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Priv. Doz. Dr.-Ing. Christian Maschke Prof. em. Prof. Dr. med. Karl Hecht
Robert-Koch-Institut I.S.F. Institut für Stressforschung GmbH Berlin
„Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen
Wohlbefindens und nicht das Freisein von Krankheit und Gebrechen.“
In der Ottawa-Charta (1986) wurde die „Gesundheit als ein befriedigendes Maß an
Funktionsfähigkeit in physischer, psychischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht und von
Selbstbetreuungsfähigkeit bis ins hohe Alter“ definiert. (WHO 1986).
Diese Definition berücksichtigt die Tatsache, daß der Mensch sich in der biopsychosozialen
Einheit präsentiert.
Folglich sind Krankheiten nicht nur schlechthin organisch nachweisbare Schäden, wie sie von
der klassischen Medizin vertreten werden, sondern funktionelle Störungen der psychischen und
biologischen Prozesse, die nicht voneinander getrennt werden können und daher in ihrer
psychobiologischen Einheit zu betrachten sind. Veränderungen der psychobiologischen
Regulation äußern sich nicht selten als somatoforme Störungen.. Darunter wird das
Reflektieren von Störungen geistig-seelischer Prozesse (z.B. Überforderungen, chronische
Lärmwirkungen, unterdrückte Emotionen, Dauerärger, häufiges Aufregen (über den Fluglärm),
soziale und Zeitkonflikte, Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit, sich nicht gegen Einflüsse wehren
können usw.) in körperlichen Beschwerden (z. B. Kopfschmerzen, Rückenschmerzen,
Erschöpfung, Verdauungsstörungen, Herzkreislaufstörungen, Asthma. Hautkrankheiten,
Impotenz). Von vier Patienten, die einen Allgemeinmediziner mit derartigen Beschwerden
aufsuchen, können bei drei keine organischen Veränderungen nachgewiesen werden (Rudolf
und Henningsen 1998).
Somatoforme Störungen können sich in einem Zeitraum von 7 bis 11 Jahren so manifestieren,
daß dann organische Schäden nachweisbar sind (Uexküll (1990)).
Eine Langzeitstudie von Graff et al (1968) zeigt diesbezügliche Parallelen für die
Lärmwirkungen (Arbeitslärm). Sie untersuchte 117 Mitarbeiter einer Kesselschmiede 95 bis
120 dB(A). Bei der Einstellung, nach 6jähriger und 13½jähriger Tätigkeit an diesem
Arbeitsplatz. Bei der Kontrollgruppe wurden (78 Transportarbeiter) 50 bis 60 dB am
Arbeitsplatz gemessen. Sie wurden in gleichen Zeiträumen und in gleicher Weise wie die
Lärmarbeiter auf die Veränderungen im Herz-Kreislaufsystem untersucht. Dabei zeigten sich
folgende Befunde.
Herzkreislaufschäden in %
Bei Einstellung Nach 6 Jahren Nach 13 Jahren
Lärmarbeiter 0% 31% 81%
Transportarbeiter 0% 6% 16%
Lärm kann zur Belästigung führen, aber nicht in jedem Fall. Hohe Dauerbelästigungen können
unter bestimmten Umständen zu Gesundheitsstörungen im Sinne von Disstress führen und sich
z. B. in Veränderungen der vegetativ-hormonellen Regulation zeigen. Störungen können unter
Umständen und bestimmten Umständen verhindert bzw. kompensiert werden z. B. durch
Ausweichen vor dem Lärm (Unterbrechung der Gespräche oder dem Telefonieren, zeitweiliges
Verlassen des Ortes der Lärmwirkung usw.).
Fluglärm am Samstagmorgen und Sonntag wird besonders belästigend empfunden.
Schlafstörungen
Nach dem neuen schlafdiagnostischen Manual werden 88 verschiedene Schlafstörungen
definiert. Die mit den Lärm- und anderen Stressoreneinwirkungen am häufigsten vorkommende
Schlafstörung (über 50 %) ist die psychobiologische Insomnie, die zeitweilig oder chronisch
ablaufen kann.
Eine chronische Insomnie liegt vor, wenn mindestens dreimal in der Woche für die Dauer von
mindestens einen Monat eine verminderte Schlafqualität nachgewiesen wird, die zur
permanenten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, des psychisch sozialen und körperlichen
Wohlbefindens und der Lebensqualität führt. Meßbare Kriterien, (Schlafpolygraphie und
Schlaflabor) für eine Insomnie sind:
Zeitbereiche
Für alle Parameter sowie für Erwachsene und Schutzbedürftige legen wir
Zumutbarkeitsgrenzen für verschiedene Zeitbereiche fest.
Alle Psychobiologischen Prozesse verlaufen. Für die Lärmwirkungen sind vor allem der
Tagesrhythmus und der Wochenrhythmus zu berücksichtigen.
Tagesrhythmen verschiedener Funktionen können synchron, phasenverschoben oder
phasenkonträr zueinander verlaufen. Diese Funktionalität der Regulation hängt mit der
optimalen Anpassungsfähigkeit eines Individuums zusammen. Da bezüglich der
Lärmwirkungen großer Forschungsbedarf besteht, wurden aus ca. 200 Funktionen mittels
biorhythmometischen Analyseverfahren (Auto- sowie Kreuz-Korrelationen, Fourieranalyse) 55
Parameter verifiziert, die näherungsweise Synchron in ihrem Tagesrhythmus verlaufen und zu
einem Modell für den Tagesverlauf der Sensibilität zusammengesetzt. Diesem Modell wurde
der konträre Verlauf der Schläfrigkeitsneigung bzw. des Schlafdruckes während 24 Stunden
hinzugefügt. Diese weist neben dem Nachtmaxima auch ein Tagesmaximum gegen 13.00 Uhr
aus. Aus dem Modell lassen sich 7 Zeitbereiche ableiten, die den Tagesverlauf der
(Lärm)Sensibilität stufenweise annähern. Die Zeitbereiche können folgendermaßen
charakterisiert werden:
06:00 bis 08:00 Uhr Hohe Sensibilität, beginnende Aktivierung, eingeschränkter Flugverkehr
08:00 bis 12:30 Uhr Hoher Aktivierungsgrad und verminderte Empfindlichkeit gegenüber
Reizen. Voller Flugverkehr
12:30 bis 13:30 Uhr Hohe Neigung zur Schläfrigkeit. Eingeschränkter Flugverkehr.
Wenn zu dieser Zeit Ruhe gewährleistet wird, kann die
gesundheitsgefährdende Lärmwirkung abgeschwächt werden.
Untersuchungen zur Kompensation von Arbeitslärm durch einen15
Minuten dauernden Minischlaf nach der Mittagspause hatte zur Folge,
daß der Krankenstand innerhalb eines halben Jahres von 9 % auf 3 %
sank (Hecht 1992).
13:30 bis 19:00 Uhr Hoher Aktivierungsgrad und verminderte Empfindlichkeit
19:00 bis 22:00 Uhr Nachlassen der Aktivierung und hohe (Lärm)Empfindlichkeit.
Zusätzlich Familienkommunikation und Zubettgehen der Kinder
Eingeschränkter Flugverkehr
22:00 bis 01:00 Uhr 1. Nachtphase mit Dominanz der Tiefschlafphase zur körperlichen
Erholung,Tiefschlafphase
2. Stark eingeschränkter Flugverkehr
01:00 bis 06:00 Uhr 2. Nachtphase mit Dominanz der REM-Schlafphasen zur Erholung der
geistig-seelischen Prozesse. Kein Flugverkehr.
Schädigungsmechanismen
Die Ursache der gesundheitsgefährdenden Wirkung von Lärm ist neben Schäden im Innenohr
(Hörminderung) eine gestörte Regulation, die unmittelbar durch vegetativ-hormonelle
Beanspruchung und mittelbar durch Belästigung oder Schlafstörungen hervorgerufen werden
kann. Bei den genannten Reaktionen (Hörminderung, vegetativ-hormonelle Beanspruchung,
Belästigung, Schlafstörungen) sind jeweils zwei unterschiedliche “Störungsmechanismen” zu
verzeichnen. Bei der Hörminderung kann vereinfachend von “mechanischer Schädigung” bzw.
von “Unterversorgung” gesprochen werden, bei der vegetativ-hormonellen Beanspruchung
von “akuter Fehlregulation” bzw. “Überbeanspruchung” (= “Überaktivierung”), bei der
Belästigung von “akuter Störung” bzw. “Lästigkeit” (= “unerwünschte Aktivierung”) und bei
Schlafstörungen von “Schlaffragmentierung” bzw. von “Minderung der Schlaftiefe”.
Diese “Störungsmechanismen” lassen sich jeweils entweder über den energieäquivalenten
Dauerschallpegel (LAeq) oder über ein Maximalpegelkriterium (LAmax) beschreiben. Der
energieäquivalente Dauerschallpegel (LAeq) determiniert die Unterversorgung des Innenohres,
die Überbeanspruchung, die Lästigkeit und die Minderung der Schlaftiefe. Das
Maximalpegelkriterium (LAmax) determiniert die mechanische Schädigung des Innenohres, die
akute Fehlregulation, die akute Störung und die Schlaffragmentierung.
Die Bewertung der Schallast erfolgt deshalb:
a) anhand des energieäquivalenten Dauerchallpegels (LAeq (q=3))
b) anhand eines Maximalpegelkriteriums (nicht seltener Maximalpegel, LAmax)
Eine häufige Überschreitung der Maximalpegelkriterien birgt eine Gefährdung in sich, die
seltenen kurzzeitigen Überschreitungen nicht zugeordnet werden kann. Die Anzahl von
kurzzeitigen Überschreitungen, die als unbedenklich einzustufen sind, werden von uns als
seltene Maximalpegel bezeichnet. Seltene Maximalpegel unterliegen nicht dem
Maximalpegelkriterium.