FAHRWIDERSTÄNDE

GEISSLER

82 TOUR 5 | 2008
 Wer
bremst da?
Was hindert stärker an schneller Fahrt:
Lager oder Reifen, steile Berge oder der
Luftwiderstand? Und was kann man tun,
um mit wenig Aufwand tatsächlich schneller
zu werden? Hier gibt’s den Durchblick

5 | 2008 TOUR 83
 FAHRWIDERSTÄNDE
ǺǫǾǺ Robert Kühnen
D
ie Feinde sind unsichtbar, aber sie Muskelkraft weisen uns in unsere Schranken.
attackieren die Leistungsreserven Wenn Antriebskraft und Fahrwiderstand im
jedes Radlers: Die Reifen walken, die Gleichgewicht sind, stagniert das Tempo. Wie
Lager reiben, die Luft wirbelt. An vielen groß aber sind die einzelnen Widerstände,
Stellen am Rad zieht uns Reibung die Energie die uns davon abhalten, noch schneller über
aus den Beinen und hindert uns, einfach den Asphalt zu gleiten? Und lassen sich diese
immer schneller zu werden. Sie kennen das: Widerstände nicht doch verkleinern? Wir
Obwohl Ihr Rennrad eine ungemein leicht- haben mal gerechnet: Basis der folgenden
gängige Maschine ist, gibt es für jeden Fahrer Beispiele ist ein Radfahrer, der in Oberlenker-
einen Punkt, ab dem nichts mehr geht. Man haltung mit 200 Watt in die Pedale tritt, zu-
schaut nach der Bremse, aber da schleift sammen mit seinem Rad 85 Kilogramm wiegt
nichts. Die Fahrphysik und unsere begrenzte und so Weise ein Tempo von 30 km/h fährt.
DzǧǭǫǸǻǴǭǫǴ
D er seidenweiche Lauf von
Kugellagern gilt Rennrad-
fahrern als Qualitätskriterium für
ein hochwertiges Rennrad. Naben,
Tretlager, Pedale, Schaltung:
14 Lager drehen sich in einem
durchschnittlichen Rennrad –
nicht mitgezählt das Lenkungs-
lager, das für die Fahrwiderstände
bedeutungslos ist. Da sich Kugel-
lager einerseits extrem leicht
drehen, andererseits am Rennrad
einfache Arbeitsbedingungen
vorfinden – die auftretenden
Kräfte sind eher gering, die Dreh-
zahlen niedrig –, lassen sich die
daraus resultierenden Reibkräfte
experimentell nur sehr schwer
bestimmen. Wir haben deshalb
alle Lagerstellen idealisiert ge-
rechnet – kein Verschleiß, keine
Verschmutzung –, um eine Vor-
stellung von der Größenordnung
der Lagerverluste zu bekommen.
Das überraschende Ergebnis:
Die Summe aller Verluste in
den Lagern ist derart gering,
dass sie so gut wie nicht ins
Gewicht fallen. Am meisten
bremsen noch die Naben mit rund
0,16 Watt, gefolgt von Tretlager
DE NEVE
(0,03 Watt), Pedalen (0,01 Watt)
und Schaltwerk (0,006 Watt) –
Zwei Tricks für mehr Tempo, von den Triathlon-Assen Normann Stadler und Faris Al- ein Nichts! Nicht berücksichtigt
Sultan erprobt: Das getunte Campagnolo-Schaltwerk hat eine größere und kugelge- sind bei dieser idealisierten Rech-
lagerte Rolle (15 Zähne) anstelle des gleitgelagerten Originals mit nur zehn Zähnen. nung allerdings die Reibkräfte
Das bringt rechnerisch etwa 0,8 Watt Einsparung bei Tempo 30 – mehr als alle ande- der schleifenden Dichtungen.
ren Lager zusammen. Geschwindigkeitszuwachs bei gleicher Leistung: 0,04 km/h Aber auch mit diesen Dichtungen
84 TOUR 5 | 2008
DZǻǸȀ ǥ DZǴǧǶǶ
Was macht schnell? Kopf runter,
Rücken flach, gute Reifen aufziehen
und ausreichend aufpumpen,
Kette ölen und Gänge mit kleinen
Ritzeln vermeiden. Fertig. Mehr
Tempo ist keine Frage teurer
Komponenten sondern in erster
Linie das Ergebnis einer besseren
Sitzposition. Deutlich überschätzt
wird meist der Einfluss des
Gewichts sowie die Auswirkung
teurer Komponenten.
dürften die Lagerwiderstände
noch unter 0,5 Prozent des
Gesamtwiderstands bleiben.
Konventionelle Kugellager also
durch teure keramische Hybrid-
lager zu ersetzen, die noch einen
Tick leichter laufen, verspricht
keinerlei Vorteile. Keramische
Lager sind von der Idee her vor
allem für sehr hohe Drehzahlen
gedacht, oder für Lager, die
beispielsweise vollständig in
aggressiven Flüssigkeiten laufen,
die Metallkugeln zerstören wür-
den. Nüchterne Erkenntnis unserer
Berechnungen: Für den Gesamt-
widerstand beim Rennrad
spielt die Lagerqualität eine
sehr untergeordnete Rolle.
Die einzige Nachrüstmaßnahme,
die wirklich leichte Vorteile
verspricht, ist der Austausch
des gleitgelagerten (!) unteren
Schaltröllchens bei Campagnolo-
Schaltwerken gegen ein kugel-
gelagertes Pendant, so wie es alle
anderen Hersteller verwenden.
Die kleine Rolle, mit der die Kette
gespannt wird, verschlingt auf-
grund des verwendeten Reiblagers
und der relativ hohen Drehzahl
rechnerisch mehr Leistung als
alle anderen Lager zusammen:
etwa 0,8 Watt. Zudem wird die
Kette auf den kleinen Rollen
mir nur zehn Zähnen sehr stark
abgewinkelt, was zusätzliche
Reibung erzeugt.
 FAHRWIDERSTÄNDE

DZǫǺǺǫ
D ie Fahrradkette lässt seit Generationen Tüft-
ler verzweifeln. Grund ist ihr überragender
Wirkungsgrad unter idealen Bedingungen von Die Rennradkette
maximal 99 Prozent – das heißt: Nur ein Pro- arbeitet mit Wirkungsgraden
zent der investierten Leistung geht über bis 99 Prozent sehr effizient. Opti-
Reibung verloren. Das ist mit anderen mal sind Übersetzungen, bei denen
Übertragungsformen – etwa Kardan- möglichst viele Zähne im Eingriff
antrieb oder Zahnriemen – sind. Die Unterscheide liegen
kaum zu toppen im Prozentbereich! Ein um zwei
und daher Prozent besserer Wirkungsgrad
durch einen besseren, zahnreicheren
Gang bringt bei Tempo 30 plus 0,22 km/h

sehr frustrierend für
Erfinder, die nach Verbesserung
trachten. Unter normalen äußeren
Bedingungen liegt der realistische Wir-
SIMON
den Mechanismen, die zum Leistungsverlust an
der Kette führen können. Danach ist der Ketten-
wirkungsgrad in erster Linie von der Ritzelgröße
und der Kettenspannung abhängig. Während
der experimentell ermittelte Wirkungsgrad bei
200 Watt Antriebsleistung (ohne Kettenschräg-
daher höher als bei geringer Leistung, bei niedrigen
Trittfrequenzen besser als bei hohen Frequenzen.
Tipp: Bevorzugen Sie Übersetzungen mit vielen
Zähnen – also 53/19 statt der identischen 39/14.
Vermeiden Sie ebenso extremen Kettenschräglauf.
Kassetten mit großer Spreizung (wie beim MTB)

kungsgrad aber eher bei 97 Prozent und kann
durch starken Verschleiß und Schräglauf auch auf
Werte von 95 Prozent und weniger fallen. Dazu
existieren aber nur wenige publizierte Messwerte.
Eine 2001 im „Journal of Mechanical Design"
(Vol. 123) veröffentlichte Studie berichtet von
KRAUS
lauf) und einer Übersetzung von 52/21 bei 98,6
Prozent liegt, fällt er bei 52/11 auf 95,8 Prozent.
Überraschend ist, dass der Wirkungsgrad mit zu-
nehmender Kettenspannung besser wird, was der
klassischen Theorie über Reibung eigentlich wider-
spricht. Bei hoher Leistung ist der Wirkungsgrad
sind sinnvoller als eng gestufte Rennradgetriebe wie
11–23, weil sie mehr Möglichkeiten bieten, große
Ritzel mit dem großen Blatt zu kombinieren. Ritzel
mit weniger als 15 Zähnen sollte man unter dem
Aspekt des Wirkungsgrades vermeiden. Kette gut
schmieren, um vorzeitigem Verschleiß vorzubeugen!

ǸǫǯǬǫǴ
P neus gehören zu den eher unterschätzten Bauteilen am Rad.
Das liegt vermutlich daran, dass man die damit verbundene
Reibung – im Gegensatz zu den Lagern – nicht durch Anfassen
und Drehen ergründen kann. Zwischen den schlechtesten und
den besten Reifen liegen aber Welten im Rollwiderstand, wie
TOUR bei Prüfstandstests schon mehrfach feststellen konnte.
Hinzu kommen ebenfalls deutliche Unterschiede in der Haftung
und der Pannensicherheit. Unter allen Investitionen ins
Material ist die in einen leichter rollenden Reifen daher
die effektivste und preiswerteste. Der Rollwiderstand des
Reifens wird durch eine ganze Reihe von Effekten bestimmt.
Am dominantesten ist dabei die Gummimischung, die für die
Lauffläche verwendet wird. Das Reifenprofil hingegen spielt
so gut wie keine Rolle. Zweiter wesentlicher Teil des Roll-
widerstands: die Walkarbeit. Da der Reifen dort abflacht, wo
er auf der Straße rollt, werden Lauffläche und Karkasse ständig
Der Gummi verformt – und das kostet Energie. Der Unterschied zwischen
macht’s: Der Roll- sehr gut und schlecht rollenden Rennradreifen betrug im letzten
widerstand hängt TOUR-Test (9/2007) 17 Watt bei 30 km/h. Das bedeutet
maßgeblich von der umgerechnet, dass man mit den besseren Reifen in einer
Gummimischung des Stunde einen Kilometer weiter fährt – bei gleichem Kraft-
Reifens ab. Mit einer einsatz! Für optimalen Leichtlauf ist ein Mindestdruck im Reifen
optimalen Mischung erforderlich. Aber auch zu hoher Druck schadet, weil Reifen sich
fährt man dem Untergrund dann nicht mehr elastisch genug anschmiegen,
bei gleicher Kraft wodurch sich der Fahrwiderstand wieder erhöht. Brauchbarer
31 statt 30 km/h Kompromiss: 7,5 bar für Reifen in 23 Millimeter Breite.

86 TOUR 5 | 2008
 FAHRWIDERSTÄNDE

DzǻǬǺǽǯǪǫǸǹǺǧǴǪ
U nter all den unsichtbaren Fahrwiderständen ist
der Luftwiderstand der mit Abstand größte,
wichtigste – und gemeinste. Das liegt daran, dass
und auf einem Zeitfahrlenker abstützt. Auch die
Kleidung spielt eine wichtige Rolle und sollte flat-
terfrei am Körper anliegen. Accessoires wie Helme
6,5 km/h kann ein Rennradler schneller fahren, der
sich bei 30 km/h von der aufrechten Oberlenker-
position in eine aerodynamisch optimale Position
die scheinbar so durchlässige Luft mit wachsendem geben den Feinschliff. Für den Rennradalltag, begibt. Mit Zeitfahrlenker und optimalem Outfit
Tempo zur zunehmend undurchdringlichen Wand besonders aber für Rennen, ist eine aerodynamisch könnte er seine Geschwindigkeit bei unverändertem
wird. Der Luftwiderstand ist sehr stark ge- optimale Sitzpositionen daher entscheidend: Bis zu Krafteinsatz sogar auf rund 40 km/h steigern!
schwindigkeitsabhängig und dominiert den
Gesamtwiderstand bei typischen Rennrad- Die stärkste Bremse: der Luftwiderstand
geschwindigkeiten: Um doppelt so schnell zu 800
ǒ Der Luftwiderstand schnellt mit
fahren, muss man die achtfache Leistung aufbrin- 700 dem Tempo exponentiell in die
gen, um den Luftwiderstand zu überwinden! Den 600 Höhe und lässt die notwendige
Leistung [W]
Löwenanteil verursacht der Fahrer dabei selbst, aber 500 Leistung dramatisch ansteigen
auch die Laufräder gehen spürbar in den Luftwider- 400 (rosa Linie). Alleine durch eine
stand ein. Die Form des Rahmens hat hingegen 300 bessere Haltung auf dem Rad
geringeren Einfluss. Um schnell zu fahren, muss man 200 lässt sich die Geschwindigkeit
vor allem eine optimale Position auf dem Rad ein- 100 um mehrere km/h steigern.
nehmen: Kopf runter, Rücken flach, Oberkörper Der Rollwiderstand (violette
0
gestreckt. Der Luftwiderstand sinkt noch einmal 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Linie) spielt in diesem Kontext
deutlich, wenn man die Arme vor den Körper nimmt Geschwindigkeit [km/h] dagegen kaum eine Rolle

ǭǫǽǯǩǮǺ
D em Gewicht messen die meisten Radler extreme Be-
deutung zu, um jedes Gramm am Rad wird gefeilscht.
Das ist übertrieben, denn in flacher Fahrt ist das Gewicht
zehnprozentigen Steigung von 7,9 auf 8,08 km/h zulegen
(plus 2,2 Prozent). Interessant wird das Gewicht auch bei
ständigen Tempowechseln, weil da Beschleunigungsarbeit
relativ unbedeutend. In diesem Fahrzustand hat die Mas- zu leisten ist, in die das Gewicht proportional eingeht. Ein leichtes Rad
se von Rad und Fahrer lediglich Einfluss auf den Rollwi- Dennoch: In die Gesamt-Energiebilanz eines gemischten ist ein schnelles
derstand und auf die sowieso minimale Lagerreibung. Streckenprofils von beispielsweise 1.000 Höhenmetern Rad? Das gilt
Ein Prozent weniger Gewicht senkt den Rollwiderstand auf 100 Kilometer geht nur am Berg ...
um ein Prozent – das beschleunigt die Fahrt nur um die Aerodynamik als
0,16 Prozent. Anders sieht’s an einem steilen Berg aus. dominanter Fahr-
Hier geht das Gewicht proportional in die Gesamtleistung widerstand stärker
ein und nicht nur in den Rollwiderstand. Zwei Kilogramm ein als das
weniger Masse lassen unseren Musterradler an einer Gewicht.

Die Einzelwiderstände im Vergleich

Flache Strecke, 30 km/h, 200 Watt 10 % Steigung, 7,9 km/h, 200 Watt
Hauptfaktor: Luftwiderstand (cwA) Hauptfaktor: Masse (Kilogramm)
17,4 %
Rollwiderstand 4,5 %
Rollwiderstand
6,7 %
Luftwiderstand 2,5 %
Laufräder Kettenreibung

2,5 % 1,5 %
72,9 % 91%
Kettenreibung Luftwiderstand ǒ Der Einfluss des Ge-
Luftwiderstand Hubarbeit Rad & Fahrer
Fahrer + Rad wichts wird von den
SIMON

<0,5 %
<0,5 % meisten Rennradfahrern
Lagerreibung
Lagerreibung überschätzt. Es zählt
So wird’s schneller – in der Ebene – und am Berg nur beim Beschleunigen
sowie an steilen Bergen.
Zwei Kilo Gewicht einsparen 0,05 km/h Optimale Reifen 0,06 km/h
2 kg Gewicht einsparen 0,18 km/h Zwei Kilogramm weniger
Aerodynamische Laufräder 0,34 km/h
Optimale Reifen 1 km/h bringen bei Tempo 30
Kopf runter, Rücken flach 4 km/h im Flachen nur einen
Gewinn von 0,05 km/h

88 TOUR 5 | 2008