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l.xxxv.
Die Donau.

König der europäischen Flüsse,


den man in Doneschingen mit Einem Schritt
überschreiten kann, und der bei Semlin
Schiffe mit dreißig Kanonen trägt, bringt
den östreichischen Staaten überhaupt , und
der Hauptstadt Wien insbesondere , unbe¬
schreibliche Dortheile zu . Er hat, nebst
dem Hof, vorzüglich den Ungeheuern Wachs¬
thum dieser Stadt veranlaßt , und er wird
stets die mächtigste Ursache sein, daßW>en
die Residenz der östreichischen Monarchen
bleibe.
468

Es kommen auf der Donau jährlich


ungefähr dritthalbtausend Fahrzeuge in
Wien an. Die größten davon führen ge¬
gen Vierthalbtausend Zentner . Von da
steige« sie bis zum kleinen Kähnchen hin¬
unter , das einen Bauernpurschen mit ei¬
nigen Mczen Obst führt . Don allen die¬
sen Fahrzeugen geht keines wieder zurük;
sie werden entweder in Wien zerschlagen,
um das Holz davon zu verarbeiten , zu
- verbauen , zu verbrennen ; oder sie gehn
noch weiter in die ungarischen Provinzen
hinunter ^ Dieß ist auch die Ursache, rva,
rum man die. Donauschiffe nicht dauerhaf¬
ter baut.
^ . «
D >e Ladungen dieser Schiffe bestehen
aus asten ^nur möglich gedenkbaren Din¬
gen : Obst , Dich , Salz, -Baumaterialien,
Lebensmittel , Kaufmannswaaren , Weine,
Gemüse , Holz , re. rc» rc. und endlich
aus jener kostbaren , jener allbrauchbaren,
jener Lieblingswaare der heutigen Könige,
jener Waare aller Waaren , aus Menschen.
Ohne
Ohne von dem Vortheil bel gewöhnlichen
Rekrutentransporten von den Werbeplä-
zen des H . R . Reichs nach ' Oestreich , oder
von andern schleunig nöthigen Truppen¬
transporten ja sprechen , führt dieser Fluß
noch andere Mcnschengattungen häufig in
den Schoß der Kaiserstaaten.
" Der junge , gesunde , rüstige Hand-
werkspursche , welcher zum erstenmale sei¬
nen Wanderbündel auf den Rüken nimmt,
und die weite Welt versuchen will , sieht
in Ulm , Donauwerth , Augsburg , Re¬
gensburg , München , Paffau rc. die Schif¬
fe und Flösse bereit stehen , welche ihm
seine Reise um eine Rleinigkeir unendlich
erleichtern ^ Cr wirft seinen Bündel auf
das Schiff , trinkt sich von seinen Mutq
terpfenningen frohen Muth jur Reife,
und stoßt vom Ufer . Die Fahrt ist höchst
angenehm und leicht.
Er kommt immer tiefer und tiefer in
die Kaiserstaateu Hinein , und statt der
Mühe , den unter Wein und Gesang auf
Gg Z dem
47o
dem sanften Rüken des Flusses gemachten
Weg zu Fuß wieder aufwärts zu klimmen,
sucht er sein Unterkommen irgendwo in
Oestreich , Ungarn rc. zu finden , macht
sich dort anfäßig , und pflanzt eine neue
Familie an
Die Donau hat bereits jene hundert-
tausende von Kolonisten aus dem deut¬
schen Reich , aus Lothringen , Schweiz
und Elsaß , hieher geführt , welche in Un¬
garn , im Temeswarer Banat , feit zehn
Jahren auch in Gallizien und Lodomerien,
in tausend Dörfern deutschen Fleiß , deut¬
sche Sitten und Sprache , und deutsche
Zeugungskraft verbreiten . Noch dauern
diese Einwanderungen fort , und werden
so lange dauern , als Deutschland in hun¬
dert kleine Staaten zerstükt ist , so lange
Gneralpächter das benachbarte Frankreich
aussaugen.
Der Fluß theilt sich gerade bei der Stadt
in viele grössere und kleinere Aerme , welche
angenehme , mit Bäumen , Buschwerk und
Gras
47 »
Gras bewachsene Inseln bilden , und die
Gegend nm Wien verschönern.
Alle diese Vortheile verbittert er aber
durch eine sehr wesentliche Ungemächltch-
keit . Wenn : der Winter etwas strenge
Ist , so frieren alle diese Aerme zu , und ^
beim Aufthauen im Frühling , wenn
das von oben herunter ströhmende Was¬
ser plözlich auf die unbeweglichen Ets-
maffen treibt , muß es austreten , und
überschwemmt die am Ufer liegenden Vor¬
städte , reißt Brüken und Dämme ein,
sperrt die Kommunikazion aus Böhmen,
und Mähren , und thut selbst der Stadt
Schaden . Eben dieß geschieht , wenn auf
den tyrolischen und salzburgischen Gebir¬
gen zu Anfang des Sommers der Schnee
gähe und häufig schmilzt , und durch den
Lech, Jser , Salza , Inn , der Donau zu
viel Gewässer zuführt . So hatte die Lco-
poldstadt vor zwei Jahren in einem einzi¬
gen Sommer vier Uiberfchwemmungen.

Gg 4 Lange
4/L
Lange arbeitet man schon Lurch theo¬
retische Spekulazionen und praktische. Ver¬
suche, an dem Prosekt, die DoNau auf¬
wärts zu schiffen . Emiger vortheilhaften
Unternehmungen im Kleinen ungeachtet,
wird es im Grossen schwerlich gelingen,
und dieß nicht darum , als ob es den An¬
wohnern der Donau an Kenntnissen, oder
Fleiß bei dieser Sache fehlte, sondern weil
es beinahe phisisch unmöglich bleibt. Der
Abfall des Flußes ist zu stark, als daß
Wind oder mechanische Kräfte ihn je über¬
wältigen könnten. Bloß vom Kahlenberg
bis an die Stadt beträgt der Abfall schon
i Fuß. Durch Ungarn hinunter ist e-
noch ungleich stärker , und ströhmt eben
dadurch reissender . Von Semlin bis Linz
segeln wollen, hieße wirklich einen Berg
Hinanschiffen.
Der durch die Eifersucht des Prinzen
von Baaden unbillig verfolgte Graf Mar-
slgli hat diesen Strthm durch eine gute und
prächtige Beschreibung genau kennen gelehrt.
I.XXXVI.
473
I^XXXVI.

Litteratur.

Bis auf Marien Theresiens Regierung


wußte man in Wien kaum, was Littera-
tur sey. Ein theologisches Kompendium,
ein Kommentar über die Pandekten, ein
Geberhbuch, waren beinahe die einzigen
Gegenstände, welche die sehr schlecht ein¬
gerichteten hiesigen Buchbruckereien be¬
schäftigten. Nun brach einiges Licht her¬
vor : die wahre Heilkunde entstand, und
mit ihr alle übrige damit verwandte Wis¬
senschaften, Chemie, Botanik , Naturge¬
schichte, Physik, Mineralogie rc. zu deren
Bearbeitung der einheimische natürliche
Reichthum der östreichischen Erbländer
gleichsam von selbst einlud.
Etwas später erwekten, Svnnekfels,
Denis , Mastalier, Gebier, den Geist zur
Liebe der schönen Wissenschaften . Man
fieng an , Deutsch zu lesen; bas Theater
Gg 5 wurde
474
wurde gereinigt ; einige periodische Schrif¬
ten lehrten durch Ernst und Spott die
«rsteren Grundlinien von Moral , Men-
schenkenntniß , praktischer Lebensphiloso¬
phie . Diese stetigen an , die Köpfe soweit
zu beleuchten , daß man die Unbrauchbar¬
keit der damaligen öffentlichen Erziehung,
Pie Pedanteret des Juristischen Wesens,
das Abgeschmakteder theologischen Grübe¬
leien zu wittern begann:
>§ cr/lcet i/iAenuai chckrcr//e Fcke/ite ^ arter
Zmol/rt menten , nec Fnit eFe
Theresia , die zum dauerhaften Wohl
Ihres grossen Staats so viel that , unter-
fiüzte die ernsthafteren Wissenschaften un¬
streitig mit kaiserlicher Freigebigkeit ; und
Pie allerernsthafteste derselben , die aller-
heiligste Theologie , nur zu thätig . Ent¬
standen nicht sehr viele und sehr grosse
Meister in jenen Zweigen menschlicher
Kenntnisse , so war Mangel an Unterstü¬
tzung wahrlich nicht Schuld daran . Da¬
gegen konnten die schönen Wissenschaften,
die
475
die leichte Lttteratur , die Lebensphiloso¬
phie im populären Gewände , die Gunst
der Monarchtu nicht erringen ; diese wur¬
den durch die heuchlerischen Schildknap¬
pen der Dame Theologie , als Bastarde
der Musen , als Unbändige , zuchtlose,
naseweise Kinder verschrien und angc-
schwärzt. Man fürchtete in jedem Epi-
gram eine Zweideutigkeit , in jedem Ro-
niänchen einen Stcinregen a uf die Kirche,
in jedem philosophischen Denkzettel «ine
Abficht gegen die Ruhe des Staats.
Darum las man ln Wien noch die Robin¬
sons , die Grandisons und die Gespräche
im Reich der Todten ; da man im übrigen
grüßten Thetl des Deutschlandes schon
lange die Voltaire , Wieland , Leffing,
Bayle und Helvetius auswendig wußte.
Beim Anfang der jezigen Regierung
fezte man fich über diese Bedenklichkeiten
weg. Die kesefreyhett ward erweitert,
und die Freiheit zu schreiben dem Genius
des Inlandes dargegeben. Unter den ernst-
' haf-
476 o^ LS^ o
Haftern Wissenschaftszweigen werden vor¬
züglich Geschichte , Heilkunde , Chirurgie,
Mineralogie , Botanik - Checkte , Mathe¬
matik , betrieben . ^ -2
Unter den schönen Wissenschaften hak
die Muse der Dichtkunst die meisten und
würdigsten Söhne - Für das Theater wird
vieles , aber meist nvr zlecklich mittelmäfsi-
ges Zeug gearbeitet . Im Fach der Ro¬
mane ist bisher noch sehr wenig Gutes
zur Welt gekommen . Ein Gebrechen der
wienerischen kitteratoren ist auch , daß sie
sich nicht eifrig genug um litterarische
Neuigkeiten bekümmern « Es besteht nicht
eine einzige inländische Anstalt , um dem
Publikum Nachrichten von merkwürdigen
Erscheinungen und Verfügungen im Reiche
der W ffenschaften zu geben . Sehr gute
Bücher , die nicht einen allgemeinen leb¬
haften Eindruck auf das deutsche Publi¬
kum machen, oder hohes Lokallnter . sie
enthalten , bleiben in Wien oft Jrhre lang,
auch wohl gänzlich unbekannt.
Am
O-7-W ^ O 477
Am meisten fehlt es in Wien , wie
zwar in ganz Deutschland überhaupt - an
solchen Schriftstellern , welche die Kunst
besizcn, jn kleinen Romanen , Erzählern»
gen , Gedichten , Briefen , unh Hvdern
Aufsäzcn , Szenen aus der wirklichen Welt,
schlichten Menschensinn , gute gesunde Le¬
hensphilosophie , Welt - und Menschen-
Kenntniß rc. in leichten feinen Styl , mit
der lachenden Mine der Satyre , des ge¬
würzten Spottes , ohne pedantische Rich¬
termine , ohne seichte, gemeinpläzige De-
klamazion , ohne staubigen Schulwiz vor-
Lutragen . Dartnn sind die Franzosen ei¬
gentlich Muster ; und die ernsten Britten
haben , ihren Swift - ihren Sterne , Che¬
sterfield , Steele rc. . Freilich haben wir
Deutsche unser » Wieland , unfern Blum-
auer , SturzAnton wall , in deren
Schriften jene , gefällige Sprache , jene
Philosophie der Grazien , jener Helle Dlik
in die Struktur der politischen Maschi¬
nerie , in die Triebräder der Menlchen»
hand-
478
Handlungen , in die kleinen Ursachen dev
grossenwirkungen ; jene ächte Darstellungs¬
art unsers Thuns und Treibens unterm
Monde , herrscht . Wenn man aber ge¬
gen dieser ihre wenige Bändchen die un-
geheuern Papierladungen der Sächsischen
Bücherfabriken stellt , die nichts als Un¬
sinn , Aberwiz und schales Zeug enthal¬
ten ; wo aus jedem Blatt der Kleinstäd«
ter , der Dorfpastor , der Schulrektor,
der Student , der Buchhändlers » Tag¬
werker hervorgukt : so wird man wohl
gestehn , daß es uns an Lehrern der
brauchbaren Hausphilosophie noch gewal¬
tig mangelt.
Allein diese Kunst erwirbt sich nicht
leicht ohne genaue Kenntniß und persön¬
lichen Umgang mit der schönen grossen
Welt : und wenn die Vornehmen von Wien
sich beklagen , daß so wenig lesbares für
sie hier zur Welt kommt , so sind sie nicht
wenig Schuld daran . In England und
Frankreich schäzt man den feinen Schrift¬
steller
47 «)
fieller der größten Gesellschaft würdig,
man zieht ihn aus der Provinz in die
Hauptstadt, man ehret ihn , man sucht
feinen Umgang, er ist in den Palästen
der Grossen zu Hause. Nicht so hier.
Der deutsche Ahnenstolz würde darüber
in Verzweiflung gerathen. Sturz sagt von
Sterne : ,, Er artete in London aus , ei-
„ ner übclversezten Pflanze gleich; der
„ Weihrauch der Grossen verdarb ihm de»
„ Kopf, und ihre Ragouts den Ma-
„ gen. ^ Ich nehme drei oder vierter
hiesigen Grossen aus : an den Tafeln der
übrigen würdet ihr vergebens selbst mit.der
Laterne einen Schriftsteller suchen, soll-
te er auch das LenrimenrsI^ournezr, den
Oanäiäe, und den Oberon geschrieben
haben.
Mancher Schriftsteller dankt zwar gut¬
willig auf ewige Zesten für Weihrauch
und Ragouts. Aber die Grossen sollten
um ihrer eignen Ehrr willen mehr für
- - . . die-
48s
diejenigen thun , die . sie so oft von der
Folter der Langweile erlösen . ^
In der That ist nichts unbilliger als
die gewöhnliche Behandlung der guten
Schriftsteller . Woher hat denn der Be¬
bänderte Mann sein Wissen , das ihn zu
dieser oder jener Würde erhob ; , woher
hat das Stuzerchen seinen Wiz , die ge¬
zierte . Dame ihre Empfindeley , als aus
den Büchern!
Durch die Anhänger der Litteratur
hat das nördliche Deutschland eine Art
von öffentlicher Stimme erhalten , die es
sehr wohl zu benuzen weiß . Jede . seiner
vortheilhaften Anstalten wird durch die
vielen Schriftsteller allgemein bekannt ge¬
macht ; bei jedem öffentlichen Schritt sei¬
ner Regenten sprechen die Pressen ^ und
suchen die Gemüther des Publikums für
ihn zu gewinnen ; jede Kleinigkeit von der
guten Art wird bis an die Sterne erho¬
ben ; jeder Fehltritt wird durch hundert
fliegende Blätter entschuldigt , vertheidigt,
weis ^
48 l

weis g' waschen. Im südlichen Deutsch¬


land hat man diesen Umstand bisher bei¬
nahe gänzlich vernachlässiget, und doch
scheint er mir so völlig gleichgültig nicht.
Die Welt wird durch Meynungcn geleitet.
Wer die beßte von sich zu enveken weiß,
hat vor seinen Kollegen einen mächtigen
Schritt voraus.
Se . Majestät , der Kaiser, hat vor
kurzem den Verfasser einer Geographie
von Ungarn zur Belohnung für sein Buch
mit ioc> Dukaten beschenkt; und eben
jezt ist rin Preis von ic -Q Dukaten für
das beßte Vorlesebuch über die christliche
Kirchengeschichte ausgesezt.
Sollte es Seiner Majestt gefallen,
öfters irgend ein Zeichen Ihres allerhöch¬
sten Beifalls über eine litterarische Arbeit
von sich zu geben, so würde dadurch die
Litteratur Oesireichs unausbleiblich grösse¬
re und schnellere Schritte machen, als sie
bisher gethan hat . Regierungsanstalten
allein machen die Fürsten nicht unsterb-
H h Uch.
48 -

lich. Augusts Regententhaten sind längst


samt f einem ganzen Reich zum Nichts ge¬
worden , aber noch lebt er als Freund
der Musen in Horazen.
Vixere koites ante ^ gamemnona
IVluIti omnes illacrimabiles ^
Ilrgentur , ißnvti ^ue lontza
KoLte , careur c^uia Vate tacro!

I .XXXVII.

Schriftsteller.

Ein gewisser Ritter Lerisch gab vor


einigen Jahren die wiener Autoren , eilt
Beitrag zum gelehrten Deutschland her¬
aus . Der Himmel bewahre mich , daß
ich in die Fußstapfen des Hr . Bensch tre¬
ten wolle ! er trug nebst den wirklich ver¬
dienstvollen Männern , auch ieden obsku¬
ren Menschen in sein Register ein , det
nur einmal ein paar Blätter Schwärt
«uf Weiß hatte abdruken lassen.
Ich
48z
Ich rede hier nicht von den Gelehr¬
ten , sondern nur von den Schriftstellern
Wiens . Diese Benennungen sind nicht
von gleicher Bedeutung » Man kann ein
wahrer Gelehrter s.yn , ohne jemals ein
Buch geschrieben zu haben ; man kann int
Gegentheil viele Alphabete zu Markte brin¬
gen , ohne gelehrt zu seyn . Es gibt int
südlichen Deutschland sehr viele und sehr
gründliche Gelehrte , die nie ein Buch
schreiben ; es gibt im nördlichen Deutsch¬
iland eine Menge Büchermacher , denen
Anspruch auf Gelehrsamkeit wohl nicht
zusiehet.
Es wäre gänzlich gegen und überden
Plan der Skizze , einen vollständigen al¬
phabetischen AUtvrkalender einzurüken . Ich
begnüge mich / hitr einige Männer zu nen¬
nen , die als Sterne der ersten Grösse am
litterärtschen Horizont glänzen > und denen
auch das gegen Nestreich nicht selten un¬
billige Austand laut und allgemein Ge¬
rechtigkeit widerfahren lassen . Sie find:
Hh » Alpin-
4S4
Alxinger
Blumauer
Dorn
Denis
Eckhel
*) Haschka *)
Hunczowsky
Jacquin
Ingenhouß
Mastatter
Schmidt
Sonnenfels
Stoll

Ausser

*) Er wird nächstens«ine Sammlung seiner


Gedicht« herauSgeben.
** ) Eben da ich dieses schreibe, erschallt
die Nachricht von seinem Tod«.
Aluln» ille üedilir occiciic-
war mein Arzt , mein Freund. E
IL!
Se -st mbg« auf seinen Schüler»
ruhen.
485
* *
4-

Ausser diesen lebt noch mancher wür¬


diger Mann hier, der sich als Schrift¬
steller entweder in sctentifischen Fächer«,
oder im Felde der Schönen Litteratur
rühmlich bekannt gemacht hat. Ihr Namen-
Verzeichniß würde für mein Heft zu weit-
läuftig werden. Auch bedürfen die mei¬
sten meiner unbedeutenden Erwähnung nicht.
Das eigne Bewußtsein ihrer Verdienste,
und ihr Ruf hebt sie von selbst mehr, alS
jede ähnliche Schreiberei . Indessen werd
ich mir doch ein Geschäft daraus ma¬
chen, . sie bei einer andern Gelegenheit
«achjuholcn.
' ' QXXXVIII.

Brofchüristen.
Wie ein Sturmwind aus Süden oft
in den öden Sandwästen des inneren
Afrikq ein Heuschrekenheer emporhebt,
Hh 3 und
486 o-sW -^ o

und plözlich über eine ruhige Provinz hin-


schleudert : so hob das kaiserliche Handbillet
über die Preßfreiheit im I . 178 t aus den
öden Köpfen selbstgefälliger Müsstgänger je¬
nes bekannte unzählbare Brofthürcnheer
empor , und ließ es auf das erstaunte
Wien ntedervegnen . i.
Vom Tage dieser Federnfreiheit bis zu En¬
de des August 1782 waren schon üver tau¬
fend solcher Heftlein erschienen. Man schrieb
— — Von all dem Wesen
Der olim gelehrten Pfaffheit ; anbei
Don Stubenmädchen und ihren Röken,
Don Handlung , Finanz und Polkzei,
Don K'aLfmannsdienerN und ihren Säken,
Don Fräulein , Frauen und ihren GekeN,
Von Schneidern , Pensionen und Leichen,
Don Dienern , die ihren Herren gleichen,
Don Thieren mit langen und kurzen Ohren,
Don Advokaten und Professoren,
Don Bruderschaften und Rosenkränzen,
Vvn Fahnen die zu viel flimmern und
glänzen,
Don
c> 487
Von Lukaszetteln und Kardinalen,
Von Jesuiten und ihren Kabalen,
Vom Pabstcn und feinen schönen Füssen,
Von Damen , die gern den Pantoffen küssen.
Und weiß der Himmel wovon noch ! —
Kurzum

Da ist kein Pudendum noch Skandalum,


Das nicht rin rüstiger Federheld

Samt seiner Person auf den Pranger stellt . <


Die Drukereien konnten die Preßbengel
nicht schnell genug drehen , die Zensoren
lasen sich die Augen müde an den Manu»

fkripten - Ladungen , die täglich und stünd¬


lich auf der Zensur einliefen . Sie waren
damals in der That die geplagtesten Leute

in Wien ; Sie mußten ex oKcio jeden


Quark lesen , auch der nicht gedrukt wur¬
de . Um sie einigermaffcn von dieser Fol¬

ter zu befreien , und zu verhindern , daß


nicht gar jeder armselige Wisch zum Druk
angetragen würde , geschah im Mai 1784
der ernstliche Vorschlag , daß jeder Schrif¬
terling mit seinem Manuskript sechs Dukaten
Hh 4 in
'488 o-^ 8S^ s
in der Zensur depouiren sollte , die ver¬
fallen wären , wenn das Manuskript nicht
z» >,«lassen würde . Man sah aber di«
unzwekmäffigen Folgen dieses Vorschlags
ein , führte ihn nicht aus , und gab da¬
für den Zensoren die Freiheit , auf ein
nichtswürdiges Manuskript ohne alle an¬
dere Umstände zu sezcn : non
rncretur . Wodurch es dann nicht weiter
an das Tageslicht kam.

In eben diesem I . 1784 fieng di^


Fluth der Broschüren schon an , sich zu
verlieren . Im I . 11785 Härte die unge¬
wöhnliche Menge derselben gänzlich auf;
und seit dem steht die Zahl der erscheinen¬
den Broschüren mit der Zahl der übrigen
Bücher, mit dem Lescbedürsniß einer so
grossen Stadt, und mit der Broschüren¬
zahl in andern Hauptstädten so ziemlich in
leidlichem Verhältnis Die erste neugie¬
rige Lesewuth des Publikums ist gestillt , die
Lust zu kaufen Ist verschwunden ; und die
Schmierer, welche wohl noch öfter Lust
hät-
48?
hätten , nüt ihr» r Waar « !zu Markte zu
kommen , finden keine Verleger mehr.
Diese luftigen Dinger , wekbe «inigf
Millionen Papierbogen färbten , sind wie
Nebel verflogen . Von H-j derselben ist
weder Spur noch Andenken mehr übrig.
Ihre körperlichen Uiberreste sind in die
Gewürz - und Käseläden gewandert , als
Fidibus verbrannt , in Papilloten ver-
wikelt , zu Tobaksdosen gekaut Horden;
sind durch ' Sruwers Feuerwerke in die Luft
geflogen , in den Lägern bet Mtnkendorf,
Pettau und Prag verschossen . , oder der Göt¬
tin Kloazina geopfert worden.
Sie haben Uibels und Gutes gestif¬
tet . . . . Ihre Übeln Wirkungen waren,
daß sie die bessere und ernsthafte Lektüre
auf einige Zeit verdrängten ; daß sie gro¬
be Fehden zwischen verschtednen Leuten
stifteten *) ; daß sie eine Menge von
Hh 5 jun-

*) Leider ist das nicht in Wien allein


der Fall» Man sehe sich nur ein bis,
chen
4S->

jungen Hohlttpfe» verleiteten, sich mit


Bücherschreiberet abzageben, welche mehr
für die Elle, die Drehbank, den Perükea-
siok rc. gemacht schienen
, als für den He¬
likon; daß sie der Wienerischen Litteratur
im Auslande«inen üblen Ruf zuzogen rc. . ,
Ihre

chen um im übrigen Deutschland , und


man wird ähnliche Balgereien allent¬
halben finden.
Nicolai und Wieland
Leffing und Gbtz
Schlbzer und Schirach
Lichtenberg nnd V ȧ
Basedow und Reiche
Semler und Barhdk
Biester und Stark«
Winkopp und die Mainzer
Nicolai und Lavater , Garve,
Seiler rc. re.
haben mächtige Kämpfe gekämpfet. Waf
Wunder , wenn auch einige Wieneri¬
sche Litterati einander ig die Haare
kommen!
lliacos incra muros xcccacur ec excr».
o—W -ro 4- 1

Ihre guten Wirkungen waren , daß sie

gleichsam einen Neuen Zweig der Betrieb¬

samkeit stifteten , Duchdruckereten entstehn

machten , und dem Mechanischen des klei¬


nen Lokal - Buchhandels eine bis dahin
tn Wien unbekannte Lebhaftigkeit ver¬

schafften ; daß sie alle Volksklassen an das

Lesen und 4in bischen Nachdenken gewöhn¬

ten ; daß sie die Gemüther für die plöz-

lichen auffallenden Reformen vorbereiteten

und geneigt machten ; daß sie wichtige und


rrothwttidige Dinge in einer leichten , po¬

pulären , federmann verständlichen und


für solche Gaffenblätter erträglichenSchreib-
art vorkrugen . rc. re.
In einigen Gegenden von Deutsch¬
land haben diese Broschüren seltsame Be¬

griffe uad Urtheile erwekt . Nikolai mach¬


te ekner» eignen Abschnitt in seine allge¬
meine deutsche Bibliothek unter der Ru¬

brik : wiener Schriften , und urthelte

dort die unbedeutendsten Blättchen mit


einem Ernst ab, als ob es Bücher von
Wich'
4Y» o -TüM - »

Wichtigkeit wären . Man spottete an


andern Orten , daß z. E . so viel über den
Pabst ist geschrieben worden . War etwan
seine Reise nach Wien nicht eine so auf-
sallende Erscheinung , daß es wohl , im
Publikum darüber zur Sprache kommen
mußte ? Waren di« Anstalten , welche man
gegen seinen Einfluß , gegen das System
seiner Anhänger machte , nicht lebhaft ge¬
nug , um dem darüber hoch erstaun¬
ten , und in seinen Begriffen schwanken¬
den Volk einige Kenntniß von den recht¬
mässigen Ansprüchen des römischen Hofes
geben zu müssen ? Und wie konnte dieses
am füglichsten geschehen ? Hätte man es
an die lateinischen Quartbände des Fe-
iron 'us Oe legitim » xorestate komani
kontiücis , oder gar an die lateinischen
Folianten des Harzheim und Van - Espen
weisen sollen , um zu lernen , was der
Pabst sry , was er fordern könne oder
nicht ! . . . Freilich wäre zu wünsche»
ge-
493

gewesen,' daß nicht qar s»-vieles Geschmie¬


re erschienen wäro^ " allein, Ließ ist nun
einmal das Schicksal der grossen Städte.
Wie viel ist E. in Paris bei der tollen
Halübandgeschichte, . bei der Versammlung
der Notabeln , wie viel in Berlin Hei den»
lächerlichen Gesangbuchs- Streit , bet der
Hegiernngsveränderung geschrieben/ woi.?
den ! v . lÄut cvmme c^er,M )«r»
Andere hat LioiMenge: dieser fliegen¬
den Schriftchen verführt, , auf eine «Ken.
so ungeheure Fahl von Schriftstellern in
Wien zu schließen ^. ,Liese Herren thaten
den Vätern jener killipu tischen -Geschöpfe
mehr Ehre an , als man ihnen im Wien
selbst wiederfahren ließ. Hier ist es . sei¬
nem Menschen eingefallen , die Fabrikan¬
ten solcher Waare mit dem Namen der
Schriftsteller zu belegen. Dagegen mußte
man in der Berlinischen Monatschrift .und
mehreren auswärtigen Journalea beinahe
bis zum Ekel wiederholt lesen, daß cs
in Wien der privatisirenden Gelehrten,
der
494
der Schtiftstellek eine ungeheure Mengt
gebe . ' Sogar -Herr Mensel , der doch sonst
billiger von ähnlichen Sachen urtheild-
»hat in seinem erste» Nachtrag zum ge¬
kehrten Deutschland am Ende in einer An»
mrrküng den höchst schiefen ironischen:
Seufzer : „ Wer sollte es wohl glaubett>
/, daß aus dem grossen weiten Wien,
, , « S es Schriftsteller zu hunbettew
,i yiebjr , mir nicht ein Liuziger Beitrag
^ zugekommrn ist ! ^ . i
Ich verfichere H . Meusel , bgß man,
in dem grossen weiten Wirn von Schrift¬
stellern zu Hunderten nichts weiß ; daß:
maii da die leidigen -Bcoschüvisten keines- ,
w'egs unter dis Gelehrten oder Schrift »)
stellrr zahlt . Daß ihm kein Beitrag .jlti
feinem Werk geliefert wurde , kann ich mir
kaum auc-ers erklären , als daß er sich
darum nur an jemand von jenen hukder-
trn , nicht aber an wirkliche Schriftsteller
in Wien muß gewendet haben«

I.XXXIX,
49Z
I.XXXIX.

Geistlichkeit.

Der Wienerische Almanach für Geist¬


liche auf das Jahr 1787 giebt folgend?
Summen der Oestreichischen Geistlich»
keit an : . r '-ü
Ratholische.
Erz- und Bischöfe . . . . .
Domherren . . » . . ' . > 898
Pfarrer in den Deutschen und
Hungartschen-Erblanden. . - !KIZ6
Mannsklöster . . ^ 1274
Frauenklöster . . °. Z76
Griechische Unirte. '
Erz- und Bischöfe . . . . . ' /
.Griechische Nichtunirte. '
Erz- und Bischöfe . . . . . 9
Pfarrer . . . . . . . . 585/
Evangelische.
Superintendentenu. Pfarrer. . » 5^8
4- 6

Reformiere.
Superintendenten u . Pfarrer . . . lgo»
Unitaxische

Superintendenten u . Pfarrer . . . iz6


Den ' Klerus der Niederlande und
Lpmhgrhci : mit ringeschlossen , mag also
das ^. ;Ganie zusammen ungefähr 8602»
geistliche Personen betrag en.
Die Geistlichkeit in Wien , und in den
Oestreichischen Ländern überhaupt , sowohl
die Hohe als nieder « , theilt sich heut zu
Tage in drei Partheien.
- Dv erste richtet sich nach dem gegen¬
wärtiges System .des . Hofes 5 läßt sichS
abgelegen scyn , Aufklärung zu befördern,
Vorurtheile zu vertilge » , den Aberglau¬
ben auszur .euten , bt.e päbstllchen Ideen
abzuschütteln , Moral und praktische Re¬
ligion zu predigen . Sie ist noch nicht
sehr zahlreich , mehrt sich aber von Tag
zu Tag , befolgt mit Eifer alle Verord¬
nungen des Landesherr » , hilft sie in
Ausübung bringen , und thut überhaupt,
was
o— LS- O 497 .

was eigentlich Amt und Pflicht der Geist¬


lichkeit in einem Staate ist , wo Ruhe,
Sittlichkeit und Gedeihen unter dem Vol¬
ke seyn soll. Für diese ihr« Bemühungen
äcndet sie Schuz , Ehre , kabsprüche und
Belohnungen ; dei welchen Umständen es
nicht schien kann , daß sie nicht nach
einer Generaziou ->tr allgemein ausgebrri-
tete werde»
Die zweite ist die Parthei der Drthoe
doxen nach altem Schnitt . Sie ist noch
die zahlreichste , besonders auf dem Land«
und in den entfernten Provinzen . . Diese
Herren wandeln wie im Nebel . Sie hae
den auf den alten Sauerteig . geschworen,
und sind wie betäubt von den Strahlen
der bessern reinertt Grundsäz «!, welche mit
Macht allenthalben hereinbrtchen . Matt
kann sie nur durch Furcht , durch Stra»
fen , und durch Drohungen dahin brin¬
gen , daß sie ihren geliebten alten
Schlender wenigst auf der Kanje^
und bet andern öffentlichen Handlungen
I t nicht
4Y8 07^ 82 ^ 0

nicht geradezu den neuen Derordnungra


entgegen sezrn . Aber wo sie immer den¬
selben ausweichen , wo sie dieselben ver¬
drehen , mlsvcrstehn , wo sie eine widrige
Deutung hineinschieben können , unter¬
lassen sie es nicht . Sie veranstalten selbst
Auftritte und Fälle , wo sie Verwirrung
und Unzufriedenheit stiften können . . . .
Was sie bei einer solchen Stimmung des
Gemüths im Beichtstuhl , was sie bei
Hausbesuchen , im vertrauten Kreise bei
andächtigen Weibern , Gecken , Unwissen¬
den rc. für Grundsäze predigen ; wie sie
da alle neueren Anstalten verschreien , alle
Aufklärung verhaßt machen , alle Verbesse¬
rungen schwarz malen , läßt sich von selbst
begreifen , leuchtet auch mittelbar aus
manchen ihrer Schritte für den aufmerk¬
samen Beobachter deutlich genug heraus.
Zur dritten Parthei gehören di«
Schwanker , die Achselträger , die Heuch-
trr . Die Schwanker wissen selbst nicht,
was sie eigentlich thun sollen , sie sind
494
weder für das alte noch für das neue Sy»
stem ; sie befinden sich in einer peinlichen
Lage , denken heute mit Eybel , morgen
mit Bellarmin . Sie find die Halbköpfe;
haben nicht Festigkeit genug , sich zu einer
oder der andern Parthci öffentlich zu schla¬
gen , nicht Licht genug , das Wahre vom
Täuschenden zu unterscheiden , und thun
ihre Amtspflichten , ohne selbst recht zu
wissen , Wie und Warum . . . Die Achsel¬
träger dünke» sich sehr klug : sie wollen
laviren . Man weiß nicht , was noch für
Zeiten kommen , sagen sie , und dieser un¬
gewissen Erwartung gemäß handeln und
sprechen ße auch . Ihr Bestreben ist , zwi¬
schen der Hofparthei und der Orthodoxie
sich im Mittel zu halten ; darum behaup¬
ten sie in diesem Zimmer laut , was sie in
dem andern laut verwerfen . . . . Die
Heuchler hängen im Innern kräftig am
ulten System , wissen es aber meisterlich
ju verbergen , machen äufferlich alles mit,
was nach dem herrschenden System ist»
I i n Nur
5co

Nur ihre sehr Vertraute kennen ihre wah¬


re. Gesinnung . Bei der ersten Verände¬
rung des Windes würden sie auch mit
Freuden die Larve wieder abziehn.
Nebst dem in Aemtern stehenden Kle¬
rus gibt es noch eine gewisse Gattung so¬
genannter geistlicher Geschöpfe in Wien,
deren Geschäfte nichts weniger als geist¬
lich sind. Eie machen Eiceroni , Haus¬
freunde , Tagdiebe , Schmarozer , Tröd,
ler , Mäkler , Spieler , Anekdotenträger,
Spionen , Korrespondenten , Tischnarren,
Unterhändler , Kaffrehaussprecher rc. rc.
Es sind meist Jtaliäner und Franzosen;
obschon zweimal eine allgemeine Pro-
flripziva gegen sie ergangen ist , haben sich
doch unter verschiednem Vorwand noch
immer viele derselben erhalten.
Das Haupt der hiesigen Geistlichkeit
ist bekanntlich Christoph Migazzi , Kardi¬
nal , Erzbischof rc. Er stammt aus einer
tyrolifchen Familie , war bei dem kiebltng
Karls des VI . dem Kardinal Lambrrg
Pa-
Z2l

Page , kam dann als ein junger liebens¬


würdiger Abbe nach Wien , erwarb sich
da viele und mächtige Freunde , ward Au¬
ditor RRtä in Rom , Gesandter in Spa¬

nien , Koadjutor in Mecheln , Erzbischof


in Wien , Administrator deS Btsthum

Waizen , welches er aber am i Julius


1785 wieder verlor.
In den neuen Zeiten haben ihn die Bro-
schönsten oft genekt . Es schien , als woll¬
ten sie sich für die Schikanen rächen , die
Se . Eminenz unter der vorigen Regie¬
rung gegen gute Bücher und Bücherleser

mit Hw * in d » That abscheulichen Stren¬


ge , selbst gegen die angesehensten Män¬
ner , ausübte , » « eingedenk , daß einst ganz
andere Zetten kommen könnten.

S t z (7X.
Zo»

xe.
Janseniste ».

Sinter die Narren in isten , die von


Zeit zu Zeit in der kristlich-n Welt erschle,
nen , und dieselbe durch ihren Schwärm^
geist beunruhigten , gehören auch die Jan-
senisten.
Der Unfug , welchen sie zu Anfang
dieses Jahrhunderts in Frankreich trieben,
ist bekannt. Sie bissen sich auf Leben und
Tod mit andern Narren , genannt Noli-
nisien oder Jesuiten , herum : mit dem
Unterschied , daß sie wirlich aus ernstem
wilde » Fanatismus kämpften , die Moli,
nisten aber aus feinen schelmischen Abfich»
ten die Narrenbatallje mitmachten . ES
war der ächte Abderitische Prozeß um den
Eselsschatten , denn er betraf fünf Zeilen
«us einem alten Folianten , die kein Mensch
verstand.
c>^ W - -o SOZ
Indessen brachte diese theologische
Armseligkeit die ganze , damals aufge¬
klärteste Nazion in Gährung. Könige,
Päbste , Prinzen , Erzbischöfe nnd Parla¬
mente, mischten sich darein. Es blizte Bul¬
len , Lettres de Cachrt, und Exkommuni-
kazionen. Man verfolgte , unterdräkte,
und exilirte einander wechselweise . Die
Jansenlsten griffen zu dem verzweifelten
Mittel , Mirakel zu wirken, und trieben
es auf St . Medards Kirchhofe so lange,
bis der König unserm lieben Herrn Gott
verborh , ferner Wunder, zu thun * ) -
Das grimmige Frazensplel dauerte über
hundert Jahre , und ward nur durch die erwa¬
chende Philosophie unserer Zeit in sein ver¬
dientes Nichts versenkt. Seit dem glaub¬
te man , der Geist dieser Sekte wäre in
der Utrechter Kirch konzentrirt.

Jl 4 Wie

- ) Oe x »r Is koi dekeale ä vieu,


die ksire piu , IVIirrcle en ee lieu.
5° 4
Wie sehr erstaunte ich / da ich über,
zeugt ward , daß noch in den heutigen Ta¬
gen die Jamenisten in Wien eine ziem¬
lich ansehnliche und eifrig wirkende Par¬
tei ausmachen . Diese Düsterlinge , wel,
che beständig von der Verfassung der ersten
Kristen , von der göttlichen Gewalt der
Bischöfe , von der Macht der Kirche , von
strenger Sittenzucht , von Nazionalkonzi-
lien träumen , taugen nicht alle für un¬
sere Zeiten.
Glüklicher Weise ist jezt die Zeit nicht
mehr , worin eine freudenlose mürrische
Religionssekte ihr Glük machen kann , und
kn Wien am wenigsten ; sonst wär es wohl
rathsam , über dir Jansrnisten genauer
zu wachen , die sich jezt zwar ganz sachte
und bescheiden betragen , aber sobald sie
das Uibcrgewicht erhielten , uns alle zu
ängstlichen finstern Kopfhängern und Mu-
kern machen würden.

Das
Si-S

Das einzige Galt , was fie gegen¬


wärtig wirken, ist , daß sie unermüdet
, und tapfer gegen ihre ehemaligen Tod¬
feinde, die noch immer planvollen und ak¬
tiven Exjesuiten arbeiten.
Übrigens ist die Geschichte dieser Sek¬
te eine derbe kekzkon für die Fürsten , wie
gefährlich es für die Ruhe der Staaten
fey, wenn sie sich in theologische Fakzio-
nen und Streitigkeiten mischen . Das be¬
ste ist, sie mit Verachtung ansehn, und
dem lauten Spott der Schriftsteller über¬
lassen.

xci.
KamMeriungfern.
Von den rigorösen Jansenisten zu den
koketten Kammrriungfern ists «in mächti¬
ger Schritt. Diese beiden Dinge find
Extremitäten in der Gesellschaft , weil es
eigends mit zu den auszeichnenden Din¬
gen der Jansenisten gehört, strenge Myso-
Ji 5 SY-
Zo6
gynen zu spielen . Indessen kenne ich doch
manch « Kammerjungfer , die vielleicht in
einer Stunde unter vier Augen die Frucht,
von vielen Bänden des Arnauld oder Ni¬
cole zernichten würde.
Der Orden der Kammerjungfern ist in
Wien von Wichtigkeit . Die Geheimnisse
der ganzen schönen Welt gehn durch ihre
Hände ; und wer die Welt nur ein bis¬
chen kennt , der weiß , welche unglaubliche
Dinge durch die Schöne Welt gewirkt wer¬
den . „ Die stehenden Heere haben
, , vielleicht unsere europäische Regierungen
, , nicht mehr umgeschaffen , als die von der
„ Anna von Bretagne zuerst eingeführten'
, , Friier eie reine " sagt Hr Schlözer : und
ich seze hinzu : die killes 6s reine thun
wenig merkbare Einwirkungen , wobei nicht
die Miller 6e ckambre den Knoten schüre
zen , oder austösen helfen , nicht um da-
Geheimniß wissen , nicht hinter der Kulisse
«itspielen.

De»
5°7
Den Dialog mancher Dame mit ihrer
Kammerjungfer Morgens an vertraulichen
Puztischen mit anhören können, wäre für
den Philosophen oft ein «interessanter Leker-
bissen, «ine Sache von Wichtigkeit, die
ihm Aufschlüsse über die größten Auftritte
des Tage^ geben würde. . . . In der Re¬
gel ist die Kammerjungfer stets die Ver¬
traute ihrer Dame , besonders wenn diese
noch jung ist. Indessen giebt es auch
welch«, die von ihren Frauen gleichgültig
behandelt , auch wohl recht teuflisch von
ihnen geplagt werden , besonders wenn sich
etwa Eifersucht einmengt. In diesem
Falle trennt man sich bald.
Die Wienerischen Kammerjungfern le¬
ben bequem. Die Intimitäten ihrer Da¬
men besorgen , und den Puz etwas in
Ordnung bringen helfen, dteß ist ihre gan¬
ze Beschäftigung. Alle übrige Zeit bleibt
ihnen , mit ihren Liebhabern zu tändeln,
und auf den Schmuk ihres Geistes und
Körpers zu wenden, Auch gibt es einige
unter
unter ihnen , die Geschmak , Wtj , Gra-
zie , Lektüre , Sentiments , sogar Philos » «
phie besizen , die ihren Wieland und Blum-
auer aus dem Kopfe hersagen , und Vol¬
taire , Petrarca und Pope in der Grund¬

sprache lesen . . . . Uiberhaupt ^ aben sie


gewöhnlich mehr Artigkeit und Mten Ton,
als die meisten jungen Fräulein ; weil ihre
freiere Lebensart ihnen erlaubt , mehr
Menschen und Verhältnisse kennen zu ler¬
nen , und sich mehr abzuschleifen.
So lange sie noch sehr jung und schön
find , ist es «in äufferst kostbares , theureS
Möbel um sie , weil gewöhnlich reiche Ka¬
valiers in der Nähe stehen , welche die
Reize des muthwilltgen Kindes in Pacht
genommen haben , oft auch nur der Zofe
wegen in die Gesellschaft der gebietenden
Frau kommen . Wenn sie aber gegen die
-reissig Hinansteigen , dann werden sie ge¬
selliger und umgänglicher . Da sie manch¬
mal mit hohen Häusern sn heimlicher naher
Verwandtschaft stehen , so sorgt »man schon
dafür
ZQ9
da^für , daß sie noch vor ihrem Herbst in
den Armen eines Stallmeisters , Kammer¬
dieners , Haushofmeisters , Güterverwal-
ters , Forstmeisters , Mundloches , oder
Kanzleimannes , der manchmal ebenfalls
mit . dem hohen Hause verwandt ist , ein
Los finden . Sollten es Umstände rathen,
sie früher unter die Haube zu bringen , so,
findet sich auf den herrschaflichen Gütern ,
immer eine ähnliche Gelegenheit.

xcn.
Stubenmädchen.
Wie sich in den Lrosscn Häusern die
Dame von der Kammerjungfer bedienen
läßt , so läßt sich diese wieder von den
Stubenmädchen bedienen . Bel den Weis
bern von minderer Bedeutung sind die
Stubenmädchen das , was die Kammerjuug-
fern in den Palästen vorstelle« .

Die
ZIO

Die Legion der Stubenmädchen ist


zahlreich : ich glaube , daß sie wenigst auS
viertausend Köpfen besteht. Es sind jun¬
ge , hübsche , runde , muntere Dinger,
voll Koketterie , Mnthwtllcn , Nekerei und
Buhlerei . Sie Hüpfen durch das Leben
hindurch , ohne selbst recht jü wissen , wie
ihnen dabei geschieht , oder wozu sie ei¬
gentlich da sind. Kaffe und Schokolade
zu machen , ein Hemd zu wärmen , einen
Tisch zu wixen , das Bet zu machen , «in
Halstuchzu glätten : dieß sind die Künste
der Wienerschen Stubenmädchen . Sie
halten sich in ihrem Anzug sehr reinlich,
wissen ihn mit Geschmak zu wählen , und
bleiben meist bei der schon unter ihnen
eingeführten Tracht , welche die böhmische
Haube , und bas knappe Korsettchrn vor¬
züglich niedlich machen. Da die ganze
vornehme weibliche Welt sich in die ab¬
scheulichen Buffanten stürzte , und mit et.
ner steifen lächerlichen Breite pralle , hat¬
ten die Stubenmädchen allein Mutterwtz
genug,
5"
genug, ihre hübschen Figürchen nicht durch
jenes abenthcuerliche Gereife gleich Pak-
eftln auf beiden Seiten ju verunstalten.
Sie verstanden ihren Vortheil bester, und
fütterten ihre Hintern *) gut aus . . . . '
Ihre Jahrsbesoldungen sind zwischen »Z
und 40 Gulden; diese reichen geradehin,
ihre Schuhe und ihren Haarpuder zu be¬
zahlen. Nichts drstoweniger gehen sie
Sonntags ganz in Seide gekleidet, mit
goldnen Ohrgehängen und grossen silbernen
Schnallen in die Kirche, in den Prater
und in die Komödie. — Rathet , Ws
sie ihre Kapitalien liegen haben! —

vn-

*) Man spricht täglich ohne Anstand von


Oulr äe ksris , kaur Lul Lc. Warum
sollte man das Dm- mcht auch deutsch
nennen dürfen«
ZiL
Unter der im Punkt « des sechsten Ge¬
botes so strengen Regierung der Kaiseirn,
waren die Stubenmädchen «in Artikel von

grösserer Wichtigkeit . Es find , wir man


iveiß , lauter honette Mädchen , und woh¬
nen in lauter honetten Häusern : wenn

also junge Herren zur Frau von , zur


Wittwe von rc. in die Gesellschaft girn»

gen , so konnte doch die Polizei nicht so


neugierig feyn , und nachschlcichen , um zu
sehn , ob der junge Herr nicht etwa auS

Jrrthum an die Thüre des Stubenmädchens


gekommen sey ; da man hingegen beimins
der honetten Mädchen in keinem Zimmer

und zu keiner Stunde sicher war . —»


Seitdem aber die Negierung aus sehr wei¬

sen Gründen heimlichen Freuden nicht so

strenge mehr nachspürt , ist der Werth der


Stubenmädchen um vieles gefallen , und,

wenige Ausnamcn abgerechnet , sind sie jezt


wieder in dem Zirkel , wohin sie gehören:

Sie machen die Mätressen der Jäger , Läu¬

fer , Lakaien , Leibhusaren , und besonders


de»
o-^W -^c» zig
der Kaufmannsdiener in den Seiden - und

Galanterieläden . Da sie die Puzmate»


rialien für ihre Frauen von dort ju holen
haben , so fällt manche Elle Zeuch , Band,
Spizcn rc. nebenhin . Dafür lärf der La-
denjunkrr Sonntags kommen , das gut¬
willige Ding im Fiaker auf das Land
führen , und ihr —wie or§ > !k die Schuh¬
schnalle fest machen.
Hr . Rautenstrauch hat im I.
einen garstigen Prozeß gegen die Stuben¬
mädchen angefangen ; aber die Dingerchen
fanden ihre Advokaten . Das ganze ga¬
lante Wien nahm an d)er Fehde Theil-

Man schrieb zwanzig Broschüren für die


guten Mädchen fund wen diese papicrnen
Beweise von ihrer guten SachL -mscht über¬
zeugen konnten , den hätten sie nöthlge»
Falls gewis sn eigner Person von ihren
Vorzügen überwiesen . Merkwürdig

ist , daß gerade zur nämlichen Zeit , wo


man in Wien für die Stubenmädchen die

Federn stumpf schrieb , eben dieß in Berlin


K k für
§ !4
für ein altes Gesangbuch geschah. —
Was mag wohl , beim Lichte besehen,
weniger närrisch seyn, sich für ein paar
taufend junge artige Mädchen, oder für
eine Sammlung alter sinnloser Kirchen¬
lieder interessiren!

XOIII.

R e d u t e.
Sie ist die Hauptbelustigung der Fast-
nachtszeit , für das bessere Publikum.
In einem Flügel der kaiserlichen Burg
find zwei ungeheure Säle , dem Comus
und Bachus geweiht. Sie *stehn vom 7ten
Januar bis zum lichten Aschermittwoch
offen; anfangs alle Wochen Einmal , spä¬
ter hin jede Woche zweimal, und die lez-
trn drei Fastuachtstage alle. Man steigt
an einem eisernen Gatter ab , gehet durch
eine Reihe von fünfzig schnurbärtigen Gre¬
nadiers , die mit ihren rauhen Bärnmä«
. NN
07^ 82^ - 0 5i5

zen und Bajonettengeklirre das scheue


Mädchen heben machen , welches zum er¬
stenmal mit hochklopfenden Herzen am
Arm ihres Geliebten die berühmte Redutt
besucht . Wenn man durch diese Halle
des MavorS gedrungen , und einige Stu¬
fen hinangestiegen ist , öffnet sich plözltch
der grosse Zaubersal . Viele tausend Wachs¬
kerzen auf grossen wiederstheinenden kri-
stallnen Lustern und piramtdenförmtgea
Leuchtgestellen symmetrisch gerethet , blen¬
den das Aug , und Pauken - und Trom-

petteDchall , mit den sanfteren Tönen voa


hundert musikalischen Werkzeugen vermengt»
rühren das entzükte Ohr , und heben un¬
willkürlich den jugendlichen Fuß zum fröh¬
lichen Tanz . Die Lustbarkeit dauert
von zehn Uhr AbendS , bis um sechs Uhr
des kommenden Morgens.
Bei der ersten Einrichtung der Redute
wurde sie häufiger besucht . Seit einigen
Jahren thun ihr die Bälle und PikentkS

in den Privakhäufern merklichen Abbruch.


Kk » E«
6i6 O !77^ LS ^ -0

Es glebt gewisse zimperliche Halbdameti,


deren Eitelkeit mehr geschmeichelt ist, wenn
sie auf ihrem langwelligen Hausball«
als vermeintliche Ball - Königinen gebieten
können , als wenn sie auf dem grossen
Sammelplaz der Freude , ohne Bewun¬
derer und Anbeter erscheinen sollen.
Dem ungeachtet ist die Redute noch immer
glänzend genrzg , besonders in den leztrrn
Wochen . Wenn nur tausend Personen da
sind , ist es zu einsam . Anderthalbtau¬
send Köpfe machen eine bequeme Redute,

in diesem Fall ist eben noch RaunHßenug


zum tanzen . Zweitausend verstellen den
Tänzern schon den nöthigcn Plaz . In
den lezten Tagen , wenn sich die Freuden»
jäger bis gegen dreitausend «infinden,
dann ist man in , der Presse . Vergebens
schneidet das Orchester seine Menuets und
deutsche Tänze herunter : man kann nicht
drei förmliche Schritte machen ; alles
drängt einander zum «rsttkrn ; es ist ein«
un-
Sl7
, die nur eine
»nbehifliche Menschenfluth
langsame wellenförmige Bewegung hat.
Ehedem hielt man viel auf sehr aus-
zeichnende , zum Theil sehr kostbare Mas¬
ken, die oft eine grosse Gesellschaft zusam¬
men auf die Redute brachte . Dieser Ge-
fchmak ist gänzlich gefallen: man achtet
einen solchen kurzen Spaß nicht mehr der
vielen Unkosten werth. Die meisten jezt
erscheinenden Masken find Domino und
Venezianer - Mäntel. Frauenzimmer gehn
häufig in ihrer gewöhnlichen Puzkleidung«
Niemand, der nicht aus besonder » Ursa¬
chen unerkannt seyn will, trägt die Maske
vorm Gefichte . Manche gehn in ihren
ganz gewöhnlichen Kleidern, und fielen
bloß eine karre auf den Hut , um dem
Gesez, maskirt zu erscheinen , wenigst im
weitesten Verstand genug zu thun.
Die Redute ist zum Vortheil der Ar¬
men angelegt: der Utberfchuß von den nö,
thigen Ausgaben fließt in die Kaffe der
Dürftigkeit. Dieß ist der beßte Zoll, den
Kk A man
v!--W ^ s
man der Armuth entrichten kann : es
kst billig , daß d er Hilflose von unfern
Vergnügungen Unterstützung schöpfe ; auch
wendet kein Mensch gegen diese Taz :e das
mindeste ein . . . . Man bezahlt für den
Eintritt jeder Person zwei Gnlde « . Er¬
frischungen und Tafel find in Nebenzim¬
mern für bestimmte Preise zu haben.
Mürrische Kasuisten ! die ihr in euren
diken Quartanten mit vieler Spizfindigkeik
untersucht ; in Quantum , line periculc»
xeccati mortslis , liceat oüenäere ubera?
Kommt ihr Schulfüchse auf die Redute,
seht um euch her , und dann macht euren
Syllogismus!
Von den heimlichen Minen , offenba¬
ren Stürmen , falschen Angriffen , feinen
Wendungen , plözlichen Schwenkungen rc.
rc. kurz von all den Stratagemen , welche
der grosse Eroberer Amor auf den Redu-
tensälen ausübt , sage ich nichts . Nicht-
von den Siegen , die hier über Blödig-
kUt , Eigensinn , Sprödigkeit , Grille ,
Tu-
5ng «nd , Koketterie , Wachsamkeit , Män¬

ner - Troj , Unempfindlichkeit rc. davonge*

tragen werden . Ich könnte den Argwöh¬

nischen , den Strengen , den Eifersüchti¬

gen , den Kargen , den Schläfrigen , den

Zutrauenden rc. manches verrathen ; aber,

noch einmal , ich sage nichts : man muß

verschwiegen seyn . » » Wird die Liebe nicht

ohnehin von der Gesezgebung , derHerrche-

lei , dem Wohlstand , dem Eigennuj , der

Politik rc. genugsam gehemmt und ge-

nekt .'

xciv.

LustmädchkN.

Es find nicht fünfzehn Weiber und

Mädchen kn Wien , denen ihre Liebhaber

Kutschen und Pferde halten ; und unter

diesen fahren nicht fünf als bekannte Mä¬

tressen grosser Herren herum : eine Zahl,

Kk 4 die
§-c>
die im Verhältniß mit andern grvfftn
Städten wahrlich geringe ist.
Grösser ist die Zahl derjenigen, wel¬
che auf einem ganz artigen Fuß von rei¬
chen Liebhabern unterhalten werden; aber
nieistentheils in ihren Häusern versperrt
fizen, nie öffentlich mit ihren Liebhabern
erscheinen, und denselben jährlich zwetbiS
dreitausend Gulden kosten.
Noch grösser ist die Zahl derjenigen
die von minder reichen Leuten unterhalten
werden, zu zwei bis dreien bei einer gut¬
herzigen Matrone beisammen wohnen,
jährlich fünf bis sechshundert Gulden von
IhrenLiebhahern ziehen,und diesen, hei plözli-
cher günstiger Gelegenheit einige Dukaten
zu erhaschen, von Zeit zu Zeit auf eine
Viertelstunde untreu werden.
Alle dies« unterhaltenen Mädchen gehn
von Hand zu Hand, Es wird nach ei¬
niger Zeit entweder der Liebhaber ihrer
s<M; hder es bietet sich ein andrer an,
her
V-^ LS^ o ZLI

der jährlich einige Dukaten mehr versprich^


und so , wie billig , vorgezogrn wird.
In die vierte Klasse gehören diejeni¬
gen , welche zwar von Niemand unter¬
halten werden , aber doch nicht jedem zu
Gebothe stehn , sondern nur gewisse be¬
kannte gute Frennde haben , von denen
ße tvrchselweise besucht werden , :
Nach diesen folgt die Schaar derjeni¬
gen , die ganz leidlich , zum Theil auch
niedlich , gekleidet , in der Mittags - und
Abendstunde auf de» volkreichsten Strassen
der Stadt herum streichen , und jeden,
der seinem äussern Ansehn nach einen Gul¬
den in Sak zu haben scheint , gutwillig
mit sich nach Hause nehmen.
Die Iejten , unter diese Rubrike ge¬
hörigen Geschöpfe sind jene brutalen Dir«
nen . die in den Saufhäusern der Vorstädte
sich mit Bierkannen berauschen , und dann
mit Soldaten , Fiakerknechten , groben
Handwerkspurschen rc . in wildem Taumel
fliegen.
KkZ " Irre
52S

„ Irre ich , frägt der Verfasser


der Schwachheiten der Wiener —
„ wenn ich behaupte , daß Wien zehn-
„ tausend weibliche Geschöpfe hat , die
„ jedermann für jeden Preis zu Dienste
„ stehn , und viertausend andere minder
„ ausschweifende , di « von Hand in Hand
„ gehen ? . . . Freilich irrt er : seine
Rechnung ist um ein merkliches übertrie¬
ben . Ich glaube der Wahrheit näher zu
kommen , wenn ich sage , daß Wien un¬
gefähr Zweitausend öffentliche Strass . n-
dirnen , und etwa fünfhundert unter¬
haltene Mädchen hat . . » . Ich würde
jene Angabe nicht berührt haben , wenn
fie nicht Hr . Nicolai , troz ihrer auffallen¬
den llnwahrscheinlichkeit , getreulich in sei¬
ne Reisebeschreibung eingetragen hätte,
vermuthlich bloß , weil sie so gelegen
kam. den Wiener » eine Schlappe mehr
anzuhängen.
Soll ich es wiederhohlen , daß die
Wienerschen Lustmädchen , im Vergleich
mit
mit den Parisischen und Berlinischen , züch¬
tig find ? Wenn man den Reisenden glau¬
ben darf , ist dieß wirklich so . In Wien
wird euch ein solches Mädchen nie verfol¬
gen , nie in den Weg treten , nie beim Rok
an fich ziehn . Sie blikt euch verständlich
genug an , oder sagt höchstens im Vorbei¬
gehn leise : Kommen Eie mit ? . . . Da¬
gegen beklagen fich die Dilettanten aber
auch , daß die hi esigen Mädchen zu wenig
in ihrem Metje raffiniren , daß sie nicht
bequem eingerichtet sind , daß sie ihre Ge¬
sellschaft sehr wenig zu unterhalten wissen.
— Wie wäre es auch anders möglich!
Unter der vorigen Regierung wurde mit
äußerster Strenge gegen diese armen Ge¬
schöpfe verfahren , und seit der jezigen ist
die Zeit noch zu kurz , um diesen Zweig
des Luxus schon in einiger Vollkommenheit
hergestellt zu sehen.
Ehemals wäthete man , wenigst dem
Dorgrben nach , aus religiösen und mo¬
ralischen Gründen gegen den unehelichen
Ge-
KS4
Genuß der Liebe . Die Moralität der Sa¬
che überläßt man zwar heute dem Ge,
wissen des Sünders ; aber man hat sie
dagegen zu einem politischen Problem ge¬
macht . Immer hört man noch die Fra¬
gen : Kann der Staat öffentliche Mädchen
dulden ? Wie hoch kann er ihre Zahl a» -
wachsen lassen ? Bis auf welchen Grad
kann er die Publizität ihres Gewerbes dul¬
den ? Soll er sie ihrem eignen Schiksal
Überlassen , oder soll er eine Art von Auf¬
sicht darüber führen ? . . . daß er sie nicht
gänzlich vertilgen oder aufreiben könne,
scheint er wohl endlich dnrch sein Beneh¬
men zu bestättigen . Das <vb ? ist also
so gut als entschieden ; nun kömmt es noch
auf das wie 2 an.
Indessen dünkt mich , man lege dieser
Sach - mehr Ernst und Wichtigkeit bet,
als sie verdient . Wenn der ganze Staat
mit öffentlichen Priesterinnen der Liebe an¬
gefüllt wäre , dann müßte er freilich auf
kräftige Gegenmittel denken . Allein , wi«
aus?
S-s
nusgebreitet ist denn das Reich der Lust¬
mädchen ? Es ist die Hauptstadt , und
etwa noch «in paar der grösser » Provinz¬
städte : da habt ihr den ganzen Wirkungs¬
kreis des Unwesens . Wie nun die Haupt¬
stadt ln der ganzen Form ihrer Verwal¬
tung gewöhnlich eine grosse Ausnahm«
von der Verwaltung des Staats macht,
so wird sie es wohl auch in diesem Artikel
machen müssen.
Ss abgeschmakt und beleidigend für
bas Publikum es ist , wenn rin Mann,
der jährlich 6ocx >c> Gulden verzehrt , dem
Monarchen eine Rechnung vorptnselt , wo¬
rinn er klar zeigt , wie jeder Beamter von
hundert Gulden Besoldung ganz beqaent
mit Weib und Kindern leben könne , er,
der auf jede Schindmähre , die an seinem
Wagen zieht", jährlich mehr verwendet;
der gar keinen Begriff haben Muß , was
hundert GuldeN für eine ganze Familie
tn unfern Zetten sind : eben so abgeschmakt
ist es , wenn ein Mann , der eine
s-hr
5- 6
sehr einträgliche Stelle , ein schönes
Weib, und etwa nebenher etwas noch
Schöneres bat, nachdem er niedlich getä¬
felt , und eine Stunde mit seiner schönen
Frau Kabinetsruhe gehalten hat ; wenn
er dann hingcht, und ganz trocken pre¬
digt: Man muß der Liederlichkeit Ein¬
halt thun, um dadurch die Leute zum
heurarhen zu zwingen.
Was sind es für Leute, die nicht heu-
rathen wollen, die dev Lustmädchen nach¬
laufen? Sie sind nicht aus der Klaffe
der Bürger, der Handwerker , des ge¬
ringen arbeitsamen Volkes: nein, es sind
junge Kavaliers, reiche Wollüstlinge, Leute
vom Mittelstände, junge Beamte, Künst¬
ler rc. die bei geringen Einkünften doch
in ihrem Aeufferm für die grosse Welt prä-
scntabel erscheinen müssen.
Wer solche Leute durch Derjagung der
Lustmädchen zum heirathen zwingen zu kön¬
nen glaubt , der muß die Menschen wenig
kennen . Was werben die Folgen des
Zwan-
S-7
Zwanges seyn? Entweder die abscheulichsten
Laster, oder man wird sich an ehrliche^Weiber
uudMädchcn mache«, und sie zu seinen Absich¬
ten zu lenken suchen. . . . Man hat von je¬
her die Lustmädchcn als moralische Strahle
ableiter für die Sicherheit der tugendhaf¬
ten Weiber gehalten. Was die gewissen
abscheulichen Laster betrift : diese find
dem Staat sichtbar noch unendlich schäd¬
licher als die uneheliche Liebe; sie schwä¬
chen ihre Anhänger noch mehr, rund brin¬
gen gar nichts hervor , da die Mädchen¬
freunde doch jährlich immer zwei Dritthei-
le von Schwangeren in bas Gebährhau-
ltefern.
Endlich, wer kennt die Tyrannei der
Weiber, ihre Herrschsucht, ihren Stolz,
ihren Troz nicht! Da uns ein unglüklicheS
physisches Dedürfniß von ihnen abhängig
macht, so wissen sie sich ihrer Macht ge¬
wöhnlich nur zu wirksam zu bedienen-
Wlll man einen ehrlichen Mann zur Der-
tweiflung, zu Unthaten; will man einen
Wei-
Weisenzu Albernheiten , zu Narrenstttl-
chen verleiten i so gebe man ihn nur einet
schönen Spröden Preis » : Wie der arm«
Teufel Monate und Jahre . lang zu de»
Füsscu - drr schelmischen Kokette seufzen
wird ; wie er Zeit und Vermögen ver¬
schwendet / ihren Genuß zk erringen ; wie
er darüber zirm Mährchen der Stadt wird,
wie er Freundschaften ', Pflichten , Verbind
düngen vergißt und ' aufopfert ! — In
svlchen verzweifelten Fällen . ist kaum ein
anderes Gegenmittel , als ihm eia Freu¬
denmädchen in die Hände zu spielen : dieg
kühlt sein Blut ab , und giebt ihm seine
Vernunft wieder , daß er lachend seine Un¬
erbittliche verläßt»
Die Weiber wissen , wie sehr die Lust¬
mädchen ihrer Herrschsucht im Wege ste¬
he , darum sind sie ihre unerbittliche Fein¬
dinnen , und haben stets an den Verfol¬
gungen derselben den größten Thell ge¬
habt.
5^9
' xcv.

rustseuche.

Vom Kapitel der kustmäbchen ist de»


tUbergang auf das Kapitel der Lustscuche
sehr natürlich.
Herr Zensier hat sich die Mühe ge^
nommen , uns tie traurige Geschichte die¬
ses Uibels — eines der mörderlichsten in
dieser beßten aller möglichen Welten —
mit grosser Genauigkeit zu beschreiben *)
Hr . Hensler ist nicht von der Meynung
derjenigen , welche glauben , daß diese
Krankheit erst durch die Entdekung von
Amerika aus den westindischen Inseln nach
unserm Europa sey verpflanzt worden:
er behauptet , daß diese Seuche schon von
j -her
»

*) Geschichte der Lustseuche, von Henrlev.


rl
o- ^ -o

jeher in Europa .einheimisch gewesen fest


wenn sie auch andere Namen trug, und
durch etwas veränderte Symptomen aus¬
brach . Seine Gründe sind nicht ohne
Nachdruk; aber seitdem ich dif Amerika¬
nischen Briefe des Grafen Larli gele¬
sen habe, bin ich auf der Seite derjeni¬
gen, welche diese schmerzliche und Men¬
schen-zerstörende Krankheit für ein Ameri¬
kanisches Produkt halten. Carli führt eine
Stelle aus den Briefen des vespuz *) an,
worinn sich folgende merkwürdige Nach¬
richt von den lüsternen Amerikanischen Wei¬
bern befindet: „ tlonne cianno a:
„ bere uomrur il / u§o ci'llua ce^t'-
„ erba, e / e uon §wva , acco-
„ Fano ziarte certr aurmo/r vc/eno/r,
„ c^e /a mo^ciono, Fncke F "
Hält man diese Stelle gegen eine Stelle
d§r

*) Vir», « teuere «ii ^ merir« Vekpu cci.


53»
bet grossen französischen Eucyklopädie, wo
der Ursprung dieser Krankheit ebenfalls
vom Biß giftigcr. Thiere als nicht unwahr¬
scheinlich angegeben wird ; hält man sie
mit der herrschenden Meynung von ihrem
amerikanischen Ursprung zusammen, wei¬
che sich
' auf die Beobachtung gründete,
daß mau sie erst nach der Entdekung von
Amerika in Europa zuverlässig als existi-
rrnd beobachtete; hält man sie mit dem
Umstand zusammen, daß die kustseuche in
den Morgenländern und bei allen jenen
Völkern unbekannt ist , die nichts mit
den Amerikanern zu thun haben , oder sie
von den westlichen Europäern mitzetheilt
bekamenr so bleibt die ältere sehr allge¬
meine Vermuthung höchst wahrscheinlich,
das wir dieses leidige Gift aus den west*
indischen Inseln geholt haben- v
Am Ende , was liegt auch daran,
woher ein Uibel sey- Wenn es damit
geheilt wäre , daß wir seine Quelle wü߬
ten : so hätten wir ja Lcibnitzens Theodi-
Ll » cee,
6Z»
cee , Villaumr ' s und Hallers Dichtungen
vom Ursprung des Uibels . Aber leider l
genug , daß es da ist, und durch keine Me¬
taphysik gelindert wird ! Die grossen Städte
sind sein wahrer Thron . Müßiggang,
würzhafte Speisen , feurige Getränke , Ko¬
ketterie , studierter Puz , häufige Schön¬
heiten , Weichlichkeit , Bequemlichkeit , Reich¬
thum auf einer Seite , und Dürftigkeit
auf der andern : alles dieß macht daselbst
denkiebesgenuß zum dringendern Bedürfnis
Len Wechsel in diesem Genuß zur Würze
desselben , und die giftige Anstekung zur
Folge des häufigen Wechsels.
Dle Vorsicht versetzte das Fieber nach
Europa , und das Heilmittel desselben —
die Quinqukna — nach Amerika ; sie erschuff
die Lustseuche ln Amerika , und ließ das Heil¬
mittel derselben — den Merkur in Euro¬
pa erfinden!
Wien ist so wenig von diesem Uibel frei,
als irgend eine andere grosse Stadt in
Europa ; doch scheint es hier weniger all-
ge-
SZZ
gemein verbreitet zu seyn , olS es , nach
Aussage der Re senden , in einigen andern
Hauptstädten herrscht. Es ist eine böse
Schlange , die ihren nagenden Zahn allent¬
halben ansezt . Weder eine Leibgarde,
noch ein Portier sind im Stande , sie
von den glänzendsten Palästen abzutret-
bcn : Franz de r I . und Heinrich der III.
in Frankreich mußten ihre Viße fühlen.
Man sagt , daß selbst der frömmste Bruder
Pförtner sie nicht immer von den geheilig¬
ten Klöstern ausschliessen kann. Sie be¬
nagt alle Stände ; hält sich aber vorzüg¬
lich an die grosse und schöne Welt ; macht
manche fett « Pfründe , manches Ordens¬
band , manche Eskadron vakant ; macht,
daß der Fiskus wieder zu Gütern kömmt,
die Jahrhunderte lang das Erbtheil vor¬
nehmer Familien waren.
Die gutwilligen Mädchen , diese Mar - ^
tyrinncn des Bedürfnisses , der Laune und
Flatterhaftigkeit , sind die unausbleiblichen
Opfer dieser Krankheit . Cs sind von Zeit
L l z zn
S34
zu Zeit näk- tliche Hausvisttazlonen . Die
gesunden Mädchen entläßt man, , die kran¬
ken muffen in das Spital wandern , Sie
tragen also das Uibel ein Halbduzendmal
dahin , werden immer tslirer yualiter ge¬
heilt , und erliegen endUch darunter.
Für die räsonnirende Welt ist diese
Krankheit das wirksamste Gcboth gegen
die Unkeuschhcit , E -n unerbittlicher Chi¬
rurg mit Jncisionsmessern , Scharpie und
Höllenstein im Perspektiv , verhindert mehr
Sünden , als wenn Moses selbst mit sei¬
nen zwei steinernen Tafeln käme.
Herr Preval soll vor einigen Jahren
ein Präservativ gegen das Gift der Liebe
erfunden haben . Dicß wäre eine Preis¬
aufgabe für einen Fürsten , dem bas Ve-
völkcrungssystem am Herzen siegt.
Ein gewisser Doktor der Rechte Bauer
in Wien both vor einiger Zeit ein Universal
Heilmittel gegen das Uibel an , wofern
Deutschland im voraus so viel Geld zusam¬
men schicssen würde , als er nöthig hätte^
feinv
535 -
feine Stabt im Traum ju bauen . Das
Publikum lachte ihn aber als einen uni¬
versal Träumer aus , und holt einsweilen
das Heilmittel gegen die Luflseuche aus
den Gruben von Hibria.

XEVI.

Soll man Bördele (Freudenhäuser)


anlegen?

Vor einigen Monaten fiel , es mit Ein¬


mal mehrern Brvschüristen in den Kopf,
über die Anlegung von Freudenhäusern zu
schreiben . Alle riethen zur Einführung
derselben . Um eben diese Zeit kam dieser
Gegenstand in ernstliche Uiberlegung bei der
Regierung selbst . Man holte von der
Polizei und von der medizinischen Fakultät
Gutachten und Vorschläge darüber «in.
Seitdem ist nichts weiter in der Sache
geschehen ; auch find die Stimmen jener
Stellen , und der Entschluß der Regierung
nicht bekannt geworden.
Ll 4 Ich
S3S o—

Ich meines Thcils glaube , daß man


förmliche öffentliche Bördele ( Freudenhäu-
ser ) nicht einführen soll . Man höre mei¬
ne Gründe.

«ko lange die Freudenmädchen zerstreut


leben , und von der Polizei nur tolerirt
werden , ist für die öff . ntliche Sittlichkeit
immer noch ein Schritt mehr gewonnen.
Der neue unerfahrne Jüngling scheut sich
stets noch etwas mehr , solche Geschöpfe
zu besuchen , weil der abschrekende Gedan¬
ke nicht ganz von ihm weicht , er könnte
vielleicht überfallen werden , Verdruß ha¬
ben , oder beschimpft werden . Wird aber
durch öffentlich errichtete Häuser die Sa¬

che authorrflrt , so fällt dieser Grund


ganz weg.

D . r wichtigste Grund zur Errichtung


solcher H user , ist die Verhütung derAn-
stekung . Ji ! Wenn der Himmel bloß die
Lj,.stmädchen mit der heillosen Krankheit
geschlagen hätte , dann möchte es ange-

hcn . Aber wo wollt ihr mit den galan¬


ten
S37
ten Weibern hohen und gemeinen Ranges,
wo mit so vielen honettscheinenden Mäd¬
chen hin ? Es ist leider nur zu wahr , daß
die Zahl der Vergifteten von diesen beiden
Klaffen eben nicht unansehnlich ist. Die
Liebhaber werden es also von Zeit zu Zeit
bei jenen galanten Geschöpfen , welche von
aussen mit Zucht und Keuschheit prangen,
holen , und zu den kustmädchrn ver¬
pflanzen.
Endlich würde durch diese Anstalt die
gesellschaftliche Freiheit unvermeidlich neu¬
erdings einen gewaltigen Stoß leiden.
Um jenen Häusern hinlängliche Kunden zu
verschaffen ; um zu verhüten , daß durch
Galanterien ausser jenen Häusern die
Krankheit nicht immer noch eben so sehr
verbreitet würde , wie gegenwärtig , wür¬
de man mit äufferster unerbittlicher Stren¬
ge gegen alle unauthorisitte Häuser und
Personen wüthen ; ein Umstand , der die
gehäßigsten Spionereien , Denunziazionen,
Zkeuschheitskommiffion n , Haus - und Bett-
Ll 5 Durch-
538
Durchsuchungen nach sich ziehen müßte:
Prozeduren , welche für die ganze Masse
des Publikums ein grösseres Uibel sind,
als die venerische Krankheit für einige Aus-
schweiflinge ist.
Ein minder gehäßiger *, und vielleicht
doch eben so wirksamer Ausweg wäre,
wen « die Polizei die Freudenmädchen an¬
hielte , sich alle acht oder zehn Tage bei Ge¬
wissen dazu bestellten Chirurgen visikiren
zu lassen . Die Kranken würden behalten,
und ins Heilungshaus geschikt . Den ge¬
sunden würde ein gestempeltes Gesundheits-
Attestat , immer vom Tage der letzten Vi-
sitazion datirt , gegeben , welches sich jeder
bei ihnen Eintretende könnte allemal vor¬
weisen lassen.
Laßt uns aufrichtig sprechen . Wie
«inseitig sind solche Anstalten ! Glaubt man
denn wirklich etwas so gar Grosses gcthan
zu haben , wenn man ein paartauscnd Pfla¬
stertretern , in der Hauptstadt jährlich eine
Queksilber - Kur erspart z indessen unsre un-
gr-
SZ9

geheuren stehenden Armeen dieses Gift


weit und breit über das ganze platte Land
verthcilen . . . Laßt immerhin die Stuzer
der Residenz ein bischen zukcn und zap¬
peln ; aber für die ganze Nazional Masse,
für das Landvolk sorget , um cs gesund

zu erhalten.

xcvn.

Chirurgische Akademie.

Der Kaiser Joseph , welcher so viele


Stiftungen und Institute aufgehoben hak,
errichtet dafür auch wieder einige ganz
neue , deren Zwck unfern Zeiten mehr an¬

gemessen ist , als jener von manchen der


älteren . Unter diese neuen in Wien er¬

richteten Institute , gehört vorzüglich auch


dlc Medizinisch - Chirurgische Militär-
Akademie , von ihrem Stifter die Josefi¬
nische genannt.
54«
Für einen Staat , bei dem das Sol¬
datensystem das herrschende ist; der über- «
grosse stehende Armeen hält , bleibt die
Wundarzneikundeimmer eine der Wissen¬
schaften, welche die sorgfältigste Pflege er¬
forderen. Die Uiberzeugung von diesem
Satz scheint den Kaiser bewogrn ju ha¬
ben, diese Akademie anzulegen: wie er
denn überhaupt diejenigen Wissenschafts¬
zweige vorzüglich unterstüzt, die mit der
Kriegskunst in einiger Verwandtschaft
stehen.
Das prächtige Gebäude dieser Akade¬
mie liegt in der Wahringergaffe. Die Aka¬
demie ist «in ganz für sich allein bestehen¬
des Institut , das weder von der Univer-
fität , noch von der medizinischen Fakul¬
tät qbhängt. Es hat seine eignen Pro¬
fessoren, seinen eignen botanischen Garten,
seine eigne Bibliothek, seine Kabinette von
Instrumenten , Präparaten aus Wachs,
die theils inFlorenz theils von Hr. Professor
Hunczowsky verfertiget worden. Sie giebr
Preis - ^
54»

Preisfragen auf, und krönt die beßten


Beantwortungen derselben mit Denk-
Münzen . Sie nimmt auswärtige Gelehrte
als Ehrenmitglieder auf , und wird ehe¬
stens anfangen , ihre gelehrten Arbeiten
herauszugeben . Ihr Zwek ist , die Ar¬
meen des Kaisers mit geschikken Wund¬
ärzten zu versehen.
Die Schüler dieser Akademie sind un¬
gefähr rAc ; sie gehn alle in Uniform,
hellblau mit schwarzem Kragen und Auf¬
schlägen , dazu rothe Westen , und Hosen,
Stiefel , und den Militarhut . Zweihun¬
dert wohnen im Gebäude der Akademie,
und speisen gemeinschaftlich an grossen Ti¬
schen , für 8 Kreuzer das Mittagmahs.
Ihre Lebensart ist nach militärischer Sub¬
ordination . Der Lehrkurs dauert 2 Jahre.
Um sie sogleich praktisch zu üben , ist mit
der Akademie das Militär - Spital verbun¬
den . Dort besuchen sie die Kranken , machen
Operazionen , verordnen , thuu überhaupt
unter der Aufsicht ihrer Lehrer alles , was
sie
A4» o-ü^W^ -o

sie einst allein als Feldchirurgen thuN


werden.
Das Präsidium und dieDirekjion über
das Ganze führt Hr . Johann Alexander
von Brambklla > der den Plan und die
Statuten dieses Institutes entworfen hat.

. xcvm.

Die Nunziatuk.

Auf dem Hof steht ein ansehnliches


Gebäude , an dessen Fronte drei Wappen-
fchilde hangen . Dicß ist der Pallast des
päpstlichen Nunzius.
Die Bestimmung der päpstlichen Nun-
jien ist bekannt . Sie giengen in alle Lan¬
de , um den Römischen Primat und die
Römische Allhcrrschaft aufrecht zu erhal¬
ten ; sie vertraten die Person des Papstes,
ertheilten Dispensazionen , Konfirmazio-
nen rc . und strichen die darauf gesezten
Taxen ein : so viel öffentlich , und mit je-
o-^58^ o S4Z

btrmans Notiz . Unter^der Hand theilten


sie die nöthigen JNstrukzionen und Befehle
aus , an die tdnsürirten und ^ eschornen
Leibeigenen cher Kuria , wie groß iwd klein,
>vie Fürsten und Pöbel hübsch in der
Blindheit , in der Anhänglichkeit an Nom,
in Aberglauben und Andächtelei , in der
Freigebigkeit gegen das Priesterthum zu
erhalte » sey. Sie halfen allenthalben
eifrig zur Unterdrükung der Denk - und
Preßfreiheit , und zur Verfolgung der auf¬
geklärten Schriftsteller . . . . Der berüch¬
tigte Widerruf des guten Fcbronius wur¬
de ursprünglich vom hiesigen Nunzius bei
der Anwesenheit des Kurfürsten von Trier
eingcfädelt , aufgesezt , nach Rom geschikt,
und von dort dem Hr . Hontheim aufge¬
drungen.
Achnliche Berufsgeschöfte treiben be¬
kanntlich die Nunzien in Polen , Portu¬
gal , Spanien rc. noch heut zu Tage.
In dem widerspenstigen Deutschland,
hat es seit kurzem wegen der Nunziaturm
leb-
S44
lebhafte Händel gefezt, deren AuSgang
Noch bis jezt etwas zweifelhaft ist.
Der Kaiser hat den hiesigen Nunzius
für einen -simpel» politischen Botschafter,
gleich den Bokhschaftern andrer Höfe, er»
klärt , der die weltlichen Geschäfte'feines
Souveräns besorgen, sich aber mit geist¬
lichen Dingen nicht mehr befassen soll.
Ec nahm diese Erklärung an , aber —
unbegreiflich! noch immer übt er öffentlich
«inen Akkus aus , wovon bei keinem Publi¬
zisten im Kapitel von Herr Gesandtschafts-
Rechten ein Wörtchen steht. Der Herr
Nunzius , theilt , so oft er im feyerlichen
Aufzuge nach Hofe fährt , auf offner
Straffe Benedikzion aus , wie ich sie denn
selbst am letzten Neüjahrstag mit devote¬
ster Herzenszerknirschnng von ihm empfan¬
gen habe. ^ . . Dteß ist ungefähr das
nemliche, als ob der Rußische oder Schwe¬
dische Abgesandte den Glaubensgenossen
ihrer Religion eine öffentliche Straffen^
pre^
545

predigt hielten : wie gesagt, ein ganz


neuer Zuwachs zum Gesandtschaftsrechte.
Die neuesten Auftritte, welche der Nun¬
zius Pacca gegen den Kurfürsten von
Köln gespielt hat, sind bekannt; und daß
der Herr Nunzius Zondadari in Brüssel,
eben kein sehr eifriger Boche des Frie¬
dens und der evangelischen Demuth war,
hat die Nothwendigkeit bewiesen, in die
sich der Kaiser versczt sah, jenen Herrn
vor den Augen der ganzen Welt in Zeit
von drei Tagen aus den Niederlanden
gehen zu heissen
. -
Ob Deutschland die päpstlichen Nun-
ziaturen ganz entbehren möge, wird viel¬
leicht bald entschieden werden.

XOIX.

Schneider.
Kleider machen Leute: und Schneider
machen Kleider; also folgt von selbst
M m daraus,
546
daraus , daß die Herren von der Nadel
Männer von der ersten Wichtigkeit im
Staate scyn.
Zwar trete ich nicht eben mit jener
tiefen Ehrfurcht und Hochachtung in mei¬
nes Schneiders Werksiätte, wie weiland
Freund Rabcner , spaßhaften Andenkens,
es von seiner Person versichert; indessen
fühle ich, daß es nicht eitel Lustigma¬
cherei sey , was er von der Wichtigkeit
der Kleider sagt. Zederman , der sich
eine Weile in der Welt herumgetrirben
hat , wird mir beistimmenr wird erfahren
haben, wie oft das Kleid zum Maßstabe
des Verdienstes genommen wird ; wie oft
ein schimmernder Anzug einen leeren Kopf
hob; wie oft ein faserichter Rok die
Brauchbarkeit eines Mannes verdunkel¬
te . . . . In den Hauptstädten, wo LuxuS
und Kleiderpracht so allgemein ausgebrei¬
tet sind, wo sie einen so wesentlichen
Lheil der guten Lebensart ausmachen,
kann
547
kann Man wenigstens mit halbem Ernste
fugen , daß Kleider Leute machen.
Herr de Luca behauptet , in Wien
sehen über dreitausend Meister Schneider.
Ich glaube , Hr » de Luca habe fich etwas
überzählt ; denn da Wien samt seinen
Vorstädten etwas über sechstausend Häu-
zer hat , so müßte nach seiner Liste in je¬
dem zweiten Hause Ein und ein Zwölf»
rheil Schneidermeister wohnen ; daß die¬
ses aber nicht so scy , steht jedcrman auf
den ersten Anblik . <— Meister , Gesellen,
und Lehrpursche zusammen genommen,
mögen einen Huufen von zc >oc > Schnei¬
derköpfen ausmachen»
Einige dieser Nadrlhetren verfertigen
bloß Mannskleider , andere bloß Weibs¬
kleider , noch andere den Hungarischen
Anzug»
Einige Schneider in Wien haben eine
sdnderbare Sitte eingeführt , von der mir
nicht bekannt ist , daß fie in irgend einer
«ndern Stadt gänge sey . Sie lassen
Mm » vr-
S48 o^-w - v
von allen Gattungen der
ordentliche Tariff
Kleider druken, die sie um einen so ge¬
Preis liefern, wie an andern Or¬
siezten
ten der Schlächter das Fleisch
, oder der
Wirth den Wein verkauft . Solche Ta¬
riff- Schneider sind Dero, Rarl , Rral-
lischek rc.
Der Seltenheit der Sache wegen ge¬
be ich einen kleinen Auszug aus einem sol¬
chen Tariff . Wenn er schon gegenwärtig
den Wienern gleichgültig ist, so isi er doch
dem Auslande etwas Neues; und viel¬
leicht ist er nach fünfzig Jahren auch für
die Wiener ein Stük, das zu einem in¬
teressanten Vergleich über den Werth der
Dinge in verschiednen Zeitpunkten dienen
kann.
N.
Ein ganzes tüchernes Mannskleid
von 8 Fl. Tuch mit Croisee ge¬
füttert, und mit gleich über¬
zogenen Knöpfen . . . . 42

Von
549
Fl.
Don 6 Fl. Tuch oder^ breiten2 Fl. ^
^cr Kr., Halbtuch . . . zz d
Don ^ breiten 4 Fl- Tuch . - « rg
Don L Ellen breitenz Fl. Halbtuch 2Z
- Rvk und Bernkleider, oder Rok
- und Veste.
Don F Fl. Tuch mit Crvisee gefüttert z»
Don 6 Fl. Tuch oder^ breiten2 Fl.
zo Kr. Halbtuch . . . , 26
Don 4 breiten 4 Fl. Tuch . . . 2A
Don r Ellen breitenz,Fl. Halbtuch 17
Rapotröke.
Don 6 Fl. Tuch mit Croifee gefüttert 28
Don 8 Fl. Tuch Wollblau . . . z6
Von 4 Fl. Tuch . 24
Veste und Beinkleider.
Von schweren Seidenzeugen zuz Fl.
zo Kr. die Ellen . . . . rF
Don mittelschweren. . . , . iz
Don gewirkten dreifädigen Säken . 8
Von Sommermanchester. . . . IZ
Don mittelschweren . . . io
Mnr z Som-
SS»
Fl.
Sommerkleider.
MGlatteF Mannskleid von feinen Ka-
' mclot ty't Lasset gefüttert . . Z8
Don feinen Haruwin zu » Fl . . . Lg
Don Dreydrath zu » 8 Groschen . r6
Don halbfeidnem Kamelot . . . sA
Don glattem Berkan , mit Kanne»
vasfutter . . lz
Livreien.

Eine ganze Ljvrei von L .Fl . zo Kr.


Luch » . » » ,,,« 20
Don r Fl . zo Kr . Tuch > . . IZ
Wer selbst Tuch und Futter liefert , der
bezahlt für das übrige 6 Fl . Sehr grosse
und dike Personen bezahlen etwas mehr. .
So liefert Hr. Adam Larl auf dem Haar-
markt seine Schneider - Arbeiten.
S5i

e.

Kaffeehäuser.

Der Polak Roleschrtzky, welcher als


Dollmrtscher der Ocstreichisch
-Hrientalischen
Handelskompagnie in der Türkei gedient,
HNd die Türkische Sprache und den Kaffee
gleich gut hatte kennen gelernt , diente
den bedrängten Wienern , während der
Belagerung 168z , mit sehr gutem Er-
fplg als Spion und Briefträger . Nach¬
dem die Türken verjagt waren , trug ihm
der Kaiser für seine Treue , nach dama¬
liger Gewohnheit , die Freiheit au , sich
eine Gnade auszubitten.' Koltschitzky
bath sich zur Gnade die Exlaubniß aus,
ein öffentliches Kaffeehaus, errrichten zu
dürfen. So entstand das erste öffentliche
Kaffeehaus von ganz Europa in Wien,
im I . i68z , obschon der erste Kaffee im
I . 1644 aus der Levante nach Marseille
Mm 4 ge-

5S-
gekommen war , und in Privathäufern
getrunken wurde.
Die Nachfolger in diesem Koltschitz-
kyschen Gewerbe haben sich gegenwärtig
in Wien und dessen Vorstädten ungefähr
bis auf siebenzig vermehrt , und scheinen
sich noch nicht auf diese Zahl beschränken
zu wollen.
Die Kaffeehäuser sind , wie man w « ß,
gegenwärtig eines der unentbehrlichsten
Bedürfnisse jeder grossen Stadt . Wie
würden so manche Müstiggänger ihre Stun¬
den alle aufrciben ; wie würde sich mancher
kleinbrmitteltrr unverheiratheter Mensch
in der E le sein Frühstük verschaffen;
wie würde mancher Abentheurer sein Kost¬
geld erwerben ; wie würde mancher arme
Schluker im Winter umsonst sich wärmen
können , wenn es keine Kaffeehäuser gäbe ?
^ Die Bestimmung dieser Häuser hat
sich seit ihrer ersten Entstehung , unend¬
lich weiter ausgedehnt . Man trinkt nicht
hloß Kaffee darin ; man nimmt Thec,
Scho-
553

Schokolade » Punsch , Limonade , Mann-


delmilch , Braursuppe ^) , Rosogsto , Ge-
frvrnes rc. — lauter Dinge , die man
vor rin paar Jahrhunderten in Deutschland
noch nicht dem Namen nach kannte , —
Man studiert , man spielt , man plau¬
dert , schläft , negozirt , kannegießert , scha¬
chert , wirbt , entwirft Intrigen , Köin-
plotte , Lustpartien ; liest Zeitungen und
Journale rc. rc. rc. in den heutigen Kaf¬
feehäusern ; in einigen fängt man auch
an Äobak zu rauchen.
In Wien sind die bekanntesten datz
Kafstehaus des Milano , des Taroni , Kra¬
mer , Dukati , das aufdem Neuen Markt,
jcneS neben der Hauptmaut , und Hugel-
manns seines an der Leopldstädter Brrlke»
Sie sind schön eingerichtet , halten gute
Bedienung , und werden zahlreich besucht.
Das gewöhnlichste Spiel in diesen Häu-
Mm Z . fern

.Aisuäesu.
SZ4
fern ist das Billard , deren
immer zwet
bis drei vorhanden sind , und wovon je¬
des , wenn es fleißig benuzt wird , deS
Tags zwölf Gulden einbringen kann.
Das Kaffeetrinken , welches sich seit
Bekanntwerdung dieser Bohne in Europa
über , alle Stände verbreitet hat , wurde
vor kurzem in verschiedenen Gegenden von
Deutschland zu einer Art von politischen
Gravamen gemacht . Ein paar Fürsten
versuchten es , den Kaffee zu verbannen;
man hört aber nicht , daß es damit recht
Ernst werden wolle . Selbst dem vorigen
König von Preuffen , dem die Erinne¬
rung an fein jugendliches Biersuppen-
Frühstük wenigstens sehr spät -kam , war,
wie es scheint , mehr um das Monopol als
um die Vertilgung der verschrieenen Bohne
zu thun , und sein weiser Neffe hob die¬
sen zweideutigen Zwang wohlberathen
gänzlich wieder auf.
Auch in Wien ist der Durst nach Kaf¬
fee bis unter die Taglöhner und Markt-
wel-
555

wetber gekommen . Darum stehn in allen


Vorstädten bis gegen Mittag hölzern«
Ständchen , wo man für die Liebhaber
aus dem Pöbel die Schale samt einem
Kipfel für i Kreuzer ausschenkt . .Allein
, ge¬
dieß ist nicht wahrer Kaffee, sondern
röstete Gerste, mir etwas Syrup versüßtz
und jenes geringe Volk trinkt dieses De-
kokt, weil es sich für i Kreuzer kein an¬
deres so wohlfchmekendes und Magen- er¬
wärmendes Frühstük verschaffen kann.
Eine solche Kaffeehätte bringt, wenn sie
gut besucht wird, des Tags ZA Kreuzer
reinen Gewinnst ein.

ci.

Zeitungen.
Man streitet sich noch über den er¬
sten Erfinder der Zeitungen. Wer. er
auch seyn mag, ich schäze ihn so sehr als
den Erfinder irgend eines Dinges auf
der
SZ6
der Welt . . . . Welche Leere , welche
langweilige Stokung würde in unsrer Ge¬
sellschaft herrschen , wenn die Zeitungen
unsre Neugierde , unsre Plaudersucht
nicht täglich mit neuem Stof versähen!
Es ist eine unläugbare Wahrheit , daß
die Zeitungen vieles zur Verfeinerung-
zur Bildung eines Volks
beitragen . Ein
Mensch , der sich bloß auf sich selbst, oder
höchstens auf einen kleinen Zirkel ihn um¬
gebender Geschöpfe einschränkt , und sich
nichts um die ganze übrige Welt beküm¬
mert , wird immer ein mürrischer , stumpfer
unbehilflicher , kurzsichtiger Bürger blei¬
ben . Da hingegcld der andere , welcher
an dem Thun und Treiben , an dem Wohl
und Wehe , an den Narrenstreichen und
Edelthaten aller seiner Mitmenschen Theil
nimmt , seinen Verstand übt , seine Klug¬
heit schärft , sein Herz fühlbar , und sei¬
nen Umgang geselliger macht. Durch di«
Zeitungen wird jeder wichtiger Zufall,
jeder grosse Unglüksstreich , jede neue Er-
fin-
o-ü-W^ o 557
sindung, jeder gute oder bedenkliche Auf¬
tritt mit einer Schnelligkeit über alle Na¬
tionen verbreitet, von der die alte Welt
keinen Begriff hatte. Diese Flugblättchen
sind ein gleich grosses Bedürfniß und
Vorzug unsrer Zeiten: sie herrschen in
den Palästen und Buden, in den öffentli¬
chen uyd privat Häusern.
Kein Land von Europa hat wohl so
viele und vielerlei Zeitungen, wie unser
zerstüktes Deutschland . Es ist für alle
Gattungen von Lesern gesorgt. Politi¬
, ökonomi¬
sche, litterarische, militärische
sche, theatralische , geistli¬
, merkantilische
che rc. rc. Zeitungen füllen täglich von
allen Orten und Eken her die Felleisen der
Postillons. Ich glaube, es ist nicht zn
viel gesagt, wenn ich sechszig in Deutsch¬
land erscheinende Zeitungen annehme.
Wien hat seine politische Zeitung, mit
der eine Art von Intelligenzblatt verbun¬
den ist, die alle Wochen zweimal erscheint,
und I » Fl. kostet . Sie ist zwar keine
Hof-
553
Hofzeitung , unterliegt aber doch einer
strengen Zensur. Der Inhaber bezahlt
für das Privilegium derselben jährlich ge-
gen 9022 Fl.
Neben dieser erscheinen noch ein
paar Zcitungsähnliche politische Blättchen,
eine ökonomische Zeitung , eine Kirchen-
zeitung , eine Oa ^ettö äe Vienne , eine
Oa ^etta äi Vienna , Lxlieineriäea
Vinsobonentes ( eine lateinische Zeitung ) ,
eine ungarische Zeitung , eine <7vmxila -"
tion comxlette . . . . . Ein literarisches,
periodisches Blatt hat Wien nicht.
Von andern Zeitungen werden am
meisten gelesen die Brunner , Erlanger,
Hamburger , frankfurter , Augsburger,
Regensburger , die französische von Köln,
Leiden , <7ourrler <lu Vas Vliin ; die wäl-
sche von Floren ; , das ^-onäon Olironicle»
das politische Journal . . . . die allgemei¬
ne kitteraturzeitung.
Seit zwei Jahren drukt man hier
auswärtige Zeitungen nach. Ein gewisser
Fran-
S54
Franzos kam zuerst auf diesen ehrsamen
Einfall, errang sich ein Privilegium aus
den Nachdruk der damals eben sehr unbe¬
scheidenen keidner Zeitung, und lebt seit¬
dem regelmäßig auf Kosten des H. Stefan
Luzac . — Da es ohne Zweifel sehr be¬
quem ist, und weiter nichts als ein bis¬
chen harte Haut fodert, um auf Kosten
eines fremden Zeitungsschreibers zu le¬
ben: so fand der tndustriöse Franzmann
siraks Nachahmer . Man fiel über ver-
schiedne Zeitungen her; aber das Publi¬
kum griff nicht so gierig zu, als jene be¬
quemen Herren es wünschten; und ausser
der Leidncr, wovon das Original strenge
verbothen, und dem Erlanger, wird jezt
keine weiter nachgcdrukt.
Besser und verzeihlicher ist der Ein¬
fall , aus den beliebtesten Zeitungen vrr-
schiedner Sprachen, deutsche Auszüge zu
machen. Solcher Auszüge werden gegen¬
wärtig dreierlei gedrukt.

Vor
A6a o»7^52^ c»

Vor einigen Monaten fiengen einigt


zweideutige Köpfe an, eine Schwarze Zei¬
tung drnken zu lassen. Cie erscheint wö¬
chentlich zweimal. An der Fronte steht
der Tod , sie enthält Unglüksfälle , und
- Biographien von lauter Selbstmördern.
Ihre Absicht kann nicht gut seyn. Bio¬
graphien von Selbstmördern sind allenfalls
für den Psychologen und philosophischen
Menschenforscher ; aber sie in einem regel¬
mäßig erscheinenden wohlfeilen Wochenblatt
dem Volk unaufhörlich vorerzählen , dieß
heißt , dasselbe mit der Idee des Selbst¬
mordes vertraut machen , es endlich dar-
an gewöhnen , daß es wohl gar Gefallen
und Ruhm dayn suche. Denn diese Mord-
gefchichten sind in der Volkssprache vor-
getragrn , und die Selbstmörder heissen
alle derühmre Leure . Auch ist bas Ding
so eingericht-t , baß man die Mordge-
schichtcn nicht als eine veraltete Zeitung
wegwerfe , sondern daß man sie besonders
kann
Z6r
kann zusammen binden lassen ,ein und
ordentliches Hauslesebuch daraus machen.
And diese nichtswürdige Zeitung wird
vom gemeinen Volk stark gelesen . —
Wäre ihre Schuld auch nur diese , daß
sie das geringe Publikum wieder an den
abscheulichen Geschmak für . Mordgeschich¬
ten gewöhnt , so verdiente sie schon ver¬
dammt zu werden.

eil.

Geschriebene Zeitungen.

Die Neugierde und Lästersucht , wehr


che nicht mit Neuigkeiten zufrieden sind,
die man , ohne den Wohlstand zu verle-
zen , durch den Oruk bekannt machen
kann , haben die geschriebenen Zeitungen
erfunden , welche heut zu Tage in je¬
der Hauptstadt , ja sogar schon in mit-
telmässigen Provinzstädten im Umlauft
sind.
AH»

Wien hat zwei geschriebene Zeitungen/


eine Deutsche und eine Französische . Di«
Deutsche ist troken, ohne Styl / sogar
ohne Orthographie geschrieben . Die Fran¬
zösische ist etwas erträglicher: ihr Verfasser
der Exjesuit F. assektirt sogar ein wiziger
Kopf zu seyn ^ er erzählt nicht so plump
und erbärmlich wie der Deutsche; nein,
er spricht für die grosse Welt / räsonirt
wohl gar manchmal seinen eignen Senf
dazu. So lange er ' den politischen Kan-
negiesser macht , ist die Sache lustig.
Aber er macht auch den jesuitischen Beichtva¬
ter : schimpft auf neue Bücher, sucht den
Verfassern derselbenGthässlgkeiten anzuhän-
gen; schreit gegen Freiheit zu denken und
etnreiffenden Deismus ; legt die Verbre¬
chen einzelner Menschen der Schriftstelle¬
rei und der Lektüre zur Last rc. und die
andächtigen Weiber hohen Ranges lernen
diese Predigten auswendig , kramen sie
bet jeder Gelegenheit aus / und geben
auf diese Art unwissend die Apostel des
Mei»
0 - 7M -- 70 S6A

Meister F . und der Stupidität ab. Diese


Zeitungen gehen von Hand in Hand,
jirkuliren wöchentlich zweimal , und jede
derselben kostet jährlich 6 Dukaten . Die
wenigsten Leute wissen ihre Verfasser.
Der Inhalt dieser Blätter ist die Ge¬
schichte des Tages und die Aergerkronik
der Ptadt . Sie enthalten die wichtig¬
sten Dinge dicht neben den unbedeutend¬
sten : die Verordnungen des Monarchen
und der Modegöttin ; die Beschäftigungen
der Minister , und der Stuzer ; die Ur-
theile der Justiz , und des Puztisches.
Kurz , alle Vorfälle am Hofe , in der Stadt,
bet der Arme ; Sterbfälle , Heirathen,
Liebschaften von bekannten Personen , und
was man je fär einen Lekerbiffen der Neu¬
gierde und Lästersucht hält.
Im ganzen genommen , enthalten diese
Zeitungen ein Drittheil Wahrheit , und
zwei Drittheile Unsinn und Lägen ; denn
ihre Quellen sind über die meisten Sachen
bloß Stadtgerichte , Hörensagen rc. und
Nn L dann
564 v- -W - c>
dann manchmal ein wahrer Artikel, den
sie von einer Kanzlei erhaschen.
Indessen werden sie von bestellten
Leuten in alle östreichischc Provinzen, und
von den Residenten, Agenten re. an
die auswärtigen Höfe verschikt ; und die
Zeitungsschreiber in Hamburg, Frank¬
furt , Köln, Erlangen, Bayreuth, Augs¬
burg rc. schreiben sie mit Lust und Freu¬
de ab. Daher kommt so viel unsinniges,
abgeschmaktes , lächerliches Zeug, das man
allenthalben von und über Wien liest.
Wir lachen hier oft ins Fäustchen , wenn
ein Spaßvogel einen recht affentheuerli-
chcn Schnak erdichtet , ihn auf die Kaf¬
feehäuser trägt , und durch seine Gehil¬
fen zum Stadtgespräch machen läßt. Wir
prophezeihens einander, daß er troz des
darin liegenden Unsinnes doch in acht
Tagen durch ganz Deutschland erzählt
wird: und so tsts. Erst nimmt ihn die
geschriebnc Zeitung auf, und am zweiten
Posttag macht er schon gedrukt den Weg
wie-
56Z
wieder von aussen herein , den er sechs
Tage zuvor geschriebner hinaus machte.
-Man könnte in Wien eine eigne Zei¬
tung anlegen , um nur die Lügen aller aus¬
wärtigen über diesen Plaz zu berichtigen.
Es würde ihr nie an Stof fehlen.

M.

Mädchen-- Pensionat.

Die Barbarei der vorigen Jahrhunderte,


wo man ein Stäk schlechtes Latein , und
Theologie für den Gipfel alles menschli¬
chen Wissens hielt ; wo die öffentlichen
Schulen blvs in der Absicht da zu seyn
schienen , um Pfaffen zu bilden : diese Bar¬
barei hatte unter ihren übrigen schlimmen
Wirkungen auch die unselige Folge , daß
man die Erziehung der schönen Hälfte
des Menschengeschlechts beinahe ganz und
gar vernachläßigte . Mädchen konnten ja
keine Geistliche werden , wozu sollte man
Nn z ihnen
Z66
hnen also einigen Unterricht geben , d«
selbst die Erziehung der Knaben lediglich
darauf angelegt war , das Heer der Al¬
tardiener stets mit hinlänglichen Rekruten
zu versehen . Daß einer polizirten
Nazion daran gelegen seyn müsse , aus
den oufkeimenden Mädchen vernünftige
Gesellschafterinen , gute Hanswirtbinen,
unterrichtete Mütter , nüzliche Gaktinen
herzustellen , daran dachte Niemand.
Selbst nachdem die öffentliche Erzie¬
hung der Knaben schon auf einen bessern
Fuß gesezt war , vergaß man noch immer
der Mädchen . ES schien , als ob man
mit jenen Kirchenlichtern einstimmig däch¬
te , die auf einem Konzilium die erbauli¬
che Frage aufwarfen : Ob die Weiber auch
Seelen haben , und wahre Menschen sehn '-
Erst in den neuesten Zeiten wurde die
Wichtigkeit der weiblichen Erziehung hie
und da einem Mann von Ansehen ein¬
leuchtend ; und dadurch entstinben an ei¬
nigen zerstreuten Plözrn Deutschlands
MLd-
66 /
Mädchenschulen . In Oestrelch sieht man
gegenwärtig Mädchenschulen als ein wah¬
res Staatsbedürfniß ein , das der Na-
zion wesentliche Dortheile bringen wird.
Um also seine Länder mit hinlänglichen
Mädchenschule »! zu versehen . und dieselben
mit tauglichen Lehrerinen zu besezen, legte
der Kaiser in diesem Jahre ein Mad-
chenpensionat an , welches für die weib¬
liche Welt das nämliche ist , was ein
Schulmeister - Seminarium für die mänli-
liche : eine öffentliche Staats - Anstalt,
Lehrerinen zu bilden.
. Dieses Institut besteht gegenwärtig aus
24 Mädchen , von 7 bis 14 Jahren . ES
ist ganz ein Schöpfungswerk des Kaisers.
Sie bleiben acht Jahre im Pensionat , und
sind dann bestimmt als Lehrerinen in öf¬
fentliche Mädchen - Schulen einzutreten.
Während ihres Lehrkurses erhalten sie
Unterricht in der Religion , im Schön -und
Rechtschreiben , im Rechnen , Zeichnen-
Rn 4
Z68 O—

in der Naturlehre , Naturgeschichte , Erd¬


beschreibung , Geschichte , im schriftlichen
Aufsaz , in deutscher und französischer
Sprache , und in den gewöhnlichen weib¬
lichen Arbeiten.
Für die Religion ist «in Geistlicher,
für die übrigen Gegenstände sind weltli¬
che Lehrer , für die französische Sprache
und weiblichen Arbeiten Madame Lüzac
und ihre Gehülfin Madame Linde.
Nach einiger Zeit werden allemal neue
Zöglinge angenommen , welche von den
ältern , die den Lehrkurs schon vollendet
haben , unter der Leitung der Lehrer un¬
terrichtet werden . So haben diese Gele¬
genheit , sich schon im Institute selbst in ih¬
rem Berufe praktisch vorzuäben.
Das Institut ist in einem Flügel des
Ursuliner Klosters angelegt , hat aber
mit dem Kloster nicht den mindesten Zu¬
sammenhang . Die Mädchen sind niedlich,
aber ganz einfach gekleidet . Der Mo¬
narch hat ihnen zur Erhohlung einen
Gar-
Garten in der Vorstadt gegeben und dort
Spiele zu nüzlicher Leibesbewegung anle-
gen lassen. . . . Die Aufsicht im Hause
besorgt Madam Lüzac.
Die Aufnahme in das Pensionat hängt
von der Wahl Sr . Majestät ab , Höchst-
ivelche das Institut mit wahrer kaiserli¬
cher Freigebigkeit unterhält . Es ist alles
darin mit Reinlichkeit und Bequemlichkeit .
eingerichtet. Am ersten Sonntage jedes
Monats steht der Eintritt dazu jcderman
offen, der sich mit der Einrichtung davon
bekannt machen will-

OIV.

Der Prater.
Der Name dieses Lustwalbes kommt
vermuthlkch von dem spanischen Uraclo,
aus dem der Wienerische Pöbel seinen
Prater machte, und durch seine Stimmen-
Mehrheit bewirkte , daß ihm auch die
Nn 5 grosse
57s
grosse und die gelehrte Welt in dieser Be¬
nennung folgt.
Dieser Lustwald , der von Hirschen,
Fasanen und Wildschweinen bewohnt ist,
dient bekanntlich den Wienern zu ihrem
allbeliebten Belusiigungsplaz . Man kömmt
durch die mit einer Kastanienallee besezte
Dorstadt Jägerzeil auf einen grossen,
freien Halbzirkel : von diesem führen fünf
Alleen in den Freudenhain . In dem
Mittlern Raum finden sich eine Menge
Wirthshäuser , Sommerhäuser , Tische,
Kegelbahnen , Karussel , und andere zur
keibesbewegung dienende Spiele.
„Mas ist heute Nachmittag zu ma-
„ chen ? " fragt der Handwerksmann
Sonntags nach der Kirche seine Hälfte:
Wir gehn
halt in den Prater , versezk
diese , und der ganze Haufe seiner Kin¬
der stimmt aus vollem Halse mit «in. —
Diese bei der ganzen bürgerlichen Klas¬
se gleichgestimmte Neigung für den Pra¬
ter , füllt ihn an Feiertagen mit einer un-
ge-
57l

geheuren Menge Menschen, und stellt von


allen Seiten einen auffallend malerischen
Anblik dar. . . . In den Hauptallcen das
Rollen einiger hundert ab - und zufahren-
der Kutschen; unter den Bäumen Tische,
mit Geflügel mch Weinflaschen bedckt,
dazwischen Spiele , Musiken, das Jubeln
der Kinder , das Gesäuse von Scherz
und Lachen der Volksmenge; allenthalben
buntes Gewühl einiger tausend Menschen,
die theils im Schatten herrrmwandeln,
theils am Zechttsch schmausen, theils sich
ins Grüne gelagert haben , theils in grös¬
ser« Entfernungen , Arm in Arm ge¬
schlungen» durch die Gebüsche schweben,
und der Freundschaft oder Liebe opfern. .
Dieß ist das Bild des Praters an festli¬
chen Tagen. An gewöhnlichen Wochen¬
tagen ist er natürlicher Weise weniger be¬
völkert, aber man trifft doch immer, früh
und spät einige Gesellschaft an.

Ts
87-
Es ist ein Jrrthum , wenn Hr . Rei¬
nhard in seinem Reisebuch * ) sagt , der
Prater und -Augarten seyn an Sonn - und
Feiertagen Morgens gesperrt . Der Ein¬
gang dazu steht immer offen.
Neben der Mittelallee links ist der
Feuerwerksplaz . Das grosse Gerüste zu
diesem Schauspiel bleibt das ganze Jahr
stehn . Herr Stuwer , aus Ingolstadt in
Baiern , ward nach verschiedenen Schik-
salen zum Feuerwerker . Man muß ge¬
stehn , daß er seiner Kunst Ehre macht.
Die Feuerwerkstage sind die schönsten
Tage des Praters . Der Eintritt kostet
20 Kreuzer ; dieß macht , daß bei diesem
Schauspiel der geringe Pöbel wegbleibt,
und dann nur das bessere Publikum er¬
scheint. . . . . Gegen fünf Uhr Abends
fängt der Zug dahin an . Alle Eingänge
find mit Kuirassiers besezt , die mit blan¬
kem

* ) Nciscbuch von Rtichard.


57S
ke« Säbel Ordnung halten. Man macht
erst eine kleine Spazierfahrt im Walde,
oder bestellt sich nach Wienersitte eine
Jausen unter den Bäumen. — Die Däm¬
merung beginnt; «ine Kanone kracht!
dieß ist das erste Signal. Die Entfern¬
ter» Spaziergänger nähern sich; wer bet
Tische sizt, frägt um seine Zeche, und
bereitet sich
, dem Schauplaz nahe zu fom»
men. Eine halbe Stunde verfliegt: ein
neuer Kanouenknall , und eine himmelan¬
steigende Rakete rufen die Zerstreuten zum
Mistelpunkt . Nun strömmt alles herzu. Die
Damen besteigen das dem Gerüste gegen¬
über stehende Amphitheater ; die Kavaliers
stehen ihnen zur Sekte. Der größte Hau¬
fe von Zusehern stellt sich auf den ebenen
Rasen zwischen beiden Gerüsten . Indes¬
sen ist es Nacht geworden . Noch ein
dritter Donnerschlag , und nun fährt eine
Raketenreihe pfeifend in die Luft, und
macht dem Schauspiel den Anfang. Es
dauert gewöhnlich drei Viertel Stunden:
dir
S74 s —M —«

die Erde zittert, der Wald widerhallt vom


betäubenden Donnergcknalle ; es erschei¬
nen Städte , Paläste, Festungen, Gär¬
ten , Tempel, Brunnen rc. alles im ab¬
wechselnden vielfärbigen Feuer, welches die
ganze Gegend herum erleuchtet, baß man
Labei lesen könnten Den Schluß macht
allemal eine schrckliche Kanonade, wie sie
einst von Kollins Höhen herunter gedon¬
nert haben mag. Wenn die Witterung
gut ist , nimmt Hr. Stuwer gewöhnlich
5 bis 6200 Gulden ein.
Am südöstlichenEnde desPraters, dicht an
einem Arm der Donau, liegt das Lusthaus,
ein runder, ganz frel stehender Pavillon,
mit drei von aussen rings herum laufenden
Gallerten, von denen man eine artige
Aussicht genießt. Dieses Lusthaus ist bas
ganze Jahr zum Vergnügen des Publi¬
kums offen. Man wird mit Erfrischun¬
genbedient, und hat von allen Seiten an¬
genehme Spaziergänge herum . Die vom
Anfänge des Praters bis dahin nach der
Schnur
o— 575
Schnur angelegte Allee ist genau dritthalb-
tausend Klafter lang . In den schönen
Sommertagen , vorzüglich aber im Früh¬
ling , ehe der Adel Wiens noch auf seine
Landgüter gewandert ist , wird dieses
Lusthaus sehr häufig besucht : der ganze
Weg dahin ist mit Menschen , Pferden
und Kutschen bedekt. Um den leidigen
Staub zu dämpfen , der sich zu Wien in
alles mengt , hat man im vorigen Jahre an
dieser langen Allee Brunnen angelegt , auS
welchen die zum Gaffenkehren verurtheil-
ten Arrestanten Wasser schöpfen , und da¬
mit den Weg begiessen.
Es ist ein Schauspiel von besonderer
Art , wenn man sich an einem schö¬
nen Sonntag in ein Kaffeehaus an der
Leopoldsbrüke sezt , und von dort aus
der Menschenkinder treiben , jagen und
rennen nach Vergnügen beobachtet . Wenn
es Abend wird , so rükt aus dem Prater
gewöhnlich ein Zug von Kutschen an,
dergleichen man wohl an wenig Orten
ft-
576
sehen wird. Dritthalb Stunden lang
fahren oft über zwölfhundert Wägen ei¬
ner dicht hinter dem andern im sachten
Schritt über die Brüke herein.
Die Schlauköpfe die Jesuiten , wel¬
che sich allenthalben so angenehm und
gut zu nWn wußten, schwazten einem
jener bekannten frommen Kaiser auch den
Prater ah. Man nahm ihnen aber den
Hain in der Folge wieder , der unter
Karl dem VI. und Franz bloß dem Hof
und dem Adel zur Spazierfahrt diente,
von dem jezigen Kaiser aber allem Volke
offen gegeben wird.

cv.
Egoismus.

Es ist eine allgemeine Klage der heu¬


tigen Sittenrichter, daß der Egoismus
sein Reich allentbalbrn und allmächtig
ausbreite.
Der
577
Der Egoist, oder der Telbstler, wie
ich ihn auf Deutsch nennen möchte , ist
allerdings ein gehäßiges Geschöpf . Er be¬
trachtet sich allein als den Mittelpunkt aller
Dinge. Er will die Vortheile der gesit»
teten Menschengesellschaft geniesten , ohne
an den Lasten derselben Antheil zu neh¬
men. Das Leiden seiner Mitgeschöpfe
rührt ihn nicht im geringsten, wenn er
nicht selbst darein verflochten wird; und
die Freuden theilt er nur aus Nothwen-
digkeit mit denselben , weil es nicht mög¬
lich ist, allein gewisse Vergnügungen zu
geniesten. Stünde es in seiner Macht,
er würde alle Annehmlichkeiten auf seinen
Wohnplaz, und auf seine Lebensdauer
zusammendrängen ; denn „ wenn ich nicht
„ mehr bin, so mag die Sündfluth wie-
„ der einbrechen , und die Welt zu Grun-
„ de gehn" sagt er ganz gleichgültig.
Um seinem werthen Ich die mindeste Un¬
bequemlichkeit zu ersparen, würde er der
ganzen Welt Leides thun, und wenn er
O, das
57»
das mindeste Gute wirkt , so geschieht eS
nur , um zehnfache Zinsen davon zu ärn-
den . . . . . Großmuth , Wohlthätigkeit,
Mitleiden , Freigebigkeit , Vergeltung rc.
sind ihm unbekannte Begriffe.
Die Entstehung und Verbreitung die¬
ser Selbstsucht schreibt man gemeiniglich
unsrer Verzärtelung , dem steigenden Lu¬
xus , der Vermehrung unsrer eingebilde¬
ten Bedürfnisse zu. Ohne Zweifel tragen
diese Dinge viel dazu bei. Aber , laßt
uns aufrichtig seyn ; die Denk - und Hand¬
lungsart der heutigen Könige mag wohl
auch das ihrige thun , den Egoismus der
Privatleute zu verstärken. Wo hört man
denn zu unfern Zeiten noch viel von
Großmuth , Belohnung , Freigebigkeit der
Eouveraine ?— Ockonomie , Einschränkung,
Reduzirung , Abschaffen , Ersparniß rc.
Ließ sind gegenwärtig die allbeliebten Tu¬
genden der Höfe , und das blölköpfige oder
bestochene Volk der Zeitungsschreiber , und
Journalisten schreit jede kleinliche Knau¬
serei
879
serei der Erdegöter als Meisterstük hoher
Weisheit und Finanzknnst aus. Ein
Teil des Publikums sieht aber solche Din¬
ge aus andern» Gesichtspunkte
, und wird,
nach hohem Beispiel sich modelnd, zum
Egoisten.

cvj.
Britt ensucht.
So äberseze ich das Wort Angloma-
vie. Diese Sucht ist gegenwärtig bei der
feinen Welt in Wien sehr allherrschend.
Während des Amerikanischen Krieges fa߬
te sie die ersten Wurzeln. Man fieng
damals sehr allgemein an , Englisch zu
lernen , um die Zeitungen zu lesen:
dabei machte man sich mehr mit den
Engländern und ihren Sitten bekannt.
Es waren von jeher immer junge rei¬
sende Britten hier gewesen; unter
der jezigen Regierung vermehrte sich
ihre Zahl, mit dieser auch ihre Kleider-
Oo L kracht,
68o o-^W^ o
kracht, Ihre Thorheiten und ihre Vergnü¬
gungen. Die Sucht , sie nachzuahmen
wuchs und verbreitete sich immer mehr.
Die Wirkungen tiefer Brittensucht
sind Englische Sprache und Lektüre, runde
Hüte, grosse grobe Uiberrvke, dikbauschige
Halsbinden , dunkle Fraks mit hochstehen¬
den Halskragen , Stiefel und Sporn zu al¬
len Zeiten , ein n ichläßiger schwerfälliger
Gang , dike ästige Bengel statt der Spa-
z-erstöke, eine Art von .Rustizität in Stel¬
lung r nd Manieren , Kadogans , Punsch,
Iokeis , Wiski , Wettrennen re»
Bei den Weibern ist es die Lust zu
reiten , Thee, Hüte , Anglarsen, Sprache
und Lektüre, und ein allgemeines Vorur¬
teil für jeden jungen oder alten , hüb¬
schen oder häßlichen Knaben , der zwi¬
schen der Insel Wight und den Orkaden
zu Hause ist.
Was an diesen Dingen Gutes und
Schlimmes, Anständiges und Lächerliches
sey, sieht jeder von sebst.
Daß
O- ^xr- o L8r

Daß wir vie Engländer in der bequemen


Tracht » in den Verbesserungen unsers Ge«
räches nachahmen , ist allerdings vernünftig;
aber wenn sich ein Wienerscher Gauch , der
nie über Gumpoltskirchen hinaus gekom¬
men ist , mit dem Punfchglas in einer
und dem ästigen Bengel in der andern
Hand , einbildet , ein Engländer zu seyn,
er , den der nächste Polizeisoldat bei der
Rokfalte ins Gefängiß schleppt , oder der
Korporal mitten in der Nacht aus dem
Bette fort nach der Kaserne treibt — dann
muß man ihn bemitleiden . . . > Und jene
närrischen Weiber , die weiß nicht wel¬
chen Schwung und welche Lust darin fin¬
den , mit jedem durchziehenden Brittischen
Brausekopf eine Liebschaft auf vier Wo¬
chen anzufangen ; was sollen wir dazu
sagen ? — Nichts.
Ehedem war der Name Enylcknber
in den meisten grossen Städten von Eu¬
ropa beliebt und geehrt . Eine gewisse
Großmuth , Freigebigkeit , und gesezter
Oo z Ka-
ZSr
Karaktcr zeichnete die Reisenden dieser Na-
zion aus . Seitdem aber so viele jung'
thueude Sauseköpfe, Söhne von Stahl^
schmieden, Wollekrämern, Schinkenhänd¬
lern , Bierbräuern , Malzkochern rc. aus
Woodüo?, Leicestcr, Telbury , Alfreton,
Blandford rc. in der Welt herum schwär¬
men , sich für Lordssöhne ausqcben , be¬
trunken zu den vornehmen Tafeln kom¬
men , an den Handwerksburschen und
Ziakerkncchten ihre Box - Kunst ausüben
wollen ; seitdem hat sich die ehemalige
Achtung wenigstens hier in Wien, gewaltig
vermindert. Das bessere Publikum unter¬
sucht jezt erst, ob der Engländer auch ein
vernüftiger gesitteter Mensch scy , ehe cs
seinen Umgang duldet; es überläßt die
Tollheit , alles was aus England kommt,
ohne Wahl und Prüfung mit offnen Ar¬
men aufzufange», den deutschen 6oxcombs
beiderlei Geschlechts.

cvil.
S8Z

cvn.

Prediger - Kritik.

Noch vor zehn Jahren wär es ein beina¬


he sakrilegischer Angriff gewesen, - die
Prediger unter die Geisel der Kritik zu
nehmen, denn „ der Prediger auf der
Kanzel trägt Gottes Wort vor " war die
allgemeine Ausflucht: man dachte gutmü-
thig genug, um nicht bemerken zu wollen,
daß neun Zehntheile der gewöhnlichen
Prediger Gottes Wort höchst unanständig,
oder statt Gottes Wort wohl gar nur un¬
sinniges Mönchenwort vertrugen.
Äber, wie die heutige Welt nun schon
einmal vom Grübelgeist befallen ist, und
nichts mehr unangetastet läßt : so traf
denuWte Reihe auch das Wort Gottes,
oder eigentlich nur den Vortrag dessel¬
ben. Die Predigerkritik entstand . Es
war die Sturmgloke für alle schafköpfigen
O o 4 See-
684

Seelenhirten , die bisher auf heiliger


Stätte in ihrer
hochwürdigen Bequem¬
lichkeit ohne weiterS geschnattert hatten,
wie ihnen der Schnabel gewachsen war.
Der Anfang ward mit einer allgemeinen
Verdammung gemacht : man polterte auf
allen Kanzeln gegen sie ; man nannte sie
Äolksverführer , naseweise Bursche , Um-
stürzer der Religion und Andacht . Die
Regierung unterstüzte aber das heilsame
Werk ; selbst die Bürgcrklasse fieng an,
das Blatt zu lesen ,
die darinn vorge¬
tragenen Wahrheiten zu fühle n,die schlech¬
ten Prediger zu verachten und ihre Kir¬
chen leer zu lassen. Da die Herren Pre¬
diger endlich sahen , daß sie durch Toben,
Schimpfen , Klagen und Vorstellungen,
weder die Regierung noch bas Volk wei¬
ter auf ihre Seite zu ziehn vermochten,
so ergriffen sie den klügsten AuD >eg:
einige traten ganz ab , die übrigen besser¬
ten sich , soviel Sie konnten . So hat
diese
§85

diese anfangs verhaßte Kritik der hoch¬


würdigen Geistlichkeit einen wesentlichen
Vortheil verschafft: sie hat in Wien gu¬
te oder doch erträgliche Prediger gebil¬
det ; und wer dadurch gewonnen hat,'
ist augenscheinlich der Klerus selbst. . ...
Auch sind seitdem die meisten Geistli¬
chen hier mit der Kritik gegenwärtig
ganz ausgesöhnt, und danken ihrs in
geheim, daß sieden Predigtstuhl ehrwür¬
diger gemacht hat.
Herr Hofmann war der Stifter die¬
ses Blattes ; jezt ist der Herausgeber
desselben H. Tschink . Es dauert, unter
etwas veränderten Titeln schon in das
sechste Jahr ; das einzige Beispiel einer
periodischen Schrift , die in Wien ihre
Lebensdauer so hoch brachte.
Anfangs schränkte sich diese Kritik
bloß auf Wien ein. Nun beurtheilt sie
aber Predigten und Kirchensachen aller
östreichischen Provinzen: sie wandert von
O o 5 Frei-
586
Freiburg in Breisgau bis Semlin an der
türkischen Gränze . Weder die polnischen
Prediger hinter den Karpathen , noch
die Popen in Kroazien sind vor ihrer
Geisel sicher, Man muß zu ihrem Ruhm
gestehn , daß sie durch eine freie Rüge
die Regierung schon auf manche Mi߬
bräuche aufmerksam gemacht hat , wel¬
che ohne sie noch lange unbemerkt und
unangezeigt der wahren Religion zur .
Schande in einem entlegenen Winkel wür¬
den herrschend geblieben seyn.

cvm.
»— 537
cvur.

Moden.

„ Wien pichtet sich in Sachen dxr


Mode , im Ganzen genommen / noch im»
mcr nach Paris . Es gibt Damen und'
Mooehändlerinnen hier , die sich periodjsch
Puppen und Zeichnungen aus Frankreich
kommen lassen. Selten wachsen auf un¬
fern einheimischen Boden neue ^.Moden;
und wenn es auch geschieht , so schwingen
sie sich doch nicht zu dem Ansehn einer
Parisischen empor . "
„Ulberhaupt aber muß man gestehn,
daß hier die Moden nicht sogar unaufhör¬
lich wechseln , nicht zu einer sogar ent¬
scheidenden Wichtigkeit erhoben werden,
wie wir es von Paris hören . Es giebt
nicht gar viele Damen , die ein Verdienst
darinn zu finden glauben , die vielfältigen
neuen Moden sobald möglich an sich zu
pflanzen . Der grössere Theil ändert ziem¬
lich
63S
lich langsam. Ich glaub«, in Paris wech.
seln die Moden wenigst viermal, bis sie
hier einmal allgemein wechseln
; viele der¬
selben kommen gar nicht über unfern Ho¬
rizont. ES muß etwas sehr bequemes
und hübsches feyn, wenn es bei der gan¬
ten galanten Wienerwelt. Eingang finden
soll: dann erhält es sich aber auch, im
Durchschnitt , wenigst um drei viertel Jahre
länger , als ln Frankreich . Ob deutsches
Phlegma, Häußlichkeit / Blödigkeit der
Puzmacherincn , Abwesenheit einer regie¬
renden Monarchin rc. Ursache dieser
Stagnazion sey , kann ich nicht ent¬
scheiden."
So spricht das Journal de» Luxus
und der Moden — daS vogmatische Buch
für die Gläubigen der Göttin Mode— über
diese Rubrike.
Das Journal der Moden hat Recht.
Man trägt sich in Wien mit Geschmak;
man ändert von Zeit zu Zeit etwas in
Farbe, Schnitt, und andern Nebensachen
aber
§Sy
X

aber man macht nicht gar alle morschen


Albernheiten und Nichtswürdigkeiten mit,
die unsere queksilbernen Nachbarn jensett
des Rheins in ihrem Tändelei - Taumel
ausheken . Man macht aus einem neuen
kokenbau , aus einer Schnallen - Garnitur
nicht jene unendliche Wichtigkeit wie dort
drüben ; indessen will ich doch jedem ehr¬
lichen Mann , der in den Zirkeln der
bessern Gesellschaften gern gesehen mag
werden , wohlmeynend gerathen haben,
sich nicht sehr altväterisch zu tragen , und
überhaupt durch eine niedliche Kleidung
seine Außenseite eben so hübsch nnd ge-
schmakvoll herauszupuzen , als sein Inne¬
res durch Wissenschaft , Litteratur , Phi¬
losophie , Wij und Laune geschmükt scyn
mag.
Die Männer tragen sich heut ;u Tage
gräßtentheils nach englischen Mustern.
Auch scheint es , daß die stets mit Nied¬
lichkeit , und Bequemlichkeit verbundene
Solidität des englischen Anzuges sich
besser
SY2
besser-Mit unserm deutschen Nationalka-
rakter vertrage als das gar zu tändel-
haste Flltterwerk der Franzosen . . . . Die
Weiber aber haben noch immer mehr An¬
hänglichkeit für ihre schon verjährte Ge-
sezgeberin am Puztisch, für die Haupt¬
stadt Frankreichs und det Moden, für
das in diesen Kleinigkeiten unerschöpfliche
Paris . Darum reisen die berühmtesten
zwei Modehändlerinncn von hier , Mada¬
me I . und Madame M. alle Jahre wenig¬
stens einmal in Person nach Paris , um
dort mit eignen Augen zu sehen, was
in ihrem Fache Neues erschienen ist, und
mit diesem Neuen sogleich unsere niedli¬
chen Damen herauszupuzen. Wie groß
dieses Bedürfniß bei der hiesigen weibli¬
chen Welt überhaupt sey; läßt sich unge¬
fähr daraus berechnen, daß sechshundert
fünf und fechszig öffentlich privilegixte
Puzmacherinnen in Wien und dessen Vor¬
städten ihr niedliches Handwerk trei¬
ben.
Die >
59 »
Die Moden sind einer der ersten ? we¬
sentlichsten , und kostbarsten Bestandtheile
unseres Luxus . Die ernsthaften , häusli¬
chen Väter , und Ehemänner haben ihren
leidigen Jammer damit . Da kommen der
Zeuche, der Hüte , der Bänder , der Spi-
zen , der Schnallen , der Ohrgehänge , der
Hauben , der Fächer, der Dosen , der
Halstücher , der Federn rc. rc. bald so
viele , als Tage im Jahre sind ; und will
man den lieben Hausfrieden in seinen vier
Pfählen erhalten , so muß man schon we¬
nigstens von Zeit zu Zeit mit so einem
Artikel die gute,Laune der theuren Hälf¬
te oder der Heranwachscn4en Töchter er¬
kaufen.
Ich hätte meine wahre Freude daran.
Euch , geehrte Leser , einen männlichen
und weiblichen Stuzer nach dem Leben zu
zeichnen , wie sie eben jezt auf dem Gra¬
ben herumflattern ; weil aber mein Ge¬
mälde vielleicht in wenigen Wochen schon
wieder veraltet seyn möchte , so verweise
ich
5«-r o—22^- 0
ich Euch auf das weimarische Modena
Iournal , welches von Monat zu Monat
die Symptomen des Moden- Fiebers mit
Einsicht, Wahrheit und Anschauungskraft
darstellt.

cix.
Kirchen.

Es sind gegenwärtig ungefähr za


Kirchen und Kapellen weniger in Wien,
als ihrer vor sechs Jahren waren; und
auch die noch bestehenden haben eine et¬
was verändert» Gestalt bekommen.
In den Zeiten der kleinfügigen An¬
dacht behieng und überlud man unsere
Kirchen mit so vielen überflüßigen , zum
Theil auch unanständigen und läppischen
Verzierungen , Bilderwerk, Tändeleien, rc.
daß viele derselben dadurch gänzlich ver¬
unstaltet wurden, und eher einem geistli¬
chen Lrödelkram , als einem Tempel Got¬
tes
o - T-W -^-o 6W
tes ähnlich sahen . Das Fahnen - und
Stangenwerk der ehemaligen Brüderschaf¬
ten , stellte gleichsam einen ausgedorrten
Wald in den Kirchen vor ; wo immer ein
leerer Winkel übrig war , stellte man ein
Kreuz , einen geschnizten Heiligen , ein
Bild , einen Leuchter rc. hin . Wo sich
eine gcschnizte oder gemalte Statue von
Kristus , Maria oder einem andern Kir.
chenpatron befand , sejte man ihr eine
baumwollene oder andere Perüke auf;
staffirte sie mit einer silbernen oder ble¬
chernen Krone aus ; legte ihr auch wohl
gar ein seidnes oder wollenes Rökchen,
«inen Mantel , oder so was an . Alles
Ließ sollte — nach dem Sinn blöder An¬
dächtler und einfältiger alter Weiber —
eine Verherrlichung der Kirche , ein auf¬
erbaulicher Beitrag zur grösserer Anflam-
mung der krtstlichen Frömmigkeit seyn.
Mit der heiligen Messe wurde eben¬
falls eine Art von Unordnung getrieben»
P p Man
S94
Man las deren zu gleicher Zeik' so viele,
daß sie, statt die Andächtigen in einer
ruhigen GemüthSversammlung zu halten,
dieselben vielmehr zerstreuten
. Bei jedem
Altar stand ein Priester: der eine war
bei derWandlung, der andere beim Evan¬
gelium; der las den Kanon, jener die
Kollekte; dieser konsekrirte, jener sprach
das Ire milla ett. Man wußte oft nicht,
gegen welchen man sich mit dem Gesichte
wenden, ob man knien oder stehn sollte»
Hier ward Oremus gesungen, dort zür
Elevazion geklingelt, weiter hin zur Kom¬
munion an die Brust geklopft rc. rc.
Kurz, es war eine andächtige Verwir¬
rung, die jede wahrhaft fromme Seele
bestürzt machte.
Seit einigen Jahren herrscht mehr
Anständigkeit , Majestät, Ernst, Ruhe,
und Ordnung in den Wienerschrn Kir¬
chen.

All
Sd5
All der alberne Bruderschaftsplunder
ist aus denselben weggeschqft ' ; den ver-
kleideten Statuen hat man ihre Perüken
und Mäntel abgenommen ; statt dem pro¬
fanen Geludle , das oft einen Chor aus
einer Opera Buffa in rin LanLtng ver¬
wandelt , und cs während den heiligsten
Rcligionshandlungen gar lüße hernnter-
gekräht hatte , ist der populäre deutsche
Kirchengefang eingeführt . Mit den Mes¬
sen , als dem wesentlichsten Stük des ka¬
tholischen Gottesdienstes ist die Ordnung
getroffen , daß von halbe Stunde zu hal¬
be Stunde immer nur Eine , und diese
auf dem Hauptaltar der Kirche gelesen
werde ; die übrigen Altäre stehn gegen¬
wärtig ungebraucht da , und werden
nur nicht wtggeriffen > um keine unsymetri-
sche Lüken in die Kirchen zu machen.
Bloß in einigen der größten Hauptkir¬
chen ist es erlaubt , neben der hohen Messe
noch rin paar stille zu lesen , um gewissen
Pp , Klas-
Z96 O--W --0
Klassen von beschäftigten Leuten ein Ge¬
nüge zu leisten.
Sv sehr auch einige eigennäzige Prie¬
ster gegen diese Einrichtung aufgebracht
seyn mögen , so gewiß ist es doch , daß
die Kirchen nach ihrer wesentlichen Be¬
stimmung dadurch sehr gewonnen haben.
Der vernünftige Krist besucht fie jejt mit
mehr Auferbauung und mehr gerührtem
Herzen , bethet vielleicht etwas weniger,
klopft minder oft an sein Herz , hört
wenigere Messen; verrichtet aber seine
Andacht mit mehr Ruhe , Salbung und
Würde.
s §97

Bader.
Man kennt die Träume des Franzosen
OeMaillet. Er studirte, während seiner
Konsulschaft in Aegypten, durch fleißige
Beschauung der Meeresbewegung, die
Hypothese aus , daß die ganze Erde ehe¬
dem ein Meer gewesen, und wir Men¬
schen in unserm ersten natürlichen Zustan¬
de die Gestalt gehabt, wie man die Tri-
tonen und Sirennen malt: oben Mensch,
unten doppelschwänziger Fisch. Darum
empfiehlt er uns das Element dieser
Thiere vorzüglich, und sagt: im Wasser
leben sey das wahre Athmen unsrer an-
gebornen Luft. *)

Ppz Mail-

*) Lelpirer l'air oaral.


S98
DeMaillet übertreibt die Sache , da¬
ist gewiß; aber eben so richtig ist, daß
wir gar zu wenig im Wasser leben; und
aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, lobe
ich mir den Pscubopropheten -Mahomed,daß
«r seine Muselmänner durch die Religion
zum Baden verpflichtet hat. . . . Eine
übclvcrstandene Keuschhcits- und Züchtig-
keitSiorge, hat bei uns das Baden,
Schwimmen, und dergleichen Leibesübun¬
gen im Wasser beinahe gänzlich verdrängt,
und zu einer Art von Sünde gemacht,
da es doch augenscheinlich ist, daß in
unftrn Kinder- Jünglings - und Männer-
Jahren wenige Uibungen dem Körper so
heilsam sind, als Baden, Schwimmen
ic. Es erfrischt das Geblüt , reiniget
die Oberhaut, stärkt die Nerven, macht
gelenke und hurtig, und gicbt über¬
haupt unsrer ganze« Maschine Festig¬
keit.
1
S„
Erst in den neuesten Zeiten hat man,
von der Gewißheit dieser Wahrheiten
überzeugt, jene Wasserübungen bei den
militärischen Erziehungsanstaltenwieder
eingcführt. Hier sind sie freilich am
nothwendigsten ; aber gleich heilsam wür¬
den sie für die ganze Nazion, besonders
für die männliche Jugend feyn. Der
Staat sollte fichs angelegen seyn lassen,
durch die Wundärzte und Pfarrer auf
dem Lande den Gebrauch des Wassers
allgemein anzuempfehlen und einzuführen.
Eine Predigt über die Vortreflichkeit des
Badens nnd Schwimmens wäre nüzli-
cher, als eine über die Wichtigkeit des
Portiunkula - Ablasses.
Die Wiener hätten es vorzüglich nö-
thig , ihre Leiber fleißig ins Wasser zu
tauchen, weil der ewige Staub , und
der schwere, dampfige Dunstkreis dieser
Stadt ihre Einwohner auch vorzüglich
beschmutzen . Sie baden sich zwar, aber
Pp 4 lau-
6vo

lange nicht genug . Man hat vor eini¬


gen Jahren des vermeyntlichen Aerger-
nisses und der Ersäufungsgefahr wegen
das Baden in der Donau verbothen.
Zum Ersaz dafür sind ein halbduzend
Badhäuser vorhanden , wohl bemerkt:
Sechs Badhäuser für Wien , das heißt,
«in wahres Nichts für eine so grosse
Stadt . Der kleinste Preis für eine
Person in diesen Bädern ist 17 Kreu¬
zer , ungefähr so viel als sich der ge¬
meine Mann einen Tag über verdient,
folglich nicht auf das Bad wenden
kann . Der Staat sollte irgend eine An¬
stalt fressen , daß besonders die Kinder
der niedriger » Volksklassen , ohne ihre
Aeltern darüber in Unkosten zu sezen,
oft gebadet werden könnten , und wirklich
gebadet würden.
Vor zwei Jahren wurde das kalte
Stürzbad im Lichtcnsteinischen Garten
Mode . Es gehörte zum guten Ton , da¬
hin
62!

hin zu eilen und sich zu stürzen. Män¬


ner und Weiber , Damen und Stuben¬
mädchen , alles siürzre sich kopfüber in
das Wasser : man erzählte allgemein von
den guten Wirkungen dieser Plätscheren;
und was dns Lustigste ist , die Wirkun¬
gen derselbe », waren ganz entgegen ge-
sezt. Den geistlichen Herren kühlte es
Vas Blut , und erleichterte es die Pflicht
des Zölibats ; schwächliche Herren und
Damen stärkte es zu den Pflichten des
Ehestandes . . . Nach einigen Monaten
war die allgemeine Stürzlust wieder
vorüber.
Eine wahrhaft gute und bequeme An¬
stalt dieser Gattung sind die kalten Bä¬
der , welche Doktor Ferro dicht am Au¬
garten , auf der Donau angelegt hat,
Sie liegen auf grossen Kähnen : man be¬
findet sich vermöge eines Gitterwerks in
dem natürlichen , lebendigen Ctrohm der
Donau . Noch in diesem Jahre hat Dr.
PpA Ferr»
6o»

Aervo diese Bäder auch zum Spritzen ein*


gerichtet , daß man sich im nämlichen Au-
genblik am ganzen Leib begteffen kann,
weil die Empfindlichen sich beklagten , daß
ihnen beim einsteigen ln das kalte Wasser
das Geblüt alles in den Kopf getrieben
werde . Die Kabittetchen imdiesem Bade
find mit Sopha , Spiegeln , und allen
Bequemlichkeiten versehen. Ein einzelnes
Bad kostet 4O Kreuzer , wer sich eine be¬
stimmte Zeit hindurch regelmäßig badet«
hat es um etwas geringem Preis,
6vz
cxi.

Akademie der Künste.

Die Kunst hat in Wien schön feit


langer Zeit grosse und erhabene Gönner
und Liebhaber gezählt . Dieß ist billig.
Ein so blühender und reicher Staat , tvte
der Oestreichische, kann und muß üllerdings
etwas auf die Künste verwenden , die
freilich zum thiertschen Leben , für ein Volk
von Hottentoten und Kalmuken entbehr¬
lich sind , aber nicht für eine Nazion , die
in der Welt eine Rolle spielen , die sich
Achtung erwerbenwill ; die Geist , Muth,
und Bestreben nach bessern Kenntnis¬
sen , nach einer edlern Existenz in sich
fühlt ; kurz, nicht entbehrlich für eine ge¬
sittete , emporstrebende , verfeinerte
Nazion,
6?4
Dieser Wahrheit ist man in Oestreich
überzeugt - Schon Kaiser Leopold ent¬
warf im I . 1704 den Grund
zu einer
Kunst - Akademie ; ließ die unentbehrlichsten
Erfordernisse zu einer solchen Anstalt , die
Muster der hohen griechischen Kunst , ei¬
nen Laokoon , eine Medizeische Venus,
einen Vatikanischen Apoll , den Vorghe-
sische« Fechter rc. in Rom abformen und
hieher bringest . Förmlich , eröffnet wurde
sie aber erst unter seinem Nachfolger Jo¬
seph dem I . , am lg Dezember 1705.
Unter Karl dem VI . erhielt sie noch mehr
Unterstüzung , und eine neue Klasse , die
Klasse der Architektur ; auch wurden da¬
mals schon Preismünzen ausgetheilt . Sie
bildete die Gran , Altomonte , Janek
Ferg , Donner rc.
Nach vielen Abwechslungen ihres
Standortes ist endlich die Akademie der
Künste vor zwei Jahren in das dritte
Stokwerk des ehemaligen Jesuiten - No-
vi-
625

vijiateS bei St . Anna versezt worden.


Hier hat sie geräumige Säle und Zimmer,
für alle Klaffen und Arbeiten, und kann
sich des von keinem Nebengebäude gehin¬
derten Lichtes in vollem Masse auf die
vortheilhafteste Art von allen Seiten be¬
dienen. Ihre sechs Klaffen sind:

Geschichtmalerei;
Bildhauerei,
, Architektur,
kandschaftmalerei,
Erzverschneiderei,
Kupferstecher
!.

Ihr Protektor ist seit 177» Wenzel


Anton Fürst von Kaunitz- Rittberg; ihr
Vorsteher, Baron von Sperges. Das
dazu gehörige Personale ist: der Akade¬
mische Rath, die Ehrenmitglieder , die
wirklichen Mitglieder, die Schüler. Die
Klassen haben ihre Direktoren und Leh¬
rer.
6v6

rer. Jährlich werden an die Schälet,


welche die beßten Preisstüke verfertigen,
goldene Münzen ausgctheilt. Von Zeit
zu Zeit wird auch eine öffentliche Aus¬
stellung neuer sehenswürdiger Stüke von
bereits vollendeten hiesigen Künstlern,
und andern akademischen Mitgliedern,
in dem grossen Modcllsaal und einigen
Nebenzimmern veranstaltet, und ein ei»
gener Katalog darüber gedrukt.
6^/
cxii.
Schazkammer.
Der Philosoph lächelt beim Eintritt
ln dieses Gewölbe. . . . . Hier liegen die
Herrlichkeiten der Erder Königs - Kro¬
nen , Herzogs - und Fürsten - Hüte , Gold-
und Silber - Klumpen , in Hunderterlek
schöne Formen geöracht, zum Gebrauch
der Götter dieser Erde ; Perlen und Edel¬
gesteine, aus beiden Indien zusammen¬
geholt r kurz, all jener schimmernde und
flimmernde Plunder , welcher den ange-
beteten Gözen der Thoren ausmacht , und
selbst von dem Weisen nicht ganz gleich¬
gültig angesehen wird.
Nebst den Dingen , welche man ge¬
wöhnlich in den Echazkammrrn grosser
Könige zu sehn pflegt , als da sind gold-
ne und silberne Tafclservice, grosse kost¬
bare Schmnkgarnituren, und andere theils
. künst-
628

künstliche, theils theure und seltne Stä¬


ke , enthält die Schazkammer zu Wien
die Ungarische und Böhmische Krone , den
erzherzoglichen Hut , und noch die Insig¬
nien einiger anderer Provinzen.
Die Ungarische Krone , welche in den
vorigen Zeiten auf den Schlössern zu Ofen
und Preßburg gelegen hatte : und der
erzherzogliche Hut , de» nach altem Her,
kommen das Kloster Neuburg in Ver¬
wahrung hielt , wurden im April 1784
chieher gebracht.
Ehedem hielt man bekanntlich die
Krone eines Reichs für ein unumgäng¬
lich nörhiges Stük zum rechtmässigen Be¬
st; desselben . Man verwahrte dieses
Spielzeug hinter siebenfachen Thüren,
Riegeln und Siegeln . Einem König
seine Krone zu stehlen , war eben soviel,
als ihm sein Reich abnehmen : in der
alten Geschichte von Ungarn , Böhmen,
Polen re. kommen solche Beispiele vor . . .
Heut
6oy

Heut zu Tage lächelt man über diese gut¬


gemeinte Grille unsrer ängstlichen Gro߬
väter . Statt der gefährlichen Eigenstn-
nigkeit , den Besij , folglich auch die Ruhe
eines Landes cm ein kleines Goldklümp¬
chen ju knüpfen , steht man jezt auf die
wesentlichern Ansprüche , auf Erbrecht
und Best;. Indessen hebt man diese al¬
ten politischen Reliquien noch als eine
Seltenheit auf , zeigt sie den Neugieri¬
gen ; steht sie aber in .der aufgeklärten
Welt ungefähr mit eben dem Auge an,
wie die Kirchen-Reliquien.

Unter dem grossen Vorrath von Ju¬


welen am Familienschmuk des Oestreichi-
schen Hauses ist besonders merkwürdig
der grosse Diamant , gewöhnlich der Flo-
rentinische genannt . Er ist in Betracht
seiner seltnen Grösse ungefähr der dritte
unter allen bisher bekannten Diaman¬
ten. Das Schikfal spielt« ihm sonder-
Qq bar
bur mit . Einst glänzte er am Diadem
Karls des Kähnen Herzogs , von
Bur¬
gund . Dieser unglükliche Fürst , zu viel
auf sein gepuztes , reiches , vom blühend¬
sten Adel strozendes Heer bauend , wur¬
de von den groben Schweizerbauern zum
erstenmal bei Grauses schlimm zugerichtet,
und verlor daselbst vorzüglich sein ganze-
Lager , samt allen darin liegenden Schü¬
ßen und Kostbarkeiten * ) . Unter diesen
befand sich auch der grosse Dlamant . Der
Schweizerische Landsknecht , welcher ihn
i bet

—- - - ,- -
.* ) Ein alter lateinischer Reimer Hat auf
die wiederholten schreklichen
. Nieder¬
lagen des unglütlichen ÄarlS folgende
ziemlich lahm» Berse gemachti

vpp 'uis rrioa üdi , Du» Lrrvle äirs Nitre:


In Le- ur Lr'sose , <7-ex» Gurken,
6r*

bei der Plünderung - es LaA« s .tuschte,


und sich permuthlich besser . auf . Käse als
guf Hiamanxeu jverstand >. „ verk^«st.e i^ u
an «mey ^ HHMr ^ von Bern , lim ^süns
Gulden ^ ,^ dieser an eines . staLänischeA
Knufmayn jNG lLÄ Gulden ; und so gieng.
er von Hgnd zu HanZ>, ^»fld stets sn sei-,
ncm verdienten Preise steigend , ,As .Hy
der Herzog von Florenz erhandelte , von
wo aus er bei den veränderten Befizern
dieses Landes in die Schazkammer nach
Wien kam , wo er er nun für eine Tonne
Goldes nicht wieder feil ist.

Da ich kein Inventarium von den


Merkwürdigkeiten Wiens mäche, so über¬
gehe ich auch die Einzelnheitcn der Schaz¬
kammer , die von Jedermann mit eignen
Augen gesehn zu werden verdient.

Unter den vorigen Regierungen be¬


stand auch eine sogenannte geistliche
Q q n Schaz-
6 ^»
Scha 'zkammer , wo vevneinte 'geistliche
Kostbarkeiten und Raritäten , z» B . das
Kreuzbild , welches mit K. Ferdinand
gesprochen haben soll , uird^ dergleichen
schöne Sache « mehr, aufbehalten wur¬
den. Diese Dinge hat man zerstreüt-
und meistentheils an angemessenere Pkäje
gebracht.

cxllr.
6lA

cxm . .

Vieh - Arzneischule und Thier-


Spital.

Die Anbether des Brama haben für


alle Gattungen von Thieren eine Art von
brüderlicher Liebe , weil sie dieselben für
Wohnungen von Menfchenseelen halten.
Die Anhänger des Mahomed mach?« Stif¬
tungen für Hausthiere und Vögel , um
sie zu nähren . . . . Wir find klüger:
wir pflegen unsere ökonomischen Thiere,
die uns zur Nahrung , Arbeit und Be¬
quemlichkeit dienen.

Die Hornviehfeuche ist ein Uibel , das


die größte Aufmerksamkeit des Staats
verdient , weil sie oft die Nahrungs¬
quellen eines ganzen Landes hemmt . DaS
Q q3 Pferd

i
6l4 0 - -LS - - 0

Pferd ist ei« so nüzliches, für einen mi¬


litärischen Staat so unentbehrliches Thier
daß man für die gute Erhaltung dessel¬
ben nie zuviel Sorge verwenden kann.
Um diose beiden wichtige» Gegenstände
der Staatsökonomie gehörig zu besorgen,
hat man die Vieharzneischule und dgs
damit verbundene Thicrspltal angelegt.
Das Gebäude dieses Institutes liegt in
der Dorstadt Landstraffe, in der Raben-
gasse. Der Äeskulap unsrer ökonomischen
Thiere ist Herr wolstcin.

Der erste Grund zu dieser öffentlichen


heilsamen Anstalt wurde schon im I . 176«)
von dem jrzt regierenden Kaiser gelegt.
Darauf ließ man Hrn . Wolstein durch alle
Länder von Europa reisen, wo er seine
Kenntnisse über die Naturgeschichteund
Anatomie der Hausthiere, über die Krank¬
heiten und Operazionen der Pferde , rlber
die Zucht der Pferde , des grösser» und
klei-
0 - 7W -- 0 6 iZ

kleinern Hornviehes rc. erweitern konn¬


te . Nach seiner Zurükkunft kam zu
Ende des Jahrs 1777 das Thierspital
und die Vieharzneischule vollkommen zu
Stande.

Da dieses Institut beinahe das einzi¬


ge in seiner Art , von sehr wesentlichem
Nuzen , und im Anslande nicht nach Ver¬
diensten bekannt ist : so will ich es hier,
nach einer schon gedrukten Nachricht , et¬
was umständlicher anzeigen.

„Alle Theile der Thierarznei werben


an dieser Schule nicht bkos theoretisch,
sondern auch praktisch gelehret . Professor
Wolstein , der zugleich die Dirckzion über
das Spital und die Schule führt , lehrt
Naturgeschichte , verbunden mit der Lehre
von den Kenntnisicn der Pferde , und ih¬
rer Auswahl zu den verschiednen Geschäf¬
ten - Dann trägt er die kehre von dem
Q q 4 Huf-
6l6
Hufbeschlage theoretisch vor , und erläu¬
tert die Lehre von den Krankheiten und
Seuchen der Pferde, des Hornviehes,
der Schaafe und Schweine. Der Ober¬
adjunkt Schmidt giebt praktischen Un¬
terricht im Hufbeschlage , der Adjunkt-
und Apotheker Mengmann behan¬
delt die Arzneimittel- Lehre, und die
Kunst sie zu bereiten. Der Adjunkt Tö-
- gel lehrt Anatomie und Physiologie; hält
zugleich in den bestimmten Stunden die
Repetitionen. Der ganze Lehrkurs dau¬
ert etwas über zwei Jahre. — Die
Ordnung in diesem Hause ist folgende:
Morgens von 7 bis halb 9 Uhr versam¬
meln sich die Schüler mit Professor Woll¬
stein, betrachten mit ihm die Kranken,
wohnen den Verordnungen und Opera-
zionen bei, die täglich zu verrichten find.
Von y bis io Uhr werden die Vorlesun¬
gen gehalten; und von io bis n Uhr
beschäftigen sich die Schüler mit eignen
Bemerkungen . Für diejenigen, welche
617

weder im Spital , weder in der Anato¬


mie , Apotheke noch Schmiede die In¬
spektion haben , sind die Stunden von s
bis z Uhr Nachmittags frei . Die Repe¬
titionen und Prüfungen , die, ausser Mitt¬
woch und Donnerstag , täglich öffentlich
geschehen , werden von z bis 5 Uhr im
Hörsaale gehalten . Die Zahl der kran¬
ken Pferde beläuft sich gewöhnlich von
20 bis auf zo Stäke ; die größte An¬
zahl von 40 bis Zo . Jedermann kann
kranke Thiere gegen Bezahlung des Fut¬
ters und der Arznei in das Spital geben;
es werben immer so viele angenommen,
als Raum dafür vorhanden ist. Kranke
Schaafe oder Hornvieh werden nur dann
angenommen , wenn um Wien sich eine
Viehseuche äuffert . Die Schüler bestehen
aus Inländern und Fremden . Nicht bloß
angehende Aerzte und Wundärzte , son¬
dern auch bürgerliche und Militär - Schmie¬
de , Bereiter und Oekonomen besuchen das
Q q Z Spl-
6ig
Spital und die Schule. . . . Im Jahr
17/7 wurde verordnet, daß keinem
Schmiede das Meisterrecht soll erthcilt
werden, der nicht durch Zeugnisse dar-
thun kann, daß er den Lchrkurs der
Thierarznet zurükgelegt hat. Durch eine
andere Verordnung vom I . 178 > kann
kein Arzt zu einem Physikat gelangen, der
nicht die Lehre von den Seuchen und
Krankheiten des Hornviehes vollendet
hat. Dieser Theil der Thierarznei wird
alljährlich gegeben, und dauert der Un¬
terricht in demselben sechs Monate. . . ..
Seit demI . 1780 wird die Thierarznei
auch an den Universitäten zu Prag,
Pest, Lemberg, Freyburg, und Gräz
von Lehrern vorgetragen, die in der hie¬
sigen Wolsteinischen Schult ihre Bildung
erhalten haben. "

Die
o--W -^o 6l-
Die jungen Mediziner vom Auslande
besuchen dieseSchule sehr fleißig; auch
haben einige deutsche Fürsten schon ei-
gends Zöglinge, in dieses Institut hieher
geschikt; daß also vermuthlich bald ähn¬
liche Schulen nach dem Muster desselben

in mehrern deutschen Provinzen entgehen


werden. »
t^IV.

Der ziste Dezember.

Unsre guten, zeremonienvollen , stet^


fen und komplimentenreichcn Vorfahren
hatten gewisse Glükwünfchungstage als
einen Ehrenpunkt fesigesejt . Dieselben
versäumen , hieß freiwillig Gnade, Gunst,
Freundschaft, Empfehlung, und gutes
Vernehmen der Familien aufgeben . . . .
Um alles dieses fester zu gründen, und
sich öfter im Gedächtniß derer aufzufri-
schen, die man aus Neigung oder Ab¬
fichten zu Freunden behalten wollte, ver¬
mehrte man allmählig diese Glükwün-
schungstage zu einer übermäßigen An¬
zahl.

Der
6a«
Der Neujahrstag; die Ostevfeyer,
die Pfingstfeyer; die Weihnachtsfeyer;
der Geburtstag des Herrn vom Hause;
der Geburtstag der ' Frau vom Hause;
der Namenstag des Herrn; der Na¬
menstag der Frau ; die Eeburtstäge
vnd Namenstage aller Kinder, Schwe¬
stern, Tanten rc. rc. In einigen wohl¬
habenden Familien von Bürgern und
kleinern Beamten sogar die Iahrstage
der geschloffenen Ehe , des erhaltenen.
Amtes rc. rc. Alle diese Tage sezten den
iganzen Zirkel der Bekannten vom Hause
in Bewegung, daß sie sich in ihre Ga¬
lakleidung stekten, zu Wagen und zn
Fuß nach dem beglükten Hause eilten,
und ihren Krazfuß machten, sich zu ho¬
hen Gnaden oder alten Freundschaft em¬
pfehlend.

Allmählig faßten einige den Muth,


hiese ewige Glükwünscheret höchst überlä¬
stig
6»»

fitg zu- finden . Es blieben für einmal


die grossem.Feyertage . w ^g . Die kleinen
Familien :Ish «stage wurden auch wegsa-
tyristrij. t- Nach vnd nach vergaß mag
ebenfalls anf -die Geburts - und Namens¬
tage der kleinen und der Nlbenfamtlie,
Die Namenstage des Herrn, . besonders
aLer-Ler Frau , And der erwachsenen Töch¬
ter , haben sich noch , ziemlich erhalten.
Der - allgemeine , unter einer politischen
Todtsünde , nicht,zy tzergessiendx Tag des
Glukwuxsthes aber Ist her . Neujahrstag,
vder eigentlich dar Vorabend , desselben,
der zrste -Dezember.

-Wehe den Pferden vog Wie » an die,


sem Tagel besonders den Pfxrben der
Lehenkutscher und Fiaker . Da stcht kei¬
ner müßig ; alle Pläze sind leer ; man
zankt sich darum , man überbietet ein¬
ander in die Wette . Nie ist so unsi¬
cher zu gehn , als aü diesem Lagealle
Gaffen

G
62z
Gaffen und Straffen find voll von hin und
herrennrnben Wagen , mit hochgepuzten
Herren und Frauen beladen.

Wenn eben recht fchmujiges Schla-


kerwetter einfällt , ist es -etn wahret 'Jant-
mer. Das Frauenzimmer bekömmt beim
Aussteigen einen derben Guß von der Dach¬
traufe auf deu Kopf und Busen . Das
Stuzerchen in weiß scidnen Strümpfen
und Hut unterm Arm, wird von den
Wagenrädern wie getygert mit Koth be-
sprizt . In den Häusern geht es Trepp
auf Trepp ab ; man stoßt an
gnädige
Frauen und Lakeien , an Kavaliers und
Läufer ; jeder rennt zur Thüre , krizelt
seinen Namen auf , oder wirft ein paar
Billets hin . Die Bekannten , welche
sich begegnen , lachen einander aus , oder
fluchen auf alle Gratulationen.

In-
624 o

Indessen , wie es in allen Religionen


Freigeister , gibt , so gibt es auch , wel¬
che über das Dogma der Gläkwünschungs-
Nothwendigkeit . Ich bin dabei. Und, im
Vertrauen gesagt , unser Haufe wächst ?
alljährlich mehr an.
WWW^ WZKWW
^ MNMVW
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gurrst«

Vrcn uni» .
Är i»cn >^n«url?ilrij>n AurMnuiülMN

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'L*-^
Der Türkenkrieg.

v » « ch einem fünfzigjährigen Waffenstill¬


stand ist endlich Oestreich neuerdings mit
den Oschmanen zu Tätlichkeiten gekom»
men . Am yten Februar 1788 ward dem
Divan in Konstantinopel , dem' Baschavon
Belgrad , und den übrigen Türkische«
Gränzvfftzieren in Bosnien , Servier »,
Walachei , Moldau r-c. die Kriegserklä¬
rung des Orstreichtschr« Monarchen kund
gemacht ; und sogleich Tags darauf fi«N-
Rr » gen
6- 8 '

gen schon an mehrern Orten die Feindse¬


ligkeiten an . . . . Ganz Europa hat nun
die Augen auf dieses Schauspiel geheftet,
bei dem auch ejn Theil von Asien und
Afrika mit verflochten ist.
.Wien ist vor allen andern Orten bet
diesem Auftritt geschäftig . Die
Unter¬
nehmungen und das Schiksal der kaiserli¬
chen Armeen an den türkischen Gränzen,
find gegenwärtig der erste Gegenstand der
öffentlichen Aufmerksamkeit ; die Theilneh-
mung an denselben machen einen wesent¬
lichen Zug in der heutigen Fysiognomie
des Publikums aus.
Die Veranlassung des gegenwärtigen
Lürkeukrieges ist so ziemlich die nämliche,
wie im Jahr i/z/ . Der gewaltthätige
Angriff auf Rußland macht , daß sein ho¬
her Aüirter auch dießmal den Degen ge¬
gen die Pforte zog.
Wir müssen hoffen,
daß ec ihn mit mehr Vortheil und Ehre
in dieScheide steken wird , als es vor fünf¬
zig Jahren geschah.
Laßt
6»-
-aßt uns über jenen Feldzug auch in
der Erinnerung so schnell als möglich,
wegeilen . Man hatte keine Generale,
keine Kriegskasse , keine Magazine . Der
jesuitische Beichtvater , alte Weiber , Pfaf¬
fen , und Hoffchranzen , kabalirten , machten
Parteien , eins gegen das andere , und
verwirrten alles . Es gieng dann auch
darnach. Zwei Jahre nach angefangener
Fehde war man froh , mit dem Verlust
der Walachei , Serviens und Belgrads,
einen Frieden zu machen , um die Türken
nicht auf dem Halse zu haben , wenn der
schon ,sehr wahrscheinliche Fall einträte,
den im darauf folgenden Jahre eine
Trüffelpastete beförderte . *)
Wenn auf die Güte menschlicher An¬
stalten und Maßregeln etwas zu trauen
und zu bauen ist : so sollte Oestreich in
R r z dem

*) Karl VI . starb am 20. Oktober 1740 an de«


Unverdaulichkei« dieser Pastete.
630

dem gegenwärtigen Türkenkriege nicht un-


glüklich seyn; gesczt auch, daß es von
Rußland nicht auf das vollkommenste un-
terstüzt würde. . . . Seine Kriegsmacht
ist im Vergleich mit jener vor 50 Jah¬
ren — eine ganz neue Schöpfung. Ein
zahlreiches, auserlesenes, vortrefflich ge¬
übtes Heer ; geprüfte Generale ; eine un¬
geheure, wohl bediente Artillerie; gefüll¬
te Magazine; eine gut gespikte Kasse;
Uiberffuß an allen nur erdenklichen Kriegs¬
bedürfnissen; endlich an der Spize des
ganzen Kriegsstaats ein Monarch in eig¬
ner Perlon , der in nicht geringem Grade
einsichrsvoll und thätig ist, der Strenge
und Güte wird anzuwenden wissen, die
Pflichtvergessenen , die Ränkemacher, die
Feigen zu bestrafen und zu entfernen;
Muth , Tapferkeit, Eifer und Treue nach
Verdiensten zu belohnen.
Indessen muß man auch von der an¬
dern Seite gestehn, daß die Türken kei¬
neswegs verächtliche Feinvr find. Ihr«
hohe
6zr

hohe Meynung von sich selbst , ihr Pa¬


triotismus , ihr Fanatismus , ihre Geld-
gierde , gibt ihnen einen Grad von per¬
sönlicher Tapferkeit , daß fie sich — als
einzelne Streiter betrachtet — mit dem
Soldaten jeder Macht messen können.
Uiberdas haben sie den Dortheil einer
unerschöpflichen Menschenmenge , die der
Despotismus aus Asten und Afrika herbei
treibt , den Dortheil ihrer mäßigen schlech¬
ten Nahrungsart , welche die Unterhal¬
tung ihrer Truppen um die Hälfte wohl¬
feiler macht , als die Verpflegung brr
unsrigen.
Bei allem dem ist zu vermuthen , baß
gute Taktik und gute Artillerie , welche
heut zu Tage das Loos der Kriege ent¬
scheiden , und welche beide den Türke«
vorzüglich mangeln , auch hier ihre ge¬
wöhnliche Wirkung thun , und über wil¬
de , unordentliche Kampfwuth siegen wer¬
den. Ein vortheilhafter Wahlplaz , und
der übereinstimmende Eifer von Offizieren
Rr 4 und
6Z»
und Gemeine » , unter den Augen de-
kandesfürstrn sich hervorzuthun , lassen
die Niederlage rasender , von Opium bei
täubter Muselmänner mir einiger Zuver¬
sicht erwarten.
Schon vor Ausbruch des Krieges hat
man von Czcrnowitz in der Bukowina an,
durch Siebenbürgen , das Bannat , Syr-
Wien , Elavouirn und Kroatien , bis an
das adriatische Meer , einen Truppenkor-
don gezogen , um die plözlichen Einfälle
Türkischer Horden und Raubgesindels in
unsre Provinzen zu hindern . Nebst der
Hauptarmee , welche sich bei Futak in Un¬
garn versammelt hat , stehn noch fünf beson¬
dere Korps gegen den Feind im Felde:
das erste in der Bukowina unter dem
Prinzen von Koburg ; das zweite in Sie¬
benbürgen unter dem General Fabris;
das dritte im Bannat unter dem General
Wartrnsleben ; das vierte in Slavonien
unter dem General Mitrowsky ; bas fünf¬
te in Kroa len unter dem Fürsten von
Lichten-
§33
Lichtenstrin
. Die Hauptarme« wird der
Kaiser in eigner Person , und unter ihm
Feldmarschall Lascy kommandiren: der
Erzherzog Franz macht dabei seinen ersten
Feldzug mit. . . Mir dürfen nicht zwei¬
feln , daß der Erfolg die getroffene Wahl
der Generale rechtfertigen wird. In¬
dessen wundert sich doch das Publikum
von Wien , die Namen von Hadik und
London nicht bei der Armee zu finden.
Die ersten kriegerischen Schritte find
bereits gcthan. Koburg hat die Wege
aus der Moldau gegen Choczim vortheil-
haft besezt, und nähert sich langsam die¬
ser Festung. Fabris ist in die Moldau
eingedrungen, und hat die dortigen wich¬
tigen Salzwerke und die Hauptstadt Jafst
weggenommen. Wartensleben hat die
von Belgrad bis Orsowa auf der Donau
gelegenen türkischen Schiffe erbeutet, nnd
rükt gegen die Walachei. Mitrowsky hat
die türkischen Schiffe auf der Sau weg-
genommen, Türkisch Gradiska in Grnnd
R r 5 gc-
6Z4 O—

geschossen , und ein Detachement seiner


Truppen jenseits der Sau postirt . De
Vins ist vor der Anstellung deS Fürsten
von kichtenstein in Bosnien eingerükt , lieg
Dresnik und Sturlich durch seine Kroaten
wegnehmen , welche aber von Dubitza
mit Verlust abziehn mußten . Leute wel-
che dgs Land kennen , versichern , daß
die Einnahme von Bosnien äusscrst schwer
sey , und erst dann erfolgen dürfte,
wann man ganz Servien in seiner Ge¬
walt hat.
Die Hauptarmee stand bisher noch in
Kantonirung , sieng aber am iZten April
an zu kampiren . Ihre erste Unterneh¬
mung soll die Belagerung von Belgrad
seyu , indessen zu gleicher Zeit Koburg,
ln Vereinigung mit Rußischen Truppen,
Choczim anfallen , und die Kroaten in
Bosnien an Bihacs oder Banjaluka zu
kommen trachten werde « .
Das Schwerd ist also gezükt ! Wollte
ich nach Art der Zeitungsschreiber den
fein.
635

fetnnafichten Politiker machen , was könnt


ich da für Vermuthungen und Profezei-
hungen auftischcn ; aber ich mische mich
nicht gern in dieses Handwerk.
Das Ernsthafte von der Sache abge¬
rechnet , ist eS ein wahrer Spaß , die
Leute von verschiednen Ständen über diese
Angelegenheit sprechen , kannegießern und
streiten zu hören . Die meisten haben sich
irgend einen Zeitungsschreiber jum Patron
erkiesen , dessen Orakelsprüchen sie blind¬
lings folgen . Die sich einsichtsvoller dün¬
kenden verachten alle Zeitungen , und rä-
foniren nach eignem Kopfe . Der Eine
glaubt , es sey nichts leichter , alS alle
Turbane in einem einzigen Feldzug über
den Kanal nach Asien zurükzujagen . Der
Andere meynt , wenn nicht fünf oder sechs
Europäische Mächte zusammen helfen , so
werde man wohl dem Meister Türk nicht-
anhaben können . Ein Dritter erhebt je¬
den kleinen erfochtenen Vortheil bis an
die Wolken ; ein Vierter zukt immer die
Ach-
6z6
Achsel « , und weissagt, - aß der hinkend«
Boche Nachkommen werde. Man schlägt
sich auch wohl in Blerhäusern nicht bloß
mit Worten, sondern auch mit Fäuste»
um seine Meynung.
Ein anderer nicht so spaßhafter Um¬
stand Ist, daß der leidige Türkenkrieg in
Wien das Brod über die Hälfte kleiner
gemacht, und die meisten Lebensmittel in
eben dem Derhältniß vertheuert hat,
weil die Zufuhre aus ganz Ungarn ge¬
sperrt ist.
Noch hat der Hof keine ausserordentlk
che Kriegssteuer gefordert. Die Erobe¬
rungen in Osten werden dem Staat dop¬
pelt süß und vortheilhaft seyn, wenn sie
ohne neue Auflagen ausgeführt werben,
welches auch mit Grunde zu hoffen ist, da
nach der heutigen Verfassung der Armeen,
und dem Verhältniß der dabei interesstr-
ten Mächte, der Krieg unmöglich lang«
dauern kann.

cxvi.
ß
6g7
cxvi.
Das Schanzl.
Dieß ist der Haven von Wien. Alles,
was von Menschen , Waaren, Früchten re.
die Donau herunter schifft , kömmt hier
an das Ufer. Das sogenannte Echänzk
besteht aus dem schmalen Erdstrich, wel¬
cher zwischen den Festungswerken der ei¬
gentlichen Stadt und dem hier vorbei»
fliessenden Arm der Donau liegt.
Man fleht dort ein immerwährendes
Bild der Geschäftigkeit . Schiffe kommen,
Schiffe gehen. Ein Haufen nervigter
Männer Ist von Sonnen, Aufgang bis
Sonnen - Untergang ln voller Arbeit, die
tausenderlei Bedürfnisse der grossen Stadt
aus - und einzuladen . . . . Die aufge¬
blasenen Spitzkrämer von Brabant und
e Flandern , und ihre Sykophanten ln
Brüssel, haben weiter nichts als einen
neuen Beweis von lächerlichem Geldstolz
und
6z8
und Niederländischer national Unwissen- I
heit gegeben / da sie in ihren unbändigen *
Denkschriften von den Morasten der Do - 1
nau in den Tag hinein schwazten ; da
Eie -— welche die Donau nie anders als
auf der Landkarte gesehen hatten — be¬
haupteten , dieser Zluß sey nur durch
seine Iliberschvsemmungen in der Welt
bekannt . . . . Wer sich vom Gegentheil
solcher alberner Sprüche augenscheinlich
überzeugen will , der gehe an bas Schänzl,
und er wird sehen , daß man die freilich
manchmal ausrretcnde Donau auch zum
Vortheil Oestrelchs zu benutzen wisse.
Es ist ein Mauthhaus am Schänzl,
wo die Koffers der aukommenden Frem¬
den , und andere Sachen von minderer
Wichtigkeit , sogleich beim ausladen unter
die alles aufspürenden Finger und Augen
der Zollbeamten kommen. Neben demsel¬
ben stehen hölzerne Hütten , worin man §
kocht, barbirt , frisirt , ißt , trinkt , schläft,
ungefähr wie auf einer wüsten Insel,
wenn
6zy
wenn man durch Sturm dahtn verschla¬
fen würde.
In der Jahreszeit der reifenden Früch¬
te , ist auf dem Schänzl den ganzen Tag
über grosser Obstmarkt , wo man die
Geschenke PomonenS . ganz frisch , so wie
sie anlangrn , geniesten kann. Dabei hat
man nicht selten da- Schauspiel von den
wüthenden Fehden der Obstweiber , wie
sie sich Schürzen und Kappen vom Leibe
reisten , dichte Büschel Haare ausraufen,
und so derb mit Nägeln und Fäusten auf
Nasen , Augen und Wangen begrasten,
daß das Blut umhersprizt ,
unk der
Kampf selbst einem Haufen erboßter Ma¬
trosen itzhre machen würde . Dieses für
die Zuseher immer lächerliche Schauspiel,
die vollen Obstkörbe , und die Aussicht auf
den sehr lebhaften Fluß , macht das Cchänzl
zu einem vorzüglich beliebten Spaziergang
für die Handwerksbursche und ihre näschi-
gen Schönen . An Feyrrtagen besonder-
ist der Plaz den ganzen Tag mit einer
Men-
642

Menge von diesen Leuten bedekt , die sich


jum Theil auch hier auf kleinen Schiff - *
chen für l Kreuzer über den Fluß nach
der gerade gegenüber liegenden Leopold¬
stadt führen lassen. ' > .
Nicht fern ausser dem Cchänzlthvt
steht eins kleines Häuschen , woran mit ei¬
nem schwarjrn Strich die Höhe bemerkt
ist , auf welche bet der Überschwemmung
im März 1784 das Wasser stieg. Sie
beträgt beinahe zwei Klafter über die ge»
»ähnliche Oberfläche des Flußcs . Man
stelle sich die dadurch entstandene Verwü¬
stung vor!
Nicht selten ist das Schänzl der Stand¬
punkt freundschaftlicher Umarmungen und
Herzensergieffungen . Wer fich im westli¬
chen Deutschland auf der Donau ein¬
schifft , um nach Wien zu gehn , schreibt
an seine hiesigen Freunde und Bekannte,
an welchem Lage er ungefähr einzutreffen «
gedenkt . Man geht ihm auf das Schänzl
entgegen ; das erwartete Schiff landet;
der
641

der Fremde springt freudig ans Ufer; sein


Freund eilt ihm iu die Arme, - rwillkommt
ihn mit brüderlichen Küssen, und führt
ihn , Hand in Hand geschlungen, nach
der lärmvollen Stabt.

cxvli.
Vanko und Börse.
Die Wienersche Stadt - Bank hat ei¬
nen festen und wett ausgebreiteten Kredit.
Ihre Obligationen gehen nicht nur in den
östreichische
« Ländern, in Friedenszeiten,
mit drei bis z H Prozent Aufgeld; son¬
dern ihre Vaukzettel kursiren auch in frem¬
den Provinzen , wie z. B. in Holland,
statt baarcn Geldes. Dieses Kredit grün¬
det sich auf den unerschöpflichen natürli¬
chen Reichthum des östrcichischen Staats,
auf die gute Verwaltung dieses grossen
politischen Körpers , aiif die gewissenhafte
und genaue Ordnung , die Interessen zur
, E s Stun-
64 » 0Ü- W - -0

Stunde , wenn sie fällig sind , zu bezah¬


len , und alle Bankopapiere ohne Verzö¬
gerung und Anstoß gegen baarrS Geld
einzulösen.
Nach dem kostbaren siebenjährigen
Kriege wurden die Interessen von 5 , auf
4 vom Ivo herabgesetzt. Seit vielen
Jahren nimmt man auch zu 4 Prozent
keine Kapitalien mehr an , sondern nur
r» 34-
Das Stadt - Bank - Amt ist in der
Singerstrasse . Hier werden die Obliga¬
tionen auf Verlangen der Besitzer umge-
schrieben ; hier werden die Interessen aus-
bezahlt , die man aber an Festtagen , am
Mittwoch und Samstag jeder Woche nicht
erheben kann. Auch kann man hier die
Bankozettrl gegen baares Geld umsetzen. . .
Die Bank - Obligationen kann man auf fei¬
ne » eignen wahren , oder auf erdichtete
Namen schreiben lassen , und so kurfiren
sie Jahre lang , und unter hundert Hän¬
den in verschiebnen Angelegenheiten herum,
ohne
64Z
ohne daß dir wahre Eigenthümer dersel¬
ben bekannt ist r eine sehr bequeme Ein¬
richtung , weil es manchem ehrlichen Mann
aus guten Gründen ungelegen seyn kann,
den Börselaurern und andern Geldmäklern
wissen zu fassen , ob er diese oder jene
Obligation verkauft , versetzt , oder sonst
zu einem Geschäft gebraucht hak.
Die Aufkündigung der Kapitalien muß
vier oder sechs Wochen , auch wohl ein
Vierteljahr vor der verlangten Bezahlung
geschehen , je nachdem die Summe kleiner
oder grösser ist. Die Aufkündungszeit ist
in jeder Obligation von selbst bestimmt.
Wenn der Staat in einem Krieg verwt-
kelt ist , so werden keine Kapitalgeldec
herausbezahlt , die Interessen aber laufen
ln ihrer Ordnung fort.
Vor Zeiten soll die Manipulation bei
diesem Amte nicht die Beßte gewesen seyn.
Ihre Mangelhaftigkeit brachte vor etwann
zwölf Jahren einen Schurken , NamenS
Donati , welcher bei der Bank als Beam«
S s « ter
644

ter stavd , und folglich den Gang der


Waschine genau einsah , auf den Gedan¬
ken , die Bank zu bestehlen . Es gelang
Ihm , und er flüchtete mit einer grossen
Summe vermuthlich nach Amerika . Nach
diesem Vorfall verfügte sich Se . Majestät
der jezige Kaiser selbst nach dem Banke
Amt , ließ sich die ganze Sache , und die
Manipulation genau vorlegen . Daß er
nicht damit zufrieden war , erhellet daraus,
daß er sprach : „ Wenn die Sachen auf
, , diesen Fuß behandelt werden , so wun --
„ dert mich , daß Donati nicht eine Noch
„ grössere Summe entwandte . " Seitdem
hat man die Manipulation strenger einge¬
richtet , und ein Nachahmer des Flüchtigen
würde heut zu Tage übel anlaufen.
Das Hof -Kupfer »Amt nimmt ebenfalls
Kapitalien an , und stellt Obligationen
darüber aus , seit mehreren Jahren auch,
wie die Bank , nur zu z -z Prozent , jrzt
aber, seit dem Anfänge des Krieges , wie¬
der zu 4 Prozent . Diese Papiere habe»
ge-
645
gewöhnlich beinahe eben den Werth , wie
die Bankscheine , doch find fie etwas mehr
dem Steigen und Fallen unterworfen.
Um die Negoziationen und den Umlauf
dieser öffentlichen Staatspapiere mehr zu
befördern und in der Ordnung zu erhal¬
ten , ist die Börse vorhanden . Sie steht
vormittags von ri bis l Uhr , und nach¬
mittags von z bis Z Uhr offen , und ist
auf dem Kohlmarkt , beim grünen Fäßchen,
im ersten Stokwerk . Hier werden alle
Geldgeschäfte , bei denen es auf den Ver¬
kauf, die Verwechslung der Staatspapiere
und förmlicher Wechselbriefe ankommt , ge¬
schlossen , oder wird die Abfchliessung an-
gezeigt . Die öffentlichen Papiere , welche
jemand seinem Gläubiger für baare Be¬
zahlung überläßt , oder mit welchen der
Kauf von Realitäten , Häusern re- ver¬
gütet wird , gehören nicht in das Forum
der Börse . Zur Verhandlung derWechfel-
briefe ist es genug , wenn solche auf der
Börse geschieht , oder auch ausser dersel-
- S s Z den.
646
den , jedoch mit Beiziehung eines Sensa¬
len , welcher das Geschäft in das Tage¬
buch der Börse einträgt . Weiber, - Ban¬
krottmacher , Minderjährige und als Ver¬
schwender erklärte , sind von dem Eintritt
der Börse ausgeschlossen . Es sind Geld¬
strafen und die Ausschliessung vom Eintritt
ln die Börse für diejenigen ausgesetzt,
welche Staatspapiere und Wechsel ohne
Anzeige bei der Börse verhandeln ; wel¬
che in ihren Wohnungen Zusammenkünfte
dulden , deren Gegenstand auf die Börse
gehört ; welche aus Wuchergeist , um die
Papiere fallen zu machen , den Werth
derselben verrathen.
Diese Absichten und Anordnungen find
zum Wohl des Publikums weise und ge¬
deihlich entworfen . Indessen behauptet
man , daß beschnittene und unbeschnittene
Juden , samt einem feilen Troß von Un¬
terhändlern , die Börse häufig umlagern,
pnd manchmal die guten Anstalten dersel¬
ben vereiteln.
cxvm.
647
exvm.

Juden-

Der Saame Abrahams pocht nicht so


ganz umsonst auf die ihm gethane Ver¬
heißung , daß er sich mehren werde , wie
die Sterne am Himmel . In den östrei-
chtschen Erblanden befinden sich zum mind-
sten zovoso Israeliten . In Ungarn
und Böhmen waren sie schon seit lauge
häufig ; aber mit Galizien bekam der Staat
auf einmal um 160000 solcher Geschöpfe
mehr.
In Wien schweben ungefähr fechst-
halb hundert Judenseelen . Ihr einziger
und ewiger Beruf ist zu mauscheln und scha¬
chern , und Geldmäkeln , und zu betrügen
Kristen , Türken , Heiden , ja sogar sich
selbst unter einander . Die Judengasse,
die Preßgasse , und die dortigen Winkel
der Stadt , nennt man spottweise das
Neue Israel ; denn da wimmclts , beson-
Ss 4 ders
ders gegen Mittag und Abends in der
Dämmerung , von armen Beschnittenen,
die nach hebräischem Accent Deutsch mit¬
einander sprechen nnd zanken , und dieß
mit solchem Eifer , daß ihnen der Geifer
in den schmuzlgen Bart fließt , und sie ein¬
ander wohl auch unabsichtlich ins Gesicht
speien.
Dieß ist indessen bloß der bettelhafte
Troß aus Kanaan , der an Schmu ; , Un-
fauberkeit , Gestank , EkelHastigkeit , Aii-
muth , Schelmerei , Zudringlichkeit , und
was etwaun sonst noch die Eigenheiten
des auserwählten Volks seyn mögen , nur
noch von dem Gesindel der zwölf Stämme
aus Gallijien übertroffen wird . . . . Die
Indischen Fakire abgerechnet , gibt es
wohl keine Gattung von seyn sollenden
Menschen , welche dem Ourangoutang nä¬
her kommt , als einen polnischen Juden.
Die Wilden auf den Inseln der Südsee
sind noch Stutzer gegen sie , wenn anders
den Cookischen Abbildungen zu trauen ist.
Vom
64Y
Dom Fuß bis zum Hals voll Koch,
Schmutz und Lumpen, in einer Art von
schwarzem Sack steckend, der um die
Mitte mit einem Gürtel gebunden ist,
woran ein schmieriges Stük Riemen und
einige Schnüre hängen , die , ich weiß
nicht, welche göttliche Gebothe und Ge¬
heimnisse bedeute« sollen ; der Hals offen
und von der Farbe der Kaffer« ; das
Gesicht bis an oie Augen verwachst« , von
einem Bart , der selbst dem Hotzen Prie¬
ster im alten Tempel Graust« etregca
würde ; die Haart büschelweise verdreht,
und in Knoten geknüpft, um die Schul¬
tern triefend ? als ' ob sie alle dielpolnifche
Plika *) hätten. . . . Ihr Geist, oder
was etwa bei ihnen die Funktionen diese-
Wesens verrichten mag , ist , nach dem
Geständniß ihrer eignen Landsleute , wo
S s 5 mög- .

*) Sine besondere Arankbeit de* Polen Man


sed « darüber C »re «steilen durch Polen
Rußland »e.
650

möglich , in einem noch elender » Zustande


als ihr Körper . — Wäre Swift jemals
in Polen gewesen , ich würde glauben,
er habe das Original zu seinen ^ ahoo»
von den dortigen Israeliten genommen . —
Diese .'Geschöpfe kommen in den Zetten
der Jahrmärkte zu Hunderten nach Wien,
um Maaren einzuschachern , und in ihre
Heimath zu bringen.
Hält man die reichern Juden von
Wien gegen jene elenden Wichte , so sollte
man,freilich nicht glauben , daß sie hes
nänjllchenHerkommens , mit ihnen fcyn.
Die Familien der Arnßeiner , Wetzlar ,
Hönig »c. find bekannt . Sie haben sich
durch mancherlei Wege ansehnliche Reich-
thümer erworben ; aber eben diese Götzen
Haben manche derselben von der Religion
ihrer Väter abtrünnig gemacht : wozu
auch der Umstand hilft , daß die Juden
hier noch immer vom Ankauf liegender
Gründe und unbeweglicher Güter aus-
geschloffen find ; eine heilsame Verord¬
nung
o 6zr

nung , wen «» man das Beispiel mancher


Gegenden anfieht , wie daselbst durch ehe¬

malige alljugrosse Begünstigungen die Ju,


den das Kristenvolk verdrängen und drü¬

cken. Die jeitlichen Vortheile , welche


unter der vorigen Regierung mit solchen

Bekehrungen verbunden waren ; die min¬


der lästige Lebensart der Kristen , gegen
die äusserst beschwerlichen Religionsgebräu¬

che der Anhänger des Talmud gerechnet,


und die engere Freundschaft , welche «in

zum Kristen gewordener Israelit mit den


Vornehmen des Hofes und der Stadt

knüpfen konnte , waren ebenfalls wichtige

Beweggründe , aus dem Alten in das

Neue Testament zu flüchten . . . . Die

scheinbaren Absichten , mit denen einige

krlstliche Priester an dieser Sache arbei¬

teten ; und der Eifer , mit dem sich die


frommen Damen und Kavaliers von Wie«

zum Taufstein drängten , um die Pathen-


stelle bei dem der wahren Religion ge¬

wonnenen Juden zu vertreten , gab jeder


sol«
65»
solchen Bekehrung , woraus nur selten
Erbauung entstand , doch immer ein fryer-
leches Ansehen.
Indessen sind , kroz grosser Reichthü-
mer, einige Familien doch der alten
Theokratie getreu geblieben ; und find un¬
ter den duldsamen Wienern darum nicht
weniger wohl gelitten . Man erinnere
sich der bekannten Eskales , die , bei aller
Anhänglichkeit an das Ges «; Mofis , köst¬
liche Staatsmänner , Helden und Gelehrte
bezauberte . Und die schöne Hebräerin *"*'!
macht sie nicht noch bis auf den heutigen
Tag die Afpafia für unsere jungen Ka»
valiers und eleganten Herren? Knien
vor ihrer Bundeslabe nicht um die Wette
Anhänger desPabstes , Luthers , Kalvins,
und der Englischen Kirche ? . . . Freilich
sagt man , herrsche in solchen Häusern
ein Ton , mit dem ein orthodoxer Rabbi»
«er nicht allerdings
zufrieden seyn würde;
aber wer bekümmert sich bet solchen Um-
siän«
6§S

ständen um den krallsbärtigen Pedanten,


der am Pentateuch Md Talmud kaut!
Die Jude « haben keine Synagoge in
Wien ; aber es sicht ihnen frei , in ihren
Wohnungen zu brthen , schreyen , Gri¬
massen zu machen , wie und so oft sie
wollen . Die hier Heisathen wollen , müssen
ein Vermögen von 10020 Fl . aufweisen.
Welche sich hier ansässig machen wollen,
müssen vor der Polizei anzeigcn , auf
welche Art sie sich nähren können . Die
fremden Juden , welche kommen , die Jahr¬
märkte zu besuchen , erhalten immer nur
auf 6 Wochen Erlaubniß , hier zu bleiben;
nach Verlauf dieser Zeit müssen sie sich
von der Polizei neuerdings auf 6 Wochen
Freiheit auswirken : eine gute Anstalt,
um die Stadt vor dem allzugrossen Utber-
lauf dieses Mäklergesindes zu bewahren.
Der alles reformirende Geist nusers
rastlosen Zeitalters , hat sich auch an die
Nachkommen Abrahams , Isaaks und Ja¬
kobs gemacht . Dohms Schrift: über
die
6Z4
die bürgerliche Verbesserung der Jude « ,
erregte viel Aufsehn ; wenn aber öffentli¬
chen Nachrichten zu trauen ist , so that
sie selbst in dem Lande ihrer Entstehung
wenig Wirkung . Schon vor Dohms Ab¬
handlung waren in Prag ein paar Klei¬
nigkeiten übet eben diesen Gegenstand er¬
schienen. Sie machten Eindruk auf bas
Publikum , das war es alles . Die Gewalti¬
gen der Erde kehren ^ sich leider selten an
die Stimme der Schriftsteller.
In den östretchischen Landen hat man
indessen , ohne Rücksicht auf die Vorschlä¬
ge der Gelehrten , einige Veränderungen
Mit der Judenschaft vorgenommen , wel¬
che Einfluß auf dieses Volk gewinnen
müssen , wenn sie in der Praxis so gut
ausfallcn , als die Theorie derselben viel¬
versprechend ist. Um dieses exotische Volk
mehr an die Lebens - und Denkungsart
der wakern Deutschen Nazion zu gewöh¬
nen , hat man ihnen befohlen , lauter be¬
stimmte deutsche Familieu - Namen , anzu-
neh-
6ZS
' nehmen ; alle ihre Rechnungen , Synago¬
gen - Bücher , Gerichtsbücher , Verträge,
Wechselbriefe , und überhaupt alle Arten
von öffentlichen Schriften , in deutscher
Sprache und mit deutschen Buchstaben zu
schreiben. Ihre Schulen in Böhmen,
Oestreich , Mähren , Ungarn , Galligen rc.
find auf den Fuß der deutschen Normal-
Schulen eingerichtet , und es muß allent¬
halben in denselben Deutsch gelehret wer¬
den. In Gallijien hat man ihnen unter
vortheilhaften Bedingungen Grundeigen-
thum eingeräumt , und noch mehr ange-
bothen , um sie an den Akerban und an
die kandwirthschaft zu gewöhnen . . . .
Herz Homberg , ein Schüler von Moses
Mendelssohn , und selbst jüdischer Abkunft,
hat die Aufsicht über alle Juden -Schulen
in dieser Provinz erhalten , um diese unbe¬
schreiblich rohen Horden , so viel möglich,
anderen gesitteten Menschen etwas ähnli¬
cher zu machen.
6Z6
Ich meines Theils würde die Juden,
wenn ihre Zahl so groß ist , wie in den
Lstreichischen Erblandea , allen Pflichten
den übrigen Uoterthanen unterwerfen«
Auch an den Militar -Stand würde ich sie
gewöhnen . In Brandenburg läßt man
die dort ansäßigen McnnoMen nicht zahl¬
reicher werden , und keine Prosclitcn ma-
^ chen , weil cs ein blutscheues Völklein ist,
das keine Kriegsdienste thuk. In Ungarn
hat man vor zwanzig Jahren aus gleiche»
Gründen di« dortigen Mcnnoniten gezwun¬
gen , katholisch zu werden , um sie für
den Staat gleich brauchbar zu machen.
Warum sollen die Juden eine Ausnahme
geniesten ? . . . Zu wirklichen Soldaten
würde ich sie zwar nie nehmen , weil ich
weiß , daß sie Feige sind , die so wenig
fliegerischen Muthes und männlicher Zucht
fähig werden , als ein Regiment kappen
oder Samojeden ; die beim ersten Kano¬
nenschuß das Gewehr wegwerfen und aus
der Fronte laufen würden . Aber man
neh»
6Z7

nehme sie zu Fuhrknechten , zu Ctckkknech-


ten , zu Regiments -Schneidern , Schustern,
Bäkernrc . Ihr Einwurf wegen der Heili¬
gung des Sabbaths ist eine leere Aus¬
flucht. Man hat in Preuffen Soldaten
gefehn , welche wirkliche Juden waren ; im
lezten amerikanischen Krieg hat der Ober-
Rabbiner von Amsterdam seinen Reli¬
gionsgenossen allgemeine Dlspenfazion er-
theilt , daß sie als Soldaten bei der Ar¬
mee , als Matrosen auf den Schiffen,
und in andern Eigenschaften dienen konn¬
ten , ohne Sünde , ohne den Sabbath,
ihre Kleidungsregeln , ihre Tischgesetze rc.
zu verletzen . Endlich haben sie ja Bei¬
spiele in der Bibel selbst. Fochten sie
nicht unter den Maccabäern am Sabbath

gegen ihre Feinde ? *)


Man

*) Da diese« schon geschrieben war , erschien


in der Wiener Zeitung , Nro . 41 . vom
21 » Mai 1788 folgender Artikel:
Da « kbnigl. gaUizische LandeSguberr
nium hat unter dem 8. April nachstehenr
T t de«
658
Man behauptet, daß die reichern Ju¬
den überhaupt stark anfangen, im Punkte
ihrer Religion Freigeister zu werden, oder,
welches in ähnlichen Fällen eben so viel
sagt, philosophischer zu denken . Allmäh-
lig wird sich dieses weiter verbreiten, und
mit dem Sturz ihrer Vorurtheile werden
sie auch gemeinnütziger werden. Um die¬
ses zu beschleunigen , müßte man vor
allem

Sreisschrerben erlaffen : „ Damit di«


in diesem Äbnigreiche so zahlreiche jüdi¬
sche Nazion für den Staat gemeinnüzsger
gemacht , und ihr zugleich die Gelegen¬
heit verschaft werde , sich für daS allge¬
mein « Wohl zu verwenden , dadurch aber
neue Nahrungszweige für sich zu erhal¬
ten , und zugleich an Aufklärung sowohl
als an Verbesserung der Sitten zu ge¬
winnen , haben S «. Mai . mittels Hofde'
kret« vom lg . Febr . d. I . gnädigst zu
beschliessen geruht , daß di« jüdischen Un-
terthanen in Gallizien , und zwar gleich
hei gegenwärtigen Kriegsumständen , zu
den Militärdiensten verwendet , und da¬
her künftig gleich den Christlichen Un»
terthanen kvnskritirt werden sollen. "
659
allem ihre Rabbiner die eigensinnigsten,
unwissendsten Leute unter der Sonne,
mehr zur Vernunft bringen.

cxix.

Nonnenklöster.
Die Einrichtung der kristlichen Non¬
nenklöster, so wie sic jezt noch in den
meisten katholischen Ländern bestehn' ist
vom Grunde aus schief und verkehrt. Ich
weiß nicht, in wie fern der Himmel an
diesen Anstalten Wohlgefallen haben mag;
aber so viel ist gewiß , daß die gesunde
Filosofie und Staatsku »st sie ganz unk
zwekmäßig, grausam und abentheuerlich
findet.
Therese ist ein gutes , munteres Mäd¬
chen. Sie hat eine lebhafte Einbil¬
dungskraft , aber sehr mittelmäßigen Ver¬
stand. Ihre Mutter ist ein frommes Weib,
die «ine weitläufige Verwandt« in einem
Tt » Non-
66o
Nonnenkloster der Stadt hat. Der Vater
gilt für einen vermögenden Mann. Mutter
und Tochter besuchen die verwandte Nonne
oft : man füllt dem Mädchen erst den
Magen mit Zukerpläzchen und anderm süssen
Nonnengebäcke , nach und nach den Kopf
mit andächtlerischen Grillen. Die geistli¬
che Muhme hat es der Abrissen gestekt,
daß Theresens Vater Dukaten besizt . Nun
wird mit dem Pater Beichtvater ein Plan
angelegt, das Goldfischchen einzuhaschen.
Die Versuche gelingen; das Mädchen wird
allmählig so sehr für den Schleier erhizt,
daß sie ihn selbst von ihren Aeltern ver¬
langt. Die Mutter ist zu fromm, sich
dem vermeintlichen Beruf zu widersezen;
der Vater steht unter dem Pantoffel; nach
sechs Monaten schleicht Thereschen in das
Kloster, und bringt ihr reiches Erbtheil
mit sich. . . . Rosine ist die jüngere Toch¬
ter eines armen Edclmannes. Um dem
Sohn , welcher Soldat ist , eine kleine
Unterstüznng neben seiner Gage zu ver-
schaf.
66r

schaffe« , um die ältere Schwester mit dem


Sohne eines Mannes verheirathen zu kön¬
nen , von dem man gewisse Protektionen
hofft ; muß Rosine auf Ihr Erbtheil Ver¬
zicht thun , und Klosterfrau werden . . . .
Leonore ist ein Mädchen voll Feuer , voll
romantischer Bilder und Träumereien . Sie
hat einen Liebhaber , der ihr empfindliches
Herzchen bis zu Thränen der Wonne und
Zärtlichkeit schmelzen macht. Plözlich
schlägt ihr Papa einen ganz unbekannten
Mann zur Herrath vor , denn es ist eine
sogenannte gute Parthie . Schon der
blosse Gedanke , ihrem Geliebten entrissen
zu werden , macht , daß Leonore Kräm-
pfungen bekommt. Während dieses Stur¬
mes erhebt sich ein noch ärgerer ; unter
einem sehr scichtenDorwand verläßt sie ihr
Liebhaber . Nun ist sie in Verzweiflung.
Unwissend , daß die Zelt solche Liebes-
wunden bald heilt , spricht sie nun bloß
vom Kloster , verabscheut alle Männer,
bewegt die ganze Verwandtschaft und den
L t z Ge-
66»

Gewkffrnsrath vom Hause zu ihrem Ab¬


sichten ; Papa wird vom göttlichen Beruf
überwiesen , tritt mit dem vorgeschlage¬
nen Freycr zurük , und Leonore vergräbt
sich in eine Zelle . . . . Susanne lebt
bei ihrer Mutter , einer Wittwe von vier¬
zig Jahren . Diese ist die leibhafte Woh¬
nung des Zankteufels . Susanne kann kei¬
nen rechten Schritt thun : alles an ihr
wird getadelt , über alles wird gekeift;
sie hat weder bei Tage noch bei Nacht
Ruhe . Der Vertraute des lüsternen Wei¬
bes , ein vierschrötiger Kanzlei - Federfuchser,
hilft getreulich dazu , Susannen zu foltern,
um sie auf irgend eine Art los zu wer¬
den. Das gequälte Mädchen weiß keinen
andern Ausweg , und flüchtet aus uner¬
träglichem Gramm in ein Kloster.
Man sehe in die geheime Geschichte
der Nonnenklöster ; man frage die meisten
Exnonnen , welche offenherzig genug sind,
die Wahrheit zu reden , und man wird
finden , daß unter zwölf Mädchen immer
neun
Sü-Mü 'v 66z
neun bis zehn aus solchen ober ähnlichen
Gründen in die Klöster kamen. Und was
war dort ihre Beschäftigung ? das unver¬
standene Breviar zu bethen ; süsse Näsche¬
reien zn kochen; Amulette , Bilder , Eka-
puliere und dergleichen albernrS Spiel¬
zeug zu verfertigen ; Wallfahrten in einen
Gartenwinkel oder auf den Dachboden
anzustellen ; mit den Oberinen und unter
sich selbst zu zanken, eifersüchteln , beneiden,
verläumden ; halb mystische und halb ir¬
dische Liebeleien mit dem Beichtvater und
andern Mönchen unterhalten ; oder aus
tnnern Gramm und Verdruß über vereitelte
Aussichten , zerschellte Hoffnungen , ge¬
täuschte Gefühle , in einer dumpfen Schwer-
muth dahin welken . Erzwungene Untä¬
tigkeit , eine der schmerzlichsten Plagen
für nicht ganz abgestumpfte Menschen,
war in den meisten Nonnenklöstern allge¬
mein herrschend. Auf dieses Weibervolk
paßte eigentümlich die Schilderet des
Römischen Dichters:
Tt 4
664
Lk — ^NTÜLM natlo , gratis andelsns,
ocquxrtL in otio , mulrum gtzeaüo nikil
sxeos.
In Oesireich ward man endlich dieser
Menschengattung und ihres vermeintlichen
Berufes satt . Seit der gegenwärtigen
Regierung find alle Nonnenklöster aufge¬
hoben worden , die fich mit blossem Chor¬
fingen beschäftigten . Man hat nur zwei¬
erlei Orden beibehalten : den einen , dessen
Schwestern Spitäler für arme Weibsleute
unterhalten ; und den anderen , welcher
fich mit Unterweisung der Mädchen ab-
gibr.
Wien hat noch drei Nonnenklöster:
die Elisabethinerinnen auf der Landstrasse,
welche fich mit ihrem Krankenhause be¬
schäftigen . Ihr Institut ist für die Mensch¬
heit heilsam , und ihre Bestimmung ehr¬
würdig : bei unfern hochökonomischen Zei¬
ten ist an solchen Zufluchtsorten für un-
glüklich Leidende eben kein Utberfluß . Die
Thätigkeit , mit der sich diese guten Schwe¬
stern
665

stern ihrer Nebenmenschen annehmen,


macht ihnen selbst ihre Lebensart erträgli-
cher , und ihr Daseyn dem Staate ge¬
deihlich . . . . Die Ursulinerinen in der
Stadt beschäftigen sich mit dem Unterricht
bürgerlicher Mädchen ; und die Salesiane¬
rinen auf dem Rennweg haben eine Erzie¬
hungsanstalt für adeliche Töchter . Diese
Anstalten haben freilich von einer Srite
etwas Gutes , und können das Fortdau-
rrn dieser Klöster einigermassen rechtfertt,
gen ; indessen ist es ein bekannter , aber
nicht ungegründeter Einwurf , daß die
Nonnen - Erziehung immer etwas schiefes
hat , und auf die meisten Mädchen Ein-
drüke macht , Begriffe und Gewohnheiten
bei denselben zurükläßt , welche in der
Folge manche« ehrlichen Mann die ge¬
wöhnlich sehr mit Kleinlichkeiten beschäf¬
tigte Kloster - Erziehung verwünschen ma¬
chen. . . . Der Gebraus junge Mäd¬
chen haufenweise in die Klöster zusammen
zu sperren , ist vermuthttch aus Frankreich
Tt s r»
666

zu uns gekommen , taugt aber deswegen


um nichts mehr- Der wissenschaftliche
Unterricht in diesen geistlichen Kosthäusern
läuft gewöhnlich auf «ine Gedächtnißsache
hinaus , und das Aufgefaßte fertig her¬
unter zu plappern . Gibt man die Mäd¬
chen hinein , um ihre Unschuld desto siche¬
rer zu bewahren , ihnen Sitten und Le,
bensart beizubringen : so fällt die Wirkung
oft noch schlechter aus , als im Unterricht.
Was die Lebensart betrifft : so find die
meisten aus diesen Klosteranstalten kommen¬
den Mädchen entweder sehr blöde und
Menschenscheu , oder so vrrschmtzt, ränke¬
voll , und bösherzig , daß sie sogar zum
Sprichwort geworden find.
Es war dem deutschen Publikum auf¬
fallend , da es vor ungefähr zwei Jahren
In der Wtenerzeitung las , baß man fünf¬
zehn Sakraments - Nonnen aus Frankreich
habe kommen pfiffen , um sie in Lemberg
bei der Erziehung des jungen weiblichen
Adel - zu gebrauche « . Leider 1K dort eine
sol-
1
o-ü-W ---« 66/

solche Stiftung von der Französin l .»


Orange , nachheriger Gemahlin Johannes
Eobiesky , angelegt » Allein die nasewei¬
sen Franzmänninrn machten «inen solche»
tobenden Lärmen , und brachten alleS in
eine solche Unordnung , baß man sie nach
einem Jahre fein sauber wieder alle ab-
dankte , und ganz in der Stille dorthin
zurük spedtrte , woher sie gekommen
waren.
Man erlaube mir einen Vorschlag r
da die Stiftung der beiden hiesigen Non¬
nenklöster zur Mädchen - Erziehung bestimmt
ist , so verwandle man diese Häuser vol¬
lends ln weltliche Institute , wie daS schon
bestehende Mädchenpensionat ist. Diese
Verwandlung wird und muß unfehlbar
Vorzüge . über das geistliche Institut
haben.
Es leben in Wien viele Ex - Nonnen.
Sie haben sich zu ihren Verwandten , Be¬
kannten , oder ihrer zwei und drei zusam¬
men gezogen , und gemessen in der Stille
ihre
668
Ihre Pensionen . Es ist zu bedauern , daß
der andächtige Eigensinn von ein paar
Bischöfe » ihnen die förmliche Befreynng
von ihren ehemaligen Gelübden verwei¬
gert hat . Wie manchen Reichen und
Vornehmen hat man schon von den feier¬
lichsten Gelübden , selbst vom Priester¬
stand , zur Ehe losgesprochen ' . . . Bei
den Nonuen aber war weder Geld noch
Einfluß zu erhaschen ; und so wäre eS
freilich himmelschreiend , ihre Gelübde auf¬
zulösen . Dieses Benehmen gibt eine neue
Destättigung über den verächtlichen Geist
derjenigen , welche die Religion zum Vor¬
wand ihrer herrschsüchtigen und eigennützi,
gen Absichten mtsbrauchen.
66-
cxx.
Weine.

Inländer haben es im Auslande, und


Ausländer bet Uns gefunden, daß die
Deutsche, und vorzüglich die Wienersche
Küche die beßte, die nahrhafteste , aber
auch die schweigendste sey. Der Englän¬
der begnügt sich mit seinem Roastbeef,
der Franzose mit einem HammelSbraten
und ein paar kleinen Pasteten; der Ita¬
liener mit einem in Oel gebackenen Meer¬
fisch und seinem Strachino. Der Wiener
aber liebt die Menge der Schüsseln; vom
Auerhahn bis zur Taube, von der Forelle
bis zum Thunfisch, muß alles Geflügel
und dos ganze Reich der F sche seinen
Tisch mit Lekerbiffen versehn. Seine Brü¬
hen sind kräftig und schmackhaft ; dieß
beweisen die vielen Podagristen, welche
n^an hier häufig findet.

Sei-
Sxo
Seine Eßgelage wären unvollkommen,
wenn nicht gute Weine den Kizel des Gau¬
mens vermehrten , und die Verdauung
der Mittagstafel für das Nachtmahl be¬
fördern hälfen.
Der patriotisch gesinnte Trinker schäzt
feinen alten Landsmann mehr als alle
jene Weine , welche in Frankreich und
Italien gekeltert werden . Die Gebürge
um Wien , Grinzing , Nußdorf , Bisam¬
berg , Brunn und Gumpoltskirchen , ver¬
sehen ihn mit Weinen , die in ihrem zehn¬
ten Jahre l4 bis iZ,und in ihrem zwan¬
zigsten zo und mehr Gulden , der Eimer,
gelten . In seinen spätern Jahren ver¬
gleicht man ihn mit Recht dem Rebensaft,
welcher am Rhein gepreßt wird . Aerzte
verordnen ihn schwächlichen Greisen , und
gegen Magenkrankheiten ; und selten ohne
Wirkung.
Oer Vorwurf , daß der Deutsche , und
vorzüglich der Oesircicher , ein Säufer sey,
ist alt , aber in » nsern Zeiten etwas über-
c-üW ^ o 67»
trieben . -Der Deutsche ißt mehr und ißt
besser , als feine Nachbarn : daher trinkt
er auch mehr. Laßt den Engländer sei¬
nen Cpleen mit seinem Porter , den Fran¬
zosen , wenn er welchen hat , mit einem
Gassenlted , den Italiener mit einer Be¬
schwörung der Heiligen verjagen . Warum
sollte der gastfreie Deutsche nicht mit ei¬
nem Glas alten Wein unter freundschaft¬
lichem Gespräche sich guten Muth und
gutes Blut schaffen ! . . . Wundert euch
daher nicht , wenn ihr biedre Wiener iy
einer Schenke bei einer Flasche mit schon
grünlichtcm Oestreicher gefüllt beisammen
seht- Ihr möget wohl eine halb « Stun¬
de horchen , und ihr hört nur Lobgesänge
auf den Gott des Weines . Anfangs wird
der Reihe nach gekostet. Jeder hat seine
eigne Art , die ersten Tropfen mittels sei¬
ner Zunge auf die Kapelle zu bringen.
Auch der geübteste Kenner wagt es nicht
gleich mit seinem Urtheile hcrauszuplazen:
« prüft , überlegt , und sagt dann in fro¬
hem
6/L
hem Ton : der Wein ist gut ! ober r er ist
milde ! » . . Darauf folgt eine Litanei
von Lobsprüchen auf den Wirth . Oft
wird wohl so lange getrunken , bis man
den Werth des Weines nicht mehr be¬
stimmen könnte. Man geht unter Be¬
dauern , daß alles vergänglich sey , tau¬
melnd nach Hause , sich freuend auf den
künftigen Abend , um wieder von dem
Mutterfäßchen zu kosten.
Die Verschiedenheit der Stände ver¬
ursacht auch die Verschiedenheit des Ge¬
tränkes . Der Adel , der Bürger , der
Beamte , der gemeine Mann , trinkt un¬
gleiche Weine , und in ungleichem Maße.
Der hohe Adel , welcher sich des Ta-
ges wohl zehnmal auf das Einfuhrverboth
der fremden Erzeugnisse erinnert , fühlt
auch das Verboth der Weine mit grossem
Schmerz . Man erblikt jezt nur noch sel¬
ten auf den Tafeln der Grossen die Spa¬
nischen Weine , welche die schlappen Ner¬
ven durch ihre würzhafte Stärke aufrich¬
ten;
67z
ken ; selten den Burgunder , der , selbst
mit Uibermaß getrunken , dem Kopf nicht
schmerzhaft ward ; ttlteu den Schampag-
ner , der den Wtz gühren machte. Sechs-
zig Prozent , « nv >ie Eingabe des Na¬
mens bei Seiner Majestät , von dem , der
sie vom Auslände kommen läßt , haben ih¬
ren Gebrauch vermindert.
Ihren Plaz ersetzen nun Hungarische
Weiue , welche die Gebürge von Total,
Erlau , Schumlau , Nesmill , Stklos,
Szekszard , Et . Georg und Menisch erzeu¬
gen . Die Gaumen gewöhnen sich daran,
und man fängt an , vorzüglich den sogr-
nannten Ausbruch der zwey leztern gut zu
finden . . . . Die Ae rzte empfehlen beson¬
ders den Meiner Wein , ebenfalls ein
^ungarisches Gewächs : sein Saft verbin¬
det die Säure des Oestreichers mit dem
Feuer feines Vaterlandes in einem der
Gesundheit zuträglichen Grade . Die Da¬
men halten sich mit dem Tokaier schadlos,
den mau aber fast nirgend als bet Hofe,
»t u « ad
674
und in wenigen Herrschaftshäusern ächt
trinket. Für den Hof werden jährlich
Anthetlr *) geliefert ; und der Adel
zieht ihn auf seinen eignen Weinbergen.
Die Trautsohnsche Familie besaß die beß-
ten Gebürge : als diese erlosch, wurden
dieselben unter mehrere Besizer vertheilt.
Für Schwäche und Krämpfe des Magens
ist dieß der beßte Wein : sein Feuer ist
angenehm von seiner Süsse gemildert.
Im Auslände schäzt man ihn so hoch,
daß der k. k. Hof jedes Geschenk mit
nichts angenehmcrn zu erwiedern wüßte.
Der Rußische Hof hatte sogar eigne Wein-
gebürge . in der Nachbarschaft von Tokai
an sich gebracht, und , welches rin selt¬
nes Schauspiel ist, hielt daselbst, mitten
in Hungarn , eine Rußische Garnison von
Zv Mann samt einem Offizier, um die
kost-

) Sin Anth-l oder Antheil hält anderthald


Limer, oder 60 Maß.
675
kostbaren Trauben Tag und Nacht zu
bewachen , von denen , wie man sagt,
nur seine Lieblinge an der Newa ju k»-
sten bekamen.
Es wäre wunderbar , wenn derWetn-
handel vom Betrüge frei geblieben wäre.
Daher rathe ich Euch , lieber gar keinen
Tokaier zu trinken , wenn Ihr ihn nicht
aus einem hungarischen Herrschaftshause
bekommt . Die Wetnhändler haben die
Kunst erfunden , ihn aus getrokneten Bee¬
ren mittels Cyrups zu bereiten . Ihr
verderbt euren Magen noch mehr , dessen
Schwäche Ihr doch tilgen wolltet . Wenn
Euch eine Flasche Tokaier um l oder »
Gulden angebothen wird , so kauft ihn
nicht , und trinkt lieber «inen gewöhn¬
lichen hungarischen Wein , oder guten
Oestreicher.
Der Adel trinkt meistens zu Hause,
oder bet denen , mit welchen ihm sein
Wappen umzugehn erlaubt . Doch wagen
sich einig « junge Kavaliers manchmal über
Uu » den
67Ü

den Rand chres Diploms hinaus , und be¬


suchen die ansehnlichern Gewürzläden.
Neben den Hungarischen werden auch ei¬
nige süsse Weine aus Friaul , Istrien,
der Lombardei und Toskana getrunken . . . .
Seit der stets mehr um sich greifenden
Brittensucht , hat man sich stark an den
Punsch gewöhnt : welcher statt des Ruinös
und Rake hier oft mit gutem hungarischen
Elivovicza ( Pflaumenbrantewein ) zube-
rcltet wird : selbst Fräuleins geben schon
Punschgesellschaften.
Beamte und Bürger eilen beinahe um
die nämliche Stunde zum Weine : der er¬
ste verläßt sein Schreibpult , wenn sich
die Vorgesetzten entfernen , und dieser
schließt seinen Laden , wenn ihn die Däm¬
merung keine Besuche mehr hoffen läßt.
Beide suchen sich den Schweiß ihres An¬
gesichts in ihren gewählten Gasihofe bet
ihrer gewöhnlichen Gesellschaft zu troknen.
Der Bürger steht besser als der Beam¬
te ; daher begnügt sich dieser mit Wein

»TüM ^ -o 677
zu r6 Kreuzer die Maß , Indessen der
Bürger an einem Abend von 24 bis 4 T
Kr . alle Preise durchsäufk.
Der Beamte spricht von seinen Ge¬
schäften , schimpft auf diesen oder jenen
dummen Streich seines Obern , und be¬
müht sich, die erhaltenen Verweise mit ei¬
nem Gläschen aus dem Gedächtniß zu
schwemmen . . . . Der Bürger fängt mit
einer kleinen Prellerei an , die er in fei¬
nen Hanblungsgeschäften den Tag über
gespielt hat ; kommt dann , wenn ihn der
Wein von seinem Spekulationsgeist weg¬
führt , auf die Verordnungen des Landes¬
fürsten ; von denselben geht er ins Par¬
lament nach London , oder in die Stube
der Notabeln von Frankreich ; vergleicht
wohl gar die Rcgierungssormen . Da ist
man nun gewöhnlich einer entgegengesetz¬
ten Meynung ; der Stahlarbeiter verthei-
digk dik Engländ er , der Galanteriehänd¬
ler die Franzosen , der Gcwürzkrämcr
hält es mit den , Holländern , und der
U u z ge-
678
getaufte Jude mit den Portugiesen
. Man
zankt, und geht trotzig nach Hanse,
kommt aber des folgenden Tages wie¬
der, und sitzt um die nähmliche Stunde
auf dem nähmltchen Platz . . . . Der
gegenwärtige Türkeukrieg ist einer der
glükltchsten Zeitpunkte für die Wirthe,
Der Beamte trinkt nun «in Glas mehr,
weil er seinen guten Freunden seine Nach¬
richten mittheilt, die er aus dem Kabi-
net zu haben glaubt. Der Bürger kommt
mit einigen Zritungsblättern: man liest
sie erst der Reihe nach, und urtheist dann
darüber. Der Helden Gesundheit wird
getrunken, oder ein mislungener Angriff
bekrittelt. Pläne werben gleich auf dem
Tisch gemacht: Gabeln sind spanische
Reiter , Semmeln Festungen, Gläser
Schanzkörbe; die Flüsse werden mit Wein
auf dem Tisch gezeichnet, und Brosamen
formirrn die Armeen

*) Dieses Bild ist nicht von meiner Er¬


findung. Der berühmt« Dichter Nass
h»t
679
Der gemeine Mann hat keine ge¬
wöhnliche Stunde ; er fängt Morgens
an, die Wirthshäuser ju besuchen , und
hört Abends auf. Die geringste Klaffe
steigt in die unterirdischen Keller, und
trinkt dort Wein für 6 und 8 Kr. Die
Taglöhner und Zimmerleute reden vom
Bauen, mitunter auch vom Kaiser und
Papst; die Handwerksbursche von ihrem
Gewerbe, ihrer Meisterinn, und ihren
Wanderungen; und die Liverey spricht
Böses von ihrer Herrschaft . Der Pöbel
lauft auch, um wohlfeiler zu trinken,
Uu 4 wohl

hat «ü schon aufgestellt . Die von Troja


zurükgekommenen Griechen lhaten eben
daS , was di« Wiener , und ich glaube
jedes Volk , bei einem ihm wichtigen Krieg
thut:

kinxir L effuio kergrms tora mero:


Urc ikae Simois , k!c eü Sigeia rellus »
lllc üecersr krismi regia cella lenir . ^
Oviä . Rpist . » eronl.
68»
wohl eine Stunde vor die Linien ans die
Dörfer hinaus.
Die besten innländischen Weine be¬
kommt man in den Kellern der noch
nicht aufgehobenen Klöster. Die Bene¬
diktiner von Mölk, die Chorherren von
K'osterncuburg, die Barnabiten zu St.
d Michael rc. sind Wetnhändler.
Die hungarischen Weine liefern am
beßten Himmly im Trattnerschen Haufe,
und Hammer zum rothen Jg l : die
Friaulischen und Italienischen der Ge,
wärzhändler Patuzst zur meisten Rose,
und Kapler zum Kameel.
In den berühmtesten Gasthöfen be¬
kommt man nurmittklmästigeWeine : der
theuerste ist kaum die Hälfte des Preises
werth. Der Gastgeb will durch den
Weinschank die Kosten der Küche ersetzen;
er wässert und färbt also nicht selten seine
Getränke,

Auch
o W —o 6»r
Auch auf Rechnung der kaiserlichen
Familie wird in deitr sogenannten Fami-
lirnhause am alten Fleischmarkt Wein ge»
schenkt. Er ist gut und wohlfeil, daher
auch der Absaz davon ausserordentlich
stark ist, und des Jahrs wohl zoovc»
Fl. einbringt.
Die gräflich SchönbornlscheFami¬
lie ließ ehedem auf ihre Rechnung Rhein¬
wein kommen . Wenn ich nicht irre,
so hat die erhöhte Mauthtaxe sie bewo¬
gen, gegenwärtig dieses Geschäft einzu¬
stellen: ein unangenehmer Umstand für
alle Liebhaber des Rheinweins , welcher-
-cht und gut dort zu haben war.

exxi.
- Stephans - Kirche.

Diese gothische, finstere Steinmasse,


mit ihrem spizcn Dach, ragt über alle
Gebäude der Stadt empor. Sie hat des
. U u 5 Rang
68»

Rang vor allen übrigen Kirchen Wiens,


«eil ein Erzbischof und ein Domkapitel
von ihr den Titel führen , und « eil sie
der Hof einigemal des Jahrs mit seiner
andächtigen Gegenwart beehrt. Ihre Bau¬
art und ihr inneres AuHsehn ist bekannt¬
lich nicht nach dem Schönheitsmaß der
ächten Architektur, die man an den Kunst¬
werken Italiens bewundert. In diesem
Betracht verdiente die Kirche des heil.
Karl auf der Wieden den Vorzug: denn
diese ist eigentlich die geschmackvollste,
regelmäßigste Kirche von Wien.
Die Strphanskirche ist ganz von Qua¬
dersteinen erbaut , hat bloß marmorn«
Altäre , und einige ziemlich gute Altar¬
blätter . Ihre Länge beträgt Z4« Fuß,
die Breite L»a, die Höhe fy . Hieraus
- sieht man, daß sie für die Hauptkirche
einer solchen Stadt eben nicht sonderlich
groß ist.

Das
68Z

Das wichtigste Denkmal in derselben


lst das Grab des für das östreichische Haus
unvergeßlichen Helden Eugen von Ea-
vonen . Man schlug diesem Prinzen in
Frankreich ein Dragoner - Regiment ab,
um das er anhielt : aus Verdruß verließ
er nun Paris , und gieng in kaiserliche
Dienste . Wie sehr mußte es der stolze
Ludwig bedauern , diesen Mann beleidigt
zu haben « . . . An welche Lage würde
Ocstreich ohne die Siege bei Hochstädt,
Turin , Ramtllies , Zenta , Belgrad '-rc.
gekommen scyn ! . . . Daß er nicht bloß
Held , sondern auch Kenner der Künste
und Wissenschaften war, beweisen die
von ihm aufgeführten Gebäude , die von
ihm erhaltenen litteraritzhen Schätze in
der Hofbibliothck . Daß er auch Staats¬
mann war, bcweißt seine Behauptung,
die er noch kurz vor seinem Tode ( LO
April i ? z6) vor Karl dem VI . tbat:
„ der Kaiser sollte seiner Erbin Maria
„ Theresia statt der pergamentenen prag-
„ ma-
684 o »-W - »
„ malischen Sanktion eine Armee »on
„ 20oc>cx) Mann hinterlaffen. ^ Milt
den Aufopferungen, welche Karl für die
scheinbare Garantie jener Sanktion ma¬
chen mußte, hätte er wohl den Rath
Eugens befolgen können»
An einer andern Stelle ist ein Grab¬
mal , das in seiner Art ebenfalls merk¬
würdig ist. Dort ruht ein ehemaliger
Dvmprobst von Wien. Der Mann war
Hofnarr bet Kaiser Maximilian, und be¬
gleitete ihn auf seinen Reisen. Die Nie¬
derländer , dieses von jeher zu Meute¬
reien und Unruhen geneigte Dölklei« ,
trieben bekanntlich ihren Freiheitseifer in
jenem Zeitpunkt so weit , daß sie Maxi¬
milianen förmlich gefangen setzten. Der
Hofnarr , ein feiner Kauz , half seinem
Herrn aus diesem unwürdigen Behältniß
entkommen; und zur Dankbarkeit machte
ihn Maximilian in der Folge zum Dom-
probste von Wien , wo er starb, und in
seiner Domkirche begraben wurde.
In
685
In der alten Geographie zählte man
den herähmten Stephansthurm unter die
wichtigsten Dinge von Wien ; in der Wclt
der Handwerksburscheist er es noch. Die¬
ser ptramidenförmige Kunstfelsen hat 44Z
rheinische oder 4Z4 ^ östreichifche Werks
schuhe ; die Ziffer an dem Uhrblatte des¬
selben sind » Fuß lang . In der letzten
Belagerung der Stadt , welche größten-
theils durch die intoleranten Ränke der
Jesuiten veranlaßt wurde , mußten Tag
und Nacht zwei Väter dieses löblichen
Ordens auf diesem Thurme Schilrwache
halten , und mit optischen Instrumenten
die fernen Bewegungen der feindlichen
und freundlichen Truppen ausspähen -,
hei welchem Geschäfte ihnen die türkischen
Kanonenkugeln manchen reumüthigenStoß-
^ seufzer über die mksgedeuteten Absichten
der ehrwürdigen Gesellschaft mögen auS-
gcpreßt haben . Nachdem man die Bela¬
gerung abgeschlagen , und in den darauf
folgenden glüklichen Feldzügen manche
tür-
686 o-E ^c>

türkische Kanone in kristliche Hönde ge¬


bracht hatte , verwandte man sie zu ganz
kristlichem Gebrauche , goß daraus eine
schöne Glocke, von Io Fuß in der Höhe,
und ZZ4 Zentnern am Gewicht, und
hing sie in diesen Thurm , von woher sie
nun bei vornehmen Todesfällen und ho¬
hen Kircheufesien langsam und majestä¬
tisch brummt.
Darf ich den Papst einläuten lassen?
fragte A. 1782 Kardinal Migazzi den
Kaiser . — Warum nicht ! versezte der
Monarch : die Glocken sind ja Ihre Ar¬
tillerie . . . . Der hiesige Brummer ist
unstreitig eines der größten Artilleriesiüke
der kristlichen Geistlichkeit.
Wie sich indessen die Zeiten ändern!
vor hundert Jahren goß man aus Kano¬
nen Glocken ; heute verwandelt man die
geistliche Artillerie wieder in weltliche,
und gießt aus Glocken Kanonen.

Die
o-üW- o 687
Die Stephanskirche steht auf einem
sehr günstigen Standpunkt : man könnte
rings um sie einen der angenehmsten und
regelmässlgsten Pläze von Wien Herstellen.
Auch sind dazu schon einigemal Vorschläge
gemacht worden . Es sollten vorne die
sechs oder sieben elenden Duden wegge-
rissen werden ; die im Quadrat herumlie¬
genden Gebäude sollten mit einer Art von
Bogengang verziert , und die äussere Seite
der Dvmkirche , gegen die Strasse zu , ei¬
ne ihrer würdige Verschönerung erhalten.
Dieß würde freilich der Stadt eine Be¬
quemlichkeit und Zierde mehr verschafft
haben ; da sich aber die Kosten der Unter¬
nehmung im Anschläge auf einige hun¬
derttausend Gulden beliefen : so fand man
schon damals , selbst in den Zeiten der frei¬
gebigen Maria Theresia , Schwierigkeiten;
und in der jezigen ökonomischen Epoche ist
es um so minder zu erwarten . Vielleicht
erleben unsere Urenkel einst noch die Freu¬
de , unter einer Kolonade oder Linden¬
allee
688
aller rings um die Stephanskirche spalte-
ren ju können.

cxxii.

Garnison.
Die Desazung von Wien besteht ge¬
wöhnlich aus » Bataillonen Grenadiers,
6 Bataillon Füselters , l Regiment Ar¬
tillerie , i Regiment Kavalerie . Die vier
Leibgarden , das Jngenieurkorps , das
Bombardierkorps , das Fuhrwesenkorps,
bas Invalidenkorps rc. machen ebenfalls
einen Theil des hier anwesenden Militär-
staube- aus . Die Kriegskanzlei , mit ih¬
rem Personale von ungefähr 700 Beam¬
ten , besorgt und leitet alles was Uniform
trägt.
Die Stadt Wien , samt ihren Vor¬
städten , ist dem InfanterieRegiment
Preiß alS Kanton , jur Rekrutirung an¬
gewiesen.
DaS
6öy
^ Das Spektakel einer Wachparade j
welches in Berlin , Dreßden , München,
Hannover , Brapnschweig , Kassel , Stutt-
gard, ' jä logär in den Residenzstädten ei¬
niger Deutschen Bischöfe , zum Theil die
tägliche Unterhaltung der Schönen Welt
macht , sieht man ln Wien nicht. Da
die öffentlichen Pläst dhnehtn nicht sehr
geräumig , uüd stets mit Menschen , Wä¬
gen und WaareN bevekt sind , st würde
der tägliche Aufmarsch vün Zc>6 bis 606
Mann , dtirch die um Mittagszeit wim¬
melnden Gaffen , das Gebräng nur noch
grösser machen. Uiberbletz ist der tzof>
der einzige allenfalls zu dieser Parade
taugliche Plaz den st unebnem Boden,
daß er die Truppen immer etwa - an der
UibereitistimmNng ded Manoeüvres hindern
würde . Um diesem Nuszuweichett , halt
Man die Wache einst einö ZcitlaNg auf der
grossen Bastion ausser der kaiserlichen Bürg,
«in andermal auf der Esplanade ln Para-
deform aufgeführt . Beides - ab Matt
X x Mir-
Lyo
wieder auf , vielleicht auch darum , weil
einige Divisione « des <^uf die Wache zie¬
henden Korps ohnehin von den Kaserne»
aus gegen drei viertel Stunden bis auf
ihre Posten zu marschiten haben , und
durch die Parade noch länger aufgehaltrn
würden.

Gegenwärtig zieht täglich um i l Uhr


eine Kompagnie Grenadiers mit Fahnen
und Regimentsmusik zum Burgthore ein,
und besetzt die Burgwache , wo zwei Ka¬
nonen stehn . Ein Korps Füselters zieht in
Ordnung auf die Hauptwache an der
Krtegskanzlei , wo immer vier Kanonen
stehn.
Ja manchen Städten Deutschlands
find di « Soldaten dem Publikum nicht we¬
nig überlästig , indem sie theilsbetteln,
theils stehlen , theils sich mit einer über -,
triebeaea Dleustfertigkett allenthalben und
an jedermann dringen , theils an öffentli¬
chen Eriustigungspläjen und auf Straffen,
durch Ausschweifungen oder den gewissen
über-
6yn

äbermäthigen Soldatenton den übrigen


Ständen ihre Ruhe und Freude stören.
In Wien ist dirß nicht so. Ausser den
Wachthänsern , « nd in der Nähe der
Kasernen , sieht man allenthalben äußerst
wenig Soldaten , besonders in der Stadt
selbst. Ein Beweis - daß Man die Leute
hier gut in der Ordnung z» halten weiß-
uNd eine Anstalt - die allenthalben uachgc*
ahmt zu werden verdient . Auch die ekel¬
hafte Strafe des Spizruthenlaufens , die
Man an vielen Orten auf den HauptgässeN
der Städte an Ausreissern und andern
militärischen Verbrechern vollziehet , wird
hier ganz stille in den Höfen der Kaser*
nen abgethan.
Es ist eine allgemeine Bemerkung , daß
der Soldatenrok seine Eigcnthümer ge¬
wöhnlich ein bischen hochherzig mache , be¬
sonders in unfern neuern Zeiten , wo st
viele Staaten ganz in die militärische Form
gegossen werden , und wo st mancher
Landesfürst sich immer und allenthalben
X x 2 Nr
In der Uniform zeigt. Mirabcau sagt
vom verstorbnen Preußischen König Frivs-
rich: » II 2 eu In manie äe ne jainsis
^ Zainer l'uuisorme , commc s'il Q'eroir
^ le Kai ^ue äes Lolllsts : L cs coku-
» me lözionnsire v'n pss xeu coorribuö
« k äecrväiter les aWciers civils . Oom-
«, menr n's-l-il xns lenkt ^u'il ett L ja-
» msis imxostikle su Oouvernemenr cie
» renäre eüimables 6es Kammes sux-
^ ^ue!s il ne veur xoinr movtrer ä'e-
» Uime ? * ) — Eo sehr Mtrabeau ge¬
wöhnlich zu weit geht , hat er hier doch
nicht

*) Sr hatte den Sparren , stet« in Uniform


zu gehen, als Kenn er bloß der Soldaten
Kbnrg wär : und diese Kleidungswahl hat
nicht wenig beigetragen , die Staatsbeam¬
ten ausser Achtung zu sezen. Er sollte
dock wohl bemerkt haben , daß es auch ei¬
nem Kbnig unmbglich ist , Leute in den
Augen des Publikums fchäzbar zu machen,
denen man selbst keine Achtung z»igt.
6yz

»icht ganz Unrecht . . . . Das übertrie¬


bene Soldatensystem im heutigen Europa,
welches wir leider jenem Friberich zu ver¬
danken haben , macht , daß sich jeder Fah-
ndnkadet um viel besser dünkt , als der
arbeitsamste Bürger ; und nichts geht ge¬
wöhnlich über den eingebildeten Selbst-
stolz eines neugrbacknen Fähndrichs oder
Lieutenants , der als kommandirender
Offizier mit einer halben Kompagnie auf
einem Dorf oder Flecken in Kantonkrung
liegt . Für diese Herren ist nichts heilst
mer als die Zeit des Lagers ; dort werden
sie etwas zu sich selbst gebracht . Man
sehe sie bei Minkendorf oder Prag , wo
der Kaiser , wo die kascy , die Hadick,
die Laudons vor der Fronte stehn ! da
verschwindet der noch gestern hochtraben¬
de Dorfkommandant wie eine Nulle vor
dem Abglanz jener Helden . . . Auch die
Garnison von Wien trägt gut zur Bil¬
dung solcher Herren bei : Sind sie Leute
von Kops , siud sie bescheiden , verstehn
Lx z sie
6y4
sie Lebensart , so schäzt mau sic. Wollen
sie aber durch Unbescheidenheit oder Groß-
macheret sich in Respekt sejen , so belacht
man sie , und läßt sie in ihren Kasernen
schmorren.
Die Garnison von Wien scheint bloß
zur Parade da zu seyn . Ehe nicht der
ganze national Kurakter eine andere Stim¬
mung bekommt , werden die Wiener nie
eines militärischen ZaumeS nöthig haben.
Seit dem Tumult vor des Feldmarschall
Seckendorfs Wohnung i. I . 1738 , hat
es nur rin einzigmal eine » kleinen Stu-
dentenlärmen gegeben -, wo man unnöthi-
ger Weise Kavalerie anrücken ließ , da
Man 4>te jungen Brauseköpfe mit einer
Waffersprize hätte auseinander jagen
können.
Es ist nun bald «in Jahr , daß die
Lhore der Stadt ohne Wache sind , und
sie werden es vermuthlich den ganzen Tür¬
kenkrieg über bleiben . Ein neuer Beweis,
daß man die hunderttausend « von rüsti¬
gen
6YZ

gen Männern wenigst einen Thetl de-


Jahrs wohl besser beschäftigen könnte,
als sie auf den Stabtwqchen herum liegen
zu lassen. Die römischen Soldaten mach¬
ten in Frirdenszikten Landstraffen und
Wasserleitungen , und verloren nichts von
ihrer Tapferkeit dabei . Vielleicht daß auch
unsere Strassen wieder durch die Armee
hergestellk werden , wenn sie zum Vor¬
theil der Pächter werden halb unbrauch¬
bar scyn.
Eine ncuepe gute Anstalt , zur besser«
Nachbildung des Soldatenstandrs , sind
die ErziehungShäufer für Soldatrukinder.
Diese Geschöpfe , welche ehedem meist dem
zwekloscsten Leben » der Dürftigkeit und
dem Zufall überlasse « waren , werden nun
mit Sorgfalt zu dem Beruf ihrer Väter
vachgezogen : man lehrt sie lesen , schrei¬
ben , rechnen , ein bischen zeichnen uad
Meßkunst , was nämlich ein guter Unter¬
offizier zu seinem Stande braucht. Sie
leben kasernenmästig beisammen , haben.
Lx 4 stär-
6y6

stärkende Leibesübungen . , müssen schon in


den frühesten Jahren militärisch stehen ,
gehen , liegen rc. Da sie auf diese Ars
neben der Trommel aufwqchken, , nichts
anderes sehen , hören , noch kennen ler¬
nen , als Soldaten - Leben , Soldaten-
Beschäfktgungen , Soldaten - Pflichten , und
Spldaten - Vortheile z so darf der Staat
an ihnen einen Nachwachs von Korpora¬
len und Feldwebeln erwarten , welcher
den östreichischen Heeren noch einen Grad
von Stärke ufld Vollkommenheit mehr
geben wird , . .

cxxni.

Der Augarten,

Dieser Lustplaj ist für Wien ungefähr


das , was die Thuillerien für Paris sind,
Er liegt der Stadt nördlich , am Ende
der Leopoldstadt , folglich auf der grossen
Donau - Insel , und hat mittels zweier
Alleen
6- 7
Alleen Gemeinschaft mtt dem Prater , Er
macht ein beinahe Regelmässiges Vierek,
^tänzt ' gegen Süden und Osten an die
Leopoldstadt , gegen Westen an den Lust-
N>ald Brigittenau , gegen Norden an ei¬
nen Arm der Donau . Sein Flächen - In-
halt beträgt ungefähr 164020 Quadrat-
Klafter.
Der Eingang ist an dem Winkel , den
die Süd - und Ost« Seite machen . Uiber
dem Mittelchor steht mit grossen deutschen
Buchstaben dje allenthalben bekannte Auf¬
schrift :

Allen Menschen gewidmeter Belu¬


stigungsort chon ihrem Schätzer.

Aussen vor diesem Eingänge müssen


alle numerirte Wägen — die Fiaker näm¬
lich — halten , und nur Herrschaftsivägen,
oder die als solche gelten , dürfen in den
grossen Hof einfahren , der mit einer vier¬
fachen Allee besejt ist , und vorne an der
T x H Fron«
698

Fronte das Gartengebäude hat , worin«


zwei grosse Speise - und Tanzsäle , ein
Billardzimmer , und noch ein paar Neben¬
zimmer sind. Man speist hier z« ver-
fchtednen Preisen , und wird mit den ge»
wöhnlichen Sommer - Erfrischungen be¬
dient , wovon der Preis an den Wänden
geschrieben ifi.
Der Garten hat weder Wasserkünste,
weder Grotten , Statuen , noch andere
Verzierungen , die man sonst in berühm¬
ten öffentlichen oder Prtvatgärten findet.
Dem ungeachtet ist es ein höchst ange¬
nehmer Versammlungsplaz , der auch ohne
verschwenderischen Aufwand von Kunst
feinem Zwek vollkommen entspricht : näm¬
lich der zahlreichen schönen Welt der
Katserstadt den Genuß von Schatten , an¬
genehm driftendem Grün , und frischer
reiner kuft zu gewähren . Er hat einige
sehr schöne schattenreiche Alleen , und an¬
dre Abtheilungen von Bäumen und
Strauchwerk.
Wenn
Wenn man durch das Gebäude ge¬
gangen ist , hat man rechts das ganz ein¬
fache. Wohnhaus des Kaisers , mit einem
kleinen B ?umengärtchen ; gerade vor sich
hin über die Donau eine Meilenlange
durch Waldungen gehauene Allee , deren
Perspektiv sich mit einer ' Dorfkirche endi¬
get ; links durch den Tarten eine erhabe¬
ne Terrasse , wo man «ine romantische
Aussicht an den Fuß des Kahlenbergs
mit den benachbarten Weinhügetn , Dör¬
fern und Landhäusern genießt.
Der größte Schmnk des Augartens
in der schönen Jahrszeit ist das ihn be¬
suchende Publikum . Ausgeschlossen wird
gesezmäfsig Niemand . Da der Pöbel aber
neben den unzähligen reich und schön ge-
puzten Weibern und Männern eine gar
«lende Figur machen würde , so bleibt er
von selbst weg . Gesellschaft trifft man
alle Tage daselbst an , besonders Mor¬
gens Und Abends , Doch ist an Sonnta¬
gen und an Feiertagen der Besuch am
zahl-
720

zahlreichsten , weil , eine Menge von Len»


ten , welche die Woche über in den Kanz¬
leien und Kaufmannsgewölben sizen , an
solchen Tagen freie Muß « hat ; hauptsäch¬
lich aber , weil man hei dem gröffern Zu¬
sammenfluß von schöner Welt , an sol¬
chen Tagen mehr den allgewünschten Zwek
erreicht : „ zu sehen , und gesehen zu
„ werben . " . . . Da rauschen tau¬
send feidne Frauenzimmer - Schleppen di«
Alleen auf und ab , und neben ihnen her
trippeln die Stutzer , mit dem Blik des
Muthwlllens , und der Schäckeret , oder
mit jenem gteriglaufchenden der Sehnsucht
und des SchmachtenS nach Erhörung oft
wiederholter Seufzer . Es ist eine wahrf
Augenweide für den kaltblütigen Zuschau¬
er , wie das erhizte Blut die jungen Leut-
chens umtreibt ; wie man rennt , einander
jagt , aufsucht , Winke und Bestellungen
gibt , Plane zu lang gewünschten Schä-
ferstunden macht , und was des Minne¬
spiels mehr ist.
Manch-
Manchmal , in den erster« Dageri
des Frühlings , vdet gegen das Ende des
Herbstes , wenn die vornehme Welt noch
nicht ans dem Lande , oder schon wieder
von demselben zurük ist ,
wird das Ge¬
dränge im Augarten so groß , baß man,
wie auf den volkreichsten Strassen der
Stadt , an - und gegen einander rennt,
Stöße und Fußtritte , und zerrissene Klei-
dungsstüke und verdorbene Frisuren da¬
von trägt . Man verliert einander plöz-
lich durch eine augenblikliche Wendung,
und findet sich erst nach Stundenlangem
suchen , oder gar nicht wieder.
Wenn der Kaiser in Wien ist , mischt
er sich oft unter die Spaziergänger , und
wandelt , in Begleitung von Ministern,
Generalen , oder Damen , unter dem
Schwall seines Volks , alle Gänge des
Gartens durch. . . . Um sich und den
frühen Besuchern des Augartens ein Ver¬
gnügen mehr zu verschaffen , läßt er alle
Iah-
Jahre eise Menge Nachtigallen kaufen,
und in dem Garten ausfliegen . So
wird . Aurora und Titan jeden Morgen
mit - dem Gesang der Philomela be¬
grüßt.
Im Monat Mai wallfahrten die hoch-
adeliche » und halbadeltchrn , wahren oder
eingebildeten Kranken beiderlei Geschlechts
nach dem Augarten , um dort ihre mit
Spaawasser , Pprmonterwasser , Selter¬
wasser und allen übrigen Heilwäffern ge¬
füllte Krüge ju leeren . Es sind arme
Schwächlinge / die an Krämpfungen , Ner-
venzuständen , Magenkrankheiten , Schwin¬
del , Hypochondrie , und allen jenen M
beln leiden , die man im Dienste von Ko-
mus , Bacchus , Amor , auch wohl int
Dienste des Staats und der Musen , sich
manchmal erwirbt . . . . Zu dieser Kur
ist der Garten vortrefflich . Nach einge-
schluktem Mineralwasser macht man eine
sanfte Bewegung im Grünen . Manch¬
mal erhebt auch eine gutgewählte Mu¬
sik
fik die frohen Empfindungen der genesen¬
den Kranke«.
Indessen glaube man ja nicht, daß
alle diese Wassertrinker Kranke seyn. E-
enifcht sich immer ein guter Theil von
ächr Gesunden darunterum die Brun¬
nenkur zu gebrauchen . Die Weiber thun
»S , wie rin bekannter Schriftsteller
sagt, weil sie sich dabet in der reizend¬
sten Morgenkleidung öffentlich zeigen kön¬
nen; und die Männer, weil sie die Wei¬
ber in dieser Halbkleidung nicht so
deachenhaft züchtig und spröde finden,
wie im vollen Anzug.

(7XXIV,

*) Xexlixt.
7c>4

. . —A. -.'-^
. E a kL le n. .
7.1) -, . 1 r ». r'
. ,,-Nan fchäjt, hieAahl aller Dienstbothetk
lnÄ ^ n , sowohl weibliche Als männliche,
quf Mgc.Wr 4<rooc>Köpfx^ D^e Rech¬
nung mag dcr Wahrheit so ziemlich nah»
kommen . . Don Elises Summe mache, » di»
Kerls , welche matt eigentlich Bediente
oder Lakaien heißt, etwa gegen 6022
aus.
Unter diese Rubrik« gehören di« ei¬
gentlichen Lakaien , die Heidukett, die Läu¬
fer , die Jäger , die kelbhusaren, die
Uhlanen, die Jockeis, die Negers rc. Di«
Portiers , die Kutscher, Reitknechte , Po¬
stillons, Vorreiter rc. könnte man viel¬
leicht auch hieher zählen, weil fie eben»
falls einen Theil des Livereyvolks aus¬
machen . Ihre Summe mag etwas übe«
»002 betragen.
72Z
Die sogenannten
Bedienten sind die
häufigsten unter ihren ädrigen Mitbrü¬
dern . Man findet sie vom Hofe und
den ersten Fürstenhäusern an , durch alle
Mittelstände , bis zum vermögenden Bür¬
ger und subalternen KaNzleimann herun¬
ter . In den vornehmen Häusern will
lnan lauter grosse ,
riesenmässige Kerls
zu Lakaien . Um sie von den verbräm»
ten Bedienten der Mittelstände auszu-
zrichnen , gibt man ihnen eine massiv«
kiverey , mit Sammet - und Seiden - Bor¬
ten auf den Roknähten , und wie es
überall gewöhnlich von den Farben,
welche das Wappen des hohen Hauses in
sich faßt . An Besoldung haben sie mo¬
natlich t6 Fl . . . » Zn den Häusern
von der
zweiten und dritten Ordnung
kleidet man sie gewöhnlich etwa - leichter.
Weiter hinunter sind sie durch ein graues
Kleid mit einem farbigen Kragen kennt»
lich. Ihre Besoldung fällt bis auf 7 Fl,
des MonatS,

K y Hei»
/o6
Helduken sind beinahe ganz aus der
Mode gekommen . Nur einige alte Da¬
men halten sie noch, und lassen sich von
ihnen zur Kirche begleiten.
Läufer sind zahlreich
. Man braucht
sie hauptsächlich, Briefe und Nachrichten
in der Stadt herumzutragrn , und zu
Nachts mit einer Fakel vor dem Wagen
herzulaufen . . . . Jäger oder Büchsen-
spanner hält Man nur zur Parade, um
einen Kerl auf dem Wagen stehn zu ha¬
ben, der eine schöne grüne Livrey mit
breiten silbernen Tressen , das Hüfthorn
über die Schultern, und einen artigen
Hirschfänger an der Seite trägt. Die
meisten derselben thun das ganze Jahr
nicht einen Schuß . . . . Die Leibhusaren
sind mit den hungarischen Familien hte-
her gekommen , aber jezt auch in den
meisten deutschen Herrschaftshäusern
, wo
junge Kavaliers sind. Da der hungart-
fche M'lttäranzug besonders zu Pferde
schön läßt, so hält man einen als Husa-
727
den gekleideten Kerl , der seinen Herrn
beim Spazierritt begleitet , übrigens aber
die Dienste eines Lakaien . thut . . . . Als
das Uhlanenkorps errichtet wurde , fanden
einige Offiziers und dann auch andere Ka¬
valiers - Geschmack an der pohlnischenTcacht.
Sie kleideten ihre Kerls pohlnisch ; und
seitdem steht man Uhlanrn zu Pferde und
auf det» Kutschen stehtt. . . . Die vie¬
len sich hier aufhaltenden Engländer ha¬
ben auch ihre Reitknechte mltgebracht,
und die Wiener haben sie nachgeahmt.
Ein solcher Jockei ist ein junger Bursche
in etiiem Reitvestchen , mit rings um den
Kopf abgeschnitkenen Haaren , einem run¬
den Hut , eine breite Binde um den Leib
und Stiefeln . Sie reiten mit ihren Her¬
ren , stehn auf den Kutschen , und die-
« nen bei der Tafel . . . » Der Hang zu
dem Ausserordentlichen macht , daß sich
einige Männer und Weiber auch Negers
halten , welche nach ostindischem Kostüme
Ny , ge-
728
gekleidet find , und Lakaiendlenste thun.
Ihre Zahl ist sehr gering.
Im Ganzen genommen , Ist bas La¬
kaienvolk eine unverschämte Menschenbrut.
Je vornehmer das Haus ist , desto ben-
gelhafter sind gewöhnlich die Bedienten.
Dn es meist junge , gesunde , knochen¬
feste Kerls sind, die sich gut nähren , durch
mancherlei Acctdenzien sich ihre Besoldung
zu vermehren wissen , sich unter eitel vor¬
nehmen Herren und Damen Herumtrei¬
ben , bei dem Tafeldienst Anekdoten auf-
zuhaschen , und die Manieren ihrer Ge¬
bieter nachzuäffen trachten : so stellen sie
die unausstehlichsten Figuren dar, die
man in gesellschaftlichen Leben finden
kann . Ihre Karakterzüge find eine Mi¬
schung von Stolz , Grobheit , Spottsucht,
Naseweisheit , Verleumdung , Unwissen - >
heit , Prahlerei , Faulheit , Affektation
und Pöbrlhaftigkeit.

Man
/oy
Man klagt darüber , daß bei den heu¬
tigen Bedienten keine Treue , keine Ord¬
nung , keine Anhänglichkeit an ihre Her¬
ren mehr zu finden sey . Dieß alles ist
wahr . Aber die Herren sind meist selbst
Schuld daran . Ein kolossalijcher junger
Bursch mit halbpfündigen silbernen Schnal¬
len , feidnen Strümpfen , zwei Sakuhren,
sechs Seitenloken , und einem setdnen Re¬
genschirm — alles « och unbezahlt — auf
der Kutsche , ist ihnen werther , als der
gesezte , bescheidne Mann , der treu und
fieijsig seine Dienste verrichtet.
So übermäthig diese müssigen Ben¬
gel in den Häusern und Vorzimmern sich
gebehrden , wofie anzumelben haben : so
verachtet sind sie doch im bürgerlichen Le¬
ben . Die Wirthe , welche ihre Tanzsäle
in Anfehn erhalten wollen , setzen allzeit
in ihre Ankündigungen : „ die Liverep
„ ist ausyrfchloffen . " Aber was ge¬
schieht ! die eleganten Lakaien halten dop¬
pelte Garderobe . Sobald sie ihre Herr-
V p Z schaft
fio
schaft aus der Abendgesellschaft nach Hau¬
fe gebracht habe« , werfen sie ihren bun¬
ten Knechtschaftsrok weg , ziehn einen
modefarbigen Frak an, setzen einen engli¬
schen Hut auf, treten mit nachgeäfftem
Adelsstolz in den Saal , und wenn sie
zum Uiberfiuß etwas französisch plappern
können, so spielen sie den jungen Kava¬
lier so n- tärlich, daß manchem Bürgers¬
mädchen, welches sie mit ihren Galante¬
rien beehren, der Kopf darüber schwind«
ltg wird.

cxxv.

Orientalische A.^ ldemie.

Man hat den französischen König


kudwig den XIV . mächtig erhoben, daß
er in Paris ein« Anstalt errichtete
, woriyn
junge Franzosen die orientalischen Spra¬
chen lernen konnten, und mußten; damit
der Staat sich nicht gezwungen sähe,
in
ln wichtigen Geschäften mit den ottoma-
qischcn Provinzen , von der willkürlichen
Treue oder Derrätherei auswärtiger Doll-
mrtfcher abzuhangen . König Ludwig —
der überhaupt das in die Augen Fallende
suchte —^ verordnete , daß sich die Zöglinge
Armenisch kleiden sollen , weswegen man
diese jungen Pariser gewöhnlich Arme¬
nier hieß.
Der östreichische Staat hat, ver¬
möge seiner unmittelbaren Nachbarschaft,
mit der Pforte schon feit mehrern Jahr¬
hunderten , und in den neuern Zeiten
auch mit den mahommedanischen Rau-
berstaaten und mit Marokko , mancher¬
lei friedliche und unfriedliche Geschäfte
abzuthun . Auch für ihn ward es also
ein Bedürfniß , eigne Leute zu haben,
welche jener Sprachen mächtig sind.
Die immerwährende Gesandtschaft i» Kon¬
stantinopel gab zwar Gelegenheit , das
Türkische und Arabische zu lernen ; aber
P y 4 «ine
-i»
«Ine besondre ordentliche Anstalt dazu war
nicht vorhanden.
Unter der Regierung Marien Theres
Pens ward diefes ausgeführt . Der Je¬
suit Franz , welcher sich lange in den
Türkischen Provinzen aufgehaltcn und
jene Sprachen sich eigen gemacht hatte,
bekam die Aufsicht über diese neu errich¬
tete orientalische Mabemie , welche un¬
ter der Direktion der Staatskanzlek steht,
weil die Zöglinge der Natur ihres Be¬
rufes nach bloß für die auswärtigen Ge¬
schäfte bestimmt sind, . . . Die Zahl
dieser Akademismen beläuft sich gewöhnlich
auf zwölf . Ihre Hauptbeschäftigung ist,
die orientalischen Sprachen zu lernen.
Nebendem treiben sie die ordentlichen
Studien , lernen die vornehmsten leben¬
den europäischen Sprachen , und erhalten
Unterricht in den für junge Edelleute be¬
stimmten Leibesübungen . Wenn sie ih¬
ren kehrkurs hier vollendet haben , dann
schtkt man sie unter dem Namen der
Sprach-
7-?
Sprachknaben nach Konstantinopel , wo
sie bei der Gesandtschaft anfangen , Ge¬
schäfte mit zu mache« , und sieb praktisch
in den Sprachen zu üben , wovon sie in
der Akademie die Grundsäze gelernt ha¬
ben. Bei Gelegenheit gehn sie dann wie¬
der in die Staatskanzlei jurük , um in
orienkaiischeu Geschäften zp arbeiten;
oder sic gehn als Konsuls in die Mol¬
dau , Wallachkt , nach den Häfen und In¬
seln im Archipel ; nach den Räuberstaa-
ten ; im Kriege gegen die Pforte , als
Dollmctschcr zu den Armeen des Kaisers.
Diese Akademie gibt Meninski 's
grosses türkisch- arabisch - persisch- italie¬
nisch- lateinisches Wörterbuch neu , ver-
m-hrt und verbessert heraus . Es wird
in 4 Folianten bestehn , wovon bis jezt
« ferrig sind» Dieses in seiner Art - ein¬
zige Wörterbuch ward auf Pränumeration
für 8 Fl . angekündigt , und fand, wie matt
sagt , Einen einzigen Pränumcranten,
welcher der König von Polen ist.
P y5 Wenn
7' 4
Wenn zwischen Oestreich und der
Pforte «in Friede oder Traktat geschloffen
wird, so verfaßt der Kaiserliche Hof sei¬
nen Aufsatz in lateinischer Sprache, und
der Türkische Hof den seinigen arabisch.
Seltsam ist, daß bei solchen Gelege»-
Helten der Kaiser im Namen der aller¬
heiligsten und unzertheilten Dreieinigkeit
zu den Muselmännern spricht, die nicht
ein Iota von unfern kristllchen Reltgipns-
Geheimnissen wissen.

cxxvi.
Plätze.
Wien ist «ine alte Stadt . Dieser
Umstand macht, daß sie die Vorthetle
und Nachtheile aller Städte ihreS gleichen
hat. Die Häuser sind maßiv, dauerhaft,
hoch; dafür ist ihre Anlage unregelmä¬
ßig, ihre Gassen find enge, ihre meisten
öffentlichen Pläze klein, ekig, ohne Plan,
' oh-
c>- W - o 7'»
ohne Perfektive , ohne ^ Majestät und
Pracht . . . . Leider , daß die Erbauer
Vindobonens nicht vorhersehen konnten,
daß der Ort einst jur Hauptstadt einr<
der ersten Europäischen Staaten werden,
daß in den Gassen derselben Tag und
Nacht bei viertausend Kutschen herum-
rollen , daß ihre Pläze bei gewissen An¬
lässen mit hundcrttausenden von Mensche»
bedekt seyn würden!
Der Hof ist ein Plaz , welcher aller»
Lings einer ansehnlichen Stadt Ehre macht.
Er ist der geräumigste von allen , bildet
beinahe ein förmliches Vierek , ist rings¬
herum mit ansehnlichen Gebäuden besezt,
und hat ein Monument von Erz nebst
zwei Brunnen . Papst Pius der VI . gab
178 » am Ostertag von der Altane der
hier stehenden Kirche seinen Segen über
die andächtigen Oestreicher. . . . Der
Neumarkt ist ebenfalls ziemlich geräumig,
bildet ein länglichtes Vierek , und hat
guf einem Röhrbrunnen eine schöne me-
tal»
fl6 o^ W--o
tallene Statuengruppe von Gabriel Don¬
ner . . . . Der Hohe Markt , ebenfalls
«in länglichtes ziemlich geräumiges Vterek,
mlt einem steinernen Monument und zwei
Springbrunnen . Seine Erdfläche ist sehr
abhängig . Hier werden , neben dem
Stadtgerichtshause die öffentliche» Exeku¬
tionen der Justiz , welche nicht das Leben
gelten , auf der Schandbähne vollstrekt. . .
Der Graben , kleiner als die vorigen;
eigentlich nur eine lange und breite Straffe,
aber doch mit der steinernen Dreifaltig --
keitssäule und zwei Röhrbrunnen befezt. . .
Der I »sefoplaz , vor der k. Bibliothek/
regelmäßig , aber nicht sehr groß . . . Der
Lurgplaz , ebenfalls nicht besonders groß,
eigentlich nur eine Gattung von Haus-
Hof , zwischen der Burg und der Reichs¬
kanzlei.
Es sind noch einige Winkeleien vor¬
handen , welche die Namen von Plätzen
führen , als : der Michaelsplatz , derSpi,
talplatz , der Minoritenplatz , der Stok - im
Ei-
717
Eisenplatz, der Judenplatz, der Domini¬
kanerplatz rc. sie verdienen aber , für eine
Stadt wie Wien , «ine so ehrenvolle Be»
nennung keineswegs.
Der Graben ist ^as für Wien , was
der 8aa IVlarco in Venedig. Er wird den
ganjen Tag über nicht von Menschen leer.
Wer eine überflüßige halbe Stunde hat,
wo er gern etwas Bewegung machen möch¬
te , spaziert ein paarmal den Graben auf
und nieder. Von n bis l Uhr Mittags
besonders, und Abends in der Dämme¬
rung , wimmelt es hier zu allen Jahrs¬
zeiten von Mannsleuten. Da über den
Graben der Weg nach der Burg , nach
dem Theater , nach der Michaeler-Kirche
aufwärts , und nach der Stephans -Kirche
abwärts fährt , so steht man hier stets
vornehme und schön geputzte Leute bei¬
derlei Geschlechts in Wagen , zu Pferde
und zu Fuß vorüber gehen, auch ist man
sicher, täglich, ja beinahe stündlich, eini¬
ge seiner Bekannten zü treffen. . . . In
den
7iS
den Sommermonaten ist die ganze unter*
Seite des Grabens von sieben UhcAbends
bis Mitternacht mit Stühlen brsezt,
worauf man aus den benachbarten zwei
Kaffeehäusern mit,Gefrornem — einer
Lieblingsleckerei der Wiener — und an¬
dern Erfrischungen bedient wird.
Oer schon gewohnte allgemeine Zusam¬
menfluß von Menschen auf diesem Plaz,
macht, daß die gutwilligen Mädchen ihn
vorzüglich besuche» , um dort ihre Neye
auszuwerfen : darum sind die Wort«
Graben - Nymphe , *) Graben Mädchen
und Lustmädchen von Einerlei Bedeutung.
Der Kos dient ebenfalls zum öffentli¬
chen Spaziergang , wird aber nur in den
Sommer - Abenden besucht. Gewöhnlich
wird

* ) Man hat ein Taschenbuch für Graben-


Nymphen, ein kleine« drollige« Ding , das
^ Vie Künste und Lebensart dieser Geschöpfe
sehr komisch und witzig darstetzt.
G- rHSü-o 71»
wird Abends eine Stund « lang burchie d
Regiments-Spi ^llrutt Türkische Musik ge«
macht, welches dann noch mrhrSpazier-
gänger dahin zieht.
Die meisten übrigen Plätze dienen,
wie überall , um die tausenderlei nöthi-
geu Lebensbedürfnisse für die Bewohner
der Stadt öffentlich feil zu biethen.
Die andächtige Denkart bet alten
Zeiten hat bewirkt, büß man diese Pläze
mit Heiligen- Bildern besetzte . Diese
Vorstellungen gehören in die Kirchen. Die
öffentlichen Plätze einer solchen Stadt soll¬
te» mit den Statuen der größten und
verdienstvollsten Männer des Staats,
oder mit Abbildungen historisch wichtiger
Vorfälle geziert seyn, um den nachwach¬
senden Bürgern zu zeigen, daß man die
Züge und Namen der wakern Männer zur
Ehre des Vaterlandes zu verewigen su¬
che. So machten es Griechen und Rö¬
mer , und nicht ohne Wirkung. Ich
schmeichle mir sogar , daß euch dkess«inst
noch
720

noch bei Uns geschehen wirb, wenn dt«


Grille «nsers Jahrhunderts, die soldatisch-
ökonomische Epoche, wieder vorüber ist.

cxxvrl.

V nr gwa ch e.
Bey denjenigen welchen der Anbllk
eines alten, gothischen Gebäudes, wie
der schwarze Wohnsitz des Deutschen Kai¬
sers ist, eine Art von Ehrfurcht eiriflöffet,
Muß diese Empfindung durch die Schnur¬
bärte mit den Därenmüzen ungemein be¬
stärket und erhöhet werden.
Es ist billig, daß die Person Sr . Ma¬
jestät, die kaiserliche Familie und deren
Pallast, von dem Kern der Truppen be-
wacht werde. * Die Grenadiers haben
von jeher ein ausschlicssendes Vorrecht
auf die Durgwache . Wenn wegen ge¬
haltenen Musterungen , Lagern, oder in
den Kriegszetten keine Grenadiers in Wien
sind,
7- r
sind , so zieh«» Kavalerksten ln der Burg
auf die Wache.
Die Burgwache , welche ln die inne¬
re / mittlere , und in die Schlagbaumwa¬
che abgethetlt ist , besteht wenn keine
fremden Gäste hier find — aus i Haupt-
' mann , t Ober - und i Unter -Lieutenant,
t Kadetten mit der Fahne , l Fourier,
l Unter - Chirurg , L Feldwebel , i Füh¬
rer , z Korporals , Z Spielleuten , und
70 Gemeinen . Wenn fremde Herrschaf¬
ten den Amaltenhof beziehn , so wird sie
um einige Köpfe verstärkt.
Vormals beneideten die Fäseliers die
Grenadiers , nicht um die Bärenmüzen,
nicht um den täglichen Kreuzer , den sie
mehr an Löhnung geniesten , nicht um die
ruhigern Tage , die ste verlebten , weil
sie sonst fast keine Wache versahen ; son»
der » um die besondere Zuneigung der
grossen Therese . Denn selten fuhr die
wohlthätige Monarchin bei einer Wach»
vorbei , daß sie nicht mehrere , eigens zu
Z, die»
7- L
dieser Bestimmung in Papierchen gewtkelte
Dukaten hervorlangte , urch mit einem
Daumrnschneller sie der dastehenden Mauer
von Männern hinwarf . Cie zogen dann
mit Freuden ihr Gewehr an , und auf den
braunen Gesichtern las man deutlich den
Wunsch , ihr im Felde die Wohlthaten
aus den Tagen des Friedens vergelten zu
können. Zu den Zeiten der Monarchin,
wenn sich der Hof den Sommer über in
Schönbrunp befand , war der ganze Weg
von der Linie an bis zum Lustschloss« mit
Grenadiers besezt. Freigebigkeit bezeich»
netc dann auch jedesmal die Strasse.
Auch den Offizieren brachte diese Wa¬
che grossen Vortheil . Sie genossen die
Tafel mit den Hofdamen und den Kam¬
merherren . Jede Geburt eines Enkels der
grossen Therese , jedes gewonnene Treffen,
und manch« andere Feierlichkeit , wuK >«
ihnen jedesmal durch ein Röllchen Duka¬
ten avgekändiget.
7-3
Gegenwärtig, da der Kaiser die Ta¬
feln, welche bei Hofe so häufig waren»
daß die vielen Küchen und Köche kaum
hinreichten, meistens abgestellt hat, er- ,
hält der Wachhabende Hauptmann z Fl.
der Ober- und Unter- Lieutenant jeder» Fl»
der Fahnenkadctl Fsi zv Kr» Jeder Ge¬
meiner, vom Feldwebel abwärts bekommt
ein P 'unb Rindfleisch- eine Porjion Wein
und Brod; an Fasttagen kein Fleisch, aber
doppelte Porjion Brod unb Weim
Wer die Menge der Mannschaft auf
der Burgwache bet sich abzähit, könnte
vielleicht glauben, daß die Person Sr.
Majestät mit einem ganzen Kommando
von Grenadiers bewacht sey, daß alle-
welche sich zu ihm Hindrängeft wollen,
durch eine doppelte Reihe von Bajonetten
gehen müssen . Eine solche Mcynur^g ist
Irrig. Auf dem Kontrollorgange , dem
eigentlichen Aufgange zu den inner»
Wohnzimmern des Kaisers, ist eine einzi¬
ge Schildwache, die mehr jur Bewachung
3, » »et ,
724

der dortigen Kanzleien hingestellt scheint.


Eben so steht bei den Vorzimmern deS
Erzherzogs und der Erzherzogin nur Ein
Posten.
Betder Schazkammer und Kunstkam»
mer , dem Naturalienkabtnet , Medaillen-
kabinet , und in dem langen Augustiner¬
gange stehen Schildwaches , die man ge¬
wiß nicht ü- erfläßig finden wird , wenn
man sich erinnert , daß , troz derselben,
von Gaun - rn Versuche auf dieSchazkam-
mer gemacht wurden.
Man vergleiche damit die gehäuften
Wachen manches Europäischen Königs,
selbst manches sehr kleinen Retchsfürstrn,
der stets die Hälfte seiner Truppen in sei¬
nem Schloß hat.

cxxvm
0' O 7- 5
exxvm.
d
F i n - e l h a u s.

In Spanten wird jedes Findelkind für


einen Kavallrro gehalten . Es ist besser,
sagen die Spanier , bet der Ungewißheit
de^ Vaters , allenfalls den Sohn eines
Bürgerlichen zum Edelmann zu machen,
als den Sohn eines Edelmannes unter
die Gemeinen zu verstossen- So erzählen
die Reisebeschreiber . Dieser Grundsaz hat
etwas Erhabnes in sich , wenn nur jene
edeln Bastarden neben ihrem Titel auch
zu leben hätten.
In Deutschland und in Oestreich ist cs
« « gekehrt . Jeder Findling , wenn er
auch ein Fürstensshn wäre , wird unter
die Gemeinen gezählt.
Ehedem war die Einrichtung im Wte-
»erschen Finbelhause , wie sie noch in den
meisten Findclhäusern von Europa ist:
nämlich die Kinder wurden darin , zu
Z j A hun --
7r6
Hunderten und taufenden beisammen ge¬
meinschaftlich auferzogen . Mit der Zeit
wurden einige politische Rechenmeister
auf solche Institute aufmerksam , und
fanden , daß diese grossen menschlichen
Treibhäuser dem Staat nichts weniger alS
gedeihlich seyn , daß die Kinder darinn
so häufig hinsterben , wie Fliegen vom
Kobalt . Darüber kam cs denn zur öf¬
fentlichen Sprache , und es erschienen ei¬
nt .e Schriften über die Schädlichkeit der
Finbelhäufer , und die grosse in denselben
herrschende Sterblichkeit.
Ob die östreichische Regierung durch
solche Schriften aufmerksam gemacht , und
von der Wahrheit der Sache überzeugt
ward , weiß ich nicht. Genug , sie ver¬
änderte di« Einrichtung des Fiudelhauses«
Die Findlinge werden alle , ohne Aus¬
nahme , ausser dem Haufe in die Pflege
und Erziehung gegeben r die meisten auf
das Land , einige auch in die Vorstädte
»u Handwerksleuten . Es scheint , daß
vir-
s
7-7 '
diese Vertheilung zur Erhaltung der Kin¬
der heilsamer sey.
Diejenigen Mädchen, welche in dem
Geburtshauft heimlich die Frucht ihrer
Zärtlichkeit ablegen, können ihre Kinder
für 24 , oder für r » , oder für 6 Fl. in
das Findelhaus geben, je nachdem sie
im Geburtshause nach der Laxe der er- '
sten, zweiten, oder dritten Klasse gelebt
haben. Sie erhalten dafür einen beson¬
ders kennbaren Zettel, und können gegen
Vorweisung desselben ihr Kind wieder
zurükfordern, wenn es ihnen beliebt,
der Taufnahme des Lindes wird proto-
kolltrt; Stand und Familienname bleibt
ein Geheimniß der Mutter. Die Kinder
derjenigen Mädchen, welche im Geburts¬
hause Ammen abgeben, werden unent¬
geltlich in bas Findelhaus genommen.
Für die Kinder, welche auf öffentlicher
Straffe oder in den Häusern niedergelegt
werden, bezahlt die Grundobrigkeit dech
Z z 4 Pla-

»
7- 8
Plazes , wo sie gefunden werden , l»
Fl . an das Fiudelhaus.
Durch diese Dertheilung der Kinder
unter die kandleute und Handwerker , ge¬
winne der Staat ohne Zweifel . Die va¬
terlosen Geschöpfe werden ehrliche , ar¬
beitsame Bauern oder nüzliche Handar¬
beiter . Wachsen sie in einer tauglichen
Gestalt heran ', so kommen sie auf die
militärischen Konskripzionslisten , und wer¬
den , im Nothfall , gemeine Soldaten.
In dieser Rüksicht sind sie nicht übler
daran , als die ehelichen Kinder auch,
weil dies« eben so unausbleiblich auf die
Regimentsliste des KantonS geschrieben
werde « , wie jene. ^
So gleicht sich in dieser beßten Welt
alles gegen einander aus l . . . Heute
wird dieser »der jener Bürgerlicher zum
Edelmann , zum Baron , zum Grafen er¬
hoben ; und morgen wandern ein halb
Duzend heimliche Kinder von Grafen*
Baronen , und Edelleutea au < dem Fin¬
del-
o- W^ o 7»4
delhaufe auf das Dorf, um dort mit de«
Pflug , der Sense , dem Dreschpklegel
, die
Einkünfte des gnädigen Herrn Papa i«
der Stadt vermehren zu helfen.

cxxix.

Stän-elwei
-er.

Es ist ohne Zweifel »ine Art von Be¬


quemlichkeit in einer grossen Stadt , wenn
man sowohl die täglichen Lebensbedürf¬
nisse, als andere ;um Hausgebrauch nü-
thige Dinge zu allen Zeiten, und nicht
weit von seiner Wohnung haben kann.
Wenn aber diese Dinge auf eine solche
Art feil gebothen, und zum Kauf ausge¬
legt werden , daß die den Dienstbothen
dadurch verschaffte Bequemlichkeit dem
ganze» bessern Publikum zur Last wird;
sp beklagt es sich mit Ilecht darüber.

3 t S Ließ
7ze» a- M - o
Dteß ist L^r Fall in Wien! . . .
-Hier lebt «ine Gattung frecher, unver¬
schämter , zudringlicher, betrügerischer,
zrober, lästersüchtiger Weiber, welche
alle Gassen und Straffen , alle Pläze,
alle Winkel und Zugänge zu den Kirchen,
Häusern rc. Jahr aus Jahr ein belagert
haben- Man nennt sie hier Ständelwei,
her , Fratschlerweiber und im gewöhnli¬
chen Deutschen Hökerinnen . Eie haben
alle nur gedenkbare Kleinigkeiten zum
Kauf, hauptsächlich trokne kalte Eßwaa-
reu , Obst, Gemüse, und geringere Klei-
Lungsbedürfnisse.
Jede derselben bezahlt für die Er.-
laubniß, ein solches Kausständchen hal¬
ten zu dürfen, jährlich drei Gulden an
den Magistrat. Man kann ihrer in der
Stadt und allen Vorstädten wohl übe«
Zvoo rechnen . Sie sizen vorzüglich auf
den gangbarsten Gassen und Pläzen, vnd
het den Thoren.

Be-
Bekanntlich hat Wien für feine vie¬
len Leute und Fuhrwerke ohnehin allzu
enge Gaffen und Pläze . Nun werden
diese täglich mit noch mehr solchem Trö-
delgefinbe besezt ; und so wird man am
Ende wohl gar nicht mehr durchkommen
können , wie dteß auf dem Kohlmarkt,
in der Kärnthnerstrasse , Dognergaffe , schon
wirklich manchmal nur mit größter Mühe
geschieht . Diese unverschämten Weiber
glauben für ihre z Fl . bas ganze Publi¬
kum kühn belästigen zu dürfen , und die
Polizei bestärkt sie in diesem Wahn , da
man sie unaufhörlich yych mehr anwach-
srn läßt.
Es ist ein äufferst widerlicher Anblik-
welchen diese lumpigen Hüttchen und
Ständchen in der Hauptstadt verursachen r
wo nur immer ein freier Winkel ist, selbst
an die schönsten Paläste , wird fiugs «in
solches Nest hingeklebt . Wien muß auf
-lese Art , ungeachtet seiner viele » herrli¬
cher? Gebäude « allmählig einem wahre«
7S» o-üM -!-«
Jude « - Trödelmarkt ähnlich werben. Die
löbliche Oekonomiesucht, bork und da von
einem Kipf.' lweib, von einer Tabakskrä¬
merin » z Gulden zu erschnappen, macht,
Laß man über alle Begriffe von Anstand
und Zierde einer Hauptstadt hinaus
ist. . . . In Paris und Berlin, in welcher
lezter Stadt es doch am Platze niHt man¬
gelt , hat man vor kurzem eine Menge
solcher Bude« abgeschaft, um die Verun¬
staltung der Stadt , und die Belästigung
des Publikums zu verhüten ; bet uns aber
»ermeho« man sie noch. Ich vermuthe,
es werden wohl am Ende die Burg , das
Landhaus und das Rathhaus rings mit
Etändelweibern umfezt werden: wenigst
würde das manche Z Guldentaxe «tn-
bringen.
Nebst dem, daß diese Weiber die Stadt
verunstalten, daß sie die öffentlichen Wege
versperren , thun sie dem Publikum auch
einen wesentlichen Schaden. Kaum tritt
Pn Landmann mit Obst, mit Gemüse rc.
733
ln die Stadt , und macht Mine , es selbst
zu verkaufen : so umringt ihn dieses Wet-
bergepak , nektthn , schimpft ihn , ver¬
lästert seine Waare , und läßt nicht nach,
bis es ihn dahin gebracht hat , aus Ver¬
druß dieselbe att die Ständelfurien ab¬
zugeben . Diese nehmen es ihm um klei¬
ne , erpreßte Preise ab , und ver-
. kaufen es der Stadt um gedoppelt ho¬
hes Ge ^d.
Man sagt , daß die Pariser Härings-
weiber in der Kunst zu schimpfen Mei¬
sterinnen seyn . Ich zweifle , ob ihnen
die Wiener Fratschlerwetber nicht den
Rang ablaufen würden . Man darf ihre
sehr reizbar ? Zunge nur ein wenig in
Bewegung bringen, , so bricht ein gan¬
zer Strohm von Schmähungen los . Ein
solches Weib ist ein lebendiges Wörter^
buch aller östretchischen provinzial Schimpf-
tz Wörter.

Unter
7S4
Unter die Rübrike der Fratschlekwel»
brr gehören auch die Mandoletttkrämer»
Nor sechs Jahren waren ihrer nur zwei
bis drei solcher wälscher Schlekeret - Tröd¬
ler» Heute sind ihrer wohl vierzig,
Wälfcht Und Deutsche . Sie rennen
allenthalben mit ihren Körben herum,
besezen alle Straffenekett
, öffentliche Spa¬
ziergänge, Gärten » Schauspielhäuser,
und überhaupt jeden Plaz, wo ffe viele
Menschen beisammen sehen oder vermu-
theru Ihre süssen Näschereien sind
wie man behauptet — nicht selten auS
verdorbnem Zukrr, Mehl und andern
unsauber» Ingredienzien gebaken; sie
können also den zarten Mägen der Kin¬
der, für welche sie häufig gekauft wer¬
den, gefährliche Umstände zujiehn. » . .
Unter Ludwig dem XIV. wurden einst
ebenfalls solche Zukergebäke öffentlich aus¬
gerufen, und auf den Strassen herum¬
getragen. Der KanzlerL* Hopital ver-
bvth es , und führte zum Grund in dech
De-
735
Befehl an , baß dadurch kekcrei und Mü-
ßigang begünstiget werden.
Man könnte diesen Mandoletti .- Han¬
del in Wien aus ähnlichen Gründen , uiid
auch ans Sorge für die Gesundheit, ganz
füglich abstellen, oder doch'.sehr ein-
schränken. ^

cxxx.

Ritter - Ordens - Feste.

Eine schönere Gelegenheit, die Grossen


des Reichs, die Helden des Schlacht¬
feldes, und die Männer am Ruder deS
Staats , mit Einem Blik zu übersehen,
findet Ihr nimmermehr, als die Ritter-
Ordens - Feste. Der Stammhalter einer
glänzenden Familie verläßt seinen Fürsten-
fiz, der Staatsmann sein« Urkunden,
der Feldherr seine Plane ; und erschei¬
nen jener den Beweis seines uralten
AdelS,
7S6
Adels, und diese, den Lohn ihrer Ver¬
dienste an sich tragend — vor dem Vol¬
ke. Fremde, welchen der Zutritt in die
ersten Häuser, wegen eines Abganges an
der Ahnenjahl, verschlossen ist, die zwei¬
te Klaffe deS inländischen Adels, der
Beamte und der Bürger , alle drängen
sich an diesen Tagen in den grossen Saal
nach Hofe, staunen dort mir Muße den
Monarchen anz den sie, so oft er sich
auch dem Volke zeigt, immer mit unbe¬
friedigter Neugierde besehen, und be-
wundern die Grossen, welche ihre Dekre¬
te , Patente und Diplomen unterschrie¬
ben, oder Schlachten für das Vaterland
gewonnen haben.
Es wäre unverzeihlich , wenn ein Be¬
wohner der Residenz dl« Orden nicht
kennte, welche seine erhabnen Mitbürger
schmüken , da sie selbst im Auslande allent¬
halben bekannt sind. Ohne mich also in
eine weitläufige Beschreibung derselbe«
einzulassen , rede ich bloß von ihren Fe-
' stcn,
737
stett , wie sie der Ordnung nach im Jah-
rk gehalten werden.
Das Fest des militärischen Theresien-
Ordens wird jedesmal am ersten Sonn¬
tag nach St . Theresens Tag gefeiert.
Der Zeitpunkt der Stiftung dieses Orden-
bestimmt seine ganze Würde . Nach der
gewonnenen Schlacht bei Kollin wurde
er von der Kaiserin Maria Theresia am
isi . Junius 1757 gestiftet : die Helden
wurden gleichsam auf der That belohnt,
und die Ordenszeichen über ihre noch blu¬
tende Wunden gehangen . . . . Er ist der
Lohn eines jeden , der sich im Kriege durch
eine besondere That auszeichnet . Der
Krieger , dessen Vater pflüget , oder dessen
Güter Hunderte pflügen , kann ihn ohne
Unterschied erhalten ; doch nur in der
praktischen Ausübung seiner kriegerischen
Talente . Für den Mann , welcher sich
ln den Tagen des Friedens durch weise
Anordnungen und Verbesserungen beiden»
Kriegswesen auszeichnet , ist , wie für
A a a jeden
738 2 -7-HT —'S

jeden verdienstvollen Staatsbeamten , der


Stephans - Orden bestimmt. Mehrere
Generale haben sich denselben erwor¬
ben.
Die Art und Ordnung dieses Festes
ist folgende.
Um zehn Uhr Morgens versammeln
sich die Großkreuze , Kommandeurs , und
Ritter in der Rathsstube in der Burg,
ziehn dann durch den grossen Saal , das
erste Vorzimmer , und die Ritterstube,
unter dem Vortritt der Hof - und Kam¬
mer - Fourriers , der Edelknaben , der
Truchsesse , Kammerherren und geheimen
Räthe , wie auch der Ordensbeamten,
in die Hofkapelle , und wohnen dem ge¬
sungenen Hochamte bei . Der Rükweg
geht in der nämlichen Ordnung in den
grossen Saal zurük , wo für Seine Ma¬
jestät — und wenn ein Prtnz vom regie¬
renden Haufe zugegen wäre , auch für
denselben — unter dem Baldachin die
Tafel bereitet ist. Oie Grvßkreuze spei¬
sen
-3-
srn einige Schritte abwärts ; und die Kom¬
mandeurs und Rittet werden in der Rittet-
stube bewirthet. Es ist ein herzerhebender
Anblik, Seine Majestät , von den Feldmat
schälen Hadik, Lascy, und London umgeben,
nach derKirche zieh», und vor denselben eine
Reihe verdienter Generale und Stabs-
offijiere einher gehn ju sehn^ Mnth und
Klugheit, nicht aber Tollkühnheit und
Zufall werden so belohnt,
Das Ordensfest des apostolischenKö-
Nigs Stephan , und des goldnen Vlie¬
ßes , werden an den ersten Sonntagen
nach Emeritus und Andreas gehalten.
Die Art und die Feierlichkeiten sind die
nämlichen, wie Ihr sie oben gehört habt*
Der Unterschied ist, daß am Theresien-
Ordens- Feste die Ritter in der ihrer mi¬
litärischen Würde angemessenen Kleidung
erscheinen, und die ihnen ^»kommenden
Ordenszeichen an dem weissen Bande mit
rothem Rande, und Sterne über der Uni¬
form tragen. Die Ritter des Stephans«
Aas » ü »»
74s
Ordens und des golbnen Vließes hinge¬
gen haben eine Gattung feierlicher Klei¬
dung . . . . Die erster» tragen e>n Kar-
mestnfarbiges Unterkleid , welches ohne
Orffnung vorn bis an die Füsse hcrab-
langet , und beiden Großkrruzen mit zer¬
streuten Etchenblättern durchaus gestikt ist,
die darum gewählt wurden , weil die Bür-
gerkrone der Römer aus solchen bestand.
Darüber ist ein grünsametnes weites auch
mit Eichenblättern am Rande gestiktes
Oberkleid , mit langen offenen Aermeln.
Um den Hals ist ein breiter Kragen,
worauf die Sterne der Großkreuze in der
Mitte der Brust angebracht find. Die
Ritter des goldenen Vließes haben eine
ziemlich ähnliche Kleidung , nur find das
Unter - und Oberkleid von karmesinfärbi-
' - em Sammet . . . . Di « Ritter des Ster
phansordens tragen eine hohe hungarische
Mätze , mit einem Rcigerbuschen gezieret,
und , wie das Oberklcid und der Kra¬
gen, mit Hermelin auögeschlagen, die Rit¬
ter
74 «
ter des goldenen Vliesses tragen eine be¬
sondere gestikte Mütze . Die Ordens-
zeichen werden von den Rittern des gol¬
denen Vliesses und von den Kroßkreuzen
des Stephansordens an goldnen über
die Schulter Hangenden Ketten , von den
Kommandeurs des letzten Ordens an ei¬
nem breiten Bande , und von den Rittern
mit einerBandschleife angeheftet,vorn über
die Brust getragen . DieseKleidung läßt be¬
sonders einem großgebauten Ritter sehr gut.
Da bloß Eine Klaffe der Ritter bry
dem Orden des goldenen Vließes beste¬
het , so ist beim Fest dieses Ordens nur
Eine Tafel am Fuß des Thrones.
Uiberhaupt sind ausser drmNeujahrs-
tage diese Ordensfeste die einzige Feier¬
lichkeit , die noch im Hofton der ehema¬
ligen Kaiser gehalten werden . Der Oberst-
Silberkämmerer dekt mit dem Unter - Stl-
berkämmerer die Tafel Sr . Majestät mit
dem prächtigen goldnen Service , welches
Kaiser Franz verfertigen ließ . An dieser
A a z Ta-
742 s -r-W -^ s

Tafel umgeben die Kapitäns der adeliche»


Garden den Kaiser . Der eben im Dien¬
ste stehende Kammerherr ist zugleich der
Verschneider . Die adelichen Leibwachen
fchliesse« einen Kreis , der auch die Tafel
der Großkreuze umfaßt , welche von den
kaiserlichen Hofoffizieren in Uniform be¬
dient wird . . . . So wie das Großmet,
sterthum des Etephansordens mit der
Krone Ungarns , so ist auch die Würde
eines Ordenskanzlers mit dem Amte des
hungqrischen Hofkanzlers immer vereini¬
get , und an dem Ordcnsfeste verrichtet
die hungarische Leibgarde allein die Dien¬
ste bey Hof.
Der vierte ist der Elisabeth - Orden,
welcher etwas unbekannter seyn dürfte,
weil ihm kein Festtag gewidmet ist. Er
gehört für alte Offiziere , welche lange
und untadclhaft gedient haben . Mit sei¬
nem Desiz sind , wie beim Theresten .- Orden,
gewisse Einkünfte verbunden . Er wurde
pon der Kaiserin Elisabeth gestiftet , und
> von
o- -Wk-- o 74L
»on Maria Theresia erneuert . Uibcr zwan¬
zig beläuft sich die Anzahl seiner Ritker
nie . Das Ordenszeichen wird an einem
schwarzen Band , im Knopfloch über der
rechten Brust getragen , und besieht aus
einem schwarzen Kreuz mit meisten Eken.
Dev Sternkreuz -Orden isi unser ein,
ziger weiblicher Orden . Hofdamen , und
andere verehelichte des ersten Adels , er¬
halten denselben von der Grvßmeisterin,
welche jezt die Erzherzogin , Großherzo-
gin von Toskana ist.
Thämmel nennt Bänder und Sterne
den gnädigen Spott her Fürsten . Der
gute Mann ist ein Dichter , dem man ei¬
nen solchen Lufthieb schon verzeihen muß.
Indessen läßt sich nicht läugnen , daß auch
wirklich die Zeichen manches Ordens sehr
in Verfall gerathen sind , und ihren Be-
sizern eben keine auszeichnende Achtung
»erschaffen. Man erinnere sich des Sporn-
prdens , der für sechs Dukaten zu ha-
hen isi , und mit dem einst ein Englän-
A a a 4 dt?
744 V- -W -- 0

der bet feiner Abreise aus Rom feine


Lakaien, Kutscher und Reitknechte be-
hing.

(7XXXI.

Universität.
Es gibt einige Universitäten in Deutsch¬
land , bei deren Einrichtungen und Ver¬
besserungen man es auch mit unter zu ei¬
nem Hauptgegenstand zu machen scheint,
ihnen eine solche Gestalt zu geben, daß
sie schon von aussen hochstrahlend glänzen,
und viele Fremde anlöcken sollen, um dem
oft unbedeutenden Ort ihres Sizes neue
Geldzuflüffe zu verschaffen. Vor kurzem
sagte ein Deutscher Schriftsteller: mancher
Lektionskatalog solcher Universitäten sey
mit einer ziemlichen Dosis litterarischer
Scharlatanerie versezt. Ganz Unrecht mag
der Mann hie und da nicht haben.
74Z
In Wien , und auf den Oestreichische«
Universitäten überhaupt , hat man keines¬
wegs zur Absicht , Fremde Studierende
herbey zu ziehen . Die einheimische Ju¬
gend so zu bilden , und mit jenen Kennt¬
nissen zu versehn , daß der Staat seine
Aemter damit brauchbar besetzen, und sei«
Volk in einer zwekmäßigen Kultur und
Erleuchtung erhalten könne : dieß ist sein
Augenmerk ; und wenn er dasselbe er¬
zielt , so kann er mit seinen Lchr- Anstalte«
zufrieden seyn . Man weiß ja allgemein,
daß die Universitäts - Studien gewöhnlich
keine grosse Männer bilden . Den Jüng¬
ling an die Quelle der Wissenschaften zu
führen , dieß ist ihr Amt - Das wahre
Genie entwikelt sich immer ausser der
Schule, in den einsamen Stunden des
Selbstdenkens , durch den Feuerstrohm des
höheren Geistes.
Indessen sey es ferne von mir , zu
behaupten , die hiesige Universität sey 1»
ihrer Art vollkommen , oder so vortrefflich,
A a a Z alS
746
als keine andere . Nein ! sie hat ihre
Mängel , und wird derer immer einige
haben.
Sie war ehemals ganz in den Hä »,
den der Jesuiten . Im I . 1756 erhielt
sie schon einige Verbesserungen und einige
» »jesuitische Professoren.
Nach Aufhebung jenes Ordens hat man
wieder neue gedeihlichere Anstalten ge¬
macht ; und seitdem hat sie noch manches
zum Vortheil brr Wissenschaften erhalten.
Der Professors » , find acht und dreyßig ,
worunter z. B . «in Barth , Eckhel , Gru-
ber , Hell , Jacquin , Leber , Mastalier,
Sonnrnfels rc. rühmlich in der litterari-
sichen Welt bekannt sind.
Die neuesten Veränderungen bei dieser
Universität sind , daß schon in dem fünf»
ten Jahre über alle Wissenschaften in
Deutscher Sprache gelesen wird , die Kölle-
gien der hochheiligen Theologie , und deS
kanonischen Rechts ausgenommen . Auch
von diesen wird hie Pastsral - Theologie
Deutsch
747

Deutsch gelehrt. Das kanonische Recht


dürfte bald ganz aufhören , einen eignen
Wissenschaftszweig auszumachen: wozu es
auch endlich einmal Zeit ist; denn warum
soll für die geistlichen Mitglieder des
Staats ein anderes Recht existiren, als
für alle übrigen Bürger ! . . . Ehedem
wurden alle Kollegien auf den östreichischcn
Universitäten frei gegeben. Seit drey
Jahren aber sind auch hier Kollegicngel-
brr eingeführt. Dieß ist die lezte Ver¬
änderung , welche hierin gemacht wurde.
Beklagen kann sich das Publikum mit
Grunde nkcht über diese Einrichtung; denn
auf allen Universitäten , besonders im
nördlichen Deutschland, wird schon seit je¬
her für die Lehrkurse bezahlt. Zudem ist
das Unterrichtszeit» sehr mäßig: bcy den
Gymnasien beträgt es i » Fl . jährlich,
bey der Universität für das philosophische
Studium 18 Fl ., für das juridische und
medizinische zo Fl.; das Theologische und
der Unterricht für Wundärzte, sind frey.
Die^
748 0—

Dieses Geld kommt aber nicht in die


Hände der Professoren , wie in andern
Ländern , sondern wird wieder zum Nuzen
des Publikums verwendet , indem daraus
Stipendien für Unvermögende , aber durch
Fähigkeiten und Fleiß verdiente Jünglin¬
ge gegeben werden , welche alsdann auch,
so wie alle übrigen Stipendiken , von Be¬
zahlung des Unterrichtsgeldes befreyet
find.
Das Universitätsgebäude ist von Maria
Theresia errichtet worden . Es hat ge¬
räumige Härsäle ; «inen Vorrath von
physikalischen und mechanischen Instru¬
menten ; «ine Sammlung von Naturalien;
«in chemisches Laboratorium ; ein anato¬
misches Theater ; eine Sternwarte ; eine
eigne öffentliche Bibliothek . Diese befin¬
det sich in dem der Universität gegenüber
stehendem Gebäude des Generalseminart¬
ums , und ist sowohl durch die Windhagi-
sche und Gschwindifche Bibliotheken , als
durch die Sammlungen von den aufgeho-
bc-
?44
denen Klöstern ansehnlich vermehret wor¬
den. Sie erhält aber jezt nach einem in
Rücksicht auf kehrer und Schüler wohl
geordneten Systeme, eine ganz neue Ein¬
richtung, und wird gegenwärtig in allen
Fächern mit denjenigen Büchern bereichert,
welche Ljhrern und Schülern, für derer
Gebrauch sie eigentlich bestimmt ist, vor¬
züglich nujbar und nothwendig sind. Ei¬
ne sehr gute Anordnung dieser Bibliothek
ln ihrer heutigen Gestalt, ist auch die¬
se, daß ausser den gewöhnlichen Festta¬
gen niemals Ferien bei ihr gehalten wer¬
den, und sie also das ganze Jahr durch
offen steht.
Man hat schon einigemal de« Saz
«ufgewärmt, baß die Musen die Ruhe
liebten, daß eine so volkreiche und lär¬
mende Stadt als Wien, kein schikltcher
Ort für eine Universität sey. Ich bi«
der entgegen gesetzten Mcynung. Heut
zu Tage , sind di«Studien nicht bloß da,
um Klöster zu bevölkeren , wie ehedem,
son-
75S
sondern um über alle bessere Stände des
Staats Kenntnisse zu verbreiten . Man
kann also mit Recht fordern , daß der
studierende Jüngling nicht bloß Bücher-
gelchrsamkeit sich eigen mache , sondern
daß er sich auch zum Umgang mit der
Welt bilde : und dazu ist ein grosser
Ort unstreitig besser als ein kleiner. In
einem unbedeutenden Städtchen , wo
kein Hof , kein Adel , keine vielfältig«
Vermischung der Stände ist , und die
S udierenden die einzigen sind , welche
den Ton angeben , von denen der Ort
zebt , dort verfallen sie nur gar zn gern
auf jenen wilden , trotzigen , ungeschliffen
nen , renomistischen Ton , welchen man
den Jenensern so lange mit Recht
vorgeworfen hat , und der noch jezk, in
etwas vermindertem Maß , in den kleinern
Universitätsstädten des nördlichen und süd¬
lichen Deutschlandes herrscht.
Man erwäge auch den Umstand noch,
daß aus der Etadt Wi . n allein so viele
oder
s -- W-- s 75»
«der wohl noch mehr Söhne die Naiver»
sität besuchen, als aus der ganzen übri¬
gen Provinz Oestreich. Durch eine Vcr-
sezung dee Universität also würden alle
hiesigen Familien der Studierenden verlie¬
ren , und die übrigen nichts gewinnen»

OXXXII.

Mönche»
We sehr hat sich— nur seit zwan¬
zig Jahren — das Schiksal dieser Men-
scheagattung im ganzen südlichen Deutsch¬
land geändert ! Einige Schriftsteller thaten
die ersten Schritte , und bereiteten das
Publikum vor : der Koloß des Mönch»
thums ward erschüttert. Die jetzige Re¬
gierung in Oestreich vollendete den Schlag,
und stürzte dieses Idol der finstern Jahr¬
hunderte nieder. Noch stehn zwar besten
Brüder in den benachbarten Provinze»
aufrecht, aber das Beispiel ist zu hin-
reis-
75r S--W - -0

reissend, als daß sie nicht im kurzen bas


nämliche kos treffen soll.
Im Jahr 1772 waren in den östrei-
chischen Staaken:
Mannsklöster -- — rZ7L
Frauenklöster — — 54!

Summe » l6z
Im I . 177z erloschen die Ordens¬
häuser der Jesuiten , 139 an der Zahl.
Dom Jahre 1782 bis zur Hälfte des
Jahrs 1786 sind aufgehoben worden.
Mannsklöster — — 41z
Frauenklöster — — an

Summe. 624
Seitdem ist noch aufgehoben worden
der ganze Pauliner - Orden in Ungarn ,
VNd «ine beträchtliche Zahl einzelner Klö¬
ster auS allen übrigen Orden. Die Klo¬
sterleute beiderlei Geschlechts, welche sich
im J . 1770 auf ungefähr 64892 Köpfe
beliefen, mögen jczt etwanu noch »722»
«uSmachen.
Da
7S3
Da allen Klöstern überhaupt verbv-
then ist, Novitzen anzunehmen, so sieht
man wohl , daß ihre baldige gänzliche Er¬
löschung bcvorstche . Der Orden der
Barmherzigen Brüder allein hat vor den
Augen des Thrones Barmherzigkeit ge¬
funden , und darf sich fortpflanzen, weil
er ein für die Menschheit heilsames In¬
stitut ist.
Indessen sah man sich grnöthiget,
noch einen guten Theil der Klöster eins¬
weilen bestehen zu lassen, theils , weil
man mit einer solchen Menge von Gä¬
tern , Gebäuden und Personen nicht au-
genbliklich alles abändern konnte; theils,
weil man wenigstens einen grossen Theil
der Mönche zu den Verrichtungen tauglich
fand und machte, welche sonst die
Weltpciester bei den Pfarren über sich
haben.
Die Aufhebung der Klöster machte
auf die Mönche im Ganzen, sehr verschie¬
denen EtNdruk. Dt« Prälaten , Prio-
Bbb ren,
7S4
ren,Guardianen,überhaupt alleSuperioren
und di« Alten, sahn mit Wuth und Ver«
zweiflung den landesherrlichen Kommissär
mit dem Zerstörungsdekret an der Pforte
absteigen; weil er ihren grossen Ein¬
künften, ihrer Herrschaft, und ihrem
frommen Müßiggang ein Ende machte«
Die jungen Mönche hingegen empfiengen
ihn mit Jubel als ihren Messias, welcher
die Fesseln des Zwanges, der Tyrannei
und der stumpfen Unthättgkeit zerspreng¬
te ; welcher ihnen das höchste Gut der
Sterblichen, die Freiheit und sie selbst der
Menschengesellschaft, wieder schenkte.
In Wien bestehen gegenwärtig noch
LZ Mönchsklöster , welche nun mit der
Seelsorge beschäftiget sind, jene Indivi¬
duen nämlich , di« man nach vorgenomnrt-
»er Prüfung dazu tauglich befunden hat.
Auch ist beinahe allenthalben der Pfarrer
selbst ein Weltprtester, «nd hat die Mön¬
che des nahen Klosters nur alS Gehil»
fen ln seinem Amte.
0' 0 755
Ein paar Klöster haben aus beson¬
der» Ursachen auf einige Zeit Erlaubnis
erhalten, Kandidaten aufzunehmrn; aber
sie fanden nicht einen einzigen, der sich
dazu bereden ließ. Dieß ist ein merk¬
würdiges Beispiel von dem Umschwung
der Denkart in der heutigen Welt. . . .
Auch die noch bestehenden Mönche haben
viele Ausnahmen von ihrer vorigen skla¬
vischen Lebensart erhalten : sie fingen
keinen Chor mehr ; fie find in ihrer Fa¬
sten dispenstrt, sie tragen Schuhe, Strümps«
und Unterkleider; fie dürfen mehr in Ge¬
sellschaft gehn , und wenn fie auf dem
Lande als Kapiäne ungestillt sind, ihren
Ordenshabit ganz oblegen; die jungen
besuchen die Kollegien auf der Universi¬
tät , wo sie statt dem scholastischen Wust
ihrer Ordenspatronen , gesunoe Nahrung
für ihren Kopf erhalten. Indessen sehnen
sich alle noch hier in Klöitern le¬
bende feurig nach einer gänzlichen Auflö¬
sung.
B b b » Da
756 oüüW -- o
Da es so selten geschieht, daß ein
Mönch etwas für die Litteratur Wichtiges,
und für die Welt Gedeihliches ausbrü¬
tet : so.kann ich nicht umhin, eines hie¬
sigen Franziskaners zu erwähnen , der
durch eine wichtige gelehrte Unternehmung
die Verdienste seiner Mitbrüder weit zu-
rükläßt. Er heißt Stulli und arbei¬
tet an einem allgemeinen Wörterbuch der
Slavischen Sprachen , das für den östrei-
chischen Staat von wichtigem Nutzen ist,
da wenigst ein Drittheil seiner Untertha-
nen noch in verschiedenen slavischen Mund¬
arten spricht. Der Verfasser wird durch
eine Pension unterstützt, und jezt ist ihm
auf sein Verlangen ein anderer Franzis¬
kaner, Namens Lanassovich als Gehilfe,
ebenfalls mit einer Pension zugegeben
worden.

exxx
75?
cxxx.

Agenten.

Wie sich die grossen Höfe Europens


beständige Botschafter , Gesandte , Ge¬
schäftsträger rc. in Wim aufstellen : so
halten sich die kleinern Reichsfürsten,
die Reichsstädte , Reichsprälaten , Reichs¬
grafen rc. ihre Agenten hier . Das Näm¬
liche thut «uch der inländische Adel , die
Städte , Stifte , Bischöfe ; ja selbst die
in der Hauptstadt beständig wohnenden
Grossen.
Die Agenten theilen sich in jwey
Klassen : sie sind Reichs - Agenten oder
Hof - Agenten . Die Reichsagenten be¬
sorgen die Geschäfte ihrer Parteien,
welche vor dem Reichöhofrath müssen ge¬
schlichtet werden . Die Hofagenten be¬
sorgen bei Hofe , das heißt , bei den in¬
ländischen Hofstellen , die Angelegenheiten
ihrer Kommittenten . Die letztem theilen
B b b z sich
7SS

sich wieder in mehr Zweige : z. B . kn


Oestreichtsch- Böhm sche Hofagenten , Un¬
garisch Siebenbürgischr Hofagenten , Nte-
deriändilche , Lombardische Hofagcnten,
Einige find Univerfalagentcn , nämlich
für die Hofstellen aller Provinzen.
Wenn das alte bekannte Sprichwort
wahr ist , daß die Gesandten die privi-
kegirten Ausspäher an den fremden Hä¬
fen scyen : so gilt dieses auch von den
Agenten , besonders von den Reichs-
agenteu . Es macht eine ihrer Hauptbe¬
schäftigungen aus , alle Wochen , oder
wohl gar alle Posttage fleiffig an ihre
Prinzipale zu schreiben , die geschriebenen
Zeitungen hinaus zu schiken , und noch
alles das mit zu berichten , was der pri-
vilegirte Horcher von der Chronik deS
Hofes , der Stadt , der merkwürdigen
Familien , Häuser , Personen , Vor¬
fälle , Gerüchte rc. rc. hat qufhaschrn
können.

Nebst
759
Nebst diesen Rapports * Pflichten ist
der eigentliche Beruf der Agenten , die
politischen Geschäfte ihrer Klienten zu be¬
treib n. Für die Rechtssachen sind die
Advokaten.
Ausser den feierlichen Geschäften in
Len Rachssälen, sorgen sie auch für die
häuslichen Angelegenheiten ihrer Kom¬
mittenten , . « » Das Reichsstäbtchen
braucht einen Stadtphysikus : es gibt
den Auftrag seinem Agenten ; der Reichs¬
prälat will sechs Eimer Tokaier : er
fordert ihn von seinem Agenten ; der Bi¬
schof hat seinen Zukerbäker verloren , er
perschreibt einen andern durch den Agen¬
ten . Der Graf sucht einen Hofmeister
für seine Kinder , braucht einen Kut-
scher , «ine Garnitur neue Knöpfe , und
ein paar englische Stiefel : der Agent
muß ihm mit erstem Postwagen alle diese
Requisiten in die Provinz spediren - Die
Baronesse hat sich mit ihrer Kammer¬
jungfer überworfen , hört von den neuen
B b b 4 Hü-
76s
Hüten ^ I- ^ ola rars : und «st mit ihren
Schminkbückschen zu Rande : das alles
ist ein Geschäft für den Agenten ; er
wohnt in der Hauptstadt , er ist an der
Quelle ; ein sehr unortographischer Brief
bringt ihm Befehl , Kammerjungfer,
Hut und Schminke einzuhandeln : in
acht Tagen ist alles auf dem Schloß der
Baronesse.
Die Herren Agenten befinden sich,
soviel man aus ihrer grossen Zahl , und
aus ihrem Acuffcrn schlicssen kann , bet
ihrem Berufe ganz wohl . Es sind wel¬
che darunter , die wahrhaft auf dem Fuß
der grossen Welt leben : sie erwerben sich
jährlich 9 bis rooc >Q Fl . , halten Equi¬
pagen , Tafeln , Gesellschaften , Konzer¬
te rc. haben ihre Sekretäre , und noch
obendrein ein halbduzend Federfuchser,
die unter dsm Namen der Kanzellisten,
Praktikanten , Kopisten , in ihren Schreib¬
stuben tagwerken , und das Mechanische
der Geschäfte aus dem Wege räumen
76 r

helfen . . . . Da die Hochgebohrnen


Männer und Weiber nicht selten auch
Geld - Anleihn durch ihre Agenten nego-
ziren lassen , so verschafft dieß eine neue
Quelle, den Lohn ihres betriebsamen
Eifers durch brüderliches Verständniß
mit den Wucherern und Geldjuden , durch
3kbenzuflüffe zu vermehren.
Es gibt noch eine Gattung dieser
Männer , welche man Kriegs - Agenten
nennt . Sie sind die bestellten Geschäfts¬
träger der Regimenter in den Provinzen,
und der militärischen Personen . Sie
bringen die Anliegenheit und Ansuchen
derselben vor den Hofkriegsrath ; und
da die gegenwärtige Oekonomie der Ar¬
mee so eingerichtet ist , daß man auch um
Kleinigkeiten immerbeimHofkriegsrathselbst
ansuchen muß : so fehlt es auch diese»
Herren nicht an Beschäftigung . . . . Will
eine zärtliche Mama ihrem lieben Söhn --
chen , dem Kadetten , der in Siebenbür¬
gen , ln der Lsmbardie oder in den Nie-
B b b 5 der-
76»
verlande» im Quartier liegt, einige Mut¬
terpfennige zuschiken, so wendet sie sich
an einen Kriegsagenten, welcher die Sa¬
che hier in Ordnung bringt , daß die Sum«
me dem harrenden Helden an der Gränze
bezahlt wird.

cxxxlV.

Buchdrukereien.
Oft nur gehüllt in Blätter , Bast und Rinde,
Oft auch geäjt in Holz , und Wachs undBley,
Ward doch dieWeisheit bald ein Spiel derWinde,
Und bald ein Spiel derMenschentyranney.
Ein Deutscher war der schönsten Kunst Erfinder,
Die für die Weisheit je ein Geist ersann. *)

Noch vor etwa»« vierzig Jahren hat¬


ten die Jesuiten ganz allein die Apotheken
und Buchdrukereien in Wien. Die durch«
trie-

*) Die Buchdrukerkunst
. Von Blumauer.
' - 6z

triebenen Schlauköpfe erzielten dadurch ei¬


nen doppelten Vortheil : nebstdem , daß
ihnen diese Anstalten wichtige Summen
Geldes eintrugen , waren sie auch unum¬
schränkte Herren , nur das zu druken,
was sie wollten ; folglich nichts unter die
Presse kommen zu lassen , was ihrem uni¬
versal Geistes -Despotismus , ihren herrsch-
süchtigen Unternehmungen , ihren ränke¬
vollen Schritten , kurz , dem listigen Geist
ihres Ordens , zuwider war . Im Gegen-
theil stand es bloß in ihrer Macht , das
südliche Deutschland unaufhörlich mit all
jenem verderblichen Wust zu überschwem¬
men , welcher von ihren verschlagenen
Köpfen in der schändlichen Absicht ausge-
hekt ward , um das Reich des Aberglau¬
bens , der Blindheit , und der Unrerdrü-
kung zu verewigen.
Allmählig änderte sich auch dieses . Es
thaten sich Leute hervor , welche Industrie
genug hatte » , eigne Ducbdrukereien zu
errichten, Was ehedem Monopol eines
Or-
764 o-^52^c>

Ordens gewesen war , kam nun ganz aus


dessen Händen.
Indessen waren die Buchdrnkereien
noch schlecht genug bestellt. Der Buch¬
handel war unbeträchtlich , und meist
passiv. Im Lande wurde ausser Gebeth,
bächern , Schulbüchern , einigem asceti-
schen Wust , Patenten , und Zeitungs-
blättern , wenig gcdrukt . Dabei hatte
man schlechtes Papier , ekigte , unförm¬
liche , halbgothische Lettern , und ver¬
dorbene gelblichte Drukerfarbe . . . .
Trattner , Kurzbek , und Ghelen , waren
bekannte Buchdruker.
Als im Jahr .1781 die allgemeine
Broschürenschreiberei anfieng , zog fie auch
die Errichtung mehrerer Buchdrnkereien
nach sich Die wenigen damaligen typo¬
graphischen Geburtssiühle konnten alle die
lieben Kindlein nicht zu Tage fördern,
von denen das Heer der schalen Skrib-
ler täglich und stündlich entbunden ward:
also mußten diese Maschinen vermehrt
wer-
o--W^ o 76S
«erden , wozu sich auch unverzüglich Un¬
ternehmer fanden, weil es für jenen Zeit¬
punkt «in sehr beschäftigtes und einträg¬
liches Gewerbe war . So entstanden die
zwanzig Drukerrien , welche gegenwärtig
in Wien find / und ungefähr n 8 Pressen
in Bewegung setzen.
Trattner hat allein Zl Pressen, und
nebst den gewöhnlichen , Türkische Schrif¬
ten. Er drukt viele Schulbücher, Ka¬
lender, und die Patente des Hofes.
Kurzbek hat 15 Pressen: er drukt orien¬
talische und illyrische Bücher. Baumek
ster drukt viel Neu - und Altgrichisches.
Gay drukt Französisch . Schmidt, Wappler,
und Weimar bruken unter den übrigen
am meisten und beßten.
Noch fehlt es vielen Wienerschen
Drukerrien sehr an Schönheit, Genauig¬
keit , Ordnung und Nettigkeit. Die we¬
nigsten halten sich eigene Korrektoren, und
die meisten, welche sich mit dieserArbeit ab¬
geben, sind ihr nicht vollkommen gewach¬
sen,
766
fe« , wie man die leidigen Beweise mit
hundert Dcukfehlern belegt, täglich vor
Augen hat. Ein anderes sehr grosses
Gebrechen der hiesigen Drukereien ist
die Unordentlichkeit, und Nachlässig¬
keit der meiste» Setzer und Drukerge-
sellen. Die erster» korrigiren sehr un¬
gern einen Bogen öfter alS einmal, lasten
oft gezeichnete Fehler aus blosser Faul¬
heit stehen, oder machen bet der Ver¬
besserung deS Einen zwei neue hinein.
Hat der Druker die Form einmal in der
Presse, so drukt er drauf loS, ohne sich
viel anders zu bekümmern, als mit dem
Bogen bald fertig zu styn. Manche ver¬
schleudern ganze Hände voll Lettern auf
die nachlässigste Weise. Nicht selten wird
von Gesellen und Jungen in den Kästen
geplündert; ja man har Bespiele aus
bekannten Drukereien, daß schon ganze
stehende Formen sind gestohlen worden,
und dteß selbst während dem Druke, so,
daß nach geendigtem Schöndruk dt« Form
zum
767
zum Wiederdruk gae nicht mehr zu finden
war, und wieder neu mußte gesezt wer¬
den . Ist der Drukerherr etwas genau
und scharf mit seinen Leuten , so laufen
sie ihm augenbltklich aus der Werkstätte,
«eil fie wissen , daß sie ungesäumt wieder
bei einem andern Arbeit finden . Dieser
Unfug , und die daraus entstehenden Un¬
ordnungen beim Büchrrdruk werden so
lange dauern , als sich nicht alle Buch-
druker , oder doch die Ansehnlicher » bar-,
unter , zusammen einverstehn , keinen Ge¬
sellen in ihre Werkstätke zu nehmen , der
Liederlichkeit und Nachlässigkeit halber
von einem andern entlassen worden oder
selbst weggelaufen ist.
Die alten unförmlichen Lettern fan¬
gen allmählig an , aus den meisten Dru-
kereten zu verschwinden . Kurzbek hat
sich neuerlich schöne lateinische Alphabete,
nach Didok 's Form , angeschafft ; und
Mannsfeld liefert in mehrere Drukereien
deutsche und lateinische Lettern , die mit
den
763 cz-^ W^ o
den schönsten ausländischen wettel-
fern . ,
Wenn man Papier und Farbe in
eben dem Maße verbessern wollte, wie
die Lettern , so würde der Wicnerdruk
in kurzer Zeit neben jedem andern mit
Ehre sich zeigen dürfen.

EXXXV.

Buchhandel.

Die ehemaligen strengen , und mit


lästigen Formalitäten begleiteten Zensur-
gesrtze drükten den hiesigen Buchhandel
sehr stark. Es kostete ermüdende Weit¬
läufigkeiten , ein nur von weitem ver¬
dächtiges Buch in bas Land zu bringen,
und einem Privatmann in seine Samm¬
lung zu schaffen. Dirß schrekte Buch,
Händler und Leser ab.

Seit
o-^ Lk'- o 76-
Seit der jetzigen Regierung hat sich
die Cache um vieles geändert . Die Bry-
schürenschreibrrei brachte eine ungewöhn»
liche Lebhaftigkeit in den kleinen Lokal-
Buchhandel - Diese Aufwallung war aber
nur ephemerisch , und hat nun größten,
theils wieder ihr Ende . Indessen ward
auch der eigentliche Buchhandel etwas
thätiger und ausgebreiteter , weil dir Le¬
se - und Schreib - Freiheit weitere Grän¬
zen bekam.
Die bekannteren Buchhandlungen füh¬
ren Rudolph Gräffer und Kompagnie,
Krauß , Kurzbek , Wappler , Stahe ! ,
Hörling , Mößle . Sie tauschen auf dem
allgemcMcn Bücherumschlag zu Leipzig,
mit den norddeutschen Buchhändlern , und
verlegen selbst Bücher aus allen Fächern.
Trattner handelt meist im Lande und in
die Provinzen mit sclbstgcdrukten Sachen
mancherlei Art . Hartl war in der allge¬
meinen Schreibepoche der gesuchteste Bro --
schürenvater , und verlegt nun dauerhaft
Ccc tere
770

tcre Waare . Wucherer hat sich durch


den Druk der kühnsten Blätter gegen
den Monarchen , di« Regierung rc. be¬
kannt gewacht . Gay handelt bloß mit
französischen Büchern.
Ausser den ordentlichen Buchhändlern
gibt es auch sogenannte Bücher - Anti¬
quar « , welche mit gebundenen - alten,
und seltnen Büchern Handel treiben.
Der wichtigste unter denselben ist Au¬
gust Grösser ,
der ein stets wohl versehe¬
nes Magazin hat , und auch mit neuen
französischen, rc. Büchern handelt . Neben
ihm sind noch Klopstok ( ein Bruder des
Dichters ) , Binz , Wallisbauser , Weiß,
Grund , und einige andere Buchbinder,
welche dieses Gewerbe treiben.
Es wäre hier wohl der Ort , etwaS
über die Kniffe und Pfiffe zu sagen,
welche die niederdeutschen Buchhändler,
Journalisten , Rezensenten rc. treiben,
um den oberdeutschen Buchhandel und das
ganze iitteraturweftn unsrer Gegenden zu
un-
77 !
unterdrüken , und zu verfchreirn . Cs ist
aber nicht der Mühe werth , diesen schmu¬
tzigen Flck recht in das Licht zu sezen.
Der ganze Spuk wird um einiger
tau¬
send Thaler willen getrieben , welche die
Sachsen und Brandenburger bisher all¬
jährlich auf der Leipziger Ostermeffe aus
Oberdeutschland erhoben haben , und noch
ferner «inzustreichen trachten . Sie hatten
bis auf die neuesten Zeiten beinahe eia
unumschränktes Mo "opal mit Büchern.
Noch vor zwölf Jahren war dasBerhält-
niß der oberdeutschen Artikel in den Leip¬
ziger Katalogen gegen die Niederdeut¬
schen wie l zu z6 , ein paar medizinische
Bücher nämlich , und etwann ein histo¬
risches oder diplomatisches Werk. Seit
einigen Jahren aber , da man in Ober-
drutschland etwas freier benlt , reiner
schreibt, und im Fache der k>ttera :ur eben¬
falls arbeitsamer wird ; da man die Macht¬
sprüche der Niederdeutschen Journalisten
und Rezensenten nicht mehr so mächtig
C c c » an-
77L
anstaunt und tief verehrt , die grossen
Thcils schalen Leipziger Produkte nichr
mehr so Zentnerweise abnimmt , und auch
ansehnliche Ladungen unsrer Schriften
Ihnen zuführt : seitdem ist es erklärte
Fehde . Sie setzen weniger Bücher ab,
und nehmen auch weniger baar Geld ein.
Dieß ist allerdings ein empfindlicher Stoß;
aber die Schritte , welche sie thun , um
diesen Gang der Sachen zu hemmen , und,
wo möglich , wieder ümzuwenden , sind
auch gar zu gehäßtg ,
und auffallend.
Freilich muß es schmerzen , diktatorisches
Ansehch und besonders Geld zu vexieren;
aber ich kann , doch alle Verleger , Schrift¬
steller , Journalisten und Rezensenten mit
der gewissen Versicherung trösten , daß
ihr Buchhandel immer einiges Gewicht
über den unsrigen behalten wird , weil
unsere LandeSbeschaffenheit , . unsere ge¬
sellschaftliche Verfassung , die Lebensart
und Bequemlichkeit unsrer Schriftsteller
und Buchhändler , fle nie zu jenem Grad
von
v>77W-- c> 77z
von Arbeitsamkeit und Thätigkeit gelan¬
gen läßt , wie die Niederdeutschen.
Ihre Meßbilanz wird vielleicht jährlich
um ein paar tausend Thaler sinken ; aber
dieß verdient ja nicht, sich so gar wüthend
darüber zu geberden . Das einsichtsvolle
Bublikum fängt bereits an , darüber zu
lachen.

OXXXVl.

Kunsthandlungen.
»

Sie verkaufen Kupferstiche , kleine


Gemälde , Landkarten , Plane , Musika-
licn , einigeauch Farbentusche , optische
und mathematische Instrumente.
Die bekannteste dieser Handlungen ist
bei Artaria und Kompagnie , auf dem
Kohlmarkt . Dieser sehr industrtose Mann
und Kenner hat ein kostbares Magazin
von den auserlesenste « Kupferstichen aus
allen Ländern , die er stets ganz neu und
Ccc z schnell
774 S- -W - -O
schnell kommen läßt . Vorzüglich findet
man bei ihm einen herrlichen Vorrath
von den schönen kolo irten Englischen
Blättern , von den Karikaturen und saty-
rischen Kupferstichen , welche in London
unaufhörlich zum Vorschein kommen , und
dem ernsthaftesten Mann eine heilsame
Zwerchfells Erschütterung abnöthigrn . . . .
Ausser denfrcmdcn Kunstprodukten hatArta-
ria auch aus der kaiserlichen Gallcriemanch
kostbares Stük auf fein « Kosten in Kupfer
stechen lassen , und gibt von Zeit zu Zeit
schöne Sachen , in eignem Verlage , her¬
aus . Man findet bei ihm eine Sammlung
von Aussichten in und vor der Stadt
Wien , ihren vornehmsten Plätzen , Spa¬
ziergängen rc. auch von den sihnSwürdt-
gen Theilen des Schlosses und Gartens zu
Schönbrunn , welche alle sehr getreu ab-
gebildet , und schön gestochen sind. Diese
Sammlung besteht bereits aus 47 Stuken,
und kan» besonders Ausländern eine nüzlt-
chc
77S
che und angenehme Uiberficht von Wien
verschaffen.
Die übrigen Kunsthändler findStökl,
Frister , Hohenleitncr , welche zwar keine
so gar reichhaltigen Magazine haben, wie
Artaria , aber doch schöne Sachen scik
biethen.
Es wäre unbillig, unter den Kunst¬
händlern eines Mannes nicht zu erwäh¬
nen , den die ganze Wiener- Welt so gut
kennt , und vor dessen Laden den ganzen
Tag über viele Hunderte stehn bleiben,
um seine ausgehangenen Stücke anzugaf¬
fen. Dieser Mann ist Löschenkohl . Wie
es an gewissen Orten Gelegcnheitsbichtcr
gibt , so möchte ich köschenkohl den Gele¬
genheitsmaler von Wien nennen. Es
ereignet fich kein merkwürdiger Auftritt in
dieser Hauptstadt , oder auch in andern
Ländern, den man nicht rintg«Tage nach-
/ her in einem bunten Gemälde vorgestellt
an seinem Lade» hängen sieht. . - The-
reslenv lezte Stunde war eines der er?
Ccc 4 stcv
776
sten seiner bekannter » Stücke , von dem
er 7000 Abdrücke — zu L Fl . — ver¬
kaufte . Seitdem hat er jeden wichtigen
Auftritt in der Welt benutzt. Die Ankunft
der Rußischen Herrschaften ; die Ankunft
des Papstes ; die Marokkanische Gesandt¬
schaft ; die Eröffnung der Chirurgischen
Akademie ; die Luftbälle ; der Tod des
Königs von Preuffrn ; die Englischen Wett¬
rennen ; der Emser Kongreß ; die Ver¬
mählung des Erzherzogs Franz rc. rc. rc.
alles gab seinem fruchtbaren Pinsel Stoff
zu neuen Vorstellungen , auf populäre Ma¬
nier ausgefährt . Gegenwärtig ist der
Türkenkrieg vollends eine unerschöpfliche
Quelle für seinen Bildnrrgetst.
Löschenkohl ist aus dem Herzogthum
Berg , und war ehedem Goldarbeiter.
Daß er Spekulationsgeist und Industrie
habe , kann ihm Niemand . absprechen.
Gibt es in der grosse» Welt nicht neue
Auftritte genug , so macht er Karikaturen,
gus dem bürgerlichen Leben genommen.
Nebst
777

Nebst dem verfertigt er Silhouetten , Mi¬


niaturporträte , Kupfcrp.orträte , Kalender
mit mancherlei Bildern und Vorstellungen;
und ganz neuerlich hgr er eine Fächer¬
fabrik, eine Dpsrnfabrik , und eine Knopf¬
fabrik angelegt . Aus dem allen ergibt
sich, daß er Zeit , Umstände , und Moden,
sehr wohl zu benutzen weiß,

. cxxxvn.

Lichtensteinische Gallerie . .

Wenn ein reichbegüterter Grosser fei¬


ne Schätze zu «dein Endzweken verwendet,
wenn er großmüthig denkt und handelt,
wenn er Talente und Künste unterstüjt,
wenn er den Patrioten macht , wenn er
die Pflichten der Menschenliebe erfüllt;
kurz , wenn er sein Geld auf eine wür¬
dige Art ausgibt , so beneidet ihn Nie¬
mand darum , vielmehr segnet man seinen
Reichthum - Einige Fürsten aus denz
Ccc 5 Hau-
77»
Haufe Lichtenstein haben ihre grossen
Glüksgüter edel benutzt : unter die Denk¬
male dieser Verwendung gehört auch die
Gemälde - Sammlung . Sie befindet sich
in dem prächtigen Majoratshanse in der
Schenkenstraffe.
Eine solche Gallerie zu beschreiben , ist
meine Sache nicht. Genug , sie ist äusserst
kostbar , und jeder Fremde , welcher die
Kunst zu schätzen weiß , muß ja nicht aus
Wien gehen , ohne sie gesehn zu habe ».
Der Abbate Luchmi hat die Aufsicht
darüber , auch ist ein eigner Katalog da¬
von gedrukt.
Der jezt regierend « Fürst , welcher
selbst Kenner , folglich auch Schätzer der
Kunst ist , begnügt sich nicht bloß damit,
diesen von seinen Ahnen ihm hinterlaffe-
nen Schatz würdig zu erhalten ; sondern
vermehrt ihn unablässig mit neuen sicht¬
baren Stücken . Uiberdas hat er ein«
Sammlung , von Kupferstichen angelegt,
wozu der von dem ReichsreferendgriuS
Gun-
0- ^ - 2 779
Gundel HInterlaffene und von dem Fürsten
erkaufte sehr zahlreiche Vorrath den Grund
legte , und die der Fürst nun täglich
mehret.

cxxxvili.

Kalender.

Die Akademie der Wissenschaften in


Berlin besteht von dem Gelbe, welches
sie aus dem Kalender-Monopolium zieht.
Wollte man aus eben diesem Fond eine
Gelehrten Akademie in Wien errichten, so
würbe sie hinlängliche Einkünfte von die¬
ser Quelle schöpfen .^ Schon vor einigen
Jahren , als diese Sache einmal zur Spra¬
che kam, hatte sich jemand angebothen,
der für den Kalender - Pacht jährlich
92000 Fl . zahlen wollte. Man kann
wohl annehmen, daß im ganzen Oestrei-
chischen Staat jährlich fünf Millionen
Al-
78o

Almanachs , von allen Gattungen , ver-


braucht werden,
In Wien erscheinen diese ephemeri¬
schen Dingerchens gegen Ende jedes Jahrs
unter hundert Gestalten » ' Sie alle hcrzu-
nennen , würde eine ordentliche Litancy
ausmachen . Ich erwähne nur einiger der
bekanntern.
Der
Hof - Schematismus steht billig
oben an. In diesem Buche des Lebens
sind di« Günstlinge des Glüks und die
Märtyrer des Staats verzeichnet . Von
Sr . Majestät an , als gebohrnen Gro߬
meister aller Ritterorden , bis auf den
tezten Ofenheizerjungen , findet Ihr hier
alles , was von der Gnade des Hofes
Rang , Titel , Würden , Bedienung und
Besoldung hat . Nebst diesen sind auch
die am hiesigen Hofe stehenden Both-
schafter, Gesandten und Agenten der aus¬
wärtigen Mächte und Fürsten , und bl«
Bothschafter , Gesandten , Geschäftsträ¬
ger , Konsule rc. des hiesigen Hofes , i»
Yen
781
den fremden Staaten, eingetragen
. Für
jemanden, der Geschäft ! in Wien hat,
ist dieser Kalender beinahe unentbehrlich,
well er darinn mit leichter Mühe die Na¬
men und Wohnungen aller derjenigen
findet, mit denen er unterhandeln muß.
Gerold auf dem Dvminikanerpla ; ist der
Verleger desselben, und verkauft ihn für
A Fl. Wenn man dieses Buch
dnrchblättert, so findet man auf eine
überzeugende Weise, aus wie mancher¬
lei Nationen der östreichische Staat be¬
steht: die abstechenden Namen so vieler
Völkerschaften und Sprachen , machen
einen auffallenden Eindruk . . . . Man
erzählt die Anekdote, daß ein bekanntes
parisisches Freudenmädchen jedem, der
in ihr Zimmer tratt , um ihre Gunst zu
erkaufen, den ^ lmaimc Ro^ sl oder Hof-
Schematismus auf den Tisch legte, und
forderte, ihr seinen Namen in dem Buch
anfzuschlagen . Konnte ihn der Unglüklt-
che nicht zeigen, so wurde er unerhört
fort-
78 r
fortgefchikt
. Eine sonderbare Laune!
Wenn es der richtigen und bessern Be¬
zahlung wegen war, so wollre ich den
Genossinnen jener Pariserin rachen, nicht
in allen Fällen auf den bloßen Schema¬
tismus zu bauen.
Seit einigen Jahren erscheint ein
wienerischer Taschenkalender
, zum Nutzen
und Vergnügen; nach dem Muster der
Kalender von Gotha, Göttingen rc. Er
enthält t2 Monarskupfer aus einem be¬
rühmten Buch, und mancherlei lehrreiche
und angenehme Aufsätze, worunter all¬
jährlich einige sind, die besonders zur
genauer« Kenntniß des östreichischenStaats
beitragen.
Der Damen- Aalender, ebenfalls ein
hiesiges neues Produkt, in modischem
Gewände, das jährlich erscheint , und ein
ganz artiges Spielzeug für junge Schö¬
nen ist.
Bei Trattner erscheint feit ein paar
Jahre ein Kalender für Geistliche . Es
ist
78Z
ist zu wünschen , daß er immer fortgesetzt
werde , denn er enthält sehr gute Nach¬
richten aus dem Kirchen - und Rcligivns-
fach.
Löschenkohl Hot einen sogenannten
Nationalkalender verfertigt . Er enthält
die Schattenbilder von östreichtschen Ge¬
lehrten , Künstlern ; und sein Lheatcr-
Kalender die Bildnisse des sämmtlkchen
Theaterpcrsonale.
Hartl 's Moden - Kalender und Wu¬
cherers Toleranzbothe sind noch unter den
bessern. Wie gesagt , der Name aller , ist
Legion . . . . Es gehört
mit zur Sitte
der hiesigen feinen Welt , daß man seine
Bekanntschaften , besonders die weibli¬
chen , zum Neuen Jahre ^nlt einem säu¬
bern Almanach beschenke.

cxxxix.
784
cxxxix.
Pensionen.
Wer dem Staat dient , muß vom
Staat leben : und nicht nur so lange da¬
von leben, als er wirklich dient , sondern,
wenn er in diesem Dienste seine Kräfte
erschöpft, wenn er durch einen unverschul¬
deten Zufall unfähig geworden ist , muß
ihm seine Existenz gesichert ftyn. Stirbt
er nach einer Reihe langer treu durchge¬
arbeiteter Jahre , so hat seine Wittwe , so
haben seine minderjährigen Kinder gleiche
Ansprüche auf eine Derhältnißmässige Un¬
terstützung des Staats , um nicht im Elend
zu verschmachte « . Wollte man von diesen
geheiligten Grundsäzen abgehn, so wäre
es ein sehr wirksamer Schritt , ein Volk
wieder in die Barbarei zurük zu stürzen.
Was in diesem Fall vom Staat selbst
gefordert werden kann , das gilt zum
Theil auch von den Grossen und Reichen
des
7»5
de- Staats . Es ist von Seite eines
Herrn großmüthige Billigkeit, daß er ei¬
nem Diener , der ihm Jahre lang mit
Treue , Anhänglichkeit, und Aufopferung
seiner Jugendkräfte gedient hat , im Al¬
ter ein Loos mache, welches ihn vor Dürf¬
tigkeit und Elend bewahre. . . . Es ist
für den Diener ein tröstlicher Gedanke,
wenn er ein vor Mangel gesichertes Al¬
ter hoffen darf ; dteß wird ihn anfeuer» ,
seine Pflichten genau, gutwillig und un¬
verdrossen zu erfüllen, keste , die im
Uilberfluß und in Unabhängigkeit geboren
sind , haben selten deutliche Begriffe da¬
von , waS es heiße, des andern Diener
seyn.
Die Kaiserin Theresia theilte mit un-
begränjter Freigebig eit Pensionen zu tau¬
senden aus . Der berühmte Kammer¬
beutel war eine wahrhaft unversiegbare
Quelle für alle Dürftige. Indessen , da
jedes Ding zwei Seiten hat , so kann
man auch die Freigebigkeit übertreiben,
D d d wel-
786 -
welches damals häufig geschah . Nebett
vielen würdigen und verdienten Leuten
drang sich ein Schwarm von Schmeich¬
lern , Heuchlern , Taugenichtsen , rc. zur
Spende der mildherzigen Landcsmutter,
und misbrauchte die Wohlthätigkeit der¬
selben . Es war eigentlich kein Pensions¬
system : wer durch äußere Zeichen der
Frömmigkeit sich zn empfehlen , wer sich
«ine Fürsprecherin » bei Hofe zu erwer¬
ben wußte , der konnte auf den Kammer¬
beutel rechnen.
Durch diese Umstände fand sich der
Kaiser beim Antritt seiner Regierung
veranlaßt , ein ordentliches und festgefez-
tes Pensionssystem einzuführen ; theils
um die viele » Unwürdigen auszuschliessen;
theils um den Staats - nnd Hofbedien-
ten «ine bleibende Klassifikation anzu¬
zeigen , auf die sie nach ihren persön¬
lichen Rang - und Dirnfljahren zählen
könnten.

Unter
787
Unter zehn Jahre Dienstzeit wird kei¬
ne Pension ertheilt . Mit zehn Jahren
erhält der unbrauchbar gewordene Mann
den dritten Theil seines Gehalts ; mit
fünf und zwanzig Jahren die Hälfte ; mit
dreyßig , zwetDrittheile ; mit vierzig de«
ganzen Gehalt . ^ .. . Für die Wtttwe«
und Kinder sind keine Stufenjahre be¬
stimmt , sondern di« Pensionen werde«
ihnen nach dem Rang ihres verstorbenen
Gemahls und Vaters zugetheilt . So hat
z. B . die Wittwe eines Hofraths , die
Wittwe eines Generals , 6sc > Fl . Pen-
ston .. Doch muß eine Wtttwe um Pen¬
sion zu erhalten , wenigst vier Jahre mit
ihrem Manne verheirathet gewesen seyn.
Sonderbar ! die Professoren bei de«
Universitäten und andern Lehranstalten,
waren ehedem samt ihre « Familien von
d u Pensionen ausgeschlossen . Erst vor
kurzem hat sie der Kaiser nach dem Sy¬
stem aller übrigen Staatsbeamten zu Pen¬
sionen berechtiget . . . . Eben so sind auch
L d d u die
788
die Schauspieler des NationaltheatrrS in
das Pensionssystem neuerlich eingerükt
worden.
Bet der Armee geht eS etwa - stren¬
ger . Die subalternen Offiziers , welche
sich verheirathen wollen , mästen entweder
«in Kapital als Kaution für die Pension
ihrer Wittwen anwrtsen , oder ihre Frauen
müssen Reverfalien von sich geben , daß
sie auf keine Pension Anspruch machen
wollen . . . . Bei dem gegenwärtigen Tür-
kenkrieg hat Se . Majestät hierinn eine
Ausnahme gemacht . Um die im Felde ste¬
henden Offiziers über das Schiksal ihrer
Weiber und Kinder zu beruhigen , ist im
Lager und im ganzen Lande publizirt wor¬
den : „ daß die Familien aller jener Offi¬
ziers , welche im Kriege bleiben würden,
Pensionen haben sollten , wenn auch schon
die Frauen bei ihrer Heirath feierlich Ver¬
zicht darauf gethan haben . "
* *
*

Dem
789
Dem Beispiel des Hofes haben auch
die edeln Familien Wiens von jeher ge¬
folgt. Sie versorgten ihre veralteten
Diener und derer Familien großmäthtg.
Bet dem Tode eines vermöglichen.Majorat-
Herrns, einer Dame rc. wurde gewöhnlich
jedermann , der um die Person derselben
Dienste zu verrichten gehabt, mit anstän¬
diger Pension in Ruhe gesezt . Diese
großmüthigen Belohnungen werden zwar
aus bekannten Ursachen allmählig etwa-
seltner; aber es gibt troz der leichtferti¬
gen Denkart manches jungen Nachwuchses
noch Männer von grossem Herzen; und
wir haben erst vor kurzem zwei sehr er¬
habne Beispiele dieser Art gesehen.

Dbdz cxxxx.
792^
cxxxx.

Schulden
- Gefangmß.
Keine mißlichere Sache in Wie» , als
Geld borgen; sep es nun, daß man «S
auf Borg nehme, oder gebe. Jedermann,
bet dem es nicht die Beschaffenheit seiner
Geschäfte unvermeidlich mit sich bringt,
Kredit ju machen oder zu geben, soll sich
hier besonders nach der bekannten heilsa¬
men Regel einrichten: Setze dich auf den
Fuß, daß du weder Geld auslehnest noch
zu leihen nehmest.
Ich glaube, daß in Wien jährlich
wenigstens eine halbe Million an schuldi¬
gen Geldern verloren geht, wenn man
nämlich alles zusammen rechnet, was
von den grossen öffentlichen Bankerotten
an , bis auf die kleinsten Summen, un¬
ter sogenannten guten Freunden geborgt,
nicht wieder zurükbezahlt wird.

Da-
7Yi
Daher ist cs auch sehr schwer, baa- -
res Geld aufzutreiben, und wird von
Jahr zu Jahr schwerer . Ein allgemeines
Mistrauen über diesen Punkt hat sich des
Publikums bemächtiget; und dieß mit
gutem Grunde. Man verliert sein Geld,
hat Verdrießlichkeiten und Weitläufigkei¬
ten, und macht sich durch ein ernstliches
Zuräkfordern diejenigenz» erklärten Fein¬
den, , welche sich Brüder und Herzens¬
freunde nannten, so lange man gutwillig
und thöricht genug war, mit offnem
Beutel ihren höflichen Forderungen entge¬
gen zu kommen . Viel besser ist es , die
mit zehn Komplimenten und zehn heili¬
gen Versicherungen der schleunigen und
genaue« Zurükzahlung begehrt« Summe
auf ,das erste Wort rund abzuschlagen.
Wenigstens verliert man in diesem Fall
bloß di« eigennützige Freundschaft des
Schnldenmachers, da im Gegentheil,
durch unüberlegte Dienstfettigkeit, ge-
Ddd 4 - wöhn-
79»

« -ähnlich Geld und Freundschaft zugleich


verloren sind.
Indessen iss eine mäffige Summe manch¬
mal das Mittel , sich einen überläsiigen
Menschen auf die bcßte Art vom Halse
zu schaffen. Man leihe ihm Geld , und
lasse ihn selbst einen Termin ansctzen , auf
den er bezahlen soll. Kaum hat er dieß
getha » , und die Summe eingestrichen , so
eilt er , lachend über eure Leichtgläubig¬
keit , aus dem Haufe , und läßt sich Jahre
lang nicht wieder sehn.
Wer seinen Schuldner durch Zwang-
mittel zur Bezahlung treiben will , der
kann ihn , nach vorhergegangcncr gericht¬
licher Anklage und authentischem Beweise
von der Richtigkeit der Schuld , in das
Schuldengefängniß im pol 'Ztrhaufe
sperren lassen. Der Kläger muß dem
Eingeftrerrten täglich vier Kreuzer zu sei¬
nem Unterhalt geben . Uibrigens ist die¬
ses Gefängniß sehr leidlich , und ziemlich
nach Brittlscher Art ringerichtet . Es sind
gr-
79 )

gewöhnlich zwei bis drei Gefangene in


einem Zimmer ; sie haben Betten , Licht,
und einige Einrichtung . Sie dürfen —
zwei Stunden vor Mittag und zwei Stun¬
den nach Mittag — einander in den vet-
fchiednen Zimmern besuchen , sich mit ein¬
ander unterhalten , Männer und Weiber;
dürfen zu eben diesen Stunden von ihren
Freunden und Freundinnen aus der Stadt
Besuche annehmen , spielen rc. Finden sie
einen gutherzigen Mann , der ihnen beim
Trakteur des Gefängnisses eine Kost um
höheren Preis bedingt , oder ihnen gut
gekochte Speisen aus der Stadt in daS
polizeihau » sendet ; der sie mit Wäsche,
mit Kleidern rc. versieht : so ist ihnen
unvrrwehrt , alles dieses anzunehmen.
Wenn ein solcher Schuldner ein gan¬
zes Jahr lang gesessen hat , ohne Mittel
zu finden , seine Gläubiger zu bezahlen , so
sind diese verbunden , ihn aus dem Ge«
fängniß zu entlassen . Dafür bleibt ihnen
bas Necht übrig , in jedem Fall , daß der
L dd K Der-
7d4

Verschuldete wieder zu Vermögen kommt,


Ihre Ausstände von ihm mit Gewalt ein¬
zutreiben. Neuerdings ejnfperrrn aber
dürfen ihn die nämlichen Gläubiger nicht
wieder lassen, weil ein Jahr langes Ge-
fänguiß hinreichend« Buße scheint
. Hat
er sich mit seinen Gläubigern verglichen,
und macht neuerdings Schulden, so kann
man ihn auch wieder in jenen Bußsrt
senden.

cxxxxr.

Der Kasperl.

Dieß ist der Theater


-N»me des Man¬
nes, welchen zu sehn, zu hören, zu be¬
wundern , zn belachen, zu beklatschen,
täglich hundert rollende Kutschen
, und
mehrere hundert schnaubende Fußgänger
zum Rothen Thurm hinausjagen , um sich
die Grillen des Tages von der Stirne
zu
795

zu scheuchen , uikd zum frohen Abendmal


Stof zum Gespräch zu holen.
Ist der Zettel von Kasperl noch
„ nicht da ? " frägt der Beamte beim
Eintritt in die . Kanzlet . „ Wir sehn. Ms
, , doch drauffen , heute Haben wir die
„ Löss Kars ! " — Versteht sich , hört
ihr auf der Gasse. . , . „ Der hats wie-
„ der getrieben , oder , gestern war der
„ Teufel wieder los mit ihm ! " so fan¬
gen sich die Gespräche in den Friseurs-
und Barbierstuben an . Kurz , es sind keine
öffentliche Oerter , keine Amtsstuben und
Versammlungen , in welchen nicht das Ge¬
spräch wenigstens dss .Tags einmal auf
den Kasperl kommt.
Aber , wer ist denn der Kasperl?
Ließ ist der kustigmacher auf dem Ma-
rinellischen Theater in der Leopoldstadt.
Fast möcht' ich sagen , rin Original - Ge¬
nie ; der einzige Mann in seiner Art.
Er kennt so den Geschmak des Publi¬
kum ; weiß mit seinen Geberden , Ge-
sich-
7y6

sichterschneiden , seinem Stegreifwiz , die


Hände der in den Logen anwesenden ho¬
hen Adelichen , der auf dem zweiten Par¬
terre versammelten Beamten und Bürger,
und des im dritten Stof gepreßten Jan¬
hagels , so zu elektrisiren , daß des Klat,
schens kein Ende ist. Bei seinem Auf¬
tritte , und wenn ihr auch nur seine Fu߬
spitze , oder seinen Rüken sehen könnt»
wird schon gelacht ; er hat den Mund
noch nicht geöffnet , nnd doch stehen schon
die Mäuler der Zuschauer offen und har¬
rend auf seinen ersten Spaß . . . . Mit
Einem Wort , der Entrepreneur Marinellt
hak alle Ursache , den Schauspieler la Ro¬
che ( dieß ist der eigentliche Familien»
Name des Kasperls ) als sein lebendige-
Kapital zu betrachten , dessen Zinsen ihm
das niedlich erbaute Schauspielhaus und
«in hübsches Sümmchen in der Tasche ein¬
getragen haben . Ihm hat er es zu dan¬
ken , daß er aus dem elenden Theater im
Czrrninischen Garten in sein auf der Jä¬
ger-
797
gerzeil ,
zum Denkmak des Wienerschen
Geschmaks errichtetes Schauspielhaus über¬
siedeln konnte ; daß er nicht mehr nöthig
hat , in de» Tagen des Frühlings und
Herbstes mit seiner Truppe und dem gan¬
zen Theater - Plunder nach Baden zu
ziehn , um dort den Badgästen
die Kur
gedeihlicher zu machen ; daß er selbst nicht
mehr die Rolle des ersten Liebhabers her¬
stammeln darf , sondern gemächlich im
Lehnstuhle sitzen , Könige und Haus¬
knechte, Prinzessinnen und Stubenmäd¬
chen erschaffen kann.
Ich bin gar nicht des Willens , dem
gutlaunigen Wiener Publikum aufzumu-
tzen , daß es sich das Iwergfell fleißig
durch la Roche Kasperl erschüttern lasse;
da ich es sehr gut und passend finde,
daß auch di« unterste Dolksklasse ihre
Bühne habe , weil sie von den Stäken
des Nationaltheaters entweder nichts,
oder sehr wenig versteht . Und dasselbe,
wenn nicht besonders schöne Verzierun¬
gen
79S
gen fein Aug ergötzen, oder Schlachte«?
und Turniere aufgeführt werden, immer
unbefriedigt verläßt. . . . Das alte
Sprichwort: Abwechselung behagt *) ,
wird immer, and unter jeder Zone wahr
. Dieß mag auch bei dem besseren
«bleiben
Theil unsrer Mitbürger für eine Entschul¬
digung gelten, wenn sie manchmal die
«rastern und schon oft gesehenen Schau¬
, und
spiele des Nationaltheaters verlassen
»or das Thor hinaus zum Kasperl gehen,
um dort über ein neues Possenspiel zu
lachen. . . . Auf dem zweiten und drit¬
ten Plaz dieses Theaters werden Bier,
Brod , und Würste zum Kauf herumge-
tragrn; eine sehr willkommene Bequem¬
lichkeit für das durch Lachen ausgettok-
nete und ermüdete Publikums

Ma-

') Vsriekar liele^iLt.


79 -
Marinem ist der einzige Entrepre¬
neur , der sich so lange im Wohlstand er¬
halten wird , als seinen lcf Roche die
Stimme nicht verläßt ; so lange als es
seinen Theater - Dichtern über Personen
handgreiflich zu schimpfen erlaubt seyn
wird ; und so lange als er wälsche Opern
ins Deutsche übersetzen läßt .
Er hat ei¬
nige Schauspieler und Schauspielerinnen , /
die immer unter die mittlere Klaffe ge¬
hörender wählt Stüke , die dem Publi¬
kum, seinen Schauspielern , unddemEnd-
zivek seiner Bühne angemessen sind ; er
hat artige Theater - Verzierungen , ein gut
besetztes Orchester, und macht / eine Trup¬
pe auch durch innere Ruhe und guteS
Betragen beliebt . Er bezahlt seine Leute
richtig , ist gegen manche derselben wohl-
thätig , und kann also mit Grunde Ord¬
nung und Pünktlichkeit , Fleiß und An¬
wendung fordern . . . . Er gibt fast jede
Woche eine neue Posse , welche der Ora-
matifrx Hensler und Eberl wie aus dem
Er-
800

Ermel zu beuteln scheinen. Einige rüh¬


rende Dramen ausgenommen , hat er es
nie gewagt , mit Stäken ernsthaften In¬
halts aufzutreten . Er ist so gläklich,
daß er selbst bei der fünf und zwanzigsten
Vorstellung von manchem Stäke immer
sein Haus voll hat . Die Komödien mögen
noch hingehen ; wie aber das Publikum
die beliebte Oper , welche trvz der hundert¬
fältigenVorstellung für die Wiener noch
immer eine Lola rara bleibt , sich da draussen
mag vorkirren lassen ; wie Marinelli die¬
selbe , da er nur einen einzigen Sänger
in seiner Truppe hat , aufzuführen wagen
konnte , ist mir unbegreiflich , ist für mich
eine Ools rara.
So viel von dem Theater , auf welchem
la Roche unter dem Namen des Kasperls
glänzt . Es sey fern von mir, daß Ich die¬
sem Manne alle Verdienste und Talente
absprechen sollte. Er hat wirklich zu sei¬
ner Rolle Gaben von der Natur : eine
wahre komische Pöbelsphysiognomie ; Hans
Kaspar
8c>r

Kaspar Lavater , oder der physiognomische


Reisende , müßten ihn beim ersten Anbltk
als den Lustigmacher erkennen . Eine
Stimme , die jum Hausknecht , Mando-
lettikrämer und Nachtwächter gestimmt isk
Seine Gebärden , wenn das zu Uibertrie-
bene vollends wegbliebe , sind zu der Rolle»
die er spielt , immer paffend : den schwä-
zenden Dümmling , den ungeschikten Re¬
kruten , den für seinen Neffen duldende »»
Oheim , spielt er wirklich mit vieler Natur.
SrinPlaz wird nicht leicht ersetzt wer¬
den . Der kluge Impreffar
weiß auch die¬
ses , und fängt an , die zu Kafperltschen
Rollen van seiner Bühne zu verbannen;
und la Roche schikt sich in seine gesetztern
Rollen ganz gut . Er kann sich auf den
Beifall des Publikums verlassen , und
spielt daher natürlich , weil er mit Zu¬
versicht ohne Furcht und Zwang jedes¬
mal auftritt . Er thut sich auch auf die
Gunst wenigstens der Hälfte des Publi¬
kums mit Recht etwas zu Gute . Ich
E e e kenne
802

kenne mehrere Leute , welche dieses Thea¬


ter täglich besuchen.
Wenn der Unternehmer ihm die Ein¬
nahme uberläßt , ist schon um z Uhr kein
Plaz mehr zu finden . Die Logen werden
«cht Tage vorher bestellt , und man sieht
eS fast als eine Pflicht an , dem durch
daö ganze Jahr so unterhaltenden Man¬
ne sein Schärflein darzubringen . La
Roche verfertigte meist für diese Tage
selbst Komödien , die für seine Person
zwar paffend , im ganze « aber höchst elend
waren.
In dem andern Halbbogen des Vor¬
städter Zirkels spielt seit einigen Wochen
die Truppe des als Schriftsteller bekann¬
ten H . Johann Friedl . Er hat sich die¬
ses Sitzes der Thalia im fürstl . Stah-
rembergischen Freihause auf der Wieden
angenommen , nachdem eine andere Trap¬
pe , Schulden halber , aus demselben
war vertrieben worden - Diese Bühne
wird
X
8oz
wirb wegen der Neuheit jezt flleißig be¬
sucht.
Während der Jahrmärkte kommen ver¬
schiedene fliegende Truppen , und spielen
in mehreren auf den Hauptpläzcn errich¬
teten hölzernen Hütten , wobei auch im¬
mer ein Kasperl oder Lostigmacher die
Hauptperson ist . Seht im Vorbeigehn
hinein ! aber nehmt bevor eine Prise To¬
bak , damit euch nicht der Gestank der Be¬
leuchtung , des verschütteten Biers , der
Knoblauchwürste , » nd der Dunstkreis des
hochansehnlichen Publikums , zu gäh auf
die Lunge falle . . . . Könnt Ihr bis zum
Anfang ausdulden , so seht Ihr die po-
ßierlichsten Auftritte . Auf den Zettel an
der Thäre müßt Ihr nicht achten ! laßt im¬
mer eines unsrer ersten Trauerspiele dar¬
auf geschrieben seyn . — Daraus wird
nichts ; denn der Held ist besoffen , die
Königinn findet ihren Pnrpur nicht ; und
der Meister Schreiner hat die nöthigsten
Theater - Verzierungen wieder mit sich fort
E e e » ge-
824'

genommen . . . . Statt des Trauerspiels


bekommt Ihr nichts als Schläge zu sehen,
und wenn diese vorbei sind, schimpft der
Schauspieler auf den Kreuzerplaz ; dieser
«rwiedert die Sticheleien ; und so seht
Ihr bas
poßierlichste aller Schauspiele,
welches von dem Publikum mit den Schau¬
spielern aufgeführt wird . Die gröbsten
Schimpfwörter , die unflätigsten Zoten,
bie Geschichte des Tages aus der Nach¬
barschaft , würdet Ihr hören , wenn Euch
uicht um eure Kleider und eure Nase »;
zu bauge würde.

cxxxxn.

Der Wien - Fluß.

Hat die Stadt ihren Namen von die¬


sem Fluß , oder hak der Fluß seinen Na¬
men von der Stadt ? . . . Einige alte
Chroniker sagen , die erste Gründung der
Stadt schreibe sich von der Zeit her , da
Fla-
805

Flavius unter Trajan die Römischen Le«


gionen , an der Donau kommandirte . Er
legte hier eine Schanze an , welche nach
dem Namen ihres Erbauers klavisna ge¬
nannt wurde . Aus diesem Wort machte
man mit der Zeit den verkürzten Namen
Viana , und endlich Vienna , die heute
noch übliche Benennung unsrer Stadt.
Wenn es mit dieser Herleitung seine Rich¬
tigkeit hat , so muß der Bach seinen Na¬
men von der Stadt geerbt haben.
Dem sey , wie ihm wolle . So viel ist
gewiß , daß dieses unbändige Flüßchen
bisher der Stadt mehr Schaden als Vor¬
theil zugezogen hat . Es kommt aus dem
Wienerwalde hervor , geht durch die südli¬
chen Vorstädte , von da heraus über ei¬
nen Theil der Esplanade , wo es sich ge¬
gen Norbost wendet , und zwischen der
Stadt und der Weißgerber - Vorstadt in die
Donau stürzt.
Die geringe « Vortheile , welche es
gewährt , bestehn darin , daß ein paar
Lee z hun-
8o6
hundert daran wohnende Wäscherinen
sein Wasser benutzen; daß es ein paar
Mühlen treibt, und den Fiakern aus je¬
ner Gegend zur Pferdeschwemme dient.
Dagegen hat es Schaben, zu hun-
dertausenden an Werth, schon angerich¬
tet. Bei dem Schmelzen des Schnees;
bei den plözlichen Wolkenbrüchen der hef¬
tigen Donnerwetter; bet anhaltenden Re¬
gentagen, schwillt dieser Bach, über den
man in troknen Sommrrtagen an vielen
Stellen zu Fuß schreiten kann, gählings
ynd ausserordentlich an ; überschwemmt
die angränzenben Dörfer und Vorstädte,
füllt Keller, untergräbt Häuser, zerreißt
Brüken und Stege ; und richtet «och
mancherlei Unheil an.
Es ist zum verwundern, wie langsam
oft an gewisse Anstalten gedacht wird,
wovon der Nutzen doch so einleuchtend ist,
die Ausführung so einfach, und leicht
wäre! dieß ist der Fall mit der Wien.
Was man schon vor hundert Jahren hät«
te
807
te khun können und sollen , bas geschah
erst i. I . 1787 . Man grub das Bett
dieses Flüßchens auf der Esplanade or¬
dentlich, gerade und regelmässig aus , und
besetzte die Ufer mit Zweigen von Weiden-
bäumen , die bekanntlich in der Nähe des
Wassers schnell aufschteffen , und ein fe¬
ster lebendiger Damm sind , der das Ab¬
triften der Ufer hindert . Bis auf diese
Zeit hatte man den Wien - Fluß lediglich
feiner eignen Laune überlassen ; sein Bett
war voller Krümmungen , voll Sand und
Schlamm , daß sein dadurch zum stehen
gebrachtes Wasser faul und stinkend ward,
die Gegend herum verpestete , und beim
plözlichen Anschwellen von Wassergüffen,
durch die Eken , Krümmungen und Ver-
schlemmungen aufgehalten , an hundert
Stellen mit Gewalt anprellte . Dadurch
wurden die Gestade abgerissen , und Vor¬
städte und Esplanade unt ^r Wasser geftjt.

En - e h»s lezten Heft».


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^ st VircHAmöü
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KM--EMKE
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cxxxx m«
Siegesfeste.

Ttiumpf und die Ovation waren


die Siegesfeste der Römer . Wir wissen
aus dem Livius und anderen Geschicht¬
schreibern ziemlich genau , worin diese
Feierlichkeiten bestanden « Auch über dt«
Siegesfeste der Griechen
und andrer al¬
ten Völker haben wir Nachrichten . Di«
Neuern blieben nicht hinter den Alten
zurnök : Wrltumsegler , Reisebeschreiber,
Sammler von Beiträgen zur Länder,
Fff » nu»
Sl 2 o-sHö^ o

und Völkerkunde, haben unsere Neugierde


über diesen Punkt keineswegs unbefriedigte
gelassen. Wir wissen wie ganz Wilde,
halb Wilde, halb gebildete und ganz ge¬
bildete Völker ihre Siege feiern : daß
einige derselben Einzüge halten , andere
Lethen und opfern , andere tanzen, und
noch andere gar ihre gefangenen Feinde
auffressen.
Der Zeitpunkt und die Wichtigkeit der
Nation bei welcher ich lebe , berechtigen
mich eben fezt vorzüglich, die Siegesfe¬
ste der Oesireicher zu beschreiben.
Kaiser Joseph trat im I . 1788 ge¬
gen die Osmanen mit einer Kriegsmacht
auf , die in Absicht auf Menge , Auser¬
lesenheit, Disciplin , Fertigkeit und Muth
der Truppen ; auf Vorzüglichkeit und
Ulbersiuß an Artillerie ; auf Güte und
Dorrath aller nur möglichen Kriegsbe-
Lürfnisse, in der Geschichte aller Zeiten
und Völker, wenig Aehnliches hat. Die
beiden Flügel in Kroakten und in der
Mol-
8IZ

Moldau, nahmen nach einigen glücklichen


Gefechten, Dubiza , Novi, und Cho-
czim weg; die Haupt- Armee aber hielt
sich, nach der Einnahme von Sabacz
nur Vertheidigungsweise , und im ersten
Feldzug ward den Wienern die Freud-
nicht ein. Siegesfest zu feiern.
In dem folgenden Jahr wandte sich
das Vlat mächtiglich . Nachdem auf der
einen Seite Derber erobert war, erfocht
Prinz Koburg auf der andern am r.
August bei Foczan, einen Sieg über ei¬
nen Ser - Asker, der schon werth war/
daß er öffentlich gefeiert wurde, welches
auch geschah . . . . Am 22 Septem¬
ber darauf, schlug er bei Martinestie
in der Walachei den Groß- Vezir selbst.
Am l Oktober ritt der Kourier — alle¬
mal ein Offizier, Augenzeuge , und Mit¬
kämpfer bei dem erhaltenen Siege — mit
der Nachricht davon, in Begleitung von
24 blasenden Postillions/ feierlich in die
Stadt ein; nnd Sonntags darauf ward
Fff 3 in
fti4

in der Kirche am Hof 1 s Oeum gesun¬


gen , und auf den Wällen wurden z6
Kanonen abgefeuert.
Am 12 Oktober früh um 7 Uhr kam
von schnaubenden Rossen gezogen , Ge¬
neral Klecbeck an , mit dem Bericht , daß
Belgrad erobert sey : und nun Hub sich
ein Siegesfest an , das drei Tage lang
dauert « , und das ich dem Ausland , als
Muster von solchen Feierlichkeiten , schil¬
dere ; denn
Drei Tage , so wie die,
Erlebten wir noch nie.
Am nämlichen Tag um ! 2 Uhr ritt
Kleebeck als Kourier feierlich ein . Der
Zug ging durch die Vorstadt Wieden
nach der Stadt . In den wenigen Stun¬
den seit seiner Ankunft hatte sich Bel¬
grads Fall schon so allgemein verbreitet,
daß Gaffen und Strassen und die Espla¬
nade von der Vorstadt biS zum Kärntner-
thor mit einer solchen Menge von Men¬
schen bedeckt war, wie vor einigen Iah*
- ren
S^S

re» bei der Ankunft des Pabstes . . . .


Sobald der Zug begann , erschollt»! tau¬
fend Vivat , man schwenkte Hüte und
Schnupftücher, leerte und warf hundert
Weingläser in die Luft ; einige Bürger
feuerten ihre Hausböller ab.
Der Zug rükte an. Ein Trupp jun¬
ger Leute zu Pferde sprengte als Vortrab
durch den Staub . Ein Postbeamter in
Uniform ritt voraus , hinter ihm vier
und zwanzig Posiilltonsj mit knallenden
Peitschen und schallenden Posthörnern:
darauf folgte Kleebeck . Ihn umringte
ein Schwarm von Kavaliers zu Pferde;
zwei andere Postbeamte schlossen den Zug.
Dieser ging durch das Kärntnerthor her¬
ein , durch die Kärntnerstraffe, über den
Graben , nach der Kriegskanzlei, wo der
Kourier abstieg, zum Kriegsraths - Prä¬
sidenten hinauf ging , seine Depesche
förmlich abgab , und dann in die Burg
eilte. Der Zug der Postillions ging noch
dprch die vornehmsten Gaffen, und kün-
Fff 4 digke
8r6

digtr dem Publikum den freudigen Vorfall


«n:

Das frohe Posthorn schallet.


Daß Erd und Himmel hallt,
Und mit den Peitschen knallet
Frohlockend Jung und Alt,
Und jeder fingt damit
Den Türken dieses Lieb:
Verloren hqt den Schimmer
Des Mondes Doppelhorn,
Held Laudon schlugs in Trümmer
Und macht in feinem Zorn
Für uns zum Ohrenschmauß
Zwey^ duzend Hörner draus.

Schon am nähmlichen Abend waren


einige Häuser erleuchtet : ave Arbeit wur¬
de bey Seite gesetzt, und alles athmcte
Freude und Vergnügen.
Am 14 Oktober war grosses, feierli¬
ches 1 e Oenm in der Stephanskirche an-
Hesagt . Der Kaiser fuhr in Gala , von
den
817

Len Kammerherren , den Grossen des


Hofes , und den adelichen Leibwache»
begleitet, dahin. Alle Fenster und Gas¬
sen waren mit Zuschauern angedrängt.
Als der Monarch auf den Kohlmarkt kam,
klatschten ihm hunderttausend Hände Bei¬
fall, als er auf den Graben hinfuhr,
schmetterte ihm das Freudengcklatfch ver¬
stärkt entgegen.
Neben der Kirche paradirte ein Ka¬
vallerie- Regiment, und «in Bataillon
Grenadiers, mit grünen Feldzeichen auf
den Mützen, feuerte während des Sie¬
gesgesangs eine dreimalige Salve ab . .
Auf den Wällen rings um die Stadt stan¬
den zo Kanonen, und alle diese lfonner-
ten auf jede Salve des Grenadierbatail¬
lons , den erfochtenen Sieg über den gan¬
zen Horizont von Wien aus.
Abends war freier Eintritt in alle
Spektakel, Und als die Nacht einbrach-
da begann em Schauspiel, qn das ich
«ich Zeit Lebens mit Vergnügen erinnern
Fff 5 wer.
werde . Es war eine schöne , heitre,
trockne Nacht , und gemäßigte Luft . In
Zeit von einer Stunde war ganz Wien be¬
leuchtet , vom ersten Stokwerk bis unter
dre Dächer . Bei Pallästen , auf den Plä¬
tzen, Brunnen , grossen Häusern , waren
die Bildnisse Laudons und Roburys , ihre
Nqhmeuszüge , Wappen rc. mancherlei
Arten von Trophäen und Inschriften auf«
gestellt , mit Lampen und Fackeln umstrah¬
let . In einigen Häusern ließ man Wein
und Bier fliesten , in anderen wurde Geld
unter das Volk geworfen.

Es wimmeln alle Strassen


Hon Menschen ohne Zahl;
Ganz Wien mit allen Gassen
Ist nur ein grosser Saal '

Ein allgemeiner Taumel und Jubel


hatte sich unaufhaltsam über das ganze
Publikum perörertct . Es war ein äch --
ter Rausch der Freude , nicht ein wilder
un-
8 »9

ungezähmter Rausch ; sondern eine warme


jovialische Begeisterung . Selbst die wach¬
same Polizei hatte ihre strenge Mine
abgelegt : es war Allen Alles erlaubt,
was Niemanden Leid und Schaden brach¬
te , Masken in Menge zu Fuß und zu
Pferde trabten durch die Gassen und be¬
lustigten das Publikum — eine sonst
hochverpönke Sache . — Es fuhren äus-
serst wenig Wägen . Man spazierte in
einer solchen Helle , solchem Gedränge,
Gesumse und Freudengewähl auf denz
Steinpflaster herum , wie zu Faschingszeit
auf den Aedoutensälen.
Um zwölf Uhr Mitternachts zogen di?
juridischen und medizinischen Schüler
von der Universität etwa yoo an der Zahl,
mit einer grossen piramidalförmigen Tro¬
phäe an der Spitze , von dem schön er¬
leuchteten UniverfltätsgebHude weg, fei¬
erlich i auf den Vurgplatz vor die Feu-
ster des Kaisers , machten dort «ine ma¬
jestätische Serenade , zogen dann zur Woh¬
nung
82S

NUN^ der Gemahlin des Feldmarschalls


Laudon, beehrten sie ebenfalls mit Mu¬
si , und kehrten nach dem Univerfitätsplatz
zurück, wo sie auseinander gingen.
So dauert« der Jubel die ganze Nacht
Lurch. Noch um sechs Uhr Morgens
zogen einige Banden Musikanten durch
die volkreichsten Gassen nach Hause.
Und in diesem Gewühl , in diesem
Freudentaumel von wenigst zweymalhun-
derttausend Menschen geschah nicht das
mindeste Unglück , ward keine Ausschwei¬
fung begangen, keinen Menschen etwas
zu keide gcthan, einige zerbrochene Fen¬
ster abgerechnet , welche, wie billig, vom
Volk eingeworfen wurden, weil sie nicht
erleuchtet waren.
Vierzehn Tage später wurde dieses
Siegesfest in allen Feldlagern, und in
Len Hauptstädten der Provinzen ebenfalls
mit öffentlichem Jubel gefeye t.

LXXXXIV.
o 82t

LXXXX1V.

Hof - Feste.

Als der Babylonische König Belns


seine Tochter verheurathete , und dabei
'Prächtige Feste gab , rief die galante
Welt von Babylon aus Einem Munde:
,, Recht so ! die Götter haben deswegen
die Könige auf Erden eingesetzt, daß sie
fleißig Feste geben; unser Leben ist z»
kurz, es auf andere Art zu geniesten;
die Prozesse, die Kriege , die Zänkereien
der Pfaffen , welche uns die kebrnstagx.
stehlen, sind abscheuliche und vermaledei¬
te Dinge ; die Wesenheit der menschlichen
Natur besteht im Genuß der Freude, und
alles übrige ist Narrentand ! *) „
Die Babylonier waren keine Schafs»
köpfe, wie man sieht. Kaum könnte«
die

*) Prinzessin von Babylon.


822

die galanten Leute in Paris , Wien Und


Berlin , gründlicher sprechen. Auch schei¬
nen selbst unsere Könige die Stärke die¬
ses Raisonements zu fühlen , und geben
von Zeit zu Zeit ihren geliebten Völkern
einen festlichen Schmaus.
Zn den vorigen Zeiten waren die
glänzendsten Feste am Wiener Hof nichts
Ungewöhnliches : gegenwärtig sind siect-
was seltner . Die letzten Feste, deren sich
das Publikum hier noch auf die ange¬
nehmste Art erinnert , waren jenes , das
Marm Theresia im I . 1770 .und jenes,
. welches der Kaiser im I . 1788 am 6ten
Januar , gab.
Maria Theresia , die grosse und gute
Mutter machte sich das Vergnügen , bei¬
nahe ihre ganze Familie beysammen zu
sehen . Der Großherzog war aus Florenz
gekommen ; der Prinz Karl von Lothrin¬
gen insiallirte den Erzherzog Maximilian
als Koadjutor zum Großmristerthum deS
deutschen Ordens . Die Kaiserin » gab
92Z

an diesem für ihr mütterliches Herz ent


zückenden Tag ein grosses Fest im Belve¬
dere : es war ein öffentlicher Maskenball
mit Beleuchtung und Frcitafel . Man
hatte an das Bclvede re noch eine 40s
Schritt lange Gallerte angebaut , die mit
7222 Lichtern erleuchtet war; an der
Fassade des Gebäudes brannten 230222
Lampen , und im Inneren des Palastes
18022 Wachskerzen . Die Tafel war mit
Speisen für 8222
Menschen versehen.
Zn den Nebenzimmern standen Betten,
Doktoren , Chirurgen , Hebammen rc. in
Bereitschaft , im Fall der Noth sogleich
Hülfe zu leisten.
Am 6ten Januar 1788 ward das
Beilager des Erzherzogs Franz durch ein
öffentliches Fest gefeyert . Es war freyer
Eintritt in alle Spektakel , upd eine Re-
Loute , zu welcher 4502 Freybillets aus-
getheilt wurden . An 12 Tafeln speisten
die Damen des hohen Adels , der Staats¬
beamten , und der ansehnlichen Bürger»
schaft,
8- 4

schaft, welche von derjenigen Dantt >


die bei jeder Tafel die Honneurs mach¬
te , eigens geladen wurden . Rings uM
die Tafel leisteten ihnen ihre Männer und
Freunde Gesellschaft . Fstr das übrige
Publikum waren kalte Speisen , Wild-
pret , Geflügel , Backwerck und Zucker¬
werk , Oestreichische, Ungarische , und
Friaulische Weine , nebst den gewöhn¬
lichen Erfrischungen an Limonade , Lhee,
Koffer, Punsch , rc. in wahren Ulberfluß
vorhanden . Es war ein Anblick wie im
Schlaraffenland , wenn man in die Spei¬
se - und Ecfrischungszimmer ging . Vie¬
le tausend Boutrillen Wein blinkten an
allen Wandflächen ; Schnepfen , Fasanen,
Kapaunen , und kalekutsche Hähne , Schin¬
ken , Zungen , Pasteten und Torten zrt
Hunderten , . dampften allenthalben entge¬
gen ; auf den Wink war man wie von
Geistern bedient . Dazu Musik , Tanz
«nd Weiberl In der Lhat , es war e«ne
Nacht
V---ST--N SL§

Nacht, die ich nicht mit den Bewohnern


des Olympus getauscht hätte.
Die Babylonier haben Recht: die
Wesenheit unsrer Natur bestehtim Genuß
-er Kreude!

cxxxxv.

Höchste oder sogenannte Hofstellen.

Wien ist der politische Himmel über


»ine Erdfläche von etwas mehr als i'oos»
Quadrat- Meilen. Don diesem Olymp
fließen Sonnenschein und milder Regen,
fahren aber auch Stürme und zerschmet¬
ternde Donnerkeile über ganze Provinze»
aus. Es ist also billig, daß ich die
Springfedern hier anführe, welche dir
ganze grosse Staatsmaschine in Bewegung
setzen, und in ihrem ordentlichen Gang
erhalten. Ich verstehe darunter die höch¬
sten Dikasterien oder sogenannte
» Hofstek»
« gg len
826

len , welche hier als im Mittelpunkt alle


beisammen sind.
Der kaiserliche Reichshofrath und
die Reichs - Ranzlei finden sich hier als
an dem Wohnplatz des Oberhaupts des
heil . Römischen Reichs deutscher Nation,
gehen sich auch nur mit Geschäften der
Reichsglieder ab.
Die höchsten Stellen zur Verwaltung
der erblichen Oestreichischen Staaten sind:
Die Oberste Hof - und Staats - Kanz¬
lei für die auswärtigen und auch für die
Niederländischen und Jtaliänischen Ge¬
schäfte.
Der Staatsrath für inländische Ge¬
schäfte.
Die vereinigte Böhmisch - Oestreichi-
sche Hofkanzlei , Hofkammer , und mini-
sterial Banks - Deputation , welcher , zuge-
theilet sind:
i . Die Hoflammer im Münz und Berg¬
wesen.
L. Die geistliche Hoskommiffion.
q.
»27

z, Die- Studien und Bücher Censurs-


hofkommissron.
4. Die Stiftungs Hofkommission.
5. Die Domänenhofkommissron.
6. Die SteuerregulirungsHofkommis¬
sion.
Die Oberste Justitzstelle
Der Hofkriegsrath
Die Hungarisch-Siebesbürgifche Hof-
kanzley
Die Hofrechnungskammer
«

Die Nahmen dieser Stellen selbstzeigen


schon an , welche die zu denselben gehö¬
rigen Geschäfte und Gegenstände sepen.
Und die meisten derselben haben wieder
einige fubordinirte Stellen, wie z. B.
Das Mauthamt, das Fiscalamt, das
suöicium äeleßsium militsre mixtum, das
Echiffamt, das Artilleriefeldzeugamt, die
Tancalgefällen- Administration
, kie Berg-
werksproducten - Verschleißdirection
, das
G g- 2 Com-
828

Cammeralzahlamt , Militär - Hauptver¬


pflegamt rc.
Ehemals hatten bekanntlich die Prä¬
sidenten , Räthe , und andere Mitglieder
der Hofstelle « die sogenannten freien
Hvfquartiere in den Häusern der Bür¬
ger . Als der Kaiser diese Quartiere
aufhob , trcrff er doch die Anstalt , daß
die Chefs der höchsten Stellen stets in
den dazu bestimmten Gebäuden freie Woh¬
nung haben , wo es thunlich ist. So
wohnt der Staatsjanzler Fürst Kaunitz
in der Staatskanzlei ; der oberste Kanz-
1er der vereinigten Hofstelle , Graf Kol¬
lowrath in der Böhmischen Kanzlei ; der
Hoflriegsraths - Präsident , Feldmarschal
Hadik , in der Kriegskanzlei ; der Unga¬
rische Kanter , Graf Palfy , in der Un¬
garischen Kanzlei ; der Landmarfchal,
Graf Pergen , im Landhause , rc . rc.
Diese Einrichtung dient den Chefs
zum Nutzen , zur Bequemlichkeit , und
zur Sicherheit , Sie « ohne « frei/woh¬
nen
82Y

ncn dicht bei ihrem Kanzleipersonale,


und haben sichere Plätze für die Urkun¬
den und Akten , die man nun nicht in
der Stadt herum zu tragen braucht , um
sie stündlich zum Chef und wieder in die
Kanzleien zurük zu bxingen.
Es wäre meines Erachtens interes¬
sant , die Hofstellen , zum Beispiel , von
169s , von 1790 , und von 1890 gegen
einandtzr zu vergleichen : man würde da¬
raus deutlich ersehen , ob das politische
Triebwerk der Staaten von Zeit zu Zeit
verwickelter oder einfacher werde.

exxxxvi.

Fremde.

In der Polizeisprache von Wien ver¬


steht man unter den hiesigen Fremden:
das Personale von der Reichskanzlei und
die Reichs - Agenten ; alle auswärtige
Ggg z Mini-
83»

Minister samt ihrem Personale; die Stu-


direnden, welche aus den Provinzen oder
aus fremden Ländern sind; den grosse«
Haufen der auswärtige» Handwerkspur-
fche; die Leute aus den Provinzen und
umliegenden Oertern, welche des Han¬
dels oder andrer Geschäfte wegen sich
mehrere oder auch nur einen Lag in der
Stadt aufhalten; wirkliche Ausländer,
welche wegen Geschäften oder zuP Ver¬
gnügen hier leben; endlich die Reisen¬
den. Von diesen letzteren Fremden allein
rede ich in dem gegenwärtigen Kapitel.
Wien ist wie jede andere grosse
Hauptstadt schon seit Jahrhunderten häu¬
fig von vornehmen und berühmten Frem¬
den besucht worden. Unter Karl Vl.
und Theresia zogen die Pracht des Hofes
und mancherlei politische Absichten solche
Leute herbei. Seit der jezigen Regie¬
rung hat sich der Zufluß von Fremde»
aller Art nicht vermindert, theils weil
die Lebensart etwas ungezwungener
nur-
wurde , theils weil man mit eignen Au¬
gen alle die Veränderungen und den merk¬
würdigen Umschwung sehen wollte , den
die Denkart des Publikums bekommen
hatte , seitdem man in der Religion tole¬
ranter geworden , seitdem die kesefreiheit
beinahe ganz uneingeschränkt war und
die Preßfreiheit auf einen Grad stieg,
den man vor zehn Jahren noch unter
' die Oesireichischen Unmöglichkeiten gezählt
hätte.
Vorzüglich kamen auch viele Männer
aus dem protestantischen Deutschland,
welche ehedem , ich weiß nicht warum,
viel seltener nach unseren Gegenden rei¬
sten. So sah man seit der gegenwäkti-
gen Regierung von bekannten und an¬
sehnlichen Gelehrten manche hier.
Auch Künstler aus allen Fächern,
besonders der Malerei , Kuperstecherei,
Bildhauerei , Musik rc. kommen oft hie-
her , und verweilen Monathe und Jah¬
re lang.
G gg 4 Der
Brr manchen derselben konnte die
Stadt Wien freilich das bekannteSprüch»
lein brauchen:

Fremder , wie gefall ich dir?


Fremder , wie gefällst du mir?

Und wenn allen diesen lieben Herren


Dien nicht gleich gut gefiel , so müssen
pe sich damit trösten , dqF auch sie nicht
alle gleich gut gefielen . Man kann ein
sehr grosser und gründlicher Gelehrter
seyn , aber deswegen
nicht immer eben
so grosse Welt - und Menschen « Kenntnist
besitzen , nicht das angenehme Talent des
gesellschaftlichen Umganges hinreichend in
seiner Gewalt haben , welches doch noth-
wendig ist , wenn der Reisende guten Ein¬
gang finden und also mit dem Ort sei«
»es Aufenthaltes zufrieden seyn soll.
Unter einer Menge rühmlicher Zeug-
«iße über die gute Art , mit der die
Fremden von jeher in Wien ausgenommen
«nd behandelt wurden , will ich nur die
Wor - ,
8ZS

Wort « des bekannten Engländers Ther-


lok anführen . ,, Wer in Wien gewesen ist,
und darüber schmäht , sagt er, der macht
eine Satyre auf sich selbst. „ Der Aus¬
spruch ist körnigt und nachdrüklich ; aber
wirklich sprachen bisher fast alle Reisen¬
de in gleichem Tone mit Sherlok.
Uiberhaupt habe ich an den meiste»
Fremden bemerkt , daß es ihnen in den
ersten Tagen oder Wochen ihres hiesige»
Aufenthalts nicht ganz wohl behagen will.
Oer eine glaubt , man mache nicht ge¬
nug aus ihm ; ein anderer ist Kleinstäd¬
ter in seinem ganzen Aeusseren , und
kann also nicht rechten Umgang finden;
ein dritter hat schon Vorurtheile über
katholische Geistesfinsterniß , Intoleranz
rc. von aussen mitgebracht , und sieht
nun alles bloß von der Schattenseite an;
«in vierter kommt mit einer gewissen
politischen Stimmung hteher , und findet
darum bas Meiste schief und verdreht.
Ein fünfter erblickt zu viel Lupus, Schwel-
Ggg Z ^ gerek.
8Z4

gerei , Müßigang und Pracht ; rin sech¬


ster behauptet , daß er eine viel grössere
Idee von allem gehabt habe , was er hier
zu treffen hoffte , aber nun beim wirkli¬
chen Anbllk der Sache sich herunterstim«
men müsse ; und was dergleichen wun¬
derliche Grillen mehr sind.
Eben so allgemein habe ich aber
auch bemerkt , daß diese spröden Herren
immer mehr mit Wien zufrieden zu wer¬
den anfangen , je langer sie hier verwei¬
len Sie finden ein im Grunde gutes , g -
sellschaftliches Dolk — finden , daß es auch
hier Leute von Einsicht und Kenntnissen
gebe , so sehr ihnen auch einige Jour¬
nalisten und Reisebeschreiber das Gegen-
theil versicherten ; — finden , daß Thor-
heit und Laster , genau erwogen , hier
auch nicht häufiger find als sie Verhält-
nißmäßig selbst im kleinsten Refldenzstädt-
chen jedes anderen Fürsten herrschen ; —
finden , daß politische Verhältniße der Höfe
derFeundschaft von Privatleuten nicht im
Wege
835

Wege stehen; — finden, daß es eben nicht


ganz übel gethan sey, in einem frucht¬
baren und gesegneten Lande den Körper
eben so gut mit Fasane» und Tokaier zu
nähren als den Geist mit den wissen¬
schaftlichen Meisterstücken unsrer deutschen
Original Köpfe. - Und am Ende
gefällt es ihnen wohl gar sosehr, daß es
ihnen ordentliche Anstrengung kostet, ih¬
ren Stab weiter zu setzen . Wie oft ha¬
be« wir schon den lustigen Auftritt ge--
habt , daß mancher Fremder ein Viertel¬
jahr lang immer Abschiedsvisiten mach¬
te , und immer noch hier blieb; daß
mancher andrer nur einige Tage ode^
Wochen hier zu leben vorhatte, und daß
aus diesen Tagen und Wochen bald Mo¬
nate und Jahre wurden!
Ein paar Männer welche seit kur¬
zem den hierher reisenden Fremden am
meisten Schaden gethan haben sind: Sander
«Nd H . Zriederich Nicolai . Dieser, der vor
seinen Nachrichten von Wien ausrief: j
8i <re»
6Z6

8iceI56es il^lulL ! psulo msjora canamu8.


Und der sich vermuthlich viel darauf
zu gute that , feinen Landsleuten , und
dem protestantischen Deutschland überhaupt
—— — ^lon suüita prius —
» von Wien und Oestreich zu erzäh¬
len , glaubte in seiner satyrischen Laune
vermuthlich nicht , daß er damit seinen
reisenden Landsleuten unk Glaubensge¬
nossen ungleich mehr Verdruß machen
würde , als den gutmüthigen Wienern.
Jndeßen ist dieses doch erfolgt . Seit
jener Reisebeschreibung ist man hier , be¬
sonders gegen di « Fremden aus dem nörd¬
lichen Deutschland , kälter , gleichgülti¬
ger , und verschlossener . Wenn sie die¬
ses schmerzt , so mögen sie sich darüber
an -H. Nicolai wenden.
Die Bürger von Bern haben nach der
Erscheinung von Meiners Briefen über die
Schweitz einen Bund unter sich gemacht,
sagt man , keinen Fremden mehr in die
gute Gesellschaft einjulaffen, von dem es
ju
o— 837

zu vermuthen wäre, daß er Reisebeschrei-


bungcn mache. Wer kann sie darüber
tadeln? — Laßt noch einen Sander oder
Nicolai hierher kommen, so werden die
Wiener eben dieses thun , und mit Recht.
Was soll aus dem gesellschaftlichen Um¬
gang werden, wenn jeder literarische
Klätscher, um sich seine Reisekosten be¬
zahlen zu machen, Bücher schmiert, wo¬
rin er zum Dank für freundschaftliche Un¬
terhaltungen und gastfreie Aufnahme in
rknrm fremden Lande, den plauderhasten
Spion macht, falsche Anekdoten aufrast,
wahre übertreibt/ das häusliche Ver¬
trauen misbraucht, über halbwahre Fak¬
ta ins Gelag hinein schwatzt , und über
alles Gesehene, Gehörte, und Genossene
hämische Spötteleien und boshaften Ta¬
del ausgießt.
* *
O-

Bisher war die Rede von ehrliche»


Fremden; nun muß ich aber auch noch
einer anderen Klasse von Reisenden er¬
wähnen . Dies « sind die Abentheurer
und GlüLsritter . Wien ist eben so we¬
nig von denselben frei , als irgend eins
«ndere grosse Stadt . Zum erstaunen ist
es , wie weit dergleichen Kerls die Unver¬
schämtheit manchmal treiben ; und bei¬
nahe noch mehr zum Erstaunen ist esF
daß die guten Wiener , durch die vielfäl¬
tigen Prellereien , Betrug , und Spizbn-
benstreiche solcher Leute noch nicht mi߬
trauischer geworden sind . . . . Bringt es
ein solcher Windbeutel nur so weit , dass
er sich Kutschen und Pferde und einen reich
gekleideten Lakaien zusammen filoutirt,
dann kann er mit den Wienem machen,
was er will . Er nennt sich ungeahndet
Baron , Graf , oder Marchese ; Kaufleu¬
te , Schneider , Juweliers , und Geld-
mäklrr borgen ihm . . . . Freilich dau¬
ert die Posse gewöhnlich nicht über ein
Jährchen oder so was . Indessen hat
der Glüksritter genossen ; macht sich dann
aus
07- W - 0 8ZY

aus dem Staude , spottet über die blin-


den Wiener, und seine Gläubiger, die
ihren ehrlicheren Kunden nach und nach
das in die Rechnungen bringen, was
sie bei solchen Spitzbuben verloren ha¬
ben; die auf diese Art mittelbar das
ganze Publikum in Kontribution setzen.

LXXXXVIl.

Gesellschaften.

Er macht ein Haus: — sagt man


in Wien von einem Manne, der zu ge¬
wissen Zeiten Tafel, Spiel , Konzert,
Ball , und Gesellschaften gibt.
Die Gesellschaften gehören haupt¬
sächlich zu dieser Qualifikation
. Sie kc^-
sien weniger, als Tafeln, Konzerte und
Bälle , machen aber doch immer einigen
Aufwand; denn um sie mit Anstand ge¬
ben j» können, muß man eine geräumi»
ar ,
S4o 0 /

ge , ordentlich meublirte Wohnung,


und die nöthigen Domestiken haben , ei¬
ne gute Beleuchtung halten , und die Ge-
sellschaftsgäste , oder wenigstens die Da¬
men , von Zeit ju Zeit mij einigen Er¬
frischungen bedienen.

Diese Gesellschaften werden vom höch¬


sten Adel an , durch alle Klaffen herun¬
ter , bis zum bemittelten Bürger gegeben.
Sie fangen gewöhnlich im Winter um
sieben , im Sommer um acht Uhr an,
und dauern bis gegen zehn Uhr Abends.
In einigen Häusern gibt man sie
dreimal die Woche , in andern zweimal,
einmal , auch wohl nur alle 14 Tage
einmal ; in sehr wenigen alle Tage . Dir
Unterhaltung dabei ist verschieden. In
einigen muß alles spielen ; in anderen
spielt wer will ; in einigen wird Musik
gemacht ; in anderen getanzt ; wieder in
anderen vertreibt man den Abend bloß
mit freundschaftlichem Gespräche . Man
hat
84»

hat auch den Versuch gemacht zu lesen,


aber er hat nicht gelungen.
Alle diese Gesellschaften find , wie
Es erscheinen Witkwea,
billig , gemischt .
Frauen und Mädchen dabei , und von
Männern aus allen Ständen , Beamte,
Geistliche , Gelehrte , Soldaten , Künst¬
ler , Bürger rc. — Die Gesellschaften
vom höheren Adel ausgenommen , wo die
Ahnenprobe zum Eintritt nöthig ist.
Ein Liebhaber von psychologischen
Erfahrungen hätte bei diesen Abendge¬
sellschaften ein weites und fruchtbare-
Feld , seine Bemerkungen zu machen , die
wohl mehr werth sepn möchten, als
rnanche aus dem bekannten Erfahrungs-
Seelen - Magazin.
In einigen Ländern hat man bloß
männliche , und wieder bloß weibliche
Gesellschaften , hier aber keine dergleichen,
und ich glaube , wir haben nicht Ursache
den Mangel derselben zu bedauern . Blo,
ß< Gesellschaften von Männern möchten
H b h hin-
-4-
hingehen , nnd könyen für Leute aus g«^
wissen Klassen nützlich werden , wenn sie
recht gut gewählt sind ; obschon man
auch bei diesen die ' Erfahrung gemacht
hat , daß sie gewöhnlich entweder nicht
lange dauern , oder zuletzt meistens in
lächerliche Kannegießereien , trockne Pe-
dantrreien , ober wilde Bachanalien aus -«
arten . . . . Die bloß weiblichen Ge¬
sellschaften taugen umvidersprechlich überall
gar nichts: denn , wenn es noch gut
geht , so wird die liebe Zeit dabei ent¬
weder mit elenden , seelenlosen Spiele¬
reien , oder mit der allbrliebten Medi-
disance — dem Element muffiger Weiber-
herzen -7- aufgerieben.
Für einen Ftemden find die Gesell¬
schaften eine sehr angenehme und nützliche
Aushülfe ; nur muß er nicht in solche
gerathen , wo man sich bloß mit Spie¬
len abgibt . Er lernt mit einem Mahle
viele Leute und ziemlich genau kennen;
denn die Wiener find im gesellschaftlichen
Um-
S4L

Umgang « sehr offenherzig . Er muß sich


durck einen schon bekannten Mann da¬
rin aufführen lassen , hat dann für im¬
mer den Zutritt , und wird durch dies«
Gelegenheit auch in mehrere Häuser eia*
geführt.

LXXXX vm.

Konversation . ,

Welch ein Abstand jwische » der


Konversation in kleinen Landstädten , und
der Konversation in einer Hauptstadt t
ungefähr wie im Mineralreich zwischen
Bley und Queksilber.
In den kleinen Städten ist Man
steif, schwerfällig , kleinfügig , pedan¬
tisch , linkisch , zerrmoniös . UlH so lan¬
ge es in diesem Gleise geht , ist der
Kleinstädter doch noch erträglich : man
verzeiht ihm seine Schildbürger - Manie-
Hhhs »rn,
844

ren , eben weil er Kleinstädter ist. Aber


wenn er den Wtzkvpf , den geschmeidigen
Flattergeist , den liebenswürdigen Schwät¬
zer , den angenehmen Anekdotenkrämer,
den überfeinen Gesellschafter machen will;
dann wird er unerträglich
. . . . diese
Künste versteht und lernt mau nur in der
Hauptstadt.
Die Konversation in den guten Ge¬
sellschaften derselben ist auf den höchsten
Grad von Feinheit gebracht . Man muß
ein delikates Geistesorgan besitzen, und
Jahre lang den Umgang derselben ge¬
nossen haben , wenn man es wagen will,
mit Beifall dabei aufzutreten . Sie ist
ein seltsames Gemische von gründlichen
und seichten Ideen , die aber stets in ge¬
schmackvoller Einkleidung erscheinen , mit
witzigen Einfällen und Scherzen verziert
werdet » . « - Man streitet nicht : nn»
bittet um Belehrung . Man behauptet
nicht : man vermuthtt nur.

Mit
845
Mit welcher Leichtigkeit werde» bei
einer Tafel, in einem Adendkränzchen die
wichtigsten Dinge verhandelt. Während
ryan eine Arlischoke abblättert, wird
«in ganzes sehr ernsthaftes Lehrgebäude
zertrümmert; bei einem Becher Gefrornem
ist ein Staatsgeheimniß enträthsclt. Ehe
eine Austernfchüssel herum ist, sind drei
Lheaterstäkke , und zehn neue Schriften
abgeurtheilt; und nicht selten besser, als
in manchem berühmten Journal.
Wie plötzlich springt man von ei¬
nem Gegenstand auf den andernl Welch
manchfaltigen Stoff berührt man in ei¬
ner einzigen Stunde ! . , . Kaum be¬
greift es sich« durch welchen schnellen
Uibergang die Rede von einer neuen
Oper auf den Tärkenkrieg kommt; wie
«an zugleich von einem Modehut und
von Belgrad, vom Feldmarschall koudon
und vom ewigen Frieden spricht. Der
Kqde« des Gespräches scheint abgerissen,
-brr ein feiner Beobachter sieht, wie
Hhh Z eine
-46 s -- W - -c>

eine Idee die andere erzeugt , und das


Ganze an einander kettet.
Es mag seltsam scheinen , aber ich
habe es mit eignen Augen gesehen , daß
mancher Fremder , sehr gründlicher und
sehr berühmter Gelehrter in einer Kon¬
versation zu Wien schon eine sehr trau¬
rige Figur spielte . Er kam mit seinen
tief hergehohlten Einsichten , mit sei¬
nem abgemessenen Jdeengang neben den
Weibern und Männern vom feinem Welt-
ton gar nicht zurechte ; hinkte so schwer¬
fällig nebenher , rannte mit ausgedro¬
schenen Sentenzen , mit Alltagsbemera
kungen , mit schiefen Rösonncments im¬
mer so gewaltig an , daß er aus den
mitleidsvollen Mienen der Umstehenden
endlich bemerkte , er thue besser, ganz zu
verstummen . Es ging wie mit Zume in
Frankreich.
Als dieser einst nach Paris reiste,
fiog sein gelehrter Ruhm vor ihm her.
Ein vornehmes Weib führte ihn mittels!
eines
eines Souper in die grosse Welt ein.
Man glaubte , ein Mann , der eine so
schöne Geschichte geschrieben hatte , mü߬
te der liebenswürdigste Gesellschafter seyn.
Also wollte ihm jederman Rede abgewin-
en ; man elektrifirte ihn von allen Sei¬
ten ; allein der trockne Gelehrte blieb ein¬
silbig und stumm. Man sah verwundert
einander an , zuckte die Achseln , und
am folgenden Tag sagte man sich allent¬
halben ins Ohr : qus Alonlieur 8ume
v ' ütoir yu ' uns ktte . . . . Eine LLrs
war nun HIr. klume wohl keineswegs;
aber er verstand die Regeln der Konver¬
sation nicht ; darum war er der grossen
Welt ungenießbar.

§ hh 4 0XXXW,
«4S
cxxxxix.

Fromleichnams- Tag.

Im alten Wien verging keine Woche,


ja es waren sogar wenige Tage im Jahr,
wo nicht aus den zahlreichen Kirchen,
Klöstern und Kapellen der Stadt irgend
eine mehr oder minder ansehnliche Pro¬
zession auszog , und entweder bloß eine
benachbarte Kirche , oder ein nahes Dorf,
oder auch einen entfernteren Wahlfarts-
ort besuchte. Da Müßiggang , Schwel¬
gerei und Ausgelassenheit eher verziehen
wurden , wenn sie einen Anstrich von
Heiligkeit oder Andächtelei hatte « , so
waren diese Prozessionen dem Pöbel aus
allen Ständen sehr willkommen . Wenn
fich der Oesireicher einen guten Tag auf-
thun wollte , so ging er wahlfahrte » ;
dagegen durfte kein Mensch was einwen-
den.
Schon
8-s^

Schon unter Maria Theresia wur¬


den die häufigen und weit ausziehenden
Prozessionen in grossen Truppen, einge¬
schränkt oder verbothen, zum grossen
Verdruß der Möncheder Wirthe , der
Verliebten, und Faullenzer, welche un¬
endlich mehr dabei verloren als die Hei¬
ligen im Himmel. Kaiser Joseph schränk¬
te vollends alle Prozessionen auf den ein¬
zigen Fromleichnamskag ein.
Für einen Fremden, der sich nur
kurze Zeit hier aufhält , ist diese Prozes¬
sion, wenn die Witterung auszugchen
erlaubt, allerdings schenswürdig.
Die bürgerlichen Zünfte und der¬
gleichen Korps zieh,, schon sehr frühe
aus. Die eigentliche Prozession nimmt
erst um neun Uhr ihren Anfang. Sie
geht von der Stefanskirche aus , über
- den Stok - im- Eisen Platz, den Graben,
den Kohlmarkt, die Herrengaffe, das
Strauchgäßchen, über den Hof, den
Judrnplatz, dir Wipplinger Straffe, de»
Hhh 5 Ho-
85»
Hohen Markt, und die Bischofgasse wie¬
der nach der Domkirche zurük. Die
vier Evangelien find l . bei der Säule
am Graben; 2 . neben der Michaelcrkir-
che; z . bei der Säule am Hof ; 4 bei
der Säule am Hohen Markt. Eine
Stelle an den Fenstern dieser Gegenden
wird an diesem Tag sehr eifrig gesucht.
Der ganze Weg ist yrit hölzernen
Treppen belegt, von einem Grenadier-
Bataillon zu beiden Seiten besetzt« und
mit Gras und Blumen bestreut.
Wenn der Kaiser in Wien ist, wird
der Aufzug glänzend. Die bürgerliche
Artillerie macht den Anfang; nach ihr
kommen die Geistlichen der noch bestehen¬
den Klöster und der sämtlichen Pfarrkir¬
chen; daranf folgt die ganze Dienerschaft
vom Hofe, die Universität, die Domherren,
die Kammerhrrren , die geheimen Räche,
die Ritter des St . Stephansordens,
des militärischen Therefienordens und deö
goldenen Vlieffes. Das Venerabile wird
pvn
SAl

vor»' dem Erzbischof getragen- Rach


demselben geht der Kaiser , und die ho»
hen Personen vom regierenden Hause,
den Schluß machen die Damen. Neben»
her zu beiden Seiten die deutsche Garde
und die deutsche Nobelgarde zu Fuß.
Hinter ihnen die ungarische und gallizi-
sche Nobelgarde zu Pferde , eine Grena¬
dier - Kompagnie mit kriegerischer Musik
zum Schluß . Während des ganzen Zu¬
ges das majestätische Glokengeiäute von
allen Kirchthürmen, Vokal und Instru¬
mental - Musik rc. Eine dreimalige ge¬
neral Decharge von einem auf dem Gra¬
ben postirten Grenadier - Bataillon macht
den Beschluß.
Es gibt allerdings noch fromme
Seelen , welche an diesem kirchlichen Auf¬
zug Erba -ung finden, Hochachtung da¬
für bezeugen, und mit wahrem Andachls-
gefÜhl und eifrigem Gebeth de» Um-»
zug begleiten. Aber wirklich ist dieses
zu unseren Zeilen der kleinste Thril. Auf
8Z2

vielen Gesichtern derjenigen , die au»


Pflicht oder Wohlstand die Prozession mit¬
machen , liest man etwas Zerstreuung,
Kaltfinn , und dergleichen . Alle Stras¬
sen , durch welche die Prozession zieht,
find zwar mit einer drückenden Menge
von Menschen angefüllt , aber der grös¬
sere Theil derselben kommt bloß , um den
Hof , die Dumen , die Garden rc. zu se¬
hen.
Diese Prozession ist für chie ganze
Stadt . An dem darauf folgenden Sonn¬
tage feiern all« Pfarren der Vorstädte zu¬
gleich die Prozession in ihren Bezirken,

LL..

Straf - Gesetze.

Bei 'den Philosophen ist es eine


ausgemachte Regel , daß die Straf - Ge¬
setze oder der Kriminal - Kode -- eines
Volks,
e '- « S- -a 853

Volks , rin wesentliches und charakteri¬


stisches Datum ist , sowohl die Einsichten
und Gemüthsart des Gesetzgebers, als
den Grad der Kultur , Sittlichkeit und
Verfeinerung der Nation «inigermassen zu
berechnen.
Unter der vorigen Regierung wurde
nach dem Theresianischen Kodex gerichtet:
dieser ist durch Reisebeschreibungen und
andere Schriften , manche Jahre lang
in ganz Deutschland genug verschrieen
worden . In der That wurde er von
einem derben Pedanten kompilirt , dessen
Sache es eben nicht war , philosophische
Begriffe über öffentliche Moralität , über
Grundursachen der Verbrechen , übe»
Endzwek der Strafen , über Grundzüze
und Modalitäten des National - Charak¬
ters zu besitzen ; und Menschen , Leiden¬
schaften und Verhältniße mit dem gehö¬
rigen Scharfblick zu durchschauen » Ei¬
genschaften , die man in unseren Tagen
billig von Leuten zu fodern pflegt , die
sich
854

fich des wichtigen Geschäftes annehmen,


über Ehre , Vermögen , und Leben ihrer
Mitmenschen Gesetze zu entwerfen . . . .
Indessen war jener Kovex doch so gar
unvollkommen nicht, als man ihn hie und
da geschildert hat . Die schwersten Sar¬
kasmen zog er sich dadurch zu , daß er
die verschiedenen Arten der Folter so
umständlich grausam vorschrieb , und so¬
gar mit nebenstehenden Kupfertafeln be¬
leuchtete , daß er den Vorwurf zu recht-
fertigen schien : der Henker müsse bei der
Ausarbeitung desselben ein wesentlicher
Gehülfe gewesen seyen.
Die Grundzüge jener Gesetzsammlung
waren aus der berüchtigten alten Raro-
Una genommen , welche — für die ro¬
hen , heftigen , tumultuarischen Menschen
und Zeiten des sechzehnten Jahrhunderts
geschrieben — freilich für die feineren,
schlaueren , kaltblütigeren Deutschen aus
der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr¬
hunderts nicht allerdings mehr taugen
kann-
v - W— c, 855
konnte. Es wurde die Folter zur Er¬
forschung der Wahrheit erlaubt , doch
nur selten, mit- Vorsicht und Schonung
zu gebrauchen befohlen. Nebst den ge¬
ringer» entehrenden Strafen , waren
Schwerd , Strick , glühende Zangen,
Rad rc. zur Strafe und Abschrekkung des
Lasters festgesezt. . . . Nach diesem Ko¬
dex wurde unter Theresiens Regierung
gerichtet: nur daß die Herzensgüte der
Monarchin» oft die Schärfe des Gesetzes
milderte.
Indessen hatte sich aus vielen Ge¬
genden Europens die Idee von Aufhe¬
bung der Todesstrafen ausgebreitet. Man
wiederhohlte in tausend Schriften : daß
«in HingeUchteter zu nicht- weiter gut
sey ; daß hingegen ein zu öffentlichen,
harten Arbeiten verdammter Mißethäter
dem Staat auch nach seinem bürgerlichen
Tode noch nütze, und zugleich ein leben¬
des , täglich erneuertes Beispiel barstelle,
daß den llibertreter der Gesetze, den
Stöh«
Ctöhrer der öffentlichen Sicherheit,
den Feind seiner Mitbürger , die schwe¬
re Hand der Gerechtigkeit packe , und
auf immer der Freuden des Lebens be¬
raube.
Als Kaiser Joseph die Regierung
antrat , ward zwar der Theresianische
Kodex noch beibchalten ; aber indessen
schon der Plan zu einem neuen Gesetzbuch
bearbeitet.
Dieß ist ein sehr natürlicher und
heilsamer Gedanke . Wie Jahre und
Jahrhunderte vorüber rücken , so ändern
sich die Menschen in Begriffen , Grund¬
sätzen , Sitten , Neigungen , und Leiden¬
schaften : freilich meist nur in den Schat-
tirungen derselben , aber selbst diese
Schattirungen werden für den aufmerk¬
samen , weisen Gesetzgeber wichtig . Man¬
che Verbrechen , die noch vor einem Jahr¬
hundert sehr bekannt waren , sind wie
verschwunden . Dagegen treffen wir in

den heutigen Kriminal- Akten Vergehn »*


gen,
857
geN , fein aüsgesonnrne Schurkereien an,
die man in den vorigen rohern Zeiten
nicht kannte . Es ist also ein Jrrthum,
wenn man glaubt , die Gesetze der AlteN
müßten unverändert auch immer die unf-
tigen bleiben . Der Grundsatz bestätiget
sich: daß die Gesetze sich nach den herr¬
schenden Sitten richten müssen. Wenn
die Revoluzionen in der Denkart , Ver¬
feinerung und Lebensart der Nazionen
so auffallend und schnell fortschteiteN,
wie man sie seit dreißig Jahren bemerkt»
so wird man für jedes halbe Jahrhun¬
dert neue Gesetzbücher erschaffen müssen.
Unterm rzten JaNuär 1787 erschien
also das neue „ Allgemeine Gesetz übe«
verbrechen und derselben Bestrafung.
Es ist nur sieben Bogen stark , und hat
zum Redakteur den H . von Rees , Hose
rath bei der Obersten Justizstelle.
Eine solche Anstalt macht einen
wichtigen Gegenstand der Schilderung des
heutigen Wien ; ich ziehe also einige we-
I i i senk--
sentliche Artikel aus , um fie der Auf¬
merksamkeit der Ausländer darzustellen.
- Der erste Theil handelt von Rrimr-
nalverbrechen.

§. 20 . Die Todesstrafe soll , ausser


den Verbrechen, bei welchen nach dem
Gesetz mit Standrecht verfahren werden
muß , nicht statt finden. In den stand¬
rechtlichen Fällen aber ist der Strang
zur alleinigen Todesstrafe bestimmt.

§. 2i . Die weiteren Kriminalstra-


fen find Anschmiedung, Gefängniß mit
öffentlicher Arbeit , Gefängniß allein,
Stock - Karbatsch- und Ruthenstreiche,
und Ausstellung auf der Schandbühue.

?. 22 . und 2Z. Das Gefängniß


ist a) langwierig im 2 ten Grabe , und
dann nie unter zo Jahren , nie über
Ivo . b) langwierig im iten Grade , nie
unter rA Jahren , nie über zo . c) an-
hal-
o ^ÄL-^o SZ9

haltend im 2 . Grade , nie unter 12 Jah¬


ren , nie über iZ . «!) anhaltend im l.
Grade , nie . unter 8 Jahren , nie über
1 » . « ) Zeitlich im 2 . Grale , nie unter
5 Jahren , nie über 8 - k) Zeitlich im l.
Grade , nie unter i Monat, < nie über Z
Jahre.

§ . 24 . Wo das Gesetz langwierige-


Gesängniß im » . Grabe bestimmt ^ kann
auch die öffentliche Brandmarkung bei-
gefügt werden.

L. 2A . Die Anschmiedung besteht


darin : der Verbrecher wird in schwerem
Gefängniß gehalten , und dermaßen en¬
ge angekettet > daß ihm nur zur unent¬
behrlichsten Bewegung des Körpers Raum
gelassen wird . Der zur Anschmiedung
verurtheilte Verbrecher wird zum öffent¬
lichen Beispiel alle Jahre Mit Streichen
gezüchtiget.
S6a

1 26 . Die Grade des Gefängnisse»


find s ) schwerstes , b) hartes , e) ge¬
linderes . Bei allen drei Graden ist dem
Verbrecher eine verhältnißmäßige Arbeit
anzuweisen.

§. 27 . Beim schwersten GefängNiß


ein eiserner Ring um die Mitte des Kör¬
pers , schwere Eisen an die Fäffe , Bret»
1er jum kiegen , Wasser und Brod , Un«
lerredung mit Niemand.

§ . 28 . Hartes Gefängniß , gleich


dem Vorigen , nur minder schwere Ersen !
zweimahl die Woche ^ Pf . Fleisch.

5. »9. Der zu einem solchen Ge-


fängniß Verurtheilte kann vom Tag seiner
Verhaftung an kein Testament machen.

L. za . Gelindes Gefängniß , mit


leichten Eisen , bessere Nahrung aber nur
Wasser.
j. Zr.
861

H. Z2. Stock - Karbatsch und Ru¬


thenstreiche nicht äberiOO auf Einmal.

§. z6 . Vom Tage der Verurtei¬


lung an verliert der Kriminalverbrecher
den Fruchtgenuß seines Vermögens. Sei¬
ne Familie zieht daraus anständigen Un¬
terhalt , das übrige fließt während der
Strafzeit in den Kriminalfond.

§. Z/ . Nach geendigter Strafzeit


tritt der Verurtheilte in alle Rechte des
Eigenthums zurük.

Z. Z8- Die Entadelung trist nur


die Person des Verbrechers,

Z. 42 . Die Strafe des Verbrechens


der beleidigten Majestät ist gänzliche Ein¬
ziehung des Vermögens und langwieri¬
ges schwerstes Gefängniß - im - ten Gr»
de. Eben so Lanbesverrath,

! SS
862 5 >'

§. AZ. Bei Aufruhr im höchsten


Grade werden die Rädelsführer , nebst
gänzlicher Einziehung des Vermögens,
mit dem Tode bestraft,

§ . 87 - Wer die Entweichung eines


ökriegsmannes befördert , muß ohne Aus¬
nahme an dessen Stelle Soldat werden,
im Fall der Untauglichkeit doppeltes Re¬
krutengeld bezahlen , oder zeitlichen Ar¬
rest und öffentliche Arbeit aushalten,

§ . 12z . Ein Selbstmörder , der so¬


gleich oder ohne bezeigte Reue stirbt , ist
durch den Schinder einzuscharren , §.
>24 . Geschieht der Selbstmord aus Furcht
verdienterStrafe wegen Verbrechen , so
wird er an den Galgen geschlagen . § .
>2A . Ist der Selbstmord versucht aber
nicht ausgeführt worden , so wird der
, Thäter imGefüngniß gehalten , bis er,
durch Unterricht überwiesen , Reue und
Besserung erwarten läßt.
§. 18Z.
o -TüM - ^ o 86z

§. 18Z . Gegen Verbrechen und


Strafbarkeit soll künftig keine Verjäh¬
rung seyn.

§ . 184 ^ Wenn bas Verbrechen und


die Strafbarkeit durch ausgestandene Stra¬
fe oder Begnadigung erloschen ist , so tritt
der ehemalige Verbrecher wieder in alle
gemeinschaftliche bürgerliche Rechte.

Zweiter Theil , von politischen ver¬


brechen und politischen Strafen.

§ . io , Die politischen Strafen sind


Züchtigung mit Schlägen , Ausstellung
auf der Schandbühne , Arreste , öffentliche
Arbeit in Eisen , Abschaffung aus einem
bestimmten Orte . Geldstrafe kann nur
in dem einzigen Fall verbothenrn Spiels
verhängt werden.

§. il - Züchtigung Mit Schlägen


muß allemal öffentlich geschehen . Dein
3 ii 4 Mann
1

864

Mann können auf einmahl nicht über Zo


Haselnußstokstreiche , Hey» Weib nicht über
Av Karbatschstreiche mit Ochsenzähm oder ^
Ruthen gegeben werden , und diese im¬
mer auf die Hinterbacken,

§. rz . Arrest ist strenger oder ge«


linder . §. 14 . Der gelinde kann auch
ln Hausarrest verwandelt werden.

§. ry . u . f. Unterdie politischen
Verbrechen gehören Beschädigungen der
Menschen durch verfälschte Arzneien , Fah¬
ren , Reiten ; Uiberschreitung derGesund-
heits - Kordons , Beschleichung der kand-
sirassen rc. kleinere Diebstähle und Betrü¬
gereien aller Art ;falsches Spiel ; ver-
bothenes Spiel ; falsches Mast und Ge¬
wicht ; Uiberschreitung der Taxen ; Ehe¬
bruch ; unberechtigte und erzwungene
Ehe ; Vergehungen der Dienstleute gegen
ehre Herren ; Verbreitung von Schmäh¬
schriften und Schandbaren ; unvorfich-
Nge

!
o 86§

tige gefährliche Handlungen , wodurch


Feuer entstehen , oder sonst Hab und Gut
der Mitbürger in Gefahr gerathen könn¬
te ; Muthwille auf öffentlicher Straffe,
durch Belästigung , Beschädigung von Men¬
schen , Kleidern , Gebäuden , Gärten rc.
Gotteslästerung , welche als Wahnwitz
mit Einsetzung in das Tollhaus zu be¬
strafen ist , bis der Gotteslästerer Besse¬
rung zeigt ; Stöhrung des Gottesdien¬
stes der herrschenden und geduldeten Re¬
ligion ; die Verführung von der christli¬
chen Religion , oder von aller Religion;
Unzucht an öffentlichen Oertern ; Sodomie
pnd Bestialität ; Kuppeley ; Gewerb mit
eignem Körper ; Handel mit verbothenen
Büchern und unzüchtigen Hchildereyen;
Verkleidung ausser der erlaubten Mas-
kenfreiheit ; Beitritt zu geheimen Zusam¬
menkünften und Verbrüderungen , welche
-er Obrigkeit nicht angezeigt werden;
Zurükkehr an einen Ort , au < dem maq
yeswjesen worden ist.
IiiZ Ich
866 e> o
* *
*

Ich enthalte mich , viele Anmerkun¬


gen über ein Gesetzbuch zu machen , das
die wirklich schätzbaren Verdienste der
Kürze , der Deutlichkeit und Faßlichkeit
für jedermann , und manche gute neue
Idee hat , auch uns allen ehrwürdig
seyn muß , so lange eS zur Richtschnur
unseres bürgerlichen Lehens vorgeschrie¬
be » ist . Am fernsten aber sey von mir,
im Ton der Satyre darüber zu sprechen.
Nur ein paar Erinnerungen muß ich an¬
führen , welche allgemein von Männern
gemacht werden , denen man Einsicht und
Eifer für das allgemeine Beßte nicht ab^
sprechen kann»
Die schrecklichen Strafen der An¬
schmiedung , des schwersten und harten
Gefängnißes , der öffentlichen Arbeit,
welche für die gröbsten Verbrechen ge¬
wöhnlich im Schiffziehn besteht , sind für
das Publikum gleichsam verborgene Stra«
fen.
86/

ftn , weil cs den Angeschmiedeten , den


,m Kerker Schmachtenden , den Schiff-
ziehenden nicht sicht ; da hingegen diese
Leute an dem Ort ihrer Bestrafung , wo
man ihre Verbrechen nicht kennt , nur
Gegenstände des Mitleids seyn können,
Dieß ist der erste Einwurf,
Ferner behaupten sie, daß die überall
und beständig ausgetheilten Stockprügel
die Sittlichkeit eines sonst sanften Vol¬
kes — wie die Oestreichcr im Ganzen ge¬
wiß sind eben nicht befördern ; und
daß eine solche Behandlung Sklavcnsinn,
abgestumpftes Gefühl , und Nachcgcist
verursachen dürfte.
Noch liegt ein Zug im menschlichen
Herzen , auf den die Antagonisten der
Todesstrafen nicht geachtet zu haben
scheinen . Läßt man den tokeswürdigen
Verbrechern eine nur erträgliche Existenz,
so gewöhnen sie sich , durch das Beispiel
der verworfenen Gesellschaft , in welche
stk gerathrn , nach wenigen Wochen , jg
/ so-
86S

sogar Tagen , so vertraulich daran ; zei¬


gen sich mit so vieler Gleichgültigkeit , ja
wohl gar Munterkeit , daß es für sie
weiter weder Strafe , noch für das Volk
Beispiel ist. Wir haben davon in Wien
Beweise von Leuten ehemahligen sehr ho¬
hen Ranges erlebt , welche ungesehn al¬
len Glauben übersteigen würden . . . .
Peiniget man sie beständig mit auffallen¬
der Strenge , so tritt endlich statt de«
Abscheues Mitleiden iu die Seele der
Richter sowohl , als des ganzen Publikums.
Eine grosse Schwierigkeit bei Auf¬
stellung des neuen Allgemeinen Gesetz¬
buches möchte wohl diese seyn , daß eS
für alle Erbländer der Oestreichifcheu Mo¬
narchie bestimmt ist , deren Provinzen
doch zur Zeit noch im moralischen Be¬
tracht äusserst von einander abstehen , und
wovon einige auf den ersten Grad euro¬
päischer Kultur und Verfeinerung , an¬
dere hingegen noch auf sehr tiefen Stu¬
fen derselben stehen . . . . Für die Da-
MM
869

me aus Wien , für den Banqüier aus


Brüssel und Mailand, für den Rath btt
den höchsten Landesstellen, für den Ka¬
valier von Z2 Ahnen, sind Ausstellung
auf der Schandbühne , Gaffenkehren
in der Hauptstadt, Jahrelanger Ar¬
rest mit Wasser und Brod und einem
Brett ;ur Lagerstätte, hundert Prügel,
Schiffjiehen rc. allerdings Strafen, zehn¬
mal bitterer als der Tod selbst. Aber
was sind eben diese Strafen für den
Wallachischen Bauern , für den Slavoni-
schen Ochsentreiber , für den Galizischen
Juden, für den Kohlenbrenner aus der
Bukowina? . . - Erne Sache, die ihn
wenig schreckt , oder die ihm vollends
gleichgültig ist, wie wir praktische Be¬
weise davon haben.
Um bas billige Ebenmaß zwischen
Verbrechen nutz Strafen zu treffen,
wie es in dem vor dem Gesetzbuch stehen¬
den Manifest heißt, müßte man es erst
dann allgemein einführen , wenn alle Pro-
870

vinzen und Einwohner eines Landes ni


einem verhaltnißmaßigen Ebenmaß von
Kultur , Verfeinerung , Aufklärung , Ehr,
gefühl , Erziehung und Lebensart strhett.
Mir scheint , die letztere Bemerkung
verdiente einige Aufmerksamkeit.

dr.
Heirathen.

Ein Spanier ging alle Tage in das


Theater , schlief aber bald nach Anfang
des Stücks auch richtig alle Tage ein.
Wenn er Nun seine paar Stündchen ge¬
schlummert hatte , und durch die Final
Klatscherei wieder aufgewekt wurde , so
fragte er allzeit , je nachdem eine Tragö¬
die oder Komödie war gegeben worden:
„ Ist schon alles ermordet ? „ oder : „
Ist schon alles » erheiratet ? „ Wenn es
hieß:
c^ -W ^ c. 87»
hieß: ja , so wußte er, daß das Stück
zu Ende scy , und dann gieng er.
Es ist unstreitig eine langweilige
Einförmigkeit, daß in allen unseren Lust¬
spielen Liebe und ewige Liebe wiederge-
käut wird, und sich das Stück durch ge¬
rade und krumme Wege immer mit einer
Heirath endigen muß. Daß aber dieses
ganze Liebeswesen und Ehestattdsgeschäft
noch obendrein ganz falsch und verkehrt
dargestellt wird, ist noch unerträglicher.
Das Theater soll der Spiegel des Lebens
seyn: wie falsch zeigt er! Wer bloß von den
Vorstellungen desselben auf unsere Sitten
schliessen wollte, der müßte glauben, wir
hätten noch den Liebesrost aus den Zei¬
ten der Chevalerie an uns. Alles falsch!
Man nehme das nächste beßte Lust¬
spiel zur Hand. Da find ein paar Lieb¬
haber, ein paar Liebhaberinnen , Väter
und Mütter , nebst der übrigen nöthige«
Gerätschaft von Onkeln, Tanten, gu¬
ten Freunden re. Die Liebhaber krieche »»
und
8/2

und winden sich , oder toben und schnarr»


ben , und bitten und flehen , und weinen
und verzw ifeln
-und werden so mager und blaß
Als fräßen sie Gras!
Die Mägdlein ihrer Seits zieren und
sträuben sich bei all diesem Jammer nicht
minder grausam und herzbrechend. Die
eine erschrickt schon ob dem blossen Wort
Lrebe; die andere wird bei dem Wort
-Heirath über und über roth , wendet
> das Gesicht weg , spricht vom Klosterge-
hcn , vom noch zu jung seyn , von Ab¬
neigung gegen den Ehestand ; eine dritte
hat zwar gegen die ihr vorgeschlagene
Parthie nichts Vernünftiges einzuwen¬
den , aber sie will nur nach Liebe , Sym¬
pathie und Herzensbedürfniß hcirathenz
eine vierte sieht nicht auf Jugend , Reich¬
thum , Rang und Schönheit , sondern
ihr Zukünftiger soll bloß em Mann seyn,
der Adel im Herzen nnd Weisheit im
Kopf
v —W - -c> «7S
Kopf trägt , der statt eines grossen Ka- ,
pitals eine lange Rechnung ausgeübter
Wohlkhaten aufweisen kann.
In einem anderen dieser Dinge wä§
ren zwar die jungen Leute ganz verstan¬
den und einig; aber da sezt es Schwie¬
rigkeiten von Seite der Alten. Die
Mamma findet das Fräulein noch zu jung;
der Papa will das liebe Töchtrrlein noch
nicht von sich lassen
. Man muß Onkeln
und Tanten in das Interesse ziehn, baß
sie das heilsame Werk befördern helfen.
Nach vielen überstandenen Fährlichkeiten
glückt es endlich, den alten Herrn in
einer guten Stunde in die Klemme zu
bringen, daß er nicht wohl mehr aus-
weichen kann. Halb noch über sich selbst
unwillig, und mit einer Art von An¬
strengung nimmt er endlich sein süsse-
Lendrnsprößlein, und wirft es dem glü¬
henden Liebhaber in die Arme. Nun ist
hoher Triumf: es wird zu Füssen ge¬
fallen, um den väterlichen Segen ge«
Kkk te-
874

beten , Onkel und Tauten klatschen den


Beifall dazu , und jezt geschwinde zu No-
tarius und Pfarrer.
Das soll ein Gemählde unsrer Sit-
reu seyn ? Falsch > Grundfalsch !
Unsere Großväter , ja , die waren
blöde genug , zu glauben , sie müßte»
Weiber aufsuchen , und sich glüklich schät¬
zen , wenn sie so ein Hausmöbel erhasch¬
ten . Wir sind aber endlich klüger gewor¬
den . Was ist das Mädchen , das Weib,
ohne Mann ? Nichts ist es , eine Nulle
zst es in der Gesellschaft . Die heutigen
Mütter , die reif gewordenen Mädchen
sehen dieß auch ein ; und so sehr es ih¬
ren Stolz kränkt ,
so willig haben sie
doch ihre Taktik geändert . Wie ehemahlS
die Männer darauf ausgingen , Mädchen
zu erhaschen , so treibe » jezt die Weiber
die Kunst Männer zu fangen . . . .
Man sehe einen jungen
Kavalier mit
grossen Gütern , den reichen Erben eine»
Wechslers oder Kaufmannes , den Man»
375

in einem einträglichen Amte , welcher


noch ledig ist , den vermögenden Bürger!
Wie Mütter und Töchter und Wittwen
um ihn herum flattern , wie man ihn
mit Einladungen plagt , zu allen kttstpar-
thien zieht , an alle Hausergözlichkeitcn
schleppt ! Wie man sich gegen ihn bloß
gibt ; wie die Spröden kirre werden,
wie die Strengen nachgebend sind ; wie
man ihm von allen Seiten kuppelt und
rinschwazt!
Ist ein Paar einmal so nahe gekom¬
men , daß man glaubt , es lasse sich im
Ernste von der Sache reden : da ist kein
Entzücken , kein Schmachten , kein Glü¬
hen ; sondern die Sache wird mit der
größten Kaltblütigkeit und Vorsicht un¬
terhandelt.
Wie viel können Sie jährliches Na¬
delgeld , und wie viel an Wittwengehalt
geben ? frägt man in den oberen Stän - ,
den.

Kk k 2 Kön-
S7§

Können Sie Kutschen und Pferde


halten , und ihre Frau den Sommer über
auf das Land geben ? frägt man in der
zweiten Klasse.
Kann ihre Frau ein eignes Stu¬
benmädchen halten ; täglich ins Spekta¬
kel gehen , alle Wochen einmahl Gesell¬
schaft und Spiel , und alle Monath eine
Tafel geben ? frägt man in der dritten
Klasse.
Dienen Sie schon so lange , baß
Ihre Frau Pension hak , wenn Sie et-
wann bald nach der Hochzeit stürben?
frägt man die freyenden Beamten.
Könnt Ihr eure Frau alle Wochen
«inmahl zum Kasperl , und am Sonntag
in den Prater oder über Land führen?
frägt man den jungen Bürger.
Fällt die Antwort bejahend aus , und
wird sie mit gültigen Beweisen unterstützt:
dann wird man der Gnade des heiligen
siebenten Sakraments theilhaftig.

Auf
O^ w --0 877

Auf diese Art schließen sich heut zu


tage die Heirathen ; und ich ersuche da-
, rum die Herren Theater - Dichter , in ih¬
ren Stücken künftig der Wahrheit zur
Steuer die Sache nach dem Leben zu
kopiren.

ciui.

Limonade - Hütten.

Sie sind eine Erfindung der neueren


Zeit , wo sich Geschmack und Gewinnsucht
immer mehr bestreben , die Vergnügung
gen der grossen Hauptstädte zu » erviel-
fälligen und zu verfeinern.
Die sogenannten Limonadehütten sind
Zelten auf offenen Plätzen , welche in Den
Sommermonaten aufgeschlagen werden,
und wo man das Publikum mit Limona¬
de , Mandelmilch , Gefrornem aller Gat - .
tungen re» bedient . Sie stehen auf dem
Kkkz Neu-
878
Neumarkt, Graben , und Hof in der
Stadt ; auf der Bastei, der kaiserlichen
Burg gegenüber, neben dem Kärnertho-.
re , und neben dem Hause des Feldmar-
schals Prlegrini. Rings um diese Zelte
steht Line Menge von Stühlen. Die
schöne DZelt kömmt in den warmen
Sommernächten schwarmweise zn diesen
Erfrischungsplätzen. Man setzt sich in der
trauten Dämmerung zusammen, schlürft
seinen Becher Gefrornes, scherzt, lacht,
tändelt, liebelt, und ruht von der Hize
des Tages, von der Last der Geschäfte,
oder von Ermüdungen angenehmerer Art
aus. . . .
Das Glas Limonade kostet7 . Kreu¬
zer, das Glas Mandelmilch io , der Be¬
cher Gefrornes zwischen 12 und zo Kreu¬
zer. Die Gattungen dieser letztem Er¬
frischung sind sehr mannigfaltig
; man macht
es aus Pomeranzen, Limonien, Weich¬
sel» , Erdbeeren, Ribiseln, Pfirschen,
Ana-
0-Ü-M ---O 879

Ananas , Mandeln , aus Vanille , Scho»


kolabe rc.
Es ist in der Hitze sehr angenehm
zu geniesten , aber man muß es nicht
unmäßig nehmen , wenn man sich nicht
heftige , auch wohl tödtliche Koliken da¬
durch zuzichn will.
Seit einigen Jahren erhöhen die
Unternehmer der Limonabehütten diese
Vergnügungen noch dadurch, daß sie har¬
monische Musiken dabei geben . Man
muß gestehen , eine solche Scene ist eine
der entzückendsten ans allen , die unser
gesellschaftliches Leben versüsten . . . .
Das laue Säuseln des buhlerischen Som¬
mernacht - Lüftchens rings umher ; von
oben das sanfte Licht des Mondes , der
durch dünne Silberwolken schimmert ; ei¬
nige hundert Menschen im trauten Ge¬
flüster , zwanglos , in nachläßiger Som¬
merkleidung ; dazu die melodischen Töne
schmeichelnder Instrumente-
Das müßte ein stumpfer Halbmeusch seyn,
Kkk 4 des-
S8o

dessen Herz in solchen Augenblicken nicht


freudig pochte.
Wenn das Wetter vollkommen gün¬
stig ist, dauern diese Lustversammlunge«
bis gegen Mitternacht,

dm.

Caflnen.

Eine italiänifche Anstalt, auf deut¬


schen Boden verpflanzt . Es find meh¬
rere in verschiedenen Häusern angelegt.
Eie find ein Mittelding zwischen Wirths-
h«uS , Trakteurhaus und Kaffeehaus,
und dienen zur Unterhaltung und Be¬
quemlichkeit für den Adel, für Fremde,
für Offiziers, Beamte, Negozianten,
Doktoren, Geistliche , kurz, für jeder¬
mann, der Erziehung und Lebensart hat.
Das Casiuo wird um 8 Uhr Mor¬
gens geöffnet, bleibt den ganzen Tag
übet,
88l

über , und so lange in der Nacht offen,


als sich Gesellschaft dort einfindet . Man
kann daselbst frühstücken , zu Mittag und
zu Nacht an Runder Tafel *) zur ge¬
siezten Stunde und um gesiezten Preis
speisen . Zum Zeitvertreib sind Zeitun¬
gen , musikalische Instrumente und Musi¬
kalien , auch die erlaubten Spiele aller
Art vorhanden . In den kälteren Mo¬
naten wird von Woche zu Woche Ball
darin gegeben.
Wenn es geschlossenen Gesellschaf¬
ten beliebt , auf ihre eigne Rechnung,
Ball , Musik , Pikenik , Spielgesellschaft,
Tafel rc. zu geben , so finden sie dazu im
Casino , nach vorher gemachter Ankündi¬
gung , Zeit , Raum , und die nüthigen
Bequemlichkeiten.

KkkZ OI. lV.

*) "ssble nolläs »de« 1'sbls cl'dace.


882

ci.iv.

Zeughäuser.

Sollte es denn nicht möglich seyn,


eine Welt ohne Klöster, ohne Apotheken
— und ohne Zeughäuser zu haben ? . .
Ich glaube, das wäre keine geringe
Wohlthat für die darin wohnenden Men¬
schenkinder; denn in unsrer gegenwärti¬
gen beßten aus allen möglichen Welten
haben wir rn der Thal nicht wenig Ur¬
sache über die Existenz jener drei Dinge
zu klagen.
Die Million Soldaten , welche das
christliche Europa gegenwärtig fix und
fertig auf den Beinen hält , fordert na¬
türlich einige Millionen Flinten , Säbel,
Bajonetten , Pistolen, Bomben, Kugeln-
Kartätschen, und zum Gebrauch dieser
letzteren etwann so ein 10002c» Kanonen
jedes
>
88Z

jedes Kalibers : welche angenehme, und


wohlthätige Instrumente denn auch zur
Freude und Trost unser aller in den gros¬
sen Zeughäusern der hohen kandeeväter
von Lisbon bis Petersburg iu -der schön¬
sten Ordnung und Fertigkeit bereit lie¬
gen , um uns in jedem Fall eine entschei¬
dende Antwort zu geben. Darum hat
auch, ich weist nicht welche Majestät,
auf ihre Kanonen die schöne Devise gie¬
ßen lasse« : ultima Ratio Regum *)
Bis die Traume der ehrlichen Haut,
des Abbt St « Pierre , zu Stande kom¬
men, darf es auch kein Potentat von
der ersten und zweiten Klasse wagen,
jene ultima Ratio in Verfall gerathen zu
lassen, oder gar aufzugeben, wenn er
nicht sogleich von allen Seite » angefallen
und fein sauber ausgeschält seyn will.
Traurig genug, daß die erste Maxime der
hcuti-

*) Der lezte Bescheid der Könige.


S84 . » '» '

heutigen Politik ist: 8i vis paoem, pa¬


rs bellum**) . . . Nach Karls des VI
Tode hatte die Bernachläßigung dieses
Kernspruchs die Oestreichische Monarchie
beinahe ün, Trümmer gerissen: desto ei¬
friger hält sie seitdem darauf.
ES sind in Wien zwei Zeughäuser:
das kaiserliche, und das Bürgerliche.
Dieses leztere steht auf dem Hof. Man
läßt es eigentlich nur noch Ehren halber
, bestehen, weil die Bürger bei der lezten
türkischen Belagerung sich so muthig,
tapfer und . treu bezeigten . Dafür ha¬
ben sie auch in diesem ihren Zeughaus
den Kops des Großvezirs Kara Mustafa,
der die Belagerung ko!.:m'»idjrte, nach
Aufhebung derselben aber strangulirt, in
Ofen begraben, von den Christen nach
Eroberung dieses Plazes wieder ausge«
graben und seines Kopfes beraubt wur¬
de.

*») Willst du Fried» haben, so rüste dich


»um Krieg.
88Z

de , roelchen man dem Kardinal Kolonie^


zum Präsent schikte , der ihn in das bür-
gcrliche Zeughaus gab . Nebst diesem
sind noch einige andere dergleichen Tro¬
phäen darin , die man den Fremden zeigt.
Das Kaiserliche Zeughaus befindet
sich in der Renngasse , und kann eben¬
falls ve » jedem Fremden besehen werden.
Hier sieht es schon ernsthaft «? aus . Ich
beschreibe die von Türken , Franzosen,
Preussen ec . eroberten Trophäen nicht:
diese Dinge muß man mit eignen Augen
betrachten . . . . Die erste Grundlage
zur heutigen Vollkommenheit des Kaiser¬
lichen Zeughauses schreibt sich aus den
Zeiten des Fürsten Wenzel von Lichten-
pein her , - welcher vor und in dem sie¬
benjährigen Kriege über das Artillrrirwescn
die Direktion hatte . Dieser grosse Mann
und warme Patriot wandte aus seinem
eignen Vermögen Millionen zum Dienst
des Staats auf , und ihn kann man mit
Recht de« Vater der Orstreichischen Ar¬
tille » >
886 ' o- M ^ o

tilleric nennen . König Friberkch selbst


schrieb nach der verlornen Schlacht bei
Kolm an einen seiner Freunde : „ die
Ocstreichische Artillerie ist vortrefflich ; sie
macht Lichtensteinen wahre Ehre . „ Auch
klagt er in seinen hinterlassenen Schrift
ten darüber , daß Fürst Wenzel am er¬
sten die ungeheure Zahl von Kanonen bei
den Armeen einführte.
Schrecken ergreift einen beim An-
blik dieses Zeughauses und aller der
künstlich gräßlichen Werkzeuge , um nö-
thigen falls Städte und Wälle und Men¬
schen zu zerstören . Dem ungeachtet kann
man sich auch nicht enthalten , kante Be¬
wunderung über eine Anstalt zu bezeigen,
welche allen Feinden des Staats die
nachdrüklichste Rache droht.
Indessen ist es das Zeughaus nicht
allein , welches die Instrumente der Ver«
theidigunA enthält . Die Stadtgräben
und Kasematten um Wien liegen voll
von Kanonen , Mörsern , Lavetten , Rüst-
wa-
0-^ 82^- O »37

wagen , Äugeln rc. Als man beim An¬


fang des gegenwärtigen Türkenkrieges
diese Magazine öffnete , schien ihr Schlund
unerschöpflich zu seyn.
Die wirkliche Ausrüstung der ste¬
henden Armee abgerechnet , zähle man zu¬
sammen , was noch an Kriegsvorrath in
den Festungen Luxenburg , Antwerpen,
Namur , Mons , Ostende , Mailand,
Mantua , Kufstein , Grätz, Triest , Karl¬
stadt , Karlsburg , Munkatsch , Ofen,
Olmütz , Brünn , Prag , Theresienstadt,
Pleß , Königsgrätz , Eger , rc. liegt . Ich
glaube , daß die Monarchie gegenwärtig an
Kanonen allein 20020 Stüke fertig hat.
Wer zählt dann die kleinern Waffen!
888

Der Stok im Eisen.

In der Welt der Handwerksburfcht


find der Stock tm Eisen und der Ste-
fansthukm als die wichtigsten zwei Wahr¬
zeichen von Wien berühmt . Kaum hat
der neu angekommcne Schlosserjung sei¬
nen Bändel auf der Herberg abgelegt;
so eilt er auf den Plaz , um diesen Stock
zu besehen.
Was ist denn der Stock im Eisen?
— Es ist ein ungefähr 7 Fuß hoher
Baumstamm von mittelmäßiger Dicke,
der von oben big unten so ganz mit ei¬
sernen Nägeln überschlagen ist , daß man
von dem Ho 'z gar nichts mehr sieht . Ein
eisernes Band befestiget ihn an « in Haus
auf dem nach ihm genannten Stock - im

Eisen - Platz . An dem Band hangt ein


grosses Schloß . . . . Wie kam er hieher,
und
8SY

und warum steht er da ? bas weiß ich


nicht. Die alt « Legende erzählte: ein
Schlosserjunge Hab« seinem Meister ver¬
sprochen, ein Schloß an diesen Ctok zu
machen, daS kein Meister in der Welt
sollte öffnen können, wenn er ihn so¬
gleich frei sprechen würde. Der Meister
ging es ein. Nun verschrieb der Lehr¬
bursche seine Seele dem Teufel, der ih«
denn das -rnäberwindliche Schloß machen
Half, welches der Zunge vorlegte > den
Schlüssel davon in di« Donau warf, frei¬
gesprochen, aber auch gleich darauf voA
höllischen Schlosser gehöhlt ward. Seit¬
dem schlug jeder Schlosserjunge, zum An¬
denken, daß er in Wien gewesen, emea
Nagel in diesen Stock. Da dieses jezL
nicht mehr möglich ist, so besehen sie ihn
doch eine Weile mit aufgesperrtem Maul,
und räsonircn kunstmäßig über das höl¬
lische Schloß.
Vor Zeiten war noch sin berühmtes
Wahrzeichen hier , ein Loch in der Mau-
Lll e»
»90

er in dem Gang des Minoritenklosters-


Lurch welches der Teufel einen Religions-
spötter davon geführt hatte . Die ehr¬
würdigen Patres vermauerten das koch
oft , aber bei Nacht riß es der Satan
immer wieder auf . Vor einigen Jahre«
befahl man den Minoriten das Kloster
ju räumen . Tags darauf ließ die Re¬
gierung das koch vermauern , und der
Teufel riß es nicht wieder auf : ein Be¬
weis , daß er die kayen mehr fürchtet
als die Mönche.

Inländische Maaren.

Als der Kaiser vor einigen Jahren '


alle ausländische Maaren verboth , die
entweder ganj entbehrlich sind , oder im
kan-
89 r

Lande selbst fabrizirt werden können,


da klagten die Schneider , die Kaufleu¬
te , und ein grosser Theil des Publikums
dagegen . Diele behaupteten sogar , es
sey nicht möglich , daß der östreichische
Staat ohne ausländische Maaren ju rech¬
te kommen
Die Beharrlichkeit Seiner Majestät
hat jene Schreier verstummen gemacht,
und die Behauptung der anderen prak¬
tisch widerlegt . Die Kaufleute mußten
bei der Publizirung jenes Verboths alle
ihre ausländischen Maaren in ein Depo-
ptorium hinterlegen , und da keine neuen
mehr Nachkommen durften , so ist dieser
Vorrath nun bald gänzlich erschöpft.
Ich glaube , um die Oestreicher von
der Nuzbarkeit dieser Anstalt recht äugen«
fcheinlich oder handgreiflich zu überzeu¬
gen ; denn das ist nothwendig , wenn man
dieses eigensinnige Völklrin von seinen
vorgefaßten Meynungen heilen will —
wäre das beßte Argument «ä Lomins«
rlrs
S? 2 s^ 8S-- o
-rwesrnf aus de« Mauthregistern die
Ssmme « bekannt za «nach«« , « eiche für
einige sehr gangbare Maaren - Artikel
nach Italien , England , Frankreich, Hol¬
land, der Schweiz re. Aossen . Welch«ine
Wanderung de« Millionen würbe man Da
«rblikt habe« , und dies« Wanderung er¬
neuerte sich aSe Jahre *) . Hat « a» doch
»es VeUschen bas Emigrirev »erbothr« :
warum soüte man gegen die Dukaten
nachsichtiger sryn!
Gewürze , Apothekerwaaren und
BeunvwvSe abgerechnet, braucht Oestreich
— tm Gauze« genommen — <- «, nicht
viele ausländisch«Produkte sehr unentbehr¬
lich- Die Grossen des Staats haben die¬
se« schon lange einzesehen. Auch in den
frür

*) E< beträgt ungefähr die Emma« Von -4


Miilivüep -' welche «-«« als jährlich « ehe
a»0 de» Laude gingen, ai« seit dem Der¬
ber- - i»« ,< «es««.
«55
früheren Jahren »on ThereflenS Re- ir-
r»ng wurde eia« solche Anstalt getroffen.
ES entstanden im Lande selbst Fabriken.
? Unter dem Vorwand, oder aus der miß-
»erstaadeuen Abpcht, eine vortheilhafte
Konkurrenz«ad Emulation zwischen de«
inländische
» «ad ausländischen Maare«
hervorzubriuge» , erlaubte mau zu frähk
wieder die Emsvhr der fremde« Fabrikate.
Natürlicher Weife konaten eS die «cm«
Zstreichifchc» Fabriken mit den alte»
««ständische » »ichk lange aushaltcn, son¬
der« verfielen. Gegeilwärtig hat ma«
nach dreißig Jahre» dasselbe Projekt wie¬
der i« Ausübung gebracht; eS läßt sich
aber hoffe« , daß « an nicht auch «de«
i desselben Fehler «eserdings wiederhohle»
j werbe.
Die Stadt Me « allein zählt gegerr-
^ wärtig über hundert Fabriken «nd Ma-
^ «vfakture» «Ser Art , wovo» die « eisten
^ erst feit de» Verboth aller ausländische»
^ Waarkv cststaudev stad. Freilich « « -
N LllZ §"t
Sy4 o

sen sich manche projektvolle Köpfe bei die¬


ser Revolution gar zu hitzig auf die An¬
legung "der Fabriken , ohne immer die nö-
thigen Kenntniße oder den hinlänglichen
Nervum rermn xsrenösrum zu besitzen;
und so mußten wohl einige derselben
bald wieder verfallen : wozu der durch
den gegenwärtigen Krieg verminderte Ab-
saz und erhöhte Preis der kcbensbedürf-
niße ebenfalls beitrug . , . . Dieß sind
indessen nur die Symptomen der ersten
Gährung ; und wenn diese vorüber ist,
wird man wohl sehen , was auf dauer¬
haften Fuß gebaut war oder nicht.
Höchst ungerecht ist das Geschrei einiger
Leute , daß die neuen östreichischen Fabrikate
nicht alle so vollkommen fcyen , wie die fran»
zösischen und englischen . Diese Herren soll¬
ten sich doch nur des sehr bekannten und sehe
wahren Sprichworts erinnern : Rom fty
nicht in Einem Lage gebaut worden . . . .
Frankreich bekam schon unter Heinrich IV.
purch Süllp , noch mehr aber etwas fpätex
durch
8- 5

durch L ^ berr seine Fabriken , und England


bereits viele der feinigen unter der gros¬
sen Elisabeth . Natürlicher Weise müssen
Fabriken , die schon seit Jahrhunderten
bestehen , die sich schon seit so lange Ar¬
beiter nachzichen, und schon seit so lange
immer aufVcrbesserung raffiniren konnten'
vollkommnere Machwerke liefern , als ih¬
re Nebenbuhlerinnen , die kaum feit ein
paar Jahren im Gange sind. Auch ist
^ener Vorwurf nicht ganz gegründet:
man arbeitet , zum Beispiel , gegenwär¬
tig hier so schön in Stahlwaaren , in
Knöpfen , als es immer nur in England
geschieht ; man verfertiget Dosen ^ Bän¬
der , Musseline , Düuntuch , Galanterie-
waarcn rc. so gut , als sie ehedem Ita¬
lien und Frankreich schickten.
Man lasse die östreichischen Fabri¬
ken erst nur einmahl ein Viertel Jahr¬
hundert im Gauge seyn , und ich glaube-
dann wird man demjenigen danken , der
hie ausländischen Maaren mit Schärfe
kll 4 . ver-
«xrbannte , um die inländische« «Lei»
zum allgemeine« Bedürfniß zv mache».

dvn.

Verschöneruttgen^

Könnte Graf Rüdiger Trahrenrberg,


der i68z beim Anmarsch des Mahome-
danischen Barbaren Heeres die Vorstädte
Wiens mußte auf den Grund abbrenne»
lassen ; oder könnte selbst Kaiser Franz
wieder von dorther zurük komme»
—- — uncke » egsnr reüire *)
sie würden mit freudigem Erstaune« sehen,
wie kehr sich seit ihre« Zeile« Wien ver¬
schönert hat.

Lorsuu^
«97

Au den wesentlichen Verschönrrnn»


gen drr Haupt - und Residenz- Stadt eis
nes mächtigen Staats , gehört ohne
Zweifel die Vergrösserung derselben. Seit
jener Katastrophe unter Rara Musta¬
fa *) haben sich die zwanzig Vorstädte,
welche Wien an der Südseite gleich ei¬
nem Halbzirkel umkränzen, wir aus dem
Nichts erhoben. Im I . 1766 hatte«
alle Vorstädte zusammen bereits ZlHv
Häuser , im I . 178z schon 4084 . ^8 eit
dem ist die Zahl der Gebäude sowohl in
der Stadt als in de» Vorstädten noch
mehr angewachsen , so daß sich dieselben
seit dem Jahr »766 bis jezt ungefähr
um izoo Häuser vermehret haben.
Ehedem war die ganze Esplanade
ein wüster , wilder Plaz , voll Sumpf
und Morast , ohne bestimmt« Wege weder
1 ll 5 für

*) Der Trost- V «»ir, wrlcher bl« l«zk« B «:


lageruag konunandtrte.
8<-8

für die Fußgänger noch für die Fuhr¬


werke . Kaiser Joseph II . ließ den Plaz
reinigen , ließ Chausseen für die Wägen,
und breite , bequeme Wege für die Fu߬
gänger anlegen , und dieselben endlich
auch mit Bäumen bepflanzen : so daß die
Esplanade nun , in der gemäßigten Jahrs»
zeit , einer der angenehmsten Spazierplä-
ze um die Stadt ist.
Ehedem wurde die Stadt allein be¬
leuchtet . Am Vorabend des Therefien-
Tages i/68 waren mit einmahl alle Stras¬
sen und Wege auf der Esplanade , und
alle Hanptgassen in den Vorstädten mit
Laternen besczt. Diese Beleuchtung der
rings um die Stadt laufenden Esplanade
gibt in einer dunkeln Winternacht einen
so romantisch schönen Anblick , daß es
der Mühe lohnt , eigens deswegen auf
die Burgbastci zst steigen , um dieses
Spektakel anzusehen.
Die Stadt selbst ist ungemein da¬
durch verschönert worden , daß manche
der
«99

der alten finstere» Klöster, .einige öde


Klöstcrgärten, und viele rußige, ungc-
sialte, düstere Höfe und Häuser nieder-
gerissen, und ihre Stellen mit neuen,
lichten, bequemen Gebänden besezt wor¬
den sind.
Es war ein alter Vorwurf für
Wien, daß seine Gassen voll Koth und
Gestank seyen. Dieser Vorwurf wäre ge¬
genwärtig ungerecht. Die Strassenrei-
nigung geschieht schnell, fleißig, und
immerwährend.
Das Pflaster ist in den neuern Zei¬
ten auf einen Grad von Dortresslichkeit
gebracht worben, dir in Deutschland nicht
feines gleichen hat. Die breiten, kubi¬
schen Steine auf beiden Seiten der grös¬
seren Gaffen , sind eine schäjbare Bequem¬
lichkeit für die Fußgänger.
Man hat den hölzernen abscheulichen
Gang abgebrochen, der von der Burg
nach der Augustiner Kirche führte, um
hm kleinen niedlichen IosephSplaz, und
den
-2^
de» pnächti gen Anbktk der Hof - Tibkrsthek
nicht ferner' za verdunkeln.
, Man hat das Thor Lena Rothen
Thurm abg-«rissen, «m di« fo stark« Pas¬
sage nach d er Leopoldstadt«ad den Lee¬
den Lnsipläi
. jen Prater und Augarten z»
«rkeichtern.
Mau h«at die Thorc airf den Ste¬
fans - Kirchhrf abgerissen, welcher kein
Kirchhof mehr ist. . . . Acht wenn
Wied man d>sch einmal die «lenden Hütk-
chen vor der Kirche oiederreistea, um der
Stadt diesen schönen Plaz frei zu gebenk
Man ha.^noch erst im vorigem Jahr»
einen neuen Ausgang durch die Burg
auf die Bastei herg»stellt, um de» Pu-
K-Irkmn den Weg nach diese» Erfrischungs-
^tax zu verkürzen und sicherer za machen.
*7 *
*

Es ließen pch freilich noch viele


«ch mancherlei Verschönerungen für
Wie» und besten Vorstädte derauftakte
»z
«Li » « an maß i» ftima Forderungen
bischeidcn sey». ? eit , Einsicht»« , «nb
Autrr Wille , welch« schon sis Vieles ge-
,y «v habe» , werden nach mch- zur E»i-
stenz bringe» ^ » as i^zt noch
Wtsrsch ist

<LVM.

-' EaKhöfe.

^pi» Gasthösr »der Wirthshänser i»


Wes smd für unsere Zeikeu, und für
«me sblch« Stadt , ohne . Br^ueinlichkeit
«nd Eleganz ; das läßt stch auf keine
Weise weder länzaen » och bemänteln.
Ei« Reisender , welcher die grösse¬
res Städte im Reich , in der Schweiz,
in Frankreich besucht, findet daselbst
Gasthöfe, di« ans den hübscheste» Straffe»
«Nd Plätzen jener Städte liege « , welch«
bequeme Einfahrt , gute Treppen und lichte
Zum»«» haben. Er fipdet in den Gast-
hö-
Höfen selbst einen Wirth im gehörigen Vr-
fiten- Anzug, der seine Sprachen spricht/
de^ seinm Gast mit den Neuigkeiten des
Tages unterhält, ihm die Anweisung gibt,
was er in der Stadt Merkwürdiges zu
besehen und zu besuchen hat ; der bei Ti¬
sche die Honneurs mit Anstand macht rc.
Seine Gehülfen, die Kellner, find jun¬
ge , flinke, hübsche Bursche, in modi¬
schen Frisuren, scidnen Strümpfen und
Jäkchcn, die ebenfalls fremde Sprachen
besitzen, und ihre Gäste mt Komplimen¬
ten und Artigkeiten überhäufen»
Wohlan , derselbe Reifende geht
nach Wien, und vermuthet, wie billig,
in der Kaiserstadt wohl noch bessere Gast«
-Höfe zu finden . . . . Er lasse immerhin
dem Postillion die Wahl, ihn irgendwo
abzufezxn ; er ist allemahl in seinen Er¬
wartungen getäuscht, sein Wagen mag
nun beim goldnen Gchsen, oder bei den
drei Haken, oder bei der Schwane , oder
am Madschaker- Hof, , d,r beim Milden
Mann,
n --W ^ c> 9-rZ
tNann , oder beim pirschen, beim La¬
ren , w. halten. . Er ist in einer engen
Strasse, daß er nur mit Mühe und Ge¬
fahr in bas Haus kommt. In demsel¬
ben findet er einen unsauberen Hof, schon
mit einer Wagenburg von zwanzigerlei
Fuhrwerken überlagert, schmuzige , finstere
Treppen, viel Geschrei, Lärmen «n»
Verwirrung, dunkle Zimmer, mit altva¬
terischen oder gar keinen Möbeln einge¬
richtet. Nachdem er seine Geduld an
Warten, vergeblichem Rufen re. eine Wei¬
le geübt hat , bekommt er es miL einem
Kellner in einem grünen Jäkchcn, runden
ungepuderten Haaren , und schmierigem
Vortuch zu thun, der ihm gleichsam ans
Gnaden ein nicht besser eingerichtetes Zim¬
mer anweist, dabei eine Mine macht,
als ob ihm gar nicht viel an seinem
neuen Gast gelegen fey, und ihn daselbst
in der lieben Einsamkeit fitzen läßt . - .
Uiber Mangel an Speise und Trank wirb
sich zwar ein Reisender nicht leicht btkla-
gen.
924

gen , ob er aber mit der Bedienung zu-


trieben sey, dafür mag ich ihm nicht
bürgen . . . . Den Wirth bekommt er
entweder gar nicht zu sehen, oder er fin¬
det in demselben einen derben schlichten
Bürger , mit einem grünsammetnen Käpp¬
chen auf dem Kopf , einem klafterweitcn
Schmerbauch und braunen Kamisol, der
ihm eine linkische Reverenz zieht, und
sich nicht weiter um ihn bekümmert.
Die Lehulakaien, welche häufig in
den Gasthöfen fitzen, auf die Ankunft
von Fremden harrend , find natürlicher
Weife hier , wie in allen Hauptstädten,
die gcborncn Spione der Polizei. Ein
solcher Kerl bekömmt des Tags an sti-
pnlirter Laxe Z4 Kreutzer; er weiß aber
durch Langsamkeit, durch vorsetzlich mi߬
verstandene Aufträge , und dergleichen
Künste, seinen Herrn schon dahin zu
bewegen , daß er ihm seinen Lohn er<
Höhe.

Wa--
-25

Was thur der Fremde bei diese»


Umständen ? . . . Je nun, wenn er ge»
sonnen ist, länger als acht Tage in Wie»
zu bleiben, so läuft er eilig durch die
Strassen, sucht sich eine Wohnung in ei¬
nem Privathause, und verläßt , sobald
möglich, den Gasthof. Ist er ein Mann
von Rang , von Bedeutung, oder be¬
rühmten Nahmen, so findet er bald Be¬
kanntschaften und freie Tafel.
So dreht sich die Sache immer in
diesem fehlerhaften Kreise: die schlechte
Einrichtung in den Gasthöfen macht, daß
man nicht darin bleibt; und dieser Ab¬
scheu vor den Gasthöfen macht, daß sie
schlecht bleiben.
Gegenwärtig, da die ehemahls bei¬
nahe übertriebene Gastfreiheit der guten
Wiener aus mancherlei bekannten Ursache»
gewaltig abnimmt, und stets noch mehr
abnehmen wird, wäre es gewiß keine
üble Spekulation für einen unternehmen¬
de» Mann , einen Gasthof herzustellrn,
Mmm wie
wie man sie in Hamburg , Dresden , Frank,
furt am May » , Augsburg rc. findet.
Weil aber zu einer solchen ttnterneh,
mung höchst nöthig wäre , ein Paar Häuser
auf einem grossen und bequemen Platz
zu kaufen , dieselben mit etwas Pracht
und Bequemlichkeit , nach Art der grossen
Lasthöfe , herzuftellen und reichlich einju-
richten , welches hier ein Kapital von
wenigstens 220220 fl. forderte ; so wirb
«in Wiener zu einer solchen Anstalt sich
nie entschliessen, weil er mit diesem Ka¬
pital bequem leben kann , ohne sich das
mühsame Gewerbe eines Gastwirlhes aus^
zulad«».
»- -LS-- «. y«7

Botanische Gärten.

tilon omnis kert vvinm teUkir


Der allerhöchste Baumeister der Welt
Mochte vermuthlich seine Ursachen haben,
die heilsamsten Bäume und Pflanzen auf
der ganzen Erde zu zerstreuen , und
sie durch Wüsteneien, Meere und Welt-
theile von uns zu trennen. Wir arme
krdwürmer haben dagegen auch wieder
unsere Ursachen, dieselben aus allen
Zonen und Erdrwinkeln zusammen zu hoh¬
len , wenn wir sie auf unseren Tafel »,
öder in nnsrren Apotheken zu brauchen
wissen.
M nt m 2 / -in-

*) E« wachsen niche überall An«na- und


^ Eichbäume.
9»8
Linnä'us uni^ Faller habe« mit be¬
wunderungswürdigemFleiß die vielen tau¬
sende von Gewächsen gezählt, klaffrfizirt,
mit Nahmen belegt rc. und in jedem
Botanischen Garten sucht man deren so
viele zu ziehen als möglich, um den
jungen Naturforschern gleichsam das gan¬
ze Pflanzenreich unter Einem Blirke dar-
zustellen.
Wenn man den Nahmen Iacqum
als den Vorsteher des Botanischen Gar¬
tens zu Wien nennt, so darf man bil¬
lig erwarten, daß derselbe sich in einem
Zustand von Vollkommenheit befinde.
Jacquins Reisen in West- Indien , die
von ihm herausgegebenen botanischen
Werke, beweisen, wie sehr er an seinem
Plaz stehe. . . . Der Botanische Gar¬
ten liegt in der Vorstadt, der Rennrveg,
ausser dem Belvedere . Er ist zum Ge¬
brauch der auf der Universität Studiren-
den; und Jacquin gibt , als Professor
der Botanik, darin seine Kollegien. . . .
In diesem Garten macht auch der uner-
müdete Ingenhouß seine scharfsinnigen
Versuche über die Wirkungen der Elektri¬
zität , der verschiedenen Zuftarten , auf
die Pflanzen rc.
Die Medicinisch- Chirurgische Aka¬
demie in der Wahringergasse hat zu ih¬
rem Gebrauch und Unterricht ebenfalls
einen eignen Botanischen Garten , der
aber , ihrem Zweck gemäß, weniger reich»
haltig ist. plenk besorgt denselb n,
«nd gibt eben jezt sämmtliche Medicinal-
Pflanzen in prächtigen Abbildungen he¬
raus.
In Schönbrunn befindet sich auch
ein Gewächsgarten und Gewächshaus,
unter der Aussicht des Obergärtners van
der Schoten ( gewöhnlich Reich genannt.)
Liebhaber der Botanik werden es nicht
bereuen, diese überaus reiche Sammlung
anzusehen, worin sehr schöne und merk¬
würdige Bäume und Pflanzen gezogen
werden-
Mmmz HX.
Hr«
LI.X.

Die vier Jahrszeiten.

Der Engländer Thomson hat be¬


kanntlich die vier Jahrszeiten, und was
jxde derselben»ns Angenehmes gewährt,
mit wahrem Dichter- Genie besungen.
Ferne sey von mir der kühne Ge¬
danke, Thomson nachahmen oder ergän¬
zen zu wollen. Ich zeige hier nur kurz
an , was die Wiener zu den verschiede¬
nen Jahrszeiten nntcr ihre hervorstechen¬
den Annehmlichkeiten und Vergnügungen
zählen.
Des Winters , der in Wien gewöhn¬
lich langwierig und strenge zu seyn pflegt,
müde und überdrüstig, späht man mit
grosser Sehnsucht den ersten milden Con-
«enöliken und dem erquickenden Hauch
der lauen Zephyre, diesen Vorläufern des
Früh-
o*-W -- s 9"

Zrühling » entgegen . Kaum sind «in


paar heitere Tage auf einander gefolgt,
und haben den vom geschmolzenen Schner
dur6 )weichtcn Boden etwas getrocknet:
frisch ejlt man a»f die Bastei , um sich
zp sonnen , und einmabl wieder über die
Borstadte weg in das frei « Feld und di«
ländlichen Gegenden des KahlenbergeS z»
scheu» Sobald diese ersten Ausspäher
zurück gekommen sind , und in der Stadt
erzählt haben , daß die Bastei schon
gangbar sey , rüstet sich Jung und Alt,
dem Frühlingsgott zu opfern . Die An¬
dächtigen gehn erst in die Kirche und
dünn auf die Bastei ; die lauen Christen
Hüpfen die Kirchen vorbei . und eile»
gerade zu auf den Spaziergang . Zwi^
fchen n nod i Uhr Mittags wird eS
lebhaft . Kinder und Greise , und alles,
was zwischen dtrsen zwei Gränzstufen des
Menschenlebens frei athmet , kommt
dahin , um sich auozulüften ; der wahre
Ausdruk für die ersten Spaziergänge «zach
R nrry 4 dem
§12

rem langen winterlichen Stuben - Arrest.


Allmählig wagt man sich auch auf die
Esplanade ; und kaum daß Knöspchcn an
den Bäumen hervorzustcchen beginnen,
fährt man in den Prater und auf das
kusthaus . . . . Die Kräutersuppen zum
Frühstük und zu Mittag , und das Trin¬
ken der mineralischen Wasser im Augar¬
ten , gehören unter die vorzüglichen
Pflichten beim Genuß des Frühlings.
Indessen rückt der Sommer an.
Die Bastei wird wieder leer : dafür be¬
sucht man die Gärten in den Vorstädten,
und macht Parthicn auf alle schönen
Plätze und Gegenden des benachbarten
Landes . .
. . Unter die besonderen
Spektakel des Sommers gehören Stu¬
wers Feuerwerke . . . . Für die Lecker¬
mäuler reifen schon mancherlei Früchte;
cs kommen die guten Krebse aus Un¬
garn ; auf den Epazierplätzen und in den
Kaffeehäusern werden sie mit Gefrornem
bedient . Dirß ist eine allgemeine Lieb¬
lings-
4

lingsnäscherei der Wiener, und noch mehr


der Wienerinnen. Man kann rechnen,
daß hier jährlich wenigstens für 20000
Gulden Gefrornes genossen wird.
Im Herbst, wo Pomona ihr Füll¬
horn im vollen Maß über Oestreich aus-
geußt , hat man die Wahl unter hundert
Arten von lachendem Obst upd erquicken¬
den Früchten . . . . Die KWeinlese auf
den benachbarten Anhöhen macht die vor¬
nehmste Ergötzlichkeit aus . . . . Die
Reichen und die Begüterten , welche auf
ihren Schlössern und Landhäusern in den
Provinzen den Sommer vertändelten,
kehren wieder in die Stadt zurück; und
ihnen folgen ganze Ladungen von Dros¬
seln, Schnepfen , Rebhühnern , Fasanen,
Hasen , Rehen , Hirschen rc. alles Beute
ihrer Jagden , mit denen sie ihr sommer¬
liches Landleben beschliessen. . . . . Die
Weine aus Istrien und Italien kommen
i«i den späteren Herbsttagen wieder frisch
in Wien an.
Mmm 5 Se.
4 ^4

Grsättkget von den Geschenken der


milderen Iahrszeiten , und des isolirte»
cherunrschwärmenS ausser der Stadt ge¬
nug habend , ist man endlich auch keines¬
wegs böse darüber , daß der Winter die
Zerstreuten wieder sammelt - Er ist be¬
kanntlich die Seele der Städöe . Die Er¬
findungen der Kunst gegen die Plage der
Langweile ersetzen nun die Freuden der Na¬
tur : man har Gesellschaften , Pikeniks , -
Spiel , Konzerte , Bälle , Schlittenfahrten,
Keduten ec. . . . Für die feinen Züugler
find die Seefische , die Fasanen , die Au¬
stern rc. das , wornach fie auf den Tafeln
am eifrigsten langen . So allgemein im
Sommer das Gefrorne gesucht wird,
eben so eifrig l *uft man im Winter den
Austern nach. Um Weihnachten , und im
Fasching , wenn die Witterung zum Trans¬
port dieses Produktes günstig ist , wer¬
den manchmal in einer Woche wohl über
L223 O Austern verspeist.
-iS
Welche von den vier Jahrszeiten die
angenehmste sey, darüber sind die Mey-
nungen sehr getheilt. Jede hat ihre
Vorzüge, und darum auch ihre Partisa¬
nen. Es geht damit wie mit den Wei¬
bern: man kann nicht eigentlich sagen,
welche die schönste sey. Meine Stimme
ist zu unbedeutend, als daß sie in einer
so wichtigen Sache von Gewicht seyn
könnte. Aber so lange das Schiksal will,
daß ich in Wien lebe, so lange zieh' ich
den Winter den übrigen Lheilen des
Jahrs vor.
yr6
<^L.xl.

Glükßkinver.

Der ehrliche Westphake Rantzide —


berühmten Andenkens — sagt im lezte»
Kapitel seiner erbaulichen Lebensgefchich-
te , man müsse feinen Garten fleißig ar¬
beiten ; denn nach dem Ausspruch der
Bibel habe Gott den Menschen deswegen
auf die Erde gesetzt , Ut operaretur esm,
daß er fle bauen sollte.
Denselben Bibelspruch prägen die
hochwürdigen Herren Landpfarrer und die
Männer der Pädagogik in der ganze«
Christenheit ihren Bauern und Zöglinge«
fleißig ein , und diese trachten auch, dem¬
selben nach Kräften zu erfüllen.
Allein , in den grossen Volk - und
Geld » reichen Hauptstädten räsonuirt man
an-
9t"

anders. Es gibt daselbst viele Leute,


welche fest glauben, es auch wohl öffent¬
lich behaupten, fie feyen bloß da, die
Freuden der Welt zu gemessen, sich wohl
feyn zu lassen, und hoch zu leben. Ein¬
trägliche Landgüter, reiche Erbschaften,
oder andere Wege, durch die ihnen das
blinde Glük ein grosses und sicheres Ein¬
kommen zugetheilt hat, machen ihnen
Muth, jene Sprache zu führen. Was
>anderen Leuten Fleiß , Nahrungssorge,
wirthschaftliche Sparsamkeit, Berufsar¬
beit, Studium , Amtsgeschäfte rc. sind,
das sind diesen, vom grossen Haufen be¬
neideten Geschöpfen einzig und allein, Ta¬
fel , Putz, Spiel , Lustparthien , Spek¬
takel, Reiten und Fahren, Schlaf, Mä¬
tressen rc.
Man begreift wohl , daß in Wien
nicht minder als in den übrigen Euro¬
päischen Hauptstädten, diese Spielar?
von Menschen beiderlei Geschlechts einhei¬
misch sry. Ein solcher Glüksvogel kriech?
nm
- !8

um ia Uhr aus den Federn , kcsotgt-


unter einem nahrhaften Frühsrück, dets
wichtige Geschäft seines Haarpntzes und
Anzuges ; stellt sich auf den Graben , um
zu sehen ob kein frisches Wildprett aus
Aphroditens Haynen angelangt ist ; geht
in ein Kaffeehaus , um sich durch die Be¬
wegung beim Billard mehr Eßlust zu
»erschaffen ; schmachtet und tändelt noch
an der Toilette von zwei oder drei Schö¬
nen ; schwelgt drei Stunden lang an ei¬
ner leckerhaften Tafel ; macht eine Spa¬
zierfahrt in den Prater , oder auf das
Land ; eilt in das Spektakel zurück; sou-
pirt in einem lustigen Kreis von lockeren
Brüdern und galanten Weibern ; » erschüft
sich nach dem Souper im trauten Kabi-
netchen eine angenehme Ermüdung ; tau¬
melt nach Mitternacht nach Hause ; schläft
bis Mittag ; und fängt dann dieselben
Beschäftigungen wieder von vorne an.
Zum Souvenir für diese liebenswür¬
dige Laugemchtsse rücke ich den Unterhal¬
tung »-
Lungskalender ein, welchen ihnen de»
hiesige Musen- Almanach lieferte:

Des Sonntags weid ich mich an un¬


fern schönen Hetzen;
Am Montag muß mich Kasperl« er¬
götzen.
Aw Dienstag lädt mich'- Deutsche
Schauspiel ein;
Am Mittwoch trag ich nur mein Ohe
hinein.
Zeigt sich am Donnerstag nicht Stu-
ver' s Kunst,
Sp gibt es wenigstens doch eine Feu-
«rsbrunsti
Am Zreirag kann ich früh die Ochfen-
theilung sehen:
Di« wechsl ' ich Abends dann mit As¬
semblern.
Mur Samstags, ach! ist meine Lust rr^
schöpft,
Seitdem man nicht mehr rädert,
hängt, rrnh köpft.
Y20

Wie doch das Schiksa ! mit den


Menschenkindern spielt ! Der größte
Theil hat kaum soviel , daß er sein Le¬
hen durchschleppen kann. Einige wenige
erwerben sich mit vieler Anstrengung erst
in einem solchen Alter etwas Vermögen,
wenn sie es nicht mehr geniesten kön¬
nen : und die Glükskindcr , denen das
Geld schon in der Wiege zufällt , die
handthieren gewöhnlich so toll damit,
daß sie mit dreißig Jahren bereits
stumpf , alles Genusses unfähig , und der
Welt öberdrüßig sind. Man mag ihnen
hundertmal in die Ohren schreien : —
Voluptates commeusat rarior ulur > Sie
hören nicht auf die goldene Regel , und
sterben an der Entkräftung.

LL.XH.
^ o 92!

ci,xli.

Schulen.-

Ein schlaueres Mittel , die Welt zn


beherrschen , hätten die Jesuiten nimmer¬
mehr ergreifen können , als jenes war,
daß sie allenthalben die öffentlichen Schu¬
len an sich risse» . Dadurch bildeten sie
nicht nur den jungen Nachwuchs der
Nationen nach ihren Absichten , sondern
gewannen auch Zutritt und Einfluß in
d . n Hausern aller Familien , die von ir¬
gend einer Wichtigkeit im Staate wa¬
ren . . . . Und welche Erziehung gaben
sie in ihren Schulen ! — Bei allen neu»
Musen ! es ist eine ihrer größten und
unverzeihlichsten Sünden , daß sie den
jungen Leuten 8 9 Jahre ' stahlen,
bis
weil sie ihnen nichts lehrten , als das ar¬
me Latein , mit dem sie die ersten 6
Nun 3ah«
92 k v -M— o

- Jahre ganz ansfüllten , welche sie doch


die Iluwamors nannten , die man aber
viel treffender die karlmriora hätte nen¬
nen sollen.
Es ist wahr , was ein gewisser
Schriftsteller sagt : hinter den Ruinen der
Jesuiten - Kollegien stand der Tag , im
pädagogischen Verstände . . . . Sobald
dieser Orden förmlich aufgehoben war,
stiftete Matt die Normal - Schulen , worin
junge Bürger fstc alle Stände nützliche
Kcnntniße erhalten ; und richtete die Uni¬
versitäten , Lyzäen, und Gymnasien oder
lateinischen Schulen auf einen weit brauch»
dareren Fu^ ein.
Neben der Universität hat Wien
noch drei Gymnasien; ^ dann das Theres
stanische Akademie- Haus ; das Löwen»
burgische Kollegium in der Iosefstadt
die Realhandlungs - Akademie; die Nor-
Malhaupt - Schule -weyHaupkschulen und
viele kleinere Schuley in der Stadt und
ln den Vorstädten.
Ix
N7!üWüü !-> 92Z
In der Normalhaupt - Schule wer-
den gelehrt : Lesen, Schreiben, Rechnen,
schriftliche Zinssätze
, deutsche Sprachlehre,
Religion , Sittenlehre , biblische Geschich¬
te, , Erklärung des Neuen Testaments,
lateinische Anfangsgrände , Geografie,
Naturgeschichte, Natnrlehre , Meßkunst>
Mechanik, Baukunst, Zeichnungskunst. .
. . In den Gymnasien werden einige die¬
ser Wissenschaftszweigeweiter fortgesezt,
und die Humaniora nach den Klassikern
der lateinischen und griechischen Sprache
gelehrt . . . . In der Theresianischeir
und der Löwenburgischen Akademie wird
nebst diesen auch in den ritterlichen Lei¬
besübungen, und fremden lebenden Spra»
chen Unterricht gegeben . . . . Die Re-
alhandlungs - Akademie ist für Jünglinge,
die sich dem Handelsstand widmen. Sie
lernen daselbst Rechenkunst, Geometrie,
Mathematik , deutschen Styl , Geografie,
Naturgeschichte, Privathandlungswissen¬
schaft, Handlungs - Geschichte , Handlungse>
Nnns rech-
Y24

rechte und Buchhaltung ,


Schönschreib¬
kunst, Zeichnungskunst , in Anwendung auf
Manufakturen und Fabrikwesen , franzö-
fische und italiänische Sprache.
Es war eine Zeit , wo derjenige
vom Galgen losgesprochcn wurde , der
zwei Zeilen lesen konnte ; und wo derjeni¬
ge des Priesterstandes würdig geschätzt
ward ,der einen Psalm singen konnte:
ein Umstand , der vom Monarchen bis
zum Taglöhner herunter manchmahl be¬
herziget zu werden verdiente , wenn eS
nicht so gewöhnlich wäre , dasjenige ge¬
ring zu schätzen ,
in dessen vollem Besitz
man zur Zeit eben ist.
Ich will , wie man von selbst erra-
thrt, keineswegs behaupten
, daß die
Oestreichischen Schulen ganz vollkommen
seyn ; aber die gallcvolle Beurtheilung,
welche vor einigen Jahren Herr Nicolai
durch den Abentheurer G — r darüber
schmieren ließ , hat ihnen in den Augen
ungeblendeter Ausländer nichts benom¬
men.
Y25

«en , wie man bei den häufigen Besuchen


derselben ganz deutlich siebt.
Die schon feit zehn Jahren in Böh¬
men eingerichteten Industrie - Schulen sind
sogar zu Mustern geworden , die man in
einigen Gegenden des protestantischen
Deutschlands erst seit ein paar Jahren
nachzuahmen angefangen hat.

cr.xm.

Versteigerungen.

Die Rede ist hier nicht von einer


Versteigerung von Philosophen , wie uns
der Spötter Lucian ein Muster davon
gegeben hat: auch würden die guten
Newtonianer , Leibnizianer , Doscovtchi-
aner , und selbst die neuesten Kantianer
wahrscheinlich wenigen Absatz beim gros¬
sen und kleinen Publikum finden , so groß
NnnZ auch
Y26 ü-ü-W - w

auch immer ihr innerlicher Werth sry»


mag.
Die Versteigerungen , anch Auctio-
„en und Licitationen genannt , sind in
Wien sehr häufig , und eine wirklich sehr
vortheilhaste Einrichtung für das Pu¬
blikum. Derjenige , welcher etwas nöthig
hat , das zur Haus - Einrichtung , zur
Bekleidung rc. gehört , kann sich' auf den
Versteigerungen alles um ziemlich leidliche
Preise anschaffen; und derjenige , welcher
gern seiner Sachen los wäre , kann sie
eben so leicht an den Meisibiethenden ab¬
setzen. Man versteigert Grundstücke,
Häuser , Gärten , Equipagen , Mobilien,
Kleider , Bücher, Gemählde , Weine,
kurz , alles was nur immer zu den Be¬
dürfnissen eines Städters gehören kann-
Wenn ein reicher Mann stirbt;
wenn ein verschwenderischer Sausewind
Bunkerst macht : dann geht es über
sein Hab und Gut los . Es gibt Leute,
über deren Fahrnisse hie Versteigerungen
drei
drei und vier Wochen dauern . Man er¬
staunt oft über die Ladungen von Haus-
gcräthe , die in manchem Herrschaftshau¬
se stecken ; denn «hemahls hatten die Ka¬
valiers gar seltene Launen in ihrem Auf¬
wand . Der bekannte Graf Czobor zum
Beispiel , der yebst seinen jährlichen gros¬
sen Einkünften ein Kapital von 8 Mil¬
lionen durchbrachte , ließ sich nie Eine
Wr , Ein Kleid , Ein Kanapee rc. > ma¬
chen , sondern allzeit ein Duzend ; bei
ihm mußte alles zu Duzenden gehen.
Es gibt Leute , die es sich zu ei¬
nem eigenen Zeitvertreib machen , bei al¬
len Versteigerungen gegenwärtig zu ftyn,
ohne etwas zu kaufen , sondern bloß aus
her Absicht , alle die zum Theil sonderba¬
ren Sachen zu sehen , welche bei diesen
Gelegenheiten hervpr kommen , theils u»
sich an den komischen Austritten zu belu¬
stigen , welche die Habsüchtigen , die
Mäkler , die Raritätegsammlcr re. da¬
her spielen ; wie sie einander necken,
Nnn 4 öder-
j- berbkethe« ,
zanken , und dann plözlich
ihren Gegner bevortheilen.
Die Trödler , oder, wie man sie hier
nennt , die TFndler , hatten eine Zeitlang
ein ordentliches Komplott in ihrer Gilbe
errichtet , um alles Gute auf den Verstei¬
gerungen den Privatleuten wegzukapern.
Eie bothen immer höhere Preise , ver¬
theilten de« Verlust , welcher daraus ent¬
stand , unter ihre ganze Zunft schreckten
dadurch die Partiküliers ab , mit zu bie-
thcn , und blieben also meistentheils Her¬
ren der Verlaffenschaften . Allein , die
Eintracht konnte bei den eigennüzigen
Filze « nicht lange bestehen : sie zerfielen
bald unter sich selbst.
So sehr auch uns Deutschen die
Versteigerungen eine unbedeutende All¬
tags - Anstalt scheinen : so gibt es doch
noch Länder , wo man diese Bequemlich¬
keit nicht kennt In Spanien muß der¬
jenige , welcher einige alte Stühle , Bet¬
ten , und Kleider loshaben will , Wochen
lang
Y2Y

lang dabei stzen , und mit jedem einzel¬


nen Käufer darüber handeln und mäckcln,
wobei er mehr an der Zeit verliert , als
manchmal der ganze Plunder werth ist.

CI . X1V.

Kabiuet der Antiken und Münzen.

Kein Fremder von Geschmack und


Kenntnissen soll Wien verlassen , ohne
dieses Kabinet ges . hen zu haben . Die
eingebornen Wiener bedürfen natürlicher
Weise meiner Erinnerung nicht , um die»
sem Schatz des Alterthckms , der Kunst,
und des Geschmacks , ihren Besuch zu
machen.
Ehemals war diese "ganze kostbare
Sammlung bcysammen . Im I . »774
aber wurden die Antiken von den moder-
Nnn 5 nen
«en Münzen getrennt , und sede Samm¬
lung der Aufsicht eines eignen Direktors
anvertraut ; doch so , daß beyde Kabinett
in demselben physischen Orte beysammen
find , auf dem sogenannten Augustiner¬
gang in der K. K . Burg.
Das Antiken - Kahinet besteht aus
der Sammlung l . geschnittener Steine,
H . antiker Medaillen.
Die erste zeichnet sich vor
anderen
ihres Gleichen durch die Größe und ge¬
schmackvolle Bearbeitung der antiken Ka¬
meen rühmlich aus . Selbst die mannig¬
faltigen Gattungen der Steine , derglei¬
chen unser Zeitalter nicht mehr liefert .,
erregen Bewunderung - Der grosse Ka¬
mee , worauf die Vergötterung des Au»
gustus , oder besser zu sagen , d rser Kai¬
ser mir seiner Familie vorgestellt ist , wird
von allen Kennern für das vollkommen¬
ste Stück in seiner Axt gehalten . Die
vornehmsten Stücke der ganzen Samm¬
lung wurden jm Ii , t/88 in einem be-
spn-, ^
93r

sonderen Werk in Folio herausgegeben *) .


In demselben geht die Nachricht von der
Entstehung und dem Zuwachse dieses
Kabinets , so viel man wissen kqnn,
voraus.
Die Sammlung der antiken Me¬
daillen, ist durch die Zahl , Auswahl und
Seltenheit der Stücke, nicht minder an-
sehlich. Die bekannten grossen Antiqua¬
re , Frölich und Khell gaben davon die
vornehmsten Stücke in einem prächtigen
Werke in Regalfolio heraus Nach¬
her wurde das schöne Kabinet der Jesui¬
ten in Wien , vom P . Gran .' lli gesam¬
melt , damit vereiniget , und bald darauf
die

*) Okoix öer pierrer xrsvöes (tu Oskine^


Imperial äes ^ nnHuer , reprelenresr eu
XL, plaackes (iöcriter L expli^u^es par
Xlr - Tckkei , OireAeur >ie ce Osbi-
uet . L Vienne 1788- Oker Lurrdeck.
?iumirmsts Oimelii l?-efarei Xsxii ^ vkriLc
ViaäodoneMir , ^ pis l 'kom» Irsttn»
»rsr-
YA2 «7-- HIN- o

die ganze Sammlung in zwei Foliobän-


den bekannt gemacht*) worin auch die
Geschichte dieser Sammlung von den äl¬
testen dis auf gegenwärtige Zeiten ent¬
halten ist.
Seitdem kamen, theils durch An¬
kauf, theils durch Verordnungen des jezt
regierenden Kaisers, noch hinzu die be¬
rühmten Sammlungen des Grafen von
Ariosti, des Prinzen Karl von Lothrin¬
gen , die von Ambras in Tyrol , von der
Windhagifchen Bibliothek allhier, nebst
verschiedenen kleineren, und eine beträcht¬
liche Zahl seltener Stücke, die Herr Ba¬
ron Herbert in Konstantinopel für das
hiesige Kabinet aufgekauft hat. . . . So
wie man bedacht ist, diese prächtig-
Sam-

Or>tsIo§u§ IVIulei OseI»rei Viadodonenlis


oumorui » Vererum . Oirpoluit L äelcrip-
Nt lotepkus I^ckkel , eiiiem muleo 0 « lareo
, pr - tektus. Vlnäodoo « , lumcibus I . k«
Lrsur , 177-,
933

Sammlung noch immer durch neue Zuflü¬


ße zu bereichern , so fährt man auch
fort , die neu hinzugekommenen noch un¬
bekannten und lehrreichen Stücke der ge¬
lehrten Welt bekannt zu machen . . . .
Die Aufficht darüber hat H . Abbe Eck¬
hel , welcher auch Professor der Numis¬
matik an der hiesigen Univerfität ist.

* *

Schon Ferdinand I . Maximilian Is.


und Rudolf H . sammelten viele moderne
Münzen und Medaillen . Aber Franz
ist der eigentliche Schöpfer der gegen¬
wärtigen Sammlung im Kaiserlichen Ka-
binet . Ihr gebührt unstreitig unter al¬
len Sammlungen Europens in diese«
Fache der erste Platz . Sie fängt mit
Karl dem Grossen an , umfaßet sowohl die
Kurrent - als Schau - Münzen aller Für¬
sten und Länder , und enthält wenigstens!
Z2000 Gold - und Silberstücke . Diese
An-
934

Anzahl wächst mit jedem Tage , weil bi«


Sammlung stets vermehrt wird.
Zwei ihrer wichtigste»» Bestandthei-
le , die Goldmünzen uud die Thaler , sind
in zwei Foliobänden in Kupfer gestochen,
und führen den Titel : H/o ?rnore§ en Or.
— ^ /onnore ^ en ^ ^ enr. Vom letzteren
Werk erschien im I . 1769 eine neue
Ausgabe ; zugleich mit derselben ein §a-
Fle'ment au t?ata/o §ue ckn en
Or ; und 1770 auch ein -5u^ /ement au
t?llta/o § ue cicr /l/ouuole ^ cn ^ r§cnt.
Die Exemplare beider Werke wurden nie
verkauft , sondern an auswärtige Höfe,
an Minister , und verschiedene Privat¬
männer , bloß als Geschenke vrrtheilt . .
. Die Aufsicht über die modernen Mün¬
zen hat Herr Neumann.
Dieses Kabinet der Antiken und
Münzen besitzt ferner eine sehr kostbare
und auserwählte Düchersammlung , wel¬
che alles enthält , w .s zur alten und
«eu-
treuen Numismatik . und zu den damit
verwandten Wissenschaften gehört.
Beide Abtheilungen des Kabinetö
stehn auswärtigen und einheimischen Stan-
drspersonen , Kennern , Gelehrten , Künst¬
lern , und überhaupt Leuten von Ge¬
schmack und Erziehung , täglich offen,
die Sonn - und Feiertags ausgenommen.
Man wendet sich vorher an den einen
oder anderen Direktor , oder an beide,
und versteht sich mit ihnen für jenen
Lag , wo man die Sammlung sehen will.

dXV.

Zerstreute Bemerkungen.

Die Kosten für Speise und Trank


machen hier bei einem unverheiratheken
Menschen ungefähr die Hälfte der jähr¬
lichen
YZ6 o^ W---o

sichen Ausgaben ; bei einer Familie vo»


niedrigen Stand , etwann das Drittel;
bei höheren Standen daS Fünftel oder
Sechstel.

Ein Privatmann lebt gegenwärtig


in Wien vollkommen ungenirt , und ohne
allen Zwang.

In den regulirken Gesellschaften


spricht man ntemal mit Offeuh rjigkeit,
nie von wichtigen Dingen . Man weiß,
daß die Wände Ohren haben ^ Nur ei»
neu angekommener Provinzialist , oder ei»
Mann , dem es an Weltkenntniß fehlt,
kann so etwas auf das Tapet .dringen,
«nd damit die Anwesenden in Verlegen-
heit fetzen. Die gewöhnlichen Stoffe der
Unterhaltung find : Zeitungen , Theater,
Moden,
YZ7

Moden, und mitunter ein bischen die


Aergerchronik der Stadt.

Die Künste werden in Wien ungleich


, unterstützt, alS
mehr geehrt, geschäzt
die Wissenschaften . Ein Mahler, ein
Bildhauer, ein Kupferstecher , ein Musi¬
ker rc. hat eine Art v«m Etat in der Ge¬
sellschaft; er hat unter dieser Benennung
allenthalben Achtung und Zutritt , beson»
ders bei den Grossen und Reichen . Ern
Mann hingegen, der sich nichts als Ge¬
lehrter , Autor- klömme äs L.etkres nen¬
nen kann, wird nur sehr zweideutig aus¬
genommen, und kaum spricht man sein
Prädikat ohne höhnische Mlene aus Dar¬
um hatte Wren schon seit lange viele
Künstler von Bedeutung, und kaum ein
paar lesbare Schriftsteller . Nun sind
zwar Gällerien, Kunstsammlungen , Opern
^c. ganz hübsche Sachen; aber sie be¬
schäftigen bloß die Einbildung, »nd klL-
Oöo ress
9- 8

rrn den Verstand nicht auf . Mitte » im


Schoß von eitel Kunstwerken kann ei»
Volk sehr benebelt bleiben , wie wir baS
Beispiel an Italien haben . Darum blieb
auch Wien , mit allen seinen schönen
Sachen , an Kenntnissen und Aufklärung
fo weit hinter Berlin , Hamburg , Braun,
schweig , Leipzig rc. selbst hinter den be¬
trächtlicher » SkäRen des katholischen
Deutschlands zurück. Schmidts Geschich¬
te der Deutschen , Mdntesquicu 's Esprit
des loix , Gibbon 's Geschichte von dem
Fall des römischen Reiches , sink für baS
Publikum mehr werth , als Raphaels Auf¬
erstehung , Titians Cupido , Rubens Teu»
felaustreibung und die Nacht des Cvrre-
gio ; mehr als die Kupfersammlungen
von Marc Antonio und Rembrand , und al¬
le Opera von Piccini , Paesiello und Mar¬
ti » .

Oie Gesellschaft der Soldaten und


»er Geistlichen sucht man in Wien eben
«icht
2' 939

nicht sehr. — Woher das wohl komme«


mag?

Bei den sogenannten grossen Ta¬


feln herrscht weder jene Heiterkeit , noch
Freiheit , noch Bequemlichkeit wie «He¬
dem. Man ist steif , zurückhaltend , voll
Komplimente , und trinkt Wasser , um
für einen Mann von feiner Lebensart z«
gelten.

Unsere Weiber und zarten Knabe»


seufzen und weinen so heftig für Jammer
und Unglük , welches sie auf dem Theater
sehen , daß ihnen für Noth und Elend
in der wirklichen Welt kein Gefühl und
Theilnehmung mehr übrig bleibt.

Man erzieht gegenwärt " die Kin¬


der um vieles vernünftiger als ehedem,
Ooos Man
Y4Q O- -W -- O

Man läßt sie viel Bewegung machen , ba¬


det sie kälter , kleidet sie ungezwungener.
. . . Die französischen und italiänischen
Hofmeister sind sehr selten . . . . Die
leidige Mode , alles spielend lehren zu
wollen, ist aus dem prvkestantisi en
Deutschland hieher gekommen , aber nicht
häufig befolgt worden.

Seit einiger Zeit werden die Cab¬


riolets Mode.

In den grossen Häusern setzt Man


sich m «t dem Degen zu Tische.

Wer di « Pariser Mod « nachahmk,


«nd , ohnj,in wirklicher Trauer zu seyn,
allenthalben mit dem Schwarzen Kleid
herum-
94k

herumläuft , der wird beim ersten Anblick


für einen armen Teufel erklärt.

Ehemahls war die Protektion all¬


mächtig und beinahe ganz offenbar . <Re
ist noch mächtig , aber feiner « nd verdeck¬
ter als ehemahs.

Man ficht häufig Weiber von 5»


Jahren und darüber , die fich roth und
weiß schminken . Einige thun es aus lä¬
cherlicher Eitelkeit ; viele aber aus Noth-
tvendigkeit : vie seit frühen Jahren an¬
gewöhnte Schminke hat sie so verunstal¬
tet , daß sie ungeschminkt ekelhaften Tod-
tenschädeln ähnlich sehen würden.

Zwei Dukaten für eine Spazierfahrt


ausgeben , greift dem Wiener nicht so sehr
O 0 0 z
,42 V^ W «—A

an das Herz , als für zc > Kreu ; er


«in Buch zu kaufen.

Wer Figur und Aufwand macht , fin¬


det jehnmahl eher Kredit , als der Mann
von bescheidnem Anjug und Lebenswandel.
Niemand fragt , mit welchem Gelbe er den
Aufwand macht.

Auf den öffentlichen Straffen find


die Wiener äufferst still. Es können hun¬
dert Menschen üb»r einen Plaj gehen,
und man hört beinahe nicht - als daS
Trabben der Füße.

Ausser den Personen vom regierende»


Hause , grüßt man auf der Straffe nur
seine Bekannte«

Am
« o 943

Im grossen Putz find die viel


Weiber
weniger , als
reitzend im NegUschre.

Mädchen aus allen Klassen werden


stets um einige Grade üppiger und kost¬
barer erzogen , als sich für den Stand
ziemt, worin sie geboren sind; und dieß
hilft eben nicht dazu, daß sie eher Män¬
ner bekommen.

Weiber und Mädchen , deren Män¬


ner und Väter etwas mehr sind als Hand¬
werksleute , nicht mit dem Titel: Ibro
Gnaden ! beehren, ist der sicherste Weg,
sich dieselben zu Feinden zu machen.

Bon den wichtigsten Dingen fhrtcht


man rtwann 8 Tage. Es ist Mangel
O»»4 «n
'? 44

an Lebensart , ohne besondere Veranlas¬


sung, Vorfälle aufzuwärmen , die vor rd
Lagen sich ereigneter
».

Einen neu angekommenen Mann


aus der Provinz unterscheidet man so¬
gleich. Sein Gang, seine Stellung, sei¬
ne Kleidung, seine Manieren verrathen
ihn unverzüglich.

Ehemahls intereffirte man sich en¬


thusiastischum den Hof und was dazn
gehörte
. Seitdem dieser dem Publikum
die Vortheile seines Aufwandes entzo¬
gen hat, ist man sehr gleichgültig dage-
-en.

Nichts
V7- M - -0 248

Nichts gemeineres, als plötzlich ge¬


«« zwischen
stiftete sogenannte Freundschaft
sehr heterogenen Weibern, oder eben
solchen Männern- Eie dauern aber auch
nur drei Wochen.

r^ xvi. ?

Das Alte und Neue Wie «.

Wien hat sich seit zehn, und noch


mehr seit zwanzig Jahren , gewaltig ge¬
ändert. Diese Umstaltung betrifft so¬
wohl den physischen als moralischen Zu¬
stand, sowohl die Stadt selbst, als ihre
Bewohner. Grösse, Bauart , Sitten,
Denkart , Vergnügungen, Lebensart,
Kleidung, Erziehung, Sprache, Reli¬
gion/ Verdienst, Aufwand rc. Alles hat
Ooo § grwis-
946

gewisse Umrisse und Schattirunge »/erhal¬


te « , die es ehedem nicht hatte . Der
Wiener von 1790 fleht dem Wiener von
,770 , selbst dem v,n 1780 nicht mehr
ganz ähnlich.

Man müßte sehr parteilich für


fein Zeitalter eingenommen seyn , wen«
man behaupten wollte , daß diese Ver¬
änderungen alle auch wirkliche Verbesse¬
rungen scycn . . . .

— — kroxenism negaioren » —

hat schon vor anderthalb tausend Jah¬


ren Horaz den Römern angekündiget;
und wenn auf die Klagen der Morali¬
sten und andächtigen alten Matronen zu
bauen wäre , so verschlimmerte sich die
arge Welt von Tag zu Tage mehr.

Ein hiesiger Schriftsteller , den das


Publikum schon als einen treffenden Mah¬
ler
947

ker und rinfichtsvollen Richter kennt , hat


vor einiger Zeit mit seiner gewöhnliche»
Freimüthigkeit eine Parallele zwischen dem
Akten und Neuen Wien gezogen ; und
da ich , wie billig , seinem Auge mehr
Schärfe zutraue , als dem meinigen , s»
kopire ich einige Züge seines Gewähltes
wörtlich , und überlasse es jedem der in
Wien lebt , oder dahin kommt , die Ab¬
bildung mit der Narur zu vergleichen,
und dann fein Ja oder Nein darauf zu
sagen.

Das
-48 M -?cr
Das Alte Wien.'

Häuser im Gothischen Geschmack.


aber dauerhaft, und die Zimmer geräu¬
mig. Die Pallaste und öffentlichen Ge¬
bäudeln reinem italräntschen Styl , und
majestätisch.

Vaterlandsliebe und Freyheitsge-


fühl, das öfters ausschweifte, und in
kleine Unruhen ausartete. Trunkene Freu¬
de bey Festen, Beylagern und Kriegs-
jügen.

Jünglinge — unerfahren im Spiele


der kicbe; — späte Väter , und Greise
voll Iugrndkraft,

Mät-
949

Das Neue Wien.

Häuser in modernerem Geschmack —


aber von Papier , baufällig , indem sse
gebaut werden . Die Zimmer klein und
niedrig ; eher Käfige für Vögel , alS
Wohnungen für Menschen . Die Palläste
und Lustschlösser- Bastarden der gesun¬
kenen französischen und italiänischen Ar¬
chitektur . Die öffentlichen Gebäude in
verdorbenem Geschmack und kindisches
Styl.

Ein sehr ruhiges Volk — aber oh¬


ne Patriotismus und Herz . Kälte bei
Krieg und Frieden , Sieg oder Verlust —
und einschlummernd bei öffentlichen Freu »-
d, » festen.

Jünglinge — ausgelernk in Amors


Schule — Väter mit achtzehn und Grei¬
se mit dreißig Jahren.

Aür-
Das Alte Wien.

Mütter — Mrthschaftlich , treu,


Eelbststillerinnen ihrer Kinder — etwa-
abergläubisch aber fromm.

Deutsches redliches Wesen — ei«


Handschlag statt aller Verschreibung —
das Bürgerwork heilig , und durchaus
Herjensgüte.

lebensmtttel — wohlfeil , und Geld


genug.

Das Geld ' durch alle Klaffen der


Bürger verrheilt.

Der Adel — groß , freigebig , und


doch reich.

Ein
9Sr
Das Neue Wie «.

Mütter — Spielerinntn , voll Ga»


kanterie, ihre Kleinen feilen SäugammeN
Merlassend— Freigeisterinnen ohneGrund»
sätze, oder Andächtlerinnen und dabrr
eben so abergläubisch.

Politik und Verstellung— Hand¬


schrift, Siegel, Wechselbrief, Verschrei¬
bung der Seele und Seligkeit — kaum
der Kavalierparole mehr ja trauen, und
durchaus Egoismus.

kebensmiktel— täglich thenrer —


«nd Mangel an Geld.

Das Geld größtentheils im Säckel


des Staat - , uud in den Händen der
Geldjuden.
Der Adel— ökonomisch , oft karg,
und doch größtentheils mit Schulden go»
drückt.
-V

YZL

Das A!te Wierr.


Versorgte Arme ohne ein Arme» - In-
stikut.'

Wemg Taktik— uvd viel gute Ge¬


nerale.

Diel verwirrte Köpfe Horch Räusche.

Die Stimme der Wahrheit ungera


gehört, ood bestraft.

Reiche Bürger — fioh, Bürger zo


fcya, vad ohue Abelfacht.

Plavberhaftkgkeit ia de» wichtigsten


Vtaarsfachnu

Spione» — ra Kriegsjeilen und'


Hege» de» Feiad.

Schlecht
dsr
Das Neue Wien.
Ern Armen- Institut — und keine«
wahrhaft versorgte Armen.

Diel Taktik — und weniger grosse


Anführer.

Eben soviel verwirrte Köpfe ohne


Rausch.
Die Stimme der Wahrheit zum
Schein gern gehört — aber nicht be¬
folgt.

Eine Menge geadelter Bürger, und


nicht immer reiche gnädige Herren.

Ein lächerliches Geheimthun in de«


unbedeutendsten Dingen.

Spionen — in Friebenszeiten, ge¬


gen Staatsdiener und Uaterthaneu.

Pp» Gute
SZ4
DaS Alte Wien.

Schlechte Polizey — und doch schö^


«es grosses Brod.

Belohnung nach Verdiesten.


Träger Gang der Geschäfte — Un¬
gerechtigkeiten — oft Hemmung des Gu¬
ten , durch Dlutsverwandschaft und j«
brüderliches Einverständniß der Stellen.

Der Staatskörper — krank durch


Verstopfungen.
Begnadigen - '- ein angenehmes Vor¬
recht der Grossen.
Heerstraffen auf Kosten des Staats
unterhalten — und vortrefflich.
Patrioten — die im Krieg dem Lan-
drsfürsten ihr halbes Vermögen Hinga¬
ben.

Die Juden verfolgt und verachtet,


wider Billigkeit und christliche Lieb«.
Wiens
9LS

Das 'Treue Wien.


Gute Polizep — und doch Brok»
Mangel und doch erlaubte Mehlverschwen¬
dung in Mandvletti , schädlichem Bakwerk,
Haarpuder.
Belohnung nach den Dienstjahren.
Gangerschwerung — Hemmung dr¬
äuten — oft Unbilligkeiten , durch Mi߬
trauen --- Subocdiiiirungssucht — Ab¬
neigung , und wechselseitige Schikane ei¬
niger Stellen.
Der Staatskörper — kränkelnd durch

zu häufiges Purgiren.
Strenge Gerechtigkeit.

Heerstrassen in Pachtung gegeben —


und elend.
Patrioten — die ihre Kapitalien noch
vor Krieges - Ausbruch aus dem öffentli¬
chen Fond zurück verlangen.
Die Juden — begünstiget — und

Wgnchmahl den Christen » orgczogen.


PppL Wiens
YZ6
Das Alte Wien.

Wiens Bürger frei — ihre Nahmen


ehrwürdig — ihre Söhne bestimmt zu
Künsten und Wissenschaften.

Hofnarren — die einzigen Hofora¬


kel , aus deren Munde noch Wahrheit
ging — gefürchtet von Höflingen.

Diebe und Mörder — gehenkt,


gerädert , geköpft , und also Todesstrafe.

kottofpiel — durch italiänische Kunst¬


griffe ins Land geschlichen — aber nur in
Pacht gegeben , und für Pest erkannt
vom wahre « Staatsmann.

Dat
X
457

Das Neue Wien.

Wiens Bürger beschränkt — Pfu¬


scher und Bürger gleich bedeutende Nah¬
men — ihre Söhne bestimmt zu — Hel¬
den.

Noch immer Hofnarren — nur oh¬


ne sichtbare Schellenkappe — aber nicht
mehr ein Mund der Wahrheit — son¬
dern Orakel der Lüge und Schmeichelei.

Die Todesstrafe aufgehoben — Die¬


be und Mörder nur geprügelt , oder

»erurtheilt zum langsamen Schiffjiehertod.

Lottospiek nun für eigne Rechnung


des Staats fortgesezt — vom ächten Pa¬
trioten noch immer für kandesplage ge¬
halten ; aber geschützt von Plusmachern,
und angesehen für «ine gesunde Quelle
der Staatseinkünfte.

Ppp 3 Das
YZS

Das Alte Wie » .

Das Gesetzbuch— ei» wassersüchti¬


ges , dickbäuchiges Monstrum.

Die Äöpfe versteuert und verschicke


d4t — und überhaupt Steuer auf Sten-

„ Jede-
-o9
Das Neue Wien.

Das Gesetzbuch — bei seinem Ent¬


, durch
stehen ein niedliches kleines Ding
Abände¬
»en Berg von Nachträgen und
Jahre » ,
rungen aber überfüttert , mit den
«in eben so dikleibiges Monstrum.

nicht mehr versteuert ; -


Die Köpfe

die Füffe aber an den vaterländische»


und statt
Boden auf immer angefesselt *) ;
nur Accise und
der übrigen Steuer
Stempel.

Ppp 4 „ Jedes

*) Durch das Auswandcrungspatent.


-6»
„ Jedes Ding
hat zwo Seiten „ —
sagt unser Autor im Vorbericht zu seiner
sogenannten Fastenpredigt — „ es könn-
„ te also wohl geschehen seyn , daß ich
„ das Neue Wien zufälliger Weise von
„ der übel » Seite angesehen hätte —
„ Vielleicht war es auch etwas mehr als
„ blosser Zufall . Allein , das darf Euch
„ wenig kümmern : ich sag ja nur , wie
„ mir das Neue Wien von seiner übel»
„ Seite vorkommt , und stell es übrigens
„ jedem frei , für dieses nicht sehr schmei-
„ chelhafte Gemählde , im Anblik der
„ Schonen Seite nach Belieben sich zn
„ entschädigen . „

Mir , als gewissenhaftem Mahler


war es Pflicht , am ävssersten Rande mei¬
ner Skizze den Schatten zum Bilde nicht
ganz zu vergessen ; und da ich dieses mit
dem P .nsel eines anderen , eines eingebor-
nen Wieners thun ^ nnte , so fällt der
Verdacht der Partheilichkeit von selbst
weg.
o - üW ---» <y6i

weg . Auch seh ich jedes Ding lieber von


der schönen als von der häßlichen Seite
an , und tauge darum gar nicht zum
Schattenmahler.

, Topographier§.
Geschichte

Die Geschichte der Stadt Wien muß


uns natürlicher Weise interessanter seyn,
als z. E . die Geschichte der Assyrischen
Monarchie , der Aegyptischen Dynastien rc.
Dem ungeachtet wissen die jungen Wiener
gewöhnlich mehr von diesen , als von den
Schiksalen ihrer lieben Vaterstadt . Auch
war es bisher nicht leicht , ihnen dieselbe
zu lehren , denn es fehlte an einem da¬
zu tauglichen Buch . Die Historiographen
ppp 5 der.
y6r

der Kaiserfiabt waren bloß ein paar Mön¬


che , und ihre Werke so , wie man eS
aus solchen Händen erwarten mußte : daS
heißt , ohne Geschmack, ohne Styl , oh¬
ne kritische Auswahl , ein pedantisches
Gemengsel von wahren , halbwahren und
falschen Datis , mit unerträglicher Weit¬
schweifigkeit aufgetifcht.

Ziu verflossenen Jahre erhielt endlich


Wien eine unser - Zeitalters würdige Ge¬
schichte. Baron v . Prandau , der im hi¬
storischen Fan e eine Bibliothek gesammelt
hat , wie sie wohl kein Privatmann in
der Monarchie besitzt , machte den schätz'
bare » Gebrauch davon , eine Geschichte
von Wien ju schreiben *) . Man sieht be»
Durch-

Kriti che Geschichte Wien « , in genauer


Verbindung mit der Geschichte des Landes
Oberpannonien, worin «S lag. Vom Jah¬
re n. Th acht, bis »um Tode Karls de«
Grossen Don Franz Freyherrn von Praa-
-au . Wien de» ÄrauS. 17«- .
96z

Durchlesung dieses Buchs , daß der Ver¬


fasser dasjenige besitzt , was zu einem
rechtlichen Geschichtschreiber gehört : Be¬
lesenheit , Fleiß , Styl , Auswahl . Es

ist zu wünschen , das er sein Werk bis


auf unsere Zeiten fortsetze.

Kaum war dieses Buch erschienen —


Ucee irerum (^rilpinas ! — Es gibt Le»'
te hier , welche zu glauben scheinen , die
litterarische Bahn scy nicht breit genug,
daß mehrere Schriftsteller auf demselben
Wege wandeln ; welche das ausschlieffende
Recht haben wollen , allein über gewisse
Gegenstände zu sprechen , und zu schimpfen
anfangen , wenn jemand andrer über eben
diese Sache schreibt . Nachdem ich diese
Erfahrung an mir selbst empfunden , seh'
ich sie neuerdings an V . Prandau bestä¬
tiget . H . v . Geusau , der dem Publikum
schon vor Jahren einen Beweis seiner Ge-
> schmacklostgkeit gegeben hat , da er ein

Buch mit dem pöbelhaften Titel : Der


hrm-
964

hungrige Gelehrte , schrieb, gab nur»


ebenfalls eine Geschichte von Wien heraus,
und fiel ungereizt und unbeleidiget feinen
Vorgänger über ein paar streitige Stellen
mit jener ungezogene»rxSprachr an , die
sonst nur verächtlichen Rezensenten eigen
ist. . . . In jenen dunkeln Zeiten gibt
«s in der Geschichte ohnehin nichts so
Entschiedenes das nicht bestritten werden
könnte, und die Jenaische Litteraturzri-
tung hat ( l^ro. 256 ) ein so rühmliches
Urtheil über das Buch des B. P . gefällt,
daß er dadurch der Mühe überhoben ist,
dem H. v. G . zu antworten , der fich so¬
gar noch herausnimmt , seinen Gegner hie
und da auszuschreiben, welche litterari-
sche Diebesgriffe er auch gegen die Oc-»
streichische Geschichte des H. v. Cautz ge-
than hat , aus welcher er ganze Seiten
stahl . . . . Sollte ein Reichsritter nicht
wisse« , daß dasKopiren alter Steinschrif-s
ten kein Recht gibt , geschmacklos, un«
höflich und ein Plagiarius zu seyn? So
scheint
-65
verspricht
scheint es . . . . H . » . Geusau
zwar , seinen Vorgänger Fuhrmann zu
aber,
übertreffen ; das Publikum behauptet
er schreibe auch so ziemlich im Fuhrmann-
Ton,

* *

kine Topographie von jener Voll¬


auch noch
kommenheit hat Wien bisher
nicht , wie es dieselbe feiner Wichtigkeit
nach verdiente . Zuhrmann » und weis-
find
kerns Defchreibnngen dieser Stadt
Wiens ge¬
nur eine schwache Aushülfe .
de Luc,
genwärtiger Zustand , 1787 , von
Handbuch
ca , und das geographische
*) von eben
vom Mestreichifchen Staate
brauch¬
diesem Verfasser , find neuer und
topogra¬
barer . Im geographischen und
Staaten
phischen Reisebuch durch aste
-er

Wien »ei Kraus. »7«».


^66

der Oestrerchischen Monarchie *) . steht


»orauö eene kurze aber genaue und beleh¬
rende Leschreebung von Wien.

Als Plan ist zum Handgebrauch der


bequemste und richtigste : „ Grundriß der
„ K . K . Residenzstadt Wien mit allen
„ Vorstädten und der umliegenden Gegend'
„ A. 178z gezeichnet und gestochen von
„ Max . Grimm . „

Die Kunsthandlung Slrtaria n . Komp,


hat auf Zo Blattern die Prospekte von
den merkwürdigsten Gegenden , Plätzen,
Aussichten rc. in und um Wien geliefert.

lUXVlLl.

*) Wien bei Geister n. 'Koni», es«- .


967

Gegend um Wien.

Schon im ersten Heft habe ich an«

gemerkt , daß die Gegend um Wien schön


und angenehm ist- Indessen hat es nicht
so viele und prächtige Schlösser in seiner
Nachbarfchafr , als man bcy einer solchen
Hauptstadt erwarten sollte , und als man¬
che Residenzstadt viel kleinerer Staaten
in ihrem Horizont aufweisen sann . '

Die Ursache davon ist folgende : die


grossen und reichen Vasallen der östreichi-
schen Monarchie besitzen in den Provinzen,
besonders in Ungarn , Böhmen , Mähren
-c . ihre einträglichen Herrschaften , auf
Denen sie prächtige Schlösser und Gärten
haben , wo sie die Sommermonate verle¬
ben . Darum wenden sie keine Kosten
-68
an , sich in der Nahe von Wie» neue
Landhäuser herzustellen.

De« ersten Platz verdient Schön¬


brunn, welches der gewöhnliche Sommer-
Aufenthalt Marien Theresiens war, von
dem jezigen Kaiser aber noch niemahls ist
bewohnt worden. Das Schloß ist ziem¬
lich prächtig, aber in etwas »erkünstel¬
tem Geschmack angelegt. Der Garten
steht das ganze Jahr für jedermann of¬
fen. Wenn es auf meine Auswahl an¬
käme, so würde ich ihn allen übrigen'
Gärten Wiens vorziehn. Er hat sehr
angenehme Parthirn , prächtige Schatten-
zänge, schöne Marmorstatuen, Obeliske,
Ruinen, Wasserkünste , eine Menagerie,
deren wichtigstes Stück der Elefant war,
welcher im Oktober 1784 an einer Hals¬
entzündung starb, und seitdem durch kei¬
nen anderen ersetzt wurde . . . . I»
dem Treibhause steht man viele und merk¬
würdige ausländische Gewächse.
De«
H6-

Dem Hinteren Theil des Schloßes


gegenüber , auf der Anhöhe , steht eine
Kolonnade , mit einer Sula terrena,
ringsum mit militärischen Trophäen in

kolossalischer Grösse , verziert . Auf der


Terrasse vor dieser Kolonnade und auS

der Gala terrena , hat man eine reizvol¬


le Ausficht vorwärts auf einen Theil von
Wien und die benachbarte Gegend»
rückwärts über Hetzendorf gegen das klei^

ue Grbürg von Bades.

» *
«

Laxenburg liegt drei Stunden von


der Stadt . Die beiden Wege von Schön¬
brunn find von der Stadt dahin sind mit
einer Allee von wilden Kastanicnbäumen

besetzt . Da der Hof noch mit Pracht


lebte , war der Ort ziemlich glänzend und
bevölkert . Das kaiserliche Schloß ist

ganz fimvel angelegt , daneben find Gär¬


ten und ein sehr grosser angenehmer unb
Q qq M
-7v
gut unterhaltener Park . Im Frählin-
lebt der Hot gewöhnlich einige Zeit da¬
selbst , und genießt das Vergnügen der
Reigerbeitze . Auch war schon seit vielen
Jahren in Friedenszeiten im Monat Au¬
gust allster dem Park von Laxenburg , bei
dem Dorfe Minkendorf immer ein Lager
»on r r bis 14220
Mann , welches eini¬
ge Tage lang in der umliegenden Gegend

feine Manoeuvr ^s machte.

Das kaiserliche Lustschloß Hetzendorf


ist von weniger Bedeutung , und wrrd
auch höchst selten besucht.

* *

Unter den Privat Landhäusern sind


Dornbach , Schloß und Park des Grafen
Lascy ; Erda , Schloß und Garten des
Fürsten Stahremberg ; das Landhaus des
Grafen Cobenzel auf dem Abhang des
Kahlenbergs ; und das Landhaus des
Für-
o- W ^ O 97r

Fürsten Galitzin , die merkwürdigsten . Die


bei diesen Landhäusern angelegten Park<
und Gärten sind in dem heutigen Eng¬
lischen Geschmack , mit Grotten , Pavil¬
lons , Wasserfällen , fremden Vögeln,
Fischen ec. Um sie ohne Umstände besehen
zu können , muß man aus den Häuser»
ihrer Besitzer die Erlaubniß mitbringen.

Laßt uns endlich des Rahlenber-


xe » vergessen , der eine Stunde
nicht
ober der Stadt dicht an der Donau sei¬
nen Röcken empor hebt , und sich von da
bis gegen das slldriatische Meer hinziehk.
Er gewährt der Stadt einen der schön¬
sten Prospekte : seme zwei höchsten gegen
die Donau zu liegenden Spitzen sind mit
Gebäuden gekrönt . ^ !ie äußerste nennt
man den Leopoldsberg , und auf diesem
steht eine Kirche . Die innere Spitze
nennt man in Wien den Kahlenberg.
Hier steht das aufgehobene Kamaldulen-
ser Kloster , welches nun an Privatleute
iQq q » » er-
97K 0 - V ---0

verkauft und vermiethet ist. Man hat


auf diesem Berge eine weite und herr¬
liche Aussicht über einen grossen Theil
von Oestreich, Ungarn, Mähren , und
in die Skeptischen Gebürgt. Im Som¬
mer ziehn manchmahl ganze Karavanen
aus Wien auf den Kahlenberg, wo sie
ein paar Tage die Landluft geniesten.

O .XlX.

Schluß.

Ich lege nun die Feder nieder. Bil¬


lige Leser werden meine Absicht schon
beim Anfang dieser Schrift errathen ha¬
ben: ich wollte weder eine trockne, ängst¬
lich genaue Topographie, noch ein voll¬
ständig ausgearbeitetes Gemählde der
«riß-
97Z

größten , und an Volk und Geld reich¬


sten Stadt Deutschlands liefern . So
schiefes , albernes , gehäßiges Zeug ist
meines Wissens in diesem Jahrhundert
über keine Stadt geschrieben worden,
als über Wien . Ich gönne denjenigen
ihre Freude von Herzen , die sich gewal¬
tig damit kitzeln , wenn sie in irgend ei¬
nem Journal oder einer seyn sollenden
Reisebeschreibung den Wienern eine ver¬
meintliche Klette anhängen können . Ui-
ber die Ursachen dieses Benehmens ist
weiter kein Wort zu verlieren ; für den,
der Augen hat zu sehen , liegen sie offen¬
bar genug da.

Ausser ein paar mangelhaften Be¬


schreibungen existirte bis jezt noch kein
Buch , aus dem das unpartheiliche Deutsche
Publikum eine philosophisch - moralische
Uibersicht von Wien hätte schöpfen kön¬
nen . Gegenwärtige Skizze ist weder voll-
QqqZ stän-
-74

ständig, noch vollkommen : so was zu lie¬


fern , ist über meine Kräfte . Meine«
Nachfolger sey dieses Verdienst Vorbe¬
halten/

§o»-
Larminati ' s therapeutische Abhind»
tun gen aus dem Lat. lter Band,
gr . 8 - Wien 1789 . »8gr- . oder l,
fl. 8. kr.
Haquets Or^ ktogrspdia «srniolica , oder
physikalische Erdbeschreibung des Her¬
zogthums Krain , Istrien , und zum
Theil der benachbarten Länder 4ter,
oder letzter Theil mit Kupf. gr. 4-
1789 - r . Rthlr . t6 ggr. oder s . fl. za.
kr. alle 4 Theile l l . fl.
Vtlüxkelii (^ ngelberti) Inüitutiones Ikeo-
logi» Oogmatic« , sä u5um suäila.
rum , T'omi II . 8- maj. s Rthlr . 12-
ggr. oder z . fl. 4Z kr.
Deluccs geographisches Handbuch von
den östretchischen Staaten iter . Band
8 . Wien 1792 . 14 ggr. oder Zi . kr.
Niklas Zrint , oder die Belagerung von
Stgekh , ein historisches Trauerspiel
tu z Aufzügen von Fr . Aug. Cle¬
mens Werthes 8. Wien 1792 5 ggr.
»der so kr.
Prandau 's ( Fr . Freyherrn von ) kritische
Geschichte Wiens in genauer Verbin¬
dung mit der Geschichte des Landes
Ober - Pannonien , worin es lag,
vom Jahre n . >Ehr. acht bis zum
Tode Karls des Groffsen , nebst
einem Abrisse der Ursachen welche
die römischen Provinzen den Einfällen
der Barbaren Preiß gaben ,
lter Theil
mit einer Landkarte gr. 8 - Wien 1789
12 ggr . oder 45 kr.

Scheinet ! (I . ) Abhandlung über di«


Schiffbarmachung ! der Ströme mit
14 Kupfertafeln gr . 8 . Wien 1789-
i Rthlr . 8 ggr . oder 2 fl.

Schilderungen aus Urschriften unserer


Voreltern , gr . 8 . Jnsbruck 1789 12
ggr . oder 45 kr.

Wasserbergs ( F . A- v. ) chemische Ab-


. Handlung vom Schwefel 8 Wien 1787.
20 ggr « ober i fl. 15 kr.

Inhalt.

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