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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE
EINFÜHRUNG IN AKTUELLE
FRAGEN DER ÖKOLOGIE
FÜR STUDIERENDE
2
Allgemeine Ökologie: Einführung in aktuelle Fragen der Ökologie für Studierende
1. Auflage
© 2018 Hans Ulrik Riisgård, übersetzt von Prof. Klaus H. Hoffmann & bookboon.com
ISBN 978-87-403-2389-4
Begutachtung von Tom Fenchel, PhD und DSc, Professor
für Ökologie, Universität Kopenhagen.
Das Bild auf der Titelseite stammt vom Autor und zeigt die invasive Rippen- oder
Kammqualle Mnemiopsis leidyi (Meerwalnuss), die natürlicherweise an der Ostküste
Nordamerikas lebt, aber mit dem Ballastwasser von Schiffen in den späten 1980er
Jahren in das Schwarze Meer gelangte und 2006 an die Küste Hollands.
3
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Inhalt
INHALT
Vorwort 6
2 Energiefluss in Ökosystemen 10
2.1 Sonnenstrahlung und globales Energiegleichgewicht 10
2.2 Primärproduktion und Produktivität 14
2.3 Nahrungsketten 16
2.4 Bioenergetik 17
2.5 Ökologische Wirkungsgrade 23
2.6 Bioakkumulation von Schadstoffen 28
3 Biogeochemische Kreisläufe 30
3.1 Nährstoffzyklen im Sediment und in der Atmosphäre 30
3.2 Der Kohlenstoffkreislauf 32
3.3 Der Stickstoffkreislauf 38
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4
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Inhalt
4 Populationsökologie 50
4.1 Regulation der Populationsdichte 51
4.2 Populationswachstum und mathematische Modelle 72
5 Artendiversität 89
5.1 Übergangszonen und Randeffekte 95
5.2 Inselbiogeografie 96
9 Waldökosysteme 134
9.1 Nahrungsketten in Wäldern 138
9.2 Humus und Nährstoffbalance 141
Literatur 142
Anhang 147
Index 149
5
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Vorwort
VORWORT
Dieses Buch wurde geschrieben, um den Wunsch nach einem kurzen Lehrbuch der Ökologie
zu erfüllen. Das Buch beschreibt die Grundzüge der modernen Ökologie und richtet sich
an Studierende ohne besondere biologische Vorkenntnisse. Das Buch kann an Hochschulen,
Fachhochschulen und anderen Studienorten verwendet werden, wo Ökologie einen Teil der
Ausbildung darstellt, die Zeit es aber nicht erlaubt, alle Facetten der Ökologie gründlich zu
betrachten. Das Buch behandelt nicht die Ökologie einzelner Arten und ihre Autökologie,
d.h. ihre Beziehungen zur Umwelt, obwohl diese Faktoren zum Verständnis vieler ökologischer
Gegebenheiten von Bedeutung sind. Das Buch betont nicht besonders die Themen
Umweltverschmutzung und andere Umweltprobleme, die im Bewusstsein vieler Menschen
gleichbedeutend mit „Ökologie“ sind, spricht diese Themen aber an und schafft die Basis für
ein grundlegendes Verständnis vieler drängender Umweltprobleme von heute. Aus Gründen
der Übersichtlichkeit wurde die Anzahl von Verweisen auf Lehrbücher, Originalartikel usw.
auf ein Minimum beschränkt. Aus Platzgründen werden die Literaturhinweise durch eine
Zahl in Klammern [ ] angezeigt, die der Referenznummer im Literaturverzeichnis entspricht.
Dank gebührt Tom Fenchel, Professor für Ökologie, Universität Kopenhagen, für seine
konstruktive Kritik am Manuskript, Kirstin Anderson Hansen für sprachliche Korrekturen,
Josephine Goldstein für technische Hilfen und Prof. em. Dr. Klaus H. Hoffmann, Universität
Bayreuth, für die minutiöse Übersetzung der englischen Version dieses Buches ins Deutsche.
6
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologie und Ökosysteme
ÖKOLOGIE
nicht-lebende
Materie und Energie
Komponenten
7
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologie und Ökosysteme
Die lebenden und die nichtlebenden Bestandteile werden zusammen als Biosysteme
bezeichnet. Die höchste Organisationsstufe ist die Gemeinschaft, die aus allen Tieren,
Pflanzen und Mikroorganismen in einem bestimmten Gebiet besteht. Eine Gemeinschaft,
die mit den abiotischen Bestandteilen eines Biosystems interagiert, wird als ökologisches
System oder Ökosystem definiert. Beim Übergang von einem Biosystem zu einem anderen
auf einer höheren Organisationsebene treten charakteristische Eigenschaften zu Tage,
die auf der unteren Organisationsebene nicht vorhanden waren. Dieses Phänomen wird
„integratives Niveaukonzept“ oder „hierarchisches Kontrollprinzip“ genannt, was besagt, dass
neue Eigenschaften entstehen, wenn biotische und abiotische Komponenten zu größeren
Funktionseinheiten in einer hierarchischen (Rangstufen) Aufeinanderfolge zusammengefasst
werden [1]. Beim Übergang von Organismus-Systemen zu Populations-Systemen und
weiter zu Ökosystemen werden neue charakteristische Eigenschaften entwickelt, die auf
der vorherigen Organisationsebene nicht vorhanden waren. Wenn man die spezifischen
Merkmale einer bestimmten Organisationsebene erkennt, kann man diese Ebene studieren,
ohne notwendigerweise alles über die benachbarten Organisationsebenen zu wissen. Zum
Beispiel ist es möglich, Ökologie auf der Ökosystemebene zu studieren, ohne zuerst die
Zellbiologie und Physiologie der Organismen zu untersuchen. Aber wie untersucht man ein
großes komplexes Ökosystem? Wie bei jeder anderen Organisationsebene beginnt man mit
einer Beschreibung vereinfachter Modelle, die nur die Hauptbestandteile und grundlegenden
Funktionen des betreffenden Biosystems enthält.
1.2 ÖKOSYSTEMKONZEPT
Ein ideales Ökosystem ist ein geschlossenes, aber nicht isoliertes Biosystem, in dem alle
biotischen und abiotischen Bestandteile von Energie durchströmt werden. Man kann sich
ein ideales Ökosystem als ein beleuchtetes Aquarium vorstellen, siehe Abb. 2.
8
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologie und Ökosysteme
STRAHLUNGSENERGIE
Zooplankton
Planktonalgen
anorganische
Nährstoffe
NAHRUNGS-
ZYKLEN
WÄRME
Abb. 2. Vereinfachtes Modell eines aquatischen Ökosystems. Ein Ökosystem hat eine Reihe
von Eigenschaften: 1) zyklische Umwandlung der chemischen Bestandteile, 2) Energiefluss durch
das System, 3) die Energieflussrate bestimmt die Umwandlungsgeschwindigkeit der Substanzen.
Ein weiteres Beispiel für ein ideales Ökosystem ist die Biosphäre, die aus der gesamten
Erdoberfläche besteht und Leben enthält. Die meisten natürlichen Ökosysteme unterscheiden
sich mehr oder weniger vom Ideal, je nach dem Masse- und Energieaustausch mit benachbarten
Ökosystemen. Ziemlich gut definierte Ökosysteme sind Seen, Wälder, Fjorde und das
Meer – oder ein morscher Baumstumpf im Wald, wenn man sich für den Umsatz und die
Interaktionen zwischen Mikroorganismen und den hier lebenden Kleintieren interessiert.
Die Grenzen eines Ökosystems sind eher willkürlich und in der Praxis durch die Wahl des
Arbeitsziels eines Ökologen bestimmt.
9
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
2 ENERGIEFLUSS IN ÖKOSYSTEMEN
Die Biosphäre ist abhängig von der Sonnenenergie, die als Sonnenstrahlung die Erdoberfläche
erreicht. Dieses Kapitel erklärt, wie Sonnenlicht die Erdoberfläche erreicht und wie die Pflanzen
das Sonnenlicht für die Neuproduktion (Primärproduktion) von organischer Materie nutzen,
die wiederum die Grundlage für den Energiefluss in den Ökosystem-Nahrungsketten bildet.
spektrale Zusammensetzung
des Sonnenlichts außerhalb der
Atmosphäre
0,003 O3
Strahlungsintensität cal/cm2/min/μm
O2
H2O
CO2
0,002
spektrale Zusammensetzung
des Sonnenlichts auf der
Meeresoberfläche
0,001
0,000
0 0,4 0,8 1,2 1,6 2,0 2,4 2,8 3,2
Wellenlänge, µm
violett
orange
blau
grün
gelb
rot
{
Abb. 3. Die spektrale Verteilung der elektromagnetischen Strahlung der Sonne wird beim Gang durch
die Erdatmosphäre verändert: Fast die gesamte tödliche ultraviolette Strahlung (UV) wird vom Ozon
(O3) in der Stratosphäre absorbiert, während Kohlendioxid (CO2) und Wasserdampf (H2O) einen
signifikanten Teil der Infrarotstrahlung absorbieren. Die Abbildung zeigt die spektrale Verteilung der
Sonnenstrahlung außerhalb der Atmosphäre und auf der Erde auf Meereshöhe. Schattierungen zeigen
die selektive Absorption bestimmter Wellenlängen durch einige wichtige Gase [3].
10
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
Wenn Sonnenstrahlung durch die Atmosphäre tritt, ändert sich das Strahlungsspektrum
beträchtlich. In einer Höhe von 10–50 km (Stratosphäre) befindet sich eine Ozonschicht,
die fast die gesamte UV-Strahlung absorbiert, die sonst das Leben an Land beeinträchtigen
würde. Ultraviolette Strahlung hat genügend Energie, um wichtige biologische Moleküle
zu zerstören, und kann daher selbst in geringen Mengen die Vegetation schädigen und
Hautkrebs verursachen. Ozon (O3) wird gebildet, wenn Sauerstoff (O2) durch Absorption
von ultraviolettem Licht in zwei reaktive Sauerstoffatome (O) gespalten wird, die schnell
mit intakten Sauerstoffmolekülen unter Bildung von Ozon reagieren. Ozon ist ein Gas,
das bereitwillig UV-Licht absorbiert und dabei in O2 und O gespalten wirf (dissoziiert).
Das freigesetzte Sauerstoffatom kann nun mit einem anderen Sauerstoffmolekül reagieren,
wodurch Ozon regeneriert wird. Dieser Prozess der Spaltung und Regeneration kann viele
Male stattfinden, bis das Ozonmolekül irgendwann mit einem freien Sauerstoffatom kollidiert,
wodurch zwei stabile Sauerstoffmoleküle gebildet werden. Unter konstanten Bedingungen
ist das Ergebnis ein dynamisches Gleichgewicht, in dem die Bildung und die Abbauraten
von Ozon gleich sind. Dieses Gleichgewicht bestimmt die Dicke der Ozonschicht.
1985 berichteten britische Wissenschaftler, dass die Konzentration von Ozon in der
Atmosphäre über der Antarktis im Frühjahr in den Jahren von 1977 bis 1984 um 40%
reduziert wurde („Ozonloch“). Intensive Forschung zeigte schnell, dass der Ozonabbau,
der später auch in der nördlichen Hemisphäre entdeckt wurde, auf künstlich hergestellte
Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW oder „Freon“) zurückzuführen ist, die zum Beispiel
in Kühlflüssigkeiten in Kühlschränken und Treibmitteln in Aerosolspraydosen sowie als
Additive in Kunststoffschäumen Verwendung fanden. Die großen Mengen an FCKW, die
im Laufe der Jahre an die Atmosphäre abgegeben worden waren, in Verbindung mit der
langen atmosphärischen Lebensdauer (bis zu mehrere hundert Jahre) für viele FCKW-
Gase relativieren das Problem des Ozonabbaus. FCKWs gelten als ideale Chemikalien für
industrielle Zwecke, da sie stabil, nicht reaktiv und nicht toxisch sind. Aber wenn FCKWs
durch aufsteigende Luftströme in die Stratosphäre gebracht werden, werden sie durch die
starke ultraviolette Strahlung abgebaut und setzen Chloratome frei, die die Ozonschicht
zerstören. FCKWs haben der Menschheit ein hartnäckiges Umweltproblem aufgedrängt, das
selbst durch umfangreiche internationale Abkommen über einen langen Zeitraum hinweg
schwer in Griff zu bekommen war. Aber es gibt Grund zu Optimismus. Das Montrealer
Protokoll ist ein internationales Abkommen zum Schutz der Ozonschicht auf der Erde,
indem die Produktion von FCKWs schrittweise eingestellt wird. Die historische Vereinbarung
trat 1989 in Kraft und ist eine der bisher erfolgreichsten internationalen Vereinbarungen.
Das Auslaufen der Produktion von FCKWs hat im Jahr 2015 zur ersten Beobachtung einer
beginnenden Verringerung der Größe des antarktischen Ozonlochs geführt [2].
Neben Ozon können auch Sauerstoff, Wasserdampf und Kohlendioxid Strahlung in bestimm-
ten Wellenlängenbereichen absorbieren [3]. So absorbieren Kohlendioxid und Wasserdampf
11
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
einen großen Teil der einfallenden Infrarotstrahlung. Der Hauptteil der Sonnenstrahlung,
die die Erdoberfläche erreicht, liegt im sichtbaren Spektrum zwischen 0,4–0,8 μm, siehe
Abb. 3. Es ist dieser Teil des Spektrums (insbesondere das rote und blaue Licht), das die
grünen Pflanzen für die Photosynthese nutzen können. Im Durchschnitt gibt die Erde eine
ähnliche Menge an Strahlungsenergie in den Weltraum ab, wie die Atmosphäre und die
Erdoberfläche an einfallender Sonnenstrahlung absorbieren, siehe Abb. 4. Diese Energiebilanz
bestimmt die globale Durchschnittstemperatur auf der Erde, die etwa 15 °C beträgt [4].
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12
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
einfallendes
abgehende infrarote
Sonnenlicht
Wärmestrahlung
von der Atmosphäre
von der Erdoberfläche
reflektiertes
reflektiertes Sonnenlicht
Sonnenlicht
25 100 6 69
absorbiert von
H2O, Staub, Atmosphäre
O3, CO2 42
43
1 % absorbiert Erdoberfläche
von Pflanzen
absorbiertes Sonnenlicht
Abb. 4. Die globale Energiebilanz. Die Energie der einfallenden Sonnenstrahlung wurde als 100 Prozent
gesetzt. Beachte, dass der Anteil der einfallenden kurzwelligen Sonnenstrahlung, der nicht reflektiert wird,
die Biosphäre als infrarote Wärmestrahlung verlässt. [4].
Etwa 30% der einfallenden Sonnenstrahlung wird durch Wolken, Staubpartikel und Gase
in der Atmosphäre oder Schnee, Wüstensand usw. am Boden in den Weltraum reflektiert.
Der Anteil der einfallenden Sonnenstrahlung, der in den Weltraum reflektiert wird (die
Erdalbedo), nimmt zu, wenn die Staub- und Rußpartikelkonzentration in der Atmosphäre
zunimmt (was durch Verschmutzung, Vulkanausbrüche und nukleare Explosionen verursacht
werden kann). Dies könnte zu einem kurzfristigen oder länger anhaltenden Rückgang der
globalen Durchschnittstemperatur führen. Der Teil der kurzwelligen Strahlungsenergie,
der in und am Boden absorbiert wird (40–45%), wird als langwellige Infrarotstrahlung
(„Wärmestrahlung“) wieder vom Boden abgestrahlt. Der größte Teil dieser Strahlung wird
von atmosphärischem Wasserdampf, Kohlendioxid, Staub und Ozon wiederholt absorbiert
und wieder emittiert, bevor die Energie in den Weltraum entweicht. Dies erwärmt die
Atmosphäre, und der Effekt wird „Treibhauseffekt“ genannt, da die Atmosphäre – wie
13
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
Glas in einem Gewächshaus – gut durchlässig für die kurzwellige Sonnenstrahlung ist,
aber relativ undurchlässig für langwellige Infrarotstrahlung. Nur etwa 1% der einfallenden
Sonnenstrahlung wird von den Pflanzen für die Photosynthese genutzt. Der Rest der
Sonnenenergie wird hauptsächlich an der Erdoberfläche absorbiert, wo sie in Wärmeenergie
umgewandelt wird, die wiederum als infrarote Wärmestrahlung an die Atmosphäre abgegeben
wird. Diese Energie geht aber nicht verloren, da die Wärmestrahlung die Erde für lebende
Organismen bewohnbar macht, z. B. durch Erwärmung der Atmosphäre, Erzeugung von
Winden, Wolken und Niederschlägen, was für das Leben an Land unerlässlich ist [5].
oder
zum Beispiel:
wobei * anzeigt, dass der gebildete Sauerstoff aus dem Wasser stammt. Das Beispiel zeigt
die Bildung von Glukose.
Durch die Photosynthese nehmen Landpflanzen atmosphärisches CO2 auf, das bei gleichzeitiger
Produktion von O2 in einfache Kohlenhydrate (CH2O) eingebaut und der Sauerstoff an
die Umgebung abgegeben wird. Die produzierten Kohlenhydrate (Zucker) werden teils als
Energielieferanten für den eigenen Stoffwechsel (Atmung) der Pflanzen genutzt, wobei die
organischen Stoffe bei der Freisetzung von Energie zu CO2 und H2O oxidiert werden, und
zum Teil als Energielieferant für die Produktion neuer Zellen sowie als Energiespeicher.
Die Gesamtmenge an organischer Substanz, die durch Photosynthese erzeugt wird, wird
Bruttoprimärproduktion genannt, während der Anteil der Produktion, der übrig bleibt,
wenn der Metabolismus abgedeckt ist, als Nettoprimärproduktion bezeichnet wird, siehe
Abb. 5.
14
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
Sonnenlicht
100% 2%
1% Nettoprimärproduktion
absorbiertes Bruttoprimärproduktion
reflektiertes Licht
Licht
1%
98% Atmung
Wärme
360°
.
Abb. 5. Der Energiefluss durch eine terrestrische Pflanze. Etwa 2% der absorbierten Lichtenergie
gehen an die Bruttoprimärproduktion, die zur Hälfte auf den pflanzlichen Stoffwechsel (Atmung)
thinking
zurückgeht. In der Natur ist die Nettoprimärproduktion etwa halb so groß wie die Bruttoprimärproduktion –
das heißt, etwa 1% der absorbierten Lichtenergie wird als chemische Energie in organischen Stoffen
gebunden, die von den Primärkonsumenten als Nahrung genutzt werden können, oder von Zersetzern
in der Detritus-Nahrungskette.
360°
thinking . 360°
thinking .
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Discover the truth at www.deloitte.ca/careers © Deloitte & Touche LLP and affiliated entities.
Etwa 50% des Sonnenlichts, das auf eine Pflanze trifft, wird absorbiert. Etwa 2% dieses
absorbierten Lichts werden für die Bruttoprimärproduktion verwendet. In der Natur nutzen
Pflanzen etwa 50% der Bruttoprimärproduktion für ihren eigenen Stoffwechsel (Atmung).
Der Energieverbrauch für den Stoffwechsel kann jedoch reduziert werden, z. B. durch die
Versorgung mit essentiellen Spurenelementen, Nährstoffen, Wasser oder durch die Beseitigung
konkurrierender Pflanzen. Dadurch wird der Gesamtenergiebedarf der Pflanzen stark reduziert.
In der Landwirtschaft ist es nicht ungewöhnlich, dass die Nettoprimärproduktion bis zu
90% der Bruttoprimärproduktion ausmacht.
2.3 NAHRUNGSKETTEN
Die Übertragung der Energie von Pflanzen auf Tiere erfolgt über eine Reihe von Stufen, die
als Nahrungskette bezeichnet werden. Organismen, die sich auf derselben Stufe in Bezug
auf die Nahrungsquelle befinden, befinden sich auf derselben trophischen Ebene. Die
trophische Klassifizierung basiert auf der Funktion – nicht auf Arten, da diese oft mehreren
trophischen Ebenen angehören können, abhängig von der Wahl ihrer Nahrung.
Die lebenden Organismen in einem Ökosystem können entsprechend ihrer Funktion und
ihrer Stellung im Ernährungssystem in vier Hauptgruppen unterteilt werden:
16
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
und Fleischfressern. Die Destruenten-Nahrungskette besteht aus Detritivoren, die sich von
toter organischer Substanz aus einer Phytophagen-Herbivoren-Nahrungskette ernähren,
und von Tieren, die zum Teil von den Detritivoren und zum Teil von anderen Tieren
leben. In der Destruenten-Nahrungskette ist es unmöglich, klar zwischen den trophischen
Ebenen zu unterscheiden, da oft keine wohldefinierten Nahrungsketten, sondern komplexe
Nahrungsnetze existieren. Dies gilt allerdings für alle Arten von Nahrungsketten.
Wärmestrahlung
Wärmestrahlung
Sonnenstrahlung
Detritus- Zersetzer
Nahrungskette:
Räuber
Abb. 6. Während die von den Primärproduzenten produzierte organische Substanz durch die Phytophagen- bzw.
Destruenten-Nahrungskette transportiert wird (Pfeile mit durchgehender Linie), wird sie im Stoffwechsel der
Organismen teilweise verbrannt. Die dabei frei werdende Energie verlässt das Ökosystem als Wärmestrahlung
(Pfeile mit gestrichelter Linie).
2.4 BIOENERGETIK
Bioenergetik befasst sich mit der Untersuchung, wie lebende Organismen Nahrung
aufnehmen und verdauen, und wie sie verbrauchte oder synthetisierte Substanz und Energie
für die Erhaltung (Metabolismus = Respiration) und Produktion (neue Zellen, Speicherung,
Fortpflanzung) verteilen, also mit dem Energiehaushalt der Organismen. Der Energiefluss
durch eine Population kann aus der Kenntnis der Bioenergetik des Individuums mittels
Extrapolation von einem einzelnen Organismus auf alle Organismen in einer Population
bestimmt werden. Es ist daher interessant zu wissen, wie effektiv ein gegebener Organismus
eine bestimmte Menge an Nahrung für die Produktion nutzt, da dieses Wissen Informationen
darüber liefern kann, wie viel Nahrungsenergie dem nächsten Glied in der Nahrungskette zur
Verfügung steht. Um die Effizienz der Nahrungsverwertung eines Organismus zu berechnen,
17
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
muss man den Energiehaushalt des Organismus kennen [6]. In Abb. 7 ist das Schicksal
der Nahrungsenergie in einem tierischen Konsumenten (z. B. einem Säugetier oder Fisch)
gezeigt. Man sieht, dass die Menge an produzierter Energie (P) als die Differenz zwischen
der Energie in der assimilierten Nahrung (A = I – F, wobei I = Energie in aufgenommener
Nahrung oder Input und F = Energie in Fäzes, Urin usw. darstellt) und der Atmung (R)
ausgedrückt werden kann:
P=I–F–R=A–R
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18
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
NAHRUNGSENERGIE: I
ENERGIE IN EXKRETIONS-
PRODUKTEN (URIN etc.)
Verdauungsprozesse,
Desamination,
Kosten für Wachstum. etc.
(SDA = Spezifische dynamische Aktion)
RESPIRATION: R
STANDARD-STOFFWECHSELRATE
(osmotische, chemische und elektrische
Arbeit etc.)
Muskelaktivität
Fig. 7. Das Schicksal der Nahrungsenergie in einem Tier, z. B. einem Säugetier oder Fisch. Es ist ersichtlich,
dass die für das Wachstum verfügbare Energiemenge als die assimilierte Nahrungsenergie abzüglich des En-
ergieverbrauchs für den Stoffwechsel (oft gemessen als Sauerstoffverbrauch des Organismus = Atmung) aus-
gedrückt werden kann. Es scheint, dass der Metabolismus viele schlecht definierte Energieelemente abdeckt,
die nicht gemessen werden können oder nur schwer separat zu messen sind [6].
Abb. 8 zeigt ein universelles Modell des Energieflusses durch einen Organismus oder durch
eine Population [1].
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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
P
I A
Abb. 8. Ein universelles Modell für den Energiefluss durch einen Organismus, eine
Population oder eine trophische Ebene. I = Energiegehalt der aufgenommenen
Nahrung (Input), F = Energiegehalt von Fäzes, Urin und anderen Exkretionsprodukten,
A = assimilierte Nahrungsenergie, R = Metabolismus (Respiration oder Atmung),
P = Energie für Produktion, B = Biomasse.
Ein Parameter von großem ökologischem Interesse ist die Assimilationseffizienz (AE),
definiert als:
AE = A / I
wobei A = I – F oder A = P + R.
NGE = P / A.
Wenn zum Beispiel eine Miesmuschel eine Nettowachstumseffizienz von 67% hat, bedeutet
dies, dass 2/3 der assimilierten Nahrungsenergie für die Produktion von tierischem Material
verwendet wird, das für das nächste Glied in der Nahrungskette verfügbar ist.
20
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
Die Produktion einer Population ist die Menge an Energie, die als organisches Material
pro Zeiteinheit gespeichert wird, unabhängig davon, ob diese Substanz aufgrund des Todes
eines Tieres, aufgrund von verlorenen Hautzellen usw. für die Population verloren gegangen
ist. Eine Population kann also eine Produktion haben, selbst wenn man keine Unterschiede
im Populationsgewicht (Biomasse) feststellen kann. Die Produktion von natürlichen
Populationen kann mit verschiedenen Methoden bestimmt werden. Im Folgenden werden
drei Methoden vorgestellt:
1) Eine häufig verwendete Methode basiert auf der Bestimmung des Energiehaushalts
der Population. Bei Kenntnis der Parameter der Energiegleichung für Individuen, die
zu den verschiedenen Größenklassen der Population gehören, kann man, sofern die
Populationsgröße und die Altersstruktur der Population bekannt sind, die Produktion
der Population als Differenz zwischen der Gesamtmenge der von der Population
assimilierten Nahrung und der Gesamtatmung der Population bestimmen.
2) Die Produktion einer Population kann aus der Kenntnis der individuellen
Wachstumskurve und mit der regelmäßigen Bestimmung der Größen- und
Altersstruktur der Population bestimmt werden. Eine besonders einfache Situation
liegt vor, wenn man die Produktion einer Population bestimmen möchte, die eine
einzige Generation (z. B. einjährige Insekten) oder eine einzelne Brut umfasst. Um
21
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
NW Wachstum
No
Nn
Nn+1
∆Nn
Überleben
Wn+1
∆Wn
Wn
Wo
n n+1 a t
Abb. 9. Basierend auf der Kenntnis der individuellen Wachstumskurve und der Überlebens-
kurve für eine Population eines Wurfs oder einer einzigen Generation (z. B. bei einjährigen
Insekten) ist es möglich, die Produktion der Population über einen gegebenen Zeitraum zu
berechnen. Erklärungen aller Begriffe siehe Text.
Wenn ΔNn die Anzahl der Individuen ist, die in der Zeitspanne tn – tn+1 gestorben
sind und ΔWn das individuelle Wachstum während der gleichen Zeitspanne darstellt,
ist die Produktion der gestorbenen Individuen in dieser Zeit ungefähr = (ΔNn ×
ΔWn) / 2, da Individuen im Durchschnitt in der Mitte des Zeitraums sterben. Die
Produktion der überlebenden Individuen ist = Nn+1 × ΔWn. Die gesamte Produktion
(Pn) im Zeitraum tn – tn+1 wird dann zu: Pn = Nn+1 × ΔWn + (ΔNn × ΔWn) / 2, und
die gesamte Populationsproduktion (P) wird bestimmt als:
3) Wenn die Biomasse einer Population B genannt wird und die in einer bestimmten
Zeitspanne aus der Population eliminierte Biomasse mit E bezeichnet wird, dann
gab es während dieser Zeit eine Produktion P = ΔB + E, wie in Abb. 10 dargestellt.
22
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
i=4
E= Ei
i=1
Biomasse: B
P
E2
∆B
E4
E3
E1
Abb. 10. Die Produktion einer Population (P) kann durch Summieren der Veränderungen der Biomasse
(ΔB) und der gesamten eliminierten Biomasse (E) über einen gegebenen Zeitraum (t) bestimmt werden.
Die eliminierte Biomasse kann tote Individuen, abgestoßene Haut usw. darstellen und kann durch die
Bestimmung der Biomasse der Population in entsprechend häufigen Zeitintervallen gefunden werden,
so dass jegliche Abnahme der Biomasse (E1, E2, E3 … Ei) registriert wird, was in der Summe E bildet.
23
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
D F
Lt
D F
Pn I A
Pb P2 P3
La
Reflektion Wärme R R R
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24
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
Die vereinfachte Darstellung in Abb. 12, die den Primärproduzenten keine besondere
Beachtung schenkt, gibt einen groben Überblick und erleichtert die Definition der
ökologischen Wirkungsgrade in Tabelle 1. Wie gezeigt, ist es wichtig, die Beziehung genau
zu definieren, die ausgedrückt werden soll, wenn ökologische Effizienzen Verwendung
finden. Die Produktionseffizienzen der trophischen Ebenen in Abb. 11 liegen somit in der
Größenordnung von 10% (P2 / P1 = P2 / Pn = 1,5 / 15 = 0,1) für die zweite und ungefähr
20% (P3 / P2 = 0,3 / 1,5 = 0,2) für die dritte trophische Ebene der Nahrungskette. Wie
zu sehen, ist die Anzahl der trophischen Ebenen in einer Nahrungskette begrenzt. In der
Praxis haben Nahrungsketten selten mehr als 3–4 Glieder.
R1 R2 R3
I1 P1 I2 P2 I3 P3
A1 A2 A3
D1 D2 D3
F1 F2
Abb. 12. Lineare Nahrungskette, die aus drei trophischen Ebenen besteht: 1: Primärproduzenten
(Pflanzen), 2: Pflanzenfresser, 3: Fleischfresser. I: verbrauchte Energie; A: assimilierte Energie; R: Atmung;
P: Produktion; D: Verlust aus der Nahrungskette (Detritus); F: nicht assimilierte Nahrungsenergie (Fäzes,
Urin usw.). Sowohl D als auch F versorgen die Zersetzer (d.h. die Destruenten-Nahrungskette).
At / At-1: Assimilationseffizienz
Pt / Pt-1: Produktionseffizienz
It / Pt-1: Nutzungseffizienz
Pt / At: Produktionseffizienz
At / It: Assimilationseffizienz
25
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
Abbildung 13 zeigt ein natürliches Ökosystem, nämlich die Silver Springs, eine beliebte
Touristenattraktion in Florida. Es zeigt sich, dass die ökologische Nettoproduktionseffizienz
der Primärproduzenten 2% beträgt (P1 / I1 = Pn / La = 8 833 / 410 000 = 0,02). Die
trophische Assimilationseffizienz der Herbivoren beträgt 16% (A2 / A1 = A2 / Pb = 3 368 /
20 810 = 0,16), wohingegen die Assimilationseffizienz der trophischen Ebene der primären
Fleischfresser 11% beträgt (383 / 3 368 = 0,11). Darüber hinaus geht der Großteil der
Primärproduktion durch die Destruenten-Nahrungskette. Ein Großteil (4 600 / 5 060)
× 100 = 91% dieser Energie wird als Wärme aus dem Ökosystem freigesetzt. Ein großer
Export im Verhältnis zum Import (hauptsächlich Brot, das Touristen den Fischen zuwerfen)
zeigt, dass das Ökosystem mehr organisches Material produziert, als es für die Atmung
verwendet. Ein solches Ökosystem, in dem die Produktion größer ist als die Atmung (R),
wird als autotrophes Ökosystem bezeichnet.
Import
406
383 5060 460
einfallendes 1478
Licht D
3368
1.700000
67 6
La
410000 Pb =20810
P2 P3 P4
Pn
8833
R
0
1,89
2500
6
31
11977 Export
nicht von Pflanzen
13
absorbiertes
389190 4600
Licht
1.290000
18796
Wärme
Abb. 13. Der Energiefluss durch ein aquatisches Ökosystem, „Silver Springs“, Florida. La = absorbierte
Lichtenergie, Pb = Bruttoprimärproduktion, Pn = Nettoprimärproduktion, R = Respiration, P2 = Pflanzen-
fresser, P3 = primäre Fleischfresser, P4 = sekundäre Fleischfresser, D = Detritivoren („Zersetzer“). Es wird
darauf hingewiesen, dass der größte Teil der Nettoprimärproduktion durch die Destruenten-Nahrungsket-
te geht [1, 7]. Alle Angaben sind in kcal / m2 / Jahr.
Ein Ökosystem, in dem P kleiner als R ist, wird als heterotroph bezeichnet. Ein oft
verwendeter grafischer Weg, um zu zeigen, wie die chemisch gebundene Energie in einer
Phytophagen-Herbivoren-Nahrungskette abnimmt, besteht darin, eine „Energiepyramide“
aufzubauen. Hierbei stellt die Breite jeder Stufe der Pyramide, die eine trophische Ebene
26
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
bildet, ein Maß für die assimilierte Energie der Organismen dar, die zu dieser trophischen
Ebene gehören, siehe Abb. 14.
Top-Prädatoren NP=6
R=13
NP=67
primäre Carnivoren
R=316
Herbivoren R NP R
Produzenten 945 1 478 945
Abb. 14. Energiepyramide, basierend auf Daten für die Phytophagen-Herbivoren-Nahrungskette in „Silver
Springs“, siehe Abb. 13. Die Energiepyramide zeigt, wie die assimilierte Energie für die Atmung (R) und
die Nettoproduktion (NP) auf jeder trophischen Ebene verwendet wird [7]. Einheiten siehe Abbildung 14.
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27
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
Monomethylquecksilber (CH3Hg+) soll als letztes Beispiel für eine chemische Substanz
erwähnt werden, die in einer Nahrungskette angehäuft werden kann. Schwere Fälle von
Verschmutzung von Seen und Flüssen mit Quecksilber in Schweden in den späten 1950er
Jahren und der Tod von mehreren hundert Menschen in Japan Mitte der 1960er Jahre sowie
eine umfangreiche Quecksilberbelastung der Gewässer um Harboøre Tange in Dänemark,
verursacht durch eine chemische Fabrik [10], haben zu einer verstärkten Erforschung der
Ökotoxikologie von Quecksilber geführt (Dispersion, Zirkulation und biologische Effekte
in der Natur). So wurde gefunden, dass Phenylquecksilberacetat, das früher zur Bekämp-
fung von Pilzen in der Zellstoffindustrie und zur Färbung von Samen verwendet wurde,
durch Mikroorganismen in Monomethylquecksilber umgewandelt werden kann, das im
Gegensatz zu anorganischem Quecksilber (Hg++) fettlöslich, hochtoxisch und persistent ist.
Diese Eigenschaften machen es möglich, dass Monomethylquecksilber in der Nahrungskette
akkumuliert. Es muss hinzugefügt werden, dass die „klassische“ Beschreibung der Bioakku-
mulation von Monomethylquecksilber zu vereinfacht erscheint, da die Auswirkungen des
Ausmaßes, in dem diese Quecksilberverbindung von einem Glied der Nahrungskette zum
nächsten übertragen wird, sehr stark von der Physiologie der Organismen und ihren Fähig-
28
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Energiefluss in Ökosystemen
keiten, die toxische Substanz zu entgiften und auszuscheiden abhängt [11]. So gibt es große
physiologische Unterschiede (Blutzirkulation, Leber- und Nierenfunktion usw.) z. B. zwischen
Filtrierern (Muscheln, Zooplankton) und Fischen, die die beiden wichtigsten Glieder einer
aquatischen Nahrungskette ausmachen. Die Bioakkumulation von Monomethylquecksilber
kann also nicht ausschließlich als eine Folge seiner Fähigkeit zur Akkumulation in der En-
ergiepyramide angesehen werden.
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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
3 BIOGEOCHEMISCHE KREISLÄUFE
Alle Nährstoffe haben ihren eigenen biogeochemischen Kreislauf. In diesem Kapitel werden
Makro- und Mikronährstoffe behandelt sowie kurze Übersichtskapitel zu vier wichtigen
biogeochemischen Kreisläufen gegeben.
Fünf Elemente, die sich auch im leichtgewichtigen Bereich des Periodensystems befinden,
sorgen für die Elektroneutralität in Körperflüssigkeiten, oder sie dienen dazu, den elek-
trochemischen Potentialgradienten über die Zellmembran aufrechtzuerhalten. Letzteres ist
wichtig, zum Beispiel für die Fähigkeit von Nervenzellen, elektrische Impulse zu leiten,
sowie für die Fähigkeit von Zellen, ein konstantes Volumen zu behalten. Die Elemente,
die alle in Ionenform vorkommen, sind: Na, K, Ca, Mg und Cl. Eine dritte Gruppe von
Elementen, die essentiellen Spurenelemente (Zn, Cu, Co, Mn, Fe, und Mo), finden sich
nur in sehr geringen Mengen im Körper. Diese Spurenelemente sind insbesondere für die
Funktion vieler Enzyme notwendig. All diese Elemente werden als Nährstoffe bezeichnet,
weil sie lebenswichtig für den lebenden Organismus sind. Stoffe, die in großer Menge
benötigt werden, heißen Makronährstoffe (C, H, N, O, P, S, Na, K, Ca, Mg, und Cl),
während die in geringen Mengen benötigten Elemente Mikronährstoffe genannt werden
(insbesondere Zn, Cu, Co, Mn, Fe, Mo, aber auch Va, In, Se, Si, F, und Ba sind für ei-
nige Arten lebensnotwendig). Alle Mikro- und Makronährstoffe zirkulieren zwischen den
lebenden Organismen und der abiotischen Umgebung. Solche Nährstoffkreisläufe werden
als biogeochemische Kreisläufe bezeichnet. Fig. 15 zeigt einen biogeochemischen Kreislauf,
der in einem einfachen Energieflussdiagramm enthalten ist. Dies soll die Zusammenhänge
zwischen Energie und Materialkreislauf zeigen. Energie ist erforderlich, um einen Nähr-
stoffkreislauf anzutreiben.
30
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
Import Reservoir
Export
Licht
Pb Pn P
Wärme
R R
Abb. 15. Biogeochemischer Kreislauf in einem einfachen Energieflussdiagramm. Das zirku-
lierende Material wird durch einen Kreis repräsentiert, der sich von den Primärproduzenten
zu den Konsumenten und wieder zurück erstreckt. Das große Reservoir an nichtbiologisch
gebundenen Substanzen wird durch ein Rechteck angezeigt. Pb = Bruttoprimärproduktion,
Pn = (Netto)Primärproduktion, P = heterotrophe Produktion, R = Respiration, F = nicht assi-
milierte Nahrungsenergie. Schraffiert = Biomasse [1].
Es ist günstig, zwischen einem großen, sich langsam bewegenden, nichtbiologischen Pool und
einem kleineren, aber aktiveren Pool von Substanzen zu unterscheiden, die schnell zwischen
Organismen und der Umwelt ausgetauscht werden. Fig. 15 zeigt das zirkulierende Material,
dargestellt durch einen Kreis, der sich von den Primärproduzenten zu den Konsumenten
und wieder zurück erstreckt. Das große Reservoir an nichtbiologisch gebundenen Substanzen
ist durch ein Rechteck dargestellt. Alle Mikro- und Makronährstoffe haben ihre eigenen
charakteristischen Kreisläufe, die in zwei Haupttypen unterteilt sind:
1) Sedimentärer Typ von Kreislauf, bei dem das größte Reservoir in Sedimenten
(z. B. für S, P, Ca) gefunden wird.
2) Gasförmiger Typ von Kreislauf, bei dem die Atmosphäre das größte Reservoir
(z. B. für N, C, O) darstellt.
In den folgenden Abschnitten wird ein Überblick über einige wichtige biogeochemische
Kreisläufe gegeben.
31
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
32
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
CO2 Verbrennung
Pflanzen Tiere
Detritus
Tiere
Detritus
Die Aufnahme von CO2 durch Landpflanzen ist manchmal so ausgeprägt, dass sie als
Konzentrationsabfall in der Atmosphäre nachgewiesen werden kann. In der Höhe der
Baumkronen eines Waldes kann an einem klaren Sommertag gegen Mittag ein ausgeprägtes
Minimum an CO2 gemessen werden, zum Zeitpunkt an dem die Photosyntheseleistung am
höchsten ist. Variationen sind auch zwischen den Jahreszeiten erkennbar, siehe Abb. 17.
Im Sommer ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre niedriger als im Winter, wenn
der Photosyntheseprozess zum Stillstand kommt oder stark reduziert ist. Somit können
Schwankungen des atmosphärischen CO2-Gehalts zwischen Tag und Nacht, höhenabhängig
und saisonal registriert werden.
33
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
400
CO2 in der Atmosphäre, ppm
360
320
Im Wasser sind die Bedingungen anders. Hier gibt es nur wenige Pflanzen, die mit dem
begrenzten CO2, das im Wasser gelöst ist, überleben können. Dies liegt daran, dass die
Diffusionsrate von CO2 in Wasser nur ein Bruchteil der Diffusionsrate in Luft ist. Nur die
kleinsten einzelligen Planktonalgen und Moose mit dünnen Blättern können durch passive
Diffusion über die äußeren Oberflächen ausreichend CO2 absorbieren. Die Diffusionsstrecken
in größeren Planktonalgen (mehr als etwa 30 μm im Durchmesser) und in Makropflanzen
sind so lang, dass die CO2-Konzentration zu niedrig ist, um eine ausreichende Photosynthese
sicherzustellen. Diese Pflanzen nehmen über das im Wasser vorkommende Kohlensäuresystem
CO2 auf:
Wasserpflanzen, die CO2 aus dem umgebenden Wasser nicht passiv aufnehmen können,
nehmen aktiv HCO3- auf. In den Chloroplasten der Pflanzen katalysiert das Enzym
Carboanhydrase den Prozess: 2 HCO3- → CO2 + H2O + CO3--. Das abgespaltene CO2
wird dann für die Photosynthese genutzt. Das „Kohlensäuresystem“ in Wasser impliziert,
dass die Photosynthese zu einem höheren pH-Wert im Wasser führt, während die Zufuhr
von CO2 durch Atmungsprozesse den gegenteiligen Effekt hat. So ist es wohl bekannt, dass
der pH-Wert während des Tages in den oberen Schichten des mit Licht durchdrungenen
Wassers ansteigt, während er während der Nacht abfällt. Es ist auch bekannt, dass der pH-
Wert aufgrund der CO2-Produktion in den Bodensedimenten oder im Wasser unter der
Lichtgrenze (aphotische oder dysphotische Zone) erheblich sinken kann, wo organische
34
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
Materialien durch Bakterien abgebaut werden. Die Kohlenstoffzirkulation in der Biosphäre hat
zwei unterschiedliche Kreisläufe, einen an Land und einen im Wasser. Die Gesamtmenge an
CO2, die das Meeresphytoplankton pro Jahr verbraucht, liegt in der gleichen Größenordnung
wie die Menge an CO2, das die Landpflanzen durch ihre Bruttoprimärproduktion binden.
Der Kohlenstoffkreislauf im Ozean ist praktisch selbsterhaltend. Durch Wind und Wellen
kommt es jedoch zu einem regen Austausch von CO2 zwischen der Atmosphäre und
dem Ozean, der dafür sorgt, dass die Menge an gelöstem CO2 in der Oberflächenschicht
der Ozeane im Gleichgewicht mit der Konzentration von CO2 in der Atmosphäre steht.
Da die Ozeane tendenziell geschichtet sind (aufgrund von Thermoklinen), besteht nur
eine begrenzte Zirkulation zwischen dem Oberflächenwasser und dem Grundwasser. So
dauert es etwa 1 000 Jahre, um das Wasser in den tiefsten Teilen der Ozeane zu ersetzen.
Im Gegensatz dazu zirkuliert das CO2 in der Atmosphäre viel schneller. Messungen von
radioaktivem Kohlenstoff-14 nach den Atombombentests in den frühen 1960er Jahren
haben gezeigt, dass die Verweilzeit von CO2 in der Atmosphäre, bevor es sich im Meer löst,
etwa 7 Jahre beträgt. Der Kohlenstoff, den Landpflanzen durch ihre Photosynthese binden,
wird früher oder später in die Atmosphäre zurückgeführt, wenn die organische Materie in
den Nahrungsketten zersetzt wird. Die Zersetzung von organischem Material erfolgt in
den Tropen relativ schnell (10–30 Jahre), während der Prozess in den nördlichen Regionen
(mehrere hundert Jahre) viel langsamer abläuft.
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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
Durch die Photosynthese der Landpflanzen werden jährlich rund 100 Milliarden Tonnen
Kohlenstoff aus der Atmosphäre in Form von Kohlendioxid entfernt. Landpflanzen- und
Bodenatmung (d. h. die vollständige Zersetzung von organischem Material) setzt Kohlendioxid
frei, das 2 × 50 Milliarden Tonnen pro Jahr entspricht. Durch das Verbrennen von Kohle
und Öl (fossile Brennstoffe) und durch das Abbrennen tropischer Regenwälder werden 5 bzw.
2 Milliarden Tonnen Kohlenstoff pro Jahr freigesetzt. Physikalische und chemische Prozesse
an der Meeresoberfläche geben rund 100 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre
ab, während rund 104 Milliarden Tonnen von den Ozeanen aufgenommen werden. Die
jährliche Nettozugabe von Kohlendioxid in die Atmosphäre entspricht etwa 3 Milliarden
Tonnen Kohlenstoff, siehe Abb. 18. Dieser Anstieg des atmosphärischen Kohlendioxids, das
Infrarotstrahlung absorbiert, führt zu einem zunehmenden „Treibhauseffekt“ und somit zu
einer erhöhten globalen Temperatur. In früheren geologischen Zeiträumen war der Abbau
geringer als die Menge an gebundenem Kohlenstoff, und daher sammelten sich große
Mengen an Kohlenstoff als Kohle und Öl an. Aber seit Beginn der industriellen Revolution
in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Menschheit ein großes globales geochemisches
„Experiment“ durchgeführt, bei dem große Mengen fossiler Brennstoffe verbrannt wurden.
Seit 1850 ist die atmosphärische CO2-Konzentration von etwa 290 ppm auf fast 350 ppm
im Jahr 1990 gestiegen, wobei etwa 50% der Zunahme seit Mitte der sechziger Jahre
auftraten. 2016 war die CO2-Konzentration erstmals in den letzten 800 000 Jahren auf
400 ppm angestiegen [12].
Abb. 18. Der globale Kohlenstoffkreislauf. Alle Werte sind in Milliarden Tonnen pro Jahr angegeben [15].
Die Zunahme im CO2 Gehalt der Atmosphäre dürfte etwa ein Drittel der insgesamt 200
Milliarden Tonnen CO2 ausmachen, die bisher aus fossilen Brennstoffen freigesetzt wurden.
36
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
Ein Teil des übrigen CO2 wurde wahrscheinlich von den Ozeanen aufgenommen, was zu
einer Versauerung des Wassers führte. So ist der pH-Wert der Ozeanoberflächengewässer
von 8,25 im Jahr 1751 auf 8,14 im Jahr 2004 gesunken, und der pH-Wert kann im Jahr
2100 weiter auf etwa 7,85 zurückgehen, was zu unkalkulierbaren Schäden bei den marinen
Organismen führen wird [14]. Ein signifikanter Anteil des CO2, das nicht von den Ozeanen
absorbiert wird, kann sehr wahrscheinlich zu einer Zunahme der Vegetation an Land führen.
Studien haben gezeigt, dass Pflanzen schneller wachsen, wenn die umgebende Atmosphäre
mit CO2 angereichert ist. Es ist daher möglich, dass die Verbrennung von Öl und Gas eine
„Düngung“ von Wäldern und landwirtschaftlichen Flächen verursacht.
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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
N2 in Atmosphäre
biologische Fixierung
industrielle
Fixierung
Denitrifikation NH3
NO, NO2
Pflanzen, R-NH2 Tiere, R-NH2
saurer Regen
NH4+ (Ammonium)
NO2- (Nitrit)
NO3- (Nitrat)
Nitrifikation
Abb. 19. Der biogeochemische Stickstoffkreislauf [14]. Vier Arten von Prozessen treiben den Stickstoffkreislauf
an: 1) Stickstofffixierung und Einbau von Stickstoff als Aminogruppen (R – NH2) in die lebenden Organismen;
2) Desaminierung, wobei der organisch gebundene Stickstoff als Ammoniak freigesetzt wird; 3) Nitrifikation,
wobei Bakterien Ammonium (NH4+) in Nitrit (NO2-) und Nitrat (NO3-) umwandeln (COMplete AMMonium OXidizer)
und 4) Denitrifikation (Nitratatmung), wobei Bakterien unter anaeroben Bedingungen Nitrat in Gegenwart von
leicht abbaubaren organischen Stoffen oder Schwefel in freien Stickstoff umwandeln, siehe Tabelle 2. Zusätzlich
führen bestimmte Bakterien unter anaeroben Bedingungen einen Denitrifikationsprozess namens Anammox
(= anaerobe Ammoniumoxidation) durch: NH4+ + NO2- → N2 + H2O [18].
39
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
O
+5 Nitrat-Ion NO3-
O N O
+3 Nitrit-Ion NO2- O N O
0 Stickstoff N2 N N
H N H
Ammoniak NH3
-3 H
Abb. 20. Wenn sich zwei Elemente chemisch verbinden, teilen sich ihre Atome ein oder mehrere
Elektronen in der äußeren Elektronenschale, welche besonders stabil ist, wenn 8 Elektronen
vorhanden sind. Atome von Stickstoff und Sauerstoff, denen nur wenige Elektronen fehlen, um
die äußere Elektronenschale aufzufüllen, versuchen die fehlenden Elektronen zu erhalten, indem
sie Elektronen von anderen Atomen aufnehmen. Dieses Prinzip erklärt, warum Stickstoff (N) in
mehreren Oxidationsstufen auftreten kann, abhängig davon, ob der Stickstoff Teil des Wasserstoffs
(H) oder des Sauerstoffs (O) ist, unter Bildung von (NO3-), Nitrit (NO2-) oder Ammoniak (NH3). In
den oxidierten Zuständen (+) füllen die Elektronen des Stickstoffatoms die äußere Elektronenschale
des Sauerstoffatoms auf. Im reduzierten (-) Zustand wird die äußere Elektronenschale des
Stickstoffatoms mit den Elektronen der Wasserstoffatome aufgefüllt.
Pflanzenwurzeln nehmen leicht Ammoniak und Nitrat aus dem Boden auf. Die aufge-
nommenen Stickstoffverbindungen werden in Aminosäuren eingebaut, und die wiederum
in Proteine. Wenn die Pflanzen absterben und zersetzt oder von Tieren gefressen werden,
und die Proteine durch
die Nahrungsketten transportiert werden, werden die Aminogrup-
pen (-NH2) der Aminosäuren abgespalten und als Ammoniak (NH3) an die Umgebung
abgegeben oder mit dem Urin z. B. als Harnstoff ausgeschieden. Dieser Vorgang wird als
Desaminierung bezeichnet. Ammoniak und Ammonium (NH4+) stellen ein Säure-Basen-
Paar dar. Bei einem pH-Wert von 7 ist die Konzentration an Ammonium etwa 200-mal
höher als die Konzentration von Ammoniak. Ammonium lässt sich nicht sehr leicht aus
dem Boden herauslösen, weil die positive Ladung es ermöglicht, an die negativ geladenen
Teilchen von Ton und Humus zu binden. Trotzdem werden die Stickstoffverbindungen,
aus dem Boden ausgewaschen, weil die Ammoniumionen von chemoautotrophen Bakte-
40
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
rien (Nitrosomonas) zu Nitrit (NO2-) oxidiert werden können. Nitrit kann durch andere
Bakterien (Nitrobacter) weiter in Nitrat (NO3-) umgewandelt werden. Die Umwandlung
von Ammoniak zu Nitrit und weiter zu Nitrat wird als Nitrifikation bezeichnet. Unter
anaeroben Bedingungen wird Nitrat durch einen als Denitrifikation bekannten Prozess, der
von dem Bakterium Pseudomonas denitrificans (Glukose + NO3- → CO2 + N2 + 2387 kJ)
durchgeführt wird, zu freiem Stickstoff reduziert. Die Verbrennung von 1 mol Glukose mit
O2 würde eine Energieausbeute von 2872 kJ ergeben. Somit wird fast so viel Energie durch
anaerobe Denitrifikation freigesetzt wie durch Verbrennung mit Sauerstoff, siehe Tabelle 2.
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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
können kein Nitrat zurückhalten, das dann ins Grundwasser gelangt, wenn die Vegetation
nicht ausreicht, um es aufzunehmen. Weltweit wird geschätzt, dass heute mehr Stickstoff
biologisch, industriell und atmosphärisch gebunden wird (92 Millionen Tonnen pro Jahr)
als denitrifiziert (83 Millionen Tonnen pro Jahr). Damit beeinflusst der Mensch signifikant
die globale Stickstoffbilanz. Bis dato war das Pflanzenwachstum sowohl an Land als auch im
Meer durch Stickstoff limitiert. Es ist unbestritten, dass eine erhöhte Fixierung von Stickstoff,
die nicht durch eine entsprechende Denitrifikation ausgeglichen wird, zu ökologischen
Störungen führen wird.
Abschließend sei noch erwähnt, dass die photochemischen und elektrischen Prozesse in
der Atmosphäre N2 zu Stickoxiden (NO und NO2) oxidieren können, die auch durch
Verbrennung von Öl und Kohle entstehen und durch Regen als Salpetersäure in den Bo-
den gelangen. Auf Gewichtsbasis beträgt dieser Stickstoffanteil etwa 1/10 der biologischen
Fixierung. Es ist ein Gedankenspiel, dass ohne denitrifizierende Bakterien die Ozeane eine
Salpetersäurelösung wären. Die Denitrifikation muss sich daher bald nach der Entstehung
von Sauerstoff in der Atmosphäre entwickelt haben. 1999 war die wissenschaftliche Welt
überrascht, als ein bisher unbekannter Denitrifikationsprozess identifiziert wurde. Es stellte
sich heraus, dass einige Bakterien unter anaeroben Bedingungen die Denitrifikation durch
einen Prozess namens Anammox (= anaerobe Ammoniumoxidation) durchführen können,
bei dem Ammonium und Nitrit in freien Stickstoff und Wasser umgewandelt werden: NH4+
+ NO2- →N2 + H2O. Weltweit ist dieser Prozess für 30–50% des in den Ozeanen produ-
zierten freien Stickstoffs verantwortlich. Anammox ist die Hauptsenke für fixierten Stickstoff
und trägt damit direkt zur Begrenzung der Primärproduktion in den Ozeanen bei [17, 18].
Sehr große Mengen an Stickstoff sind in den Ozeansedimenten und in Gesteinen in der
Erdkruste gebunden. Da der Umsatz dieses Stickstoffs im Gegensatz zum atmosphärischen
Stickstoff sehr langsam verläuft, ist der Stickstoffkreislauf vom gasförmigen biogeochemi-
schen Typ.
Denitrifikation
42
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
Atmung
2872
4) C6H12O6 + 6 O2 6 CO2 + 6 H2O
Kohlendioxid Wasser
Desaminierung (Ammonifizierung)
737
5) CH2NH2COOH + 1,5 O2 2 CO2 + H2O + NH3
Glycin Sauerstoff Ammoniak
Nitrifikation
276
6) NH3 + 1,5 O2 HNO2 +H20
Salpetrige Saure
Stickstofffixierung
9) 2 N + 3 H2 2 NH3 54
43
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
photochemische Oxidation
Verbrennung
saurer Regen
microbiell
Kohle, Öl etc.
SO42- (Sulfat)
I
III IV
S (Schwefel)
Abb. 21. Der biogeochemische Schwefelkreislauf [3, 16]. Die römischen Ziffern neben den Pfeilen
zeigen den Umsatz von Sulfat, Schwefelwasserstoff (Hydrogensulfid) und Schwefel und beziehen
sich auf die folgenden Gleichungen:
44
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
Umgebung). Dies führt dazu, dass der Schwefel in gasförmiger Form vorliegt und
an die Atmosphäre abgegeben werden kann.
In kleinen Mengen kann SO2 Pflanzen düngen, in größeren Mengen ist die Verbindung
aber schädlich. Durch photochemische Oxidation in der Atmosphäre kann SO2 zu SO3
umgewandelt werden, das mit Wasser zu Schwefelsäure (H2SO4) reagiert, die zusammen mit
Salpetersäure, die durch Luftverschmutzung mit Stickoxiden gebildet wird, als „saurer Regen“
[16] auf den Boden fällt. Saurer Regen kann durch Freisetzung von Schwermetallionen
aus dem Boden zu Waldsterben führen, aber auch zu einer Versauerung von Gewässern mit
geringem Kalksteinvorkommen im Einzugsgebiet [19]. In den letzten Jahren hat saurer Regen
in Norwegen und Schweden die Fischbestände in vielen hundert Seen vernichtet. „Saurer
Regen“, definiert als Regen mit einem pH-Wert unter 5,65, kann auch andere Zerstörungen
verursachen. Sandstein, der Calciumcarbonat (CaCO3) enthält, zerfällt in schwefelhaltiger
Luft viel schneller. Markante Beispiele sind die historischen Monumente Griechenlands und
Italiens, die ohne größere Veränderungen bis zu mehreren tausend Jahren Bestand hatten,
aber in den letzten Jahrzehnten viel Schaden genommen haben. Dies liegt daran, dass saurer
Regen oder trockener Schwefel (z. B. aus lokalen Autoabgasen, die sich auf den Denkmälern
ablagern), mit Calciumcarbonat reagieren, wobei lösliches Calciumsulfat (Gips) gebildet
wird, das leicht durch Regenwasser ausgespült werden kann.
45
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
Die Bedeutung von Bakterien mit „Sulfatatmung“ ist für den Schwefelumsatz in marinen
Sedimenten sehr groß. Etwa 50% der Zersetzung von organischem Material (Mineralisierung)
am Boden eines Meeresgebiets in den gemäßigten Breiten (Limfjorden in Dänemark) erfolgt
durch sulfatatmende Bakterien – was auch bedeutet, dass 50% des Sauerstoffverbrauchs am
Boden für die Oxidation von H2S eingesetzt wird. Dies führt zu einem Energietransport von
der tieferen anoxischen zur darüber liegenden aeroben Zone nahe der Sedimentoberfläche [20].
Wenn die Sauerstoffkonzentration am Boden sehr niedrig ist (weniger als 2 mg O21-1) und
wenn gleichzeitig ein Überschuss an Schwefelwasserstoff erzeugt wird, werden die „weißen
Schwefelbakterien“, die oft als weißer Film auf dem Boden zu erkennen sind, den Schwe-
felwasserstoff nicht mehr länger absorbieren und umwandeln können. Schwefelwasserstoff
46
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
ist ein starkes Umweltgift. Er dringt dann in das Sediment ein und gelangt in das darüber
liegende Wasser, was zum Absterben der benthischen Fauna führen kann. Dieses durch Sau-
erstoffmangel verursachte Phänomen ist seit den 1970er Jahren aufgrund der zunehmenden
Eutrophierung (Überfrachtung von Nährstoffen aus Hausmüll und Landwirtschaft) in vielen
marinen Küsten- und Flachgebieten zu beobachten. Obwohl der Schwefel in der Atmosphä-
re gasförmig vorliegt, ist dies kein großes Reservoir (allerdings sind die Umsatzraten von
Schwefel in der Atmosphäre kaum bekannt). Das größte Schwefelreservoir befindet sich im
Sediment. Der Schwefelkreislauf ist daher vom sedimentären biogeochemischen Kreislauftyp.
Freie Phosphationen werden über die Oberfläche des Phytoplanktons bzw. bei höheren
Pflanzen über die Wurzeln aufgenommen und in das lebende Gewebe eingebaut. Phosphor
durchläuft die Phytophagen-Herbivoren-Nahrungskette wie Stickstoff und Schwefel, und
überschüssiger Phosphor wird vorwiegend über den Kot ausgeschieden. Anorganisches
Phosphat wird in die abiotische Umgebung freigesetzt, wenn Zersetzer in der Destruenten-
Nahrungskette das phosphorhaltige organische Material aus den Fäzes oder toten Pflanzen
und Tieren abbauen. Die organische Phase des biogeochemischen Zyklus von Phosphor ist
sehr einfach. Die anorganische Phase des Phosphorkreislaufs ist komplexer und weniger
gut bekannt, insbesondere in Bezug auf den Umsatz in Sedimenten [3, 7]. Sedimente
nehmen Phosphat auf oder geben es ab, abhängig von den chemischen Bedingungen. Unter
aeroben Bedingungen finden sich oft große Mengen an Phosphat gebunden an oxidierte
Eisenverbindungen (Fe+++) in den oberen Sedimentschichten (FePO4). Im Sommer, wenn
es am Boden zu einer Sauerstoffverarmung kommt, kann Sulfid bis zur Sedimentoberfläche
vordringen und die Eisenverbindungen unter Bildung von Eisensulfid reduzieren, was
zur Freisetzung von Phosphat führt. Weit verbreiteter Sauerstoffmangel in eutrophierten
flachen Meeresgebieten führt im Sommer zu signifikant höheren Phosphatkonzentrationen
im Wasser als im Winter, wenn die Sedimentoberfläche oxidiert wird (und aufgrund von
Eisenhydroxiden = „Rost“ hellbraun gefärbt ist). Der erste Fall von Sauerstoffmangel im
Sommer startet einen „Teufelskreislauf“, in dem das freigesetzte Phosphat (der limitierende
Nährstofffaktor im Frühsommer) eine Erhöhung der Phytoplanktonproduktion bewirkt,
die im Sommer und Frühherbst neuen Sauerstoffmangel auslöst. [20].
47
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
Phosphat wird nur in geringem Maße aus dem Boden ausgewaschen. Der Grund ist, dass
Phosphat chemisch mit Aluminium-, Calcium-, Mangan- und Eisenionen reagiert und schlecht
lösliche Verbindungen bildet. Pflanzen können das in dieser Form gebundene Phosphat nicht
absorbieren. Somit wird die Menge an biologisch verfügbarem Phosphat nicht nur durch die
absolute Menge an Phosphat in einem Ökosystem bestimmt, sondern vielmehr durch die Ge-
schwindigkeit, mit der es regeneriert wird. Dies ist vor allem in vielen Süßwasserseen zu beob-
achten, wo der „mobile Pool“ an Phosphat sehr klein ist. Somit ist es das Phosphat, das den
begrenzenden Faktor für das Wachstum von Phytoplankton in vielen Seen darstellt. Die Seen
erhalten zwar größere oder kleinere Mengen an Nitrat, das aus den umliegenden landwirtschaft-
lichen Flächen ausgewaschen wird, da aber Phosphat, das nicht aus dem Boden ausgewaschen
wird, der limitierende Faktor ist, verursacht das Nitrat keine unmittelbaren Probleme mit dem
Wachstum von Planktonalgen. Werden jedoch gleichzeitig häusliche Abwässer mit relativ gro-
ßen Mengen an bioverfügbarem Phosphor eingetragen (was häufig der Fall ist), kommt es zu
einem schnellen Wachstum beim Phytoplankton („Phytoplanktonblüte“), was zu einer Reihe
von Umweltproblemen führen kann [21]. Wenn in einen See über Jahre hinweg phosphathal-
tige Abwässer gelangt sind, könnte sich ein großer Phosphatpool im Schlamm am Grunde des
Sees angehäuft haben. Dieses Phosphat wird aufgrund von Eutrophierung und Ablagerung von
organischem Material freigesetzt („mobilisiert“), wenn sich anoxische Bedingungen am Boden
entwickeln. Daher wird ein Stopp des Phosphateintrags erst viele Jahre später Wirkung zeigen.
48
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Biogeochemische Kreisläufe
49
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
4 POPULATIONSÖKOLOGIE
Eine Population ist definiert als alle Individuen derselben Art in einem bestimmten Gebiet.
Eine Population hat eine Reihe von Merkmalen, die für diese Organisationsebene charakteri-
stisch sind und nicht auf der organisatorischen Ebene unterhalb (Individuum) oder oberhalb
(Gemeinschaft) gefunden werden. Eine Population hat zum Beispiel eine Altersstruktur,
eine räumliche Verteilung und eine Dichte, siehe Abb. 22. Dieses Kapitel beschreibt, wie
Populationen durch ein komplexes Zusammenspiel mit der Umwelt reguliert werden.
B Altersklassen
100
95
90
85
80
75
Altersklassen 70
65
80 60
75
55
70
65 50
60 45
55 40
50
35
45
40 30
35 25
30 20
25
20 15
15 10
10 Mexiko 5 Dänemark
5 0
0
10 8 6 4 2 0 2 4 6 8 10 5 4 3 2 1 0 1 2 3 4 5
Abb. 22. Populationen haben eine Reihe von Merkmalen, die nicht im Individuum gefunden werden (vgl.
„Das hierarchische Kontrollprinzip“). Zum Beispiel hat eine Population eine räumliche Verteilung, eine
Dichte, eine Altersstruktur und eine Geburten- und Todesrate. Die Abbildung zeigt (A) die möglichen
Verteilungsformen und Dichten von Individuen einer Population im Siedlungsgebiet und (B) die Alters-
struktur von Männern und Frauen in der Bevölkerung von Mexiko und Dänemark mit unterschiedlichen
Wachstumsraten.
50
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
INTERSPEZIFISCHE FAKTOREN
(ANDERE POPULATIONEN)
KONKURRENZ : RÄUBER,
PARASITISMUS,
SYMBIOSE
INTRASPEZIFISCHE
FAKTOREN (FEEDBACK)
Maastricht
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51
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Im Folgenden werden einige Beispiele für Interaktionen zwischen Populationen und ihrer
abiotischen und biotischen Umwelt aufgezeigt; mit besonderer Betonung darauf, wie
abiotische, inter- und intraspezifische Faktoren das Wachstum von Populationen und damit
ihre Größe und Verteilung regulieren können.
Es wurde vorgeschlagen, die ökologische Nische einer Art so zu definieren, dass die Nische
nur eine Art in einem bestimmten Ökosystem enthalten kann. Diese Definition ist jedoch
nicht ganz zufriedenstellend. Eine genauere Definition der Nische eines Organismus kann
wie folgt gegeben werden: man zeichnet linear auf einer x-Achse einen Umweltfaktor (z. B.
Temperatur) für eine Art S1 auf, siehe Fig. 24. Auf der Achse ist das Intervall x‘-x‘‘ markiert
(„Toleranzbreite“), innerhalb welchem die Art überleben kann. Auf der y-Achse ist das Intervall
y‘-y‘‘ eines anderen Umweltfaktors (z. B. pH Wert) markiert, innerhalb dem die Art überleben
kann. Der resultierende Bereich, der die Punkte in Bezug auf die beiden Umweltfaktoren
x und y enthält, zeigt die Fähigkeit der Art S1 an, eine Population aufrechtzuerhalten. Ein
dritter Faktor z kann auf die gleiche Weise eingeführt werden, wodurch ein dreidimensionaler
Raum (Volumen) erzeugt wird, der die Punkte enthält, welche die Umweltanforderungen
einer Art S2 in Bezug auf drei Faktoren beschreiben. Wenn n-Umweltfaktoren auf dieselbe
Weise berücksichtigt werden, kann ein n-dimensionales Hypervolumen, N1, erzeugt werden.
Die in N1 enthaltenen Punkte entsprechen allen Umweltkombinationen, bei denen eine
Population aufrechterhalten werden kann. N1 wird als die „fundamentale Nische“ der Art S1
bezeichnet. Die fundamentale Nische beschreibt also die physiologischen Toleranzgrenzen
einer Art.
52
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
y’’
Nische
y’
x
x’ x’’
Abb. 24. Zweidimensionale fundamentale Nische einer Art in Bezug auf die
Umweltfaktoren x und y.
53
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Das obige Modell zur Beschreibung der Nische einer Art ist genauer und umfassender als
die allgemein verwendete Definition einer Nische als „Beruf “ einer Art im Ökosystem (im
Gegensatz zum Habitat der Art). Man muss sich aber bewusst sein, dass das n-dimensionale
Nischenmodell nicht berücksichtigt, dass der Toleranzbereich für einen gegebenen Umweltfaktor
ein Optimum hat, wo die Art am besten gedeiht, und dass die „grafische“ Wiedergabe z. B.
nicht beschreibt, dass sich die Toleranzgrenzen für bestimmte Umweltfaktoren gegenseitig
beeinflussen können. Als Beispiel kann das Wachstum von Kieselalgen in einem See angeführt
werden, um zu zeigen, wie abiotische Faktoren bei der Regulierung der Größe einer Population
dominieren können. Wenn die Licht- und Temperaturbedingungen im Frühjahr günstig
sind, beginnen die Kieselalgen aufgrund der großen Mengen an Nährstoffen im Wasser zu
dieser Jahreszeit schnell zu wachsen. Da das Zooplankton im zeitigen Frühjahr nur wenige
Individuen umfasst, wachsen die Algen ungehindert, bis das Silizium (Si) in der Nahrung
erschöpft ist und das weitere Wachstum begrenzt. Die Diatomeenblüte im zeitigen Frühjahr
und die anschließende Reduktion wird ausschließlich durch die abiotischen Faktoren Licht
und Silizium bestimmt. Wenn das Kieselalgenwachstum aufgrund von Siliziummangel aufhört,
können andere Algenarten wachsen. Das Wachstum dieser Algen kann wiederum stark durch
das Zooplankton reguliert werden, das durch sein „Beweiden“ die Menge an Phytoplankton
reduzieren kann. Die Regulierung des Zooplanktons findet durch Fischprädatoren statt.
Dies alles schafft ein Gleichgewicht im Ökosystem, so dass die Größen der verschiedenen
Populationen um einen mehr oder weniger konstanten Wert schwanken bzw. oszillieren.
Es gibt viele Arten von Interaktionen zwischen Populationen. Die interspezifischen Faktoren
können in mehrere Typen unterteilt werden, zwischen denen graduelle Übergänge auftreten
können: 1) Konkurrenz, 2) Prädation (Räubertum) oder Parasitismus, 3) Symbiose. Im
Folgenden werden diese Phänomene an einigen Beispielen beschrieben.
4.1.2.1 Konkurrenz
Wenn sich die fundamentalen Nischen zweier Arten ganz oder teilweise überlappen, wird es
Konkurrenz um Nahrung und / oder Raum geben (siehe Abb. 25 und 26). Diese Art von
Konkurrenz wird als interspezifische Konkurrenz bezeichnet. Die folgenden Abschnitte
beschreiben vier Beobachtungen, die interspezifische Konkurrenz veranschaulichen bzw.
demonstrieren sollen, die für die Verbreitung von Tieren und Pflanzen in der Natur sehr
wichtig ist.
54
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Abstand zwischen
Ressourcennutzung
optimalen Nischen
Art Art
A B
Nischenüberlappung
Nischendimension
Abb. 25. Dimension einer ökologischen Nische. Die beiden glockenförmigen Kurven
repräsentieren die Ressourcennutzung von zwei Arten A und B in einer Gemeinschaft.
Die Nischendimensionen können die Temperatur, den pH-Wert oder die Größe von
Nahrungspartikeln repräsentieren, die von den beiden Arten verzehrt werden. Die Kon-
kurrenz ist am intensivsten, wenn es Nischenüberschneidungen gibt, was zu Einschrän-
kungen in der Verteilung der beiden Arten führt. Ein derartiger interspezifischer Wett-
bewerb (Konkurrenz) führt zur Auswahl von Individuen, die keine Überlappung aufweisen.
Dies führt schließlich zu einer Trennung der beiden Arten mit vollständig getrennten
Nischen (Diversifikationsnische).
55
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
70
60
50
Corophium Hydrobia
40
30
20
10
0
3 6 12 24 48 96 192 364
Partikelgröße, μm
Abb. 26. Die Größenverteilung von Mineralpartikeln, die im Darm des Amphipoden Co-
rophium volutator (Crustacea) und der Schlammschnecke Hydrobia ulvae (Mollusca) ge-
funden wurden [22]. Beide Arten leben oft zusammen auf sandigen Wattflächen, wo sie
sich von den Mikroorganismen ernähren, die auf den Partikeln sitzen. Die beiden Arten
„teilen“ sich die Nahrungsressourcen, indem sie Partikel unterschiedlicher Größe aufneh-
men. Interspezifische Konkurrenz tritt auf, wenn es eine „Nischenüberlappung“ bei den
beiden Detritusfressern gibt, was impliziert, dass die realisierte Nische beider Arten enger
ist, als sie es ohne Konkurrent wäre.
In den 1930er Jahren führte der russische Biologe Georgy Gause eine große Anzahl von
Laborversuchen zur Konkurrenz verschiedener Arten von einzelligen Ciliaten der Gattung
Paramecium durch, die mit Bakterien oder Hefezellen gefüttert wurden. In einigen
Experimenten wurden zwei Arten getrennt kultiviert, wobei die angebotene Futtermenge
56
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
P. caudatum (N2)
80 N2 zusammen mit P. aurelia
K2= 64
dN2 64 - N2
40 = 0,794 N2 x
dt 64
dN2 64 - N2 - βN1
= 0,794 N2 x
N1 und N2 (Menge)
dt 64
0
P. aurelia (N1)
N1 zusammen mit P. caudatum
K1= 105
80 dN1 105 - N1
= 1,124 N1 x
dt 105
0
2 6 10 14 18 Tage
Abb. 27. Das Wachstum zweier Pantoffeltierchen (Ciliata) (Paramecium aurelia und P. caudatum)
mit “gleicher ökologischer Nische”. Die Abbildung zeigt das Wachstum der beiden Ciliata
Arten, die entweder in Reinkultur oder in Mischkultur gehalten wurden. Man sieht, dass P.
caudatum von P. aurelia bis zum vollständigen Aussterben verdrängt wird [23]. Die
mathematischen Gleichungen für das Wachstum der beiden Pantoffeltierchen werden im
Abschnitt 4.2 erklärt.
57
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Tabelle 3. Die Konkurrenzexperimente begannen unter allen Klimabedingungen mit jeweils der gleichen Anzahl
von Mehlkäfern der beiden Arten (X) und (Y) [24].
Ein anderes Beispiel für interspezifische Konkurrenz zwischen zwei eng verwandten Arten
zeigen die Experimente des amerikanischen Biologen Thomas Park aus den 1950er bis
1960er Jahren mit Mehlkäfern. In einer Reihe von Experimenten, die bei verschiedenen
Kombinationen von Temperatur und Feuchtigkeit durchgeführt wurden, untersuchte Park
die Konkurrenz zwischen zwei Arten von Mehlkäfern. Es wurde gezeigt, dass eine Spezies
die andere Art immer vollständig unterdrückte. Eine Art (Y) (Tribolium castaneum) gewann
immer in einer heiß-feuchten Umgebung, während die zweite Art (X) (Tribolium confusum)
immer in einer kalt-trockenen Umgebung gewann, siehe Tabelle 3. In einer Umgebung
mit Temperatur-Feuchtigkeits-Bedingungen, die zwischen den beiden Extremen lag, gab
es – abhängig von der Anzahl von Individuen zu Beginn des Experiments – eine gewisse
58
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Zufälligkeit, welche der beiden Arten gewann, siehe Abb. 28. Die Ausrottung einer Art
aufgrund interspezifischer Konkurrenz mit einer anderen Art ist als „das Prinzip des
Konkurrenzausschlusses“ oder „Gause‘s Prinzip“ bekannt, das besagt, dass „zwei Arten mit
der gleichen ökologischen Nische nicht koexistieren können“.
N2 gewinnt
150
N2 (Tribolium castaneum)
120
t
nn
wi
90 N
ge2
60
er
od
30 N1 gewinnt
1
N
Abb. 28. Konkurrenzversuche mit zwei Arten von Mehlkäfern (N1 und N2) der Gattung
Tribolium. Entweder gewinnt N1 oder N2, abhängig von der anfänglichen Populationsgröße.
In bestimmten Kombinationen gibt es aber ein „instabiles Gleichgewicht“, was bedeutet,
dass N1 oder N2 gewinnt – d.h. das Ergebnis ist zufällig [33].
Wenn zwei Arten nicht gleich gut für alle Lebensräume in der „fundamentalen Nische“
geeignet sind, aber ansonsten die gleichen Nahrungsressourcen ausbeuten, können sie oft
koexistieren, indem sie die Nische zwischen sich teilen. Der Teil der „fundamentalen Nische“,
der genutzt wird, wenn eine Interaktion (interspezifische Konkurrenz) mit Individuen
der anderen Art stattfindet, wird als „realisierte Nische“ bezeichnet. Aufgrund der Vertei-
lungsmuster wurde vielfach dokumentiert, dass die Organismen in der Natur ihre gesamte
Grundnische nicht ausnutzen (realisieren). Ein klassisches Beispiel sind die Strudelwürmer
Planaria montenegrina und Planaria gonocephala, die in Bächen leben. Keine der beiden
Arten lebt im ganzen Bach, aber wenn die zwei Arten im selben Bach vorkommen, teilen
sie sich ihn untereinander auf: eine Art kommt unter 14 °C vor, die zweite Art über dieser
Temperatur [25].
Ein weiteres klassisches Beispiel ist die Verbreitung von zwei Arten von Rankenfüßern
(Seepocken) an schottischen Felsküsten [26]. Eine der Seepockenarten (Chthamalus) kann
von der Hochwasserlinie abwärts leben, aber aufgrund der Konkurrenz mit einer anderen
59
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Seepockenart (Semibalanus), die bei Ebbe kein Austrocknen toleriert, lebt sie normalerweise
nur in einem Teil ihrer fundamentalen Nische, nämlich in der oberen Gezeitenzone, siehe
Abb. 29.
hohe Springtide
hohe Nipptide
Mittelwasser
niedrige Nipptide
niedrige Springtide
Chthamalus
Semibalanus
Abb. 29. Interspezifische Konkurrenz zwischen zwei Arten von Seepocken, Chthamalus und
Semibalanus, die an felsigen Ufern leben, wo sie sich von Zooplankton und aus dem Wasser
herausgefilterten Schwebstoffen ernähren. Die frei schwimmenden Larven beider Arten kommen
in einem weiten Bereich der Gezeitenzone vor, die adulten Tiere setzen sich hingegen in einem
genau definierten Bereich fest. Die Obergrenze des Vorkommens von Semibalanus wird durch
physikalische Faktoren, insbesondere Austrocknen, bestimmt. Chthamalus könnte aufgrund der
physikalischen Bedingungen auch im Gebiet von Semibalanus leben, wird aber von Semibalanus
entweder verdrängt oder überwuchert und lässt sich daher nur im oberen Gezeitenbereich nieder.
Wenn Semibalanus entfernt wird (wurde von Biologen gemacht, die sie abkratzten), wird sich
Chthamalus auch tiefer am Felsen ausbreiten, d.h. die Art nimmt einen größeren Teil ihrer
fundamentalen Nische ein [26].
In einer Reihe von Experimenten, die sich mit der Konkurrenz zwischen zwei Ciliatenarten,
Paramecium bursaria und Paramecium aurelia, in Zentrifugenröhrchen mit Hefe als
Nahrung beschäftigten, demonstrierte Gause 1935, dass die Pantoffeltierchen die „Nische“
(Zentrifugenröhrchen mit Hefezellen) zwischen sich aufteilen, weil P. bursaria am Boden
der Zentrifugenröhrchen gefunden wurde, in denen die sedimentierten Hefezellen lebten,
während die Individuen der anderen Art in der Flüssigkeit schwammen und sich von in
Schwebe befindlichen Hefezellen ernährten [27]. Hefezellkulturen sind Teil der „fundamentalen
Nische“ für beide Arten. Wenn aber beide Arten im gleichen Lebensraum vorkommen, kann
jede der Arten nur einen Teil der Nische realisieren.
60
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
3) Nischendifferenzierung
Unter Nischendifferenzierung versteht man, dass verwandte Arten, die im gleichen Lebensraum
vorkommen, eine Spezialisierung aufweisen, um Konkurrenz um begrenzte Ressourcen zu
vermeiden – d.h. sie vermeiden Nischenüberschneidungen. Aus der reichhaltigen Literatur
zu diesem Thema sollen hier zwei Beispiele genannt werden. Eine Studie zur Nahrungswahl
des Kormorans (Phalacrocorax carbo) und der eng verwandten Krähenscharbe (P. aristotelis)
hat gezeigt, dass die beiden Arten sich darauf spezialisiert haben, verschiedene Fischarten
zu fangen [28]. Der Kormoran frisst vorzugsweise Sandaal und Heringsfisch, während die
Krähenscharbe ein Gemisch aus Plattfischen, Garnelen, Grundeln und anderes zu sich
nimmt, siehe Abb. 30.
61
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Sandaal
Hering
Plattfisch
Garnele
Lippfisch
Grundel
Andere Fische
0 10 20 30 40 50 % 10 20 30 40 50 % der Nahrung
Abb. 30. Die Nahrungswahl von zwei Kormoranarten: Die Krähenscharbe (Phalacrocorax aristotelis, links)
und der Große Kormoran (Phalacrocorax carbo, rechts). Die zwei verwandten Kormoranarten werden oft
während der Brutsaison an den gleichen Standorten beobachtet. Aber selbst wenn der Lebensraum
derselbe ist, ist die Nahrungsauswahl unterschiedlich. Daher besetzen die beiden Arten unterschiedliche
Nischen, und die beiden Kormoranarten konkurrieren nicht direkt miteinander [28].
Drei Arten, die zur gleichen Gattung parasitischer Wespen gehören, leben im selben
Lebensraum, wo sich ihre Larven parasitisch von den Larven einer holzbohrenden Insektenart
ernähren. Die parasitischen Wespen können ihre Eier nur dann in den „Wirt“ ablegen, wenn
ihr Organ zum Eierlegen (Ovipositor) voll eingestochen ist. Da die Larven des Holzbohrers
in verschiedenen Tiefen der Baumstämme vorkommen, haben sich die drei parasitischen
Wespenarten auf Larven spezialisiert, die in jeweils unterschiedlichen Tiefen leben. Die drei
Wespenarten haben signifikant unterschiedliche Längen von Legebohrern entwickelt, um
direkte Konkurrenz zu vermeiden [29].
4) Merkmalsverschiebungen
Wenn sich zwei verwandte Arten in ihrer Verbreitung geografisch überlappen, neigen sie
dazu, in Aussehen und Gestalt (morphologisch) voneinander abzuweichen. Innerhalb der
Arten treten dann weniger Variationen auf als wenn die Arten voneinander getrennt leben
würden. Dieses Phänomen wird als Merkmalsverschiebungen bezeichnet und kann als
62
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Beispiel dafür angesehen werden, dass die interspezifische Konkurrenz die Arten zu einer
Nischendifferenzierung gezwungen hat, d.h. dass sie sich eine Nische teilen müssen.
Ein bekanntes Beispiel sind die Darwinfinken auf den Galapagos-Inseln. Auf Inseln, auf denen
die Arten zusammen vorkommen, weicht die Breite ihrer Schnäbel deutlich voneinander
ab. Auf Inseln, auf denen die Finken einzeln vorkommen, können sich die Schnabelbreiten
überlappen [30], siehe Abb. 31.
%
Abingdon,50
Bindloe,
James,
Jervis 0
50
Charles,
Chatham
0
40
Darwinfinken:
Daphne
klein
0
40 mittel
Crossmans groß
0
8 10 12 14 16 18 20 22
Schnabelbreite (mm)
Abb. 31. Schnabelbreite bei drei Arten von Darwinfinken (Geospiza sp.) auf den Galapagosinseln. Die
Schnabelbreite ist auf der X-Achse dargestellt und der Prozentsatz der Individuen jeder Art auf der
Y-Achse. Auf Daphne und Crossmans, zwei sehr kleinen Inseln, gibt es nur je eine Art von Finken. Diese
beiden Arten haben Schnabelbreiten, die zwischen jenen bei kleinen und mittelgroßen Finken auf den
größeren Inseln liegen. Es wird angenommen, dass die Finken von einer einzigen Art abstammen, die
irgendwann auf die vorgelagerten Inseln aus Südamerika kam. Da es keine anderen nahe verwandten
Arten gab, spezialisierten sich die Finken. Als Darwin die Inseln 1835 besuchte, war er fasziniert zu sehen,
wie die Finken ökologische Nischen ausgenutzt hatten, die normalerweise von anderen Vogelarten
besetzt werden.
63
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
64
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
160
140 Schneeschuhhase
120 Luchs
Anzahl (x103)
100
80
60
40
20
1845 1855 1865 1875 1885 1895 1905 1915 1925 1935
Jahr
Abb. 32. Veränderungen in der Anzahl von Schneeschuhhasen (Beute) und Luchsen (Räuber) in den Jahren
1845 bis 1935, ermittelt als Anzahl von Fellen, die der Hudson‘s Bay Company übergeben wurden [31].
Räuber haben oft einen positiven regulatorischen Einfluss auf eine Beute-Population,
indem diese auf einem Niveau gehalten wird, das die Tragfähigkeit (Aufnahmefähigkeit,
Umweltkapazität) der Region nicht übersteigt. Ein klassisches Beispiel soll erwähnt werden
[32]: Im Kaibab National Forest, Arizona wurde 1907 eine Kampagne gestartet, um Raubtiere
(Berglöwen, Wölfe) zu eliminieren, weil diese die Hirsche verfolgten. Nach 1910 begann
die Hirschpopulation rasch zu wachsen, die sonst bei etwa 4 000 Tieren konstant geblieben
wäre. Acht Jahre später explodierte die Hirschpopulation und wuchs auf etwa 30 000
Individuen an. Im Sommer 1924 wurde die Population auf 100 000 Individuen geschätzt.
Aber sowohl 1924 als auch 1925 war der Winter im Kaibab National Park lang und hart
mit viel Schnee und niedrigen Temperaturen. Während der zwei langen Winter verhungerten
50 000 Hirsche. Infolge der Überbevölkerung und der Zerstörung von Nahrungsplätzen
ging die Hirschpopulation in den folgenden Jahren weiter zurück. Das Gebiet konnte jetzt
nur noch eine Hirschpopulation aufnehmen, die kleiner war als zur Zeit der Anwesenheit
von Räubern.
In der Natur ist es selten, dass ein Räuber (oder Parasit) seine Beute so stark dezimiert,
dass die Existenz der Population bedroht ist. Nur wenn zwei Arten, die nicht aufeinander
abgestimmt sind, zusammengebracht werden, kann es zum Aussterben einer Art kommen,
vgl. Abb. 33.
65
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
A
500 Wirt
Parasit
400
300
200
Populationsdichte
100
500 B
400
300
200
100
0 10 20 30 40 50 60 70
Wochen
Abb. 33. “Wirt-Parasit-Beziehung” zwischen der Hausfliege und einer parasitoiden Wespe unter
Laborbedingungen und (A) in einer neu etablierten Beziehung und (B) in einer zwei Jahre alten Wirt-
Parasit-Beziehung [1]. Unter den neu etablierten Bedingungen eliminiert der Parasit nach 40 Wochen
fast den „Wirt“ und die Populationsdichten schwanken stark. Bei der zwei Jahre alten Wirt-Parasit-
Beziehung treten hingegen kaum Schwankungen in den Populationsdichten auf. Die beiden Arten
haben sich gegenseitig angepasst.
Es muss jedoch erwähnt werden, dass es sich bei der Prädation nicht um eine einseitige
Interaktion handelt. Prädation führt bei der Beute oft zur selektiven Entwicklung wirksamer
Abwehrmechanismen. Viele Abwehrmechanismen sind verhaltensorientiert. Einige Her-
dentiere wehren sich beispielsweise vor dem Angriff eines Räubers, indem sie sich mit den
größten und stärksten Männchen an der Spitze gegen den Angreifer zusammenschließen.
Andere Strategien der Verteidigungen sind Tarnung [z. B. bei Fischen, die sich der Farbe
und Struktur des Untergrunds anpassen, und Schmetterlingen, deren Farbe mit der Fär-
bung von Baumrinde oder Blättern übereinstimmt (Mimese)], giftige Verbindungen (viele
Insekten und Pflanzen vermeiden es gefressen zu werden, weil sie giftig sind) und physische
Abwehrmechanismen (viele Tiere und Pflanzen haben Stacheln, Dornen usw.). Schließlich
soll erwähnt werden, dass viele „harmlose“ Tiere die „Warnfarben“ (Aposematismus) giftiger
Arten verwenden (Mimikry) um sich selbst zu schützen.
66
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
4.1.2.3 Schlüsselarten
Schlüsselarten sind im Gegensatz zu dominanten Arten in einer Gemeinschaft nicht unbedingt
in Überzahl vorhanden. Sie üben zwar eine starke Kontrolle über die Gemeinschaftsstruktur
aus, aber nicht aufgrund ihrer Anzahl, sondern weil sie die wichtigsten ökologischen
Nischen besetzen. Eine Möglichkeit, eine Schlüsselart zu identifizieren, besteht darin, die
Spezies experimentell zu entfernen, d.h. zu eliminieren, wodurch ihre Bedeutung verstärkt
sichtbar wird. Hier sind einige Beispiele, wie eine Schlüsselart zur Erhöhung der Diversität
beitragen kann.
In einem klassischen Experiment entfernte Robert Paine den Seestern Pisaster ochraceus aus
einem Felsgebiet in der Gezeitenzone an der Nordwestküste Nordamerikas und untersuchte
anschließend die Auswirkungen auf die Artenvielfalt [39]. Dieser Seestern, der nicht sehr
zahlreich vorhanden ist, lebt von der Muschel, Mytilus californianus. In Abwesenheit der
Seesterne beobachtete Paine, dass die Artenvielfalt stark abnahm, da sich die Muschel
allmählich ausbreitete und die Mehrheit der anderen Arten vertrieb. Das Experiment zeigt,
dass Pisaster ein Schlüsselräuber ist, der einen großen Einfluss auf die Anzahl der Arten
ausübt, auch wenn er selbst nicht in Überschuss vorhanden ist.
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67
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
An der Westküste von Alaska lebt der Seeotter Enhydra lutris hauptsächlich von dem Seeigel
Strongylocentrotus polyacanthus, der sich wiederum hauptsächlich von Seetang (Makroalgen)
ernährt, überwiegend aus den Gattungen Laminaria und Agarum. In Gebieten mit vielen
Ottern sind Seeigel selten und die Algenwälder sind daher gut entwickelt. Umgekehrt gibt es
in Gebieten mit wenigen Seeottern viele Seeigel und es fehlt der Seetang [43]. In den Jahren
zwischen 1987 und 1997 wurde beobachtet, dass der Schwertwal Orcinus orca aufgrund des
Rückgangs seiner üblichen Beute begonnen hatte, Seeottern zu jagen. Das Ergebnis war,
dass die Seeotterpopulation in großen Gebieten entlang der Westküste von Alaska deutlich
abnahm. Dieser Verlust eines Schlüsselräubers ließ die Seeigelpopulation ansteigen, was zu
einer starken Reduktion bzw. dem Verlust von Algenwäldern führte [44].
Schließlich soll erwähnt werden, dass einige Organismen einen signifikanten Einfluss auf eine
Gemeinschaft ausüben können, aber nicht wegen ihrer trophischen Interaktionen, sondern
aufgrund physischer Veränderungen in der Umwelt. Arten, die die physische Umwelt in
großem Umfang verändern können, werden „Ökosystemingenieure“ genannt. Ein bekannter
Vertreter ist der Biber, der durch Baumfällung und Staudammbau große Waldflächen in
überflutete Landschaften umwandeln kann.
Auch die Schifffahrt zwischen verschiedenen Teilen der Welt trägt zur Verbreitung invasiver
Arten bei. Eine Art von Rippenqualle, die Meerwalnuss Mnemiopsis leidyi (siehe Titelbild),
lebt natürlicher Weise vor der Ostküste der USA. Über das Ballastwasser von Schiffen
hat sie den Weg nach Europa und Asien gefunden. Die Rippenqualle lebt hauptsächlich
von Zooplankton. In den späten 1980er Jahren kam es im Schwarzen Meer zu einem
Massenvorkommen dieser invasiven Art, was zu einer drastischen Reduktion des Zooplanktons
führte. Da Zooplankton auch die Nahrung für Sardellen und Sprotten ist, die wiederum
Nahrung für größere Fische in der Nahrungskette (Makrele, Thunfisch) sind, führte dies
zu einem völligen Zusammenbruch der Schwarzmeerfischerei [45]. Im Jahr 2006 wurde
die Rippenqualle zum ersten Mal entlang der niederländischen Küste beobachtet, wo sie
68
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
4.1.2.5 Symbiose
Populationen zweier Arten können in einer sogenannten Symbiose miteinander leben.
Symbiose kann für eine oder beide Arten von Vorteil sein. Daher ist es üblich, zwischen
zwei Formen der Symbiose zu unterscheiden, nämlich Kommensalismus und Mutualismus.
Kommensalismus ist eine Form der Partnerschaft, in der eine Spezies („der Gast“) von der
anderen Art Nahrung, Unterkunft, Transport usw. erhält, ohne nachweisbare Nachteile oder
Vorteile für „den Gastgeber“. Mutualismus ist eine Form des Zusammenlebens, bei dem
beide Parteien von der Partnerschaft profitieren. Es gibt unzählige Beispiele für Mutualismus
in der Natur. Hier ein paar Beispiele:
a) Flechten sind „Doppellebewesen“, die aus einem Pilz und einer Algenart bestehen.
Die Algen produzieren Photosyntheseprodukte, die die Pilze nutzen. Im Gegenzug
versorgen die Pilze die Algen mit Wasser und anorganischen Mineralien.
b) Wiederkäuer sind vollständig auf zelluloseabbauende Bakterien im Pansen angewiesen,
da sie keine Enzyme produzieren können, die die Zellulose aus den Pflanzenzell-
wänden der Nahrung abbauen.
c) Die meisten lebenden Pflanzen sind Angiospermen, Blütenpflanzen, die auf eine
Bestäubung durch Tiere (Insekten, Vögel) angewiesen sind, die von einer Blüte zur
nächsten fliegen, während die Tiere vom Pflanzennektar oder Pollen profitieren.
Tiere spielen auch eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Pflanzensamen und
Früchten. Viele kleine Waldpflanzensamen werden von Ameisen verbreitet, da die
Samen mit einem kleinen Organ (Elaiosom) mit nahrhafter Ameisennahrung ausge-
stattet sind. Einige Vögel verbreiten Samenkerne, indem die Samen den Darmtrakt
passieren, der dann sofort keimen kann. Dieses bekannte Beispiel einer Partnerschaft
kommt beiden Parteien zugute.
d) Wurzelinfektionen durch stickstofffixierende Bakterien und Pilze sind in der Natur
weit verbreitet. Beispiele sind Knöllchenbakterien (Rhizobium) an Leguminosen
(Erbsen, Bohnen, Wicken etc.) oder Aktinomyceten in Wurzelknöllchen von Erle,
Sanddorn und anderen Bäumen. Die höheren Pflanzen versorgen die Bakterien
mit Nährstoffen, während sie von den Stickstoffverbindungen profitieren, die die
Bakterien aus dem molekularen Stickstoff produzieren.
e) Viele Formen des Mutualismus sind nicht sehr auffällig. Zum Beispiel enthalten
viele Wassertiere einzellige Algen in ihren Zellen. Eines der am besten untersuchten
69
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Beispiele ist das Pantoffeltierchen Paramecium bursaria, das im Licht mit einzelligen
Grünalgen (Zoochlorella) versehen ist. Im Licht kann der Ciliat allein von anor-
ganischen Nährstoffen leben; im Dunkeln (ohne Photosynthese der Algenzellen)
benötigt das Pantoffeltierchen hingegen organische Substanz.
f ) Es gibt viele Hinweise darauf, dass Mitochondrien und Chloroplasten ursprünglich
symbiotische sauerstoffatmende Bakterien bzw. blaugrüne photosynthetische Bakterien
waren. Diese amöbenartigen Lebewesen entwickelten sich in prähistorischen Zeiten
in Tier- und Pflanzenzellen zu Zellorganellen („Endosymbiontentheorie“).
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70
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Konkurrenz um begrenzte Ressourcen zwischen den Individuen einer Art ist ein gemeinsames
Merkmal aller Populationen. Die klarsten Beispiele für intraspezifische Konkurrenz finden
sich im Pflanzenreich, da bei Pflanzen Konkurrenz nicht durch soziale Mechanismen verdeckt
wird. Zwei Beispiele, die dies zeigen, sind:
Viele Tiere markieren ein bestimmtes Gebiet (Territorium) für ihre Aktivitäten (Nah-
rungssuche, Paarung, Brut usw.). Dieses Gebiet wird aggressiv oder friedlicher mit Signalen
(Duft, Lautäußerung, bedrohliche Körperhaltung usw.) gegen eindringende Individuen der
gleichen Art verteidigt. Diese Territorialität ist Ausdruck einer intraspezifischen Konkurrenz.
Bei geringer Bevölkerungsdichte gibt es genug optimale Territorien für alle, und die Ter-
ritorialverteidigung hat keine Auswirkungen auf den Fortpflanzungserfolg. Bei moderaten
Bevölkerungsdichten gibt es nicht genug optimale Territorien für alle und einige Individuen
werden in «Randgebiete» abgedrängt. Bei noch höheren Bevölkerungsdichten werden auch
die Randgebiete besetzt und einige Individuen werden zu „Floatern“ ohne Territorium. Der
Fortpflanzungserfolg dieser Individuen ist sehr gering, aber „Floater“ fungieren als Puffer der
Population, indem sie Territorien übernehmen, die durch den Tod von Territoriumsbesitzern
leer werden. Wenn sich die Dichte einer Population der Kapazität des Areals annähert, die
Population zu ernähren, nimmt die Zahl der „Floater“ mit geringem Fortpflanzungserfolg
und spärlichem Territorialverhalten ab. Auf diese Weise reguliert sich die Population selbst.
Zum Beispiel haben Untersuchungen zur Vermehrungsgeschwindigkeit von Kohlmeisen
gezeigt, dass die Anzahl der Nachkommen pro Paar mit zunehmender Bevölkerungsdichte
deutlich abnimmt. Die Anzahl der Nachkommen pro Paar kann von 16 Jungvögeln pro
Jahr bei einer Populationsdichte von 1 Paar pro 10 ha auf nur 6 Jungvögel pro Paar bei 16
Paaren pro 10 ha reduziert sein.
Die Verteidigung von Territorien kann auch dazu beitragen, eine Population zu regulieren,
indem „Floater“ gezwungen werden, nach Territorien in neuen Gebieten zu suchen.
71
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Studien haben gezeigt, dass die Anzahl der Hirsche in einem Wald durch Verteidigung des
Territoriums konstant gehalten wird, indem überschüssigen Hirsche ohne ein Territorium
gezwungen werden, auszuwandern. Auf diese Weise kann die intraspezifische Konkurrenz
auch die Ausbreitung einer Art beeinflussen [34].
r = (1 / N) dN / dt (I).
Die Einheit von r ist Zeit-1 und die Populationswachstumsrate dN / dt verhält sich propor-
tional zur Größe der Population N. Ist r konstant, so erfolgt das Wachstum exponentiell.
Ist r positiv, nimmt die Population zu (positives Wachstum); ist r negativ, nimmt die Größe
der Population ab (negatives Wachstum). Wenn r = 0 ist, bleibt die Größe der Population
konstant (Nullwachstum).
ln(N / N0) = rt
wobei N die Populationsgröße zu einer gegebenen Zeit t und N0 die Populationsgröße zum
Zeitpunkt t = 0 ist. Wenn man einen theoretischen Wert der spezifischen Wachstumsrate
in diese Gleichung einfügt (z. B. r = 1,15) und die Anzahl der Individuen (N) grafisch als
eine Funktion der Zeit (t) in einem Diagramm darstellt, ist das Ergebnis ein J-förmiges
Kurvenmuster, siehe Fig. 34A. Wenn man aber N als Funktion der Zeit in einem halb
natürlich-logarithmischen (semi-ln) Diagramm darstellt, wird eine lineare Beziehung mit
der Steigung r erhalten, weil lnN = lnN0 + rt ist, siehe Fig. 34B.
72
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
1000
A B
lnN
500
Anzahl der Individuen (N)
0
0 2 4 6 8 10 12 0 2 4 6 8 10 12
1000
N = K/(1+ea-rt) K
C D
a = In((K-N0)/N0)
K
500 lnN
0
0 2 4 6 8 10 12 0 2 4 6 8 10 12
Zeit(t)
Abb. 34. Wachstum von zwei theoretischen Organismen, wobei einer exponentiell wächst (A), während
der andere „sigmoides“ Wachstum (C) zeigt. Die grafischen Darstellungen links (A und C) sind vergleichbar
mit den halblogarithmischen Darstellungen rechts (B und D). r = (unbegrenzte) spezifische Wachstumsrate,
K = Kapazitätsgrenze. Die Beispiele basieren auf einem Individuum bei t = 0.
Die Verdopplungszeit (t2) für eine Population mit exponentiellem Wachstum wird durch
einfügen von N = 2N0 in die Wachstumsgleichung (II) erhalten. Dies ergibt:
Wenn das exponentielle Wachstum negativ ist (in Analogie zum Zerfall radioaktiver Substanzen),
wird die Population in regelmäßigen Zeitabständen um die Hälfte reduziert: t0,5 = ln0,5 / r.
Das Wachstum in einer bestimmten Zeitperiode beträgt: Nt+1 / Nt = er. Wenn das Wachstum
beispielsweise durch periodische Zunahmen in Prozent ausgedrückt wird, dann gilt: er = 1
+ rper oder r = ln(rper + 1), wobei rper das periodische spezifische Wachstum (= prozentuales
Wachstum / 100) genannt wird. Da rper = er – 1 ist, folgt daraus:
N = N0ert = N0 (1 + rper)t(IV).
73
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Für kleine Werte sind das spezifische Wachstum (r) und das periodisch spezifische Wachstum
(rper) fast gleich. Zum Beispiel bedeutet r = 0,02, dass rper = 1,01r ist. Für Populationen kann
das Konzept der Generationszeiten eingeführt werden: tg ist die durchschnittliche Differenz
zwischen dem Geburtsdatum der Nachkommen und dem der Eltern und die Nettoreproduktion
R0 ist die Anzahl der Nachkommen, die jedes Individuum im Durchschnitt hervorbringt
(= Anzahl neuer Individuen pro Individuum). Daher wird aus Gleichung (II):
R0 = ertg(V).
Im vorigen Abschnitt wurde gezeigt, wie das Wachstum einer Population mathematisch
beschrieben werden kann, wenn die spezifische Wachstumsrate (r) konstant ist. Aber ist die
populationsspezifische Wachstumsrate immer konstant? Abb. 35 zeigt das Wachstum eines
Pantoffeltierchens im Labor bei verschiedenen Temperaturen, und das Experiment bestätigt,
dass eine Population tatsächlich einen konstanten r-Wert haben kann und damit exponentiell
wächst. Aber es ist klar, dass das exponentielle Wachstum nicht unbegrenzt anhalten kann.
Ressourcen werden irgendwann erschöpft sein und das Wachstum wird aufhören.
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74
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
20 °C
12 °C
4 °C
10
0 °C
1
0 100 200 300
Stunden
Abb. 35. Populationswachstum des Pantoffeltierchens Uronema marina (Ciliata) bei
verschiedenen Temperaturen. Das Populationswachstum erfolgt exponentiell, da die
Zunahme der Individuen im Zeitverlauf bei halblogarithmischer Darstellung durch eine
Gerade beschrieben wird. Die Steigung jeder Geraden drückt die spezifische
Wachstumsrate (r) bei der jeweiligen Temperatur aus [64].
Viele Populationen hemmen ihr eigenes Wachstum, wenn sich ihre Größe der Aufnahmekapazität
des Areals nähert. Die Hemmung erfolgt durch eine sogenannte negative Rückkopplung, dN
/ dt, die das Wachstum der Population immer mehr verringert, wenn sich die Anzahl der
Individuen der Kapazitätsgrenze K annähert. Dies kann durch eine Modifizierung der Gleichung
für uneingeschränktes exponentielles Wachstum mit der Funktion f(N) beschrieben werden.
Kleine Werte von N (N << K) führen zu Werten nahe 1 (fast exponentielles Wachstum);
aber wenn sich N der Kapazität K nähert, geht die Funktion f(N) gegen null: dN / dt =
rNf(N) (r = maximale unbegrenzte anfängliche Wachstumsrate). Die geforderte Funktion
75
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
f(N) kann durch die Größe (K – N) / K ausgedrückt werden, die für N << K Werte nahe
1 hat und für N in Richtung K sich dem Wert 0 annähert. Die Differentialgleichung wird
somit zu:
dN / dt = rN (K – N) / K (VI).
N = K / (1 + e [a-rt]
)(VII),
Die grafische Darstellung der Anzahl an Individuen (N) gegen die Zeit beschreibt eine
S-förmige („sigmoide“) Kurve, siehe Abb. 34C. Es ist zu sehen, dass das Populationswachstum
bei kleinen Werten von N (fast) exponentiell ist und dass sich N mit der Zeit asymptotisch
an K annähert. Die Wachstumsrate der Population ist maximal, wenn die Populationsdichte
die Hälfte der Aufnahmefähigkeit erreicht hat (Wendepunkt der sigmoiden Kurve). Der
optimale Ertrag (dN/dt)opt, der aus der Population erhalten werden kann, kann durch
Einfügen von N = K / 2 in den folgenden Ausdruck bestimmt werden:
Wenn zum Beispiel eine Fischpopulation dem logistischen Modell folgt, wird die
Fischpopulation überfischt sein (d.h. die Population kann aussterben), wenn der Ertrag
größer als rK / 4 ist. Wird weniger gefischt, wird der optimale Ertrag nicht erreicht. Die
einfache Regel der „halben Aufnahmefähigkeit“ basiert ausschließlich auf dem logistischen
Wachstumsmodell. Populationen mit komplexeren, nichtlinearen Beziehungen zwischen
der spezifischen Wachstumsrate und der Populationsdichte weisen unterschiedliche Punkte
optimaler Ausbeuten auf, beispielsweise (1/3) K oder (3/4) K.
In Abb. 34 wurde ein Vergleich zwischen sigmoidem und exponentiellem Wachstum, sowohl
in linearer als auch in halb-logarithmischer Darstellung, vorgenommen. Es ist zu sehen, dass
die Kurven am Anfang übereinstimmen. In der halb-logarithmischen Auftragung nähert
sich die sigmoide Wachstumskurve asymptotisch K (Fig. 34D), während die exponentielle
Wachstumskurve linear mit der Zeit verläuft (Fig. 34B). Das logistische Wachstumsmodell
76
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
spiegelt alle Beziehung wider, denen eine biologische Bedeutung zukommt. Aber das Modell
ist stark vereinfacht, so dass man nicht erwarten kann, dass es selbst in relativ einfachen
Situationen ein realistisches Bild widergibt. So werden im Modell folgende Punkte nicht
berücksichtigt: 1) die Altersstruktur der Population, 2) die Mindestgröße der Population für
das Überleben, 3) dass soziale Tiere eine minimale Dichte aufweisen, 4) dass Veränderungen in
der Umwelt sich nicht sofort in einer veränderten Populationswachstumsrate widerspiegeln, 5)
Konkurrenz zu den Populationen anderer Arten und 6) dass es unvernünftig ist anzunehmen,
dass die spezifische Wachstumsrate linear mit der Populationsdichte abnimmt, siehe Abb. 36.
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77
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Populationsdichte (N) K
Abb. 36. Mögliche Beziehungen zwischen der spezifischen Wachstumsrate einer Population
und ihrer Dichte. Kurve 1 zeigt die hypothetische Linie für eine Population mit einer spezifischen
Wachstumsrate (1 / N) dN / dt = rm (1 – N / K), wobei rm = die maximale spezifische Wachstumsrate
ist, die linear als eine Funktion der Populationsdichte (N) abnimmt (eine der Voraussetzungen
der logistischen Wachstumsgleichung). Kurve 2 zeigt die spezifische Wachstumsrate in einer
Population, die ein dichteunabhängiges Wachstum aufweist und daher exponentiell wächst.
Kurve 3 zeigt eine Form, die häufig in einer dichteabhängigen, selbstregulierenden Population
gefunden wird. Kurve 4 zeigt die spezifische Wachstumsrate in einer Population, die eine
maximale Wachstumsrate bei einer mittleren Populationsdichte aufweist.
Trotz dieser Einwände wurde das logistische Modell häufig für experimentelle Daten aus
Labor- und Feldstudien verwendet. Der Grund dafür ist, dass das Modell einfach ist, dass
den verwendeten Begriffen biologische Bedeutung zugeschrieben werden kann und dass es
oft eine überraschend gute Übereinstimmung mit den experimentellen Daten gibt. In Abb.
37 wird das logistische Wachstumsmodell verwendet, um das sigmoide Wachstum einer
Population von Hefezellen zu beschreiben. Das Konzept der „negativen Rückkopplung“
umfasst verschiedene Bedingungen, die zunehmend das Wachstum der Population hemmen,
wenn ihre Dichte zunimmt. Im Fall von Hefezellen (siehe Abb. 37 und 38) wird die
Hemmung durch die Produktion schädlicher Substanzen (einschließlich Alkohol) durch
die Hefezellen verursacht.
78
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
750
K
450
300
150
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
Stunden
Abb. 37. Das Wachstum von Hefezellen in einer Kultur ist selbstlimitierend, da die „negative
Rückkopplung“ oder „Umgebungsresistenz“ linear proportional zur Dichte der Hefezellen ist.
In der Abbildung wird das logistische Wachstumsmodell verwendet, um das „sigmoide Wachs-
tum“ der Hefe-Population in einer linearen Auftragung zu beschreiben [1].
1000
K
500
Anzahl der Hefezellen pro μl
100
10
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
Stunden
Abb. 38. Hier sind die gleichen Daten für das Wachstum von Hefezellen in einer Kultur
wie in Abb. 37 gezeigt, aber in einer halblogarithmischen Darstellung. Eine „Exponen-
tialkurve“, die das Wachstum der Hefekultur während der ersten 4 Stunden beschreibt,
ist verlängert, um zu veranschaulichen, wie die Situation ohne „negative Rückkopplung“
wäre. Der Bereich zwischen den beiden Kurven und die Linie für die Kapazität (K) kann
als quantitativer Ausdruck des „Umgebungswiderstandes“ angesehen werden.
79
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Bei größeren Tieren, wie z. B. Wildschafen (siehe Abb. 39), wird die negative Rückkopplung
durch Nahrungsmittelknappheit aufgrund eines zunehmenden Grades an Überweidung
verursacht, wenn sich die Größe der Population der Kapazität des Gebietes annähert. Im Falle
von Territorien, die von den Tieren verteidigt werden, wird eine negative Rückkopplung oft
durch verminderte Reproduktionserfolge von Individuen ohne Territorium verursacht. Wenn
die in vielen Entwicklungsländern exponentiell wachsende menschliche Bevölkerung vermindert
werden soll, ist es eine weit verbreitete Annahme, dass eine negative Rückkopplung in Form
von sozialen und materiellen Gütern für Familien mit wenigen Kindern erforderlich ist.
360°
thinking .
360°
thinking . 360°
thinking .
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Discover the truth at www.deloitte.ca/careers © Deloitte & Touche LLP and affiliated entities.
2000
1000
1820 30 40 50 60 70 80 90 1900 10 20 30
Jahr
Abb. 39. Um das Jahr 1800 wurden auf der Insel Tasmanien, südlich von Australien, Schafe freigesetzt. Für
einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren gibt es recht gute Zählungen der Schafpopulation [35]. In der neuen
Umgebung mit temporär unbegrenzter Nahrung nahm die Schafpopulation zu Beginn exponentiell zu. Aufgrund
zunehmender Überweidung begann der Bestand später zu sinken (negative Rückkopplung), gefolgt von einer
Reihe von „gedämpften Schwingungen“ um die Kapazitätsgrenze von etwa 1 700 000 Schafen herum. Die
aufgetragene Kurve basiert auf der logistischen Wachstumsgleichung (VII), die an die Daten für die einzelnen
Zählungen angepasst wurde [7]. Die Zunahme der Populationsgröße nach 1925 ist auf bessere Lebensbedingungen
für die Schafe durch Landanbau zurückzuführen.
Der amerikanische Mathematiker, Physikochemiker und Statistiker Alfred J. Lotka und der
italienische Mathematiker Pierre F. Volterra schufen Mitte der 1920er Jahre unabhängig
voneinander eine Reihe von Differentialgleichungen, um das Wachstum von Populationen
zweier Arten zu beschreiben, die um die gleiche Nahrungsressource konkurrieren sowie
ähnliche Gleichungen für zwei Arten, von denen eine die Beute der anderen ist [36, 37].
Die Gleichungen sind als „Lotka-Volterra-Gleichungen“ bekannt und werden im Folgenden
kurz dargestellt.
Zuerst diskutieren wir ein Wachstumsmodell, das die Konkurrenz zwischen zwei
Arten berücksichtigt, die um dieselbe begrenzte Ressource konkurrieren (d.h. das
„Konkurrenzausschlussprinzip“). Die Population jeder Art wird nicht nur durch ihre
eigenen Individuen begrenzt, sondern auch durch das Wachstum der anderen Art. Wenn
die Populationen der beiden Arten N1 und N2 genannt werden, können die folgenden
Wachstumsgleichungen für die beiden Arten aufgestellt werden:
81
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
wobei r1 und r2 die (unbegrenzten) spezifischen Wachstumsraten der beiden Arten darstellen.
K1 und K2 sind die Kapazität für die beiden Arten, wenn jede der Arten alleine lebt; a und
b sind Umrechnungsfaktoren, so dass die gegenseitig hemmenden Einflüsse von N1 und
N2 äquivalent einer entsprechenden Anzahl von Individuen der gleichen Art gesetzt werden
können, die sich „selbst hemmen“. Zum Beispiel stellt aN2 den hemmenden Konkurrenzeffekt
der Art 2 auf die Art 1 dar. Es wird somit ersichtlich, dass a/K1 ein Maß dafür ist, wie stark
ein Individuum der Art 2 die Art 1 hemmt. Weiter kann gefolgert werden, dass:
b / K1 = 1 / K2 oder b = K1/K2
und
a / K2 = 1 / K1 oder a = K2/K1.
Im Versuch mit den Ciliaten Paramecium aurelia und Paramecium caudatum (siehe Abb.
27) wird gefunden, dass b = 1,64 und a = 0,61. Der höhere b-Wert für P. aurelia zeigt an,
dass die Individuen der Population N1 eine größere „Konkurrenzeffizienz“ aufweisen und
daher immer gewinnen werden.
Die Wachstumsgleichungen für die beiden Arten können nicht integriert werden, aber die
Folgen der Gleichungen können veranschaulicht werden. N1 ist im Gleichgewicht, wenn
K1 – N1 – aN2 = 0 und N2 ist im Gleichgewicht wenn K2 – N2 – βN1 = 0. Wenn die
Gleichungen grafisch in einem Koordinatensystem dargestellt werden, wobei die Abszisse
N1 und die Ordinate N2 ist, kann man von den Punkten oberhalb oder unterhalb der
Gleichgewichtslinien sehen, dass N1 und N2 entweder wachsen oder abnehmen, d.h. dN1 /
dt und dN2 / dt sind entweder positiv oder negativ. Das Wachstum der Populationen kann
als Vektoren dargestellt werden, wie in Abb. 40 gezeigt. Wenn a = 0,6 und b = 1,6, kann
das Ergebnis der Konkurrenz grafisch beurteilt und angezeigt werden, siehe Abb. 41. Es
scheint, dass die Population N1, welche die höchste Konkurrenzfähigkeit aufweist, immer
gewinnen wird.
82
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
N2 N2
K2
K1/α K1 - N1 - αN2 = 0 K2 - N2 - βN1 = 0
K1 K2/ß
N2
K1/α
K2
N1
K2/ß K1
Abb. 40. Grafische Lösung des Lotka-Volterra-Modells für zwei Arten N1 und N2, die um die gleiche
Nahrungsressource konkurrieren. Das gezeigte Beispiel gilt für K2 < K1 / a und K1 > K2 / β; die analoge
Möglichkeit ist K2 > K1 / a und K1 < K2 / β. In zwei weiteren Fällen kreuzen sich die Isoklinen für dN/dt
= 0. In einem Fall deutet dies auf eine stabile Koexistenz, aber auf eine geringere Populationsdichte
für beide Arten hin. Der andere Fall zeigt, dass eine der beiden Arten in Abhängigkeit von der anfäng-
lichen Populationsgröße eliminiert wird (vgl. Abb. 28).
83
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
N2
K1/α
150
K1 = 105 K2 = 64
β = 164 α = 0.61
100
K2
50
N1
0 K2/β50 100 K1
Abb. 41. Grafische Darstellung des Ergebnisses aus dem Lotka-Volterra-Modell für die
interspezifische Konkurrenz um die gleiche Nahrung zwischen den zwei Arten von Ciliaten
(N1 = Paramecium aurelia; N2 = P. caudatum) aus Abb. 27. Es ist ersichtlich, dass N1 immer
gewinnt, unabhängig von der anfänglichen Populationsdichte.
Im Folgenden diskutieren wir das Räuber/Beute-Modell. In Worten kann das Modell wie
folgt beschrieben werden:
{Änderung der Anzahl der Beute pro Zeiteinheit} = {Unbegrenztes Wachstum der Beute
pro Zeiteinheit} – {Vernichtung der Beute pro Zeiteinheit durch den Räuber}
und
{Änderung der Anzahl der Räuber pro Zeiteinheit} = {Zunahme der Anzahl der Räuber
als Folge der Änderung bei der Beute pro Zeiteinheit} – {Todesfälle unter Räubern pro
Zeiteinheit}.
84
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
wobei N1 und N2 die Populationsgröße der Beute bzw. des Räubers sind; r1 ist die
Populationswachstumsrate der Beute in Abwesenheit eines Räubers; d2 ist die Sterblichkeitsrate
der Räuber und k1 und k2 sind Konstanten. Das Modell geht davon aus, dass der Konsum
von Beute direkt proportional zur Größe der beiden Populationen ist, und der Annahme,
dass dies der Wahrscheinlichkeit entspricht, dass sich ein Räuber und eine Beute treffen.
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85
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Diese Gleichungen berücksichtigen, dass sich die Beutepopulation selbst beschränkt (durch
Einführung des Begriffs k1N1) und dass das unbegrenzte Wachstum der Räuberpopulation
zunehmend gehemmt wird, wenn die Gesamtanzahl von Räubern zu Beuteorganismen (N2
/ N1) anwächst.
In den letzten Jahren wurden mehrere Bücher zu diesem Thema veröffentlicht. Sie geben
detaillierte Hinweise auf die Folgen der Differentialgleichungen [37, 38, 60, 61], die hier
nicht erwähnt werden.
Im Folgenden werden einige Beispiele für den praktischen Einsatz von mathematischen
Wachstumsmodellen gegeben.
Beispiel 1
Eine in Teilung befindliche Bakterienkultur hat eine konstante Generationszeit tg. Die Anzahl
der Generationen nach der Zeit t ist daher t / tg und N = N02t / tg stellt die Anzahl der
Zellen zum Zeitpunkt t dar, wenn N0 die anfängliche Zahl der Zellen ist. Die Konzentration
an Bakterien wurde während der exponentiellen Wachstumsphase gemessen. Anfänglich
betrug sie 2 x 104 Zellen pro Liter. Nach 10 Stunden wurde eine Konzentration von 5,96
x 107 Zellen pro Liter gemessen. Wie lange war die Generationszeit der Bakterienkultur?
Antwort: N = N02t / rt
5.96 × 107 = 2 × 104 × 210 / tg
tg = 0,866 Stunden
86
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Beispiel 2
Eine Grünalgenart hat eine konstante Generationszeit tg aber teilt sich nicht in jeweils zwei
sondern in vier Zellen.
a) Gebe einen Ausdruck für die Anzahl der Zellen nach g Generationen an.
Antwort: 4g
b) Gebe einen Ausdruck für die populationsspezifische Wachstumsrate an.
Antwort: N = N0ert
4 = ert
r = (1 / tg) ln4
Beispiel 3
Eine Algenpopulation wächst exponentiell. Es wird beobachtet, dass nach zwei Tagen 400
Algenzellen und nach sechs Tagen 800 Algenzellen vorhanden sind.
Antwort: a) t2 = 6 – 2 = 4 Tage
r = ln2 / t2 = 0.693 / 4 = 0.173 d-1
N = N0ert = 800 = N0e0.173×6
N = 283
b) N = 283e0,173x10 = 1596
Beispiel 4
Die menschliche Bevölkerung in einer Stadt wächst mit einer konstanten Rate von 4% pro
Jahr. Wenn die Einwohnerzahl im Jahr 2001 100 000 betrug, wie groß war sie im Jahr 2017?
87
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Populationsökologie
Beispiel 5
Eine Population von Hefezellen wächst mit 48,2% pro Stunde. Zum Zeitpunkt t = 0
beträgt die Populationsgröße N0 = 8,34 g Biomasse (TG = Trockengewicht). Während der
Wachstumsperiode liegt der Verbrauch an Glukose bei f = 0,345 g pro Gramm Biomasse (TG)
und pro Stunde (h). Wie hoch ist der Verbrauch an Glukose Ft=4-5 von t = 4 bis t = 5 h?
Zum Zeitpunkt t= 0 beträgt der Glukoseverbrauch F0 = 0,345 x 8,34 = 2,88 g Glukose pro
Stunde.
88
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
5 ARTENDIVERSITÄT
Artendiversität ist die Vielfalt der Arten. Wenn ein Gebiet eine hohe Artenvielfalt in Bezug
auf Schmetterlinge hat, ist es eine gute Fundstelle für einen Schmetterlingssammler. Als Maß
für die Diversität kann die Anzahl der Arten pro 100 Individuen verwendet werden. Wenn
man 100 Individuen in einer Gemeinschaft sammelt und 50 verschiedene Arten findet,
beträgt die Artendiversität 0,5. Wenn es 10 Arten sind, beträgt sie nur 0,1.
Die Verbreitung von Arten in einer Gemeinschaft kann sehr unterschiedlich sein. Es kann
eine etwa gleiche Anzahl von Individuen jeder Art geben, aber es können auch einige Arten
mit vielen Individuen und viele Arten mit wenigen Individuen vorkommen. Die Erfahrung
zeigt, dass natürliche Gemeinschaften fast immer eine sehr große Anzahl von Arten haben,
von denen nur wenige sehr häufig sind.
Wenn man die Vielfalt einer Gemeinschaft beschreibt und die Anzahl der Arten mit der
Anzahl der Individuen vergleichen möchten, können verschiedene Diversitätsindizes
angewendet werden, je nachdem, woran man besonders interessiert ist [1, 36]. Wenn man
sich für die dominanten Arten interessiert, kann ein Diversitätsindex verwenden, der die
häufigsten Arten zugunsten der selteneren Arten gewichtet. Ein solcher Index ist beispielsweise
der Simpson-Index = S (ni / N)2, wobei ni die Anzahl der Individuen der Art i und N die
Gesamtzahl der Individuen aller Arten ist. Es zeigt sich, dass seltene Arten, die nur einen
kleinen Prozentsatz der Gesamtzahl an Individuen ausmachen, aufgrund der Erhebung in
die zweite Potenz wenig zu diesem Index beitragen.
Wenn man sich für die selteneren Arten interessiert, die empirisch als erste verschwinden,
wenn ein Gebiet z. B. kontaminiert ist, kann man einen Index verwenden, der die selteneren
Arten bevorzugt. Ein solcher Index ist beispielsweise der Shannon-Index = -Σ (ni / N) . log
(ni / N). Aus der Formel wird ersichtlich, dass je kleiner der prozentuale Anteil einer Art
an der Gesamtzahl der Individuen ist, desto relativ wichtiger wird diese Art (zum Beispiel:
log 0.5 = – 0.30 und log 0.05 = – 1.30).
89
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
60
50
seltene Arten
Anzahl der Arten (S)
40
30
häufige Arten
20
10
0
0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 12000
Anzahl an Individuen pro Art (N/S)
Abb. 42. Die Beziehung zwischen der Anzahl der Arten (S) und der Anzahl der Individuen pro Art (N / S). In
den meisten natürlichen Gemeinschaften gibt es eine große Anzahl von Arten, von denen nur einige sehr häufig
sind. Wenn eine Population einer Kontamination ausgesetzt wird, ist es charakteristisch, dass die seltenen Arten
verschwinden, während einige tolerante Arten („Verschmutzungsindikatoren“) überleben und möglicherweise
eine große Anzahl von Individuen aufweisen – siehe gestrichelte Kurve in der Abbildung.
Es kann auf eine Reihe von biologischen und physikalischen Bedingungen hingewiesen
werden, die die Artenvielfalt einer Gemeinschaft beeinflussen:
Insgesamt wurden bisher etwa 1 Million Pflanzen- und Tierarten beschrieben, aber nur ein
Sechstel davon lebt im Meer. Die verbleibenden Arten leben an Land. Die weitaus größere
Anzahl terrestrischer Arten ist mit einer wesentlich höheren physischen Heterogenität an
Land verbunden. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen ist, dass je kleiner ein Tier
ist, desto heterogener seine Umwelt zu sein scheint (Abb. 43).
90
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
Dänische
50 Süßwasserschnecken, mm -
40 30 Arten
30 Dänische Laufkäfer, mm -
93 Arten
20
Europäische Karpfen,cm -
58 Arten
Anzahl an Arten
10 Europäische Nager, cm
8 50 Arten
6
5
4
3
Abb. 43. Wenn verschiedene Gruppen von Tierarten in Größenklassen eingeteilt werden, zeigt
sich, dass die kleinen Arten dominieren und dass es nur wenige große Arten innerhalb jeder
Tiergruppe gibt [67]. Diese Aussage gilt für eine lokale Gemeinschaft oder innerhalb einer
engen Gruppe von Organismen (Taxon). Aber global passt das Bild nicht, denn es gibt zum
Beispiel weit mehr Insektenarten als Einzeller (Protozoen). Der Grund dafür ist, dass kleine
Organismen eine weit größere Verbreitung haben und keine lokalen (endemischen) Arten. Ein
bestimmter Mikroorganismus wird auftreten, wenn die Umgebung zu ihm passt, und für Mi-
kroorganismen sind historische (im geologischen Sinn) Ereignisse unwichtig. Daher haben
kleine Organismen eine weitere oder sogar kosmopolitische Verbreitung, eine höhere Effizienz
der Ausbreitung, eine geringere Neigung zu geografischer Speziation (d.h. allopatrische Art-
bildung) und niedrigere Raten für lokales und globales Aussterben als größere Organismen,
die endemische Arten auf ozeanischen Inseln, Berggipfel usw. haben können [79].
Hohe / niedrige Produktivität. In einem bestimmten Ökosystem ist nur eine begrenzte Menge
an Energie verfügbar. Je weniger produktiv ein Ökosystem ist, desto weniger Arten können
eine Mindestpopulation aufrechterhalten. Hohe Produktivität ist Voraussetzung für eine
hohe Artenvielfalt.
Das Alter der biotischen Gemeinschaft. Das Alter, von einer geologischen Zeitskala aus
gesehen, beeinflusst die Artenvielfalt. Junge Ökosysteme haben eine geringere Artenvielfalt
als alte stabile Ökosysteme. So gibt es in der „jungen“ Ostsee weniger Arten als im „alten“
Kaspischen Meer.
91
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
Gebieten mit hoher Stabilität. Zum Beispiel haben sich nur wenige Arten an die Instabilität
in Flussmündungen und anderen Brackwassergebieten angepasst. Es ist charakteristisch für
viele Brackwasserarten, dass sie breite Nischen haben. So lebt die Muschel Macoma balthica
in Brackwasser in allen Tiefen und auf allen Arten von Substraten (Sand, Schlamm, Lehm).
Wenn das Meerwasser jedoch einen hohen und konstanten Salzgehalt hat, lebt sie nur auf
Sandboden in sehr flachem Wasser. Aufgrund der interspezifischen Konkurrenz durch eng
verwandte Muschelarten kann M. balthica im Meerwasser mit konstant hohem Salzgehalt
nur einen Bruchteil ihrer fundamentalen Nische realisieren.
Alter und Stabilität des Ökosystems erklären aber noch keine hohe Artenvielfalt in einer
Gemeinschaft. Nach der sogenannten „Zwischenstörungshypothese“ wird eine hohe
Artenvielfalt auch durch eine bestimmte Häufigkeit von Störungen bestimmt [58, 63]. In
jeder Gemeinschaft werden Organismen durch Störungen, die mit unterschiedlicher Häufigkeit
auftreten, getötet oder geschädigt. Im tropischen Regenwald werden Bäume beschädigt, wenn
sie bei stürmischem Wetter umstürzen oder von Blitzen, Insektenbefall, Erdrutschen usw.
getroffen werden. Korallen werden durch Stürme, Süßwasserfluten, Schlammablagerungen
oder großen Scharen von Räubern zerstört. Kleine Pflanzen- und Tiergemeinschaften auf
größeren und kleineren Steinen im Flachwasser nahe der Küste werden durch Stürme gestört,
die die Steine verlagern.
Je kleiner die Steine sind,
desto häufiger und schwerer ist der Grad
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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
der Störung durch stürmisches Wetter. Der Hypothese zufolge wird eine hohe Artenvielfalt
nur bei einer angemessenen Häufigkeit von Störungen mittlerer Stärke aufrechterhalten,
siehe Abb. 44.
hoch
Diversität
gering
93
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
Neufundland 30 Alaska 7
Käfer Küstenfische
Schlangen Brutvögel
Kanada 22 Grönland 56
Tabelle 4. Anzahl der Arten in verschiedenen systematischen Gruppen in Gebieten mit unterschiedlichen Klima-
zonen (arktisch kalt gemäßigt, gemäßigt, tropisch). Beachten Sie, dass die Anzahl der Arten von Norden nach
Süden zunimmt.
Die vier Faktoren, die oben als wichtig für die Artenvielfalt diskutiert wurden, haben
gemeinsam zu einer globalen Variation der Artenvielfalt geführt. Im Allgemeinen nimmt
die Diversität der biotischen Gemeinschaften vom Norden bis zum Äquator hin zu, siehe
Tabelle 4 und Abb. 45. Die Gründe für diese Zunahme der Diversität zum Äquator hin sind:
a) Ein höherer Grad an Umweltstabilität von den Polen zum Äquator hin, wodurch
Pflanzen und Tiere eine geringere Nischenbreite haben (sie sind spezialisierter).
b) Eine konstante Produktion während des ganzen Jahres am Äquator ermöglicht die
geringere Nischenbreite und eine größere Aufteilung der Ressourcen.
c) Die tropischen Regionen sind seit langer Zeit (seit der Kreidezeit) klimatisch stabil,
während die gemäßigten und polaren Regionen insbesondere während der Eiszeiten
Klimaschwankungen ausgesetzt waren.
94
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
tropisches Flachwasser
100
Anzahl an Muschelarten
und Polychaetenarten
75 Tiefsee
50 Kontinentalschelf
Abb. 45. Die Anzahl der Muschel- und Polychaetenarten in Bodenproben zunehmender Größe
und somit mit steigender Anzahl an Individuen, die auf eine zunehmende Anzahl von Arten auf-
geteilt sind [40]. Es wird ersichtlich, dass die Anzahl der Arten im produktiven tropischen Flach-
wasser am höchsten ist, wo eine konstant hohe Produktion das ganze Jahr hindurch schmale
Nischenbreiten und somit eine große Anzahl von Arten im Verhältnis zu den weniger produktiven
und ökologisch instabileren gemäßigten Flachwassergebieten erlaubt. Die Artenvielfalt ist sowohl
in den tropischen als auch in den gemäßigten Flußmündungsgebieten aufgrund von starken
Schwankungen des Salzgehalts, der Temperatur, des Wasserstands usw. gering. Der große Ar-
tenreichtum in der wenig produktiven Tiefsee ist bemerkenswert. Eine Erklärung dafür ist, dass
die Tiefsee seit vielen Millionen Jahren ökologisch sehr stabil ist, so dass sich trotz der sehr ge-
ringen Nahrungsressourcen viele Arten entwickeln konnten.
95
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
der angrenzenden Ökosysteme leben kann, wird als „Randeffekt“ bezeichnet. Ein Beispiel
ist die Eule, die Bäume zum Nisten und Verstecken benötigt, während sie in Bezug auf
Nahrung ganz von kleinen Nagetieren im offenen Land abhängt.
5.2 INSELBIOGEOGRAFIE
Im Jahr 1917 wurde die Vogelfauna auf neun Inseln vor Südkalifornien registriert. Im
Jahr 1968 wurde die Studie wiederholt. Ein Vergleich der beiden Studien zeigte einige
beachtenswerte Besonderheiten, siehe Tabelle 5. Am bemerkenswertesten war, dass die
Gesamtzahl der Arten auf den Inseln in den letzten 51 Jahren fast unverändert geblieben
war, aber es wurden zwischen 18% (auf der größten Insel, Santa Cruz) und 63% (auf
der kleinsten Insel, Santa Barbara) der Arten ersetzt. Auf der Basis dieser und ähnlicher
Beobachtungen der amerikanischen Biologen MacArthur und Wilson wurde die sogenannte
„Insel-Biogeografie-Theorie“ oder die „Insel-biogeografische Gleichgewichts-Hypothese“
aufgestellt. Nach dieser Theorie beruht die Anzahl der Arten auf einer Insel auf einem
dynamischen Gleichgewicht zwischen der Einwanderung neuer Arten und dem Aussterben
etablierter Arten [41]. Es wurde festgestellt, dass kleine Inseln (sogar mit den gleichen Biotopen
wie auf dem Festland) eine artenärmere Fauna aufweisen, als in ähnlichen Biotopen auf
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96
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
dem Festland beobachtet werden kann. Die Ursache liegt wohl darin, dass alle Populationen
eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Aussterbens haben und dass diese Wahrscheinlichkeit
mit abnehmender Populationsgröße schnell zunimmt. Auf kleinen isolierten Inseln ist
die Gesamtzahl der Individuen einer Art gering und es wird sporadisch zu einem lokalen
Aussterben der Arten kommen, wodurch „leere Nischen“ entstehen. Dieses Phänomen erklärt
die geringere Artenvielfalt auf kleinen Inseln (und anderen isolierten Lebensräumen). Im
Einklang mit dem geringeren interspezifischen Wettbewerbsdruck auf kleinen Inseln haben
die hier lebenden Arten ihre ökologischen Nischen im Vergleich zu ihren Artgenossen auf
dem Festland erweitert, siehe Abb. 46.
A
Geschwindigkeit
Einwanderung
Extinktion
E
Anzahl Arten
Einwanderung
Geschwindigkeit
Extinktion
groß klein
klein
groß
Eg Ek
Anzahl Arten
Abb. 46. (A): Die Zahl der Einwanderungen neuer Arten nimmt ab, und die Anzahl ge-
fährdeter Arten nimmt zu, wenn die Gesamtzahl der Arten auf einer Insel zunimmt. Die
beiden Prozesse stehen im Gleichgewicht, wenn die Insel E Arten aufweist, d.h. es besteht
ein dynamisches Gleichgewicht der Arten. Ein steiler Anstieg der ausgestorbenen Arten
findet statt, wenn alle Lebensräume auf der Insel von relativ gut angepassten Arten
besetzt sind. (B): Das dynamische Gleichgewicht der Arten ist auf einer großen Insel (Eg)
größer als auf einer kleinen Insel (Ek), wenn die Entfernung vom Festland gleich ist.
97
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
Das obige Prinzip kann nicht nur auf echte Inseln, sondern auch auf „umgekehrte Inseln“
in Form von Binnenseen und kleinen Teichen, die in einem „Meer“ von Land isoliert
liegen, angewendet werden. Eine Untersuchung an Seen hat gezeigt, dass die Anzahl der
Süßwasserschneckenarten direkt proportional zur Fläche der Seen ist, dass in nährstoffarmen
Seen die Anzahl der Arten mit abnehmender Größe schneller abnimmt als in eutrophierten
Seen, und dass die in den kleinen Seen übrig gebliebenen Schneckenarten einen größeren
Teil ihrer fundamentalen Nische nutzen als ihre Artgenossen in größeren Seen. Einige
Schneckenarten, die in großen Seen in enger Beziehung mit bewurzelten Wasserpflanzen
in der Uferzone leben, sind daher in kleinen Seen überall anzutreffen.
Vertrautheit mit der biogeografischen Inseltheorie ist für den Naturschutz von großer
praktischer Bedeutung. Naturschutzgebiete, die von Häusern, Bauernhöfen, Straßen usw.
umgeben sind, können als eine Art Insel betrachtet werden. Dies hat zur Folge, dass selbst
wenn die Behörden ein Gebiet schützen, um eine bestimmte Fauna zu erhalten, einige
Arten früher oder später, je nach Größe des Gebiets, aussterben werden. Obwohl einige
dänische Moorgebiete immer noch geeignete Lebensräume für Birkhühner darstellen, sind
diese Moore zu wenige und zu klein und auch zu weit verstreut, um dem Birkhuhn auf
lange Sicht eine ausreichend große Population zu ermöglichen. Infolgedessen wurde es 2001
in Dänemark für ausgestorben erklärt.
Ein anderes Beispiel ist der Laubfrosch, der 1850 auf den dänischen Inseln ziemlich verbreitet
war. Heute gibt es nur noch 8–10 kleine völlig getrennte Populationen, meist auf kleinen
Inseln. Durch Naturschutzplanung, Landschaftsgestaltung und neue Strukturen werden
Anstrengungen unternommen, um die verbleibenden Populationen vor dem Aussterben
zu bewahren.
(E+F) /
C D E F
(C+D)
Los
3 13 11 11 4 4 36
Coronados
San Nicolas 56 98 11 11 6 6 55
San
143 78 28 24 9 5 27
Clemente
Santa
192 32 30 34 6 10 25
Catalina
98
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Artendiversität
Santa
3 61 10 6 7 3 63
Barbara
San Miguel 36 42 11 15 4 8 46
Anacapa 3 21 15 14 5 4 31
Tabelle 5. Land- und Süßwasservögel auf neun Inseln vor Südkalifornien in den Jahren 1917 und 1968 [41].
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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
6 ÖKOLOGISCHE SUKZESSION
Ökologische Sukzession beschreibt die zeitliche Abfolge, in der sich Pflanzen- und Tierarten in
einem Ökosystem gegenseitig ersetzen. Eine Sukzession kann beispielsweise durch Abbrennen
einer Waldfläche oder durch Zugabe von Nährstoffen zu einem Biotop ausgelöst werden.
Man kann zwischen zwei Modellen unterscheiden, die ökologische Sukzession beschreiben:
Vegetation
Geologisches
Material
Abb. 47. Die Eigenschaften des Bodens werden durch das geologische Anfangsmaterial (Granit, Sandstein,
Kalk etc.), das Klima (feucht / trocken, kalt / heiß), die Vegetation und die Zeit für die Bodenbildung bestimmt.
100
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
Im Folgenden wird ein Beispiel für eine autogene, autotrophe Sukzession gegeben: Wenn einem
beleuchteten Aquarium mit Süßwasser (mit natürlichem Gehalt an lebenden Organismen)
anorganische Nährstoffe (z. B. in Form von biologisch gereinigtem Abwasser) zugegeben
werden, kann eine Abfolge von Ereignissen beobachtet werden: zuerst kommt es zu einer
raschen Vermehrung von einer oder wenigen Arten einzelliger Planktonalgen, die relativ große
äußere Oberflächen aufweisen, und damit die Nährstoffe wirksam aufnehmen können. Auf
die Planktonalgen folgen vermehrt „Weidegänger“ (grazers) (Copepoden, Daphnien, große
Ciliaten), die wiederum die Grundlage für eine Zunahme von Räubern (Rädertierchen,
Raubdaphnien) bilden. Die Zunahme der Primärproduktion führt zur Entstehung von Detritus
(abgestorbene Algen, tote Tiere, Kot), der auf den Boden absinkt und dort von Bakterien
und Pilzen zersetzt wird. Die Sukzession im Ökosystem des beleuchteten Süßwasseraquariums
ist gekennzeichnet durch:
Wenn organisches Material (z. B. in Form von unbehandeltem Abwasser) anstelle von
anorganischen Nährstoffen dem oben genannten, beleuchteten Süßwasseraquarium hinzugefügt
worden wäre, wäre die Sukzession schon anfangs durch „Atmung“ dominiert worden. Die
Sukzession wäre dann ein Beispiel für eine sogenannte autogene, heterotrophe Sukzession.
Der Sukzessionsprozess würde wie folgt ablaufen, siehe Abb. 48:
101
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
vielzellige Grünalgen
grüne Flagellaten
Blaualgen
Populationsdichte
Kieselalgen
Hydren
Amoeben Daphnien
Rädertierchen
Ciliaten
farblose Flagellaten
Bakterien
Zeit
102
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
Es kommt zunächst zu einem starken Anstieg an Bakterien, die ein hohes Reproduktions-
potenzial (hoher r-Wert) aufweisen und in der Lage sind, die anfänglich hohen Substrat-
konzentrationen zu nutzen (Bakterien werden als Opportunisten bezeichnet). Die Bakterien
bilden die Grundlage für eine Zunahme von Bakterien fressenden Mikroorganismen (farblose
Flagellaten und kleine Ciliaten). Die Bakterien fressenden Flagellaten und Ciliaten bilden
wiederum die Grundlage für eine Zunahme von Prädatoren (Amöben, Rädertierchen, große
Ciliaten). Aufgrund einer fortschreitenden Mineralisierung der organischen Substanz wird
die Grundlage für das Wachstum photoautotropher Organismen (Kieselalgen, Blaualgen
oder Cyanobakterien, grüne Flagellaten) geschaffen. Diese photoautotrophen Planktonal-
gen werden von Daphnien, großen Ciliaten und anderen Pflanzenfressern „beweidet“. Die
Beweidung von Planktonalgen führt zum Wachstum von mehrzelligen Grünalgen, da diese
„großen“ Fadenalgen von den kleinen Pflanzenfressern nicht gefressen werden können.
Schließlich dienen die Pflanzenfresser als Nahrung für größere Räuber (Hydra, ein sessiler
Süßwasserpolyp).
Basierend auf den obigen zwei Beispielen autogener Sukzession kann eine Reihe von
Merkmalen aufgezeigt werden, wie sich ein Ökosystem von einem jungen (juvenilen) zu
einem reifen Klimaxstadium entwickelt:
1) Zunehmende Artenvielfalt.
2) Zunehmende Dominanz größerer Organismen und damit:
-- größere Gesamtbiomasse (B),
-- kleinere Produktion (P) pro Einheit Biomasse (P / B abnehmend),
-- essentielle Nährstoffe werden in höherem Maße in lebendes Gewebe und
damit in „geschlossene Stoffkreisläufe“ eingebunden.
3) Zunehmender Grad an Stabilität, was sich in geringeren Veränderungen der
Artenzusammensetzung des Ökosystems zeigt.
4) Entwicklung zu einem Gleichgewicht zwischen photoautotrophen und heterotrophen
Prozessen, so dass die Bruttoprimärproduktion im Klimaxstadium gleich der
Gesamtatmung im Ökosystem wird, siehe Abb. 49 und 50.
5) Die Rate, mit der lebende Materie in einem Ökosystem theoretisch erneuert
wird, wird als „Umsatzrate“ bezeichnet und berechnet sich aus dem Verhältnis der
Bruttoprimärproduktion zur gesamten Biomasse des Ökosystems. Charakteristisch
ist, dass die Umsatzrate (P / B) in einem Ökosystem während einer Sukzession
abnimmt. Das umgekehrte Verhältnis (B / P) wird als „Umsatzzeit“ bezeichnet.
103
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
Bruttoprimärproduktion (P)
junges Produzenten NP RP
Ökosystem
P>R Konsumenten RK
NÖP
SUKZESSION
Bruttoprimärproduktion (P)
Klimax Produzenten NP RP
Ökosystem
P=R RK
Konsumenten
Abb. 49. Die Bruttoprimärproduktion (P) ist in einem jungen autotrophen Ökosystem größer als die gesamte
Ökosystematmung = Atmung der Produzenten (Rp) + Atmung der Konsumenten (Rk). Im jungen Ökosystem
wird nur ein Teil der Bruttoprimärproduktion für die Atmung genutzt, was bedeutet, dass das System eine
Nettoproduktion (NÖP = Nettoökosystemproduktion) aufweist, die sich als organische Substanz anhäuft.
Die Anhäufung von organischer Substanz (Detritus und lebende Organismen) erhöht die physische
Heterogenität des Ökosystems, und solange es einen Überschuss an organischer Substanz gibt, gibt es
„leere Nischen“. Daher kommen neue Arten hinzu und führen die autogene, autotrophe Sukzession fort,
bis alle Nischen „ausgefüllt“ sind und die gesamte Bruttoprimärproduktion des Ökosystems für die Atmung
verwendet wird (P = R) [46].
104
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
100
Korallenriffe
Flussmündungen
ertragreicher Wald
AUTOTROPHE Weideland
10
SUKZESSIONEN:
P, g O2/m2/Tag P>R
R
=
P
nährstoffreiche
Seen
HETEROTROPHE
1 Ozeane
SUKZESSIONEN:
nährstoffarme P<R
Seen
Wüsten
0.1 1 10
R, g O2/m /Tag
2
Abb. 50. In einem reifen Klimax-Ökosystem (auf jährlicher Basis) ist die Brutto-Primär-
produktion des Systems (P) gleich der Atmung des Systems (R). Sowohl autotrophe als
auch heterotrophe Sukzessionen werden sich bis zu diesem Zustand entwickeln. Öko-
systeme mit hohem Energiedurchfluss sind auf der Linie P = R hoch platziert, während
Ökosystemen mit geringem Energiedurchfluss unten zu finden sind [47].
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105
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
Die oben genannten Eigenschaften eines Ökosystems, das sich von einem jungen zu einem
ausgereiften System entwickelt, gelten erfahrungsgemäß für jede Sukzession, sei es dass sie
über ein paar Tage, Wochen, Monate oder Jahre abläuft. In Abb. 51 sind die Veränderungen
bei einer Reihe von ökologischen Parametern dargestellt, die eine Sukzession nach einem
Waldbrand beschreiben, die über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren verläuft.
P/B
Biomasse
NÖP Produktion
Atmung
P D
Artendiversität
R
B
Produktion/Biomasse
106
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
107
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
Ein anderes Beispiel dafür, dass Sukzession im „Raum“ untersucht werden kann, ist in Abb. 52
dargestellt. Sie zeigt, was passiert, wenn einem Fluss oder Strom kontinuierlich Abwasser mit
einem hohen Gehalt an organischem Material zugeführt wird. In Strömungsrichtung weg
vom Abwasserzufluß kann eine autogene, heterotrophe Sukzession im „Raum“ beobachtet
werden. Wenn der Abwasserzufluß aufhört, könnte man mit der Zeit eine ähnliche Sukzession
im Bereich des Zuflusses beobachten.
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108
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
Abwasser-
einleitung
Strömungsrichtung
Bakterien Algen
A Einzeller
Sauerstoff
B
Konzentration
Ammonium
Nitrat
C
Phosphat
rote Oligochaeten
Chironomidenlarven
Reinwasser-Fauna
Abb. 52. Zonierung (= Sukzession im „Raum“) in einem Strom, in den unbehandelte Abwässer mit
hohem Gehalt an organischem Material eingeleitet werden [48]. In der Nähe des Einleitungsortes
verursacht die organische Substanz ein starkes Bakterienwachstum. Die bakterielle Zersetzung ver-
ursacht einen hohen Sauerstoffverbrauch. Dies kann dazu führen, dass die Sauerstoffkonzentration
im Wasser so niedrig ist, dass nur rote Würmer (Tubifex) und rote Chironomidenlarven (Chironomus)
in der Abwassergemeinschaft leben können. Die großen Mengen an Bakterien führen zu einem
nachfolgenden Wachstum von Bakterien fressenden Einzellern (Protozoen). Wenn sich das organische
Material zersetzt, werden Ammonium, Phosphat und andere Nährstoffe freigesetzt und von den
photosynthetischen Algen genutzt. Weiter stromabwärts, wo das Wasser mit Sauerstoff angereichert
ist, wird Ammonium in Nitrat umgewandelt, während die Fauna zunehmend derjenigen ähnelt, die
vor der Einleitung der Abwässer herrschte.
109
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
110
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
I II III
Ressourcenqualität
Abb. 53. Drei Arten (I, II, III) beuten eine Ressource mit einem Qualitätsgradienten
(= Ressourcenkontinuum), wie z. B. ein Größengradient von Nahrungspartikeln, aus [60].
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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
Die glockenförmigen Kurven zeigen für drei Arten die Nutzung ihrer Ressourcen. Es ist
ersichtlich, dass jede Art eine Qualität (Nahrungspartikelgröße) bevorzugt, auf die sie sich
spezialisiert hat. Die Anzahl der Arten, die sich darauf spezialisieren können, einen bestimmten
Teil des Ressourcenkontinuums zu nutzen, ist dadurch begrenzt, dass die Spezialisierung
die Breite der Nische bestimmt (enge Nische = hohe Spezialisierung). Je enger die Nische,
desto weniger Nahrung steht der Population zur Verfügung. Hohe Spezialisierung bedeutet
daher, dass die Population kleiner wird, was es wiederum wahrscheinlicher macht, dass
die Art aussterben wird. Je produktiver und klimatisch stabiler ein Gebiet ist, desto höher
spezialisierte Arten mit kleinen Populationen können sich darin entwickeln. Die Tendenz von
Ökosystemen, größere Komplexität und höhere Artenvielfalt zu entwickeln, ist damit durch
eine erhöhte Sensibilität gegenüber dem Klimawandel und anderen externen Auswirkungen
begrenzt, was bedeutet, dass die am stärksten spezialisierten Arten aussterben werden.
Die „Stabilität“ eines Ökosystems ist seine Fähigkeit, äußeren Veränderungen (Klimaänderungen,
Umweltverschmutzung usw.) standzuhalten, ohne dass das Ökosystem durch Artenverlust
und Einwanderung neuer Arten erheblich beeinträchtigt wird. Es ist immer noch ein häufiges
Missverständnis – selbst unter Biologen – dass komplexe Ökosysteme „stabiler“ sind als einfache
Ökosysteme. Das Missverständnis scheint auf der Annahme zu beruhen, dass je mehr Wege
bestehen, die Nahrungsenergie durch ein Ökosystem zu lenken, desto robuster das System
gegen Einflüsse von außen sei. Tatsache ist jedoch, dass tropische Ökosysteme, die aufgrund
der sehr konstanten Umweltbedingungen in den Tropen einen hohen Komplexitätsgrad
und eine große Artenvielfalt aufweisen, gegenüber Veränderungen der Umweltfaktoren
nur eine geringe Stabilität aufweisen. Umgekehrt weisen arktische Ökosysteme eine hohe
Stabilität gegenüber extremen Klimaschwankungen auf, da es einfachere Nahrungsketten
mit weniger spezialisierte Arten gibt, die abhängig von der aktuellen Situation mehrere
Nahrungsressourcen nutzen können. Die Erfahrung zeigt auch, dass tropische Ökosysteme
empfindlicher auf Störungen reagieren als gemäßigte Ökosysteme, und dass die Rodung
tropischer Regenwälder zu irreversiblen Schäden führen kann.
112
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Ökologische Sukzession
113
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Marine Ökosysteme
7 MARINE ÖKOSYSTEME
Die Ozeane bedecken etwa 70% der Erdoberfläche. Hier findet man die größten und
„stärksten“ Ökosysteme der Welt. Abb. 54 zeigt einen schematischen Querschnitt eines
Ozeans, der an einen Kontinent angrenzt. Der Kontinent setzt sich unter dem Ozean als
Kontinentalschelf fort und geht in einer Tiefe von 125–200 m in den Kontinentalhang
über. In einer Tiefe von 4 000–5 000 m flacht der Kontinentalhang ab und wird durch das
Abyssal ersetzt (gr.: abyssos = „bodenlos“). Das flache Abyssal ist an mehreren Stellen von
hohen Bergrücken oder Tiefseerinnen von bis zu 10 000 m Tiefe unterbrochen.
In allen Tiefen des Ozeans leben Tiere auf dem Meeresgrund. Daher wurde der Meeresboden
in Lebensräume (Habitate) für bodenbewohnende (benthische) Organismen unterteilt: die
Uferzone (Eulitoral) ist das Gebiet zwischen Hoch- und Niedrigwasser (Gezeitenzone),
die Sublitoralzone das Gebiet zwischen der Niedrigwassermarke und dem Bathyal des
Kontinentalhangs, das bis in die Tiefseezone reicht. Ebenso können auch die offenen Gewässer
in mehrere Zonen unterteilt werden: Die photische Zone ist das dem Sonnenlicht ausgesetzte
Oberflächenwasser. Die untere Grenze dieser Zone ist durch die (Licht)Kompensationstiefe
gegeben; die Tiefe, wo die Lichtintensität so gering ist, dass die gesamte Primärproduktion
für die Atmung des Phytoplanktons verwendet wird. Das offene Meer wird als Pelagial
bezeichnet, während die neritische Zone die Küstengebiete darstellt.
Tiefseegrat Schelf
al
t hy
Ba
aphotische Abyssal
Kontinentalhang
Zone
100–10 000 m
Tiefseegraben
Abb. 54. Schema der wichtigsten Lebenszonen eines Ozeans. Die Grenze zwischen der photischen Zone
und der aphotischen Zone ist durch die Lichtkompensationstiefe gekennzeichnet. Man beachte, dass die
Lichtkompensationstiefe zur Küste hin aufgrund eines höheren Gehalts an suspendierten Partikeln im Was-
ser abnimmt. Die Ozeane sind ausgedehnte Meeresgebiete mit Tiefen von bis 4 000–5 000 m und mit
ziemlich isolierten, kleineren Gebieten mit Tiefen von bis zu 10 000 m. Die Grenze zwischen den Kontinen-
ten und den Ozeanen bildet das sogenannte Kontinentalschelf mit unterschiedlicher Breite und Tiefe. Vom
Kontinentalschelf aus setzt sich der recht steile Kontinentalhang bis zum Meeresboden (Abyssal) fort.
114
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Marine Ökosysteme
115
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Marine Ökosysteme
trophische
Ebene
photische Zone
Coccolitho-
1 Diatomeen Dinoflagellaten phoren
benthische
2 Copepoden Krill Invertebratenlarven
Zersetzung von
absinkendem
Plankton und
Detritus und
3 Hering Bartenwal
Freisetzung von
Nährstoffen
Auftrieb von
Bodenwasser
4 Makrele Hai versorgt die
photische
Zone mit
Nährstoffen
5 Thunfisch
“Regen” von Plankonalgen
und Detritus auf benthische Rochen Plattfisch
Tiere
Muschel Wurm
2
Abb. 55. Nahrungsketten und Nährstoffkreisläufe im offenen Meer. Die schematische Darstellung
der klassischen marinen Nahrungsketten berücksichtigt nicht den „mikrobiellen Kreislauf“, siehe
Abb. 56.
Eine Anzahl benthischer Tiere ist ebenfalls an ein Leben als Filtrierer angepasst. Typische
Vertreter dieser Filtrierer oder Suspensionsfresser sind bestimmte Muschelarten, die große
Kiemen entwickelt haben, welche große Mengen an Wasser pumpen und gleichzeitig
suspendierte Planktonalgen effektiv zurückhalten können. Andere Muschelarten nehmen
Nahrung auf dem Meeresboden auf („selektive Detritusfresser“). Ein Teil des abgelagerten
organischen Materials, das diese Tiere nicht verzehren, endet im Sediment, wo es von
Bakterien zersetzt wird. Das restliche organische Material kann auch von Muscheln und
116
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Marine Ökosysteme
In den 1950er Jahren wurde erkannt, dass die offenen Meeresgebiete, die früher als die un-
erschöpflichen Vorratskammern der Welt galten, „feuchte Wüsten“ darstellen. Messung der
Primärproduktion mittels der sogenannten Kohlenstoff-14-Methode, die die Aufnahme von
radioaktiv markiertem HCO3- in Planktonalgen in Wasserproben aus verschiedenen Tiefen
misst, hat gezeigt, dass die Bruttoprimärproduktion oft weniger als 500 kcal / m2 / Jahr
beträgt. Dies entspricht der Primärproduktion in Wüstengebieten an Land. Anreicherungsex-
perimente, bei denen Nährstoffe (Ammoniak, Phosphat, Eisen oder andere Spurenelemente)
zu Wasserproben hinzugefügt wurden, haben gezeigt, dass die Produktion in den meisten
offenen Meeresgebieten durch Nährstoffe, hauptsächlich Phosphor und Stickstoff, begrenzt
ist. Nur in Meeresgebieten, in denen Nährstoffe mit aufsteigendem Bodenwasser („upwel-
ling“ oder Auftriebsgebiete) an die Oberfläche gelangen, ist eine hohe Primärproduktion
und sowie eine hohe Sekundärproduktion von Fischen zu verzeichnen.
Die Erkenntnis zur klassischen Nahrungskette bzw. zum pelagischen Nahrungsnetz, hat sich
seit Mitte der 1970er Jahre dramatisch verändert. Bis dahin wurden Bakterien nur als Zersetzer
von Fäzes und anderem organischem Material angesehen, das auf dem Meeresboden abgelagert
wurde. Mit der Einführung neuer Messtechniken wurde jedoch deutlich, dass die Biomasse
und Aktivität von Mikroorganismen im freien Wasser (Pelagial) wesentlich größer ist als bisher
angenommen. Heterotrophe Bakterien können bis zu 50% der Primärproduktion nutzen,
die als gelöste organische Substanz (DOM; dissolved organic matter) verloren gehen würden,
und der Einfluss von Protozoen ist ebenfalls viel größer als bisher angenommen. Darüber
hinaus wurde festgestellt, dass photoautotrophe 0,5–2 μm große Bakterien (Cyanobakterien)
in vielen Regionen der Ozeane wichtige Primärproduzenten sind. Dieses neue Wissen hat
zur Realisierung einer „mikrobiellen Nahrungsschleife“ geführt, in der gelöste organische
Substanzen von heterotrophen Bakterien genutzt werden, die wiederum vom Zooplankton
gefressen werden. Dabei wird ein Teil der Energie aus der „verlorenen“ gelösten organischen
Substanz in die klassische Herbivoren-Nahrungskette zurückgeführt, siehe Abb. 56 [60, 62].
117
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Marine Ökosysteme
Herbivoren-Nahrungskette
DOM
Cyanobakterien
Zooplankton
Ze
r
se
tzu
ng
Bakterien Ciliaten
Mikroflagellaten
“MIKROBIELLE SCHLEIFE”
Abb. 56. Die „mikrobielle Schleife“. Ein signifikanter Anteil (30–50%) der Primärproduktion geht aus der klassi-
schen Herbivoren-Nahrungskette als gelöste organische Substanz (DOM) verloren. DOM wird fast ausschließlich
von frei lebenden heterotrophen Bakterien verwendet und führt daher zu einer signifikanten bakteriellen Sekun-
därproduktion. Die freilebenden Bakterien werden von Protozoen (Flagellaten, Ciliaten) gefressen, die wiederum
von Zooplankton (Copepoden), wodurch die „mikrobielle Schleife“ an die Herbivoren-Nahrungskette gekoppelt
wird. Photosynthetische Bakterien (Cyanobakterien) gelangen auch in die „mikrobielle Schleife“, wenn sie von
Protozoen gefressen werden. Da in der mikrobiellen Schleife ein hoher Umsatz stattfindet, wird ein großer Teil
der organischen Substanz zu Kohlendioxid, Ammoniak und Phosphat mineralisiert.
Das Meer kann in eine autotrophe Schicht (photische Zone) und eine darunterliegende
heterotrophe Schicht (aphotische Zone) unterteilt werden. Aufgrund dieser vertikalen
Teilung werden die anorganischen Nährstoffe, die in organischen Verbindungen in der
photischen Zone enthalten sind, in die heterotrophe Zone transportiert, teilweise durch die
Nahrungsketten und teilweise durch Absetzen von Planktonalgen und Fäzes. Die absinkenden
Algen, tote Tiere und Exkremente werden bakteriell abgebaut, wobei essentielle Nährstoffe
(Ammonium, Phosphat, Spurenmetalle etc.) für das Phytoplankton freigesetzt werden.
Aufgrund fehlender vertikaler Vermischung der Wassermassen können die freigesetzten
Nährstoffe nicht sofort an die Oberfläche zurückkehren und dem Phytoplankton in der
photischen Zone als Nährstoffe dienen.
118
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Marine Ökosysteme
Die Rückführung von Nährstoffen in die photische Zone der Ozeane erfolgt durch Mee-
resströmungen, die an einen Kontinent heranströmen, wodurch das nährstoffreiche Boden-
wasser an die Oberfläche gedrückt wird. Anschließend tragen die Oberflächenströme das
nährstoffreiche Wasser zu den photischen Zonen des offenen Ozeans. Meeresgebiete mit
aufsteigendem, nährstoffreichem Bodenwasser („upwelling zones“ oder Auftriebsgebiete)
sind sehr ertragreich; an diesen Orten befinden sich die besten Fischgründe der Welt. Ein
Beispiel für ein solches Gebiet ist das Meer vor Peru, wo der Humboldt-Strom nährstoffreiches
Bodenwasser an die Oberfläche treibt. Die produktiven Fischereigebiete im Nordwestatlantik
werden nicht durch „Auftrieb“ verursacht, sondern durch Wirbel, wo der Golfstrom die
„nordatlantische“ Schwelle erreicht, die „nur“ eine Tiefe von 500 m hat.
Die photische Zone reicht in den offenen Ozeanbereichen bis auf ca. 100 m hinab, näher
an Land aufgrund von Schwebeteilchen jedoch weniger tief. In den Küstengebieten liegt
die Kompensationstiefe typischerweise bei 30–40 m. Dennoch ist die Primärproduktion
in Küstengebieten deutlich höher als im offenen Meer. Dies wird durch die Nährstoffe
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119
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Marine Ökosysteme
verursacht, die für das Wachstum von Phytoplankton in offenen Ozeanen stark begrenzt sind.
Das offene Meer wird daher oft als „feuchte Wüste“ beschrieben, siehe Abb. 55, 57 und 58.
Primärproduktion, kcal/m3/Tag
,01 ,05 0,10 0,50 1,00
0
10
20
Küstenwasser:
Produktion = 11 kcal/m2/Tag
30
Biomasse = 40 kcal/m2
40
Tiefe, m
50
Offenes Meer:
60 Produktion = 1 kcal/m2/Tag
Biomasse = 2 kcal/m2
70
80
90
100
1,4
Primärproduktion, g C/m2/Tag
1,2
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
0
J F M A M J J A S O N D
Monate
Die vertikale Verteilung der Bruttoprimärproduktion in einem Küsten- und einem offenen
Meeresgebiet im Nordostatlantik ist in Abb. 57 dargestellt. Sie zeigt, dass die maximale
Produktion in einer Tiefe von 10–20 m stattfindet. Dies ist auf die planktontischen Algen
zurückzuführen, die zwischen der Oberfläche und der Thermokline zirkulieren. Die Algen
sind mehr oder weniger an Dunkelheit angepasst und werden an der Oberfläche durch
120
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Marine Ökosysteme
Abbildung 59 zeigt die vertikale Verteilung von Temperatur und pH-Wert im Nordostatlantik.
Im Sommer werden die oberen winddurchmischten Wassermassen von der Sonne erwärmt
und es entsteht eine Thermokline in einer Tiefe von 100–200 m. Unterhalb dieser „saisonalen
Thermokline“ befindet sich eine „permanente Thermokline“, die bis in eine Tiefe von ca.
1000 m reicht. Diese Temperaturschichtung verhindert, dass die Wassermassen vertikal von
oben nach unten durchmischt werden. Die saisonale Thermokline bewirkt jedoch, dass die
Planktonalgen innerhalb der photischen Zone durchmischt bleiben, was zur Bildung eines
Frühlingsmaximums in der Primärproduktion führt, siehe Abb. 58. Die Photosyntheseaktivität
in der photischen Zone führt zu einem Anstieg des pH-Werts (da die Algen CO2 verbrauchen),
während der bakterielle Abbau von organischem Material (tote Algen, Copepoden etc.), das
aus der photischen Zone abgesunken ist, zu einer Abnahme des pH-Wertes (durch Bildung
von CO2) führt. Aus der pH-Kurve in Abb. 59 ist ersichtlich, dass der mikrobielle Abbau
von organischem Material, das aus der photischen Zone abgesunken ist, beendet wird, bevor
das Material auf halbem Weg zum Boden gelangt ist.
121
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Marine Ökosysteme
pH
7,6 7,8 8,0 8,2
0
Thermokline
1000
Tiefe, m
2000
Temperatur pH
5000
0 5 10 15 20
Temperatur, ºC
Abb. 59. Vertikale Verteilung von Temperatur und pH-Wert im Nordostatlantik [52].
Die oberen Wassermassen werden in der nördlichen Hemisphäre im Frühjahr (April/Mai) von
der Sonne erhitzt und eine Thermokline bildet sich zwischen einer wärmeren Oberflächen-
schicht und einer kühleren (und schwereren) Bodenschicht, siehe Abb. 59. Diese Schichtung
der Wassersäule verhindert eine Durchmischung, die eine Versorgung mit Nährstoffen aus
den darunter liegenden nährstoffreicheren Wassermassen ermöglichen würde. Die Tiefe der
Thermokline wird weitgehend durch die Windmischung bestimmt. Dies bedeutet, dass das
Phytoplankton in der photischen Zone verbleibt, wo ein „Frühlingsmaximum“ in der Pri-
märproduktion bald nach der Bildung der Thermokline auftritt. Die Primärproduktion wird
reduziert, wenn die Nährstoffe aufgebraucht sind. Daher gibt es im Sommer ein Minimum
in der Primärproduktion.
Im Herbst, wenn sich die Wassermassen nahe der Meeresoberfläche abkühlen, verschwindet
die Thermokline und der Wind durchmischt das Wasser. Die Versorgung der Oberfläche
mit nährstoffreichem Grundwasser verursacht oft ein mehr oder weniger ausgeprägtes
„Herbstmaximum“ in der Primärproduktion, das bald darauf mit abnehmender Lichtin-
tensität und Tageslänge wieder abnimmt. Das Licht wird zum begrenzenden Faktor für die
Primärproduktion, siehe Abb. 58.
122
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Marine Ökosysteme
123
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE ��������������������������������������
8 ÖKOSYSTEM STILLGEWÄSSER
(SÜSSWASSERSEE)
Abbildung 60 zeigt einen schematischen Querschnitt durch einen See mit seinen verschie-
denen Lebenszonen.
Litoral
limnische
Zone
pelagische
Zone
profundale
Zone
Abb. 60. Die drei Hauptzonen in einem Süßwassersee. Die Grenze zwischen der limnischen Zone
und der profundalen Zone ist durch die Lichtkompensationstiefe festgelegt. Die Uferzone (Litoral)
erstreckt sich vom Ufer des Sees bis hin zu der Stelle, an der das Wachstum größerer Pflanzen aufgrund
von Lichtmangel endet.
In der Nähe des Seeufers befindet sich die Uferzone (Litoral) mit größeren bewurzelten
Pflanzen. Die pelagische Zone ist das offene Wasser außerhalb der Uferzone, wo Licht der
limitierende Faktor für die höheren Pflanzen ist. Die pelagische Zone wird in eine obere
limnische Zone und eine darunter liegende profundale Zone unterteilt. Die Grenze zwischen
den beiden Zonen ist durch die Lichtkompensationstiefe gegeben. Die photosynthetischen
einzelligen Planktonalgen in der autotrophen limnischen Zone erzeugen (abhängig von der
Größe und Tiefe des Sees) den größten Teil der Primärproduktion, die die Grundlage für
alles andere Leben im See bildet. Viele Seen erhalten große Mengen an organischen Stoffen
aus der Umgebung, wie zum Beispiel tote Blätter im Herbst. Die Planktonalgen (Grünalgen,
Blaualgen, Dinoflagellaten und andere) werden von vielen Arten des Zooplanktons (Daphnien,
Copepoden, Rädertierchen, Protozoen und andere) „abgeweidet“, die wiederum von Fischen
usw. gefressen werden, siehe Abb. 61. Das Leben in der heterotrophen profundalen Zone
beruht auf absinkenden Algen und Detritus aus der limnischen Zone. Die Anzahl der
124
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE ��������������������������������������
Tierarten, die auf oder im Seeboden leben (Benthos-Tiere), ist nicht sehr hoch, da der
Seeboden ziemlich homogen ist (d.h. es gibt wenige „Nischen“). Außerdem müssen die
Tiere über längere Zeiträume ohne oder mit sehr wenig Sauerstoff überleben. Es gibt
zwei Haupttypen von Benthos-Tieren: 1) „Suspensionsfresser“, die durch Filtrieren von
suspendierten Nahrungspartikeln aus dem Wasser leben, und 2) „Sedimentfresser“ (z. B.
Oligochaeten, bestimmte Arten von roten Chironomidenlarven, Schnecken) die die obere
Schicht des Bodenschlamms aufnehmen, die organische Substanz in Form von sedimentierten
Planktonalgen und Detritus aus der limnischen Zone enthält. Die benthische Fauna ist eine
wichtige Beute für Fische, wobei die meisten größeren Fische in der profundalen Zone leben.
Corethra (Moskito)
Planktonalgen Daphnien
Copepoden
Weißfisch
Rädertiere
Aal
Corethra
räuberische
Daphnien Hecht
Plötze
Sialis
Schleie
Muschel
Oligochaeten
Abb. 61. Schematische Darstellung der Nahrungsketten in einem See [53]. Nach der „klassischen“ Sichtweise
beginnen die Phytophagen-Nahrungsketten mit Planktonalgen, die von filtrierendem Zooplankton (Daphnien,
Copepoden, Rädertierchen usw.) gefressen werden. Inzwischen wurde jedoch erkannt, dass etwa 30–50% der
organischen Substanz, die die Planktonalgen (sowohl im Süßwasser als auch im Meer) durch Photosynthese
produzieren, als „gelöste organische Substanz“ (DOM) in das Wasser abgegeben werden. Diese Substanz wird
von Bakterien aufgenommen, die die gelöste organische Substanz in bakterielle Substanz umwandeln, die als
Futter für Flagellaten, Ciliaten und andere Organismen verfügbar wird, die sich durch Filtrieren mikroskopischer
Nahrungspartikel aus dem Wasser ernähren. Die „klassische“ Beschreibung der ersten Glieder der aquatischen
Phytophagen-Nahrungskette muss daher überarbeitet werden.
125
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE ��������������������������������������
126
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE ��������������������������������������
1,0000
Dichte
4
0,9990
0,9980
0 4 8 12 16 20 ºC
Temperatur
Abb. 62. Die Dichte von Wasser ist bei 4 °C am größten [52]. Als Folge davon
findet man in tiefen Seen eine Schichtung in der Wassersäule im Sommer.
Dies bedeutet, dass Süßwasser bei einer höheren oder niedrigeren Temperatur leichter ist als
bei 4 °C und daher dazu neigt, sich über das 4 °C Wasser zu legen. Beobachten man einen
tiefen See mit 4 °C Wasser von der Oberfläche bis zum Boden (eine normale Situation in
Seen der gemäßigten Zonen im Frühjahr), zeigt sich, dass die Sonne die oberen Wassermassen
erwärmt, wenn die Tage länger werden und die Sonne höher am Himmel steht. Wenn das
Wasser im See nicht durchmischt wird, sinkt die Temperatur von der Oberfläche allmählich
bis auf 4 °C in der Tiefe ab. Das Oberflächenwasser eines Sees stagniert jedoch nicht, da der
Wind das Oberflächenwasser bis in eine Tiefe von 8–20 m durchmischt. Das Ergebnis ist
die Bildung einer warmen Oberflächenschicht, die von der Sonne erwärmt und vom Wind
durchmischt wird. Unterhalb dieser warmen Oberflächenschicht (Epilimnion) befindet sich
eine Thermokline (Metalimnion), die die warme Oberflächenschicht von der tieferen und
kälteren Wasserschicht (Hypolimnion) trennt, siehe Abb. 63.
127
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE ��������������������������������������
Wind
4 ºC Temperatur
0
Epilimnion
Metalimnion
oder Thermokline
Wassertiefe
Hypolimnion
Hat sich eine Thermokline etabliert, sind das wärmere Oberflächenwasser und das tiefere
kältere Wasser voneinander getrennt, da praktisch kein Austausch zwischen den beiden
Schichten stattfindet („Sommerschichtung“). Die Thermokline verhindert auch einen Aus-
tausch von Nährstoffen zwischen Epilimnion und Hypolimnion, obwohl der Wind eine
sekundäre schwache Zirkulation im Hypolimnion verursachen kann, siehe Abb. 64.
Wind
Epilimnion
Metalimnion
Hypolimnion
Im Herbst, wenn die Temperatur im Epilimnion sinkt und schließlich den gleichen Wert
wie im Hypolimnion erreicht, verschwindet die Thermokline und der Wind kann nun das
gesamte Wasser im See von oben nach unten durchmischen („Herbstzirkulation“). Wenn die
Temperatur im Spätherbst unter 4 °C sinkt, wird ein „kaltes“ Epilimnion und ein „warmes“
Hypolimnion auftreten, so dass der See wieder geschichtet ist („Winterschichtung“). Eis auf
der Seeoberfläche führt oft dazu, dass die Winterschichtung schwach ausgeprägt ist, weil
der Wind das Wasser im Epilimnion nicht durchmischen kann. Im Frühjahr, wenn das
128
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE ��������������������������������������
Eis schmilzt und die Temperatur an der Oberfläche auf 4 °C ansteigt, kann der Wind die
Wassermassen wieder vollständig durchmischen („Frühjahrszirkulation“), siehe Abb. 65.
Temperatur (°C)
0 4 0 4 0 4 0 4
Wassertiefe
Abb. 65. Die jahreszeitliche Temperaturverteilung in einem tiefen See der gemäßigten Breiten. Die Tempera-
turschichtung verursacht, dass die Wassermassen nur im Frühjahr und Herbst vollständig durchmischt werden.
129
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE ��������������������������������������
06/01
11/05
12/07
25/08
15/09
13/10
18/10
11/11
11/06
0
5 Temperatur
Tiefe, m
10
15 9 11 13 15 17 19
°C
2 20
20 A
10
9 13 11 8 10
25
Entfemung, m 100 200 300 400 500 600 700 800 900
03/08
25/08
08/12
13/10
15/09
0
ml/l 1 5 8
5 Sauerstoff
Tiefe, m
10
15
20 B 1 5 7 7 8
25
5 Diatomeen Grünalgen
Blaualgen
Tiefe, m
10
pH
15
20
C
Zersetzung von Planktonalgen
25
pH
7 8 9
Abb. 66. Querschnitt durch den Esrumsee, Dänemark [54]. Im oberen Abschnitt (A) ist eine Reihe von
Temperaturkurven für das Jahr 1955 aufgetragen. Am 11. Mai war die Temperatur von der Oberfläche
bis zum Boden konstant. Im Sommer bildete sich eine Thermokline, die sich im Laufe des Sommers
durch Wind, der das Epilimnion bewegte, immer weiter nach unten verschob. Am 11. November
herrschten in der gesamten Wassersäule etwa 9 °C. Dies ermöglichte dem Wind, das Wasser im ganzen
See zu durchmischen („Herbstzirkulation“). Abschnitt B zeigt die Konzentration an Sauerstoff in der
gleichen Periode. Man sieht, dass die Stabilisierung der Wassermassen durch die Thermokline zu einer
extrem niedrigen Sauerstoffkonzentration im bodennahen Wasser führt. Abschnitt C zeigt die Sukzes-
sion des Phytoplanktons im Sommer. Das Phytoplanktonwachstum und die Artenzusammensetzung
werden durch die Zirkulation der Nährstoffe und den Verlust von Nährstoffen an das Hypolimnion ge-
steuert. Grüne Algen beginnen im März unter dem Eis zu wachsen und werden im April durch Diatomeen
ersetzt. Aufgrund der Temperaturschichtung des Sees verbrauchen die Kieselalgen allmählich das ge-
samte Silizium im Epilimnion und im Juni dominieren Grünalgen. Im Juli wird Stickstoff wahrscheinlich
zum limitierenden Faktor für das Wachstum von Grünalgen und diese werden durch stickstofffixierende
Blaualgen ersetzt. Wenn die Thermokline in das nährstoffreichere Grundwasser absinkt, wird das Epi-
limnion wieder zunehmend mit Nährstoffen versorgt. Dies könnte der Grund dafür sein, dass Kieselalgen
im September wieder dominieren.
130
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE ��������������������������������������
Das Wachstum und die Artenzusammensetzung des Phytoplanktons werden durch die
Zirkulation und den Verlust von Nährstoffen an das Hypolimnion gesteuert. Aber nicht nur
die allogene Sukzession von Phytoplankton in der Sommerzeit wird durch die Temperatur
und die Schichtung der Wassermassen gesteuert. Auch die benthische Fauna wird durch
die niedrige Sauerstoffkonzentration im bodennahen Wasser, und teilweise auch durch den
Nährwert des auf den Boden absinkenden organischen Materials, beeinflusst. Im Sommer,
wenn der See geschichtet ist, sterben die Algen ab und zerfallen, wenn sie auf den Boden
sinken. Dies ist von großer Bedeutung für das Wachstum der roten Chironomidenlarven,
Chironomus anthracinus, die in einer Anzahl von etwa 20 000 Individuen pro m2 auf
dem Seeboden gefunden werden, wo sie auf den abgesetzten Algenzellen leben. Wenn
die Temperaturschichtung einen niedrigen Sauerstoffgehalt verursacht und die Nahrung
mehr oder weniger verfault, hören die Chironomidenlarven auf zu fressen. Zwischen der
Vollzirkulation im Frühling und Herbst wachsen die Larven kaum. Auf der anderen
Seite können sie ihr Gewicht im Laufe weniger Wochen im Frühjahr und Herbst um das
Zehnfache erhöhen. Während der Sommerstagnation ohne Sauerstoff am Boden bleiben
die Fische fern und so werden während dieser Zeit keine Chironomidenlarven von Fischen
gefressen. Die thermische Schichtung des Sees ist nicht nur für die Populationsdynamik der
Chironomidenlarven von Bedeutung, sondern auch für die Fischproduktion und damit für
den Nährstoff- und Energieumsatz des ganzen Sees.
In den frühen 1980er Jahren wurden die Bewohner rund um den Hjarbæk Fjord während
der Sommermonate von Milliarden schwärmender Mücken geplagt. Die Plage wurde im
ökologischen Kontext in einem umfassenden Umweltbericht beschrieben [55]. Kurz gesagt,
wird die Mückenplage wie folgt erklärt: ungefähr 90% des Hjarbæk Fjords sind so flach,
dass der Wind die Wassermassen leicht durchmischen kann, so dass Sauerstoff nie zu einem
limitierenden Faktor für das Wachstum der Larven (Chironomidenlarven) am Boden des
Fjords wird. Eine große Produktion von Planktonalgen sorgt dafür, dass mehr als 30 000
131
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE ��������������������������������������
Chironomidenlarven pro m2 auf dem Boden leben können. In den Sommermonaten kommt
es sehr selten zu Raub an den Larven durch Fische, da die Wasserqualität von Mai bis
August so schlecht ist (hoher pH-Wert, hohe Ammoniakkonzentrationen), dass die Fische
umkommen oder wegschwimmen, siehe Abb. 67. Milliarden von Mücken können schlüpfen
und ausschwärmen. Es wurde berechnet, dass bei Verwendung von 1/10 der Chironomiden-
produktion für die Produktion von Aal-Biomasse die jährliche Aal-Produktion im Hjarbæk
Fjord etwa 250 Tonnen Aale betragen könnte.
132
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE ��������������������������������������
30
11
pH
10
9
Planktonalgen
Zooplankton
Biomasse, mg/l
20 8
7
J F M A M J J A S O N D
0,2
NH3, mg/l
10
0,1
J F M A M J J A S O N D J F M A M J J A S O N D
Abb. 67. Jahreszeitliche Veränderungen von Phytoplankton, Zooplankton, pH-Wert und NH3-Konzentration (Am-
moniak) im Hjarbæk Fjord, Dänemark, im Jahr 1981 [55]. Aufgrund der großen Mengen an Pflanzennährstoffen
(häusliche Abwässer, Forellenfarmen, landwirtschaftliche Flächen) kam es zu einer intensiven Algenproduktion,
die in der Zeit von Mai bis Juli zu einem hohen pH im Wasser führte. Der pH-Wert war so hoch, dass er für die
meisten Fische (gestrichelte Linie in der Abbildung) tödlich war. Die Fische starben oder wanderten in benach-
barte Gewässer aus. Die verminderte Auswirkung der Fische auf das Zooplankton führte zu einem drastischen
Anstieg der Populationen vor allem an Daphnien, die die Planktonalgen allmählich aufnahmen und große Mengen
Ammoniak mit dem Urin freisetzten. Von Ende Juni bis Ende August war die Ammoniakkonzentration im Wasser
tödlich hoch für Fische (gestrichelte Linie in Abbildung) und der totale Verlust von Fischen als regulierender Fak-
tor für das Zooplankton führte zum vollständigen Verschwinden der Planktonalgen, so dass die Zooplanktonpo-
pulation einen drastischen Rückgang aufgrund von Hunger erlitt. Folglich stieg die Algenproduktion wieder an
und bildete die Grundlage für ein erneutes Anwachsen der Zooplanktonpopulation. Die heftigen Schwankungen
in der Algen- und Zooplanktonbiomasse zeigen, dass das Ökosystem aus dem Gleichgewicht geraten ist.
133
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Waldökosysteme
9 WALDÖKOSYSTEME
Ein Laubwald kann in mehrere Schichten geteilt werden, wobei die höchsten Gipfel der
Bäume ein Blätterdach bilden. Darunter, wo es ein Unterholz von kleineren Bäumen gibt,
können niedrige Büsche und Sträucher wachsen. Schließlich kann man auf dem Waldboden
eine Schicht krautiger Pflanzen finden. Diese Schichtung wird durch das Licht verursacht,
das zunehmend zu einem limitierenden Faktor für das Pflanzenwachstum wird. Die
Tendenz zur Stratifikation wird umso deutlicher, je weiter man von nördlichen zu südlichen
geografischen Regionen kommt. In einigen tropischen Regenwäldern ist es so dunkel, dass
die Fledermäuse tagsüber aktiv sind.
Der Teil eines Waldes, der Sonnenlicht empfängt, d.h. die Baumwipfel in einem dichten
Wald, bilden die autotrophe Zone des Waldökosystems, die von der Primärproduktion
der photosynthetisch aktiven Baumkronen dominiert wird, während die darunter liegende
Schicht die heterotrophe Zone des Waldökosystems darstellt und von Zersetzungsprozessen,
und damit von der Atmung, dominiert wird, siehe Abb. 68.
hauptsächlich
Produktion
Licht
O2
Blätter Blätter
CO2
Abb. 68. Ein Waldökosystem kann in eine autotrophe Zone, in der die Primärproduktion dominant ist, und in
eine heterotrophe Zone, in der die Atmung dominiert, unterteilt werden. Mit abgefallenen Blättern gelangen
Nährstoffe aus der autotrophen Zone in die heterotrophe Zone, wo Zersetzung stattfindet. Dadurch werden
Nährstoffe in den „abiotischen Pool“ freigesetzt. Die Nährstoffe werden entweder von Pflanzenwurzeln aus
dem Boden aufgenommen oder ausgewaschen. In einem reifen Waldökosystem ist die Auswaschung von
Nährstoffen im Vergleich zum Austausch zwischen dem „abiotischen Pool“ und dem „biotischen Pool“ (lebende
Organismen, Detritus) gering, d.h. die Nährstoffkreisläufe sind „geschlossen“.
134
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Waldökosysteme
Aus der autotrophen Zone des Ökosystems gelangen fortwährend Nährstoffe über abgefallene
Blätter, Zweige und Äste in die heterotrophe Zone. Hier nutzen die Zersetzer in der Detritus-
Nahrungskette die Energie von totem organischem Material, das unter Freisetzung von
anorganischen Nährstoffen mineralisiert wird. Die Nährstoffe werden von Baumwurzeln
aufgenommen und wieder in die autotrophe Zone zurückgeführt. Dieser zyklische Transport
von chemischen Komponenten zwischen einem biotischen und einem abiotischen Pool ist
in reifen Ökosystemen durch einen sehr geringen Verlust gekennzeichnet, da üblicherweise
nur ein winziger Bruchteil der biologisch verfügbaren Substanzen aus dem abiotischen Pool
ausgewaschen und abtransportiert wird. Intensive Studien einer Reihe von Nährstoffkreisläufen
und Auswaschungen in einem „gemäßigten“ Laubwald in New Hampshire (Hubbard
Brook Experimental Forest) haben gezeigt, dass eine kleine Waldfläche einen abiotischen
Calciumpool von 690 kg / ha aufwies. Etwa 12 kg Ca / ha / Jahr wurden ausgewaschen,
während ein Eintrag von 3 kg / ha / Jahr aus dem Niederschlag resultierte. Somit betrug
der jährliche Nettoverlust von Calcium 9 kg / ha oder 1,3% des abiotischen Pools. Dieser
Verlust wird durch die Verwitterung von Mineralien annähernd kompensiert, siehe Abb. 69.
135
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Waldökosysteme
Niederschlag
3
Wasserablauf
biotischer Pool
Biomasse: 570
Detritus: 1740 Ströme
50 50 Verwitterung von
Mineralien
abiotischer Pool
verfügbares Ca: 9
690
Verlust mit
Wasserabfluss
12
Die Verteilung von Nährstoffen in einen biotischen und einen abiotischen Pool in einem
gemäßigten Wald unterscheidet sich wesentlich von der Nährstoffverteilung in einem tropischen
Regenwald. Während im gemäßigten Wald etwa die Hälfte des organischen Kohlenstoffs im
Boden gespeichert ist, wird im tropischen Regenwald nur etwa ein Sechstel des gesamten
organischen Kohlenstoffs im Boden gespeichert. Fast 60% der gesamten Stickstoffmenge im
Regenwald befinden sich im biotischen Pool (Blätter, Holz), während es in einem gemäßigten
Nadelwald nur etwa 6% der gesamten Stickstoffmenge sind. Im tropischen Regenwald ist
der abiotische Nährstoffpool daher relativ klein im Verhältnis zu der im lebenden Gewebe
136
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Waldökosysteme
gebundenen Menge. Abgestorbene Pflanzen und Tiere zersetzen sich schnell im feuchten
und warmen Regenwald und die freigesetzten Nährstoffe werden sofort wieder in lebendes
Pflanzengewebe aufgenommen. Mit anderen Worten, die Mineralisierungsgeschwindigkeit
ist im tropischen Regenwald hoch und der Nährstoffkreislauf „eng geschlossen“. Wenn
ein gemäßigter Wald abgeholzt wird, erhält der Boden seine Struktur und behält seine
Nährstoffe. Auf diese Weise kann das Land jahrhundertelang kultiviert werden, solange der
Boden gepflügt und in angemessenen Abständen gedüngt wird, um die von den Pflanzen
aufgenommenen Nährstoffe zu ersetzen. Hinzu kommt der kalte Winter, der Schädlingen
und Krankheiten selbst in wiederholten Monokulturen entgegen wirkt, die oft typisch für
die europäische Landwirtschaft sind. In den Tropen ist die Situation anders. Hier kommt es
bald nach der Rodung oder Verbrennung von Wäldern zu einer Verarmung des Bodens, da
die Nährstoffe nach einigen Jahren des Anbaus von „cashcrops“ (Kakao, Kaffee etc.) schnell
ausgewaschen oder aufgebraucht werden. Da die Humusauflage in tropischen Gebieten
sehr dünn ist, hat die gewaltige Rodung tropischer Wälder (Regenwälder sowie Wälder mit
vereinzeltem Baumwuchs) in der letzten Zeit zu umfangreichen Umweltschäden geführt, weil
der Oberboden vom Regen ausgewaschen oder durch den Wind weggeblasen wurde. Viele
tropische Waldgebiete sind ausgebeutet und törichterweise in Strauchsteppen oder Wüste
verwandelt worden. Die Bedeutung der Verwüstungen ist in Äthiopien zu sehen, wo Wälder
für Brennstoffe und Holz gerodet und die kahlen Felder überweidet wurden. Vor etwa 100
Jahren war die Hälfte Äthiopiens von Wäldern bedeckt, heute bedeckt der Wald nur noch
etwa 3% des Landes. Rund 1 Milliarde Tonnen Boden werden jedes Jahr aus dem früher
fruchtbaren Hochland heruntergespült, wodurch die nördlichen Teile dieses Gebietes für
immer für die Landwirtschaft verloren gehen. Ähnliches kann in Tansania passieren, wo es
in einigen Jahren keinen Baum mehr geben wird, wenn der aktuelle Trend anhält.
Dürre- und Hungerkatastrophen in Afrika sind nicht nur eine Frage von abnehmenden
Niederschlägen, sondern vor allem eine Folge von Übernutzung bzw. falscher Nutzung
natürlicher Ressourcen. Die Anwesenheit von Bäumen ist entscheidend für die Verdunstung
in den Tropen, und ein großes grünes Blätterdach kann große Mengen Wasser speichern
und verhindern, dass Wasser durch Abfluss in Flüsse und Seen verloren geht. Baumkronen
nehmen einen großen Teil des Niederschlags auf, während die Baumwurzeln das Wasser
aufnehmen und nutzen, das bis zum Boden gelangt. Große Flächen mit Bäumen wirken wie
ein lebender Schwamm, der den Wasserhaushalt, die Luftfeuchtigkeit und die Temperatur
stabilisiert. Der Schutz von Wäldern und Bäumen zum Schutz vor Verlust von Wasser
und Nährstoffen sowie vor Erosion ist in vielen Entwicklungsländern ein wesentlicher
Bestandteil des Kampfes gegen Dürre und Hunger geworden. In Anbetracht der ökologischen
Auswirkungen von umfangreichen Rodungen sollte die künftige internationale Hilfe für
afrikanische Entwicklungsländer die Einführung neuer Anbaumethoden unterstützen, die
Forstwirtschaft und Landwirtschaft (Agroforstwirtschaft) kombinieren.
137
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Waldökosysteme
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138
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Waldökosysteme
räuberische Insekten
und Parasiten, z. B.
parasitische
Marienkäfer Wespen
Eulen Füchse
Raubvögel Marder
Abb. 70. Nur wenige größere Tiere fressen die Vegetation in einem Wald, aber einige Insekten
nehmen doch Blätter auf, saugen aus ihnen Flüssigkeiten oder fressen sich in die Blätter und Nadeln
(Minierer) [57]. Die Abbildung zeigt einige Beispiele für pflanzenfressende Insekten und deren
Räuber. Es wird darauf hingewiesen, dass die sekundären Carnivoren in der gezeigten „Phytopha-
gen-Herbivoren-Nahrungskette“ in einem gemäßigten Wald auch als primäre Carnivoren fungieren
können. In Waldökosystemen durchläuft jedoch nur ein kleiner Teil der Primärproduktion die Her-
bivoren-Nahrungsketten. Der Hauptteil (ca. 90%) geht über Detritus-Nahrungsketten.
139
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Waldökosysteme
Abb. 71 zeigt ein Beispiel, wie Energie durch ein gemäßigtes Waldökosystem fließen kann.
Nur 2,5% der Primärproduktion des Ökosystems gehen über die Pflanzenfresser (30 /
1 200 = 0,025), während 52% der Nettoprimärproduktion über die Zersetzer der Detritus-
Nahrungskette fließen [(250 + 370) / 1 200 = 0,52)]. Beachten Sie außerdem, dass die
Bruttoprimärproduktion des Waldökosystems (2 650) größer ist als seine Gesamtatmung
(2 100), woraus sich eine Nettoökosystemproduktion (NÖP = 2 650 – 2 100 = 550)
ergibt. Diese reichert sich in Form einer Vergrößerung der pflanzlichen Biomasse an. Die
Akkumulation von organischer Substanz findet während einer autotrophen Sukzession statt.
Trotzdem stellt das Waldökosystem zu etwa 80% ein ausgereiftes Ökosystem (2 100 / 2 650
= 0.79) dar. Im vorliegenden Beispiel beträgt die Biomasse der Primärproduzenten 10 000
g organische Substanz / m2, während ihre Bruttoprimärproduktion (Pb) 2 650 g organische
Substanz / m2 / Jahr beträgt, d.h. die Umsatzzeit der Primärproduzenten (B / Pb) liegt bei
etwa 4 Jahren (10 000 / 2 650 = 3,8).
Bruttoprimär-
produktion 2 650
Abb. 71. Der Energiefluss in einem Eichenwald auf Long Island, USA. Man sieht, dass etwa die Hälfte der
Bruttoprimärproduktion für den eigenen Stoffwechsel der Pflanzen (Atmung) verwendet wird, was für Wälder
in gemäßigten Breiten normal ist. In den Tropen wird ein größerer Teil der Primärproduktion für die Atmung
der Pflanzen genutzt, während in den arktischen Regionen ein geringerer Teil der gesamten Primärproduktion
für die Atmung der Pflanzen benutzt wird. Die Nettoprimärproduktion geht an: 1) Pflanzenfresser (Herbivore),
2) Zersetzer und 3) Akkumulation (Speicherung). Die wichtigsten Pflanzenfresser sind Insekten sowie eine kleine
Population von kleinen Säugetieren. Aber nur wenige Prozent der Nettoprimärproduktion werden direkt von
den Pflanzenfressern verbraucht, und praktisch alles, was diese Tiere konsumieren, wird für ihre eigene Atmung
genutzt. Somit tragen sie nicht zur Nettoökosystemproduktion bei (NÖP = 550). Die wachsende Biomasse von
Bäumen trägt wesentlich zur NÖP bei, da mehr als 40% der Nettoprimärproduktion für diesen Zweck verwendet
werden. Der verbleibende Teil der Nettoökosystemproduktion besteht aus leicht abbaubarem Humus, der sich
im Boden ansammelt. Alle Zahlen für die Geschwindigkeit der Energieflüsse sind in g organisches Material /
m2 / Jahr angegeben [46].
140
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Waldökosysteme
141
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Literatur
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146
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Anhang
ANHANG
Alternative Bezeichnung Englische
Formel Chemische Bezeichnung
/ Trivialnamen Bezeichnung
Kohlenstoffdioxid,
CO2 Carbondioxid carbon dioxide
Kohlendioxid
Chlorfluorkohlenwasserstoff,
FCKW Fluorchlorkohlenwasserstoff chlorofluorocarbon
Freon
Scheidewasser,
HNO3 Salpetersäure nitric acid
Hydrogennitrat
Hydrogennitrit, Acidum
HNO2 Salpetrige Säure nitrous acid
nitrosum
Stickstoffmonoxid,
NO nitric oxide
Nitrogenmonoxid
Stickstoffdioxid,
NO2 nitrogen dioxide
Nitrogendioxid
147
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Anhang
Stickstoffoxide,
NOx Stickoxide oxides of nitrogen
Nitrogenoxide
O3 Ozon ozone
Phosphat /
PO43- Orthophosphat phosphate
Phosphorsäureanion
hydrogen
HPO42- Hydrogenphosphat
phosphate
dihydrogen
H2PO4- Dihydrogenphosphat
phosphate
Kieselsäureanhydrid,
SiO2 Siliciumdioxid silicon dioxide, silica
Kieselsäure, Silica
Schwefel(IV)oxid,
SO2 Schwefelsäureanhydrid sulfur dioxide
Schwefeldioxid
148
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Anhang
INDEX
A anoxisch 46, 48
abiotisch 7 Artendiversität 89
Abwasser 101, 108 Assimilationseffizienz 20, 25, 26
Abwehrmechanismen 66 assimilierte Nahrungsenergie 19, 20, 24, 25, 31
Abyssal 114 Äthiopien 137
Atmosphäre 10, 11, 12, 13, 14, 31, 32, 33, 34, 35,
Actinobakterien 38
36, 37, 38, 42, 43, 45, 47, 49, 110
Actinomyceten 38
Atmung 14, 15, 16, 18, 19, 20, 24, 25, 26, 27, 101,
Agarum 68
104, 105, 106, 110, 114, 134, 140
Agroforstwirtschaft 137
Auftrieb 117, 119
Alaska 37, 68, 94, 144
Autökologie 6
Algen 9, 54, 68, 69, 101, 109, 118, 120, 121, 124,
autotroph 16
130, 131, 133
Azotobacter 38
allogene Sukzession 107
Amphipoden 56 B
Anabaena 38 Bathyal 114
Anammox 143 benthisch 115
Angiospermen 69 Biber 68
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149
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Anhang
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ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Anhang
151
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Anhang
Nahrungsketten 10, 16, 17, 25, 28, 32, 35, 40, 101, Ökotoxikologie 28
112, 116, 118, 123, 125, 138, 139 Oparin 110
negative Rückkopplung 75, 79, 80, 81, 106 Opportunisten 103
Nettoprimärproduktion 14, 15, 16, 26, 140 Orcinus orca 68
Nischenbreite 94 Ostsee 91
Nischendifferenzierung 61, 63 Otter 144
Nischenmodell 54 Oxidation 43, 45, 46
Nischenüberschneidung 55 Ozon 10, 11, 13
Nitrat (NO3-) 38, 39, 40, 41, 42, 48, 109
P
Nitrobacter 41
Paine 67, 144
Nitrosomonas 41
Paramecium 56, 57, 60, 70, 82, 84
NÖP (Netto-Ökosystem-Produktion) 104, 106, 140
Parasitismus 54
Nostoc 38
Park 58, 65, 143
O
360°
Pearl-Verhulst Modell 76
ökologische Nische 52, 63 Pelagial 114, 117
.
Ökosystem 7, 8, 9, 10, 16, 17, 26, 48, 52, 54, 91, persistent 28
thinking
100, 101, 103, 104, 105, 107, 112, 126, 131, Phalacrocorax 61, 62, 144
133, 136, 140 Phosphat (PO4---) 47
360°
thinking . 360°
thinking .
Discover the truth at www.deloitte.ca/careers Dis
Discover the truth at www.deloitte.ca/careers © Deloitte & Touche LLP and affiliated entities.
153
ALLGEMEINE ÖKOLOGIE Anhang
T Umweltprobleme 6, 113
Tansania 137 Umweltverschmutzung 6, 112, 113
Tarnung 66 Urin 18, 20, 24, 25, 40, 133
Tasmanien 81 Uronema marina 75
Temperatur 36, 37, 38, 49, 52, 55, 58, 59, 75, 91, UV-Strahlung 11
95, 107, 121, 122, 126, 127, 128, 129, 130,
V
131, 137
Temperaturschichtung 121, 129, 130, 131 Verschmutzungsindikatoren 90
terrestrisch 90 W
Territorium 71, 72, 80
Waldökosystem 134, 136, 140, 141
Thermokline 120, 121, 122, 127, 128, 130
Wanderfalke 28
Thiobacillus 44
Wärmestrahlung 9, 13, 14, 17, 38
Thunfisch 68
Weidegänger 16, 101
Tiefsee 95
weiße Schwefelbakterien 44, 46
Toleranzmodell 100
Wespen 62
Treibhauseffekt 13, 36
Tribolium 58, 59, 143 Wiederkäuer 69
trophische Ebene 20, 25, 26 Wilson 96
trophische Klassifizierung 16 Winterschichtung 128
Tubifex 109 Wirt-Parasit-Beziehung 66
Wurzelinfektionen 69
U Wüste 120, 137
Überbevölkerung 65
Übergangszone 95 Z
Überlebenskurve 22 Zersetzer 9, 16, 25, 26, 47, 117, 135, 140
Überweidung 64, 80, 81 Zersetzung 32, 35, 36, 37, 43, 46, 109, 134, 141
Umsatzrate 103, 121 Zonierung 109
Umsatzzeit 103, 121, 140 Zooplankton 9, 29, 54, 60, 68, 117, 118, 125, 133
Umweltgift 47 Zwischenstörungshypothese 92, 93
154