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l.xxxv.
Die Donau.

König der europäischen Flüsse,


den man in Doneschingen mit Einem Schritt
überschreiten kann, und der bei Semlin
Schiffe mit dreißig Kanonen trägt, bringt
den östreichischen Staaten überhaupt , und
der Hauptstadt Wien insbesondere , unbe¬
schreibliche Dortheile zu . Er hat, nebst
dem Hof, vorzüglich den Ungeheuern Wachs¬
thum dieser Stadt veranlaßt , und er wird
stets die mächtigste Ursache sein, daßW>en
die Residenz der östreichischen Monarchen
bleibe.
468

Es kommen auf der Donau jährlich


ungefähr dritthalbtausend Fahrzeuge in
Wien an. Die größten davon führen ge¬
gen Vierthalbtausend Zentner . Von da
steige« sie bis zum kleinen Kähnchen hin¬
unter , das einen Bauernpurschen mit ei¬
nigen Mczen Obst führt . Don allen die¬
sen Fahrzeugen geht keines wieder zurük;
sie werden entweder in Wien zerschlagen,
um das Holz davon zu verarbeiten , zu
- verbauen , zu verbrennen ; oder sie gehn
noch weiter in die ungarischen Provinzen
hinunter ^ Dieß ist auch die Ursache, rva,
rum man die. Donauschiffe nicht dauerhaf¬
ter baut.
^ . «
D >e Ladungen dieser Schiffe bestehen
aus asten ^nur möglich gedenkbaren Din¬
gen : Obst , Dich , Salz, -Baumaterialien,
Lebensmittel , Kaufmannswaaren , Weine,
Gemüse , Holz , re. rc» rc. und endlich
aus jener kostbaren , jener allbrauchbaren,
jener Lieblingswaare der heutigen Könige,
jener Waare aller Waaren , aus Menschen.
Ohne
Ohne von dem Vortheil bel gewöhnlichen
Rekrutentransporten von den Werbeplä-
zen des H . R . Reichs nach ' Oestreich , oder
von andern schleunig nöthigen Truppen¬
transporten ja sprechen , führt dieser Fluß
noch andere Mcnschengattungen häufig in
den Schoß der Kaiserstaaten.
" Der junge , gesunde , rüstige Hand-
werkspursche , welcher zum erstenmale sei¬
nen Wanderbündel auf den Rüken nimmt,
und die weite Welt versuchen will , sieht
in Ulm , Donauwerth , Augsburg , Re¬
gensburg , München , Paffau rc. die Schif¬
fe und Flösse bereit stehen , welche ihm
seine Reise um eine Rleinigkeir unendlich
erleichtern ^ Cr wirft seinen Bündel auf
das Schiff , trinkt sich von seinen Mutq
terpfenningen frohen Muth jur Reife,
und stoßt vom Ufer . Die Fahrt ist höchst
angenehm und leicht.
Er kommt immer tiefer und tiefer in
die Kaiserstaateu Hinein , und statt der
Mühe , den unter Wein und Gesang auf
Gg Z dem
47o
dem sanften Rüken des Flusses gemachten
Weg zu Fuß wieder aufwärts zu klimmen,
sucht er sein Unterkommen irgendwo in
Oestreich , Ungarn rc. zu finden , macht
sich dort anfäßig , und pflanzt eine neue
Familie an
Die Donau hat bereits jene hundert-
tausende von Kolonisten aus dem deut¬
schen Reich , aus Lothringen , Schweiz
und Elsaß , hieher geführt , welche in Un¬
garn , im Temeswarer Banat , feit zehn
Jahren auch in Gallizien und Lodomerien,
in tausend Dörfern deutschen Fleiß , deut¬
sche Sitten und Sprache , und deutsche
Zeugungskraft verbreiten . Noch dauern
diese Einwanderungen fort , und werden
so lange dauern , als Deutschland in hun¬
dert kleine Staaten zerstükt ist , so lange
Gneralpächter das benachbarte Frankreich
aussaugen.
Der Fluß theilt sich gerade bei der Stadt
in viele grössere und kleinere Aerme , welche
angenehme , mit Bäumen , Buschwerk und
Gras
47 »
Gras bewachsene Inseln bilden , und die
Gegend nm Wien verschönern.
Alle diese Vortheile verbittert er aber
durch eine sehr wesentliche Ungemächltch-
keit . Wenn : der Winter etwas strenge
Ist , so frieren alle diese Aerme zu , und ^
beim Aufthauen im Frühling , wenn
das von oben herunter ströhmende Was¬
ser plözlich auf die unbeweglichen Ets-
maffen treibt , muß es austreten , und
überschwemmt die am Ufer liegenden Vor¬
städte , reißt Brüken und Dämme ein,
sperrt die Kommunikazion aus Böhmen,
und Mähren , und thut selbst der Stadt
Schaden . Eben dieß geschieht , wenn auf
den tyrolischen und salzburgischen Gebir¬
gen zu Anfang des Sommers der Schnee
gähe und häufig schmilzt , und durch den
Lech, Jser , Salza , Inn , der Donau zu
viel Gewässer zuführt . So hatte die Lco-
poldstadt vor zwei Jahren in einem einzi¬
gen Sommer vier Uiberfchwemmungen.

Gg 4 Lange
4/L
Lange arbeitet man schon Lurch theo¬
retische Spekulazionen und praktische. Ver¬
suche, an dem Prosekt, die DoNau auf¬
wärts zu schiffen . Emiger vortheilhaften
Unternehmungen im Kleinen ungeachtet,
wird es im Grossen schwerlich gelingen,
und dieß nicht darum , als ob es den An¬
wohnern der Donau an Kenntnissen, oder
Fleiß bei dieser Sache fehlte, sondern weil
es beinahe phisisch unmöglich bleibt. Der
Abfall des Flußes ist zu stark, als daß
Wind oder mechanische Kräfte ihn je über¬
wältigen könnten. Bloß vom Kahlenberg
bis an die Stadt beträgt der Abfall schon
i Fuß. Durch Ungarn hinunter ist e-
noch ungleich stärker , und ströhmt eben
dadurch reissender . Von Semlin bis Linz
segeln wollen, hieße wirklich einen Berg
Hinanschiffen.
Der durch die Eifersucht des Prinzen
von Baaden unbillig verfolgte Graf Mar-
slgli hat diesen Strthm durch eine gute und
prächtige Beschreibung genau kennen gelehrt.
I.XXXVI.
473
I^XXXVI.

Litteratur.

Bis auf Marien Theresiens Regierung


wußte man in Wien kaum, was Littera-
tur sey. Ein theologisches Kompendium,
ein Kommentar über die Pandekten, ein
Geberhbuch, waren beinahe die einzigen
Gegenstände, welche die sehr schlecht ein¬
gerichteten hiesigen Buchbruckereien be¬
schäftigten. Nun brach einiges Licht her¬
vor : die wahre Heilkunde entstand, und
mit ihr alle übrige damit verwandte Wis¬
senschaften, Chemie, Botanik , Naturge¬
schichte, Physik, Mineralogie rc. zu deren
Bearbeitung der einheimische natürliche
Reichthum der östreichischen Erbländer
gleichsam von selbst einlud.
Etwas später erwekten, Svnnekfels,
Denis , Mastalier, Gebier, den Geist zur
Liebe der schönen Wissenschaften . Man
fieng an , Deutsch zu lesen; bas Theater
Gg 5 wurde
474
wurde gereinigt ; einige periodische Schrif¬
ten lehrten durch Ernst und Spott die
«rsteren Grundlinien von Moral , Men-
schenkenntniß , praktischer Lebensphiloso¬
phie . Diese stetigen an , die Köpfe soweit
zu beleuchten , daß man die Unbrauchbar¬
keit der damaligen öffentlichen Erziehung,
Pie Pedanteret des Juristischen Wesens,
das Abgeschmakteder theologischen Grübe¬
leien zu wittern begann:
>§ cr/lcet i/iAenuai chckrcr//e Fcke/ite ^ arter
Zmol/rt menten , nec Fnit eFe
Theresia , die zum dauerhaften Wohl
Ihres grossen Staats so viel that , unter-
fiüzte die ernsthafteren Wissenschaften un¬
streitig mit kaiserlicher Freigebigkeit ; und
Pie allerernsthafteste derselben , die aller-
heiligste Theologie , nur zu thätig . Ent¬
standen nicht sehr viele und sehr grosse
Meister in jenen Zweigen menschlicher
Kenntnisse , so war Mangel an Unterstü¬
tzung wahrlich nicht Schuld daran . Da¬
gegen konnten die schönen Wissenschaften,
die
475
die leichte Lttteratur , die Lebensphiloso¬
phie im populären Gewände , die Gunst
der Monarchtu nicht erringen ; diese wur¬
den durch die heuchlerischen Schildknap¬
pen der Dame Theologie , als Bastarde
der Musen , als Unbändige , zuchtlose,
naseweise Kinder verschrien und angc-
schwärzt. Man fürchtete in jedem Epi-
gram eine Zweideutigkeit , in jedem Ro-
niänchen einen Stcinregen a uf die Kirche,
in jedem philosophischen Denkzettel «ine
Abficht gegen die Ruhe des Staats.
Darum las man ln Wien noch die Robin¬
sons , die Grandisons und die Gespräche
im Reich der Todten ; da man im übrigen
grüßten Thetl des Deutschlandes schon
lange die Voltaire , Wieland , Leffing,
Bayle und Helvetius auswendig wußte.
Beim Anfang der jezigen Regierung
fezte man fich über diese Bedenklichkeiten
weg. Die kesefreyhett ward erweitert,
und die Freiheit zu schreiben dem Genius
des Inlandes dargegeben. Unter den ernst-
' haf-
476 o^ LS^ o
Haftern Wissenschaftszweigen werden vor¬
züglich Geschichte , Heilkunde , Chirurgie,
Mineralogie , Botanik - Checkte , Mathe¬
matik , betrieben . ^ -2
Unter den schönen Wissenschaften hak
die Muse der Dichtkunst die meisten und
würdigsten Söhne - Für das Theater wird
vieles , aber meist nvr zlecklich mittelmäfsi-
ges Zeug gearbeitet . Im Fach der Ro¬
mane ist bisher noch sehr wenig Gutes
zur Welt gekommen . Ein Gebrechen der
wienerischen kitteratoren ist auch , daß sie
sich nicht eifrig genug um litterarische
Neuigkeiten bekümmern « Es besteht nicht
eine einzige inländische Anstalt , um dem
Publikum Nachrichten von merkwürdigen
Erscheinungen und Verfügungen im Reiche
der W ffenschaften zu geben . Sehr gute
Bücher , die nicht einen allgemeinen leb¬
haften Eindruck auf das deutsche Publi¬
kum machen, oder hohes Lokallnter . sie
enthalten , bleiben in Wien oft Jrhre lang,
auch wohl gänzlich unbekannt.
Am
O-7-W ^ O 477
Am meisten fehlt es in Wien , wie
zwar in ganz Deutschland überhaupt - an
solchen Schriftstellern , welche die Kunst
besizcn, jn kleinen Romanen , Erzählern»
gen , Gedichten , Briefen , unh Hvdern
Aufsäzcn , Szenen aus der wirklichen Welt,
schlichten Menschensinn , gute gesunde Le¬
hensphilosophie , Welt - und Menschen-
Kenntniß rc. in leichten feinen Styl , mit
der lachenden Mine der Satyre , des ge¬
würzten Spottes , ohne pedantische Rich¬
termine , ohne seichte, gemeinpläzige De-
klamazion , ohne staubigen Schulwiz vor-
Lutragen . Dartnn sind die Franzosen ei¬
gentlich Muster ; und die ernsten Britten
haben , ihren Swift - ihren Sterne , Che¬
sterfield , Steele rc. . Freilich haben wir
Deutsche unser » Wieland , unfern Blum-
auer , SturzAnton wall , in deren
Schriften jene , gefällige Sprache , jene
Philosophie der Grazien , jener Helle Dlik
in die Struktur der politischen Maschi¬
nerie , in die Triebräder der Menlchen»
hand-
478
Handlungen , in die kleinen Ursachen dev
grossenwirkungen ; jene ächte Darstellungs¬
art unsers Thuns und Treibens unterm
Monde , herrscht . Wenn man aber ge¬
gen dieser ihre wenige Bändchen die un-
geheuern Papierladungen der Sächsischen
Bücherfabriken stellt , die nichts als Un¬
sinn , Aberwiz und schales Zeug enthal¬
ten ; wo aus jedem Blatt der Kleinstäd«
ter , der Dorfpastor , der Schulrektor,
der Student , der Buchhändlers » Tag¬
werker hervorgukt : so wird man wohl
gestehn , daß es uns an Lehrern der
brauchbaren Hausphilosophie noch gewal¬
tig mangelt.
Allein diese Kunst erwirbt sich nicht
leicht ohne genaue Kenntniß und persön¬
lichen Umgang mit der schönen grossen
Welt : und wenn die Vornehmen von Wien
sich beklagen , daß so wenig lesbares für
sie hier zur Welt kommt , so sind sie nicht
wenig Schuld daran . In England und
Frankreich schäzt man den feinen Schrift¬
steller
47 «)
fieller der größten Gesellschaft würdig,
man zieht ihn aus der Provinz in die
Hauptstadt, man ehret ihn , man sucht
feinen Umgang, er ist in den Palästen
der Grossen zu Hause. Nicht so hier.
Der deutsche Ahnenstolz würde darüber
in Verzweiflung gerathen. Sturz sagt von
Sterne : ,, Er artete in London aus , ei-
„ ner übclversezten Pflanze gleich; der
„ Weihrauch der Grossen verdarb ihm de»
„ Kopf, und ihre Ragouts den Ma-
„ gen. ^ Ich nehme drei oder vierter
hiesigen Grossen aus : an den Tafeln der
übrigen würdet ihr vergebens selbst mit.der
Laterne einen Schriftsteller suchen, soll-
te er auch das LenrimenrsI^ournezr, den
Oanäiäe, und den Oberon geschrieben
haben.
Mancher Schriftsteller dankt zwar gut¬
willig auf ewige Zesten für Weihrauch
und Ragouts. Aber die Grossen sollten
um ihrer eignen Ehrr willen mehr für
- - . . die-
48s
diejenigen thun , die . sie so oft von der
Folter der Langweile erlösen . ^
In der That ist nichts unbilliger als
die gewöhnliche Behandlung der guten
Schriftsteller . Woher hat denn der Be¬
bänderte Mann sein Wissen , das ihn zu
dieser oder jener Würde erhob ; , woher
hat das Stuzerchen seinen Wiz , die ge¬
zierte . Dame ihre Empfindeley , als aus
den Büchern!
Durch die Anhänger der Litteratur
hat das nördliche Deutschland eine Art
von öffentlicher Stimme erhalten , die es
sehr wohl zu benuzen weiß . Jede . seiner
vortheilhaften Anstalten wird durch die
vielen Schriftsteller allgemein bekannt ge¬
macht ; bei jedem öffentlichen Schritt sei¬
ner Regenten sprechen die Pressen ^ und
suchen die Gemüther des Publikums für
ihn zu gewinnen ; jede Kleinigkeit von der
guten Art wird bis an die Sterne erho¬
ben ; jeder Fehltritt wird durch hundert
fliegende Blätter entschuldigt , vertheidigt,
weis ^
48 l

weis g' waschen. Im südlichen Deutsch¬


land hat man diesen Umstand bisher bei¬
nahe gänzlich vernachlässiget, und doch
scheint er mir so völlig gleichgültig nicht.
Die Welt wird durch Meynungcn geleitet.
Wer die beßte von sich zu enveken weiß,
hat vor seinen Kollegen einen mächtigen
Schritt voraus.
Se . Majestät , der Kaiser, hat vor
kurzem den Verfasser einer Geographie
von Ungarn zur Belohnung für sein Buch
mit ioc> Dukaten beschenkt; und eben
jezt ist rin Preis von ic -Q Dukaten für
das beßte Vorlesebuch über die christliche
Kirchengeschichte ausgesezt.
Sollte es Seiner Majestt gefallen,
öfters irgend ein Zeichen Ihres allerhöch¬
sten Beifalls über eine litterarische Arbeit
von sich zu geben, so würde dadurch die
Litteratur Oesireichs unausbleiblich grösse¬
re und schnellere Schritte machen, als sie
bisher gethan hat . Regierungsanstalten
allein machen die Fürsten nicht unsterb-
H h Uch.
48 -

lich. Augusts Regententhaten sind längst


samt f einem ganzen Reich zum Nichts ge¬
worden , aber noch lebt er als Freund
der Musen in Horazen.
Vixere koites ante ^ gamemnona
IVluIti omnes illacrimabiles ^
Ilrgentur , ißnvti ^ue lontza
KoLte , careur c^uia Vate tacro!

I .XXXVII.

Schriftsteller.

Ein gewisser Ritter Lerisch gab vor


einigen Jahren die wiener Autoren , eilt
Beitrag zum gelehrten Deutschland her¬
aus . Der Himmel bewahre mich , daß
ich in die Fußstapfen des Hr . Bensch tre¬
ten wolle ! er trug nebst den wirklich ver¬
dienstvollen Männern , auch ieden obsku¬
ren Menschen in sein Register ein , det
nur einmal ein paar Blätter Schwärt
«uf Weiß hatte abdruken lassen.
Ich
48z
Ich rede hier nicht von den Gelehr¬
ten , sondern nur von den Schriftstellern
Wiens . Diese Benennungen sind nicht
von gleicher Bedeutung » Man kann ein
wahrer Gelehrter s.yn , ohne jemals ein
Buch geschrieben zu haben ; man kann int
Gegentheil viele Alphabete zu Markte brin¬
gen , ohne gelehrt zu seyn . Es gibt int
südlichen Deutschland sehr viele und sehr
gründliche Gelehrte , die nie ein Buch
schreiben ; es gibt im nördlichen Deutsch¬
iland eine Menge Büchermacher , denen
Anspruch auf Gelehrsamkeit wohl nicht
zusiehet.
Es wäre gänzlich gegen und überden
Plan der Skizze , einen vollständigen al¬
phabetischen AUtvrkalender einzurüken . Ich
begnüge mich / hitr einige Männer zu nen¬
nen , die als Sterne der ersten Grösse am
litterärtschen Horizont glänzen > und denen
auch das gegen Nestreich nicht selten un¬
billige Austand laut und allgemein Ge¬
rechtigkeit widerfahren lassen . Sie find:
Hh » Alpin-
4S4
Alxinger
Blumauer
Dorn
Denis
Eckhel
*) Haschka *)
Hunczowsky
Jacquin
Ingenhouß
Mastatter
Schmidt
Sonnenfels
Stoll

Ausser

*) Er wird nächstens«ine Sammlung seiner


Gedicht« herauSgeben.
** ) Eben da ich dieses schreibe, erschallt
die Nachricht von seinem Tod«.
Aluln» ille üedilir occiciic-
war mein Arzt , mein Freund. E
IL!
Se -st mbg« auf seinen Schüler»
ruhen.
485
* *
4-

Ausser diesen lebt noch mancher wür¬


diger Mann hier, der sich als Schrift¬
steller entweder in sctentifischen Fächer«,
oder im Felde der Schönen Litteratur
rühmlich bekannt gemacht hat. Ihr Namen-
Verzeichniß würde für mein Heft zu weit-
läuftig werden. Auch bedürfen die mei¬
sten meiner unbedeutenden Erwähnung nicht.
Das eigne Bewußtsein ihrer Verdienste,
und ihr Ruf hebt sie von selbst mehr, alS
jede ähnliche Schreiberei . Indessen werd
ich mir doch ein Geschäft daraus ma¬
chen, . sie bei einer andern Gelegenheit
«achjuholcn.
' ' QXXXVIII.

Brofchüristen.
Wie ein Sturmwind aus Süden oft
in den öden Sandwästen des inneren
Afrikq ein Heuschrekenheer emporhebt,
Hh 3 und
486 o-sW -^ o

und plözlich über eine ruhige Provinz hin-


schleudert : so hob das kaiserliche Handbillet
über die Preßfreiheit im I . 178 t aus den
öden Köpfen selbstgefälliger Müsstgänger je¬
nes bekannte unzählbare Brofthürcnheer
empor , und ließ es auf das erstaunte
Wien ntedervegnen . i.
Vom Tage dieser Federnfreiheit bis zu En¬
de des August 1782 waren schon üver tau¬
fend solcher Heftlein erschienen. Man schrieb
— — Von all dem Wesen
Der olim gelehrten Pfaffheit ; anbei
Don Stubenmädchen und ihren Röken,
Don Handlung , Finanz und Polkzei,
Don K'aLfmannsdienerN und ihren Säken,
Don Fräulein , Frauen und ihren GekeN,
Von Schneidern , Pensionen und Leichen,
Don Dienern , die ihren Herren gleichen,
Don Thieren mit langen und kurzen Ohren,
Don Advokaten und Professoren,
Don Bruderschaften und Rosenkränzen,
Vvn Fahnen die zu viel flimmern und
glänzen,
Don
c> 487
Von Lukaszetteln und Kardinalen,
Von Jesuiten und ihren Kabalen,
Vom Pabstcn und feinen schönen Füssen,
Von Damen , die gern den Pantoffen küssen.
Und weiß der Himmel wovon noch ! —
Kurzum

Da ist kein Pudendum noch Skandalum,


Das nicht rin rüstiger Federheld

Samt seiner Person auf den Pranger stellt . <


Die Drukereien konnten die Preßbengel
nicht schnell genug drehen , die Zensoren
lasen sich die Augen müde an den Manu»

fkripten - Ladungen , die täglich und stünd¬


lich auf der Zensur einliefen . Sie waren
damals in der That die geplagtesten Leute

in Wien ; Sie mußten ex oKcio jeden


Quark lesen , auch der nicht gedrukt wur¬
de . Um sie einigermaffcn von dieser Fol¬

ter zu befreien , und zu verhindern , daß


nicht gar jeder armselige Wisch zum Druk
angetragen würde , geschah im Mai 1784
der ernstliche Vorschlag , daß jeder Schrif¬
terling mit seinem Manuskript sechs Dukaten
Hh 4 in
'488 o-^ 8S^ s
in der Zensur depouiren sollte , die ver¬
fallen wären , wenn das Manuskript nicht
z» >,«lassen würde . Man sah aber di«
unzwekmäffigen Folgen dieses Vorschlags
ein , führte ihn nicht aus , und gab da¬
für den Zensoren die Freiheit , auf ein
nichtswürdiges Manuskript ohne alle an¬
dere Umstände zu sezcn : non
rncretur . Wodurch es dann nicht weiter
an das Tageslicht kam.

In eben diesem I . 1784 fieng di^


Fluth der Broschüren schon an , sich zu
verlieren . Im I . 11785 Härte die unge¬
wöhnliche Menge derselben gänzlich auf;
und seit dem steht die Zahl der erscheinen¬
den Broschüren mit der Zahl der übrigen
Bücher, mit dem Lescbedürsniß einer so
grossen Stadt, und mit der Broschüren¬
zahl in andern Hauptstädten so ziemlich in
leidlichem Verhältnis Die erste neugie¬
rige Lesewuth des Publikums ist gestillt , die
Lust zu kaufen Ist verschwunden ; und die
Schmierer, welche wohl noch öfter Lust
hät-
48?
hätten , nüt ihr» r Waar « !zu Markte zu
kommen , finden keine Verleger mehr.
Diese luftigen Dinger , wekbe «inigf
Millionen Papierbogen färbten , sind wie
Nebel verflogen . Von H-j derselben ist
weder Spur noch Andenken mehr übrig.
Ihre körperlichen Uiberreste sind in die
Gewürz - und Käseläden gewandert , als
Fidibus verbrannt , in Papilloten ver-
wikelt , zu Tobaksdosen gekaut Horden;
sind durch ' Sruwers Feuerwerke in die Luft
geflogen , in den Lägern bet Mtnkendorf,
Pettau und Prag verschossen . , oder der Göt¬
tin Kloazina geopfert worden.
Sie haben Uibels und Gutes gestif¬
tet . . . . Ihre Übeln Wirkungen waren,
daß sie die bessere und ernsthafte Lektüre
auf einige Zeit verdrängten ; daß sie gro¬
be Fehden zwischen verschtednen Leuten
stifteten *) ; daß sie eine Menge von
Hh 5 jun-

*) Leider ist das nicht in Wien allein


der Fall» Man sehe sich nur ein bis,
chen
4S->

jungen Hohlttpfe» verleiteten, sich mit


Bücherschreiberet abzageben, welche mehr
für die Elle, die Drehbank, den Perükea-
siok rc. gemacht schienen
, als für den He¬
likon; daß sie der Wienerischen Litteratur
im Auslande«inen üblen Ruf zuzogen rc. . ,
Ihre

chen um im übrigen Deutschland , und


man wird ähnliche Balgereien allent¬
halben finden.
Nicolai und Wieland
Leffing und Gbtz
Schlbzer und Schirach
Lichtenberg nnd V ȧ
Basedow und Reiche
Semler und Barhdk
Biester und Stark«
Winkopp und die Mainzer
Nicolai und Lavater , Garve,
Seiler rc. re.
haben mächtige Kämpfe gekämpfet. Waf
Wunder , wenn auch einige Wieneri¬
sche Litterati einander ig die Haare
kommen!
lliacos incra muros xcccacur ec excr».
o—W -ro 4- 1

Ihre guten Wirkungen waren , daß sie

gleichsam einen Neuen Zweig der Betrieb¬

samkeit stifteten , Duchdruckereten entstehn

machten , und dem Mechanischen des klei¬


nen Lokal - Buchhandels eine bis dahin
tn Wien unbekannte Lebhaftigkeit ver¬

schafften ; daß sie alle Volksklassen an das

Lesen und 4in bischen Nachdenken gewöhn¬

ten ; daß sie die Gemüther für die plöz-

lichen auffallenden Reformen vorbereiteten

und geneigt machten ; daß sie wichtige und


rrothwttidige Dinge in einer leichten , po¬

pulären , federmann verständlichen und


für solche Gaffenblätter erträglichenSchreib-
art vorkrugen . rc. re.
In einigen Gegenden von Deutsch¬
land haben diese Broschüren seltsame Be¬

griffe uad Urtheile erwekt . Nikolai mach¬


te ekner» eignen Abschnitt in seine allge¬
meine deutsche Bibliothek unter der Ru¬

brik : wiener Schriften , und urthelte

dort die unbedeutendsten Blättchen mit


einem Ernst ab, als ob es Bücher von
Wich'
4Y» o -TüM - »

Wichtigkeit wären . Man spottete an


andern Orten , daß z. E . so viel über den
Pabst ist geschrieben worden . War etwan
seine Reise nach Wien nicht eine so auf-
sallende Erscheinung , daß es wohl , im
Publikum darüber zur Sprache kommen
mußte ? Waren di« Anstalten , welche man
gegen seinen Einfluß , gegen das System
seiner Anhänger machte , nicht lebhaft ge¬
nug , um dem darüber hoch erstaun¬
ten , und in seinen Begriffen schwanken¬
den Volk einige Kenntniß von den recht¬
mässigen Ansprüchen des römischen Hofes
geben zu müssen ? Und wie konnte dieses
am füglichsten geschehen ? Hätte man es
an die lateinischen Quartbände des Fe-
iron 'us Oe legitim » xorestate komani
kontiücis , oder gar an die lateinischen
Folianten des Harzheim und Van - Espen
weisen sollen , um zu lernen , was der
Pabst sry , was er fordern könne oder
nicht ! . . . Freilich wäre zu wünsche»
ge-
493

gewesen,' daß nicht qar s»-vieles Geschmie¬


re erschienen wäro^ " allein, Ließ ist nun
einmal das Schicksal der grossen Städte.
Wie viel ist E. in Paris bei der tollen
Halübandgeschichte, . bei der Versammlung
der Notabeln , wie viel in Berlin Hei den»
lächerlichen Gesangbuchs- Streit , bet der
Hegiernngsveränderung geschrieben/ woi.?
den ! v . lÄut cvmme c^er,M )«r»
Andere hat LioiMenge: dieser fliegen¬
den Schriftchen verführt, , auf eine «Ken.
so ungeheure Fahl von Schriftstellern in
Wien zu schließen ^. ,Liese Herren thaten
den Vätern jener killipu tischen -Geschöpfe
mehr Ehre an , als man ihnen im Wien
selbst wiederfahren ließ. Hier ist es . sei¬
nem Menschen eingefallen , die Fabrikan¬
ten solcher Waare mit dem Namen der
Schriftsteller zu belegen. Dagegen mußte
man in der Berlinischen Monatschrift .und
mehreren auswärtigen Journalea beinahe
bis zum Ekel wiederholt lesen, daß cs
in Wien der privatisirenden Gelehrten,
der
494
der Schtiftstellek eine ungeheure Mengt
gebe . ' Sogar -Herr Mensel , der doch sonst
billiger von ähnlichen Sachen urtheild-
»hat in seinem erste» Nachtrag zum ge¬
kehrten Deutschland am Ende in einer An»
mrrküng den höchst schiefen ironischen:
Seufzer : „ Wer sollte es wohl glaubett>
/, daß aus dem grossen weiten Wien,
, , « S es Schriftsteller zu hunbettew
,i yiebjr , mir nicht ein Liuziger Beitrag
^ zugekommrn ist ! ^ . i
Ich verfichere H . Meusel , bgß man,
in dem grossen weiten Wirn von Schrift¬
stellern zu Hunderten nichts weiß ; daß:
maii da die leidigen -Bcoschüvisten keines- ,
w'egs unter dis Gelehrten oder Schrift »)
stellrr zahlt . Daß ihm kein Beitrag .jlti
feinem Werk geliefert wurde , kann ich mir
kaum auc-ers erklären , als daß er sich
darum nur an jemand von jenen hukder-
trn , nicht aber an wirkliche Schriftsteller
in Wien muß gewendet haben«

I.XXXIX,
49Z
I.XXXIX.

Geistlichkeit.

Der Wienerische Almanach für Geist¬


liche auf das Jahr 1787 giebt folgend?
Summen der Oestreichischen Geistlich»
keit an : . r '-ü
Ratholische.
Erz- und Bischöfe . . . . .
Domherren . . » . . ' . > 898
Pfarrer in den Deutschen und
Hungartschen-Erblanden. . - !KIZ6
Mannsklöster . . ^ 1274
Frauenklöster . . °. Z76
Griechische Unirte. '
Erz- und Bischöfe . . . . . ' /
.Griechische Nichtunirte. '
Erz- und Bischöfe . . . . . 9
Pfarrer . . . . . . . . 585/
Evangelische.
Superintendentenu. Pfarrer. . » 5^8
4- 6

Reformiere.
Superintendenten u . Pfarrer . . . lgo»
Unitaxische

Superintendenten u . Pfarrer . . . iz6


Den ' Klerus der Niederlande und
Lpmhgrhci : mit ringeschlossen , mag also
das ^. ;Ganie zusammen ungefähr 8602»
geistliche Personen betrag en.
Die Geistlichkeit in Wien , und in den
Oestreichischen Ländern überhaupt , sowohl
die Hohe als nieder « , theilt sich heut zu
Tage in drei Partheien.
- Dv erste richtet sich nach dem gegen¬
wärtiges System .des . Hofes 5 läßt sichS
abgelegen scyn , Aufklärung zu befördern,
Vorurtheile zu vertilge » , den Aberglau¬
ben auszur .euten , bt.e päbstllchen Ideen
abzuschütteln , Moral und praktische Re¬
ligion zu predigen . Sie ist noch nicht
sehr zahlreich , mehrt sich aber von Tag
zu Tag , befolgt mit Eifer alle Verord¬
nungen des Landesherr » , hilft sie in
Ausübung bringen , und thut überhaupt,
was
o— LS- O 497 .

was eigentlich Amt und Pflicht der Geist¬


lichkeit in einem Staate ist , wo Ruhe,
Sittlichkeit und Gedeihen unter dem Vol¬
ke seyn soll. Für diese ihr« Bemühungen
äcndet sie Schuz , Ehre , kabsprüche und
Belohnungen ; dei welchen Umständen es
nicht schien kann , daß sie nicht nach
einer Generaziou ->tr allgemein ausgebrri-
tete werde»
Die zweite ist die Parthei der Drthoe
doxen nach altem Schnitt . Sie ist noch
die zahlreichste , besonders auf dem Land«
und in den entfernten Provinzen . . Diese
Herren wandeln wie im Nebel . Sie hae
den auf den alten Sauerteig . geschworen,
und sind wie betäubt von den Strahlen
der bessern reinertt Grundsäz «!, welche mit
Macht allenthalben hereinbrtchen . Matt
kann sie nur durch Furcht , durch Stra»
fen , und durch Drohungen dahin brin¬
gen , daß sie ihren geliebten alten
Schlender wenigst auf der Kanje^
und bet andern öffentlichen Handlungen
I t nicht
4Y8 07^ 82 ^ 0

nicht geradezu den neuen Derordnungra


entgegen sezrn . Aber wo sie immer den¬
selben ausweichen , wo sie dieselben ver¬
drehen , mlsvcrstehn , wo sie eine widrige
Deutung hineinschieben können , unter¬
lassen sie es nicht . Sie veranstalten selbst
Auftritte und Fälle , wo sie Verwirrung
und Unzufriedenheit stiften können . . . .
Was sie bei einer solchen Stimmung des
Gemüths im Beichtstuhl , was sie bei
Hausbesuchen , im vertrauten Kreise bei
andächtigen Weibern , Gecken , Unwissen¬
den rc. für Grundsäze predigen ; wie sie
da alle neueren Anstalten verschreien , alle
Aufklärung verhaßt machen , alle Verbesse¬
rungen schwarz malen , läßt sich von selbst
begreifen , leuchtet auch mittelbar aus
manchen ihrer Schritte für den aufmerk¬
samen Beobachter deutlich genug heraus.
Zur dritten Parthei gehören di«
Schwanker , die Achselträger , die Heuch-
trr . Die Schwanker wissen selbst nicht,
was sie eigentlich thun sollen , sie sind
494
weder für das alte noch für das neue Sy»
stem ; sie befinden sich in einer peinlichen
Lage , denken heute mit Eybel , morgen
mit Bellarmin . Sie find die Halbköpfe;
haben nicht Festigkeit genug , sich zu einer
oder der andern Parthci öffentlich zu schla¬
gen , nicht Licht genug , das Wahre vom
Täuschenden zu unterscheiden , und thun
ihre Amtspflichten , ohne selbst recht zu
wissen , Wie und Warum . . . Die Achsel¬
träger dünke» sich sehr klug : sie wollen
laviren . Man weiß nicht , was noch für
Zeiten kommen , sagen sie , und dieser un¬
gewissen Erwartung gemäß handeln und
sprechen ße auch . Ihr Bestreben ist , zwi¬
schen der Hofparthei und der Orthodoxie
sich im Mittel zu halten ; darum behaup¬
ten sie in diesem Zimmer laut , was sie in
dem andern laut verwerfen . . . . Die
Heuchler hängen im Innern kräftig am
ulten System , wissen es aber meisterlich
ju verbergen , machen äufferlich alles mit,
was nach dem herrschenden System ist»
I i n Nur
5co

Nur ihre sehr Vertraute kennen ihre wah¬


re. Gesinnung . Bei der ersten Verände¬
rung des Windes würden sie auch mit
Freuden die Larve wieder abziehn.
Nebst dem in Aemtern stehenden Kle¬
rus gibt es noch eine gewisse Gattung so¬
genannter geistlicher Geschöpfe in Wien,
deren Geschäfte nichts weniger als geist¬
lich sind. Eie machen Eiceroni , Haus¬
freunde , Tagdiebe , Schmarozer , Tröd,
ler , Mäkler , Spieler , Anekdotenträger,
Spionen , Korrespondenten , Tischnarren,
Unterhändler , Kaffrehaussprecher rc. rc.
Es sind meist Jtaliäner und Franzosen;
obschon zweimal eine allgemeine Pro-
flripziva gegen sie ergangen ist , haben sich
doch unter verschiednem Vorwand noch
immer viele derselben erhalten.
Das Haupt der hiesigen Geistlichkeit
ist bekanntlich Christoph Migazzi , Kardi¬
nal , Erzbischof rc. Er stammt aus einer
tyrolifchen Familie , war bei dem kiebltng
Karls des VI . dem Kardinal Lambrrg
Pa-
Z2l

Page , kam dann als ein junger liebens¬


würdiger Abbe nach Wien , erwarb sich
da viele und mächtige Freunde , ward Au¬
ditor RRtä in Rom , Gesandter in Spa¬

nien , Koadjutor in Mecheln , Erzbischof


in Wien , Administrator deS Btsthum

Waizen , welches er aber am i Julius


1785 wieder verlor.
In den neuen Zeiten haben ihn die Bro-
schönsten oft genekt . Es schien , als woll¬
ten sie sich für die Schikanen rächen , die
Se . Eminenz unter der vorigen Regie¬
rung gegen gute Bücher und Bücherleser

mit Hw * in d » That abscheulichen Stren¬


ge , selbst gegen die angesehensten Män¬
ner , ausübte , » « eingedenk , daß einst ganz
andere Zetten kommen könnten.

S t z (7X.
Zo»

xe.
Janseniste ».

Sinter die Narren in isten , die von


Zeit zu Zeit in der kristlich-n Welt erschle,
nen , und dieselbe durch ihren Schwärm^
geist beunruhigten , gehören auch die Jan-
senisten.
Der Unfug , welchen sie zu Anfang
dieses Jahrhunderts in Frankreich trieben,
ist bekannt. Sie bissen sich auf Leben und
Tod mit andern Narren , genannt Noli-
nisien oder Jesuiten , herum : mit dem
Unterschied , daß sie wirlich aus ernstem
wilde » Fanatismus kämpften , die Moli,
nisten aber aus feinen schelmischen Abfich»
ten die Narrenbatallje mitmachten . ES
war der ächte Abderitische Prozeß um den
Eselsschatten , denn er betraf fünf Zeilen
«us einem alten Folianten , die kein Mensch
verstand.
c>^ W - -o SOZ
Indessen brachte diese theologische
Armseligkeit die ganze , damals aufge¬
klärteste Nazion in Gährung. Könige,
Päbste , Prinzen , Erzbischöfe nnd Parla¬
mente, mischten sich darein. Es blizte Bul¬
len , Lettres de Cachrt, und Exkommuni-
kazionen. Man verfolgte , unterdräkte,
und exilirte einander wechselweise . Die
Jansenlsten griffen zu dem verzweifelten
Mittel , Mirakel zu wirken, und trieben
es auf St . Medards Kirchhofe so lange,
bis der König unserm lieben Herrn Gott
verborh , ferner Wunder, zu thun * ) -
Das grimmige Frazensplel dauerte über
hundert Jahre , und ward nur durch die erwa¬
chende Philosophie unserer Zeit in sein ver¬
dientes Nichts versenkt. Seit dem glaub¬
te man , der Geist dieser Sekte wäre in
der Utrechter Kirch konzentrirt.

Jl 4 Wie

- ) Oe x »r Is koi dekeale ä vieu,


die ksire piu , IVIirrcle en ee lieu.
5° 4
Wie sehr erstaunte ich / da ich über,
zeugt ward , daß noch in den heutigen Ta¬
gen die Jamenisten in Wien eine ziem¬
lich ansehnliche und eifrig wirkende Par¬
tei ausmachen . Diese Düsterlinge , wel,
che beständig von der Verfassung der ersten
Kristen , von der göttlichen Gewalt der
Bischöfe , von der Macht der Kirche , von
strenger Sittenzucht , von Nazionalkonzi-
lien träumen , taugen nicht alle für un¬
sere Zeiten.
Glüklicher Weise ist jezt die Zeit nicht
mehr , worin eine freudenlose mürrische
Religionssekte ihr Glük machen kann , und
kn Wien am wenigsten ; sonst wär es wohl
rathsam , über dir Jansrnisten genauer
zu wachen , die sich jezt zwar ganz sachte
und bescheiden betragen , aber sobald sie
das Uibcrgewicht erhielten , uns alle zu
ängstlichen finstern Kopfhängern und Mu-
kern machen würden.

Das
Si-S

Das einzige Galt , was fie gegen¬


wärtig wirken, ist , daß sie unermüdet
, und tapfer gegen ihre ehemaligen Tod¬
feinde, die noch immer planvollen und ak¬
tiven Exjesuiten arbeiten.
Übrigens ist die Geschichte dieser Sek¬
te eine derbe kekzkon für die Fürsten , wie
gefährlich es für die Ruhe der Staaten
fey, wenn sie sich in theologische Fakzio-
nen und Streitigkeiten mischen . Das be¬
ste ist, sie mit Verachtung ansehn, und
dem lauten Spott der Schriftsteller über¬
lassen.

xci.
KamMeriungfern.
Von den rigorösen Jansenisten zu den
koketten Kammrriungfern ists «in mächti¬
ger Schritt. Diese beiden Dinge find
Extremitäten in der Gesellschaft , weil es
eigends mit zu den auszeichnenden Din¬
gen der Jansenisten gehört, strenge Myso-
Ji 5 SY-
Zo6
gynen zu spielen . Indessen kenne ich doch
manch « Kammerjungfer , die vielleicht in
einer Stunde unter vier Augen die Frucht,
von vielen Bänden des Arnauld oder Ni¬
cole zernichten würde.
Der Orden der Kammerjungfern ist in
Wien von Wichtigkeit . Die Geheimnisse
der ganzen schönen Welt gehn durch ihre
Hände ; und wer die Welt nur ein bis¬
chen kennt , der weiß , welche unglaubliche
Dinge durch die Schöne Welt gewirkt wer¬
den . „ Die stehenden Heere haben
, , vielleicht unsere europäische Regierungen
, , nicht mehr umgeschaffen , als die von der
„ Anna von Bretagne zuerst eingeführten'
, , Friier eie reine " sagt Hr Schlözer : und
ich seze hinzu : die killes 6s reine thun
wenig merkbare Einwirkungen , wobei nicht
die Miller 6e ckambre den Knoten schüre
zen , oder austösen helfen , nicht um da-
Geheimniß wissen , nicht hinter der Kulisse
«itspielen.

De»
5°7
Den Dialog mancher Dame mit ihrer
Kammerjungfer Morgens an vertraulichen
Puztischen mit anhören können, wäre für
den Philosophen oft ein «interessanter Leker-
bissen, «ine Sache von Wichtigkeit, die
ihm Aufschlüsse über die größten Auftritte
des Tage^ geben würde. . . . In der Re¬
gel ist die Kammerjungfer stets die Ver¬
traute ihrer Dame , besonders wenn diese
noch jung ist. Indessen giebt es auch
welch«, die von ihren Frauen gleichgültig
behandelt , auch wohl recht teuflisch von
ihnen geplagt werden , besonders wenn sich
etwa Eifersucht einmengt. In diesem
Falle trennt man sich bald.
Die Wienerischen Kammerjungfern le¬
ben bequem. Die Intimitäten ihrer Da¬
men besorgen , und den Puz etwas in
Ordnung bringen helfen, dteß ist ihre gan¬
ze Beschäftigung. Alle übrige Zeit bleibt
ihnen , mit ihren Liebhabern zu tändeln,
und auf den Schmuk ihres Geistes und
Körpers zu wenden, Auch gibt es einige
unter
unter ihnen , die Geschmak , Wtj , Gra-
zie , Lektüre , Sentiments , sogar Philos » «
phie besizen , die ihren Wieland und Blum-
auer aus dem Kopfe hersagen , und Vol¬
taire , Petrarca und Pope in der Grund¬

sprache lesen . . . . Uiberhaupt ^ aben sie


gewöhnlich mehr Artigkeit und Mten Ton,
als die meisten jungen Fräulein ; weil ihre
freiere Lebensart ihnen erlaubt , mehr
Menschen und Verhältnisse kennen zu ler¬
nen , und sich mehr abzuschleifen.
So lange sie noch sehr jung und schön
find , ist es «in äufferst kostbares , theureS
Möbel um sie , weil gewöhnlich reiche Ka¬
valiers in der Nähe stehen , welche die
Reize des muthwilltgen Kindes in Pacht
genommen haben , oft auch nur der Zofe
wegen in die Gesellschaft der gebietenden
Frau kommen . Wenn sie aber gegen die
-reissig Hinansteigen , dann werden sie ge¬
selliger und umgänglicher . Da sie manch¬
mal mit hohen Häusern sn heimlicher naher
Verwandtschaft stehen , so sorgt »man schon
dafür
ZQ9
da^für , daß sie noch vor ihrem Herbst in
den Armen eines Stallmeisters , Kammer¬
dieners , Haushofmeisters , Güterverwal-
ters , Forstmeisters , Mundloches , oder
Kanzleimannes , der manchmal ebenfalls
mit . dem hohen Hause verwandt ist , ein
Los finden . Sollten es Umstände rathen,
sie früher unter die Haube zu bringen , so,
findet sich auf den herrschaflichen Gütern ,
immer eine ähnliche Gelegenheit.

xcn.
Stubenmädchen.
Wie sich in den Lrosscn Häusern die
Dame von der Kammerjungfer bedienen
läßt , so läßt sich diese wieder von den
Stubenmädchen bedienen . Bel den Weis
bern von minderer Bedeutung sind die
Stubenmädchen das , was die Kammerjuug-
fern in den Palästen vorstelle« .

Die
ZIO

Die Legion der Stubenmädchen ist


zahlreich : ich glaube , daß sie wenigst auS
viertausend Köpfen besteht. Es sind jun¬
ge , hübsche , runde , muntere Dinger,
voll Koketterie , Mnthwtllcn , Nekerei und
Buhlerei . Sie Hüpfen durch das Leben
hindurch , ohne selbst recht jü wissen , wie
ihnen dabei geschieht , oder wozu sie ei¬
gentlich da sind. Kaffe und Schokolade
zu machen , ein Hemd zu wärmen , einen
Tisch zu wixen , das Bet zu machen , «in
Halstuchzu glätten : dieß sind die Künste
der Wienerschen Stubenmädchen . Sie
halten sich in ihrem Anzug sehr reinlich,
wissen ihn mit Geschmak zu wählen , und
bleiben meist bei der schon unter ihnen
eingeführten Tracht , welche die böhmische
Haube , und bas knappe Korsettchrn vor¬
züglich niedlich machen. Da die ganze
vornehme weibliche Welt sich in die ab¬
scheulichen Buffanten stürzte , und mit et.
ner steifen lächerlichen Breite pralle , hat¬
ten die Stubenmädchen allein Mutterwtz
genug,
5"
genug, ihre hübschen Figürchen nicht durch
jenes abenthcuerliche Gereife gleich Pak-
eftln auf beiden Seiten ju verunstalten.
Sie verstanden ihren Vortheil bester, und
fütterten ihre Hintern *) gut aus . . . . '
Ihre Jahrsbesoldungen sind zwischen »Z
und 40 Gulden; diese reichen geradehin,
ihre Schuhe und ihren Haarpuder zu be¬
zahlen. Nichts drstoweniger gehen sie
Sonntags ganz in Seide gekleidet, mit
goldnen Ohrgehängen und grossen silbernen
Schnallen in die Kirche, in den Prater
und in die Komödie. — Rathet , Ws
sie ihre Kapitalien liegen haben! —

vn-

*) Man spricht täglich ohne Anstand von


Oulr äe ksris , kaur Lul Lc. Warum
sollte man das Dm- mcht auch deutsch
nennen dürfen«
ZiL
Unter der im Punkt « des sechsten Ge¬
botes so strengen Regierung der Kaiseirn,
waren die Stubenmädchen «in Artikel von

grösserer Wichtigkeit . Es find , wir man


iveiß , lauter honette Mädchen , und woh¬
nen in lauter honetten Häusern : wenn

also junge Herren zur Frau von , zur


Wittwe von rc. in die Gesellschaft girn»

gen , so konnte doch die Polizei nicht so


neugierig feyn , und nachschlcichen , um zu
sehn , ob der junge Herr nicht etwa auS

Jrrthum an die Thüre des Stubenmädchens


gekommen sey ; da man hingegen beimins
der honetten Mädchen in keinem Zimmer

und zu keiner Stunde sicher war . —»


Seitdem aber die Negierung aus sehr wei¬

sen Gründen heimlichen Freuden nicht so

strenge mehr nachspürt , ist der Werth der


Stubenmädchen um vieles gefallen , und,

wenige Ausnamcn abgerechnet , sind sie jezt


wieder in dem Zirkel , wohin sie gehören:

Sie machen die Mätressen der Jäger , Läu¬

fer , Lakaien , Leibhusaren , und besonders


de»
o-^W -^c» zig
der Kaufmannsdiener in den Seiden - und

Galanterieläden . Da sie die Puzmate»


rialien für ihre Frauen von dort ju holen
haben , so fällt manche Elle Zeuch , Band,
Spizcn rc. nebenhin . Dafür lärf der La-
denjunkrr Sonntags kommen , das gut¬
willige Ding im Fiaker auf das Land
führen , und ihr —wie or§ > !k die Schuh¬
schnalle fest machen.
Hr . Rautenstrauch hat im I.
einen garstigen Prozeß gegen die Stuben¬
mädchen angefangen ; aber die Dingerchen
fanden ihre Advokaten . Das ganze ga¬
lante Wien nahm an d)er Fehde Theil-

Man schrieb zwanzig Broschüren für die


guten Mädchen fund wen diese papicrnen
Beweise von ihrer guten SachL -mscht über¬
zeugen konnten , den hätten sie nöthlge»
Falls gewis sn eigner Person von ihren
Vorzügen überwiesen . Merkwürdig

ist , daß gerade zur nämlichen Zeit , wo


man in Wien für die Stubenmädchen die

Federn stumpf schrieb , eben dieß in Berlin


K k für
§ !4
für ein altes Gesangbuch geschah. —
Was mag wohl , beim Lichte besehen,
weniger närrisch seyn, sich für ein paar
taufend junge artige Mädchen, oder für
eine Sammlung alter sinnloser Kirchen¬
lieder interessiren!

XOIII.

R e d u t e.
Sie ist die Hauptbelustigung der Fast-
nachtszeit , für das bessere Publikum.
In einem Flügel der kaiserlichen Burg
find zwei ungeheure Säle , dem Comus
und Bachus geweiht. Sie *stehn vom 7ten
Januar bis zum lichten Aschermittwoch
offen; anfangs alle Wochen Einmal , spä¬
ter hin jede Woche zweimal, und die lez-
trn drei Fastuachtstage alle. Man steigt
an einem eisernen Gatter ab , gehet durch
eine Reihe von fünfzig schnurbärtigen Gre¬
nadiers , die mit ihren rauhen Bärnmä«
. NN
07^ 82^ - 0 5i5

zen und Bajonettengeklirre das scheue


Mädchen heben machen , welches zum er¬
stenmal mit hochklopfenden Herzen am
Arm ihres Geliebten die berühmte Redutt
besucht . Wenn man durch diese Halle
des MavorS gedrungen , und einige Stu¬
fen hinangestiegen ist , öffnet sich plözltch
der grosse Zaubersal . Viele tausend Wachs¬
kerzen auf grossen wiederstheinenden kri-
stallnen Lustern und piramtdenförmtgea
Leuchtgestellen symmetrisch gerethet , blen¬
den das Aug , und Pauken - und Trom-

petteDchall , mit den sanfteren Tönen voa


hundert musikalischen Werkzeugen vermengt»
rühren das entzükte Ohr , und heben un¬
willkürlich den jugendlichen Fuß zum fröh¬
lichen Tanz . Die Lustbarkeit dauert
von zehn Uhr AbendS , bis um sechs Uhr
des kommenden Morgens.
Bei der ersten Einrichtung der Redute
wurde sie häufiger besucht . Seit einigen
Jahren thun ihr die Bälle und PikentkS

in den Privakhäufern merklichen Abbruch.


Kk » E«
6i6 O !77^ LS ^ -0

Es glebt gewisse zimperliche Halbdameti,


deren Eitelkeit mehr geschmeichelt ist, wenn
sie auf ihrem langwelligen Hausball«
als vermeintliche Ball - Königinen gebieten
können , als wenn sie auf dem grossen
Sammelplaz der Freude , ohne Bewun¬
derer und Anbeter erscheinen sollen.
Dem ungeachtet ist die Redute noch immer
glänzend genrzg , besonders in den leztrrn
Wochen . Wenn nur tausend Personen da
sind , ist es zu einsam . Anderthalbtau¬
send Köpfe machen eine bequeme Redute,

in diesem Fall ist eben noch RaunHßenug


zum tanzen . Zweitausend verstellen den
Tänzern schon den nöthigcn Plaz . In
den lezten Tagen , wenn sich die Freuden»
jäger bis gegen dreitausend «infinden,
dann ist man in , der Presse . Vergebens
schneidet das Orchester seine Menuets und
deutsche Tänze herunter : man kann nicht
drei förmliche Schritte machen ; alles
drängt einander zum «rsttkrn ; es ist ein«
un-
Sl7
, die nur eine
»nbehifliche Menschenfluth
langsame wellenförmige Bewegung hat.
Ehedem hielt man viel auf sehr aus-
zeichnende , zum Theil sehr kostbare Mas¬
ken, die oft eine grosse Gesellschaft zusam¬
men auf die Redute brachte . Dieser Ge-
fchmak ist gänzlich gefallen: man achtet
einen solchen kurzen Spaß nicht mehr der
vielen Unkosten werth. Die meisten jezt
erscheinenden Masken find Domino und
Venezianer - Mäntel. Frauenzimmer gehn
häufig in ihrer gewöhnlichen Puzkleidung«
Niemand, der nicht aus besonder » Ursa¬
chen unerkannt seyn will, trägt die Maske
vorm Gefichte . Manche gehn in ihren
ganz gewöhnlichen Kleidern, und fielen
bloß eine karre auf den Hut , um dem
Gesez, maskirt zu erscheinen , wenigst im
weitesten Verstand genug zu thun.
Die Redute ist zum Vortheil der Ar¬
men angelegt: der Utberfchuß von den nö,
thigen Ausgaben fließt in die Kaffe der
Dürftigkeit. Dieß ist der beßte Zoll, den
Kk A man
v!--W ^ s
man der Armuth entrichten kann : es
kst billig , daß d er Hilflose von unfern
Vergnügungen Unterstützung schöpfe ; auch
wendet kein Mensch gegen diese Taz :e das
mindeste ein . . . . Man bezahlt für den
Eintritt jeder Person zwei Gnlde « . Er¬
frischungen und Tafel find in Nebenzim¬
mern für bestimmte Preise zu haben.
Mürrische Kasuisten ! die ihr in euren
diken Quartanten mit vieler Spizfindigkeik
untersucht ; in Quantum , line periculc»
xeccati mortslis , liceat oüenäere ubera?
Kommt ihr Schulfüchse auf die Redute,
seht um euch her , und dann macht euren
Syllogismus!
Von den heimlichen Minen , offenba¬
ren Stürmen , falschen Angriffen , feinen
Wendungen , plözlichen Schwenkungen rc.
rc. kurz von all den Stratagemen , welche
der grosse Eroberer Amor auf den Redu-
tensälen ausübt , sage ich nichts . Nicht-
von den Siegen , die hier über Blödig-
kUt , Eigensinn , Sprödigkeit , Grille ,
Tu-
5ng «nd , Koketterie , Wachsamkeit , Män¬

ner - Troj , Unempfindlichkeit rc. davonge*

tragen werden . Ich könnte den Argwöh¬

nischen , den Strengen , den Eifersüchti¬

gen , den Kargen , den Schläfrigen , den

Zutrauenden rc. manches verrathen ; aber,

noch einmal , ich sage nichts : man muß

verschwiegen seyn . » » Wird die Liebe nicht

ohnehin von der Gesezgebung , derHerrche-

lei , dem Wohlstand , dem Eigennuj , der

Politik rc. genugsam gehemmt und ge-

nekt .'

xciv.

LustmädchkN.

Es find nicht fünfzehn Weiber und

Mädchen kn Wien , denen ihre Liebhaber

Kutschen und Pferde halten ; und unter

diesen fahren nicht fünf als bekannte Mä¬

tressen grosser Herren herum : eine Zahl,

Kk 4 die
§-c>
die im Verhältniß mit andern grvfftn
Städten wahrlich geringe ist.
Grösser ist die Zahl derjenigen, wel¬
che auf einem ganz artigen Fuß von rei¬
chen Liebhabern unterhalten werden; aber
nieistentheils in ihren Häusern versperrt
fizen, nie öffentlich mit ihren Liebhabern
erscheinen, und denselben jährlich zwetbiS
dreitausend Gulden kosten.
Noch grösser ist die Zahl derjenigen
die von minder reichen Leuten unterhalten
werden, zu zwei bis dreien bei einer gut¬
herzigen Matrone beisammen wohnen,
jährlich fünf bis sechshundert Gulden von
IhrenLiebhahern ziehen,und diesen, hei plözli-
cher günstiger Gelegenheit einige Dukaten
zu erhaschen, von Zeit zu Zeit auf eine
Viertelstunde untreu werden.
Alle dies« unterhaltenen Mädchen gehn
von Hand zu Hand, Es wird nach ei¬
niger Zeit entweder der Liebhaber ihrer
s<M; hder es bietet sich ein andrer an,
her
V-^ LS^ o ZLI

der jährlich einige Dukaten mehr versprich^


und so , wie billig , vorgezogrn wird.
In die vierte Klasse gehören diejeni¬
gen , welche zwar von Niemand unter¬
halten werden , aber doch nicht jedem zu
Gebothe stehn , sondern nur gewisse be¬
kannte gute Frennde haben , von denen
ße tvrchselweise besucht werden , :
Nach diesen folgt die Schaar derjeni¬
gen , die ganz leidlich , zum Theil auch
niedlich , gekleidet , in der Mittags - und
Abendstunde auf de» volkreichsten Strassen
der Stadt herum streichen , und jeden,
der seinem äussern Ansehn nach einen Gul¬
den in Sak zu haben scheint , gutwillig
mit sich nach Hause nehmen.
Die Iejten , unter diese Rubrike ge¬
hörigen Geschöpfe sind jene brutalen Dir«
nen . die in den Saufhäusern der Vorstädte
sich mit Bierkannen berauschen , und dann
mit Soldaten , Fiakerknechten , groben
Handwerkspurschen rc . in wildem Taumel
fliegen.
KkZ " Irre
52S

„ Irre ich , frägt der Verfasser


der Schwachheiten der Wiener —
„ wenn ich behaupte , daß Wien zehn-
„ tausend weibliche Geschöpfe hat , die
„ jedermann für jeden Preis zu Dienste
„ stehn , und viertausend andere minder
„ ausschweifende , di « von Hand in Hand
„ gehen ? . . . Freilich irrt er : seine
Rechnung ist um ein merkliches übertrie¬
ben . Ich glaube der Wahrheit näher zu
kommen , wenn ich sage , daß Wien un¬
gefähr Zweitausend öffentliche Strass . n-
dirnen , und etwa fünfhundert unter¬
haltene Mädchen hat . . » . Ich würde
jene Angabe nicht berührt haben , wenn
fie nicht Hr . Nicolai , troz ihrer auffallen¬
den llnwahrscheinlichkeit , getreulich in sei¬
ne Reisebeschreibung eingetragen hätte,
vermuthlich bloß , weil sie so gelegen
kam. den Wiener » eine Schlappe mehr
anzuhängen.
Soll ich es wiederhohlen , daß die
Wienerschen Lustmädchen , im Vergleich
mit
mit den Parisischen und Berlinischen , züch¬
tig find ? Wenn man den Reisenden glau¬
ben darf , ist dieß wirklich so . In Wien
wird euch ein solches Mädchen nie verfol¬
gen , nie in den Weg treten , nie beim Rok
an fich ziehn . Sie blikt euch verständlich
genug an , oder sagt höchstens im Vorbei¬
gehn leise : Kommen Eie mit ? . . . Da¬
gegen beklagen fich die Dilettanten aber
auch , daß die hi esigen Mädchen zu wenig
in ihrem Metje raffiniren , daß sie nicht
bequem eingerichtet sind , daß sie ihre Ge¬
sellschaft sehr wenig zu unterhalten wissen.
— Wie wäre es auch anders möglich!
Unter der vorigen Regierung wurde mit
äußerster Strenge gegen diese armen Ge¬
schöpfe verfahren , und seit der jezigen ist
die Zeit noch zu kurz , um diesen Zweig
des Luxus schon in einiger Vollkommenheit
hergestellt zu sehen.
Ehemals wäthete man , wenigst dem
Dorgrben nach , aus religiösen und mo¬
ralischen Gründen gegen den unehelichen
Ge-
KS4
Genuß der Liebe . Die Moralität der Sa¬
che überläßt man zwar heute dem Ge,
wissen des Sünders ; aber man hat sie
dagegen zu einem politischen Problem ge¬
macht . Immer hört man noch die Fra¬
gen : Kann der Staat öffentliche Mädchen
dulden ? Wie hoch kann er ihre Zahl a» -
wachsen lassen ? Bis auf welchen Grad
kann er die Publizität ihres Gewerbes dul¬
den ? Soll er sie ihrem eignen Schiksal
Überlassen , oder soll er eine Art von Auf¬
sicht darüber führen ? . . . daß er sie nicht
gänzlich vertilgen oder aufreiben könne,
scheint er wohl endlich dnrch sein Beneh¬
men zu bestättigen . Das <vb ? ist also
so gut als entschieden ; nun kömmt es noch
auf das wie 2 an.
Indessen dünkt mich , man lege dieser
Sach - mehr Ernst und Wichtigkeit bet,
als sie verdient . Wenn der ganze Staat
mit öffentlichen Priesterinnen der Liebe an¬
gefüllt wäre , dann müßte er freilich auf
kräftige Gegenmittel denken . Allein , wi«
aus?
S-s
nusgebreitet ist denn das Reich der Lust¬
mädchen ? Es ist die Hauptstadt , und
etwa noch «in paar der grösser » Provinz¬
städte : da habt ihr den ganzen Wirkungs¬
kreis des Unwesens . Wie nun die Haupt¬
stadt ln der ganzen Form ihrer Verwal¬
tung gewöhnlich eine grosse Ausnahm«
von der Verwaltung des Staats macht,
so wird sie es wohl auch in diesem Artikel
machen müssen.
Ss abgeschmakt und beleidigend für
bas Publikum es ist , wenn rin Mann,
der jährlich 6ocx >c> Gulden verzehrt , dem
Monarchen eine Rechnung vorptnselt , wo¬
rinn er klar zeigt , wie jeder Beamter von
hundert Gulden Besoldung ganz beqaent
mit Weib und Kindern leben könne , er,
der auf jede Schindmähre , die an seinem
Wagen zieht", jährlich mehr verwendet;
der gar keinen Begriff haben Muß , was
hundert GuldeN für eine ganze Familie
tn unfern Zetten sind : eben so abgeschmakt
ist es , wenn ein Mann , der eine
s-hr
5- 6
sehr einträgliche Stelle , ein schönes
Weib, und etwa nebenher etwas noch
Schöneres bat, nachdem er niedlich getä¬
felt , und eine Stunde mit seiner schönen
Frau Kabinetsruhe gehalten hat ; wenn
er dann hingcht, und ganz trocken pre¬
digt: Man muß der Liederlichkeit Ein¬
halt thun, um dadurch die Leute zum
heurarhen zu zwingen.
Was sind es für Leute, die nicht heu-
rathen wollen, die dev Lustmädchen nach¬
laufen? Sie sind nicht aus der Klaffe
der Bürger, der Handwerker , des ge¬
ringen arbeitsamen Volkes: nein, es sind
junge Kavaliers, reiche Wollüstlinge, Leute
vom Mittelstände, junge Beamte, Künst¬
ler rc. die bei geringen Einkünften doch
in ihrem Aeufferm für die grosse Welt prä-
scntabel erscheinen müssen.
Wer solche Leute durch Derjagung der
Lustmädchen zum heirathen zwingen zu kön¬
nen glaubt , der muß die Menschen wenig
kennen . Was werben die Folgen des
Zwan-
S-7
Zwanges seyn? Entweder die abscheulichsten
Laster, oder man wird sich an ehrliche^Weiber
uudMädchcn mache«, und sie zu seinen Absich¬
ten zu lenken suchen. . . . Man hat von je¬
her die Lustmädchcn als moralische Strahle
ableiter für die Sicherheit der tugendhaf¬
ten Weiber gehalten. Was die gewissen
abscheulichen Laster betrift : diese find
dem Staat sichtbar noch unendlich schäd¬
licher als die uneheliche Liebe; sie schwä¬
chen ihre Anhänger noch mehr, rund brin¬
gen gar nichts hervor , da die Mädchen¬
freunde doch jährlich immer zwei Dritthei-
le von Schwangeren in bas Gebährhau-
ltefern.
Endlich, wer kennt die Tyrannei der
Weiber, ihre Herrschsucht, ihren Stolz,
ihren Troz nicht! Da uns ein unglüklicheS
physisches Dedürfniß von ihnen abhängig
macht, so wissen sie sich ihrer Macht ge¬
wöhnlich nur zu wirksam zu bedienen-
Wlll man einen ehrlichen Mann zur Der-
tweiflung, zu Unthaten; will man einen
Wei-
Weisenzu Albernheiten , zu Narrenstttl-
chen verleiten i so gebe man ihn nur einet
schönen Spröden Preis » : Wie der arm«
Teufel Monate und Jahre . lang zu de»
Füsscu - drr schelmischen Kokette seufzen
wird ; wie er Zeit und Vermögen ver¬
schwendet / ihren Genuß zk erringen ; wie
er darüber zirm Mährchen der Stadt wird,
wie er Freundschaften ', Pflichten , Verbind
düngen vergißt und ' aufopfert ! — In
svlchen verzweifelten Fällen . ist kaum ein
anderes Gegenmittel , als ihm eia Freu¬
denmädchen in die Hände zu spielen : dieg
kühlt sein Blut ab , und giebt ihm seine
Vernunft wieder , daß er lachend seine Un¬
erbittliche verläßt»
Die Weiber wissen , wie sehr die Lust¬
mädchen ihrer Herrschsucht im Wege ste¬
he , darum sind sie ihre unerbittliche Fein¬
dinnen , und haben stets an den Verfol¬
gungen derselben den größten Thell ge¬
habt.
5^9
' xcv.

rustseuche.

Vom Kapitel der kustmäbchen ist de»


tUbergang auf das Kapitel der Lustscuche
sehr natürlich.
Herr Zensier hat sich die Mühe ge^
nommen , uns tie traurige Geschichte die¬
ses Uibels — eines der mörderlichsten in
dieser beßten aller möglichen Welten —
mit grosser Genauigkeit zu beschreiben *)
Hr . Hensler ist nicht von der Meynung
derjenigen , welche glauben , daß diese
Krankheit erst durch die Entdekung von
Amerika aus den westindischen Inseln nach
unserm Europa sey verpflanzt worden:
er behauptet , daß diese Seuche schon von
j -her
»

*) Geschichte der Lustseuche, von Henrlev.


rl
o- ^ -o

jeher in Europa .einheimisch gewesen fest


wenn sie auch andere Namen trug, und
durch etwas veränderte Symptomen aus¬
brach . Seine Gründe sind nicht ohne
Nachdruk; aber seitdem ich dif Amerika¬
nischen Briefe des Grafen Larli gele¬
sen habe, bin ich auf der Seite derjeni¬
gen, welche diese schmerzliche und Men¬
schen-zerstörende Krankheit für ein Ameri¬
kanisches Produkt halten. Carli führt eine
Stelle aus den Briefen des vespuz *) an,
worinn sich folgende merkwürdige Nach¬
richt von den lüsternen Amerikanischen Wei¬
bern befindet: „ tlonne cianno a:
„ bere uomrur il / u§o ci'llua ce^t'-
„ erba, e / e uon §wva , acco-
„ Fano ziarte certr aurmo/r vc/eno/r,
„ c^e /a mo^ciono, Fncke F "
Hält man diese Stelle gegen eine Stelle
d§r

*) Vir», « teuere «ii ^ merir« Vekpu cci.


53»
bet grossen französischen Eucyklopädie, wo
der Ursprung dieser Krankheit ebenfalls
vom Biß giftigcr. Thiere als nicht unwahr¬
scheinlich angegeben wird ; hält man sie
mit der herrschenden Meynung von ihrem
amerikanischen Ursprung zusammen, wei¬
che sich
' auf die Beobachtung gründete,
daß mau sie erst nach der Entdekung von
Amerika in Europa zuverlässig als existi-
rrnd beobachtete; hält man sie mit dem
Umstand zusammen, daß die kustseuche in
den Morgenländern und bei allen jenen
Völkern unbekannt ist , die nichts mit
den Amerikanern zu thun haben , oder sie
von den westlichen Europäern mitzetheilt
bekamenr so bleibt die ältere sehr allge¬
meine Vermuthung höchst wahrscheinlich,
das wir dieses leidige Gift aus den west*
indischen Inseln geholt haben- v
Am Ende , was liegt auch daran,
woher ein Uibel sey- Wenn es damit
geheilt wäre , daß wir seine Quelle wü߬
ten : so hätten wir ja Lcibnitzens Theodi-
Ll » cee,
6Z»
cee , Villaumr ' s und Hallers Dichtungen
vom Ursprung des Uibels . Aber leider l
genug , daß es da ist, und durch keine Me¬
taphysik gelindert wird ! Die grossen Städte
sind sein wahrer Thron . Müßiggang,
würzhafte Speisen , feurige Getränke , Ko¬
ketterie , studierter Puz , häufige Schön¬
heiten , Weichlichkeit , Bequemlichkeit , Reich¬
thum auf einer Seite , und Dürftigkeit
auf der andern : alles dieß macht daselbst
denkiebesgenuß zum dringendern Bedürfnis
Len Wechsel in diesem Genuß zur Würze
desselben , und die giftige Anstekung zur
Folge des häufigen Wechsels.
Dle Vorsicht versetzte das Fieber nach
Europa , und das Heilmittel desselben —
die Quinqukna — nach Amerika ; sie erschuff
die Lustseuche ln Amerika , und ließ das Heil¬
mittel derselben — den Merkur in Euro¬
pa erfinden!
Wien ist so wenig von diesem Uibel frei,
als irgend eine andere grosse Stadt in
Europa ; doch scheint es hier weniger all-
ge-
SZZ
gemein verbreitet zu seyn , olS es , nach
Aussage der Re senden , in einigen andern
Hauptstädten herrscht. Es ist eine böse
Schlange , die ihren nagenden Zahn allent¬
halben ansezt . Weder eine Leibgarde,
noch ein Portier sind im Stande , sie
von den glänzendsten Palästen abzutret-
bcn : Franz de r I . und Heinrich der III.
in Frankreich mußten ihre Viße fühlen.
Man sagt , daß selbst der frömmste Bruder
Pförtner sie nicht immer von den geheilig¬
ten Klöstern ausschliessen kann. Sie be¬
nagt alle Stände ; hält sich aber vorzüg¬
lich an die grosse und schöne Welt ; macht
manche fett « Pfründe , manches Ordens¬
band , manche Eskadron vakant ; macht,
daß der Fiskus wieder zu Gütern kömmt,
die Jahrhunderte lang das Erbtheil vor¬
nehmer Familien waren.
Die gutwilligen Mädchen , diese Mar - ^
tyrinncn des Bedürfnisses , der Laune und
Flatterhaftigkeit , sind die unausbleiblichen
Opfer dieser Krankheit . Cs sind von Zeit
L l z zn
S34
zu Zeit näk- tliche Hausvisttazlonen . Die
gesunden Mädchen entläßt man, , die kran¬
ken muffen in das Spital wandern , Sie
tragen also das Uibel ein Halbduzendmal
dahin , werden immer tslirer yualiter ge¬
heilt , und erliegen endUch darunter.
Für die räsonnirende Welt ist diese
Krankheit das wirksamste Gcboth gegen
die Unkeuschhcit , E -n unerbittlicher Chi¬
rurg mit Jncisionsmessern , Scharpie und
Höllenstein im Perspektiv , verhindert mehr
Sünden , als wenn Moses selbst mit sei¬
nen zwei steinernen Tafeln käme.
Herr Preval soll vor einigen Jahren
ein Präservativ gegen das Gift der Liebe
erfunden haben . Dicß wäre eine Preis¬
aufgabe für einen Fürsten , dem bas Ve-
völkcrungssystem am Herzen siegt.
Ein gewisser Doktor der Rechte Bauer
in Wien both vor einiger Zeit ein Universal
Heilmittel gegen das Uibel an , wofern
Deutschland im voraus so viel Geld zusam¬
men schicssen würde , als er nöthig hätte^
feinv
535 -
feine Stabt im Traum ju bauen . Das
Publikum lachte ihn aber als einen uni¬
versal Träumer aus , und holt einsweilen
das Heilmittel gegen die Luflseuche aus
den Gruben von Hibria.

XEVI.

Soll man Bördele (Freudenhäuser)


anlegen?

Vor einigen Monaten fiel , es mit Ein¬


mal mehrern Brvschüristen in den Kopf,
über die Anlegung von Freudenhäusern zu
schreiben . Alle riethen zur Einführung
derselben . Um eben diese Zeit kam dieser
Gegenstand in ernstliche Uiberlegung bei der
Regierung selbst . Man holte von der
Polizei und von der medizinischen Fakultät
Gutachten und Vorschläge darüber «in.
Seitdem ist nichts weiter in der Sache
geschehen ; auch find die Stimmen jener
Stellen , und der Entschluß der Regierung
nicht bekannt geworden.
Ll 4 Ich
S3S o—

Ich meines Thcils glaube , daß man


förmliche öffentliche Bördele ( Freudenhäu-
ser ) nicht einführen soll . Man höre mei¬
ne Gründe.

«ko lange die Freudenmädchen zerstreut


leben , und von der Polizei nur tolerirt
werden , ist für die öff . ntliche Sittlichkeit
immer noch ein Schritt mehr gewonnen.
Der neue unerfahrne Jüngling scheut sich
stets noch etwas mehr , solche Geschöpfe
zu besuchen , weil der abschrekende Gedan¬
ke nicht ganz von ihm weicht , er könnte
vielleicht überfallen werden , Verdruß ha¬
ben , oder beschimpft werden . Wird aber
durch öffentlich errichtete Häuser die Sa¬

che authorrflrt , so fällt dieser Grund


ganz weg.

D . r wichtigste Grund zur Errichtung


solcher H user , ist die Verhütung derAn-
stekung . Ji ! Wenn der Himmel bloß die
Lj,.stmädchen mit der heillosen Krankheit
geschlagen hätte , dann möchte es ange-

hcn . Aber wo wollt ihr mit den galan¬


ten
S37
ten Weibern hohen und gemeinen Ranges,
wo mit so vielen honettscheinenden Mäd¬
chen hin ? Es ist leider nur zu wahr , daß
die Zahl der Vergifteten von diesen beiden
Klaffen eben nicht unansehnlich ist. Die
Liebhaber werden es also von Zeit zu Zeit
bei jenen galanten Geschöpfen , welche von
aussen mit Zucht und Keuschheit prangen,
holen , und zu den kustmädchrn ver¬
pflanzen.
Endlich würde durch diese Anstalt die
gesellschaftliche Freiheit unvermeidlich neu¬
erdings einen gewaltigen Stoß leiden.
Um jenen Häusern hinlängliche Kunden zu
verschaffen ; um zu verhüten , daß durch
Galanterien ausser jenen Häusern die
Krankheit nicht immer noch eben so sehr
verbreitet würde , wie gegenwärtig , wür¬
de man mit äufferster unerbittlicher Stren¬
ge gegen alle unauthorisitte Häuser und
Personen wüthen ; ein Umstand , der die
gehäßigsten Spionereien , Denunziazionen,
Zkeuschheitskommiffion n , Haus - und Bett-
Ll 5 Durch-
538
Durchsuchungen nach sich ziehen müßte:
Prozeduren , welche für die ganze Masse
des Publikums ein grösseres Uibel sind,
als die venerische Krankheit für einige Aus-
schweiflinge ist.
Ein minder gehäßiger *, und vielleicht
doch eben so wirksamer Ausweg wäre,
wen « die Polizei die Freudenmädchen an¬
hielte , sich alle acht oder zehn Tage bei Ge¬
wissen dazu bestellten Chirurgen visikiren
zu lassen . Die Kranken würden behalten,
und ins Heilungshaus geschikt . Den ge¬
sunden würde ein gestempeltes Gesundheits-
Attestat , immer vom Tage der letzten Vi-
sitazion datirt , gegeben , welches sich jeder
bei ihnen Eintretende könnte allemal vor¬
weisen lassen.
Laßt uns aufrichtig sprechen . Wie
«inseitig sind solche Anstalten ! Glaubt man
denn wirklich etwas so gar Grosses gcthan
zu haben , wenn man ein paartauscnd Pfla¬
stertretern , in der Hauptstadt jährlich eine
Queksilber - Kur erspart z indessen unsre un-
gr-
SZ9

geheuren stehenden Armeen dieses Gift


weit und breit über das ganze platte Land
verthcilen . . . Laßt immerhin die Stuzer
der Residenz ein bischen zukcn und zap¬
peln ; aber für die ganze Nazional Masse,
für das Landvolk sorget , um cs gesund

zu erhalten.

xcvn.

Chirurgische Akademie.

Der Kaiser Joseph , welcher so viele


Stiftungen und Institute aufgehoben hak,
errichtet dafür auch wieder einige ganz
neue , deren Zwck unfern Zeiten mehr an¬

gemessen ist , als jener von manchen der


älteren . Unter diese neuen in Wien er¬

richteten Institute , gehört vorzüglich auch


dlc Medizinisch - Chirurgische Militär-
Akademie , von ihrem Stifter die Josefi¬
nische genannt.
54«
Für einen Staat , bei dem das Sol¬
datensystem das herrschende ist; der über- «
grosse stehende Armeen hält , bleibt die
Wundarzneikundeimmer eine der Wissen¬
schaften, welche die sorgfältigste Pflege er¬
forderen. Die Uiberzeugung von diesem
Satz scheint den Kaiser bewogrn ju ha¬
ben, diese Akademie anzulegen: wie er
denn überhaupt diejenigen Wissenschafts¬
zweige vorzüglich unterstüzt, die mit der
Kriegskunst in einiger Verwandtschaft
stehen.
Das prächtige Gebäude dieser Akade¬
mie liegt in der Wahringergaffe. Die Aka¬
demie ist «in ganz für sich allein bestehen¬
des Institut , das weder von der Univer-
fität , noch von der medizinischen Fakul¬
tät qbhängt. Es hat seine eignen Pro¬
fessoren, seinen eignen botanischen Garten,
seine eigne Bibliothek, seine Kabinette von
Instrumenten , Präparaten aus Wachs,
die theils inFlorenz theils von Hr. Professor
Hunczowsky verfertiget worden. Sie giebr
Preis - ^
54»

Preisfragen auf, und krönt die beßten


Beantwortungen derselben mit Denk-
Münzen . Sie nimmt auswärtige Gelehrte
als Ehrenmitglieder auf , und wird ehe¬
stens anfangen , ihre gelehrten Arbeiten
herauszugeben . Ihr Zwek ist , die Ar¬
meen des Kaisers mit geschikken Wund¬
ärzten zu versehen.
Die Schüler dieser Akademie sind un¬
gefähr rAc ; sie gehn alle in Uniform,
hellblau mit schwarzem Kragen und Auf¬
schlägen , dazu rothe Westen , und Hosen,
Stiefel , und den Militarhut . Zweihun¬
dert wohnen im Gebäude der Akademie,
und speisen gemeinschaftlich an grossen Ti¬
schen , für 8 Kreuzer das Mittagmahs.
Ihre Lebensart ist nach militärischer Sub¬
ordination . Der Lehrkurs dauert 2 Jahre.
Um sie sogleich praktisch zu üben , ist mit
der Akademie das Militär - Spital verbun¬
den . Dort besuchen sie die Kranken , machen
Operazionen , verordnen , thuu überhaupt
unter der Aufsicht ihrer Lehrer alles , was
sie
A4» o-ü^W^ -o

sie einst allein als Feldchirurgen thuN


werden.
Das Präsidium und dieDirekjion über
das Ganze führt Hr . Johann Alexander
von Brambklla > der den Plan und die
Statuten dieses Institutes entworfen hat.

. xcvm.

Die Nunziatuk.

Auf dem Hof steht ein ansehnliches


Gebäude , an dessen Fronte drei Wappen-
fchilde hangen . Dicß ist der Pallast des
päpstlichen Nunzius.
Die Bestimmung der päpstlichen Nun-
jien ist bekannt . Sie giengen in alle Lan¬
de , um den Römischen Primat und die
Römische Allhcrrschaft aufrecht zu erhal¬
ten ; sie vertraten die Person des Papstes,
ertheilten Dispensazionen , Konfirmazio-
nen rc . und strichen die darauf gesezten
Taxen ein : so viel öffentlich , und mit je-
o-^58^ o S4Z

btrmans Notiz . Unter^der Hand theilten


sie die nöthigen JNstrukzionen und Befehle
aus , an die tdnsürirten und ^ eschornen
Leibeigenen cher Kuria , wie groß iwd klein,
>vie Fürsten und Pöbel hübsch in der
Blindheit , in der Anhänglichkeit an Nom,
in Aberglauben und Andächtelei , in der
Freigebigkeit gegen das Priesterthum zu
erhalte » sey. Sie halfen allenthalben
eifrig zur Unterdrükung der Denk - und
Preßfreiheit , und zur Verfolgung der auf¬
geklärten Schriftsteller . . . . Der berüch¬
tigte Widerruf des guten Fcbronius wur¬
de ursprünglich vom hiesigen Nunzius bei
der Anwesenheit des Kurfürsten von Trier
eingcfädelt , aufgesezt , nach Rom geschikt,
und von dort dem Hr . Hontheim aufge¬
drungen.
Achnliche Berufsgeschöfte treiben be¬
kanntlich die Nunzien in Polen , Portu¬
gal , Spanien rc. noch heut zu Tage.
In dem widerspenstigen Deutschland,
hat es seit kurzem wegen der Nunziaturm
leb-
S44
lebhafte Händel gefezt, deren AuSgang
Noch bis jezt etwas zweifelhaft ist.
Der Kaiser hat den hiesigen Nunzius
für einen -simpel» politischen Botschafter,
gleich den Bokhschaftern andrer Höfe, er»
klärt , der die weltlichen Geschäfte'feines
Souveräns besorgen, sich aber mit geist¬
lichen Dingen nicht mehr befassen soll.
Ec nahm diese Erklärung an , aber —
unbegreiflich! noch immer übt er öffentlich
«inen Akkus aus , wovon bei keinem Publi¬
zisten im Kapitel von Herr Gesandtschafts-
Rechten ein Wörtchen steht. Der Herr
Nunzius , theilt , so oft er im feyerlichen
Aufzuge nach Hofe fährt , auf offner
Straffe Benedikzion aus , wie ich sie denn
selbst am letzten Neüjahrstag mit devote¬
ster Herzenszerknirschnng von ihm empfan¬
gen habe. ^ . . Dteß ist ungefähr das
nemliche, als ob der Rußische oder Schwe¬
dische Abgesandte den Glaubensgenossen
ihrer Religion eine öffentliche Straffen^
pre^
545

predigt hielten : wie gesagt, ein ganz


neuer Zuwachs zum Gesandtschaftsrechte.
Die neuesten Auftritte, welche der Nun¬
zius Pacca gegen den Kurfürsten von
Köln gespielt hat, sind bekannt; und daß
der Herr Nunzius Zondadari in Brüssel,
eben kein sehr eifriger Boche des Frie¬
dens und der evangelischen Demuth war,
hat die Nothwendigkeit bewiesen, in die
sich der Kaiser versczt sah, jenen Herrn
vor den Augen der ganzen Welt in Zeit
von drei Tagen aus den Niederlanden
gehen zu heissen
. -
Ob Deutschland die päpstlichen Nun-
ziaturen ganz entbehren möge, wird viel¬
leicht bald entschieden werden.

XOIX.

Schneider.
Kleider machen Leute: und Schneider
machen Kleider; also folgt von selbst
M m daraus,
546
daraus , daß die Herren von der Nadel
Männer von der ersten Wichtigkeit im
Staate scyn.
Zwar trete ich nicht eben mit jener
tiefen Ehrfurcht und Hochachtung in mei¬
nes Schneiders Werksiätte, wie weiland
Freund Rabcner , spaßhaften Andenkens,
es von seiner Person versichert; indessen
fühle ich, daß es nicht eitel Lustigma¬
cherei sey , was er von der Wichtigkeit
der Kleider sagt. Zederman , der sich
eine Weile in der Welt herumgetrirben
hat , wird mir beistimmenr wird erfahren
haben, wie oft das Kleid zum Maßstabe
des Verdienstes genommen wird ; wie oft
ein schimmernder Anzug einen leeren Kopf
hob; wie oft ein faserichter Rok die
Brauchbarkeit eines Mannes verdunkel¬
te . . . . In den Hauptstädten, wo LuxuS
und Kleiderpracht so allgemein ausgebrei¬
tet sind, wo sie einen so wesentlichen
Lheil der guten Lebensart ausmachen,
kann
547
kann Man wenigstens mit halbem Ernste
fugen , daß Kleider Leute machen.
Herr de Luca behauptet , in Wien
sehen über dreitausend Meister Schneider.
Ich glaube , Hr » de Luca habe fich etwas
überzählt ; denn da Wien samt seinen
Vorstädten etwas über sechstausend Häu-
zer hat , so müßte nach seiner Liste in je¬
dem zweiten Hause Ein und ein Zwölf»
rheil Schneidermeister wohnen ; daß die¬
ses aber nicht so scy , steht jedcrman auf
den ersten Anblik . <— Meister , Gesellen,
und Lehrpursche zusammen genommen,
mögen einen Huufen von zc >oc > Schnei¬
derköpfen ausmachen»
Einige dieser Nadrlhetren verfertigen
bloß Mannskleider , andere bloß Weibs¬
kleider , noch andere den Hungarischen
Anzug»
Einige Schneider in Wien haben eine
sdnderbare Sitte eingeführt , von der mir
nicht bekannt ist , daß fie in irgend einer
«ndern Stadt gänge sey . Sie lassen
Mm » vr-
S48 o^-w - v
von allen Gattungen der
ordentliche Tariff
Kleider druken, die sie um einen so ge¬
Preis liefern, wie an andern Or¬
siezten
ten der Schlächter das Fleisch
, oder der
Wirth den Wein verkauft . Solche Ta¬
riff- Schneider sind Dero, Rarl , Rral-
lischek rc.
Der Seltenheit der Sache wegen ge¬
be ich einen kleinen Auszug aus einem sol¬
chen Tariff . Wenn er schon gegenwärtig
den Wienern gleichgültig ist, so isi er doch
dem Auslande etwas Neues; und viel¬
leicht ist er nach fünfzig Jahren auch für
die Wiener ein Stük, das zu einem in¬
teressanten Vergleich über den Werth der
Dinge in verschiednen Zeitpunkten dienen
kann.
N.
Ein ganzes tüchernes Mannskleid
von 8 Fl. Tuch mit Croisee ge¬
füttert, und mit gleich über¬
zogenen Knöpfen . . . . 42

Von
549
Fl.
Don 6 Fl. Tuch oder^ breiten2 Fl. ^
^cr Kr., Halbtuch . . . zz d
Don ^ breiten 4 Fl- Tuch . - « rg
Don L Ellen breitenz Fl. Halbtuch 2Z
- Rvk und Bernkleider, oder Rok
- und Veste.
Don F Fl. Tuch mit Crvisee gefüttert z»
Don 6 Fl. Tuch oder^ breiten2 Fl.
zo Kr. Halbtuch . . . , 26
Don 4 breiten 4 Fl. Tuch . . . 2A
Don r Ellen breitenz,Fl. Halbtuch 17
Rapotröke.
Don 6 Fl. Tuch mit Croifee gefüttert 28
Don 8 Fl. Tuch Wollblau . . . z6
Von 4 Fl. Tuch . 24
Veste und Beinkleider.
Von schweren Seidenzeugen zuz Fl.
zo Kr. die Ellen . . . . rF
Don mittelschweren. . . , . iz
Don gewirkten dreifädigen Säken . 8
Von Sommermanchester. . . . IZ
Don mittelschweren . . . io
Mnr z Som-
SS»
Fl.
Sommerkleider.
MGlatteF Mannskleid von feinen Ka-
' mclot ty't Lasset gefüttert . . Z8
Don feinen Haruwin zu » Fl . . . Lg
Don Dreydrath zu » 8 Groschen . r6
Don halbfeidnem Kamelot . . . sA
Don glattem Berkan , mit Kanne»
vasfutter . . lz
Livreien.

Eine ganze Ljvrei von L .Fl . zo Kr.


Luch » . » » ,,,« 20
Don r Fl . zo Kr . Tuch > . . IZ
Wer selbst Tuch und Futter liefert , der
bezahlt für das übrige 6 Fl . Sehr grosse
und dike Personen bezahlen etwas mehr. .
So liefert Hr. Adam Larl auf dem Haar-
markt seine Schneider - Arbeiten.
S5i

e.

Kaffeehäuser.

Der Polak Roleschrtzky, welcher als


Dollmrtscher der Ocstreichisch
-Hrientalischen
Handelskompagnie in der Türkei gedient,
HNd die Türkische Sprache und den Kaffee
gleich gut hatte kennen gelernt , diente
den bedrängten Wienern , während der
Belagerung 168z , mit sehr gutem Er-
fplg als Spion und Briefträger . Nach¬
dem die Türken verjagt waren , trug ihm
der Kaiser für seine Treue , nach dama¬
liger Gewohnheit , die Freiheit au , sich
eine Gnade auszubitten.' Koltschitzky
bath sich zur Gnade die Exlaubniß aus,
ein öffentliches Kaffeehaus, errrichten zu
dürfen. So entstand das erste öffentliche
Kaffeehaus von ganz Europa in Wien,
im I . i68z , obschon der erste Kaffee im
I . 1644 aus der Levante nach Marseille
Mm 4 ge-

5S-
gekommen war , und in Privathäufern
getrunken wurde.
Die Nachfolger in diesem Koltschitz-
kyschen Gewerbe haben sich gegenwärtig
in Wien und dessen Vorstädten ungefähr
bis auf siebenzig vermehrt , und scheinen
sich noch nicht auf diese Zahl beschränken
zu wollen.
Die Kaffeehäuser sind , wie man w « ß,
gegenwärtig eines der unentbehrlichsten
Bedürfnisse jeder grossen Stadt . Wie
würden so manche Müstiggänger ihre Stun¬
den alle aufrciben ; wie würde sich mancher
kleinbrmitteltrr unverheiratheter Mensch
in der E le sein Frühstük verschaffen;
wie würde mancher Abentheurer sein Kost¬
geld erwerben ; wie würde mancher arme
Schluker im Winter umsonst sich wärmen
können , wenn es keine Kaffeehäuser gäbe ?
^ Die Bestimmung dieser Häuser hat
sich seit ihrer ersten Entstehung , unend¬
lich weiter ausgedehnt . Man trinkt nicht
hloß Kaffee darin ; man nimmt Thec,
Scho-
553

Schokolade » Punsch , Limonade , Mann-


delmilch , Braursuppe ^) , Rosogsto , Ge-
frvrnes rc. — lauter Dinge , die man
vor rin paar Jahrhunderten in Deutschland
noch nicht dem Namen nach kannte , —
Man studiert , man spielt , man plau¬
dert , schläft , negozirt , kannegießert , scha¬
chert , wirbt , entwirft Intrigen , Köin-
plotte , Lustpartien ; liest Zeitungen und
Journale rc. rc. rc. in den heutigen Kaf¬
feehäusern ; in einigen fängt man auch
an Äobak zu rauchen.
In Wien sind die bekanntesten datz
Kafstehaus des Milano , des Taroni , Kra¬
mer , Dukati , das aufdem Neuen Markt,
jcneS neben der Hauptmaut , und Hugel-
manns seines an der Leopldstädter Brrlke»
Sie sind schön eingerichtet , halten gute
Bedienung , und werden zahlreich besucht.
Das gewöhnlichste Spiel in diesen Häu-
Mm Z . fern

.Aisuäesu.
SZ4
fern ist das Billard , deren
immer zwet
bis drei vorhanden sind , und wovon je¬
des , wenn es fleißig benuzt wird , deS
Tags zwölf Gulden einbringen kann.
Das Kaffeetrinken , welches sich seit
Bekanntwerdung dieser Bohne in Europa
über , alle Stände verbreitet hat , wurde
vor kurzem in verschiedenen Gegenden von
Deutschland zu einer Art von politischen
Gravamen gemacht . Ein paar Fürsten
versuchten es , den Kaffee zu verbannen;
man hört aber nicht , daß es damit recht
Ernst werden wolle . Selbst dem vorigen
König von Preuffen , dem die Erinne¬
rung an fein jugendliches Biersuppen-
Frühstük wenigstens sehr spät -kam , war,
wie es scheint , mehr um das Monopol als
um die Vertilgung der verschrieenen Bohne
zu thun , und sein weiser Neffe hob die¬
sen zweideutigen Zwang wohlberathen
gänzlich wieder auf.
Auch in Wien ist der Durst nach Kaf¬
fee bis unter die Taglöhner und Markt-
wel-
555

wetber gekommen . Darum stehn in allen


Vorstädten bis gegen Mittag hölzern«
Ständchen , wo man für die Liebhaber
aus dem Pöbel die Schale samt einem
Kipfel für i Kreuzer ausschenkt . .Allein
, ge¬
dieß ist nicht wahrer Kaffee, sondern
röstete Gerste, mir etwas Syrup versüßtz
und jenes geringe Volk trinkt dieses De-
kokt, weil es sich für i Kreuzer kein an¬
deres so wohlfchmekendes und Magen- er¬
wärmendes Frühstük verschaffen kann.
Eine solche Kaffeehätte bringt, wenn sie
gut besucht wird, des Tags ZA Kreuzer
reinen Gewinnst ein.

ci.

Zeitungen.
Man streitet sich noch über den er¬
sten Erfinder der Zeitungen. Wer. er
auch seyn mag, ich schäze ihn so sehr als
den Erfinder irgend eines Dinges auf
der
SZ6
der Welt . . . . Welche Leere , welche
langweilige Stokung würde in unsrer Ge¬
sellschaft herrschen , wenn die Zeitungen
unsre Neugierde , unsre Plaudersucht
nicht täglich mit neuem Stof versähen!
Es ist eine unläugbare Wahrheit , daß
die Zeitungen vieles zur Verfeinerung-
zur Bildung eines Volks
beitragen . Ein
Mensch , der sich bloß auf sich selbst, oder
höchstens auf einen kleinen Zirkel ihn um¬
gebender Geschöpfe einschränkt , und sich
nichts um die ganze übrige Welt beküm¬
mert , wird immer ein mürrischer , stumpfer
unbehilflicher , kurzsichtiger Bürger blei¬
ben . Da hingegcld der andere , welcher
an dem Thun und Treiben , an dem Wohl
und Wehe , an den Narrenstreichen und
Edelthaten aller seiner Mitmenschen Theil
nimmt , seinen Verstand übt , seine Klug¬
heit schärft , sein Herz fühlbar , und sei¬
nen Umgang geselliger macht. Durch di«
Zeitungen wird jeder wichtiger Zufall,
jeder grosse Unglüksstreich , jede neue Er-
fin-
o-ü-W^ o 557
sindung, jeder gute oder bedenkliche Auf¬
tritt mit einer Schnelligkeit über alle Na¬
tionen verbreitet, von der die alte Welt
keinen Begriff hatte. Diese Flugblättchen
sind ein gleich grosses Bedürfniß und
Vorzug unsrer Zeiten: sie herrschen in
den Palästen und Buden, in den öffentli¬
chen uyd privat Häusern.
Kein Land von Europa hat wohl so
viele und vielerlei Zeitungen, wie unser
zerstüktes Deutschland . Es ist für alle
Gattungen von Lesern gesorgt. Politi¬
, ökonomi¬
sche, litterarische, militärische
sche, theatralische , geistli¬
, merkantilische
che rc. rc. Zeitungen füllen täglich von
allen Orten und Eken her die Felleisen der
Postillons. Ich glaube, es ist nicht zn
viel gesagt, wenn ich sechszig in Deutsch¬
land erscheinende Zeitungen annehme.
Wien hat seine politische Zeitung, mit
der eine Art von Intelligenzblatt verbun¬
den ist, die alle Wochen zweimal erscheint,
und I » Fl. kostet . Sie ist zwar keine
Hof-
553
Hofzeitung , unterliegt aber doch einer
strengen Zensur. Der Inhaber bezahlt
für das Privilegium derselben jährlich ge-
gen 9022 Fl.
Neben dieser erscheinen noch ein
paar Zcitungsähnliche politische Blättchen,
eine ökonomische Zeitung , eine Kirchen-
zeitung , eine Oa ^ettö äe Vienne , eine
Oa ^etta äi Vienna , Lxlieineriäea
Vinsobonentes ( eine lateinische Zeitung ) ,
eine ungarische Zeitung , eine <7vmxila -"
tion comxlette . . . . . Ein literarisches,
periodisches Blatt hat Wien nicht.
Von andern Zeitungen werden am
meisten gelesen die Brunner , Erlanger,
Hamburger , frankfurter , Augsburger,
Regensburger , die französische von Köln,
Leiden , <7ourrler <lu Vas Vliin ; die wäl-
sche von Floren ; , das ^-onäon Olironicle»
das politische Journal . . . . die allgemei¬
ne kitteraturzeitung.
Seit zwei Jahren drukt man hier
auswärtige Zeitungen nach. Ein gewisser
Fran-
S54
Franzos kam zuerst auf diesen ehrsamen
Einfall, errang sich ein Privilegium aus
den Nachdruk der damals eben sehr unbe¬
scheidenen keidner Zeitung, und lebt seit¬
dem regelmäßig auf Kosten des H. Stefan
Luzac . — Da es ohne Zweifel sehr be¬
quem ist, und weiter nichts als ein bis¬
chen harte Haut fodert, um auf Kosten
eines fremden Zeitungsschreibers zu le¬
ben: so fand der tndustriöse Franzmann
siraks Nachahmer . Man fiel über ver-
schiedne Zeitungen her; aber das Publi¬
kum griff nicht so gierig zu, als jene be¬
quemen Herren es wünschten; und ausser
der Leidncr, wovon das Original strenge
verbothen, und dem Erlanger, wird jezt
keine weiter nachgcdrukt.
Besser und verzeihlicher ist der Ein¬
fall , aus den beliebtesten Zeitungen vrr-
schiedner Sprachen, deutsche Auszüge zu
machen. Solcher Auszüge werden gegen¬
wärtig dreierlei gedrukt.

Vor
A6a o»7^52^ c»

Vor einigen Monaten fiengen einigt


zweideutige Köpfe an, eine Schwarze Zei¬
tung drnken zu lassen. Cie erscheint wö¬
chentlich zweimal. An der Fronte steht
der Tod , sie enthält Unglüksfälle , und
- Biographien von lauter Selbstmördern.
Ihre Absicht kann nicht gut seyn. Bio¬
graphien von Selbstmördern sind allenfalls
für den Psychologen und philosophischen
Menschenforscher ; aber sie in einem regel¬
mäßig erscheinenden wohlfeilen Wochenblatt
dem Volk unaufhörlich vorerzählen , dieß
heißt , dasselbe mit der Idee des Selbst¬
mordes vertraut machen , es endlich dar-
an gewöhnen , daß es wohl gar Gefallen
und Ruhm dayn suche. Denn diese Mord-
gefchichten sind in der Volkssprache vor-
getragrn , und die Selbstmörder heissen
alle derühmre Leure . Auch ist bas Ding
so eingericht-t , baß man die Mordge-
schichtcn nicht als eine veraltete Zeitung
wegwerfe , sondern daß man sie besonders
kann
Z6r
kann zusammen binden lassen ,ein und
ordentliches Hauslesebuch daraus machen.
And diese nichtswürdige Zeitung wird
vom gemeinen Volk stark gelesen . —
Wäre ihre Schuld auch nur diese , daß
sie das geringe Publikum wieder an den
abscheulichen Geschmak für . Mordgeschich¬
ten gewöhnt , so verdiente sie schon ver¬
dammt zu werden.

eil.

Geschriebene Zeitungen.

Die Neugierde und Lästersucht , wehr


che nicht mit Neuigkeiten zufrieden sind,
die man , ohne den Wohlstand zu verle-
zen , durch den Oruk bekannt machen
kann , haben die geschriebenen Zeitungen
erfunden , welche heut zu Tage in je¬
der Hauptstadt , ja sogar schon in mit-
telmässigen Provinzstädten im Umlauft
sind.
AH»

Wien hat zwei geschriebene Zeitungen/


eine Deutsche und eine Französische . Di«
Deutsche ist troken, ohne Styl / sogar
ohne Orthographie geschrieben . Die Fran¬
zösische ist etwas erträglicher: ihr Verfasser
der Exjesuit F. assektirt sogar ein wiziger
Kopf zu seyn ^ er erzählt nicht so plump
und erbärmlich wie der Deutsche; nein,
er spricht für die grosse Welt / räsonirt
wohl gar manchmal seinen eignen Senf
dazu. So lange er ' den politischen Kan-
negiesser macht , ist die Sache lustig.
Aber er macht auch den jesuitischen Beichtva¬
ter : schimpft auf neue Bücher, sucht den
Verfassern derselbenGthässlgkeiten anzuhän-
gen; schreit gegen Freiheit zu denken und
etnreiffenden Deismus ; legt die Verbre¬
chen einzelner Menschen der Schriftstelle¬
rei und der Lektüre zur Last rc. und die
andächtigen Weiber hohen Ranges lernen
diese Predigten auswendig , kramen sie
bet jeder Gelegenheit aus / und geben
auf diese Art unwissend die Apostel des
Mei»
0 - 7M -- 70 S6A

Meister F . und der Stupidität ab. Diese


Zeitungen gehen von Hand in Hand,
jirkuliren wöchentlich zweimal , und jede
derselben kostet jährlich 6 Dukaten . Die
wenigsten Leute wissen ihre Verfasser.
Der Inhalt dieser Blätter ist die Ge¬
schichte des Tages und die Aergerkronik
der Ptadt . Sie enthalten die wichtig¬
sten Dinge dicht neben den unbedeutend¬
sten : die Verordnungen des Monarchen
und der Modegöttin ; die Beschäftigungen
der Minister , und der Stuzer ; die Ur-
theile der Justiz , und des Puztisches.
Kurz , alle Vorfälle am Hofe , in der Stadt,
bet der Arme ; Sterbfälle , Heirathen,
Liebschaften von bekannten Personen , und
was man je fär einen Lekerbiffen der Neu¬
gierde und Lästersucht hält.
Im ganzen genommen , enthalten diese
Zeitungen ein Drittheil Wahrheit , und
zwei Drittheile Unsinn und Lägen ; denn
ihre Quellen sind über die meisten Sachen
bloß Stadtgerichte , Hörensagen rc. und
Nn L dann
564 v- -W - c>
dann manchmal ein wahrer Artikel, den
sie von einer Kanzlei erhaschen.
Indessen werden sie von bestellten
Leuten in alle östreichischc Provinzen, und
von den Residenten, Agenten re. an
die auswärtigen Höfe verschikt ; und die
Zeitungsschreiber in Hamburg, Frank¬
furt , Köln, Erlangen, Bayreuth, Augs¬
burg rc. schreiben sie mit Lust und Freu¬
de ab. Daher kommt so viel unsinniges,
abgeschmaktes , lächerliches Zeug, das man
allenthalben von und über Wien liest.
Wir lachen hier oft ins Fäustchen , wenn
ein Spaßvogel einen recht affentheuerli-
chcn Schnak erdichtet , ihn auf die Kaf¬
feehäuser trägt , und durch seine Gehil¬
fen zum Stadtgespräch machen läßt. Wir
prophezeihens einander, daß er troz des
darin liegenden Unsinnes doch in acht
Tagen durch ganz Deutschland erzählt
wird: und so tsts. Erst nimmt ihn die
geschriebnc Zeitung auf, und am zweiten
Posttag macht er schon gedrukt den Weg
wie-
56Z
wieder von aussen herein , den er sechs
Tage zuvor geschriebner hinaus machte.
-Man könnte in Wien eine eigne Zei¬
tung anlegen , um nur die Lügen aller aus¬
wärtigen über diesen Plaz zu berichtigen.
Es würde ihr nie an Stof fehlen.

M.

Mädchen-- Pensionat.

Die Barbarei der vorigen Jahrhunderte,


wo man ein Stäk schlechtes Latein , und
Theologie für den Gipfel alles menschli¬
chen Wissens hielt ; wo die öffentlichen
Schulen blvs in der Absicht da zu seyn
schienen , um Pfaffen zu bilden : diese Bar¬
barei hatte unter ihren übrigen schlimmen
Wirkungen auch die unselige Folge , daß
man die Erziehung der schönen Hälfte
des Menschengeschlechts beinahe ganz und
gar vernachläßigte . Mädchen konnten ja
keine Geistliche werden , wozu sollte man
Nn z ihnen
Z66
hnen also einigen Unterricht geben , d«
selbst die Erziehung der Knaben lediglich
darauf angelegt war , das Heer der Al¬
tardiener stets mit hinlänglichen Rekruten
zu versehen . Daß einer polizirten
Nazion daran gelegen seyn müsse , aus
den oufkeimenden Mädchen vernünftige
Gesellschafterinen , gute Hanswirtbinen,
unterrichtete Mütter , nüzliche Gaktinen
herzustellen , daran dachte Niemand.
Selbst nachdem die öffentliche Erzie¬
hung der Knaben schon auf einen bessern
Fuß gesezt war , vergaß man noch immer
der Mädchen . ES schien , als ob man
mit jenen Kirchenlichtern einstimmig däch¬
te , die auf einem Konzilium die erbauli¬
che Frage aufwarfen : Ob die Weiber auch
Seelen haben , und wahre Menschen sehn '-
Erst in den neuesten Zeiten wurde die
Wichtigkeit der weiblichen Erziehung hie
und da einem Mann von Ansehen ein¬
leuchtend ; und dadurch entstinben an ei¬
nigen zerstreuten Plözrn Deutschlands
MLd-
66 /
Mädchenschulen . In Oestrelch sieht man
gegenwärtig Mädchenschulen als ein wah¬
res Staatsbedürfniß ein , das der Na-
zion wesentliche Dortheile bringen wird.
Um also seine Länder mit hinlänglichen
Mädchenschule »! zu versehen . und dieselben
mit tauglichen Lehrerinen zu besezen, legte
der Kaiser in diesem Jahre ein Mad-
chenpensionat an , welches für die weib¬
liche Welt das nämliche ist , was ein
Schulmeister - Seminarium für die mänli-
liche : eine öffentliche Staats - Anstalt,
Lehrerinen zu bilden.
. Dieses Institut besteht gegenwärtig aus
24 Mädchen , von 7 bis 14 Jahren . ES
ist ganz ein Schöpfungswerk des Kaisers.
Sie bleiben acht Jahre im Pensionat , und
sind dann bestimmt als Lehrerinen in öf¬
fentliche Mädchen - Schulen einzutreten.
Während ihres Lehrkurses erhalten sie
Unterricht in der Religion , im Schön -und
Rechtschreiben , im Rechnen , Zeichnen-
Rn 4
Z68 O—

in der Naturlehre , Naturgeschichte , Erd¬


beschreibung , Geschichte , im schriftlichen
Aufsaz , in deutscher und französischer
Sprache , und in den gewöhnlichen weib¬
lichen Arbeiten.
Für die Religion ist «in Geistlicher,
für die übrigen Gegenstände sind weltli¬
che Lehrer , für die französische Sprache
und weiblichen Arbeiten Madame Lüzac
und ihre Gehülfin Madame Linde.
Nach einiger Zeit werden allemal neue
Zöglinge angenommen , welche von den
ältern , die den Lehrkurs schon vollendet
haben , unter der Leitung der Lehrer un¬
terrichtet werden . So haben diese Gele¬
genheit , sich schon im Institute selbst in ih¬
rem Berufe praktisch vorzuäben.
Das Institut ist in einem Flügel des
Ursuliner Klosters angelegt , hat aber
mit dem Kloster nicht den mindesten Zu¬
sammenhang . Die Mädchen sind niedlich,
aber ganz einfach gekleidet . Der Mo¬
narch hat ihnen zur Erhohlung einen
Gar-
Garten in der Vorstadt gegeben und dort
Spiele zu nüzlicher Leibesbewegung anle-
gen lassen. . . . Die Aufsicht im Hause
besorgt Madam Lüzac.
Die Aufnahme in das Pensionat hängt
von der Wahl Sr . Majestät ab , Höchst-
ivelche das Institut mit wahrer kaiserli¬
cher Freigebigkeit unterhält . Es ist alles
darin mit Reinlichkeit und Bequemlichkeit .
eingerichtet. Am ersten Sonntage jedes
Monats steht der Eintritt dazu jcderman
offen, der sich mit der Einrichtung davon
bekannt machen will-

OIV.

Der Prater.
Der Name dieses Lustwalbes kommt
vermuthlkch von dem spanischen Uraclo,
aus dem der Wienerische Pöbel seinen
Prater machte, und durch seine Stimmen-
Mehrheit bewirkte , daß ihm auch die
Nn 5 grosse
57s
grosse und die gelehrte Welt in dieser Be¬
nennung folgt.
Dieser Lustwald , der von Hirschen,
Fasanen und Wildschweinen bewohnt ist,
dient bekanntlich den Wienern zu ihrem
allbeliebten Belusiigungsplaz . Man kömmt
durch die mit einer Kastanienallee besezte
Dorstadt Jägerzeil auf einen grossen,
freien Halbzirkel : von diesem führen fünf
Alleen in den Freudenhain . In dem
Mittlern Raum finden sich eine Menge
Wirthshäuser , Sommerhäuser , Tische,
Kegelbahnen , Karussel , und andere zur
keibesbewegung dienende Spiele.
„Mas ist heute Nachmittag zu ma-
„ chen ? " fragt der Handwerksmann
Sonntags nach der Kirche seine Hälfte:
Wir gehn
halt in den Prater , versezk
diese , und der ganze Haufe seiner Kin¬
der stimmt aus vollem Halse mit «in. —
Diese bei der ganzen bürgerlichen Klas¬
se gleichgestimmte Neigung für den Pra¬
ter , füllt ihn an Feiertagen mit einer un-
ge-
57l

geheuren Menge Menschen, und stellt von


allen Seiten einen auffallend malerischen
Anblik dar. . . . In den Hauptallcen das
Rollen einiger hundert ab - und zufahren-
der Kutschen; unter den Bäumen Tische,
mit Geflügel mch Weinflaschen bedckt,
dazwischen Spiele , Musiken, das Jubeln
der Kinder , das Gesäuse von Scherz
und Lachen der Volksmenge; allenthalben
buntes Gewühl einiger tausend Menschen,
die theils im Schatten herrrmwandeln,
theils am Zechttsch schmausen, theils sich
ins Grüne gelagert haben , theils in grös¬
ser« Entfernungen , Arm in Arm ge¬
schlungen» durch die Gebüsche schweben,
und der Freundschaft oder Liebe opfern. .
Dieß ist das Bild des Praters an festli¬
chen Tagen. An gewöhnlichen Wochen¬
tagen ist er natürlicher Weise weniger be¬
völkert, aber man trifft doch immer, früh
und spät einige Gesellschaft an.

Ts
87-
Es ist ein Jrrthum , wenn Hr . Rei¬
nhard in seinem Reisebuch * ) sagt , der
Prater und -Augarten seyn an Sonn - und
Feiertagen Morgens gesperrt . Der Ein¬
gang dazu steht immer offen.
Neben der Mittelallee links ist der
Feuerwerksplaz . Das grosse Gerüste zu
diesem Schauspiel bleibt das ganze Jahr
stehn . Herr Stuwer , aus Ingolstadt in
Baiern , ward nach verschiedenen Schik-
salen zum Feuerwerker . Man muß ge¬
stehn , daß er seiner Kunst Ehre macht.
Die Feuerwerkstage sind die schönsten
Tage des Praters . Der Eintritt kostet
20 Kreuzer ; dieß macht , daß bei diesem
Schauspiel der geringe Pöbel wegbleibt,
und dann nur das bessere Publikum er¬
scheint. . . . . Gegen fünf Uhr Abends
fängt der Zug dahin an . Alle Eingänge
find mit Kuirassiers besezt , die mit blan¬
kem

* ) Nciscbuch von Rtichard.


57S
ke« Säbel Ordnung halten. Man macht
erst eine kleine Spazierfahrt im Walde,
oder bestellt sich nach Wienersitte eine
Jausen unter den Bäumen. — Die Däm¬
merung beginnt; «ine Kanone kracht!
dieß ist das erste Signal. Die Entfern¬
ter» Spaziergänger nähern sich; wer bet
Tische sizt, frägt um seine Zeche, und
bereitet sich
, dem Schauplaz nahe zu fom»
men. Eine halbe Stunde verfliegt: ein
neuer Kanouenknall , und eine himmelan¬
steigende Rakete rufen die Zerstreuten zum
Mistelpunkt . Nun strömmt alles herzu. Die
Damen besteigen das dem Gerüste gegen¬
über stehende Amphitheater ; die Kavaliers
stehen ihnen zur Sekte. Der größte Hau¬
fe von Zusehern stellt sich auf den ebenen
Rasen zwischen beiden Gerüsten . Indes¬
sen ist es Nacht geworden . Noch ein
dritter Donnerschlag , und nun fährt eine
Raketenreihe pfeifend in die Luft, und
macht dem Schauspiel den Anfang. Es
dauert gewöhnlich drei Viertel Stunden:
dir
S74 s —M —«

die Erde zittert, der Wald widerhallt vom


betäubenden Donnergcknalle ; es erschei¬
nen Städte , Paläste, Festungen, Gär¬
ten , Tempel, Brunnen rc. alles im ab¬
wechselnden vielfärbigen Feuer, welches die
ganze Gegend herum erleuchtet, baß man
Labei lesen könnten Den Schluß macht
allemal eine schrckliche Kanonade, wie sie
einst von Kollins Höhen herunter gedon¬
nert haben mag. Wenn die Witterung
gut ist , nimmt Hr. Stuwer gewöhnlich
5 bis 6200 Gulden ein.
Am südöstlichenEnde desPraters, dicht an
einem Arm der Donau, liegt das Lusthaus,
ein runder, ganz frel stehender Pavillon,
mit drei von aussen rings herum laufenden
Gallerten, von denen man eine artige
Aussicht genießt. Dieses Lusthaus ist bas
ganze Jahr zum Vergnügen des Publi¬
kums offen. Man wird mit Erfrischun¬
genbedient, und hat von allen Seiten an¬
genehme Spaziergänge herum . Die vom
Anfänge des Praters bis dahin nach der
Schnur
o— 575
Schnur angelegte Allee ist genau dritthalb-
tausend Klafter lang . In den schönen
Sommertagen , vorzüglich aber im Früh¬
ling , ehe der Adel Wiens noch auf seine
Landgüter gewandert ist , wird dieses
Lusthaus sehr häufig besucht : der ganze
Weg dahin ist mit Menschen , Pferden
und Kutschen bedekt. Um den leidigen
Staub zu dämpfen , der sich zu Wien in
alles mengt , hat man im vorigen Jahre an
dieser langen Allee Brunnen angelegt , auS
welchen die zum Gaffenkehren verurtheil-
ten Arrestanten Wasser schöpfen , und da¬
mit den Weg begiessen.
Es ist ein Schauspiel von besonderer
Art , wenn man sich an einem schö¬
nen Sonntag in ein Kaffeehaus an der
Leopoldsbrüke sezt , und von dort aus
der Menschenkinder treiben , jagen und
rennen nach Vergnügen beobachtet . Wenn
es Abend wird , so rükt aus dem Prater
gewöhnlich ein Zug von Kutschen an,
dergleichen man wohl an wenig Orten
ft-
576
sehen wird. Dritthalb Stunden lang
fahren oft über zwölfhundert Wägen ei¬
ner dicht hinter dem andern im sachten
Schritt über die Brüke herein.
Die Schlauköpfe die Jesuiten , wel¬
che sich allenthalben so angenehm und
gut zu nWn wußten, schwazten einem
jener bekannten frommen Kaiser auch den
Prater ah. Man nahm ihnen aber den
Hain in der Folge wieder , der unter
Karl dem VI. und Franz bloß dem Hof
und dem Adel zur Spazierfahrt diente,
von dem jezigen Kaiser aber allem Volke
offen gegeben wird.

cv.
Egoismus.

Es ist eine allgemeine Klage der heu¬


tigen Sittenrichter, daß der Egoismus
sein Reich allentbalbrn und allmächtig
ausbreite.
Der
577
Der Egoist, oder der Telbstler, wie
ich ihn auf Deutsch nennen möchte , ist
allerdings ein gehäßiges Geschöpf . Er be¬
trachtet sich allein als den Mittelpunkt aller
Dinge. Er will die Vortheile der gesit»
teten Menschengesellschaft geniesten , ohne
an den Lasten derselben Antheil zu neh¬
men. Das Leiden seiner Mitgeschöpfe
rührt ihn nicht im geringsten, wenn er
nicht selbst darein verflochten wird; und
die Freuden theilt er nur aus Nothwen-
digkeit mit denselben , weil es nicht mög¬
lich ist, allein gewisse Vergnügungen zu
geniesten. Stünde es in seiner Macht,
er würde alle Annehmlichkeiten auf seinen
Wohnplaz, und auf seine Lebensdauer
zusammendrängen ; denn „ wenn ich nicht
„ mehr bin, so mag die Sündfluth wie-
„ der einbrechen , und die Welt zu Grun-
„ de gehn" sagt er ganz gleichgültig.
Um seinem werthen Ich die mindeste Un¬
bequemlichkeit zu ersparen, würde er der
ganzen Welt Leides thun, und wenn er
O, das
57»
das mindeste Gute wirkt , so geschieht eS
nur , um zehnfache Zinsen davon zu ärn-
den . . . . . Großmuth , Wohlthätigkeit,
Mitleiden , Freigebigkeit , Vergeltung rc.
sind ihm unbekannte Begriffe.
Die Entstehung und Verbreitung die¬
ser Selbstsucht schreibt man gemeiniglich
unsrer Verzärtelung , dem steigenden Lu¬
xus , der Vermehrung unsrer eingebilde¬
ten Bedürfnisse zu. Ohne Zweifel tragen
diese Dinge viel dazu bei. Aber , laßt
uns aufrichtig seyn ; die Denk - und Hand¬
lungsart der heutigen Könige mag wohl
auch das ihrige thun , den Egoismus der
Privatleute zu verstärken. Wo hört man
denn zu unfern Zeiten noch viel von
Großmuth , Belohnung , Freigebigkeit der
Eouveraine ?— Ockonomie , Einschränkung,
Reduzirung , Abschaffen , Ersparniß rc.
Ließ sind gegenwärtig die allbeliebten Tu¬
genden der Höfe , und das blölköpfige oder
bestochene Volk der Zeitungsschreiber , und
Journalisten schreit jede kleinliche Knau¬
serei
879
serei der Erdegöter als Meisterstük hoher
Weisheit und Finanzknnst aus. Ein
Teil des Publikums sieht aber solche Din¬
ge aus andern» Gesichtspunkte
, und wird,
nach hohem Beispiel sich modelnd, zum
Egoisten.

cvj.
Britt ensucht.
So äberseze ich das Wort Angloma-
vie. Diese Sucht ist gegenwärtig bei der
feinen Welt in Wien sehr allherrschend.
Während des Amerikanischen Krieges fa߬
te sie die ersten Wurzeln. Man fieng
damals sehr allgemein an , Englisch zu
lernen , um die Zeitungen zu lesen:
dabei machte man sich mehr mit den
Engländern und ihren Sitten bekannt.
Es waren von jeher immer junge rei¬
sende Britten hier gewesen; unter
der jezigen Regierung vermehrte sich
ihre Zahl, mit dieser auch ihre Kleider-
Oo L kracht,
68o o-^W^ o
kracht, Ihre Thorheiten und ihre Vergnü¬
gungen. Die Sucht , sie nachzuahmen
wuchs und verbreitete sich immer mehr.
Die Wirkungen tiefer Brittensucht
sind Englische Sprache und Lektüre, runde
Hüte, grosse grobe Uiberrvke, dikbauschige
Halsbinden , dunkle Fraks mit hochstehen¬
den Halskragen , Stiefel und Sporn zu al¬
len Zeiten , ein n ichläßiger schwerfälliger
Gang , dike ästige Bengel statt der Spa-
z-erstöke, eine Art von .Rustizität in Stel¬
lung r nd Manieren , Kadogans , Punsch,
Iokeis , Wiski , Wettrennen re»
Bei den Weibern ist es die Lust zu
reiten , Thee, Hüte , Anglarsen, Sprache
und Lektüre, und ein allgemeines Vorur¬
teil für jeden jungen oder alten , hüb¬
schen oder häßlichen Knaben , der zwi¬
schen der Insel Wight und den Orkaden
zu Hause ist.
Was an diesen Dingen Gutes und
Schlimmes, Anständiges und Lächerliches
sey, sieht jeder von sebst.
Daß
O- ^xr- o L8r

Daß wir vie Engländer in der bequemen


Tracht » in den Verbesserungen unsers Ge«
räches nachahmen , ist allerdings vernünftig;
aber wenn sich ein Wienerscher Gauch , der
nie über Gumpoltskirchen hinaus gekom¬
men ist , mit dem Punfchglas in einer
und dem ästigen Bengel in der andern
Hand , einbildet , ein Engländer zu seyn,
er , den der nächste Polizeisoldat bei der
Rokfalte ins Gefängiß schleppt , oder der
Korporal mitten in der Nacht aus dem
Bette fort nach der Kaserne treibt — dann
muß man ihn bemitleiden . . . > Und jene
närrischen Weiber , die weiß nicht wel¬
chen Schwung und welche Lust darin fin¬
den , mit jedem durchziehenden Brittischen
Brausekopf eine Liebschaft auf vier Wo¬
chen anzufangen ; was sollen wir dazu
sagen ? — Nichts.
Ehedem war der Name Enylcknber
in den meisten grossen Städten von Eu¬
ropa beliebt und geehrt . Eine gewisse
Großmuth , Freigebigkeit , und gesezter
Oo z Ka-
ZSr
Karaktcr zeichnete die Reisenden dieser Na-
zion aus . Seitdem aber so viele jung'
thueude Sauseköpfe, Söhne von Stahl^
schmieden, Wollekrämern, Schinkenhänd¬
lern , Bierbräuern , Malzkochern rc. aus
Woodüo?, Leicestcr, Telbury , Alfreton,
Blandford rc. in der Welt herum schwär¬
men , sich für Lordssöhne ausqcben , be¬
trunken zu den vornehmen Tafeln kom¬
men , an den Handwerksburschen und
Ziakerkncchten ihre Box - Kunst ausüben
wollen ; seitdem hat sich die ehemalige
Achtung wenigstens hier in Wien, gewaltig
vermindert. Das bessere Publikum unter¬
sucht jezt erst, ob der Engländer auch ein
vernüftiger gesitteter Mensch scy , ehe cs
seinen Umgang duldet; es überläßt die
Tollheit , alles was aus England kommt,
ohne Wahl und Prüfung mit offnen Ar¬
men aufzufange», den deutschen 6oxcombs
beiderlei Geschlechts.

cvil.
S8Z

cvn.

Prediger - Kritik.

Noch vor zehn Jahren wär es ein beina¬


he sakrilegischer Angriff gewesen, - die
Prediger unter die Geisel der Kritik zu
nehmen, denn „ der Prediger auf der
Kanzel trägt Gottes Wort vor " war die
allgemeine Ausflucht: man dachte gutmü-
thig genug, um nicht bemerken zu wollen,
daß neun Zehntheile der gewöhnlichen
Prediger Gottes Wort höchst unanständig,
oder statt Gottes Wort wohl gar nur un¬
sinniges Mönchenwort vertrugen.
Äber, wie die heutige Welt nun schon
einmal vom Grübelgeist befallen ist, und
nichts mehr unangetastet läßt : so traf
denuWte Reihe auch das Wort Gottes,
oder eigentlich nur den Vortrag dessel¬
ben. Die Predigerkritik entstand . Es
war die Sturmgloke für alle schafköpfigen
O o 4 See-
684

Seelenhirten , die bisher auf heiliger


Stätte in ihrer
hochwürdigen Bequem¬
lichkeit ohne weiterS geschnattert hatten,
wie ihnen der Schnabel gewachsen war.
Der Anfang ward mit einer allgemeinen
Verdammung gemacht : man polterte auf
allen Kanzeln gegen sie ; man nannte sie
Äolksverführer , naseweise Bursche , Um-
stürzer der Religion und Andacht . Die
Regierung unterstüzte aber das heilsame
Werk ; selbst die Bürgcrklasse fieng an,
das Blatt zu lesen ,
die darinn vorge¬
tragenen Wahrheiten zu fühle n,die schlech¬
ten Prediger zu verachten und ihre Kir¬
chen leer zu lassen. Da die Herren Pre¬
diger endlich sahen , daß sie durch Toben,
Schimpfen , Klagen und Vorstellungen,
weder die Regierung noch bas Volk wei¬
ter auf ihre Seite zu ziehn vermochten,
so ergriffen sie den klügsten AuD >eg:
einige traten ganz ab , die übrigen besser¬
ten sich , soviel Sie konnten . So hat
diese
§85

diese anfangs verhaßte Kritik der hoch¬


würdigen Geistlichkeit einen wesentlichen
Vortheil verschafft: sie hat in Wien gu¬
te oder doch erträgliche Prediger gebil¬
det ; und wer dadurch gewonnen hat,'
ist augenscheinlich der Klerus selbst. . ...
Auch sind seitdem die meisten Geistli¬
chen hier mit der Kritik gegenwärtig
ganz ausgesöhnt, und danken ihrs in
geheim, daß sieden Predigtstuhl ehrwür¬
diger gemacht hat.
Herr Hofmann war der Stifter die¬
ses Blattes ; jezt ist der Herausgeber
desselben H. Tschink . Es dauert, unter
etwas veränderten Titeln schon in das
sechste Jahr ; das einzige Beispiel einer
periodischen Schrift , die in Wien ihre
Lebensdauer so hoch brachte.
Anfangs schränkte sich diese Kritik
bloß auf Wien ein. Nun beurtheilt sie
aber Predigten und Kirchensachen aller
östreichischen Provinzen: sie wandert von
O o 5 Frei-
586
Freiburg in Breisgau bis Semlin an der
türkischen Gränze . Weder die polnischen
Prediger hinter den Karpathen , noch
die Popen in Kroazien sind vor ihrer
Geisel sicher, Man muß zu ihrem Ruhm
gestehn , daß sie durch eine freie Rüge
die Regierung schon auf manche Mi߬
bräuche aufmerksam gemacht hat , wel¬
che ohne sie noch lange unbemerkt und
unangezeigt der wahren Religion zur .
Schande in einem entlegenen Winkel wür¬
den herrschend geblieben seyn.

cvm.
»— 537
cvur.

Moden.

„ Wien pichtet sich in Sachen dxr


Mode , im Ganzen genommen / noch im»
mcr nach Paris . Es gibt Damen und'
Mooehändlerinnen hier , die sich periodjsch
Puppen und Zeichnungen aus Frankreich
kommen lassen. Selten wachsen auf un¬
fern einheimischen Boden neue ^.Moden;
und wenn es auch geschieht , so schwingen
sie sich doch nicht zu dem Ansehn einer
Parisischen empor . "
„Ulberhaupt aber muß man gestehn,
daß hier die Moden nicht sogar unaufhör¬
lich wechseln , nicht zu einer sogar ent¬
scheidenden Wichtigkeit erhoben werden,
wie wir es von Paris hören . Es giebt
nicht gar viele Damen , die ein Verdienst
darinn zu finden glauben , die vielfältigen
neuen Moden sobald möglich an sich zu
pflanzen . Der grössere Theil ändert ziem¬
lich
63S
lich langsam. Ich glaub«, in Paris wech.
seln die Moden wenigst viermal, bis sie
hier einmal allgemein wechseln
; viele der¬
selben kommen gar nicht über unfern Ho¬
rizont. ES muß etwas sehr bequemes
und hübsches feyn, wenn es bei der gan¬
ten galanten Wienerwelt. Eingang finden
soll: dann erhält es sich aber auch, im
Durchschnitt , wenigst um drei viertel Jahre
länger , als ln Frankreich . Ob deutsches
Phlegma, Häußlichkeit / Blödigkeit der
Puzmacherincn , Abwesenheit einer regie¬
renden Monarchin rc. Ursache dieser
Stagnazion sey , kann ich nicht ent¬
scheiden."
So spricht das Journal de» Luxus
und der Moden — daS vogmatische Buch
für die Gläubigen der Göttin Mode— über
diese Rubrike.
Das Journal der Moden hat Recht.
Man trägt sich in Wien mit Geschmak;
man ändert von Zeit zu Zeit etwas in
Farbe, Schnitt, und andern Nebensachen
aber
§Sy
X

aber man macht nicht gar alle morschen


Albernheiten und Nichtswürdigkeiten mit,
die unsere queksilbernen Nachbarn jensett
des Rheins in ihrem Tändelei - Taumel
ausheken . Man macht aus einem neuen
kokenbau , aus einer Schnallen - Garnitur
nicht jene unendliche Wichtigkeit wie dort
drüben ; indessen will ich doch jedem ehr¬
lichen Mann , der in den Zirkeln der
bessern Gesellschaften gern gesehen mag
werden , wohlmeynend gerathen haben,
sich nicht sehr altväterisch zu tragen , und
überhaupt durch eine niedliche Kleidung
seine Außenseite eben so hübsch nnd ge-
schmakvoll herauszupuzen , als sein Inne¬
res durch Wissenschaft , Litteratur , Phi¬
losophie , Wij und Laune geschmükt scyn
mag.
Die Männer tragen sich heut ;u Tage
gräßtentheils nach englischen Mustern.
Auch scheint es , daß die stets mit Nied¬
lichkeit , und Bequemlichkeit verbundene
Solidität des englischen Anzuges sich
besser
SY2
besser-Mit unserm deutschen Nationalka-
rakter vertrage als das gar zu tändel-
haste Flltterwerk der Franzosen . . . . Die
Weiber aber haben noch immer mehr An¬
hänglichkeit für ihre schon verjährte Ge-
sezgeberin am Puztisch, für die Haupt¬
stadt Frankreichs und det Moden, für
das in diesen Kleinigkeiten unerschöpfliche
Paris . Darum reisen die berühmtesten
zwei Modehändlerinncn von hier , Mada¬
me I . und Madame M. alle Jahre wenig¬
stens einmal in Person nach Paris , um
dort mit eignen Augen zu sehen, was
in ihrem Fache Neues erschienen ist, und
mit diesem Neuen sogleich unsere niedli¬
chen Damen herauszupuzen. Wie groß
dieses Bedürfniß bei der hiesigen weibli¬
chen Welt überhaupt sey; läßt sich unge¬
fähr daraus berechnen, daß sechshundert
fünf und fechszig öffentlich privilegixte
Puzmacherinnen in Wien und dessen Vor¬
städten ihr niedliches Handwerk trei¬
ben.
Die >
59 »
Die Moden sind einer der ersten ? we¬
sentlichsten , und kostbarsten Bestandtheile
unseres Luxus . Die ernsthaften , häusli¬
chen Väter , und Ehemänner haben ihren
leidigen Jammer damit . Da kommen der
Zeuche, der Hüte , der Bänder , der Spi-
zen , der Schnallen , der Ohrgehänge , der
Hauben , der Fächer, der Dosen , der
Halstücher , der Federn rc. rc. bald so
viele , als Tage im Jahre sind ; und will
man den lieben Hausfrieden in seinen vier
Pfählen erhalten , so muß man schon we¬
nigstens von Zeit zu Zeit mit so einem
Artikel die gute,Laune der theuren Hälf¬
te oder der Heranwachscn4en Töchter er¬
kaufen.
Ich hätte meine wahre Freude daran.
Euch , geehrte Leser , einen männlichen
und weiblichen Stuzer nach dem Leben zu
zeichnen , wie sie eben jezt auf dem Gra¬
ben herumflattern ; weil aber mein Ge¬
mälde vielleicht in wenigen Wochen schon
wieder veraltet seyn möchte , so verweise
ich
5«-r o—22^- 0
ich Euch auf das weimarische Modena
Iournal , welches von Monat zu Monat
die Symptomen des Moden- Fiebers mit
Einsicht, Wahrheit und Anschauungskraft
darstellt.

cix.
Kirchen.

Es sind gegenwärtig ungefähr za


Kirchen und Kapellen weniger in Wien,
als ihrer vor sechs Jahren waren; und
auch die noch bestehenden haben eine et¬
was verändert» Gestalt bekommen.
In den Zeiten der kleinfügigen An¬
dacht behieng und überlud man unsere
Kirchen mit so vielen überflüßigen , zum
Theil auch unanständigen und läppischen
Verzierungen , Bilderwerk, Tändeleien, rc.
daß viele derselben dadurch gänzlich ver¬
unstaltet wurden, und eher einem geistli¬
chen Lrödelkram , als einem Tempel Got¬
tes
o - T-W -^-o 6W
tes ähnlich sahen . Das Fahnen - und
Stangenwerk der ehemaligen Brüderschaf¬
ten , stellte gleichsam einen ausgedorrten
Wald in den Kirchen vor ; wo immer ein
leerer Winkel übrig war , stellte man ein
Kreuz , einen geschnizten Heiligen , ein
Bild , einen Leuchter rc. hin . Wo sich
eine gcschnizte oder gemalte Statue von
Kristus , Maria oder einem andern Kir.
chenpatron befand , sejte man ihr eine
baumwollene oder andere Perüke auf;
staffirte sie mit einer silbernen oder ble¬
chernen Krone aus ; legte ihr auch wohl
gar ein seidnes oder wollenes Rökchen,
«inen Mantel , oder so was an . Alles
Ließ sollte — nach dem Sinn blöder An¬
dächtler und einfältiger alter Weiber —
eine Verherrlichung der Kirche , ein auf¬
erbaulicher Beitrag zur grösserer Anflam-
mung der krtstlichen Frömmigkeit seyn.
Mit der heiligen Messe wurde eben¬
falls eine Art von Unordnung getrieben»
P p Man
S94
Man las deren zu gleicher Zeik' so viele,
daß sie, statt die Andächtigen in einer
ruhigen GemüthSversammlung zu halten,
dieselben vielmehr zerstreuten
. Bei jedem
Altar stand ein Priester: der eine war
bei derWandlung, der andere beim Evan¬
gelium; der las den Kanon, jener die
Kollekte; dieser konsekrirte, jener sprach
das Ire milla ett. Man wußte oft nicht,
gegen welchen man sich mit dem Gesichte
wenden, ob man knien oder stehn sollte»
Hier ward Oremus gesungen, dort zür
Elevazion geklingelt, weiter hin zur Kom¬
munion an die Brust geklopft rc. rc.
Kurz, es war eine andächtige Verwir¬
rung, die jede wahrhaft fromme Seele
bestürzt machte.
Seit einigen Jahren herrscht mehr
Anständigkeit , Majestät, Ernst, Ruhe,
und Ordnung in den Wienerschrn Kir¬
chen.

All
Sd5
All der alberne Bruderschaftsplunder
ist aus denselben weggeschqft ' ; den ver-
kleideten Statuen hat man ihre Perüken
und Mäntel abgenommen ; statt dem pro¬
fanen Geludle , das oft einen Chor aus
einer Opera Buffa in rin LanLtng ver¬
wandelt , und cs während den heiligsten
Rcligionshandlungen gar lüße hernnter-
gekräht hatte , ist der populäre deutsche
Kirchengefang eingeführt . Mit den Mes¬
sen , als dem wesentlichsten Stük des ka¬
tholischen Gottesdienstes ist die Ordnung
getroffen , daß von halbe Stunde zu hal¬
be Stunde immer nur Eine , und diese
auf dem Hauptaltar der Kirche gelesen
werde ; die übrigen Altäre stehn gegen¬
wärtig ungebraucht da , und werden
nur nicht wtggeriffen > um keine unsymetri-
sche Lüken in die Kirchen zu machen.
Bloß in einigen der größten Hauptkir¬
chen ist es erlaubt , neben der hohen Messe
noch rin paar stille zu lesen , um gewissen
Pp , Klas-
Z96 O--W --0
Klassen von beschäftigten Leuten ein Ge¬
nüge zu leisten.
Sv sehr auch einige eigennäzige Prie¬
ster gegen diese Einrichtung aufgebracht
seyn mögen , so gewiß ist es doch , daß
die Kirchen nach ihrer wesentlichen Be¬
stimmung dadurch sehr gewonnen haben.
Der vernünftige Krist besucht fie jejt mit
mehr Auferbauung und mehr gerührtem
Herzen , bethet vielleicht etwas weniger,
klopft minder oft an sein Herz , hört
wenigere Messen; verrichtet aber seine
Andacht mit mehr Ruhe , Salbung und
Würde.
s §97

Bader.
Man kennt die Träume des Franzosen
OeMaillet. Er studirte, während seiner
Konsulschaft in Aegypten, durch fleißige
Beschauung der Meeresbewegung, die
Hypothese aus , daß die ganze Erde ehe¬
dem ein Meer gewesen, und wir Men¬
schen in unserm ersten natürlichen Zustan¬
de die Gestalt gehabt, wie man die Tri-
tonen und Sirennen malt: oben Mensch,
unten doppelschwänziger Fisch. Darum
empfiehlt er uns das Element dieser
Thiere vorzüglich, und sagt: im Wasser
leben sey das wahre Athmen unsrer an-
gebornen Luft. *)

Ppz Mail-

*) Lelpirer l'air oaral.


S98
DeMaillet übertreibt die Sache , da¬
ist gewiß; aber eben so richtig ist, daß
wir gar zu wenig im Wasser leben; und
aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, lobe
ich mir den Pscubopropheten -Mahomed,daß
«r seine Muselmänner durch die Religion
zum Baden verpflichtet hat. . . . Eine
übclvcrstandene Keuschhcits- und Züchtig-
keitSiorge, hat bei uns das Baden,
Schwimmen, und dergleichen Leibesübun¬
gen im Wasser beinahe gänzlich verdrängt,
und zu einer Art von Sünde gemacht,
da es doch augenscheinlich ist, daß in
unftrn Kinder- Jünglings - und Männer-
Jahren wenige Uibungen dem Körper so
heilsam sind, als Baden, Schwimmen
ic. Es erfrischt das Geblüt , reiniget
die Oberhaut, stärkt die Nerven, macht
gelenke und hurtig, und gicbt über¬
haupt unsrer ganze« Maschine Festig¬
keit.
1
S„
Erst in den neuesten Zeiten hat man,
von der Gewißheit dieser Wahrheiten
überzeugt, jene Wasserübungen bei den
militärischen Erziehungsanstaltenwieder
eingcführt. Hier sind sie freilich am
nothwendigsten ; aber gleich heilsam wür¬
den sie für die ganze Nazion, besonders
für die männliche Jugend feyn. Der
Staat sollte fichs angelegen seyn lassen,
durch die Wundärzte und Pfarrer auf
dem Lande den Gebrauch des Wassers
allgemein anzuempfehlen und einzuführen.
Eine Predigt über die Vortreflichkeit des
Badens nnd Schwimmens wäre nüzli-
cher, als eine über die Wichtigkeit des
Portiunkula - Ablasses.
Die Wiener hätten es vorzüglich nö-
thig , ihre Leiber fleißig ins Wasser zu
tauchen, weil der ewige Staub , und
der schwere, dampfige Dunstkreis dieser
Stadt ihre Einwohner auch vorzüglich
beschmutzen . Sie baden sich zwar, aber
Pp 4 lau-
6vo

lange nicht genug . Man hat vor eini¬


gen Jahren des vermeyntlichen Aerger-
nisses und der Ersäufungsgefahr wegen
das Baden in der Donau verbothen.
Zum Ersaz dafür sind ein halbduzend
Badhäuser vorhanden , wohl bemerkt:
Sechs Badhäuser für Wien , das heißt,
«in wahres Nichts für eine so grosse
Stadt . Der kleinste Preis für eine
Person in diesen Bädern ist 17 Kreu¬
zer , ungefähr so viel als sich der ge¬
meine Mann einen Tag über verdient,
folglich nicht auf das Bad wenden
kann . Der Staat sollte irgend eine An¬
stalt fressen , daß besonders die Kinder
der niedriger » Volksklassen , ohne ihre
Aeltern darüber in Unkosten zu sezen,
oft gebadet werden könnten , und wirklich
gebadet würden.
Vor zwei Jahren wurde das kalte
Stürzbad im Lichtcnsteinischen Garten
Mode . Es gehörte zum guten Ton , da¬
hin
62!

hin zu eilen und sich zu stürzen. Män¬


ner und Weiber , Damen und Stuben¬
mädchen , alles siürzre sich kopfüber in
das Wasser : man erzählte allgemein von
den guten Wirkungen dieser Plätscheren;
und was dns Lustigste ist , die Wirkun¬
gen derselbe », waren ganz entgegen ge-
sezt. Den geistlichen Herren kühlte es
Vas Blut , und erleichterte es die Pflicht
des Zölibats ; schwächliche Herren und
Damen stärkte es zu den Pflichten des
Ehestandes . . . Nach einigen Monaten
war die allgemeine Stürzlust wieder
vorüber.
Eine wahrhaft gute und bequeme An¬
stalt dieser Gattung sind die kalten Bä¬
der , welche Doktor Ferro dicht am Au¬
garten , auf der Donau angelegt hat,
Sie liegen auf grossen Kähnen : man be¬
findet sich vermöge eines Gitterwerks in
dem natürlichen , lebendigen Ctrohm der
Donau . Noch in diesem Jahre hat Dr.
PpA Ferr»
6o»

Aervo diese Bäder auch zum Spritzen ein*


gerichtet , daß man sich im nämlichen Au-
genblik am ganzen Leib begteffen kann,
weil die Empfindlichen sich beklagten , daß
ihnen beim einsteigen ln das kalte Wasser
das Geblüt alles in den Kopf getrieben
werde . Die Kabittetchen imdiesem Bade
find mit Sopha , Spiegeln , und allen
Bequemlichkeiten versehen. Ein einzelnes
Bad kostet 4O Kreuzer , wer sich eine be¬
stimmte Zeit hindurch regelmäßig badet«
hat es um etwas geringem Preis,
6vz
cxi.

Akademie der Künste.

Die Kunst hat in Wien schön feit


langer Zeit grosse und erhabene Gönner
und Liebhaber gezählt . Dieß ist billig.
Ein so blühender und reicher Staat , tvte
der Oestreichische, kann und muß üllerdings
etwas auf die Künste verwenden , die
freilich zum thiertschen Leben , für ein Volk
von Hottentoten und Kalmuken entbehr¬
lich sind , aber nicht für eine Nazion , die
in der Welt eine Rolle spielen , die sich
Achtung erwerbenwill ; die Geist , Muth,
und Bestreben nach bessern Kenntnis¬
sen , nach einer edlern Existenz in sich
fühlt ; kurz, nicht entbehrlich für eine ge¬
sittete , emporstrebende , verfeinerte
Nazion,
6?4
Dieser Wahrheit ist man in Oestreich
überzeugt - Schon Kaiser Leopold ent¬
warf im I . 1704 den Grund
zu einer
Kunst - Akademie ; ließ die unentbehrlichsten
Erfordernisse zu einer solchen Anstalt , die
Muster der hohen griechischen Kunst , ei¬
nen Laokoon , eine Medizeische Venus,
einen Vatikanischen Apoll , den Vorghe-
sische« Fechter rc. in Rom abformen und
hieher bringest . Förmlich , eröffnet wurde
sie aber erst unter seinem Nachfolger Jo¬
seph dem I . , am lg Dezember 1705.
Unter Karl dem VI . erhielt sie noch mehr
Unterstüzung , und eine neue Klasse , die
Klasse der Architektur ; auch wurden da¬
mals schon Preismünzen ausgetheilt . Sie
bildete die Gran , Altomonte , Janek
Ferg , Donner rc.
Nach vielen Abwechslungen ihres
Standortes ist endlich die Akademie der
Künste vor zwei Jahren in das dritte
Stokwerk des ehemaligen Jesuiten - No-
vi-
625

vijiateS bei St . Anna versezt worden.


Hier hat sie geräumige Säle und Zimmer,
für alle Klaffen und Arbeiten, und kann
sich des von keinem Nebengebäude gehin¬
derten Lichtes in vollem Masse auf die
vortheilhafteste Art von allen Seiten be¬
dienen. Ihre sechs Klaffen sind:

Geschichtmalerei;
Bildhauerei,
, Architektur,
kandschaftmalerei,
Erzverschneiderei,
Kupferstecher
!.

Ihr Protektor ist seit 177» Wenzel


Anton Fürst von Kaunitz- Rittberg; ihr
Vorsteher, Baron von Sperges. Das
dazu gehörige Personale ist: der Akade¬
mische Rath, die Ehrenmitglieder , die
wirklichen Mitglieder, die Schüler. Die
Klassen haben ihre Direktoren und Leh¬
rer.
6v6

rer. Jährlich werden an die Schälet,


welche die beßten Preisstüke verfertigen,
goldene Münzen ausgctheilt. Von Zeit
zu Zeit wird auch eine öffentliche Aus¬
stellung neuer sehenswürdiger Stüke von
bereits vollendeten hiesigen Künstlern,
und andern akademischen Mitgliedern,
in dem grossen Modcllsaal und einigen
Nebenzimmern veranstaltet, und ein ei»
gener Katalog darüber gedrukt.
6^/
cxii.
Schazkammer.
Der Philosoph lächelt beim Eintritt
ln dieses Gewölbe. . . . . Hier liegen die
Herrlichkeiten der Erder Königs - Kro¬
nen , Herzogs - und Fürsten - Hüte , Gold-
und Silber - Klumpen , in Hunderterlek
schöne Formen geöracht, zum Gebrauch
der Götter dieser Erde ; Perlen und Edel¬
gesteine, aus beiden Indien zusammen¬
geholt r kurz, all jener schimmernde und
flimmernde Plunder , welcher den ange-
beteten Gözen der Thoren ausmacht , und
selbst von dem Weisen nicht ganz gleich¬
gültig angesehen wird.
Nebst den Dingen , welche man ge¬
wöhnlich in den Echazkammrrn grosser
Könige zu sehn pflegt , als da sind gold-
ne und silberne Tafclservice, grosse kost¬
bare Schmnkgarnituren, und andere theils
. künst-
628

künstliche, theils theure und seltne Stä¬


ke , enthält die Schazkammer zu Wien
die Ungarische und Böhmische Krone , den
erzherzoglichen Hut , und noch die Insig¬
nien einiger anderer Provinzen.
Die Ungarische Krone , welche in den
vorigen Zeiten auf den Schlössern zu Ofen
und Preßburg gelegen hatte : und der
erzherzogliche Hut , de» nach altem Her,
kommen das Kloster Neuburg in Ver¬
wahrung hielt , wurden im April 1784
chieher gebracht.
Ehedem hielt man bekanntlich die
Krone eines Reichs für ein unumgäng¬
lich nörhiges Stük zum rechtmässigen Be¬
st; desselben . Man verwahrte dieses
Spielzeug hinter siebenfachen Thüren,
Riegeln und Siegeln . Einem König
seine Krone zu stehlen , war eben soviel,
als ihm sein Reich abnehmen : in der
alten Geschichte von Ungarn , Böhmen,
Polen re. kommen solche Beispiele vor . . .
Heut
6oy

Heut zu Tage lächelt man über diese gut¬


gemeinte Grille unsrer ängstlichen Gro߬
väter . Statt der gefährlichen Eigenstn-
nigkeit , den Besij , folglich auch die Ruhe
eines Landes cm ein kleines Goldklümp¬
chen ju knüpfen , steht man jezt auf die
wesentlichern Ansprüche , auf Erbrecht
und Best;. Indessen hebt man diese al¬
ten politischen Reliquien noch als eine
Seltenheit auf , zeigt sie den Neugieri¬
gen ; steht sie aber in .der aufgeklärten
Welt ungefähr mit eben dem Auge an,
wie die Kirchen-Reliquien.

Unter dem grossen Vorrath von Ju¬


welen am Familienschmuk des Oestreichi-
schen Hauses ist besonders merkwürdig
der grosse Diamant , gewöhnlich der Flo-
rentinische genannt . Er ist in Betracht
seiner seltnen Grösse ungefähr der dritte
unter allen bisher bekannten Diaman¬
ten. Das Schikfal spielt« ihm sonder-
Qq bar
bur mit . Einst glänzte er am Diadem
Karls des Kähnen Herzogs , von
Bur¬
gund . Dieser unglükliche Fürst , zu viel
auf sein gepuztes , reiches , vom blühend¬
sten Adel strozendes Heer bauend , wur¬
de von den groben Schweizerbauern zum
erstenmal bei Grauses schlimm zugerichtet,
und verlor daselbst vorzüglich sein ganze-
Lager , samt allen darin liegenden Schü¬
ßen und Kostbarkeiten * ) . Unter diesen
befand sich auch der grosse Dlamant . Der
Schweizerische Landsknecht , welcher ihn
i bet

—- - - ,- -
.* ) Ein alter lateinischer Reimer Hat auf
die wiederholten schreklichen
. Nieder¬
lagen des unglütlichen ÄarlS folgende
ziemlich lahm» Berse gemachti

vpp 'uis rrioa üdi , Du» Lrrvle äirs Nitre:


In Le- ur Lr'sose , <7-ex» Gurken,
6r*

bei der Plünderung - es LaA« s .tuschte,


und sich permuthlich besser . auf . Käse als
guf Hiamanxeu jverstand >. „ verk^«st.e i^ u
an «mey ^ HHMr ^ von Bern , lim ^süns
Gulden ^ ,^ dieser an eines . staLänischeA
Knufmayn jNG lLÄ Gulden ; und so gieng.
er von Hgnd zu HanZ>, ^»fld stets sn sei-,
ncm verdienten Preise steigend , ,As .Hy
der Herzog von Florenz erhandelte , von
wo aus er bei den veränderten Befizern
dieses Landes in die Schazkammer nach
Wien kam , wo er er nun für eine Tonne
Goldes nicht wieder feil ist.

Da ich kein Inventarium von den


Merkwürdigkeiten Wiens mäche, so über¬
gehe ich auch die Einzelnheitcn der Schaz¬
kammer , die von Jedermann mit eignen
Augen gesehn zu werden verdient.

Unter den vorigen Regierungen be¬


stand auch eine sogenannte geistliche
Q q n Schaz-
6 ^»
Scha 'zkammer , wo vevneinte 'geistliche
Kostbarkeiten und Raritäten , z» B . das
Kreuzbild , welches mit K. Ferdinand
gesprochen haben soll , uird^ dergleichen
schöne Sache « mehr, aufbehalten wur¬
den. Diese Dinge hat man zerstreüt-
und meistentheils an angemessenere Pkäje
gebracht.

cxllr.
6lA

cxm . .

Vieh - Arzneischule und Thier-


Spital.

Die Anbether des Brama haben für


alle Gattungen von Thieren eine Art von
brüderlicher Liebe , weil sie dieselben für
Wohnungen von Menfchenseelen halten.
Die Anhänger des Mahomed mach?« Stif¬
tungen für Hausthiere und Vögel , um
sie zu nähren . . . . Wir find klüger:
wir pflegen unsere ökonomischen Thiere,
die uns zur Nahrung , Arbeit und Be¬
quemlichkeit dienen.

Die Hornviehfeuche ist ein Uibel , das


die größte Aufmerksamkeit des Staats
verdient , weil sie oft die Nahrungs¬
quellen eines ganzen Landes hemmt . DaS
Q q3 Pferd

i
6l4 0 - -LS - - 0

Pferd ist ei« so nüzliches, für einen mi¬


litärischen Staat so unentbehrliches Thier
daß man für die gute Erhaltung dessel¬
ben nie zuviel Sorge verwenden kann.
Um diose beiden wichtige» Gegenstände
der Staatsökonomie gehörig zu besorgen,
hat man die Vieharzneischule und dgs
damit verbundene Thicrspltal angelegt.
Das Gebäude dieses Institutes liegt in
der Dorstadt Landstraffe, in der Raben-
gasse. Der Äeskulap unsrer ökonomischen
Thiere ist Herr wolstcin.

Der erste Grund zu dieser öffentlichen


heilsamen Anstalt wurde schon im I . 176«)
von dem jrzt regierenden Kaiser gelegt.
Darauf ließ man Hrn . Wolstein durch alle
Länder von Europa reisen, wo er seine
Kenntnisse über die Naturgeschichteund
Anatomie der Hausthiere, über die Krank¬
heiten und Operazionen der Pferde , rlber
die Zucht der Pferde , des grösser» und
klei-
0 - 7W -- 0 6 iZ

kleinern Hornviehes rc. erweitern konn¬


te . Nach seiner Zurükkunft kam zu
Ende des Jahrs 1777 das Thierspital
und die Vieharzneischule vollkommen zu
Stande.

Da dieses Institut beinahe das einzi¬


ge in seiner Art , von sehr wesentlichem
Nuzen , und im Anslande nicht nach Ver¬
diensten bekannt ist : so will ich es hier,
nach einer schon gedrukten Nachricht , et¬
was umständlicher anzeigen.

„Alle Theile der Thierarznei werben


an dieser Schule nicht bkos theoretisch,
sondern auch praktisch gelehret . Professor
Wolstein , der zugleich die Dirckzion über
das Spital und die Schule führt , lehrt
Naturgeschichte , verbunden mit der Lehre
von den Kenntnisicn der Pferde , und ih¬
rer Auswahl zu den verschiednen Geschäf¬
ten - Dann trägt er die kehre von dem
Q q 4 Huf-
6l6
Hufbeschlage theoretisch vor , und erläu¬
tert die Lehre von den Krankheiten und
Seuchen der Pferde, des Hornviehes,
der Schaafe und Schweine. Der Ober¬
adjunkt Schmidt giebt praktischen Un¬
terricht im Hufbeschlage , der Adjunkt-
und Apotheker Mengmann behan¬
delt die Arzneimittel- Lehre, und die
Kunst sie zu bereiten. Der Adjunkt Tö-
- gel lehrt Anatomie und Physiologie; hält
zugleich in den bestimmten Stunden die
Repetitionen. Der ganze Lehrkurs dau¬
ert etwas über zwei Jahre. — Die
Ordnung in diesem Hause ist folgende:
Morgens von 7 bis halb 9 Uhr versam¬
meln sich die Schüler mit Professor Woll¬
stein, betrachten mit ihm die Kranken,
wohnen den Verordnungen und Opera-
zionen bei, die täglich zu verrichten find.
Von y bis io Uhr werden die Vorlesun¬
gen gehalten; und von io bis n Uhr
beschäftigen sich die Schüler mit eignen
Bemerkungen . Für diejenigen, welche
617

weder im Spital , weder in der Anato¬


mie , Apotheke noch Schmiede die In¬
spektion haben , sind die Stunden von s
bis z Uhr Nachmittags frei . Die Repe¬
titionen und Prüfungen , die, ausser Mitt¬
woch und Donnerstag , täglich öffentlich
geschehen , werden von z bis 5 Uhr im
Hörsaale gehalten . Die Zahl der kran¬
ken Pferde beläuft sich gewöhnlich von
20 bis auf zo Stäke ; die größte An¬
zahl von 40 bis Zo . Jedermann kann
kranke Thiere gegen Bezahlung des Fut¬
ters und der Arznei in das Spital geben;
es werben immer so viele angenommen,
als Raum dafür vorhanden ist. Kranke
Schaafe oder Hornvieh werden nur dann
angenommen , wenn um Wien sich eine
Viehseuche äuffert . Die Schüler bestehen
aus Inländern und Fremden . Nicht bloß
angehende Aerzte und Wundärzte , son¬
dern auch bürgerliche und Militär - Schmie¬
de , Bereiter und Oekonomen besuchen das
Q q Z Spl-
6ig
Spital und die Schule. . . . Im Jahr
17/7 wurde verordnet, daß keinem
Schmiede das Meisterrecht soll erthcilt
werden, der nicht durch Zeugnisse dar-
thun kann, daß er den Lchrkurs der
Thierarznet zurükgelegt hat. Durch eine
andere Verordnung vom I . 178 > kann
kein Arzt zu einem Physikat gelangen, der
nicht die Lehre von den Seuchen und
Krankheiten des Hornviehes vollendet
hat. Dieser Theil der Thierarznei wird
alljährlich gegeben, und dauert der Un¬
terricht in demselben sechs Monate. . . ..
Seit demI . 1780 wird die Thierarznei
auch an den Universitäten zu Prag,
Pest, Lemberg, Freyburg, und Gräz
von Lehrern vorgetragen, die in der hie¬
sigen Wolsteinischen Schult ihre Bildung
erhalten haben. "

Die
o--W -^o 6l-
Die jungen Mediziner vom Auslande
besuchen dieseSchule sehr fleißig; auch
haben einige deutsche Fürsten schon ei-
gends Zöglinge, in dieses Institut hieher
geschikt; daß also vermuthlich bald ähn¬
liche Schulen nach dem Muster desselben

in mehrern deutschen Provinzen entgehen


werden. »
t^IV.

Der ziste Dezember.

Unsre guten, zeremonienvollen , stet^


fen und komplimentenreichcn Vorfahren
hatten gewisse Glükwünfchungstage als
einen Ehrenpunkt fesigesejt . Dieselben
versäumen , hieß freiwillig Gnade, Gunst,
Freundschaft, Empfehlung, und gutes
Vernehmen der Familien aufgeben . . . .
Um alles dieses fester zu gründen, und
sich öfter im Gedächtniß derer aufzufri-
schen, die man aus Neigung oder Ab¬
fichten zu Freunden behalten wollte, ver¬
mehrte man allmählig diese Glükwün-
schungstage zu einer übermäßigen An¬
zahl.

Der
6a«
Der Neujahrstag; die Ostevfeyer,
die Pfingstfeyer; die Weihnachtsfeyer;
der Geburtstag des Herrn vom Hause;
der Geburtstag der ' Frau vom Hause;
der Namenstag des Herrn; der Na¬
menstag der Frau ; die Eeburtstäge
vnd Namenstage aller Kinder, Schwe¬
stern, Tanten rc. rc. In einigen wohl¬
habenden Familien von Bürgern und
kleinern Beamten sogar die Iahrstage
der geschloffenen Ehe , des erhaltenen.
Amtes rc. rc. Alle diese Tage sezten den
iganzen Zirkel der Bekannten vom Hause
in Bewegung, daß sie sich in ihre Ga¬
lakleidung stekten, zu Wagen und zn
Fuß nach dem beglükten Hause eilten,
und ihren Krazfuß machten, sich zu ho¬
hen Gnaden oder alten Freundschaft em¬
pfehlend.

Allmählig faßten einige den Muth,


hiese ewige Glükwünscheret höchst überlä¬
stig
6»»

fitg zu- finden . Es blieben für einmal


die grossem.Feyertage . w ^g . Die kleinen
Familien :Ish «stage wurden auch wegsa-
tyristrij. t- Nach vnd nach vergaß mag
ebenfalls anf -die Geburts - und Namens¬
tage der kleinen und der Nlbenfamtlie,
Die Namenstage des Herrn, . besonders
aLer-Ler Frau , And der erwachsenen Töch¬
ter , haben sich noch , ziemlich erhalten.
Der - allgemeine , unter einer politischen
Todtsünde , nicht,zy tzergessiendx Tag des
Glukwuxsthes aber Ist her . Neujahrstag,
vder eigentlich dar Vorabend , desselben,
der zrste -Dezember.

-Wehe den Pferden vog Wie » an die,


sem Tagel besonders den Pfxrben der
Lehenkutscher und Fiaker . Da stcht kei¬
ner müßig ; alle Pläze sind leer ; man
zankt sich darum , man überbietet ein¬
ander in die Wette . Nie ist so unsi¬
cher zu gehn , als aü diesem Lagealle
Gaffen

G
62z
Gaffen und Straffen find voll von hin und
herrennrnben Wagen , mit hochgepuzten
Herren und Frauen beladen.

Wenn eben recht fchmujiges Schla-


kerwetter einfällt , ist es -etn wahret 'Jant-
mer. Das Frauenzimmer bekömmt beim
Aussteigen einen derben Guß von der Dach¬
traufe auf deu Kopf und Busen . Das
Stuzerchen in weiß scidnen Strümpfen
und Hut unterm Arm, wird von den
Wagenrädern wie getygert mit Koth be-
sprizt . In den Häusern geht es Trepp
auf Trepp ab ; man stoßt an
gnädige
Frauen und Lakeien , an Kavaliers und
Läufer ; jeder rennt zur Thüre , krizelt
seinen Namen auf , oder wirft ein paar
Billets hin . Die Bekannten , welche
sich begegnen , lachen einander aus , oder
fluchen auf alle Gratulationen.

In-
624 o

Indessen , wie es in allen Religionen


Freigeister , gibt , so gibt es auch , wel¬
che über das Dogma der Gläkwünschungs-
Nothwendigkeit . Ich bin dabei. Und, im
Vertrauen gesagt , unser Haufe wächst ?
alljährlich mehr an.
WWW^ WZKWW
^ MNMVW
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gurrst«

Vrcn uni» .
Är i»cn >^n«url?ilrij>n AurMnuiülMN

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'L*-^
Der Türkenkrieg.

v » « ch einem fünfzigjährigen Waffenstill¬


stand ist endlich Oestreich neuerdings mit
den Oschmanen zu Tätlichkeiten gekom»
men . Am yten Februar 1788 ward dem
Divan in Konstantinopel , dem' Baschavon
Belgrad , und den übrigen Türkische«
Gränzvfftzieren in Bosnien , Servier »,
Walachei , Moldau r-c. die Kriegserklä¬
rung des Orstreichtschr« Monarchen kund
gemacht ; und sogleich Tags darauf fi«N-
Rr » gen
6- 8 '

gen schon an mehrern Orten die Feindse¬


ligkeiten an . . . . Ganz Europa hat nun
die Augen auf dieses Schauspiel geheftet,
bei dem auch ejn Theil von Asien und
Afrika mit verflochten ist.
.Wien ist vor allen andern Orten bet
diesem Auftritt geschäftig . Die
Unter¬
nehmungen und das Schiksal der kaiserli¬
chen Armeen an den türkischen Gränzen,
find gegenwärtig der erste Gegenstand der
öffentlichen Aufmerksamkeit ; die Theilneh-
mung an denselben machen einen wesent¬
lichen Zug in der heutigen Fysiognomie
des Publikums aus.
Die Veranlassung des gegenwärtigen
Lürkeukrieges ist so ziemlich die nämliche,
wie im Jahr i/z/ . Der gewaltthätige
Angriff auf Rußland macht , daß sein ho¬
her Aüirter auch dießmal den Degen ge¬
gen die Pforte zog.
Wir müssen hoffen,
daß ec ihn mit mehr Vortheil und Ehre
in dieScheide steken wird , als es vor fünf¬
zig Jahren geschah.
Laßt
6»-
-aßt uns über jenen Feldzug auch in
der Erinnerung so schnell als möglich,
wegeilen . Man hatte keine Generale,
keine Kriegskasse , keine Magazine . Der
jesuitische Beichtvater , alte Weiber , Pfaf¬
fen , und Hoffchranzen , kabalirten , machten
Parteien , eins gegen das andere , und
verwirrten alles . Es gieng dann auch
darnach. Zwei Jahre nach angefangener
Fehde war man froh , mit dem Verlust
der Walachei , Serviens und Belgrads,
einen Frieden zu machen , um die Türken
nicht auf dem Halse zu haben , wenn der
schon ,sehr wahrscheinliche Fall einträte,
den im darauf folgenden Jahre eine
Trüffelpastete beförderte . *)
Wenn auf die Güte menschlicher An¬
stalten und Maßregeln etwas zu trauen
und zu bauen ist : so sollte Oestreich in
R r z dem

*) Karl VI . starb am 20. Oktober 1740 an de«


Unverdaulichkei« dieser Pastete.
630

dem gegenwärtigen Türkenkriege nicht un-


glüklich seyn; gesczt auch, daß es von
Rußland nicht auf das vollkommenste un-
terstüzt würde. . . . Seine Kriegsmacht
ist im Vergleich mit jener vor 50 Jah¬
ren — eine ganz neue Schöpfung. Ein
zahlreiches, auserlesenes, vortrefflich ge¬
übtes Heer ; geprüfte Generale ; eine un¬
geheure, wohl bediente Artillerie; gefüll¬
te Magazine; eine gut gespikte Kasse;
Uiberffuß an allen nur erdenklichen Kriegs¬
bedürfnissen; endlich an der Spize des
ganzen Kriegsstaats ein Monarch in eig¬
ner Perlon , der in nicht geringem Grade
einsichrsvoll und thätig ist, der Strenge
und Güte wird anzuwenden wissen, die
Pflichtvergessenen , die Ränkemacher, die
Feigen zu bestrafen und zu entfernen;
Muth , Tapferkeit, Eifer und Treue nach
Verdiensten zu belohnen.
Indessen muß man auch von der an¬
dern Seite gestehn, daß die Türken kei¬
neswegs verächtliche Feinvr find. Ihr«
hohe
6zr

hohe Meynung von sich selbst , ihr Pa¬


triotismus , ihr Fanatismus , ihre Geld-
gierde , gibt ihnen einen Grad von per¬
sönlicher Tapferkeit , daß fie sich — als
einzelne Streiter betrachtet — mit dem
Soldaten jeder Macht messen können.
Uiberdas haben sie den Dortheil einer
unerschöpflichen Menschenmenge , die der
Despotismus aus Asten und Afrika herbei
treibt , den Dortheil ihrer mäßigen schlech¬
ten Nahrungsart , welche die Unterhal¬
tung ihrer Truppen um die Hälfte wohl¬
feiler macht , als die Verpflegung brr
unsrigen.
Bei allem dem ist zu vermuthen , baß
gute Taktik und gute Artillerie , welche
heut zu Tage das Loos der Kriege ent¬
scheiden , und welche beide den Türke«
vorzüglich mangeln , auch hier ihre ge¬
wöhnliche Wirkung thun , und über wil¬
de , unordentliche Kampfwuth siegen wer¬
den. Ein vortheilhafter Wahlplaz , und
der übereinstimmende Eifer von Offizieren
Rr 4 und
6Z»
und Gemeine » , unter den Augen de-
kandesfürstrn sich hervorzuthun , lassen
die Niederlage rasender , von Opium bei
täubter Muselmänner mir einiger Zuver¬
sicht erwarten.
Schon vor Ausbruch des Krieges hat
man von Czcrnowitz in der Bukowina an,
durch Siebenbürgen , das Bannat , Syr-
Wien , Elavouirn und Kroatien , bis an
das adriatische Meer , einen Truppenkor-
don gezogen , um die plözlichen Einfälle
Türkischer Horden und Raubgesindels in
unsre Provinzen zu hindern . Nebst der
Hauptarmee , welche sich bei Futak in Un¬
garn versammelt hat , stehn noch fünf beson¬
dere Korps gegen den Feind im Felde:
das erste in der Bukowina unter dem
Prinzen von Koburg ; das zweite in Sie¬
benbürgen unter dem General Fabris;
das dritte im Bannat unter dem General
Wartrnsleben ; das vierte in Slavonien
unter dem General Mitrowsky ; bas fünf¬
te in Kroa len unter dem Fürsten von
Lichten-
§33
Lichtenstrin
. Die Hauptarme« wird der
Kaiser in eigner Person , und unter ihm
Feldmarschall Lascy kommandiren: der
Erzherzog Franz macht dabei seinen ersten
Feldzug mit. . . Mir dürfen nicht zwei¬
feln , daß der Erfolg die getroffene Wahl
der Generale rechtfertigen wird. In¬
dessen wundert sich doch das Publikum
von Wien , die Namen von Hadik und
London nicht bei der Armee zu finden.
Die ersten kriegerischen Schritte find
bereits gcthan. Koburg hat die Wege
aus der Moldau gegen Choczim vortheil-
haft besezt, und nähert sich langsam die¬
ser Festung. Fabris ist in die Moldau
eingedrungen, und hat die dortigen wich¬
tigen Salzwerke und die Hauptstadt Jafst
weggenommen. Wartensleben hat die
von Belgrad bis Orsowa auf der Donau
gelegenen türkischen Schiffe erbeutet, nnd
rükt gegen die Walachei. Mitrowsky hat
die türkischen Schiffe auf der Sau weg-
genommen, Türkisch Gradiska in Grnnd
R r 5 gc-
6Z4 O—

geschossen , und ein Detachement seiner


Truppen jenseits der Sau postirt . De
Vins ist vor der Anstellung deS Fürsten
von kichtenstein in Bosnien eingerükt , lieg
Dresnik und Sturlich durch seine Kroaten
wegnehmen , welche aber von Dubitza
mit Verlust abziehn mußten . Leute wel-
che dgs Land kennen , versichern , daß
die Einnahme von Bosnien äusscrst schwer
sey , und erst dann erfolgen dürfte,
wann man ganz Servien in seiner Ge¬
walt hat.
Die Hauptarmee stand bisher noch in
Kantonirung , sieng aber am iZten April
an zu kampiren . Ihre erste Unterneh¬
mung soll die Belagerung von Belgrad
seyu , indessen zu gleicher Zeit Koburg,
ln Vereinigung mit Rußischen Truppen,
Choczim anfallen , und die Kroaten in
Bosnien an Bihacs oder Banjaluka zu
kommen trachten werde « .
Das Schwerd ist also gezükt ! Wollte
ich nach Art der Zeitungsschreiber den
fein.
635

fetnnafichten Politiker machen , was könnt


ich da für Vermuthungen und Profezei-
hungen auftischcn ; aber ich mische mich
nicht gern in dieses Handwerk.
Das Ernsthafte von der Sache abge¬
rechnet , ist eS ein wahrer Spaß , die
Leute von verschiednen Ständen über diese
Angelegenheit sprechen , kannegießern und
streiten zu hören . Die meisten haben sich
irgend einen Zeitungsschreiber jum Patron
erkiesen , dessen Orakelsprüchen sie blind¬
lings folgen . Die sich einsichtsvoller dün¬
kenden verachten alle Zeitungen , und rä-
foniren nach eignem Kopfe . Der Eine
glaubt , es sey nichts leichter , alS alle
Turbane in einem einzigen Feldzug über
den Kanal nach Asien zurükzujagen . Der
Andere meynt , wenn nicht fünf oder sechs
Europäische Mächte zusammen helfen , so
werde man wohl dem Meister Türk nicht-
anhaben können . Ein Dritter erhebt je¬
den kleinen erfochtenen Vortheil bis an
die Wolken ; ein Vierter zukt immer die
Ach-
6z6
Achsel « , und weissagt, - aß der hinkend«
Boche Nachkommen werde. Man schlägt
sich auch wohl in Blerhäusern nicht bloß
mit Worten, sondern auch mit Fäuste»
um seine Meynung.
Ein anderer nicht so spaßhafter Um¬
stand Ist, daß der leidige Türkenkrieg in
Wien das Brod über die Hälfte kleiner
gemacht, und die meisten Lebensmittel in
eben dem Derhältniß vertheuert hat,
weil die Zufuhre aus ganz Ungarn ge¬
sperrt ist.
Noch hat der Hof keine ausserordentlk
che Kriegssteuer gefordert. Die Erobe¬
rungen in Osten werden dem Staat dop¬
pelt süß und vortheilhaft seyn, wenn sie
ohne neue Auflagen ausgeführt werben,
welches auch mit Grunde zu hoffen ist, da
nach der heutigen Verfassung der Armeen,
und dem Verhältniß der dabei interesstr-
ten Mächte, der Krieg unmöglich lang«
dauern kann.

cxvi.
ß
6g7
cxvi.
Das Schanzl.
Dieß ist der Haven von Wien. Alles,
was von Menschen , Waaren, Früchten re.
die Donau herunter schifft , kömmt hier
an das Ufer. Das sogenannte Echänzk
besteht aus dem schmalen Erdstrich, wel¬
cher zwischen den Festungswerken der ei¬
gentlichen Stadt und dem hier vorbei»
fliessenden Arm der Donau liegt.
Man fleht dort ein immerwährendes
Bild der Geschäftigkeit . Schiffe kommen,
Schiffe gehen. Ein Haufen nervigter
Männer Ist von Sonnen, Aufgang bis
Sonnen - Untergang ln voller Arbeit, die
tausenderlei Bedürfnisse der grossen Stadt
aus - und einzuladen . . . . Die aufge¬
blasenen Spitzkrämer von Brabant und
e Flandern , und ihre Sykophanten ln
Brüssel, haben weiter nichts als einen
neuen Beweis von lächerlichem Geldstolz
und
6z8
und Niederländischer national Unwissen- I
heit gegeben / da sie in ihren unbändigen *
Denkschriften von den Morasten der Do - 1
nau in den Tag hinein schwazten ; da
Eie -— welche die Donau nie anders als
auf der Landkarte gesehen hatten — be¬
haupteten , dieser Zluß sey nur durch
seine Iliberschvsemmungen in der Welt
bekannt . . . . Wer sich vom Gegentheil
solcher alberner Sprüche augenscheinlich
überzeugen will , der gehe an bas Schänzl,
und er wird sehen , daß man die freilich
manchmal ausrretcnde Donau auch zum
Vortheil Oestrelchs zu benutzen wisse.
Es ist ein Mauthhaus am Schänzl,
wo die Koffers der aukommenden Frem¬
den , und andere Sachen von minderer
Wichtigkeit , sogleich beim ausladen unter
die alles aufspürenden Finger und Augen
der Zollbeamten kommen. Neben demsel¬
ben stehen hölzerne Hütten , worin man §
kocht, barbirt , frisirt , ißt , trinkt , schläft,
ungefähr wie auf einer wüsten Insel,
wenn
6zy
wenn man durch Sturm dahtn verschla¬
fen würde.
In der Jahreszeit der reifenden Früch¬
te , ist auf dem Schänzl den ganzen Tag
über grosser Obstmarkt , wo man die
Geschenke PomonenS . ganz frisch , so wie
sie anlangrn , geniesten kann. Dabei hat
man nicht selten da- Schauspiel von den
wüthenden Fehden der Obstweiber , wie
sie sich Schürzen und Kappen vom Leibe
reisten , dichte Büschel Haare ausraufen,
und so derb mit Nägeln und Fäusten auf
Nasen , Augen und Wangen begrasten,
daß das Blut umhersprizt ,
unk der
Kampf selbst einem Haufen erboßter Ma¬
trosen itzhre machen würde . Dieses für
die Zuseher immer lächerliche Schauspiel,
die vollen Obstkörbe , und die Aussicht auf
den sehr lebhaften Fluß , macht das Cchänzl
zu einem vorzüglich beliebten Spaziergang
für die Handwerksbursche und ihre näschi-
gen Schönen . An Feyrrtagen besonder-
ist der Plaz den ganzen Tag mit einer
Men-
642

Menge von diesen Leuten bedekt , die sich


jum Theil auch hier auf kleinen Schiff - *
chen für l Kreuzer über den Fluß nach
der gerade gegenüber liegenden Leopold¬
stadt führen lassen. ' > .
Nicht fern ausser dem Cchänzlthvt
steht eins kleines Häuschen , woran mit ei¬
nem schwarjrn Strich die Höhe bemerkt
ist , auf welche bet der Überschwemmung
im März 1784 das Wasser stieg. Sie
beträgt beinahe zwei Klafter über die ge»
»ähnliche Oberfläche des Flußcs . Man
stelle sich die dadurch entstandene Verwü¬
stung vor!
Nicht selten ist das Schänzl der Stand¬
punkt freundschaftlicher Umarmungen und
Herzensergieffungen . Wer fich im westli¬
chen Deutschland auf der Donau ein¬
schifft , um nach Wien zu gehn , schreibt
an seine hiesigen Freunde und Bekannte,
an welchem Lage er ungefähr einzutreffen «
gedenkt . Man geht ihm auf das Schänzl
entgegen ; das erwartete Schiff landet;
der
641

der Fremde springt freudig ans Ufer; sein


Freund eilt ihm iu die Arme, - rwillkommt
ihn mit brüderlichen Küssen, und führt
ihn , Hand in Hand geschlungen, nach
der lärmvollen Stabt.

cxvli.
Vanko und Börse.
Die Wienersche Stadt - Bank hat ei¬
nen festen und wett ausgebreiteten Kredit.
Ihre Obligationen gehen nicht nur in den
östreichische
« Ländern, in Friedenszeiten,
mit drei bis z H Prozent Aufgeld; son¬
dern ihre Vaukzettel kursiren auch in frem¬
den Provinzen , wie z. B. in Holland,
statt baarcn Geldes. Dieses Kredit grün¬
det sich auf den unerschöpflichen natürli¬
chen Reichthum des östrcichischen Staats,
auf die gute Verwaltung dieses grossen
politischen Körpers , aiif die gewissenhafte
und genaue Ordnung , die Interessen zur
, E s Stun-
64 » 0Ü- W - -0

Stunde , wenn sie fällig sind , zu bezah¬


len , und alle Bankopapiere ohne Verzö¬
gerung und Anstoß gegen baarrS Geld
einzulösen.
Nach dem kostbaren siebenjährigen
Kriege wurden die Interessen von 5 , auf
4 vom Ivo herabgesetzt. Seit vielen
Jahren nimmt man auch zu 4 Prozent
keine Kapitalien mehr an , sondern nur
r» 34-
Das Stadt - Bank - Amt ist in der
Singerstrasse . Hier werden die Obliga¬
tionen auf Verlangen der Besitzer umge-
schrieben ; hier werden die Interessen aus-
bezahlt , die man aber an Festtagen , am
Mittwoch und Samstag jeder Woche nicht
erheben kann. Auch kann man hier die
Bankozettrl gegen baares Geld umsetzen. . .
Die Bank - Obligationen kann man auf fei¬
ne » eignen wahren , oder auf erdichtete
Namen schreiben lassen , und so kurfiren
sie Jahre lang , und unter hundert Hän¬
den in verschiebnen Angelegenheiten herum,
ohne
64Z
ohne daß dir wahre Eigenthümer dersel¬
ben bekannt ist r eine sehr bequeme Ein¬
richtung , weil es manchem ehrlichen Mann
aus guten Gründen ungelegen seyn kann,
den Börselaurern und andern Geldmäklern
wissen zu fassen , ob er diese oder jene
Obligation verkauft , versetzt , oder sonst
zu einem Geschäft gebraucht hak.
Die Aufkündigung der Kapitalien muß
vier oder sechs Wochen , auch wohl ein
Vierteljahr vor der verlangten Bezahlung
geschehen , je nachdem die Summe kleiner
oder grösser ist. Die Aufkündungszeit ist
in jeder Obligation von selbst bestimmt.
Wenn der Staat in einem Krieg verwt-
kelt ist , so werden keine Kapitalgeldec
herausbezahlt , die Interessen aber laufen
ln ihrer Ordnung fort.
Vor Zeiten soll die Manipulation bei
diesem Amte nicht die Beßte gewesen seyn.
Ihre Mangelhaftigkeit brachte vor etwann
zwölf Jahren einen Schurken , NamenS
Donati , welcher bei der Bank als Beam«
S s « ter
644

ter stavd , und folglich den Gang der


Waschine genau einsah , auf den Gedan¬
ken , die Bank zu bestehlen . Es gelang
Ihm , und er flüchtete mit einer grossen
Summe vermuthlich nach Amerika . Nach
diesem Vorfall verfügte sich Se . Majestät
der jezige Kaiser selbst nach dem Banke
Amt , ließ sich die ganze Sache , und die
Manipulation genau vorlegen . Daß er
nicht damit zufrieden war , erhellet daraus,
daß er sprach : „ Wenn die Sachen auf
, , diesen Fuß behandelt werden , so wun --
„ dert mich , daß Donati nicht eine Noch
„ grössere Summe entwandte . " Seitdem
hat man die Manipulation strenger einge¬
richtet , und ein Nachahmer des Flüchtigen
würde heut zu Tage übel anlaufen.
Das Hof -Kupfer »Amt nimmt ebenfalls
Kapitalien an , und stellt Obligationen
darüber aus , seit mehreren Jahren auch,
wie die Bank , nur zu z -z Prozent , jrzt
aber, seit dem Anfänge des Krieges , wie¬
der zu 4 Prozent . Diese Papiere habe»
ge-
645
gewöhnlich beinahe eben den Werth , wie
die Bankscheine , doch find fie etwas mehr
dem Steigen und Fallen unterworfen.
Um die Negoziationen und den Umlauf
dieser öffentlichen Staatspapiere mehr zu
befördern und in der Ordnung zu erhal¬
ten , ist die Börse vorhanden . Sie steht
vormittags von ri bis l Uhr , und nach¬
mittags von z bis Z Uhr offen , und ist
auf dem Kohlmarkt , beim grünen Fäßchen,
im ersten Stokwerk . Hier werden alle
Geldgeschäfte , bei denen es auf den Ver¬
kauf, die Verwechslung der Staatspapiere
und förmlicher Wechselbriefe ankommt , ge¬
schlossen , oder wird die Abfchliessung an-
gezeigt . Die öffentlichen Papiere , welche
jemand seinem Gläubiger für baare Be¬
zahlung überläßt , oder mit welchen der
Kauf von Realitäten , Häusern re- ver¬
gütet wird , gehören nicht in das Forum
der Börse . Zur Verhandlung derWechfel-
briefe ist es genug , wenn solche auf der
Börse geschieht , oder auch ausser dersel-
- S s Z den.
646
den , jedoch mit Beiziehung eines Sensa¬
len , welcher das Geschäft in das Tage¬
buch der Börse einträgt . Weiber, - Ban¬
krottmacher , Minderjährige und als Ver¬
schwender erklärte , sind von dem Eintritt
der Börse ausgeschlossen . Es sind Geld¬
strafen und die Ausschliessung vom Eintritt
ln die Börse für diejenigen ausgesetzt,
welche Staatspapiere und Wechsel ohne
Anzeige bei der Börse verhandeln ; wel¬
che in ihren Wohnungen Zusammenkünfte
dulden , deren Gegenstand auf die Börse
gehört ; welche aus Wuchergeist , um die
Papiere fallen zu machen , den Werth
derselben verrathen.
Diese Absichten und Anordnungen find
zum Wohl des Publikums weise und ge¬
deihlich entworfen . Indessen behauptet
man , daß beschnittene und unbeschnittene
Juden , samt einem feilen Troß von Un¬
terhändlern , die Börse häufig umlagern,
pnd manchmal die guten Anstalten dersel¬
ben vereiteln.
cxvm.
647
exvm.

Juden-

Der Saame Abrahams pocht nicht so


ganz umsonst auf die ihm gethane Ver¬
heißung , daß er sich mehren werde , wie
die Sterne am Himmel . In den östrei-
chtschen Erblanden befinden sich zum mind-
sten zovoso Israeliten . In Ungarn
und Böhmen waren sie schon seit lauge
häufig ; aber mit Galizien bekam der Staat
auf einmal um 160000 solcher Geschöpfe
mehr.
In Wien schweben ungefähr fechst-
halb hundert Judenseelen . Ihr einziger
und ewiger Beruf ist zu mauscheln und scha¬
chern , und Geldmäkeln , und zu betrügen
Kristen , Türken , Heiden , ja sogar sich
selbst unter einander . Die Judengasse,
die Preßgasse , und die dortigen Winkel
der Stadt , nennt man spottweise das
Neue Israel ; denn da wimmclts , beson-
Ss 4 ders
ders gegen Mittag und Abends in der
Dämmerung , von armen Beschnittenen,
die nach hebräischem Accent Deutsch mit¬
einander sprechen nnd zanken , und dieß
mit solchem Eifer , daß ihnen der Geifer
in den schmuzlgen Bart fließt , und sie ein¬
ander wohl auch unabsichtlich ins Gesicht
speien.
Dieß ist indessen bloß der bettelhafte
Troß aus Kanaan , der an Schmu ; , Un-
fauberkeit , Gestank , EkelHastigkeit , Aii-
muth , Schelmerei , Zudringlichkeit , und
was etwaun sonst noch die Eigenheiten
des auserwählten Volks seyn mögen , nur
noch von dem Gesindel der zwölf Stämme
aus Gallijien übertroffen wird . . . . Die
Indischen Fakire abgerechnet , gibt es
wohl keine Gattung von seyn sollenden
Menschen , welche dem Ourangoutang nä¬
her kommt , als einen polnischen Juden.
Die Wilden auf den Inseln der Südsee
sind noch Stutzer gegen sie , wenn anders
den Cookischen Abbildungen zu trauen ist.
Vom
64Y
Dom Fuß bis zum Hals voll Koch,
Schmutz und Lumpen, in einer Art von
schwarzem Sack steckend, der um die
Mitte mit einem Gürtel gebunden ist,
woran ein schmieriges Stük Riemen und
einige Schnüre hängen , die , ich weiß
nicht, welche göttliche Gebothe und Ge¬
heimnisse bedeute« sollen ; der Hals offen
und von der Farbe der Kaffer« ; das
Gesicht bis an oie Augen verwachst« , von
einem Bart , der selbst dem Hotzen Prie¬
ster im alten Tempel Graust« etregca
würde ; die Haart büschelweise verdreht,
und in Knoten geknüpft, um die Schul¬
tern triefend ? als ' ob sie alle dielpolnifche
Plika *) hätten. . . . Ihr Geist, oder
was etwa bei ihnen die Funktionen diese-
Wesens verrichten mag , ist , nach dem
Geständniß ihrer eignen Landsleute , wo
S s 5 mög- .

*) Sine besondere Arankbeit de* Polen Man


sed « darüber C »re «steilen durch Polen
Rußland »e.
650

möglich , in einem noch elender » Zustande


als ihr Körper . — Wäre Swift jemals
in Polen gewesen , ich würde glauben,
er habe das Original zu seinen ^ ahoo»
von den dortigen Israeliten genommen . —
Diese .'Geschöpfe kommen in den Zetten
der Jahrmärkte zu Hunderten nach Wien,
um Maaren einzuschachern , und in ihre
Heimath zu bringen.
Hält man die reichern Juden von
Wien gegen jene elenden Wichte , so sollte
man,freilich nicht glauben , daß sie hes
nänjllchenHerkommens , mit ihnen fcyn.
Die Familien der Arnßeiner , Wetzlar ,
Hönig »c. find bekannt . Sie haben sich
durch mancherlei Wege ansehnliche Reich-
thümer erworben ; aber eben diese Götzen
Haben manche derselben von der Religion
ihrer Väter abtrünnig gemacht : wozu
auch der Umstand hilft , daß die Juden
hier noch immer vom Ankauf liegender
Gründe und unbeweglicher Güter aus-
geschloffen find ; eine heilsame Verord¬
nung
o 6zr

nung , wen «» man das Beispiel mancher


Gegenden anfieht , wie daselbst durch ehe¬

malige alljugrosse Begünstigungen die Ju,


den das Kristenvolk verdrängen und drü¬

cken. Die jeitlichen Vortheile , welche


unter der vorigen Regierung mit solchen

Bekehrungen verbunden waren ; die min¬


der lästige Lebensart der Kristen , gegen
die äusserst beschwerlichen Religionsgebräu¬

che der Anhänger des Talmud gerechnet,


und die engere Freundschaft , welche «in

zum Kristen gewordener Israelit mit den


Vornehmen des Hofes und der Stadt

knüpfen konnte , waren ebenfalls wichtige

Beweggründe , aus dem Alten in das

Neue Testament zu flüchten . . . . Die

scheinbaren Absichten , mit denen einige

krlstliche Priester an dieser Sache arbei¬

teten ; und der Eifer , mit dem sich die


frommen Damen und Kavaliers von Wie«

zum Taufstein drängten , um die Pathen-


stelle bei dem der wahren Religion ge¬

wonnenen Juden zu vertreten , gab jeder


sol«
65»
solchen Bekehrung , woraus nur selten
Erbauung entstand , doch immer ein fryer-
leches Ansehen.
Indessen sind , kroz grosser Reichthü-
mer, einige Familien doch der alten
Theokratie getreu geblieben ; und find un¬
ter den duldsamen Wienern darum nicht
weniger wohl gelitten . Man erinnere
sich der bekannten Eskales , die , bei aller
Anhänglichkeit an das Ges «; Mofis , köst¬
liche Staatsmänner , Helden und Gelehrte
bezauberte . Und die schöne Hebräerin *"*'!
macht sie nicht noch bis auf den heutigen
Tag die Afpafia für unsere jungen Ka»
valiers und eleganten Herren? Knien
vor ihrer Bundeslabe nicht um die Wette
Anhänger desPabstes , Luthers , Kalvins,
und der Englischen Kirche ? . . . Freilich
sagt man , herrsche in solchen Häusern
ein Ton , mit dem ein orthodoxer Rabbi»
«er nicht allerdings
zufrieden seyn würde;
aber wer bekümmert sich bet solchen Um-
siän«
6§S

ständen um den krallsbärtigen Pedanten,


der am Pentateuch Md Talmud kaut!
Die Jude « haben keine Synagoge in
Wien ; aber es sicht ihnen frei , in ihren
Wohnungen zu brthen , schreyen , Gri¬
massen zu machen , wie und so oft sie
wollen . Die hier Heisathen wollen , müssen
ein Vermögen von 10020 Fl . aufweisen.
Welche sich hier ansässig machen wollen,
müssen vor der Polizei anzeigcn , auf
welche Art sie sich nähren können . Die
fremden Juden , welche kommen , die Jahr¬
märkte zu besuchen , erhalten immer nur
auf 6 Wochen Erlaubniß , hier zu bleiben;
nach Verlauf dieser Zeit müssen sie sich
von der Polizei neuerdings auf 6 Wochen
Freiheit auswirken : eine gute Anstalt,
um die Stadt vor dem allzugrossen Utber-
lauf dieses Mäklergesindes zu bewahren.
Der alles reformirende Geist nusers
rastlosen Zeitalters , hat sich auch an die
Nachkommen Abrahams , Isaaks und Ja¬
kobs gemacht . Dohms Schrift: über
die
6Z4
die bürgerliche Verbesserung der Jude « ,
erregte viel Aufsehn ; wenn aber öffentli¬
chen Nachrichten zu trauen ist , so that
sie selbst in dem Lande ihrer Entstehung
wenig Wirkung . Schon vor Dohms Ab¬
handlung waren in Prag ein paar Klei¬
nigkeiten übet eben diesen Gegenstand er¬
schienen. Sie machten Eindruk auf bas
Publikum , das war es alles . Die Gewalti¬
gen der Erde kehren ^ sich leider selten an
die Stimme der Schriftsteller.
In den östretchischen Landen hat man
indessen , ohne Rücksicht auf die Vorschlä¬
ge der Gelehrten , einige Veränderungen
Mit der Judenschaft vorgenommen , wel¬
che Einfluß auf dieses Volk gewinnen
müssen , wenn sie in der Praxis so gut
ausfallcn , als die Theorie derselben viel¬
versprechend ist. Um dieses exotische Volk
mehr an die Lebens - und Denkungsart
der wakern Deutschen Nazion zu gewöh¬
nen , hat man ihnen befohlen , lauter be¬
stimmte deutsche Familieu - Namen , anzu-
neh-
6ZS
' nehmen ; alle ihre Rechnungen , Synago¬
gen - Bücher , Gerichtsbücher , Verträge,
Wechselbriefe , und überhaupt alle Arten
von öffentlichen Schriften , in deutscher
Sprache und mit deutschen Buchstaben zu
schreiben. Ihre Schulen in Böhmen,
Oestreich , Mähren , Ungarn , Galligen rc.
find auf den Fuß der deutschen Normal-
Schulen eingerichtet , und es muß allent¬
halben in denselben Deutsch gelehret wer¬
den. In Gallijien hat man ihnen unter
vortheilhaften Bedingungen Grundeigen-
thum eingeräumt , und noch mehr ange-
bothen , um sie an den Akerban und an
die kandwirthschaft zu gewöhnen . . . .
Herz Homberg , ein Schüler von Moses
Mendelssohn , und selbst jüdischer Abkunft,
hat die Aufsicht über alle Juden -Schulen
in dieser Provinz erhalten , um diese unbe¬
schreiblich rohen Horden , so viel möglich,
anderen gesitteten Menschen etwas ähnli¬
cher zu machen.
6Z6
Ich meines Theils würde die Juden,
wenn ihre Zahl so groß ist , wie in den
Lstreichischen Erblandea , allen Pflichten
den übrigen Uoterthanen unterwerfen«
Auch an den Militar -Stand würde ich sie
gewöhnen . In Brandenburg läßt man
die dort ansäßigen McnnoMen nicht zahl¬
reicher werden , und keine Prosclitcn ma-
^ chen , weil cs ein blutscheues Völklein ist,
das keine Kriegsdienste thuk. In Ungarn
hat man vor zwanzig Jahren aus gleiche»
Gründen di« dortigen Mcnnoniten gezwun¬
gen , katholisch zu werden , um sie für
den Staat gleich brauchbar zu machen.
Warum sollen die Juden eine Ausnahme
geniesten ? . . . Zu wirklichen Soldaten
würde ich sie zwar nie nehmen , weil ich
weiß , daß sie Feige sind , die so wenig
fliegerischen Muthes und männlicher Zucht
fähig werden , als ein Regiment kappen
oder Samojeden ; die beim ersten Kano¬
nenschuß das Gewehr wegwerfen und aus
der Fronte laufen würden . Aber man
neh»
6Z7

nehme sie zu Fuhrknechten , zu Ctckkknech-


ten , zu Regiments -Schneidern , Schustern,
Bäkernrc . Ihr Einwurf wegen der Heili¬
gung des Sabbaths ist eine leere Aus¬
flucht. Man hat in Preuffen Soldaten
gefehn , welche wirkliche Juden waren ; im
lezten amerikanischen Krieg hat der Ober-
Rabbiner von Amsterdam seinen Reli¬
gionsgenossen allgemeine Dlspenfazion er-
theilt , daß sie als Soldaten bei der Ar¬
mee , als Matrosen auf den Schiffen,
und in andern Eigenschaften dienen konn¬
ten , ohne Sünde , ohne den Sabbath,
ihre Kleidungsregeln , ihre Tischgesetze rc.
zu verletzen . Endlich haben sie ja Bei¬
spiele in der Bibel selbst. Fochten sie
nicht unter den Maccabäern am Sabbath

gegen ihre Feinde ? *)


Man

*) Da diese« schon geschrieben war , erschien


in der Wiener Zeitung , Nro . 41 . vom
21 » Mai 1788 folgender Artikel:
Da « kbnigl. gaUizische LandeSguberr
nium hat unter dem 8. April nachstehenr
T t de«
658
Man behauptet, daß die reichern Ju¬
den überhaupt stark anfangen, im Punkte
ihrer Religion Freigeister zu werden, oder,
welches in ähnlichen Fällen eben so viel
sagt, philosophischer zu denken . Allmäh-
lig wird sich dieses weiter verbreiten, und
mit dem Sturz ihrer Vorurtheile werden
sie auch gemeinnütziger werden. Um die¬
ses zu beschleunigen , müßte man vor
allem

Sreisschrerben erlaffen : „ Damit di«


in diesem Äbnigreiche so zahlreiche jüdi¬
sche Nazion für den Staat gemeinnüzsger
gemacht , und ihr zugleich die Gelegen¬
heit verschaft werde , sich für daS allge¬
mein « Wohl zu verwenden , dadurch aber
neue Nahrungszweige für sich zu erhal¬
ten , und zugleich an Aufklärung sowohl
als an Verbesserung der Sitten zu ge¬
winnen , haben S «. Mai . mittels Hofde'
kret« vom lg . Febr . d. I . gnädigst zu
beschliessen geruht , daß di« jüdischen Un-
terthanen in Gallizien , und zwar gleich
hei gegenwärtigen Kriegsumständen , zu
den Militärdiensten verwendet , und da¬
her künftig gleich den Christlichen Un»
terthanen kvnskritirt werden sollen. "
659
allem ihre Rabbiner die eigensinnigsten,
unwissendsten Leute unter der Sonne,
mehr zur Vernunft bringen.

cxix.

Nonnenklöster.
Die Einrichtung der kristlichen Non¬
nenklöster, so wie sic jezt noch in den
meisten katholischen Ländern bestehn' ist
vom Grunde aus schief und verkehrt. Ich
weiß nicht, in wie fern der Himmel an
diesen Anstalten Wohlgefallen haben mag;
aber so viel ist gewiß , daß die gesunde
Filosofie und Staatsku »st sie ganz unk
zwekmäßig, grausam und abentheuerlich
findet.
Therese ist ein gutes , munteres Mäd¬
chen. Sie hat eine lebhafte Einbil¬
dungskraft , aber sehr mittelmäßigen Ver¬
stand. Ihre Mutter ist ein frommes Weib,
die «ine weitläufige Verwandt« in einem
Tt » Non-
66o
Nonnenkloster der Stadt hat. Der Vater
gilt für einen vermögenden Mann. Mutter
und Tochter besuchen die verwandte Nonne
oft : man füllt dem Mädchen erst den
Magen mit Zukerpläzchen und anderm süssen
Nonnengebäcke , nach und nach den Kopf
mit andächtlerischen Grillen. Die geistli¬
che Muhme hat es der Abrissen gestekt,
daß Theresens Vater Dukaten besizt . Nun
wird mit dem Pater Beichtvater ein Plan
angelegt, das Goldfischchen einzuhaschen.
Die Versuche gelingen; das Mädchen wird
allmählig so sehr für den Schleier erhizt,
daß sie ihn selbst von ihren Aeltern ver¬
langt. Die Mutter ist zu fromm, sich
dem vermeintlichen Beruf zu widersezen;
der Vater steht unter dem Pantoffel; nach
sechs Monaten schleicht Thereschen in das
Kloster, und bringt ihr reiches Erbtheil
mit sich. . . . Rosine ist die jüngere Toch¬
ter eines armen Edclmannes. Um dem
Sohn , welcher Soldat ist , eine kleine
Unterstüznng neben seiner Gage zu ver-
schaf.
66r

schaffe« , um die ältere Schwester mit dem


Sohne eines Mannes verheirathen zu kön¬
nen , von dem man gewisse Protektionen
hofft ; muß Rosine auf Ihr Erbtheil Ver¬
zicht thun , und Klosterfrau werden . . . .
Leonore ist ein Mädchen voll Feuer , voll
romantischer Bilder und Träumereien . Sie
hat einen Liebhaber , der ihr empfindliches
Herzchen bis zu Thränen der Wonne und
Zärtlichkeit schmelzen macht. Plözlich
schlägt ihr Papa einen ganz unbekannten
Mann zur Herrath vor , denn es ist eine
sogenannte gute Parthie . Schon der
blosse Gedanke , ihrem Geliebten entrissen
zu werden , macht , daß Leonore Kräm-
pfungen bekommt. Während dieses Stur¬
mes erhebt sich ein noch ärgerer ; unter
einem sehr scichtenDorwand verläßt sie ihr
Liebhaber . Nun ist sie in Verzweiflung.
Unwissend , daß die Zelt solche Liebes-
wunden bald heilt , spricht sie nun bloß
vom Kloster , verabscheut alle Männer,
bewegt die ganze Verwandtschaft und den
L t z Ge-
66»

Gewkffrnsrath vom Hause zu ihrem Ab¬


sichten ; Papa wird vom göttlichen Beruf
überwiesen , tritt mit dem vorgeschlage¬
nen Freycr zurük , und Leonore vergräbt
sich in eine Zelle . . . . Susanne lebt
bei ihrer Mutter , einer Wittwe von vier¬
zig Jahren . Diese ist die leibhafte Woh¬
nung des Zankteufels . Susanne kann kei¬
nen rechten Schritt thun : alles an ihr
wird getadelt , über alles wird gekeift;
sie hat weder bei Tage noch bei Nacht
Ruhe . Der Vertraute des lüsternen Wei¬
bes , ein vierschrötiger Kanzlei - Federfuchser,
hilft getreulich dazu , Susannen zu foltern,
um sie auf irgend eine Art los zu wer¬
den. Das gequälte Mädchen weiß keinen
andern Ausweg , und flüchtet aus uner¬
träglichem Gramm in ein Kloster.
Man sehe in die geheime Geschichte
der Nonnenklöster ; man frage die meisten
Exnonnen , welche offenherzig genug sind,
die Wahrheit zu reden , und man wird
finden , daß unter zwölf Mädchen immer
neun
Sü-Mü 'v 66z
neun bis zehn aus solchen ober ähnlichen
Gründen in die Klöster kamen. Und was
war dort ihre Beschäftigung ? das unver¬
standene Breviar zu bethen ; süsse Näsche¬
reien zn kochen; Amulette , Bilder , Eka-
puliere und dergleichen albernrS Spiel¬
zeug zu verfertigen ; Wallfahrten in einen
Gartenwinkel oder auf den Dachboden
anzustellen ; mit den Oberinen und unter
sich selbst zu zanken, eifersüchteln , beneiden,
verläumden ; halb mystische und halb ir¬
dische Liebeleien mit dem Beichtvater und
andern Mönchen unterhalten ; oder aus
tnnern Gramm und Verdruß über vereitelte
Aussichten , zerschellte Hoffnungen , ge¬
täuschte Gefühle , in einer dumpfen Schwer-
muth dahin welken . Erzwungene Untä¬
tigkeit , eine der schmerzlichsten Plagen
für nicht ganz abgestumpfte Menschen,
war in den meisten Nonnenklöstern allge¬
mein herrschend. Auf dieses Weibervolk
paßte eigentümlich die Schilderet des
Römischen Dichters:
Tt 4
664
Lk — ^NTÜLM natlo , gratis andelsns,
ocquxrtL in otio , mulrum gtzeaüo nikil
sxeos.
In Oesireich ward man endlich dieser
Menschengattung und ihres vermeintlichen
Berufes satt . Seit der gegenwärtigen
Regierung find alle Nonnenklöster aufge¬
hoben worden , die fich mit blossem Chor¬
fingen beschäftigten . Man hat nur zwei¬
erlei Orden beibehalten : den einen , dessen
Schwestern Spitäler für arme Weibsleute
unterhalten ; und den anderen , welcher
fich mit Unterweisung der Mädchen ab-
gibr.
Wien hat noch drei Nonnenklöster:
die Elisabethinerinnen auf der Landstrasse,
welche fich mit ihrem Krankenhause be¬
schäftigen . Ihr Institut ist für die Mensch¬
heit heilsam , und ihre Bestimmung ehr¬
würdig : bei unfern hochökonomischen Zei¬
ten ist an solchen Zufluchtsorten für un-
glüklich Leidende eben kein Utberfluß . Die
Thätigkeit , mit der sich diese guten Schwe¬
stern
665

stern ihrer Nebenmenschen annehmen,


macht ihnen selbst ihre Lebensart erträgli-
cher , und ihr Daseyn dem Staate ge¬
deihlich . . . . Die Ursulinerinen in der
Stadt beschäftigen sich mit dem Unterricht
bürgerlicher Mädchen ; und die Salesiane¬
rinen auf dem Rennweg haben eine Erzie¬
hungsanstalt für adeliche Töchter . Diese
Anstalten haben freilich von einer Srite
etwas Gutes , und können das Fortdau-
rrn dieser Klöster einigermassen rechtfertt,
gen ; indessen ist es ein bekannter , aber
nicht ungegründeter Einwurf , daß die
Nonnen - Erziehung immer etwas schiefes
hat , und auf die meisten Mädchen Ein-
drüke macht , Begriffe und Gewohnheiten
bei denselben zurükläßt , welche in der
Folge manche« ehrlichen Mann die ge¬
wöhnlich sehr mit Kleinlichkeiten beschäf¬
tigte Kloster - Erziehung verwünschen ma¬
chen. . . . Der Gebraus junge Mäd¬
chen haufenweise in die Klöster zusammen
zu sperren , ist vermuthttch aus Frankreich
Tt s r»
666

zu uns gekommen , taugt aber deswegen


um nichts mehr- Der wissenschaftliche
Unterricht in diesen geistlichen Kosthäusern
läuft gewöhnlich auf «ine Gedächtnißsache
hinaus , und das Aufgefaßte fertig her¬
unter zu plappern . Gibt man die Mäd¬
chen hinein , um ihre Unschuld desto siche¬
rer zu bewahren , ihnen Sitten und Le,
bensart beizubringen : so fällt die Wirkung
oft noch schlechter aus , als im Unterricht.
Was die Lebensart betrifft : so find die
meisten aus diesen Klosteranstalten kommen¬
den Mädchen entweder sehr blöde und
Menschenscheu , oder so vrrschmtzt, ränke¬
voll , und bösherzig , daß sie sogar zum
Sprichwort geworden find.
Es war dem deutschen Publikum auf¬
fallend , da es vor ungefähr zwei Jahren
In der Wtenerzeitung las , baß man fünf¬
zehn Sakraments - Nonnen aus Frankreich
habe kommen pfiffen , um sie in Lemberg
bei der Erziehung des jungen weiblichen
Adel - zu gebrauche « . Leider 1K dort eine
sol-
1
o-ü-W ---« 66/

solche Stiftung von der Französin l .»


Orange , nachheriger Gemahlin Johannes
Eobiesky , angelegt » Allein die nasewei¬
sen Franzmänninrn machten «inen solche»
tobenden Lärmen , und brachten alleS in
eine solche Unordnung , baß man sie nach
einem Jahre fein sauber wieder alle ab-
dankte , und ganz in der Stille dorthin
zurük spedtrte , woher sie gekommen
waren.
Man erlaube mir einen Vorschlag r
da die Stiftung der beiden hiesigen Non¬
nenklöster zur Mädchen - Erziehung bestimmt
ist , so verwandle man diese Häuser vol¬
lends ln weltliche Institute , wie daS schon
bestehende Mädchenpensionat ist. Diese
Verwandlung wird und muß unfehlbar
Vorzüge . über das geistliche Institut
haben.
Es leben in Wien viele Ex - Nonnen.
Sie haben sich zu ihren Verwandten , Be¬
kannten , oder ihrer zwei und drei zusam¬
men gezogen , und gemessen in der Stille
ihre
668
Ihre Pensionen . Es ist zu bedauern , daß
der andächtige Eigensinn von ein paar
Bischöfe » ihnen die förmliche Befreynng
von ihren ehemaligen Gelübden verwei¬
gert hat . Wie manchen Reichen und
Vornehmen hat man schon von den feier¬
lichsten Gelübden , selbst vom Priester¬
stand , zur Ehe losgesprochen ' . . . Bei
den Nonuen aber war weder Geld noch
Einfluß zu erhaschen ; und so wäre eS
freilich himmelschreiend , ihre Gelübde auf¬
zulösen . Dieses Benehmen gibt eine neue
Destättigung über den verächtlichen Geist
derjenigen , welche die Religion zum Vor¬
wand ihrer herrschsüchtigen und eigennützi,
gen Absichten mtsbrauchen.
66-
cxx.
Weine.

Inländer haben es im Auslande, und


Ausländer bet Uns gefunden, daß die
Deutsche, und vorzüglich die Wienersche
Küche die beßte, die nahrhafteste , aber
auch die schweigendste sey. Der Englän¬
der begnügt sich mit seinem Roastbeef,
der Franzose mit einem HammelSbraten
und ein paar kleinen Pasteten; der Ita¬
liener mit einem in Oel gebackenen Meer¬
fisch und seinem Strachino. Der Wiener
aber liebt die Menge der Schüsseln; vom
Auerhahn bis zur Taube, von der Forelle
bis zum Thunfisch, muß alles Geflügel
und dos ganze Reich der F sche seinen
Tisch mit Lekerbiffen versehn. Seine Brü¬
hen sind kräftig und schmackhaft ; dieß
beweisen die vielen Podagristen, welche
n^an hier häufig findet.

Sei-
Sxo
Seine Eßgelage wären unvollkommen,
wenn nicht gute Weine den Kizel des Gau¬
mens vermehrten , und die Verdauung
der Mittagstafel für das Nachtmahl be¬
fördern hälfen.
Der patriotisch gesinnte Trinker schäzt
feinen alten Landsmann mehr als alle
jene Weine , welche in Frankreich und
Italien gekeltert werden . Die Gebürge
um Wien , Grinzing , Nußdorf , Bisam¬
berg , Brunn und Gumpoltskirchen , ver¬
sehen ihn mit Weinen , die in ihrem zehn¬
ten Jahre l4 bis iZ,und in ihrem zwan¬
zigsten zo und mehr Gulden , der Eimer,
gelten . In seinen spätern Jahren ver¬
gleicht man ihn mit Recht dem Rebensaft,
welcher am Rhein gepreßt wird . Aerzte
verordnen ihn schwächlichen Greisen , und
gegen Magenkrankheiten ; und selten ohne
Wirkung.
Oer Vorwurf , daß der Deutsche , und
vorzüglich der Oesircicher , ein Säufer sey,
ist alt , aber in » nsern Zeiten etwas über-
c-üW ^ o 67»
trieben . -Der Deutsche ißt mehr und ißt
besser , als feine Nachbarn : daher trinkt
er auch mehr. Laßt den Engländer sei¬
nen Cpleen mit seinem Porter , den Fran¬
zosen , wenn er welchen hat , mit einem
Gassenlted , den Italiener mit einer Be¬
schwörung der Heiligen verjagen . Warum
sollte der gastfreie Deutsche nicht mit ei¬
nem Glas alten Wein unter freundschaft¬
lichem Gespräche sich guten Muth und
gutes Blut schaffen ! . . . Wundert euch
daher nicht , wenn ihr biedre Wiener iy
einer Schenke bei einer Flasche mit schon
grünlichtcm Oestreicher gefüllt beisammen
seht- Ihr möget wohl eine halb « Stun¬
de horchen , und ihr hört nur Lobgesänge
auf den Gott des Weines . Anfangs wird
der Reihe nach gekostet. Jeder hat seine
eigne Art , die ersten Tropfen mittels sei¬
ner Zunge auf die Kapelle zu bringen.
Auch der geübteste Kenner wagt es nicht
gleich mit seinem Urtheile hcrauszuplazen:
« prüft , überlegt , und sagt dann in fro¬
hem
6/L
hem Ton : der Wein ist gut ! ober r er ist
milde ! » . . Darauf folgt eine Litanei
von Lobsprüchen auf den Wirth . Oft
wird wohl so lange getrunken , bis man
den Werth des Weines nicht mehr be¬
stimmen könnte. Man geht unter Be¬
dauern , daß alles vergänglich sey , tau¬
melnd nach Hause , sich freuend auf den
künftigen Abend , um wieder von dem
Mutterfäßchen zu kosten.
Die Verschiedenheit der Stände ver¬
ursacht auch die Verschiedenheit des Ge¬
tränkes . Der Adel , der Bürger , der
Beamte , der gemeine Mann , trinkt un¬
gleiche Weine , und in ungleichem Maße.
Der hohe Adel , welcher sich des Ta-
ges wohl zehnmal auf das Einfuhrverboth
der fremden Erzeugnisse erinnert , fühlt
auch das Verboth der Weine mit grossem
Schmerz . Man erblikt jezt nur noch sel¬
ten auf den Tafeln der Grossen die Spa¬
nischen Weine , welche die schlappen Ner¬
ven durch ihre würzhafte Stärke aufrich¬
ten;
67z
ken ; selten den Burgunder , der , selbst
mit Uibermaß getrunken , dem Kopf nicht
schmerzhaft ward ; ttlteu den Schampag-
ner , der den Wtz gühren machte. Sechs-
zig Prozent , « nv >ie Eingabe des Na¬
mens bei Seiner Majestät , von dem , der
sie vom Auslände kommen läßt , haben ih¬
ren Gebrauch vermindert.
Ihren Plaz ersetzen nun Hungarische
Weiue , welche die Gebürge von Total,
Erlau , Schumlau , Nesmill , Stklos,
Szekszard , Et . Georg und Menisch erzeu¬
gen . Die Gaumen gewöhnen sich daran,
und man fängt an , vorzüglich den sogr-
nannten Ausbruch der zwey leztern gut zu
finden . . . . Die Ae rzte empfehlen beson¬
ders den Meiner Wein , ebenfalls ein
^ungarisches Gewächs : sein Saft verbin¬
det die Säure des Oestreichers mit dem
Feuer feines Vaterlandes in einem der
Gesundheit zuträglichen Grade . Die Da¬
men halten sich mit dem Tokaier schadlos,
den mau aber fast nirgend als bet Hofe,
»t u « ad
674
und in wenigen Herrschaftshäusern ächt
trinket. Für den Hof werden jährlich
Anthetlr *) geliefert ; und der Adel
zieht ihn auf seinen eignen Weinbergen.
Die Trautsohnsche Familie besaß die beß-
ten Gebürge : als diese erlosch, wurden
dieselben unter mehrere Besizer vertheilt.
Für Schwäche und Krämpfe des Magens
ist dieß der beßte Wein : sein Feuer ist
angenehm von seiner Süsse gemildert.
Im Auslände schäzt man ihn so hoch,
daß der k. k. Hof jedes Geschenk mit
nichts angenehmcrn zu erwiedern wüßte.
Der Rußische Hof hatte sogar eigne Wein-
gebürge . in der Nachbarschaft von Tokai
an sich gebracht, und , welches rin selt¬
nes Schauspiel ist, hielt daselbst, mitten
in Hungarn , eine Rußische Garnison von
Zv Mann samt einem Offizier, um die
kost-

) Sin Anth-l oder Antheil hält anderthald


Limer, oder 60 Maß.
675
kostbaren Trauben Tag und Nacht zu
bewachen , von denen , wie man sagt,
nur seine Lieblinge an der Newa ju k»-
sten bekamen.
Es wäre wunderbar , wenn derWetn-
handel vom Betrüge frei geblieben wäre.
Daher rathe ich Euch , lieber gar keinen
Tokaier zu trinken , wenn Ihr ihn nicht
aus einem hungarischen Herrschaftshause
bekommt . Die Wetnhändler haben die
Kunst erfunden , ihn aus getrokneten Bee¬
ren mittels Cyrups zu bereiten . Ihr
verderbt euren Magen noch mehr , dessen
Schwäche Ihr doch tilgen wolltet . Wenn
Euch eine Flasche Tokaier um l oder »
Gulden angebothen wird , so kauft ihn
nicht , und trinkt lieber «inen gewöhn¬
lichen hungarischen Wein , oder guten
Oestreicher.
Der Adel trinkt meistens zu Hause,
oder bet denen , mit welchen ihm sein
Wappen umzugehn erlaubt . Doch wagen
sich einig « junge Kavaliers manchmal über
Uu » den
67Ü

den Rand chres Diploms hinaus , und be¬


suchen die ansehnlichern Gewürzläden.
Neben den Hungarischen werden auch ei¬
nige süsse Weine aus Friaul , Istrien,
der Lombardei und Toskana getrunken . . . .
Seit der stets mehr um sich greifenden
Brittensucht , hat man sich stark an den
Punsch gewöhnt : welcher statt des Ruinös
und Rake hier oft mit gutem hungarischen
Elivovicza ( Pflaumenbrantewein ) zube-
rcltet wird : selbst Fräuleins geben schon
Punschgesellschaften.
Beamte und Bürger eilen beinahe um
die nämliche Stunde zum Weine : der er¬
ste verläßt sein Schreibpult , wenn sich
die Vorgesetzten entfernen , und dieser
schließt seinen Laden , wenn ihn die Däm¬
merung keine Besuche mehr hoffen läßt.
Beide suchen sich den Schweiß ihres An¬
gesichts in ihren gewählten Gasihofe bet
ihrer gewöhnlichen Gesellschaft zu troknen.
Der Bürger steht besser als der Beam¬
te ; daher begnügt sich dieser mit Wein

»TüM ^ -o 677
zu r6 Kreuzer die Maß , Indessen der
Bürger an einem Abend von 24 bis 4 T
Kr . alle Preise durchsäufk.
Der Beamte spricht von seinen Ge¬
schäften , schimpft auf diesen oder jenen
dummen Streich seines Obern , und be¬
müht sich, die erhaltenen Verweise mit ei¬
nem Gläschen aus dem Gedächtniß zu
schwemmen . . . . Der Bürger fängt mit
einer kleinen Prellerei an , die er in fei¬
nen Hanblungsgeschäften den Tag über
gespielt hat ; kommt dann , wenn ihn der
Wein von seinem Spekulationsgeist weg¬
führt , auf die Verordnungen des Landes¬
fürsten ; von denselben geht er ins Par¬
lament nach London , oder in die Stube
der Notabeln von Frankreich ; vergleicht
wohl gar die Rcgierungssormen . Da ist
man nun gewöhnlich einer entgegengesetz¬
ten Meynung ; der Stahlarbeiter verthei-
digk dik Engländ er , der Galanteriehänd¬
ler die Franzosen , der Gcwürzkrämcr
hält es mit den , Holländern , und der
U u z ge-
678
getaufte Jude mit den Portugiesen
. Man
zankt, und geht trotzig nach Hanse,
kommt aber des folgenden Tages wie¬
der, und sitzt um die nähmliche Stunde
auf dem nähmltchen Platz . . . . Der
gegenwärtige Türkeukrieg ist einer der
glükltchsten Zeitpunkte für die Wirthe,
Der Beamte trinkt nun «in Glas mehr,
weil er seinen guten Freunden seine Nach¬
richten mittheilt, die er aus dem Kabi-
net zu haben glaubt. Der Bürger kommt
mit einigen Zritungsblättern: man liest
sie erst der Reihe nach, und urtheist dann
darüber. Der Helden Gesundheit wird
getrunken, oder ein mislungener Angriff
bekrittelt. Pläne werben gleich auf dem
Tisch gemacht: Gabeln sind spanische
Reiter , Semmeln Festungen, Gläser
Schanzkörbe; die Flüsse werden mit Wein
auf dem Tisch gezeichnet, und Brosamen
formirrn die Armeen

*) Dieses Bild ist nicht von meiner Er¬


findung. Der berühmt« Dichter Nass
h»t
679
Der gemeine Mann hat keine ge¬
wöhnliche Stunde ; er fängt Morgens
an, die Wirthshäuser ju besuchen , und
hört Abends auf. Die geringste Klaffe
steigt in die unterirdischen Keller, und
trinkt dort Wein für 6 und 8 Kr. Die
Taglöhner und Zimmerleute reden vom
Bauen, mitunter auch vom Kaiser und
Papst; die Handwerksbursche von ihrem
Gewerbe, ihrer Meisterinn, und ihren
Wanderungen; und die Liverey spricht
Böses von ihrer Herrschaft . Der Pöbel
lauft auch, um wohlfeiler zu trinken,
Uu 4 wohl

hat «ü schon aufgestellt . Die von Troja


zurükgekommenen Griechen lhaten eben
daS , was di« Wiener , und ich glaube
jedes Volk , bei einem ihm wichtigen Krieg
thut:

kinxir L effuio kergrms tora mero:


Urc ikae Simois , k!c eü Sigeia rellus »
lllc üecersr krismi regia cella lenir . ^
Oviä . Rpist . » eronl.
68»
wohl eine Stunde vor die Linien ans die
Dörfer hinaus.
Die besten innländischen Weine be¬
kommt man in den Kellern der noch
nicht aufgehobenen Klöster. Die Bene¬
diktiner von Mölk, die Chorherren von
K'osterncuburg, die Barnabiten zu St.
d Michael rc. sind Wetnhändler.
Die hungarischen Weine liefern am
beßten Himmly im Trattnerschen Haufe,
und Hammer zum rothen Jg l : die
Friaulischen und Italienischen der Ge,
wärzhändler Patuzst zur meisten Rose,
und Kapler zum Kameel.
In den berühmtesten Gasthöfen be¬
kommt man nurmittklmästigeWeine : der
theuerste ist kaum die Hälfte des Preises
werth. Der Gastgeb will durch den
Weinschank die Kosten der Küche ersetzen;
er wässert und färbt also nicht selten seine
Getränke,

Auch
o W —o 6»r
Auch auf Rechnung der kaiserlichen
Familie wird in deitr sogenannten Fami-
lirnhause am alten Fleischmarkt Wein ge»
schenkt. Er ist gut und wohlfeil, daher
auch der Absaz davon ausserordentlich
stark ist, und des Jahrs wohl zoovc»
Fl. einbringt.
Die gräflich SchönbornlscheFami¬
lie ließ ehedem auf ihre Rechnung Rhein¬
wein kommen . Wenn ich nicht irre,
so hat die erhöhte Mauthtaxe sie bewo¬
gen, gegenwärtig dieses Geschäft einzu¬
stellen: ein unangenehmer Umstand für
alle Liebhaber des Rheinweins , welcher-
-cht und gut dort zu haben war.

exxi.
- Stephans - Kirche.

Diese gothische, finstere Steinmasse,


mit ihrem spizcn Dach, ragt über alle
Gebäude der Stadt empor. Sie hat des
. U u 5 Rang
68»

Rang vor allen übrigen Kirchen Wiens,


«eil ein Erzbischof und ein Domkapitel
von ihr den Titel führen , und « eil sie
der Hof einigemal des Jahrs mit seiner
andächtigen Gegenwart beehrt. Ihre Bau¬
art und ihr inneres AuHsehn ist bekannt¬
lich nicht nach dem Schönheitsmaß der
ächten Architektur, die man an den Kunst¬
werken Italiens bewundert. In diesem
Betracht verdiente die Kirche des heil.
Karl auf der Wieden den Vorzug: denn
diese ist eigentlich die geschmackvollste,
regelmäßigste Kirche von Wien.
Die Strphanskirche ist ganz von Qua¬
dersteinen erbaut , hat bloß marmorn«
Altäre , und einige ziemlich gute Altar¬
blätter . Ihre Länge beträgt Z4« Fuß,
die Breite L»a, die Höhe fy . Hieraus
- sieht man, daß sie für die Hauptkirche
einer solchen Stadt eben nicht sonderlich
groß ist.

Das
68Z

Das wichtigste Denkmal in derselben


lst das Grab des für das östreichische Haus
unvergeßlichen Helden Eugen von Ea-
vonen . Man schlug diesem Prinzen in
Frankreich ein Dragoner - Regiment ab,
um das er anhielt : aus Verdruß verließ
er nun Paris , und gieng in kaiserliche
Dienste . Wie sehr mußte es der stolze
Ludwig bedauern , diesen Mann beleidigt
zu haben « . . . An welche Lage würde
Ocstreich ohne die Siege bei Hochstädt,
Turin , Ramtllies , Zenta , Belgrad '-rc.
gekommen scyn ! . . . Daß er nicht bloß
Held , sondern auch Kenner der Künste
und Wissenschaften war, beweisen die
von ihm aufgeführten Gebäude , die von
ihm erhaltenen litteraritzhen Schätze in
der Hofbibliothck . Daß er auch Staats¬
mann war, bcweißt seine Behauptung,
die er noch kurz vor seinem Tode ( LO
April i ? z6) vor Karl dem VI . tbat:
„ der Kaiser sollte seiner Erbin Maria
„ Theresia statt der pergamentenen prag-
„ ma-
684 o »-W - »
„ malischen Sanktion eine Armee »on
„ 20oc>cx) Mann hinterlaffen. ^ Milt
den Aufopferungen, welche Karl für die
scheinbare Garantie jener Sanktion ma¬
chen mußte, hätte er wohl den Rath
Eugens befolgen können»
An einer andern Stelle ist ein Grab¬
mal , das in seiner Art ebenfalls merk¬
würdig ist. Dort ruht ein ehemaliger
Dvmprobst von Wien. Der Mann war
Hofnarr bet Kaiser Maximilian, und be¬
gleitete ihn auf seinen Reisen. Die Nie¬
derländer , dieses von jeher zu Meute¬
reien und Unruhen geneigte Dölklei« ,
trieben bekanntlich ihren Freiheitseifer in
jenem Zeitpunkt so weit , daß sie Maxi¬
milianen förmlich gefangen setzten. Der
Hofnarr , ein feiner Kauz , half seinem
Herrn aus diesem unwürdigen Behältniß
entkommen; und zur Dankbarkeit machte
ihn Maximilian in der Folge zum Dom-
probste von Wien , wo er starb, und in
seiner Domkirche begraben wurde.
In
685
In der alten Geographie zählte man
den herähmten Stephansthurm unter die
wichtigsten Dinge von Wien ; in der Wclt
der Handwerksburscheist er es noch. Die¬
ser ptramidenförmige Kunstfelsen hat 44Z
rheinische oder 4Z4 ^ östreichifche Werks
schuhe ; die Ziffer an dem Uhrblatte des¬
selben sind » Fuß lang . In der letzten
Belagerung der Stadt , welche größten-
theils durch die intoleranten Ränke der
Jesuiten veranlaßt wurde , mußten Tag
und Nacht zwei Väter dieses löblichen
Ordens auf diesem Thurme Schilrwache
halten , und mit optischen Instrumenten
die fernen Bewegungen der feindlichen
und freundlichen Truppen ausspähen -,
hei welchem Geschäfte ihnen die türkischen
Kanonenkugeln manchen reumüthigenStoß-
^ seufzer über die mksgedeuteten Absichten
der ehrwürdigen Gesellschaft mögen auS-
gcpreßt haben . Nachdem man die Bela¬
gerung abgeschlagen , und in den darauf
folgenden glüklichen Feldzügen manche
tür-
686 o-E ^c>

türkische Kanone in kristliche Hönde ge¬


bracht hatte , verwandte man sie zu ganz
kristlichem Gebrauche , goß daraus eine
schöne Glocke, von Io Fuß in der Höhe,
und ZZ4 Zentnern am Gewicht, und
hing sie in diesen Thurm , von woher sie
nun bei vornehmen Todesfällen und ho¬
hen Kircheufesien langsam und majestä¬
tisch brummt.
Darf ich den Papst einläuten lassen?
fragte A. 1782 Kardinal Migazzi den
Kaiser . — Warum nicht ! versezte der
Monarch : die Glocken sind ja Ihre Ar¬
tillerie . . . . Der hiesige Brummer ist
unstreitig eines der größten Artilleriesiüke
der kristlichen Geistlichkeit.
Wie sich indessen die Zeiten ändern!
vor hundert Jahren goß man aus Kano¬
nen Glocken ; heute verwandelt man die
geistliche Artillerie wieder in weltliche,
und gießt aus Glocken Kanonen.

Die
o-üW- o 687
Die Stephanskirche steht auf einem
sehr günstigen Standpunkt : man könnte
rings um sie einen der angenehmsten und
regelmässlgsten Pläze von Wien Herstellen.
Auch sind dazu schon einigemal Vorschläge
gemacht worden . Es sollten vorne die
sechs oder sieben elenden Duden wegge-
rissen werden ; die im Quadrat herumlie¬
genden Gebäude sollten mit einer Art von
Bogengang verziert , und die äussere Seite
der Dvmkirche , gegen die Strasse zu , ei¬
ne ihrer würdige Verschönerung erhalten.
Dieß würde freilich der Stadt eine Be¬
quemlichkeit und Zierde mehr verschafft
haben ; da sich aber die Kosten der Unter¬
nehmung im Anschläge auf einige hun¬
derttausend Gulden beliefen : so fand man
schon damals , selbst in den Zeiten der frei¬
gebigen Maria Theresia , Schwierigkeiten;
und in der jezigen ökonomischen Epoche ist
es um so minder zu erwarten . Vielleicht
erleben unsere Urenkel einst noch die Freu¬
de , unter einer Kolonade oder Linden¬
allee
688
aller rings um die Stephanskirche spalte-
ren ju können.

cxxii.

Garnison.
Die Desazung von Wien besteht ge¬
wöhnlich aus » Bataillonen Grenadiers,
6 Bataillon Füselters , l Regiment Ar¬
tillerie , i Regiment Kavalerie . Die vier
Leibgarden , das Jngenieurkorps , das
Bombardierkorps , das Fuhrwesenkorps,
bas Invalidenkorps rc. machen ebenfalls
einen Theil des hier anwesenden Militär-
staube- aus . Die Kriegskanzlei , mit ih¬
rem Personale von ungefähr 700 Beam¬
ten , besorgt und leitet alles was Uniform
trägt.
Die Stadt Wien , samt ihren Vor¬
städten , ist dem InfanterieRegiment
Preiß alS Kanton , jur Rekrutirung an¬
gewiesen.
DaS
6öy
^ Das Spektakel einer Wachparade j
welches in Berlin , Dreßden , München,
Hannover , Brapnschweig , Kassel , Stutt-
gard, ' jä logär in den Residenzstädten ei¬
niger Deutschen Bischöfe , zum Theil die
tägliche Unterhaltung der Schönen Welt
macht , sieht man ln Wien nicht. Da
die öffentlichen Pläst dhnehtn nicht sehr
geräumig , uüd stets mit Menschen , Wä¬
gen und WaareN bevekt sind , st würde
der tägliche Aufmarsch vün Zc>6 bis 606
Mann , dtirch die um Mittagszeit wim¬
melnden Gaffen , das Gebräng nur noch
grösser machen. Uiberbletz ist der tzof>
der einzige allenfalls zu dieser Parade
taugliche Plaz den st unebnem Boden,
daß er die Truppen immer etwa - an der
UibereitistimmNng ded Manoeüvres hindern
würde . Um diesem Nuszuweichett , halt
Man die Wache einst einö ZcitlaNg auf der
grossen Bastion ausser der kaiserlichen Bürg,
«in andermal auf der Esplanade ln Para-
deform aufgeführt . Beides - ab Matt
X x Mir-
Lyo
wieder auf , vielleicht auch darum , weil
einige Divisione « des <^uf die Wache zie¬
henden Korps ohnehin von den Kaserne»
aus gegen drei viertel Stunden bis auf
ihre Posten zu marschiten haben , und
durch die Parade noch länger aufgehaltrn
würden.

Gegenwärtig zieht täglich um i l Uhr


eine Kompagnie Grenadiers mit Fahnen
und Regimentsmusik zum Burgthore ein,
und besetzt die Burgwache , wo zwei Ka¬
nonen stehn . Ein Korps Füselters zieht in
Ordnung auf die Hauptwache an der
Krtegskanzlei , wo immer vier Kanonen
stehn.
Ja manchen Städten Deutschlands
find di « Soldaten dem Publikum nicht we¬
nig überlästig , indem sie theilsbetteln,
theils stehlen , theils sich mit einer über -,
triebeaea Dleustfertigkett allenthalben und
an jedermann dringen , theils an öffentli¬
chen Eriustigungspläjen und auf Straffen,
durch Ausschweifungen oder den gewissen
über-
6yn

äbermäthigen Soldatenton den übrigen


Ständen ihre Ruhe und Freude stören.
In Wien ist dirß nicht so. Ausser den
Wachthänsern , « nd in der Nähe der
Kasernen , sieht man allenthalben äußerst
wenig Soldaten , besonders in der Stadt
selbst. Ein Beweis - daß Man die Leute
hier gut in der Ordnung z» halten weiß-
uNd eine Anstalt - die allenthalben uachgc*
ahmt zu werden verdient . Auch die ekel¬
hafte Strafe des Spizruthenlaufens , die
Man an vielen Orten auf den HauptgässeN
der Städte an Ausreissern und andern
militärischen Verbrechern vollziehet , wird
hier ganz stille in den Höfen der Kaser*
nen abgethan.
Es ist eine allgemeine Bemerkung , daß
der Soldatenrok seine Eigcnthümer ge¬
wöhnlich ein bischen hochherzig mache , be¬
sonders in unfern neuern Zeiten , wo st
viele Staaten ganz in die militärische Form
gegossen werden , und wo st mancher
Landesfürst sich immer und allenthalben
X x 2 Nr
In der Uniform zeigt. Mirabcau sagt
vom verstorbnen Preußischen König Frivs-
rich: » II 2 eu In manie äe ne jainsis
^ Zainer l'uuisorme , commc s'il Q'eroir
^ le Kai ^ue äes Lolllsts : L cs coku-
» me lözionnsire v'n pss xeu coorribuö
« k äecrväiter les aWciers civils . Oom-
«, menr n's-l-il xns lenkt ^u'il ett L ja-
» msis imxostikle su Oouvernemenr cie
» renäre eüimables 6es Kammes sux-
^ ^ue!s il ne veur xoinr movtrer ä'e-
» Uime ? * ) — Eo sehr Mtrabeau ge¬
wöhnlich zu weit geht , hat er hier doch
nicht

*) Sr hatte den Sparren , stet« in Uniform


zu gehen, als Kenn er bloß der Soldaten
Kbnrg wär : und diese Kleidungswahl hat
nicht wenig beigetragen , die Staatsbeam¬
ten ausser Achtung zu sezen. Er sollte
dock wohl bemerkt haben , daß es auch ei¬
nem Kbnig unmbglich ist , Leute in den
Augen des Publikums fchäzbar zu machen,
denen man selbst keine Achtung z»igt.
6yz

»icht ganz Unrecht . . . . Das übertrie¬


bene Soldatensystem im heutigen Europa,
welches wir leider jenem Friberich zu ver¬
danken haben , macht , daß sich jeder Fah-
ndnkadet um viel besser dünkt , als der
arbeitsamste Bürger ; und nichts geht ge¬
wöhnlich über den eingebildeten Selbst-
stolz eines neugrbacknen Fähndrichs oder
Lieutenants , der als kommandirender
Offizier mit einer halben Kompagnie auf
einem Dorf oder Flecken in Kantonkrung
liegt . Für diese Herren ist nichts heilst
mer als die Zeit des Lagers ; dort werden
sie etwas zu sich selbst gebracht . Man
sehe sie bei Minkendorf oder Prag , wo
der Kaiser , wo die kascy , die Hadick,
die Laudons vor der Fronte stehn ! da
verschwindet der noch gestern hochtraben¬
de Dorfkommandant wie eine Nulle vor
dem Abglanz jener Helden . . . Auch die
Garnison von Wien trägt gut zur Bil¬
dung solcher Herren bei : Sind sie Leute
von Kops , siud sie bescheiden , verstehn
Lx z sie
6y4
sie Lebensart , so schäzt mau sic. Wollen
sie aber durch Unbescheidenheit oder Groß-
macheret sich in Respekt sejen , so belacht
man sie , und läßt sie in ihren Kasernen
schmorren.
Die Garnison von Wien scheint bloß
zur Parade da zu seyn . Ehe nicht der
ganze national Kurakter eine andere Stim¬
mung bekommt , werden die Wiener nie
eines militärischen ZaumeS nöthig haben.
Seit dem Tumult vor des Feldmarschall
Seckendorfs Wohnung i. I . 1738 , hat
es nur rin einzigmal eine » kleinen Stu-
dentenlärmen gegeben -, wo man unnöthi-
ger Weise Kavalerie anrücken ließ , da
Man 4>te jungen Brauseköpfe mit einer
Waffersprize hätte auseinander jagen
können.
Es ist nun bald «in Jahr , daß die
Lhore der Stadt ohne Wache sind , und
sie werden es vermuthlich den ganzen Tür¬
kenkrieg über bleiben . Ein neuer Beweis,
daß man die hunderttausend « von rüsti¬
gen
6YZ

gen Männern wenigst einen Thetl de-


Jahrs wohl besser beschäftigen könnte,
als sie auf den Stabtwqchen herum liegen
zu lassen. Die römischen Soldaten mach¬
ten in Frirdenszikten Landstraffen und
Wasserleitungen , und verloren nichts von
ihrer Tapferkeit dabei . Vielleicht daß auch
unsere Strassen wieder durch die Armee
hergestellk werden , wenn sie zum Vor¬
theil der Pächter werden halb unbrauch¬
bar scyn.
Eine ncuepe gute Anstalt , zur besser«
Nachbildung des Soldatenstandrs , sind
die ErziehungShäufer für Soldatrukinder.
Diese Geschöpfe , welche ehedem meist dem
zwekloscsten Leben » der Dürftigkeit und
dem Zufall überlasse « waren , werden nun
mit Sorgfalt zu dem Beruf ihrer Väter
vachgezogen : man lehrt sie lesen , schrei¬
ben , rechnen , ein bischen zeichnen uad
Meßkunst , was nämlich ein guter Unter¬
offizier zu seinem Stande braucht. Sie
leben kasernenmästig beisammen , haben.
Lx 4 stär-
6y6

stärkende Leibesübungen . , müssen schon in


den frühesten Jahren militärisch stehen ,
gehen , liegen rc. Da sie auf diese Ars
neben der Trommel aufwqchken, , nichts
anderes sehen , hören , noch kennen ler¬
nen , als Soldaten - Leben , Soldaten-
Beschäfktgungen , Soldaten - Pflichten , und
Spldaten - Vortheile z so darf der Staat
an ihnen einen Nachwachs von Korpora¬
len und Feldwebeln erwarten , welcher
den östreichischen Heeren noch einen Grad
von Stärke ufld Vollkommenheit mehr
geben wird , . .

cxxni.

Der Augarten,

Dieser Lustplaj ist für Wien ungefähr


das , was die Thuillerien für Paris sind,
Er liegt der Stadt nördlich , am Ende
der Leopoldstadt , folglich auf der grossen
Donau - Insel , und hat mittels zweier
Alleen
6- 7
Alleen Gemeinschaft mtt dem Prater , Er
macht ein beinahe Regelmässiges Vierek,
^tänzt ' gegen Süden und Osten an die
Leopoldstadt , gegen Westen an den Lust-
N>ald Brigittenau , gegen Norden an ei¬
nen Arm der Donau . Sein Flächen - In-
halt beträgt ungefähr 164020 Quadrat-
Klafter.
Der Eingang ist an dem Winkel , den
die Süd - und Ost« Seite machen . Uiber
dem Mittelchor steht mit grossen deutschen
Buchstaben dje allenthalben bekannte Auf¬
schrift :

Allen Menschen gewidmeter Belu¬


stigungsort chon ihrem Schätzer.

Aussen vor diesem Eingänge müssen


alle numerirte Wägen — die Fiaker näm¬
lich — halten , und nur Herrschaftsivägen,
oder die als solche gelten , dürfen in den
grossen Hof einfahren , der mit einer vier¬
fachen Allee besejt ist , und vorne an der
T x H Fron«
698

Fronte das Gartengebäude hat , worin«


zwei grosse Speise - und Tanzsäle , ein
Billardzimmer , und noch ein paar Neben¬
zimmer sind. Man speist hier z« ver-
fchtednen Preisen , und wird mit den ge»
wöhnlichen Sommer - Erfrischungen be¬
dient , wovon der Preis an den Wänden
geschrieben ifi.
Der Garten hat weder Wasserkünste,
weder Grotten , Statuen , noch andere
Verzierungen , die man sonst in berühm¬
ten öffentlichen oder Prtvatgärten findet.
Dem ungeachtet ist es ein höchst ange¬
nehmer Versammlungsplaz , der auch ohne
verschwenderischen Aufwand von Kunst
feinem Zwek vollkommen entspricht : näm¬
lich der zahlreichen schönen Welt der
Katserstadt den Genuß von Schatten , an¬
genehm driftendem Grün , und frischer
reiner kuft zu gewähren . Er hat einige
sehr schöne schattenreiche Alleen , und an¬
dre Abtheilungen von Bäumen und
Strauchwerk.
Wenn
Wenn man durch das Gebäude ge¬
gangen ist , hat man rechts das ganz ein¬
fache. Wohnhaus des Kaisers , mit einem
kleinen B ?umengärtchen ; gerade vor sich
hin über die Donau eine Meilenlange
durch Waldungen gehauene Allee , deren
Perspektiv sich mit einer ' Dorfkirche endi¬
get ; links durch den Tarten eine erhabe¬
ne Terrasse , wo man «ine romantische
Aussicht an den Fuß des Kahlenbergs
mit den benachbarten Weinhügetn , Dör¬
fern und Landhäusern genießt.
Der größte Schmnk des Augartens
in der schönen Jahrszeit ist das ihn be¬
suchende Publikum . Ausgeschlossen wird
gesezmäfsig Niemand . Da der Pöbel aber
neben den unzähligen reich und schön ge-
puzten Weibern und Männern eine gar
«lende Figur machen würde , so bleibt er
von selbst weg . Gesellschaft trifft man
alle Tage daselbst an , besonders Mor¬
gens Und Abends , Doch ist an Sonnta¬
gen und an Feiertagen der Besuch am
zahl-
720

zahlreichsten , weil , eine Menge von Len»


ten , welche die Woche über in den Kanz¬
leien und Kaufmannsgewölben sizen , an
solchen Tagen freie Muß « hat ; hauptsäch¬
lich aber , weil man hei dem gröffern Zu¬
sammenfluß von schöner Welt , an sol¬
chen Tagen mehr den allgewünschten Zwek
erreicht : „ zu sehen , und gesehen zu
„ werben . " . . . Da rauschen tau¬
send feidne Frauenzimmer - Schleppen di«
Alleen auf und ab , und neben ihnen her
trippeln die Stutzer , mit dem Blik des
Muthwlllens , und der Schäckeret , oder
mit jenem gteriglaufchenden der Sehnsucht
und des SchmachtenS nach Erhörung oft
wiederholter Seufzer . Es ist eine wahrf
Augenweide für den kaltblütigen Zuschau¬
er , wie das erhizte Blut die jungen Leut-
chens umtreibt ; wie man rennt , einander
jagt , aufsucht , Winke und Bestellungen
gibt , Plane zu lang gewünschten Schä-
ferstunden macht , und was des Minne¬
spiels mehr ist.
Manch-
Manchmal , in den erster« Dageri
des Frühlings , vdet gegen das Ende des
Herbstes , wenn die vornehme Welt noch
nicht ans dem Lande , oder schon wieder
von demselben zurük ist ,
wird das Ge¬
dränge im Augarten so groß , baß man,
wie auf den volkreichsten Strassen der
Stadt , an - und gegen einander rennt,
Stöße und Fußtritte , und zerrissene Klei-
dungsstüke und verdorbene Frisuren da¬
von trägt . Man verliert einander plöz-
lich durch eine augenblikliche Wendung,
und findet sich erst nach Stundenlangem
suchen , oder gar nicht wieder.
Wenn der Kaiser in Wien ist , mischt
er sich oft unter die Spaziergänger , und
wandelt , in Begleitung von Ministern,
Generalen , oder Damen , unter dem
Schwall seines Volks , alle Gänge des
Gartens durch. . . . Um sich und den
frühen Besuchern des Augartens ein Ver¬
gnügen mehr zu verschaffen , läßt er alle
Iah-
Jahre eise Menge Nachtigallen kaufen,
und in dem Garten ausfliegen . So
wird . Aurora und Titan jeden Morgen
mit - dem Gesang der Philomela be¬
grüßt.
Im Monat Mai wallfahrten die hoch-
adeliche » und halbadeltchrn , wahren oder
eingebildeten Kranken beiderlei Geschlechts
nach dem Augarten , um dort ihre mit
Spaawasser , Pprmonterwasser , Selter¬
wasser und allen übrigen Heilwäffern ge¬
füllte Krüge ju leeren . Es sind arme
Schwächlinge / die an Krämpfungen , Ner-
venzuständen , Magenkrankheiten , Schwin¬
del , Hypochondrie , und allen jenen M
beln leiden , die man im Dienste von Ko-
mus , Bacchus , Amor , auch wohl int
Dienste des Staats und der Musen , sich
manchmal erwirbt . . . . Zu dieser Kur
ist der Garten vortrefflich . Nach einge-
schluktem Mineralwasser macht man eine
sanfte Bewegung im Grünen . Manch¬
mal erhebt auch eine gutgewählte Mu¬
sik
fik die frohen Empfindungen der genesen¬
den Kranke«.
Indessen glaube man ja nicht, daß
alle diese Wassertrinker Kranke seyn. E-
enifcht sich immer ein guter Theil von
ächr Gesunden darunterum die Brun¬
nenkur zu gebrauchen . Die Weiber thun
»S , wie rin bekannter Schriftsteller
sagt, weil sie sich dabet in der reizend¬
sten Morgenkleidung öffentlich zeigen kön¬
nen; und die Männer, weil sie die Wei¬
ber in dieser Halbkleidung nicht so
deachenhaft züchtig und spröde finden,
wie im vollen Anzug.

(7XXIV,

*) Xexlixt.
7c>4

. . —A. -.'-^
. E a kL le n. .
7.1) -, . 1 r ». r'
. ,,-Nan fchäjt, hieAahl aller Dienstbothetk
lnÄ ^ n , sowohl weibliche Als männliche,
quf Mgc.Wr 4<rooc>Köpfx^ D^e Rech¬
nung mag dcr Wahrheit so ziemlich nah»
kommen . . Don Elises Summe mache, » di»
Kerls , welche matt eigentlich Bediente
oder Lakaien heißt, etwa gegen 6022
aus.
Unter diese Rubrik« gehören di« ei¬
gentlichen Lakaien , die Heidukett, die Läu¬
fer , die Jäger , die kelbhusaren, die
Uhlanen, die Jockeis, die Negers rc. Di«
Portiers , die Kutscher, Reitknechte , Po¬
stillons, Vorreiter rc. könnte man viel¬
leicht auch hieher zählen, weil fie eben»
falls einen Theil des Livereyvolks aus¬
machen . Ihre Summe mag etwas übe«
»002 betragen.
72Z
Die sogenannten
Bedienten sind die
häufigsten unter ihren ädrigen Mitbrü¬
dern . Man findet sie vom Hofe und
den ersten Fürstenhäusern an , durch alle
Mittelstände , bis zum vermögenden Bür¬
ger und subalternen KaNzleimann herun¬
ter . In den vornehmen Häusern will
lnan lauter grosse ,
riesenmässige Kerls
zu Lakaien . Um sie von den verbräm»
ten Bedienten der Mittelstände auszu-
zrichnen , gibt man ihnen eine massiv«
kiverey , mit Sammet - und Seiden - Bor¬
ten auf den Roknähten , und wie es
überall gewöhnlich von den Farben,
welche das Wappen des hohen Hauses in
sich faßt . An Besoldung haben sie mo¬
natlich t6 Fl . . . » Zn den Häusern
von der
zweiten und dritten Ordnung
kleidet man sie gewöhnlich etwa - leichter.
Weiter hinunter sind sie durch ein graues
Kleid mit einem farbigen Kragen kennt»
lich. Ihre Besoldung fällt bis auf 7 Fl,
des MonatS,

K y Hei»
/o6
Helduken sind beinahe ganz aus der
Mode gekommen . Nur einige alte Da¬
men halten sie noch, und lassen sich von
ihnen zur Kirche begleiten.
Läufer sind zahlreich
. Man braucht
sie hauptsächlich, Briefe und Nachrichten
in der Stadt herumzutragrn , und zu
Nachts mit einer Fakel vor dem Wagen
herzulaufen . . . . Jäger oder Büchsen-
spanner hält Man nur zur Parade, um
einen Kerl auf dem Wagen stehn zu ha¬
ben, der eine schöne grüne Livrey mit
breiten silbernen Tressen , das Hüfthorn
über die Schultern, und einen artigen
Hirschfänger an der Seite trägt. Die
meisten derselben thun das ganze Jahr
nicht einen Schuß . . . . Die Leibhusaren
sind mit den hungarischen Familien hte-
her gekommen , aber jezt auch in den
meisten deutschen Herrschaftshäusern
, wo
junge Kavaliers sind. Da der hungart-
fche M'lttäranzug besonders zu Pferde
schön läßt, so hält man einen als Husa-
727
den gekleideten Kerl , der seinen Herrn
beim Spazierritt begleitet , übrigens aber
die Dienste eines Lakaien . thut . . . . Als
das Uhlanenkorps errichtet wurde , fanden
einige Offiziers und dann auch andere Ka¬
valiers - Geschmack an der pohlnischenTcacht.
Sie kleideten ihre Kerls pohlnisch ; und
seitdem steht man Uhlanrn zu Pferde und
auf det» Kutschen stehtt. . . . Die vie¬
len sich hier aufhaltenden Engländer ha¬
ben auch ihre Reitknechte mltgebracht,
und die Wiener haben sie nachgeahmt.
Ein solcher Jockei ist ein junger Bursche
in etiiem Reitvestchen , mit rings um den
Kopf abgeschnitkenen Haaren , einem run¬
den Hut , eine breite Binde um den Leib
und Stiefeln . Sie reiten mit ihren Her¬
ren , stehn auf den Kutschen , und die-
« nen bei der Tafel . . . » Der Hang zu
dem Ausserordentlichen macht , daß sich
einige Männer und Weiber auch Negers
halten , welche nach ostindischem Kostüme
Ny , ge-
728
gekleidet find , und Lakaiendlenste thun.
Ihre Zahl ist sehr gering.
Im Ganzen genommen , Ist bas La¬
kaienvolk eine unverschämte Menschenbrut.
Je vornehmer das Haus ist , desto ben-
gelhafter sind gewöhnlich die Bedienten.
Dn es meist junge , gesunde , knochen¬
feste Kerls sind, die sich gut nähren , durch
mancherlei Acctdenzien sich ihre Besoldung
zu vermehren wissen , sich unter eitel vor¬
nehmen Herren und Damen Herumtrei¬
ben , bei dem Tafeldienst Anekdoten auf-
zuhaschen , und die Manieren ihrer Ge¬
bieter nachzuäffen trachten : so stellen sie
die unausstehlichsten Figuren dar, die
man in gesellschaftlichen Leben finden
kann . Ihre Karakterzüge find eine Mi¬
schung von Stolz , Grobheit , Spottsucht,
Naseweisheit , Verleumdung , Unwissen - >
heit , Prahlerei , Faulheit , Affektation
und Pöbrlhaftigkeit.

Man
/oy
Man klagt darüber , daß bei den heu¬
tigen Bedienten keine Treue , keine Ord¬
nung , keine Anhänglichkeit an ihre Her¬
ren mehr zu finden sey . Dieß alles ist
wahr . Aber die Herren sind meist selbst
Schuld daran . Ein kolossalijcher junger
Bursch mit halbpfündigen silbernen Schnal¬
len , feidnen Strümpfen , zwei Sakuhren,
sechs Seitenloken , und einem setdnen Re¬
genschirm — alles « och unbezahlt — auf
der Kutsche , ist ihnen werther , als der
gesezte , bescheidne Mann , der treu und
fieijsig seine Dienste verrichtet.
So übermäthig diese müssigen Ben¬
gel in den Häusern und Vorzimmern sich
gebehrden , wofie anzumelben haben : so
verachtet sind sie doch im bürgerlichen Le¬
ben . Die Wirthe , welche ihre Tanzsäle
in Anfehn erhalten wollen , setzen allzeit
in ihre Ankündigungen : „ die Liverep
„ ist ausyrfchloffen . " Aber was ge¬
schieht ! die eleganten Lakaien halten dop¬
pelte Garderobe . Sobald sie ihre Herr-
V p Z schaft
fio
schaft aus der Abendgesellschaft nach Hau¬
fe gebracht habe« , werfen sie ihren bun¬
ten Knechtschaftsrok weg , ziehn einen
modefarbigen Frak an, setzen einen engli¬
schen Hut auf, treten mit nachgeäfftem
Adelsstolz in den Saal , und wenn sie
zum Uiberfiuß etwas französisch plappern
können, so spielen sie den jungen Kava¬
lier so n- tärlich, daß manchem Bürgers¬
mädchen, welches sie mit ihren Galante¬
rien beehren, der Kopf darüber schwind«
ltg wird.

cxxv.

Orientalische A.^ ldemie.

Man hat den französischen König


kudwig den XIV . mächtig erhoben, daß
er in Paris ein« Anstalt errichtete
, woriyn
junge Franzosen die orientalischen Spra¬
chen lernen konnten, und mußten; damit
der Staat sich nicht gezwungen sähe,
in
ln wichtigen Geschäften mit den ottoma-
qischcn Provinzen , von der willkürlichen
Treue oder Derrätherei auswärtiger Doll-
mrtfcher abzuhangen . König Ludwig —
der überhaupt das in die Augen Fallende
suchte —^ verordnete , daß sich die Zöglinge
Armenisch kleiden sollen , weswegen man
diese jungen Pariser gewöhnlich Arme¬
nier hieß.
Der östreichische Staat hat, ver¬
möge seiner unmittelbaren Nachbarschaft,
mit der Pforte schon feit mehrern Jahr¬
hunderten , und in den neuern Zeiten
auch mit den mahommedanischen Rau-
berstaaten und mit Marokko , mancher¬
lei friedliche und unfriedliche Geschäfte
abzuthun . Auch für ihn ward es also
ein Bedürfniß , eigne Leute zu haben,
welche jener Sprachen mächtig sind.
Die immerwährende