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Thema Shrinking Space

Vom Schatten zum Licht


Leben-Tod, Dalit-Sein und die neue Gemeinschaft

Dickens Leonard M.

„In diesem Land ein Neger und sich dessen relativ bewusst zu
sein, bedeutet, fast ständig zornig zu sein.“ James A. Baldwin

Das Statement des afro-amerikanischen Schriftsteller James Alfred Baldwin kann analog auf
die Situation eines relativ bewussten Dalit in einer entfremdeten Kasten-Welt angewendet wer-
den – überall auf der Welt, aber insbesondere in Indien. Seit Beginn dieses Jahres werden die
Einrichtungen für höhere Bildung zunehmend zu Plätzen der Auseinandersetzung gegen das
Kastenwesen. Besonders die Universität von Hyderabad in Südindien hat sich zum Schauplatz
dieses unaufhörlichen Kampfes entwickelt. Hyderabad war seit den 1990er Jahren Heimstatt
von Student(inn)en, die gegen die Kastendiskriminierung kämpften. Eine neue Bedeutung wur-
de den studentischen Kämpfen durch den Freitod von Rohith Vemula am 17. Januar 2016 hin-
zugefügt. Sein Tod löste massive Studentenproteste und Dalit-Mobilisierungen auf der ganzen
Welt aus. Sie führten auch zum Nachdenken über Zorn als Triebkraft der Geschichte.

R ohith Vemula war Dalit,1


promovierter Wissenschaft-
ler und Sprecher der Ambed-
kar-Studentenvereinigung. Wird der
Zorn der Verachteten unvermeidlich,
Kastendiskriminierung in
höheren Bildungseinrichtungen

Das Subjekt Dalit ist durch ein


grundlegendes Gebrochensein be-
auf sich selbst. Rohith Vemula schrieb
in seinem Abschiedsbrief am 17. Janu-
ar 2016, dass für einige die Geburt
ein Fluch ist. Seine Geburt sei ein
tödlicher Unfall. Verzweifelt durch
kann er Geschichte schreiben. Den stimmt und Adressat von Vorurteilen, den sozialen Boykott gegen fünf Da-
Mittellosen bleibt angesichts der Bru- Schmerz, Trauma und Narben. Die- lit-Forscher an der Universität nahm
talität nur ihr Zorn. Dies gilt für die sem Bild wird jede positive Erinne- er sich aus Protest das Leben und lö-
Geschichte auf dem indischen Sub- rung entzogen. Die Kasten-Mitglie- ste damit weltweite Unruhe aus. Vor
kontinent bis in die heutige Zeit. der projizieren diesen Diskurs sogar allem in Indien kam Dalit-Politik mit
studentischem Kampf und sozialen
Bewegungen zusammen und richte-
te sich vermutlich zum ersten Mal ge-
gen die Kastendiskriminierung in hö-
heren Bildungseinrichtungen. Rohith
Vemula war ein vielversprechender
Schriftsteller und Akademiker. Er
war Sohn einer alleinerziehenden Da-
lit-Mutter, und wurde zum Katalysa-
tor einer Bewegung gegen die Kasten-
diskriminierung im heutigen Indien.

Rohith Vemula in Velivada, kurz nachdem


er sein Zimmer im Studentenwohnheim
räumen musste.

Bild: Joint Action Committee for Social Justice

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Oben: Polizeipräsenz während der Studen-


tenproteste in Hyderabad.

Unten: Ein Künstler fertigt während der


Proteste gegen die Diskriminierung von
Dalits im akademischen Raum in Velivada
eine Büste von Rohith an.

Bild: Joint Action Committee for Social Justice

Kastendenken als Pogrom

Die boykottierten und akademisch


ausgegrenzten Dalit-Forscher er-
lebten den sozialen Tod. Zwei Wo-
chen verbrachten Rohith und sei-
ne Freunde unter freiem Himmel in
notdürftigen Zelten. Ihre rechtmä-
ßige Präsenz im akademischen Raum
wurde herabgewürdigt und beschä-
digt. Die Kasten-Blicke folterten sie,
machten Objekte aus ihnen. Es ist wi-
derlich, wenn Kastendiskriminierung
sich hinter akademischem Geist ver-
schanzt. Die Boykottierung der Da-
lits verwehrte ihnen einen eigenen
Willen zum Leben, verweigerte ihnen
ihr Recht auf Freiheit. Das Pogrom
aus dem Kastendenken und durch
einen sozialen Boykott ins Werk ge-
setzt, löschte ihre Präsenz aus, wür-
digte sie herab und beschädigte sie.

Noch im Tod ließ sich die Identi-


tät nicht abschütteln. Es drängte
sich der Eindruck auf, dass der Pro-
test an der Jawaharlal Nehru Universi-
ty (JNU) in Delhi vergleichsweise be-
deutsamer war, sinnvoller, politischer,
durchschlagskräftiger – als Wider-
stand vernommen wurde. Kanhaiya
Kumar, der Präsident der Jawaharlal
Rohith focht durch seinen radi- verschwinden konnte. Viele Rohiths Nehru University Students‘ Union, wurde
kalen, an Ambedkar angelegten po- kämpfen jeden Tag, stehen mit den in der Öffentlichkeit stärker wahrge-
litischen Diskurs nicht nur gegen Dalits und der deklassierten Mehr- nommen als Rohith, sagten die Leu-
brahmanische und hindu-nationa- heit (Bahujans) gegen die Kastenbe- te. In den Facebook-Einträgen wurde
listische Kräfte, sondern auch gegen fürworter. Gleichwohl bleiben ihre Rohith mit der Dalit-Frage identifi-
diejenigen, die sich als fortschritt- Kämpfe unbemerkt oder werden ziert, Kanhaiya Kumar wurde als Be-
lich geben. Die Einträge in Eng- verschwiegen. Erst wenn es zum wegung gegen den Hindu-Faschismus
lisch, vor allem auf Facebook, lie- Tod kommt, wird es zur Nachricht wahrgenommen. Rückblickend lässt
ßen seinen Tod zum Sammelpunkt und zum politischen Statement. Da- sich sagen, dass sich das Dalit-Sein an-
für die Ambedkar Students‘ Association lit-Tode sind in der Tat eher als insti- scheinend nicht zur Bewegung eignet,
und die Initiative Gerechtigkeit für tutionelle Morde zu verstehen. Der sondern als Frage singulärer Identi-
Rohith Vemula werden. Sein Tod soziale Tod geht dem faktischen vo- tät wahrgenommen wird. Eine wirk-
entfachte Leben, das nicht einfach raus. mächtigere Bewegung als der Protest

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der Dalits müsste, so die Schlussfol- Das Dalit-Sein wird akzeptiert und Macht, sondern für die Freiheit. Es ist
gerung, also durch andere folgen. Das romantisiert, so lange es sozial fol- ein Kampf zur Rückgewinnung der
Dalit-Sein wird zum Gegenstand im genlos bleibt. Es wird zur Drohung, menschlichen Persönlichkeit.“
Dienste einer größeren Sache. wenn es nicht mehr passiv ist und Babasaheb Dr. B.R. Ambedkar
einen eigenen Lebenswillen erken-
Rohiths Tod deckte die akade- nen lässt. Rohith hatte in seinem Selbst der Tod gehört den Dalits
mischen Räume als vom Kasten- Abschiedsbrief vom „Schatten zum nicht. Rohiths Leichnam wurde ei-
denken durchzogen auf. Die Erre- Licht“ geschrieben. Sein Tod solle lig verbrannt. Allerdings beschlossen
gung über die (anti)nationale Frage als philosophische Geste verstanden seine Freunde und Verwandte, mit
bei der JNU überlagerte jedoch den werden: Martyrium, Opfer, ein Ge- seiner Asche eine buddhistische Zere-
Kastenkonflikt durch den Nationa- schenk des Todes zum Leben. Es ist monie durchzuführen, ähnlich jener
lismus. Nationalismen bringen Men- ein Aufruf für die Zukunft, für eine damals bei Ambedkar. An Rohits 27.
schen in Wallung, der Kampf gegen Gemeinschaft ohne Kasten, für „ein Geburtstag gingen Tausende in Weiß
das Kastenwesen scheint unlebendig strahlendes Wesen aus Sternenstaub.“ gekleidet schweigend durch Nagpur,
statisch. Am Ende des Tages stellt Es ist ein Aufruf gegen die Redukti- Maharashtra. Der Weg führte von der
Gandhi Ambedkar mühelos in den on der „Sache“ Mensch auf eine vor- Gedenkstätte Deekshabhoomi – hier
Schatten. Im rückwärtsgewandten moderne Identität und einfache Fer- trat B.R.Ambedkar zum Buddhis-
Diskurs über Anti-Nationalismus tigkeiten. Sein Zeugnis ruft dazu auf, mus über – zum Hauptquartier der
wird der Kampf gegen das Kastenwe- stärker die Lebensumstände beim RSS. Weltweit hatten sich Dalits mo-
sen unsichtbar. Fragen tun sich auf: Tod von jemanden zu bewerten und bilisiert und protestiert: Frauen und
Was bedeutet Dalit-Sein in heutigen das Leben nicht mit der Geburt und Männer, Wissenschaftler, Schriftstel-
akademischen Räumen, das mehr ist der anschließenden sozialen Läh- ler, Journalisten, Arbeiter, Straßen-
als die Sprache von der Unberührbar- mung abzuschließen. händler, Schüler. Persönlichkeiten
keit? Rohith hat uns einen Anhalts- des öffentlichen Lebens bekannten
punkt hinterlassen. Sein Tod ist ein Rohiths Aufruf spricht die dem Ka- sich zu ihrer Dalit-Identität. Sie alle
lebendes Fanal, eine Mitgift an die stensystem innewohnende Gewalt- folgten dem Aufruf, das Nahen einer
kommende Gemeinschaft. Den Pro- förmigkeit und chronische Demü- neuen Gemeinschaft aktiv zu unter-
gressiven bleibt dies verborgen, oder tigung an. Das Zeltlager auf dem stützen und an der spirituellen Rück-
sie fürchten die Erkenntnis. Gelände der Universität von Hyde- gewinnung der menschlichen Persön-
rabad (Velivada) wurde zur Stätte des lichkeit mitzuwirken.
Dalits stören den Protests, die für den Moment den
hinduistischen Mainstream Übertritt in das Normale und das Aus dem Englischen übersetzt
Vergessen aufhalten konnte. Quer von Theodor Rathgeber
Rohiths philosophisch gemeinter Hin- zu allen Identitäten setzten sich Do-
weis, wonach er immer Schriftsteller zenten und Student(inn)en dort jeden
werden wollte, lässt nicht los. Alles, Tag neu für Gerechtigkeit ein. Veli-
was ihm zu schreiben gelang, war je- vada wurde zu einem Gegenraum, in
doch dieser „letzte Brief zum ersten dem Kunst und Pädagogik in seiner
Mal.“ Ontologisch gesehen scheinen radikalen Form sich als Politik prä- Zum Autor
es Dalits nicht bis zum Menschsein zu sentieren konnten. Vom Schatten ins Dickens Leonard Mi-
schaffen. Kühe sind in Indien heiliger. Licht zu kommen benötigt eine Poli- chael Raj ist derzeit
In akademischen Räumen erscheint tik, die auf Liebe, nicht auf Hass ab- DAAD Stipendiat am
die Präsenz von Dalits den Privilegier- zielt. Dazu müssen die passenden Zentrum für Modern
ten und Herrschenden als Spuk. Dalits Worte gefunden werden, Dalits müs- Indian Studies an der
sind anscheinend für eine andere Zeit sen sich in der Welt entdecken lernen, Universität Göttin-
gemacht, während sie die Gegenwart, und sie müssen ihre eigenen Worte gen. An der Univer-
die Moderne, die Räume besetzen, die und Ausdrücke finden; etwa bei Am- sität von Hyderabad
eigentlich für die oberen Kasten reser- bedkar; eine Ikone der Unterdrückten promoviert er in Vergleichender Literatur-
viert sein sollten. Sie spuken in deren in der ganzen Welt: wissenschaft. Er war Mitglied der Ambedkar
Gegenwart als sozial tote Wesen. Zum Students‘ Association und ein Freund von
Leben scheinen Dalits nicht zu gehö- „Kampf ist für mich eine Frage der Rohith Vemula.
ren, im Tod werden sie zu Symbolen. Freude. Der Kampf ist im wahrsten
Sie sind Geister in der Gegenwart. Sinne spirituell. Es gibt darin nichts Endndote
Rohith verweigerte sich dieser Ableh- Materielles oder Soziales. Für uns ist 1
Siehe auch Interview von Ludwig Penna in
nung, vorsätzlich, durch seinen Tod. es Ringen nicht um Reichtum oder diesem Heft.

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