich mit der Koh- gischen Risiken der Lagerung von
ihre „capture readiness“ geknüpft leverstromung befassen, drängten CO 2 seien weitgehend unerforscht.
wird. D. h., eine Neuanlage soll auf eine schnelle nationale Umset- Eine befriedigende gesetzliche Re-
räumliche Kapazitäten für die zung, um Rechtssicherheit für ihre gelung der Anwendung von CCS in
Abscheidung und Komprimierung Investitionen in die CCS-Projekte großem Maßstab sei zum heutigen
von CO 2 vorsehen, sofern Speicher- zu erhalten. Bereits am 1. April Zeitpunkt nicht möglich. Zudem
stätten verfügbar und der CO 2- 2009 wurde der „Gesetzentwurf würden die zu erwartenden Akzep-
Transport und die Nachrüstung der zur Regelung von Abscheidung, tanzprobleme im Hinblick auf den
Kraftwerke technisch machbar und Transport und dauerhafter Spei- Transport von CO 2 in Rohrleitungen
ökonomisch tragbar sind. Der vom cherung von Kohlendioxid“ vom und der unterirdischen Speicherung
Europäischen Parlament geforderte Kabinett verabschiedet. Die Eile des CO 2 unterschätzt. Auf dem
CO 2-Grenzwert für Neuanlagen war geboten, damit der Entwurf BDEW-Kongress im Juni 2009 hob
wurde zurückgenommen, jedoch noch in der im September 2009 Bundeskanzlerin Angela Merkel die
enthält die Richtlinie eine Revisi- endenden Legislaturperiode hätte Bedeutung der CCS-Technologien
onsklausel, die im Jahr 2015 eine verabschiedet werden können. für die deutsche Exportwirt-
Neubewertung der Bestimmungen schaft hervor. Sie verwies auf
erlauben soll. Die Anforderungen Mit den CCS-Technologien wird die Gefahr einer Schädigung des
an die capture readiness werden in Neuland betreten. Da die For- Industriestandortes Deutschland,
der Richtlinie nicht konkret defi- schungs- und Entwicklungsphase wenn Deutschland nicht an den
niert. Damit wird die Aufstellung viele Jahre in Anspruch nehmen europäischen CCS-Pilotprojekten
präziser Kriterien den nationalen wird und um zügig voran zu teilnehmen könne. Sie sagte aber
Behörden überlassen. kommen, haben Unternehmen wie auch, sofern die noch offenen Fra-
Vattenfall Europe, RWE Power gen nicht geklärt werden können,
Die zeitgleich beschlossene Emissi- und E.ON die Arbeiten bereits „lassen wir lieber die Finger davon,
onshandelsrichtlinie besagt zudem, aufgenommen und Pilotprojekte als dass wir ein falsches Infrastruk-
dass bis Dezember 2015 bis zu gestartet. Letztendlich fand turgesetz machen.“
300 Mio. CO 2-Emissionszertifikate aber der Regierungsentwurf der
aus dem Emission Trading System Koalition keine Mehrheit. Von der Bei einem zweiten Anlauf für ein
(ETS) -Neuanlagenreservefond Verschiebung des Gesetzes auf CCS-Gesetz nach der Bundestags-
2013 bis 2020 für die Förderung die Zeit nach der Bundestagswahl wahl ist neben den technischen
von bis zu zwölf kommerziellen am 27. September 2009 verspricht Lösungswegen die größte He-
CCS-Demonstrationsprojekten für man sich, die noch offenen Fragen rausforderung die Schaffung der
Technologien erneuerbarer Ener- lösen zu können. So hatte u. a. der Akzeptanz in der breiten Öffent-
gien zur Verfügung stehen. Die Sachverständigenrat für Umwelt-
fragen, ein wissenschaftliches

33
lichkeit. Dies gelingt nur durch eine Eine Einschätzung der Wirtschaft- wirkungsgrade – was letztlich ei-
frühzeitige, glaubwürdige, sachlich lichkeit der CCS-Technologien ist nen höheren Brennstoffeinsatz für
umfassende Informationsarbeit, vor bisher nur sehr grob möglich, da die erzeugte Strommenge bedeutet
allem vor Ort. Wenn durch fehlende sich die einzelnen Prozessschritte – und nahezu eine Verdopplung bei
Rücksichtnahme auf die Befind- noch weitgehend in der For- den Kosten.
lichkeiten vor Ort neue Ängste schungs- und Entwicklungsphase
entstehen, werden neue technische befinden. Dennoch lässt sich Gemäß einer Studie der Beratungs-
Optionen verhindert. auf Basis der von verschiedenen gesellschaft McKinsey & Company
Institutionen bereits angestellten mit dem Titel „CCS: Assessing
Die SPD beabsichtigte in ihrem Re- Berechnungen ein ökonomischer the Economics“ vom September
gierungsprogramm, die Technologie Vergleich zwischen der Anwendung 2008 könnten die CCS-Kosten mit
zur Abscheidung von Kohlendioxid herkömmlicher Kohle­t echnologie Eintreten in die kommerzielle Phase
in Deutschland weiterzuentwickeln nach aktuellem technischem ab etwa 2020 in den Bereich der
– auch durch geförderte Demons- Standard, Clean-Coal-Technologies zukünftigen – geschätzten – CO 2-
trationsprojekte der Europäischen (CCT) – d. h. mit heute darstell- Zertifikatspreise sinken. Dieser
Union. Die CDU/CSU sagt in ihrem baren und den für 2020 erwarteten Überlegung liegt die Erwartung
Regierungsprogramm: „Die Tech- Wirkungsgraden – und von CCS zugrunde, dass die Zertifikats-
nologie kann zur Abscheidung und vornehmen. Ein solcher Vergleich preise für CO 2-Emissionen aus
Speicherung von CO2 (CCS) einen der Wirkungsgrade und der Strom- konventionellen Kraftwerken in
wichtigen Beitrag zur klimafreund- gestehungskosten zeigt den bei der etwa vergleichbar sind mit den Ko-
lichen Nutzung fossiler Energieträ- Anwendung von CCS zu erwar- sten für CCS pro Tonne CO 2 . Unter
ger leisten.“ tenden Rückgang der Kraftwerks-

CO²-Abtrennungsverfahren

Konventioneller Kraftwerksprozess:
Kohle Konventionelles Kraftwerk CO²-Kompression CO²-Nutzung
CO²-Abtrennung
Luft mit Rauchgasreinigung speicherung

O²-Verbrennungsprozess (Oxyfuel):
Kohle Kessel CO²-Kompression CO²-Nutzung
Luft Luftzerlegung Kondensator
O² mit Rauchgasreinigung speicherung
CO² , H²O

CO²-Kompression CO²-Nutzung
speicherung
IGCC-Prozess*:

Kohle Vergasung, Abhitzekessel
Luft Luftzerlegung CO²-Abtrennung
O² Gasreinigung H²-Gasturbine

* IGCC: Integrated Coal Gasification Combined Cycle bekannte Technik neu zu entwickelnde Prozessstufen Quelle: Euracoal

34 58-3_2009 23.10.2009
Klima und Umwelt

Zielerreichung und die Effekte der


Wirkungsgrad und Kosten von CCT und CCS beschlossenen Maßnahmen kon-
CO2-Abscheidung und trolliert werden. Im November 2010
-Speicherung (CCS) und danach folgend alle zwei Jahre
200% 200% sollen die beteiligten Ressorts
180% dem Bundeskabinett einen Bericht
Clean Coal
150% Technology (CCT) vorlegen, der die Wirkung des
Klima- und Energiepakets darstellt.
105% Grundlage des Berichts sind Erhe-
100% 100%
80% bungen unabhängiger Gutachter.

50% 45% 50% Der Anteil der erneuerbaren Ener-


40% 33% 37%
gien in Deutschland am gesamten
0% Endenergie­v erbrauch wurde im
Zeitraum 2000 bis 2007 auf 9,8%
CT intern. heute morgen „end-of-pipe“ IGCC
mehr als verdoppelt. Ziel der Bun-
CT: Kohletechnologie CCT CCS desregierung ist es, bis zum Jahr
IGCC: Integrated Gasification Combined Cycle Stromgestehungskosten
2010 12,5% des Bruttostromver-
Wirkungsgrad
brauchs mit erneuerbaren Energien
Quelle: STEAG/VGB PowerTech, 2007
zu decken. Bereits 2007 wurde es
47-2_2009 23.09.2009 mit 14% deutlich überschritten.
Der Deutsche Bundestag hat am 6.
Kostengesichtspunkten würde dann Diese Einschätzung hängt aber Juni 2008 das neue EEG und das
CCS-Kraftwerken kein Nachteil von einer Reihe von Rahmenbe- Erneuerbare-Energien-Wärmege-
mehr entstehen. Insgesamt lässt dingungen ab. Insbesondere die setz (EEWärmeG) beschlossen.
sich aus heutiger Sicht des Kohle­ Verlängerung der Restlaufzeit der Beide Gesetze sind am 1. Januar
bergbaus in der EU festhalten, dass deutschen Kernkraftwerke könnte 2009 in Kraft getreten. Für 2020
CCS vor dem Hintergrund klima- einen erheblichen Einfluss auf den möchte die Bundesregierung den
politischer Anforderungen durchaus CO 2-Zertifikatepreis und damit die Beitrag der erneuerbaren Energien
eine sinnvolle Strategie darstellen Realisierungschancen der CCS- zur Strombereitstellung auf min-
kann. Technologie haben. destens 30% steigern und danach
kontinuierlich weiter erhöhen. Bei
Neubauten legt das EEWärmeG
Pflichten für die Nutzung erneu-
Erneuerbare Energien und Grubengas erbarer Energien fest. Bis 2020
soll der Anteil der erneuerbaren
Im August 2007 hatte das Bun- Vorhaben konnten bis heute umge- Energien an der Wärmebereit-
deskabinett in Meseberg ein setzt werden, so u. a. die Novellen stellung auf 14% (heute 7,7%)
ambitioniertes Energie- und des Kraft-Wärme-Kopplungsge- ansteigen. Nach den vorläufigen
Klimaprogramm mit 29 Eckpunk- setzes, des Erneuerbare Energien Abschätzungen der Arbeitsgruppe
ten beschlossen. Hierzu wurde im Gesetzes (EEG), des Energiewirt- Erneuerbare-Energien-Statistik
Dezember 2007 und im Mai 2008 schaftsgesetzes zum Ausbau des (AGEE-Stat) werden durch den
ein Paket mit 21 Gesetzen und Ver- Stromnetzes, der Energieeinspar- Einsatz erneuerbarer Energien rund
ordnungen geschnürt. Die meisten und der Heizkostenverordnungen.
In einem Monitoring sollen die

35
Netze eingespeist. Die Gesamt-
Stromerzeugung und CO2-Minderung durch regenerative verstromung von Grubengas aus
Energien und Grubengas in NRW laufenden und bereits stillgelegten
Stromerzeugung CO2-Minderung Bergwerken leistet einen nicht
(2007 insgesamt 9,75 TWh) (2007 insgesamt 15,7 Mio t CO2) unerheblichen Beitrag zur kommu-
Wasserkraft Photovoltaik regenerative Energien nalen Stromversorgung an über 50
Standorten. Im Jahr 2008 er-
5%3% 69%
Windenergie zeugten rund 150 BHKWs mit einer
installierten Leistung von 228 MW
über 1,3 Mrd. kWh. Die Wärmeer-
35% 46% zeugung beläuft sich auf rund 710
GWh und wird soweit möglich zur
Wärmeversorgung der Bergwerke
Bio- bzw. Dritter eingesetzt. Mit 5,9
energie 11% 31%
Mio. t CO 2-Äquivalent vermiedener
Grubengas Grubengas Treibhausgasemissionen leisten
Quelle: Bez. Reg. Arnsberg; IWR die Grubengasverwertungsgesell-
schaften einen wichtigen Beitrag
neu_11-2_2009 23.09.2009 zum Klimaschutz. In NRW liegt
der Anteil des Grubengases an der
115 Mio. t CO 2 pro Jahr in Deutsch- gelangt abgesaugtes Grubengas Stromerzeugung durch regenera-
land vermieden – davon sind allein über Leitungen nach über Tage. Der tive Energien bei 11%, der Anteil
57 Mio. t auf das EEG zurückzufüh- in Blockheizkraftwerken (BHKW) an der CO 2-Minderung sogar bei
ren. erzeugte Strom wird in regionale 31%.

Seit dem Jahr 2000 wird Gruben-


gas mittels EEG-Förderung ener-
giepolitisch gezielt erschlossen. Im Potenziale der Kohlenutzung
Vordergrund steht dessen Nutzung
als Energieträger, mit Vorteilen Auf der Suche nach möglichen einer Tonne Kohle lassen sich rund
für die Grubensicherheit und die Alternativen zur Nutzung von Erdöl zwei Barrel (1 bl = 159 l) Flüssig-
Umwelt. Im Ruhrrevier und im im Transportbereich erlebt die kraftstoff gewinnen. Kohle hat
Saarland hat sich ein Industrie- Kohlehydrierung derzeit weltweit von den fossilen Energieträgern
zweig dynamisch und mit neuen eine Renaissance. Mit den seit die weitreichendsten Vorkommen
Arbeitsplätzen im Umwelt­b ereich langem erforschten Verfahren der und steht in Deutschland und der
entwickelt. Im Bereich stillge- Kohleverflüssigung, bei denen je EU, anders als Rohöl, aus großen
legter Bergwerke werden noch nach Prozess verschiedene flüssige eigenen Vorräten zur Verfügung.
vorhandene Rohrsysteme genutzt Kohlenwasserstoffe wie z. B. Ver- Allerdings ist die Bereitstellung von
oder Bohrungen nach Auswertung gaser- und Dieselkraftstoffe, Me- Treibstoffen aus Rohöl im Vergleich
vorliegender Karten und Daten thanol (als Beimischung zu Benzin mit der aus Kohle gegenwärtig
dort durchgeführt, wo vermutet oder als Grundstoff) oder Kohleöl energiegünstiger. Zudem stoßen
wird, dass die Gashöffigkeit am als Heizmittel hergestellt werden solche Pläne auf starke klima-
größten ist. Im aktiven Bergbau können, ließe sich in Deutschland politische Vorbehalte, da dabei
und der EU die Abhängigkeit vom
Rohöl nachhaltig verringern. Aus

36
Klima und Umwelt

insgesamt mehr CO 2 emittiert wird Eine Möglichkeit, auch geringmäch- Australien. China betreibt zurzeit
als bei der Verwendung von Rohöl. tige oder tiefliegende Kohleflöze, mit 16 Projekten das größte UCG-
Andererseits könnten die Kohlever- die mit modernen Abbaumethoden Programm.
flüssigungsanlagen mit CCS ver- nicht betrieben werden können
knüpft werden. Bei Anwendung des oder solche, die unwirtschaftlich Seit wenigen Jahren wird auf
Fischer-Tropsch-Verfahrens muss wären, zu nutzen, ist die untertä- internationaler Ebene geforscht,
das CO 2 ohnehin aus dem Synthe- gige Kohlevergasung (Underground ob sich die durch den UCG-Prozess
segas entfernt werden, so dass Coal Gasification – UCG). Die Kohle ausgegasten Flözbereiche mögli-
keine zusätzlichen Abspaltungs- wird in situ, d. h. in ihrer Lager- cherweise auch als CO 2-Speicher
kosten entstehen. Ohne adäquate stätte, in ein Synthesegas umge- eignen können. Beim Vergasungs-
politische Rahmensetzung und wandelt. Dabei wird die Kohle über prozess bläht sich die Kohle auf
Unterstützung sind Investitionen in ein Bohrloch gezündet, kontrolliert und verändert ihr plastisches
Kohleverflüssigungsprojekte aller- erhitzt, sodass keine Verbrennung Verhalten. Brüche und Poren der
dings nicht realisierbar. Internatio- erfolgt, und das entstehende Gas entstandenen Kavernenoberfläche
nale Entwicklungen und Impulse über ein weiteres Bohrloch abge- werden dadurch versiegelt und
sowie Überlegungen zu einer natio- zogen. Pro Tonne Kohle können verhindern damit Leckagen. Für den
nalen Rohstoffstrategie könnten so etwa 2.700 m³ Gas produziert Speichervorgang können die für die
es in einem neuen Licht erscheinen werden. Dieses Synthesegas kann Vergasung benutzten Bohrungen
lassen. Die einstmals hierzulande zur Stromerzeugung, als chemi- ein zweites Mal benutzt werden.
hoch entwickelte Technologie wird scher Grundstoff oder zur Treib- Das spart Kosten, da die Bohrko-
in anderen Ländern wie China stoffgewinnung eingesetzt werden. sten den größten Teil der gesamten
oder den USA mittlerweile in einer Aktuell gibt es weltweit bereits Speicherkosten ausmachen. Die
Reihe von Projekten realisiert. zahlreiche UCG-Projekte, z. B. in Rheinisch-Westfälische Technische
den USA, in Russland, China und Hochschule (RWTH) Aachen
arbeitet zusammen mit der DMT
GmbH & Co. KG, Essen, im Projekt
CO2SINUS an der Implementie-
Kohleverflüssigungsanlagen und -projekte weltweit rung eines innovativen Konzepts
zur CO 2-Speicherung in durch
Weltmarktführer im Bereich der Kohleverflüssigung ist das südafrikanische Kohlevergasung umgewandelten
Unternehmen Sasol. Der staatseigene Betrieb wurde in den 1950er Jahren Kohleflözen mit der Bewertung von
gegründet und produziert heute rund 150.000 Barrel/Tag (bl/d). Umweltauswirkungen und einer
Wirtschaftlichkeitsanalyse der ent-
Chinas größtes Kohleunternehmen, die Shenhua Group, ist mit Projekten in wickelten UCG-CCS-Technologie.
Shaanxi, in der Inneren Mongolei, Ningxia und Xinjiang aktiv. In der Inneren Die wissenschaftlichen Arbeiten
Mongolei wurde 2004 das erste chinesische Kohleverflüssigungsprojekt im sollen die Durchführung eines
Direktverfahren begonnen. Jährlich sollen aus rund 9,7 Mio. t Kohle etwa Pilotprojekts im großtechnischen
5 Mio. t Benzin, Kerosin, Diesel u. a. hergestellt werden (Investition: rund Maßstab vorbereiten.
3 Mrd. US-$). Insgesamt will die Shenhua Group bis 2020 Kapazitäten
zur Kohleverflüssigung von 30 Mio. t in den vier Nordprovinzen Chinas Weltweit wird mit einem Potenzial
aufgebaut haben. von rund 70 Mrd. t konventionell nicht
förderbaren, für den UCG-Prozess
In den USA hat das Pentagon ein Forschungsprogramm zur Gewinnung von
Flugzeugkraftstoff aus Kohle aufgelegt. Elf Projekte mit einer Kapazität von
mehr als 230.000 bl/d sind in Planung bzw. in der Umsetzungsphase.

37
aber nutzbaren Kohlereserven ge- die Erfahrung abgewandert ist, Im Klimaschutz sollte man sich der
rechnet. Von daher erscheint UCG in bedarf es zusätzlicher Anreize, globalen Dimension gewärtig sein.
Verbindung mit CCS als eine interes- um Versäumtes aufzuholen. Umso Eine Vorreiterrolle Deutschlands
sante nutzbare Zukunftstechnologie. wichtiger ist es, die Forschung und reicht nicht aus, die globalen Emis-
Entwicklung in diesem Bereich in sionszuwächse zu mindern. Viel
Ob in Europa wieder in die Koh- Deutschland wieder zu beleben und wichtiger ist die Vorbildfunktion –
leverflüssigung und -vergasung die mit der Rohstoffreserve Kohle die Entwicklung und Zurverfügung-
investiert wird, hängt nicht allein verbundenen Optionen nicht völlig stellung neuer Technologien.
von der Wirtschaftlichkeit ab. zu verspielen.
Wenn die Infrastruktur fehlt und Der Umweltministerrat einigte sich
am 25. Juni 2009 über die Richtli-
nie zu Industrieemissionen, die die
bisherige Richtlinie über die inte-
Energieeffizienz und Industrieemissionen grierte Vermeidung und Vermin-
derung der Umweltverschmutzung
Ein Begriff, der in jüngster Zeit im Versuch der Bundesregierung bei (IVU-Richtlinie) und sechs weitere
Zusammenhang mit Klimaschutz der Umsetzung der europäischen Sektorenrichtlinien, zu denen die
immer wieder auftaucht, ist die Richtlinie über Endenergieeffizienz Großfeuerungsanlagen- und die
Energieeffizienz. Studien werden und Energiedienstleistungen in Abfall­v erbrennungs-Richtlinie
zitiert, denen zufolge durch Effizi- nationales Recht. Richtig ist, dass gehören, zusammenfasst. Von der
enzsteigerung mehrere Milliarden im Meseberg-Paket beschlossen Richtlinie werden rund 52.000
Kilowattstunden Strom eingespart worden ist, spätestens bis 2013 Industrieanlagen in der EU erfasst,
werden könnten. Für die privaten mit der deutschen Wirtschaft eine u. a. auch die Kohlekraftwerke. In
Haushalte klingt das sinnvoll, Vereinbarung über die Kopplung ihr werden z. B. für Feuerungsanla-
wenn ihr Budget den Umstieg auf von Steuerermäßigungen/Ausnah- gen strengere Grenzwerte für SO 2 ,
effiziente Techniken zulässt. Indus- meregelungen an die Einführung NO x und Staub festgelegt. Größere
trieunternehmen haben ohnehin ein eines Energiemanagementsystems Beachtung sollen die künftig in
hohes Eigeninteresse daran, ihre treffen zu wollen. Dies bedeutet allen Amtssprachen der EU über-
Kosten – inkl. der Energiekosten – jedoch keine allgemeine Verpflich- setzten Merkblätter mit den besten
zu minimieren. Deswegen entwi- tung der Industrie zur Anwendung verfügbaren Techniken (BVT)
ckeln und setzen sie maßgeschnei- eines Energie­m anagementsystems; finden. Den nationalen Geneh-
derte Energiemanagement­s ysteme erst recht keine vorzeitige Einfüh- migungsbehörden wird somit der
zur Senkung der Energiekosten ein; rung. Denn im Hinblick auf die CO 2- Spielraum für Ausnahme­r egelungen
auch die Unternehmen der Kohle- Minderungszusagen der Wirtschaft bei Anlagen mit schlechten Emis-
gewinnung und -nutzung. Da die in der Klimaschutzvereinbarung von sionsgrenzwerten eingeschränkt.
Verhältnisse in jeder Branche sehr November 2001 hat die Bundes- Innerhalb von fünf Jahren müssen
unterschiedlich sind, verfolgt jede regierung als Gegenleistung auf Genehmigungen nach Herausgabe
für sich andere Ansätze zur Redu- die Einführung eines verbindlichen eines neuen BVT-Merkblattes auf
zierung des Energieeinsatzes. Inso- Energieaudits verzichtet. Ein fak- den neuesten Stand gebracht wer-
fern ist es nicht zielführend, diese tenorientierter Umweltschutz wägt den. Dennoch können wie bisher
betrieblich zugeschnittenen Ener- Kosten und Nutzen ab. Die Wege geographische, technische und
giemanagementsysteme staatlich zur Erreichung von Umweltschutz- ökologische Erwägungen bei der
zu regulieren. Dies gilt auch für den zielen sollten jedoch dem Wettbe- Festlegung der Genehmigungsbe-
werb überlassen werden.

38
Klima und Umwelt

dingungen berücksichtigt werden.


Die unzureichende Anwendung der
BVT und die unvollständige Einhal-
tung und Durchsetzung der Rechts-
vorschriften können auf Gemein-
schaftsebene den Umweltschutz
behindern. In Deutschland hat die
Industrie ihre SO 2-Emissionen in
den letzten zehn Jahren um mehr
als 80% reduziert. Der Anteil der
Industrie an den NO x-Emissionen
beträgt lediglich 15%.

Mit ihrem Ende März 2007 heraus-


gegebenen „Grünbuch“ kündigte
die EU-Kommission an, weitere Kraftwerk
Schritte in Richtung marktbasier- Walsum
ter Instrumente umzusetzen. So
kommentierte das Kommissions-
mitglied Stavros Dimas: „Marktba- bedarf, wenn die Rechtsvorgaben und Energie NRW darauf hin, dass
sierte Instrumente wie Emissions- stringent eingehalten werden. die europäischen Beschlüsse zum
handel, Umweltsteuern und gezielte Zudem schafft das Ordnungsrecht Emissionshandel besonders hart
Beihilfen setzen die Marktkräfte Planungssicherheit, während das Land Nordrhein-Westfalen
zum Schutz der Umwelt ein. Dieser ein Handels­s ystem massiv in die treffen.
flexiblere und kosten­effizientere Planungen eines Unternehmens
Ansatz hat seine Wirksamkeit unter eingreift. Offensichtlich fehlt es in Heute werden Kraftwerke i. d. R.
Beweis gestellt, wird aber noch einigen europäischen Mitgliedstaa- mit einem Wirkungsgrad zwischen
nicht ausreichend genutzt.“ So ten an einer entschlossenen und 40 und 45% geplant, zukünftig
könnte es innerhalb der nächsten stringenten Umweltpolitik. Dieses werden es sogar mehr als 50%
Jahre zur Einführung eines NO x-/ grundsätzliche Problem wird durch sein. Ein Beispiel für ein hoch
SO 2-Emissionshandelssystems den Wechsel der Instrumente nicht effizientes Steinkohlenkraftwerk
kommen. Bisher haben die Nie- gelöst. ist der durch die Evonik Steag
derlande und die Slowakei ein GmbH derzeit im Bau befindliche
solches Handelssystem. Die Im Kompetenz-Netzwerk Kraft- modernste Steinkohlenkraftwerks-
Generaldirektion Umwelt ist der werkstechnik NRW arbeiten Exper- block „Walsum 10“ mit ca. 46%
Ansicht, dass Emissionsminde- ten entlang der gesamten Wert- Wirkungsgrad und einer Leistung
rungen durch den Einsatz von BVT schöpfungskette unternehmens- von 750 MW. Rein rechnerisch
sehr lange auf sich warten lassen, übergreifend an Strategien und reicht das aus, um mehr als 1,3
hingegen ein Handelssystem dies Lösungen innovativer Kraftwerks- Millionen Einfamilienhaushalte
sehr viel schneller bewerkstelli- technik, wie der 700-Grad-Techno- mit Strom zu versorgen. Das neue
gen könne. Die oben genannten logie und dem CO 2-armen Kraft- Kraftwerk setzt mit dem genann-
SO 2- und NO x-Emissions­m engen werk. Aufgabe der Politik ist es für ten Wirkungsgrad internationale
für Deutschland legen dar, dass es günstige Rahmen­b edingungen zu Maßstäbe. Einen besseren Wert
hierzulande keines Handelssystems sorgen, allerdings weist das Minis-
terium für Wirtschaft, Mittelstand

39
wandelt die Bewegungsenergie in
CO2-Reduzierung von Steinkohlenkraftwerken durch elektrische Energie um.
Wirkungsgradsteigerungen / CCS-Technologie
CO2-Emissionen pro kWh Bundesumweltminister Sigmar
1200
Gabriel zollte schon bei der Grund-
1000 steinlegung am 20. November 2006
-21% -33% -40% -90% CO2- Lob: „Solche Investitionen in hohe
800 Reduktion Wirkungsgrade mit weniger CO2
(gegenüber
Weltdurchschnitt kommen zum richtigen Zeitpunkt.
600
heute) Wir haben hier eine Technologie,
400 rd. die zum Umweltschutz beitra-
30% 38% 45% 50% Wirkungsgrade gen kann.“ Einen noch größeren
(bei CCS:
200 Wirkungsgrad- Umweltbeitrag könnte die Technik
verluste von leisten, wenn sie auch internatio-
0 7-12 %) nal Schule macht – etwa in China,
Welt EU Heutige Dampf- CCS- wo bis zum Jahr 2015 mehr als
Durchschnitt Technik kraftwerk Technik
700°C- 550 neue Kohlekraftwerke gebaut
Technik werden sollen. Würde weltweit
Heute 2020 der Wirkungsgrad von 30 auf 45%
Quelle: nach VGB
erhöht, könnten die globalen CO 2-
neu_05-2_2009 05.10.2009 Emissionen um knapp 2 Mrd. t
jährlich sinken. „Den wichtigsten
hat bislang noch kein vergleichba- dere der CO 2-Emissionen. Erreicht landesspezifischen Beitrag zum
res Steinkohlen­k raftwerk in Europa wird dies bei Walsum 10 u. a. Klimaschutz kann die Erneuerung
erreicht. Als weltweiter Durch- durch höhere Dampf­t emperaturen, des Kohlekraftwerksparks leisten.
schnittswert gelten heute rund höhere Dampfdrücke und einen Zu hocheffizienten, modernsten
30% Wirkungsgrad. In Deutschland leistungsfähigen, 181 m hohen Kohlekraftwerken wie Walsum 10
liegt der Durchschnitt bei rund Kühlturm. Dieser erlaubt eine hohe gibt es keine Alternative“, so NRW-
38%. Ausnutzung der Dampfenergie in Wirtschafts­ministerin Christa
der Turbine. Das aufwändigste Thoben anlässlich der Kesseldruck-
Ein höherer Wirkungsgrad heißt: Einzelbauteil des Kraftwerks ist probe am 2. Juli 2009. Die Lan-
Ein Kraftwerk braucht weniger der rund 106 m hohe Großdampfer- desregierung setze auf moderne
Kohle, um die gleiche Menge Strom zeuger (Kessel). Im Großdampfer- Kraftwerks­t echnologien, weil sie
zu erzeugen – was einerseits eine zeuger wird künftig extrem heißer maßgeblich zur Reduktion des CO 2-
Schonung der Ressource Kohle (über 600°C) und unter sehr hohem Ausstoßes in Nordrhein-Westfalen
bedeutet, andererseits eine Redu- Druck (rund 270 bar) stehender bis 2020 beitragen sollen.
zierung der Emissionen, insbeson- Wasserdampf erzeugt. Der Dampf
strömt anschließend in eine Turbi-
ne, ein angeschlossener Generator

40
Internationale Trends der Energie-
und Steinkohlenmärkte

Fotomontage:
Börse
Die Krise hat auch den Energiesektor getroffen Ölfeldern, zudem davon aus, dass
die meisten der großen Ölfelder
der Welt ihren Produktions-Zenit
Die globale Wirtschafts- und in Energieeffizienz und saubere bereits überschritten hätten und in
Finanzkrise hat seit dem Jah- Energien („clean energy“). ca. fünf Jahren versiegen würden.
reswechsel 2008/2009 auch im
Energiesektor erhebliche Verwer- Gemäß der IEA-Studie dürfte ins- Die niedrigen Investitionen im Ener-
fungen verursacht. Die Internatio- besondere die weltweite Kohlein- giesektor, nicht nur in der Öl- und
nale Energieagentur (IEA) hat den dustrie mit einem Investitionsrück- Kohleindustrie, werden sich nach
Einfluss der weltweiten Krise auf gang um rund 40% gegenüber dem Ansicht der IEA in wenigen Jahren
das laufende Jahr zwischenzeitlich Vorjahr sehr stark betroffen sein. erneut sehr ungünstig auf die Welt-
in einer neuen Studie als Hinter- Mitte des letzten Jahres lagen konjunktur auswirken. Die IEA hält
grundpapier für das G-8-Treffen Spotpreise für Kraftwerkskohle bei deshalb für die Zeit um 2013 herum
im Mai 2009 genauer untersucht. über 200 US-$/t und Kontraktpreise eine neue Energie- und eventuell
Demnach sind die Investitionen in für Kokskohle bei über 300 US-$/t. auch Weltwirtschaftskrise infolge
allen nachfrage- und angebotssei- Sie führten vorübergehend zu einer mangelnder Ölvorräte und entspre-
tigen Bereichen des Energiesektors enorm gesteigerten Profitabilität chender Versorgungsengpässe für
massiv zurückgegangen. Der welt- und – bei anhaltend hoher Nach- möglich.
weite Stromverbrauch könnte 2009 frage – zu einem stark gestiegenen
zum ersten Mal seit dem zweiten Investitionsvolumen. Das allerdings Rückblende: Nur ein Jahr zuvor
Weltkrieg um über 3% sinken. waren zum Teil auch Nachholeffek- schien die gesamtwirtschaftliche
Die Investitionen insbesondere im te gegenüber manchen in den Lage für einen großen Teil der
Einfuhrpreis- Kraftwerkssektor drohen drastisch Vorjahren aufgelaufenen Investiti- Weltwirtschaft und so auch für
entwicklung von einzubrechen. Besonders besorgt onsdefiziten in bergbauliche Pro- Bergbauunternehmen und die damit
Erdöl, Erdgas und zeigte sich die IEA um Investitionen duktionsbetriebe und Infrastruktur- verbundenen Wirtschaftszweige
Steinkohle kapazitäten. Unter dem Einfluss der noch in Ordnung zu sein. Zwar war
Weltwirtschaftskrise und des Preis- die Finanzkrise schon zum Ausbruch
Erdgas Brent-Erdöl Kraftwerkskohle verfalls infolge der schwindenden gekommen. Sie wurde aber in ihren
(Grenzübergangs- (NW-Europa gem. (cif NW-Europa Nachfrage brachen die zunächst realwirtschaftlichen Auswirkungen
preis Frankf./Oder) ICE London) gem. MCIS) geplanten Investitionen dann in der in der übrigen Welt zunächst
€/t SKE gesamten Kohlelieferkette stark unterschätzt. Nicht nur Industrieun-
450 ein. Für die mittel- und langfristige ternehmen verzeichneten noch Re-
400 Entwicklung der Förderkapazitäten kordumsätze und -gewinne. Speziell
350 im internationalen Kohlebergbau die Energie- und Rohstoffpreise
bedeutete dies einen starken Rück- stießen in Regionen vor, die bis
300
schlag. Auch die internationalen dahin niemand für möglich gehalten
250 Ölfirmen haben ihre Investitionen hätte. Das Angebot konnte mit der
200 um ein Viertel gekürzt, nachdem sich explosionsartig entwickelnden
150 sich die Ölpreise, ausgehend von Nachfrageentwicklung insbeson-
ihren Rekordständen Mitte Juli dere der Schwellenländer nicht
100
2008, zwischenzeitlich um fast zwei mehr mithalten. Teilweise kam
50 Drittel verringert hatten. Anfang es zu Engpässen, denn Produkti-
0 August 2009 ging Fatih Birol, Chef- onskapazitäten und Infrastruktur
2000 01 02 03 04 2005 06 07 08 2009 ökonom der IEA, nach weltweiter waren unzureichend: Es war in
Quelle: BAFA / Mc Closkey's Coal Report / Enerlgate /Intercontinental Untersuchung von mehr als 800
Exchange (ICE), London / Eigene Berechnungen

neu_04-1_2009 17.09.2009
Preisentwicklungen für Kraftwerkskohle, Erdgas und Erdöl
42
Internationale Trends der Energie- und Steinkohlenmärkte

den Vorjahren zu wenig investiert den damit verbundenen Märkten für Primärenergieverbrauch zu gut 80%.
worden. Teilweise entdeckten auch Stahlschrott, Kokskohle, Koks und Die Dominanz der fossilen Energie-
Spekulanten diese Märkte für sich. mineralische Rohstoffe. Im weiteren träger wird auch in Zukunft weiter
Die Tagesnotierung für Rohöl der Krisenverlauf kam es auf nahezu bestehen bleiben, wie es nicht nur
Nordseesorte Brent schnellte in der sämtlichen Rohstoff- und Ener- die Prognosen des US-Department
Folge Anfang Juli 2008 auf mehr als giemärkten zu mehr oder minder of Energy (DOE) sondern auch die
145 US-Dollar pro Barrel (US-$/bl) drastischen Nachfrageeinbrüchen Prognosen der IEA erwarten lassen.
hoch. Zur gleichen Zeit musste für und rapide sinkenden Preisen. Dem
Kraftwerkssteinkohle ein Spotpreis Preisboom des Vorjahrs folgte ein Auch wenn die oben skizzierten
cif ARA von knapp 220 US-$/t drastischer und abrupter Absturz Entwicklungen die internationale
gezahlt werden. unerwarteten Ausmaßes, der zu Energiewirtschaft in sehr kurzer Zeit
Kapazitätsanpassungen und auch gehörig durcheinander gebracht ha-
Doch diese historische Hausse auf Marktaustritten geführt hat. Im ben, gibt es globale Megatrends, die
den Rohstoff- und Energiemärk- Energie- und Rohstoffsektor zeich- auch in und nach der Krise weiterhin
ten währte nicht lange. Infolge nen sich daher krisenbedingt starke ihre Bedeutung behalten. Dazu zählt
der realwirtschaftlichen Auswir- Strukturveränderungen ab. Sie vor allem ein weltweit anhaltend
kungen der globalen Krise sackte dürften in den kommenden Jahren steigender Energie- und Rohstoffbe-
die Nachfrage z. B. im Stahlmarkt eine gänzlich veränderte Unterneh- darf, der die internationale Konkur-
dramatisch ab und dann auch auf menslandschaft bewirken. renz um knappe Energieträger und
Rohstoffe verschärfen wird. Diese
Tendenz beruht wiederum auf fun-
Globale Megatrends setzen sich fort damentalen tieferen Ursachen.

Im Jahr 2008 stieg der Weltener- kungen der Krise um 1,7% auf 17,8 So setzt sich das Weltbevölke-
gieverbrauch (Welt-PEV) gegenüber Mrd. t SKE. Dabei deckten fossile rungswachstum weiter fort. Nach
dem Vorjahr trotz der ersten Auswir- Energieträger den weltweiten UN-Angaben wird die Weltbevölke-
rung von derzeit 6,8 Mrd. Menschen
(2008) die 7-Milliarden-Marke in
2012 überschreiten. Für das Jahr
Energieverbrauch im Vergleich zur Weltbevölkerung 2050 gehen die UN von rund 9,1
und zum Bruttoinlandsprodukt
Mrd. Menschen aus, wobei der
Weltbevölkerung Welt-Bruttoinlandsprodukt Weltenergieverbrauch
Mrd. Bill. US-$ Mrd. t SKE größte Teil des Zuwachses auf die
8,3 137 25 Entwicklungs- und Schwellenländer
entfallen wird. Dagegen werde sich
6,8 die Bevölkerungsgröße der Industrie-
5,3 57% 17,8 54% länder in diesem Zeitraum absolut
81% kaum verändern.
69,0 12,6 53%
76% 79%
45% 46% Durch das stärkere Bevölkerungs-
35,7 wachstum und den wirtschaftlichen
34% 43% 46%
54% 47% Aufholprozess der Entwicklungs-
19% 55%
24% 21% 66% und Schwellenländer werden
1990 2008 2030 1990 2008 2030 1990 2008 2030 sich zugleich die wirtschaftlichen
Industrieländer* Entwicklungs- und Schwellenländer
Gewichte in der Welt verschieben.
* OECD-Länder Quellen: UN, IWF, DOE, 2009

68-2_2009 22.09.2009

43
Mrd. t CO2 Review of World Energy“ mit einem immer bevölkerungsreicher. „Mega-
50 Entwicklungs- u. Schwellenländer Anteil von gut 53% am Weltener- cities“ mit mehr als 10 Mio. Einwoh-
Industrieländer
gieverbrauch die OECD-Staaten nern – z. B. Tokio mit fast 36 Mio.,
40 40 überholt. New York oder Mexiko-Stadt mit
35 jeweils 19 Mio. Menschen – werden
30 31,5 31
28,1 Gleichzeitig kommt es dabei zu in sich immer größer und ihre Anzahl
20 21,2 erheblichen weiteren regionalen nimmt zu. Mit der Größe wachsen
Verlagerungen, vor allem in Rich- jedoch die Probleme der Städte auch
10 tung auf China und den asiatischen bei der Energieversorgung.
Raum. Das Wachstum des weltwei-
0 ten Energieverbrauchs in 2008 Nicht nur in den Städten, sondern
1990 2005 2008 2010 2020 2030 entfiel bereits zu 87% auf den asia- ebenfalls und gerade auf dem Land
Prognose: DOE, 2009; basiert auf Daten von 2006
tisch-pazifischen Raum und wur­de bleibt zudem die Elektrifizierung
neben China vor allem von Indien, eine zentrale Herausforderung.
42u_1_2009 15.09.2009
Energiebedingte Indonesien, Thailand, Südkorea Nach Angaben des Bundesministe-
CO2-Emissionen Noch wird der größere Teil des und den anderen sog. Tigerstaaten riums für wirtschaftliche Zusam-
in der Welt weltweiten Bruttoinlandsprodukts verursacht. Ähnliche Tendenzen menarbeit und Entwicklung (BMZ)
in den Industrieländern erzeugt. zeichnen sich auch bei den nicht- haben derzeit weltweit etwa 1,6
Doch schon in wenigen Jahren wird energetischen Rohstoffen ab. Mrd. Menschen noch immer keinen
dieser Anteil auf unter 50% sinken Zugang zu elektrischem Strom.
und weiter zurückgehen. Damit Zu den anhaltenden globalen Mega-
verlagern sich die Produktions- wie trends gehört auch die zunehmende Zu den globalen Megatrends zählen
auch die Nachfragezentren der Urbanisierung. Seit 2007 leben zum auch das weiter zunehmende Um-
Weltwirtschaft. Im Energiebereich ersten Mal in der Geschichte mehr weltbewusstsein und die politischen
geht diese Entwicklung sogar Menschen in Städten als auf dem Maßnahmen zur Begrenzung des
schneller voran. Im vergangenen Land. Nach UN-Prognosen werden globalen Klimawandels. Ihr Schwer-
Jahr haben die nicht der OECD an- in 25 Jahren knapp zwei Drittel der punkt ist derzeit noch vorwiegend
gehörenden Länder nach Einschät- Weltbevölkerung in Städten leben. auf die Minderung der CO 2-Emissi-
zung des aktuellen „BP Statistical Auch die Städte selbst werden onen ausgerichtet. Diese lagen nach
BP-Angaben im Jahr 2008 bei rund
31,5 Mrd. t CO 2. Gegenüber 1990
entsprach dies allerdings einer welt-
Anteile im Weltmaßstab 2008
weiten Steigerung um 49%.
China Indien USA Deutschland
Bevölkerung 20% 17% 5% 1%
Die globalen Megatrends im
CO2-Emissionen 22% 5% 20% 3% Energiebereich werden auch von
Primärenergieverbrauch 18% 5% 20% 3% den weltweiten Ressourcen und
Reserven an Energierohstoffen
Mineralölverbrauch 10% 3% 23% 3%
sowie deren Verfügbarkeit geprägt
Rohstahlerzeugung 38% 4% 7% 4% sein. Gemessen am Welt-PEV
Kohlenverbrauch 43% 7% 17% 2% reichen gemäß jüngster Angaben
der Bundesanstalt für Geowissen-
Steinkohlenförderung 43% 6% 18% 2%
schaften und Rohstoffe (BGR) die
Eisenerzimporte 2007 45% 0% 1% 5% weltweit gewinnbaren Ölreserven
noch rund 40 Jahre, die Erdgasre-
Quellen: BP, IISI, UN %0 20 40 0 20 0 20 0 20
serven rund 50 Jahre. Kohle (Stein-
57-2_2009 15.09.2009

44
Internationale Trends der Energie- und Steinkohlenmärkte

Jahresberichts beschrieben werden.


Weltvorräte an Öl und Gas, OPEC- und GECF-Anteile* Dass die starke Konzentration der
weltweiten Öl- und Gasvorräte
„Strategische besondere ökonomische Interessen
Energieellipse“: weckt, liegt auf der Hand. Ende
70% der Weltölvorräte Dezember 2008 fand in Moskau
40% der Weltgasvorräte
ein Treffen der Energieminister der
Öl Gas zwölf bedeutendsten Exporteure
261,9 Mrd. t SKE** 212,4 Mrd. t SKE** von Erdgas im Rahmen des Gas Ex-
Russland Sonstige porting Countries Forum (GECF) mit
Russland GECF-Staaten
26% folgendem Ziel statt: Es galt „die
5% 3%
Zusammenarbeit zu vertiefen“ und
16% Iran künftig auch institutionell auf eine
OPEC 70% 24% übrige Welt 16% festere Grundlage zu stellen, um
auf einem immer stärker globalisier-
3% 14%
1% 10% ten Markt An­gebot und Preise zu
Westeuropa Katar
12% stabilisieren. Mitglieder des GECF
Rest-OPEC
Weitere sind neben Russland u. a. zahlreiche
OPEC-GECF-Staaten OPEC-Länder. Viele Beobachter
* OPEC Oil Producing Exporting Countries
OPEC: OPEC- GECF: sehen als Ziel dieses Forums, einen
GECF Gas Exporting Countries Forum
52% GECF 71% der OPEC ähnlichen Zusammen-
** 2008 gewinnbar; bei Öl einschl. Ölsande
schluss zu erreichen („Gas-OPEC“).
61-2_2009 23.09.2009 Russland hatte zuvor schon mit dem
Iran und Katar eine internationale
und Braunkohle) reicht noch für rund Bei Mineralöl und Erdgas ist auch Troika zur Marktführerschaft ver-
140 Jahre: Sie ist mit einem Anteil die besonders starke Konzentration einbart und war die treibende Kraft
an den gewinnbaren Weltreserven auf geopolitische Unruhezonen bei diesem Treffen.
von fast 60% der am reichlichsten zu beachten, deren strategische
vorhandene Energierohstoff. Risiken in dem Gastbeitrag dieses

Missverhältnis zwischen Energiereserven und Verbrauchsstruktur


Mrd. t SKE Gewinnbare Weltreserven Weltverbrauch 2008
800 1146 Mrd. t SKE 14,2 Mrd. t SKE
Kohle
600
33%
rund 140 Jahre
400 40% Erdöl
Statische Reichweite
59%
200
rd. 40 Jahre
23% rd. 50 Jahre 27 %
18%
0
Erdgas
Kohle Erdöl inkl. Ölsande Erdgas
Quelle: BGR, 2009 Quelle: BP, 2009

60_3_2009 17.09.2009
45
Entwicklung auf den internationalen Steinkohlenmärkten 2008/2009
Im Jahr 2008 erhöhte sich die Welt- len Handel (Binnen- und Seehan- der seewärtige Weltsteinkohlen-
steinkohlenförderung gegenüber del), rund 14% in den Überseehan- markt im ersten Halbjahr signifikant
dem Vorjahr um rund 550 Mio. t oder del. Insgesamt wurden 839 Mio. t (-8%) geschrumpft. Der Rückgang
um 11% auf 5,9 Mrd. t. Die bedeu- über den Seeweg gehandelt, wobei betraf vor allem Koks und Kokskoh-
tendsten Förderländer waren China davon rund 25% auf Kokskohle und le, die vom Einbruch in der interna-
(2,7 Mrd. t) und die USA (1,1 Mrd. t). 75% auf Kesselkohle entfielen. tionalen Stahlkonjunktur besonders
Größter Steinkohlenexporteur war hart betroffen waren.
jedoch Australien mit 261 Mio. t. Im Jahr 2009 wirkt sich die Welt-
wirtschaftskrise mit voller Wucht Dabei entwickelten sich die ein-
Lediglich rund 16% der Weltproduk- auf den Weltsteinkohlenmarkt aus. zelnen Kohlemärkte auch in geo-
tion gelangten in den internationa- Nach Angaben von EURACOAL ist

Weltsteinkohlenförderung und -verbrauch


2 716 2 712

1 106 1 053
498
401
347
149 190
861
Eurasien 733
Eu-27 Japan
Nordamerika
China
Ferner Osten
235 172
79 41
Mittel-und Afrika
Südamerika

334
73
Australien
Mio. t Weltförderung 2008:
Steinkohle 5 850 Mio. t = 4 797 Mio. t SKE
Förderung Verbrauch Braunkohle 951 Mio. t = 333 Mio. t SKE
Kohle insgesamt 5 130 Mio. t SKE Quelle: VDKI, WCI, 2009

68u-3_2009 05.10.2009
46
Internationale Trends der Energie- und Steinkohlenmärkte

grafischer Differenzierung sehr der Drosselung der Stahlerzeugung Mrd. t


unterschiedlich. Deutlich ist eine vor allem in den Industrieländern
erheblich stärkere Verschiebung der Asiens, Amerikas und Europas. 8 7,7 Förderung
Gewichte vom atlantischen in den Australien, die USA und Kanada
pazifischen Markt zu beobachten. meldeten historische Tiefststände 6 5,9
Während die Exporte im atlanti- bei ihren Kokskohlenexporten. Chi-
Verbrauch in den
schen Kraftwerkskohlenmarkt stark na wandelte sich bei Kraftwerks- Förderländern /
4
rückläufig waren, konnte der pazi- wie Kokskohle zum Nettoimporteur. Binnenhandel
fische Markt insbesondere infolge Für die vorwiegend in Küsten- und
der wieder stärkeren chinesischen Hafennähe angesiedelte chinesi- 2
Nachfrage leicht hinzugewinnen. sche Stahlindustrie waren Importe
Dies war vor allem den steigenden günstiger als Kokskohle aus heimi- 0 15% Seehandel
14%
australischen Exporten zu verdan- scher Förderung, die erst über lange
ken. Alle anderen Exportländer in Entfernungen auf dem Landweg 2008 2030
Quellen: BP, VDKI, DOE; 2009
diesem Teilmarkt lieferten deutlich herangeschafft werden müsste.
weniger als im Vorjahr. Im atlan- Für das gesamte Jahr 2009 wird 62-1_2009 17.09.2009 Welthandel von Steinkohle
tischen Kraftwerkskohlenmarkt ein Rückgang des Weltkokskohlen- Welthandels-
reichten die Zuwächse bei den marktes um rund 40 bis 50 Mio. t gleichsweise hohe Wachstumsrate intensität bei
südafrikanischen und russischen erwartet. erzielen. Das macht sich bereits Steinkohle
Exporten nicht aus, die geringeren nicht nur beim Koks, sondern auch
Lieferungen der restlichen Anbieter Im Koksmarkt war China in den auf den internationalen Kraftwerks-
zu kompensieren. Das geringe Han- letzten Jahren mit einem Marktan- kohlen- und Kokskohlenmärkten
delsvolumen am nordwesteuropä- teil von fast 50% der dominierende bemerkbar. Die starke Nachfrage
ischen Kraftwerkskohlenmarkt ist Anbieter. In den ersten Monaten Chinas insbesondere nach Kohle
vorwiegend auf die zuletzt relativ des Jahrs 2009 brach der Markt und Erzen hat 2009 vor australi-
schwache Nachfrage in Europa für China-Koks jedoch nahezu schen Beladungs- und chinesischen
zurückzuführen. Insbesondere die vollständig ein. Trotz der Freigabe Entladungshäfen schon zu langen
nordeuropäische Steinkohlenver- von Exportlizenzen in annähernd Staus von Massengutfrachtschiffen
stromung hat rezessionsbedingt gleicher Höhe wie im Vorjahr fand geführt, die auf Abfertigung war-
nachgelassen. Doch auch die Koks- sich zumindest bis August 2009 ten. Dadurch wurde Schiffsraum
kohlen- und Koksnachfrage der weltweit kein Markt für chinesi- Preise für
Stahlindustrie verzeichnete 2009 schen Koks. Insbesondere infolge Kraftwerkskohle
massive Einbrüche. Eine Besserung der hohen Koksexportsteuer von
der Situation wird sich nur langsam 40% war chinesische Ware – poli-
€ / t SKE
einstellen können, da die nordwest- tisch gewollt – viel zu teuer für den
150
europäischen Kohlelagerkapazitä- Weltmarkt. Bedeutendste Anbieter
ten ihre Auslastungsgrenzen schon sind daher vorerst Kanada und die 120
überschritten haben. USA.
90
Der internationale Markt für Koks- Die chinesische Wirtschaft weist 60
kohle ging 2009 ebenfalls stark trotz der Weltwirtschaftskrise eine
30
zurück. Allein im ersten Quartal vergleichsweise robuste Verfas-
2009 sank die Nachfrage um rund sung auf. Nach Einschätzung der 0
30%. Dies war eine direkte Folge OECD könnte China wie auch Indien 2000 01 02 03 04 2005 06 07 08 2009
in diesem Jahr wieder eine ver- Quelle: BAFA, Quartalspreise für Kraftwerkskohle

Preisentwicklung der Steinkohlenimporte


neu_02-1_2009 17.09.09
47
gebunden, der an anderer Stelle
fehlte und zeitweilig wieder zu stei- Steinkohlen- und Koks-Exporte weltweit 2008
Mio. t
genden Frachtraten führte, so auch
im atlantischen Markt. Im Zuge der 650 632
weltweit stark rückläufigen Nach- 600 Sonstige
frage nach Massengütern waren 550
Kolumbien
auch die Seefrachtraten seit Ende 500
2008/Anfang 2009 von historischen 450 Südafrika
Höchstständen auf ein teilweise 400
ruinöses Niveau gefallen. Dies hat- 350
te zu zahlreichen Marktaustritten Indonesien
300
geführt. Aufgrund von Aufgabe und 250
Umwidmung von Exportkapazitäten 200 China 207 Sonstige
werden Verknappungen am interna- 150 USA
tionalen Steinkohlenmarkt künftig Russland Kanada
100
wahrscheinlicher.
50 Australien Australien 28
0 Sonstige
Abzusehen ist bereits auch: Der China
Kampf um die Einflussnahme auf Kraftwerks- Kokskohle Koks
kohle Quelle: VDKI, 2009
die Rohstoffvorkommen der Welt
wird generell deutlich härter. 70o-2_2009 23.09.2009
Mitte 2009 nahmen chinesische
Sicherheitsbehörden Mitarbeiter Industriespionage fest. Zuvor war andere Art stärker miteinander.
des australischen Bergbaukonzerns der Versuch des staatlichen chinesi- China ist seit Frühjahr 2009 wieder
Frachtraten Rio Tinto unter dem Verdacht der schen Aluminiumkonzerns Chinalco verstärkt auf den internationalen
nach Europa gescheitert, seinen Mehrheitsanteil Rohstoffmärkten aktiv: So hat es
an Rio Tinto – vor allem wegen des 2009 beispielsweise den internatio-
Herkunftshäfen: Eisenerzes in Westaustralien – auf- nalen Markt für Industriemetalle
Queensland Hampton Roads Richards Bay zustocken. Dieses Ansinnen wurde nahezu leer gekauft. Es bemüht sich
US-$/t Australien USA Südafrika durch Intervention der australi- darüber hinaus um die Beteiligung
70 Ziel: Nordwesteuropäische Häfen (ARA) schen Regierung, Medienproteste und Kontrolle an Bergbauunterneh-
und Einreden weiterer Anteilseigner men in Australien wie in anderen
60 vereitelt. Dies hat zu erheblichen Ländern – dies auch im Hinblick auf
diplomatischen Differenzen zwi- den Zugriff auf Produktionskapazi-
50 schen den beiden Staaten geführt. täten im Kohlesektor (Felix Resour-
Zuvor war Ende 2007 bereits ein ces). Neben einer zunehmenden Un-
40
Übernahmeversuch seitens BHP ternehmenskonzentration auf den
30 Billiton, das wie Rio Tinto zu den internationalen Steinkohlenmärkten
„Big Four“ der internationalen zeichnet sich also auch hier, wie
20 Rohstoffwirtschaft zählt, vorerst schon auf anderen Rohstoffmärk-
gescheitert. Mitte 2009 verban- ten, eine verstärkte Einflussnahme
10 den sich die beiden Unternehmen von einzelstaatlichen Rohstoffsi-
allerdings durch Joint-Ventures im cherungsstrategien ab.
0
Eisenerz- und Kohlegeschäft auf
2004 2005 2006 2007 2008 2009
Quelle: McCloskey Coal Report, Wochennotierungen

64-1_2009 18.09.2009 Seefrachtraten nach Europa

48
Strategische Risiken der
globalen Energiesicherheit
Gastbeitrag

Foto:
LNG-
Tankschiff
Gastbeitrag
Dr. Frank Umbach, Senior Associate für Internationale Energiesicherheit
Centre for European Security Strategies (CESS), München-Berlin

Im Zuge der stark gefallenen inter- Damit steht die Welt vor einer dop- Im Zuge der globalen Rohstoff-
nationalen Rohöl- und Erdgaspreise pelten Herausforderung: einerseits hausse und ihren rapiden Preis-
seit Sommer 2008 scheinen die eine bezahlbare Energieversor­ steigerungen, einer steigenden
großen Besorgnisse über die globa- gungs­sicherheit zu gewährleisten, Angebotskonzentration auf immer
le Energieversorgung und die Aus- andererseits aus Grün­den des weniger Länder und Unterneh-
wirkungen der Rohstoffhausse auf globalen Klimawandels vor allem in men, zunehmenden Handels- und
die Stabilität der internationalen den Nicht-OECD-Staaten auf höhe- Wettbewerbsverzerrungen durch
Beziehungen zunächst einmal ver- re Energieeffizienz mit gleichzeitig politisch induzierte Einschränkun-
flogen zu sein. Doch die moderaten niedrigerem CO 2-Ausstoß struktu- gen der Rohstoffverfügbarkeit, der
Energiepreise dürften nur temporär rell umzusteuern. Subventionierung des Energiever-
sein und nicht die langfristigen brauchs sowie vermehrter Strategi-
strategischen Trends der interna- Bereits seit Ende der 1990er-Jah- en der staatlich forcierten Rück-
tionalen Energiepolitik hinsichtlich re hat sich das Machtverhältnis wärtsintegration durch zunehmende
hoher volatiler Öl- und Gaspreise zwischen Energieproduzenten und Beteiligungen an Bergbauunterneh-
Der Energiemarkt sowie Versorgungsengpässe in -konsumenten zugunsten der Ener- men im Ausland (direkter Zugriff
ist ein Frage stellen. Mittelfristig könnte gieproduzenten und dem Entstehen und Kontrolle der Lagerstätten im
„Verkäufermarkt“ die weltweite Energieversorgung eines weltweiten „Verkäufermark- Ausland) stellten sich vermehrt
durch den weiteren Aufschub tes“ sukzessiv verändert. Diese Fragen hinsichtlich der Lieferfähig-
zeitkritischer Investitionen in neue internationalen Machtverschie- keit der Rohstoffexporteure – und
Explorationsprojekte und sonstige bungen zugunsten der asiatischen damit Fragen, die über 20 Jahre
Energieinfrastruktur sogar noch und arabischen Schwellenländer, von der EU nicht mehr diskutiert
stärker gefährdet sein. Auch die aber auch Russlands und anderer worden sind. Zudem spiegelt sich
geopolitischen Risiken und Aus- Energieexporteure und die interna- beim „Ressourcenfluch“ nicht nur
wirkungen auf die globalen ord- tionale Expansion ihrer Staatsfonds ein enger Zusammenhang zwischen
nungspoli­ti­s chen Strukturen wer- in die USA und nach Europa waren hohen Ölpreisen und „Rentieröko-
den sich nicht verflüchtigen. Dies wesentlich durch die hohen Öl- nomien“ wider, sondern auch jener
gilt umso mehr, als der weltweite und Gaspreise sowie die Rohstoff- zwischen hohen Ölpreisen und der
Markt für die fossilen Energieträger hausse bei nichtenergetischen mangelnden Reformbereitschaft
Öl, Gas und Kohle vor einem dra- Ressourcen erklärbar. So hat sich sowie der Demokratisierung in der
matischen Strukturwandel steht. In seit 2002 nicht nur der Ölpreis auf Innenpolitik und einer konfrontati-
2008 haben die Entwicklungsländer bis zu 147 US-$ pro Barrel (bl) im veren Außenpolitik vieler reicheren
mit China an der Spitze erstmals Juli 2008 verfünffacht, sondern Produzentenstaaten.
die OECD-Staa­t en beim Verbrauch auch die Preise für Eisenerz und
von Primärenergie übertroffen. 79% Stahlschrott waren zwischen 2003 All dies wirft zentrale Fragen nicht
der Weltbevölkerung erwirt­s chaf­ und 2006 um 100% sowie der nur für die internationale Ener-
ten 45% des globalen Bruttoin- Nichteisenmetalle um über 128% giepolitik, sondern auch für die
landsproduktes und benötigen und anderer Metalle sogar um über weltweite regionale Ordnungspo-
dafür 53% der Welt­ener­gie. Dieser 500% gestiegen. Die Frage der litik und Außen-, Sicher­heits- und
Trend wird sich in den näch­s ten Versorgungssicherheit von Energie- Entwicklungspolitik des Westens
Jahren verstärken und erheblich und anderen Rohstoffen rückte da- und damit auch für die GASP (Ge-
die Preise be­ein­flussen sowie neue mit auf die politische Tagesordnung meinsame Außen- und Sicherheits-
Herausforderun­gen für die interna- der westlichen Regierungen, da die politik) sowie Nachbarschaftspolitik
tionale Energiesicherheit und die Energie- und Rohstoffsicherheit der EU auf. Im Zuge einer globalen
An­s trengungen der Weltgemein- die zentrale Voraussetzung für die Energie- und Rohstoffhausse sowie
schaft ha­b en, den globalen Klima- Stabilität der gesamten wirtschaft-
wandel zumindest zu ver­lang­s amen. lichen Wertschöpfungskette ist.

50
Strategische Risiken der globalen Energiesicherheit

Verknappung können somit welt- Vor diesem komplexen Hinter- weltweiten Anstieg des Ener-
weit künftige gewaltsame Kon- grund sollen zunächst die globalen gieverbrauchs sind vor allem die
flikte und Kriege vor allem um die Energietrends und Prog­no­s en der Nicht-OECD-Staaten mit 73%,
knapper werdenden Rohstoffe (vor Internationalen Energieagentur während der Energieanstieg
allem um Öl, Gas und Wasser) kei- (IEA), der Energy Information Admi- der OECD-Staaten selbst beim
neswegs ausgeschlossen werden, nistration (EIA) und des Weltener- Referenzszenario der EIA nur bei
die u.a. mit Massenmigrationen und gierats (WEC) analysiert werden, 15% liegen dürfte.
Flüchtlingsproblemen verbunden bevor die mittel- und langfristigen
sind. Hinzu kommen die Folgen geopo­li­tischen Risiken untersucht • Trotz weltweiter Anstrengungen
der globalen Klimaveränderungen, werden, um auf dieser Basis quali- zur Entwicklung der erneuerba-
die neue Konflikte verursachen fizierte Schlussfolgerungen für die ren Energien mit einem jährlich
und vor allem bereits bestehende mittelfristige Energieversorgungs- prognostizierten Wachstum von
Konfliktlagen erheblich verschärfen sicherheit der EU und Deutschlands rund 7% werden in mittelfristiger
könnten. zu ziehen. Perspektive weiterhin die fossi-
len Energieträger (Rohöl, Erdgas
und Kohle) den weitaus größten
Internationale Energienachfrage bis 2030 und Teil des weltweiten Ver­b rauchs
ausmachen. Sie werden rund
die Frage der globalen Versorgungssicherheit 80% des globalen Nachfragean-
stiegs bis 2030 decken.
Die Unsicherheiten der globalen WEC über die fossilen Energieres-
Energieversorgungssicherheit bis sourcen bis 2030 bestätigen diese • Rohöl bleibt mit etwa 30 - 32%
zum Ausbruch der gegenwärtigen Annahmen: (derzeit 34%) im weltweiten
globalen Finanz- und Wirtschafts- Energiemix der wichtigste Ener-
krise im Sommer 2008 erklärten • Die globale Energienachfrage gieträger bis 2030. Der durch-
sich einerseits aus der rapide wird bis 2030 um 37- 45% zu- schnittliche Rohölbedarf wird
zunehmenden Energienach­f rage nehmen. Verantwortlich für den
vor allem in China und Indien
sowie einer Ver­f ünffachung der
Ölpreise von 2002 bis 2008 auf
über 147 US-$/bl, andererseits aus Weltenergieverbrauch
zunehmenden Un­g ewissheiten, wie Mrd. t SKE
lange die Öl- und Gasre­s er­v en noch 25 24,3
ausreichen und wie viele Res­s our­ 21,6 Sonstige
cen zukünftig tatsächlich auf dem 20 Wasserkraft
17,8 Kernenergie
Weltmarkt zur Verfü­gung stehen 16,6
15 Erdgas
werden. Deshalb unter­s chied
12,6
sich diese Krise der weltweiten
Ener­gie­p reise und globalen Ener­ 10 29% Kohle
29%
gie­v ersorgung grundlegend von 26% 28%
5 26%
früheren. Ent­s chei­dende Ent­w ick­
lun­g en der letzten Jahre auf dem Öl
0
Energiesektor sowie die neuesten
1990 2005 2008 2020 2030
Prognosen der IEA, EIA und des
Quelle: BP Statistical Review of World Energy, 2009 / World Energy Outlook, 2009; IEA
Prognose: IEA Referenzszenario basierend auf Zahlen von 2006

42o-2_2009 14.09.2009

51
Gastbeitrag

bis 2030 weltweit um 37% ge- Form von Liquified Natural Gas irgendeinem anderen fossilen
genüber 2006 zunehmen – von (LNG) transportiert und dessen Energieträger oder der gesamten
derzeit über 85 auf 106 Millionen Anteil von 52% in 2006 auf 69% weltweiten Primärenergienach-
Barrel pro Tag (Mio. bl/d; IEA- in 2030 ansteigen wird. Zugleich frage. Nach Prognosen der IEA
Referenz­s ze­n ario). China wird wird die Zunahme der weltwei- wird der Kohlenverbrauch bis
dabei für 43% des Zuwachses ten Erdgasproduktion mit 46% im 2030 um jährlich 1-2% zunehmen
der globalen Rohölnachfrage, Mittleren Osten erfolgen müssen und könnte damit auch weiterhin
der Mittlere Osten für 20% und – also in derjenigen Region, die stärker wachsen als die Erdgas-
Indien für 19% verant­w ort­lich bereits für die Weltrohölver- nachfrage. Die weltweite Koh-
sein. Da nicht nur die Zunah- sorgung ohne Alternative ist. lennachfrage würde zwischen
me der Weltrohölnachfrage zu Dabei befinden sich allein 56% 2006 und 2015 um 32% und im
erwarten ist, sondern auch viele der weltweiten Erdgasreserven Zeitraum 2006 -2030 sogar um
er­s chöpfte Ölfelder ersetzt wer- allein in den drei Staaten Russ- bis zu 61% von 3.053 Millionen
den müssen, muss die Rohölpro- land, Iran und Qatar und mehr als Tonnen Öläquivalent (Mtoe) auf
duktion bis 2030 um 64 Mio. bl/d die Hälfte der globalen Re­s er­v en 4.908 Mtoe ansteigen. Selbst
wachsen – das Sechsfache der wird von lediglich 25 Erdgasfel- wenn sich das optimi­s ti­s che­r e
heutigen Gesamtrohölproduktion dern gespeist. Eine Entspannung Alternativszenario bestä­t igen
Saudi Arabiens als weltgrößter des Erdgas­m ark­t es zeichnet sich sollte, wird Kohle mit 23 -29%
Rohölproduzent. Nach dem opti- mit der zunehmenden Ausbeu- in 2030 der zweitwichtigste
Rohöl bleibt mistischeren Alternativszenario tung der bis vor kurzem unrenta- Energieträger noch vor Erdgas
weltweit der der IEA von 2007 ist die Welt blen un­kon­v entionellen Gasre- weltweit bleiben.
wichtigste zwar in der Lage, 14 Mio. bl/d serven in den USA ab, die durch
Energieträger – einzusparen, doch auch dann neue Bohrtechniken und den • Nach der neuesten Analyse
Kohle steht an bleibt Rohöl der weltweit wich- höheren Rohölpreis wirtschaft- der EIA wird der weltweite
zweiter Stelle tigste Energieträger. Zwar sind lich erschlossen werden und den Strombedarf im Referenz­s ze­
gegen­w är­t ig mehr als 182 Mrd.t früher antizipier­t en starken An- na­r io zwischen 2006 und 2030
konventionelle Rohölreserven stieg von LNG-Importen ersetzen um 77% ansteigen. Dabei wird
(ohne kanadi­s che Ölsande) nach- können. Die künftige Produktion der globale Beitrag der Kern-
weisbar vorhanden, doch hält die von unkon­v en­­tionellem Gas aus energie zur Stromerzeugung bis
Entdeckung neuer Ölressour­c en Schiefer- und Kohleschichten 2025 absolut höher liegen als
bereits seit 1986 mit der sich sowie dichten Sandsteinforma- in der vergleichba­r en Projektion
rapide beschleunigenden Nach- tionen („tight gas“) soll von 47% von 2004, auch wenn sich der
frage nicht mehr Schritt. der gesamten Erdgasproduktion Kernenergieanteil von 15% in
in 2006 auf 56% in 2030 weiter 2006 auf 10% in 2030 verringern
• Die weltweite Nachfrage des kli- steigen. In dem neuesten Refe- wird. Demgegenüber wird der
mafreundlicheren Erdgases wird renzszenario geht die EIA sogar Kohleanteil an der weltweiten
aufgrund der Koppelung mit den davon aus, dass die USA bei Stromerzeugung von 41% auf
wieder ansteigenden Rohölprei- Erdgas faktisch selbstversorgend 44% zunehmen und der Anteil
sen lediglich um 1,8% zunehmen werden. der erneuerbaren Energien von
und im globalen Energiemix von 18% auf 23% bis 2030 ansteigen
21% auf 22% bis 2030 nur margi- • Im Gegensatz zu den hiesigen – und damit Erdgas bereits kurz
nal wachsen. Der interregionale Bemühungen des Klimaschutzes nach 2010 als zweitwichtigste
Gashandel wird sich von 441 ist seit 2000 mit jährlich durch- globale Erzeugungsquelle für
Mrd. m 3 auf mehr als 1 Bill. m 3 schnittlich 4,9% ein stärkeres Strom ablösen.
verdoppeln, der größtenteils in Wachstum der globalen Kohlen­
nach­f rage zu konstatieren als bei

52
Strategische Risiken der globalen Energiesicherheit

Um die weltweite Energienachfra- zur Auf­r echt­erhaltung der interna- Darüber hinaus gelten 10 der 14
ge zu befriedigen und die globale tionalen Energiesicherheit werden führenden Rohöl exportierenden
Energiesicherheit zu garantieren, zudem nur dann er­f olgen, wenn Staaten seit Ende der 1990er-Jahre
sind nach Auffassung der IEA sich die Rahmenbedingungen für als politisch instabil. Ein Aufbre-
rund 26 Bill. US-$ an Investitionen ausländische Investoren und die chen der innenpolitischen Konflikte
bis 2030 notwendig. Gleichzeitig politische Stabilität in vielen der könnte jederzeit zu größeren Unter-
beläuft sich die Subventionierung Förderländer deutlich verbessern. brechungen des Rohöl- und Erdgas-
von Energieressourcen und des Die entscheidende Frage jedoch exports dieser Länder führen. 50%
Energieverbrauchs in den 20 größ- – wie viele Erdöl- und Erdgas- der Weltenergienachfrage werden
ten Nicht-OECD-Staaten jährlich ressourcen stehen nicht nur auf von Erdöl produzierenden Staaten
allein auf 310 Mrd. US-$. Dement- dem Papier, sondern tatsächlich gedeckt, deren innen­p o­li­t i­s che
sprechend ist der Energieverbrauch auf dem Weltmarkt jederzeit zur Spannungen ein hohes Risiko dar-
dieser Staaten von realen Markt­ Verfügung? – hängt nicht nur von stellen. Zukünftig wird die Welt auf
preisen weitgehend abgekoppelt, eng definierten ökonomischen Fak- immer weniger Erdöl- und Erdgas-
sodass auch keine Anreize beste- toren wie Angebot und Nachfrage förderstaaten angewiesen sein, die
hen, den Energie­v erbrauch durch oder der globalen Klimapolitik ab, zudem häufig politisch instabil ein Energieengpässe
Einsparungen zu verringern und die sondern maßgeblich auch von den immer höheres Produktionsniveau können immer
Energieeffizienz zu erhöhen. Die zu- dramatisch veränderten poli­t i­s chen zur globalen Erdöl- und Erdgasver- weniger ausge-
künftig notwendigen Investitionen Rahmenbedingungen seit Ende der sorgungssicherheit gewährleisten schlossen werden
in die globale Energiewirtschaft 1990er-Jahre. müssen.

Energieengpässe mit drastischen


Geopolitische Risiken und strukturelle Preissteigerungen oder sogar grö-
ßeren Versorgungskrisen können
Versorgungsengpässe daher auch für den mittelfristigen
Zeitraum bis 2020 immer weniger
Seit den terroristischen Anschlä- der welt­w eiten Energieversor- ausgeschlossen werden.
gen vom 11. September 2001 auf gungssicherheit im 21. Jahrhun-
das World Trade Center und das dert herausra­g ende stra­t e­­gi­­sche Im Gegensatz zur Ölkrise in den
Pentagon sowie der Militärinter­ Be­d eutung, da in dieser Weltregion 1970er-Jahren oder während des
ven­t ion in Afghanistan und dem der Großteil der verbleibenden irakisch-iranischen Kriegs ab 1980
Irak-Krieg ist die internationale glo­b alen Öl- und Gasreserven wie waren die hohen Preise bis zum
Auf­m erk­­­sam­keit stärker denn je folgt konzentriert sind. August 2008 somit nicht auf eine
einerseits auf den Mittleren Osten einzelne akute politische Krise und
und Süd- sowie Zentral­asien als • 90% der Erdölreserven befinden eine temporäre Angebotsverknap-
auch auf den zukünftigen welt- sich in der islamischen Welt; pung im Mittleren Osten zurückzu-
weiten „Bogen der Instabilität“ führen, sondern vor allem auf die
(„arc of instability“), andererseits • 70% der Weltrohölreserven globale Nachfrage und auf struktu-
auf den Zusammenhang zwischen und 40% der Weltgasreserven relle Probleme auf der Angebots-
künftigen Kriegen und der globalen befinden sich in der Region der seite (Engpässe bei Produktions-,
Ressourcenkonkurrenz gerichtet. „Strategischen Ellipse“; Raffinerie- und Transportkapazi-
Dieser „Größe­r e Mittlere Osten“ täten).
(auch „Strategische Ellipse“ • 62% aller Weltölreserven und
genannt) besitzt für die Sta­bi­lität 34% aller globalen Erdgasreser- Die Schlüsselstellung Saudi-Arabi-
ven sind allein in der Region des ens als die „Zentralbank von Rohöl“
Persischen Golfes konzentriert.

53
Gastbeitrag

für die globale Energiesicherheit auch der Hauptanteil der Raffine- keiten, einerseits die Abhän­gig-
resultiert vor allem aus dem Um- rien aus den USA und aus Europa ­keiten zu reduzieren und anderer-
stand, dass Riad der einzige Öllie- nach Asien und in andere Weltre- seits im Rahmen ihrer Außen- und
ferant ist, der noch über nennens- gionen verlagern. Dies bedeutet: Sicherheitspolitik gute Beziehun-
werte ungenutzte Förderkapazitä- Nicht nur der größte Teil der gen zu den Erdöl und Erdgas expor-
ten verfügt (US-Experten sprechen Erdölförderung, sondern auch 60% tierenden Staaten aufzubauen. Die
von einem „Energieäquivalent von der weltweiten Raffineriekapazi- Frage nach der Energiesicherheit
Nuklearwaffen“). Allerdings waren tät werden sich dann in zumeist in den Industriestaaten war somit
es (bei einem Produktions­niveau politisch instabileren Ländern und zu keiner Zeit nur eine außenwirt-
von insgesamt rund 10 Mio. bl/d) Regionen befinden. schaftliche Problematik, der mit
bis zum Sommer letzten Jahres ausschließlich (markt-)wirtschaftli-
nur rund 1,5 - 2 Mio. bl/d, die der Daher suchen die Energie impor- chen Mitteln zu begegnen wäre.
weltweit größte Rohölpro­duzent in tierenden Staaten nach Möglich-
Krisenzeiten zusätzlich mobilisie-
ren konnte. Damit sank der Anteil
der freien Produktionskapazitä-
ten im Vergleich zur weltweiten
Auswirkungen auf die europäische
Ölnachfrage von 15% auf lediglich Energieversorgungssicherheit
2- 3%. Die OPEC-Förder­k a­p a­zi­t ä­t en
Die Energie- waren bis Mitte 2008 fast zu 99% Erst infolge des ersten russisch- besteht einhellig die Auffassung,
abhängigkeit ist ausgelastet – verglichen mit 90% ukrainischen Gaskonflikts vom Ja- dass nur ein ausgewo­g ener und
eine Frage der in 2001 und lediglich 80% im Jahr nuar 2006 stand die Frage nach der breitest möglicher Energiemix, der
Außen- und 1990. Vor diesem Hintergrund hat Versorgungssicherheit der EU und keinen Energieträger ausschließt,
Sicherheitspolitik der Interna­t ionale Währungsfonds Deutschlands auf der politischen die globale, regionale und natio-
(IWF) im Frühjahr 2005 die OPEC- Tagesordnung und hat seitdem nale Energiesicherheit nachhaltig
Staaten aufgefordert, zusätzliche hohe Priorität, wie der jüngste garantieren kann. Vor allem in
freie Produktionskapazitäten von russisch-ukrainische Gaskonflikt der mittelfristigen Perspektive
mindestens 5 Mio. bl/d in den vom Januar 2009 – die größte bis 2030 darf vor den gewaltigen
nächsten Jahren bereitzustellen, Energiekrise Europas seit mehr Herausforderungen der globalen
da sonst die globale Rohölversor- als 30 Jahren – bestätigt hat. Vor Energiesicherheit und des welt-
gung nicht länger stabil zu halten allem die Gasversorgungssicherheit weiten Klimawandels weder auf
sei. Doch mit Aus­n ahme Saudi- Europas gilt als die Achillesferse die Kernenergie noch die Kohle
Arabiens ist bis heute kein anderer der europäischen Energiepolitik, da verzichtet werden. Dies gilt ins-
OPEC-Staat sowohl aus politischen diese sich von der Ölversorgungs- besondere auch für Deutschland,
als auch wirtschaftlichen Gründen sicherheit grundlegend unterschei- dessen Versorgungsrisiko seit den
bereit, dieser Aufforderung Folge det. So gibt es einerseits keinen Ölpreiskrisen und einer drastischen
zu leisten. globalen Gasmarkt; andererseits Zunahme der Öl- und Gasimporte
ist die Versorgungssicherheit in Eu- aus Russland als Folge des bisher
Mit der Verschiebung der welt- ropa von stabilen Lieferungen über geplanten Doppelausstiegs bei
weiten Rohölnachfrage aus den in Krisen inflexible Pipelinesysteme Kernenergie und der heimischen
westlichen Industriestaaten in die abhängig. Steinkohlenförderung deutlich
bevölkerungsreichsten industriellen gestiegen ist.
Schwellenstaaten wie China und Zwischen den internationalen
Indien wird sich im 21. Jahrhundert Experten und Energieorganisatio- Die EU hat mit den März 2007-Be-
nen, wie der IEA, der EIA sowie schlüssen einer integrierten, nach-
dem WEC, und der EU-Kommission

54
Strategische Risiken der globalen Energiesicherheit

haltigen Klima- und Energiepolitik Märzbeschlüsse würden dagegen keineswegs von einer sicheren
sowie der 20-20-20-Formel (s. a. die Nettoenergieimporte um rund Gasversorgung aus Russland aus-
S. 65) die Weichen für die Zukunft 41% zwischen 2005 bis 2030 gehen, da dies nicht nur
gestellt, um aus der Spirale aus ansteigen. Tatsächlich zeigt der
stark ansteigendem Energiever- EU-Aktionsplan vom November 1) wirtschaftliche Stabilisierung
brauch und Energieimportabhängig- 2008 und seine neuen Prognosen und umfassende Reform des
keiten zumin­dest teilweise aus- erstmals auf, dass der Erdgasim- Energiesektors der Ukraine
zusteigen bzw. den Anstieg stark portbedarf mit der Implemen­ voraussetzt, sondern
zu reduzieren. Im Mittelpunkt ihrer tierung des 20-20-20-Programms 2) auch eine völlige Normalisierung
energiepolitischen Konzeption ste- (dabei abhängig von der Höhe des der bilate­r al­e n Beziehungen
hen zu Recht die Energieeinsparung internationalen Ölpreises), bis zwischen Moskau und Kiew,
und Erhöhung der Energieeffizienz auf das heutige Niveau von rund 3) eine Ausschaltung aller Zwi-
sowie die Diversifizierung des 300 Mrd. m 3 eingefroren werden schenhändler,
Energieträger­mix und der Importe. könnte anstatt auf 452 Mrd. m 3 4) die Gewährleistung von weitaus
Auch die Proklamierung einer ak- anzusteigen. Je nach Szenario größerer Transparenz über die Breiter Energie-
tiven europäischen und deutschen könnte der Erdgasimport­b edarf der Abkommen und die Gassektoren trägermix ist
Energieaußenpolitik unter Be- EU bei einem erneuten Anstieg des auf beiden Seiten, Garantie für eine
rücksichtigung der geopolitischen Ölpreises auf 100 US-$/bl sogar 5) die Abkoppelung des bilateralen stabile Energie-
Risiken ist wichtig und richtig. unter 300 Mrd. m 3 liegen (s. Tabelle Gashandels von geopolitischen versorgungs-
im Anhang). Motivatio­n en und auch voraus- sicherheit
Noch vor dem jüngsten Gaskon- setzt, dass
flikt im November 2008 hatte die Auch das vom Rat der EU am 20. 6) die gegenwärtige Finanz- und
Europäische Kommission unter der März 2009 beschlossene und von Wirtschaftskrise die dringend
französischen Präsidentschaft mit der Kommission vor­g e­s chlagene notwendigen Investitionen der
dem „Zweiten Überprüfungsbericht Energieinfrastrukturprogramm in russischen Gaswirtschaft in die
der Energiestrategie der EU“ ein einem Umfang von rund 4 Mrd. € Exploration neuer und erheblich
weitreichendes Energiepaket zur dient der Stärkung der Energiever- teurerer Gasfelder nicht verrin-
Stärkung der Energieversor­gungs­ sorgungssicherheit und der phy- gert und zeitlich weiter auf-
sicherheit und Unterstützung der sischen Infrastruktur effektiverer schiebt.
Klimaschutzvorschläge vorgelegt. Krisenreaktionsmechanismen. Seit
Der in der Öffentlichkeit und zum Anfang 2008 wurden auch die Daher bleibt aus europäischer und
Teil auch in der deutschen Politik Maßnahmen zur Entwicklung des deutscher Sicht – neben neuen
viel zu wenig beachtete „Akti- süd­euro­p äischen Gastransportkor- Maßnahmen zur Energieeinsparung
onsplan für Energieversorgungs- ridors und des Zu­g angs zu kas- und Erhöhung der Energieeffizienz
sicherheit und -solidarität“ zeigte pischem Gas durch das Nabucco- – die breitest mögliche Diversifizie-
zum ersten Mal auf, dass eine Projekt entscheidend forciert. rung des Energieträgermix und der
erfolgreiche Implementierung der Importe die beste Garantie für eine
Energiebeschlüsse vom März 2007 Allerdings kann die EU kurz- und langfristige stabile Energieversor-
den bis dahin prognostizierten mittelfristig auch nach Unterzeich- gungssicherheit. Bei Erdgas sollte
Energiebedarf der EU bis 2020 um nung des jüngsten Abkommens dies durch eine neue Kombination
bis zu 15% und den Importbedarf zwischen Russ­land und der Ukraine von langfristigen Lieferverträgen,
um sogar 26% gegenüber den zur Beilegung des Gaskonflikts und liquiden Handelsplätzen, einer
bisherigen Energiebedarfsprogno- des Energiememorandums zur Mo- bedarfsge­r ech­t en und sicheren
sen reduzieren könnte. Ohne die dernisierung der ukrainischen Gas- Infrastruktur sowie die Stärkung
infrastruktur vom 23. März 2009

55
Gastbeitrag

der grenzüberschreitenden Koope- Sicherheitsaufwendungen immens bevorratet werden kann. Für ara-
ration zwischen Gasunternehmen sein, die aber bisher offenbar kaum bische Terroristen dürfte die solare
im Zusammenspiel mit Regierungen in den operativen Projektkosten Infrastruktur nicht zuletzt deshalb
und der EU mit ihren neuen Krisen- ausreichend berücksichtigt worden besonders attraktiv sein, weil sie
und Kooperationsinstrumenten sind. Zudem müssen erhebliche mit Anschlägen gleichzeitig sowohl
sichergestellt werden. politische Konflikte zwischen den die verhassten einheimischen Re-
Regionalstaaten selbst gelöst gierungen als auch die EU treffen
Dem Ziel der Stärkung der Versor- werden wie aber auch beim grenz- und politisch erpressen könnten.
gungssicherheit durch die Diversifi- überschreitenden Stromtransport Auch aus diesem Grund könnte sich
zierung von Energie­t rä­g ern, Impor- zwischen EU-Staaten. Darüber die dezentralisierte Photovoltaik
ten und der Elektrizitätserzeugung hinaus darf bezweifelt werden, unter Berücksichtigung großer
soll auch das derzeit viel diskutier- dass Spanien oder Italien sich von Fortschritte bei Speichertechnolo-
te Solar- und Wüstenstromprojekt der politisch so instabilen Region gien langfristig womöglich tatsäch-
„DESERTEC“ dienen – derzeit läuft noch weiter abhängig machen lich als kostengünstigere solare
Projekte wie eine Machbarkeitsstudie. Dieses und ihre Versorgungssicherheit Variante erweisen. Doch sprechen
DESERTEC er- von 12 vor allem deutschen Konzer- gefährden wollen, da die EU-Mit- all diese Vorbehalte nicht grund-
fordern immense nen forcierte Projekt sieht eine so- telmeerstaaten bereits in hohem sätzlich gegen das Projekt, das
Sicherheits- larthermische Stromerzeugung vor, Maße durch die Öl- und Gasimporte vor allem für die Regionalstaaten
aufwendungen bei der das Sonnenlicht in riesigen von dieser instabilen Weltregion selbst von großem Nutzen wäre,
Parabolspiegeln gebündelt und abhängig sind. sofern ihre politischen und wirt-
dann in einer im Kreislauf ge­f ühr­ schaftlichen Eliten den großen
ten Flüssigkeit auf 400°C erhitzt Des weiteren benötigen solar- Nutzen derartiger solarthermischer
wird, um in einem anschließenden thermische Kraftwerke Millionen Kraftwerke angesichts der Rolle
Dampf­t ur­binen­k raftwerk in Strom Kubikmeter Kühlwasser, die in den ihrer staatlichen Energiekonzerne
ver­w an­d elt zu werden. Das derzeit Wüstenregionen zumeist grenz- und deren politischen Einfluss auf
auf 400 Mrd. € geschätzte Projekt überschreitend sicher gestellt wer- die Regierungen erkennen.
soll 15 -20% seiner Stromerzeu- den müssen und einen ebenfalls
gung über Hochspannungsgleich- nicht unerheblichen Kostenfaktor Die strategischen Risiken der deut-
stromleitungen nach Europa führen. darstellen dürften. Ebensowenig schen Energieversorgung werden
Obwohl es auch technologisch vor dürfen die Risiken für die Versor- jedoch durch „Wüstenstrom“ in
allem beim Stromtransport nach gungssicherheit der EU übersehen der mittelfristigen Perspektive
Europa noch einige Probleme zu werden. Zwar haben solarther- bis 2030 kaum verringert, da das
lösen gilt, müssen die finanziellen mische Kraftwerke den großen Vor- DESERTEC-Projekt angesichts der
und vor allem bisher kaum ana- teil gegenüber der herkömmlichen noch zu überwindenden tech-
lysierten sicherheitspolitischen Photovoltaik, Strom in Salzschmel- nischen und vor allem wirtschaft-
Probleme als die größten Hinder- zen speichern zu können, doch der lichen sowie politischen Probleme
nisse angesehen werden. Gerade Ausfall von 15 -20% der impor- wahrscheinlich erst in der länger-
in der Redundanz der zahlreichen tierten Stromlieferungen als Folge fristigen Perspektive 2030 -2050
Infrastrukturanlagen und bei den terroristischer oder elektronischer eine größere strategische Bedeu-
Kontrollzentren der de­z entralen Angriffe gegen die Hochspan- tung für die Regionalstaaten in
Erzeugerstrukturen dürften in nungsleitungen oder die Strom- Nordafrika sowie des Mittleren
den politisch instabilen Regionen kontrollzentren in Nordafrika hätte Ostens und vielleicht auch Europas
Nordafrikas und dem Nahen Osten katastrophale Auswirkungen in gewinnen wird.
die physischen und elektronischen Europa, da Strom bisher nicht wie
Öl und Gas strategisch in Europa

56
Herausforderungen
für die europäische
Fotomontage:
und deutsche Energiepolitik
Steinkohlenkraftwerk
Bexbach, Saarland
Die heimische Steinkohle im Zieldreieck der Energiepolitik
Die heimische Steinkohle und ihr wirtschaft in Deutschland (BDEW)
Beitrag zur Energieversorgung in „Die Bundesregierung leitet dem nannte es auf seinem Kongress
Deutschland sind seit je Gegen- Deutschen Bundestag bis späte- „Zukunft gestalten“ im Juni 2009
stand energiepolitisch begründeter stens 30. Juni 2012 einen Bericht „Eckpfeiler der deutschen Energie-
Entscheidungen und Rahmenset- zu, auf dessen Grundlage der wirtschaft“ ja sogar ein „energie-
zungen. 2007 wurden maßgebliche Deutsche Bundestag unter Be- politisches Grundgesetz“ und „auch
politische Weichenstellungen mit achtung der Gesichtspunkte der im kommenden Jahrzehnt die Basis
dem Beschluss zur sozialverträg- Wirtschaftlichkeit, der Sicherung für eine zukunftssichere Energiepo-
lichen Beendigung des subventio- der Energieversorgung und der litik“. Allerdings müssten die drei
nierten Steinkohlenbergbaus zum übrigen energiepolitischen Ziele Ziele in einer gegenseitigen Ba-
Ende des Jahres 2018 und dem prüft, ob der Steinkohlenbergbau lance gehalten werden, damit „wir
dazu in Kraft gesetzten Steinkohle- weiter gefördert wird. Der Stein- auch in Zukunft eine Energieversor-
finanzierungsgesetz vom 20. De- kohlenbergbau und die Industrie- gung haben…, die unsere Umwelt
zember 2007 vorgenommen. Die so gewerkschaft Bergbau, Chemie, und das Klima schont, die dauerhaft
genannte„Revisionsklausel“bein- Energie (IG BCE) werden ange- verfügbar ist oder sich gar erneuert
haltet, dass der Deutsche Bundes- hört. Dem Bericht sind Gutach- und die für uns bezahlbar bleibt“.
tag den Auslaufbeschluss bis 2012 ten anerkannter Wirtschaftsfor- Die drei zentralen Ziele gegenein-
noch einmal überprüft. Ausdrück- schungsinstitute zugrunde zu ander auszuspielen, so warnt der
lich benannt werden die Gesichts- legen und beizufügen.“ BDEW, führe in eine „energiepoliti-
punkte der Wirtschaftlichkeit und §1 Abs.2 Steinkohlefinanzierungs- sche Sackgasse“. Denn die energie-
die Sicherung der Energieversor- gesetz („Revisionsklausel“) vom politischen Ziele sind miteinander
gung. Dies erfordert eine volkswirt- 20. Dezember 2007 verwoben und erfordern einen
schaftliche Perspektive. Daneben gleichgewichtigen Ansatz, „was bei
allen anstehenden Entscheidungen
wird auf „übrige energiepolitische mit Bedacht und ehrlicherweise
Energiepolitische Ziele Ziele“ verwiesen. Vor allem dürften auch kommuniziert werden muss“.
hier die Umwelt- und Klimaver-
träglichkeit gemeint sein. Denn Geschieht das nicht, ginge also die
Ver- damit angesprochen wäre die Balance verloren, drohen zwangs-
sorgungs- dritte wesentliche Komponente des läufig negative Folgen sowohl für
sicherheit klassischen und nach wie vor auf die jeweils anderen Ziele als auch
nationaler wie europäischer Ebene für die gesamte Volkswirtschaft.
maßgeblichen Zieldreiecks der „Eine unterschiedliche Dehnung
Energiepolitik: Wirtschaftlichkeit, würde zu einer gefährlichen Schief-
Versorgungssicherheit und Um- lage führen, die letztlich nicht nur
weltverträglichkeit. die jeweils anderen Ziele gefähr-
Ausgewogener den, sondern auch das gesamte
Energiemix Die Bedeutung dieses Zieldreiecks energie- und volkswirtschaftliche
als Orientierungsrahmen für ener- Fundament zerstören könnte“, so
giepolitische Entscheidungen ist der BDEW. Ausdrücklich wird von
kaum zu überschätzen. Der Bundes- ihm beklagt, dass es in den letzten
Wirtschaft- Umwelt- verband der Energie- und Wasser-
lichkeit verträglichkeit

30-1_2009 21.09.09
58
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

besondere lokale und regionale


Absatzstruktur deutscher Steinkohle Probleme für bergbaubetroffene
Anwohner in Abrede zu stellen.
88,3 Mio. t SKE 19,5 Mio. t SKE Gleichzeitig wird der verbliebene
Steinkohlenbergbau in Deutschland
43% Stahlindustrie gemäß den hierzulande gelten-
den hohen Umweltstandards und
21%
11% Wärmemarkt Nachhaltigkeitsgrundsätzen für
2% bergbauliche Gewinnungstätigkei-
8% Andere 77%
ten durchgeführt.
38%
Kraftwerke Das Hauptproblem der heimi-
schen Steinkohle liegt bei ihrer
1980 2008 Wirtschaftlichkeit. Infolge der
geologischen Abbau- und anderen
Standortbedingungen sind hier-
zulande die Förderkosten höher
74o-2_2009
Jahren in der15.09.2009
deutschen Ener- von der Herkunft der jeweiligen als der Weltmarktpreis. Daher
giepolitik kein gleichschenkliges Energieträger – durch die zu ihrer besteht ein anhaltender Subventi-
Zieldreieck mehr gab. Vielmehr Nutzung eingesetzte Energietech- onsbedarf. Dass sich dies durchaus
sei die Ausrichtung zugunsten nologie bzw. deren Effizienz sowie auch einmal ändern kann, hat die
der Umwelt- und Klimaschutz- durch die konkreten klimapoliti- Hochpreisphase 2008 demons-
ziele verschoben worden. Dieses schen Vorgaben. In das seit 2005 triert: Dadurch kam auch der
Ungleichgewicht könnte auch die etablierte CO 2-Emissionshandels- deutsche Steinkohlenbergbau der
künftige Energiepolitik dominieren. system mit seiner Gesamtkontin- Wirtschaftlichkeitsgrenze nahe und
Die Wirtschaftlichkeit wie auch die gentierung der Emissionsrechte ist der Subventionsbedarf vermin-
Versorgungssicherheit könnten so fast der gesamte Steinkohlenver- derte sich zeitweise deutlich. Zu
ins Hintertreffen geraten. brauch in Deutschland einbezogen berücksichtigen sind zudem die im
– und damit auch der Verbrauch deutschen Subventionssystem von
Eingeordnet in das skizzierte Ziel- heimischer Steinkohle. So wird die den Förderkosten mitgetragenen
dreieck ergibt sich speziell für die Vereinbarkeit mit den Klimazielen außergewöhnlichen Belastungen,
heimische Steinkohle und ihre Zu- gerade im Kohlesektor vollständig etwa die Altlasten stillgelegter
kunft zweifellos ein differenzierter sichergestellt. Bergwerke und Stilllegungsauf-
Befund. Auch die energiepolitische wendungen. Zu bedenken ist auch,
Diskussion über die Steinkohle ist Bedauerlich ist, dass in letzter Zeit dass nur ein lebender Bergbau die
in jüngerer Zeit zunehmend von zumindest von Teilen der Öffent- Chance bietet, bei hinreichend
Klimagesichtspunkten dominiert lichkeit auch die Umweltverträg- gestiegenen Marktpreisen ggf. als
worden. Dabei ist die Vereinbarkeit lichkeit der Steinkohlengewinnung Grenzanbieter auch in Deutsch-
der Steinkohlenutzung mit den zunehmend in Frage gestellt wird. land wieder eine wirtschaftliche
klimapolitischen Zielsetzungen Tatsächlich gehen die Umwelt- Steinkohlenproduktion betreiben
allerdings eine Frage, die sich nicht auswirkungen des deutschen zu können. Eine volkswirtschaftli-
unmittelbar auf die heimische Steinkohlenbergbaus durch den che Betrachtung hat darüber noch
Steinkohle beziehen kann. Sie muss seit Jahrzehnten vollzogenen und anderes zu berücksichtigen:
beantwortet werden – unabhängig weiter laufenden Anpassungspro-
zess immer mehr zurück – ohne

59
- beispielsweise die positiven
technologischen „Spill-over- Hilfen des Bundes
Effekte“ für andere Wirtschaft- Maßnahmen infolge Finanzkrise in Mrd. €
sektoren,
- die regionalökonomische Bedeu-
tung des Steinkohlenbergbaus
für die Bergbaugebiete 61,0
- oder umgekehrt auch die fiskali-
Konjunktur- 480,0
schen Folgekosten einer völligen pakete Sonderfonds
Einstellung der Kohleförderung Finanzmarktstabilisierung
- und der damit verbundenen Subventionen des
Bundes* für 2008
erhöhten regionalen Arbeitslo- in Mrd. € 100,0
sigkeit. Bürgschaften
21,5 Gesamt
Die Einstellung der Steinkohlen- 1,9 davon
förderung kann dadurch für die Steinkohle
öffentlichen Hände insgesamt *) Subventionsbericht der Bundesregierung Quelle: nach Der Spiegel, 9/2009
teurer werden als die Fortführung.
Die Subventionsfrage relativiert neu_12-2_2009 06.10.2009
sich zugleich in Anbetracht des seit
den 1990er-Jahren eingeleiteten, men in Deutschland lag nach den mit 55 Mrd. € die Agrarhilfen, die
im westdeutschen Vergleich fast Untersuchungen des Instituts für Deutschland als größter Netto-
beispiellosen Subventionsabbaus Weltwirtschaft (IfW), Kiel, bereits zahler (2008: 8,8 Mrd. €) wesent-
bei der Steinkohle (Reduzierung 2007 unter 2%. Die zur Abfederung lich mitfinanziert. Der größte Emp-
bis 2009 um mehr als die Hälfte). der Wirtschafts- und Finanzkrise fänger ist Frankreich mit 10 Mrd. €,
Der Anteil der Steinkohlehilfen in den Jahren 2008 und 2009 in gefolgt von Spanien mit 7,1 Mrd. €
Haushalt der am gesamten Subventionsvolu- Deutschland eingesetzten Beihilfen und Deutschland mit 6,6 Mrd. €.
EU 2008 haben inzwischen die Subventions-
Größenordnungen in ganz andere Klare Pluspunkte beim Ziel Versor-
Dimensionen verschoben: fast gungssicherheit hat die deutsche
Ausgaben* nach Rubriken
500 Mrd. € für den Sonderfonds Steinkohle als heimische Ener-
Verwaltungsausgaben Sonstiges (1,4%)
zur Bankenrettung, 100 Mrd. € giequelle angesichts der hohen
„EU als globaler 5,5% Bürgschaftsrahmen für Rettungs- und zunehmenden Abhängigkeit
Akteur“ „Nachhaltiges
5,6% Wachstum“ maßnahmen in der Realwirtschaft, Deutschlands von Energieimporten.
„Bewahrung
gut 60 Mrd. € für weitere Finan- Richtig ist zwar, dass der Stein-
und Bewirt- 44,2% zierungshilfen in den Konjunktur- kohlenbergbau in seiner heutigen
schaftung der paketen. Größenordnung nur noch einen
natürlichen begrenzten Beitrag zur Energiever-
Ressource“:
Auch im EU-Kontext relativiert sorgung leisten kann. Aber auch
- Agrarhilfen 30,9%
sich die Bedeutung der Steinkoh- die Windkraft oder die inländische
lenbeihilfen deutlich. EU-weit Erdgasförderung leisten Versor-
12,4%
wurden bisher schon Beihilfen von gungsbeiträge in ähnlicher Höhe.
- Sonstiges in der Rubrik über 3 Bill. € zur Stabilisierung Die heimische Steinkohle erbringt
„Bewahrung und Bewirtschaftung…“
der Finanzmärkte verausgabt. Im indessen noch immer einen signi-
Quelle: EU-Haushalt 2008 - Finanzbericht * Verpflichtungs- Haushalt der Union dominieren
der Europäischen Kommission, 2009 ermächtigungen

Haushalt der EU 2008


neu_16-1_2009 29.09.2009
60
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

fikanten Beitrag zur Steinkohlen- risiken auch für kommende Genera- Darin enthalten sind zahlreiche
versorgung des deutschen Markts. tionen offen gehalten werden. Einzelmaßnahmen, die seither
Sie gewährleistet im Mix mit der schrittweise von der Großen
kostengünstigeren Importkohle ein Die Gesamtabwägung der energie- Koalition umgesetzt wurden. Die
messbar deutlich höheres Maß an politischen Vor- und Nachteile der Bezeichnung „Klima- und Energie-
Versorgungssicherheit als etwa heimischen Steinkohle und ihrer programm“ drückt allerdings tref-
Deutschlands Erdöl- und Erdgasver- Stellung im energiepolitischen fend aus, dass der Schwerpunkt
sorgung (siehe dazu etwa den un- Zieldreieck liegt bei den zuständi- dieses Programms bei klima-
ten dargestellten RWI-Risikoindex). gen politischen Entscheidungsträ- schutzorientierten Maßnahmen im
Darüber hinaus gewährleistet der gern. Sie wird allerdings dadurch Energiebereich liegt. Insbesondere
Steinkohlenbergbau den Zugang erschwert, dass es in Deutschland handelt es sich um Schritte zur
zu den großen heimischen Stein- nach wie vor kein energiepoliti- Energie- bzw. CO 2-Einsparung
kohlenvorkommen: Sie reichen bei sches Gesamtkonzept gibt – jeden- und zur Steigerung der Energie-
heutiger Förderung noch für meh- falls kein Gesamtkonzept, das allen effizienz sowie beim weiteren Aus-
rere Jahrhunderte und könnten als drei Zielen umfassend Rechnung bau der erneuerbaren Energien.
Option gegen künftige Weltmarkt- trägt. Viele andere wichtige energiepoli-
tische Fragen blieben jedoch weiter
offen – nicht zuletzt zur Vorsorge
Die Suche nach einem energiepolitischen für die künftige Energiesicherheit.
Der Anspruch eines energiepoliti-
Gesamtkonzept schen Gesamtkonzepts ist nach wie
vor nicht erfüllt worden.
Da ein energiepolitisches Gesamt- Diese Energiegipfel setzten sich
konzept fehlt, ist es auch nicht wie folgt zusammen: Vertreter der Dieses Manko belegen diverse
verwunderlich, dass in Deutschland Bundesregierung, der Energiewirt- Reaktionen aus der Wirtschaft. So
im „Superwahljahr 2009“ nicht schaft, der erneuerbaren Energien, haben die Industrie- und Handels-
nur zahlreiche Experten ein neues der industriellen und privaten kammern in Nordrhein-Westfalen
Energiekonzept oder eine natio- Stromverbraucher, der Gewerk- im Frühjahr 2009 ihre im engen
nale Energiestrategie gefordert schaften, der Energieforschung und Dialog mit der Wirtschaft in
haben. Vielmehr tauchten solche der Umweltorganisationen. Fach- NRW und mit wissenschaftlicher
Forderungen auch in fast allen lich begleitet wurden sie von einer Unterstützung erarbeiteten „Ener-
Wahlprogrammen auf; und die umfänglichen energiewirtschaftli- giepolitischen Positionen 2009“
für die Energiepolitik zuständigen chen und -politischen Bestandsauf- vorgelegt. Sie versuchen fundierte
Fachressorts legten jeweils eigene nahme sowie Szenarienrechnungen eigene Antworten auf eine Reihe
Vorschläge dazu vor. durch die zuständigen Ministerien der weiterhin offenen Fragen der
und kompetente Institute. Ergebnis deutschen Energiepolitik zu geben.
Im Jahr 2006 gab Bundeskanzlerin dieser Gipfelberatungen waren Um zu einer kostengünstigen und
Angela Merkel in der Großen Koa- grundsätzliche konzeptionelle zukunftsfähigen Energieversorgung
lition den neuerlichen Startschuss Überlegungen mit unterschiedlicher in NRW zu gelangen, schlagen die
zur Entwicklung eines energiepoli- Konsensbreite. Auf dieser Basis Industrie- und Handelskammern
tischen Gesamtkonzepts, das 2006 beschloss die Bundesregierung in NRW u. a. folgende Schritte
und 2007 in drei Runden eines so noch im Jahr 2007 ein Integriertes vor: zügiger Ausbau der Netz- und
genannten Energiegipfels erörtert Klima- und Energieprogramm (kurz: Kraftwerkskapazitäten, stärkerer
wurde. IKEP) ihr so genanntes Meseberg- Wettbewerb in der leitungsge-
Paket – dies wurde im Kapitel
Klima und Umwelt dargestellt.

61
Energiepolitische Konzepte 1973 bis 2001

In Deutschland wird schon seit langem um ein gab es zudem (im Ergebnis weitgehend erfolglose)
energiepolitisches Gesamtkonzept gerungen. Jede politische Gespräche über einen partei- und bundes-
nationale Energiepolitik muss dabei auch den europä- länderübergreifenden Energiekonsens.
ischen und internationalen Rahmenbedingungen und
Herausforderungen angemessen Rechnung tragen. Im Jahr 2000 folgte ein Energiedialog der nun rot-
Bereits 1973 hatte die damalige Bundesregierung grünen Bundesregierung mit relevanten gesellschaft-
ein erstes nationales Energieprogramm aufgestellt. lichen Gruppen sowie eine Enquete-Kommission
Es wurde unter dem Eindruck der ersten globalen des Bundestags zu Fragen der Zukunft der Energie-
Ölkrise und den dadurch ausgelösten tiefgreifenden versorgung. Das Bemühen um ein einvernehmliches
Veränderungen der Weltenergiemärkte überarbeitet Energieprogramm scheiterte jedoch erneut. Gleich-
und mehrfach fortgeschrieben. In den 1980er-Jahren wohl nahm die rot-grüne Bundesregierung eine ganze
verlor es aber nach einem Regierungswechsel und un- Reihe von neuen energiepolitischen Weichenstel-
ter dem Eindruck entspannterer Verhältnisse auf den lungen vor: etwa die Einführung der Ökosteuer, das
Weltenergiemärkten die Anerkennung als Richtschnur Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) oder das Gesetz
für die deutsche Energiepolitik. über den Atomausstieg. 2001 legte das Bundeswirt-
schaftsministerium einen weiteren Energiebericht vor
Es folgte daraufhin in der deutschen Energiepolitik („Nachhaltige Energiepolitik für eine zukunftsfähige
ein Vierteljahrhundert, in dem es diverse Energiebe- Energieversorgung“), der verschiedene programmati-
richte der Bundesregierung gab: So etwa 1991 den sche Optionen aufzeigte und dazu eigene Empfehlun-
Bericht „Energiepolitik für das vereinte Deutschland“, gen abgab. Ein umfassendes neues Energieprogramm
der den Anspruch eines energiepolitischen Gesamt- der Bundesregierung ließ sich aber nicht erreichen.
konzepts erhob. Er beschränkte sich allerdings im Der Grund dafür war vor allem der koalitionsinterne
Wesentlichen darauf, bestehende bzw. bereits ein- Ressortkonflikt über die Ausrichtung der Energiepo-
geleitete Maßnahmen der Energiepolitik im Zusam- litik zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium.
menhang darzustellen und allgemeine Leitlinien ohne Er hat sich seither fortgesetzt und blieb auch in der
konkrete Ziele zu formulieren. In den 1990er-Jahren 2005 gebildeten Großen Koalition ungelöst.

62
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

bundenen Energieversorgung zulande einen breiten Energiemix.


und erleichterte Marktzutritte, Diese Forderung setzt auch der
Senkung von Zusatzbelastungen BDI an erste Stelle. Alle Energie-
für die deutsche Wirtschaft bei ressourcen – fossil, regenerativ
den Strom- und anderen Ener- und nuklear – werden nach seiner
giepreisen aufgrund klima- und Auffassung weiter benötigt. Dazu
energiepolitischer Regelungen, müssten heimische Energiequellen
systematischer Ausbau von Infor- genutzt, Importe diversifiziert und
mationen für Energieeffizienz und neue Energiequellen erschlossen
breiter angelegte und gestärkte werden. In seinem Positionspapier
weit gefächerte Energieforschung. „Industrieland Deutschland stär-
Außerdem müsse eine moderne ken“ vom Juli 2009 fordert der BDI
Energiepolitik auch künftig auf noch einmal, ein „ganzheitliches
einen breiten Energiemix setzen, Energiekonzept (zu) realisieren“, die
in den die Industrie- und Handels- drei zentralen energiepolitischen
kammern die Kernenergieoption Ziele „gleichrangig“ zu behandeln
weiterhin einbezogen wissen und u. a. die „Versorgungssicher-
wollen. Erster „Meilenstein“ dieser heit durch Nutzung heimischer
„Energiepolitischen Positionen und Energiepolitik inzwischen Energierohstoffe (zu) verbessern“.
2009“ ist für die IHKs der stärkere entscheidende Weichenstellungen
Einsatz heimischer Energieträger, eingeleitet worden sind. Deren Innerhalb der Großen Koalition
um so die Importabhängigkeit der weitere Ausgestaltung müsse ist unterdessen durchaus intensiv
Energieversorgung zu verringern. jedoch wirtschaftspolitisch ausge- nach Antworten gesucht worden,
Dazu sollen alle Optionen auf wogener erfolgen, um den Indus- dem konzeptionellen Defizit in der
heimische Energieträger gesichert triestandort Deutschland und seine Energiepolitik zu begegnen. Das
werden. Speziell zur heimischen Arbeitsplätze nachhaltig sichern zu Bundeswirtschaftsministerium
Steinkohle heißt es: „Auch die können. Das Ziel des Klimaschutzes (BMWi) hat eine Projektgruppe
Steinkohle muss – als in NRW ver- müsse dafür mit den Zielen Versor- „Energiepolitisches Programm“
fügbare Ressource und mit Blick auf gungssicherheit und Wirtschaft- (PEPP) eingesetzt, in der Fachleute
die steigenden Energiepreise – als lichkeit „in einen angemessenen Handlungsleitlinien für die künftige
ernsthafte Option Berücksichtigung Ausgleich“ gebracht werden. Dabei deutsche Energiepolitik erör-
finden.“ gehe es nicht nur um die Kosten- tert und formuliert haben. Erste
effizienz der Klimaschutzmaßnah- Vorschläge wurden im Herbst 2008
Ganz ähnliche Positionen hat men. Gleichermaßen betrachtet veröffentlicht. Darin wurden die
der Bundesverband der Deut- werden müssten auch die Höhe der Anforderungen an ein energiepoliti-
schen Industrie (BDI) in seinen Energiekosten und ihre Auswirkun- sches Programm analysiert und ein
zu Jahresbeginn 2009 erhobenen gen auf die Wettbewerbsfähigkeit besonderes Augenmerk auch auf
„energiepolitischen Kernforderun- der Industrieproduktion in Deutsch- die Herausforderungen der Roh-
gen“ vertreten. Darin betont der land, die nötige Modernisierung stoffsicherheit gelegt. Im Februar
BDI: „Das im Koalitionsvertrag (der der Energieinfrastruktur und die 2009 hat die PEPP sodann „zehn
Großen Koalition) angekündigte Sicherheit der Energieversorgung. langfristige Handlungsleitlinien für
energiepolitische Gesamtkonzept Sie erfordere vor dem Hintergrund die künftige Energieversorgung in
fehlt bislang“, auch wenn in der des global wachsenden Energiebe- Deutschland“ vorgelegt. Inhaltlich
deutschen und europäischen Klima- darfs und der dadurch steigenden
internationalen Nachfragekonkur-
renz auf den Energiemärkten hier-

63
empfohlen wird in diesen Hand-
lungsleitlinien im Wesentlichen Leitsätze der BMU-Roadmap Energiepolitik 2020
eine „technologieoffene Energie-
politik … mit einer geschlossenen 1. Wir werden die Energieversorgung dauerhaft sicherstellen.
Verbindung von energiepolitischen 2. Wir werden unsere Energiekosten senken und 500.000 neue Arbeits-
Zielen, einem entsprechenden plätze schaffen.
Ordnungsrahmen und einer dazu
3. Wir werden mehr als 30% des Stroms aus erneuerbaren Energien
passenden Anreizstruktur“. Beson-
gewinnen.
ders betont wird dabei die Geltung
des Zieldreiecks der Energiepolitik: 4. Wir werden den Atomausstieg bis 2022 umsetzen.
Wirtschaftlichkeit, Versorgungs- 5. Wir werden 40% des Stroms aus hocheffizienten Kohlekraftwerken
sicherheit, Umweltverträglichkeit. bereitstellen.
Darüber hinaus müsse die langfris- 6. Wir werden eine bundesweite Netzgesellschaft gründen und unser
tige Verlässlichkeit der strategi- Stromnetz umweltverträglich und effizient ausbauen.
schen Leitlinien gewahrt werden.
7. Wir werden unseren Stromverbrauch um 11% senken.
Die PEPP-Analyse erwartet in den 8. Wir werden den fossilen Wärmebedarf um mindestens 25% senken
nächsten Jahrzehnten eine starke und die Kraft-Wärme-Kopplung auf 25% verdoppeln.
Veränderung der Energieversor- 9. Wir werden unsere Emissionen im Verkehr um mindestens 20% senken.
gungsstrukturen in Deutschland, 10. Wir werden die internationalen Klimaverhandlungen zum Erfolg führen.
in Europa und der Welt. Die
globalisierten Energiemärkte
würden sich „immer stärker auf das
energieimportabhängige Deutsch- Diese Leitlinien sind allerdings von technologien in den nächsten
land auswirken, was besonderer der PEPP recht abstrakt formuliert Jahrzehnten weiterhin Eckpfeiler
Anstrengungen bedarf, um eine worden. Sie liefern auch in den der Energieversorgung bleiben.
wettbewerbsfähige Energiever- inhaltlichen Erläuterungen nur Erst in langfristiger Perspektive
sorgung am Standort Deutschland sehr grobe Orientierungshilfen könnten die erneuerbaren Energien
zu gewährleisten“. Treiber der für die Energiepolitik. Etliche diese tragende Rolle übernehmen.
Veränderungen seien „steigende Punkte, die etwa von den Indus- Bis dahin sollten die fossilen
Energiepreise, der Klimawandel trie- und Handelskammern in NRW Energieträger durch Steigerung
sowie der wachsende Wettbewerb konkret angesprochen worden der Wirkungsgrade bzw. Erhöhung
um zunehmend knappere und sind, bleiben außer Betrachtung. der Umwandlungseffizienz sowie
teurere Energierohstoffe“, ferner Generell hervorgehoben wird in die Entwicklung und Verbreitung
technologische Veränderungen den PEPP-Vorschlägen indessen der CCS-Technologie schrittweise
und die Wettbewerbsprozesse vor das „begrenzte Zeitfenster, um „dekarbonisiert“ werden.
allem im Stromsektor. Unabhängig unser gesamtes Energiesystem
von unterschiedlichen Technolo- zukunftsfähig zu machen“. Dazu Außerdem empfiehlt die PEPP eine
gie- und Marktszenarien könnten müssten nicht nur die Energie- Energie- und Klimapolitik „aus
die wesentlichen Elemente für effizienz massiv erhöht, sondern einem Guss“. In einem „integrativen
eine zukünftige Energieversorgung auch die Nutzung fossiler Energien Ansatz (sollte) die Verantwortlich-
schon heute klar bestimmt und da- optimiert und die Kernenergie als keit für die Energiepolitik konzen-
rauf gerichtete Handlungsleitlinien „Übergangstechnologie“ genutzt triert und die bestehende Vielstim-
definiert werden. werden. Auch alle anderen kon- migkeit aus energiepolitischen
ventionellen Energieträger (wie Szenarien und Idealvorstellungen
die Kohle) würden als Übergangs-

64
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

in wenigen Handlungsleitlinien Energie“ im Februar 2009. Dort wird in der Roadmap als weiterhin
gebündelt werden“. Gebündelt und sollte ein Konzept für eine „kli- „wichtig“ eingestuft und für 2020
gestrafft werden sollen insbeson- mafreundliche, sichere und preis- auf 40% beziffert (davon 19%
dere auch die vielfältigen staatli- günstige Energieversorgung ohne Steinkohle). Anteilsmäßig ginge
chen Finanzinterventionen im Ener- Atomstrom“ entworfen werden. Die er gegenüber heute (2008: 44%)
giebereich (einschließlich etwa der Leitsätze fassen in erster Linie bis nur etwas zurück, allerdings bei
Hilfen für den Steinkohlenbergbau dahin bestehende Teilziele zusam- einem dann zielgemäß reduzierten
über die Ökosteuer bis zum EEG). men. Gesamtstromverbrauch. Notwen-
Zwar fällt der Begriff „Energiemi- dig sei, die Kohle wie alle fossilen
nisterium“ in den PEPP-Vorschlägen Kern dieser Roadmap ist die Energieträger möglichst effizient
nicht. Jedoch sind die Vorschläge „Doppelstrategie“ des Ausbaus einzusetzen.
in der Öffentlichkeit und auch von der erneuerbaren Energien so-
Mitgliedern des Expertengremiums wie der weiteren Steigerung der Als Voraussetzung in der Strom-
selbst so interpretiert worden, dass Energieeffizienz. Beim Ausbau der erzeugung wird dafür der Bau und
sie die Einrichtung eines (Bundes-) erneuerbaren Energien sei zwar Einsatz „hocheffizienter Kohle-
Energieministeriums empfehlen. schon Vieles erreicht oder auf den kraftwerke“ angesehen. Gestei-
Es sollte die energiepolitischen Weg gebracht worden. Hingegen gert werden ihre Wirkungsgrade
Kompetenzen aus dem bisherigen bestehe auf dem Weg nach 2020 mit der Verbreitung der heute
Wirtschaftsministerium, aber auch der größere akute Handlungsbedarf verfügbaren Spitzentechnik (45%
aus dem Umweltministerium und bei der Steigerung der Energieef- Wirkungsgrad) und durch weitere
anderen Ressorts (Forschung, Bau fizienz. Auch die Kohle (Steinkohle Forschung und Entwicklung (Ziel
etc.) übernehmen und auf sich ver- und Braunkohle) hat und behält für die Wirkungs­grade nach 2010:
einen. In Politik und Wirtschaft war ihren Platz in diesem Konzept. mehr als 50%). Außerdem soll die
das erste Echo geteilt. In der neuen Ihr Anteil an der Stromerzeugung Kraft-Wärme-Kopplung auch auf
Legislaturperiode dürfte speziell
dieser Vorschlag lebhaft diskutiert
werden.
Entwicklung der Stromerzeugung in Deutschland
Das BMWi stellte also durch die
nach BMU-Szenario „Roadmap 2020“
PEPP allgemeine Leitlinien für TWh
ein energiepolitisches Programm 700
nebst einem institutionellen 621 639
600 Sonstige
Reformvorschlag zur Diskussion.
Regenerative 542
Fast zeitgleich präsentierte das 500
Bundesumweltministerium (BMU) Erdgas
zehn energiepolitische Leitsätze in 400
Verbindung mit einem konkreten Kernenergie
Szenario zu deren Umsetzung im 300
Bereich der Stromerzeugung bis
2020. Vorgestellt wurde diese 200 Braunkohle
„Roadmap Energiepolitik 2020“
100
vom BMU als „seriös durchgerech-
22% 20% Steinkohle 20%
nete Handlungsanweisung für die 0
vor uns liegenden energiepoliti-
2005 2008 2020
schen Herausforderungen“ auf der Quellen: AGEB, 2009; Prognose: BMU, 2009; Szenario „Roadmap 2020“
Konferenz „Neues Denken – neue
neu_06-2_2009 17.09.2009

65
Auf europäischer Ebene ist die
Stromerzeugung in der EU-27 Energiepolitik in den letzten Jahren
Mio. GWh ebenfalls verstärkt thematisiert
5,0 worden, ohne dass ein wirkliches
4,5 Gesamtkonzept zustande gebracht
4,4
4,1 worden wäre. Anfang 2007 hatte
4,0 die Europäische Kommission ein
3,5 3,4 umfangreiches Vorschlagspaket für
3,0 Wasserkraft und eine „Energiepolitik für Europa“ zur
sonstige Energien Diskussion gestellt. Daraufhin hat
2,5 der Europäische Rat im Frühjahr
Kernenergie
2,0 2007 seine nunmehr als ener-
giepolitische Vorgaben gültigen
1,5
Gas „20-20-20-Ziele“ beschlossen: Bis
1,0 zum Jahr 2020 sollen die CO 2-Emis-
Öl
35% 35% sionen und der Energieverbrauch
0,5 30% Kohle
der EU um 20% reduziert werden,
0
während der Anteil der erneuerba-
2008 2020 2030
Prognose: EU-Kommission, 2008; Baseline-Szenario
ren Energien auf 20% ausgebaut
werden soll. In der Umsetzung der
72u-2_2009 17.09.2009 Zielvorgaben des Rats ist Ende
2008 sodann das neue Klimapaket
Kohlebasis ausgebaut werden, um unter den absehbar schwierigen der EU beschlossen worden. Wie
den Brennstoff optimal zu nutzen. wirtschaftlichen wie energie- und sein Name besagt, umfasst es in
Dazu müssten allerdings noch zu- klimapolitischen Rahmenbedingun- erster Linie klimapolitische Maß-
sätzliche „Wärmesenken“ erschlos- gen tatsächlich sichergestellt und nahmen: etwa die Novellierung des
sen werden. Die CCS-Technolo­gien etwa ein größerer „Fuel Switch“ CO 2-Emissionsrechtehandelssys-
seien dagegen eine „wichtige zum Erdgas verhindert werden tems in der EU ab 2013, die neue
Minderungsoption“ vor allem für kann. Auch zur heimischen Kohle EU-Richtlinie über erneuerbare
die Zeit „nach 2020“. Als „Vision wird nichts gesagt. Es wird nur Energien oder die neue europäische
für 2030“ wird jedoch formuliert, darauf hingewiesen, dass wesent- CCS-Richtlinie. Es wird deshalb
dass dann die „Hälfte aller Kohle- liche Signale für die Modernisie- auch nur „Green Package“ genannt.
kraftwerke mit CCS-Technologie rung des Kohlekraftwerksparks Die Herausforderungen für die
betrieben wird“. vom Emissionshandel sowie von Wirtschaftlichkeit und Sicherheit
einer endgültigen Bestätigung des der Energieversorgung Europas
Anders als die PEPP-Leitlinien des Atomausstiegs ausgehen sollen. sind von diesem Klimapaket aber
BMWi hat die Roadmap des BMU nur am Rand erfasst (und teilweise
also auch quantifizierte Zielvor- In letzter Zeit wurde also innerhalb eher vergrößert) worden – ge-
stellungen formuliert. Über die der Bundesregierung durchaus ein schweige denn, dass sie gelöst
gesamtwirtschaftlichen Kosten und energiepolitisches Gesamtkon- werden konnten.
Preisbelastungen macht sie jedoch zept gesucht, das über vorrangig
nur selektive Angaben. Es wird klimapolitische Zielsetzungen hin- Dies hat auch die Europäische Kom-
kaum erörtert, wie der für 2020 ausgeht. Es gibt jedoch bisher nur mission erkannt. Sie hat deshalb
gewünschte Beitrag der Kohle wenige belastbare Antworten und bereits mit ihrem „Second Strate-
noch dazu solche, die in verschie- gic Energy Review“ vom November
dene Richtungen weisen.

66
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

2008 einige Herausforderungen für künftige Bedeutung der heimischen dieser Konflikt noch immer nicht
die Versorgungssicherheit ange- Energiequellen herausgearbeitet vollständig beigelegt werden.
sprochen. Ihre eigenen Szenarien, und hinreichend beleuchtet. Erst Experten aus der Gaswirtschaft
wie das auf strengere klimapoliti- auf einer dergestalt gründlicher halten daher Lieferunterbrechun-
sche Zielvorgaben ausgerichtete untersuchten Basis soll bis Ende gen auch im Winter 2009/2010 für
„New Energy Policy Scenario“, 2010 eine neue Energiepolitik möglich. Auf europäischer Ebene
belegen: Ein rein umweltpolitisch für Europa mit Zeithorizont bis sind deswegen schon Notfallpläne
orientiertes Umsteuern in der 2030 umfassend konzipiert, durch beraten worden.
Stromerzeugung führt dazu, dass Aktionspläne unterlegt und mit
Kohle und Kernenergie in den einer energiepolitischen „Vision“ Selbst wenn diese konkrete
Hintergrund gedrängt werden. Er- bis 2050 verknüpft werden. Eine Bedrohung nicht gegeben wäre,
neuerbare Energien dagegen, aber europäische Energiestrategie muss muss jede Energiepolitik in Europa
auch Erdgas würden durch massi- die Aspekte Versorgungssicherheit künftig mehr tun, um die Energie-
ven Zubau der Kapazitäten statt und Wirtschaftlichkeit einbezie- versorgungssicherheit zu gewähr-
dessen EU-weit die ersten Ränge hen und darf die strategische leisten bzw. dementsprechende
in der Stromerzeugung einnehmen. Bedeutung eigener Reserven nicht Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen.
Mit einem wachsenden Erdgas- vernachlässigen. Wie notwendig Denn sobald der EU-Reformvertrag,
anteil an der Stromerzeugung dies ist, hat zum Jahreswechsel der „Vertrag von Lissabon“, in
würde sich jedoch unweigerlich die 2008/2009 der erneute Erdgaskon- Kraft tritt, gilt mit ihm sein neues
ohnehin große Abhängigkeit der flikt zwischen Russland und der Energiekapitel (Artikel 194 AEUV).
europäischen Energieversorgung Ukraine deutlich gemacht. Dieser Es verlangt gemäß Absatz 1, dass
von dritten Ländern vergrößern Konflikt führte mitten in einem die Energiepolitik der Union „im
– insbesondere von Russland. eiskalten Winter für fast zwei Wo- Geiste der Solidarität zwischen
Deshalb hat die Kommission eine chen praktisch zu einem Embargo den Mitgliedstaaten“, im Rah-
Reihe von Initiativen gestartet, mit für den Großteil der russischen men des Binnenmarkts und unter
denen auch der Problematik der Erdgaslieferungen in die EU und Berücksichtigung der Umweltziele
zunehmenden Abhängigkeit der eu- andere benachbarte Staaten. Auch folgende energiepolitischen Ziele
ropäischen Energieversorgung von Teile von Deutschland waren davon verfolgt:
dritten Ländern besser Rechnung betroffen. In einigen europäischen
getragen werden soll. Ländern brach ein Energienotstand - Sicherstellung des Funktionie-
aus. Diese Krise hat insgesamt zu rens des Energiemarkts;
In diesem Kontext hat die Kommis- einer „extrem ernsten Lage“ der - Gewährleistung der Energiever-
sion auch den Vorschlag gemacht, Energieversorgung geführt (EU- sorgungssicherheit in der Union;
die noch verfügbaren heimischen Kommission). Dieser Konflikt hat - Förderung der Energieeffizienz
Energieressourcen künftig best- nachdrücklich die möglichen Folgen und von Energieeinsparungen
möglich zu nutzen – eine Zielset- der großen Energieabhängigkeit sowie
zung, der sich daraufhin auch der Europas von Russland aufgezeigt. - Entwicklung neuer und erneuer-
Rat angeschlossen hat. Zunächst Das gilt für Deutschland nicht barer Energiequellen und
soll dazu eine genauere Bestands- minder. Die Beratungsgesellschaft - Förderung der Interkonnektion
aufnahme der EU-eigenen Energie- A. T. Kearney übertitelte vor der Energienetze.
reserven und -ressourcen erfolgen diesem Hintergrund eine Studie
– einschließlich der „substanziel- zur Erdgasversorgungssituation Beschlüsse dazu werden gemäß
len“ Kohlevorräte der EU. Anschlie- der EU: „Russland am Gashahn – dem Vertrag mit qualifizierter
ßend werden die gegenwärtige und Europa friert“. Trotz intensiver Mehrheit gefasst, solche steuerli-
diplomatischer Bemühungen konnte

67
cher Art weiterhin nur einstimmig. „die Bedingung für die Nutzung stehen – nämlich die Kernkraft
Bei „gravierenden Schwierigkeiten ihrer Energieressourcen, die Wahl und die erneuerbaren Energien –
in der Versorgung mit bestimmten zwischen verschiedenen Energie- machen zusammen einen Anteil
Waren, vor allem im Energie- quellen und die allgemeine Struktur von weniger als 20% des Primär-
bereich“, kann der Ministerrat ihrer Energieversorgung selbst zu energieverbrauchs aus. Der Großteil
gemeinschaftlich auch noch zusätz- bestimmen“. Die Sicherung der der Primärenergieversorgung, über
liche, der Wirtschaftslage ange- Primärenergieversorgung obliegt 80%, entfällt nach wie vor auf
messene Maßnahmen beschließen daher in der EU auch künftig den Mineralöl, Erdgas, Steinkohle und
(Art. 122 AEUV). Erinnerungen an Mitgliedstaaten. Sie sind indes Braunkohle. Deren versorgungspo-
die Montanunion werden wach. dem Ziel als solchem verpflichtet. litische Bedeutung wird jedoch in
Es gelten allerdings auch künftig So tragen sie dafür aber gegenüber der Öffentlichkeit weitaus weniger
geteilte Zuständigkeiten. Die der gesamten Union die Verant- wahrgenommen. Vielmehr werden
Mitgliedstaaten sind daher zwar wortung und haben eine Solida- sie als „fossile“ Energieträger vor
den gemeinsamen energiepoliti- ritätspflicht, auch und gerade allem in die klimapolitische Kritik
schen Zielen verpflichtet. Art. 194 im Hinblick auf ihre jeweiligen gestellt.
Abs. 2 AEUV stellt aber klar, dass Energieressourcen einschließlich
sie auch künftig das Recht haben, der Kohlevorkommen. Von manchen Medien wird mitun-
ter der Eindruck erweckt, Energie
würde in Deutschland wenig effi-
Gegenwärtige Situation und Trends zient eingesetzt, wenn nicht sogar
ziemlich hemmungslos vergeudet.
der deutschen Energieversorgung Speziell der Kohleverbrauch würde
hierzulande nicht vermindert und
Die Primärenergieversorgung Mineralöl- und Erdgasimporte, die CO 2-Emissionen kaum ge-
Deutschlands kennzeichnet ein zunehmend auch Importsteinkohle. bremst. All das ist unzutreffend.
nach wie vor relativ breiter Ener- Berücksichtigt man die auf Uranim- Der Primärenergieverbrauch (PEV)
gieträgermix mit einem hohen und porte angewiesene Kernenergie als Deutschlands wächst gemessen
wachsenden Grad der Importab- „quasi-heimische Energiequelle“, am Wirtschaftswachstum schon
hängigkeit. Importenergien decken reduziert sich die Importabhän- seit langem nur noch moderat. Die
Primärenergie- inzwischen über 70% des Primär- gigkeit auf gut 60%. Heimische „Entkopplung“ von Wirtschafts-
verbrauch in energieverbrauchs – vor allem Kohle lieferte 2008 einen Versor- wachstum und Stomverbrauch setzt
Deutschland gungsbeitrag von 15% (Braunkohle: sich immer weiter fort. Maßgeblich
11%, Steinkohle: 4%), erneuerbare dafür sind die Fortschritte bei der
Mio t SKE 2008: 477,8 Mio. t SKE Energien von 7%, die inländische gesamtwirtschaftlichen Energie-
175 Öl- und Gasförderung sowie sonsti- produktivität. Wie die Arbeitsge-
166 ge Energieträger von rund 5%. meinschaft Energiebilanzen (AGEB)
150 Braunkohle ermittelte, nahm die Energiepro-
125 Steinkohle Betrachtet man die Gesamtstruk- duktivität in Deutschland bei einem
116 tur der Primärenergieversorgung PEV-Zuwachs von 1% temperatur-
100 106
in Deutschland und vergleicht sie und lagerbestandsbereinigt 2008
75 53 mit den aktuellen energiepoliti- um rund 3% zu. Dies lag deutlich
schen Debatten, so fällt folgendes über dem seit 1990 feststellbaren
50 55
auf: Die beiden Energiequellen, Durchschnittswert der Zuwachsrate
35 die am stärksten im Mittelpunkt von 2%, womit die Energieproduk-
25
63 der öffentlichen Aufmerksamkeit
0
Mineralöl Kohle Erdgas Kern- Wasser u.
energie Sonstige
6834-1_2009 15.09.09
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

tivität schon schneller als die Wirt- Im Jahr 2009 ist rezessionsbedingt
schaftsleistung gewachsen war. mit einem deutlichen absoluten 2008: 639,1 TWh
Anders gesagt: Die Energieeffizienz PEV-Rückgang zu rechnen. Im Sonstige
hierzulande ist 2008 wie schon in ersten Halbjahr lag er bei etwa Wasser
den Vorjahren erheblich gesteigert 6%. Davon waren fast alle Energie- 8%
worden. Das bedeutet keineswegs, träger betroffen, am stärksten die Wind 4%
dass alle Effizienzpotenziale im Steinkohle mit einem Verbrauchs- 6% 24% Braunkohle
Energiebereich voll erschlossen rückgang von 22%. Lediglich der Erdöl 2%
sind. Ob aber die großen Erwar- Mineralölverbrauch nahm haupt-
tungen an eine weitere Steigerung sächlich aufgrund der gesunkenen
der Energieeffizienz oder gar an Heizölpreise sogar noch um 1%
Erdgas 13%
eine „Effizienzrevolution“ in den zu. Letzteres zeigt, wie sehr die
nächsten Jahren und Jahrzehnten Trends beim Energieverbrauch 20%
Steinkohle
erfüllbar sind, bleibt zumindest neben exogenen Faktoren wie der
fraglich. Realistischerweise sollten Wirtschafts- und der Tempera- Kernenergie
23%
kleinere Fortschritte bzw. eher turentwicklung von den relativen
eine Evolution der Energieeffizienz Veränderungen bei den Energieprei-
angenommen werden. sen beeinflusst werden, die sich Stromerzeugung in Deutschland
seit 2008 sehr turbulent entwickelt 54-1_2009 17.09.200 Stromerzeugung
haben. Niveaueinbruch gegeben. Er dürfte in Deutschland
durch den nächsten Wirtschafts- 2008
Die CO 2-Emissionen sanken in aufschwung wieder korrigiert
Deutschland 2008 sogar trotz der werden. Längerfristige Entwick-
leichten PEV-Zunahme und erreich- lungen auf der Verbrauchsseite
ten den tiefsten Stand seit 1990 werden den Stromverbrauch künftig
(mit einer Gesamtminderung von eher nach oben treiben. Zu nennen
rund 22%). Die CO 2-Emissionen wären etwa die Ausbreitung der
aus der Kohlenutzung sind dabei im elektronischen Informations- und
Vergleich der Energieträger bislang Kommunikationstechnologien, der
weit überproportional zurückgegan- Trend zu dezentraleren Erzeugungs-
gen (seit 1990 um 39%), während strukturen, der Ausbau der Wär-
sie beim Öl nicht so stark rückläufig meversorgung aus KWK-Anlagen,
sind (- 19%) und beim Erdgas gar Fortschritte in der Nutzbarkeit der
zugenommen haben (+ 43%). Wasserstofftechnologie oder auch
das mittlerweile viel beschworene
In der deutschen Stromerzeugung Wachstumspotenzial der Elektro-
zeichnen sich weniger Niveau- als mobilität. Und dies steht nicht im
vielmehr Strukturveränderungen Widerspruch zu dem Ziel, Energie
ab. Zwar hat es durch die kon- insgesamt noch effizienter zu nut-
junkturelle Talfahrt der deutschen zen. Umso dringlicher wird es, für
Volkswirtschaft und den enormen die Stromerzeugung in Deutschland
Stromverbrauchsrückgang gerade eine langfristig verlässliche Basis
in der deutschen Industrie in der sicherzustellen.
ersten Jahreshälfte auch hier einen
– allerdings nur zeitweisen –

69
Die veränderten klima- und ener- haben also seit 2000 ihren Anteil risiken beim Erdgas höher sind
giepolitischen Weichenstellungen verdoppelt. Diese Parallelentwick- als bei der Kohle. Der bisher sehr
der letzten Jahre haben demgegen- lung ist nicht ganz zufällig erfolgt ausgewogene Primärenergiemix
über gerade im Elektrizitätssektor und dürfte sich fortsetzen. Denn zur in der deutschen Stromerzeugung
manche Planungsunsicherheiten Absicherung einer stetigen Versor- verändert sich also merklich. Er
erzeugt. Die mit ihnen verbundenen gungsleistung der erneuerbaren könnte sich schon in absehbarer
Strukturveränderungen haben Energien werden Kapazitäten an Zukunft auf eine immer schmalere
zugleich erhebliche versorgungs- Reserve- und Regelenergie benö- Basis an Energieträgern bzw. -quel-
politische Konsequenzen. Denn die tigt. Wirtschaftlich günstiger ist len verengen. Für die Sicherheit
im Hinblick auf die Sicherheit der dazu der Zubau von weniger kapi- der Primärenergieversorgung und
Stromversorgung in Deutschland talintensiven Erdgaskraftwerken, der Stromerzeugung ist das keine
tragenden und bislang in hohem auch wenn die Preis- und Liefer- positive Entwicklung.
Maß verlässlichen Beiträge von
Kohle und Kernenergie gehen
immer mehr zurück. 2008 entfielen
in der Stromerzeugung Anteile von
Staatliche und marktbestimmte Entwicklungen
knapp 44% auf die Kohle (Braun- der Energiepreise
kohle: 24%, Steinkohle: 20%)
sowie 23% auf die Kernenergie. Im Erstaunlich wenig öffentliche Be- Kohlesteuer und andere Energie-
Jahr 2000 lagen diese Anteile noch achtung findet in Deutschland noch steuern noch um eine CO 2-Kom-
bei 51% Kohle (Braunkohle: 26%, immer der große Einfluss staatli- ponente zu erweitern und damit
Steinkohle: 25%) sowie knapp 30% cher Maßnahmen auf die Energie- weiter anzuheben. Allerdings muss
Kernenergie. Zusammengenommen preise. Das gilt auch für die längst dafür Einstimmigkeit im Ministerrat
hat sich der Anteil von Kohle und bestehenden politischen Belastun- erreicht werden. Der Kohlever-
Kernenergie an der Stromerzeugung gen und Einschränkungen für den brauch in der Stromerzeugung und
in Deutschland seit dem Jahr 2000 Verbrauch fossiler Energieträger. der Stahlproduktion unterliegt
um fast ein Fünftel verringert. Sie schlagen sich in entsprechend dagegen wie der Verbrauch anderer
erhöhten Energiepreisen nieder. So fossiler Energieträger in Ener-
Ein starker und anhaltender Zu- ist die Mineralölsteuer mit einem giewirtschaft und Industrie dem
wachs hat sich dagegen im selben Aufkommen von über 39 Mrd. € bestehenden europäischen CO 2-
Zeitraum für die Stromerzeugung eine der ergiebigsten Steuerquellen Emissionshandelssystem. Dieser
durch erneuerbare Energien (insb. überhaupt. Rund 70% des Benzin- Verbrauch also setzt entsprechende
Biomassestrom, Windkraft und preises beruhen auf staatlich erho- Emissionsrechte voraus, deren Preis
Wasserkraft) ergeben. Ihr Anteil benen Steuern und Abgaben. Auch wiederum zu Aufschlägen in den
erreichte 2008 bereits 15% und soll auf Kohle wird in Deutschland ge- Strom-, Stahl- und anderen Pro-
künftig weiter ausgebaut werden. mäß der EU-Energiesteuerrichtlinie duktpreisen führt. Ihre Höhe kann
Im Jahr 2000 lag ihr Anteil erst bei seit einigen Jahren eine spezifische je nach Entwicklung der CO 2-Preise
6%. Ähnliches gilt für das Erdgas Kohlesteuer von knapp 10 €/t erho- und möglichen Weitergabe an die
– wenngleich mit nicht ganz so ben. Sie gilt für den Kohleverbrauch Verbraucher zweistellige Milliar-
schnellem Zuwachstempo. Sein An- außerhalb der Stromerzeugung und denbeträge erreichen.
teil lag 2008 bei 13% (2000 waren der Stahlproduktion, also haupt-
es erst 9%). Erneuerbare Energien sächlich beim Absatz von Anthrazit- Die zuletzt genannten preislichen
und Erdgas zusammengenommen kohle in den Wärmemarkt. Bei der Zusatzlasten beinhalten noch nicht
EU-Kommission gibt es inzwischen die schon länger etablierten Steuer-
schon konkrete Vorstellungen, diese

70
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

belastungen. Sie machen bereits


mehr als 40% des Strompreises aus Außenwirtschaftliche Energierechnung
(Stromsteuer, Konzessionsabgaben, Mrd. €
112 Ausgaben
EEG-Umlage, KWK-Umlage). Im
Jahr 2008 ergab sich daraus für 91
82
die Stromverbraucher ein Belas- 73
tungsvolumen von rund 16 Mrd. €.
Speziell die über die Strompreise 53
48 47 47 44 46
gedeckten Einspeisevergütungen 40
für erneuerbare Energien gemäß 24 21
dem Erneuerbare-Energien-Gesetz 8
(EEG) betrugen 2008 annähernd
10 Mrd. €. Ungefähr die Hälfte da- 2 4 4
7 8 9 9 10 10
von wird als so genannte Differenz- 15 17
kosten gegenüber dem niedrigeren 23 23 26 Einnahmen
Börsenpreis für Strom eingestuft: 1973 80 85 90 1995 2000 01 02 03 04 05 06 07 2008
Sie sind also eine Quasi-Subven-
tion, die aber nicht vom Staat, son-
dern von den Stromverbrauchern 58-2_2009 23.09.2009
gezahlt wird. Die erneuerbaren einigermaßen kalkulierbar unter- Mrd. €, für Energieeinfuhren auf-
Energien haben somit allein in der stellt werden konnten. Inzwischen bringen wie im Jahr 2008. Auch der
Stromerzeugung ein Subventions- haben sich die Weltmarktpreise für Saldo aus Einfuhren und Ausfuhren
volumen, das mehr als dem Doppel- Energie auf breiter Front als eher im Energiebereich erreichte mit 86
ten der Steinkohlebeihilfen ent- unberechenbar erwiesen. Das zeig- Mrd. € einen neuen Spitzenwert.
spricht, die zudem noch Finanzie- ten die Preisexplosionen im Vorjahr Untersuchungen belegen, dass
rungshilfen zur Deckung von Still- mit dem anschließenden Preiskol- allenfalls ein Teil dieser volkswirt-
legungsaufwendungen und Alt- laps zum Jahresende 2008 sowie schaftlichen Mehrausgaben durch
lasten beinhalten. Weitere mehr das erneute Anziehen der Energie- verstärkte Käufe aus den Liefer-
als 7 Mrd. € zur Förderung erneu- preise auch im Krisenjahr 2009. ländern nach Deutschland zurück-
erbarer Energien wurden 2008 Die steigenden Energiepreise sind fließt. Maßgeblich dafür war das
außerdem über andere steuerfi- inzwischen auch zu einer sozialen Aufkommen der Mineralöleinfuhren,
nanzierte Programme aufgewendet Frage geworden: Manche Politiker das sich auf einen Einfuhrwert von
(Marktanreizprogramm, 100.000 bezeichnen den Energiepreis plaka- knapp 75 Mrd. € steigerte. Dies
Dächer-Solarstromprogramm, KfW- tiv schon als den „Brotpreis des 21. bedeutete binnen Jahresfrist eine
Umweltprogramm, KfW-CO 2-Ein- Jahrhunderts“. Steigerung um 37% (rein mengen-
sparungsprogramm Gebäude, ERP mäßig betrug die Zunahme nur
Umwelt & Energieprogramm etc.). Die gewachsene Abhängigkeit von knapp 5%). Im Jahr 2008 mussten
Energieimporten und die histori- außerdem für Erdgaseinfuhren rund
Die hohen politisch bedingten schen Rekordpreise an den interna- 29 Mrd. €, für Kohleeinfuhren 5,5
Belastungen des Energieverbrauchs tionalen Energiemärkten im Vorjahr Mrd. € (Steigerung gegenüber dem
und bestimmter Energieträger haben der außenwirtschaftlichen Vorjahr um 49%!) und für Uranim-
wurden längere Zeit durch niedrige Energierechnung Deutschlands für porte 1,2 Mrd. € bezahlt werden.
Marktpreise abgemildert. Denn 2008 ein ebenfalls historisches Dies waren nicht nur erhebliche
der Weltmarkt bot preisgünstige Rekordhoch beschert. Die deutsche
Primärenergieimporte, die als Volkswirtschaft musste noch nie
einen so hohen Betrag, nämlich 112

71
Erhöhungen der außenwirtschaft- auch einen kräftigen Wiederan- steigen, zumal die mengenmäßige
lichen Energierechnung gegenüber stieg der Energiepreise. Dann Abhängigkeit Deutschlands von
dem Vorjahr. Sie bedeuten histori- dürfte die außenwirtschaftliche Energieimporten auf Sicht eher
sche Spitzenwerte bei ausnahmslos Energierechnung ebenfalls wieder noch zunimmt.
allen Energieträgereinfuhren und
das Vier- bis Fünffache der Aus-
gaben für Energieeinfuhren nach
Deutschland seit der Jahrtausend-
Importabhängigkeit, heimische Primärenergie-
wende. gewinnung und Versorgungsrisiken
Diese neuen Rekordwerte gab es, Deutschlands Primärenergieversor- die mit der EU assoziiert sind.
obwohl auch die Energiepreise in gung war 2008 im Gesamtdurch- Erhebliche Teile stammen aber auch
den letzten Monaten des Jah- schnitt zu 73% von Energieimporten aus politischen und ökonomisch risi-
res 2008 rezessionsbedingt ins abhängig. Dabei war die Importab- koreicheren Lieferländern. Russland
Rutschen kamen. Das unterstreicht, hängigkeit beim Mineralöl mit 97% hat sich nicht nur zum dominieren-
welche enorme Preisexplosion im am größten, beim Erdgas lag sie bei den Lieferanten für die deutschen
vorherigen Jahresverlauf stattge- 84% und bei der Steinkohle lag sie Ölimporte (31% des Ölaufkom-
funden hatte. Für 2009 ist ange- mit 72% – noch – leicht unter dem mens) und Gasimporte (37% des
sichts der anhaltenden gesamtwirt- Durchschnitt. Gasaufkommens) entwickelt. Es ist
schaftlichen Rezession und der im inzwischen auch das bedeutendste
Vorjahrsvergleich vorerst weiterhin Bedenklich erscheint nicht nur die Lieferland für die Steinkohlenim-
niedrigen Energiepreise gegenüber Höhe der Abhängigkeit von Energie- porte nach Deutschland (14% des
2008 eine erhebliche Absenkung importen, sondern deren Konzentra- Steinkohlenaufkommens) wie auch
der außenwirtschaftlichen Energie- tion auf bestimmte Lieferregionen in die EU.
rechnung zu erwarten. Das dürfte und -länder. Zwar stammt ein
die zumindest im ersten Halbjahr beträchtlicher Teil der Importe auch In der deutschen Öffentlichkeit
2009 extrem schlechte Konjunktur- aus Ländern der EU oder Ländern, wird Russland bisher hauptsächlich
entwicklung in Deutschland von der
Seite der Energiepreise entlasten.
Allerdings sind die Preiseinbrüche
Importabhängigkeit Deutschlands bei Energieträgern steigt
im Energiebereich im längerfris- Anteile der deutschen Nettoimporte
tigen Vergleich keineswegs so 100%
gewaltig gewesen, dass nun ein
historisch niedriges Niveau der 80%
Ausgaben für Energieeinfuhren
zu erwarten ist. Vielmehr hat sich
60%
in der Krise bestätigt, dass sich
das Niveau der Weltmarktpreise
40%
für Energie tendenziell nach oben
verschoben hat. Die fundamentalen
20%
Trends wurden durch die globale
Rezession zwar unterbrochen, aber
nicht aufgehoben. Bei anziehender 0%

Konjunktur erwarten viele Experten 1990 2000 2008


Steinkohle Erdgas Mineralöl Uran Quelle:
Importabhängigkeit der Primärenergieversorgung insgesamt BMWi, 2009

neu_14-2_2009 28.09.2009

72
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

Fazit: Auch durch den Ausbau der


Rohöl- und Erdgasaufkommen in Deutschland erneuerbaren Energien wurde
Rohölaufkommen Erdgasaufkommen die Abhängigkeit Deutschlands
2008: 108 Mio. t 2008: 97,4 Mrd. m3 von Energieimporten bisher nicht
Großbrit./Dänemark reduziert. Allenfalls konnte die Zu-
Sonstige* Russland Deutsche
Förderung 3% nahme dieser Abhängigkeit etwas
Russland
14% gebremst werden.
38% 31%
38%
Nieder- 14%
Durch die hohe und tendenziell
lande zunehmende Abhängigkeit von
Energieimporten stieg das damit
15%
28% zusammenhängende Energiever-
3% 13% Norwegen sorgungsrisiko für Deutschland
Deutsche Großbritannien Norwegen messbar. Es gibt inzwischen eine
Förderung
Reihe von Untersuchungen zur
97% Importanteil 86%
Quantifizierung der Sensitivität und
* (davon OPEC-Länder: 21%)
Verwundbarkeit der Energieversor-
neu_07-2_2009 17.09.2009 gung. Ihre Ergebnisse schätzen die-
sen Befund nicht nur qualitativ ab,
als wichtigster Erdgaslieferant Aber auch die heimische Steinkohle sondern sie belegen ihn nun auch
wahrgenommen. Tatsächlich deckt spielte mit einem Anteil von rund quantitativ-empirisch eindeutig.
Russland allein heute 20% der 14% eine wesentliche Rolle. Ihr An-
gesamten Primärenergieversorgung teil war größer als etwa der Beitrag Beispiel Steinkohle: Das österrei-
Deutschlands. Dies verleitete auch der inländischen Erdgasförderung chische Wirtschaftsministerium
eher wirtschaftsliberale Kommen- (13%) und mehr als dreimal höher hat seine von ihm erhobenen „Welt-
tatoren zu sorgenvollen Äußerun- als der Beitrag der Windkraft (4%). Bergbau-Daten“ 2009 in aktuali- Steinkohlen-
gen. Russland trägt beinahe in Nicht ganz unerheblich ist auch der sierter Fassung vorgelegt. Demnach aufkommen in
der gleichen Größenordnung zur i. d. R. unter „Sonstige“ subsumier- Deutschland
Energieversorgung Deutschlands te Beitrag der Nutzung von Gruben-
bei wie die gesamte heimische gas aus stillgelegten und aktiven
2008: 63,6 Mio. t SKE Importanteil: 72%
Primärenergiegewinnung, die 2008 Bergwerken.
einen Anteil am Primärenergiever- Sonstige
brauch von 27% verzeichnete. Die erneuerbaren Energien hatten
11% Deutsche
zusammengenommen 2008 einen Australien 28% Förderung
In absoluten Mengen ging die Anteil von 27% an der heimischen 7%
heimische Primärenergiegewinnung Primärenergiegewinnung (s. S. 16).
2008 mit einem Aufkommen von Bei ihnen dominieren – entgegen Kolum- 7%
131 Mio. t SKE trotz des wachsen- dem öffentlich vielfach erweckten bien
den Beitrags (überwiegend heimi- Eindruck – nicht die symbolisch
scher) erneuerbarer Energien um immer wieder in den Vordergrund USA/ 10%
gut 4% gegenüber 2007 zurück. Den gestellte Windkraft oder die finan- Kanada 13%
Russland
größten Beitrag zur heimischen Pri- ziell am intensivsten geförderte
märenergiegewinnung lieferte 2008 Solarenergie. Vielmehr liefern die 11%
Polen
13%
die heimische Braunkohle (41%). Bioenergien (Biomasse, Biogas,
Biosprit) drei Viertel der gesamten Südafrika
erneuerbaren Energieerzeugung.
neu_08_1_2009 17.09.2009
Steinkohleaufkommen in Deutschland
73
Energiesicherheit in Deutschland.
Anteil der „stabilen“ bzw. „instabilen“ Produzentenländer von Sie erlauben Vergleiche im Zeitab-
Kraftwerks- und Kokskohle in den Jahren 2003 und 2007 lauf und zwischen verschiedenen
Kraftwerkskohle Kokskohle Ländern. Den Schwerpunkt legt das
2003 2007 2003 2007 RWI auf die Importabhängigkeiten
der Energieversorgung von den je-
Politisch stabile Länder
(„stable“– „fair“) 34,6 % 35,0 % 45,6 % 39,3 % weiligen Lieferländern. Es hat einen
Risikoindex entwickelt. In ihm ent-
Politisch instabile Länder halten sind die Konzentration bzw.
(„critical“– „extremely critical“) 65,4 % 65,0% 54,4 % 63,7 %
Diversifikation von Lieferländern
Quelle: Welt-Bergbau-Daten, 2009; Österreichisches Wirtschaftsministerium sowie die politische Zuverlässigkeit
dieser Länder nach der Einstufung
für die Hermes-Auslandsbürgschaf-
ten der Bundesregierung oder nach
sind bei den Produzentenländern mit „stable“ oder „fair“ eingestuft, einer OECD-Klassifikation. Die
für Kohle weltweit fast zwei Drittel eher instabile Länder mit „critical“ Studien belegen Folgendes: Die
den politisch eher instabilen Län- bis „extremely critical“. Danach Energiesicherheit in Deutschland
dern zuzurechnen. Die Welt-Berg- mussten (bezogen auf das daten- hat seit den 1980er-Jahren infolge
bau-Daten gehen nach folgendem technisch zuletzt verfügbare Jahr der gestiegenen Abhängigkeit von
System vor: Den Produktionsmen- 2007) rund 65% der Produzenten- Energieimporten abgenommen; sie
gen sämtlicher erfasster Rohstoffe länder von Kraftwerkskohlen und ist erheblich geringer als in vielen
der jeweiligen Produzentenländer – beinahe ebensoviel, rund 64%, der anderen Industrieländern (z. B. als
darunter Kraftwerkskohle („Steam Produzentenländer von Kokskohlen in den USA) und droht trotz des
Coal“) und Kokskohle („Coking als eher instabil eingestuft werden. Ausbaus der „quasi-heimischen“
Coal“) – wird die Einstufung der Im Zeitvergleich ab 2003, den die erneuerbaren Energien weiter abzu-
politischen Stabilität gemäß einem Welt-Bergbau-Daten 2009 erlau- nehmen. Das RWI führt dies auf das
Weltbank-Ranking gegenüber ge- ben, hat sich der Anteil der instabi- immer stärkere Gewicht Russlands
Energieversor- stellt. Eher stabile Länder werden len Länder bei der Kraftwerkskohle sowie u. a. auch auf den sinkenden
gungsrisiken der kaum verbessert, bei der Kokskohle Anteil der heimischen Steinkohle an
G7-Staaten sogar noch deutlich verschlechtert. der Energieversorgung zurück. Eine
Deshalb führt auch bei der Stein- Anfang 2009 vom RWI vorgelegte
Index
kohle die zunehmende Importab- Untersuchung hat den Titel: „Am
Italien Japan Frankreich
hängigkeit nahezu zwangsläufig Tropf Russlands? Ein Konzept zur
500 Deutschland USA UK
zu einem erhöhten Versorgungs- empirischen Messung von Energie-
400 risiko – auch wenn hier noch ein versorgungssicherheit“. Das RWI
geringeres Ausmaß als bei Öl und bejaht seine im Titel gestellte Frage
300 Gas vorherrscht und anders als dort im Ergebnis weitgehend.
ein Mix aus heimischer Produktion
200 und Importen möglich bleibt. Im Energieträgervergleich ist der
Anstieg des Versorgungsrisikos bei
100 Das Rheinisch-Westfälische Wirt- Mineralöl und Erdgas zwar noch
schaftsforschungsinstitut (RWI) ausgeprägter als bei der Steinkoh-
0
lieferte schon seit 2007 zunächst le. Doch ist bei der Steinkohle der
1978 1983 1988 1993 1998 2003 2008
im Auftrag der Bundesregierung
(Deutschland 1980:100)
mehrere Analysen zur Messung der
Quelle: Frondel, Ritter u. Schmidt, ZfE 1/2009, S. 42 ff.

Energieversorgungsrisiken der G7 Staaten


neu_15-1_2009 28.09.09
74
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

ergänzt es sogar um eine Prognose


Versorgungsrisiko bei Öl, Gas und Steinkohle bis 2020 (siehe: Zeitschrift für
1978 bis 2007 gemäß RWI Energiewirtschaft 1/2009, S. 42 -
0,12 Öl Gas Steinkohle 48). Danach ist das Versorgungs-
0,10 risiko nicht nur in den letzten Jah-
ren deutlich angestiegen – es hat
0,08 sich seit 1990 sogar mehr als ver-
0,06 doppelt. Es droht auch eine weitere
drastische Zunahme.
0,04
0,02 Diese mit wissenschaftlich-
quantitativen Methoden belegte
0,00
Einschätzung eines steigenden
1978 1983 1988 1993 1998 2003 2008 Gesamtrisikos der deutschen
Quelle: RWI, 2008
Primärenergieversorgung bestätigt
38-2_2009 17.09.2009 auch eine neue, weiter gefasste
Untersuchung des renommierten
Anteil der heimischen Produktion RWI-Indikator das Versorgungsrisi- EEFA-Instituts über die Verwund-
bislang noch signifikant größer. ko des Energiemixes in Deutschland barkeit der Energieversorgung der
Gleichwohl ist auch hier der das im Zeitvergleich 1980 bis 2007 und deutschen Volkswirtschaft.
Risiko erhöhende Effekt zunehmen-
der Importabhängigkeit messbar.

Im Hinblick auf die langfristigen Perspektiven der Energieversorgung bis 2020 –


Perspektiven der internationalen gefährdete Energiesicherheit
Kohlemärkte weist das RWI auf Fol-
gendes hin: Knapp drei Viertel der Unzweifelhaft geht es bei der in Deutschland gewarnt: Nach
weltweiten Kohlereserven entfallen Energiesicherheit nicht nur um die den bisherigen Planungen der
auf nur vier Länder – die Großmäch- Risiken der Primärenergieversor- deutschen Energiewirtschaft für
te USA, China, Russland und Indien. gung. Auch bei den Erzeugungs-, Neubau und Ersatz „konventio-
Das könnte dem politischen Risiko Verarbeitungs- und Verteilungska- neller“ Kraftwerkskapazitäten
in diesem Bereich langfristig eine pazitäten im Energiesektor deuten beim Atomausstieg und auch beim
besondere Dimension verleihen. Die sich hierzulande beträchtliche Ausbau der erneuerbaren Energien
Problematik des Länderrisikos bei Defizite an. Abschreckend für fehlen bis 2020 rund 12.000 MW
Steinkohlenimporten beschränkt die Investitionsbereitschaft der an Erzeugungskapazitäten. Das
sich aber nicht nur auf die enormen Energieversorgungsunternehmen entspricht etwa 15% der prognos-
Anteile Russlands und der anderen wirken vor allem umwelt- und tizierten Stromnachfrage und ließe
vorgenannten Großmächte an den klimapolitisch bedingte Planungs- insbesondere in Spitzenlastzeiten
langfristig verfügbaren Vorräten. unsicherheiten in Verbindung mit Versorgungsausfälle erwarten.
der umfassenden Liberalisierung
Eine andere RWI-Untersuchung der Energiemärkte und den zuletzt Die Einbindung in den europäischen
zu „Deutschlands Energieversor- enormen gesamtwirtschaftlichen Elektrizitätsbinnenmarkt mildert
gungsrisiko gestern, heute und Instabilitäten. So hat die Deutsche zwar die Spitzenlastproblematik et-
morgen“ beziffert gemäß einem Energie-Agentur (dena) inzwischen was. Sie löst aber nicht das Kapa-
wiederholt vor einer „Stromlücke“

75
Es gilt nun genau zu untersuchen,
auf welcher Ebene es im Rahmen
der Genehmigung zu den Bean-
standungen des Gerichts kommen
konnte. Dieser Fall kann jedenfalls
nicht dafür herhalten, das Ende
des Baus neuer Steinkohlenkraft-
werke zu verkünden. Trotz allem:
Planungssicherheit scheint es für
Großinvestitionen in Deutschland
immer weniger zu geben.

Die Klimafrage ist ein globales


Problem, das auf nationaler Ebene
nicht einmal ansatzweise gelöst
werden kann. Aus deutschen Kohle-
kraftwerken – weltweit unter den
klimaverträglichsten – stammen
rund 1% der weltweiten CO 2-
Emissionen. Die Probleme für die
Versorgungssicherheit – begründet
im Fehlen genügender Kohlekraft-
Kraftwerk werkskapazität – treffen dagegen
Datteln zitätsproblem. Studien der europä- Nichtsdestoweniger droht die von die deutsche Volkswirtschaft in vol-
ischen Stromnetzbetreiber (UCPTE) der dena vorausgesagte Stromlücke lem Maße. Kaum gesehen werden
zeigen, dass auch europaweit an- bei den Erzeugungskapazitäten. die Chancen moderner Kohletechno-
gesichts zunehmender Stromnach- Insbesondere fehlt es aufgrund logien wie auch die Wirkungsweise
frage eher Kapazitätsengpässe als klimapolitischer Zusatzbelastungen der schon eingeführten klimapoli-
-überschüsse zu erwarten sind. und Planungsunsicherheiten sowie tischen Maßnahmen. Durch das
Engpässe in der Versorgung der teilweise massiver lokaler und auch europäische Emissionshandelssys-
Verbraucher kann es selbst bei überregionaler Widerstände am tem werden die Klimaschutzvorga-
genügenden Erzeugungskapazitä- Zubau von neuen Kohlekraftwerken. ben in den Sektoren automatisch
ten geben, wenn die Stromnetze Die Zahl der verzögerten, vorerst auf erfüllt, in denen Kohle zum aller-
innerhalb Deutschlands und über Eis gelegten oder sogar stornierten größten Teil eingesetzt wird. Neue
die nationalen Landesgrenzen Kohlekraftwerksprojekte in Deutsch- Kraftwerke können dagegen gar
hinweg nicht zügig genug ausge- land nimmt ständig zu – von Berlin nicht verstoßen. Die oben erwähnte
baut werden. Das gilt für andere über Kiel und Herne im Ruhrgebiet BMU-Roadmap hat belegt, dass
Bereiche der Energieinfrastruktur bis nach Ensdorf im Saarland. Die ein Kohleanteil von 40% an der
nicht minder. Dass hier erheblicher Widerstände richten sich ausgerech- deutschen Stromerzeugung in 2020
energiepolitischer Handlungsbedarf net gegen neue, deutlich effizientere mit ehrgeizigen Klimaschutzzielen
besteht, wird durch das Energielei- und umweltverträglichere Kohle- ebenso zu vereinbaren wäre wie
tungsausbaugesetz und andere kraftwerke. Der weit fortgeschritte- mit dem Atomausstieg.
Maßnahmen der Bundesregierung ne Bau des hochmodernen Stein-
bestätigt. kohlenkraftwerks Datteln wurde Die Wirtschafts- und Finanzkri-
durch das Oberverwaltungsgericht se 2008/2009 hat unterdessen
Münster gestoppt.

76
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

infolge gestiegener Kapitalkosten und hierzulande noch für weit Umweltziele bestehen. Und schließ-
zu einer zusätzlichen Rücknahme mehr als ein Jahrhundert. Kritisch lich kann eine marktwirtschaftlich
zunächst geplanter Investitionen ist vielmehr die regionale Verfüg- orientierte Energiepolitik auf
im gesamten Kraftwerkssektor der barkeit. Der nächste Wirtschafts- staatlicher Ebene bzw. supranatio-
EU geführt. Die im Frühjahr 2009 aufschwung bedeutet weiteres naler Ebene nur einen erweiterten
veröffentlichte Analyse der Bera- Nachfragewachstum und zugleich Rahmen schaffen für entsprechen-
tungsgesellschaft A. T. Kearney hat Nachfrage-Verschiebungen an den de Bemühungen der Unternehmen.
diese Investitionsrücknahmen bis Kohleweltmärkten in Richtung Grenzüberschreitende Leitungspro-
2020 hochgerechnet. Geschätztes Asien. In Anbetracht dessen stellt jekte als Beispiel für supranationale
Ergebnis: eine Minderkapazität von die Bundesanstalt für Geowissen- Projekte etwa bedeuten zusätzliche
20 - 25%. Dies betrifft weniger die schaften und Rohstoffe (BGR) in Koordinierungsprobleme. Es ist kei-
ohnehin revidierten Pläne für neue ihrem Bericht „Energierohstoffe neswegs zu gewährleisten, ob die
Kohlekraftwerke. Vielmehr betrof- 2009“ mit Blick auf die EU be- Unternehmen dann davon Gebrauch
fen sind die bisherigen Planungen sorgt fest: „Vor dem Hintergrund machen, aus einzelwirtschaftlichen
zum Ausbau der Stromerzeugung einer auch weiter abnehmenden Gründen doch andere Prioritäten
auf Basis erneuerbarer Energien, Hartkohlenförderung (= Steinkohle) setzen oder mit gegenläufigen Stra-
insbesondere der geplanten großen in Europa und der damit verbunde- tegien anderer Staaten konfrontiert
neuen Offshore-Windkraftkapazi- nen Zunahme der Importabhängig- werden.
täten. Die Studie stellte daher die keit würde eine Verknappung den
Frage „Folgt der Finanzkrise die europäischen Raum besonders hart Eine weitere gängige Antwort auf
Energiekrise?“ treffen“. – Zu den ökonomischen die Herausforderungen der Versor-
Risiken gesellen sich an den inter- gungssicherheit ist die forcierte
Gefährdet bleibt jedoch ebenso die nationalen Energiemärkten zudem Steigerung der Energieeffizienz
Sicherheit der Primärenergieversor- die geopolitischen Risiken, wie sie bzw. des Energiesparens. Sie
gung in Deutschland. Viele Progno- im Gastbeitrag dieses Jahresbe- kommt zugleich auch den anderen
sen und fast alle Experten erwarten richts beschrieben sind. zentralen energiepolitischen Zielen
– trotz der temporären Einbrüche Wirtschaftlichkeit und Umwelt-
durch die globale Wirtschaftskri- Was kann aber energiepolitisch ge- verträglichkeit entgegen. Dieser
se – eine Fortsetzung der in den gen die zunehmenden Bezugsrisiken Ansatz hat zweifellos seine Be-
Vorjahren manifest gewordenen auf den internationalen Energie- rechtigung. Die Energieeffizienz ist
Trendwende auf den internationa- und Rohstoffmärkten unternommen womöglich sogar der „schlafende
len Energie- und Rohstoffmärkten. werden? Eine gängige Antwort Riese“ der Energiepolitik. Allerdings
Dies machen auch diverse Ein- lautet stets Diversifizierung – also liegen ihre Potenziale nicht so
schätzungen in dem vorliegenden systematische Streuung der Be- sehr in der Energieerzeugung als
Jahresbericht deutlich. zugsquellen. Diversifizierungsstra- vielmehr in der Energienutzung –
tegien stoßen allerdings stets an und hier weniger in der Energiewirt-
Energierohstoffe werden im 21. die Grenzen, die durch die Konzen- schaft als vielmehr im Gebäudesek-
Jahrhundert tendenziell knapp und tration der Vorräte und des Markt- tor, im Verkehrswesen und in Teilen
teuer. Warnungen vor der nächsten angebots gesetzt sind. Sie stehen der industriellen Produktion. Die
Ölkrise gibt es zuhauf. Ebenso wird in der Regel im Konflikt mit der Frage ist allerdings, inwieweit und
vor einer drohenden „Gaslücke“ und Wirtschaftlichkeit. Denn andern- in welchem Tempo sich die Energie-
der Gefahr eines internationalen falls hätten die Preis- und Kos- effizienz vorantreiben lässt, ohne
Gaskartells gewarnt. Bei der Kohle tensignale des Markts von selbst Wohlfahrtseinbußen an anderer
liegt das Problem nicht bei den für einen hinreichenden Diversi- Stelle zu erleiden. Denn (energie-)
Reserven. Sie reichen weltweit fizierungsgrad gesorgt. Analoge
Konflikte können in Bezug auf die

77
technische Bestverhältnisse sind Primärenergieverbrauchs. In den wegen kompletter Stilllegung
noch lange keine ökonomischen Folgejahren sinkt dieser Restbei- aller verbliebenen Bergwerke
Bestverhältnisse. Es wäre daher trag dann auf null. keinen Versorgungsbeitrag mehr
mehr als leichtsinnig, Energiespa- leisten können, sollte das Gesetz
ren mit einer verlässlichen Energie- Etwa um 2019/2020 wird es auf- zur Finanzierung der Beendigung
quelle gleichzusetzen oder gar von grund der Erschöpfung der be- des subventionierten Steinkoh-
politisch gesetzten Einsparzielen kannten inländischen Reserven lenbergbaus zum Ende desJahres
der fernen Zukunft auf die Verzicht- kaum noch eine inländische Erdöl- 2018 ohne eine Revision umge-
barkeit heute verfügbarer Versor- und Erdgasförderung geben. Auch setzt werden. Der Zugriff auf die
gungsquellen zu schließen. die Erdöl- und Erdgasförderung der heimischen Vorkommen wäre somit
übrigen EU wird dann wegen der verloren. Die Steinkohlenversor-
Der Blick auf die Perspektiven der zur Neige gehenden Nordseequel- gung des deutschen Markts wäre
Primärenergieversorgung etwa len nur noch gering sein. Bei Öl und dann ebenfalls total von Importen
im Jahr 2020 stellt die deutsche Gas steigt die Abhängigkeit von abhängig. Schon heute werden die
Energiepolitik vor große Herausfor- Importlieferungen, die schon bald „Reserven“ heimischer Steinkohle
derungen. vollständig aus Nicht-EU-Ländern aufgrund der politischen Vorgaben
stammen werden, ab 2020 auf minimalisiert angegeben, obwohl
Wird der Kernenergieausstieg wie 100%. Das wird wegen der gerin- die großen Vorkommen physisch
im geltenden Atomgesetz vorge- gen heimischen Vorräte unvermeid- keinesfalls verschwunden sind.
sehen planmäßig vollzogen, wird lich sein.
das letzte deutsche Kernkraftwerk In hohem Maße von politischen
im Jahr 2022 stillgelegt. Im Jahr Bei der heimischen Steinkohle mit Rahmenbedingungen abhängig ist
2020 werden von den heute 17 ihren großen Vorkommen hängt die auch die Zukunft der heimischen
Kernkraftwerken in Deutschland weitere Verfügbarkeit keineswegs Braunkohle. Sie steht von allen
nur noch drei in Betrieb sein. Sie von der Begrenztheit der Vorräte Energieträgern am stärksten
decken dann etwa nur noch 8% der ab, sondern von wirtschaftlichen im Fadenkreuz der Klimapolitik.
inländischen Stromerzeugung und Entwicklungen und politischen Entscheidend ist deshalb, dass
damit allenfalls noch ganze 3% des Entscheidungen. Sie wird 2020 eine Perspektive für eine klimaver-
trägliche Braunkohlenverstromung
nach 2020 durch eine erfolgreiche
Heimische Stein- Realisierung der CCS-Technologie
kohle: Bergwerk hergestellt werden kann.
Auguste Victoria,
Schacht 8 Die erneuerbaren Energien sollen
mit massiver politischer Unterstüt-
zung weiter zunehmende Versor-
gungsbeiträge leisten und dabei
die Wirtschaftlichkeitsgrenze,
von der sie heute noch teilweise
weit entfernt sind, durchbrechen.
Langfristig – d. h. bis Mitte dieses
Jahrhunderts – sollen die erneu-
erbaren Energien nach Erwartung
der Bundesregierung sogar rund
die Hälfte der Energieversorgung

78
Herausforderungen für die europäische und deutsche Energiepolitik

der heimischen Kohle vollständig


Energierohstoffreserven in Deutschland ausgleichen könnte. Daher wird
Technisch-wirtschaftlich gewinnbare Mengen nach BGR zusätzlich Importenergie benötigt.
in Mio. t SKE
23000
Einen Beitrag zur Verbesserung
der Energieversorgungssicherheit
leisten die erneuerbaren Energien
allerdings dann nicht, wenn sie
? 12900 heimische oder andere quasi-
11800*
heimische Energiequellen verdrän-
gen. Ihr Angebot bleibt zudem von
naturbedingten Unstetigkeiten
geprägt, solange keine adäquate
Speichertechnologie entwickelt
118* 267 230* 73 50* und zum Einsatz gebracht worden
Steinkohle Braunkohle Erdgas Erdöl ist. Ob dies 2020 anders aussieht,
Quelle: BGR 2002 und BGR 2008 (*)
lässt sich vorerst kaum beantwor-
ten.
neu_13-2_2009 05.10.2009
Die Ausbauziele für die erneuer-
tragen. Erklärtes energiepolitisches ökonomischen Wirkungsprinzipien baren Energien dürfen überdies
Ziel in Deutschland ist es, dass der des etablierten CO 2-Emissionshan- nicht als gesetzt angesehen wer-
Anteil der erneuerbaren Energien delssystems und der steuerlichen den, denn ihnen stehen noch viele
am gesamten Bruttostromver- Maßnahmen der Klimapolitik. erhebliche Hemmnisse entgegen.
brauch im Jahr 2020 mindestens Denn sie lassen vom Prinzip her Es gibt einerseits die nach wie vor
30% betragen wird und danach offen, mit welchem Energiemix die enormen wirtschaftlichen Barri-
kontinuierlich steigt. An der Klimaziele erreicht werden. Ener- eren durch die Differenzkosten
gesamten Wärmeversorgung soll gie- und rohstoffpolitisch zwingend bzw. Mehrkosten, die durch eine
der Anteil erneuerbarer Energien erscheint der Ausbau der erneuer- staatliche oder staatlich auferlegte
dann 14% betragen, der Anteil der baren Energien auch viel weniger Subventionierung ausgeglichen
biogenen Kraftstoffe bis dahin auf als Substitut zu Kohle und Kern- werden müssen. Die Leitstudie des
12% ansteigen. Gemäß der BMU- energie in der Stromerzeugung. BMU sieht für 2020 nur die Wärme-
Leitstudie 2008 für den Ausbau Dort wurde er bislang am stärksten energie aus erneuerbaren Energien
der erneuerbaren Energien läge ihr vorangetrieben. im Bereich der Wirtschaftlichkeit.
Anteil am gesamten Primärenergie- Alle anderen Bereiche werden noch
verbrauch 2020 dann bei rund 16% Viel wichtiger erscheint der Wär- immer zuschussabhängig sein. In
– damit noch hinter dem der Kohle me- und Verkehrssektor, wo die der Stromerzeugung belaufen sich
(19%) und deutlich hinter dem von endlichen natürlichen Ressourcen die Differenzkosten gemäß der
Erdgas (27%) und Mineralöl (35%). an Öl und Gas schon in den näch- Leitstudie auch 2020 noch auf rund
sten Jahrzehnten ersetzt werden 3 Mrd. €. Die Ausbauziele im rege-
Der Ausbau der erneuerbaren müssen. In Bezug auf 2020 abseh- nerativen Sektor kosten gemäß der
Energien wird vor allem klimapoli- bar ist zudem, dass ein Ausbau Leitstudie bis 2020 kumuliert rund
tisch begründet. Dabei entsprechen der erneuerbaren Energien in der 80 Mrd. €. Ein wesentlicher Grund
politisch gesetzte quantitative Stromerzeugung auf 30% schon für die nach wie vor hohen Mehrko-
Ausbauziele eigentlich nicht den rechnerisch nicht die schwinden-
den Beiträge der Kernenergie und

79
sten der erneuerbaren Energien ist Betrachtung sämtlicher relevanter langfristigen Beitrags auf Sicht nur
der gegenüber der konventionellen Externalitäten in der Energiege- zwei stichhaltige Ansatzpunkte:
Energieerzeugung je Energieeinheit winnung und zeigt ein durchaus Zum einen die Verlängerung der
größere Rohstoffbedarf der Anla- differenziertes Bild der nachhal- Laufzeiten der Kernkraftwerke, die
gen. Bei allen Vorteilen mit Blick tigen Umweltverträglichkeit auch zugleich Vorteile für den Klima-
auf die Klimavorsorge und andere erneuerbarer Energien. Auch und schutz bringt, allerdings andere gra-
Umweltziele: Die erneuerbaren speziell im Vergleich mit der Kohle vierende umweltpolitische Proble-
Energien haben spezifische Nach- – zumal bei einer künftigen Nut- me beinhaltet. Hier sei „die Versor-
teile im Hinblick auf die Schonung zung von Kohle mit CCS-Technolo- gungssicherheit gegen die Gefahren
nichtenergetischer Ressourcen: gie – stehen nur einige erneuer- aus der Nutzung der Kernenergie
Sie bewirken einen hohen Ver- bare Energietechnologien eindeutig abzuwägen“. Zum anderen wäre
brauch von Metallrohstoffen – z. B. besser da, so die Wellen-/Gezei- „der zweite mengenmäßig relevante
Eisen- und Kupfererze, Bauxit oder tenenergie, die allerdings nur für Weg in Richtung Versorgungssicher-
Erze der Sondermetalle, wie etwa Küstenländer verfügbar ist. Dage- heit die stärkere Nutzung der Kohle.
Gallium – bis zu Seltenen Erden gen weisen andere wie die Bio- Soll die Versorgungssicherheit durch
oder zur Siliziumgewinnung aus ge- massenutzung oder die Photovol- eine Förderung der heimischen
eigneten Sanden. Sie sind deshalb taik keineswegs einen generellen Energieerzeugung erhöht werden,
unter Nachhaltigkeitsgesichtspunk- Nachhaltigkeitsvorteil gegenüber muss dies selbstverständlich der
ten kein Allheilmittel. Gleiches gilt der Kohle auf. Auch unter Umwelt- Kohle zugute kommen“. Da das Po-
für den großen Flächenbedarf der und Nachhaltigkeitsgesichtspunk- tenzial der heimischen Braunkohle
Anlagen zur Erzeugung erneuer- ten darf die Energiedebatte also begrenzt ist, kann dieses Plädoyer
barer Energien: Er steht nicht nur nicht so einseitig geführt werden. für eine stärkere Nutzung heimi-
im direkten Konflikt zum Natur- Und die Akzeptanzsteigerung für scher Kohle nur der heimischen
und Landschaftsschutz, wie das die CCS-Technologie ist eine der Steinkohle gelten.
etwa bei manchen Windkraft- und wichtigsten Aufgaben der nächsten
Wasserkraftprojekten der Fall ist. Zeit. Die Kölner Ökonomen sehen in einer
Vielmehr gibt es auch vielfache Strategie, durch die importiertes
Nutzungskonkurrenzen mit der Die Energieversorgungssicherheit in Gas auf dem Strommarkt teilwei-
Landwirtschaft und anderen Flä- Deutschland wird deswegen auch se durch heimische Kohle ersetzt
chennutzungsformen, wie das bei beim Ausbau der erneuerbaren würde, überdies nicht nur eine Ver-
der Bioenergie sogar der Regelfall Energien in den nächsten Jahren besserung der Versorgungssicher-
ist. Nicht zu vergessen auch die zunehmend gefährdet werden. heit. Sie machen auch deutlich,
wachsenden Emissionen an Lach- Eine Analyse des Instituts für dass diese Strategie durchaus
gas, einem Treibhausgas, das bei Wirtschaftspolitik der Universität „klimaneutral“ wäre, wenn statt
der Düngung freigesetzt wird. Köln vom Oktober 2008 über die dessen das Erdgas in den Förderlän-
„Sicherheit der Energieversorgung“ dern wie Russland selbst eingesetzt
Sachlich betrachtet nicht erstaun- (Autoren J. Eekhoff u. a.) zieht eine und dort Kohle (in Kraftwerken mit
lich sind daher einige im Frühjahr ernüchternde Schlussfolgerung. geringeren Umweltstandards als
2009 veröffentlichte Forschungs- Demnach gibt es zur Verbesserung hierzulande) substituiert wird. In
ergebnisse des europäischen der Versorgungssicherheit durch der Energiepolitik kommt es eben
Forschungsprojekts NEEDS („New Verringerung der Abhängigkeit von sehr auf die Gesamtbetrachtung,
Energy Externalities Development politisch instabilen Drittstaaten d. h. auf ein Gesamtkonzept an.
for Sustainability“). Es bemüht sich in Deutschland auch bei allen
um eine nachhaltigkeitsorientierte Bemühungen um die Förderung der
erneuerbaren Energien und ihres

80
Foto:
Bergwerk
Prosper-Haniel,
Schacht 10
Weltenergieverbrauch Kohle, Erdöl und Erdgas in der Welt 2009
Vorräte Verbrauch
Nicht erneuerbare Erneuerbare
Energien Energien Energieträger Mrd. t SKE % Mrd. t SKE %

Kern- Erd- Wasser- Ins-­ Kohle   710   60   4,7   33
energie Kohle Erdöl gas kraft Sonstige gesamt Erdöl*   262   22   5,6   39
Erdgas   212   18   3,9   28
Jahr Mio. t SKE
Insgesamt 1 184 100 14,2 100
1970    28 2 277 3 262 1 326 146   827   7 866
1980   247 2 724 4 320 1 853 206 1 066 10 416 gewinnbare Vorräte, * einschl. Ölsande
1990   738 3 205 4 477 2 525 271 1 420 12 636 Quellen: BGR, 2009; Oil and Gas Journal, 2008
2000   955 3 123 5 005 3 091 329 1 535 14 038
2005 1 031 4 191 5 488 3 522 379 1 960 16 571 Weltstromerzeugung
2006 1 047 4 418 5 575 3 682 387 2 030 17 139
2007 1 024 4 544 5 653 3 772 375 2 120 17 493 Kern- Wasserkraft
2008 1 020 4 724 5 619 3 898 380 2 150 17 791 Kohle energie Öl Gas u. Sonstige Insgesamt
2020 1 204 6 255 6 784 4 476 505 2 402 21 626 Jahr TWh
2030 1 288 7 018 7 306 5 248 592 2 878 24 330
1970   2 075    80 1 625 – 1 175   4 955
Kernenergie und erneuerbare Energien mit Wirkungsgradansatz bewertet 1980   3 163   714 1 661   976 1 802   8 316
Quelle der Prognosen: Internationale Energie-Agentur, 2008 1990   4 286 1 989 1 216 1 632 2 212 11 335
2000   5 759 2 407 1 402 2 664 2 968 15 200
Weltvorräte an Kohle, Erdöl und Erdgas 2005   7 040 2 640 1 240 3 750 3 550 18 220
2006   7 370 2 670 1 280 3 950 3 650 18 920
Kohle Erdöl Erdgas Insgesamt 2007   7 950 2 580 1 120 4 290 3 955 19 895
2008   8 160 2 620 950 4 380 4 090 20 200
Region Mrd. t SKE 2010   8668 2 761 926 4 157 4 043 20 555
2020 10 401 3 385 901 5 678 5 638 26 003
EU-27   52,2    1,2    2,6    56,0 2030 13 579 3 844 866 6 769 6 696 31 754
Eurasien* 139,4   21,0   69,2   229,6
Afrika   26,8   22,4   17,5    66,7 Quelle der Prognosen: DOE, 2009
Naher Osten    0,4 145,2   88,2   233,8
Nordamerika 206,4   40,6   10,7   257,7 Globale CO2-Emissionen
Mittel- und Südamerika    9,2   25,0    9,7    43,9
VR China 151,9    3,1    2,7   157,7 1990 2000 2005 2008 Veränderung
Staatenverbund/ (Basisjahr) 1990 - 2008
Ferner Osten   75,3    3,2   10,8    89,3 Region/Land
Australien   48,4    0,3    1,0    49,7 CO2-Emissionen in Mio. t in %

Annex I-Staaten 14 930,1 14 338,2 14 858,3 14 788,6 - 0,9


Welt 710,0 262,0 212,4 1 184,4
59,9% 22,2% 17,9% 100,0% EU-27   4 404,2 4 112,0 4 238,4 4 149,6 - 5,8
davon EU-15* 3 364,9 3 359,7 3 465,7 3 348,5 - 0,5
Gewinnbare Vorräte, * ehem. UdSSR und übriges Europa
Quellen: BGR, 2009; Oil and Gas Journal, 2008
davon Deutschland* 1 215,2 1 008,2 968,9 944,6 - 22,3
Australien* 277,8 349,8 382,7 378,2 + 36,1
Kanada* 455,8 559,9 569,1 569,9 + 30,9
Weltvorräte und -förderung an Steinkohle 2008 USA* 5 068,6 5 964,4 6 081,9 5 909,3 + 16,6
Russland* 2 499,1 1 471,1 1 525,7 1 610,9 - 35,5
Vorräte Förderung Ukraine* 715,6 289,1 320,7 332,8 - 53,5
Region Mrd. t SKE Mio. t Japan* 1 143,2 1 226,6 1 267,3 1 301,1 + 13,8
Korea 229,2 431,3 468,9 511,6 + 123,1
EU-27   34   149 Indien 589,3 976,5 1 160,7 1 449,6 + 146,0
Eurasien 102   498 VR China 2 244,0 3 077,6 5 100,5 6 496,2 + 189,5
Afrika   27   235 (Übr.) Ferner Osten 685,3 1 143,5 1 437,0 1 552,1 + 126,5
Nordamerika 195 1 106 Naher Osten 587,9 971,5 1 227,2 1 428,5 + 143,0
Mittel- und Südamerika    7    79 Afrika 549,3 694,4 831,8 925,4 + 68,5
VR China 148 2 716 Lateinamerika 603,1 859,8 931,9 1 068,9 + 77,1
Ferner Osten   70   733 Übrige Staaten 1 958,1 1 992,4 2 262,3 2 467,8 + 26,0
Australien   33   334
Welt 22 010,5 24 119,9 27 826,1 30 178,0 + 37,1
Welt 617 5 850
* Annex-I-Staaten nach UN-Klimarahmenkonvention (vgl. u. a. http://unfcc.int)
Quelle: BGR, 2009; VDKI, 2009 Quelle: Ziesing ET, 9/2009

82
Statistik

Primärenergieverbrauch in der EU-27 EU-Energie- und Erdgasbedarfs und -importprognosen*


Wasserkraft ­ 2005 2020
Kern- und sonst. Ins- New Energy
Kohle Mineralöl Gas energie Energien gesamt EU-27 Baseline Projection Policy Projection
Jahr Mio. t SKE Millionen Tonnen Ölpreis Ölpreis Ölpreis Ölpreis
2005 431 1 003 606 367 123 2 530 Öläquivalent (Mtoe) 61 US-$ /bl 100 US-$ /bl 61 US-$ /bl 100 US-$ /bl
2006 458 1 032 627 371 132 2 620 Primärenergie-
2007 455 1 006 615 347 144 2 567 verbrauch 1811 1986 1903 1712 1672
2008 431 1 005 631 350 138 2 554
Öl 666 702 648 608 567
2020 488 1 003 721 317 283 2 812 Gas 445 505 443 399 345
2030 480 1 012 738 295 340 2 865 Kohle 320 342 340 216 253
Erneuerbare 123 197 221 270 274
Kernenergie und erneuerbare Energien mit Wirkungsgradansatz bewertet Kernenergie 257 221 249 218 233
Quelle der Prognosen: Europäische Kommission, 2008, Baseline Szenario
EU-Energie-
erzeugung 896 725 774 733 763
Stromerzeugung in der EU-27
Öl 133 53 53 53 52
Wasserkraft ­ Gas 188 115 113 107 100
Kern- und sonst. Ins- Kohle 196 142 146 108 129
Kohle Öl Gas energie Energien gesamt Erneuerbare 122 193 213 247 250
Kernenergie 257 221 249 218 233
Jahr TWh
Nettoimporte 975 1301 1184 1033 962
2005   990 160   660 930   440 3 180
Öl 590 707 651 610 569
2006   995 140   710 966   474 3 285
Gas Mtoe 257 390 330 291 245
2007 1 040 110   710 935   515 3 310
(Bill. m3 ) (298) (452) (383) (337) (284)
2008   990   95   780 920   587 3 372
Kohle 127 200 194 108 124
2020 1 440   70   860 870   860 4 100 Endenergie-
2030 1 530   60   880 870 1 060 4 400 verbrauch Strom 238 303 302 257 260
Quelle der Prognosen: Europäische Kommission, 2008, Baseline Szenario * von November 2008 unter Berücksichtigung der Implementierung der
Märzbeschlüsse von 2007
Kohlenförderung in der EU-27 im Jahre 2008 Quelle: Europäische Kommission, An EU Energy Security and Solidarity Action Plan.
Second Strategic Energy Review. Communication from the Commission to the European
Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee of the Regions,
Steinkohle Braunkohle Brüssel, November 2008, Annex 1, p. 19 f.

Land Mio. t SKE
Primärenergieverbrauch in Deutschland
Deutschland 17,7 52,3
Großbritannien 14,5 – Wasser-
Frankreich – – Mineral- Stein- Braun- Kern- Wind- kraft u. Ins-­
Griechenland – 11,8 öl kohle kohle Erdgas energie energie Sonstige gesamt
Irland –   0,9 Jahr Mio. t SKE
Italien – –
Spanien 6,5   1,5 1980 206,7 85,2 115,7   73,9 20,7 0,0   5,9 508,1
Finnland –   1,2 1990 178,7 78,7 109,2   78,2 56,9 0,0   7,2 508,9
Österreich – – 1995 194,1 70,3   59,2   95,5 57,4 0,2 10,2 486,9
Polen 67,0 17,5 2000 187,6 69,0   52,9 101,9 63,2 1,2 15,6 491,4
Ungarn –   2,8 2005 176,3 61,7   54,4 110,2 60,7 3,3 26,9 493,5
Tschechien   7,6 20,3 2006 174,7 67,0   53,8 111,3 62,3 3,8 30,6 503,5
20071) 157,9 67,4   55,0 106,6 52,3 4,9 28,3 472,4
Slowakei –   1,0
20081) 166,1 62,5   53,0 105,5 55,4 4,9 30,4 477,8
Slowenien –   1,4
Estland –   5,2 1)
vorläufig
Bulgarien –   6,7 Kernenergie und erneuerbare Energien mit Wirkungsgradansatz bewertet
Rumänien   2,1   8,6

EU-27 115,41 131,21

83
Stromerzeugung in Deutschland Belegschaft1) im deutschen Steinkohlenbergbau
Wasser- Arbeiter und
Stein- Braun- Kern- Mineral- Wind- kraft u. Ins-­ Arbeiter Angestellte Angestellte
kohle kohle energie öl Erdgas energie Sonstige gesamt
unter über unter über Ins- darunter
Jahr TWh Tage Tage Tage Tage gesamt Auszubildende
Jahres-
1980 111,5 172,7   55,6 27,0   61,0   0,0 39,8 467,6 ende 1000
1990 140,8 170,9 152,5 10,8   35,9   0,1 38,9 549,9
1957 384,3 169,3 16,3 37,4 607,3 48,2
1995 147,1 142,6 154,1   9,1   41,1   1,5 41,3 536,8
1960 297,0 140,2 16,8 36,2 490,2 22,7
2000 143,1 148,3 169,6   5,9   49,2   9,5 50,9 576,5
1965 216,8 110,5 15,6 34,1 377,0 15,2
2005 134,1 154,1 163,0 11,6   71,0 27,2 59,6 620,6
1970 138,3   75,6 13,0 25,8 252,7 11,5
2006 137,9 151,1 167,4 10,5   73,4 30,7 65,9 636,8
1975 107,9   60,9 11,5 22,0 202,3 14,1
20071) 142,0 155,1 140,5   9,6   75,9 39,7 74,8 637,6 1980   99,7   55,8 10,6 20,7 186,8 16,4
20081) 128,5 150,0 148,8 10,5   83,0 40,2 78,1 639,1 1985   90,1   47,4 10,2 18,5 166,2 15,7
1)
vorläufig
1990   69,6   35,9   8,9 15,9 130,3   8,3
1995   47,2   25,7   6,1 13,6   92,6   2,9
2000   25,6   18,2   3,8 10,5   58,1   2,3
2001   23,0   16,2   3,4 10,0   52,6   2,2
Absatz des deutschen Steinkohlenbergbaus 2002   21,6   14,4   3,1   9,6   48,7   2,4
2003   20,0   13,6   2,8   9,2   45,6   2,7
Inland EU-Länder 2004   19,6   11,6   2,8   8,0   42,0   2,9
2005   17,7   10,9   2,6   7,3   38,5   3,2
Wärme- Kraft- Stahl- Stahl- Dritt- Gesamt- 2006   16,2   9,9   2,4   6,9   35,4   3,0
markt werke industrie industrie übrige länder absatz 2007   15,1   9,1   2,3   6,3   32,8   2,4
Jahr Mio. t SKE 2008   13,6   8,5   2,0   6,3   30,4   1,8

1960 61,3 22,1 31,3 27,0 5,3 147,0


1)
  Belegschaft einschließlich Mitarbeiter in struktureller Kurzarbeit und Qualifizierung
1970 28,5 31,8 27,9 19,8 5,7 3,2 116,9
1980   9,4 34,1 24,9 13,0 4,8 2,1   88,3
1990   4,1 39,3 19,8   5,2 2,2 0,4   71,0
2000   0,7 27,6 10,0   0,0 0,3 0,0   38,6 Steinkohlenförderung in Deutschland
2005   0,3 20,3   6,1   0,0 0,1 0,0   26,8 Revier ­
2006   0,3 18,3   3,7   0,0 0,1 0,0   22,4
2007   0,3 18,8   4,1   0,0 0,1 0,0   23,3 Ibben- Bundes-
2008   0,3 15,0   4,1   0,0 0,1 0,0   19,5 Ruhr Saar Aachen büren republik
Jahr Mio. t v. F.
1957 123,2 16,3 7,6 2,3 149,4
1960 115,5 16,2 8,2 2,4 142,3
Rationalisierung im deutschen Steinkohlenbergbau 1965 110,9 14,2 7,8 2,2 135,1
Leistung Förderung1) 1970   91,1 10,5 6,9 2,8 111,3
unter Tage je je Abbau- Abbau-­ 1975   75,9   9,0 5,7 1,8   92,4
1980   69,2 10,1 5,1 2,2   86,6
Mann/Schicht betriebspunkt Bergwerke2) betriebspunkte
1985   64,0 10,7 4,7 2,4   81,8
Jahr kg v. F.3) t v. F.3) Anzahl 1990   54,6   9,7 3,4 2,1   69,8
1995   41,6   8,2 1,6 1,7   53,1
1960 2 057   310 146 1 631 2000   25,9   5,7 – 1,7   33,3
1970 3 755   868   69   476 2001   20,0   5,3 – 1,8   27,1
1980 3 948 1 408   39   229 2002   18,9   5,4 – 1,8   26,1
1990 5 008 1 803   27   147 2003   18,2   5,6 – 1,9   25,7
2000 6 685 3 431   12    37 2004   17,8   6,0 – 1,9   25,7
2005 6 735 3 888    9    24 2005   18,1   4,7 – 1,9   24,7
2006 6 409 3 686    8    21 2006   15,2   3,6 – 1,9   20,7
2007 7 071 3 680    8    22 2007   15,9   3,5 – 1,9   21,3
2008 6 309 3 740    7    18 2008   14,2   1,0 – 1,9   17,1
1)
fördertäglich 2)
Stand Jahresende ohne Kleinzechen 3)
Bis 1996 Saar in t = t Bis 1996 Saar in t = t

84
Bergbau und Kultur:
Deutsches Bergbau-Museum, Bochum
Der Erweiterungsbau „Schwarzer Diamant”
(Entwurf: Benthem Crouwel) wird mit der Sonderausstellung
„Glück auf! Ruhrgebiet – Der Steinkohlenbergbau nach 1945”
am 4. Dezember 2009 eröffnet.
Organisation des Gesamtverbands Steinkohle e. V.

Vorstand Geschäftsführung Mitglieder


Vorsitzender (Präsident): Prof. Dr. Franz-Josef Wodopia, Essen, RAG Aktiengesellschaft, Herne
Hauptgeschäftsführer
Bernd Tönjes, Herne, RAG Deutsche Steinkohle AG,
Vorsitzender des Vorstands der Elmar Milles, Essen Herne
RAG Aktiengesellschaft
RAG Anthrazit Ibbenbüren GmbH,
Geschäftsbereiche Ibbenbüren
Stellvertretende Vorsitzende:
Wirtschaft/Umwelt/Energie RAG Beteiligungs-GmbH, Herne
Dr. Wilhelm Beermann, Essen, Prof. Dr. Franz-Josef Wodopia, Essen
(Ehrenpräsident) RAG Mining Solutions GmbH,
Recht/Soziales/Tarife Herne
Jürgen Eikhoff, Herne, Elmar Milles, Essen
Mitglied des Vorstands der RAG Montan Immobilien GmbH,
RAG Aktiengesellschaft Essen

Dr. Jürgen-Johann Rupp, Herne, Evonik Steag GmbH, Essen


Mitglied des Vorstands der
RAG Aktiengesellschaft Bergwerksgesellschaft
Merchweiler mbH, Quierschied

Mitglieder des Vorstands:

Rainer Platzek, Rheinberg

Joachim Rumstadt,
Vorsitzender der Geschäftsführung
Evonik Steag GmbH

K.-Rainer Trösken, Essen

Ulrich Weber, Essen,


Mitglied des Vorstands der
RAG-Stiftung

Prof. Dr. Franz-Josef Wodopia, Essen,


Geschäftsf. Vorstandsmitglied

Michael G. Ziesler, Saarbrücken

Stand: Mitte Oktober 2009

86
Verzeichnis der Grafiken und Tabellen

Deutsche Steinkohle Welthandelsintensität bei Steinkohle 47


Steinkohlenbergwerke in Deutschland 11 Preise für Kraftwerkskohle 47
Anpassung im deutschen Steinkohlenbergbau 12 Frachtraten nach Europa 48
Fachrichtungen der Auszubildenden im Steinkohlenbergbau 13 Steinkohlen- und Koks-Exporte nach Deutschland 2008 48
Primärenergiegewinnung in Deutschland 16
Entwicklung der Subventionen in Deutschland 17 Strategische Risiken der globalen Energiesicherheit
Öffentliche Hilfen für die deutsche Steinkohle 17 Weltenergieverbrauch 51
Fiskalische Folgekosten bei unterschiedlichen
Arbeitsplatzersatzraten 18
Herausforderungen für die europäische und deutsche
Beschäftigungseffekte des deutschen Steinkohlenbergbaus
Energiepolitik
nach Regionen 18
Energiepolitische Ziele 58
Produktion der deutschen Bergbaumaschinen-
industrie 22 Absatzstruktur deutscher Steinkohle 59
Unfallrückgang im Steinkohlenbergbau 23 Haushalt der EU 2008 60
Hilfen des Bundes 60
Klima und Umwelt Entwicklung der Stromerzeugung in Deutschland nach
BMU-Szenario „Roadmap 2020“ 65
Energiebedingte CO 2-Emissionen in der Welt 29
Stromerzeugung in der EU-27 66
Reduzierung von Treibhausgasemissionen in Deutschland
bis 2020 31 Primärenergieverbrauch in Deutschland 68
CCS-Technologie: Möglichkeiten der CO 2-Abtrennung und Stromerzeugung in Deutschland 2008 69
CO 2-Speicherung 32 Außenwirtschaftliche Energierechnung 71
CO 2-Abtrennungsverfahren 34 Importabhängigkeit Deutschlands bei Energieträgern steigt 72
Wirkungsgrad und Kosten von CCT und CCS 35 Rohöl- und Erdgasaufkommen in Deutschland 73
Stromerzeugung und CO 2-Minderung durch regenerative Steinkohlenaufkommen in Deutschland 73
Energien und Grubengas in NRW 36 „Stabile“ bzw. „instabile“ Produzentenländer von
CO 2-Reduzierung von Steinkohlenkraftwerken durch Kraftwerks- und Kokskohle 2003 und 2007 74
Wirkungsgradsteigerungen/CCS-Technologie 40 Energieversorgungsrisiken der G7-Staaten 74
Versorgungsrisiko bei Öl, Gas und Steinkohle 1978 bis 2007 75
Internationale Trends der Energie-
und Steinkohlenmärkte Energierohstoffreserven in Deutschland 79

Einfuhrpreisentwicklung von Erdöl, Erdgas und Steinkohle 42


Energieverbrauch im Vergleich zur Weltbevölkerung und zum Statistiken 82
Bruttoinlandsprodukt 43
Energiebedingte CO 2-Emissionen in der Welt 44
Bedeutung von China, Indien, USA im Vergleich zu Deutschland 44
Weltvorräte an Öl und Gas, OPEC- und GECF-Anteile 45
Missverhältnis zwischen Energiereserven und
Verbrauchsstruktur 45
Weitere Grafiken unter www.gvst.de
Weltsteinkohlenförderung und -verbrauch 46

87
Impressum

Impressum
Herausgegeben von der Redaktion:
Geschäftsführung des Prof. Dr. Franz-Josef Wodopia,
Gesamtverbands Stein­koh­le e. V. Jürgen Ilse, Roland Lübke,
Rüttenscheider Straße 1 - 3 Dr. Detlef Riedel, Andreas-Peter
45128 Essen Sitte, Dr. Kai van de Loo,
Tel.: + 49 (0)201 / 801 4305 Dr. Gerd-Rainer Weber
Fax: + 49 (0)201 / 801 4262
Fotos:
Adresse ab 1. Januar 2010: Bethem Crowel, Deutsches Berg-
Shamrockring 1 bau-Museum, Dreamstime, Ermert,
44623 Herne Evonik, Getty Images, GVSt, RAG
Tel.: + 49 (0)23 23/ 15 4305
Fax: + 49 (0)23 23/ 15 4291 Bildmontagen:
Bethem Crowel, Ermert, Q-Medien
E-Mail: kommunikation@gvst.de
Internet: www.gvst.de Layout, Grafik:
Q-Medien GmbH,
42699 Solingen

Verlag:
VGE Verlag GmbH,
45219 Essen

Druck:
B.o.s.s Druck und Medien GmbH,
47574 Goch

ISSN 0343-7981

88
Kennzahlen zum Steinkohlenbergbau
in Deutschland 2008

Bergwerke 1) (Anzahl) 7 (Jan. 2009: 6)


Zechenkokereien* (Anzahl) 1

Belegschaft 1) insgesamt 30 384 Mitarbeiter


- Ruhrrevier 23 286 Mit­ar­b ei­t er
- Saarrevier 4 690 Mit­ar­b ei­t er
- Ibbenbüren 2 408 Mit­ar­b ei­t er

Steinkohlenförderung insgesamt 17,1 Mio. t v. F. 3)


= 17,7 Mio. t SKE 2)
- Ruhrrevier 14,2 Mio. t v. F.
- Saarrevier 1,0 Mio. t v. F.
- Ibbenbüren 1,9 Mio. t v. F.
Kokserzeugung (Zechenkokerei) 2,0 Mio. t

Technische Kennzahlen
Förderung je Abbaubetriebspunkt 3 740 t v.F./Tag
Mittlere Flözmächtigkeit 146 cm
Mittlere Streblänge 338 m
Mittlere Gewinnungsteufe 1145 m
Größte Schachttiefe 1 750 m­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­

Absatz insgesamt 19,5 Mio. t SKE


- Elektrizitätswirtschaft 15,0 Mio. t SKE
- Stahlindustrie 4,1 Mio. t SKE
- Wärmemarkt 0,4 Mio. t SKE

Anteil deutscher Steinkohle


- am Primärenergieverbrauch in Deutschland 4 %
- an der Stromerzeugung in Deutschland 7 %
- am Steinkohlenverbrauch 30 %
- an der Stromerzeugung aus Steinkohle 34 %

Ende des Jahres; Belegschaft einschließlich Mitarbeiter in struktureller Kurzarbeit und


1)

Qualifizierung
2)
SKE = Steinkohleneinheit. 1 kg SKE = 7 000 kcal bzw. 29 308 kJ
(entspricht dem mittleren Heizwert eines Kilogramms Steinkohle)
3)
v. F. = verwertbare Förderung (berücksichtigt werden Wasser und Asche­g e­h alt)
Steinkohle
Kompetenz 2008
in Sachen
Kohle

Steinkohle 2008

Gesamtverband Steinkohle

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