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ALEXANDRU AVRAM – TRAIAN CLIANTE – VIRGIL LUNGU

N EUE I NSCHRIFTEN AUS T OMIS

aus: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 197 (2016) 140–148

© Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn


140

N EU E I NSCH R I F T EN AUS TOM IS

Die in den letzten Jahrzehnten jährlich durchgeführten Rettungsausgrabungen in Constanţa, dem antiken
Tomis, haben unter anderem auch zur Entdeckung neuer epigraphischer Denkmäler geführt. Die meisten
davon wurden der Reihe nach besonders in den Pontica, dem Jahrbuch des örtlichen Museums für Natio-
nalgeschichte und Archäologie, publiziert, einige aber auch anderswo. Jedenfalls erweist sich heutzutage
das 1987 erschienene Corpus der tomitanischen Inschriften, das Iorgu Stoian zu verdanken ist (Inscriptio-
nes Scythiae Minoris Graecae et Latinae, im folgenden ISM II), als veraltet1. Daher auch die Initiative, die
vor ein paar Jahren von Maria Bărbulescu, Livia Buzoianu und Alexandru Avram ergriffen wurde, ein Sup-
plementum ad ISM II vorzulegen, das hoffentlich in kurzer Zeit in derselben Reihe als ISM VI.1 (in franzö-
sischer Sprache) erscheinen wird2. Der vorliegende Aufsatz, in dem die Autoren drei unedierte Inschriften
aus Tomis veröffentlichen, ist als eine Etappe in der Vorbereitung des bereits erwähnten Supplementum zu
betrachten3. Uns geht es hier um drei epigraphische Denkmäler, von denen das eine (Nr. 2) durch Rettungs-
ausgrabungen, die beiden anderen (Nr. 1 und 3) zufällig entdeckt wurden.

1. Titulus honorarius. Zeit des Mark Aurel (Abb. 1)


In ein Haus aus Constanţa eingemauert, Ion-Lahovari-Straße, Nr. 2. Das Gebäude wurde vor kurzem
restauriert und in ein Hotel mit benachbartem Restaurant („Casa Domnească“) umgewandelt. Anläßlich
dieser Restaurierungsarbeiten hat man festgestellt, daß in die Fassade unter zwei Fenstern, die sich zur
Straße öffnen, eine allem Anschein nach komplett konservierte antike Marmorplatte eingemauert wurde,
die eine griechische Inschrift trägt. Sie war zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt, womöglich
um 1900, in einen sorgfältig ausgeführten Rahmen eingefügt worden. Maße: H. 0,345 m. Br. 0,580 m.
BH 0,035–0,038 m.
Tief und recht sorgfältig eingemeißelte Buchstaben mit Apices: Lunarformen für Epsilon und Sigma;
Theta als Kreis mit waagerechtem Strich in der Mitte, dessen Enden jedoch den Umfang des Kreises nicht
berühren; Ypsilon mit einem kurzen waagerechten Strich, der den Kreuzpunkt der Hasten überquert; Ome-
ga je nach dem Fall unterschiedlich eingemeißelt (mit an die Füße anknüpfender Schleife, Z. 1; mit hoch
profilierter Schleife, deren Enden die Füße berühren, Z. 2 und 4; mit gleichartiger Schleife, die aber die
Füße nicht berührt, Z. 3)4.

1 Einwenden kann man vor allem, daß das Corpus nicht einmal im Moment, wo es publiziert wurde, vollständig war.
Recht viele tomitanische Inschriften, von denen manche seinerzeit schon in CIL oder IGR zu finden waren, wurden außer Acht
gelassen. Dazu die Rezensionen von Ph. Gauthier, Bull. ép. 1988, 15; M. Bărbulescu, Dacia N.S. 32 (1988), 244–245; A. Martin,
Latomus 49 (1990), 882–884.
2 In Vorbereitung befindet sich auch ISM VI.2, d.h. ein Supplementum ad ISM I (Istros/Histria) und III (Kallatis).
3 Alexandru Avram hat darüber auf Einladung von Prof. Dr. Christian Marek einen Vortrag an der Universität Zürich
gehalten (April 2015). Für äußerst wertvolle Ratschläge sowie für die sprachliche Überarbeitung des vorliegenden Aufsatzes
sind die Autoren Herrn Christian Marek sehr zu Dank verpflichtet. Dank schulden sie auch den Herren Prof. Dr. Georg Petzl
(Universität zu Köln) und (für die Inschrift Nr. 3) Denis Feissel (Collège de France), Klaus Hallof (IG Berlin), Gregor Staab
(Universität zu Köln) und Jürgen Hammerstaedt (Universität zu Köln).
4 Die Lunarbuchstaben scheinen in den tomitanischen Inschriften um die Zeit des Mark Aurel zum ersten Mal aufzu-
tauchen. Siehe z.B. für das Sigma ISM II 116 = K. Maurer, Der Pontarch des westpontischen Koinons, Dacia N.S. 58 (2014),
175–177 Nr. 18. Die Formen des Omega sind typisch für die Antoninenzeit.
Neue Inschriften aus Tomis 141

Abb. 1

Τιβ. Κλ. Φάλκωνα Πομπηιαν[ὸν]


ἱερέα θεᾶς Ῥώμης καὶ ἀπὸ [λο]-
γιστειῶν καὶ β̅ ποντάρ[χην]
4 ἀπὸ προγόνων· Γ. Ἰού[λιος]
Σιλουανὸς ἐκ τριηράρχ[ων]
Z. 1: Trennpunkt nach ΤΙΒ. – Z. 2: Ligatur Μ + Η. – Z. 3: Der Buchstabe Β steht zwischen zwei Trennpunkten
und hat über der Zeile einen waagerechten Strich, der ihn als Ziffer kennzeichnet; Ligatur Ν + Τ. – Z. 4: Ligatur
Π + Ρ; Trennpunkte nach προγόνων und nach Γ. – Z. 5: Ligatur Η + Ρ.

„(Den) Tiberius Claudius Falco Pompeianus, Priester der Göttin Roma, ehemaligen Inhaber
mehrerer Amtsperioden als Logistes und zweimal Pontarch, (mit Pontarchen) unter den Vor-
fahren, (hat mit einem Standbild geehrt) Caius Iulius Silvanus, einer der Trierarchen“
Dieser kurze Text liefert allein mehr oder weniger wichtige Informationen.
Erstens geht es um den Namen des Geehrten, der eher Τιβ. Κλ. Πομπηιανὸς Φάλκων als Τιβ. Κλ.
Φάλκων Πομπηιανός hätte lauten müssen. Das erste Cognomen, das auf -ιανός (Lat. -ianus) endet, und das
zweite, Φάλκων (Lat. Falco), könnten darauf hinweisen, daß es sich um den Sohn eines gewissen Pompeius
Falco, der danach von einem Tib(erius) Claudius adoptiert wurde, handelt5. Der Vater Pompeius Falco wird
das römische Bürgerrecht zur Zeit des Q. Roscius Coelius Murena Silius Decianus Vibull(i)us Pius Iulius
Eurycles Herclan(e)us Pompeius Falco (PIR2 P 602) erworben haben, der cos. suff. im Jahre 108 und Statt-
halter von Niedermoesien um 116–117 war6.
5 Dazu T. Corsten, Names in -ΙΑΝΟΣ in Asia Minor: A Preliminary Study, in: R. W. V. Catling – F. Marchand (Hg.),
Onomatologos. Studies in Greek Personal Names presented to Elaine Matthews, Oxford, 2010, 456–463, mit zahlreichen
Zeugnissen aus Kleinasien. Diese konventionelle Art und Weise, auf die beidseitige Abstammung hinzuweisen, scheint für das
ganze östliche Imperium Romanum zu gelten.
6 A. Stein, Die Legaten von Moesien, Budapest, 1940, 64–65; W. Eck, Senatoren von Vespasian bis Hadrian. Prosopo-
graphische Untersuchungen mit Einschluß der Jahres- und Provinzialfasten der Statthalter, Vestigia 13, München, 1970, 180,
182 und 184; ders., Jahres-und Provinzialfasten der senatorischen Statthalter von 69/70 bis 138/139 (I), Chiron 12 (1982), 359
und 361; (II), Chiron 13 (1983), 148; LP I, 132 Nr. 20:73; T. Franke, Die Legionslegaten der römischen Armee in der Zeit von
Augustus bis Traian, I, Bochum, 1991, 116–123 Nr. 57; C. Marek, Ein neues Zeugnis aus Kaunos für den Senator Pompeius Fal-
co, MH 57.2 (2000) [= Festschrift Hermann Tränkle], 88–93 (jetzt I.Kaunos 136); J. Żelazowski, L’attività dei governatori nella
Mesia Inferiore (86–275) secondo le iscrizioni, Palamedes 4 (2009), 140. – Zur Polyonymie siehe O. Salomies, Adoptive and
Polyonymous Nomenclature in the Roman Empire, Helsinki, 1992, 121–125, und für Pompeius Falcos Nachfolger ebd., 70–71.
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Zweitens erwähnt die Inschrift den Kult der Göttin Roma zum ersten Mal in Tomis. In Niedermoesien
war dieser Kult in Nikopolis ad Istrum7 und zweimal in Odessos belegt, zunächst unter Claudius8, danach
im Jahre 2389. Unsere Inschrift ist ihrerseits auch ziemlich spät, jedoch wird man kaum daran zweifeln,
daß der genannte Kult in derselben Zeit wie der Kaiserkult in die griechischen westpontischen Städte ein-
geführt wurde. Für den Kaiserkult gibt es Belege schon unter Augustus: in Istros (Histria) wurde ein ναός
für diesen Kaiser zu seinen Lebzeiten erbaut (ISM I 146)10, während in Kallatis der Demos demselben
Kaiser „die Säulen der Vorhalle“, τοὺς κείονας τᾶς στοιᾶς (ISM III 58), danach auch „die Vorhalle (?) und
das Gymnasion“, [τὰν στο(ι)ὰ?]ν καὶ τὸ γυμνάσιον11, weihte.
Drittens erfahren wir, daß der Geehrte außerdem zweimal Pontarch gewesen war. Zudem stammte
er aus einem Pontarchen-Geschlecht, was so viel bedeutet, daß seine Vorfahren ihr Amt unter Hadrian
oder Antoninus Pius bekleidet hatten12. Demnach gehört unsere Inschrift in die Zeit des Mark Aurel, was
sich auch dadurch bekräftigen läßt, daß Tib. Claudius Pompeianus Falcos Vater die civitas Romana unter
dem Statthalter Q. Roscius Coelius Murena Silius Pompeius Falco erworben hatte, sowie durch die paläo-
graphischen Züge der Schrift. Unklar bleibt dabei, ob sich der Verweis auf Pontarchen als Vorgänger auf
Pompeius Falco oder auf den vermutlichen Adoptivvater Tiberius Claudius bezieht. Allerdings finden wir
keinen Claudius unter den im Moment bekannten Pontarchen, auch sind die Claudii eher selten in Tomis13.
Unsere Inschrift bringt auch die erste Erwähnung der λογιστεία, des Amtes eines λογιστής (cura-
tor ciuitatis, eine Art Finanzinspektor), in Tomis14. Bisher kannte man T. Antonius Claudius Alphenus
Arignotos, der in einer Inschrift aus dem lydischen Thyatira15 als λογιστὴς … τῆς [Ἰσ]τριανῶν πόλεως
καὶ Τροπησίων καὶ τῆς [Ἀπ]ολωνείας erwähnt wird, also als curator von Histria (Istros), Tropaeum und

7 IGBulg II 701: Κ⟨λ⟩. Οὐά[λ]⟨η⟩ς (?) βουλ(ευτὴς) καὶ ἱερεὺς Ῥώμ[ης].


8 N. Šarankov, Grăcki nadpisi ot Odesos, Acta Musei Varnaensis 8.2 (2011), 303–309 Nr. 1 (vgl. A. Avram, Bull. ép. 2014,
325): Ἀπολλώνιος Ἀπολλωνίου τ[οῦ] Προμαθίωνος (schon durch IGBulg I2 57 = V 5027 unter Tiberius bekannt), ἱερεὺς διὰ
[β]ί[ο]υ des Kaisers Claudius, ἀρχιερεὺς θεᾶς Ῥώμης καὶ ἀδελφὸς τοῦ δήμου. Für ἀδελφὸς τοῦ δήμου siehe auch H. Engel-
mann, Inschriften von Patara, ZPE 182 (2012), 192 Nr. 12. Dieser Titel wäre unter Umständen mit dem verwandten υἱὸς τῆς
πόλεως (dazu F. Canali de Rossi, Filius publicus. ΥΙΟΣ ΤΗΣ ΠΟΛΕΩΣ e titoli affini in iscrizioni greche di età imperiale, Rom,
2007) zu vergleichen. In der schon genannten, jetzt verschollenen Inschrift IGBulg I2 57 = V 5027 geht es um die Wiederher-
stellung der Stadtmauern, die vom Stifter θεοῖς πᾶσι καὶ τῷ - - geweiht wurden. Vielleicht könnte man an dieser Stelle τῷ
[Αὐτοκράτορι Καίσαρι] versuchshalber ergänzen.
9 IGBulg I2 48: ein anonymer ἱερεὺς θεᾶς Ῥώμης καὶ (πρῶτος) ἄρχων.
10 Dazu vor kurzem M. Mărgineanu Cârstoiu, Le temple de culte impérial d’Auguste à Histria, Caiete ARA 5 (2014),
97–114.
11 A. Avram – M. Ionescu, Nouvelles inscriptions de Callatis, in: A. Robu – I. Bîrzescu (Hg.), Mégarika. Nouvelles
recherches sur Mégare et les cités de la Propontide et du Pont-Euxin. Archéologie, épigraphie, histoire, Actes du colloque de
Mangalia (8–12 juillet 2012), Paris, 2015, 443–446 Nr. 1 (im Druck).
12 Die ersten Pontarchen werden frühestens unter Traian, jedoch eher gegen Anfang der Herrschaft Hadrians erwähnt.
Zur Pontarchie siehe ausführlich vor kurzem K. Maurer, a. a. O. (Anm. 4), 141–188. Siehe auch D. M. Pippidi, Scythica Minora.
Recherches sur les colonies grecques du littoral roumain de la mer Noire, Bukarest–Amsterdam, 1975, 230–256; G. Mihailov,
The Western Pontic Koinon, Epigraphica 41 (1979), 7–42; J. Deininger, Zu einer neuen Hypothese über die Pontarchie im
westpontischen Koinon, ZPE 51 (1983), 219–227; M. Musielak, Πρῶτος ποντάρχης, Pontica 26 (1993), 191–195 (SEG 45, 887;
Ann. ép. 1993, 1378); K. Nawotka, The ‘First Pontarch’ and the Date of the Establishment of the Western Pontic ΚΟΙΝΟΝ, Klio
75 (1993), 342–350 (SEG 43, 489; Ann. ép. 1993, 1379); ders., The Western Pontic Cities. History and Political Organization,
Amsterdam, 1997, 216–236; Z. Gocheva, Organization of the Religious and Administrative Life of the Western Pontic Koinon,
in: Studia in honorem Christo M. Danov (= Thracia 12 [1998]), 141–146 (SEG 48, 961); A. Avram – M. Bărbulescu – M. Iones-
cu, À propos des pontarques du Pont Gauche, Ancient West & East 3.2 (2004), 354–364 (Ann. ép. 2004, 1231; SEG 54, 666;
A. Chaniotis, EBGR 18 [2005], Nr. 10); M. Bărbulescu, De nouveau sur le koinon du Pont Gauche à partir d’une inscription
inédite de Tomis, Dacia N.S. 51 (2007), 139–145 (Ann. ép. 2007, 1230; SEG 57, 678; vgl. A. Avram, Bull. ép. 2008, 370);
M. Tatscheva, Das westpontische Koinon, Eirene 43 (2007), 82–87; V. Bottez, Cultul imperial în provincia Moesia Inferior
(sec. I–III p. Chr.), Bukarest, 2009.
13 Siehe jedoch unter den Pontarchen einen Τ. Κομίνιος Κλαυδιανὸς Ἑρμάφιλος (ISM II 69).
14 Zur Formel ἀπὸ λογιστειῶν siehe I.Prusias ad Hypium 7, Z. 13 (mit W. Amelings Kommentar: „er hatte mehrfach die
Funktion eines curator civitatis ausgeübt“).
15 CIG 3497 = IGR IV 1213 = TAM V.2 935 = IDRE II 383, Z. 17–21 (verbessert durch C. C. Petolescu).
Neue Inschriften aus Tomis 143

höchstwahrscheinlich Apollonia Pontica, sowie ebenfalls in Histria einen Anonymen, dessen Name ausge-
meißelt wurde, λογιστε[ύσαν]τα μετὰ πάσης πίστεως16. Dasselbe Amt ist also nun auch in Tomis belegt.
Der Dedikant, C. Iulius Silvanus, wird als ἐκ τριηράρχ[ων] bezeichnet. Daher zwei Möglichkeiten: ent-
weder war er einer der Trierarchen der Stadt Tomis, dann hätten wir die erste Erwähnung einer solchen (kol-
legialen) Liturgie17 an der westpontischen Küste überhaupt, oder aber, unseres Erachtens wahrscheinlicher,
Trierarch der auf der Donau und an den West- und Nordküsten des Schwarzen Meeres agierenden Classis
Flavia Moesica18. In dem zuletzt genannten Falle wäre er zu den drei bisher bekannten Trierarchen dieser
Einheit hinzuzufügen, die anscheinend alle in das 2. Jh. gehören: T. Aur(elius) Secundus aus Ravenna (Cher-
sonesos Taurica, im Jahre 185)19; [ - - ] Severinus (Histria)20; C. Cand(idius) Germ(anus) (Noviodunum)21.
C. Iulius Silvanus war bisher unbekannt, es läßt sich auch keine Aussage über seine Verbindungen zu den
damals in Tomis bekannten vornehmen Familien treffen. Merkwürdig bleibt dabei, wenn es sich wirklich
um einen Trierarchen der Classis Flavia Moesica handelt, daß ein Tomitaner dafür rekrutiert wurde.

2. Fragmentarisches Grabepigramm (?). Erste Hälfte des 3. Jh. n. Chr. (Abb. 2–3)
Museum für Nationalgeschichte und Archäologie zu Constanţa, Inv. 43 466. Gefunden durch die 2013 in
Constanţa, Tomis-Boulevard, Nr. 51, durchgeführten Rettungsausgrabungen unter der Leitung von Traian
Cliante.
Fragment einer Sarkophagwand aus Kalkstein, links und unten gebrochen.
Maße: H. 0,445 m (davon 0,0245 m für das Feld). Br. 0,465 m. T. 0,015 m. BH 0,024–0,030 m.
Ziemlich tief eingemeißelte Buchstaben: Theta als Kreis mit Punkt in der Mitte, rechteckiges Sigma.
Zeilen 1–2 bis Σιδ⟨ω⟩νί⟨ου⟩ sind nicht metrisch, dann beginnt vermutlich ein Grabgedicht.
[Ἀλ]εξάνδρου Θεο-
[δότ]ου Σιδ⟨ω⟩νί⟨ου⟩· ἡ πύα-
[λος] στενάχει ἡ Θεοδό-
4 [του υ]ἱο[ῦ], αὐτοῦ ἔνθα
------------------
Z. 2: ΣΙ∆ΟΝΙΩ auf dem Stein.

Wohl Reste von mißlungenen Versen:


ἡ πύα[λος] στενάχει ἡ Θεοδό[του υ]ἱο[ῦ,]
αὐτοῦ ἔνθα [⏑ – – ⏑⏑ – ⏑⏑ ⏓]
V. 1: Der Raum reicht nicht für die Ergänzung [υ]ἱο[ῖο]; zu skandieren ist thjo-do-tú (⏑⏑ –), also mit konsonan-
tischem Iota. – V. 2: häßlicher Hiat in αὐτοῦ ἔνθα.
„(Sarkophag) des Alexandros, des Sohnes des Theodotos, aus Sidon.
Der Sarkophag stöhnt, derjenige des Sohnes des Theodotos, dessen - - hier - - “
16 ISM I 178–179. Dieser curator wird aller Wahrscheinlichkeit nach Μ. Οὔλ(πιος) Ἀρτεμίδωρος gewesen sein, d.h. His-
trias vornehmste Persönlichkeit zu jener Zeit, die aber später, wie es aus diesen beiden ausgemeißelten Inschriften ersichtlich
ist, anscheinend die Folgen der damnatio memoriae erlitten hat.
17 Eher Liturgie als Magistratur, obwohl bekanntlich Liturgie und Stadtamt seit der späthellenistischen Zeit schwerlich
voneinander zu trennen sind.
18 Dazu T. Sarnowski, L’organisation hiérarchique des vexillationes Ponticae au miroir des trouvailles épigraphiques
récentes, in: Y. Le Bohec (Hg.), La hiérarchie (Rangordnung) de l’armée romaine sous le Haut-Empire, Actes du Congrès de
Lyon (15–18 septembre 1994), Paris, 1995, 323–328; O. Bounegru – M. Zahariade, Les forces navales du Bas-Danube et de la
mer Noire aux Ier–VIe siècles, Oxford, 1996 (Ann. ép. 1996, 1334); vgl. F. Matei-Popescu, The Roman Army in Moesia Inferior,
Bukarest, 2010, 245–255 (mit Berichtigungen).
19 CIL III 14 214, 34 = E. I. Solomonik, Latinskie nadpisi Khersonesa tavričeskogo, Moskau, 1983, Nr. 9.
20 ISM I 281.
21 F. Topoleanu, O nouă atestare epigrafică a prezenţei flotei romane în nordul Dobrogei, Peuce 10 (1991), 97–100 (Ann.
ép. 1992, 1498). Zu all diesen Trierarchen siehe O. Bounegru – M. Zahariade, a. a. O., 40–41 sowie Supplementum epigraphi-
cum, 116 Nr. 10–12.
144 A. Avram – T. Cliante – V. Lungu

Abb. 2 Abb. 3

Der Verstorbene ist nun der dritte Sidonier, der in Tomis belegt ist. Seit längerer Zeit kannte man die
tomitanische Inschrift ISM II 290 (heute im Louvre-Museum aufbewahrt)22, aus der zu erfahren ist, daß
eine gewisse Ἀμπλιᾶτα Γενναίδος aus Sidon das Grabmal für sich selbst und für ihre Familie errichten
ließ23. Vor ungefähr zwanzig Jahren wurde eine Weihung des Σώσιππος Καλλικράτους Σιδώνιος an die
syrische Göttin (Θεᾷ Συρίᾳ) bekannt24. Außerdem ließe sich womöglich auch eine Grabinschrift für einen
zwar ohne Ethnikon genannten Priester der Hekate, der als πατὴρ νόμιμος bezeichnet wird25, hinzufügen.
Dieser äußerst seltene Titel taucht sonst nur einmal in Aquileia26, dreimal aber im Mithraeum von Sidon27
auf, dazu stellt ebendort eine der drei Statuen, die von dem Priester des Mithras (πατὴρ νόμιμος28) gestif-
tet wurden, gerade eine Hekate triformis dar29. Solche Übereinstimmungen zwischen dem πατὴρ νόμιμος

22 C. Allard, Souvenirs de la guerre d’Orient. La Dobroutscha, Paris, 1859, 28; ders., Souvenirs d’Orient. La Bulgarie
orientale, Paris, 1864, 70 Nr. 5 (vgl. L. Renier, ebd., 294–295, Edition und Übersetzung); W. Froehner, Musée du Louvre. Les
inscriptions grecques, Paris, 1865, 257–258 Nr. 150. Vgl. M. Brillant, Inscription de Tomes, RPhil 36 (1912), 288, und vor
kurzem L. Buzoianu – M. Bărbulescu, Tomis. Comentariu istoric şi arheologic – Historical and Archaeological Commentary,
Constanţa, 2012, 58.
23 Zum Begriff κρηπίδωμα siehe J. Kubińska, Les monuments funéraires dans les inscriptions grecques de l’Asie Mineure,
Warschau, 1968, 84–86; A. Avram, Quelques remarques sur la terminologie grecque de la tombe dans les inscriptions de Thra-
ce et de Mésie inférieure, in: M.-G. Parissaki (Hg.), Thrakika Zetemata II. Aspects of the Roman Province of Thrace, Athen,
2013, 282–283.
24 M. Bărbulescu – A. Rădulescu, Inscripţii inedite din Tomis şi împrejurimi, Pontica 27 (1994), 166–168 Nr. 5 (Ann. ép.
1995, 1343; SEG 46, 910). Vgl. L. Buzoianu – M. Bărbulescu, a. a. O., 69. Allgemein zum Kult der Θεὰ Συρία, der dank dieser
Inschrift zum ersten und bisher einzigen Mal in Tomis erwähnt wird, siehe P.-L. van Berg, Corpus cultus Deae Syriae, 1. Les
sources littéraires, I–II, EPRO 28.1–2, Leiden, 1972. Ein weiterer Beleg in Moesia Inferior: IGBulg I2 8bis aus Bizone. In Thra-
kien: IGBulg III 918 aus Philippopolis. Siehe zu diesen beiden zuletzt genannten Inschriften M. Tacheva-Hitova, Eastern Cults in
Moesia Inferior and Thracia (5th Century B.C.–4th Century A.D.), EPRO 95, Leiden, 1983, 264–265 Nr. VII.1–2 (mit Kommentar).
25 M. Bărbulescu – A. Câteia, Pater nomimos în cultul Hecatei la Tomis, Pontica 40 (2007), 245–253 (Ann. ép. 2007, 1231;
SEG 57, 680; vgl. A. Avram, Bull. ép. 2008, 369). Zum Relief: S. Conrad, Die Grabstelen aus Moesia Inferior. Untersuchungen
zu Chronologie, Typologie und Ikonographie, Leipzig, 2004, 160–161 Nr. 132; Z. Covacef, Sculptura antică din expoziţia de
bază a Muzeului de Istorie Naţională şi Arheologie Constanţa, Cluj-Napoca, 2011, 210–211 Nr. 97.
26 CIL V 764 = ILS 4251 = I.Aquileia I 315 = CIMRM I 739: Soli sacr(um) / Q(uintus) Baienus / Proculus / pater / nomimus.
27 SEG 52, 1591–1593 = CIMRM 76, 78/79, 84/85.
28 Dazu F. Baratte, Le mithraeum de Sidon: certitudes et questions, Topoi 11.1 (2001), 207: „titre plutôt énigmatique connu
seulement ailleurs par une inscription latine découverte autrefois à Aquilée, qui n’est pas plus explicite. Il désigne sans doute
un dignitaire important du culte mithriaque, dont la hiérarchie comporte plus normalement le titre de pater seul, le plus haut
degré de l’initiation aux mystères du dieu.“
29 Ebd., Abb. 9 und Kommentar, 213–214.
Neue Inschriften aus Tomis 145

von Sidon und dem von Tomis könnten demnach ein neues Licht auf die Beziehungen der westpontischen
Metropole zu Sidon und allgemein zu Phönizien und Syrien werfen30.
Der Begriff πύαλος, der in der Grabdichtung allerdings nicht begegnet, bezeichnet unter anderem den
Sarkophag. Merkwürdig ist aber dabei, daß er äußerst häufig in Tomis vorkommt31, während er in anderen
Inschriften aus derselben Gegend nicht auftritt. Daher die Vermutung, daß dieser Terminus von Kolonisten
aus Bithynien in die westpontische Metropole eingeführt worden ist32.

3. Christliches Grabepigramm. 4. Jh. n. Chr. (Abb. 4–5)


Museum für Nationalgeschichte und Archäologie zu Constanţa, Inv. 49 605. Gefunden in einem westlichen
Wohnviertel der Stadt Constanţa („Maritimo“), Aurel-Vlaicu-Boulevard Nr. 220 (Zufallsfund).
Oben gebrochene Marmorstele. Ein großes Loch am Unterteil weist darauf hin, daß die Stele bei
irgendeiner Gelegenheit wiederverwendet wurde. Die untere Hälfte unter dem Inschriftenfeld wurde nicht
mehr geglättet. Unten anscheinend Reste von einem Zapfen. Doppelrahmen an der linken Seite.
Maße: H. 0,920 m (+ 0,060 m für den anzunehmenden Zapfen). Br. 0,285 m. T. 0,080 m. BH: 0,015–
0,020 m.
Tief eingemeißelte, trotz vorgeritzter Führungslinien unterschiedlich hohe Buchstaben: Alpha mit vom
linken Fuß nach rechts steigendem schrägem Mittelstrich; Strich der rechten Seite des Delta über die Spitze
des Buchstabens verlängert; Epsilon mal klassischer Form mal als Lunarbuchstabe; rautenförmige Theta
und Omikron; Sigma mal lunarförmig mal rechteckig; kursives Omega. Zahlreiche Ligaturen (siehe app.
cr.). Das Zeichen < (oder >) wurde stets an den Versenden eingemeißelt.
--------------
[ - - - - - - - - - - μῆ]-
[νας] μὲν δὶς δύο καὶ vac.
δύο λυκάβαντας ἔζησας,
Πατρίκιε, πάντων ἐ-
4 μοὶ πολὺ φίλτατε vac.
παίδων < ζωὸς ἐών·
νῦν αὖτε πόνο⟨ν ἄ⟩λη-
κτον ἔμοιγε < κάλλ[ι]-
8 πες ἐν βιότοιο καὶ μη-
τέρι τοὶ τεκόμεσθα· <
σοὶ δ᾿ ἐπουρανίων δα-
<π>έδων κλῆρον λάχε[ς]
12 ἐμμενὲς αἰεί, < εἵνεκα νη-
πιαίης Θεὸν ἄμβροτον
30 Siehe auch ISM II 96 (= IGR I 631 = K. Maurer, a. a. O. [Anm. 12], 160–162 Nr. 4) und 97 (= IGR I 630 = K. Maurer,
a. a. O., 162–163 Nr. 5) über zwei aus Flavia Neapolis stammende Brüder, die beide Pontarchen waren. Einer davon wird der-
selbe wie der nicht namentlich Erwähnte aus dem Grabepigramm ISM II 188 (= IGR I 636 = GVI 1040) gewesen sein: dazu
L. Robert, Les gladiateurs dans l’Orient grec, Paris, 1940, 101–103 Nr. 41; vgl. M. Dana, Culture et mobilité dans le Pont-Euxin.
Approche régionale de la vie culturelle des cités grecques, Paris–Bordeaux, 2011, 259–260. Ein in Tomis gestorbener centurio
der leg(io) XI Cl(audia), der aus dem syrischen Capetolias (Capitolias) stammte, wird in CIL III 771 = ISM II 348 erwähnt
(vgl. F. Matei-Popescu, The Western Pontic Greek Cities and the Roman Army, in: V. Cojocaru – C. Schuler, Die Außenbezie-
hungen pontischer und kleinasiatischer Städte in hellenistischer und römischer Zeit, Akten einer deutsch-rumänischen Tagung
in Constanţa, 20.–24. September 2010, Stuttgart, 2014, 204 Nr. 42).
31 ISM II 204, 230, 255, 316, 321, 359, 363, womöglich auch ISM V 120 (SEG 30, 791) aus Cius an der unteren Donau,
eine allem Anschein nach doch eher tomitanische ‚pierre errante‘. In Tomis sind auch πυελίς (ISM II 205) und Lat. pyalis
(ISM II 168: in pyalidem) belegt (dazu J. Kubińska, a. a. O. [Anm. 23], p. 46–48). Der zuletzt genannte Terminus scheint im
Lateinischen ein Hapax zu sein.
32 A. Avram, a. a. O. (Anm. 23), 283–284; ders., Les Bithyniens en Thrace, en Mésie inférieure et dans le Pont Nord à
l’époque impériale, in: H. Bru – G. Labarre (Hg.), L’Anatolie des peuples, des cités et des cultures (IIe millénaire av. J.-C. –
Ve siècle ap. J.-C.), Colloque international de Besançon – 26–27 novembre 2010, I, Besançon, 2013, 118–119.
146 A. Avram – T. Cliante – V. Lungu

Abb. 4 Abb. 5

εἰσορόων γε. > ΜΟ.CΥΗΠI


Πατρίκιος υ(ἱὸ)ς Ζωσίμου.
Z. 2, am Ende: Ligatur Η + C. – Z. 6, am Ende: ΛΛΛ in Ligatur, vielleicht als ⟨ΝΑ⟩Λ zu erläutern. – Z. 7: Letztes
Lambda nur teilweise sichtbar. – Z. 9: Ligatur Μ + Ε. – Z. 10/11: ∆ΑΤΕ∆ΩΝ auf dem Stein. – Z. 11: Ligatur
H + P. – Z. 12: Ligaturen Μ + Μ, zweimal Ν + Ε, Ν + Η. – V. 14, am Ende: Die Stelle ist unklar; man erwartet
eine Grußformel. – Z. 15: ΥC mit je einem horizontalen Strich, um die Abkürzung zu kennzeichnen = υ(ἱό)ς.

Verteilung auf Verse:


----------------------------------
----------------------------------
[μῆνας] μὲν δὶς δύο καὶ δύο λυκάβαντας ἔζησας,
Πατρίκιε, πάντων ἐμοὶ πολὺ φίλτατε παίδων
ζωὸς ἐών· νῦν αὖτε πόνο⟨ν ἄ⟩ληκτον ἔμοιγε
4 κάλλ[ι]πες ἐν βιότοιο καὶ μητέρι τοὶ τεκόμεσθα·
σοὶ δ᾿ ἐπουρανίων δα⟨π⟩έδων κλῆρον λάχε[ς] ἐμμενὲς αἰεί,
εἵνεκα νηπιαίης Θεὸν ἄμβροτον εἰσορόων γε.
Neue Inschriften aus Tomis 147

„ - - du hast zweimal zwei Monate und zwei Jahre gelebt, Patrikios, zu deinen Lebzeiten das
allerliebste unter all meinen Kindern. Jetzt hingegen hast du mir und deiner Mutter, die dich
erzeugt haben, unaufhörliches Leid im Leben hinterlassen. Du aber hast dir das Los der himm-
lischen Aufenthalte für ewig erworben, wobei du dank deines zarten Alters den unsterblichen
Gott betrachtest.
[Grußformel?]
Patrikios, Sohn des Zosimos“
V. 1. Es fehlen vermutlich zwei Verse und der Anfang des dritten. Zur Metrik: δύο ist dō (lang) zu
lesen. Das Kind hat „zweimal zwei Monate und zwei Jahre“33, d.h. zwei Jahre und vier Monate gelebt.
V. 2. Πατρίκιε (− ⏑⏑ −)34, πάντων ἐμοὶ (− −) πολὺ φίλτατε παίδων. Für das epische πολὺ φίλτατος
(vgl. z.B. Il. 5, 378) gibt es Belege in Steinepigrammen aus Kleinasien35.
V. 3. πόνο⟨ν ἄ⟩ληκτον (⏑ − − − ⏑). Möglicherweise ursprünglich πόνον ⟨μὲν⟩ ἄληκτον (J. Hammer-
staedt, mündliche Mitteilung, Berlin, August 2015). – Zu ἔμοιγε in der Grabdichtung siehe z.B. IG I3 1278
(Attika); IG V.1 727 (Sparta), V. 8; IGUR III 1277 (Rom), V. 10.
V. 4. κάλλ[ι]πες = κατέλιπες (vgl. z.B. AP 9, 197, 5). Zu ἐν βιότοιο: Vermutlich schwebte dem Dichter
elliptischer Gebrauch von ἐν vor (z.B. ἐν ᾍδου), vgl. LSJ, s.v. ἐν, A.I.2 („elliptic“), mit weiteren Beispie-
len. καί (zu der Zeit /ke/ gesprochen) wird kurz gemessen: αι kann also für kurzes /e/ stehen (vgl. V. 6:
νηπιαίης, − ⏑⏑ −), ε kann hingegen lang gemessen werden: siehe oben Πατρίκιε (− ⏑⏑ −), πάντων ἐμοὶ (−
−) πολὺ φίλτατε παίδων und V. 5, σοὶ (= σὺ) δ᾿ ἐπουρανίων (− − − ⏑⏑ −) (G. Petzl, per epist.). – Die zweite
Hälfte des Verses stammt aus Homer: vgl. ἄλγος ἐμῷ θυμῷ καὶ μητέρι τοὶ τεκόμεσθα (Il. 22, 53), „Gram
dann füllt mir das Herz, und der Mutter, die wir sie zeugten“ (Übersetzung J. H. Voß).
V. 5. Hexameter mit zusätzlichem Fuß36. Zu lesen ist: σ(ὺ) δ᾿ ἐπουρανίων (− − − ⏑⏑ −) δα⟨π⟩έδων
κλῆρον λάχε[ς] ἐμμενὲς αἰεί.
V. 6. νηπιαίης = νηπιέης (− ⏑⏑ −) mit in dieser Zeit häufiger Schreibung αι für ε.

Der Name Patrikios scheint vor dem 4. Jh. n. Chr. nicht aufzutreten. Beachtenswert ist das homerische
Zitat μητέρι τοὶ τεκόμεσθα (V. 4). Homerisch sind auch πολὺ φίλτατε (V. 2, vgl. Kommentar), ἐμμενὲς
αἰεί (V. 5)37, θεὸς ἄμβροτος (V. 6)38, θεὸν εἰσορόων (V. 6)39, wohl auch κλῆρον λάχε[ς] (V. 5)40. θεὸς
ἄμβροτος und θεὸν εἰσορόων finden wir u.a. auch in der christlichen Dichtung41. Homerische Zitate sind
manchmal in inschriftlich überlieferten christlichen Epigrammen anzutreffen, so z.B. in einem Grabgedicht

33 Die Lösung [μῆνας] μέν verdanken wir K. Hallof (mündliche Mitteilung, Berlin, August 2015).
34 Die Längung einer an sich kurzen Silbe nach der Penthemimeres ist spätantike Konvention. Zu den Schwierigkeiten,
Personennamen in das Metrum einzufügen, siehe R. Kassel, Quod versu dicere non est, ZPE 19 (1975), 211–218, und jetzt auch
P. Thonemann, Poets of the Axylon, Chiron 44 (2014), 194–195, 209 (Kommentar zu Nr. 6, V. 5), 210–211 (zu Nr. 7, V. 5), 221
(zu Nr. 14, V. 3), jeweils mit Parallelen. „Authors of verse epitaphs often recycled verses from other texts, with a new personal
name unmetrically substituted for the «original»“ (S. 209).
35 Ebd., 205–207 Nr. 5 (= MAMA XI 208), V. 2; 211 Nr. 8 (= MAMA I 362), V. 1.
36 Was schon im Hellenismus belegt ist: dazu F. D. Allen, On Greek Versification in Inscriptions, Papers of the American
School of Classical Studies at Athens 4 (1885–1886) [1888], 45: „hexameters with too many feet“.
37 Z.B. Il. 10, 361.
38 Il. 20, 358; 22, 9; 24, 445 und 460; weitere Beispiele im Plural. Siehe auch Hes., Fr. 240 Merkelbach–West; AP 9, 569,
5 (Empedokles?).
39 Z.B. Il. 24, 23; Od. 7, 71; 8, 173.
40 Wohl inspiriert von Il. 23, 62: κληρῷ λάχεν (G. Staab, per epist.).
41 So z.B. bei Greg. Naz.: Θεὸς ἄμβροτος, Carm. dogm. 483, 11; Θεὸν εἰσορόων, Carm. mor. 765, 10 (vgl. 538, 14: Θεὸν
εἰσορόωσι). Allgemein dazu: G. Agosti, Interpretazione omerica e creazione poetica nella tarda antichità, in: A. Kolde [et al.]
(Hg.), Mélanges offerts à André Hurst, Genf, 2005, 19–32; ders., Cristianizzazione della poesia greca e dialogo interculturale,
Cristianesimo nella storia 30.2 (2009), 313–335; neuerdings auch P. Thonemann, a. a. O. (Anm. 34), 194.
148 A. Avram – T. Cliante – V. Lungu

aus Tyana, das (V. 12–15) ganz heroisch und jedenfalls nicht allzusehr christlich mit τύμβῳ τε στήλῃ τε· τὸ
γὰρ γέρας ἐστὶ θανόντων (Il. 16, 675) endet42.
Im Moment ist unser Monument das einzige christliche Grabepigramm aus Tomis. Trotz wiederholter
Versuche, ISM II 384 = IGLR 1843 und IGLR 1944 christlichen Charakter zuzuschreiben, läßt er sich in
beiden Fällen nicht nachweisen. Umso wichtiger wird demnach der Beitrag der hier edierten Inschrift zur
Kenntnis des Christentums in der Metropole des Westpontos sein45.

Alexandru Avram, Université du Maine, Faculté des Lettres, Langues et Sciences Humaines, Avenue
Olivier Messiaen, 72085 Le Mans Cedex 9, Frankreich
alexandru.avram@univ-lemans.fr

Traian Cliante, Muzeul de Istorie Naţională şi Arheologie Constanţa, Piaţa Ovidiu, 12, 900745 Constanţa,
Rumänien
cliantetraian@gmail.com

Virgil Lungu, Muzeul de Istorie Naţională şi Arheologie Constanţa, Piaţa Ovidiu, 12, 900745 Constanţa,
Rumänien
minaconstanta@gmail.com

42 N. Thierry, Un problème de continuité ou de rupture. La Cappadoce entre Rome, Byzance et les Arabes, CRAI (1977),
114 und Abb. 15 (Ende 4. oder Anfang 5. Jh.): „seule la croix avec Α et Ω la différencie des monuments païens. Le texte
lui-même, en hexamètres et citant une formule funéraire tirée de l’Iliade, «un tombeau et une stèle, tel est l’honneur que l’on
rend aux morts» (chant 16, vers 675), n’a rien de chrétien“. Verbesserte Lesung derselben Inschrift in SEG 27, 956 (vgl. Bull.
ép. 1978, 498; 1979, 576). Neueditionen: I.Tyana 104; SGO III 13/07/02 (mit Kommentar und weiteren Belegen für dasselbe
homerische Zitat in den Grabgedichten, S. 42). Vgl. auch P. Thonemann, a. a. O. (Anm. 34), 223 (Kommentar zu Nr. 15 = SGO
III 14/04/02).
43 Ann. ép. 1963, 186 = W. Peek, Griechische Epigramme aus Rumänien, StudClas 6 (1964), 135–136 (SEG 24, 1075) =
I. Barnea, Les monuments paléochrétiens de Roumanie, Città del Vaticano, 1977, 33–34 Nr. 1. Zum Relief: Pfuhl–Möbius 2173;
S. Conrad, a. a. O. (Anm. 25), 170 Nr. 165. Siehe auch A.-M. Vérilhac, ΠΑΙ∆ΕΣ ΑΩΡΟΙ. Poésie funéraire, I. Textes, Athen,
1978, 232–235 Nr. 160 (mit französischer Übersetzung); G. H. R. Horsley, New Documents Illustrating Early Christianity,
II. A Review of the Greek Inscriptions and Papyri Published in 1977, North Ryde, 1982, 195–196 Nr. 110 (mit englischer
Übersetzung). – Neuedition nach der Entdeckung eines nahezu gleichlautenden Paralleltextes in Kallatis (ISM III 148) durch
A. Avram – M. Bărbulescu – V. Georgescu, Une épigramme funéraire de Callatis, Horos 10–12 (1992–1998), 464 (SEG 48,
980). Für den christlichen Charakter dieser Inschrift hat vor allem E. Popescu plädiert: Pe marginea unei epigrame funerare
din epoca romană tîrzie de la Tomis, Studii şi cercetări de istorie veche şi arheologie 26.1 (1975), 79–93; ders., Christiani-
tas Daco-Romana. Florilegium studiorum, Bukarest, 1994, 239 et 291 (dagegen D. Feissel, Bull. ép. 1995, 726). Die meisten
Gelehrten verneinen dies aber mit vollem Recht: I. Barnea, Note de epigrafie romano-bizantină, Pontica 10 (1977), 274 Nr. 3;
ders., Consideraţii privind cele mai vechi monumente creştine de la Tomis, Pontica 24 (1991), 270; N. Duval, L’archéologie
chrétienne en Roumanie. À propos de deux livres récents de I. Barnea, RA (1980), 315; M. Oppermann, Das frühe Christen-
tum an der Westküste des Schwarzen Meeres und im anschließenden Binnenland. Historische und archäologische Zeugnisse,
Langenweißbach, 2010, 211 und 251 Anm. 2407.
44 GVI 1304 = I. Barnea, Les monuments paléochrétiens de Roumanie, 34 Nr. 2. Zum Relief: S. Conrad, a. a. O., 172
Nr. 176. Vgl. I. Barnea, Pontica 10 (1977), 274 Nr. 3; ders., Pontica 24 (1991), 270 (nicht christlich); N. Duval, a. a. O., 316
(nicht christlich); G. H. R. Horsley, a. a. O., 196 Nr. 110 (christlicher Charakter nicht gesichert); M. Oppermann, a. a. O., 211
(könnte doch christlich sein). Diese üblicherweise in das 4. Jh. datierte Inschrift (IGLR 19) scheint jedoch eher in das 3. Jh. zu
gehören. Im V. 1 hatte W. Peek (GVI 1304) τύμβον ἐμὸν καθορῶν, φίλε ⟨ὁδοιπόρε⟩, μή με παρέλθῃς vorgeschlagen, was sich
heutzutage durch einen Paralleltext von Zeyköy (nahe an Dümrek, Nordgalatien, 3. Jh. n. Chr.?) bestätigen läßt: Ῥούφου τάφος
εἰμί, ὁδοιπόρε, μή με πα[ρ]έλθῃς (SGO III 15/03/05).
45 Allgemein zum Christentum in Scythia Minor: V. Lungu, Creştinismul în Scythia Minor în contextul vest-pontic,
Sibiu–Constanţa, 2000; M. Oppermann, a. a. O.; R. Born, Die Christianisierung der Städte der Provinz Scythia Minor. Ein
Beitrag zum spätantiken Urbanismus auf dem Balkan, Wiesbaden, 2012.

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