„Wer sieht Netflix?“ Als Antwort auf diese Frage heben im Kursraum an einer Universität in Deutschland alle Studenten die Hände nach oben. Zwei Dutzend junge Menschen melden sich. Fast jeder von ihnen schaut Serien des amerikanischen Streamingdienstes. „Und wer hat noch einen Fernseher zu Hause?“ Kaum einer hebt die Hand. Das klassische Fernsehen mit dem ritualisierten Start in den Abend um 20.15 Uhr, so wie das noch ihre Eltern gemacht haben, ist für Junge nicht mehr aktuell. Der Vormarsch von Netflix, Amazon Prime und die vielen Unterhaltungsmöglichkeiten im Internet bringen das Fernsehverhalten gehörig durcheinander. Wer zwischen 14 und 29 Jahre alt ist, schaut sein eigenes Programm im Internet und macht das viel öfter auf dem Videoportal Youtube und den amerikanischen Streamingdiensten als in den Mediatheken der klassischen Kanäle der Fernsehprogramme. Das hat Folgen, denn die Sender wollen das junge Publikum schließlich nicht verlieren. Gerade werden eigene Videoportale mit neuen Serien entworfen, um gegen die Dienste aus Amerika anzukommen. Den Druck im Fernsehgeschäft spürt man auch in Luxemburg, wo die RTL Group ihren Sitz hat, Europas größte Privatfernsehkette mit mehr als 60 Sendern. Dort kam es vor kurzem zu einem Führungswechsel: Thomas Rabe, 53, ist jetzt auf dem Chefposten von RTL. Im Wettstreit mit den amerikanischen Internetgiganten gilt es, keine Zeit zu verlieren. Der neue Chef muss schnell reagieren. Er will sich mit RTL gegen Amazon, Facebook und Google behaupten. Immer noch schalten Millionen in Deutschland den Fernseher ein. Die Nutzung der klassischen Kanäle ist bis jetzt noch höher als die neuen Streamingdienste. Aber nur noch wenige Sendungen ziehen die Massen so an wie früher. Ein Quotenhit ist natürlich wie immer König Fußball. Millionen Zuschauer sehen vor allem die Weltmeisterschaftsspiele. Mehr als zehn Millionen Menschen sahen früher Abendshows wie „Deutschland sucht den Superstar“. Heute sehen ebenso wie bei „The Voice of Germany“ und „Let’s Dance“ nur noch vier Millionen Menschen zu. In der jungen Zielgruppe funktionieren Formate wie „Germany’s Next Topmodel“ vergleichsweise gut, denn am nächsten Tag spricht man mit Freunden und Kollegen darüber. Durchschnittlich sehen die Menschen 217 Minuten am Tag fern. Das sind immerhin noch mehr als dreieinhalb Stunden. Jugendliche sehen allerdings nur noch 87 Minuten fern. Durch die digitalen Angebote von Youtube, Netflix und Amazon verlieren die deutschen Sendern nicht nur Zuschauer, sondern auch Werbeeinnahmen.