Sie sind auf Seite 1von 6

Dem Imaginären entlang : die Stadtionen des

Waatländer Weges, Weg der Schweiz, 1991 :


Architekten Atelier Cube

Autor(en): Meiss, Pierre von

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Werk, Bauen + Wohnen

Band (Jahr): 78 (1991)

Heft 9: Philip Johnson, Kunstfigur = Philip Johnson, personnage de l'art =


Philip Johnson, artist

PDF erstellt am: 18.06.2020

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-59196

Nutzungsbedingungen
Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an
den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern.
Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in
Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder
Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den
korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden.
Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung
der Rechteinhaber erlaubt. Die systematische Speicherung von Teilen des elektronischen Angebots
auf anderen Servern bedarf ebenfalls des schriftlichen Einverständnisses der Rechteinhaber.

Haftungsausschluss
Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr für Vollständigkeit oder Richtigkeit. Es wird keine Haftung
übernommen für Schäden durch die Verwendung von Informationen aus diesem Online-Angebot oder
durch das Fehlen von Informationen. Dies gilt auch für Inhalte Dritter, die über dieses Angebot
zugänglich sind.

Ein Dienst der ETH-Bibliothek


ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch

http://www.e-periodica.ch
Forum Dem Imaginären
Streiflichter
entlang

Die Stationen des Waadtländer diese Menschen zusammengenommen Becken (Rhein und Nordsee) und das
Weges, Weg der Schweiz, 1991 erreichen, einen wirklichen südliche Becken (Rhone und Mittelmeer).
Architekten: Atelier Cube: Menschen darzustellen, ich meine damit

Guy Collomb, Marc Collomb, eine nicht nur geistige, sondern Durch das Verweilen alle 5
Patrick Vogel; Mitarbeiter: Ivo Frei körperliche Person, die sehen und fühlen längs dieser Linie wurde
Kilometer

Filmproduzenten( Konzeption könnte und gleichzeitig alles wusste. ausgehend von diesen so
versucht,

der «Wunderwürfel»): Robert Boner, Denn man musste alles sehen, und Punkten, den Ortsgeist, den
bestimmten
Claude Muret, Yves Yersin; zwar nicht nur oberflächlich, sondern Egregor des Waadtlandes,
mit Daniel Schlaepfer (Bildhauer) in der Tiefe.» aufzuspüren.

«Hier, wie wir gesehen haben, C. F. Ramuz, La Suisse Romande, Der Wanderer wird ihn entdecken
zögert das Land; das heisst, wir befinden Lausanne 1955 können, indem er durch die
Gucklöcher der «Wunderwürfel» schaut.
uns da auf dem First eines Daches,
dessen Giebel, genau gesagt, nur leichte Der Waadtländer Abschnitt des Diese befinden sich entlang der
Gefälle aufweisen, die aber ausreichen, Weges der Schweiz, welcher anlässlich Wegstrecke des Kantons Waadt. Es sind

die Wasser zu teilen. Ihre Trennlinie der 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft Chromstahlwürfel von 86 cm Seitenlänge.
ist im übrigen sehr eigenwillig, da geschaffen wurde, entspricht
sie vollkommen von der Topographie einem Teilstück des Wanderweges, der Entsprechend dem Beispiel der
bestimmt wird. eine offene Schlaufe um den Urnersee Bildstöcke, die in dieser Gegend seit
Manchmal verläuft diese Linie in macht. Jedem Kanton ist auf dieser Jahrzehnten bestehen, markieren
Richtung Süden, sogar bis zum Fusse Strecke ein Abschnitt zugeteilt. Der Stationen diesen Weg in regelmässigen
der Hügel, die direkt an den Leman Eintritt in die Eidgenossenschaft Abständen.
angrenzen; dann wieder erstreckt sie bestimmt die Abfolge der Kantone; ihre Jede dieser 14 Stationen wird
sich weit in den Norden; beispielsweise entsprechende Einwohnerzahl ist schon von weitem durch einen 12 m
bis zu dieser berühmten Mühle, die proportional zur Länge des hohen Masten signalisiert, nach dem
man «die Mitte der Welt» nennt, und Wegstückes (3 km für Waadt). Modell der früher - besonders im
deren Weiher an einer Seite ins Mittelmeer, Der Weg der Schweiz beginnt am Kanton Waadt -
existierenden
an der andern in die Nordsee Rütli und führt südlich um den See Anlagen von Wach- und Leuchttürmen.
fliesst. Es ist ein Land der Abgrenzung, herum nach Brunnen. An das Waadtländer Diese Masten sind beweglich, ähnlich
ein Land der Trennung, in dem Teilstück grenzt einerseits auf Fahnen, die das Spiel der örtlichen
sich sogar plötzlich der Stein selber der Hochebene von Morschach der Winde sichtbar machen. Sie werden,
teilt; im Süden war er grau, und plötzlich Walliser Wegabschnitt, anderseits, ebenso wie die «Wunderwürfel», nur
wird er gelb, an der Stelle, wo die oberhalb von Sisikon, der des Tessins. während der Zeit der 700-Jahr-Feier
Wasserläufe ihre Richtung ändern. Die leitende Idee, die die an Ort und Stelle bleiben. Nach den
Wenn man sich fortbewegt, musste Gestaltung des Waadtländer Weges Festlichkeiten werden diese Objekte
man dies gleichzeitig in Raum und bestimmt hat, besteht darin, dem wirklichen wieder in den Kanton Waadt
Zeit tun. Der Geograph musste ständig Weg eine imaginäre Wanderung zurückgebracht.

vom Historiker, ja selbst vom zu überlagern. Diese führt entlang der Um jeden «Wunderwürfel» und
VorHistoriker (wenn man so sagen kann) Wasserscheide, die den Kanton Waadt seinen Masten ist die Oberfläche
begleitet sein, diese würden mit dem in seiner ganzen Länge, vom Jura bis gestaltet. Je nach der besonderen Rolle,
Dichter und dem Maler - beide ebenfalls zu den Alpen, durchläuft. die sie in der Landschaft und auf dem
eng miteinander verbunden - eine Diese Linie trennt die Wasser und Weg spielt, ist sie ein einfacher
Einheit bilden. Vielleicht könnten es die Waadtländer in das nördliche Vorwand zum Verweilen, ein Aussichts-

16 Werk. Bauen+Wohnen 9/1991


punkt, von dem man in die Ferne i W,
•¦„•;.
\ik
-.
-.
blickt, oder ein Picknickplatz. ""^v- "•-'.' SV..733

Nach 1991 werden Lindenbäume mm^Ammmmz


wm
inmitten der freigewordenen Sockel
wachsen und so den Platz der nicht
mehr vorhandenen Objekte einnehmen, ¦¦..,\m''- Ä
deren verzauberte Bilderwelt
entschwunden ist. So wird - wie in den
Legenden - in pflanzlicher Form eine
diskrete, aber dauerhafte Spur dessen,
was einmal war, erhalten bleiben: Nah
am Boden werden allmählich die
gebautenÜberreste zerfallen und unter
dem wachsenden Grün verschwinden,
bis eines Tages irgend ein Archäologe,
Urenkel eines Helveten, sie wieder
entdeckt... A telier Cube

mmmm

¦w
*-.

MX--

53
Waadtländer Weg innerhalb der
Gesamtsituation *&£' £&

Die Wasserscheidenlinie des Kantons


Waadt. alle 5 km von Meridianen
durchschnitten WtL
rn*
OOO
Station 3: «Mont-Tendre» ¦ $30^*

53
" •
'" '

Werk. Bauen+Wohnen 9/1991


17
*
«" te-

t
wz-ß/

¦4t

i, /

.:,



¦ ¦:.
1

''*\
Station 14: «Tarent»

o
Guckkastenbild: die Kathedrale von
Lausanne überragt eine Brücke, deren
Pfeiler Badende einrahmen

' «Wunderwürfel» auf der Station «Mont-


Tendre»

Kommentar man weniger von der Region selber, als «Seche des Amburnex», «Gros Van» Atelier Cube und Ivo Frei ermöglichen
Wäre der Wegabschnitt eines vielmehr vom Zufall gesprochen, der oder «La Louye». Auf den uns, die Landschaft neu zu
jeden Kantons repräsentativ für den diese Künstler im Kanton angesiedelt entsprechenden Meridianen liegen auch entdecken: dies im Rhythmus der 14
Stellenwert, den Architektur und hat. jene Orte, welche die Themen für die Stationen, der 14 Masten und vor allem
Kunst bei ihm einnehmen, würde sich Man musste sich etwas Besseres Bilder und «Geschichten» in den der 14 präzisen, einmaligen Orte, die
die Waadt gegenüber dem Tessin, dem einfallen lassen, indem man sich fragte, «Wunderwürfeln» (boite magique) Aufschluss geben über die Vielfalt der
Wallis, Basel, Bern oder Zürich ob es in der Waadtländer liefern. «genii loci». Unnütz ist es,
auszeichnen. Sowohl durch das Niveau Geographie irgend etwas gibt, das sich auf Gipfelstürmer zu spielen, denn sie sehen nur

seiner Konzeption als auch der Bemühung den Kanton, die Schweiz und sogar Der Landschaft einen Sinn geben den Boden, die Steine, Gräser und
um eine konkret ortsgebundene Europa bezieht. Daraus entstand die Der Waadtländer Wegabschnitt andere Details an sich vorüberziehn.
Architektur gehört der Waadtländer Idee, die Wasserscheide zu erkunden, verläuft längs eines steilen Hangs, er Die Stationen geben den Rhythmus
Weg zu den interessantesten Realisierungen diesen Ort, von dem die einen Wasser beginnt genau dem Rütli gegenüber zum Verweilen und für Überraschungen.
dieser Art. Richtung Nordsee, die andern Richtung und zieht sich ständig über der Landschaft
Mittelmeer fliessen. Diese Linie, des Urnersees hin. Diesmal Der Genius einer jeden Station
Das Wagnis der Willkür die sich «launenhaft» (Ramuz) von haben die Meridiane eine Rotation um hat nichts zu tun mit touristischer
Wie sollte man, entlang einem einem Ende zum andern durch den 90° erfahren, um zu Parallelen zu werden Banalität, die normalerweise die
Wanderweg in der Zentralschwciz, das Kanton schlängelt, wurde willentlich mit einer auf 152 m reduzierten Aufenthaltsorte an den geheiligten
entlegene Waadtland darstellen, ohne und willkürlich alle 5 km von Äquidistanz (Abb. 1). Die Willkür Aussichtspunkten vorsieht. Im Gegenteil,
in die üblichen Klischees zu verfallen? Meridianen durchschnitten (Abb. 2). Die dieser konstanten Abstände bestimmt die Waadtländer Stationen offenbaren
Eine Lösung hätte sicherlich darin durch diese Willkür bestimmten Orte den Standort der 14 Stationen; eine urtypische Orte unserer Landschaft,
bestanden, eine Sammlung von Werken sind die Quelle der rätselhaften gelungene Willkür, auch dank der so zum Beispiel:
Waadtländer Künstler dem Weg Namen der Stationen, wie «Le Milieu Architekten, die sie zu interpretieren - Der Aufstieg, dann das Erreichen
entlang aufzustellen. Aber dann hätte du Monde», «Fruitieres de Nyon», wussten. eines Waldrandes, was charaktcri-

18 Werk. Bauen+Wohnen 9/1991


*l-

stisch ist für unsere abschüssigen für die Nutzung unseres Territoriums. Hintergrund des Sees abgehoben, elektronischen Steuerungen benutzt
Hänge zwischen Almen und Ebenen Der Weg ist lieblich, fast horizontal, er überragt Lausannes Kathedrale eine haben, ist es ihnen gelungen, weder
(Station 1: Abb. 9. 10). spricht von dem. was «zwischen Berg Brücke, deren Pfeiler Badende statische noch bewegte dreidimensionale
- Der innere Ort. ruhig und etwas und Tal» liegt (Stationen 4 bis 8). einrahmen (Abb. 8)... solche Bilder Bilder zu schaffen. Die Wahl
geheimnisvoll im Schatten dieser Wälder - Die Lichtung: Ausruhen. Picknick zwischen Traum und Wirklichkeit bieten ihrer Komposition und die langsame
(mit einer reichen Unterholz- an der Feuerstelle mit bereitgelegtem uns die «Wunderwürfel» entlang der Transformation durch verschmelzende
Pflanzenwelt. Stationen 11 und 12). Holz (Station 10). Stationen. Aufeinanderfolge («fondu-enchai-
- Die Unterbrechung der Waldesruhe Die Masten, gleich Windfahnen, In diesen Chromstahlwürfcln ne») wirken so überraschend, dass
durch einen Bach oder Geröll, was die bezeugen mit ihrer Höhe von 12 m von (Abb. 7) zeigen Yves Yersin (Regisseur traditionelle Medien wie Dias oder
dramatischen Bezüge zur Höhe und weitem die Zusammengehörigkeit des Films «Les petites fugues», Filme geradezu in den Schatten
zur Tiefe herstellt (Station 9). dieser Orte. Wenn man eine Station 1979), Daniel Schlaepfer. Robert gestellt werden.
- Das Heraustreten aus dem Wald: verlasst. zeigt sich schon die nächste Boner und Claude Muret jedesmal
also eine Überprüfung unseres Standortes mittels dieses Signals. drei bis vier interpretierte und Kleine Architekturen
dank des Ausblickes. Aber die umgeformte Waadtländer Szenen. Man Die gewählten architektonischen
Architekten sind dem primär Parallel laufender Weg - schaut sie sich wie durch ein Schlüsselloch Mittel sind einfach: kleine Mauern,
Spektakulären ausgewichen. Sie haben die Traum oder Wirklichkeit an - insgeheim und allein. Das Sockel, Treppen aus Sichtbeton; Wasser,
Station des «Mont-Tendre» diskret Christus, der durch seine Prinzip ähnelt dem Viewmaster der soweit es vorhanden ist; Luft, die
hinter eine Waldzunge zurückgezogen, Kreuzigung die beiden Glockentürme (den 40er Jahre oder dem Bildkasten des die Windfahnen bewegt: Holz für die
die die Sicht versperrt, und somit protestantischen und den katholischen) 19. Jahrhunderts. Indem die Erfinder Treppen im Wald. Kiesel für die
das Erlebnis der Alp selbst verstärkt eines Waadtländer Dorfes dieser Prototypen die hochentwickelte, Plattformen. Von ihrer Grösse und ihren

(Stationen 2. 3. 8. 13: Abb. 3. 4. 5). verbindet: das Boot, das auf den Wellen zeitgenössische Technologie von Formen her wirken sie auf den Wanderer
- Die Matten, bestellte Balkone eines Kornfeldes des «Gros-de-Vaud» Mikromechanik. Spiegeln. Linsen, einladend. Ihre Geometrie nutzt
zwischen Berg und Ebene, bezeichnend schaukelt: im Gegenlicht vor dem variationsfähigen Beleuchtungen und bestens das Charakteristische der

Werk. Bauen+Wohnen 9/1991


19
Gegend, indem sie einen Ort genau
bestimmt, einen Ort als Aufenthaltspunkt
gegenüber all den Hängen,
Wiesen und Wäldern.
Die Realisierung könnte vom
Bereich des Tiefbaus her betrachtet
werden, gäbe es da nicht eine geschickte
Einpassung in die Landschaft und
ein bemerkenswertes formales Können.

Die präzise und einfache Gestaltung


der Orte erinnert an die Lehre
und einige Arbeiten von Hans
Brechbühler, wie zum Beispiel die Gedenkstätte
¦*
für Rudolf Minger (1958). Atelier
Cube und Ivo Frei haben so, ohne
es zu wissen, Brechbühlers Andenken
sV
gewürdigt. Sorgfalt und Raffinement
bei der gestalterischen Einbindung in
die Natur sind Werte, die schon seit m *
einigen Generationen der «Lausanner
Schule» fortbestehen.
Das Gelingen des Waadtländer
••-Vs
m
Weges liegt auch darin, dass
% -tv
!fc
Architektur, Bilderproduktion, Inszenierung,
Aerodynamik und Mikrotechnik
in einem aussergewöhnlichen
Gleichgewicht vereint sind.

Pierre von Meiss


,' sa-.--.

mm.
m
%*>
3fr I SE
p
»V

*..
-*;


Station 1: «Les Fruitieres de Nyon» mA ¦

Fotos: Lionel Deriaz, Baulmes VD üm

20 Werk, Bauen+Wohnen 9/1991

Das könnte Ihnen auch gefallen