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Philologus 133 1989 1 163-164

LADISLAV VIDMAN

H O R U S L O C K E N B E I A M M I A N U S M A R C E L L I N U S X X I I 11, 9

Unter Julian dem Abtrünnigen kam es in Alexandrien zu einem Christen-


pogrom, bei dem nach der Darstellung Ammians auch ein gewisser Dracontius
und Diodorus ums Leben kamen, itte quod aram in moneta, quam regebat, recens
locatam evertit; alter, quod, dum aedificandae praeesset ecclesiae, cirros puerorum
licentius detondebat, id quoque ad deorum cultum existimans pertinere (Amm. X X I I
11,9). Uns interessiert der Fall des Diodorus. In der Übersetzung von W. Sey-
farth heißt es: „der zweite, weil er als Leiter eines Kirchenbaus die Locken der
Knaben zu weit scheren ließ, da er glaubte, dies gehöre ebenfalls zum Götter-
kult." 1 Wie auch aus der Übersetzung von J . C. Rolfe hervorgeht, gibt es hier
sachlich keine Schwierigkeiten: „the other, because, while overseer of the building
of a church, he arbitrarily cut off the curls of some boys, thinking that this also
was a fashion belonging to the pagan worship."2
Rolfe macht zu dieser Stelle keine Bemerkung, in Seyfarths Übersetzung
finden wir nur am Ende der Anmerkung Nr. 156 folgendes: „id quoque: dies be-
zieht sich nicht auf das Scheren der Locken. Vielmehr liegt eine gedankliche
Ellipse vor; D. glaubte, die langen Locken gehörten zum heidnischen Götter-
kult."»
Seyfarth hat vollkommen recht, daß Diodorus in den Knabenlocken etwas
Heidnisches sah; man kann sogar noch weiter gehen und darin die Horuelocken
der Knaben erblicken, die der Göttin Isis vorgeweiht waren. L. Caatiglione hat
darauf bereits in seiner Besprechung des Buches von Victorine von Gonzenbach4
mit folgenden Worten hingewiesen: „Neben den auch von G. zitierten Angaben
... muß man besonders auf zwei vernachlässigte Stellen aufmerksam machen;
die eine, Xenophon, Ephesiaka 3,11,4, ist die ergiebigste literarische Quelle für
diese Frage, während man aus der anderen Stelle, Ammianus Marcellinus 22,11, 9,

1 Ammianus Marcellinus, Römische Geschichte. Lateinisch und deutsch und mit einem Kom-
mentar versehen von W. Seyfarth, 3. Teil, Berlin 1970. Der lateinische Text entspricht der neue-
sten, gleichfalls von Seyfarth besorgten Teubner-Ausgabe (Leipzig 1978).
2 Ammianus Marcellinue with an English Translation by J . C. Rolfe, Loeb Classical Library

(Reprint 1966).
* Dies ist der einzige moderne Kommentar zur Stelle. In der Edition Beiles Lettres fehlt immer
noch der Band III, indem das X X U . Buch enthalten sein sollte; der ausführlichste philologisch-
historische Kommentar von F . de Jonge (Philological and Historical Commentary on Ammianus
Marcellinus, Groningen ab 1972) ist erst bis Buch X X erschienen (1987).
' V. v. Gonzenbach, Untersuchungen zu den Knabenweihen im Isiskult der römischen Kaiser-
zeit, Bonn 1957 (Antiquitas I 4).

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164 L. VIDMAX. Horusloeken bei Ammianus Mareellinus XXII 11. !l

erfährt, daß die Horuslocke im 4. Jh. auch schon als ein Unterscheidungsmerkmial
der Heiden den Christen gegenüber werden konnte."5 Alles paßt hier zusammem:
Die Horuslocke, die meistens am rechten Ohr sichtbar war, wurde in der rörmi-
schen Kaiserzeit von Knaben (nur ganz ausnahmsweise von Mädchen) zwischen
dem 3. und 14. Lebensjahr als Abzeichen der Vorweihe in den ägyptischen Kuilt
getragen". Aus Ägypten sind diese Kinder vor allem aus Mumienbildnissen be-
kannt7.
Daa einzige literarische Zeugnis für diesen Brauch (bei Xenophon wird dlie
Locke nicht erwähnt) ist diese Ammianusstelle. Aus dem Gebrauch des Worttes
cirrus, das bei Ammianus nur an dieser Stelle bezeugt ist, geht auch hervcor,
daß es sich nicht vielleicht lediglich um Haare, sondern um wirkliche Lockten
handelte. Daher kann man kaum zweifeln, daß es eine Anspielung auf die Horuis-
locke war, die auch noch im 4. Jahrhundert in Ägypten belegt ist.
Da diese Interpretation vielleicht auch den künftigen Ammianus-Kommejn-
tatoren entgehen könnte - wie es beim einzigen modernen Kommentar vcon
Seyfarth der Fall war —, mache ich in dieser Miszelle auf sie aufmerksam.

Ceskoslovenska akademie ved


Kabinet pro studia recka,
rimska a latinska
12000 P r a h a 2 / CSSR
5 L . Castiglione, Gnomon 31, 1959, 541.
6 Siehe Gonzenbach, op. 1., passim, vgl. weiter dieselbe, Der griechisch-römische Scheittel-
schmuck und die Funde von Thasos, B C H 93, 1969, 885—945.
7 Gonzenbach, op. 1., Katalog N r . 26—33; K . Parlasca, Mumienporträts und verwandte Dennk-
mäler, Wiesbaden 1966, Tai. 10, 2 (dazu S. 61); 12, 1 (dazu S. 181); 17, 1 (dazu S. 71); 183, 1
(dazu S. 52); 30, 1 (dazu S. 106 und 132); 50, 1 (dazu S. 30); 50, 2 (dazu S. 25); ein verschollennes
Porträt ist S. 246 N r . 58 = Gonzenbach, B C H 944 N r . 35 erwähnt. Weiter gibt es ein Graab-
relief in Bologna ( K . Schauenburg, J d l 68, 1953, 70 mit A b b . - N r . 23; vgl. Parlasca, op. 1., 71
mit Anm. 79) und eines in Brooklyn (abgebildet zuletzt bei Gonzenbach B C H 895 Fig. 5).

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