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und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger Weise: Vom Kaiser mit

einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer Manier für die
Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern unsägliche
Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er dennoch von Gott
erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 1

1 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.
Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 2

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.

2 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 3

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

3 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 4

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

4 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.
Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 5

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,

5 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 6

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
6 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 7

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater

7 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 8

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

8 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 9

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:

9 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 10

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
10 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 11

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu

11 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit und Teufel, Geist und Materie und übernimmt soziale Verantwortung in zwiespältiger
Weise: Vom Kaiser mit einem Lehen aus Wüstenländereien belohnt, wird er das Gelände in frühkapitalistischer
Manier für die Menschen urbar machen, denn die Kultivierung und das Anlegen eines Wassergrabens fordern
unsägliche Opfer. Zwar leugnete Faust einst Gott, aber über die von Gott anerkannte soziale Tat wird er
dennoch von Gott erlöst werden.

Franziska lebt, anders als Faust, in und mit den Widersprüchen der Gesellschaft. Franziskas Probleme sind
deshalb praktischer Natur: Sie will dieselben Freiheiten haben wie ein Mann, und sie will keine
geschlechtsbedingten Einschränkungen erfahren müssen.

Damalige Zuschauer, vor allem die männlichen sind sich sicher: Franziska als Frau und damit „Naturwesen“
kann nicht göttlicher Erlösung anheim fallen, weil ihr dafür die geistige Reife fehlt. Gott spielt für Franziska
deshalb zunächst auch keine Rolle, denn er ist nicht mehr die moralische Instanz, die zum Maßstab der
Beurteilung jeder Handlung wird, wie einst im FAUST. Erst nachdem sie ihre eigene Natur in allen Spielarten
erfahren hatte und in der Rolle der Mutter eine zentrale soziale Verantwortung füllt, kann sie sich, genau wie
Faust, Gottes Hilfe bewusst werden und diese auch akzeptieren. Sie mag Schuld auf sich geladen haben, aber
sie kann sich von Gott angenommen fühlen:
Franziska: Er [Gott] lässt sich nur erleben. Nicht wahr, Veitralf, das haben wir erfahren. (V/9.5)

Der im Stück letzte Bewerber um Franziskas Hand ist der Kunstmaler Karl Almer, der ein Bild von Franziska und
Veitralf gemalt hatte. Dieses Bild soll entgegen den Absprachen mit Franziska ausgestellt und verkauft werden,
weil Almer auf seinem, ihm seiner Meinung nach zustehenden, Verdienst aus seiner besten Arbeit besteht.
Auch Almer ist ein Egoist wie Veit Kunz, allerdings ist seine Person gebrochener und weiter entwickelt. Anders
als Veit Kunz kennt Almer seine eigenen persönlichen Grenzen sehr genau und akzeptiert sie. Er macht das
Beste daraus: Er kann keine großen Bildmotive selbst entwerfen, also übernimmt er bestehende
Motive berühmter Maler. Er ist arm, also ringt er Franziska die Erlaubnis zur Ausstellung des Bildes ab. Er liebt
sie und weiß gleichzeitig, dass er als Mann bei ihr wenig Chancen hat, also sucht er sich ein völlig neues Thema,
um sich ihr gegenüber interessant zu machen, indem er ihr erklärt, an „Gottes Güte“ zu glauben. Aber er
reduziert seine eigene Aussage sofort:
Almer: Sagen wir der Kürze doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih’ mir den kitschigen Ausdruck.
Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott lässt sich ja leider bis jetzt noch nicht
interviewen, er lässt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ... (V/9.5)

Karl Almer erkennt die Macht Gottes an, wie er auch weltliche Machthaber akzeptiert, aber er sieht eine
Macht, die sich nicht ausloten, schon gar nicht photographieren lässt, die sich ihm entzieht, und so nennt Almer
Gott einen „Gewalthaber“, vergleicht ihn damit mit irdischen Kategorien. Als Unterschied sieht er nur, dass
Gott im Gegensatz zu den menschlichen Machthabern auf öffentliches voyeuristisches Aufsehen verzichtet.

Aber in Almer begegnet Franziska ein Mann, der nach männlich-bürgerlicher Einstellung per se das
Synonym für Geist darstellt, für sie die geistige Erlösung erwerben könnte. Wedekind macht damit einen ersten
Schritt hin zu einer Synthese der beiden bis dahin als Antithesen verstandenen Paarungen Mann/Frau,
Geist/Natur.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die durch die mehr als 250 Stellen der Bibel angeregt, in denen
von der Wiederkehr Jesu Christi gesprochen wird, auf dieses Ereignis hofften. Infolgedessen gab es immer
wieder Berichte von Christi Wiedergeburt.

Wedekind lieferten diese Vorstellungen einen idealen Anknüpfungspunkt zu seinen eigenen die Kinder
betreffenden Forderungen, indem er in FRANZISKA Karl Almer die Überzeugung haben lässt, dass Franziskas Sohn
wie alle Kinder eine Option auf jene Zukunft sei, die auch die Möglichkeit der Wiederkehr des Jesu Christi in
sich trüge. Niemand könne wirklich ausschließen, dass ein beliebiges Kind nicht auch Gottes Sohn sein könne. 12

Diese Logik bedeutet, dass es für Eltern nicht ausreicht, ihre Pflicht zu tun, indem sie ihr Kind sorgfältig
anleiten und erziehen. Es ist für die Erwachsenen heilige Christenpflicht, jedem Kind in Liebe und Achtung zu
begegnen, schon weil sich niemand nachsagen lassen möchte, den zukünftigen „Befreier“ nicht statusgerecht
behandelt zu haben.

Es stellt sich für den heutigen Leser automatisch die Frage, ob auch Mädchen Gottes Kind sein könnten.
Für die damalige Zeit spielte das überhaupt keine Rolle, weil Mädchen nicht gleichgestellt waren. Ein weiblicher
Jesu Christ würde auch noch heute die Vorstellung der Bürger überfordern. Im Stück ist das ohnehin nicht
relevant, weil das Kind der Gräfin zu
Reventlow, deren Leben in FRANZISKA verfremdet gestaltet worden war, männlich war und damit auch Franziska
einen Sohn haben musste. Für Wedekind persönlich war diese Frage ebenfalls nicht wichtig, weil eine
respektvolle und liebevolle Erziehung ihm als Kind ein Bedürfnis gewesen war und er sie deshalb als Vater
vorlebte. Ihm selbst war sehr daran gelegen, die Mädchen genauso sorgfältig wie die Jungen zu erziehen. Der
Unterschied liegt für Wedekind nicht in der sorgsamen Erziehung als solcher, wohl aber deutlich in den
pädagogischen Inhalten als Vorbereitung auf ein zukünftiges Leben.

Franziska endet mit

12 Diese Idee ist in den meisten Religionen zu Hause. Sie gilt beispielsweise auch für den Dalai Lama, dessen Nachfolger
aus jedem beliebigen Haushalt kommen könnte, wenn er nur männlich und zu exakt demselben Zeitpunkt geboren wurde, in
dem der Vorgänger des jetzigen Dalai Lama gestorben war.

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