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Ulrich Karthaus

Huldigung an Odo Marquard


Sehr verehrter Herr Präsident, sehr ver- ger Lessings, der Wemer-Reimar-Stiftung
ehrte Frau Marquard, in Bad Homburg, weswegen ich Sie aber
meine sehr verehrten Damen, nicht als somnambulen Prinz von Hom-
meine Herren, burg bezeichnen möchte, des Nixdorf-In-
hochverehrter, lieber Herr Marquard, stitutes Paderborn, also auch dem Fort-
schritt und der Modeme verbunden, und
in Vertretung des Dekans des Fachbe- 1991/92 waren Sie Mitglied der Hoch-
reichs Germanistik fällt mir die ehrenvolle schulstrukturkommission des Landes
und melancholische Aufgabe zu, Sie zu Thüringen - also nicht nur der Modeme
verabschieden. verbunden, sondern auch der Zukunft
Sie kamen 1965 nach Gießen und began- verpflichtet.
nen Ihre Tätigkeit an der Universität mit
der Antrittsvorlesung ,Geschichtsdenken Es waren nicht nur diese Aktivitäten, die
und Weltanschauungstypologie'. Seither Ihnen Preise und Auszeichnungen brach-
haben Sie dieser Universität die Treue ge- ten: 1984 den Sigmund Freud-Preis für
halten - als letzter Dekan der alten Philo- wissenschaftliche Prosa der deutschen
sophischen Fakultät in schwierigen Zei- Akademie für Sprache und Dichtung,
ten, später als Mitglied unseres Fachbe- 1990 den Hessischen Verdienstorden und
reichs - trotz wirren Pubertätserscheinun- 1992 den Erwin-Stein-Preis. Ich hoffe, ich
gen, die er, der Fachbereich jugendlich gä- habe nichts Wichtiges in dieser Aufzäh-
rend, zeigte, und von denen in der Zeit- lung vergessen - falls aber doch, so tröstet
form der allertiefsten Vergangenheit zu re- mich der Gedanke, daß auch andere Red-
den ist, trotz einem Ruf an die Universität ner heute zu Ihren Ehren sprechen. Sie
Konstanz, den Sie 1968 ausschlugen -was können überhaupt nicht genug Festredner
uns, den Fachbereich wie die Universität, haben: denn als Skeptiker sind Sie ge-
ehrt! wohnt, die Dinge von vielen Seiten zu se-
Aber überhaupt ist Ihre Mitgliedschaft in hen, und so ist es nur angemessen, wenn
diesem Fachbereich eine Ehre für uns - auch Sie von vielen Seiten betrachtet und
oder sie ist es gewesen, wie ich nun in der gewürdigt werden - von institutioneller,
Zeitform einer jüngeren Vergangenheit von präsidialer und anderer.
melancholisch sagen muß: denn in Ihren Mancher nun, der jene schönen Ämter
Gießener Jahren haben Sie sich ein Anse- und Ehrungen wohl auch gern bekäme,
hen erworben wie wenige Hochschulleh- mag sich fragen: wie kommt man daran?
rer unserer Universität: Sie waren 1982/83 Weshalb wird man, beispielsweise, mit
Fellow des Wissenschaftskollegs zu Ber- dem Freud-Preis für wissenschaftliche
lin, 1985-1987 Präsident der Allgemeinen Prosa geehrt? In Ihrem Fall kann man mit
Gesellschaft für Philosophie in Deutsch- einem einzigen Wort antworten: durch
land, Sie waren Mitglied des Gründungs- den Witz, in der Bedeutung, die das Wort
beirates der Universität Bielefeld, Sie sind vor etwa 200 Jahren hatte, also in der Fä-
Mitglied der Wissenschaftlichen Beiräte higkeit, nicht nur Pointen zu erzeugen,
der Herzog August Bibliothek Wolfen- sondern substantielle Pointen. Deshalb
büttel, also sozusagen partieller Nachfol- denke ich bei Lektüre Ihrer Schriften im-

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mer an einen Aphorismus von Friedrich Pragmatisch, indem Sie durch Ihre vielsei-
Schlegel: „Ich bin des Witzes lieber Sohn" tigen Erfahrungen im Umgang mit den
- natürlich nicht ich, sondern Sie. finsteren Mächten von Bürokratie und
Einige dieser Formulierungen trafen in Si- Bildungspolitik uns in vielen Fällen mit
tuationen, die durch sie geklärt wurden - guten Ratschlägen halfen, so daß wir er-
etwa das Wort: „Das Gegenteil von gut ist reichten, was wir wollten oder doch so,
gut gemeint", das, zur Zeit der Hoch- daß mindestens die Debatte und die Sit-
schulreform gesprochen, die Erkenntnis zung verkürzt wurde.
auf den Punkt brachte: „Die Beweislast Der ideelle Vorteil indes, den Ihre Zuge-
trägt immer der Veränderer". Oder Ihre hörigkeit uns brachte, ist ganz ungemes-
Charakteristik Wilhelm Buschs, für die sen; ich zumal habe ihn immer schamlos
ich ganze Jahrgänge von Fachzeitschrif- ausgenutzt. Denn wollte es einmal der Zu-
ten hingeben möchte: „Wilhelm Busch ist fall, daß ich in gute Gesellschaft geriet, so
gereimter Schopenhauer - womit nicht ge- ließ ich bisweilen mit geheuchelter Be-
sagt sein soll, daß Schopenhauer unge- scheidenheit einfließen Sätze wie etwa:
reimt wäre". In solchen guten Worten „Herr Marquard ist mein Fachbereichs-
werden Perspektiven eröffnet und Zusam- kollege" - eine Bemerkung, die mir regel-
menhänge sichtbar; Probleme werden, so- mäßig respektvolle Anerkennung eintrug.
zusagen, kondensiert ähnlich dem vom Ein Abglanz Ihres Ansehens fiel auf uns
Namenspatron unserer Universität erfun- alle - denn wenn ein Mensch wie Sie einem
denen Fleischextrakt, das man, dem Dich- Gremium angehört, dann steigt, auf eine
ter Peter Altenberg zufolge, auflösen schwer erklärbare Weise, das Ansehen des
kann, um sich daran zu erfreuen und zu ganzen Gremiums. So ist unser Bedauern,
belehren. daß Sie uns verlassen und auf rosigem
Aber Sie selbst können das viel besser sa- Pfad ins Emeritat gehen, groß; denn in der
gen, und ich möchte nur darauf hinwei- Tat bedeutet dieser Schritt einen bedeu-
sen, was wir und wieviel wir von Ihnen ge- tenden Verlust für die Gießener Germani-
lernt haben: selbstverständlich lernt man stik.
von jedem klugen Kollegen auf seinem Sie selbst haben uns indes ein Mittel an die
Fachgebiet, wenn es nicht zufällig das ei- Hand gegeben, diesen Verlust zu bewälti-
gene ist - denn dann muß man ihn natur- gen. Zu den Dingen, die ich von Ihnen ge-
gemäß kritisieren und verurteilen - aber lernt habe, gehört auch die Marquardsche
von Ihnen habe ich gelernt, wie man do- Kompensationstheorie: „Wo aber Gefahr
zieren und schreiben sollte. Die Skala Ih- ist, wächst / Das Rettende auch", d. h.:
rer schriftstellerischen Möglichkeiten be- „Wer Sorgen hat, hat auch Likör", oder,
ginnt mit dem Wortwitz - einmal nannten lateinisch, Bonum durch Malum. Für uns
Sie sich, als Sie die Laudatio auf einen zwar, die Sie uns nun, mindestens institu-
Kollegen hielten, den „Lausbuben des tionell und offiziell, verlassen, ist es ein
Fachbereichs" - und sie findet ihren Hö- eindeutiges Malum, daß wir Sie verlieren
hepunkt in einer Fähigkeit zur Satire, wie und den Bonus, den Ihre Zugehörigkeit zu
sie seit Heinrich Heine kaum noch ge- uns mit sich brachte. Für Sie aber ist es ein
schrieben worden ist. Bonum, den lang ersehnten Schritt tun zu
Darüber hinaus aber war Ihre Mitglied- können. Einmal, in längst vergangenen
schaft in unserem Fachbereich von außer- Zeiten abnehmender Studentenzahlen,
ordentlichem Vorteil, sowohl pragmatisch nannten Sie sich im Zusammenhang mit
wie ideell: Überlegungen zur „lnkompetenzkompen-

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sationskompetenz" einen „emeritus prae- Ihren siebzigsten Geburtstag mit Ihnen
cox" - eine Wunschvorstellung, die sich begehen dürfen, dann den 75 . in weiteren
nun verwirklicht, indem Sie zum real exi- fünf Jahren - „Und so fort an" (Goethe).
stierenden Emeritus werden. Emeritieren Ist es Zufall oder ist es Absicht, daß Sie Ih-
heißt: von Pflichten befreien. Und wenn re Abschiedsvorlesung auf den heutigen
man an der Justus-Liebig-Universität in 11. Februar gelegt haben? Heute nämlich
Gegenwart von Odo Marquard über Odo vollendet ein anderer Philosoph, ein Hei-
Marquard spricht - was wäre passender, delberger Hermeneutiker, sein 93. Le-
als mit Worten von Odo Marquard zu bensjahr - wir fordern Sie auf: nehmen Sie
sprechen? Bei einer der heutigen entspre- sich ihn zum Vorbild: auch wenn Sie,
chenden Gelegenheit sagten Sie 1980: Skeptiker, der Sie sind, an der Wahrheit
„Entpflichtung: das bedeutet doch gerade seiner Methode zweifeln sollten, so doch
nicht die Entpflichtung vom akademi- in der Vitalität seiner Person!
schen Gespräch( . . .), sondern einzig Ent- Auf diese Weise wären Sie, obwohl emeri-
pflichtung von seinen Behinderungen: tiert, doch anwesend. Das wäre ein Bo-
vom Routinekram, von Sitzungen, von num für die Philosophie - und für uns, die
Freisemestern und anderen störenden wir Sie heute aus unserem Fachbereich
Dingen" 1 . Diese Äußerung möchten wir verabschieden müssen, wäre es eine Kom-
beim Wort nehmen: wir hoffen nach- pensation.
drücklich, daß wir Ihnen heute noch lange
nicht die vorletzte Ehre erweisen, sondern Anmerkungen
vielleicht die vor-, vor-, vorletzte mit 1
Gießener Universitätsblätter Jg. XIII, H.1 , Juni
mehrfacher Wiederholung der Vorsilbe 1980, P. 87 (anläßlich der Emeritierung von Link
„Vor-": will sagen, daß wir in fünf Jahren und Schering im FB 07).

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