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Andrea Bignasca – "Keep Me From Drowning"

Wenn man bilingual aufgewachsen ist und sich für den Weg des Musikers entscheidet, ist es
wohl kein Wunder, wenn jemand wie Andrea Bignasca sich dann auch entsprechend sicher
in mehreren Stilistiken bewegt. Der Schweizer mit den beiden Muttersprachen deutsch und
italienisch singt traurige-schöne Lieder auf englisch, die von der Suche nach Heimat und dem
Vermissen der Lieben handeln – klassische Seefahrer-Themen also. Kein Wunder, dass
"Haven" und seine Entwicklung von der sanft schreitenden Midtempo-Ballade bis hin zum
mitreißenden Refrain zu einem der größten Momente des Albums gehört: "May the Havens
collide", "May the stars realign". Neben dieser Singer-Songwriter-Akustik im Stile des frühen
James Bay zeigt Bignasca auf Songs wie "Most Times" aber auch seine Vielseitigkeit, wenn er
Drum Machines mit Blues-Riffs kombiniert, die an die Black Keys erinnern. Und obwohl einen
manchmal das Gefühl beschleicht, vieles vom dritten Album des 32-jährigen schon mal
gehört zu haben, täuscht auch das nicht über die unbestreitbare, sanfte Qualität dieser elf
Songs hinweg.

Long Distance Calling – "Ghost" EP

Obwohl den meisten Bands im vergangenen Jahr durch den leeren Tourplan oft mehr Zeit
blieb, als ihnen lieb war, entschieden sich Long Distance Calling für einen anderen Weg: Die
deutschen Post-Rock-Größen schrieben ihre "Ghost" EP innerhalb von nur drei Tagen,
Aufnahme inklusive. Heraus kam dabei kein Nachfolger ihres gefeierten "How Do We Want
To Live?" von 2020, das sich auch durch seine retrofuturistische inhaltliche Metaebene
auszeichnete. "Ghost" dagegen ist das Produkt des gemeinsamen Musikmachens und lebt
vom Jam. Die mal wieder ausgezeichnet produzierten sechs Songs haben mehr loopbasierte
Eingängigkeit und Intuition als die vorangegangenen Werke der Münsteraner, die vor allem
durch durchdachtes Songwriting glänzten. So büßt das Quartett zwar etwas von seiner
Musikalität ein, macht das aber durch riesige Klangflächen wieder wett – so etwa der
spektakuläre Halftime-Break des achtminütigen "Seance", das in seiner Epik an Pink Floyd
erinnert. Und während sich "Fever" mit seinen weichen Synthies die 80er zum Vorbild
nimmt, steuert "Black Shuck" nach grimmigen Basslauf in eine Explosion aus treibenden
Drums und sägenden Gitarrenlinien zu. Nicht schlecht für drei Tage.

Pat Metheny – "Road To The Sun"

Wo soll es für einen Gitarristen in der Größe von Pat Metheny noch hingehen? 20 Grammy
Awards und eine Stellung als einer der einflussreichsten Jazz-Musiker aller Zeiten sprechen
eine deutliche Sprache. Auf "Road To The Sun" lässt 66-jährige nun Anderen den Vortritt:
Sein gleichnamiges Stück, bestehend aus sechs Sätzen, wird vom weltbekannten Los Angeles
Guitar Quartett gespielt. Ähnlich verhält es sich mit der Solo-Suite "Four Paths Of Light",
deren vier Sätze von Jason Vieaux interpretiert werden. Der von vielen Seiten als einer der
besten neuen klassischen Gitarristen der Gegenwart bezeichnete Musiker spielt die zart
geschriebenen, von Quart-Harmonik durchzogenen Kompositionen Methenys in der Tat auf
meisterhafte Weise. So begehrt der zweite Teil nach zaghaftem Intro in nachdenkliche
Melodiebögen auf, deren gleichzeitige Zugänglichkeit und musikalische Substanz sich wohl
als eines von Methenys größten Leistungen durch seine Diskographie zieht. Die
schwebenden Akkorde von "Road To The Sun" und der heitere bis tragische Charakter des
zweiten Teils sind jedoch das Herzstück dieses außergewöhnlichen Albums. Bei den sechs
beteiligten Gitarren-Riesen war etwas anderes wohl auch nicht zu erwarten.

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