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"Bataille in der Praxis“

Bachelorarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades des


Bachelor of Arts

Vorgelegt am Lehrstuhl für Theater Regie / Bachelor of Arts


Zürcher Hochschule der Künste
bei Prof. Sabine Harbeke und Monika Gysel

Von Marlon Tarnow


Zürich, 08.05.2019
Inhaltsverzeichnis
1.0 Gewalt verstehen, eine Einleitung..................................................................................3

2.0 Wer ist Bataille und Fritz Haarmann?..........................................................................5

2.1 Der Fall Fritz Haarmann......................................................................................................6

2.2 Haarmann von Marius von Mayenburg..............................................................................7

2.3 Bataille, biographische Verortung........................................................................................8

2.4 Von Bataille zu Haarmann....................................................................................................9

3.0 Paralellwelten der Gewalt.............................................................................................11

3.1 Heterologie und staatliche Gewalt im Stück Haarmann...................................................12

3.2 Gewaltsamkeit, Verbot und Überschreitung in Haarmann..............................................15

4.0 Bataille in der Praxis....................................................................................................18

4.1 Die Partitur des Schreckens, Teletubbies und die Grenzerfahrung................................19

5.0 Fazit...............................................................................................................................22

6.0 Literaturverzeichnis......................................................................................................23
1.0 Gewalt verstehen, eine Einleitung

Gewalt hat mich mein Leben lang begleitet, von der Kindheit angefangen, wo Zuhause die
Fetzen geflogen sind bis auf dem Spielplatz. Später dann auch auf dem Schulhof. Auch
wenn ich jetzt nicht mehr Opfer körperlicher Gewalt bin und ich auch mittlerweile wüsste
wie ich mich wehren könnte, sehe ich immer noch Gewalt, bloss in anderen Formen und
Farben. Durch die massive Konfrontation mit der Gewalt in meiner Kindheit habe ich
einen seltsamen Umgang mit Gewalt erlernt, ich werde diese eine Sitaution nie vergessen:
ich wurde heftig mit der Hand ins Gesicht geschlagen und dann machte ich einen Witz
über das Wut verzerrte Gesicht, plötzlich hörten die Schläge auf und es wurde gelacht,
dann ging es weiter.
Die Dinge die ich damals erlebt habe haben mich nie verlassen und ich versuche immer
noch den Dingen auf den Grund zu gehen, um zu verstehen wieso überhaupt soviel
Gewaltätiges passiert ist. Georges Bataille der selber eine brutale und traumatische
Kindheit hatte, der ansehen durfte wie sein Vater blind und allein in seinem Haus starb,
wird nachgesagt, dass er seine ganze Philosophie aufgrund seiner Traumata entwickelt hat.
Durch die Beschäftgung mit Batailles Gedankengebäude zur Gewalt, habe ich viele Dinge
neu betrachten können.
Als ich das Stück Haarmann von Mayenburg gelesen hatte, war ich ersmtal überfordert.
Ich wusste nicht wohin mit dem Stoff, aber etwas tief im Inneren des Stückes faszinierte
mich, ich konnte es nur noch nicht in Worte fassen. Erstmal war ich mit der Frage
überfordert: Wieso ist heutezutage ein Theaterstück über einen pädophilen Serienmörder
aus den 20er Jahren wichtig? Geht man tiefer in die Materie, stellt man fest, dass das Stück
einem dazu hilft darüber nachzudenken, was Schuld eigentlich bedeutet. In den Medien
wird immer von den Guten und den Bösen, die sich nicht an die Spielregeln halten,
gesprochen: die Attentäter, die Kriminellen, die Asozialen. Dabei wird durch die
Beschäftigung mit dem Stück deutlich, dass es immer zwei Seiten der Medaile gibt und die
Gesellschaft an sich auch eine Verantwortung trägt, für das was in der Welt passiert. Es
muss einiges passieren, bevor jemand auf die Idee kommt sich in die Luft zu sprengen.
Das Stück schafft es ein grosses Bild einer Gesellschaft abzuzeichnen, in der alle eine
Mitschuld an den Grausamkeiten tragen, die passieren.
Was mich aber hauptsächlich an dem Stück interessiet, ist die Gewalt die in dem Stück
dargstellt wird. Niemand möchte gerne freiwillig Opfer von Gewalt werden, aber trotzdem
ist da eine Lust Gewalt anzuschauen. Für mich ein Widerspruch, Gewalt ist eigentlich
unerträglich, aber wenn man schaut was in den Filmen passiert, was in der Kunst alles
gemalt wird und wurde, dann wirft sich mir die Frage auf: Wieso hat Gewalt so eine
faszination für uns?
Einige Überlegungen von Bataille liefern Antworten, was ich ich in der Bachelorthesis
untersuchen möchte ist: Inwiefern gibt es Paralellen zu Batailles philosophischen
Gedanken die im Stücktext bereits illustriert sind und welche Konsequenzen haben diese
Paralellen für eine Inszenierung, die diese Gedanken sinnlich erfahrbar machen möchte?
Kann die Inszenierung von Haarmann eine praktische Erfahrung Batailles Philsophie sein?
2.0 Wer ist Bataille und Fritz Haarmann?
2.1 Der Fall Fritz Haarmann

Hannover 1918, Fritz Haarmann ist ein vorbildlicher Bürger, er ist gut gekleidet und nett
zu seinen Nachbarn. Die Polizei findet Fritz so sympathisch, dass er für sie als Spitzel
arbeiten darf und nebenbei verkauft er noch Fleisch und Kleidung. Im Kröpcke, der
Lieblingsbar von Haarmann gibt er gerne einen aus oder lädt nach einer durchzechten
Nacht noch bei sich Zuhause ein. Gern bietet er auch jungen Männern, die einsam am
Hannover Hauptbahnhof herumlungern, an bei ihm zu übernachten. Nachts hört man
Schreie und seltsame Geräusche aus seiner Wohnung, aber es stört keinen, denn: „Herr
Haarmann ist ein feiner Herr. Er ist der Wohltäter vom ganzen Viertel. Wie der den
Obdachlosen hilft” Als es dann 1924 um die Verhaftung von Fritz Haarmann kommt, wird
die schöne Fassade vom Musterbürger gesprengt, denn Haarmann wird verantwortlich
gemacht mindestens 25 junge Männer umgebracht zu haben. Haarmann wird zum Tode
verurteilt und ein Jahr später mit dem Fallbeil hingerichtet.
2.2 Haarmann von Marius von Mayenburg

Das Stück von Marius Von Mayenburg Haarmann, beruht auf der Grundlage des
authentischen Kriminalfalls der sich zwischen 1918 und 1924 in Hannover abgespielt hat.
Mayenburg bezieht viele Textstellen und Dialoge von den original Gerichts-und
Verhörprotokollen, schreibt aber noch zusätzlich fiktive Szenen und zeichnet damit ein
soziales Umfeld das sich durch Autoritätsdenken und Ignoranz geprägter Normalität
auszeichnet und die Grundlage für jahrelanges Menschenschlachten schafft. Dadurch das
ein Gesellschaftspanorama durch das Stück von Mayenburg gezeigt wird, greift er eine
hinterlassene Spur auf, von dem Philosophen Theodor Lessing: „Der Philosoph und
Psychologe Theodor Lessing folgte der Verhandlung als Pressevertreter. Am 12. Dezember
1924 schilderte er im Berliner Börsen-Courier eindrücklich das Milieu, in dem Haarmann
seine Taten beging: "Da wurde Schores geschoben, geneppt und Klamotten gemaust. Da
gingen Elli, Anni, Hilde und Dörchen ihren Geschäften nach und benutzten Haarmanns
vorurteilsfreie Zimmer. Da kamen alle Fürsorgezöglinge und schweren Jungens
zusammen, und Herr Haarmann als Kriminal wußte immer, wenn eine Razzia war, und
machte es im voraus bekannt. Nachmittags kam oft Herr Kriminalkommissarius a. D.
Olfermann, der Kompagnon von Herrn Haarmann, und auch Herr Kriminalkommissarius
Müller kam gern zu einem Gläschen Kognak mit Hackfleisch. Theodor Lessing beließ es
nicht bei Vorwürfen gegen die Polizei, auch dem Gericht hielt er Verfahrensfehler vor; so
sei die Befragung der Zeugen mitunter stümperhaft gewesen. Dabei ging es nicht um reine
Juristerei; Lessing wollte die Zustände anprangern, die "Haarmann" ermöglicht hätten. Er
war nicht der Einzige, der den Fall als beispielhaft für die Probleme der Weimarer
Gesellschaft ansah, aber er war der Einzige, der aufgrund seiner Texte vom Prozess
ausgeschlossen wurde: Am elften Verhandlungstag entzog man ihm die Pressekarte.
Bereits 1925 veröffentlichte Lessing seine bis heute viel beachtete Studie Haarmann. Die
Geschichte eines Werwolfs. Darin beschreibt er, wie korrupt die Polizei und wie
gewalttätig die Weimarer Gesellschaft sei – und sieht klar voraus, welche politischen
Gefahren durch diese Zustände drohen."1 Mayenburg gibt dem später 1933 durch die Nazis
getöten Lessing durch das Stück wieder eine Stimme, etliche Zitate von Lessing lassen sich
auch im Haarmann finden. Lessings Intention wird mit dem Theatertext erreicht und zwar
das man anders über Schuld nachdenkt. Es wussten soviele Menschen um Haarmann
herum von seinen Morden, haben aber aus Eigennutz nichts getan. Am Ende wurde
Haarmann als einzelner Schuldiger hingerichet.

1
Theodor Lessing: Haarmann. Die Geschichte eines Werwolf, Rogner & Bernhard, Hamburg 1982 S. 6
2.3 Bataille, biographische Verortung

Bataille erreichte während seiner Lebenszeit mit seiner intellektuellen Arbeit keine
nationale oder internationale Prominenz. Erst gegen Ende seines Lebens konnte er die
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen. 1957, fünf Jahre vor seinem Tod,
veröffentlichte er drei Bücher - Die Erotik, Literatur und das Böse und den Roman, Das
Blau des Himmels, welche Aufsehen in der damaligen intellektuellen Presse produzierten
und sogar zu Batailles einzigen Fernsehinterview2 führte. Während seiner Lebenszeit war
Bataille dem intellektuellen Zentrums Paris immer nahe, 1946 gründete er sogar die
renomierte Zeitschrift Critique, trotzdem erreichte Bataille letztendlich erst posthum seine
wirkliche Anerkennung als modernen Denker. In den Jahren nach Batailles Tod (er starb
1962) wurden viele Artikel und Essays über ihn veröffentlicht, unter anderem auch von
Roland Barthes, Jacques Derrida und Michel Foucault3. Durch diese neue Rezeption
Batailles wurde seine Arbeit auf ein neues Level gehoben, welches ermöglichte das der
grösste französische Verlag Éditions Gallimard, das Gesamtwerk des Philosophen 1970
veröffentlichte. Durch die Veröffentlichung der Œuvres complètes in 12 Bänden wurde
Georges Batailles Ruf als einer der wichtigsten französichen Schriftsteller und Denker
zementiert. George Bataille war in vielen Denk-Disziplinen unterwegs, von Philosophie,
Ethnographie bis Soziologie und der Prosa-Literatur.

2
https://www.youtube.com/watch?v=tpFSXAdlEYY
3
"Vorrede zur Überschreitung",in: ders.:Von der Subversion des Wissens, hg.v. Walter Seitter, München 1974
2.4 Von Bataille zu Haarmann

In der französischen Literatur wurde „[...] das Schreckliche schon früher, weitaus
unbefangener und von moralischer Zensur freier thematisiert“4, als im Rest Europas. Durch
eine intensive Beschäftigung mit dem Marquis de Sade entwickelte Bataille mehrere
zentrale Begriffe seiner “Gewalt Philosophie“, vor allem den Begriff der Überschreitung,
denn Bataille sah in Sade die Überschreitung im Werk und Mensch verwirklicht. Vor allem
in der Auseinandersetzung von Bataille mit Sade fand ich viele Schnittstellen zum
Haarmann Text, aber auch in der Beschäftigung mit dem Kinder Möder Gilles de Rais.
„Der Waffengefährte der Jeanne d'Arc und Marschall von Frankreich, Gilles de Rais, war
zugleich ein monströser Massenmörder unzähliger Kinder, die seine Vertrauensleute unter
verlockenden Versprechungen in seine Schlösser brachten, wo sie als Opfer der schwarzen
Magie im Verlauf orgiastischer Gelage auf grauenhafte Weise geschächtet und
verstümmelt wurden. Georges Bataille schildert das entsetzliche Geschehen an Hand der
Protokolle des weltlichen und des kirchlichen Prozesses und entwickelt eine psychologisch
fundierte Philosophie des Verbrechens“ 5
Batailles Gedanken und Untersuchungen an dem Serienmörder Gille de Rais lassen sich
mühelos auch auf Fritz Haarmann anwenden. Beide waren leidenschaftliche Mörder, vor
allem an Kindern und jungen Menschen. Die Lust jemand beim sterben zuzusehen
charakterisiert Bataille bei Gille de Rais wie folgt: „Doch erst der Tod des Kindes spielte
zumeist eine Rolle bei der Lust von Gilles. So schnitt er die Halsader auf oder ließ sie
aufschneiden: das hervorspringende Blut vergnügte ihn. Oder er wollte das Opfer im
entscheidenden Moment nach dem Tode lechzen sehen. Oder er ließ es enthaupten: dann
dauerte die Orgie, “solange der Körper noch warm war. Manchmal setze er sich nach der
Enthauptung rittlings auf den Leib des Opfers und hatte seinen Genuss daran, die letzten
Zuckungen so nah wie möglich zu sehen.”6 Der hier beschriebene Genuss einem jungen
Menschen bei dem Sterben zuzusehen, ist schwer nachzuvollziehen. Warum uns aber das
Sterben an sich faszinieren könnte, beschreibt Bataille in seinem Buch „Die Erotik“7:„Wir
nehmen den Übergang wahr vom lebenden Zustand zu dem des Leichnams, das heisst zu

4
Michael Riekenberg: Zur Gewaltsoziologie von Georges Bataille, Leipziger Universitätsverlag 2012, Josef
Drexler,
S. 16

5
George Bataille: Gille de Rais. Merlin Verlag 6 Auflage, Gifkendorf 1989, S. 7

6
George Bataille, 1989, S. 57
7
George Bataille: Die Erotik. Matthes & Seitz Verlag, München, 1994, S.
dem ängsigenden Gegenstand, den für den Menschen der Leichnam eines andere
Menschen darstellt. Für jeden, den er fasziniert, ist der Leichnam das Bild seines
Schicksals. Er bezeugt eine Gewaltsamkeit, die nicht nur einen Menschen zerstört, sondern
die alle Menschen zerstören wird.”8 Im Verlauf der Bachelorthesis gehe ich besonders
vereinzelt in dem Kapitel „3.2 - Verbot, Gewalt und Überschreitung in Haarmann“ darauf
ein, was das Lustvolle am Morden sein könnte, ob dies aber wirklich auf Fritz Haarmann
zutrifft bleibt offen. Festzuhalten ist, dass Bataille mit seinen Gedanken über Gewalt
Begriffe geschaffen hat, die das Nachdenken über extreme brutale Taten zugänglicher
machen kann.

8
George Bataille: Die Erotik. Matthes & Seitz Verlag, München, 1994, S. 45
3.0 Paralellwelten der Gewalt
3.1 Heterologie und staatliche Gewalt im Stück Haarmann

Marquis de Sade mit seinen pornographischen und transgressiven Schriften hatte Bataille
massiv in seiner Philosophie beeinflusst. „Verneuil lässt scheissen, er isst den
Scheisshaufen und will, dass man auch den seinen isst. Diejenige, die er seine Scheisse
essen lässt, kotzt, er schluckt runter, was sie von sich gibt“9

Sade wurde in der Rezeption der Surrealisten als ein intellektueller Vorfahre angesehen,
dessen revoltierender Charakter gefeiert wurde, aber dadurch in den Augen Batailles seine
heterogenenen Denkansätze übersehen wurden:„Das Verhalten der Bewunderer gegenüber
Sade gleicht demjenigen der primitiven Untertanen gegenüber dem König, den sie anbeten,
obwohl sie ihn verabscheuen, und den sie mit Ehrbezeugungen überhäufen, um ihn
vollständig zu paralysieren.“10 In einem frühen Aufsatz zum „Gebrauchswert von Sade“11
arbeitet Bataille die Konzeption der Heterologie heraus. Der Begriff Heterologie steht für
das Andere oder etwas, was für Bataille paradoxerweise wissenschaftlich nicht erfassbar
ist. Die Heterologie, das „Ganz Andere“, die Bataille in Anspielung an Marquis de Sade
auch „Skatologie“ tauft, definiert sich als das, was sich dem homogenen Weltbild
entgegenstellt. Die „unreinen“ Substanzen (zumal perversen) Sexualpraktiken, Objekte,
Heterotopien und gesellschaftlich Ausgestossenen und Ausgeschiedenen konstituieren das
Niedere, gemeine Heterologe in der Perspektive Batailles.“12 Jede Gesellschaft errichtet
einen Schutzwall aus Verboten und Tabus gegen das Hereinbrechen von heterologen
Phänomenen: „doch jedes Verbot impliziert bereits eine Überschreitung; denn die
Überschreitung ist in die Grenze „eingebohrt“, die sie „gewaltsam durchbricht.“ In der
Transgression wird die gesellschaftliche Homogenität von den niederen, gemeinen
Aspekten der Subversion geflutet.“13 Bataille hatte den Anspruch die Heterologie als eine
Erkenntniswissenschaft zu betreiben, deren Ziel es sein sollte: „dem Heterogenen einen
Ausdruck zu geben und das Denken zu zwingen, endlich von dem Kenntnis zu nehmen,
was es in seinem Vollzug als Abfall produziert und ausschliesst.“14 Gleichzeitig annulliert
Bataille sein Vorhaben, denn er stellt fest, dass: „Das Heterogene ist im Grunde kein
Gegenstand der Wissenschaft, da es sich nicht objektivieren lässt, es kann nicht

9
Georges Bataille: Sade und die Moral, Matthias & Seitz, Berlin 2015, S.15
10
Bataille, 2015, S.10
11
Bataille, 2015, S. 7 – 37
12
Michael Riekenberg: Zur Gewaltsoziologie von Georges Bataille, Leipziger Universitätsverlag 2012, Josef
Drexler, S.54
13
Michael Riekenberg, 2012, S.55
14
Bataille, 2015, S.99
objektiviert werden, weil es sich allen Versuchen der Aneignung widersetzt.“15 In dem
Moment wo ein heterogenes Phänomen rational betrachtet wird, wird es durch die daraus
gewonnen Erkenntnisse homogenisiert und verliert seine Fremdartigkeit.

Die Problematik die Bataille in dem Essay „Gebrauchswert von Sade“ aufzeigt ist, dass in
jeder Gesellschaft eine „identische Haltung gegenüber Scheisse, Göttern und Kadavern“16
herrsche. Diese Problematik führe aus Moralphilosophischer Sicht dazu: „dass die
herkömmliche Moral noch stets die Exzesse der Macht und Gewalt in der Geschichte
gerechtfertigt hat.“17 Diese identische Haltung einer homogenen Gesellschaft führt immer
wieder zu „legitimierter Gewalt“, in dem Fall von Haarmann zu seiner Todesstrafe, denn
die Gesellschaft teilt die Meinung, dass Haarmann: „immer ein Mensch gewesen und
pervers.“18 Haarmann erzeugte durch seine tabuisierte Homosexualität und seinen Morden
einen Ekel, der jegliche Beziehung zu seinem Umfeld überdeckte und ihn gegenüber der
Gesellschaft als heterogenes Phänomen charakterisierte.

„Der Entwurf einer Heterologie ist getragen von der Überzeugung, dass die Zeit
gekommen ist, das Erkenntnissubjekt mit dem zu konfrontieren, was es im Vollzug des
Denkens als sein Anderes, seinen Abfall produziert, wofür es aber jede Verantwortung
ablehnt. Die Heterologie ist der Versuch, ins Innere des identitätslogischen Denkens eine
gesetzlose intellektuelle Reihe einzuführen, die darstellt, wozu der Diskurs keine
Beziehungen unerhält und wovon er eigentlich auch nichts wissen will“19 Wenn man das
Stück Haarmann von Marius von Mayenburg unter dem Aspekt der Heterologie betrachtet,
dann wird die Gesellschaft und besonders der Staat in Zusammenhang von Haarmanns
Taten in die Verantwortung genommen. Dies hatte damals schon der Philosoph Theodor
Lessing zum Zeitpunkt von Haarmanns Gerichtsprozess versucht, erst als vom Gericht
abgelehnter Gutachter von Haarmanns Psyche und dann als vom Prozess ausgeschlossener
Journalist. Lessing hat später seine Erkenntnisse in dem Buch „Haarmann. Die Geschichte
eines Werwolfs“20 festgehalten, aus dem auch etliche Zitate und Dialoge im Text von
Mayenburg gelandet sind. Mayenburg greift die hinterlassene Spur von Lessing auf, geht
aber über die original Gerichts- und Verhörprotokolle hinaus und beschreibt in zusätzlich
fiktiv geschriebenen Szenen ein Bild einer Gesellschaft, welche am Ende für die
gemachten Fehler einen Sündenbock braucht und nichts von ihrer Verantwortung wissen
15
Bataille, 2015, S.99
16
Bataille, 2015, S.16
17
Bataille, 2015, S.111
18
Marius von Mayenburg: Das kalte Kind – Haarmann, Zwei Stücke, Verlag der Autoren, Frankfurt 2002,
S.115
19
Bataille, 2015, S.104, Zitat von Sade
20
Theodor Lessing: Haarmann. Die Geschichte eines Werwolf, Rogner & Bernhard, Hamburg 1982
will. „Die Presse betont bei diesem Prozess gerne die Verstrickungen der Polizei. Sie sind
nicht Gegenstand dieser Verhandlungen, sofern sie überhaupt zutreffen. Haarmann hat
selbst betont, dass er nie als Zuhälter für angesehene Kreise unserer Stadt tätig war. Das
Gericht verheimlicht hier nichts, wie behauptet wurde, Vermutungen sind
unverantwortlich.“21

Bataille schreibt der Poesie in dem Essay „Gebrauchswert von Sade“ zu: „Die Poesie
scheint auf den ersten Blick, ihren grossen Wert als eine Methode der geistigen Projektion
behalten zu haben (da sie es erlaubt, zu einer vollständigen heterogenen Welt
vorzudringen).“22 In den Augen Batailles kann die Poesie einen Weg zu einer praktischen
Heterologie führen, die: „erbringt den Beweis, dass das Andere sehr wohl ein Gegenstand
der Erfahrung ist.“23

Bataille ging den Weg einer praktischen Heterologie später in seiner Kunstzeitschrift
Documents weiter: „Dort (Documents) macht er Ernst damit, das Ungestaltete in seiner
Ungestalt zu zeigen und der Ausdruckslosigkeit des Ausdruckslosen eine Sprache zu
geben. Er stellt dar, was im klassischen Raum der Repräsentation keinen Ort besitzt und
was diesen Raum zerstören würde, wenn es in ihm auftauchte. Genau das geschieht, wenn
Bataille der von der Kunstgeschichte abgesegneten Welt der Idealbilder, die kein Sein,
sondern ein Seinsollen darstellen, Ikonen eines niederen, verfemten, verachteten Seienden
entgegenhält, dessen Heterogenität er an einzelnen, schmerzhaft abweichenden
Phänomenen veranschaulicht. Das Heterogene kristallisiert zu einem Bild, das den
Schock, dem es sich verdankt, mit derselben Gewalt austeilt.“24

21
Marius von Mayenburg: Das kalte Kind – Haarmann, Zwei Stücke, Verlag der Autoren, Frankfurt 2002,
S.125
22
Bataille, 2015, S.20
23
Bataille, 2015, S.93
24
Bataille, 2015, S.93
3.2 Gewaltsamkeit, Verbot und Überschreitung in Haarmann

Was in einem Kopf eines Serienmörders vorgeht ist meist schwer nachvollziehbar. In der
Psychologie gibt es etliche Erklärungsmodelle die versuchen grausame und gewaltsame
Taten verständlich für die Gesellschaft zu machen. Bataille, der sich intensiv mit den
Abgründen des menschlichen Zusammenlebens beschäftigt hat: „Ich glaube nicht, dass der
Mensch eine Chance hat, Licht in seine Situation zu bringen, bevor er nicht beherrscht,
was ihn erschreckt“25, liefert einige stichfeste Hinweise was einen Menschen dazu
antreiben kann, einen Mord zu begehen. Dazu sind Batailles Überlegungen zu den
Begriffen Gewaltsamkeit, Verbot und Überschreitung zentral.
Gewaltsamkeit definiert Bataille als „Heftigkeit des Verlangens“26 und „Impulse der
Erregung“27, welche jedem Menschen inne wohnen: „Die Natur selbst ist gewaltsam; und
so vernünftig wir auch werden, immer wieder kann uns eine Gewaltsamkeit beherrschen,
nur dass diese jetzt keine blosse natürliche mehr ist, sondern die Gewaltsamkeit eines
Vernunftwesen, das zu gehorchen versuchte, aber eine Regung unterliegt, die es nicht auf
seine Vernunft zurückführen kann.”28 Die Vernunft tritt hier als Regulator auf den Plan, der
die Gewaltsamkeit für einen höheren Zweck im Zaum hält, Gewaltsamkeit ist als
Denkfigur zu beschreiben, die sich immer der Vernunft widersetzen will.
Dabei stellt Bataille fest, dass sich Verbote und Tabus nicht vorwiegend auf aussen
einwirkende Gefahren, auf andere beunruhigende Personen oder beängstigende und
ekelerregende Gegenstände bezieht, sondern vielmehr auf die „weit gefährlicheren, da
weniger eindeutig zu lokalisierenden – inneren Impulse und Triebregungen der einzelnen
Mitglieder der Gesellschaft.“29 Abschliessend stellt Bataille fest, dass sich eigentlich alle
Verbote darauf reduzieren lassen, gewaltsame, destruktive Prozesse auf möglichst
wirksame Weise zu neutralisieren. Bataille betont: ”dass dieses und formlose und
universelle Verbot immer das gleiche ist. Wie seine Form, so wechselt sein Gegenstand:
Ob Sexualität oder der Tod in Frage steht, immer ist die Gewaltsamkeit gemeint.”30
Betrachtet man Haarmann unter dem Aspekt der Gewaltsamkeit, dann könnte man
annehmen das Haarmann Opfer seiner eigenen Triebe war: „Ich hab die nicht gleich
umbringen wollen, die Jungen, wenn die zu mir gekommen sind.[...] Ich hab sie auch
25
George Bataille: Die Erotik. Matthes & Seitz Verlag, München, 1994, S. 9

26
Bataille, 1994, S.40
27
Bataille. 1994, S.40
28
Bataille, 1994, S.42

29
Peter Wiechens: Bataille zur Einführung, Junius Verlag, Hamburg, 1995, S53
30
Bataille1994, S. 52
schützen wollen vor mir, weil ich hab das doch gewusst, ich kriege meine Tour, und dann
passiert was, dann werde ich den umbringen müssen, der dann bei mir ist, ich hab das
gewusst.“31 Theodor Lessing, der Haarmann bei dem Gerichtsprozess beobachtete,
beschrieb ihn wie folgt: „Wir haben somit am Wesen wie diesem Haarmann Gelegenheit,
uns selber in primitivster Rohnatur zu studieren. Die Brunst mancher Tiere, die man wohl
als ihren periodischen Wahnsinn bezeichnen kann, dürfte daher nur ein letztes Überbleibsel
sein jenes Triebrausches, an welchem das domestizierte und mithin zivilisierte
Menschentum keinen Anteil mehr hat..”32 Dieses hier charakterisierte “Menschentum“ ist
die Gesellschaft die sich an die ihr auferlegten Spielregeln hält, dass das genaue verfolgen
von Regeln auch zu Abgründen führen kann, lässt Lessing zu der weiteren Bemerkung
verleiten: „So frevelhaft und paradox es klingt: ein Geschöpf wie dieser Haarmann
inmitten eines Gerichts wie dem hannoverschen, wirkte zuweilen wie ein Stück
Saurierzeitalter inmitten eines Saales voll Berufsautomaten und Zivilisationspuppen,
welche ja oft unmenschlicher sind als jeder »Unmensch«.”33
Haarmann als wildes Tier darzustellen was einfach nur Opfer seiner Triebe war, wäre zu
einfach, vor allem unter dem Aspekt das er mindestens 27 Morde begangen hat. So
zeichnet Mayenburg in Haarmann nicht nur ein Bild von einem psychisch gestörten
Menschen der durch seine Umstände gezeichnet und getrieben ist, sondern beschreibt auch
einen eiskalten Mörder. In einer Szene im Stück lässt Mayenburg fast über 3 Seiten einen
“Jüngling“ Haarmann anflehen: „Lass mich gehen jetzt.“ Regieanweisung: Haarmann
schweigt.34 Der “Jüngling“ nimmt in einem langen Monolog einen erneuten Anlauf: „Ich
kann nicht länger hier bleiben. Die warten zu Hause auf mich.[...] Meine Mutter sorgt sich
jetzt sicher.[...] Was machen Sie mit mir, Herr Kriminal? Sie lassen mich nicht mehr
gehen, ist es das?[...] Was starren Sie noch hier hin, Sie lassen mich nicht gehen, ich weiss
das jetzt, machen Sie, was Sie wollen, aber sagen Sie noch was, ich will nicht länger
warten, machen Sie schnell jetzt.“ Haarmann hat sich währendessen ausgezogen: „Zieh
dich aus.“
Welche Lust kann ein Mensch während des Mordens empfinden? „Wenn das Gebot der
Bibel “Du sollst nicht töten” uns gelegentlich zum Lachen bringt die Bedeutungslosigkeit,
die wir ihm zuschreiben, ist trügerisch. Das beseitigte Hindernis, das geschmähte Verbot
überlebt die Überschreitung. Selbst der blutigste Mörder kann nicht den Fluch ignorieren,
der ihn trifft. Denn der Fluch ist die Bedingung seines Ruhms. Auch vielfache
31
Marius von Mayenburg: Das kalte Kind – Haarmann, Zwei Stücke, Verlag der Autoren, Frankfurt 2002,
S.79
32
Theodor Lessing: Haarmann. Die Geschichte eines Werwolf, Rogner & Bernhard, Hamburg 1982, S. 46
33
Theodor Lessing, 1982, S. 47
34
Mayenburg, Frankfurt 2002, S.79
Überschreitungen können mit dem Verbot nicht fertig werden; es ist, als ob das Verbot
immer nur das Mittel gewesen wäre, das, was es verwirft, mit einem ruhmvollen Fluch zu
treffen.
In dem vorangehenden Satz liegt eine wesentliche Wahrheit: das Verbot, das der
Schrecken begründet, legt uns nicht nur nahe, es zu beachten. Das Gegenstück dazu fehlt
nie. Ein Hindernis umzustossen, ist schon an sich etwas Verlockendes; die verbotene
Handlung bekommt einen Sinn, den sie nicht hatte, ehe uns ein Schrecken von ihr entfernte
und sie mit einer Aura von Ruhm umgab.“35 Ob die Empfindung des “Ruhms“ letztendlich
so lustvoll ist, dass dafür ein Mensch sterben muss ist eine schwierige Rechnung. Bataille
beschreibt hier das Phänomen der Überschreitung, dass bewusste brechen mit einem
Verbot oder Tabu, ob sich damit letztendlich erklären lässt warum jemand Lust am Morden
empfindet ist schwer nachvollziehbar. Das Regelbrüche etwas “Verlockendes“ an sich
haben und das sich darin ein gewisses Gefühl von Souveränität einstellt hat unter
Umständen schon einmal ein jeder erfahren. “Nichts”, schreibt Sade, “hält die
Ausschweifung zurück, und die rechte Art, seine Begierden auszudehnen und zu
vermehren, ist die, ihr Grenzen auferlegen zu wollen.”36

35
Bataille:1994, S. 51

36
Bataille1994, S. 52
4.0 Bataille in der Praxis
4.1 Die Partitur des Schreckens, Teletubbies und die Grenzerfahrung

Im vorigen Kapitel wurden Paralellen zu den Überlegungen Georges Bataille über das
Thema Gewalt und dem Theatertext Haarmann aufgezeigt. In diesem Kapitel möchte ich
nun der Frage nachgehen: welche Konsequenzen ergeben sich für eine Inszenierung von
Haarmann, damit die philosophischen Gedanken Batailles in einer Aufführungssituation
deutlich sinnlich erfahrbar werden?
Dabei hängt die Dramaturgie des Stoffes unmitellbar mit einer damit verbundenen
Wirkung auf den oder Zuschauer/in zusammen. Die lose Szenenabfolge die Mayenburg in
Haarmann verwendet wirkt chatoisch und undramatisch. Die Gerichtsszenen die im Stück
auf die die original Gerichtsprotokolle basieren, versuchen Ordnung in das Gewaltchaos zu
bringen und Schuld zu deligieren.
In der Strichfassung möchte ich einen Fokus auf den Gewaltkern des Stückes lenken und
eine Partitur des Schreckens erstellen, die sich nur auf die gewaltvollen Szenen des Stoffes
konzentriert und größtmöglich auf die erklärenden und illustrierenden Gerichtsszenen
verzichten, um der Hypothese nachzugehen: „dass uns erst „angsterregende Bilder" neue
Verstehenshorizonte eröffnen können."37 Im Sinne von Bataille bedeutet dies, dass wir der
Erregung, die wir im Anblick der Gewalt verspüren, nachgeben müssten, anders könnten
wir Gewalt nicht verstehen.38 Bataille stellt hier die sinnliche Erfahrung über die rationale
Auseinandersetzung mit Gewalt, weil Bataille Gewalt begriff als etwas, in dem Menschen
„sich überschreiten"39 Aus diesem Grund existiert in der Gewalt keine vernünftige
Ordnung, weder in moralischer, symbolischer oder anderer Art und Weise. "Denn
Menschen, die sich überschreiten, tragen die Gewalt hinter einer Ordnung."40 Die
Überschreitung einer Ordnung durch Gewalt soll sich auch in der im bereits im Stück
angelegten schnellen chaotischen Abfolge der Szenen und der daraus schnell wechselnden
Figurenkonstellation erzählen, denn das Chaos repräsentiert für mich der Raum aus dem
heraus Gewalt operiert. Das Chaos aus brutalen Szenen und schnellen Wechseln soll vor
allem dazu dienen, dass der oder die Zuschauer/in am Ende das Abends das Stück für sich
in eine eigene Ordnung und Zusammenhang bringt, denn dies stellt für mich die
Überlegung dar, dass: "wir bauen ja drauf, dass wir im Erzählen ein verwirrendes,
verunsicherndes, gefährliches Erlebnis, wie es die Gewalt ist, in eine sinnhafte Geschichte

37
Michael Riekenberg: Zur Gewaltsoziologie von Georges Bataille, Leipziger Universitätsverlag 2012, Josef
Drexler, S. 24
38
Michael Riekenberg, 2012, S 24
39
Gerd Bergfleth: Theorie der Verschwendung, Matthes & Seitz, Berlin, 1985, S. 61
40
Michael Riekenberg, 2012, S. 10
überführen und auf diese Weise wieder Ordnung in unsere Welt, die vom Auftauchen des
Aussergewöhnlichen bedroht wird, bringen können.“41
Bewusst setze ich als erste Szene des Abends eine Verlautbarung des Richters, worin die
Spielregeln erklärt werden wie der Gerichtsprozess ablaufen wird. „Bevor die heutigen
Verhandlung beginnt, ist es nötig, einige Dinge, [...] anzusprechen.[...] Man nehme auch
Abstand von ausführlicher Berichterstattung nach der geschlechtlichen Seite hin. Die
Jugend soll vor schlechtem Einfluss bewahrt werden. [...] Die Bevölkerung darf nicht
unnötig in Aufruhr versetzt werden.[...] Es ist noch nicht erwiesen, ob Haarmann
Menschenfleisch verzerhrt oder Unwissende daran hat teilhaben lassen. Die Presse betont
bei diesem Prozess gerne die Verstrickungen der Polizei. Sie sind nicht Gegenstand dieser
Verhandlung[...] Zuletzt möchte ich erneut darauf hinweisen, dass die Verwendung von
Operngläsern untersagt ist. Es wird hier kein Spektakel gegeben."42 In Form einer
Überchreitung entfalltet sich anschliessend in der Dramaturgie jeder Szene ein Regelbruch
mit dem Richtertext, denn es wird Verführung, Gewalt, Sex, Mord, Kannibalismus,
Korruption und Staatsgewalt dargestellt.
Damit die Gewalt im Stück seine maximale Schlagkraft entfalten kann, habe ich mich
entschieden das Stück in der Welt der Teletubbies ästethisch anzusiedeln. Die Welt der
Teletubbies ist beseelt durch Harmonie, Wärme, Liebe; dies steht im starken Widerspruch
zu der Welt des Haarmann Textes. Durch diese beiden widersprüchigen Anlagen:
Kuschelwelt trifft auf Horrofilm, erhoffe ich mir die Übeschreitung durch die Gewalt noch
deutlich spürbarer zu machen. Wenn die Teletubbies vom süssen kindlichen Spiel mit
einem Ball, sich plötzlich an der Gurgel packen und sich würgen, dann glaube ich das dies
einen starken Schockeffekt haben könnte. Damit möchte ich auch noch einmal an Bataille
anknüpfen, der in besonders schmerzvollen momenten einer gewaltvollen Überschreitung,
von der Grenzerfahrung spricht. Diese Erfahrung charakterisiert Bataille als „dass der
Gequälte und Leidende in der Schmerzerfahrung, in der gewaltsamen, physischen Öffnung
seines Körpers eine sonst nicht mögliche, intensive, eskatische Erfahrung seiner selbst
macht."43 Diese Erfahrung kann aber auch beim blossen Zuschauen einer Überschreitung
einstellen: „Aber nicht allein aus der Perspektive des gequälten Opfers wird diese mit
Schmerz und »Lust« [...] Erfahrung[...] nachvollziehbar. Bereits der Anblick von
Folterungen oder qaulvollen Hinrichtungen [...] genügt oftmals, um solche schockhaften
Erfahrungen der Entgrenzung herbeizuführen. Die Dabei entstehenden Gefühle des Aus-

41
Michael Riekenberg, 2012, S. 11
42
Marius von Mayenburg: Das kalte Kind – Haarmann, Zwei Stücke, Verlag der Autoren, Frankfurt 2002, S.
126
43
Peter Wiechens: Bataille zur Einführung, Junius Verlag, Hamburg, 1995, S. 71
der-Fassung-geratens, des Entsetzens und des Ekels lösen ebenfalls für kurze Zeit die
eigene [...] Einstellung auf; sie sprengen bis zu einem gewissen Grad die Grenzen der
eigenen Identität und führen dazu, dass der Tod annäherungsweise erfahrbar wird."44
Ob die Zuschauer wirklich durch die Inszenierung so geschockt sein werden, dass sie eine
Grenzerfahrung machen, bleibt offen, aber die Fallhöhe duch die Teletubbies und die
extreme Gewalt des Haarmans kann ein guter Ausganspunkt sein in der Höhe von
Schockerfahrungen zu kommen.

44
Peter Wiechens, 1995, S. 72
5.0 Fazit

Abschliessend muss ich sagen, dass die Beschäftigung mit Bataille sehr erschöpfend war,
mich aber geistig extrem weiter gebracht hat, differenziert über Gewalt nachzudenken. Für
mich hat sich ein komplett neuer Kosmos eröffnet den ich jetzt noch intensiver erforschen
möchte. Gerne will ich weiter untersuchen welche Konsequenzen Batailles Gedanken für
das Theater noch zu bieten hat. Das Gewaltthema bleibt für mich weiter ein Faszinosum
und auch dort merke ich, stehe ich erst am Anfang. Letzendlich lässt sich die Wirkung der
"Grenzerfahrung" und wie die ganze Inszenierung unter dem vorher besprochenen Kapitel
rezipiert wird nicht vorhersagen, trotzdem bin ich neugierig und gespannt wie die
Zuschauer/in auf die Inszenierung reagieren werden.
6.0 Literaturverzeichnis

Primärliteratur:

Marius von Mayenburg: Das kalte Kind – Haarmann, Zwei Stücke, Verlag der Autoren,
Frankfurt 2002

Theodor Lessing: Haarmann. Die Geschichte eines Werwolf, Rogner & Bernhard,
Hamburg 1982

George Bataille: Die Erotik. Matthes & Seitz Verlag, München, 1994,

Georges Bataille: Sade und die Moral, Matthias & Seitz, Berlin 2015,

George Bataille: Gille de Rais. Merlin Verlag 6 Auflage, Gifkendorf 1989,

Theodor Lessing: Haarmann. Die Geschichte eines Werwolf, Rogner & Bernhard,
Hamburg 1982

Sekundärliteratur

Michael Riekenberg: Zur Gewaltsoziologie von Georges Bataille, Leipziger


Universitätsverlag 2012

Peter Wiechens: Bataille zur Einführung, Junius Verlag, Hamburg, 1995

Gerd Bergfleth: Theorie der Verschwendung, Matthes & Seitz, Berlin, 1985

Michel Foucault: Vorrede zur Überschreitung",in: ders.:Von der Subversion des Wissens, hg.v. Walter
Seitter, München 1974

Interview von Bataille auf Youtube


https://www.youtube.com/watch?v=tpFSXAdlEYY (zuletzt besucht am 8.05)

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