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Das
Tao Te King
Chinese - English by
R.L. Wing, 1986
English - German by
von Peter Kobbe, 1987
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Vorwort/Foreword
Meine Übersetzung folgt dem Urtext so wörtlich wie irgend möglich, ohne das Beiwerk von Reim und
poetischer Umschreibung. Neben jedem übersetzten Kapitel ist der entsprechende Urtext
mitabgedruckt, um dem an dieser ungewohnten, aber sehr schönen Schriftsprache interessierten
Leser die Möglichkeit zu geben, in die chinesische Originalfassung einzudringen und sich in ihr,
selbst ohne vorherige Kenntnis der Schriftzeichen, zurechtzufinden. Das alte Chinesisch ist eine
dunkle, paradoxe Sprache. Es kennt kein Aktiv oder Passiv, kein Singular oder Plural. Beinahe jedes
Wort kann in der jeweiligen Aussage sämtliche grammatikalischen Funktionen übernehmen. Es ist
die Aufgabe des Übersetzers, für den Leser die diesbezüglichen Unterscheidungen festzulegen und
die bestmögliche Wahl zu treffen, die der Übertragung des Werkgehalts am ehesten gerecht wird.
Um die Sprödigkeit der Übersetzung etwas abzumildern und den Sinn der Texte deutlicher
herauszustellen, wurden die Kapitel-Zeilen in einer typographischen Anordnung dargeboten, die den
Eindruck und den Rhythmus des Originals wenigstens ansatzweise vermitteln soll. Altchinesische
Texte haben keine Interpunktion, und wieder ist es Aufgabe des Übersetzers, die Grundgedanken so
voneinander abzugrenzen, daß sie dem Leser faßlich werden ...
Das Wort Tao habe ich nicht übersetzt, da es ein Begriff ist, der westlichen Lesern immer vertrauter
wird. Häufig wird es mit "der Weg" übersetzt, aber dieser Ausdruck gibt nicht die eigentliche
Bedeutung von Tao wieder; genaugenommen bedeutet es "die Wirkungsweise des Universums".
Ohnehin ist das zentrale Anliegen des Tao Te King die nähere Bestimmung des Tao; deswegen ist
eine Übersetzung des Wortes nicht wirklich erforderlich. Das Wort Te wird häufig mit "Tugend"
übersetzt, eine etwas unglückliche Wortwahl für einen überaus wichtigen Begriff. In der westlichen
Welt wird Tugend mit Rechtschaffenheit assoziiert, aber in Wirklichkeit bezieht sich der Ausdruck Te
auf die potentielle Energie, die dann entsteht, wenn man sich am richtigen Ort und zum richtigen
Zeitpunkt in der richtigen Disposition befindet. Im frühen China wurde das Pflanzen des Saatguts als
Te aufgefaßt, und davon leitete sich die Bedeutung von Te als gespeicherte Energie oder
Potentialität ab, gelegentlich auch als magischer Kraft. Erst Jahrhunderte später, als die
konfuzianistischen Ideale in ihrer Blüte standen, wurde Te allmählich in der Bedeutung von
gesellschaftlich sanktioniertem Moralverhalten gebraucht, und in diesem Sinne wurde es schließlich
mit "Tugend" übersetzt. Deshalb habe ich, in Anlehnung an andere zeitgenössische Übersetzer, die
Bedeutung von Te wieder auf seinen ursprünglichen Begriff, den der "Kraft", zurückgeführt.
Zum richtigen Verständnis eines Werkes wie des Tao Te King ist es wichtig, sich ständig vor Augen
zu halten, daß chinesische Schriftzeichen weniger Repräsentanten von Wörtern als Symbole für
Ideen sind. Nicht mit Worten teilt uns Laotse mit, was er denkt, sondern er zeigt es uns in Symbolen.
Deshalb wendet sich das eigentliche Werk unmittelbar an die geistige Intuition des Lesers, während
die Worte gegenüber der zentralen Idee nur eine Übermittlerrolle spielen. Wegen dieser radikalen
Ausrichtung auf eine einzige Idee gilt für das Tao Te King das Sprichwort: 'Besser, du liest ein Buch
hundertmal als hundert Bücher einmal'.
Die Grundintention des Tao Te King besteht darin, im Bewußtsein des Lesers wie ein Katalysator zu
wirken und Einsichten in das Wesen der Realität freizusetzen, was für den Leser wiederum bedeutet,
daß er an der Sinnkonstituierung des Werkes produktiv teilnehmen muß. Laotse hatte nicht die
Absicht, ein abgeschlossenes, endgültiges, eindeutiges Werk zu schaffen, das über den historischen
Wandel erhaben wäre; es hätte sich dann nicht wie das Tao selbst verhalten. Genau dies hat Laotse
aber gewollt und erreicht.
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Gleichermassen:
Sein und Nichtsein erzeugen einander.
Schwierig und leicht ergänzen einander.
Lang und kurz spiegeln einander.
Hoch und niedrig umarmen einander.
Klang und Ton bestimmen einander.
Vergangenes und Künftiges folgen einander.
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So tief!
Es gemahnt an ein bestimmtes Sein.
Ich weiss nicht, wessen Spross es ist,
Dies Bildnis im Vorfeld des Ursprungs.
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FRIEDLICHE WERTE
Der Wert einer Behausung zeigt sich an der Wahl des Platzes.
Der Wert eines Gemüts zeigt sich an der Tiefe.
Der Wert menschlichen Umgangs zeigt sich an der Wohlgesinntheit.
Der Wert von Worten zeigt sich an der Aufrichtigkeit.
Der Wert der Führung zeigt sich an der Ordnung.
Der Wert des Schaffens zeigt sich an der Tüchtigkeit.
Der Wert des Tätigwerdens zeigt sich an der Rechtzeitigkeit.
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INNERE HARMONIE
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Was besagt "Ansehn und Angst werden dem Selbst gleich gesetzt"?
Die Quelle unserer Angst
Ist unser Selbst.
Wenn wir selbstlos sind,
Wovor sich dann ängstigen?
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So behutsam!
Als durchwateten sie einen Fluss im Winter.
So zaudernd!
Als nähmen sie Rücksicht auf alle Glieder des Gemeinwesens.
So zurückhaltend!
Als handelten sie wie ein Gast.
So nachgiebig!
Als wären sie Eis, das gleich zerschmilzt.
So freimütig!
Als handelten sie mit unverbildeter Schlichtheit.
So aufgeschlossen!
Als wären sie wie ein Tal.
So undurchdringlich!
Als wären sie wie schlammgetrübtes Wasser.
Wer kann harmonisch aufgehn in schlammgetrübtem Wasser
Und Schritt für Schritt zur Klarheit vordringen?
Wer kann mit ruhiger Festigkeit sich regen
Und Schritt für Schritt dem Leben Dauer bringen?
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UNABHÄNGIGKEIT ENTFALTEN
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Ungreifbar, gestaltlos!
In seinem Zentrum zeigt sich das Abbild.
Gestaltlos, ungreifbar!
In seinem Zentrum zeigt sich das Naturgesetz.
Trübverworren, geheimnisvoll!
In seinem Zentrum zeigt sich die Lebenskraft.
Die Lebenskraft ist überaus wirklich;
In ihrem Zentrum zeigt sich die Wahrheit.
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Schweigend, unermesslich,
Eigenständig und unwandelbar;
Unermüdlich, überall wirksam;
Als Mutter der Welt darf es wohl gelten.
Ich weiss seinen Namen nicht;
Das Wort das ich wähle, ist Tao.
Weil ich's den nennen muss,
Nenn' ich es gross.
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DER WEG DER NICHTEINMISCHUNG
Wer die Welt an sich reissen und auf sie einwirken will,
Kommt, wie ich sehe, niemals ans Ziel.
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Wo Armeen standen
Spriesst das Dorngestrüpp.
Grossem Kriegsvolk folgen immer Hungerjahre.
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ABSICHTSLOSE KRAFT
Überragende Wohltätigkeit wird tätig, und was sie tut geschieht absichtslos.
Überragende Moral wird tätig, und was sie tut, geschieht mit Absicht.
Überragender Anstand wird tätig, und findet er keinen Widerhall,
So hebt er den Arm und zwingt sich den Dingen auf.
Daher: Verliere das Tao, und die Kraft tritt an seine Stelle.
Verliere die Kraft, und Wohltätigkeit tritt an ihre Stelle.
Verliere die Wohltätigkeit, und die Moral tritt an ihre Stelle.
Verliere die Moral, und der Anstand tritt an ihre Stelle.
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Von alters her können diese im Einklang sein mit dem Einen:
Der Himmel im Einklang mit dem Einen wird klar.
Die Erde im Einklang mit dem Einen wird fest.
Der Geist im Einklang mit dem Einen wird erleuchtet.
Die Täler im Einklang mit dem Einen werden voll.
Alle Dinge im Einklang mit dem Einen werden schöpferisch.
Die Führer im Einklang mit dem Einen werden unbestechlich in der Welt.
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DER WEG
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Alle Dinge tragen das Yin und halten sich an das Yang.
Deren harmonisch gemischter Einfluss bringt Einklang.
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SUBTILE KRÄFTE
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DIE KRAFT IN DER GENÜGSAMKEIT
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Er weiss noch nichts von der Liebe von Mann und Frau,
Doch sein Geschlecht zeigt und erregt sich schon.
Seine Lebenskraft hat grösste Fülle.
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DAS EINSSEIN ERLANGEN
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DIE MITTE AUSBILDEN
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Das Führen einer grossen Organisation ist wie das Braten eines kleinen Fisches.
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Ein Baum von mehreren Spannen Umfang erwächst aus einem zarten Spross.
Ein Turm von neun Stockwerken ersteht aus einem Haufen Erde.
Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt.
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NICHTAGRESSIVE STÄRKE
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Also: Sie geben das eine auf und empfangen das andere.
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UNNATÜRLICHE AUTORITÄT
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SELBSTZERSTÖRERISCHE FÜHRUNG
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