Z E IT U NG FÜ R D E U T S C H LA N D
Montag, 6. Dezember 2021 · Nr. 284 / 49 R0
Zahlreiche
Tote in Niger
und Mali
F.A.Z. FRANKFURT. Bei Angriffen
mutmaßlich islamistischer Rebellen
sind in Mali und Niger rund 140 Men-
schen ums Leben gekommen. Allein
79 Angreifer und 29 Soldaten wurden
getötet, als Rebellen eine internationa-
le Armeebasis im westafrikanischen
Krisenstaat Niger zu stürmen versuch-
ten. Die Bewaffneten seien am Sams-
tag mit „Hunderten“ Motorrädern auf
den Stützpunkt in der Region Tillabéri
zugefahren, teilte ein Armeesprecher
am Sonntag mit. Es handelte sich um
eine Basis der G-5-Sahel, in der Mau-
retanien, Niger, Tschad, Mali und Bur-
kina Faso gemeinsam gegen Aufstän-
dische in der Sahelregion kämpfen.
Zuvor waren bei einem Angriff auf
einen mit Dutzenden Menschen
besetzten Lastwagen in Mali mindes-
tens 31 Menschen getötet worden.
Mindestens 17 weitere Menschen wur-
den bei dem Angriff bewaffneter Män-
ner am Freitag nahe der Ortschaft
Songo verletzt, wie die malische Über-
gangsregierung am Samstag mitteilte.
In Mali wurde am Sonntag auch ein
Camp der Bundeswehr am Flughafen
von Gao angegriffen. Die Soldaten
gehören zur UN-Mission Minusma.
Der Angriff sei „mit Steilfeuer“ erfolgt,
teilte die Bundeswehr mit. „Treffer
innerhalb des Camps wurden nicht
festgestellt. Es entstand weder Sach-
noch Personenschaden.“
Auf den Schultern
von Riesen
Der vormalige Außenminister
Sigmar Gabriel (SPD) plädiert
für eine Neuorientierung der
deutschen Außenpolitik.
Die Gegenwart, Seite 6
Stimme mit Gewicht
Eine Oberstaatsanwältin zieht
im Untersuchungsausschuss zur
Cum-ex-Affäre das Verhalten
der Behörden in Zweifel.
Politik, Seite 4
Weg mit süß und fettig
Die Ampel-Parteien wollen
ein Werbeverbot für
ungesunde Kinderlebensmittel
durchsetzen.
Unternehmen, Seite 20
Simsalabim!
Mangelnde Deutschkenntnisse
von Schülern sind an vielen
Schulen ein Problem. Berlins
Senat weiß es zu verhüllen.
Feuilleton, Seite 9
Mitten im Mehrkampf
Der neue DOSB-Präsident
Thomas Weikert macht gleich
Tempo. Und es gibt auch schon
eine Einladung nach Lausanne.
Sport, Seite 28
Kita ist für alle da
Bildungsferne Familien haben
es besonders schwer, an
Betreuungsplätze zu kommen.
Wie sich das ändern lässt.
Der Volkswirt, Seite 16
Briefe an die Herausgeber, Seite 19
Biden und Putin beraten
über Ukraine-Krise
sat./frs. WASHINGTON/MOSKAU.
Die Präsidenten der Vereinigten Staaten
und Russlands wollen am Dienstag in
einem virtuellen Gipfel über die Ukraine-
Krise, aber auch bilaterale Rüstungsfra-
gen beraten. Das Gespräch Joe Bidens mit
Wladimir Putin war angesichts des russi-
schen Truppenaufmarschs an der ukraini-
schen Grenze in der vergangenen Woche
von den Außenministern beider Staaten
vorbereitet worden. Washington wirft
Moskau vor, eine Militärinvasion in der
Ukraine vorzubereiten, die schon Anfang
nächsten Jahres stattfinden könnte. (Sie-
he Seiten 5 und 8.)
4BTACTP*fadbaf+[B\A\A\O\T Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH; Kundenservice: (069) 75 91 - 10 00, Telefax: (069) 75 91 - 21 80 oder www.faz.net/meinabo. Briefe an die Herausgeber: leserbriefe@faz.de
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HERAUSGEGEBEN VON GERALD BRAUNBERGER, JÜRGEN KAUBE, CARSTEN KNOP, BERTHOLD KOHLER
Richtig Bock auf Regieren
Der Beharrliche – Viele haben ein Herz für die Unter-
schätzten, aber eigentlich erst dann, wenn sie doch ganz
oben angekommen sind. Dann aber schmeckt der Erfolg
umso süßer. Die Gegner waren unbarmherzig und brutal.
Aber der Kämpfer zeichnet sich durch Beharrlichkeit aus.
Lindner: Die FDP wird die
Regierung prägen
Koalitionsvertrag gebilligt / SPD will Minister und Staatssekretäre vorstellen
Lt. BERLIN. Nach der SPD hat auch die
FDP dem Ampel-Koalitionsvertrag zuge-
stimmt. Die Delegierten eines Parteitags
billigten die Vereinbarungen am Sonntag
per Videoschaltung mit einer Zustim-
mungsrate von 92,2 Prozent. Der FDP-Vor-
sitzende Christian Lindner versprach sei-
ner Partei, sie werde die Regierungskoali-
tion mit SPD und Grünen prägen. Lindner,
der in der Koalitionsregierung Finanzmi-
nister werden soll, prophezeite, das Regie-
rungshandeln werde auch die FDP verän-
dern, die Partei werde ihre personelle Viel-
falt stärken. Deutschland werde „von der
neuen Koalition profitieren“, sagte der
FDP-Vorsitzende. Er rechtfertigte die Ent-
scheidung, statt mit den Unionsparteien
mit SPD und Grünen über eine Koalitions-
regierung verhandelt zu haben. Die Union
Empörung über Fackelaufmarsch in Sachsen
Seehofer: Organisierte Einschüchterung / Corona-Großdemonstration in Wien
lock./niz. DRESDEN/FRANKFURT.
Am Wochenende hat es in zahlreichen
Städten Deutschlands abermals Proteste
gegen die von der Politik beschlossenen
Corona-Maßnahmen gegeben. Allein in
Hamburg gingen der Polizei zufolge 5 000
Menschen auf die Straße. Auch in Berlin,
Hannover, Frankfurt, Potsdam und Trier
versammelten sich zahlreiche Demons-
tranten. In Berlin wurden am Samstag trotz
Verbots einige hundert Demonstranten
gezählt. Dabei kam es der Polizei zufolge
zu zahlreichen Verstößen gegen die Coro-
na-Verordnung sowie zu Widerstand gegen
Einsatzkräfte.
Für Empörung sorgte eine Fackelauf-
marsch von rund 30 Protestierenden vor
dem Privathaus der sächsischen Gesund-
heitsministerin Petra Köpping (SPD) am
Valérie Pécresse tritt für
LR gegen Macron an
mic. PARIS. In Frankreich hat die rechts-
bürgerliche Partei Les Républicains (LR)
die frühere Ministerin Valérie Pécresse für
die Präsidentenwahl im April 2022 aufge-
stellt. In der zweiten Runde des Mitglie-
derentscheids setzte sich Pécresse am
Samstag mit knapp 61 Prozent der Stim-
men gegen den Abgeordneten Éric Ciotti
durch. „Die republikanische Rechte ist
zurück“, sagte Pécresse. „Wir werden
unserem Land seine Einheit, Würde und
seinen Stolz zurückgeben.“ Die Präsident-
schaftskandidatin hat ihr Programm als
„zwei Drittel Merkel und ein Drittel That-
cher“ definiert. (Siehe Seite 5.)
Er macht einfach immer weiter. Olaf („Rocky“) Scholz hat
sich erst in der SPD und dann in Deutschland durchgesetzt.
Mancher hat ihn bei den Koalitionsverhandlungen „neu
kennengelernt“. Es wird also spannend. Sylvester Stallone
ist ja jetzt auch Künstler. Siehe Seiten 3 und 9.
habe „ihre innere Mitte verloren“, sagte
Lindner. Mit SPD und Grünen werde
womöglich mehr liberale Politik durchzu-
setzen sein, als dies in einem Jamaika-
Bündnis mit Union und Grünen machbar
gewesen wäre.
Die SPD hatte sich bereits am Samstag
bei einem Sonderparteitag für die Koali-
tionsvereinbarung ausgesprochen. Der
Annahme des ausgehandelten Vertrages
stimmten 98,8 Prozent der 608 Delegierten
zu. Generalsekretär Lars Klingbeil resü-
mierte das einhellige Votum, aber auch
nahezu sämtliche Redebeiträge des Tref-
fens mit den Worten: „Wir haben alle Bock
auf diese Koalition.“ Die Grünen haben
zur Abstimmung über den Vertrag eine
Mitgliederbefragung organisiert, deren
Ergebnis an diesem Montag bekannt gege-
Freitagabend in der Nähe von Leipzig. Die
Polizei ermittelt gegen 25 mutmaßlich an
dem Aufzug beteiligte Personen. Bundes-
und Landespolitiker verurteilten den Auf-
marsch. Brandenburgs Ministerpräsident
Dietmar Woidke (SPD ) sagte am Sonntag:
„Es war ein ganz klarer Angriff auf die
Demokratie, der da stattgefunden hat. Und
es war ein ganz klarer Angriff auf uns alle.“
Der SPD-Ko-Vorsitzende Norbert Walter-
Borjans schrieb am Samstag auf Twitter:
„Das ist in Art und Auftritt faschistoid.“
Der geschäftsführende Bundesinnenminis-
ter Horst Seehofer (CSU) sagte der Zeitung
Bild am Sonntag: „Dieser Fackelumzug ist
organisierte Einschüchterung einer staatli-
chen Repräsentantin. Das erinnert mich an
die dunkelsten Kapitel unserer deutschen
Geschichte.“
2,8 Millionen Euro
für Aufarbeitung in Köln
D.D. FRANKFURT. Das Erzbistum
Köln hat nach eigener Darstellung mitt-
lerweile 2,8 Millionen Euro ausgegeben,
um den Umgang mit Missbrauchsfällen
aufzuarbeiten. Auf zwei entsprechende
Gutachten entfiel demnach nicht einmal
die Hälfte der Summe. Den Löwenanteil
machten die Aufwendungen für Krisenbe-
ratung aus. Der Leiter der Bistumsverwal-
tung, Markus Hofmann, sprach von Lehr-
geld, das man habe bezahlen müssen, weil
man juristisch und publizistisch Neuland
betreten habe. Für Opfer sexueller Gewalt
hat das Erzbistum Köln bislang 1,6 Millio-
nen Euro aufgewendet. (Siehe Seite 4.)
3,10 € D 2955 A
Latent gewaltbereit
Von Thomas Holl
as muss in Sachsen eigent-
W lich noch geschehen, damit
der dortige Innenminister
radikalisierten Corona-Leugnern,
„Querdenkern“ und Impfgegnern
entschiedener entgegentritt? Dass
ein offenbar rechtsextremer Mob im
Stil der SA oder des Ku-Klux-Klans
mit Fackeln bewaffnet vor dem Haus
der sächsischen Gesundheitsministe-
rin aufziehen kann, kennzeichnet die
Bedrohungslage – aber auch die
Langmut der Sicherheitsbehörden.
Die Grenzen der Meinungsfreiheit
sind im Freistaat längst in vielen Fäl-
len überschritten. Woche für Woche
marschieren Verschwörungsgläubige
und Rechtsextreme in dem Land mit
der niedrigsten Impfquote in ein-
schüchternder Manier an vielen Orten
Szene aus dem Film „Rocky 2“, United Archives
auf – ohne Beachtung der Corona-Re-
geln und unbehelligt von der Polizei.
Verfassungsschützer befürchten nicht
erst seit den tödlichen Schüssen eines
der „Querdenker“-Bewegung naheste-
henden Täters in Idar-Oberstein wei-
tere Gewalttaten.
Die Debatte über die (lange Zeit
von den meisten Politikern katego-
Was ist in Wien schon wieder passiert?
Foto ddp
Von Stephan Löwenstein
An diesem Montag soll Karl Neham-
mer, der Nachfolger von Sebastian
Kurz an der Spitze der ÖVP, als öster-
reichischer Bundeskanzler „ange-
lobt“ werden. Das wird der sechste
Wechsel binnen sechs Jahren im
Kanzleramt am Wiener Ballhaus-
platz sein. Früher haben die Österrei-
cher gern die Italiener belächelt, die
ihre Regierungschefs alle naselang
austauschten. Daran erinnern sich
ben werden soll. Am selben Tag will die
SPD als letzte der drei Ampel-Parteien ihre nun erstaunlich viele. Sie wirken teils
Minister und dann die Staatssekretäre vor- beschämt, teils besorgt.
stellen. Am Mittwoch soll der Sozialdemo- Sicher ist es ein Anlass zur Sorge,
krat Olaf Scholz im Bundestag zum Kanz- wenn sich in derart dichter Folge eine
ler gewählt werden. Die SPD stellt neben politische Krise an die andere reiht.
dem Kanzler und dem Kanzleramtsminis- Man fragt sich, wie handlungsfähig
ter auch die Spitzen der Ressorts Arbeit
eine derart hin und her geworfene
und Soziales, Innen, Verteidigung, Bauen, Regierung noch sein kann, zumal es
Gesundheit sowie Wirtschaftliche Zusam-
in Zeiten der Pandemie auf entschie-
menarbeit und Entwicklung. Bei einem
denes und kluges Handeln ankommt.
Ordentlichen Bundesparteitag am Samstag
wollen die Sozialdemokraten ihre Partei- Aber eine Staatskrise, die von man-
spitze neu ordnen. Um den Vorsitz bewer- chen herbeigeredet wird, ist in Öster-
ben sich die amtierende Parteichefin Saskia reich nicht ausgebrochen. Es gibt
Esken und der bisherige Generalsekretär genügend Pfeiler, die das Gebäude
Klingbeil. (Siehe Seiten 2 und 3 sowie Wirt- auch dann noch tragen, wenn einer
schaft, Seiten 15 und 17; Kommentar Seite bröselt und ausgebessert werden
8.)
muss. Die Institutionen des Staates
respektieren im Wesentlichen einan-
der, letztlich zumindest.
Ein solch Pfeiler ist der Bundesprä-
sident. Alexander Van der Bellen fin-
det den richtigen Ton zwischen Mah-
nung und Beruhigung. Schon jetzt
ikonisch geworden ist die großväter-
Auch im europäischen Ausland kam es
am Wochenende zu größeren Kundgebun-
lich-geduldige Einleitung Van der
Bellens, als er in den Tagen nach dem
gen. Allein in Wien beteiligten sich nach
Angaben der Polizei am Samstag mehr als Bekanntwerden eines Korruptions-
Ermittlungsverfahrens gegen den
40 000 Menschen in teilweise aufgeheizter
Stimmung an Protesten. Ihre Empörung damaligen Kanzler Kurz der Nation
richtete sich vor allem gegen die allgemei- die Lage erklärte: „Sie fragen sich in
ne Impfpflicht, die Österreich im Februar diesen Stunden vielleicht: Was ist
einführen will. Mindestes fünf Personen denn jetzt schon wieder passiert?“
wurden festgenommen, vier Polizisten Das Staatsoberhaupt kommuniziert
wurden verletzt. In Luxemburg stürmten
Demonstranten am Samstag einen Winter- sparsam, aber klar und pocht auf die
Einhaltung der Verfassung.
markt. In der niederländischen Stadt
Utrecht marschierten am Samstag etwa Als handlungsfähig haben sich
5000 Demonstranten. Im Unterschied zu auch die Bundesländer erwiesen.
früheren Protesten in den Niederlanden, Dass die Landeshauptleute auf einer
die in Gewalt umschlugen, verlief der Pro- Konferenz im wienfernen Tirol in
testzug dieses Mal friedlich. (Siehe Seiten 2 Anwesenheit von Bundeskanzler und
und 8.) Gesundheitsminister entschieden,
was die Regierung in Hinsicht auf die
Impfpflicht und einen Lockdown tun
Bundesliga-Spitzenspiel und das Parlament beschließen solle,
hat Konsequenzen entspricht freilich eher der Realver-
fassung als dem juristischen Lehr-
dat./cfm. FRANKFURT. Das Bundesliga- buch. Dasselbe gilt für den Umstand,
Spitzenspiel zwischen Borussia Dortmund dass die Länderchefs der ÖVP in dem
und dem FC Bayern München (2:3) wird Moment eingesprungen sind, als das
Konsequenzen nach sich ziehen. Der Dort- satzungsgemäße Machtzentrum der
munder Mittelfeldspieler Jude Bellingham
Partei implodierte.
hatte nach dem umstrittenen Handelfme-
ter, den Schiedsrichter Felix Zwayer ver- Festzuhalten bleibt, dass es vor-
hängt hatte, auf dessen Rolle beim Schieds- teilhaft ist, wenn die Macht nicht
richter-Skandal vor 16 Jahren angespielt. vollkommen zentralisiert ist. Vieles
Bellingham drohen nun sportjuristische ist in einem föderalen System müh-
Konsequenzen, außerdem soll Schiedsrich- samer, weniger effizient, wider-
ter-Beobachter Marco Haase gegen den sprüchlicher – in Österreich nicht
Spieler Strafanzeige wegen Beleidigung, anders als in Deutschland. Aber es
übler Nachrede und Verleumdung gestellt
gibt dadurch auch weitere demokra-
haben. (Siehe Sport.)
tisch legitimierte Autoritäten, die,
verantwortungsbewusstes Handeln
vorausgesetzt, in Krisensituationen
stabilisierend wirken können.
F. A. Z. im Internet: faz.net
risch ausgeschlossene) Impfpflicht
bestärkt den harten Kern in seinem
Verschwörungsglauben, nun stehe
eine Corona-Diktatur bevor, gegen
die Widerstand erste Wutbürger-
Pflicht sei. Befeuert werden solche
Mythen von Umsturzfantasien, die
auch von AfD-Politikern in dem aso-
zialen Netzwerk Telegram verbreitet
werden: einer Plattform für Hass und
Hetze, die nicht nur Sachsens Minis-
terpräsident Michael Kretschmer zu
Recht als Gefahr für die Demokratie
ansieht.
Dass die Radikalisierung der Impf-
gegner am Ende des zweiten Corona-
Jahres kein sächsisches oder deut-
sches Phänomen ist, zeigen die Mas-
senproteste in anderen europäischen
Ländern, allen voran in Österreich,
wo von der FPÖ radikalisierte Bürger
am Wochenende zu Zehntausenden
gegen die geplante Impfpflicht pro-
testiert haben. Doch bei allem Gere-
de von einer Spaltung der Gesell-
schaft muss doch konstatiert werden:
Die übergroße Mehrheit in diesem
Land wie auch in Österreich hat mit
dieser Szene nichts am Hut.
Wie steht es um die Justiz? Kurz
und seine Gefolgsleute in der ÖVP
und in bestimmten parteinahen
Medien haben die Korruptions-
staatsanwaltschaft pauschal als
„rote Zellen“ zu delegitimieren ver-
sucht. Inakzeptabel sind persönli-
che Diffamierungskampagnen. Sie
wurden zu Recht zurückgewiesen,
auch vom grünen Koalitionspart-
ner. Außerdem war diese Verteidi-
gungsstrategie, um ein einst auf
Napoleon gemünztes Wort zu
gebrauchen, schlimmer als ein Ver-
brechen, es war ein Fehler. Die
ÖVP hat sich dadurch selbst
unglaubwürdig gemacht. Das
bedeutet nicht, dass das Vorgehen
dieser Justizinstitution nicht in
manchen Punkten zu kritisieren
Abgang von Kurz,
Turbulenzen in der ÖVP:
eine Krise der Regierung,
nicht des Staates.
wäre. Man denke nur an die rechts-
widrige Razzia im Verfassungs-
schutz oder an „private“ Strafanzei-
gen gegen Journalisten oder andere
Justizinstitutionen.
Nicht ganz von der Hand zu weisen
ist auch der Eindruck, dass jetzt
gegen nicht eben neue Phänomene
wie Postenschacher, parteipolitische
Zweckentfremdung von Ministe-
riumsmitteln oder Inseratenbeste-
chung mit einer Wucht durchgegrif-
fen wird, die bei früherer Gelegen-
heit oder anderswo womöglich eben-
falls viel Staub aufgewirbelt hätte.
Und wenn die Staatsanwaltschaft
massenhaft politisch brisante Chats
sicherstellt, diese aber umgehend
ihren Weg in die Öffentlichkeit fin-
den, dann ist eine politische Wirkung
eingetreten, die auch durch eine Ein-
stellung des Verfahrens nicht unge-
schehen gemacht würde. Hier besteht
Reformbedarf.
Trotzdem gibt es kein Vertun:
Wenn Chats nahelegen, dass Abspra-
chen getroffen und Scheinrechnun-
gen erstellt wurden, die den Tatbe-
stand der Korruption erfüllen, dann
muss rechtssicher festgestellt wer-
den, ob das so war und wer dafür ver-
antwortlich ist.
Die parlamentarische Mehrheit
von ÖVP und Grünen steht bereit,
um die stark umgebildete Regierung
unter Nehammer zu unterstützen.
Deshalb ist es Unsinn, von einer
mangelnden demokratischen Legiti-
mation zu reden, wie es Teile der
Opposition tun. Allerdings ist unbe-
streitbar, dass die politische Legiti-
mation, die bei den nächsten Wahlen
demokratisch beurteilt wird, erwor-
ben werden muss. Und zwar durch
gute Arbeit.
SE I TE 2 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
Aufmarsch mit brennenden Fackeln
In Sachsen belagern
zwei Dutzend radikale
Protestierer das
Privathaus der Gesund-
heitsministerin.
Von Stefan Locke,
Dresden
D
er Aufzug mit brennenden
Fackeln in der Dunkelheit
wirkte martialisch, und er
sollte Angst einflößen. Rund
30 radikale Gegner der Corona-Maßnah-
men waren am Freitagabend vor das
Wohnhaus der sächsischen Gesundheits-
ministerin Petra Köpping (SPD) in der
Nähe von Leipzig gezogen, angeblich um
ihren Unmut über die sächsische Regie-
rung zu äußern. Als die Polizei eintraf,
versuchten die „Protestler“ zu flüchten;
die Beamten konnten jedoch eigenen
Angaben zufolge 15 Autos stoppen und
die Personalien von 25 Menschen auf-
nehmen, die sich mutmaßlich an der
Aktion beteiligt hatten. Der Aufmarsch
war ein neuer Höhepunkt der seit
Wochen wieder anschwellenden Proteste
gegen Einschränkungen, um die vierte
Corona-Welle zu brechen. Bereits wäh-
rend der zweiten Welle im Januar waren
zwei Dutzend Protestierende tagsüber
vor dem Privathaus von Sachsens Minis-
terpräsident Michael Kretschmer (CDU)
aufgetaucht.
Kretschmer hatte sich damals auf eine
Diskussion eingelassen, diese jedoch abge-
brochen, als eine Frau eine Maske mit
„Reichsbürger“-Insignien aufgesetzt hatte.
Am Samstag sprang er Köpping zur Seite.
„Wir treten allen Kräften entgegen, die ein-
schüchtern wollen“, sagte Kretschmer, der
eine Koalition aus CDU, Grünen und SPD
führt. „Petra Köpping hat meine volle
Unterstützung und Solidarität. Was ihr pas-
siert ist, geht uns Sachsen alle an!“ Auch
bundesweit reagierten Politiker entsetzt.
Eine solch organisierte Einschüchterung
erinnere ihn an die dunkelsten Kapitel der
deutschen Geschichte, sagte der geschäfts-
führende Bundesinnenminister Horst See-
hofer (CSU). „Das sind Methoden, die hat
FFP2-Masken schützen
sicher bei richtiger Nutzung
Ansteckungsgefahr laut Studie nur bei 0,1 Prozent
oll. BERLIN. Es ist ein häufiges Bild
in diesen Tagen: Die meisten Men-
schen tragen FFP2-Masken, biegen
aber den Nasenbügel so hoch und so
eng über der Nase zusammen, dass er
nicht an den Nasenflügeln anliegt,
sondern einen Hohlraum zum Atmen
über der Nase lässt. Sie heben damit
die Wirkung der Maske fast auf. Und
die ist nach den neuesten Erkenntnis-
sen einer Studie des Max-Planck-Insti-
tuts (MPI) für Dynamik und Selbstor-
ganisation in Göttingen bei einem kor-
rekten Sitz enorm hoch. Wie MPI-Ins-
titutsdirektor Eberhard Bodenschatz
in den „Proceedings“ der amerikani-
schen Nationalen Akademie der Wis-
senschaften berichtet, liegt die Anste-
ckungsgefahr mit einer korrekt getra-
genen FFP2-Maske nur bei 0,1 Pro-
zent, wenn sich ein Infizierter und ein
Gesunder zwanzig Minuten auf kurzer
Distanz in einem Innenraum begeg-
nen. „Eine Maske lässt sich an die
Gesichtsform hervorragend anpassen,
wenn man ihren Metallbügel vor dem
Aufsetzen zu einem abgerundeten W
biegt“, sagt Bodenschatz, dann gelang-
ten die ansteckenden Aerosolpartikel
nicht mehr an der Maske vorbei, und
auch Brillen beschlügen nicht mehr.
Bei einer schlecht sitzenden Maske
dagegen liegt das Infektionsrisiko nach
Berechnungen der Göttinger Forscher
bei etwa vier Prozent. Bei einer OP-
Maske reicht eine gute Passform noch,
um die Infektionsgefahr auf maximal
zehn Prozent zu senken. Eine an Nase
und Wangen dicht abschließende
FFP2-Maske schützt aber im Vergleich
zu einer gut sitzenden OP-Maske 75-
mal besser.
Berechnet haben die Forscher das
Infektionsrisiko, indem sie Atemparti-
kelgrößen, Physik beim Ausatmen,
diverse Maskentypen und das Risiko des
Einatmens von Coronaviren kombinier-
ten. Tröpfchen, die Menschen beim
Atmen, Sprechen oder erst recht beim
Singen verbreiten, trocknen in der Luft
und werden leichter. Dadurch bleiben sie
länger in der Luft und haben auch noch
eine höhere Viruskonzentration als die
Tröpfchen direkt nach dem Austritt aus
der Mundhöhle. Beim Einatmen
geschieht das Gegenteil: „Die Partikel
nehmen wieder Wasser auf, wachsen wie
ein Tropfen in der Wolke und bleiben
daher leichter in den Atemwegen hän-
gen“, beschreiben die Forscher den Vor-
gang.
„Im täglichen Leben ist die tatsächli-
che Infektionswahrscheinlichkeit
sicherlich zehn- bis hundertmal klei-
ner“, wird Bodenschatz in einer Mittei-
FPM
die SA erfunden“, sagte Baden-Württem-
bergs Ministerpräsident Winfried Kretsch-
mann (Grüne). SPD-Chef Norbert Walter-
Borjans sprach von einem „faschistoiden
Auftritt“, die Ko-Vorsitzende Saskia Esken
wandte sich via Twitter an Köpping: „Auch
wenn die paar Hansel da versuchen, Angst
und Schrecken zu verbreiten: Die Ver-
nunftbegabten und Verantwortungsberei-
ten sind die große Mehrheit, und die steht
an Deiner Seite.“
Tatsächlich sind es stets nur ein paar
Dutzend oder wenige hundert Menschen,
die sich Abend für Abend in verschiede-
nen Städten zusammenfinden. Doch die
Vielzahl der als „Spaziergänge“ deklarier-
ten Aufzüge bereitete Sachsens Polizei
von Anfang an Probleme, weshalb der
Vorfall nun auch zu einer scharfen Debat-
te über den Schutz nicht nur von Politi-
kern, sondern auch Ärzten und Impf-
teams führt, die sich ebenfalls Einschüch-
Zu Hause bedrängt: Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping
lung des Instituts zitiert. Denn die
Atemluft, die an den Rändern der Mas-
ke ausströme, werde verdünnt. Die For-
scher hätten das Risiko jedoch so kon-
servativ wie möglich berechnen wol-
len. „Wenn unter diesen Bedingungen
sogar das größte theoretische Risiko
klein ist, ist man unter realen Bedin-
gungen auf der ganz sicheren Seite“,
sagt Bodenschatz.
Die Ergebnisse der Studie zeigten,
dass die von der Ministerpräsidenten-
konferenz in Berlin in der vergangenen
Woche flächendeckend beschlossene
Maskenpflicht in Schulen „auch gene-
rell eine gute Idee ist“, wie Boden-
schatz meint. Bisher gab es in den Län-
dern häufig wechselnde und unter-
schiedliche Regelungen zum Masken-
tragen in den Schulen. Häufig waren
gerade die Grundschulen von der Mas-
kenpflicht ausgenommen, deren Schü-
ler hohe Inzidenzen aufweisen, weil sie
noch nicht geimpft werden konnten.
Auch wenn einer neuen Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts Yougov im
Auftrag der Deutschen Presse-Agentur
zufolge zwei Drittel der Bevölkerung
eine allgemeine Corona-Impfpflicht
befürworten, verschärft sich der Streit
darüber zusehends. Ende vergangenen
Jahres hatten sich in einer Umfrage des
gleichen Meinungsforschungsinstituts
nur 33 Prozent dafür ausgesprochen.
Der Kandidat für den CDU-Vorsitz Nor-
bert Röttgen sagte, die Gegner der
Corona-Impfungen spalteten die Gesell-
schaft viel mehr als staatliche Maßnah-
men wie die Impfpflicht. „Die Spaltung
dadurch, dass man es immer noch einer
Minderheit überlässt, eine riesige Infek-
tionswelle auszulösen, die die gesamte
Bevölkerung trifft und einschränkt,
wiegt deutlich schwerer“, sagte er dem
„Redaktionsnetzwerk Deutschland“ und
kündigte an, für eine Impfpflicht zu
stimmen.
Die Bonner Medizinethikerin Chris-
tiane Woopen hält eine allgemeine Impf-
pflicht „für sehr schwer begründbar“. Sie
plädierte in der aktuellen Pandemielage
im „Deutschlandfunk“ für eine gestufte
Impfpflicht, die auch ältere Menschen ab
60 Jahren umfassen könnte. Zunächst
muss aus ihrer Sicht eine einrichtungsbe-
zogene Impfpflicht für bestimmte
Berufsgruppen „in Krankenhäusern,
Pflegeheimen, vielleicht in den Orten,
wo Menschen mit Behinderungen, psy-
chischen Erkrankungen versorgt wer-
den“, kommen. Die Begründung für eine
Impfpflicht könne nicht darin liegen,
dass man Menschen vor einer Erkran-
kung bewahren wolle, es gehe darum,
eine öffentliche Notlage zu vermeiden.
Politik
terungen ausgesetzt sehen. Sachsens SPD
kritisierte explizit fehlende Schutzmaß-
nahmen. Die Aktion vom Freitagabend
sei ein „ekelhafter Einschüchterungsver-
such – unwürdig, abscheulich und absolut
nicht tolerierbar“ sagte Landeschef Hen-
ning Homann. Seit Monaten habe seine
Partei in der Regierung stärkere Kontrol-
len, mehr Sicherheit für Mitarbeiter in
Impfzentren und ein konsequentes Vorge-
hen gegen „Querdenker“ gefordert. „Pas-
siert ist jedoch viel zu wenig.“ Die Linken-
Politikerin Kerstin Köditz spricht gar von
einem „Kontrollverlust“.
Sachsens Innenminister Roland Wöl-
ler (CDU) verurteilte den Aufzug vor
Köppings Haus scharf. Es sei „unfassbar,
wie hemmungslos Hass und Hetze ver-
breitet werden“. Zugleich forderte Wöl-
ler die Staatsanwaltschaft auf, die Ver-
stöße schnellstmöglich zu ahnden. „Es
muss ein klares und schnelles Signal des
Foto dpa
Nach Auffrischimpfung
Ausnahmen von 2 G plus
Gründe sind höherer Impfschutz – und fehlende Tests
bin./jib. HANNOVER/WIESBADEN.
In der vierten Corona-Welle setzt die deut-
sche Politik inzwischen verstärkt auf die
2-G-plus-Strategie. Das „plus“ steht dafür,
dass sich auch die Geimpften und Genese-
nen testen lassen müssen, bevor sie Berei-
che betreten, in denen ein erhöhtes Anste-
ckungsrisiko besteht. Das ist gut gemeint –
funktioniert derzeit allerdings nicht überall
wie gewünscht. Besonders deutlich wird
das in Niedersachsen. Obwohl die Infek-
tionszahlen und auch die Krankenhausbe-
legung in dem norddeutschen Bundesland
niedriger liegen als in den meisten anderen
Ländern, setzt die dortige rot-schwarze
Landesregierung auf das Prinzip Vorsicht
und daher sehr stark auf 2 G plus. Wer in
Niedersachsen in ein Restaurant geht, ein
Fitnessstudio oder zum Friseur, benötigt
einen aktuellen, negativen Testnachweis.
Ausgenommen von der Testpflicht sind
allerdings unter 18-Jährige, außer für Besu-
che in Shishabars und Diskotheken.
Die aktuelle Corona-Verordnung sah
sogar vor, dass auch geboosterte Bürger
einen Test benötigen, wenn sie einen
Weihnachtsmarkt im Freien besuchen.
Zumindest bei dreimal geimpften Personen
machte die Landesregierung von Minister-
präsident Stephan Weil (SPD) nun aller-
dings kurzfristig und unerwartet einen
Rückzieher. Seit Samstag dürfen Personen,
die eine Auffrischimpfung erhalten haben,
wieder einen Glühwein auf dem Advents-
markt trinken, ohne dafür ein negativen
Test vorzulegen. Die Landesregierung
begründet ihren Schwenk mit wissen-
schaftlichen Erkenntnissen, laut denen die
Ansteckungs- und Übertragungsgefahr
nach einer Auffrischimpfung „ausgespro-
chen gering“ sei. Das allerdings weiß man
schon länger. Der eigentliche Grund dürfte
eher in den „stark beanspruchten Testka-
pazitäten“ zu suchen sein, die ebenfalls als
Grund angeführt werden. Denn die 2-G-
plus-Regelung führte dazu, dass sich neben
den langen Schlangen vor den Impfstellen
nun auch noch lange Wartereihen vor den
Testzentren bildeten. Dass Tests derzeit ein
knappes Gut sind, zeigen auch deren stark
gestiegene Preise. Mit der Ausnahme für
Personen mit Auffrischimpfung reduziert
die Regierung den Druck auf die Testzen-
tren nun etwas. Zudem steigt die Motiva-
tion, sich die Drittimpfung zu holen –
sofern man einen Termin bekommt.
Die Kursänderung verschafft auch vie-
len Firmen zumindest etwas mehr Luft.
Denn für viele Gewerbetreibende fühlte
sich die strenge 2-G-plus-Strategie an wie
ein neuerlicher Lockdown. Viele Dienst-
leistungen wurden kaum noch in Anspruch
genommen. Die Hürde erwies sich für viele
Kunden einfach als zu hoch. Der FDP-
Fraktionsvorsitzende Stephan Birkner for-
Rechtsstaates geben.“ Wegen der prekä-
ren Corona-Lage – Sachsen führt seit
Wochen mit großem Abstand bei der
Zahl der Neuinfektionen – sind im Frei-
staat lediglich stationäre Versammlun-
gen von maximal zehn Personen erlaubt.
Um das zu umgehen, veranstalten
Demonstranten „Spaziergänge“, zu
denen sie über Messenger-Dienste auf-
rufen. Genutzt werden dabei vor allem
Kanäle rechtsextremer Kleinstparteien
wie „III. Weg“ oder der ebenfalls vom
Verfassungsschutz als rechtsextrem ein-
gestuften Gruppe „Freie Sachsen“, die
von Vertretern der rechtsextremen
Gruppierung „Pro Chemnitz“ sowie der
NPD als Organisation gegen die Corona-
Politik gegründet wurde.
Auf den Kanälen werden regelmäßig
Spaziergangstermine mitgeteilt, allein für
diesen Montag tauchen fast 80 Orte auf.
Veranstalter wollen diese Gruppierungen
gleichwohl nicht sein, weil sie Konse-
quenzen fürchten. „Jeder Bürger ist für
sich und sein Handeln selbst verantwort-
lich“ steht deshalb dort, während ein paar
Zeilen darüber der Aufzug vor Köppings
Haus bagatellisiert („friedliche Bürger“,
„nichts passiert“) und gegen Politiker
gehetzt wird. Da ist von Polizisten als
„Kretschmers Söldnern“ und „Milizen“
die Rede, die friedliche Bürger drangsa-
lierten, der Regierungschef wird als „Des-
pot“ und seine Regierung als „Regime“
bezeichnet. Dazu kommen Falschinfor-
mationen über eine angebliche Gefahr
durch Corona-Impfungen. AfD-Chef Tino
Chrupalla, der den Fackelmarsch vor
Köppings Haus als „unbedingt zu ver-
urteilen“ bezeichnet hatte, wurde im
Forum „Klappe halten“ empfohlen.
Sachsens Verfassungsschutz beobach-
tet die „Querdenker“-Szene mit zuneh-
mender Sorge. „Die Idee eines gewaltsa-
men Widerstands gegen demokratische
Regeln gehört inzwischen zu den typi-
schen Standardforderungen der Bewe-
gung der Corona-Leugner“, heißt es dort.
Und die Lage könnte sich nicht nur in
Sachsen weiter aufheizen, fürchtet Baden-
Württembergs Innenminister Thomas
Strobl (CDU). Die „Querdenker“-Bewe-
gung sei „gefährlich für unsere freiheitli-
che Demokratie, und sie wird noch
gefährlicher“. Sachsens Innenministerium
kündigte unterdessen an, Schutzmaßnah-
men zu verstärken – das gelte auch für
Politikerinnen wie Petra Köpping.
derte am Freitag einen sofortigen „Gastro-
Gipfel“ und warnte vor einem „flächende-
ckenden Restaurantsterben“. Die Grünen-
Fraktionsvorsitzende Julia Willie Hamburg
sprach von einer „unausgegorenen Kurz-
schlussreaktion“. Die Grünen plädieren
allerdings dafür, an der strikten Testpflicht
festzuhalten.
Die Landesregierung denkt derzeit aller-
dings noch grundsätzlicher über ihre 2-G-
plus-Strategie nach. Die neue Ausnahme-
regelung für dreimal geimpfte Personen sei
vermutlich nur ein „erster Schritt“ gewe-
sen, kündigte die Regierungssprecherin am
Freitag an. Aus Zuschriften wisse man von
„sehr viel Frust“ der Bürger. Die Belastung
für die Geimpften, die sich an alle Regelun-
gen hielten und trotzdem Tests vorlegen
müssten, mache die Landesregierung
„nachdenklich“. Der stellvertretende
Ministerpräsident Bernd Althusmann
(CDU) war zuvor bereits von 2 G plus
abgerückt: „Wenn doppelt und dreimal
Geimpfte gemeinsam mit Impfmuffeln bei
Kälte in der Schlange stehen, ist das nicht
Ausdruck einer effektiven Pandemiebewäl-
tigung.“
Auch in Rheinland-Pfalz sind Personen,
die eine Booster-Impfung erhalten haben,
von der 2-G-plus-Regelung ausgenommen
– ab dem ersten Tag der Auffrischimpfung.
Den Änderungen der Corona-Bekämp-
fungsverordnung zufolge, die der Minister-
rat des Landes am Freitag beschloss, gilt
seit Samstag eigentlich die 2-G-plus-Regel
in Innenräumen, wenn nicht dauerhaft
eine Maske getragen werden kann, also
etwa in Restaurants oder Fitnessstudios.
Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD)
begründete die Ausnahme für Personen
mit bereits erfolgter Auffrischimpfung
damit, dass der Booster den Impfschutz
enorm erhöhe. Generell ausgenommen in
Rheinland-Pfalz sind Kinder bis zwölf Jah-
re und drei Monate. Sie brauchen keinen
Test. Für Kinder von zwölf bis einschließ-
lich 17 Jahre gilt überall 3 G.
Anders als in Niedersachsen wurde in
Rheinland-Pfalz die Ausnahme für geboos-
terte Personen nicht mit einem Mangel an
Tests begründet. Vom zuständigen Landes-
amt für Soziales, Jugend und Versorgung
hieß es, aktuell gebe es zwar eine sehr hohe
Nachfrage nach Schnelltests, die Vorräte
des Landes seien aber „noch ausreichend,
um die Bedarfe der Teststellen im Bereich
der professionellen Testungen zu decken“.
Aufgrund eines ausgereiften Logistikkon-
zeptes könne das Land die Teststellen spä-
testens am folgenden Tag mit den
gewünschten Tests versorgen. Zudem stehe
es den Teststellen seit vergangener Woche
frei, sich Tests über eigene Beschaffungs-
wege zu besorgen und diese mit der Kas-
senärztlichen Vereinigung abzurechnen.
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Keine Kehrtwende in der Pandemiepolitik: FDP-Chef Lindner
FDP-Chef Lindner: Demut,
Geduld und Toleranz
Deutliche Zustimmung zum Koalitionsvertrag
Lt. BERLIN. Die FDP hat die Zustim-
mung zum Koalitionsvertrag mit SPD
und Grünen mit einer Rückschau auf
ihre programmatische Erneuerung ver-
bunden, die vor acht Jahren in jener Ber-
liner Veranstaltungshalle begonnen hat,
in der jetzt die Parteiführung zu einem
hybriden Parteitag zusammenkam, um
den Delegierten per Videoschaltung die
Inhalte des Koalitionsvertrages zu erläu-
tern. Der künftige Bundesjustizminister
Marco Buschmann sagte, nach dem
Scheitern der FDP an der Fünfprozent-
hürde bei der Bundestagswahl 2013 habe
auf einem Parteitag in jener Halle die
Reise der Freien Demokraten zurück in
die Regierungsverantwortung begonnen;
damals habe sich die Partei versprochen,
„an uns selbst zu arbeiten und Vertrauen
zurückzugewinnen“. Die Delegierten bil-
ligten das Koalitionsabkommen jetzt mit
einer Zustimmungsquote von 92,2 Pro-
zent.
Der FDP-Vorsitzende und künftige
Bundesfinanzminister Christian Lind-
ner warb für die Annahme des Koali-
tionsvertrages mit der Beteuerung, die
FDP werde „diese Koalition“ und ihr
Regierungshandeln prägen. Lindner
erinnerte daran, dass die FDP unter
seiner Führung vor vier Jahren Koali-
tionsgespräche mit Union und Grünen
zur Bildung einer Jamaika-Koalition
scheitern ließ. Damals habe sich abge-
zeichnet, dass in einem solchen Bünd-
nis nur wenig liberale Politik zu ver-
wirklichen gewesen wäre, sagte Lind-
ner. Damals begründete er das Ende
der Gespräche mit dem Satz, es sei bes-
ser, nicht zu regieren, als schlecht zu
regieren. Jetzt warb er für den Eintritt
in die Regierung mit SPD und Grünen
mit dem Satz: „Es ist besser, diese
Koalition zu wagen, als auf Gestal-
tungschancen zu verzichten.“
Lindner hob fünf Vorhaben im
Koalitionsvertrag hervor, welche die
Identität der Freien Demokraten in der
neuen Regierung kennzeichneten.
Zahlreiche Initiativen für ein besseres
Bildungssystem bewirkten „eine
Erneuerung des Aufstiegsversprechens
der Sozialen Marktwirtschaft“. Bei der
ökologischen Erneuerung der Wirt-
schaft setze die FDP Akzente, indem
private Initiative und privates Kapital
stärker einbezogen würden. Neue
Regelungen und stärkere Akzeptanz
für die Einwanderung qualifizierter
Arbeitskräfte seien gleichfalls ein
Anliegen seiner Partei, sagte Lindner;
er wolle „Einwanderung nach Deutsch-
land zu einem Erfolgskapitel machen“.
Auch bei der Digitalisierung von Staat
und Gesellschaft übernehme die FDP
Verantwortung und wolle dafür sorgen,
dass die öffentliche Verwaltung büro-
kratische Vorgänge in der digitalen
Welt erleichtere. Zuletzt wies der künf-
tige Finanzminister Lindner hin auf das
Versprechen seiner Partei, im Bund
„solide Finanzen“ zu gewährleisten.
Im Blick auf die kommende Regie-
rungsarbeit bat Lindner um „Demut,
SPD billigt Koalitionsvertrag
Neuköllner Linke gegen Vereinbarungen
oll. BERLIN. Als erste der drei beteilig-
ten Parteien hat die Berliner SPD den
rot-grün-roten Koalitionsvertrag gebil-
ligt. Bei einem digitalen Parteitag am
Sonntag stimmten 91,5 Prozent der
Delegierten für das Regierungspro-
gramm, das Sozialdemokraten, Grüne
und Linke für die kommenden fünf Jahre
ausgehandelt hatten. Es gab 227 Jastim-
men, 16 Neinstimmen und fünf Enthal-
tungen. Berlins SPD-Vorsitzende Fran-
ziska Giffey sieht in dem rot-grün-roten
Koalitionsvertrag eine gute Basis für die
kommenden fünf Jahre. Berlin solle wie-
der so stark werden, wie es vor der Coro-
na-Krise gewesen sei. Deshalb setze die
Koalition auf Unterstützung für die Wirt-
schaft, eine Einstellungsoffensive für
Polizei und Lehrer, die Fortsetzung der
Schulbauoffensive, auf eine funktionie-
Foto Jens Gyarmaty
Geduld und Toleranz“, wenn nicht alles
sofort und vollständig verwirklicht
werde. Er prophezeite, nicht nur werde
die FDP „diese Koalition prägen“, es
werde das Regierungshandeln auch
umgekehrt auf die Partei wirken. Die
FDP könne, anders als in ihrer bisheri-
gen Oppositionszeit, nun anderen „die
scharfkantige Rhetorik“ überlassen
und stattdessen selbst „einladender,
einvernehmlicher und verbindlicher
werden“. Die Partei habe nun auch die
Chance, ihre personelle Vielfalt durch
die Beteiligung an der Bundesregie-
rung stärker herauszustellen. Deutsch-
land werde von der neuen Regierungs-
koalition profitieren, beteuerte Lind-
ner, aber auch „die Freien Demokraten
können von dieser Verantwortung nur
profitieren“.
Neben Buschmann warben auch die
künftigen Minister Bettina Stark-Wat-
zinger (Bildung und Forschung) und
Volker Wissing (Verkehr und Digitales)
für das Koalitionsabkommen. Stark-
Watzinger sagte, in den Koalitionsver-
handlungen habe sich gezeigt, dass der
Stil und der Umgang miteinander
schon „eine gute gemeinsame Basis“
für die Regierungsarbeit seien. Der
Koalitionsvertrag biete „Durchbrüche“
auf Politikfeldern, die jahrzehntelang
vernachlässigt worden seien. Der stell-
vertretende FDP-Vorsitzende Johannes
Vogel, der Nachfolger Buschmanns als
Erster Parlamentarischer Geschäfts-
führer der FDP-Bundestagsfraktion
werden soll, sagte, die neue Bundesre-
gierung nehme die größte gesellschaft-
liche Modernisierung seit den Neunzi-
gerjahren, womöglich gar seit den
Siebzigerjahren des letzten Jahrhun-
derts in Angriff. Er führte Änderungen
beim Staatsangehörigkeitsrecht, bei
der Einwanderung und im Personen-
standsrecht sowie die Legalisierung des
Cannabisverkaufes an Volljährige an.
Der FDP-Vorsitzende Lindner nutz-
te das erste Drittel seines Auftritts zur
Erläuterung der Corona-Politik seiner
Partei in den zurückliegenden
Wochen. Er ging nicht im Einzelnen
darauf ein, dass die FDP im Verein mit
ihren künftigen Koalitionspartnern im
Oktober im Bundestag die bis dato
bestehende „pandemische Notlage“
nicht mehr verlängerte und stattdes-
sen andere Rechtsgrundlagen für Maß-
nahmen zur Bekämpfung des Corona-
virus verabschiedete. Lindner gestand
aber ein, die vergangenen Wochen
hätten gezeigt: „Das Virus ist unbere-
chenbar.“ Die neue Bundesregierung
müsse künftig eine Strategie verfol-
gen, die „konsequenter die Risiken
bekämpft und gleichzeitig mehr gesell-
schaftliche Freiheiten bewahrt“. Lind-
ner beteuerte, es „gibt keine Kehrt-
wende der FDP in der Pandemiepoli-
tik“. Er verlangte eine „offene Debat-
te“ über die Einführung einer Impf-
pflicht. Positionen der Befürwortung
wie der Ablehnung hätten gleicherma-
ßen ihre Berechtigung.
rende Verwaltung, mehr Wohnungsbau
und eine sichere, saubere Stadt. Der vor
knapp einer Woche vorgestellte Koali-
tionsvertrag sei für all das eine gute
Grundlage.
Die Grünen stimmen am 12. Dezem-
ber über den Koalitionsvertrag ab, die
Linke hat ihren Mitgliedern bis zum 17.
Dezember Zeit gegeben. Sollten alle Par-
teien zustimmen, könnte Giffey am 21.
Dezember zur Regierenden Bürgermeis-
terin gewählt werden. Bei einem digita-
len Parteitag am Samstag hat sich die
Parteispitze der Linken für den Koali-
tionsvertrag ausgesprochen, aber keine
Empfehlung für die Parteimitglieder
abgegeben. Die Neuköllner Linke will
dagegen stimmen, weil das wichtige
Stadtentwicklungsressort der SPD zuge-
fallen ist. (Kommentar Seite 8.)
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Der Herr
der Dinge
Olaf Scholz wird in dieser Woche wohl
zum Bundeskanzler gewählt. Er selbst hatte
das schon lange geplant, aber die Umstände
und die SPD waren lange gegen ihn.
Von Peter Carstens, Berlin
D
er Parteitag geht zu Ende. Die
Funktionäre im Willy-Brandt-
Haus applaudieren Olaf Scholz.
Einige von ihnen werden bald
seine Minister sein oder Staatssekretäre.
Von ihren Rechnern daheim schicken Digi-
taldelegierte Herzchen auf die Bildschirme
des SPD-Fernsehens. Es regnet also rosa
Herzchen, als Scholz sich noch einmal an
die Versammlung der Sozialdemokraten
wendet, die soeben dem Koalitionsvertrag
zugestimmt hat. 98,8 Prozent für den Ver-
trag. Und für ihn, Scholz.
Andere würden jetzt vielleicht eine Dan-
kesrede halten, für Rührung sorgen, selbst
gerührt sein. Scholz aber mag es, wenn er
den kurz angebundenen Hanseaten geben
kann. Und deswegen sagt er bloß einen
Satz: „Ja, und nun machen wir uns an die
Arbeit.“ Jubel der Funktionäre, rosarote
Herzchen auf den Bildschirmen. Der Son-
derparteitag der SPD am Samstag war kei-
ne große Hürde mehr auf dem langen Weg
des Hamburger Rechtsanwalts und Politi-
kers. Er war seiner Sache sicher, seit seine
widerspenstige Partei ihn im August vori-
gen Jahres zum Kanzlerkandidaten ausge-
rufen hat. Die Traditionspartei, die sich so
lange gegen ihn gewehrt hatte, versammel-
te sich am Ende hinter ihm, einig wie sel-
ten. Diese Geschlossenheit war, wie die
Union Ende September, von Schmerzen
gekrümmt, zugeben musste, ein Element
seines Wahlerfolgs.
In den Koalitionsverhandlungen hatte
Scholz dann seit Anfang Oktober eine
Atmosphäre von Fleiß und Freundschaft
verbreitet. Die SPD-Granden und die FDP,
anfangs noch zögerlich, machten mit. Am
Ende schienen selbst Esken und Lindner
einander zu mögen, Christian und Saskia.
Scholz war auf die Koalitionsverhandlun-
gen vorbereitet. Eigentlich seit etwa zwan-
zig Jahren. Geradezu ehrfürchtig wird aus
den vertraulichen Gesprächen berichtet,
wie die Spitzen von Grünen und FDP
jeweils drei Experten zu den einzelnen
Fachrunden dazubaten. Die SPD hingegen
habe stets mit demselben Quintett verhan-
delt, Experten waren nicht nötig – Scholz
wusste ja alles, jedenfalls fast. Seine
Mischung aus guter Vorbereitung, Formu-
lierungsgabe und Kompromissbereitschaft
erstaunte selbst jene, die ihn zu kennen
meinten. Sowohl Malu Dreyer, Ministerprä-
sidentin in Rheinland-Pfalz und jahrelang
mit ihm im Geschäft, sagte am Samstag vol-
ler Anerkennung, sie habe Scholz bei den
Verhandlungen noch einmal neu kennen-
gelernt. Lindner bewunderte öffentlich das
„innere Gerüst“, also die Haltung und Sou-
veränität, mit denen Scholz die Gespräche
zu einer Koalition führte.
Natürlich hatten nicht alle in der SPD die
Absicht, Scholz zur Kanzlerschaft zu ver-
helfen. Schon gar nicht in einer Koalition
mit den „gelben Nullen“, wie sie bei den
Jusos genannt wurden. Also den FDP-Poli-
tikern, die Olaf Scholz nun „Partner und
Freunde“ nennt und die für viele Jusos ein
Inbegriff des Gegnerischen sind. Oder
waren. Jetzt raspeln sie Süßholz, leicht ver-
giftet. Beim Parteitag verlieh die Juso-Vor-
sitzende Jessica Rosenthal der Hoffnung
Ausdruck, die FDP werde sich dereinst zur
Umverteilung bekennen. Kevin Kühnert,
jahrelang linker Wortführer der Groko-
und Scholz-Gegner, säuselte: „Das fühlt
sich gut an, das fühlt sich richtig an.“
Nächste Woche werde „Olaf“ zum Kanzler
gewählt, hurra.
D
abei hatten er, Esken und Nor-
bert Walter-Borjans wohl ande-
res im Sinn: Rot-Rot-Grün. Ent-
weder 2021 mit Scholz oder
beim nächsten Mal aus der Opposition
heraus, ohne Scholz. Ein „progressives
Bündnis“, so nannten sie es, das war ihr
Plan. Scholz hatte einen anderen. Und er
fand im Wahlkampf dafür den mächtigsten
Verbündeten, den man finden kann: das
Volk. Klingt pathetisch, stimmt aber trotz-
dem. Denn die Wähler bereiteten der Lin-
ken und damit dem Esken-Kühnert-Wal-
ter-Borjans-Projekt eine vernichtende Nie-
derlage. Schwer auszudenken, was Scholz
geblüht hätte, wäre eine Links-Koalition
rechnerisch möglich gewesen. Das Wahl-
ergebnis war ein Segen für Scholz. Und die
Union hatte ihm mit ihrer Last-Minute-
Kampagne gegen die Linke dabei noch
geholfen.
Aber das war nur einer von etlichen güns-
tigen Umständen, die einem Politiker
widerfuhren, der in seiner politischen Lauf-
bahn viele Niederlagen einstecken musste.
Lange war Scholz in der SPD einer der
unbeliebtesten Politiker. Vor bald zwanzig
Jahren erhielt er als Generalsekretär auf
einem Parteitag 52,58 Prozent der Stimmen,
das nahezu schlechtestmögliche Ergebnis.
Es war eine bittere Stunde für den jungen
Abgeordneten, der sich stets hinter die
Sozialreformen des Kanzlers Gerhard
Schröder gestellt hatte. Zuvor schon hatte
Scholz als Senator in Hamburg sein Amt
verloren, weil die SPD in der Hansestadt die
innere Sicherheit aus dem Blick verloren
hatte. Da wählten die Leute CDU und einen
populären Richter. Auch das war eine
Erfahrung, die den künftigen Kanzler bis
zur aktuellen Ressortverteilung geprägt hat:
Die SPD kann nur erfolgreich regieren,
wenn die Sicherheit der Bürger bei ihr gut
aufgehoben ist. Ein Grund, warum die
Sozialdemokraten nun sowohl das Verteidi-
gungsministerium als auch das Innenressort
besetzen. Auch da hat Scholz einen Plan.
Er ist auch das Ergebnis weiterer Nie-
derlagen. 2017 endete seine eigentlich
erfolgreiche Amtszeit als Erster Bürger-
meister in Hamburg mit einer politischen
Katastrophe, den Chaostagen rund um
den G-20-Gipfel. Damals stand Angela
Merkel Scholz bei, als sich alle auf ihn
stürzten. Er hatte das bevorstehende Tref-
fen der Weltpolitik und die zu erwarten-
den Gegendemonstrationen mit dem all-
jährlichen Hafenfest verglichen. Solche
sprachlichen Hochflüge entschlüpfen dem
angeblich so nüchtern kalkulierenden
Scholz gelegentlich. So hat er auch ver-
sprochen, ein Kabinett zusammenzustel-
len, von dem „alle begeistert“ sein würden.
Am Samstag versprach er „eine ganz neue
Anstrengung, eine ganz neue Kampagne“
zum Impfen bis Weihnachten. Der Krisen-
stabs-General Carsten Breuer sei beauf-
tragt worden, „damit das alles wie
geschmiert läuft“. Vom gegenwärtigen
Knirschen ist das weit entfernt. Anderer-
seits hat Scholz in der Krise bewiesen, dass
er durchschlagend handeln kann. Als es an
Impffläschchen und Zutaten mangelte,
schickte Scholz aus dem Finanzministe-
rium einen Organisator als „Sonderbeauf-
tragten für die Impfproduktion“, den er
bereits aus Hamburger Zeiten kannte.
Seither hat man von den besagten Pro-
blemen jedenfalls nichts mehr gehört.
Aus dem Finanzministerium heraus
organisierte er Milliardenhilfen für Wirt-
schaftsunternehmen. Manche bekamen
mehr, als sie jemals selbst hätten erwirt-
schaften können. Als sich in Europa die
Stimmung gegen Deutschland wendete,
weil das Land im Sommer 2020 abermals
auf Seiten der Krisengewinner zu stehen
schien, organisierte Scholz der Europäi-
schen Union Hunderte von Milliarden
Euro für Wiederaufbaufonds und Krisen-
management. Dass dabei europapolitische
Grundkonflikte um die „Schuldenunion“
weit in den Hintergrund rückten, ebenso
wie der innerparteiliche Streit um die deut-
sche Schuldenbremse, ebnete Scholz im
Wahlkampf und dann bei den Koalitions-
verhandlungen mit der FDP den Weg. Bei-
des waren Vorteile für seine Kanzlerkandi-
datur in einer Legislatur, die für Scholz
schwierig begonnen hatte.
Schon bei den Koalitionsverhandlun-
gen, die er und Andrea Nahles Anfang
2018 organisierten, lief es nämlich
schlecht. Die Partei rebellierte. Beim Bon-
ner Parteitag war Kühnert Anführer und
Star der No-Groko-Bewegung. Scholz’
Reputation war durch die G-20-Krawalle
beschädigt. Kühnert wollte nicht weiter
mit der Union verhandeln. Die Partei lieb-
te ihn dafür. Nahles peitschte die SPD auf
Regierungskurs. Mit ihr wollte Scholz sein
Projekt Kanzlerschaft angehen. Keine
anderthalb Jahre später war Nahles mit
Kraft und Nerven am Ende. Es war auch
Scholz’ Niederlage in einem zermürben-
den Grabenkrieg mit den Parteilinken um
Kühnert. Im Kampf um die Nahles-Nach-
folge wollte Scholz nicht antreten. Er ahn-
te, was kommen würde. Aber dann kandi-
dierten nur Leute aus Reihe drei und vier.
Die SPD, damals bei 13, 14 Prozent, wirkte
beklagenswert. Scholz kandidierte also
doch. Die Jusos machten Front gegen ihn,
an Rhein und Ruhr lief man dem pensio-
nierten Walter-Borjans nach, dem „Steuer-
Robin-Hood“. Die Partei blieb deprimiert,
da konnte Generalsekretär Lars Klingbeil
auf federnden Turnschuhsohlen noch so
viel Zirkus organisieren. Rund 85 Prozent
der SPD-Mitglieder lehnten Scholz als Par-
teivorsitzenden ab. Aber er hielt durch.
Hubertus Heil, Arbeitsminister und Weg-
gefährte, half, Kompromisse auszuhan-
deln. Am Ende blieb die Koalition
bestehen, entgegen den Sehnsüchten von
Walter-Borjans, Esken und dem Kühnert-
Lager. Für das Land war das von Vorteil.
Als Corona hereinbrach, hatte Deutsch-
land eine hart arbeitende Regierung und
keinen Wahlkampf. Glück auch für Scholz,
den Verlierer. Die SPD blieb in der Regie-
rung, Esken und Walter-Borjans konnten
Politik M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 3
Plötzlich Liebe: Olaf Scholz wird am Samstag im Willy-Brandt-Haus gefeiert. Foto Reuters
als Versöhner auftreten, Scholz rettete sei- fällen und politischer Arbeit zu begreifen leramt ausgebaut. Das Haus bot mit seinen spätestens, seit Scholz in der Corona-Krise
ne Karriere. schien denn als innere Notwendigkeit. Wer Kompetenzen über alle Ressorts bereits grünes Licht für Hunderte Milliarden Euro
Aber sein Ansehen und das seiner Partei sollte es denn im ganzen Land nach dem eine Machtfülle, die unter den Ministerien an Aufbauhilfen gab. Natürlich im Einver-
waren damals so gering, dass sich keiner Rückzug von Angela Merkel besser können ihresgleichen sucht. Seine rechte Hand nehmen mit der Kanzlerin. Wahrscheinlich
der Gegner, Grüne und Union etwa, die als er, Olaf Scholz? schon aus Hamburger Zeiten, Staatssekre- hat Merkel in ihren Kabinetten, nach dem
Mühe machten, ihren Wahlkampf gegen Als Arbeitsminister und dann als tär Wolfgang Schmidt, organisierte den G-20-Gipfel, in der Corona-Krise mehr für
die SPD zu richten. Erst als Annalena Baer- Finanzminister hat er aus nächster Nähe Betrieb hinter den Kulissen. Sein Sprecher Scholz getan, als für jeden potentiellen
bock ihre Chancen verspielte und Armin beobachten und studieren können, wie Steffen Hebestreit berichtete der Öffent- Unions-Kandidaten der vergangenen Jah-
Laschet von den eigenen Leuten zermürbt Merkel arbeitet. Selten hat sich ein Politi- lichkeit davon zuverlässig, bildreich, re. Als sie Scholz beim Zapfenstreich vori-
und mit einem Lachen am falschen Ort ker gründlicher auf das Amt vorbereitet als unermüdlich. Auch in Europa war der ge Woche alles Gute für seine Kanzler-
erwischt wurde, stiegen Scholz’ Aktien. der in Osnabrück geborene Hanseat. deutsche Finanzminister schon einer der schaft wünschte, schien sich alles so zu
Auch er trug politischen Ballast mit sich Scholz hat sein Ministerium zum Vizekanz- zehn wichtigsten Politiker. Das wusste man fügen, dass es ihr ganz recht ist.
herum. In seiner Zeit als Erster Bürger-
meister hatte auch Hamburg der Ausplün-
derung der Steuerkasse durch windige
Cum-ex-Geschäfte zumindest zugesehen.
Und im Wirecard-Skandal hatte die
Finanzaufsicht nicht nur gepennt, sondern
durch ein rabiates Vorgehen gegen die Ent-
decker des Milliardenbetrugs sogar noch
die Täter begünstigt. Ein Stoff für Minister-
Rücktritte, doch irgendwie auch zu kompli-
ziert – Scholz blieb praktisch ungeschoren.
Erst als er im Wahlkampf plötzlich obenauf
war, versuchte Laschet, daraus Munition
im Fernseh-Triell zu machen. Es war zu
spät, Laschets Angriffe wirkten hilflos, die
Munition explodierte ihm in den Händen.
Wieder Glück für Scholz, der die Angriffe
meistens kühl abwehrte.
E
in Vorteil war es auch, dass die
SPD-Linken in den Zeiten
schwacher Umfragen für den
Kandidaten zu geschwächt
waren, ihn zu attackieren. Als vor vier Jah-
ren Martin Schulz ins Straucheln geriet,
stürzten sich alle auf ihn wie ein Piranha-
Schwarm auf einen blutenden Schwimmer
im Fluss. Scholz hingegen blieb unbehel-
ligt, die Partei-Piranhas hatten ihre Zähne
lange verloren. So gelangte er ins offene
Wasser.
Am Samstag verherrlichten viele Redner,
allen voran Scholz selbst, diese verwobenen
Ereignisse zu einer Legende. Scholz trug sie
in seiner Rede vor: „Wir haben uns unterge-
hakt, wir wollten das schaffen, und wir, lie-
be Genossinnen und Genossen, wir haben
gewonnen.“ Das klang wie ein Kapitel aus
dem 2. Buch Mose über den Auszug aus
Ägypten. Scholz verglich den Zeitpunkt sei-
ner Wahl mit dem Antritt der legendären
Heute schon
SPD-Regierung von Willy Brandt und Wal-
ter Scheel (FDP) 1969 und versprach: „Ein
solcher Aufbruch soll uns wieder gelingen.“
Sodann rief er den sozialdemokratischen
Wahlerfolg von 1998 in Erinnerung, als er
zum ersten Mal in den Bundestag gewählt
an morgen denken.
worden sei und als unter Bundeskanzler
Gerhard Schröder auch „ein Aufbruch“
gewagt worden sei. Jetzt erlebe man erst
das dritte Mal in der Geschichte der Bun-
desrepublik, dass ein SPD-Kanzler das
Land führe. Mit sichtlicher Freude erinner-
te Scholz daran, wie es einer Handvoll
Sozialdemokraten gelungen sei, seine
bevorstehende Kandidatur wochenlang
geheim zu halten. Verschwiegenheit und
Liebe Ampel, wir freuen uns, dass die Nachhaltigkeit für die künftige
Vertrauen, das scheinen in der Legende die Bundesregierung eine wichtige Rolle spielen wird. Auch in der Kranken-
springenden Punkte zu sein. Klingbeil
blickte am Samstag in eine paradiesische und Pflegeversicherung ist sie unverzichtbar. Schon heute sorgt die
SPD-Zukunft: „Ein Wahlsieg reicht mir
nicht, wir wollen viele Wahlsiege“, sagte er. Private Krankenversicherung für die im Alter steigenden Ausgaben
Für den designierten Kanzler bedeutet
das zunächst einmal, gut zu regieren. Er vor – ganz ohne Staatszuschüsse. Das entlastet jüngere Generationen.
verfügt dazu über eine gewaltige Erfah-
rung. Als Anwalt, Abgeordneter, Innense-
Dieses Vorbild sollten noch viel mehr Menschen nutzen und sich mit
nator, Generalsekretär, Arbeitsminister, einer zusätzlichen Vorsorge absichern. Wir wünschen einen guten Start
Erster Bürgermeister, Finanzminister und
Vizekanzler ist allerlei zusammengekom- in die Regierungsarbeit – und einen schönen Nikolaustag.
men. Es scheint, als habe er sich lange vor-
bereitet. Jedenfalls können Zeitzeugen www.pkv.de/morgen
schon von Abendessen aus dem Jahre 2005
berichten, dass Scholz sich für einen der
allerfähigsten Politiker Deutschlands hielt.
Und wer immer es mit Scholz seit 2018 zu
tun bekam, gewann den Eindruck: Der
Mann will ganz nach oben. Wobei Scholz
selbst das weniger als Resultat von Glücks-
SE I TE 4 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284 Politik FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG

2,8 Millionen Euro Lehrgeld
Für Juristen und einandersetzungen von ihrem Zeugnis-
verweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
Krisenkommunikation Dieser Umstand war Heße und dem
obersten Kirchenrichter Günter Assen-
scheint dem Erzbistum macher bekannt, als die Staatsanwalt-
schaft das Ermittlungsverfahren im Früh-
Köln kein Geld zu jahr 2011 einstellte. Die Suspendierung
schade. Für Betroffene wurde daraufhin aufgehoben, und U.
kehrte als Krankenhausseelsorger nach
hat man weniger übrig. Wuppertal zurück. 2014 wurde er dort
stellvertretender Stadtdechant. 2018 roll-
Von Daniel Deckers te der von Erzbischof Rainer Maria Kardi-
nal Woelki mit der Sichtung aller „Altfäl-
le“ betraute Interventionsbeauftragte Oli-
ver Vogt den Fall wieder auf. Vogt, der
Dominikus Schwaderlapp hielt sich an
die ebenfalls des Medien- und Presse-
rechts kundige Münchner Kanzlei
Romatka. Dort entstanden jene Schrift-
sätze, mit denen sich die beiden Geistli-
chen gegen die Vorhaltungen der Kanzlei
WSW zur Wehr setzten, sie hätten in Aus-
übung ihres Amtes die damit verbunde-
nen Pflichten verletzt. Heße, seit 2015
Leiter des Erzbistums Hamburg, ließ
indes offiziell den Leiter der dortigen
Rechtsabteilung, Karl Schmiemann, auf
dessen Briefpapier für sich arbeiten.
Sollte es mit den Angaben des Erzbis-
tums seine Richtigkeit haben, dann wur-
beratungskosten von 43 000 Euro erstat-
tet“. So jedenfalls hat es Markus Hof-
mann, Woelkis Generalvikar und mitt-
lerweile Delegat von Weihbischof Rolf
Steinhäuser, der das Erzbistum in Abwe-
senheit Woelkis bis Aschermittwoch lei-
tet, am Samstag den Mitgliedern des
Kölner Kirchensteuer- und Wirtschafts-
rates vorgetragen. Aus freien Stücken
geschah dies nicht. Mehrere Mitglieder
dieses Rates hatten zuvor Aufklärung
über die Beträge verlangt, die im Erzbis-
tum bei dem Versuch angefallen waren,
die Veröffentlichung des Gutachtens der
Münchner Kanzlei WSW zu verhindern
Hofmann bezifferte die Gesamtkosten
dieser Operation nun mit 2,8 Millionen
Euro. Seinen Angaben zufolge entfielen
auf die „beiden Hauptgutachten“ der Kanz-
leien WSW und Gercke (Köln) etwa 1,27
Millionen Euro. Für „weitere rechtliche
Beratung“ wurden 588 000 Euro ausgege-
ben, also fast so viel wie für jedes der bei-
den Gutachten. Ein nicht unerheblicher
Teil dieser Summe kam nach Informatio-
nen der F.A.Z. der Kölner Kanzlei Höcker
zugute, die in der Vergangenheit des Öfte-
ren von der AfD mandatiert wurde. Der
größte Einzelposten in der offiziellen Dar-
stellung sind die Aufwendungen für „Kri-
Kretschmanns
Sorgen
rso. HEIDENHEIM. Eigentlich
braucht man für Digitalparteitage
keine Halle. Im Saal des Heiden-
heimer Kongresszentrums sitzen kei-
ne Delegierten, nur wenige Techni-
ker, das Tagungspräsidium und die
scheidenden und zur Wahl stehenden
Landesvorsitzenden. Immerhin auf
den 73 Jahre alten Ministerpräsiden-
ten Winfried Kretschmann ist in die-
sen Zeiten Verlass: Er kramt, als er
ins Kongresszentrum kommt, ein
Reclam-Bändchen von Hannah
Arendt aus der Aktentasche – das ist
ihm wichtig, weil ihm die Lektüre im

I
n der Welt der Strafverteidiger ist
der Düsseldorfer Anwalt Rüdiger
Deckers seit Jahrzehnten eine fes-
te Größe. Zu den Mandanten sei-
ner Kanzlei zählten einst der Formel-1-
Chef Bernie Ecclestone, der Bankier
Josef Ackermann und der Manager Tho-
mas Middelhoff, aber auch der ehemali-
ge Fußballprofi Christoph Metzelder, der
mittlerweile wegen Besitzes und Ver-
breitung von Kinderpornografie rechts-
kräftig verurteilt ist. Eines der jüngsten
Glieder in der Mandatskette ist indes
weit weniger prominent, aber potentiell
gefährlicher als die meisten anderen.
Denn bei dem katholischen Priester
Hans-Bernhard U. handelt es sich um
einen Mann, dem die Staatsanwaltschaft
Köln teils schwere sexuelle Übergriffe
auf insgesamt vier Mädchen im Kindes-
alter vorwirft. Nach Unterlagen, die der
F.A.Z. vorliegen, konnte sich U. aber
über Jahre hinweg des Wohlwollens füh-
render Geistlicher des Erzbistums Köln
sicher sein.
Laut der Anklageschrift der Kölner
Staatsanwaltschaft, die jüngst zum Auf-
takt der Hauptverhandlung gegen U. vor
der 2. Großen Strafkammer des Kölner
Landgerichts verlesen wurde, soll der
Mann sich unter anderem Anfang 2011 an
einem Mädchen vergangen haben. Zur
selben Zeit sann der Leiter der Hauptab-
teilung Seelsorge-Personal, der heutige
Hamburger Erzbischof Stefan Heße,
darauf, wie er den nach Missbrauchsvor-
würfen suspendierten Geistlichen umge-
hend rehabilitieren könne. U. war im
Frühjahr 2020 von drei Nichten wegen
sexuellen Missbrauchs angezeigt worden
und hatte im Oktober gegenüber Heße
„alles gesagt“. Damals war die Staatsan-
waltschaft Köln jedoch im Begriff, das
Ermittlungsverfahren einzustellen. Drei
Nichten hatten nach innerfamiliären Aus-
„Das ist keine Raketenwissenschaft“
Staatsanwältin kritisiert Hamburger Behörden in Cum-ex-Affäre / Von Matthias Wyssuwa, Hamburg, und Marcus Jung
Die Ausgangslage für die Sitzung des Parla-
mentarischen Untersuchungsausschusses
zur Cum-ex-Affäre in Hamburg war schon
speziell. Im Festsaal des Rathauses kamen
die Abgeordneten zusammen, um eine
Kölner Oberstaatsanwältin zu befragen,
die nicht nur zu den Fachleuten auf diesem
Feld gehört, sondern die im Rahmen ihrer
Ermittlungen vor wenigen Monaten
Durchsuchungen in Hamburg veranlasst
hatte. Das garantierte Spannung am Frei-
tagnachmittag. Und Anne Brorhilker ent-
täuschte nicht. In ruhigen Worten machte
sie mehrere Stunden lang in ihren Antwor-
ten klar, was sie von dem Verhalten der
Hamburger Behörden in der Cum-ex-Affä-
re rund um die Warburg-Bank hält. Kurz-
fassung: nicht viel.
Der Untersuchungsausschuss in Ham-
burg will herausfinden, warum die
Steuerverwaltung der Stadt bereit war, in
der Cum-ex-Affäre im November 2016
zunächst auf Steuerrückforderungen von
47 Millionen Euro von der Privatbank
Warburg zu verzichten. 2017, als es noch
einmal um 43 Millionen Euro ging, muss-
te sie erst vom Bundesfinanzministerium
angewiesen werden, das Geld einzufor-
dern. Es geht um die Frage, ob es politi-
sche Einflussnahme gab auf diese Ent-
scheidung der Steuerverwaltung. Damals
war der künftige Kanzler Olaf Scholz
noch Bürgermeister und der heutige Bür-
germeister Peter Tschentscher (beide
SPD) sein Finanzsenator. Beide bestrei-
ten jegliche Einflussnahme.
Dass es zwischen Scholz und Warburg-
Miteigentümer Christian Olearius
Gespräche gab in den entscheidenden
Wochen, ist bekannt, ein Papier der Bank
längst das Erzbistum verlassen hat, nahm
auch Kontakt zu den drei Betroffenen auf
und bot ihnen anwaltliche Unterstützung
der Kirche an. Diese mündete nun in das
Strafverfahren gegen U.
Sollten Heße und Assenmacher in dem
Hauptverfahren gegen U. wie geplant
Mitte Januar als Zeugen vernommen
werden, wäre dies ein Novum in der
Geschichte der juristischen Aufarbeitung
der Missbrauchsfälle in der katholischen
Kirche in Deutschland. Denn beide müss-
ten sich fragen lassen, wie es 2010/11 um
ihr Wissen hinsichtlich der Vorwürfe
gegen U. bestellt war. Das Erzbistum
Köln hat demnach gute Gründe, um sich
der Dienste eines erfahrenen Strafvertei-
digers zu versichern. Am Geld für eine
professionelle Verteidigung sollte es
jedenfalls nicht scheitern. Fachleute
schätzen den regulären Stundensatz
eines „Hochkaräters“ wie Deckers auf
400 bis 600 Euro. Bei zwanzig Verhand-
lungstagen einschließlich der Vorberei-
tung des Prozesses käme so eine Hono-
rarforderung zwischen 60 000 und 80 000
Euro zusammen: für den 70 Jahre alten
Beschuldigten etwa ein Jahreseinkom-
men, für das Erzbistum Köln ein Betrag
aus der sprichwörtlichen Portokasse.
Deckers ist indes nicht der einzige pro-
minente Jurist, der im Zuge der Miss-
brauchsaufarbeitung im Erzbistum in den
beiden vergangenen Jahren in Köln auf-
geboten wurde, um Mitarbeiter im best-
möglichen Licht erscheinen zu lassen.
Als die Münchner Kanzlei WSW über den
Winter 2019/20 hinweg mehrere Bistums-
verantwortliche mit ihren Erkenntnissen
über deren Umgang mit Missbrauchsfäl-
len konfrontierte, nahm der langjährige
Generalvikar Norbert Feldhoff die
Dienste der auf Medien- und Presserecht
spezialisierten Berliner Kanzlei Raue in
Anspruch. Der Kölner Weihbischof
zu dem Fall erreichte auch Tschentscher.
Die Bank argumentierte damals, der
steuerliche Sachverhalt sei noch nicht
ausermittelt, und bei Rückforderungen
sei die Existenz der Bank bedroht.
Warum die Hamburger Behörden offen-
bar dieser Argumentation folgten, ist für
Staatsanwältin Brorhilker aber nicht
nachzuvollziehen. 2016 hätte man es
machen können, sagte sie mit Blick auf
die Rückforderung, „2017 war die
Beweislage noch viel besser“.
Und wer sollte es besser wissen als Bror-
hilker? In der strafrechtlichen Verfolgung
der Cum-ex-Geschäfte nimmt sie eine
zentrale Rolle ein. Sie ist die führende
Ermittlerin in einem inzwischen mehrfach
personell ausgebauten Dezernat, das
behördenintern als „Cum-ex-Gruppe“
bekannt ist. Die Staatsanwälte ermitteln in
Dutzenden von Ermittlungskomplexen mit
mehr als 1000 Beschuldigten, darunter
namhafte Investoren und Spitzenmanager
aus deutschen und internationalen Ban-
ken. Dazu haben Brorhilker und ihre Kolle-
gen bereits mehrere Anklagen wegen
Steuerhinterziehung gegen Profiteure der
Aktienkreisgeschäfte rund um den Divi-
dendenstichtag erhoben.
Dass die Kölner im Vergleich zu anderen
im Cum-ex-Skandal ermittelnden Staats-
anwaltschaften überlegen sind, hat auch
mit einer strategischen Entscheidung der
früheren rot-grünen Landesregierung von
Nordrhein-Westfalen zu tun. Mit Grün-
dung der Ermittlungsgruppe Organisierte
Kriminalität und Steuerhinterziehung leg-
ten der damalige Finanzminister Norbert
Walter-Borjans und Innenminister Ralf
Jäger (beide SPD) die Basis für die engere
den „an drei Personen im Kontext eines und ein zweites Gutachten erarbeiten zu
dienstrechtlichen Verhältnisses Rechts- lassen.
Wegen der Aufarbeitung in der Kritik: Rainer Maria Kardinal Woelki
Verzahnung von Polizei und Steuerfahn-
dung. Ohne die Ressourcen des Landeskri-
minalamts in Düsseldorf oder der Fachleu-
te für Steuerstrafsachen aus Wuppertal
MORGEN IN hätte Brorhilker viele Ermittlungsansätze
TECHNIK UND MOTOR nicht verfolgen können.
So aber konnte sie zahlreiche Verneh-
mungen mit dem Wirtschaftsanwalt und
späteren Kronzeugen S. führen. Seine
Sicher verlegen Hinweise mündeten unter anderem in
Wie Corona-Intensivpatienten Durchsuchungen der Hamburger Privat-
transportiert werden
bank M.M.Warburg sowie bei deren Mit-
Souverän reduzieren eigentümer Christian Olearius. An der
Der kleine X-Bus fährt mit großen Elbe sind die Kölner Staatsanwälte regel-
Ambitionen vor mäßig für Razzien an Ort und Stelle. Im
Sommer kam es zu einer Razzia in den
Städtisch fahren Geschäftsräumen der einstigen Landes-
Der elektrische Renault Twingo für bank HSH Nordbank. Ende September,
Kurzstrecken unmittelbar nach der Bundestagswahl
und dem Wahlerfolg für die SPD, durch-
Schöner schenken suchten Beamte im Auftrag von Brorhil-
Ein digitaler Bilderrahmen von ker Geschäftsräume und Wohnung von
Aura Frames Johannes Kahrs, einst ein einflussreicher
SPD-Politiker. Gegen Kahrs besteht der
Kostenloses Probeabo:
Verdacht, dass er der Warburg-Bank
069 7591-3359; www.faz.net/probeabo geholfen haben soll, das aus den illegalen
Cum-ex-Geschäften erwirtschaftete Ver-
mögen behalten zu können. Auch Räume
der Finanzbehörde wurden durchsucht.
Zudem kann Brorhilker auf mehrere
abgeschlossene Verfahren verweisen.
Der Bundesgerichtshof bestätigte die
Urteile des ersten Cum-ex-Strafprozesses
Ende Juli 2020. Das Verfahren, das Bror-
hilker als Anklägerin maßgeblich voran-
trieb, endete mit Bewährungsstrafen für
zwei britische Börsenhändler. Zudem
ordnete das Gericht die Einziehung von
176 Millionen Euro an Vermögen der
nebenbeteiligten Warburg-Bank an. Kurz
senberatung“, unter anderem für eine
Mainzer Agentur namens Ewald & Rös-
sing, nach eigenen Angaben ein „führen-
des Beratungsunternehmen für Reputa-
tionskrisen“. Dieser Posten ist mit knapp
820 000 Euro dotiert.
Der Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat,
so hieß es am Samstag in einer Pressemit-
teilung, habe diese Zahlen „zur Kenntnis“
genommen – zumal das fast neunhundert
Seiten umfassende Gercke-Gutachten, das
angeblich in weniger als einem halben Jahr
erstellt wurde, demnach zu Stunden- oder
Tagessätzen erstellt worden wäre, die nach
Berechnungen von Fachkundigen für eine
namhafte Kanzlei ungewöhnlich niedrig
wären. In das Gesamtbild einzupassen
wären zudem auch die Aufwendungen für
die Zahlungen an einen bestens bezahlten
Kommunikationsdirektor, der 2020 bei
Woelki in Ungnade fiel, weil er den Kurs
der Bistumsleitung nicht mehr guthieß. Mit
der langjährigen Justiziarin wiederum liegt
das Erzbistum derart im Streit, dass die
Sache beim Kölner Arbeitsgericht liegt.
Auch dabei geht es um die Aufarbeitung
des Missbrauchs.
Der Darstellung seiner Pressestelle
zufolge bedauerte Hofmann die „hohen
Kosten der Aufarbeitung“. Man habe
juristisch und publizistisch Neuland betre-
ten und dafür Lehrgeld gezahlt. Dieses
stammt den Angaben zufolge nicht aus
Kirchensteuermitteln, sondern aus einem
Sondervermögen der Diözese, das in den
vergangenen Jahrzehnten aus Abgaben
von Klerikern gebildet worden sei. Aus
diesem Fonds seien bisher auch die Zah-
lungen an die Betroffenen von sexueller
Gewalt im Erzbistum Köln bestritten wor-
den. Deren Höhe gab Hofmann mit knapp
1,5 Millionen Euro an. Für künftige Zah-
lungen hat das Erzbistum nach seinen
Worten eine Rückstellung in Höhe von
Foto dpa sechs Millionen Euro gebildet.
darauf erging das erste Strafurteil gegen
einen Warburg-Banker. Das Landgericht
Bonn verurteilte einen ehemaligen
Generalbevollmächtigten von Warburg
wegen schwerer Steuerhinterziehung zu
fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe. Die
Warburg-Bank hat zwar mehr als 155
Millionen Euro Steuerforderungen der-
weil beglichen, will das aber nicht als ein
Schuldeingeständnis verstanden wissen.
So haben auch die Aussagen Brorhilkers
im Hamburger Untersuchungsausschuss
ganz besonderes Gewicht, auch wenn sie
immer wieder zumindest im öffentlichen
Teil der Befragung Antworten verweigert –
mit Verweis auf die laufenden Ermittlun-
gen. Aber die Verwunderung über den Ver-
zicht der Hamburger Finanzverwaltung
wird auch im öffentlichen Teil hinreichend
deutlich, zumal der Fall ja bereits straf-
rechtlich begleitet worden sei. Brorhilker
war während der Ermittlungen offensicht-
lich bald klar, dass man es mit illegalen
Geschäften zu tun hatte. Sie könne nicht
nachvollziehen, wie man da Zweifel haben
könne. „Das ist keine Raketenwissen-
schaft.“ Auch die Rücksichtnahme auf
finanzielle Interessen und die Lage der
Bank sei für sie nicht nachvollziehbar. Ihr
wäre es neu, dass ein Finanzamt darauf
Rücksicht nehme, dass jemand seine Ein-
kommensteuer nicht zahlen könne, weil er
gerade im Urlaub war. „Ich muss eigentlich
alle Steuerpflichtigen gleichbehandeln.“
Das alles macht freilich die Frage umso
dringlicher, ob es dann eine politische Ein-
flussnahme auf die Entscheidung gegeben
hat. Auch das wird Brorhilker gefragt. Sie
verweist auf die laufenden Ermittlungen –
und schweigt.
22. Monat der Pandemie Halt gibt,
wie er sagt. Ihn beschäftige die Fra-
ge, was aus der Demokratie werde,
wenn immer mehr Bürger sich Mei-
nungen aufgrund von Fake News bil-
deten, einige sich radikalisierten und
sogar Fackelaufmärsche organisier-
ten. Kretschmann hat dazu Textstel-
len bei Platon und Arendt entdeckt.
Er glaube, das Phänomen werde nach
der Pandemie nicht verschwinden.
Für den Parteitag war eine Debatte
darüber erwartet worden, wie die
Grünen die Nachfolge Kretschmanns
regeln wollen: ob die Partei, die
Fraktion oder die Mitglieder das Ver-
fahren bestimmen sollen – oder ob
man 2026 in die Landtagswahl gehen
will, ohne, wie jüngst Angela Merkel,
rechtzeitig einen Nachfolger
bestimmt zu haben. Die Diskussion
hatte Lena Schwelling vor dem Par-
teitag entfacht: „Zentrale Aufgabe“
ihrer Amtszeit mit dem Ko-Vorsit-
zenden Pascal Haggenmüller werde
die Kür eines Spitzenkandidaten
oder einer Spitzenkandidatin für
2026 sein. Dieser Prozess werde noch
in diesem Jahr beginnen. Die Kreis-
verbände und auch die Abgeordne-
ten beschäftigt diese Frage.
In Heidenheim beendet der grüne
Patriarch die Debatte abrupt: Wenn
es seine Gesundheit erlaube, werde
er bis 2026 weiterregieren. Er habe
den Bürgern das Versprechen gege-
ben, sich erst „zum Wandern“
zurückzuziehen, wenn er seine Ver-
pflichtungen erfüllt habe, nämlich
den Klimaschutz voranzubringen
und die Legislaturperiode erfolg-
reich zu beenden. Weder der 33 Jahre
alte Haggenmüller noch die 29 Jahre
alte Schwelling sprechen die Nach-
folgefrage in ihren Bewerbungsreden
an. Ihre Zurückhaltung begründen
sie nach ihrer Wahl damit, dass die
Grünen ja „den Luxus“ hätten, sich
mit dieser Frage noch Zeit lassen zu
können. Der Parteilinke Haggenmül-
ler wird mit 89,5 Prozent zum Lan-
desvorsitzenden gewählt, die Reala
Schwelling bekommt 77,8 Prozent.
Deren Ergebnis fällt auf diesem Par-
teitag schlechter aus, weil die Partei-
linken es im Südwesten derzeit bes-
ser verstehen, Mehrheiten zu organi-
sieren. Im neuen Parteirat – dem
erweiterten Landesvorstand –
wächst der Einfluss einer jüngeren
Politikergeneration, die durch die
Grüne Jugend geprägt ist. Anders als
2019 schafft es dieses Mal der Frak-
tionsvorsitzende und mögliche Kret-
schmann-Nachfolger Andreas
Schwarz in den Parteirat. Vor drei
Jahren hatten ihn die Delegierten
durchfallen lassen und damit den
zweitwichtigsten grünen Landespoli-
tiker beschädigt. Der Europa-Staats-
sekretär und Kretschmann-Vertraute
Florian Hassler, wie Schwarz ein
Ober-Realo, schaffte den Einzug in
den Parteirat hingegen nicht. Damit
dürfte das siebzehnköpfige Gre-
mium, das die Bildung der zweiten
grün-schwarzen Koalition fast ver-
hindert hätte, für Kretschmann wei-
ter ein Ort des linken Widerspruchs
bleiben.
Fast alle Redebeiträge der per
Video zugeschalteten Delegierten
und Kandidaten greifen die Wörter
„Handwerk“ und „ländlicher Raum“
auf. Die Grünen wissen: Dauerhaft
bleiben sie nur stark, wenn sie mehr
sind als eine urbane Akademikerpar-
tei. Ein Thema beschäftigt die Grü-
nen auf dem von der Pandemie
geprägten Parteitag ebenso: Durch
Kretschmanns Werben für eine allge-
meine Impfpflicht zeigen anthropo-
sophisch orientierte Mitglieder der
Partei gerade verbittert die unge-
impfte Schulter.

Frankfurter Zeitung
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FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Wie Putin Biden testet
Vor dem virtuellen Gipfel
weist der amerikanische
Präsident rote Linien
zurück. Er erwartet ein
langes Gespräch.
Von Majid Sattar,
Washington
N
och bevor das Weiße Haus
das virtuelle Treffen der Prä-
sidenten Amerikas und
Russlands offiziell ankün-
digte, richtete Joe Biden eine Botschaft
an Wladimir Putin: Seine Regierung sei
seit Langem über das russische Vorge-
hen im Bilde. Er erwarte, dass er eine
lange Unterredung mit Putin haben
werde, sagte er, bevor er am Freitag-
abend zu seinem Wochenendsitz nach
Camp David aufbrach.
Auf die Frage, ob er dessen „rote
Linie“ akzeptiere, dass die Ukraine nicht
Mitglied der NATO werden dürfe, sagte
Biden, er akzeptiere von niemandem rote
Linien. Er ließ so offen, was der Kreml
genau fordert. Denn Moskaus Forderun-
gen gehen über Kiews Perspektiven
hinaus: Sie beinhalten einen Ausschluss
jeder neuerlichen NATO-Osterweite-
rung und einen Verzicht auf die Statio-
nierung von Waffensystemen in russi-
schen Nachbarländern.
Am Samstag teilte das Weiße Haus
dann mit, Biden und Putin würden am
Dienstag ein vertrauliches Videoge-
spräch führen und ein breiteres Spek-
trum von Themen ansprechen: die „stra-
tegische Stabilität“, also Fragen der Rüs-
tungskontrolle, Cybersicherheit, ein The-
ma, dessen Dringlichkeit Biden schon
bei Gipfel mit Putin im vergangenen
Sommer in Genf hervorgehoben hatte,
sowie „regionale Themen“. Sprecherin
Jen Psaki äußerte, der Präsident werde
seine Besorgnis über die militärischen
Aktivitäten Russlands an der Grenze zur
Ukraine bekräftigen und abermals versi-
chern, dass die Vereinigten Staaten die
Souveränität und die territoriale Integri-
tät der Ukraine unterstützten.
Biden selbst hatte zuvor deutlicher
formuliert: „Was ich jetzt tue, ist, das
nach meinem Dafürhalten umfassendste
und bedeutsamste Bündel an Initiativen
zusammenzustellen, um es Herrn Putin
sehr, sehr schwer zu machen, weiter
voranzuschreiten und das zu tun, worü-
ber die Menschen besorgt sind, das er
tun könnte.“ Außenminister Antony
Blinken hatte zuvor während einer
Europareise, die auch ein Treffen mit
dem russischen Außenminister Sergej
Lawrow umfasste, von wirtschaftlichen
Sanktionen gesprochen. Biden schien
darüber hinauszugehen. Es geht darum,
die Kosten für eine neuerliche russische
Intervention zu erhöhen.
Blinken hatte schon vor der Begeg-
nung mit Lawrow in Stockholm, wäh-
rend des NATO-Außenministertreffens
in Riga, davon gesprochen, Washington
Heikler Handschlag
Emmanuel Macron trifft saudischen Kronprinzen / Flugzeugdeal mit Emiraten
mic. PARIS. Trotz amerikanischer
Bedenken ist der französische Präsident
Emmanuel Macron am Samstag in der
Hafenstadt Dschidda zu Gesprächen mit
dem saudischen Kronprinzen Moham-
med bin Salman zusammengetroffen.
Macron ist der erste westliche Staatschef,
der seit der Ermordung des Journalisten
Jamal Khashoggi 2018 Saudi-Arabien
besucht. Er akzeptierte, dass die Presse
nur eingeschränkten Zugang erhielt. Auf
einer Pressekonferenz am Flughafen in
Dschidda versicherte Macron den mitrei-
senden Journalisten aber, dass er ohne
Tabu über alles mit dem Kronprinzen
gesprochen habe. „Wir haben natürlich
die Frage der Menschenrechte anspre-
chen können. Das war ein direkter und
hoffentlich wirkungsvoller Austausch.
Die nächsten Wochen und Monate wer-
Wichtiges in Kürze
Mitgliederbefragung über
CDU-Vorsitz begonnen
Der neue CDU-Vorsitzende führt nach
Ansicht von Unionsfraktionschef Ralph
Brinkhaus die Partei nicht automatisch in
die nächste Bundestagswahl. Bei der
aktuellen Wahl des CDU-Chefs falle kei-
ne Vorentscheidung über den nächsten
Kanzlerkandidaten, sagte er den Zeitun-
gen der Funke-Mediengruppe. Neben
dem Außenpolitiker Norbert Röttgen
bewerben sich der geschäftsführende
Kanzleramtschef Helge Braun und der
ehemalige Unionsfraktionschef Friedrich
Merz um die Nachfolge Armin Laschets
als CDU-Chef. Erstmals sollen die rund
400 000 CDU-Mitglieder in einer Befra-
gung eine Vorentscheidung über den
künftigen Vorsitzenden treffen. Diese
startete am Samstag. dpa/Reuters
Klare Ansage an Wladimir Putin: Der amerikanische Präsident Joe Biden am
Freitag vor der Abreise auf seinen Landsitz Camp David
verfüge über Beweise für Pläne Mos-
kaus, „bedeutsame aggressive Züge
gegen die Ukraine“ zu unternehmen.
Washington wisse nicht, ob Putin die
Entscheidung getroffen habe, in die
Ukraine einzumarschieren. Man wisse
aber, dass er seine Streitkräfte in die
Lage versetze, dies zu tun. Inzwischen ist
klar, worauf sich der Außenminister
bezog. Am Freitag berichtete die Zei-
tung „Washington Post“ mit Bezug auf
nachrichtendienstliche Informationen,
dass der Plan des Kremls einen Mehr-
frontenangriff mit bis zu 175 000 Sol-
daten umfasse; dieser könne schon
Anfang nächsten Jahres stattfinden.
Die Zeitung zitierte einen anonymen
Regierungsvertreter und verwies auf
freigegebene Erkenntnisse der Nach-
richtendienste, unter anderem auf die
Satellitenbilder. Diese Bilder zeigten
Truppenansammlungen an vier Orten.
Gegenwärtig seien 50 Kampfbataillone
sowie schweres Gerät, Panzer und
Geschütze eingesetzt. Der Plan sehe
eine Ausweitung auf bis zu 100 Kampf-
bataillone vor. Fachleute äußern die
Einschätzung, dass die ukrainischen
Streitkräfte einem solchen Angriff
wenig entgegenzusetzen hätten. Das
Pentagon wollte sich nicht weiter zu
dem Bericht äußern. Im Verteidigungs-
ministerium zeigte man sich jedoch
„zutiefst besorgt“.
Die Ukraine befürchtet einen baldi-
gen Angriff Russlands: „Der wahr-
scheinlichste Zeitpunkt zur Eskala-
tionsbereitschaft ist Ende Januar“, sagte
der ukrainische Verteidigungsminister
Oleksi Resnikow. Nach Einschätzungen
den zeigen, ob wir bei dem Thema voran-
kommen.“ Er wies den Vorwurf zurück,
dass er Salman legitimiere. Die diversen
Krisen in der Region könnten nicht
dadurch gelöst werden, dass Saudi-Ara-
bien ignoriert werde. Der amerikanische
Präsident Joe Biden hatte im Februar
einen Geheimdienstbericht freigegeben,
der Salman schwer belastet. Khashoggi
war im Oktober 2018 im saudi-arabischen
Konsulat in Istanbul verschwunden. Sei-
ne Leiche ist bis heute nicht aufgefunden
worden. Khashoggi hatte in der Washing-
ton Post regelmäßig kritische Berichte zu
Salmans Vorgehen veröffentlicht.
Macron sagte, er habe mit Salman auch
über die Lage im Libanon beraten. Riad
und Paris wollten das libanesische Volk
unterstützen und sich für eine bessere
Versorgung mit Energie und Lebensmit-
Palästinensischer Attentäter
in Jerusalem erschossen
Israels Ministerpräsident Naftali Ben-
nett hat am Sonntag zwei Polizisten ver-
teidigt, die am Vortag einen palästinen-
sischen Attentäter im besetzten Ostteil
Jerusalems erschossen hatten, als er
bereits am Boden lag. Der Mann aus
dem Westjordanland hatte nahe dem
Damaskustor einen Juden mit Messer-
stichen verletzt und die Grenzpolizisten
attackiert. Bennett nannte das Verhalten
der Polizisten „beispielhaft“. cmei.
Militärfahrzeug rast in
Myanmar in Kundgebung
In Myanmar sind am Sonntag in der frü-
heren Hauptstadt Yangon mehrere Men-
Politik
Foto AP
Kiews habe Russland derzeit mehr als
94 000 Soldaten an der ukrainischen
Grenze zusammengezogen. Die ameri-
kanische Seite geht von derzeit 70 000
Soldaten aus. Blinken hatte in der ver-
gangenen Woche mit Blick auf 2014
davon gesprochen, dass man das Dreh-
buch des Kremls kenne.
Seinerzeit hatte Moskau nach dem
Sturz des russlandfreundlichen Präsi-
denten Viktor Janukowitsch die Krim
annektiert und in der Ostukraine inter-
veniert, wo es Separatisten unterstützte.
Blinken äußerte in der vergangenen
Woche, wie damals plane Moskau, die
Ukraine von innen zu destabilisieren
und militärisch gegen das Land vorzu-
gehen. Er warnte daher auch Kiew,
Moskau keinen Vorwand für eine Inter-
vention zu liefern. Gleichzeitig stellte
das Weiße Haus klar, dass die Provoka-
tionen von Moskau ausgingen – und
nicht von Kiew oder von Washington.
Was Putins rote Linie betrifft, sagte Psa-
ki, es seien die NATO-Mitglieder, die
darüber entschieden, wer Mitglied des
Bündnisses werde – und nicht Russland.
So sei das Verfahren immer gewesen.
Und so werde es bleiben.
Nach dem außenpolitischen Debakel
in Afghanistan sieht sich Biden einem
Test Putins ausgesetzt. Moskau stört
Washingtons neue China-Strategie:
Putin wies einst Barack Obamas Bemer-
kung, Russland seine bloß eine Regio-
nalmacht, als Respektlosigkeit zurück.
Nun richtet er die Botschaft an Biden:
Wenn dieser glaube, nur noch China sei
eine strategische Herausforderung für
Amerika, dann täusche er sich.
teln einsetzen. Thema sei auch der Atom-
streit mit Iran gewesen. Macron sagte, es
dürfe keine Atomwaffen in Iran geben,
aber auch keine kurzfristige Eskalation.
Der Dialog mit Saudi-Arabien als größ-
tem der Golfstaaten sei eine Notwendig-
keit. Saudi-Arabien ist der größte Kunde
französischer Waffenexporte. Zuvor hatte
Macron in den Vereinigten Arabischen
Emiraten einen Vertrag über 80 Kampf-
flugzeuge des Typs Rafale bekannt gege-
ben. Er rühmte den „größten Exportauf-
trag für das Kampfflugzeug“. Zudem kau-
fen die Emirate von Airbus zwölf takti-
sche Mehrzweckhubschrauber des Typs
Caracal. Weiter seien Investitionen der
Emirate in die französische Industrie im
Bereich Raumfahrt, Transport und erneu-
erbare Energie im Umfang von zehn Mil-
liarden Euro vereinbart worden.
schen getötet und verletzt worden, als
ein Militärfahrzeug in einen Protestzug
raste und die Soldaten danach das Feuer
auf die Demonstranten eröffneten.
Nachrichtenagenturen berichteten von
mindestens fünf Toten und einer unbe-
kannten Zahl von Verletzten. fäh.
Papst warnt vor einem
„Schiffbruch der Zivilisation“
Papst Franziskus hat einen größeren
Einsatz für Flüchtlinge und Migranten
gefordert. Während des Besuchs eines
Aufnahmelagers auf der griechischen
Insel Lesbos mahnte er am Sonntag, kei-
ne neuen Mauern in Europa zu bauen.
Es dürfe keinen „Schiffbruch der Zivili-
sation“ geben. „Migration ist ein Welt-
problem, eine humanitäre Krise, die alle
angeht“, sagte er in Mytilini. epd
Eine Präsidentin für Frankreich?
Valérie Pécresse orientiert sich an Merkel und Thatcher / Von Michaela Wiegel, Paris
Ist Frankreich reif für eine Präsidentin?
Valérie Pécresse, die Überraschungssie-
gerin der Vorwahlen von Les Républi-
cains (LR), der Schwesterpartei von
CDU/CSU, will es glauben. „Ich kann
Emmanuel Macron schlagen“, sagte sie
am Sonntag dem „Journal du Dimanche“.
Am Samstag ist die 54 Jahre alte Präsi-
dentin der Hauptstadtregion Île-de-Fran-
ce unter dem Jubel der Anhänger nomi-
niert worden. Sie setzte sich in der Mit-
gliederabstimmung mit 60,95 Prozent der
Stimmen gegen den Abgeordneten Éric
Ciotti (39,05 Prozent) vom Rechtsaußen-
Flügel der Partei durch.
Die Partei von Republikgründer Charles
de Gaulle hat seit 1958 unzählige Male
ihren Namen gewechselt, aber noch nie
eine Frau ins Rennen um den Élysée-Pa-
last geschickt. „Gemeinsam können wir es
schaffen“, sagte Pécresse. „Die bürgerliche
Rechte ist wieder da!“ Ihr gelang, was
François Fillon nach seinem Vorwahlsieg
2016 nicht geglückt war: Alle unterlege-
nen Präsidentenanwärter versammelten
sich zum Gruppenfoto um sie. In der lange
von personellen Machtkämpfen zerrisse-
nen Partei kam diese Geschlossenheit
einem kleinen Wunder gleich.
Aber wird die Einheit von Dauer sein?
Pécresse hat entschieden, dass ihre erste
Reise als Präsidentschaftskandidatin an
diesem Montag in den Wahlkreis Ciottis
im Süden Frankreichs führt. Das ist ein
geschickter taktischer Zug, denn Marine
Le Pen und Éric Zemmour haben gleich
am Sonntag begonnen, die „enttäuschten
Wähler Ciottis“ zu umwerben. Ciotti hatte
versprochen, die Armee in sozialen Brenn-
punktvierteln im Kampf gegen Rausch-
gifthandel und Kriminalität einzusetzen
und ein französisches Guantánamo für
Terroristen zu begründen. Er sagte, Frank-
reich stehe in einem Zivilisationskrieg
gegen den Islamismus und verteidigte die
These, dass Frankreich einen Bevölke-
rungsaustausch erlebe.
Pécresse steht vor der Herausforderung,
diesen Teil der Mitglieder nicht zu Le Pen
und Zemmour abwandern zu lassen. Sie
machte sofort deutlich, dass sie Zemmours
revisionistische Thesen ablehnt, dass der
Nazi-Verbündete Philippe Pétain seinerzeit
die Juden geschützt habe. Das Dorf Saint-
Martin-Vésubie, das sie mit Ciotti besucht,
verkörpere „das mutige Frankreich, das sei-
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nen Werten treu bleibt“. Saint-Martin-Vé-
subie ist als „Ort der Gerechten unter den
Völkern“ ausgezeichnet worden, weil
Bewohner dort im Zweiten Weltkrieg
Juden versteckten und retteten.
„Es ist nicht nötig, extremistisch zu
sein, um in die Offensive zu gehen. Es ist
nicht nötig, beleidigend zu werden, um zu
überzeugen“, sagte Pécresse nach ihrem
Vorwahlsieg. Das war eine klare Anspie-
lung auf Zemmour, der einer Frau in Mar-
seille einen Stinkefinger gezeigt hatte.
„Angsteinflößer waren noch nie wirksam
in ihren Taten“, sagte sie. Die für nächstes
Wochenende geplante Großkundgebung
ließ sie aufgrund der zunehmenden Coro-
na-Fälle absagen: „Wir sind die Partei der
Verantwortung“, sagte sie.
Kandidatin: Valérie Pécresse Foto Imago
Zugleich teilte Pécresse gegen den
„Zickzack-Präsidenten Macron“ aus, der
„gefallen will, statt zu handeln“. Sie ging
mit der „unverantwortlichen Schulden-
politik“ der Ära Macron zu Gericht.
Macron habe „die Reserven verbrannt“. Er
werde den künftigen Generationen die
Probleme Frankreichs überlassen, kriti-
sierte sie. Als „Erbschaft“ zählte sie Schul-
den, Außenhandelsdefizit, Steuerlast,
einen ausgelaugten Staatsdienst und eine
chronische Autoritätskrise auf. Sie wolle
Frankreich wieder „reparieren“.
Als Vorbilder hat die 54 Jahre alte frü-
here Hochschul- und Forschungsministe-
rin und Haushaltsministerin der Ära Sar-
kozy Angela Merkel und Margaret That-
cher genannt. Sie sei zu zwei Drittel Mer-
kel und zu einem Drittel Thatcher, zitier-
te sie das Nachrichtenmagazin „Le
Point“. In ihrem Werdegang und ihrem
Auftreten gibt es wenig Gemeinsamkei-
ten mit der scheidenden Bundeskanzle-
rin. Aber sie spielt geschickt mit der
Sehnsucht vieler Franzosen nach einer
gelassenen Amtsführung ohne großes
Brimborium, wie sie Merkel verkörperte.
Ähnlich wie Merkel in ihren Anfängen
ist Pécresse lange unterschätzt worden.
Als sie 2015 antrat, die Hauptstadtregion
mit einem Jahreshaushalt von fünf Milliar-
den Euro zu erobern, wurde sie auch von
Parteifreunden verspottet. Nie werde es
der Kandidatin in „Faltenrock und Haar-
reif“ gelingen, die jahrzehntelange Herr-
schaft der Sozialisten zu brechen, höhnte
ihr sozialistischer Gegner Claude Bartolo-
ne. Pécresse’ Wahlkreis liegt in der frühe-
ren Königsstadt Versailles. Die Mutter von
drei Kindern schloss sich den Demonstra-
tionen gegen die Homo-Ehe an, was sie
später in der Zeitschrift „Elle“ als „Partei-
disziplin“ bezeichnete. Das war der Hin-
tergrund, warum Bartolone sie als
„Bauchtänzerin für die Le Pen-Wähler“
angriff. Er hielt ihr auch vor, sie stehe für
„Versailles, Neuilly und die weiße Rasse“.
Bartolone verlor die Wahl, und es war
Pécresse, die die prachtvolle Amtsvilla im
7. Arrondissement von Paris verließ und
den Regionalrat an den sozialen Brenn-
punkt Seine-Saint-Denis verlegte.
Im Juni 2021 wurde sie bei den Regio-
nalwahlen im Amt bestätigt. Präsident
Macron hat sich das Ergebnis genau ange-
schaut. Kam er im April 2017 in der Haupt-
stadtregion noch auf den Spitzenplatz, hat
Pécresse seine Partei im Juni klar in die
hinteren Ränge verwiesen. Sie erhielt im
ersten Wahlgang 28,63 Prozent, während
Macrons Kandidat nur auf 11,81 Prozent
kam. „Valérie Pécresse ist eine Bedrohung
für Emmanuel Macron“, sagt Bruno Jean-
bart vom Institut Opinionway. Sie erneuere
das Bild, das sich viele von der Partei
Jacques Chiracs und Nicolas Sarkozys
gemacht hatten. „Sie ist eine noch relativ
junge Frau in einer konservativen Partei,
die Frauen nie sehr viel Platz eingeräumt
hat. Sie verkörpert eine lokale Verwurze-
lung, die Macron nie gelungen ist.“
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SE I TE 6 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284 Die Gegenwart FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG

F
ast hundert Jahre ist es her, dass Demokratie. Ihm gelang es so, über den
der nationalliberale Politiker
Gustav Stresemann deutscher
Außenminister der Weimarer
Republik wurde und den
damals unerhörten Versuch unternahm,
nicht zuerst die eigenen nationalen Interes-
Auf den Schultern Tellerrand seiner eigenen nationalen
Position hinwegzusehen und die Blickwei-
se seiner französischen Partner zu verste-
hen. Damals war das vor allem Frank-
reichs Bedürfnis nach Sicherheit – nach
zwei deutschen Invasionen innerhalb

sen zum Ausgangspunkt seiner Verhand-
lungen zu machen, sondern die seines
schwierigsten Gegners: Frankreich. Eine
gute Strategie auch für die Gestaltung der
deutschen und (hoffentlich) europäischen
Außenpolitik in einer Zeit großer Verschie-
bungen der Machtachsen der Welt.
Die englische Sprache kennt eine aus-
gesprochen schöne Redewendung. Sie
lautet „Standing on the shoulders of
giants“ und ist in Großbritannien in den
Rand der Zwei-Pfund-Münze geprägt.
Auf Deutsch übersetzt: „auf den Schul-
tern von Riesen stehend.“ Es ist ein
Gleichnis, das auf fast poetische Weise
erwecken, sie habe keine eigenen Interessen und keinen eigenen Willen, war auch die seine.
gleichzeitig Stolz und Demut zum Aus-
druck bringt: den Stolz auf die Leistun-
gen der Vorgänger, in deren Nachfolge
man steht, und die Demut vor ihren
Errungenschaften, ohne die das eigene
Tun gar nicht möglich wäre. Solche
„Riesen“ und ihre Werke finden sich
auch in der Politik, besonders in der
Außenpolitik.
Das beeindruckendste Beispiel dafür ist
der Aufbau eines geeinten Europas. Nur
wenige Jahre nach den Verwüstungen des
Zweiten Weltkriegs luden Staatsmänner
aus Frankreich, Italien und Benelux
Deutschland dazu ein, ein gemeinsames
Europa aufzubauen. Sie müssen „außen-
politische Riesen“ gewesen sein, denn es
waren wir Deutschen gewesen, die eben
noch mordend und brandschatzend durch
Europa gezogen waren. Die Bürgerinnen
und Bürger dieser Länder dürften die Idee,
ausgerechnet mit uns ein neues und friedli-
von Riesen
weniger Jahrzehnte. Der Bruch mit dem
säbelrasselnden Wilhelminismus eröffne-
te schließlich neue Wege – hin zu den Ver-
trägen von Locarno und zur Aufnahme
Deutschlands in den Völkerbund.
Es war dieser Mut zur Gestaltung, gegen
den Hass und die Hetze des politischen
Nur zwei deutsche Staatsmänner sind bislang mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet Chauvinismus, der ihm die höchste Ehre
einbrachte: 1926 wurde Gustav Strese-
worden: zuletzt der Sozialdemokrat Willy Brandt, zuerst der nationalliberale Gustav mann zusammen mit seinem französischen
Amtskollegen Aristide Briand der Frie-
Stresemann. Brandts Maxime, die deutsche Außenpolitik dürfe nicht den Anschein densnobelpreis verliehen. Dieser Mut
machte Gustav Stresemann zu einem poli-
tischen Riesen der deutschen Geschichte.
Fast hundert Jahre später wird die neue
Bundesregierung diesen Mut dringend
Von Sigmar Gabriel benötigen. Diese Weltordnung im Wandel
ist für uns denkbar unbequem geworden.
Deutschland und Europa wirken außen-
politisch wie aus dem Nest gefallen – und
auf dem harten Boden der Realpolitik
gelandet. Wo bei uns häufig von „wertege-
leiteter Außenpolitik“ die Rede ist, geht es
um uns herum längst wieder um harte In-
teressenpolitik – um politische Dominanz,
um ökonomische Ressourcen und auch um
militärische Kontrolle. Das sind alles Diszi-
plinen, die nicht unbedingt zu den Kern-
kompetenzen Europas gehören. Das mag
sympathisch sein. Aber es wird uns in den
kommenden Jahren nicht weiterhelfen,
wenn es um die Wahrung unserer eigenen
Interessen geht. Denn Sympathie ist nicht
die Währung, in der gezahlt wird, wenn
sich die unmittelbare Nachbarschaft Euro-
pas strategisch neu sortiert.

ches Europa aufzubauen, nicht ohne große
Zweifel und Misstrauen aufgenommen
haben, vielleicht auch mit Ablehnung.
Dennoch gingen Männer wie der aus
Luxemburg stammende Franzose Robert
Schuman oder der Italiener Alcide de Gas-
peri dieses Wagnis ein. Aber nicht mal ein
Menschenleben lang brauchte es, um aus
erbitterter Feindschaft und Völkermord
Partnerschaft und Freundschaft entstehen
zu lassen. Und weniger als eine Generation
hat es gedauert, um von Auschwitz nach
Brüssel zu gelangen. Das zeigt, wozu Men-
schen und Völker in der Lage sind, wenn
sie es nur wollen – und eine politische Füh-
rung haben, die Mut besitzt.
Zu den außenpolitischen Riesen
gehört ganz zweifellos auch der 1929 ver-
storbene Gustav Stresemann. Zusammen
mit dem Sozialdemokraten Friedrich
Ebert zählt der nationalliberale Reichs-
kanzler und Außenminister zu den wohl
bedeutendsten Staatsmännern der Wei-
marer Republik. Und wie damals, so
bestimmen auch heute wieder die Bezie-
hungen zwischen Staaten und Regionen
der Welt unseren Alltag, unser Wohlerge-
hen und die Zukunft unserer Kinder weit
mehr als das, was uns im Alltäglichen der
Innenpolitik umtreibt. Denn wie es der
historische Zufall will, fällt das Ende der
Ära von Angela Merkel zusammen mit
einer fast schon tektonischen Verschie-
bung der Machtachsen der Welt.
Rund sechs Jahrhunderte bildete Euro-
pa das Zentrum der Welt – im Guten wie
im Schlechten. Nach der Entdeckung
Amerikas wurde der Atlantik das Gravi-
tationszentrum der Welt, denn durch ihn
verliefen die wichtigsten Handels- und
Wirtschaftsachsen ebenso wie in ihrer
Folge die zen-tralen politischen und mili-
tärischen Machtachsen. Forschungsrei-
sen nahmen hier ebenso ihren Anfang
wie der Kolonialismus und die Sklaverei
in der westlichen Hemisphäre. Die Ideen
der Aufklärung hatten hier ebenso ihren
Ausgang wie zwei Weltkriege.
Diese Europazentriertheit der Welt ist
unwiderruflich zu Ende und mit ihr die
Pax Americana, die fast 80 Jahre lang die
Grundlage erst der westlichen Weltord-
nung und nach dem Fall des Eisernen Vor-
hangs der globalen Weltordnung gewesen
nur, weil die Parteien und Kandidaten
nicht darüber gestritten hätten. 300 Minu-
ten lang sind die drei Kandidaten für das
Kanzleramt gemeinsam befragt worden,
ganze 15 Minuten lang ging es um die
Außenpolitik – und hier nur um das Thema
Afghanistan.
Diese Bilanz spricht Bände: Wir Deut-
sche nehmen die Welt immer noch mehr
aus dem Augenwinkel wahr als dass wir sie
in die Mitte unserer Perspektive stellten. Zu
gut waren die zwei, drei zurückliegenden
Jahrzehnte. Denn Deutschland war und ist
der große Gewinner der jüngsten Welle der
Globalisierung. Doch das Wohlstandsmo-
dell, das auf der Industrialisierung der Welt
beruht, droht durch die Rückkehr der Geo-
politik massiv unter Druck zu geraten.
Lange Zeit stand die Geoökonomie im
Vordergrund. Das Ziel war ja gerade, die
politischen Einflüsse der einzelnen Natio-
nen und Regionen zurückzudrängen, damit
die weltweiten Waren- und Gütermärkte
möglichst ohne Einschränkungen ihre öko-
mann ungemein wertvoll: Denn Strese-
mann war entschlossen, die Balance der
deutschen Außenpolitik neu zu justieren.
Dafür brauchte es den Mut, außenpoliti-
sche Zielsetzungen nicht den innenpoliti-
schen Erwartungshaltungen zu unterwer-
fen. Das kann man von Stresemann lernen:
Außenpolitik muss zwar den nationalen
Interessen eines Landes folgen. Aber sie
darf nie nur reiner Reflex der Innenpolitik
sein – und sich noch weniger im Hochhal-
ten eigener moralischer Wertvorstellungen
erschöpfen. Wer die Außenpolitik im
Wesentlichen als Ableitung innenpoliti-
scher Demarkationslinien versteht, der
verspielt den Spielraum, den die Außen-
politik und die Diplomatie brauchen, um
Verständigungen zu erzielen.
Für Außenpolitik ist die Fähigkeit unab-
dingbar, sich zuerst in die Schuhe des ande-
ren zu stellen. Nicht um dessen Haltung zu
übernehmen geht es, sondern um zu ver-
stehen, warum Verhandlungspartner ande-
re Interessen, Erfahrungen und Ziele ver-
direkten europäischen Wurzeln mehr
haben wird, sondern afrikanische, latein-
amerikanische oder asiatische. Diese
Erkenntnis ist einer der Gründe für die
massiven innenpolitischen Auseinander-
setzungen. Vor allem aber blickt dieses
neue Amerika nicht mehr in gleicher Weise
auf Europa, wie es das alte getan hat.
Wer mit China, dem anderen Giganten
der Weltpolitik, angemessen umgehen will,
der darf in diesem Land nicht nur eine Dik-
tatur und eine technologische Gefahr
sehen, sondern muss zugleich den Respekt
dafür aufbringen, dass die kommunistische
Führung 800 Millionen Menschen aus bit-
terster Armut befreit hat – eine Armut, von
der die Chinesen nicht zu Unrecht glauben,
dass sie auch ein Ergebnis der Kolonialge-
schichte und der Ausbeutung Chinas durch
den heutigen Westen war. Unsere Rede von
der westlichen Wertegemeinschaft stößt
deswegen oft – da aus chinesischer Sicht
zynisch – auf Ablehnung.
naler Sportereignisse wie der Fußball-
Weltmeisterschaft 2022 von selbst geöffnet
hat. Wer Qatar jetzt etwa durch Boykott-
aufrufe in die Isolation treiben will, der
gefährdet die bislang erreichten Fortschrit-
te und betreibt, ob gewollt oder ungewollt,
die Fortsetzung der Politik Donald Trumps
in Verbindung mit Saudi-Arabien.
Wir werden also in dieser komplizierte-
ren Welt des 21. Jahrhunderts, in der wir
noch eine ganze Weile nach einer neuen
und verlässlichen globalen Ordnung
suchen müssen, eher mehr Empathie –
oder sagen wir besser: ein größeres Ver-
ständnis – für die aufbringen müssen, mit
denen wir auf diesem Planeten zurecht-
kommen müssen.
Genau das tat Stresemann: Er wollte in
seiner Zeit nicht länger Ideologie und
Wunschdenken zur Grundlage seiner Poli-
tik machen, vor allem nicht den post-impe-
rialistischen Phantomschmerz. Statt politi-
sche Lebenslügen fortzuschreiben, wagte
er eine vorbehaltlose, realistische Analyse
D
er amerikanisch-chinesische
Antagonismus stürzt die
deutsche Außenpolitik in
schmerzhafte Interessen-
konflikte: Die USA bleiben
der wichtigste Verbündete Deutschlands,
der nicht zuletzt für unsere Sicherheit
garantiert. China hingegen ist seit Jahren
der wichtigste Handelspartner Deutsch-
lands – eine Art „frenemy“, also politischer
Gegner auf der einen Seite und ökonomi-
scher Partner auf der anderen.
Längst sind viele deutsche Branchen
und Unternehmen abhängig von dem riesi-
gen Markt im Reich der Mitte, der von der
chinesischen KP noch immer rigoros poli-
tisch gesteuert wird. Dieses Dilemma wird
sich zuspitzen. Denn der Druck wächst,
dass Deutschland sich zwischen den Groß-
mächten entscheidet. Für die maximal glo-
balisierte deutsche Exportwirtschaft wäre
das der worst case.
Es gibt demnach genug Gründe, um sich
einzumischen. Nicht nur für die deutsche
Außenpolitik, sondern vor allem für eine
zu entwickelnde europäische Außenpoli-
tik. Den Anspruch, ein geopolitischer
Machtfaktor zu sein oder wenigstens zu
werden, hat niemand so offensiv formuliert
wie die derzeitige EU-Kommissionspräsi-
dentin Ursula von der Leyen. Die Fort-
schritte auf diesem Weg sind allerdings
überschaubar.
Am deutlichsten wird dies auf dem Feld
der Verteidigungspolitik. Man findet kaum
jemanden, der nicht als Gipfelpunkt Euro-
pas die Notwendigkeit einer europäischen
Armee formuliert. Doch die Lücke, die
zwischen Anspruch und Realität klafft, ist
gewaltig. Ehe man etwa große Pläne für
eine europäische Armee schmiedet, wäre
es zum Beispiel ganz hilfreich, wenn der
Bundestag das Freihandelsabkommen mit
Kanada ratifizierte. Mit fadenscheinigen
ideologischen Gründen halten Teile der
SPD sowie Grüne und Linke die EU seit
fünf Jahre davon ab, mit einem Land ein
Handelsabkommen zu schließen, das euro-
päischer ist als mancher europäische Mit-
gliedstaat.
Europas globale Attraktivität beruht auf
der Bedeutung seines Binnenmarktes und
der daraus erwachsenen Soft Power. Des-
wegen muss es seine Stärken weiter aus-

war. Mittlerweile lebt nicht nur mehr als
die Hälfte der Menschheit in Asien. Auch
nahezu die Hälfte des Weltsozialprodukts
wird inzwischen dort erarbeitet – Tendenz
steigend. Und schon heute besitzen fünf
asiatische Staaten Atomwaffen. Das ist der
Grund, warum die Vereinigten Staaten
sich mehr und mehr auf diese Region kon-
zen-trieren. In Amerika herrscht schon
lange der Eindruck vor, dass das Land
„imperial overstretched“ sei und nicht
mehr die Kraft habe, die wirtschaftlich
führende Nation zu sein und gleichzeitig
die globale „liberal order“ aufrechtzu-
erhalten. Die USA wollen daher ihre Kraft
auf den neuen globalen Akteur China kon-
zentrieren und sich dafür aus vielen Berei-
chen zurückziehen, in denen sie bisher
Verantwortung übernommen haben.
Für Europa hat das dramatische Konse-
quenzen, wie der Abzug aus Afghanistan
gezeigt hat. Vor allem aber entsteht dort,
wo sich die USA zurückziehen, kein Vaku-
um. Der Raum, den die Amerikaner im
Nahen und Mittleren Osten verlassen, wird
umgehend von Russland, der Türkei, Chi-
na, Iran und eine ganze Reihe anderer
autoritärer Staaten gefüllt. Das demokra-
tische Europa dagegen ist weitgehend
Zuschauer und gerät schon durcheinander,
wenn ein Despot in Weißrussland mit Dul-
dung seines großen Bruders versucht, die
Europäische Union durch organisierten
Menschenhandel mit ein paar tausend
Flüchtlingen unter Druck zu setzen.
So bedeutend für die neue Bundesregie-
rung innenpolitische Themen auch sein
werden, so wird sie sich vor allem außen-
und europapolitisch bewähren müssen.
Der Bundestagswahlkampf war dafür kein
gutes Vorzeichen. Die Lage der Welt oder
auch nur Europas hat vor dem 26. Septem-
ber keine Rolle gespielt. Und dass nicht
nomische Wirkungsmacht entfalten könn-
ten. Jetzt erleben wir eine Gegenbewe-
gung: Nach der Öffnung der Grenzen fra-
gen nun zunehmend Menschen danach, wo
eigentlich die Grenze der Öffnung liegt.
Mehr noch: Um politischen Einfluss und
Macht zurückzugewinnen sind Menschen
und Staaten sogar bereit, wirtschaftliche
Nachteile in Kauf zu nehmen. Der Brexit
ist dafür nur ein Beispiel.
Wenn unser Wohlstandsmodell bisher
vor allem auf offenen Märkten und dem
Vorrang der Geoökonomie beruht hat,
dann ist die Rückkehr der Geopolitik für
Europa und insbesondere Deutschland mit
hohen Risiken verbunden. Für uns jeden-
falls war die EU bislang ein Vorwand, um
sich aus der Konflikten der Welt weitge-
hend herauszuhalten. Zu oft hatten vor
allem wir Deutsche die Welt in Brand
gesteckt, als dass wir uns noch für Geopoli-
tik interessiert hätten. Deshalb verließen
sich Europa und vor allem Deutschland bei
den schwierigen Fragen der Welt ein biss-
chen auf die Franzosen und die Briten als
Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, vor allem
aber auf die Vereinigten Staaten von Ame-
rika. Die aber orientieren sich jetzt neu.
Ob im Außenministerium, im Bundes-
kanzleramt oder im Zusammenspiel der
Bundesregierung oder dem Europäischen
Rat: Außenpolitik bekommt eine ganz
neue Bedeutung. Mehr denn je ist der Mut
zur realistischen Standortbestimmung, zur
selbstkritischen Analyse und zur kontro-
versen öffentlichen Debatte darüber not-
wendig. Vor allem brauchen wir den Mut
zur Strategie! Und damit sind wir bei Gus-
tav Stresemanns Außenpolitik.
Natürlich ist Berlin nicht Weimar. Und
die Welt zu Beginn der 21. Jahrhunderts ist
wahrlich anders als hundert Jahre zuvor.
Trotzdem ist der Blick auf die Ära Strese-
folgen, als man selbst sie für richtig hält.
Erst aus dem gegenseitigen Verstehen und
Respektieren des anderen erwächst außen-
politischer Spielraum für Verständigung.
Aktuell heißt das zum Beispiel zu verste-
hen, warum Polen auf die Zukunft der
Europäischen Union anders blickt als wir
Deutschen: Hierzulande trägt der Begriff
der Nation immer auch etwas Bedrohliches
in sich, weswegen die Forderung nach den
„Vereinigten Staaten von Europa“ schnell
auf der Zunge liegt. In Polen ist Nation ein
Synonym für Freiheit. Die Preisgabe dieser
eben erst errungenen Nationalstaatlichkeit
zugunsten eines politisch überfrachteten
Europabegriffs ruft dort bestenfalls Kopf-
schütteln hervor. Denn eine eigene und
freie Nation sein zu dürfen, dafür haben
Polen seit rund 200 Jahren kämpfen müs-
sen – meist auch gegen uns Deutsche.
Diese erfahrungsgestützte Mentalität zu
verstehen heißt nicht, in dem aktuellen
Konflikt der PiS-Regierung mit der EU auf
der Seite Polens zu stehen. Aber Geogra-
phie und Geschichte des anderen Landes
in den eigenen Blick zu nehmen kann hel-
fen, mehr strategische Geduld aufzubrin-
gen. Geographie und Geschichte bestim-
men auch heute noch den Blick der Völker
auf die Gegenwart.
Das zu wissen, hilft nicht nur innerhalb
Europas. Das gilt umso mehr für die weit
kompliziertere Welt außerhalb der Gren-
zen unseres Kontinents. Wer von den Ver-
einigten Staaten unter Joe Biden nicht ent-
täuscht werden will, der muss verstehen,
dass sich die Amerikaner nicht aus Arro-
ganz oder Desinteresse von Europa abwen-
den, sondern weil dieses Land sich mitten
in einem gewaltigen Veränderungsprozess
befindet. Die Zeit ist nicht mehr lange hin,
dass die Mehrzahl der Bürgerinnen und
Bürger der Vereinigten Staaten keine
D
as gilt auch für kleinere Län-
der wie zum Beispiel Qatar.
Es ist schon erstaunlich, wie
selbstgerecht wir Deutsche
und Europäer über dieses
kleine Land reden. Es gäbe genügend real-
politische Gründe, mit diesem Land
freundlich umzugehen, denn es ist einer
der wenigen verlässlichen Partner in einer
Region, die ansonsten vor allem von Insta-
bilität, Fundamentalismus und Rivalität
geprägt ist. Ganz nebenbei: Qatar hat uns
Deutschen geholfen, Hunderte unserer
Staatsbürger aus Afghanistan auszufliegen,
als die Bundeswehr dazu schon nicht mehr
in der Lage war. Und die Kritik, dass die
islamistische Hamas ihren Sitz in Doha hat,
unterschlägt, dass sich das Emirat von
Qatar auf Bitten der Vereinigten Staaten
bereit erklärt hat, die Hamas aufzuneh-
men. Ebenso ist Qatars Hauptstadt Doha
auf Bitten der USA der Verhandlungsort
für die Gespräche des Westens mit den
Taliban.
Jenseits der harten realpolitischen In-
teressen gibt es aber noch mehr Gründe,
um bei der Beurteilung anderer Länder
unseren eigenen Maßstäbe nicht immer
absolut zu setzen, sondern zugleich den
Weg in den Blick zu nehmen, den andere
bereits hinter sich haben. So sind die Ver-
hältnisse auf dem qatarischen Arbeits-
markt für ausländische Arbeitnehmer nicht
im Ansatz mit europäischen Maßstäben
vergleichbar und bedürfen deutlicher Ver-
besserungen. Aber die Fortschritte, die das
Land insbesondere beim Thema Arbeit-
nehmerrechte und Arbeitsschutz gemacht
hat, sind nach Auffassung der Internatio-
nale Arbeitsorganisation (ILO) und des
Menschenrechtskommissars der Vereinten
Nationen nur möglich gewesen, weil sich
das Land mit der Ausrichtung internatio-
der außenpolitischen Lage Deutschlands –
auch und gerade, wenn dies der innenpoli-
tischen Debattenlage widersprach. Für ihn
ging es darum, die Verhältnisse anzuerken-
nen, ohne sich mit ihnen abzufinden.
Für Stresemann war es vor allem der
mörderische Antagonismus mit dem ver-
meintlichen „Erbfeind“ Frankreich, der
Fortschritte in der Außenpolitik fast
unmöglich machte. Der Außenminister
wagte mit einem neuen strategischen
Gesamtkonzept der „Verständigungspoli-
tik“ einen unerhörten Paradigmenwech-
sel: Statt auf Konfrontation und Krieg
setzte er auf Verträge und Verständigung,
auf den „Frieden am Rhein“. Nicht mehr
Panzer und Pickelhaube sollten Deutsch-
lands Stellung als Großmacht in Europa
durchsetzen, sondern seine enorme wirt-
schaftliche Stärke.
Dabei wusste Stresemann Idealismus
und Interesse durchaus zu verbinden:
Natürlich ging es ihm um den Frieden mit
Frankreich und um die Zusammenarbeit in
Europa. Aber es ging ihm auch darum, die
negativen Folgen des Weltkrieges für
Deutschland so weit wie möglich zu revi-
dieren. Im Kern bedeuteten diese Pläne
übrigens auch eine Revision der deutschen
Ostgrenze zulasten Polens – einen Aspekt,
den wir gerade nach den Erfahrungen der
antipolnischen Politik der Weimarer
Republik und der Nationalsozialisten
sicher sehr kritisch beurteilen müssen.
Stresemanns Blick richtete sich gen
Westen, weil er in der Aussöhnung mit
Frankreich die eigentliche Bedingung für
Frieden und die wirtschaftliche Erholung
Deutschlands sah. Stresemann war einen
langen politischen Weg gegangen – vom
stramm nationalistischen „Falken“ im
Kaiserreich hin zum sogenannten „Ver-
nunftrepublikaner“ in der deutschen
bauen. Dazu müssen nicht nur der Binnen-
markt vertieft und die Gemeinschaftswäh-
rung wetterfest gemacht werden. Überdies
muss der Green Deal dazu genutzt werden,
um die Infrastruktur zu modernisieren.
Nicht fehlen darf auch eine gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik. Die ist die
Voraussetzung dafür, gemeinsame militäri-
sche Fähigkeiten aufzubauen.
Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron hat den ausgezeichneten Vor-
schlag gemacht, einen europäischen
Sicherheitsrat zu bilden. Der wäre gewiss
sinnvoller als die Einrichtung eines natio-
nalen Sicherheitsrats in Deutschland. Nur
mit einem stärkeren Europa werden wir in
der anstehenden Neuordnung der Welt
eine Rolle spielen. Gelingt uns das nicht,
werden wir mit einer G-2-Welt konfron-
tiert sein, in der die zwei großen Antipoden
USA und China die Spielregeln vorgeben.
Nur ein einigeres Europa wird daraus
wenigstens eine G-3-Welt machen können.
Der Blick auf Gustav Stresemann und sein
politisches Lebenswerk sollte uns motivie-
ren, Außenpolitik mit den Mut zur Gestal-
tung zu betreiben. Denn wir dürfen uns
nicht darauf beschränken, der Welt zu
erklären, was wir alles nicht wollen.
◆ ◆ ◆
Der Verfasser war von November 2009 bis März
2017 Bundesvorsitzender der SPD und von
Dezember 2013 bis März 2018 Außenminister
der Bundesrepublik Deutschland. Heute ist er
Geschäftsführender Vorstand der Atlantik-Brü-
cke e.V. Dem Essay liegt eine Rede zugrunde,
die am 12. November vor der Stresemann-Ge-
sellschaft in Mainz gehalten wurde.
Gerhard Richter, War Cut, 2002, fotografiertes
Detail des abstrakten Bildes Nr. 648-2 von 1987
© Gerhard Richter 2021
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Fünf Tote
in Wohnhaus
gefunden
dpa. KÖNIGS WUSTERHAUSEN.
Der Anruf ging am Samstag kurz vor
Mittag bei der Polizei ein. Nachbarn
hatten in einem Einfamilienhaus im
Ortsteil Senzig von Königs Wusterhau-
sen (Brandenburg) leblose Personen
gesehen. Die Beamten fanden wenig
später fünf Tote – die Bewohner des
Hauses, unter ihnen drei Kinder im
Alter von vier, acht und zehn Jahren,
wie die Staatsanwaltschaft Cottbus
und die Polizeidirektion Süd mitteil-
ten. Die beiden Erwachsenen seien
40 Jahre alt gewesen. Demnach wie-
sen die Leichen Schuss- und Stichver-
letzungen auf. Am Sonntag gingen die
Fahnder nicht von einem außenste-
henden Verdächtigen aus. „Es gibt der-
zeit keinen Tatverdacht gegen eine
dritte Person“, sagte Oberstaatsanwalt
Gernot Bantleon am Sonntag. „Es gibt
keinen Haftbefehl gegen jemanden.“
Die Ermittlungen gingen in alle Rich-
tungen. Nach Angaben der Polizei
werden Anwohner und Bekannte aus
dem näheren Umfeld der Toten
befragt. Laut „Bild“ fanden die Ermitt-
ler einen Abschiedsbrief. Die Toten
werden von der Rechtsmedizin unter-
sucht. Königs Wusterhausen liegt süd-
östlich von Berlin im brandenburgi-
schen Landkreis Dahme-Spreewald
und hat knapp 40 000 Einwohner.
Vulkan wird zur
„Todeszone“
fäh. SINGAPUR. Nach dem Aus-
bruch des Vulkans Semeru auf der
indonesischen Insel Java hat sich die
Zahl der Opfer auf 13 erhöht. Mindes-
tens 98 Anwohner wurden verletzt,
darunter zwei schwangere Frauen. Die
meisten von ihnen erlitten Verbren-
nungen, wie die Katastrophenschutz-
behörde am Sonntag berichtete. Die
Rettungsarbeiten wurden erschwert,
weil durch den Ausbruch eine wichtige
Verbindungsbrücke zerstört und meh-
rere Straßen blockiert worden waren.
Aus dem Umfeld mehrerer Bergwerke
unterhalb des höchsten Gipfels der
Insel konnten die Rettungskräfte etwa
zehn eingeschlossene Arbeiter be-
freien. Mindestens neun Menschen
wurden aber noch vermisst. In dem
Gebiet sind mehr als 900 Personen aus
ihren Häusern geflohen.
Der Ausbruch am Samstag hatte die
Behörden überrascht. Der Leiter der
Geologiebehörde im Energie- und
Ressourcenministerium, Eko Budi
Lelono, sagte der Nachrichtenagentur
Antara, es gebe womöglich einen
Zusammenhang mit den schweren
Regenfällen in den Tagen davor. Dem-
nach brachte der Regen einen Teil des
Kraters zum Einsturz, wodurch eine
Eruption ausgelöst wurde. Zuvor habe
es keine Hinweise auf eine stark
erhöhte Aktivität des Vulkans gege-
ben. Der 3676 Meter hohe Vulkan hat-
te am Samstag gegen 14.20 Uhr begon-
nen, Lava und heiße Asche zu speien.
Einige der heißen Lavaströme ergos-
sen sich über 500 bis 800 Meter den
Berg hinab. Ein Video zeigte Kinder
und Erwachsene, die ängstlich vor
einer gewaltigen Aschewolke flohen.
Ein Mitarbeiter der Behörden
beschrieb die Dörfer am südlichen
Hang des Kraters als „Todeszone“, in
der alles Leben vernichtet und die
unter einer schweren grauen Asche-
schicht begraben sei. Der Ausbruch
hatte zudem Schlammlawinen ausge-
löst, die Häuser unter sich verschütte-
ten. Im Umkreis von fünf Kilometern
um den Berg richteten die Behörden
eine Sperrzone ein. Der Semeru
gehört zu mehr als 120 aktiven Vulka-
nen in dem südostasiatischen Staat mit
17 000 Inseln.
Auch er
lässt sich impfen
joch. FRANKFURT. Womöglich ist
er der Einzige, der zurzeit reinen
Gewissens von Ort zu Ort ziehen
kann: der Weihnachtsmann. Da er
allerdings viele Sozialkontakte hat,
geht er lieber auf Nummer sicher – und
holt sich seine Booster-Impfung. So
zumindest erzählt er es in einem neu-
en Werbeclip des Bundesministeriums
für Gesundheit, das am Sonntag vor
dem Nikolaustag auf Twitter veröffent-
licht wurde. Der Weihnachtsmann
zeigt sich darin in weißem Hemd, klas-
sisch roter Hose und Hosenträgern mit
Schnörkelmuster, gewohnt bärtig und
mit ungewohnt berlinerischem Dia-
lekt. Wie in den sozialen Medien
üblich, finden sich unter dem Video
überwiegend Kommentare von Impf-
gegnern, die unter anderem den Bauch
des Weihnachtsmannes anprangern.
Sie adressiert er im Video auch:
Obwohl er selbst gar kein großer Fan
der Wissenschaft sei, immerhin glaube
die ja auch nicht an seine Existenz, las-
se er sich impfen. „Dat wirkt nämlich.
Auch wenn man nicht daran glaubt.“
Deutschland und die Welt
„Engel der Lüfte“: Die humanitäre Funktion der Transall will Dominik Weil beibehalten.
„Das Preisschild klebt noch drauf“
Am Dienstag landet ein
Militärflugzeug auf dem
Flugplatz Zweibrücken.
Unternehmer Dominik
Weil will es zu einem
Ferienhaus umbauen.
Herr Weil, wie kommen Sie dazu, ein deut-
sches Militärflugzeug zu einem Ferien-
haus machen zu wollen?
Vor acht Jahren waren zwei Kameraden
mit mir in Ostfriesland, beim letzten
Flugtag der dort stationierten Phantom-
Kampfflugzeuge. Ein inspirierender
Ausflug, mit 100 000 Gästen auf dem
Flugplatz. Auf der Rückfahrt fragten wir
uns, was eigentlich mit Militärflugzeu-
gen passiert, wenn sie nicht mehr
gebraucht werden. Und als flugbegeis-
terter Reiseverkehrskaufmann dachte
ich: Man könnte sich doch eigentlich so
ein Teil kaufen und touristisch nutzen.
Das klingt erst mal verrückt.
Es war eine ultimative Schnapsidee. Aber
das kommt davon, wenn Sie seit 42 Jahren
in der Bütt stehen – ich bin aktiver Fast-
nachtler. Und verrückte Sachen retten
mich vor Magengeschwüren. Ein bisschen
durchgeknallt zu sein schadet also nicht.
Als die ersten Transall 1968 in die Bun-
deswehr kamen, waren Sie ein Jahr alt . . .
. . . stimmt zu 100 Prozent.
Die letzten Transall werden von der Bun-
deswehr bis Mitte Dezember außer Dienst
gestellt. Viele wandern auf den Schrott-
platz. War die Luftwaffe froh, dass Sie
eine ihrer alten Mühlen nehmen wollten?
Ich habe erst gedacht: O Gott, du kannst
nicht einfach hingehen und den Flieger
kaufen. Aber der Institution Bundeswehr
war das relativ egal, ob die Maschinen
Auf ungewöhnlichem Parkett
In Köln gibt es nun in einer Tanzschule ein Pop-up-Impfzentrum. Von Reiner Burger, Köln
Der letzte Kurs der Woche war um 22 Uhr
vorbei, die Paare gerade verabschiedet, als
am Freitagabend Gunther Quinkler mit
einigen Kolleginnen und Kollegen in der
Tanzschule von Andreas und Bettina van
Hasselt in Köln-Lindenthal erschien.
Einem vorweihnachtlichen Betriebstanz-
kreis gehören die Damen und Herren nicht
an, sie wollen nicht ihre Schrittfolgen per-
fektionieren. Es geht ihnen um den Impf-
fortschritt.
Quinkler ist Chefarzt der Abteilung
Innere Medizin und Intensivmedizin des
St.-Agatha-Krankenhauses. Mitte Novem-
ber hatten er und sein Team mit Überle-
gungen für ein privates Nachbar-
schafts-Impfzentrum begonnen und die
verkehrsgünstig gelegene Tanzschule van
Hasselt als idealen Ort dafür identifiziert.
Der letzte Impuls war das von der Politik
ausgegebene, ambitionierte Ziel, mit 30
Millionen Impfungen bis Weihnachten die
vierte Welle zu brechen. „Angesichts des
auf uns zurollenden Covid-Tsunamis ist das
bitter nötig“, sagt Quinkler.
Bis ein Uhr in der Früh haben er, sein
Team und die van Hasselts Tische gerückt,
Trennwände aufgestellt und aus der Tanz-
schule ein Pop-up-Impfzentrum gemacht.
Am Samstagmorgen steht der Chefarzt in
seinem weißen Kittel auf der Tanzfläche,
auf der noch wenige Stunden zuvor Paare
ihre Walzerrunden gedreht oder einen flot-
ten Cha-Cha-Cha hingelegt haben. In der
abgegeben oder verschrottet werden. Denn
die Transall haben ihre Zeit ja gehabt und
ihre Aufgaben bravourös gelöst.
Und was sagen Soldaten, die mit der
Transall zu tun hatten?
Vor zwei Wochen war ich beim Luft-
transportgeschwader 63 in Hohn. Jeder
Techniker, den ich dort kennengelernt
habe, hat gestrahlt. Die dachten sich
offenbar, da kommt so ein dahergelaufe-
ner Hunsrücker, der einen unserer Flie-
ger tatsächlich davor bewahrt, zu einer
Bierdose aus Alu zu werden. Das war
Begeisterung hoch drei!
Nun konnten Sie ja nicht mit einem Koffer
Geld in der Hand zum Geschwader gehen
wie in ein Autohaus und eine Transall
kaufen. Acht Jahre hat es gedauert.
Tatsächlich hatte ich die Zusage schon
2014 bekommen. Doch dann legte die
Luftwaffe eine Pause ein und sonderte kei-
ne weiteren Maschinen mehr aus. Außer-
dem hieß es, ich bekäme keine Unterstüt-
zung beim Transport, was bedeutet hätte,
dass ich mir die Transall direkt vom Flie-
gerhorst hätte abholen müssen.
Wie das?
Genau, im Handgepäck hätte ich sie kaum
transportieren können. Ich bin aber dran-
geblieben. Und dann flog die Luftwaffe
doch wieder einzelne Flugzeuge zu Museen
und auf Flugplätze, die sich um sie bewor-
ben hatten. Das war für mich der Moment,
zu sagen: So, und jetzt gibst du noch mal
richtig Gas, vielleicht klappt es ja doch.
Und dann hat es ja auch geklappt.
Und was haben Sie für Ihren 28 Tonnen
schweren Militärtransporter am Ende
bezahlt?
Wenn Sie so wollen, klebt das Preisschild
noch drauf. Denn meine Transall hat die
Kennung 50+79. Ich habe das Kreuz durch
eine Null ersetzt. Das war mein Gebot.
50 079 Euro?
Richtig. Und ich wollte mir die beste
Spiegeldecke leuchten bunte Lichter. Im
Hintergrund säuselt Weihnachtsmusik.
Andreas van Hasselt hat für den langen
Impfreigen durch seine Tanzschule Nat
King Cole, Frank Sinatra und andere Klas-
siker auf das DJ-Pult parat gelegt.
Quinkler beobachtet zufrieden, wie rei-
bungslos der Betrieb läuft. Wer sich seine
Spritze in der Tanzschule abholen will,
konnte sich in der vergangenen Woche auf
der Website corona-lindenthal.de registrie-
ren – binnen 48 Stunden waren alle 1000
Termine mit exakten Zeitfenstern verge-
ben. „Lange Schlangen im Freien wie sonst
wollten wir unbedingt vermeiden“, sagt der
Mediziner, als wieder eine Fünfer-Gruppe
Impflinge den Empfang passiert hat.
Gunther Quinkler Foto Reiner Burger
Maschine aussuchen dürfen. Die Bundes-
wehr hat dann gesagt: Ist okay.
Klingt doch fast wie beim Autohändler.
Nein, das Geld ist nur ein Aspekt. Die
schauen sich schon sehr detailliert das
Konzept an, sprich: Ich musste eine ver-
nünftige Verwendung, einen geeigneten
Aufstellungsort und einen geeigneten
Flugplatz nachweisen.
Jetzt landet die Transall am Dienstag in
Zweibrücken und wird dort dauerhaft
geparkt. Bauen Sie sie direkt um?
Als Erstes geht noch mal eine Gruppe aus
fünf Technikern der
Bundeswehr an Bord.
Die werden drei Tage
lang die Transall entmi-
litarisieren. Das heißt,
die holen anhand einer
Foto privat
40 Positionen langen
Liste Objekte und
Gegenstände raus. Dominik Weil
Elektronische Kompo-
nenten etwa, auch Pyrotechnik, Feuerlö-
scher und die Zündboxen für die Triebwerke.
Fallen im Rahmen Ihrer Umbauarbeiten
noch Souvenirs für Sammler ab?
Nicht viele. Der Flieger soll so original wie
möglich erhalten bleiben – mit den Rohr-
leitungen, den Verkleidungen und dem
Cockpit, das für unsere großen und kleinen
Gäste zugänglich bleibt. Die können dann
Pilot spielen. Wenn alles klappt, werden
wir auch einen Flugsimulator einbauen.
Im Originalzustand ist die Transall aller-
dings alles andere als gemütlich: vorne
heiß, in der Mitte laut, hinten kalt. Wie
machen Sie das Flugzeug komfortabel?
Das fängt bei der Technik an: Heizung, Lüf-
tung und Kühlung werden auf den Stand
eines Ferienhauses gebracht. Hinzu kommt
die Elektronik. Es werden komplett neue
Leitungen gezogen.
Eine anständige Toilette wäre an Bord
einer Transall eine echte Sensation.
Auf einer langen Bank, auf der sich sonst
die Tanzpaare von den neuesten Schrittfol-
ge-Herausforderungen ausruhen, sitzen –
selbstverständlich auf Corona-Sicherheits-
abstand – fünf Mediziner, die mit den
Patienten die Einwilligungs- und Anamne-
sebögen durchgehen. So gut sind die Ter-
mine getaktet, dass die meisten Patienten
danach nicht einmal mehr im Wartebe-
reich Platz nehmen müssen, sondern direkt
in eine der Impfkabinen gehen können.
Um elf Uhr haben schon mehr als 400 Per-
sonen ihre Dosis des Vakzins Moderna
bekommen.
„Die van Hasselts und wir wollen Bür-
gersinn in klassischer Weise zeigen“, sagt
Quinkler, der als sachkundiger Einwohner
auch Mitglied des Gesundheitsausschusses
der Stadt Köln ist. „Man kann doch nicht
immer nur auf die Politik schimpfen,
schließlich hat sie durchaus eine ganze Rei-
he von Möglichkeiten geschaffen, Eigen-
initiative zu ergreifen.“ Ein gutes Geschäft
ist das Impfen zudem, für Quinkler wie für
sein zweiundzwanzigköpfiges Team. Ärzte
bekommen von ihm 100 Euro in der Stun-
de, Krankenpflegerinnen und Kranken-
pfleger 35 Euro.
Schon bald zwei Jahre durchkämpfte
man in den Kliniken sämtliche Spielarten
von Covid, sagt Krankenpfleger Charly
Artkan, der sonst im St.-Agatha-Kranken-
haus als Stationsleiter der Intensivmedizin
arbeitet. Seit es die Impfungen gibt, ist kein
Foto Unternehmen
Die kommt! Ich kann zwar mit einem
Hammer nichts anfangen, habe aber schon
Fachleute fast aller Gewerke aus der
Region mit an Bord. Um die Schreiner-
arbeiten kümmert sich mein Sohn Ben-
jamin, der macht gerade seinen Meister.
2023 sollen erste Gäste an Bord gehen.
Das klingt sportlich, angesichts von Bau-
stoffknappheit, Pandemie und einem exo-
tischen Baugenehmigungsverfahren.
Bis kommenden Sommer wird der Flieger
noch für verschiedene andere Zwecke auf
dem Flugplatz genutzt werden: für Festi-
vals etwa und als Übungsobjekt für die
Flughafenfeuerwehr Zweibrücken. Ich
habe also noch acht Monate Zeit für das
Detailkonzept. Danach, so hoffe ich, wer-
den uns die Baustoffknappheit und die
Pandemie nicht mehr behindern.
Wenn im Sommer 2023 die ersten Gäste
tatsächlich kommen sollten – was wird Sie
das ganze Projekt gekostet haben?
Ich rechne mit 200 000 Euro, zuzüglich des
Kaufpreises, ohne Förderprogramme.
Wollen Sie künftig noch weitere Transalls
davor retten, zur Bierdose zu werden?
Leider ist das die letzte verfügbare Trans-
all. Aber einen ausgedienten Transport-
hubschrauber, eine CH-53, nähme ich
schon gerne. Es gibt Hunderttausende
Fans in Deutschland. Aber es geht mir
dabei nicht allein ums Geld. Die Transall
war ein „Engel der Lüfte“, der zahlreichen
Menschen das Leben gerettet hat. Auch das
soll so bleiben.
Wie wollen Sie dafür sorgen?
Für traumatisierte und verletzte Soldaten
sowie ihre Familien wird die Transall kos-
tenlos als Ferienhaus zur Verfügung ste-
hen. Auch für Corona-Helden, die in den
vergangenen Monaten alles gegeben
haben. Die Maschine mag nicht mehr flie-
gen, aber ihre humanitäre Mission wird sie
fortführen. Auch als Ferienhaus.
Die Fragen stellte Lorenz Hemicker.
einziger geimpfter Corona-Patient mehr
auf der Station gestorben. „Umso zermür-
bender ist es, dass wir nun wieder drei
Corona-Tote hatten, alle drei hatten sich
nicht immunisieren lassen.“ Ein großes
Problem sei, dass diverse Bevölkerungs-
gruppen das Virus noch immer auf die
leichte Schulter nähmen. Artkan, der selbst
türkische und aserbaidschanische Wurzeln
hat, versuchte, solche Gruppen über seine
Social-Media-Kanäle auf die Impfaktion
aufmerksam zu machen. „Ich habe keine
einzige Rückmeldung bekommen.“
Chefarzt Quinkler steht nachdenklich
am Tresen der Tanzschule. Wo sonst Limo-
nade gezapft wird, ziehen zwei Kranken-
schwestern Impfspritzen auf. Das Leug-
nen, das Leichtfertigsein, das ziehe sich
durch die unterschiedlichsten Teile der
Gesellschaft. Auch in seinem Verwandten-
kreis gebe es einen Impfverweigerer. „An
Weihnachten brennt in den Kliniken die
Hütte, das steht bei den aktuellen Infek-
tionszahlen leider schon fest, das Virus ist
eine Naturkonstante.“ Umso wichtiger sei
das Impfen.
An den kommenden zwei Samstagen
sollen in der Tanzschule van Hasselt des-
halb wieder so viele Spritzen wie möglich
gesetzt werden. „Und nach Weihnachten
könnte bis zum Dreikönigstag nonstop bei
uns geimpft werden“, sagt Andreas van
Hasselt. „Danach beginnt unsere neue
Tanzsaison.“
NR. 2 8 4 · SE I TE 7
M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1
„Hundert
Komiker
in einem“
Zum Tod von
Mirco Nontschew
miha. FRANKFURT. „Dieser Mann
war 100 Komiker in einem“, schreibt
Torsten Sträter auf Twitter, „eine ver-
rückte Wundertüte des Humors“, das
„Genie der absurden Comedy, einzig-
artig in der Fülle dessen, was er war
und konnte“. Man möchte dem
Schriftsteller und Kabarettisten bei-
pflichten in dem kurzen Nachruf, den
er auf Twitter über Mirco Nontschew
veröffentlicht hat. Nontschew ist am
Freitag überraschend gestorben, er
wurde nur 52 Jahre alt.
Bekanntheit hatte er in den Neunzi-
gerjahren als Mitglied der Comedy-
Truppe der legendären Show „RTL
Samstag Nacht“ erlangt. Durch diese
fegte er als hypermotorischer Schnell-
sprecher, Grimassenkünstler und
Geräuschemacher. Hugo Egon Balder
war auf ihn aufmerksam geworden.
Ende der Achtzigerjahre war Nont-
schew, geboren 1969 in Ost-Berlin,
gelernter Mechaniker, als Breakdancer
und Beatboxer aufgetreten. Seine
Fähigkeit, für Geräuschkulisse zu sor-
gen, nahm er mit zu „Samstag Nacht“,
der Show, von der es bei RTL nun
heißt, Nontschew habe dort mit den
Comedy-Kollegen Wigald Boning,
Olli Dittrich, Tanja Schumann und
Stefan Jürgens „Fernsehgeschichte“
geschrieben.
Das ist nicht ganz falsch, handelte
es sich doch um eine Keimzelle der
deutschen Fernseh-Comedy. Die
„Kentucky schreit Ficken“-Sketche
sind ein ewiger Youtube-Hit. Die
Comedy führte Mirco Nontschew bei
Sat.1 weiter, mit seiner Show „Mirco-
mania“, mit „Cook Cook – Mirco’s
Kochstudio“ bei RTL II, als Mitwir-
kender von „Die dreisten Drei“, im
Kino im Verein mit Otto Waalkes in
den „7 Zwerge“-Filmen oder „Sieg-
fried“ und zuletzt in der aktuellen
Staffel der von Michael „Bully“ Herbig
betreuten Sendung „LOL: Last One
Laughing“ bei Amazon, die im nächs-
ten Frühjahr läuft.
Mirco Nontschew war ein Spontan-
Humorist, ein Sympathieträger, den
das Publikum sehen wollte, ein Team-
player, keine One-Man-Rampensau,
bei Kolleginnen und Kollegen hochge-
achtet, wie man an Beileidsbekundun-
gen sieht und am Titel der Sendung,
die RTL zum Gedenken an ihn ins Pro-
gramm hob: „In Liebe an Mirco Nont-
schew“. Der Comedian hinterlässt
zwei Töchter.
Kurze Meldungen
Prinz William hört AC/DC
Prinz William (39) hat einen Einblick
in den Musikgeschmack seiner Familie
gegeben. Er denke noch heute bei Tina
Turners Hit „The Best“ an seine Mut-
ter, erzählte der Enkel von Elisabeth II.
in einem Audio-Beitrag von Apple, der
am Montag ausgestrahlt werden soll.
Das Lied habe Diana oft laut beim
Autofahren gesungen, wenn sie ihn
und Bruder Prinz Harry in die Schule
gefahren habe. Seine Kinder hätten
die Freude an Musik geerbt, berichtete
William. Tochter Charlotte (6) liebe
derzeit „Waka Waka“ von Shakira.
Sein eigener Aufwach-Hit sei „Thun-
derstruck“ der australischen Hardrock-
band AC/DC, sagte William. „Es weckt
dich auf, bringt dich für die Woche in
die bestmögliche Stimmung, und du
hast das Gefühl, dass du es mit allem
und jedem aufnehmen kannst.“ dpa
Hape Kerkeling lacht viel
Entertainer Hape Kerkeling (56) ver-
rät in einer Vox-Show am Montag-
abend, über wen er selbst gerne lacht.
„Auf Platz eins ist Loriot, auf Platz
zwei ist Heinz Erhardt, und auf Platz
drei ist Woody Allen“, sagt der Komi-
ker und Autor in der Sendung „Ein
Abend mit Hape Kerkeling“ laut Mit-
teilung. „Ich lache über Otto, ich lache
über Bastian Pastewka, ich lache auch
manchmal über den Pocher. Ich bin ein
leichter Lacher, ich habe halt gerne
Freude.“ dpa
Prinzessin Aiko huldigt
Zur Feier ihrer Volljährigkeit hat
Japans Prinzessin Aiko, das einzige
Kind von Kaiser Naruhito und Kai-
serin Masako, Japans Göttern gehul-
digt und an würdevollen Zeremo-
nien am Hofe teilgenommen. Der 61
Jahre alte Tenno verlieh seiner Toch-
ter, die am 1. Dezember 20 Jahre alt
geworden war und damit das Voll-
jährigkeitsalter erreicht hatte, aus
diesem Anlass am Sonntag den
„Orden der Edlen Krone“ am Schul-
terband, wie das konservative Haus-
hofamt bekannt gab. Die Prinzessin
zeigte sich in langem weißem Kleid
und mit einem Diadem. dpa
SE I TE 8 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
Kein Selbstläufer
Von Mona Jaeger
iese Parteien haben Lust
D aufs Regieren. Die Delegier-
ten von SPD und FDP haben
mit überwältigenden Mehrheiten für
den Koalitionsvertrag der Ampel
gestimmt. Der designierte Kanzler
verbietet sich jedes Triumphgehabe,
er dürfte ein realistisches Bild von
der Aufgabe haben, die vor ihm
liegt. Und der künftige Finanzminis-
ter spricht von Demut. Zu schön, um
wahr zu sein?
Tatsächlich hat die SPD wieder
einmal kein realistisches Bild von
sich. Sie beginnt schon jetzt mit
Geschichtsklitterung, indem sie die
Regierungszeit mit der Union als
Jahre der sozialen Kälte darstellt.
Wurde Kanzlerin Merkel nicht jen-
seits der deutschen Grenzen für ihre
sozialdemokratische Politik gefeiert?
Jetzt, ohne CDU und CSU, träumt die
SPD vom großen Fortschritt. Aber
der kommt nicht zwangsläufig, nur
weil ihn die Ampel-Parteien herbei-
reden. Die vergangenen Tage haben
gezeigt, dass diese Koalition kein
Selbstläufer wird. Bei den Grünen
beharken sich Parteilinke und Realos
erneut. Und es gibt Verärgerung über
die FDP, etwa beim Thema Dieselbe-
steuerung. Ein wirkliches Plus könn-
te die Einigkeit in der SPD sein. Das
muss gar keine inhaltliche Einigkeit
in allem sein, sondern vielmehr die
Beherzigung der Erkenntnis: Wir
haben keine bessere Wahl, deswegen
ziehen wir das durch. Das machte
zuletzt den Unterschied zur Union.
Ob die neue Geschlossenheit wirk-
lich hält, wird man erst wissen, wenn
die neue Koalition im Alltag ange-
kommen ist.
Letzte Hoffnung
Von Daniel Deckers
m Schatten der Regierungsbil-
I dung im Bund hat in den vergan-
genen Wochen in Berlin ein poli-
tisches Dagegen-Programm Kontu-
ren angenommen. Als ob die Mehr-
heit der Bürger in den vergangenen
fünf Jahren von SPD, Grünen und
Linken nicht schon genug malträtiert
worden wären, hatten die Grünen
nach der Wahl des Abgeordnetenhau-
ses am 26. September nichts Besseres
zu tun, als die SPD auf eine Fortset-
zung des Linksbündnisses festzule-
gen. Franziska Giffey, die als Spitzen-
kandidatin eine Orientierung an der
Mitte der Gesellschaft versprochen
hatte, wollte oder konnte dem nichts
entgegensetzen – was manche SPD-
Wähler als gutgläubig, wenn nicht
naiv erscheinen lässt.
Deren einzige Hoffnung ist parado-
xerweise die seit September deutlich
geschwächte Linkspartei. Sollte der
angebliche Kotau der alt-neuen Koali-
tion vor Immobilienwirtschaft, Neoli-
beralismus und anderen üblichen Ver-
dächtigen die Mehrheit der 8000 Mit-
glieder derart anwidern wie zahlrei-
che Delegierte des Sonderparteitags,
dann würde das Vertragswerk wohl
durchfallen – und die Karten müssten
neu gemischt werden. Zwar sind die
„bürgerlichen“ Parteien in der Haupt-
stadt in einer Verfassung, die mit dem
eigenen Anspruch nur schwer in Ein-
klang zu bringen ist. Aber wer mit der
Linkspartei koalieren will, der sollte
sich ein Bündnis mit CDU und FDP
allemal zutrauen.
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er neuerliche russische Aufmarsch
D an den Grenzen zur Ukraine und
auf der annektierten Krim lässt
viele einen Angriff auf das nach Kreml-
Lesart verräterische Bruderland befürch-
ten. Mit Blick auf die hohen Risiken und
Kosten ist es zwar gut möglich, dass es Prä-
sident Wladimir Putin wieder bei „Übun-
gen“ seines Militärs belässt, zu denen
schon der Aufmarsch des vergangenen
Frühjahrs deklariert worden war. Jedoch
müssen entsprechende Angriffsszenarien
zum Arbeitsprofil von Verteidigungsminis-
ter Sergej Schojgu gehören: Alles andere
käme angesichts der regelmäßigen Ausfäl-
le Putins gegen das Nachbarland der Insub-
ordination gleich. Von Schojgus Dienst-
eifer zeugt, dass er Putins im Juli erschiene-
nen Artikel „Zur historischen Einheit von
Russen und Ukrainern“, der einer eigen-
ständigen Ukraine die Existenzberechti-
gung abspricht, prompt zur Pflichtlektüre
für alle Soldaten machte.
Im jüngsten, besonders starken Aus-
bruch von Kriegsangst fällt auf, dass Mos-
kaus Machtapparat mit Verzögerung auf
die westlichen Vorwürfe reagiert. Seit
Wochen warnen Washington und – selbst
mit Verspätung – Kiew vor Truppenkon-
zentrationen. Lange beließ es Moskau bei
Routine-Retourkutschen um „russophobe
Hysterie“. Diese gibt es auch jetzt noch; so
sagte Putins außenpolitischer Berater Jurij
Uschakow am Freitag, es gebe „keinerlei
Eskalation“, denn „wir haben auf unserem
Staatsgebiet das Recht, Truppen zu bewe-
gen“. Doch mittlerweile sind die Machtver-
treter bemüht, jedwede Maßnahme, die
Putin anordnen könnte, im Voraus zu
rechtfertigen. So wirft Präsidentensprecher
Dmitrij Peskow der Ukraine ihrerseits
Truppenkonzentrationen vor, die befürch-
ten ließen, dass Kiew eine „gewaltsame
Lösung des Donbass-Problems“ erwäge.
„Das ist sehr gefährliches Abenteurertum.“
Das „Oberhaupt“ der „Volksrepublik
Donezk“, Denis Puschilin, hob in Putins
Staatsfernsehen hervor, wie viele seiner
„Bürger“ schon die russische Staatsange-
hörigkeit hätten, und kündigte an, notfalls
„Russland und Belarus“ um Hilfe zu bitten.
Ein Casus Belli ist im Bedarfsfall rasch zur
Hand. Auf diplomatischer Ebene erhebt
Moskau jetzt Forderungen nach „langfristi-
Ampel darf sich bei Impfpflicht nicht wegducken
ine SARS-CoV-2-Impfpflicht als
E Ausweg aus der Pandemie, diese
Diskussion wird aktuell überall
in Deutschland geführt. Die Entschei-
dung hierüber muss am Ende der Bun-
destag treffen. Olaf Scholz will, dass
dies allein eine Gewissensentscheidung
der Abgeordneten wird. Eine von ihm
angeführte Bundesregierung sieht er
bei dieser Frage nicht in der Verantwor-
tung. Das ist falsch. Die Entscheidung
für eine Impfpflicht soll ein klares Si-
gnal aussenden und braucht die Unter-
stützung aller Verfassungsorgane. So
wie bei der Einführung der Masern-
Impfpflicht 2020 muss die Bundesregie-
rung einen Gesetzesvorschlag unter-
breiten. Eine Bundesregierung kann
sich dort nicht wegducken und der Dis-
kussion ausweichen.
Wie bei jedem Gesetz sind es am Ende
die Abgeordneten im Bundestag, die das
Gesetz beschließen, und selbstverständ-
lich muss jeder Abgeordnete die Ent-
scheidung vor seinem Gewissen treffen.
Mit Sicherheit hat dabei fast jeder Abge-
ordnete ein Bauchgefühl zur Frage der
Notwendigkeit einer Impfpflicht. Eine
Gewissensentscheidung darf aber keine
Bauchentscheidung sein. Vor allem
nicht, wenn es dabei um schwerwiegen-
de Grundrechtseingriffe geht.
Eine Impfpflicht hat zu Recht einen
hohen Begründungsaufwand. Es geht
nicht um einen einfachen Antrag, wie
Sinn 1739
Zeitgeschehen
Der Kreml schürt Kriegsangst
und will verhandeln.
Von Friedrich Schmidt, Moskau
gen Sicherheitsgarantien“, so durch
Außenminister Lawrow im Gespräch mit
dem amerikanischen Außenminister Blin-
ken. Dass es nicht nur um den Ausschluss
von NATO-Beitritten der Ukraine und
Georgiens geht, stellte Berater Uschakow
klar: Putin werde im Gespräch mit dem
amerikanischen Präsidenten Joe Biden am
Dienstag ein verbindliches Abkommen for-
dern, das „jede weitere NATO-Erweite-
rung nach Osten ebenso ausschließt wie
die Stationierung von Waffensystemen, die
uns von den Gebieten von Nachbarländern
aus bedrohen“. Russland fordere solche
Abmachungen seit Langem, sagte Uscha-
kow, wegen der jüngsten Spannungen sei-
en sie besonders dringlich geworden.
Tatsächlich erinnert der Vorstoß an den
Ruf nach einer neuen „Sicherheitsarchitek-
tur“ in Europa, den der damalige russische
Muskelspiele mit dem Westen: Wladimir Putin im Kreml
Fremde Federn: Patrick Schnieder
der voraussichtliche Ampelkanzler
dies derzeit öffentlich darstellt. Es
geht um einen sehr sorgfältig vorzube-
reitenden Gesetzentwurf. Die Bundes-
tagsdrucksache zur Einführung der
Impfpflicht gegen Masern umfasste 52
Seiten. Dem Gesetzentwurf von
Gesundheitsminister Jens Spahn bei-
gefügt waren verschiedene Stellung-
nahmen, einschließlich der Stellung-
nahme des Bundesrates. Durch einen
so vorbereiteten Gesetzentwurf der
Bundesregierung können die Abgeord-
neten schließlich vor ihrem Gewissen
entscheiden. Beim Masernschutzge-
setz ging es dabei um eine einrich-
tungsbezogene Impfpflicht, noch
höher sind die Anforderungen an eine
allgemeine Impfpflicht, wie sie bei
SARS-CoV-2 diskutiert wird.
Es bedarf einer sorgsamen Abwä-
gung, wie schwer das Gewicht der
rechtfertigenden Gründe einer Impf-
pflicht vor dem Hintergrund der beson-
deren Gefahrenlage durch Covid-19
wiegt. Es geht auch um die Frage, ob
die Impfpflicht einheitlich – über alle
Bundesministerien hinweg – als
unerlässlich zur Bekämpfung der Pan-
demie angesehen wird. Eine Gesetzes-
vorlage der Bundesregierung kann das
Parlament daher zu Recht erwarten,
zumal bei einem in der Bundesrepublik
– mit Blick auf die geplante Ausgestal-
tung – wohl einmaligen Gesetzesvor-
Schenken Sie die
besondere Uhr!
Präsident Dmitrij Medwedjew zuerst im
Juni 2008 in einer Rede in Berlin erhoben
hatte. Der Vorstoß richtete sich gegen die
NATO als Militärbündnis sowie gegen die
Organisation für Sicherheit und Zusam-
menarbeit in Europa als Hort unbequemer
Menschenrechts- und Wahlbeobachter.
Schon damals gab es russische Klagen, den
eigenen Sicherheitsinteressen werde nicht
Rechnung getragen, obwohl Hoffnungen
Georgiens und der Ukraine auf eine Mit-
gliedschaft im Bündnis auf dem Bukarester
NATO-Gipfel im April 2008 auf deutsches
und französisches Betreiben hin in eine
unbestimmte Zukunft verwiesen wurden.
Russlands Intervention in Georgien im
August 2008 trübte die Diskussion über
Medwedjews Vorstoß dann weniger als der
Umstand, dass Moskau erst Ende 2009 ein
erstes Dokument zu einem „Vertrag über
Foto AP
haben. Das Parlament muss sich die
Gewissheit verschaffen, dass sämtliche
andere Maßnahmen ergriffen wurden,
nur dann wird eine Impfpflicht
gerechtfertigt sein.
Die Arbeit am Entwurf dieses Gesetz-
gebungsvorhabens vollständig auf die
Abgeordneten abzuwälzen und gleich-
zeitig weit mehr als 3000 Beschäftigte
im Gesundheits-, Innen- und Justizmi-
nisterium zuschauen zu lassen zeugt
nicht von der Bereitschaft, Verantwor-
tung zu übernehmen. Die von der FDP
immer wieder zu hörenden Bedenken
haben in der Tat Gewicht. Doch die
Lösung von Olaf Scholz, deshalb inner-
halb der Bundesregierung nicht einmal
den Versuch einer Gesetzesvorlage zu
machen, wäre ein Zeugnis politischer
Führungsschwäche. Im bald von der
FDP geführten Justizministerium ist fast
jeder zweite Beschäftigte ein Jurist. Der
Bundestag kann erwarten, dass deren
Kompetenz bei diesem ebenso wichti-
gen wie einschneidenden Gesetz einge-
bracht wird.
Der Ruf nach dem Gewissen der
Abgeordneten darf nicht die Hintertür
aus der eigenen Verantwortung als
Bundesregierung sein. Das wäre fatal.
Eine Impfpflicht braucht die Akzep-
tanz der Menschen, und die gibt es nur
mit der deutlichen Unterstützung aller
mit der Gesetzgebung betrauten Ver-
fassungsorgane: von der Bundesregie-
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
die Europäische Sicherheit“ vorlegte, das
nach dem Urteil vieler Fachleute wirr und
voller Widersprüche war.
Der entscheidende Punkt ist jetzt, zwölf
Jahre später, mit Blick auf die Entwicklun-
gen in Georgiens abtrünnigen Provinzen
und vor allem in der Ukraine noch markan-
ter geworden: Moskau will die Souveränität
von Staaten beschränken, die es zugleich
verletzt und bedroht. Putins Begehr liefe,
etwa mit Blick auf Polen, sogar auf die
Revision bisheriger NATO-Erweiterungen
hinaus. So haben Biden und NATO-Gene-
ralsekretär Jens Stoltenberg Abmachun-
gen, wie sie einst Medwedjew anregte und
nun Putin anstrebt, klar abgelehnt. Doch
der Kreml kann mit dem wiederbelebten
Vorstoß nur gewinnen: Würde sich Putin
doch durchsetzen, hätte er die beanspruch-
te „Interessensphäre“ verwirklicht; wenn
nicht, passt das in die Rolle des Gekränk-
ten und Bedrohten, die Russland auch in
NATO-Mitgliedstaaten trotz allem viele
abnehmen. Weiter verfängt etwa die Mär
angeblich 1990 abgegebener Versprechen,
die NATO werde sich nicht nach Osten aus-
dehnen, was anderen voran der damalige
Präsident der Sowjetunion, Michail Gor-
batschow, zurückgewiesen hat. 
Putin selbst pflegte noch lange nach den
heute verteufelten Erweiterungsrunden
eine Zusammenarbeit mit der NATO. Erst
unter dem Eindruck von „Farbenrevolutio-
nen“, vor allem in der Ukraine, trübte und
radikalisierte sich seine Haltung zu dem
Bündnis. Jetzt haben sich Putins „rote
Linien“, von denen er häufig spricht, ver-
schoben: Verstand Moskau darunter früher
die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine,
stellt Putin jetzt schon gemeinsame Manö-
ver, tatsächliche, aber bisher bescheidene
sowie alle künftigen Rüstungslieferungen
als substanzielle Bedrohungen dar. Vor
acht Jahren wurde gar das geplante, von
dem damaligen ukrainischen Präsidenten
Viktor Janukowitsch dann nicht unter-
zeichnete Assoziierungsabkommen mit der
EU plötzlich zur „roten Linie“ Moskaus. So
sollte im Westen die Einsicht vorherrschen,
dass mit Kriegsdrohungen erzwungene
Zugeständnisse dazu führen dürften, dass
Putin seine „rote Linien“ nur noch weiter
zieht. Er testet Biden – und nicht zuletzt
auch die künftige Bundesregierung.
rung über den Bundestag und den
Bundesrat bis hin zum Bundespräsi-
denten, der das Gesetz am Ende unter-
zeichnen muss.
Erinnert werden muss auch daran,
dass Vorlagen der Regierung bei
Gewissensfragen alles andere als unüb-
lich sind. Jeder Auslandseinsatz der
Bundeswehr ist eine Gewissensent-
scheidung, und die Vorlage hierzu
kommt jedes Mal von der Bundesregie-
rung. Und auch die Abstimmung zur
„Ehe für alle“ war eine Gewissensent-
scheidung, der Gesetzentwurf jedoch
kam vom Bundesrat.
Olaf Scholz sollte sich nicht aus-
schließlich von der Sorge um die Stabi-
lität der Ampelkoalition treiben lassen.
Viele denken derzeit beim Thema
Impfpflicht um, stellen sich den neuen
Realitäten. Dies ist auch in der Unions-
familie so. Das Leid dieser Pandemie
lässt sich nur mit der Impfung bekämp-
fen. Eine gut begründete Impfpflicht
wird deshalb nicht an einer fehlenden
eigenen Mehrheit der neuen Regie-
rungskoalition scheitern. Eine fehlen-
de eigene Mehrheit wäre dennoch fatal,
denn die neue Koalition muss jetzt
anfangen, Verantwortung für Deutsch-
land zu übernehmen. Die Union wird
hierzu ihre Hand reichen.
Der Autor ist Parlamentarischer Geschäfts-
führer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
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Kevin KÜHNERT Foto Jens Gyarmaty
Der
Aufsteiger
Kevin Kühnert ist eine der größten
sozialdemokratischen Erfolgsge-
schichten der vergangenen Jahre. Nur
hing sein Erfolg lange Zeit nicht mit
dem Erfolg der SPD selbst zusammen
– ganz im Gegenteil. Wenn die SPD
heute glänzend dasteht, muss man
sagen: trotz Kühnert. Kühnert verfolg-
te schon immer eine eigene Agenda.
Er ist Überzeugungspolitiker. Das
kann man an ihm schätzen. Aber es
war nicht immer gut für die Partei.
Nun soll Kevin Kühnert in einer
Woche zum Generalsekretär gewählt
werden. Es ist eine rasante und
erstaunliche Karriere. An ihm führt
kein Weg mehr vorbei. Kühnert, gebo-
ren in West-Berlin, ist gerade einmal
32 Jahre alt. So ein Aufstieg ist ohne
einen enormen Machtwillen nicht
möglich. Kühnert ist sein halbes Leben
lang Mitglied der SPD. Ende Novem-
ber 2017 wurde er zum Juso-Bundes-
vorsitzenden gewählt. Talent und
Gelegenheit kamen zusammen: Es
war die Zeit, als die SPD-Führung ihr
Versprechen brechen musste, nicht
wieder in eine große Koalition einzu-
treten. Durch seinen strategischen
Blick und sein rhetorisches Talent wur-
de Kühnert schnell zum Wortführer
der innerparteilichen Gegner. Er führ-
te die No-GroKo-Kampagne an und
setzte die Parteiführung – unter ande-
rem den damaligen Finanzminister
Olaf Scholz – enorm unter Druck.
Kühnert wohnt zwar noch immer in
einer Wohngemeinschaft, betreibt
seither aber Politik als Vollzeitjob mit
Überstunden. Sein Studium der Publi-
zistik und Kommunikationswissen-
schaft brach er ab; das der Politikwis-
senschaft ruht. Er ist ein begeisterter
Sportzuschauer, von der ersten bis zur
untersten Liga. Kühnert stammt aus
dem bürgerlichen Berliner Südwesten,
seine Partei hielt er aber mit linken
Forderungen auf Trab. Mal redete er
der Kollektivierung von BMW das
Wort, dann installierte er die weithin
unbekannten Sozialdemokraten Sas-
kia Esken und Norbert Walter-Borjans
an der Parteispitze. Er selbst wurde
stellvertretender Vorsitzender.
Damit bewies er seine Anpassungs-
fähigkeit. Ohne die geht es weit oben
in der Politik nicht. Mit Scholz hat er
sich arrangiert. Im Parteivorstand
arbeitet Kühnert meist konstruktiv
und sachlich mit, er will sich als Fach-
politiker für die Themen Bauen und
Wohnen profilieren. Er verhandelte
dieses Kapitel auch im Koalitionsver-
trag mit Grünen und FDP. Ein rot-rot-
grünes Bündnis wäre ihm aber lieber
gewesen. Und so kritisierte er die FDP
beim Juso-Kongress auch für ihre
angebliche Blockadehaltung beim
Mietrecht. Ein paar Tage später, dann
schon designierter Generalsekretär,
klang er versöhnlicher.
Handwerklich ist Kühnert der Auf-
gabe des Parteimanagers gewachsen.
Aber wird er jede Kritik am Koali-
tionspartner runterschlucken wol-
len? Seine Worte haben jetzt noch
mehr als bisher Sprengpotential.
MONA JAEGER
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Geheimnis
und Stigma
Berliner Senat plant
Sozialindex für Schulen
Der Berliner Koalition (Rot-Grün-
Rot) ist etwas ganz Raffiniertes einge-
fallen. Seit Jahren wird der hohe
Anteil an Schülern nichtdeutscher
Herkunftssprache in manchen Schulen
der Stadt beklagt. In sieben Schulen
der Sekundarstufe – dem Berliner
Ersatzmodell für Haupt-, Real- und
Gesamtschulen – lag er zuletzt bei
mehr als 90 Prozent, in dreizehn bei
mehr als 80 Prozent, und an weiteren
30 Schulen sprach mehr als die Hälfte
der Schüler zu Hause kein Deutsch.
Es ist nicht schwer zu sehen, was das
für den Unterricht bedeutet, sagen wir
vorsichtig: erhebliche Belastungen.
Die Abschlüsse bestätigen diese Ver-
mutung. Unter den 30 im Zentralabi-
tur erfolgreichsten Sekundarschulen
Berlins war zuletzt nur eine einzige –
die Carl von Ossietzky-Schule in
Kreuzberg – von denen vertreten, die
mehr als 80 Prozent Schüler nichtdeut-
scher Muttersprache hatte. Unter den
ersten 50 sind es vier. Entsprechend
versuchen viele Eltern, auch solche
migrantischer Herkunft, ihre Kinder
auf anderen Schulen unterzubringen.
Zu den Motiven von Familien, aus
Bezirken wie Neukölln, Wedding,
Kreuzberg und Gesundbrunnen weg-
zuziehen, gehört diese Situation.
Und jetzt der raffinierte Einfall: Es
soll nach dem Willen der linken Koali-
tion künftig einfach nicht mehr mitge-
teilt werden, wie hoch der Anteil der
Schüler einer Schule ist, die zu Hause
kein Deutsch sprechen. Stattdessen,
heißt es, wolle man einen Sozialindex
für Schulen entwickeln, in den eine
ganze Reihe von Faktoren eingehen
soll. Erhalten die Eltern Sozialhilfe,
sind sie arbeitslos, beziehen sie Wohn-
geld? Daraus soll die Belastung der
Schule und ihr besonderer Förderbe-
darf errechnet werden. Ungleiche
Voraussetzungen sollen mit unglei-
chen Ressourcenverteilungen beant-
wortet werden: mehr Lehrer und mehr
finanzielle Mittel für Schulen in einem
für Bildung ungünstigen Quartier.
Das klingt gut, man kann es
machen, man sollte sich aber nicht
über die Schwierigkeiten täuschen,
denen eine solche Mittelverteilung
begegnet. Weder hängen die Ergebnis-
se einer Schule ausschließlich von der
Art ihrer Schülerschaft und der Zahl
ihrer Lehrer ab. Noch ist der Umfang
bekannt, in dem unterstützt werden
müsste, um Schulen in merkbare Ver-
besserungen ihrer Schülerschaft
gewissermaßen hinein zu finanzieren.
Und was alles will man als ungünstige
Faktoren erfassen? Alleinerziehung,
Freizeitverhalten, Einstellung der
Eltern zu Bildung? Ein weites Feld der
Datengewinnung, der Messungen und
Gewichtungen spannt sich auf. Hinzu
kommt die typische Unterstellung der
Bildungspolitik, sie sei in der Lage, die
Mängel anderer Politikfelder (etwa
Wohnen, Einwanderung, Arbeits-
markt) für den Nachwuchs zu kompen-
sieren. Nach mehr als fünfzig Jahren
Migration lassen sich die illusionären
Anteile dieser Unterstellung erkennen.
Gegen die Erstellung von Sozial-
kennziffern wird seit Längerem einge-
wendet, dass sie für viele Schulen auf
eine Stigmatisierung hinauslaufen. Die
Stigmatisierung wiederum laufe auf
eine Verschärfung des Problems
hinaus, weil sich gerade Eltern von bil-
dungsnäheren Schülern von Schulen
mit ungünstigen Kennziffern zurück-
ziehen. Das scheint für den jetzt
beschlossenen Verzicht auf Transpa-
renz der maßgebliche Grund zu sein.
Ob das Informationsfreiheitsgesetz
es überhaupt erlaubt, Daten, die es
gibt, der Öffentlichkeit zu entziehen,
sei dahingestellt. Selbst wenn das
möglich wäre, stellt sich die Frage, was
dann geschehen würde. Worauf wür-
den Eltern zurückgreifen, die vor einer
Schulwahl stehen und nun sehen, dass
ihnen die Bildungsbehörde eine für sie
wesentliche Information vorenthält?
Im besten Fall würden sie wohl versu-
chen, sich die Information auf eigene
Faust zu beschaffen. Etwa durch Rück-
griff auf die bislang mitgeteilten Mig-
rantenquoten. Oder durch Unter-
richtsbesuche während Tagen der
offenen Tür. Im weniger guten Fall,
indem sie sich an Gerüchte über die
Schulen halten würden.
Die Vorstellung, es lasse sich der
Anteil von Schülern nichtdeutscher
Herkunftssprache an Schulen geheim
halten, ist jedenfalls abenteuerlich und
eine technokratische Phantasie. Sie ist
überdies peinlich, sowohl gegenüber
den betreffenden Schülern und ihren
Eltern wie gegenüber den Schulen
selbst. Denn sie enthält ja im Grunde
das Eingeständnis, man könne den
Zusammenhang von schulischer Leis-
tung und sozialem Hintergrund gar
nicht auflösen. Wenn das so ist, soll
man es zugeben. Wenn es nicht so ist,
gibt es keinen Grund, den Bürgern
Daten vorzuenthalten. Es sei denn,
man hielte sie für leicht beeinflussbare
Dummköpfe. JÜRGEN KAUBE
Seit jeher unbeeindruckt von Kritik: Sylvester Stallone in der Ausstellung „Sylvester Stallone – Retrospektive zum 75. Geburtstag“
A
m gewöhnlichen Arbeitsplatz
vieler Menschen wird vom
Büro bis zum Homeoffice das
Spezialistentum mit Compu-
terunterstützung derzeit zugunsten der
Generalisierung immer mehr abge-
schafft, den Künstlern jedoch gesteht
dieselbe Gesellschaft, die das tut, keines-
wegs zu, in mehr als einer Sache gut zu
sein. Filmschauspieler, die in der Pande-
mie andere Talente herausstellen wollen
als die, mit denen man ins Kino gelockt
wird, das im Moment keine verlässliche
Einnahmequelle darstellt, erleben Miss-
trauen. Die Entschlossenen hält das nicht
auf. So stellte Armin Mueller-Stahl im
Juni in der Lübecker Kunsthalle St.
Annen seine Bilder aus, Matt Dillon ließ
im November einige Arbeiten in Berlin
aufhängen, und seit Neuestem ergänzt
Sylvester Stallone, dem das Osthaus
Museum in Hagen seit diesem Wochen-
ende eine Retrospektive zum 75.
Geburtstag widmet, die Reihe.
Für den Hollywoodprofi ist es leicht,
auf der Leinwand die Rolle zu wechseln,
aber als „Actionstar“ bleibt er einsortiert.
Jahrzehntelang rümpften amerikanische
Kunstkritiker über den „Celebrity-Künst-
ler“ („Washington Times“, 1991) die
Nase. Als Stallone zur Eröffnung seiner
Ausstellung in Hagen eintrifft, umgeben
ihn die seinem Filmriesen-Status ange-
messenen Sicherheitsmaßnahmen, aber
sein völlig ruhiges Auftreten dämpft die
Hysteriegefahr: aufrechter Gang, sparsa-
me Handbewegungen, sonore Stimme
beim Beantworten der Fragen, man
könnte meinen, er käme frisch aus dem
gebührenpflichtigen Zen-Kloster.
Nur einmal ringt er an diesem Tag kurz
mit seinen Emotionen. Beim ersten
Betreten der Ausstellungsräume der Re-
trospektive, die sich über ein gesamtes
Stockwerk des weitläufigen Museums
erstreckt, meint man unter den berühm-
ten Brauenbögen ein wässriges Glänzen
zu sehen. Ein Schlucken ist zu hören, tie-
fes Durchatmen, Rückenstrecken, dann
stellt er sich den Kameras. Im Gespräch
später erzählt er: „Es war ein Schock. Ich
sehe die Bilder sonst nur im Lager oder in
So weit das Auge sehen kann
Zum Tod des Konzeptkünstlers und Buchstabenarrangeurs Lawrence Weiner
Seine Magna Charta war eine Handrei-
chung für die zeitgenössische Kunst,
proklamiert 1968 in drei Paragraphen.
Der Künstler könne das Werk herstellen,
es auch herstellen lassen, es müsse aber
nicht notwendig hergestellt werden. Jede
dieser Optionen sei gleichwertig, gege-
benenfalls könne „der Empfänger“ darü-
ber entscheiden. Wie immer ein Kunst-
werk geistig oder physisch vor Augen
treten mag – sich darüber Gedanken zu
machen ist selbst Kunst.
Dies war die Botschaft von Lawrence
Weiners „Declaration of Intent“, dem
unbestrittenen Hauptwerk des 1942 in
New York geborenen Sohns eines Süß-
warenhändlers, der als Autodidakt die
Kunst seit den Sechzigerjahren prägte
und allein viermal an der Documenta
teilnahm. Der Name Lawrence Weiner
und die ungemein einflussreiche Con-
ceptual Art erscheinen bis heute als
Synonyme, selbst wenn die dazugehöri-
gen Gedanken und der Begriff schon
1962 durch Henry Flynt ins Spiel
gebracht worden waren.
Weiners bevorzugte Ausdrucksform
waren Text, Schrift und Typographie in
Versalien, häufig mit farbigen Linien
unterstrichen oder eingekringelt, stets
frisch und jugendlich, alles andere als
sinnenfeindlich an die Wand gebracht –
horizontal, vertikal, in Pirouetten ver-
wirbelt, ob im Museum oder im öffentli-
chen Raum. Zahlreiche solcher Textwer-
ke, die Weiner eigenwillig als Skulpturen
verstand, handeln von Gewicht, Maß
Feuilleton
Schönheit, wie
Boxer sie sehen
Bevor er Rocky spielte, hatte er Rocky schon
gemalt: Auch als Künstler lässt sich Sylvester
Stallone von Widerständen nicht beeindrucken
und fackelt nicht, wenn es um Primärfarben geht
irgendeinem der Schlafzimmer, in die
meine Frau sie verbannt hat. Sie findet es
zu selbstüberhöhend, die Sachen promi-
nent im Haus zu haben.“ Es fühle sich
wie die „Geburt der Bilder als Kunst“ an,
sie nun hier hängen zu sehen.
Solche Emotionalität lässt Stallone
bei Filmpremieren nicht sehen. Die
Malerei, erklärt er den Unterschied, sei
für ihn „intimer“. Wo er beim Filmdreh
immer auf die Mitarbeit anderer ange-
wiesen sei – „und wenn die schlechter
sind als man selbst, zieht das auch deine
eigene Performance runter“ –, stehe er
der Leinwand „quasi nackt“ gegenüber,
sei aber auch allein für das Ergebnis
verantwortlich. Dass er das dann kaum
loslassen möchte, zeigt sich, wenn man
ihm beim Rundgang durch die Ausstel-
lung begleitet. Da läuft er auf eines sei-
ner Bilder zu: „Ach, daran hab ich
zuletzt noch gearbeitet“, und streichelt
die Leinwand, wie man einem besonde-
ren Pferd vor dem Rennen aufmunternd
das Hinterteil beklopft. Das betreffende
Bild zeigt das Konterfei der Actionfilm-
figur John Rambo, in Neonfarben stili-
siert, eine kleine Verbeugung vor War-
hol, der den Maler Stallone, als der noch
keinen Rambo gespielt hatte, mehrmals
fotografierte.
Lawrence Weiner bei der Documenta 13 in Kassel
Wie Film und Malerei sich gegenseitig
befruchten, erzählt Stallone im
Gespräch, nachdem er Witze über die
schlechte Akustik von FFP2-Masken
gemacht hat: „Damit klingt man nusche-
lig wie früher die Kellner in italienischen
Restaurants.“ Dann nippt er an seinem
Espresso und schwärmt von deutscher
Kunst. „Mein erster Film ‚Paradise Alley‘
war stark von den Gemälden der deut-
schen Expressionisten beeinflusst“,
erklärt Stallone mit Rückblick auf sein
Regiedebüt, in dem er die Geschichte
eines Wrestlers erzählt, der sich in den
Vierzigerjahren aus den schummerigen
Bars von Hell’s Kitchen hinausarbeiten
will. „Ich hab da viel mit Gelb, Rot und
tiefem Blau gearbeitet, dazu hatten mich
diese Maler inspiriert. Die fackeln nicht
lange, die treffen den Betrachter sofort
mit ihren Primärfarben.“ Um den Effekt
der Expressionisten zu verdeutlichen,
lässt er seine Faust in die flache Rechte
fallen: „Bumm.“ So körperbetont, wie er
spielt, arbeitet er auch in seiner Malerei.
Das gilt besonders für „Finding
Rocky“, ein Gemälde aus dem Jahr 1975.
Vor collagenhaft angeordneten Zeitungs-
ausrissen ist in Ölfarben die Figur eines
Boxers aufgetragen. Holzschnittartig
zeichnen sich Muskeln und Gesichtszüge
Foto Wolfgang Stahr/Laif
Foto dpa
ab, sie sind in die Farbe hineingeritzt,
sodass in den Linien die rohe Leinwand
durchschimmert. „Dafür habe ich einen
Schraubenzieher benutzt“, sagt Stallone.
Klingt brutal, nicht? „Dafür müssen Sie
die Neandertaler verantwortlich machen.
Als ich die Höhlenmalerei sah, wurde mir
klar, dass Menschen das malten, was sie
aßen. Obwohl sie Killer sind, sehen sie
die Schönheit in den Dingen. Und sie
nutzten ihre Fäuste, ritzten die Linien mit
Steinen in Steine, das hat mich beein-
druckt, so entstand das erste Rocky-Bild.“
Die Figur des Boxers ließ ihn nicht los,
nachdem er ihn seinerzeit auf die Lein-
wand gebracht hatte. Er hatte innerhalb
weniger Tage ein Drehbuch über den
unterschätzten Newcomer ausgearbeitet,
der den Champion herausfordert. Auch
damals wollte er komplette Kontrolle
über sein Werk behalten, lehnte mehrere
Angebote großer Produktionsfirmen ab,
da sie etablierte Stars für die Hauptrolle
haben wollten. Am Ende handelte er
heraus, die Hauptrolle selbst spielen zu
dürfen, und forderte dafür weniger Gage
als branchenüblich, aber eine höhere
Beteiligung am Gewinn. 1976 gewann
„Rocky“ mehrere Oscars.
Was Stallone als Künstler auszeichnet,
ist Kompromisslosigkeit, egal in welchem
Medium er sich ausdrückt. Das Malen
gab er, wie seine „Rocky“-Filmidee, auch
unter Beschuss nie auf, egal wie schlecht
die Kritiken waren (Stallone: „Die waren
grausam.“) oder wie viele Galerien ihn
ablehnten: „Glauben Sie mir, es waren
viele, die Nein sagten.“ Er tat es den
Figuren gleich, über die er Drehbücher
schrieb und die er immer wieder auf der
Leinwand bearbeitete: Er machte einfach
weiter, bis die Welt kapitulierte – eine
Beharrlichkeit, die man sich heute in der
Gleichförmigkeit des Massenkinos
manchmal zurückwünscht. In Hagen
erzählen nun also fünfzig Werke aus fast
sechzig Schaffensjahren von künstleri-
scher Standhaftigkeit. MARIA WIESNER
Sylvester Stallone, Retrospektive zum
75. Geburtstag, ist bis 20. Februar 2022 im
Osthaus Museum in Hagen zu sehen.
und Relation, andere spielen auf das Ver-
hältnis von Natur, Kultur und Zivilisa-
tion an; manches bleibt einfach nur
kryptisch. Viele Wandarbeiten erschei-
nen tatsächlich so abstrakt wie ungegen-
ständliche Skulpturen und so ausgedehnt
wie die Environments der Land-Art.
Unvergessen der trockene, ganz in
Schwarz gehaltene Schriftzug im Kölni-
schen Kunstverein, im Jahr 2000 in
einer Doppelausstellung mit dem brasi-
lianischen Künstler Cildo Meireles: „As
far as the eye can see“, so weit das Auge
reicht – Fantasie, entfacht durch Poesie
und Prosa zugleich. Dabei stand ganz
am Anfang und als Ausgangspunkt die-
ses schlanken Œuvres um 1962 noch ein
klobiger, behauener Stein, den Weiner
auf einem rustikalen Holztisch aufgeso-
ckelt hatte – von hier aus sollte sich das
materielle Werk zielstrebig auflösen,
eine gänzlich unvermutete Arbeit, zu
sehen 2008 in einer farbenfrohen Ret-
rospektive im K21 der Düsseldorfer
Kunstsammlung.
Dort trafen wir damals den Künstler, er
klagte beiläufig über Knieschmerzen.
Hoffentlich nichts Schlimmes? Nicht
wirklich, so Weiner, er sei als Jugendli-
cher in der Bronx, wo er aufgewachsen
war, einmal angeschossen worden. Das
erzählte er so lakonisch, wie wenn er mal
einen Bus verpasst hätte. Nun ist Law-
rence Weiner am vorigen Donnerstag
nach langer schwerer Krankheit im Alter
von neunundsiebzig Jahren in New York
gestorben. GEORG IMDAHL
NR. 2 8 4 · SE I TE 9
M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1
Doppelt falsch
Von Melanie Mühl
mmerhin sorgt die Corona-Pan-
I demie neben den täglichen Zah-
len der Neuinfektionen und
Todesopfer zuverlässig auch für skur-
rile Nachrichten. Besonders amüsant
war kürzlich der sich für supergewieft
haltende Italiener, der weltweit
Berühmtheit erlangte, weil er zu sei-
ner ersten Impfung in einem Impf-
zentrum in Biella mit einem von Sili-
kon ummantelten Oberarm erschie-
nen war. Er dachte wohl, dass medizi-
nisches Personal echte und falsche
Oberarme nicht auseinanderhalten
könne. In Griechenland, wo Unge-
impfte verpflichtet sind, zwei Mal
wöchentlich einen PCR-Test zu
machen, blüht derweil das Beste-
chungsgeschäft. Sofern man einen
willigen Arzt findet, kostet es um die
vierhundert Euro, sich Kochsalzlö-
sung spritzen zu lassen. Nur sollte
man dabei auch Ärzte, was deren kri-
minelle Energie betrifft, nicht unter-
schätzen. Im wirtschaftlich gebeutel-
ten Griechenland jedenfalls nahmen
etliche Ärzte das Geld der Impfgeg-
ner gern, spritzten aber, aus Angst,
ihren Arbeitsplatz zu verlieren, oder
aus Überzeugung, den echten Impf-
stoff. Auf diese Weise sollen etwa
100 000 Impfgegner geimpft worden
ein, für die Gesellschaft eine Win-
win-Situation. Verglichen mit der
Kreativität unserer europäischen
Freunde, sehen wir indes alt aus.
Hierzulande setzen die Impfverwei-
gerer am liebsten auf gefälschte Impf-
pässe wie der ehemalige Trainer von
Werder Bremen. In der Wetterau soll
der Betrug wegen eines Rechtschreib-
fehlers aufgeflogen sein: Das Wort
Unterschrift war falsch geschrieben,
mit ie. Kurios ist, dass vor noch nicht
allzu langer Zeit, als der Impfstoff
gerade erst auf dem Markt gekommen
war, die Impfschleicher die Wut ihrer
geduldigen Mitbürger auf sich zogen,
weil sie nicht warten wollten, bis sie
an der Reihe waren. Man erinnere
sich nur an jene als alte Männer ver-
kleidete und hinter Masken und Plas-
tikvisieren versteckten jungen Män-
ner aus Mexiko-Stadt, die aufgrund
ihrer jung klingenden Stimmen auf-
flogen. Oder an das reiche kanadi-
sche Ehepaar, das mit einem Privatjet
nach Yukon reiste und sich dort Impf-
dosen der indigenen Bevölkerung
erschlich. Eines aber haben die Impf-
schleicher von damals und die Impf-
statusbetrüger von heute gemeinsam:
Sie tappen in die Falle des Dunning-
Kruger-Effekts. Die amerikanischen
Psychologen David Dunning und Jus-
tin Kruger hatten in mehreren Stu-
dien festgestellt, dass Unwissenheit
das Selbstvertrauen bisweilen stärker
beflügelt als Wissen. Ende der neun-
ziger Jahre baten sie Studierende der
Cornell University unter anderem,
ihre Fähigkeiten in logischem Den-
ken zu beurteilen. Das Ergebnis: Wer
sich als besonders kompetent ein-
schätzte, schnitt in Tests schlechter ab
als die Tiefstapler. Besonders gefähr-
lich, so Dunning und Kruger, sei die
Kombination aus Ignoranz und
Inkompetenz. Wer damit gestraft ist,
der greift beherzt zum Silikonarm.
Kampa auf
Expansionskurs
Kürzlich wurde bekannt, dass der
Verleger Daniel Kampa den Salzbur-
ger Verlag Jung und Jung übernimmt
(F.A.Z. vom 24. November). Nun
steht Kampa nach Informationen der
F.A.Z. vor der nächsten Akquisition:
Zum 1. Januar wird er demnach den
Frankfurter Schöffling-Verlag über-
nehmen. Wie im Fall von Jung und
Jung soll auch bei Schöffling die bis-
herige Belegschaft gehalten werden,
während der Leiter Klaus Schöffling
ausscheidet. Bereits im Herbst 2019
hatte Kampa die Zusammenarbeit
mit Schöffling gelobt, als es um die
Übersetzungsrechte eines 2011 bei
Schöffling erschienenen Romans von
Olga Tokarczuk ging, den Kampa nun
verlegen wollte. Kampa, der lange bei
Diogenes tätig war und von 2013 bis
2017 den Verlag Hoffmann und Cam-
pe leitete, ist mit dem nach ihm
benannten, in Zürich angesiedelten
Verlag seit Herbst 2018 auf dem
Markt. Der Schöffling-Verlag wurde
1993 von dem ehemaligen Suhrkamp-
Lektor und Leiter der Frankfurter
Verlagsanstalt Klaus Schöffling
gegründet. Hier erscheinen unter
anderem die Werke von Peter Kurz-
eck und Ror Wolf. spre
SE I TE 1 0 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
Der Gauner
als Gentleman
Kriminalromane ohne eine Leiche sind
selten. Dabei sind die Verbrechen doch so
vielfältig. Führen theologische Gründe zu
dieser einseitigen Auswahl? Vielleicht hat
die Präferenz für den Mord aber auch nur
einen erzähltechnischen Vorteil. Die
Toten schweigen hartnäckig, wodurch sie
sich perfekt für konzentrierte Versuche
eignen, ein Rätsel zu lösen. Dagegen war
in der klassischen Epoche des Kriminal-
romans eigentlich nur Maurice Leblanc
erfolgreich, mit seinen Romanen über den
Meisterdieb Arsène Lupin, die zwischen
1907 und 1939 erschienen. Lupin stiehlt
sich elegant durch die französische Ober-
schicht, wortreich, akrobatisch, ritterlich,
geschmackvoll. Seine Taten werden
bewundert, weil der Reichtum, den er
angreift, selbst dubios scheint. Lupin ist
außerdem mehr am Spiel als an den Juwe-
len interessiert. Henri Bergson hätte sei-
nen „élan vital“ mit ihm illustrieren kön-
nen: „Die Tugend ist eine engstirnige
Gottheit.“ Jetzt ist der letzte Roman von
Leblanc ins Deutsche übersetzt worden.
Er endet naturgemäß mit einer Heirat.
Vorher ist alles voller Adliger, Maskera-
den und Thronfolgekabalen. Dass Frank-
reich damals schon fünfzig Jahre lang eine
Republik war, bleibt unerwähnt. Polizei
gibt es praktisch auch nicht, nur Agenten.
Dafür dreht sich alles um ein altes Buch,
in dem Jeanne d’Arc angeblich die
Geheimnisse Englands enthüllt hat. Und
es gibt eine Verbrecherbande, deren
Geschäfte von Kindern erledigt werden.
Ein ungeheurer Anachronismus also, eine
Kaiserzeitgeschichte, in deren Unter-
schichtsszenen sich aber hier und da
schon das Paris von George Simenon
abzeichnet. kau
Maurice Leblanc:
„Arsène Lupin“.
Lupins letzte Liebe.
Kriminalroman.
Aus dem Französischen
von Nadine Lipp.
Insel Verlag, Berlin 2021.
171 S., br., 11,– €.
Desperado
in Bonn
Bonn 1961, kurz ist da der Gedanke an
John le Carré und seinen Roman „Eine
kleine Stadt in Deutschland“, der auch in
dieser Zeit spielt. In „Wie wir töten, wie
wir sterben“ ist der MI6 jedoch nur eine
Randerscheinung. Im Mittelpunkt stehen
die verschiedenen Parteien im Kampf um
die algerische Unabhängigkeit, der fran-
zösische Auslandsgeheimdienst, die alge-
rische Befreiungsarmee FLN, die rechts-
extreme OAS, aber auch der israelische
Mossad, dessen Agent Ephraim Rosen-
berg in Bonn einen ehemaligen KZ-Kom-
mandanten aufzuspüren versucht, wäh-
rend in Jerusalem noch der Eichmann-
Prozess läuft. Mittendrin ist Dan Vanuzzi,
Italoamerikaner, Jude, ein Desperado,
der schon für alle möglichen Dienste
gearbeitet hat und sich nun mit Box-
kämpfen über Wasser hält, weil er schon
länger keinen Coup mehr hat landen
können. Er nimmt einen obskuren Job
an: zwei untergetauchte FLN-Leute zu
finden und den Franzosen auszuliefern.
Martin von Arndt hat auch diesmal
sehr gründlich recherchiert und aus den
komplizierten Frontverläufen im Alge-
rien-Konflikt einen spannenden Thriller-
plot entwickelt, der die alten Bekannten
Rosenberg und Vanuzzi erneut zu Kom-
battanten werden lässt und der bis zum
Ende von derselben abgebrühten Illu-
sionslosigkeit ist wie der Protagonist.
Wenn man etwas einwenden wollte, dann
allenfalls, dass in manchen Passagen die
Nahtstellen zwischen historischer Reali-
tät und Fiktion etwas zu deutlich hervor-
treten, weil zu viel Zeitgeschichte in
Kompaktform referiert wird. pek
Martin von Arndt:
„Wie wir töten,
wie wir sterben“.
Politthriller.
Ars vivendi Verlag,
Cadolzburg 2021.
302 S., geb., 20,– €.
Zeit aus
den Fugen
Das wichtigste Kennzeichen der Novelle ist
Goethe zufolge eine „unerhörte Begeben-
heit“. Bei Heinrich Steinfest gibt es davon
gleich mehrere, aber die erste von ihnen
setzt die Handlung in Gang: Roy Paulsen
bekommt ein Foto vorgelegt, auf dem ein
Fahrrad fahrender Mann in Amsterdam zu
sehen ist. Im Hintergrund drei Gebäude.
Obwohl Paulsen noch nie in Amsterdam
war, sieht der Mann auf dem Bild exakt so
aus wie er. Hinzu kommt ein Baby, das aus
einem Fenster des mittleren Hauses
schaut. Nicht einfach so, wie Babys halt
gucken, nein, es fixiert den Betrachter der
Fotografie. Und genau genommen, könnte
es sich auch um eine „alte, runzelige Frau
in einem Gitterbett“ handeln. Horror!
Krimi
Fiktive Gewaltverbrechen sind ihre Spezialität: Faye Dunaway in „Die Augen der Laura Mars“ (1978)
Da waren’s
noch mal sieben
Das Krimi-Jahr neigt sich dem Ende zu, es war ein gutes,
Pandemie hin oder her. Bei Weitem nicht alle Romane,
die unseren Rezensenten gefallen haben, konnten wir vorstellen.
Hier ein Nachschlag, mit dem man sich
für die stille Zeit rüsten kann.
Paulsen reist nach Amsterdam, um
der Sache auf den Grund zu gehen.
Wenig später sind drei Menschen tot,
Was, wenn er
und die Polizei ermittelt. Steinfest, der
abermals eine Mischung aus aufwendig
unschuldig ist?
konstruiertem Plot und großer Sprach-
kunst präsentiert, hebt diesmal sogar Antoine ist der nahezu perfekte Täter. Der
die Zeit aus den Fugen. Und was ist das Dorftrottel, vor dem viele in seinem korsi-
nun für ein Text? Ein bisschen Krimi. schen Heimatdorf Angst haben. „Spasti“
Etwas Mystery. Science-Fiction in Spu- oder „Drecksungeheuer“ sind dabei noch
renelementen. Ein Quantum Liebesge- nicht einmal die schlimmsten Schimpfwör-
schichte. Aber unverkennbar Heinrich ter, die die Dorfbewohner ihm hinterherru-
Steinfest. span fen. Als eines Tages die schöne Florence,
minderjährig, aber sexuell alles andere als
Heinrich Steinfest: unerfahren, in einem Pinienwald tot aufge-
„Amsterdamer Novelle“. funden wird, ist schnell klar, wer der Täter
Piper Verlag, München 2021. gewesen sein muss. Antoine wird ver-
112 S., geb., 15.– €. urteilt, kommt ins Gefängnis. Der Roman
beginnt nach dieser Zeit mit einem Pau-
kenschlag. „Antoine Orsini ist tot, und es
war nicht die Hitze, die ihn umgebracht
hat.“ Der Titel der Übersetzung verrät, hier
wird ein Verbrechen aus der Sicht eines
Icherzählers erzählt. Die Sprache ist derb,
einfach – die Sicht des Dorftrottels eben.
Doch gerade der sieht scharf in die
Abgründe der dörflichen Welt, erzählt
alles „Magic“, seinem Kassettenrekorder.
War er der Mörder, für den ihn alle halten?
Was, wenn er unschuldig wäre? Julie Estè-
ve, eine 1979 geborene Juristin und Kunst-
historikerin, verleiht Antoine eine authen-
tische Stimme, die einen immer stärker in
die Geschichte hineinzieht. In identitäts-
politisch aufgeheizten Zeiten lohnt es sich,
auch darauf hinzuweisen. cag.
Julie Estève: „Ich,
Antoine“. Roman.
Aus dem Französischen
von Christian Kolb.
Dtv Verlag, München 2021.
160 S., geb, 20.– €,
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Foto Picture Alliance
Innenansichten
eines Killers
Wie viele Namen von Serienkillern ken-
nen Sie? Und wie viele Namen von ihren
Opfern? Genau das ist das Problem.
Catherine Ryan Howard erzählt in „The
Nothing Man“ lose inspiriert vom Fall des
Golden State Killer von einer brutalen
Verbrechensserie. In Irland, wo die Polizis-
ten damals unbewaffnet sind, wo Haustü-
ren geöffnet und Autoschlüssel stecken
bleiben, markiert sie zwischen dem
Beginn des neuen Jahrtausends und 9/11
so etwas wie das Ende der Unschuld. Meh-
rere Frauen werden in ihren eigenen Häu-
sern gedemütigt, vergewaltigt, teils auch
umgebracht von einem Unbekannten,
gegen den die Gardai absolut nichts in der
Hand haben. Der Kniff: Uns ist die Identi-
tät des Killers von der ersten Seite an
bekannt; der Blick in seinen Kopf entlarvt
ihn als durch und durch mittelmäßigen
Verlierer. Im Buchhandel nimmt er eine
Neuerscheinung mit dem Titel „The No-
thing Man“ in die Hand – die Memoiren
seines einzigen überlebenden Opfers. Von
da an ist die zentrale Frage weniger Who-
dunit denn: Wie macht sie das? Catherine
Ryan Howard verfasst ein komplettes
Buch im Buch, unterzieht ihre Leserschaft
gewissermaßen einem Einführungssemi-
nar in Sachen True Crime, problematisiert
die popkulturelle Faszination für Serientä-
ter, ohne sie rundheraus zu verurteilen.
Ihre Erkenntnisse sind vielleicht nicht
weltbewegend, aber ihre Erzählweise
macht „The Nothing Man“ zu einem der
originellsten Krimis des Jahres. kd
Catherine Ryan Howard:
„The Nothing Man“.
Thriller.
Aus dem Englischen von
Jan Möller.
Rowohlt Verlag,
Hamburg 2021.
400 S., br., 12,– €.
Schweizer
Gründlichkeit
Als im blitzblank polierten, zwinglia-
nisch zivilisierten Zürich ein dunkler
Fleck von Barbarei in Form einer grau-
sam zugerichteten Leiche auftaucht,
muss sie die eidgenössische Ordnung
wiederherstellen: Die Kriminalpolizistin
Sarah Conti hat eigentlich Konzertpia-
nistin werden wollen, stattdessen beugt
sie sich nun als Spezialistin für besondere
Mordfälle über einen toten Mann am
Seeufer, dem das Herz aus dem Leib
gerissen wurde. So schrecklich die Tat, so
feinsinnig die Ermittlungen der Einzel-
gängerin, die der Autor Fabio Lanz in sei-
nem Debüt ihren ersten Fall lösen lässt.
Es gilt, die Lebensmelodie des gewaltsam
zu Tode gekommenen Juristen aufzu-
schlüsseln, Zwischentöne im Umfeld –
eine kühle Witwe, ein entfremdeter
Sohn, ein dubioser Beichtvater – zu ver-
nehmen, Dissonanzen zu erkennen.
Stichworte wie Dunkelkatholiken, rechte
Geheimbruderschaft, Masochismus las-
sen Alarmglocken schrillen. Doch Sarah
Conti, eine Introvertierte von um die
vierzig, klettert Schritt für Schritt durch
ihre persönliche Eiger-Nordwand, als die
sie die Suche nach dem Täter imaginiert.
Dabei denkt sie schöngeistig über Pirane-
si nach, selbst eine Frau wie aus einem
Plakat von Alex Katz. Wer es gediegen
mag und nicht zu aufregend, sollte sich
ihrem unverkennbaren kriminologischen
Talent anvertrauen. eer.
Fabio Lanz:
‚„Ein kaltes Herz“.
Sarah Contis erster Fall.
Kein & Aber Verlag,
Zürich 2021.
380 S., geb., 20,– €.
Lustig ist das
Skalpiererleben
Und wo bleibt das Komische? Es ist
schon da, man muss es nur lesen. Seit
zwanzig Jahren schreibt die 1960 gebore-
ne Tatjana Kruse, aufgewachsen in
Schwäbisch Hall, „-mödien“. Der aktuelle
Band „Schwund“ ist eine „Thrillmödie“.
Der Roman spielt hemmungslos mit allen
Klischees, die das Genre bietet, und
bleibt dabei selbst ein rasanter Thriller.
Das muss man auch erst einmal zustande
bringen. Eine vierköpfige Ermittlertrup-
pe ist einem speziellen Mörder auf der
Spur. Er hinterlässt seine Opfer tiefgefro-
ren, skalpiert und tätowiert sie post mor-
tem und sticht ihnen die Augen mit
einem Eislöffel aus. Solche grausigen
Funde werden aus ganz Deutschland
gemeldet, der Bodycount steht am Ende
bei sechsundfünfzig, oder sind es fünf-
undsechzig? „Egal“, sagt die Erzählerin.
Sisu, Fabian, Schröder und Fassbinder –
eine superschöne, gefährliche Frau und
drei höchst unterschiedliche Typen –
haben bald zwei rivalisierende Drogen-
kartelle ausgemacht, die hinter den Mor-
den stecken könnten. Kruse ignoriert
politische Korrektheiten, hat ein Auge
für menschliche Eitelkeit. Und sie spießt
steinzeitliches Konsumverhalten auf,
Kerle, „die nur ein einziges Pflegepro-
dukt benutzten – Shampoo, Conditioner,
Feuchtigkeitscreme, Autopolitur und
Backenofenreiniger in einem“. Marc-
Uwe Klings Känguru-Humor ist immer
an Bord, das Tempo ist hoch und das
Ende trickreich. In der Danksagung
bedenkt die Autorin Gott und ihre Mut-
ter. Wer sich unsicher ist, kann auf der
Homepage der Autorin ein Quiz machen,
ob er als Leserin infrage kommt. hhm
Tatjana Kruse:
„Schwund“. Ein Thriller,
aber in heiter.
Insel Verlag, Berlin 2021.
345 S., br., 11.– €
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
W Hinter die
as haben nur all die
armen Konzertsäle ver-
brochen, dass sie in
Moritz Rinkes neuem
Stück „Ein Mann, der
sich Beethoven nannte“ aus dem Welt-
raum von Meteoriten bombardiert wer-
den? Ein Gesteinsbrocken trifft die Berli-
ner Philharmonie, wo soeben das Hausor-
chester probt und nun der Einsturz droht.
Später vernimmt man per Radioschal-
tung von weiteren Einschlägen in den
Metropolen der Welt. Auch die New Yor-
ker Carnegie Hall muss dran glauben.
Wird hier, von welcher kosmischen Macht
auch immer, endlich erledigt, was sich der
Komponist Pierre Boulez einst in einer
wohligen Zerstörungsfantasie im Bezug
auf die Opernhäuser erträumte: sie ein-
fach in die Luft zu sprengen mit all ihrer
Tradition, die ihm nur als Last erschien?
Oder suchte Rinke nur nach einer
Schnellflugverbindung, um Ludwig van
Beethoven in die Welt von heute zu schie-
ßen? Stotternd (vor Schreck vermutlich)
sitzt er auf den Trümmern der Berliner
Philharmonie, nachdem er offenbar auf
dem Meteoriten geritten war wie Baron
Münchhausen auf der Kanonenkugel.
Der „Mann der sich Beethoven nann-
te“, nun an der Neuköllner Oper in Berlin
uraufgeführt, ist eine Kammerkomödie,
in der doch schweres Geschütz aufgefah-
ren wird. Auf das Stereotyp des revolutio-
nären Komponisten festgelegt, muss er
auch hier als Revolutionär unserer Tage
vorgestellt werden. Berserkerhaft ist sein
Auftreten dabei nicht. Christian Kerepe-
szki spielt diesen Beethoven als einen
Empfind- und Einfühlsamen, der gern
und gut zuhört und sich – kaum sind ein
paar Worte gewechselt – schon in die
soeben vom Orchester entlassene Brat-
scherin verliebt, die sich um ihn küm-
mert. Laut wird dieser Beethoven nur,
wenn er zum Arzt geschickt werden soll,
weil man ihn für einen Mann hält, der aus
einem Pflegeheim ausgerissen ist.
Und wenn es um die zehnte Sympho-
nie geht, die zum Zeitpunkt des Meteori-
teneinschlags gerade vom Orchester
geprobt wird, in der (im Oktober uraufge-
führten) Vervollständigung mithilfe von
Künstlicher Intelligenz. Da lässt der
Komponist dann seinen ganzen heiligen
Zorn frei, der sich bald auch auf den
Sponsor erstreckt, der das Projekt ermög-
licht hat. Das sei doch wie zu seiner Zeit:
An die Stelle des Adels mit seinen finan-
ziellen Möglichkeiten auf der einen Seite
und den Ansprüchen der Künstler auf der
anderen Seite, seien heute eben die
Großkonzerne getreten. Alles beim
Alten! Das mag vielleicht auf die Finan-
zierung der Kultur in den USA zutreffen,
die fast ausschließlich durch privates
Engagement erfolgt; für das Finanzie-
rungsmodell hierzulande mit starker
staatlicher Unterstützung gilt das doch
wohl kaum. Gut möglich, dass Rinkes
Beethoven das beim Kreisen im Weltall
nicht mitbekommen hat, bevor er sich auf
den Meteor setzte.
Die leeren
Gesichter
des Kapitals
Auch miese Geschäfte
bringen gutes Geld:
„Das Gesicht des Bösen“
von Nis-Momme
Stockmann am
Schauspiel Frankfurt
apitalismus, das ist ein Wort, das
K ihm nur schwer über die Lippen
kommt. Wenn es auf seiner Zun-
ge liegt, fängt er an zu schreien. Der linke
Schriftsteller, der ein kapitalismuskriti-
sches Stück verfassen will, weil der Kapi-
talismus „schlecht und ganz verdorben
ist“, scheitert an seinen eigenen Ambitio-
nen. Auf einem grünen Spielfeld steht er,
in einem Anzug, dessen Muster exakt das
gleiche ist wie das des Feldes. Von dort
aus monologisiert er über die Ordnung,
die unser Dasein bestimmt. Schnell wird
klar: Das Leben ist ein Spiel, dessen
Regeln wir alle unterworfen sind. Das gilt
auch jetzt, bei diesem lustigen Theater-
abend in den Kammerspielen des Schau-
spiels Frankfurt.
Die Regisseurin Lea Gockel debütiert
hier mit der deutschsprachigen Erstauf-
führung des komödiantischen Kammer-
spiels „Das Gesicht des Bösen“ von Nis-
Momme Stockmann. Das Stück will die
Abgründe unserer Wirtschaftsordnung
aufzeigen – eigentlich ein wenig innovati-
ves Unterfangen für eine deutschsprachi-
ge Bühne. Doch Gockels humoristische
Inszenierung ist gegenwärtiger als vieles
andere, das sonst so den freien Markt hin-
terfragt. Erstmals wurde der Text im
Frühjahr 2021 in Aarhus aufgeführt.
Das Stück besteht aus drei Szenen.
Zunächst spricht der namenlose Schrift-
steller, gespielt von Sebastian Kusch-
mann, einen Monolog von der Gesichts-
losigkeit der Wirtschaftsordnung und
fragt nach dem „Gesicht des Bösen“. Sind
es die Hedgefonds-Manager, die Politiker,
die Vorstände? „Die sehen alle so nett
aus.“ Dass er keine Antwort auf seine
Mondscheingranate: Clara (Maya Alban-Zapata, links) und Beethoven (Christian Kerepeszki) hören dem Trickster Orchestra zu.
Der Weltgeist kommt auf
dem Meteoriten
An der Neuköllner Oper in Berlin wird Moritz Rinkes neue Komödie
„Ein Mann, der sich Beethoven nannte“ gezeigt. Sie lässt den Komponisten aus
dem All in eine Welt stürzen, die angeblich die unsrige sein soll. In Wahrheit
strotzt der Text vor Ressentiments, die an Tatsachen nicht interessiert sind.
Bei dem, was dem Komponisten in
Berlin hingegen als orchestrale Realität
präsentiert wird, fragt man sich, ob
Moritz Rinke und sein Ko-Autor (und
Regisseur) Mathias Schönsee die letz-
ten Jahre denn in einer ähnlich erdfer-
nen Umlaufbahn verbracht haben. Cla-
ra, die Helferin und bald der Augen-
Karrierebestie in Nadelstreifen: Friederike Ott in den Kammerspielen
Frage findet, führt ihn an den Rand des
Wahnsinns. „Ein Autor, der etwas auf
sich hält, muss den Kapitalismus kritisie-
ren“, sagt er mit erhobenem Haupt, dass
sich jedoch schnell wieder senkt.
Gockels Adaption ist eine Collage der
Kapitalismuskritik, die sich dem Kapita-
lismus beugt. Im Stakkato-Rhythmus
schießt der Schriftsteller seine Wortsal-
ven ohne Punkt und Komma in den Saal.
Die Performance entwickelt sich zum
Elevator-Pitch, bei dem die Stoppuhr
ständig mitläuft. In Gockels Inszenierung
bedeutet Zeit Geld, auch am Theater. Der
Schriftsteller stolpert über seine Worte,
denn die unsichtbare Hand des Marktes,
die er sezieren will, lässt den Text aus-
einanderfallen, bis nur noch effiziente
Textfetzen übrig bleiben. Die Wirt-
schaftsordnung präge eben auch das
Theater. Zynisch merkt er an, „dass der
Hauptsponsor des Schauspiels immer
noch die Deutsche Bank ist“.
Mit der zweiten Szene kommt der radi-
kale Schnitt. Die Scheinwerfer sind nun
auf das pochende Herz des Kapitalismus
gerichtet, in dem sich ein psychologisches
Kammerspiel entfaltet. Zwei Archivare,
genannt Schwarz, gespielt von Friederike
Ott, und Blau, dargestellt von Fridolin
Sandmeyer, sitzen im Keller eines Ban-
kenhochhauses zwischen ihren Akten.
Das Bühnenbild ist kalt und karg: Über-
wachungskameras, Monitore, kahle Wän-
de. Die Nadelstreifenanzüge sitzen eng,
die Haare der beiden sind streng nach
hinten gekämmt, ihre Gesichter verstei-
nert. Doch dann klingelt das Telefon: Sie
sollen für einen besonderen Auftrag in
den obersten Stock des „Towers“. Akten
Feuilleton
stern Beethovens, wird von ihrem
Orchester, den Berliner Philharmoni-
kern, entlassen, weil sie sich für die Öff-
nung des Ensem-bles hin zu neuem Pub-
likum und für ein einladenderes
Erscheinungsbild einsetzt.
Dem Orchester wiederum steht ein
von den Musikerinnen und Musikern
Foto Jessica Schäfer
sollen sie bringen, geheime Akten, die
explosive Informationen über Steuerhin-
terziehung, Korruption und Krisen ent-
halten. Eine gute Gelegenheit, um Ein-
druck bei den Chefs zu machen. Doch bei
der Fahrt mit dem Aufzug stoppt die Effi-
zienzmaschinerie. Der Fahrstuhl bleibt
stecken. Für eine halbe Stunde liefern
sich die beiden nun einen aggressiven
Dialog über den Sinn ihres Daseins, aus
dem sie ramponiert und gebrochen her-
vorgehen. „Ich habe mich bemüht“, sagt
Blau weinend. „Vielleicht ist das das
Problem“, entgegnet Schwarz bissig. Als
der Fahrstuhl sich öffnet, stehen
Demonstranten vor der Tür. Doch anstatt
sich ihnen anzuschließen, streiten sie nun
erbittert darum, wer von ihnen den
Aktenkoffer nach oben tragen und in der
Firmenhierarchie aufsteigen darf.
Stockmann und Gockel stellen die
Gefangenheit der Angestellten in ihrem
Unternehmen dar. Die Aufzugszene erin-
nert an das Vater-Tochter-Verhältnis bei
„Toni Erdmann“ und an den Habitus der
Banker in der Serie „Bad Banks“, denen
ihre Karriere wichtiger ist als alles andere.
„Irgendwann muss jeder mal nach oben“
lautet denn auch das unbefriedigende Cre-
do dieses Abends. Am Ende tritt noch ein-
mal der Schriftsteller auf, schafft es aber
wieder nicht, die richtigen Worte für die
Krise der Ordnung zu finden. Die Uhr tickt
unaufhörlich. Das Licht geht aus. Die Fra-
ge, wie das böse Gesicht des Kapitalismus
aussieht, bleibt weiterhin unbeantwortet.
Leise dringt ein letzter Satz aus dem Dun-
keln auf der Bühne: „Der Trick des Kapita-
lismus ist, dass er uns an den falschen Stel-
len suchen lässt.“ KEVIN HANSCHKE
abgrundtief gehasster Despot als Chefdi-
rigent vor, dessen lächerliche Aufgebla-
senheit (Hansa Czypionka kann ihm tat-
sächlich komische Seiten verleihen) von
den echten Philharmonikern mit einem
beiläufigen Piks erledigt werden würde.
Das Bild des Orchesters, dessen Name
hier herhalten muss, ist so grotesk welt-
Räume, völlig
desinteressiert an uns
Der Künstler Bruce Nauman wird achtzig
Bruce Nauman ist der Pionier und der
unbestrittene Meister der künstle-
rischen Verhaltensforschung. Sein
bevorzugtes Medium ist die Versuchs-
anordnung. Nauman überträgt Vor-
richtungen, die sich der Psychologe
Burrhus Frederic Skinner für seine
Laborexperimente hätte ausdenken
können, ins Atelier und in die Galerie.
Er inszeniert Situationen, stellt die
erforderlichen materiellen Bedingun-
gen zur Verfügung und suggeriert
Handlungsmöglichkeiten, um dann
mit dem eiskalten Blick eines extrater-
restrischen Besuchers zu verfolgen,
was geschieht.
Zu Beginn seiner Performances war
er selbst die Versuchsperson. Auf
Videobändern von jeweils einer Stun-
de dokumentiert er zum Beispiel, wie
er seinen Oberkörper mit verschiede-
nen Sorten von Schminke bedeckt oder
wie er sich immer wieder nach hinten
in eine Zimmerecke fallen lässt, um
anschließend wieder nach vorn zu
federn. Wenig später nötigt er auch die
Betrachterinnen und Betrachter zu sol-
chen Exerzitien. Er konstruiert bei-
spielsweise Korridore, in die man
hineingehen kann, um zu sehen, wie
man dort auf Ausweglosigkeit und
Beklemmung reagiert.
Eine besonders eindrückliche In-
stallation findet man im Hamburger
Bahnhof in Berlin, wo sie, wie es der-
zeit aussieht, zum Glück auch in
Zukunft bleiben wird. Hier kreuzen
sich drei Korridore wie im Zentrum
eines dreidimensionalen Koordinaten-
kreuzes, und wer sich dorthin begibt,
versteht sofort, warum der Künstler
seinem Werk den folgenden Titel gege-
ben hat: „Room With My Soul Left
Out, Room That Does Not Care“. Ähn-
liche Charakterisierungen lassen sich
auf den größten Teil dessen anwenden,
was Nauman im Laufe der Zeit
geschaffen hat. Die Seele spielt nie
eine Rolle, und auf sorgsamen
Umgang darf auch niemand rechnen.
Das heißt nun aber keineswegs, dass
Nauman selbst für eine gnadenlose
Welt eintritt, eine Welt, in der Ausch-
witz noch einmal möglich wäre. Nau-
man konfrontiert uns, ähnlich wie
M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 1 1
Foto Matthias Heyde
fremd wie die Anstrengungen, das Bild
einer Hochkultur im Elfenbeinturm zu
zeichnen, die in verkrusteten Strukturen
vor sich hin versauert. Dafür braucht es
dann auch noch den „alten weißen
Mann“, den Clara (Maya Alban-Zapata)
hier an jeder Ecke sieht: im Dirigenten,
in den Kollegen und in den Komponisten
selbstverständlich auch, die ja alle auf
einem Sockel stünden. Man merkt
schnell: Rinkes Urteile über die „Hoch-
kultur“ stehen fest und sind durch Tatsa-
chen nicht zu erschüttern. Oder anders
gesagt: Seine Ressentiments sind so ran-
zig, dass sie bis ins Weltall stinken. Der
Beethoven, der aus ebendiesem All nach
Berlin eingeflogen ist, würde nun elek-
tronisch verschärfte Musik schreiben
und auch vor heftigen Techno-Beats
nicht zurückschrecken.
Diese Musik haben sich Ketan Bhatti,
Cymin Samawatie und Niko Meinhold
ausgedacht, das Trickster Orchestra spielt
sie mit exotischen Farben von chinesischer
Mundorgel und japanischer Zither. Wir
fragen uns derweil, was Beethoven wohl
zu dem Stück gesagt hätte, wenn er auf
einem Meteoriten in Berlin-Neukölln vor-
beigeritten wäre. CLEMENS HAUSTEIN
Beckett, mit seinen düsteren Visionen,
weil er davon überzeugt ist, dass man
dem Irrsinn des Lebens am besten ent-
gegentritt, indem man ihn in der Kunst
auf die Spitze treibt. Deshalb baut er
Pyramiden von toten Tieren, und 1992
zeigt er bei der Documenta IX einen
Menschenkopf, der auf dem Kopf
steht, rastlos rotiert und unablässig
Worte ausstößt wie: „Help me! Hurt
me! Sociology!“
Solche Extreme hat Nauman später
vermieden, um sich eher den Rätseln
des Alltags zu widmen. Doch auch
dabei behält er seine Attitüde der
unbeteiligten Beobachtung bei, in der
alles so seltsam und unverständlich
scheint wie aus der Sicht eines Mars-
menschen. Als reale Person lebt
Nauman in Galisteo, New Mexico,
und züchtet Pferde. Heute vollendet
sich sein achtzigstes Jahr auf dieser
Erde. KARLHEINZ LÜDEKING
Bruce Nauman Foto VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Glaswand
Transzeremonielle
Privatheit: Merkel und
Franziskus
Von Horst Bredekamp
Nach jahrelangen Arbeiten in der
vatikanischen Bibliothek und dem
dortigen Geheimarchiv hatte ich
geglaubt, den Vatikan zu kennen,
doch durch den Abschiedsbesuch
der Bundeskanzlerin bei Papst
Franziskus am 7. Oktober wurde
ich eines Besseren belehrt. Als Mit-
glied der Delegation erfuhr ich die
zeremonielle Aufnahme durch die
Schweizer Garde, die gleichsam
rhythmische Näherung zu den
Audienzräumen des Papstes, die
Begleitung durch ordensbehangene
Cortegiani und schließlich die etwa
halbstündige Wartezeit in einem
Vorraum, an dessen Wand ein El
Greco und mutmaßlich ein Dürer
hängen. Das Gewicht der über Jahr-
hunderte zusammengekommenen
Ausstattung der Räume wie auch
das Zeremoniell, innerhalb dessen
die Zeit wie stillgestellt zu sein
scheint, besitzen eine nicht zu
rationalisierende Wirkung, deren
Effekt man zulassen muss, um ihn
begreifen zu können.
Erstmals habe ich in dieser Dich-
te erfahren, was Walter Benjamin
die Aura nannte: das Hier und Jetzt
als Inkorporation entfernter Zeiten
und Ereignisse. Umso größer die
Überraschung, dass diese mit dem
bestechenden Vermögen des Paps-
tes gepaart wurde, den höfischen
Apparat zwar einzusetzen, ihn aber
auch in ungekünstelter Zuwendung
zu überspielen. Hierin trafen sich
Franziskus und Angela Merkel
habituell. Beide vermittelten den
Anwesenden das Gefühl einer
transzeremoniellen Privatheit.
Mensch Merkel
Bei der vorangegangenen Besich-
tigung von St. Peter, gemeinsam mit
Joachim Sauer und Monsignore Oli-
ver Lahl, trat das Sicherheitsperso-
nal der Bundeskanzlerin wie
gewohnt nicht dominant in
Erscheinung. Das unvorbereitete
Publikum reagierte auf ihre Anwe-
senheit mit Erstaunen, und durch-
weg, so auch während des Gangs
über das Dach der Peterskirche,
folgten nach der Überraschung Zei-
chen der Freude, des Respekts und
der Distanz. Es war, als würde das
Verhalten der Umwelt spiegelneu-
ronal beantworten, was von Angela
Merkel ausgeht. Zwischen Nähe-
rungswunsch und Sympathiedis-
tanz manifestierte sich ein Respekt,
der sich auch am Nachmittag bei
der Veranstaltung der ökumeni-
schen Laiengemeinschaft Sant’Egi-
dio vor dem Kolosseum zeigte.
Im Audienzraum des Papstes und
im Langhaus von St. Peter hielten
sich Distanz und Nähe die Waage.
Ein dritter Ort bereitete eine weite-
re Erfahrung: In einem bestimmten
Moment des Besuches von St. Peter
wurde uns bedeutet, dass wir über
einen Seiteneingang hinter die
Glasscheibe treten könnten, welche
Michelangelos Skulptur der Pietà
seit dem ikonoklastischen Attentat
von 1972 der Wahrnehmung durch
das Publikum entrückt. Auf „Tuch-
fühlung“ mit der Pietà jenseits der
Glasscheibe geschah jene unmittel-
bare Zuwendung, die den unter per-
manenter Beobachtung und Selbst-
kontrolle stehenden Amtskörpern
in der Regel nicht gelingen kann.
Die zwanglose Begegnung mit
der überwältigenden Marmorfigur
und ihre Fähigkeit, verschiedene
Zeit- und Raumsphären simultan
auf plastische Weise zusammen-
zuführen und damit so unterschied-
liche Gemütszustände wie Erfül-
lung, Sehertum und Trauer wie
auch Leben und Tod miteinander zu
verbinden, führte jedoch in Tiefen-
schichten, in denen sich die Unver-
stelltheit gleichsam ohne Schleier
offenbart. Fassungslosigkeit zu-
zulassen ist ein eigenes Zeichen
von Souveränität, und wohl keiner
der Beteiligten wird den Moment
vergessen.
Die Szene hatte exemplarischen
Charakter. Die Fähigkeit, situa-
tionsbedingt die Ebenen zu wech-
seln und sich so gut wie unbedingt
auf ungeahnte Gegebenheiten ein-
zulassen, ist ein Wesenszug des
politischen Agierens von Angela
Merkel. Die sechzehn Jahre ihrer
Kanzlerschaft waren eine Kette von
Krisen. Deren Bewältigung, dies
wurde vielfach berichtet, wäre ihr
nicht möglich gewesen ohne die
Fähigkeit, mit der Aura des Amtes
niemals jenen Grundzug privater
Zivilität zu verlieren, die den
Besuch im Vatikan bestimmte.
SE I TE 1 2 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
Kaufen Sie bitte
nur ein Stück Brot!
Erdoğan treibt die Menschen in der Türkei in die
Armut und sucht die Schuldigen. Von Bülent Mumay
Im Gedächtnis der türkischen Gesell-
schaft gibt es traumatische Momente.
Dazu gehört, Brot gegen Bezugsscheine
zu kaufen. Als Maßnahme gegen die
Not im Zweiten Weltkrieg gaben die
Machthaber Brot auf Bezugsscheine
aus. Die Türkei war nicht in den Krieg
eingetreten, hatte aber bestimmte Wirt-
schaftsmaßnahmen ergriffen, sodass
Familien Brot nur in der zugewiesenen
Menge erhielten. Eine weitere trauma-
tische Erinnerung stammt aus den
Siebzigern. Aufgrund der Wirtschafts-
krise und des Embargos, das gegen die
Türkei wegen der Zypern-Intervention
verhängt worden war, mussten die Leu-
te für viele Waren anstehen. Unvergess-
lich sind die Schlangen für Benzin,
Speiseöl und Gasflaschen.
Dank des Erdoğan-Regimes sind neue
Traumata hinzugekommen. Betreten Sie
in der Türkei einen Supermarkt, finden
Sie bei manchen Produkten den Hinweis:
„Begrenzte Abgabe: Bitte nur ein Stück
kaufen.“ Vor allem bei Grundnahrungs-
mitteln wie Zucker und Speiseöl findet
sich dieser Hinweis. Der Grund dafür
liegt auf der Hand: Die Leute wissen,
dass sie das gleiche Produkt am nächsten
Tag nicht mehr zum gleichen Preis
BRIEF
AUS
ISTANBUL
bekommen, weil eine Preissteigerung die
nächste jagt. Also geben sie ihr Geld bis
zum letzten Kurusch aus, um Lebensmit-
tel zu horten. Was steckt dahinter, wenn
die Bürger horten und die Händler nicht
verkaufen wollen? Dass, aufgrund
Erdoğans Wirtschaftspolitik, niemand
abschätzen kann, was morgen sein wird.
Die Wirtschaftskrise verschärft sich
dank Erdoğans Beharren auf seiner Zins-
senkungspolitik täglich. Als die Zentral-
bank am 18. November abermals den
Leitzins senkte und Erdoğan verkündete,
weitere Senkungen würden folgen, erleb-
te die türkische Lira einen historischen
Absturz. Innerhalb der letzten zwei
Wochen verlor unsere Währung 20 Pro-
zent an Wert. Der Dollar liegt bei 13,45
türkischen Lira, der Euro bei 15,15. Die
Devisenkurse haben sich in den letzten
zehn Jahren versechsfacht.
Unsere Wirtschaft ist vom Ausland
abhängig. Deshalb wird alles nur noch
teurer, wenn die Devisenkurse durch die
Decke gehen. Wenn den Erwerbstätigen,
die in Lira entlohnt werden, das Geld
nicht mehr für die Waren reicht, weil die-
se wegen der steigenden Devisenkurse
teurer werden, wollen sie Vorräte anle-
gen. Am Tag bevor die Treibstoffpreise
steigen, bilden sich vor Mitternacht kilo-
meterlange Autoschlangen an den Tank-
stellen. Die Händler wissen, dass sie die
Regale nicht wieder zum selben Preis
auffüllen können und dass die Preise für
ihre Waren weiter steigen, also versu-
chen sie, ihre Vorräte zurückzuhalten.
Klicken Sie auf den Websites von
Automobilfirmen auf eine Preisliste,
ploppt häufig der Hinweis auf: „Die Seite
wird aktualisiert.“ Die Firmen können
keine Preise festlegen, solange sie nicht
wissen, wie es mit den Devisenkursen
weitergeht, weshalb sie ihre Wagen lie-
ber in der Garage behalten. Apple stopp-
te den Verkauf für zwei Tage, als die Kur-
se explodierten. Anschließend startete
der Verkauf mit einer Preiserhöhung von
25 Prozent erneut. Den Apotheken man-
gelt es an gängigsten Medikamenten. Als
der Staat den Kurs für Pharmaunterneh-
men auf ein Drittel des realen Kurses
festschrieb, stellten die Firmen die Belie-
ferung von Apotheken mit Medikamen-
ten ein. Sie werden es vielleicht nicht
glauben, doch inzwischen leihen Bürger
sich gegenseitig sogar Medikamente.
Während alles teurer wird, werden die
Schlangen bei preiswerten Waren länger.
Vor Theken, an denen Kommunalver-
waltungen günstig Brot verkaufen, bilde-
ten sich Schlangen von bis zu einem
Kilometer. Die andere Seite der Medail-
   
  # $%
le: Da die türkische Lira an Wert verliert,
stehen Menschen, die ihr Geld in ande-
ren Währungen verdienen, Schlange, um
in die Türkei zu reisen. Am Grenzüber-
gang von Bulgarien bildete sich eine
Autoschlange von ebenfalls einem Kilo-
meter, weil so viele Leute zum Einkaufen
in die Türkei kommen wollten.
Erdoğan macht wie stets „ausländische
Kräfte“ für das Geschehen verantwort-
lich: „Wir beobachten, wie jene, die, wie
früher schon, unser Land ins Abseits sto-
ßen wollen, an Kursen, Zinsen und Preis-
steigerungen drehen, und setzen unseren
Willen dagegen, mit unserem eigenen
Inszenierungsplan fortzufahren.“ Als
wäre nicht er selbst es, der die Kurse zu
Sprüngen veranlasst hat, indem er den
Leitzins fünf Punkte unter der Inflation
festsetzte. Allerdings zieht die Rhetorik
der „ausländischen Kräfte“ nicht mehr so
recht. Sie schmeckt „wie Kürbis“, wie wir
auf Türkisch sagen, ist also fade gewor-
den. Jüngsten Umfragen zufolge nennen
57,5 Prozent der Befragten „falsche Poli-
tik der Regierung“ als Grund für die Kri-
se. Das hat Erdoğan wohl erkannt, denn
nun zieht er gegen „inländische Kräfte“
statt gegen „ausländische“ zu Felde.
Zunächst bezichtigte er die fünf größten
Supermarktketten im Land, für die Preis-
steigerung verantwortlich zu sein, jetzt
verdonnerte er sie zu 180 Millionen Euro
Bußgeld. In Istanbul wurden 70 Personen
verhaftet, weil sie mit Töpfen und Pfan-
nen gegen Preissteigerungen protestier-
ten. Gegen Hunderte Inhaber von Social-
Media-Accounts laufen Ermittlungen,
weil sie sich zu Devisenkursen äußerten.
In seiner jüngsten Sitzung beschloss
der Nationale Sicherheitsrat, die Wirt-
schaftspolitik der Regierung zu unter-
stützen. Das ist heikel, weil die Opposi-
tion seit etwa zwei Jahren die Erdoğan-
Regierung vor allem aufgrund der Wirt-
schaft in die Enge treibt. Wenn nun der
Nationale Sicherheitsrat unter Erdoğans
Vorsitz mit dem jüngsten Beschluss die
Wirtschaft zu einer Frage der nationalen
Sicherheit macht, kommt dies einer War-
nung an die Opposition gleich. Den
Staatskontrollrat beauftragte Erdoğan
zudem damit, festzustellen, „wer die
Devisenkurse manipuliert“. Offen
gesagt, gibt es nur einen, der für die
Manipulation der Devisenkurse verant-
wortlich ist. Erdoğan persönlich löst die
Sprünge bei den Devisenkursen aus.
Allein die Erklärung, er habe den Staats-
kontrollrat beauftragt, ließ die türkische
Lira um weitere zwei Prozent absacken.
Das Nationaleinkommen ist seit Ende
des Befreiungskampfes und Gründung
der modernen Republik 1923 erstmals
sieben Mal in Folge gesunken. In den
Außenbezirken verkaufen die Krämer
U
Speiseöl mittlerweile becherweise. Liter-
weise können die Leute es sich nicht
mehr leisten. Die Straßenhändler teilen
die Bretzeln ähnelnden Sesamkringel
Simit in zwei Hälften. Die Bevölkerung
krümmt sich vor Armut, Abgeordnete
der Erdoğan-Partei AKP dagegen lassen
äußerungen vom Stapel wie: „Erdgas ist
teurer geworden, aber nur minimal.“ „Es
gibt keine Schlangen wegen Benzin, viel-
mehr gibt es sehr viele Autos im Land.“
„Vor unserer Zeit lebten hungernde
Menschen in den Bergen.“ „Kauft
Fleisch grammweise, Gemüse aus dem
Treibhaus ist gar nicht gesund.“ „Wir
können monatelang von Brot und Zwie-
beln leben, wir müssen niemandem
Zugeständnisse machen.“
Ein Satz, der selbst die AKP-Abgeord-
neten vor Neid erblassen ließ, kam von
einem Journalisten aus der Erdoğan-Rie-
ge. Um zu zeigen, wie „gut“ es Rentner
bei uns haben, die über 200 Euro Rente
verfügen, sagte er in einer Sendung: „In
Deutschland sammeln etliche zehntau-
send Menschen Deckel von Brausefla-
schen, weil ihre Rente nicht reicht.“ Es
tat mir im Herzen weh, als ich das hörte.
Liebe deutsche Rentner, bitte sagen Sie
Bescheid, wenn Sie Brauseflaschende-
ckel brauchen. Schließlich trinken auch
wir in der Türkei Brause, soweit unser
Geld dazu reicht, wir sind gern bereit, die
Deckel für Sie aufzuheben.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe.
IN MEMORIAM
Dr. iur. Ludwig Hamm
Feuilleton
Die Rückkehr des Sternenhimmels
Auf dem Dachboden
der ehemaligen Synagoge
von Wiesenbronn
wurde ein Depot
entdeckt. Die Funde
zeugen vom Alltag in
der Gemeinde und
dem Zusammenleben
der Religionen.
m das Jahr 1813 besucht ein
jüdischer Junge im fränki-
schen Wiesenbronn das erste
Mal die sogenannte Winkel-
schule in der dortigen Synagoge. Von sei-
nem Ortsrabbiner erhält Seligman Bär
Bamberger hier seine ersten Lektionen
im Talmud. Später studiert er an der jüdi-
schen Hochschule in Fürth, kehrt noch-
mals nach Wiesenbronn zurück, ehe er
1840 zum Distriktsrabbiner von Würz-
burg gewählt wird. Dort avanciert Bam-
berger unter dem Ehrentitel „Würzburger
Raw“ zu einem der einflussreichsten
Lehrer einer orthodoxen, aber doch welt-
gewandten Auslegung des jüdischen
Glaubens und gründet 1864 die „Israeliti-
sche Lehranstalt“. So wird der Junge aus
Wiesenbronn zu einer bis heute prägen-
den Figur des deutschen Judentums.
Vom Alltag seiner Heimatgemeinde im
18. und 19. Jahrhundert erzählt nun seit
Kurzem wieder die sogenannte Wiesen-
bronner Genisa. Sie konnte bei Restau-
rierungsarbeiten zwischen 2006 und
2010 an der alten Synagoge in den ver-
staubten und verdreckten Sparrenzwi-
schenräumen der Dachbalken geborgen
werden – kürzlich erschien der von An-
drea Strößner erstellte umfassende Fund-
katalog zur Genisa unter Betreuung des
Münchner Archäologen Bernd Päffgen.
Eine Genisa ist ein Depot von Gegen-
ständen des jüdischen Gemeindelebens,
die nicht einfach entsorgt werden dürfen,
da sie mit dem Namen Gottes in Bezie-
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Die Synagoge
in Wiesen-
bronn, die als
Wohnhaus
genutzt wird,
von außen
Foto Reinhard Hüßner
Innenansicht,
nach der
Restaurierung
Foto Reinhard Hüßner
hung stehen oder im Rahmen ritueller jüdische Besitzer das Grundstück, das
Handlungen verwendet wurden. Sie wer- sich in der Folge mit dem Synagogenbau
den daher nach ihrer Aussortierung zum Zentrum der Gemeinde entwickelte.
gesondert gelagert. Wer heute – nach vorheriger Anmel-
Im Falle der Wiesenbronner Genisa dung – an der Tür der Badergasse 8 klin-
profitiert nun die archäologische For- gelt, wird von Michaela und Reinhard
schung von dieser Praktik. Auf den ersten Hüßner empfangen. Betritt man das
Blick besteht das Depot aus zahllosen Fet- Haus, begibt man sich zugleich auf eine
zen von vergilbtem und mit hebräischen Reise durch die Dorfgeschichte Wiesen-
Lettern bedrucktem Papier. Überwiegend
handelt es sich dabei um aussortierte reli-
bronns auf engstem Raum. 2005 hatte
das Ehepaar das Grundstück erworben –
giöse Gebrauchstexte wie Gebetsliteratur wohl wissend, dass es sich um einen Ort
für die Feiertage oder auch eine jiddische mit einer langen und bewegten Geschich-
Bibelübersetzung von 1752/53 aus einer te handelt. Daher initiierten die Hüßners
Frankfurter Druckerei. Dazu kommen die Bergung der Genisa und eine Wieder-
Ritualgegenstände wie verdorrte Fest- herstellung des alten Synagogenraums
sträuße aus Bachweiden und Myrte oder von 1793 unter Verwendung der Materia-
bunt bemalte Holzziegel. Ihre Entstehung lien und Handwerkstechniken des 18.
und Verwendung kann man sich im Kon- Jahrhunderts. So erstrahlt nun von Neu-
text der Feier des Laubhüttenfestes vor- em der Sternenhimmel im Gebetsraum
stellen. Vereinzelt finden sich Alltags- der Synagoge, in dem sich das Ehepaar
gegenstände wie ein verbogener Löffel mit großer Rücksicht auf die Vergangen-
oder ein Gürtel, bei denen der Grund für heit des Raumes sein Wohnzimmer ein-
die Ablage in der Genisa nicht zweifels- gerichtet hat. Ein großer Holzschrank an
frei zu klären ist. Ein Kalender aus dem der Stirnseite steht symbolisch für den
Jahre 1749 vermerkt parallel wichtige ehemals dort aufgestellten Thoraschrein.
Feiertagstermine in jüdischer und christ-
D
licher Zeitrechnung. Die Datierung der ie wissenschaftlichen Grabun-
meisten anderen Fundstücke gestaltet gen auf dem Areal dauern bis
sich problematisch. Aufgrund des Ablage- heute an und werden von
ortes gehen die Forscher für den Großteil Reinhard Hüßner auch schon
der Objekte vom Zeitraum des späten 18. mal in Eigenregie betrieben. So förderte
und des 19. Jahrhunderts aus. er kiloweise Eisenschlacke aus der mittel-
Die nun vorgelegte Publikation der alterlichen Schmiede zutage und stellte
Genisafunde im Verlag J. H. Röll stellt damit für Montanarchäologen Quellen-
dabei nur den ersten Teil einer avisierten material zur Verfügung. Zusätzlich wurde
Buchreihe zur Synagoge von Wiesen- im Untergeschoss des Gebäudes ein
bronn dar. Denn die Geschichte des Dokumentationszentrum eingerichtet.
Grundstücks begann nicht erst mit dem Hier findet sich außerdem eine um 1854
Bau der ersten Synagoge im Jahre 1718. eingebaute Mikwe, ein Tauchbecken für
Wissenschaftliche Grabungen belegten die rituelle Reinigung von Personen und
durch den Fund einer Gefäßscherbe eine Objekten. Die in einem Nebenraum auf-
Besiedlung des Areals seit dem neunten gestellten Vitrinen sind bestückt mit den
Jahrhundert. Zunächst wohnten hier die Papierfetzen und Büchlein der Genisa,
Herren von Wiesenbronn und erbauten mit den mittelalterlichen Keramiken der
ein Steingebäude, das sogenannte „feste Herren von Wiesenbronn und mit den
Haus“. Ihnen folgte ab ungefähr 1500 Erzeugnissen der späteren Schmiede.
eine Schmiedewerkstatt. Keramikfunde, Diese Funde werden bewusst gemein-
Holzwasserleitungen, selbst Ofenka- sam präsentiert. Denn Juden und Chris-
cheln, Spielzeug und Winzerwerkzeuge ten lebten in Wiesenbronn keineswegs
aus der Schmiede wie eine große eiserne isoliert voneinander. Man traf sich in Ver-
Hacke mit zwei Zinken geben einen Ein- einen, Gasthäusern oder bei der Feuer-
blick in das mittelalterliche Dorfleben. wehr. 1793 wurde die neue, größere
1675 erwarb mit Samson Jud der erste Synagoge im klassizistischen Stil erbaut.
Jo Phoenix gibt feindselig gegen die Rechte von Trans-
Menschen“ bezeichnet und erklärt, dass
akademische Freiheit nicht auf Kosten
ihren Posten auf marginalisierter Gruppen gehen dürfe.
Mit ihrer Klage will die Kriminologin
Die britische Kriminologin Jo Phoenix Hochschulen zwingen, Akademikerin-
Nach einer Hochphase im 19. Jahrhun-
derts löste sich die jüdische Gemeinde
dann im Jahr 1938 auf – noch vor den
Novemberpogromen der Nationalsozia-
listen. Die Zahl der Mitglieder war zuletzt
zu klein gewesen, um noch reguläre Got-
tesdienste feiern zu können. Anschlie-
ßend wurde die Einrichtung der Synago-
ge, wie beispielsweise der Thoraschrein,
entfernt und rituell bestattet, die Ritual-
gegenstände wurden nach München
gebracht. Das Gebäude kaufte ein christ-
licher Nachbar. Damit entging die Syn-
agoge der Zerstörung – und mit ihr die im
Dachbereich angelegte Genisa.
In ihr ist auch ein Stück der Badischen
Zeitung vom 26./27. August 1950 erhal-
ten geblieben. Das aber ist nicht im Kon-
text jüdischer Glaubensausübung zu
lesen. Die Ausgabe stammt aus der Zeit
des ersten Umbaus der Synagoge zu
einem Wohnhaus, zwölf Jahre nach der
Auflösung der Gemeinde. Diesem
Umbau dürften große Teile der Genisa
zum Opfer gefallen sein. Ebenso wie ihre
materielle Zusammensetzung ist dieses
Schicksal der Wiesenbronner Genisa
exemplarisch. Zu einer von Anfang an
wissenschaftlichen Bergung einer voll-
ständigen Genisa ist es bisher nicht
gekommen. In Wiesenbronn ist zumin-
dest alles, was den Umbau der Fünfziger-
jahre überlebt hat, nun sorgfältig doku-
mentiert. Die Genisa-Forschung an sich
steht jedoch noch am Anfang. Der Wert
dieser Fundcorpora für die Alltagsge-
schichte jüdischen Lebens wird erst seit
einigen Jahren zunehmend anerkannt.
In Wiesenbronn lässt sich die
Geschichte einer jüdischen Landgemein-
de anhand der ehemaligen Synagoge und
der Genisa abseits der Schrecken von
Judenverfolgung und Schoah erzählen.
Auch wenn diese vor Wiesenbronn kei-
nen Halt machten: Der letzte Gemeinde-
vorsteher Sally Heippert starb 1938 im
Konzentrationslager Dachau. Zu seiner
alten Synagoge kommen noch heute hin
und wieder jüdische Gemeindemitglie-
der, vor allem um die Räume der alten
Winkelschule zu besuchen. Jenen Ort, an
dem der „Würzburger Raw“ Seligman Bär
Bamberger einst seine Talmudstudien
begonnen hatte. PHILIP SCHäFER
Kammern als Familiengräber der Ober-
schicht. Neben Schmuck aus Gold und
Silber wurden Preziosen gefunden, die
lange Wege nach Zypern zurücklegen
mussten: Elfenbein, roter Karneol aus
Indien, blauer Lapislazuli aus Afghani-

  
  Staatssekretär a. D.
Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.
gibt ihren Posten bei der Open Universi-
ty auf, wegen mangelnder Unterstützung
nen gegen das Mobbing durch Gegner
ihrer Ansichten über das biologisches
stan und Bernstein aus dem Ostsee-
raum. Diese Funde legen weitreichende
      !"  * 6. 12. 1921 † 20. 11. 1999 gegen „Schikanen und Schmähungen“ Geschlecht zu schützen. Jo Phoenix Handelskontakte der bronzezeitlichen
von Transaktivisten aufgrund ihrer gen- wechselt als Professorin der Kriminolo- Bewohner der Siedlung nahe, die wohl
Du bist von uns gegangen, aber nicht aus derkritischen Haltung. Damit folgt gie an die Universität Reading. G.T. im 12. Jahrhundert vor Christus zu ihrer
!$% &# '&% "
   unseren Herzen. Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt,
  () #
  *) der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur, Phoenix der Philosophie-Professorin größten Entfaltung kam. Besonders
wer vergessen wird. (I. Kant) Kathleen Stock, die nach anhaltenden wichtig dürfte der Austausch mit ägyp-
$%+ " # ,"
* ($ )  " - 
In liebevollem und dankbarem Gedenken:
Marlene Hamm, geb. Schmidt
Protesten gegen ihre Position in der
Transdebatte Ende Oktober ihre Profes- Familiengräber aus ten gewesen sein. Darauf lassen Skara-
bäus-Amulette mit Hieroglyphen-
sur an der Universität Sussex niederleg- schmuck und Überreste von Fischen aus
# . Sabine Kiss, geb. Hamm und Dr. Reinhard Kiss
mit Isabel, Helena und Dorothee
te. Jo Phoenix hat fast 90 000 Pfund der Bronzezeit dem Nildelta schließen. Der Vergleich
Laura Dorothee Hamm-Nedelcu
gesammelt für eine arbeitsrechtliche des auf Zypern gefundenen Schmucks

 /#  
$%, 0
# 
 

 )
1
  # 2   " .%
&  

,   mit Philip, Moritz und Paul Klage gegen die Open University, der sie Archäologen der Universität Göteborg mit ähnlichen Stücken aus ägypten
34
$% 5  
$% 4  6+
&#  Susanne Hamm vorwirft, ihr Recht auf freie Meinungs- haben auf dem Areal der 3600 Jahre ermöglicht auch eine ungefähre Datie-
7
# 8   
*
  + 
 " 7# # '9 Christoph Hamm und Dr. Yvonne Hamm-Düppe äußerung nicht gegen das „brutalen alten Siedlung Hala Sultan Teke auf rung: Die meisten der nun entdeckten
#   # #
 

:' 34
$%) 7;!
<1 =>?> >  > @1)
$%+2 /
   /#
$%2 ($ ) :# + =  >?>
mit Stella Mobbing“ verteidigt zu haben. Im Som- Zypern in zwei Grabkammern mehr als Objekte scheinen demnach aus der Zeit
Johanna Hamm
34
$% mer hatte die Universität den genderkri- 150 Skelette und rund 500 Objekte ent- um 1350 vor Christus zu stammen, der
tischen Feminismus als „grundsätzlich deckt. Die Forscher interpretieren die Regierungszeit Echnatons. pfer
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Ein Kraftwerk
für die Kunst
Mit dem GES-2 hat in Moskau ein grandioses
Kulturzentrum eröffnet, das ein Rohstoffmilliardär
finanziert und Präsident Putin gutgeheißen hat.
Hilft das, Russlands Künstlern mehr Freiraum zu
schaffen? Von Friedrich Schmidt, Moskau
D
as Erste, was in Moskaus neu-
em, am Samstag eröffneten
Kulturzentrum GES-2 auf-
fällt, ist Raum. Im früheren
Städtischen Elektrizitätswerk – dafür
steht die Abkürzung – im Herzen der rus-
sischen Hauptstadt ist nach dem Umbau
durch den italienischen Architekten Ren-
zo Piano viel Platz für Ausstellungen,
Workshops, Kino und Theater. Licht fällt
durch große Fenster und das Dach, das
Solarzellen zieren. Vier grellblaue, frühe-
ren Schornsteinen nachempfundene
Rohre saugen aus siebzig Meter Höhe
Frischluft an, durchziehen das Innere des
Gebäudes, bleiben dort fast die einzigen
Farbtupfer: Weiß und Grautöne lassen
die Ideen der Künstler und Kuratoren
strahlen, die sich hier verwirklichen dür-
fen, im Dialog, so das Konzept, mit den
Besuchern. Dem dient die Architektur;
von Piazza spricht Renzo Piano und
meint öffentlichen Raum. Der Eintritt ins
GES-2 ist frei, pandemiebedingt müssen
sich Besucher nur registrieren und mit
QR-Codes als geimpft, genesen oder
negativ getestet legitimieren.
Wer die grandiose Halle durchlaufen
hat, tritt durch Glastüren in einen fuß-
ballfeldgroßen Hof. Hunderte Birken
sind in die aufgeschütteten Hänge an sei-
nen Rändern gepflanzt; darunter
erstreckt sich ein unterirdisches Park-
haus. Den Hof überragt das als Haus an
der Uferstraße bekannte Wohnhaus, das
Stalin Anfang der Dreißigerjahre für sei-
ne Elite bauen ließ. Das 1907 in Betrieb
genommene Kraftwerk versorgte diese
erste Adresse der Sowjetunion, deren
Bewohner zu einem Gutteil erschossen
wurden oder in Straflagern verschwan-
den. So ist der historische Kontext zwar
etwas düster; dafür feiert das GES-2 mit
elegantem, kühlen Reiz Industriege-
schichte, offenbart sein Erbe mit Stahl-
achsen, einer Krankabine, einer Wasser-
pumpe.
eonid Michelson, einer der reichs-
L ten Männer Russlands, der in Mos-
kau soeben sein Kulturhaus der
Superlative GES-2 eröffnet hat, gilt auch
als einer der wichtigsten russischen
Kunstmäzene. Seine V-A-C-Stiftung hat
in Venedig den Palazzo Zattere renoviert
und ihn zum Kunstpalast umgewidmet,
der Werke russischer Zeitgenossen zeigt,
um sie in die globale Szene zu integrieren.
Michelson, in dessen Gas- und Erdölkon-
zern Novatek auch der Putin-Vertraute
Gennadi Timtschenko Großaktionär ist,
sitzt im Aufsichtsrat des Petersburger Rus-
sischen Museums, außerdem unterstützt
er das von Yuri Bashmet geleitete Instru-
mentalensemble „Moskauer Solisten“.
Der Sohn des Direktors einer sowjeti-
schen Gaspipelinebaufirma in der Wol-
gastadt Samara (damals: Kuibyschew) war
zudem früh in seiner Heimatregion aktiv.
In Samaras Trabantensiedlung Nowokui-
byschewsk, wo er aufwuchs, unterstützt
Michelson künstlerische Grundschulen,
Financier des Zentrums ist Leonid
Michelson, ein Rohstoffmilliardär mit
Beteiligungen an dem Flüssiggasunter-
nehmen Novatek und dem Petrochemie-
konzern Sibur. Die Zeitschrift „Forbes“
sieht Michelson derzeit als fünftreichsten
Russen mit einem Vermögen von 24,9
Milliarden Dollar. Da spielen die Kosten
für den dreizehn Jahre währenden Um-
bau, Ankauf und Abriss störender Nach-
barbauten keine Rolle. Michelson wolle
sie nicht offenlegen, berichtet an seiner
Stelle Teresa Mavica, die Direktorin der
V-A-C-Stiftung des Geschäftsmanns (der
Name steht für dessen Tochter Victoria
und „the Art of being Contemporary“)
anlässlich der Eröffnung. Es gehe nicht
um Geld, sondern „um Liebe“.
Entscheidend dagegen ist, dass Wladi-
mir Putin Projekte wie das GES-2 unter-
stützt. So führten Michelson und Mavica
den Präsidenten vor der Eröffnung durch
das Kulturzentrum. Mavica, eine seit mehr
als drei Jahrzehnten in Moskau lebende
Italienerin, berichtet, sie habe Putin für die
Aufmerksamkeit gedankt und gesagt, sie
hoffe auf Unterstützung. „Wie sollte man
ein so wunderbares Projekt nicht unterstüt-
zen?“, habe der Präsident geantwortet.
Nach dem vom niederländischen Ar-
chitekten Rem Koolhaas gestalteten Ga-
rage-Museum für Zeitgenössische Kunst
im nahen Gorki-Park – hinter dem ein
anderer Milliardär steht, Roman Abra-
mowitsch – ist das GES-2 schon das
zweite große Moskauer Kulturzentrum
in privater Hand. Die Orte sind Aushän-
geschilder der Hauptstadt und Russlands
insgesamt: Hier wetteifert man mit Me-
tropolen des Westens, dessen Kunststars
hergeholt werden. Das GES-2 will mehr
sein, soll an die „Kulturhäuser“ anknüp-
fen, in denen sich das Volk bildete und
unterhielt. Doch schwinden die Freiräu-
me in Russland immer weiter: Künstler,
Musiker und Komiker werden unter Vor-
würfen, sie beleidigten religiöse Gefüh-
Der Mäzen Leonid Michelson ist in seiner Heimatstadt besonders aktiv / Von Kerstin Holm, Samara
in Samara selbst fördert er die Renovie-
rung des konstruktivistischen Architek-
turjuwels einer frühen Großküche, in der
die Moskauer Tretjakow-Galerie 2022
eine Filiale eröffnet. Vor allem aber grün-
dete er dort schon 2005 die erste Privatga-
lerie, die wie die erst seit 2008 bestehende
V-A-C-Stiftung den Namen seiner Tochter
aus erster Ehe, Victoria, trägt.
Geleitet wird die in der schönen, frei-
lich auch krisengezeichneten Stadt einzig
dastehende Ausstellungsplattform von
Michelsons erster Frau, Ljudmila Patrati,
die, wie Beobachter versichern, den Ex-
Gatten stark geprägt habe. Das Haus prä-
sentiert Zeitgenössisches aus wichtigen
russischen Museumssammlungen sowie
Feuilleton
1907 als Elektrizitätswerk
erbaut, jetzt eine Kathedrale
für zeitgenössische Kunst:
das GES-2 in Moskau
Foto Michel Denancé
Revolution der Kultur
regionale Künstler und will vor allem sein
Publikum bilden, erklärt Patrati auf der
Website. Gelegentlich fänden auch Ver-
kaufsausstellungen statt, berichtet der
Kurator Sergej Balandin, der uns durchs
Haus führt. Im zu Ende gehenden Jahr
gab es sogar zwei Auktionen, so Balan-
din, im Frühling und im Herbst, wobei
immer auch die Arbeit der Künstler erläu-
tert und begründet werde, warum sich die
Investition in ihr Werk lohne.
In diesem Winter ist bei Victoria eine
exquisite Überblicksschau politisch linker
Kunst der letzten hundert Jahre namens
„Museum der Revolution“ zu sehen, bei
deren Eröffnung die gebildete Jugend der
Stadt in die Säle strömte. Dank der guten
le, verbreiteten Pornographie und Hass,
rechtfertigten Terror und Extremismus,
an Auftritten gehindert, des Landes ver-
wiesen, inhaftiert. Im GES-2 sollen auch
Stand-up-Comedians auftreten, die zur-
zeit besonders verfolgt werden; eine
Mitarbeiterin sagt, „bisher“ sei die einzi-
ge Auflage an die Komiker, nicht zu flu-
chen. Droht gleich die Razzia auf der
Piazza? V-A-C-Direktorin Mavica pa-
riert Fragen nach möglichen Schwierig-
keiten mit dem Repressionsapparat in
der Manier Putins, der stets auf andere
Länder verweist: „Probleme gibt es
überall“, sagt sie, man handele „im Rah-
men des Gesetzes“. Doch konzediert
Mavica, der Präsidentenbesuch sei wich-
tig gewesen „zur Legitimierung dessen,
was wir hier tun“.
Künstlerisch vertraut das GES-2 bei
seinen ersten Schritten dem unter ande-
rem in New York, Venedig und Stuttgart
bewährten Isländer Ragnar Kjartansson.
Der Erstauftritt des Kulturzentrums
muss sogar als Triumph der Insel im
Nordatlantik gelten, auf der nicht einmal
halb so viele Menschen wohnen wie in
dem Moskauer Verwaltungsbezirk, in
dem GES-2 liegt. Kjartansson hat nicht
Beziehungen der Galerie zu den zentra-
len Kunstinstitutionen ist das Gemälde
„Saisonarbeiter“ von Renato Guttuso aus
dem Moskauer Puschkin-Museum zu
sehen, das der Künstler nach dem Zwei-
ten Weltkrieg Stalin schenkte, sowie die
Ölskizze des russisch-amerikanischen
Kommunisten Anton Refregier, auf der
ein Künstler am Götzendenkmal für
Abraham Lincoln arbeitet. Das Moskauer
Museum für Zeitgeschichte, das frühere
Revolutionsmuseum, hat die liebevoll
kleinteiligen Propagandabilder „Rote Hil-
fe“ und „Maidemonstration“ des Worps-
weder Künstlers Heinrich Vogeler
geschickt, der sie um 1923 malte, bevor er
ganz in die Sowjetunion emigrierte. Aus
M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 1 3
nur seine Frau und Künstlerkollegin
Ingibjörg Sigurjónsdóttir mitgebracht,
sondern neben vielen eigenen Werken
auch die befreundeter isländischer
Künstler. Das erklärt die Schwarz-Weiß-
Fotos des Buchbinders Skafti Guðjóns-
son, der seine Insel nie verließ, aber welt-
männisch auf Schiffen im Hafen von
Reykjavík posierte, und das hundert Jah-
re alte Kinderbuch „Die Geschichte von
Prinzessin Dimmalimm“ des als Muggur
bekannten Guðmundur Thorsteinsson:
Das Märchen von der Prinzessin, die
einen toten Schwan durch Tränen als
Prinzen zu neuem Leben erweckt, fehlt
laut Kjartansson in Island in keiner Bib-
liothek und ist jetzt erstmals im Original
im Ausland zu sehen.
Manches hat Kjartansson eigens für
die Moskauer Schau geschaffen. So ein
Foto dreier junger Frauen, die, so sieht es
aus, bald nach Eröffnung des ersten
McDonald’s-Restaurants der Sowjet-
union im Jahr 1990 am Moskauer Pusch-
kin-Platz fröhlich Fast Food verkaufen. In
Wirklichkeit hat Kjartansson ein entspre-
chendes „verlorenes Foto“ eines Freun-
des nachgestellt und „Drei Schwestern“
genannt. Deren sehnsuchtsvoller Ausruf
solcher Kunst spreche die politische Nai-
vität einer weit zurückliegenden Epoche,
findet ein studentischer Besucher.
Die Schau reflektiert aber auch die
Proteste der Putin-Zeit, etwa durch das
2016 entstandene Video „Krise“ von
Dmitri Wenkow, worin Darsteller die in
sozialen Netzwerken ausgetragenen
Debatten um Denkmalstürze und Opfer-
konkurrenz in der Ukraine und Russland
ausagieren. Das Transparent „Geht doch
lieber arbeiten!“ des Sibirers Artjom Los-
kutow beschwört die von ihm erfundenen
und immer wieder verbotenen „Monstra-
tionen“ – Prozessionen mit absurdisti-
schen Losungen –, während die emigrier-
te Medienkünstlerin Anna Ermolaeva
Nach dreizehn Jahren
eröffnet: das neue GES-2
am Ufer der Moskwa,
umgebaut von dem
Architekten Renzo Piano
Foto Gleb Leonov
aus Tschechows Theaterstück, „Nach
Moskau! Nach Moskau! Nach Moskau!“
gibt der ersten Ausstellung im GES-2 den
Titel, ebenfalls der darin gezeigten Foto-
serie der Russin Olga Tschernyschewa,
die vor zehn Jahren das Ausharren von
Kraftfahrern im Stau in der Anfahrt auf
die Stadt festgehalten hat.
Kjartansson selbst zeigt mit dem Vi-
deokunstwerk „Schrecklich, Schrecklich“
Reinszenierungen der beiden Angriffe
auf Repins „Iwan der Schreckliche und
sein Sohn“: Schauspieler stellten in sei-
nem Studio in Reykjavík nach, wie das
Ölgemälde, das den Zaren mit dem von
ihm erschlagenen Thronfolger darstellt,
in der Moskauer Tretjakow-Galerie 1913
und 2018 beschädigt wurde. Dass der
zweiten Attacke eine Kampagne mächti-
ger, nationalistischer Kreise gegen den
„Mythos“ von der Kindstötung und das
„verleumderische Bild“ vorausging, muss
man sich dazudenken.
Am auffälligsten im GES-2 ist indes
Kjartanssons „Santa Barbara“: In der
Halle ist ein Filmstudio aufgebaut, in
dem russische Schauspieler bis März
kommenden Jahres jeden Tag eine Folge
dieser amerikanischen, in Deutschland
als „California Clan“ bekannten Seifen-
oper nachspielen, als Dauerperfor-
mance vor Publikum. Kjartansson will
herausgefunden haben, dass die Serie,
die von 1992 bis 2002 im russischen
Fernsehen lief, das Amerika-Bild der
Russen stark geprägt habe und eine
„kulturelle Referenz“ sei. So wirkt die
russische Neueinspielung der kaliforni-
schen Familienfehden in weiten Sakkos,
Föhnfrisuren und Couchgarnituren wie
eine muntere Mitmachtherapie, in der
sich Russen von ihren Zerrbildern über
Amerikaner befreien.
Doch der V-A-C-Führung muss irgend-
wann klar geworden sein, dass Satire und
Selbsttherapie in Russland derzeit ver-
pönt sind. Nicht im Katalog, der wohl
schon gedruckt war, aber auf der Website
der Stiftung wird Kjartanssons Projekt
präsentiert als Teil eines Programms zu
Klischees über Russen, mit der auf aktu-
elle Konflikte zielenden These, die ame-
rikanische Serie habe die Russen dazu
gebracht, „sich der kulturellen Kolonisie-
rung zu widersetzen“. Dem freundlichen
Isländer ist die kulturkämpferische Note,
die sein Werk so bekommt, vollkommen
fremd. Putin hingegen, sagt Direktorin
Mavica, sei „sehr interessiert am Santa-
Barbara-Projekt“.
mit einem Stehaufmännchenballett
„Überlebensversuche“ vergegenwärtigt.
Die Schau läuft noch bis zum 23. Januar.
In diesem Sommer eröffnete die Gale-
rie im Erdgeschoss ihres am prächtigen
Wolgaufer gelegenen Gebäudes das neue
Ausstellungslokal „Victoria Un-
derground“, um es von jungen Künstlern
der Region bespielen zu lassen. Die
Gruppe Mucha (Fliege), ein bewusst
offener Zusammenschluss Kreativer
unterschiedlicher Sparten in Samara,
richtete hier die Installation „Victoria
Hotel“ ein: mit rohen Matratzen und Tro-
ckenlebensmitteln, umgrenzt von Boden-
markierungen. Der Käfig mit der pos-
sierlichen weißen Laborratte umspielt
den Gedanken ans Eingesperrtsein, was
die Fernsehwand, auf der stumm der pro-
pagandistische Erste Staatskanal läuft,
ins Metaphorische überhöht. Der Besu-
cher sei eingeladen, darüber nachdenken,
so die Künstler, inwieweit eine Galerie
auch als Refugium tauge.
SE I TE 1 4 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284 Medien FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG

Fernsehen am Montag Aktualisiertes und ausgewähltes Programm www.faz.net/tv Radio am Montag

ARD
5.30 ARD-Morgenmagazin 9.05 Live
nach Neun 9.55 Verrückt nach Meer. Lei-
nen los auf den Seychellen 10.45 Meister
des Alltags 11.15 Wer weiß denn sowas?
Zu Gast: Jürgen von der Lippe, Bastian
Bielendorfer 12.00 Tagesschau 12.15
ARD-Buffet. Leben & genießen 13.00
ZDF-Mittagsmagazin 14.00 Tagesschau
14.10 Rote Rosen 15.00 Tagesschau
15.10 Sturm der Liebe 16.00 Tagesschau
16.10 Verrückt nach Meer 17.00 Tages-
schau 17.15 Brisant 18.00 Wer weiß denn
sowas? Zu Gast: Sebastian Ströbel, Ralf
Möller 18.50 Großstadtrevier. Krimiserie.
Königs Tochter. PK 14 bekommt Wind von
einer Drogenladung in einem Kleintrans-
porter aus Holland, den ein gewisser
Robert Sehlmann steuert. Doch der kann
entkommen. Wie sich herausstellt, ist
Sehlmann ein verdeckter Ermittler aus
Berlin. 19.45 Wissen/Wetter/Börse
20.00 Tagesschau
20.15 Hirschhausen – Corona ohne
Ende? Long-Covid: Was wenn die
Folgen der Infektion über Mona-
te und Jahre anhalten? Für die
Reportage verbringt der Arzt
zwei Tage in einer spezialisierten
Corona-Reha-Klinik in Heiligen-
damm und besucht eine Kinder-
station der Uniklinik in Jena.
21.00 Hart aber fair Corona und kein
Ende – wie groß ist der ganze
Schaden? Zu Gast: Andreas Bo-
venschulte, Dr. Eckart von Hirsch-
hausen, Nelson Müller, Katharina
Hamberger, Prof. Dr. Uwe Janssens
22.15 Tagesthemen Mit Wetter
22.50 Konfrontation Markus Felden-
kirchen trifft auf Robert Habeck
23.35 Hass im Netz: Unterwegs mit
Strafverfolgern Reportage
0.20 Nachtmagazin
0.40 Polizeiruf 110 Hermann
Dt. Krimi mit Gisa Flake, 2021
2.10 Tagesschau Nachrichten
2.15 Hart aber fair Diskussion
ZDF
5.30 ARD-Morgenmagazin 9.00 heute
Xpress 9.05 Volle Kanne – Service täglich.
Corona-Update / Heiße Nikolaus-Drinks /
Matratzen richtig reinigen. Zu Gast: Chris-
tian Kahrmann 10.30 Notruf Hafenkante
11.15 SOKO Wismar 12.00 heute 12.10
drehscheibe. Notruf bei Wildunfall: Un-
terwegs mit Berufsjägern 13.00 Mittags-
magazin 14.00 heute – in Deutschland
14.15 Die Küchenschlacht 15.05 Bares für
Rares 16.00 heute – in Europa 16.10 Die
Rosenheim-Cops 17.00 heute 17.10 hal-
lo deutschland 17.45 Leute heute. Prin-
zessin Aiko: Geburtstagszeremonie /
Nachklapp„Ein Herz für Kinder“-Gala: Die
emotionalsten Momente 18.00 SOKO
Potsdam 19.00 heute 19.20 Wetter 19.25
WISO. Corona-Kontrollen in Mainz: 2G+
in der Gastronomie / E-Rezept: Papierlos
bei Arzt und Apotheke / Elterndiskrimi-
nierung: Entlassung wegen Elternzeit
20.15 Familie Bundschuh – Woanders
ist es auch nicht ruhiger Dt.
Komödie mit Andrea Sawatzki,
Axel Milberg, Levis Kachel. Regie:
Thomas Nennstiel, 2021. Familie
Bundschuh sucht ein neues Zu-
hause. Gerald ersteigert ein An-
wesen vor den Toren Berlins. Das
denkmalgeschützte Gutshaus
entpuppt sich als Groschengrab.
Die wirkliche Herausforderung
aber sind die Familienmitglieder.
21.45 heute-journal Mit Wetter
22.15 Wir können nicht anders Dt. Kri-
mikomödie mit Kostja Ullmann,
Alli Neumann, Sascha Alexander
Geršak. Regie: Detlev Buck, 2020
23.55 heute journal update
0.10 Irgendwann ist auch mal gut
Dt. Tragikomödie mit Fabian
Hinrichs, Franziska Walser,
Michael Wittenborn. Regie:
Christian Werner, 2020
1.45 Diese Drombuschs Serie
Der falsche Weg / Der Verlierer
Mit Witta Pohl, Günter Strack
ARTE
5.00 Eric Clapton: Slowhand at 70. Live at
the Royal Albert Hall 6.50 Journal Junior
7.00 360° 7.50 Faszination Afrika. Tiere
im Mala Mala-Reservat 8.35 Stadt Land
Kunst 9.25 Zu Tisch ...in Vaucluse – Frank-
reich 10.00 360°. Das Elsass, Heimat der
Störche / Hongkongs magisches Neon-
licht 11.45 Leben mit Vulkanen. Island:
Das Königreich des Feuers 12.15 Re: Fai-
re Wolle – Neue Wege in der Textilindus-
trie 12.50 Arte Journal 13.00 Stadt Land
Kunst 13.45 „Stadt Land Kunst“-Inspira-
tionen 14.15 Der unsichtbare Dritte.
Amerik. Thriller mit Cary Grant, 1959
16.55 Rumäniens verborgene Seele
17.50 Inselwelt New York (1–2/3) 19.20
Arte Journal 19.40 Re: Giftige Jeans – Die
dunkle Seite der türkischen Textilindust-
rie. Ein wegen giftiger Chemikalien er-
krankter Arbeiter berichtet über die Ver-
hältnisse in einer türkischen Textilfabrik.
20.15 Nicht gesellschaftsfähig
Amerik. Drama mit Marilyn Mon-
roe, Clark Gable, Montgomery
Clift. Regie: John Huston, 1961
Die Nachtclubtänzerin Roslyn
sehnt sich nach den Weiten
der amerikanischen Natur.
Eine gnadenlose Hatz auf Wild-
pferde wird für sie zum Trauma.
Roslyn bewegt einen der„Cow-
boys“ zum Nachdenken.
22.15 Die Toten Amerik./Engl./Irisch.
Drama mit Anjelica Huston,
Donal McCann, Cathleen Delany
Regie: John Huston, 1987
Gretta erzählt ihrem Ehemann
Gabriel die traurige Geschichte
eines jungen Mannes, der sie
bis in den Tod geliebt hat.
23.35 Vom Planet der Menschen
Franz./Ital./Belg. Dokumentar-
film. Regie: Giovanni Cioni, 2021
1.00 Hitler und Stalin Porträt einer
Feindschaft. Rusl./Engl./Dt./
Ital. Dokumentarfilm, 2009
2.30 Phänomenale Natur (1/3)
3 sat
5.35 10vor10 extra. Bahnhöfe dieser
Welt – Nächster Halt Zukunft; Ghana und
Tokio 6.20 Kulturzeit 7.00 nano 7.30 Al-
penpanorama 9.00 ZIB 9.05 Kulturzeit
9.45 nano 10.15 Universum. Dokumen-
tationsreihe. Geheimnisvolle Adria / Li-
gurien – Leben zwischen Himmel und
Meer 11.45 Zu Tisch ... in Prag 12.15 Ser-
vicezeit Reportage. Hausärzte mit Herz
Der Arztsohn und die Landärztin 12.45
Berchtesgaden, da will ich hin! 13.15
Traumorte. Bangkok 13.55 Terra X. Doku-
mentationsreihe. Blaues Wunder Pazifik
(1–2/2): Paradies und Hölle / Labor des
Lebens 15.25 Into the Blue – Indonesiens
Unterwasserparadiese (1–4/4) Dokumen-
tationsreihe. Rund um die Molukken / Im
Archipel Raja Ampat / Im Nationalpark
Komodo / Die Banda Sea vor Flores 18.30
nano. Die Welt von morgen. Moderation:
Ingolf Baur 19.00 heute 19.20 Kulturzeit
20.00 Tagesschau
20.15 Burgen und Schlösser in Öster-
reich Dokureihe. Von der Süd-
steiermark nach Slowenien
Hier ein Bischofssitz, da ein Regi-
onalmuseum – die Burgen und
Schlösser von der Südsteiermark
bis nach Slowenien sind bedeu-
tend für das kulturelle Selbst-
verständnis der Grenzregion. /
Vom Joglland in die Weststeier-
mark / Das nördliche Burgenland
22.30 Ab 18! Dokureihe
Drifting Paradise. Cedric Reitz-
mann gelingt ein so intimer
wie sensibler Blick in die Ge-
meinschaft junger Männer
in der deutschen Provinz. /
Unter dem Eis / Frei im Kopf
0.15 Schlag ins Herz
Wenn aus Liebe Gewalt wird
0.45 10vor10 Nachrichten
1.15 Anne Will Diskussion
2.15 Leverkusener Jazztage Rebekka
Bakken / Still In the Woods / Woll-
ny – Parisien – Lefebvre – Lillinger
RTL
6.00 Guten Morgen Deutschland 8.30
GZSZ 9.00 Unter uns 9.30 Alles was zählt
10.00 Die Superhändler 11.00 Die Versi-
cherungsdetektive 12.00 Punkt 12 15.00
Echt jetzt?! Mit Ilka Bessin 15.45 Die Re-
tourenprofis. Es gibt keine falsche Saison
bei den richtigen Preisen 16.45 RTL Ak-
tuell 17.00 Explosiv Stories 17.30 Unter
uns. Paco gibt Eva gegenüber zu, dass er
mit Nika zusammen ist. Das bekommt
nicht nur Eva mit. 18.00 Explosiv – Das
Magazin. Moderation: Leonie Koch 18.30
Exclusiv 18.45 RTL Aktuell 19.03 Wetter
19.05 Alles was zählt. Mit Berrit Arnold.
Durch eine Zusammenarbeit mit Caroline
richtet Maximilian ihre Aufmerksamkeit
auf das Tacla-Projekt. 19.40 Gute Zeiten,
schlechte Zeiten. Soap. Mit Nassim Avat.
Nachdem Laura erfahren hat, dass Rosa
den teuren Edelstein unterschlagen will,
heftet sie sich an ihre Fersen.
20.15 Wer wird Millionär? Show
Moderation: Günther Jauch.
Schon in unzähligen Shows über-
zeugte Günther Jauch mit seiner
gewitzten Art. Fiebern Sie mit
den Kandidaten und raten Sie
fleißig mit, wenn es heute wieder
heißt:„Wer wird Millionär?“.
22.15 RTL Direkt Nachrichten
22.35 Extra – Das RTL Magazin
Moderation: Nazan Eckes
23.25 Spiegel TV Der ungeimpfte
Osten. In Thüringen und Sachsen
sind die Corona-Inzidenzen hoch
und die Impfbereitschaft niedrig.
Warum eigentlich? Spiegel TV
auf Spurensuche in Impfzentren,
auf Anti-Corona-Spaziergängen
und Intensivstationen.
0.00 RTL Nachtjournal / Wetter
0.30 Die Alltagskämpfer
Stadt, Land, Flucht? Tausche
Sneakers gegen Gummistiefel
1.15 Ohne Filter Hildesheim Oststadt
– Kapital, Kampf und Neuanfang
1.45 CSI: NY (7–9+7) Krimiserie
SAT 1
5.30 Sat.1-Frühstücksfernsehen. Zu Gast:
Vanessa Blumhagen. Moderation: Daniel
Boschmann, Marlene Lufen 10.00 Klinik
am Südring – Die Familienhelfer 10.30
Klinik am Südring – Die Familienhelfer
11.00 Klinik am Südring – Die Familien-
helfer 11.30 Klinik am Südring – Die Fa-
milienhelfer 12.00 Klinik am Südring
13.00 Auf Streife – Berlin 14.00 Auf Strei-
fe 15.00 Auf Streife – Die Spezialisten.
Doku-Soap 16.00 Klinik am Südring.
Doku-Soap 17.00 Die Gemeinschaftspra-
xis. Doku-Soap 17.30 K11 – Die neuen
Fälle. Das Nikolausbaby 18.00 Buchsta-
ben Battle. Zu Gast: Julian F. M. Stoeckel,
Jasmin Wagner, Sandy Mölling, Alexan-
der Klaws 19.00 Buchstaben Battle. Zu
Gast: Christian Wackert, Enie van de Meik-
lokjes, Franziska Knuppe, Timon Krause.
Moderation: Ruth Moschner 19.55 Sat.1
Nachrichten. Moderation: Marc Bator
20.15 Die Comedy Märchenstunde
Mitwirkende: Judith Williams,
Mimi Fiedler, Susan Sideropoulos,
Mirja Boes, Pam Pengco, Uwe
Ochsenknecht, Wigald Boning,
Volker Michalowski, Oliver Pocher,
Heinz Hoenig, Eko Fresh, Annika
Hoenig, Martin Schneider
In dieser Improvisationscomedy-
Show kommen bekannte Mär-
chen als Theaterstücke auf die
Bühne und werden von promi-
nenten Comedy- und Show-
größen auf neue und originelle
Weise umgesetzt
22.25 Bülent Ceylan live! Lassmalache
In seinem zehnten Bühnenpro-
gramm widmet sich Bülent
Ceylan der besten Medizin für
Körper und Geist – dem Lachen.
0.25 1 1/2 Ritter – Auf der Suche
nach der hinreißenden Herze-
linde Dt. Komödie mit Til Schwei-
ger, Rick Kavanian, Julia Dietze
Regie: Til Schweiger, 2008
2.30 Auf Streife – Die Spezialisten
HÖRSPIEL
22.00 „Atlas“ – MDR Kultur
Von Thomas Köck, ca. 90 Min.
22.03 „Endstation Venedig“ (2/2)
– Deutschlandfunk Kultur
Nach dem Roman von Donna Leon
Von Daniel Grünberg, ca. 57 Min.
KLASSIK
20.00 Schleswig-Holstein Musik Festival 2021
– NDR Kultur
Traditional: Hava Nagila; Liberman: My friend
Michele; Cohen: Hallelujah; Spiritual Nobody
knows the trouble I have seen; Traditional:
Bublichki; Secunda: Donna Donna; McCart-
ney: Yesterday; Traditional: Let’s be cheerful;
Corea: Spain; Weiss: What a wonderful
world; Traditional: Happy Nigun; Piazzolla:
Adios Nonino; Oblivion; Libertango; Gardel:
Por una cabeza; Villoldo: El Choclo; Rodrigo:
Concierto de Aranjuez (Auszüge); Traditio-
nal: Halaka Dance; Freilach Shiri; Gershwin:
Summertime; Traditional: Shalom Chaverim;
Yossel, Yossel; Goldene Chasene; Brahms:
Wiegenlied („Guten Abend, gut’ Nacht“);
Montazer: Azan (Giora Feidmann, Klarinette;
Enrique Ugarte, Akkordeon; Nina Hacker,
Kontrabass), ca. 120 Min.
20.04 Konzert – SR2
Musik von Josquin Desprez. Desprez:
Geistliche und weltliche Werke (Huelgas
Ensemble, Ltg.: Paul Van Nevel), ca. 146 Min.
20.04 Konzert – WDR 3
J. Haydn: Die Vorstellung des Chaos, aus
„Die Schöpfung“ Hob XXI:2; Hawar: Hadjidj –
Die Pilgernden, Uraufführung; E. Bloch:
Schelomo, Hebräische Rhapsodie; Schubert
Sinfonie h-Moll D 759 „Unvollendete“
(Gabriel Schwabe, Violoncello; Landes-
jugendorchester NRW, Leitung: Emanuel
Dantscher), ca. 116 Min.
20.05 Konzertabend – BR-Klassik
Quilter: „A Children’s Overture“ op. 17
(Tschechoslowakisches Radio-Sinfonieor-
chester, Leitung: Adrian Leaper); Dohnányi:
Variationen über ein Kinderlied op. 25 (How-
ard Shelley, Klavier; BBC Philharmonic, Lei-
tung: Matthias Bamert); Fauré: „Dolly“ op. 56
(Orchestre de Chambre de Lausanne, Lei-
tung: Jesús López Cobos), ca. 55 Min.

ZDF Neo
6.50 Inspector Barnaby. Mord in bester
Absicht. Engl. Krimi, 2017 8.20 Die Kü-
chenschlacht 9.05 Stadt, Land, Lecker
9.45 Bares für Rares 11.30 Waschen,
Schneiden, Leben! 12.15 Monk 13.40
Psych 15.00 Monk 16.25 Psych 17.45
Waschen, Schneiden, Leben! 18.30 Bares
für Rares 20.15 Inspector Barnaby. Das
untote Dorf. Engl. Krimi, 2016 21.45 Ins-
pector Barnaby. Mord in bester Absicht.
Engl. Krimi, 2017 23.15 Agatha Raisin.
Krimiserie 0.50 ZDF Magazin Royale 1.20
Studio Schmitt 1.50 heute-show
Phoenix
6.00 Faszinierende Erde 9.00 vor ort 9.30
Anne Will 10.30 phoenix plus 12.00 vor
ort 12.45 phoenix plus 14.00 vor ort
14.45 phoenix plus 16.00 Die Geheim-
nisse des Opus Dei – Glaube, Macht, Ma-
nipulation. Dokumentation 16.45 Zau-
ber, Mythen, Rituale – Deutschland auf
Sinnsuche 17.30 der tag 18.00 Aktuelle
Reportage 18.30 Faszinierende Erde
20.00 Tagesschau 20.15 Faszinierende
Erde 21.45 h.-journal 22.15 unter den
linden 23.00 der tag 0.00 unter den lin-
den 0.45 Faszinierende Erde
Pro Sieben
7.00 Mom 7.50 The Last Man on Earth
8.45 Man with a Plan 9.40 Brooklyn Nine-
Nine 10.35 Scrubs 12.25 Last Man Stan-
ding 13.20 Two and a Half Men 14.40 The
Middle 15.35 The Big Bang Theory 17.00
taff 18.00 Newstime 18.10 Die Simpsons
19.05 Galileo 20.15 Young Sheldon 21.10
Die Simpsons 22.05 Family Guy 22.35
The Big Bang Theory 23.50 Young Shel-
don 0.50 The Big Bang Theory
Tele 5
6.25 Werbung 7.25 Joyce Meyer 7.55
Werbung 16.15 Gene Roddenberry’s An-
dromeda 17.15 Babylon 5 18.15 Stargate
Atlantis 19.10 Stargate 20.15 Dungeons
and Dragons. Amerik./Tschech./Kanad.
Fantasyfilm, 2000 22.20 Dungeons and
Dragons – Die Macht der Elemente. Ame-
rik./Engl./Dt./LIT. Fantasyfilm, 2005 0.30
Killer Mountain. Amerik. Fantasy, 2011
KIKA
6.20 Shaun das Schaf 6.35 Sam 6.55 Die
Sendung mit dem Elefanten 7.20 Ernest
& Célestine 7.45 Sesamstraße 8.05 Lilys
Strandschatz Eiland 8.15 Die Abenteuer
des kleinen Hasen 8.45 Clangers 9.15 Ene
Mene Bu 9.30 Q Pootle 5 10.09 Kikanin-
chen 10.15 Franklin und Freunde 10.40
Bobby & Bill 11.05 logo! 11.15 Simsalag-
rimm 11.40 Hexe Lilli 12.05 Peter Pan
12.25 Die Maus 12.55 Stinki Stinkehund
13.20 Mirette ermittelt 13.40 Die Regeln
von Floor 14.10 Schloss Einstein – Erfurt
15.00 Tinkas Weihnachtsabenteuer 15.50
Lassie 16.35 Der kleine Prinz 17.25 Belle
und Sebastian 18.00 Beutolomäus und
der wahre Weihnachtsmann 18.15 Pet-
tersson und Findus 18.40 Pip und Posy
18.50 Sandmann 19.00 Peter Pan 19.25
Wissen macht Ah! 19.50 logo! 20.00 KiKA
Live 20.10 Club der magischen Dinge
Hessen
6.40 Schloss Einstein 7.05 Geronimo Stil-
ton 7.25 Videolexikon 8.00 maintower
we 8.30 hessenschau 9.00 Die Ratgeber
9.30 defacto 10.10 Welt der Tiere 10.40
Australien (1) 11.25 Giraffe & Co. 12.15
Gefragt – Gejagt 13.00 In aller Fr. 13.45
Der Winzerkönig 14.30 Die Eifelpraxis.
Väter und Söhne. Dt. Drama, 2017 16.00
hallo h. 16.45 hessenschau 17.00 hallo h.
17.45 hessenschau 18.00 Maintower
18.25 Brisant 18.45 Die Ratgeber 19.15
alle wetter 19.30 hessenschau 20.00 Ta-
gesschau 20.15 Die Gesundmacher. Os-
teopathie – Heilende Hände 21.00 Ess-
geschichten 21.30 hessenschau 21.45
Tatort. Der tote Chinese. Dt. Krimi, 2008
23.10 heimspiel! 23.55 Die Florian Schro-
eder Satireshow 0.40 Die Eifelpraxis. Vä-
ter und Söhne. Dt. Drama, 2017
NDR
7.20 Rote Rosen 8.10 Sturm der Liebe
9.00 Nordmagazin 9.30 H.-Journal 10.00
S.-H.-Magazin 10.30 buten un binnen
11.00 Hallo Nieders. 11.35 Einfach geni-
al 12.00 Xenius 12.25 In aller Fr. 13.10 In
aller Fr. – Die jungen Ärzte 14.00 NDR
Info 14.15 Gefragt – Gejagt 15.00 die
nordstory 16.00 NDR Info 16.10 Mein
Wie man lernt, wieder aufzustehen JAZZ, POP, ROCK
20.03 In Concert – Deutschlandfunk Kultur
Funkhauskonzert: Daniel Kahn, ca. 87 Min.
Der Kinostreifen „Aksel“ zeigt die absolut filmreife Karriere des norwegischen Skirennfahrers Aksel Lund Svindal FEATURE & MAGAZIN
6.05 radioWelt – BR 2
Es ist dunkel, es schneit, Oslo im Januar Balanceakt auf der Kante, der mehr als ein- U.a.: Gespräch mit Volker Wissing, FDP-
2017. Kein Ort zum Wohlfühlen, und die mal ein tödliches Ende hätte finden kön- Generalsekretär: FDP-Parteitag zum Koali-
wacklige Kamera, die dem Protagonisten nen. Der Film spart diese Momente nicht tionsvertrag / Gespräch mit Lars Haider,
Autor einer Biografie zum designierten
folgt, verbreitet eine angespannte Atmo- aus. All die Szenen in Krankenhäusern, die Deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
sphäre. Ein Mann auf dem Weg ins Kran- Svindal im OP-Kittelchen zeigen, vollge- und Chefredakteur des Hamburger Abend-
kenhaus zu einer Knieoperation. „Bist du pumpt mit Medikamenten, „waren defini- blatts / Kleiner Feiertag: Nikolaustag / Wie
bereit?“, fragt der Arzt. Ist er – wie immer tiv hart zu sehen“. Das bekennt der Sport- wechsle ich den Stromanbieter und wann
in seiner Karriere. „Ich versuche es, bis ich ler selbst: „Aber wenn man etwas macht, ist das sinnvoll?, ca. 145 Min.
9.05 Im Gespräch – Deutschlandfunk Kultur
weiß, dass es unmöglich ist“, wird er später dann muss man es richtig machen“ – des- Mit Paul Nizon, Schriftsteller, ca. 55 Min.
in der Reha sagen: Aksel Lund Svindal, halb lässt auch dieser Film wenig aus. 10.00 Leute – SWR 1 BW
einer der besten Skifahrer der jüngeren In Kitzbühel flog er 2016 bei einem wet- Mit Christian Berkel, Schauspieler
Vergangenheit, zweimaliger Olympiasie- terbedingt schwierigen Abfahrtsrennen auf und Schriftsteller, ca. 120 Min.
ger, fünffacher Weltmeister und Gesamt- der „Streif“ nach der Hausbergkante aus 10.05 Lesart – Deutschlandfunk Kultur
Weltcupsieger. Svindals Leben als Skifah- der Kurve und landete erst im Fangzaun, U.a.: Literarischer Adventskalender 2021 –
„Darth Vader“ von Charles Soule /
rer und Mensch läuft seit vergangenem dann in der Notaufnahme. Diagnose: Buchkritik – „Bitterer Zucker“, ca. 55 Min.
Donnerstag in Süddeutschland in den Kreuzbandriss. Sein Karriereende aber gab 10.05 Notizbuch – BR 2 Neue Arbeitswelt – was
Kinos: München, Nürnberg, Erlangen, er erst drei Jahre später, ebenfalls in Kitz- kommt da auf mich zu? / Psycho-Bubble –
Günzburg heißen die ersten Standorte, an bühel, bekannt. Dabei hatte ihm das schon wie Social Media über psychische Erkran-
denen dieser besondere Film läuft. In 2007 nach einem Sturz in Beaver Creek, kungen spricht, ca. 115 Min.
10.08 Kontrovers – Deutschlandfunk
Österreich, wo alpine Sportler einen Stel- Colorado bevorgestanden. Damals hatte er 2G, Kontaktbeschränkung, Impfpflicht –
lenwert haben wie andernorts Fußballpro- aufgrund einer tiefen Schnittwunde nach Auswege aus der Corona-Pandemie?
fis, lief „Aksel“ bereits vor Wochen an. Der Mit ungebrochener Freude dabei: der Skirennfahrer Aksel Lund Svindal auf einem Sturz viel Blut verloren; und weil er ca. 82 Min.
Zuschauerzuspruch wurde dann aber vom mit voller Wucht auf den Rücken gefallen 11.55 Verbrauchertipp – Deutschlandfunk
den Brettern, die seine Welt bedeuten Foto Pandafilm
Fotocloud nutzen, ca. 5 Min.
Lockdown gestoppt. In Svindals Heimat war, befürchteten die Ärzte auch innere
12.00 Doppelkopf – HR 2 Am Tisch mit Rafik
Norwegen sahen in der ersten Woche etwa Verletzungen. Ein Jahr später gab Svindal Schami, Schriftsteller und Chemiker, 60 Min.
50 000 Menschen zu, eine solide Quote für auf ebenjener Piste eines seiner vielen 13.05 Länderreport – Deutschlandfunk Kultur
ein Land, in dem kaum mehr als fünf Mil- Videos aus Aksels Kindheit und Archiv- ge einst in den Weltcup einstieg, nahmen erfolgreichen Comebacks. Leichtgefallen U.a.: Im Ahrtal – Weihnachtsshopping in
lionen Menschen leben. material bedeutender Skirennen. Svindal ihn die Norweger Lasse Kjus und Kjetil ist ihm das nicht: „Mein ganzer Körper hat Container-Popup-Mall / Pellworm setzt
Eigentlich hatte Aksel, wie der stets selbst findet: „A pretty cool movie about André Aamodt in ihr Team auf. Und geschrien: ‚Halt! Mach das nicht!‘“, sagt er sich für Klimaschutz ein, ca. 55 Min.
14.05 Kompressor – Deutschlandfunk Kultur
freundlich auftretende Sportsmann von downhill skiing“. obwohl sie Svindals große Vorbilder waren, im Film. Allerdings habe er eine zweite U.a.: Enzyklopädie über fiktive Insel
allen genannt wird, nicht vor, sein Leben Vor allem aber ist die Dokumentation musste er sich nicht hochdienen, sondern Stimme gehört, die ihm zuflüsterte: „Das „Formosa“. Gespräch mit der Ondine
auf der Kinoleinwand auszubreiten. Doch das Porträt eines Mannes, der bei all seinen agierte von Beginn an auf Augenhöhe. So ist ein Test, den du bestehen musst.“ Svin- Pannet / Das Lesen der Anderen: WASD
die Filmschaffenden Filip Christensen und Erfolgen stets souverän und bescheiden verhielt sich Svindal später auch zu seinem dal gewann das Rennen. wird zum Onlinemagazin „WASTED“.
Even Sigstad waren 2015 auf den Gedan- geblieben ist. Einer, der verheerende Stür- kongenialen Speed-Partner Kjetil Jansrud Und genau ein Jahr nachdem er dem Gespräch mit Jagoda Froer, ca. 55 Min.
ken gekommen, ihn und das norwegische ze zu verarbeiten hatte, die ihn Demut und dem talentierten Aleksander Aamodt Arzt in Oslo bestätigte, „bereit“ zu sein – 15.05 Leben – SWR 2 Integriert dank Kind –
Erlebnisse einer Mutter aus Belarus, 25 Min.
Skiteam beim Ski-Weltcup zu begleiten. lehrten. Es ist ein Film, der Triumphe mit- Kilde. Wer diesem Team zusieht, der für die Operation und somit für eine weite- 15.55 „lesenswert“ Kritik – SWR 2 Golo Maurer:
Sie blieben über vier Jahre dran. Nach nimmt und Tragödien aushält. Das bekommt eine Ahnung davon, warum die re Verlängerung seiner Skikarriere –, star- Heimreisen. Goethe, Italien und die Suche
„Streif – One Hell of a Ride“ (Regie Gerald geschieht auf eine Weise, auf die auch Norweger immer wieder die alpine Groß- tete Svindal bei den Olympischen Spielen der Deutschen nach sich selbst, ca. 5 Min.
Salmina), dem 2014 produzierten Film weniger Skibegeisterte vom Kampf- und macht Österreich ärgern konnten. von Pyeongchang. Er gewann Gold als 16.05 Eins zu Eins. Der Talk – BR 2 Zu Gast: Hilde
über die Rennstrecke „Streif“ in Kitzbühel, Teamgeist des Profis inspiriert werden. Im Zwar hatte Svindal, der seine aktive Abfahrts-Olympiasieger vor seinem Gerg, ehem. Skirennläuferin, ca. 55 Min.
16.10 Büchermarkt – Deutschlandfunk
ist „Aksel“ der bisher wohl ambitioniertes- Film vermittelt der Sportler Svindal, dass Laufbahn 2019 beendete, schon während Freund und Konkurrenten Kjetil Jansrud. U.a.: Jacques Stéphen Alexis: „Der Stern
te Film über den alpinen Ski-Rennsport. Spaß am Tun und die notwendigen freund- seiner Karriere in diverse Start-ups inves- Es war die Krönung seiner Karriere – und Wermut“ / Literarische Post zugunsten von
Aus mehr als 500 Stunden Material destil- schaftlichen Bande ebenso wichtig für den tiert und sich längst eine Existenz neben absolut filmreif. ACHIM DREIS Menschen auf der Flucht, ca. 20 Min.
lierten Christensen und Sigstad 110 Minu- Erfolg sind wie starker Wille, Ehrgeiz und dem Skirennsport aufgebaut. Doch war die 16.35 Forschung aktuell – Deutschlandfunk
ten Spielfilm – angereichert mit wackligen Talent: Als der heute Achtunddreißigjähri- Art, wie er seinen Sport betrieb, stets ein Aksel läuft seit Donnerstag im Kino. U.a.: Depressionen. Individualisierte Hirnsti-
mulation weckt neue Hoffnung, ca. 25 Min.
18.00 Der Tag – HR 2 Ausgedruckt –
Wenn Papier knapp wird, ca. 60 Min.
Nachmittag 17.00 NDR Info 17.10 Leo- Abdel 22.45 Ladies Night Classics 23.30 14.10 Aktiv und gesund 14.40 Seehund CIS: New Orleans 10.15 Blue Bloods 12.05 WELT 18.05 IQ – Wissenschaft und Forschung – BR 2
pard & Co. 18.00 Regional 18.15 Die Wilfried Schmickler – Das Beste 0.30 Wil- & Co. 15.30 Schnittgut 16.00 BR24 Rund- Castle 12.55 The Mentalist 13.55 Elemen- U.a.: Seltene Erden umweltfreundlich. Bakte-
Nordreportage 18.45 DAS! Zu Gast: An- fried Theodor Schmickler – Fast ein schau 16.15 Wir in Bayern 17.30 Abend- tary 14.50 Navy CIS: L.A. 15.50 Kabel Eins Stündlich Nachrichten 5.20 Die Gefäng- rien helfen zu recyceln / Abhängigkeit von
nette Behnken (Pastorin) 19.30 Regional Selbstporträt 1.30 Team Abdel schau – Der Süden 18.00 Abendschau News 16.00 Navy CIS: L.A. 16.55 Aben- nisanlage Wittlich 12.45 Börse 18.15 den USA. Was macht das europäische
20.00 Tagesschau 20.15 Markt 21.00 Die 18.30 BR24 Rundschau 19.00 Unkraut teuer Leben täglich. HoT Die größte Börse 20.05 Arbeiten am Limit – Die ge- Cloud-Projekt „Gaia-X„?, ca. 25 Min.
Tricks im Weihnachtsgeschäft 21.45 NDR MDR 19.30 Dahoam 20.00 Tagess. 20.15 Land- Schnitzelfabrik 17.55 Mein Lokal, Dein fährlichsten Jobs der Welt 21.05 Bullerbü 18.30 Weltzeit – Deutschlandfunk Kultur
Info 22.00 45 Min 22.45 Kulturjournal frauenküche 21.00 Bayern erleben 21.45 Lokal 18.55 Achtung Kontrolle! 20.15 in Deutschland – Ein Schwedenhaus Übergewichtskrise in der Südsee.
23.15 Wir können auch anders. Dt. Ko- 7.10 Rote Rosen 8.00 Sturm der Liebe BR24 Rundschau 22.00 Lebenslinien. Terminator 2 – Tag der Abrechnung. entsteht 22.05 Mega-Krane – Schwerge- Fitness gegen Fett, ca. 30 Min.
mödie, 1993 0.45 Die Tricks im Weih- 8.50 In aller Fr. 9.40 WaPo Berlin (3) 10.30 Sabine Sauer – Die Frau hinter dem Lä- Amerik./Franz. Action, 1991 23.20 Termi- wichte im Einsatz 23.05 Hightech und 19.05 Tandem – SWR 2
nachtsgeschäft 1.30 Markt Elefant & Co. 11.00 MDR um elf 11.40 In cheln 22.45 Mord mit Aussicht 23.35 nator. Amerik./Engl. Sci-Fi, 1984 (-1.30) Handarbeit – Der Bau eines Kreuzfahrt- Wanderung in ein neues Leben auf dem
aller Freundschaft 12.25 Hallohallo. SchleichFernsehen 0.20 Ringlstetter schiffes 0.05 Der Luxus-Camper – Freiheit „Weg der Freundschaft“, ca. 49 Min.
RBB Schwed./Norweg. Komödie, 2014 14.00 Vox auf Rädern 1.05 140 000 Quadratmeter 19.15 Andruck – Deutschlandfunk, SR2
MDR um zwei 15.10 Rentnercops 16.00 RTL 2 Wellness – Die größte Therme der Welt U.a.: Benedikt Weibel: „Wir Mobilitäts-
6.00 Guten Morgen Berlin 8.00 Branden- MDR um vier 17.45 MDR aktuell 18.10 5.00 CSI: NY 7.20 CSI: Den Tätern auf der menschen. Wege und Irrwege zu einem
burg akt. 8.30 Abendschau 9.00 In aller Brisant 18.54 Sandmann 19.00 Regional 6.50 Der Trödeltrupp 8.50 Frauen- Spur 9.05 CSI: Miami (5–7) 11.55 Shop- ntv nachhaltigen Verkehr“, NZZ Libro, ca. 45 Min.
Fr. 9.45 In aller Fr. – Die jungen Ärzte 19.30 MDR aktuell 19.50 Mach dich ran! tausch – Hochzeitsspezial (3) 10.55 Frau- ping Queen 12.55 Zwischen Tüll und 19.30 Feature – Deutschlandfunk Kultur
11.20 Akte Ex 12.10 Gefragt – Gejagt 20.15 Polizeiruf 110. Tod in der Bank. Dt. entausch 12.55 Die Wollnys (7) 13.55 Die Tränen 13.55 Mein Kind, dein Kind 14.55 Stündlich Nachrichten 7.10 Telebörse Paragraf 218. Ungewollt schwanger – und
13.00 rbb24 13.15 Elefant, Tiger & Co. Krimi, 2007 21.45 MDR aktuell 22.10 Fakt Geissens (2) 14.55 Das Messie-Team (6) Shopping Queen 15.55 Guidos Deko 12.30 News Spezial 13.10 Telebörse jetzt? Ein Ost-West-Vergleich, ca. 30 Min.
13.40 Zwischen den Zeilen (1) Krimiserie ist! 23.10 Großstadtrevier 0.50 Und mor- 17.05 Let’s Love 18.05 Köln 50667 19.05 Queen 17.00 Zwischen Tüll und Tränen 13.30 News Spezial 14.10 Telebörse 21.05 Theo.Logik – BR 2
14.30 Marga Engel gibt nicht auf. Dt. Ko- gen Mittag bin ich tot. Dt. Drama, 2013 Berlin – Tag & Nacht 20.15 Adam sucht 18.00 First Dates 19.00 Das perfekte Din- 14.30 Ratgeber – Freizeit & Fitness 15.25 Nikolaus 2021- Geschenke, Wünsche,
mödie, 2004 16.00 rbb24 16.10 In aller Eva (4) 22.15 UNdressed (3+2) 0.15 Web- ner 20.15 Ein Abend mit Hape Kerkeling. Telebörse 15.40 News Spezial 16.15 Te- Wege zum Glück, ca. 55 Min.
Fr. – Die jungen Ärzte 17.05 Gefragt – Ge- SWR cam-Girls – Per Klick zum Glück? (1) Mit Dunja Hayali (Journalistin und Freun- lebörse 16.30 News Spezial 17.15 Tele- 21.30 Einstand – Deutschlandfunk Kultur
jagt 17.53 Sandmann 18.00 rbb UM6 din von Hape Kerkeling) Dunja Hayali, börse 17.30 News Spezial 18.20 Telebör- Witz und Wahn in Liedern von Zemlinsky,
18.27 zibb 19.30 Abendschau/Branden- 6.00 Morningshow 8.00 In aller Fr. – Die Super RTL Hape Kerkeling 23.25 James Bond 007 – se 18.35 News Spezial 19.15 Telebörse Schönberg und Daigger, ca. 30 Min.
burg aktuell 20.00 Tagesschau 20.15 jungen Ärzte 8.45 In aller Fr. 9.30 Festta- Stirb an einem anderen Tag. Engl./Ame- 19.30 Ratgeber – Hightech 20.15 Vom
Super.Markt 21.00 Land und lecker im ge feiern! Fröhliche Weihnachten 10.15 7.45 Peppa Pig 8.00 Mighty Express 9.00 rik./Span./Isländ. Agentenfilm, 2002 Klick zur Klingel – Paket-Logistik in LESUNG
Advent (3) 21.45 rbb24 22.15 Tatort. Ex- Wildes Deutschland 11.00 Planet Wissen Go Jetters 9.30 Ricky Zoom 9.55 Paw Pa- Deutschland 21.05 Wald im Wandel – Das
periment. Dt. Krimi, 1992 0.00 Polizeiruf 12.00 Zoo-Babies 12.45 Meister des All- trol 10.25 Grizzy & die Lemminge 11.00 ARD-alpha Geschäft mit der grünen Lunge 22.10 Die 8.30 Am Morgen vorgelesen – NDR Kultur
110. Der Rettungsschwimmer. Dt. Krimi, tags 13.15 Quizduell-Olymp 14.00 Aktu- Trolls 11.25 Polly Pocket 11.55 Barbie Macht der Bäume 23.15 Telebörse 23.30 Angelika Klüssendorf: „Vierunddreißigster
1982 1.05 Alle Kinder brauchen Liebe. Dt. ell 14.10 Bahnromantik 15.10 Großstadt- 12.25 Die neue Looney Tunes Show 7.30 Paula 8.00 Tele-Gym 8.15 Panora- #beisenherz 0.15 Spiegel TV 0.45 Vom September“ (6/10), ca. 30 Min.
Familienfilm mit Witta Pohl, 2000 revier 16.05 Kaffee oder Tee 18.00 Aktu- 12.55 Kid Lucky 13.20 Voll zu spät! 13.50 mabilder 9.30 Unterwegs mit ... einem Klick zur Klingel 1.25 Wald im Wandel 9.00 Lesezeit – MDR Kultur Clemens J. Setz:
ell 18.15 Mensch Leute 18.45 Landes- Weihnachtsmann & Co. KG 14.25 AL- Imam 9.45 Stammzellen heiß begehrt „Der Trost runder Dinge“ (1/10), ca. 35 Min.
WDR schau BW 19.30 Aktuell 20.00 Tages- VINNN!!! 14.50 Schwammkopf 15.20 Tom 10.00 Quarks 10.45 nano 11.15 Eisen- CNN 9.00 Lesung – HR 2
schau 20.15 Doc Fischer 21.00 Die Ernäh- und Jerry 15.50 Nova One 16.20 Idefix bahn-Romantik 11.45 Schätze der Welt Hermynia Zur Mühlen: „Unsere Töchter,
7.20 Die geheimnisvollen Reisen der Tie- rungs-Docs 21.45 Aktuell 22.00 Sag die und die Unbeugsamen 16.50 Woozle G. spezial 12.05 Tagesgespräch 13.00 Tele- 6.00 CNN Newsroom 6.45 World Sport die Nazinen“ (4/16), ca. 30 Min.
re 8.20 Wissen macht Ah! 8.45 neunein- Wahrheit 22.30 Meister des Alltags 23.00 17.20 Angelo! (1) 17.50 Paw Patrol 18.20 Gym 13.30 Zwischen Spessart und Kar- 7.00 CNN Newsroom 8.00 Newsroom 14.04 Fortsetzung folgt – SR2 Grazia Deledda:
halb 8.55 Gefragt – Gejagt 9.40 Quizdu- Gefragt – Gejagt 23.45 Stadt – Land – Grizzy & die Lemminge 18.50 ALVINNN!!! wendel 14.15 alpha-retro 15.00 Ich weiß, 8.45 World Sport 9.00 Newsroom 10.00 „Die Maske des Priesters“ (4/14), ca. 56 Min.
ell – Der Olymp 10.25 Westpol 10.55 Quiz 0.30 strassen stars 1.00 Quizduell- 19.20 Weihnachtsmann & Co. KG 19.45 dass die Sonne... 15.45 Machst du auch CNN Newsroom 11.00 Early Start 12.00 15.30 Fortsetzung folgt – SWR 2
Planet Wissen 11.55 Leopard & Co. 12.45 Olymp 1.50 Sag die Wahrheit Idefix . Animationsserie 20.15 Christmas mit? Inklusion im Jahr 1969 16.15 Fannys New Day 14.30 World Sport 15.00 First Leo Perutz: „Nachts unter der steinernen
WDR aktuell 13.05 Giraffe & Co. 13.55 at the Plaza – Verliebt in New York. Ame- Friday Doku. Multitasking 16.45 SMS Move 16.00 Connect the World 16.45 Brücke“ (5/25), ca. 25 Min.
Palmen & Co. 14.20 Morden im Norden BR rik. Romanze, 2019 22.00 Mr. Christmas. 17.00 Alles Wissen 17.45 nano 18.15 Pla- World Sport 17.00 Connect the World 22.00 Am Abend vorgelesen – NDR Kultur
16.00 WDR aktuell 16.15 Hier und heute Amerik. Romanze mit Sam Page, 2017 net Wissen. Textilwende 19.15 Respekt 18.00 One World 18.45 Marketplace Af- Theodor Fontane: „Mathilde Möhring“ (1/8)
18.00 WDR aktuell / Lokalzeit 18.15 Ser- 7.35 Panoramabilder 8.34 Sternstunden- 23.45 30 Rock 0.20 Infomercials 19.30 alpha-Demokratie 20.00 Tages- rica 19.00 Amanpour 20.00 Hala Gorani ca. 33 Min.
vicezeit 18.45 Akt. Stunde 19.30 Lokalzeit Adventskalender 8.40 Tele-Gym 8.55 schau 20.15 Kinder der Klimakrise ... Dt. Tonight 21.00 Quest Means Business
20.00 Tagesschau 20.15 Der Vorkoster. Panda & Co. 9.45 Giraffe & Co. 10.35 Big Kabel 1 Dokumentarfilm, 2020 21.45 Die Nord- 21.45 Africa Avant Garde 22.00 The Lead Auf die Sprachgepflogenheiten der
Weihnachtsgebäck – gekauft oder selbst Five Asien 11.20 Eisenbahn-Romantik reportage 22.15 alpha-Campus Talks 23.00 The Global Brief with Bianca Nobi- Fernsehsender in ihren Programmhinweisen
gebacken? 21.00 Land und lecker im Ad- 11.50 In aller Fr. 12.35 Paul Kemp – Alles 5.40 Achtung Kontrolle! Wir kümmern 22.45 Campus 23.15 alpha-Demokratie lo 23.30 World Sport 0.00 The Situation hat die F.A.Z. keinen Einfluss
vent (3) 21.45 WDR aktuell 22.15 Team kein Problem 13.25 Gefragt – Gejagt uns drum 7.35 Navy CIS: L.A. 8.30 Navy 23.45 Die Tagesschau 2001 0.00 The Day Room 1.00 Erin Burnett OutFront
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Hartz-IV-Umbau nimmt Fahrt auf
Die FDP feiert das
Bürgergeld als
Modernisierung des
Sozialstaats. Doch wer
soll es gestalten?
Von Corinna Budras,
Berlin
D
ie Bundesagentur für Arbeit
hat bald selbst Bedarf an einer
Jobvermittlung: Im April wird
dort der Chefposten vakant.
Detlef Scheele, 64 Jahre alt, scheidet aus
dem Amt. In die eigene Kundenliste wird
die Nürnberger Behörde kaum schauen,
die Aufgabe ist hochpolitisch – im nächs-
ten Jahr so sehr wie selten zuvor: Dann
steht der Umbau der Grundsicherung an,
im Volksmund „Hartz IV“ genannt. Sie soll
künftig zu einem „Bürgergeld“ avancieren,
so haben es die Ampel-Parteien in ihrem
Koalitionsvertrag beschlossen. Und nun
ist für diese Aufgabe eine Person im
Gespräch, die lange mit der rot-grünen
Arbeitsmarktreform gehadert hat: die frü-
here SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, die
im April 2019 das Handtuch warf.
Die Nachricht machte am Wochenen-
de die „Bild am Sonntag“ publik. Weder
die SPD noch das Bundesarbeitsministe-
rium wollten die Personalie am Sonntag
bestätigen, auch Nahles selbst äußerte
sich nicht. Auf diesem Weg könnte die
ehemalige Bundesarbeitsministerin von
Scheeles ehemaliger Chefin zu seiner
Nachfolgerin werden. Ein Selbstläufer ist
diese Personalie indes nicht: Der Verwal-
tungsrat der Bundesagentur wählt die
neue Führungskraft, das Bundeskabinett
muss ihr zustimmen. Die Vorsitzende des
Verwaltungsrats ist Anja Piel, Vorstands-
mitglied des Deutschen Gewerkschafts-
bundes. Derzeit ist Nahles Präsidentin
der Bundesanstalt für Post und Telekom-
munikation, eine Unterbehörde des
Finanzministeriums, das der designierte
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bisher
leitete. Einblicke in den Behördenalltag
konnte Nahles so also schon sammeln,
Erfahrungen aus der freien Wirtschaft,
wie Kritiker bemängeln, jedoch nicht.
Wer immer die BA künftig leiten wird,
muss jedenfalls den Umbau der staatli-
„Die Inflation wird höher bleiben als gedacht“
IWF-Ökonomen rufen die amerikanische Geldpolitik zu raschem Handeln auf
gb. FRANKFURT. Die Inflation wird
vermutlich höher bleiben als bislang
gedacht, und die Geldpolitik sollte daher
nicht allein darauf ausgerichtet sein, die
wirtschaftliche Erholung zu unterstützen.
Darauf verweisen mit Gita Gopinath und
Tobias Adrian zwei prominente Ökono-
men des Internationalen Währungsfonds
in einem Blogbeitrag. Gopinath ist Chef-
volkswirtin des Fonds, sie soll künftig die
Rolle einer Ersten Stellvertreterin von
Generaldirektorin Kristalina Georgiewa
übernehmen. Der aus Hessen stammende
Adrian lebt schon lange in den USA;
nachdem er viele Jahre für die Federal
Reserve Bank of New York gearbeitet hat,
leitet er seit 2007 die Abteilung Geld- und
Kapitalmärkte des Fonds.
Die Ökonomen nennen mehrere
Gründe für aufkeimenden Preisdruck.
„Die Nachfrage hat sich vor allem in ent-
Trump bekommt eine Milliarde Dollar für Medienpläne
Finanzspritze für das Netzwerk „Truth Social“ über eine schon börsennotierte Zweckgesellschaft
wvp. WASHINGTON. Das Medienpro-
jekt des ehemaligen amerikanischen Prä-
sidenten Donald Trump bekommt einen
Schub dank einer Finanzspritze im
Umfang von einer Milliarde Dollar von
bisher nicht genannten Investoren. Das
hat die Trump Media & Technology
Group mitgeteilt. Das Unternehmen
steht vor der Verschmelzung mit einer
schon an der Börse notierten Zweckge-
sellschaft. Das fusionierte Unternehmen
soll im kommenden Jahr die soziale Platt-
form Truth Social starten in Konkurrenz
zu Facebook und Twitter. In einer nächs-
ten Entwicklungsstufe sind ein Nachrich-
tenkanal als Antwort auf CNN und ein
Streamingservice vorgesehen im Wettbe-
werb mit Disney und Netflix.
Trump war von Facebook und Twitter
am 8. Januar gesperrt worden, weil er
nach Einschätzung der Unternehmen
RAN AN DIE SUPERABSCHREIBUNG
Unternehmen sollen rasch Geld in
Digitalisierung und Klima stecken.
Welche Steuerregeln gelten?
Seite 17
Ein Ziel der Modernisierung: mehr Chancen für Jugendliche
chen Unterstützung zu einem „Bürger-
geld“ mit Leben füllen, das vor allem von
der FDP gelobt wird. Christian Lindner
nannte es am Sonntag gemeinsam mit
Verbesserungen bei der Verwirklichung
von Bildungschancen als das erste von
fünf Kernprojekten im Koalitionsvertrag.
In dem Bürgergeld zeige sich die Erneue-
rung des „Aufstiegsversprechens“ und
zugleich die Modernisierung des Sozial-
staates. Es ermögliche „Lebenslaufsouve-
ränität“. Kein Schicksalsschlag dürfe mehr
in die soziale Sackgasse führen, mahnte
der FDP-Chef. Kritiker wie Ulrich Schnei-
der, Hauptgeschäftsführer des Paritäti-
schen Gesamtverbandes, werfen den
Ampel-Parteien dagegen einen „Etiket-
tenschwindel“ vor, weil die Reform außer
einem neuen Namen kaum substanzielle
Verbesserungen für Arbeitslose bringe.
Für Ärger hatte zunächst gesorgt, dass
die angehenden Koalitionäre in ihrer
Vereinbarung noch nichts über die Höhe
wickelten Ländern, durch außergewöhn-
liche Maßnahmen in der Finanz- und
Geldpolitik stark unterstützt, erholt.
Zudem haben durch die Pandemie und
den Klimawandel bedingte Störungen
des Angebots und eine Verlagerung der
Ausgaben von Dienstleistungen zu
Gütern den Preisdruck erhöht. Des Wei-
teren ist in manchen Bereichen des
Arbeitsmarkts Lohndruck entstanden“,
schreiben Gopinath und Adrian. „Wir
erwarten, dass sich die fehlende Über-
einstimmung von Angebot und Nachfra-
ge im Laufe der Zeit reduzieren und den
Preisdruck verringern wird.“ Verbesse-
rungen seien in der zweiten Hälfte des
kommenden Jahres zu erwarten.
Gopinath und Adrian sehen nicht alle
Länder in einer identischen Lage und
befürworten eine flexible, an Daten aus-
gerichtete Geld- und Finanzpolitik:
Falschmeldungen über die Präsident-
schaftswahl verbreitete und den Sturm
auf das Kapitol am 6. Januar anzuzetteln
half. Er begreift die Gründung des
Medienunternehmens als Maßnahme
gegen die „Zensur“ durch Silicon-Valley-
Konzerne. „Eine Milliarde Dollar sendet
eine wichtige Botschaft an Big Tech, dass
Zensur und politische Diskriminierung
enden müssen“, lässt Trump sich zitieren.
Amerika sei bereit für Truth Social. Die
Plattform verspreche, nie auf der Basis
politischer Ideologie zu diskriminieren.
Dank der Finanzspritze sei sein Unter-
nehmen nun in einer stärkeren Position,
gegen die Tyrannei der Technologierie-
sen anzukämpfen. Die neuen Investoren
bekommen die Aktien der geplanten
Gesellschaft zu einem vergünstigten
Preis. Digital World Acquisition Corp
heißt die börsennotierte Zweckgesell-
WEG MIT SÜSS UND FETTIG
Die Ampel-Parteien wollen ein
Werbeverbot für ungesunde
Kinder-Lebensmittel.
Seite 20
Wirtschaft
des neuen Bürgergeldes gesagt haben.
Sozialverbände fordern schon lange statt
der sonst üblichen jährlichen Anpassun-
gen eine signifikante Erhöhung des bis-
herigen Regelsatzes von 446 Euro auf
mehr als 600 Euro im Monat, um den
rund 3,8 Millionen Beziehern des
Arbeitslosengeldes II ein menschenwür-
diges Leben zu ermöglichen. Besonders
durch die steigende Inflation von zuletzt
fünf Prozent sei eine deutliche Anhebung
des Betrags nötig. Neben dem monatli-
chen Festsatz zahlt der Staat allerdings
auch die Miete und die Heizkosten in
einem „angemessenen Umfang“.
Signifikante Lockerungen hat die
Ampel auch in den ersten zwei Jahren der
Grundsicherung vorgesehen. So soll das
Vermögen in dieser Zeit unangetastet
bleiben. Bisher mussten sich Hartz-IV-
Empfänger ihr Vermögen bis auf einen
Freibetrag von maximal rund 10 000 Euro
auf ihre staatliche Unterstützung anrech-
„Unterschiede zwischen den Ländern in
den Inflationsbedingungen und in der
wirtschaftlichen Erholung zeigen, warum
die Antwort der Politik auch in Anbe-
tracht der mit Omikron verbundenen
deutlich höheren Unsicherheit auf die
spezifischen Umstände in den einzelnen
Ländern zugeschnitten sein muss.“
In den Industrienationen erscheint die
Inflationsgefahr in Amerika derzeit am
größten. Dort gebe es im Vergleich etwa
zur Eurozone derzeit bessere Gründe,
rasch gegen die Inflation vorzugehen.
„Für die Federal Reserve wäre es an der
Zeit, die Reduzierung der Anleihekäufe
zu beschleunigen und früher zu Leitzins-
erhöhungen zu gelangen“, betonen Gopi-
nath und Adrian. Es sei aber auch im
internationalen Interesse sehr wichtig,
Änderungen der amerikanischen Geld-
politik im Vorhinein gut zu kommunizie-
schaft, die Trumps Unternehmen aufneh-
men will. Ihr Aktienkurs kletterte im
Oktober auf 94 Dollar, als bekannt wur-
de, dass sie als Vehikel für Trumps
Medienpläne dienen soll. Seitdem hal-
bierte sich der Kurs, um in den letzten
Tagen auf 44 Dollar zu steigen mit dem
neuen Gerücht der Finanzspritze.
Das Medienunternehmen setzt auf
Trumps einst große Gefolgschaft in
sozialen Medien. Er hatte nach Darstel-
lung einer Unternehmenspräsentation
auf Twitter 89 Millionen Follower, auf
Facebook 33 Millionen und auf Insta-
gram 24,5 Millionen. Laut Präsentation
rechnet die Unternehmensführung
damit, dass die Nutzer von Truth Social
zunächst aus Trumps politischem Univer-
sum kommen. Doch die Grundidee sei,
ein großes Zelt für eine offene Debatte zu
bieten, das Leute jeglicher politischen
AB AUF DIE SCHIENE
Mehr Güter sollen auf den
Gleisen transportiert werden.
Doch da herrscht Verkehrschaos.
Seite 22
Foto Daniel Pilar
nen lassen. Wegen der Corona-Krise gilt
derzeit ein Aufschub der Anrechnung
von sechs Monaten. Bei den umstrittenen
Sanktionen bleiben die Parteien indes
vage: Grundsätzlich wolle man daran
festhalten. In welcher Form? Offen.
Erleichterung wird es für Bürgergeld-
Empfänger sowohl bei der Weiterbildung
als auch bei den Hinzuverdienstmöglich-
keiten geben. Danach müssen sie künftig
nicht mehr um jeden Preis ein Stellenange-
bot annehmen, sondern können stattdes-
sen auch ein Weiterbildungs- und Qualifi-
zierungsangebot wählen, für das künftig
auch ein Bonus gezahlt werden kann. Fran-
ziska Brandmann, Vorsitzende der Jungli-
beralen, hob auf dem FDP-Parteitag am
Sonntag besonders die erweiterten Hinzu-
verdienstmöglichkeiten für Schüler und
Studenten hervor. Es sei ein Zeichen von
„Leistungsgerechtigkeit“, das deren Jobs
nun nicht mehr den Hartz-IV-Regelsatz
ihrer Eltern minderten.
ren. Eine Straffung der Geldpolitik könn-
te höhere Kursausschläge an den Finanz-
märkten zur Folge haben. Schwellen- und
Entwicklungsländer wären im Vorgriff
auf höhere Zinsen in den Industrienatio-
nen gut beraten, ihre Anleihen mit mög-
lichst hohen Laufzeiten auszustatten.
Mit Blick auf die Inflationsaussichten
in der Eurozone zeigen sich die IWF-
Ökonomen angesichts eines im Vergleich
zu Amerika schwächeren Wirtschafts-
wachstums weniger beunruhigt. Ohne
Berücksichtigung der besonders
schwankungsanfälligen Preise von Nah-
rungsmitteln und Rohstoffen liege die
Inflationsrate unter dem Ziel von 2 Pro-
zent, und die Inflationserwartungen sei-
en mit dem Inflationsziel der EZB verein-
bar. Damit ist die Position von Gopinath
und Adrian vergleichbar mit der aktuel-
len Lageeinschätzung durch die EZB.
Provenienz willkommen heiße. In der
Präsentation wird aber eingeräumt, dass
nur ein Drittel der aktiven Nutzer sozia-
ler Medien einer von Trump gestützten
Plattform beitreten würde. „Das ist ein
ungeheuer schwieriges Paket an Heraus-
forderungen. Und ich stellte fest, dass ich
die einzige Person in Amerika bin mit der
Reichweite, den Mitteln, der Erfahrung
und dem Wunsch, das alles wahr zu
machen“, sagte Trump im Oktober.
Die ersten selbst gesetzten Fristen hat
Trumps Medienunternehmen nicht ein-
halten können. Eine Betaversion von
Truth Social sollte im November mit aus-
gewählten Nutzern getestet werden. Das
ist offenbar nicht passiert. Finanzpläne
oder Angaben zum Führungspersonal hat
Trump ebenfalls noch nicht gemacht,
selbst die Verschmelzung ist noch nicht
in trockenen Tüchern.
Neustart
Von Corinna Budras
ie SPD hat einst mit Verve die
D Arbeitsmarktreform Hartz IV
ins Werk gesetzt und sie
danach mit ebensolcher Verve wieder
bekämpft. Nun soll das „Bürgergeld“
diesen Kampf beenden, damit die
Sozialdemokraten endlich ihren Frie-
den mit der staatlichen Balance aus
„Fördern und Fordern“ machen kön-
nen. Dass vor allem der Name nach
Neuanfang klingt, Hartz IV aber nicht
komplett umgewälzt wird, ist nicht
etwa eine Schwäche, sondern die Stär-
ke des Konzepts. So verhasst die
Reform in einigen Kreisen auch ist, so
ist doch der Grundansatz richtig, die
Arbeitslosen so schnell wie möglich
wieder in Beschäftigung zu bringen,
notfalls auch mit einigem Druck. Die-
sen Druck will die Ampel nun in eini-
gen Punkten abschwächen. Sie zeigt
sich dabei durchaus großzügig: In den
ersten zwei Jahren wird das erworbe-
ne Vermögen nicht angerechnet, dafür
werden die Bürgergeld-Empfänger
mehr denn je ermutigt, sich weiterzu-
bilden und sich etwas hinzuzuverdie-
nen. Wenn dies dazu führt, dass die
Menschen den Kontakt zur Arbeits-
welt nicht verlieren, sondern verstär-
ken, wäre schon einiges gewonnen.
Nach uns die Sintflut
Von Christoph Hein
enschen legen sich auf
M Bahngleise, ketten sich an
Züge. Was Deutschland im
Hambacher Forst durchlebte, spielt
sich nun am anderen Ende der Welt
ab: An der Ostküste Australiens
kämpfen Kohlegegner und Klima-
schützer gegen das Öffnen einer der
größten Kohleminen der Erde. Dass
die schwarze Exportware über das
vom Klimawandel stark bedrohte
Weltnaturerbe Barrier Reef nach
Indien verschifft wird, lässt die Wut
der Demonstranten noch wachsen.
Sie kämpfen ohne Aussicht auf
Erfolg. Australiens Regierungen wer-
den keinen Deut nachgeben. Und
auch der Betreiber der Mine, der indi-
sche Adani-Konzern, wird nicht ein-
knicken. In seinem Kielwasser werden
australische Bodenschatzkonzerne
weitere Vorkommen in dem riesigen
Kohlegebiet öffnen. Sie tun dies, weil
Kohle begehrt ist.
Das wird sie auf lange Zeit bleiben,
denn 40 Prozent der Energieversor-
gung Asiens stammt aus dem „schwar-
zen Gold“. Die Schwellenländer dort
stehen für 75 Prozent des Anstiegs des
Kohleverbrauchs bis 2050. Der Weg
aus der Armut – die in der Corona-
Krise wieder wächst – führt zu stei-
gendem Strombedarf. Wer im pakista-
nischen Moloch Karachi lebt und
dank der von Chinesen gebauten Koh-
lekraftwerke in der Wüste Thar erst-
mals Strom aus der Steckdose hat,
wird nicht für das Abschalten plädie-
ren. Im Gegenteil: Er wird die Regie-
rung, die ihm die Energie bescherte,
wiederwählen. „Kohle“ heißt deshalb
das Rezept aller Regierungen. Beispiel
Vietnam: Ministerpräsident Pham
Minh Chinh versprach, sein Land wer-
de „proaktiv“ den Ausstieg vorantrei-
ben. Tage später erklärte seine Regie-
rung im „Strom-Entwicklungsplan 8“,
die Kohleverstromung bis 2030 zu ver-
doppeln. Und so grün Oberkommu-
nist Xi Jinping seine Worte auch ein-
färbt: Chinas Anteil an neuen Kohle-
kraftwerken stieg im vergangenen
Jahr auf 76 Prozent. 2019 lag er noch
bei 64 Prozent.
Weiterhin sichern Politiker dank
Kohle ihren Einfluss und ihr Einkom-
men, wenn auch auf Kosten der
Zukunft. Angesichts der Unwetter des
Klimawandels bekommt die Losung
„Nach uns die Sintflut“ damit eine
ganz neue Bedeutung.
Wie auch in den Industrieländern
ist der Klimadruck trotz immer
schneller getakteter Katastrophen
noch zu abstrakt, um Massen zur
Abkehr vom bisherigen Wachstums-
pfad zu bringen. Noch bewegen das
Versalzen der Felder, das Sterben der
Riffe oder das Husten der Kinder in
der verpesteten Luft Neu-Delhis zu
wenige Entscheider zum Kurs-
NR. 2 8 4 · SE I TE 1 5
M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1
Höchste Eisenbahn
Von Thiemo Heeg
ls sei der Ärger mit den inter-
A nationalen Lieferketten für
die Wirtschaft nicht groß
genug, kommen jetzt noch hausge-
machte Nachschubschwierigkeiten in
Europa und vor allem in Deutschland
hinzu. Der Güterverkehr auf der
Schiene stockt in diesen Tagen des
Öfteren – so heftig, dass Bahnbetrei-
ber von einer regelrechten Katastro-
phe sprechen. Viele Transporte fallen
aus, Züge aus Belgien oder den Nie-
derlanden müssen vor der Grenze hal-
ten, weil Infrastrukturstörungen eine
Weiterfahrt nach Deutschland nicht
gestatten. Das kann vorkommen. Aber
offenbar handelt es sich hier um ein
strukturelles Problem. Eine über Jahr-
zehnte vernachlässigte Infrastruktur,
Hunderte von Baustellen zur gleichen
Zeit, dazu akute Anlagenstörungen
und ein schlechtes Verkehrsmanage-
ment – diese Melange ist Gift für das
Ziel, mehr Güter von der Straße auf
die Schiene zu lenken. Wie soll man
Kunden überzeugen, vom Lkw zum
Zug zu wechseln, wenn die Perfor-
mance der Schiene so mies ist, fragt
sich mancher Bahnbetreiber. Höchste
Eisenbahn für den neuen Verkehrsmi-
nister, darauf eine Antwort zu geben.
schwenk. Mit Energie aus Kohle las-
sen sich in Asien mehr Stimmen fan-
gen als mit vorausschauender Klima-
politik.
Zwar beten alle in Asiens Führungs-
etagen das Mantra von Sonnenstrom,
Windenergie und Wasserstoff
herunter, schon um sich Anerkennung
und Fördermittel des Westens zu
sichern. Die sauberen Energien wer-
den ausgebaut. Ersetzen aber werden
sie Kohle auf Jahrzehnte nicht. Glei-
ches gilt für die Atomenergie. Neue
Meiler, in Deutschland gebannt, könn-
ten einen Engpass möglicherweise
lösen. Ihre Sicherheitsrisiken im
Betrieb unter unverlässlichen Regie-
rungen und die ungelöste Entsorgung
sprechen gegen sie.
Asiens Entscheider beten
gerne das Mantra von
Sonne und Wind, hängen
aber weiter an der Kohle.
Hoffnung machen einzig die nack-
ten Zahlen: Die amerikanische Regie-
rung schätzt, dass der Preis einer
Megawattstunde Strom aus Kohle
2025 mehr als 90 Dollar kosten werde,
während der für Wind bei 63 Dollar
und aus Sonnenkraft bei 48 Dollar lie-
gen werde. Kohle kann sehr teuer wer-
den, wenn die Logistik klemmt oder
Minen – ironischerweise im Stark-
regen des Klimawandels – volllaufen:
Im vergangenen Sommer kostete die
Tonne mit 269 Dollar mehr denn je.
Dennoch ist der Preis der Kohlever-
stromung immer noch nicht hoch
genug, um kurzfristig denkende Politi-
ker umzustimmen. Die Klimakonfe-
renz COP26 in Glasgow hat den gro-
ßen Durchbruch nicht gebracht. Die
neue, grün geprägte Regierung in Ber-
lin will nun die Ökologie auch in der
Außenwirtschaftspolitik stärken. Es
wird sich zeigen, ob Freihandelsver-
träge mit Nachhaltigkeitszwängen für
Asiaten akzeptabel sind, wenn Peking
drohende Lücken immer gerne füllt.
Da der Grenzgewinn weiterer
Ersatzinvestitionen für Kohle in den
Industriestaaten aber abnimmt, blei-
ben auf Dauer nur Druck, Transfer-
zahlungen und Technologietransfer,
um Schwellenländern beim Kurs-
schwenk zu helfen. Dort wird man
Forderungen als Neokolonialismus
geißeln, hier über höhere Steuerlas-
ten meckern. Doch lässt sich das Erd-
klima nicht allein im Westen retten.
Liegen die warnenden Wissenschaft-
ler beim Klimawandel so richtig wie
bei Corona, sollte die Politik besser
auf sie hören. Denn auch das Klima
kennt keine Grenzen.
SE I TE 1 6 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
Kita ist für alle da
Bildungsfernere
Familien haben es
besonders schwer,
einen Kitaplatz
zu bekommen.
Wie kann man
das ändern?
Von Henning Hermes,
Philipp Lergetporer,
Frauke Peter,
Simon Wiederhold
D
er Weg in die Schildkrötengrup-
pe ist weit. Nur etwa 31 Prozent
aller Kinder unter drei Jahren
haben bundesweit einen Kita-
platz, obwohl sich 44 Prozent der Eltern
einen Platz wünschen. Insbesondere Kin-
der aus bildungsferneren Familien sind in
den Kitas stark unterrepräsentiert. Aus
Sicht der Chancengerechtigkeit ist das ein
großes Problem. Denn zahlreiche Studien
zeigen, dass Kinder aus benachteiligten
Verhältnissen besonders stark vom Kitabe-
such profitieren können. Dennoch erhalten
sie viel seltener einen der begehrten Kita-
plätze – beispielsweise beträgt der Unter-
schied im Kitabesuch zwischen Kindern
von Eltern mit und ohne Abitur etwa 14
Prozentpunkte. Zwar ist auch der Wunsch
nach Kitaplätzen in bildungsferneren Fa-
milien tendenziell geringer, doch das er-
klärt die Unterschiede bei der Platzinan-
spruchnahme kaum.
Eine mögliche Ursache für die geringe-
re Inanspruchnahme von Kinderbetreu-
ung in bildungsferneren Familien ist die
Art, wie Kitaplätze in Deutschland ver-
geben werden. Plätze sind knapp, und
Aufnahmeentscheidungen werden meist
nicht zentral, sondern von den einzelnen
Kitas getroffen. Nach Informationen zu
den Aufnahmekriterien suchen Eltern
allerdings häufig vergeblich. Auch der Be-
werbungsprozess an sich ist kein Kinder-
spiel: Es müssen Formulare ausgefüllt
und Abgabetermine im Blick behalten
werden. Eltern, denen die schwierige Si-
tuation auf dem deutschen Kitamarkt
bewusst ist, bewerben sich häufig bei
mehreren Kitas und manchmal sogar
schon während der Schwangerschaft. An-
gesichts der hohen Komplexität des Be-
werbungsverfahrens sind bildungsfernere
Eltern möglicherweise im Nachteil, wenn
nämlich gerade ihnen das nötige Know-
how fehlt, um im Kitabewerbungsprozess
erfolgreich zu sein.
Es spricht also vieles dafür, dass eine
Unterstützung der Familien im Bewer-
bungsprozess die soziale Ungleichheit im
Kitabesuch verringern könnte. Wir kön-
nen nun erstmals einen empirischen Beleg
für diese Vermutung liefern. Dazu haben
wir in den Jahren 2018/2019 eine groß an-
gelegte Feldstudie mit mehr als 600 Fami-
lien mit Kindern im Alter von 0-1 Jahren
in Rheinland-Pfalz durchgeführt. Ein zu-
fällig ausgewählter Teil der Familien (die
„Treatment-Gruppe“) bekam ein kurzes
und leicht verständliches Informations-
video zu den Themen Kinderbetreuung
und Kitaplatzbewerbung zu sehen. Außer-
dem konnten die Familien in der Treat-
ment-Gruppe Unterstützung durch ge-
schulte Hilfskräfte in Anspruch nehmen,
Kein Blindflug am Arbeitsmarkt
Bekommen Ökonomen genug zeitnahe Daten? Eine Replik. Von Bernd Fitzenberger, Jens Stegmaier, Ulrich Walwei
In dem Gastbeitrag „Bessere Daten – bes-
sere Politik“ kritisieren Rüdiger Bach-
mann, Andreas Peichl und Regina Riphahn
in der F.A.Z. vom 6. August das Fehlen von
zeitnahen Daten in Deutschland, auf deren
Basis die Politik in Krisenzeiten – aktuell in
der Corona-Krise – zielgenau und schnell
reagieren kann. Deutschland stehe hin-
sichtlich der Datenverfügbarkeit im inter-
nationalen Vergleich nicht gut da. Der
Artikel weist zu Recht auf zahlreiche Defi-
zite hin, und es werden mehrere sehr dis-
kussionswürdige Vorschläge gemacht.
Zunächst monieren die Autoren jedoch
eine fehlende Verknüpfung von hochfre-
quenten Unternehmensdaten mit den
Beschäftigten- und Betriebsdaten der Bun-
desagentur für Arbeit (BA). Daneben wird
das Fehlen einer thematisch breiten, hoch-
frequenten Personenbefragung bemängelt,
die zudem mit den Daten der BA verknüpft
werden sollte. Dabei wird allerdings über-
sehen, dass das Institut für Arbeitsmarkt-
und Berufsforschung (IAB) durch zusätzli-
che Befragungen, die mit Daten der BA
verknüpft werden können, zeitnahe
Arbeitsmarktdaten für Politikberatung und
Forschung bereitgestellt hat. Das IAB hat
schnell nach dem Ausbruch der Pandemie
2020 hochfrequente Befragungen von Per-
sonen und Betrieben gestartet.
Neben diesen neuen Befragungen hat
das IAB in vielen schon laufenden Erhe-
bungen, darunter dem IAB-Betriebspanel
und der IAB-Stellenerhebung, Fragen zur
DER VOLKSWIRT
die bei der Suche nach Kitas, Formularen
und Fristen halfen – das dauerte im Schnitt
gerade mal 90 Minuten pro Familie. Der
andere zufällig ausgewählte Teil der Fami-
lien (die „Kontrollgruppe“) erhielt weder
Informationen noch ein Unterstützungs-
angebot. Durch die zufällige Einteilung
der Familien in Treatment- und Kontroll-
gruppe lassen sich etwaige Unterschiede
im Kitabewerbungsverhalten und im Kita-
besuch ursächlich auf unsere Maßnahmen
zurückführen.
Um zu untersuchen, wie die Ungleich-
heit zwischen bildungsnäheren und -fer-
neren Familien von unserem Informa-
tions- und Unterstützungsangebot beein-
flusst wurde, haben wir die Eltern neun
Monate nach Ende der Maßnahmen aber-
mals befragt. Die Ergebnisse sind bemer-
kenswert. So war die Wahrscheinlichkeit,
dass sich bildungsfernere Familien in der
Treatment-Gruppe um einen Kitaplatz
bewerben, um 21 Prozentpunkte höher als
für vergleichbare Familien in der Kon-
trollgruppe. Bei bildungsnäheren Fami-
lien war hingegen kein Effekt der Maß-
nahmen erkennbar. Daher konnte der Un-
terschied in der Bewerbungswahrschein-
lichkeit zwischen bildungsnäheren und
-ferneren Familien praktisch vollständig
geschlossen werden.
Die Maßnahmen erhöhten auch die Er-
folgsaussichten bildungsfernerer Familien:
Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Fami-
lien tatsächlich einen Kitaplatz bekamen,
Corona-Krise eingefügt. Teilweise wurden
auch Sonderbefragungen durchgeführt
oder gemeinsam mit anderen auf den Weg
gebracht – beispielsweise zu Fragen der
Migrationsforschung im Rahmen von Teil-
erhebungen des Sozio-oekonomischen
Panels (SOEP) am DIW Berlin.
Mit diesen Erhebungen untersucht das
IAB die Folgen der Pandemie sehr engma-
schig. So zeigen etwa Analysen des Ausbil-
dungsmarktes, dass die betriebliche Ausbil-
dung und damit der Berufseinstieg vieler
junger Menschen von der Pandemie stark
negativ betroffen war (und noch immer
ist). Die Nutzung des Förderprogramms
„Ausbildungsplätze sichern“ der Bundesre-
gierung konnte dabei fast in Echtzeit beob-
achtet werden. Die Ergebnisse machten
deutlich, dass die Bekanntheit des Pro-
grammes noch verbessert werden sollte.
Die Frage, ob Beschäftigte auch im
Homeoffice arbeiten können, wurde in
der Pandemie schlagartig hochrelevant.
Mit den Betriebs- und Personendaten des
IAB konnte sehr schnell der vermehrte
Einsatz von Homeoffice, aber zugleich
auch das ungenutzte Homeoffice-Potenti-
al dokumentiert werden. Dieses unge-
nutzte Potential wurde während der zwei-
ten Welle der Pandemie dann zunehmend
gehoben, wenn auch nicht vollständig.
Auf Basis der jüngsten Daten ist davon
auszugehen, dass ein substanzieller Teil
der Betriebe auch nach der Pandemie ver-
mehrt auf Homeoffice setzt.
Wirtschaft
stieg um 16 Prozentpunkte. Die Erfolgsrate
bildungsnäherer Familien blieb durch die
Maßnahmen wiederum unverändert. So
konnte die Diskrepanz zwischen bildungs-
näheren und -ferneren Familien beim Kita-
besuch mehr als halbiert werden. Festzu-
halten bleibt also, dass die bloße Bereitstel-
lung von Informationen und eines knapp
bemessenen Unterstützungsangebots die
Ungleichheit in der Kitateilhabe erheblich
reduzieren konnte.
Was bedeuten diese Ergebnisse für die
Familienpolitik und die Förderung früh-
kindlicher Bildungsbeteiligung? Die
Ungleichheit in der Inanspruchnahme ei-
nes Kitaplatzes ließe sich stark reduzie-
ren, wenn Informationsdefizite und infor-
melle Hindernisse im Bewerbungsprozess
abgebaut würden. Aus diesem Befund
folgt allerdings nicht, dass unsere Infor-
mations- und Unterstützungsmaßnahmen
nun einfach großflächig umgesetzt wer-
den sollten. Es bedarf vielmehr struktu-
reller Maßnahmen, um die Kitaplatzver-
gabe zu vereinfachen. Hierzu zählen etwa
zentrale Vergabesysteme zur Beseitigung
von Ineffizienzen (wenn Eltern beispiels-
weise auf mehr als 30 Wartelisten gleich-
zeitig stehen und somit Plätze für andere
blockieren), niedrigschwellig zugängliche
und mehrsprachige Informationen (etwa
bei Kinderärzten oder in Stadtteilzen-
tren), vorausgefüllte Formulare und indi-
viduelle Hilfe für besonders benachteilig-
te Familien. Gleichzeitig sollte großflä-
Sehr schnell nach Beginn der Pande-
mie stellte sich die Frage, ob das Home-
schooling und andere Betreuungsaufga-
ben zu einer Retraditionalisierung der
Geschlechterverhältnisse führen. Hier
konnte mit den IAB-Daten gezeigt wer-
den, dass zwar Frauen noch immer zu
einem größeren Teil Aufgaben der Kin-
derbetreuung übernahmen, aber sich
auch Männer stärker als vor der Krise an
diesen Aufgaben beteiligt haben. Beson-
ders interessant ist dabei das Ergebnis,
dass die Erholung bei der Arbeitszeit
nach der oft erzwungenen Reduktion
durch den ersten Lockdown unter
erwerbstätigen Müttern stärker ausfiel
als unter erwerbstätigen Vätern.
Bei all den genannten Beispielen aus
IAB-Datenerhebungen wird eine Verknüp-
fung mit den Daten der BA vorgenommen,
soweit die Befragten zustimmen. Im Rah-
men der Möglichkeiten, die der Daten-
schutz in Deutschland zulässt, hat das IAB
somit Verknüpfungsmöglichkeiten herge-
stellt. Die Verknüpfung zwischen Befra-
gungsdaten und den Daten der BA ist für
die Forschung und die Politikberatung ex-
trem nützlich. Verzerrungen in Befragun-
gen können so identifiziert und korrigiert
werden. Zudem können so auch die länger-
fristigen Wirkungen weiterverfolgt wer-
den. Aufgrund der bestehenden Daten-
schutzbestimmungen ist bislang eine Ver-
knüpfung zwischen Individualdaten aus
unterschiedlichen rechtlichen Sphären
Illustration Peter von Tresckow
chig in den Ausbau der Kitakapazitäten
investiert werden, denn nach wie vor fin-
den viele Familien trotz Rechtsanspruch
keinen passenden Kitaplatz.
Solange nicht genügend Kitaplätze zur
Verfügung stehen und die Bewerbungs-
prozesse komplex und undurchsichtig
bleiben, kann die Politik selbst mit begrü-
ßenswerten Schritten wie dem Starke-Fa-
milien-Gesetz und dem Gute-Kita-Gesetz
kaum eine Trendwende hin zu mehr Ge-
rechtigkeit in der frühkindlichen Bildung
schaffen. Gleichzeitig gilt aber auch: Ge-
lingt es der Politik, endlich allen interes-
sierten Familien auch einen Kitaplatz zur
Verfügung zu stellen, liegt darin ein wich-
tiger Schlüssel zur Bekämpfung der Bil-
dungsungleichheit in Deutschland.
Henning Hermes ist Postdoc am Düsseldorf
Institute for Competition Economics (DICE) der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Philipp Lergetporer ist Professor für Econo-
mics an der Technischen Universität München.
Frauke Peter ist stellvertretende Leiterin der
Abteilung Bildungsverläufe und Beschäftigung
am Deutschen Zentrum für Hochschul- und
Wissenschaftsforschung (DZHW).
Simon Wiederhold ist Professor für Volkswirt-
schaftslehre, insbesondere Makroökonomik, an
der Katholischen Universität Eichstätt-Ingol-
stadt.
nicht möglich, beispielsweise eine Ver-
knüpfung von Arbeitsmarktdaten der BA
und von Personendaten des Statistischen
Bundesamtes. Dies ist ein großes Hinder-
nis für die Forschung und die Politikbera-
tung. Der Mikrozensus oder die Verdienst-
strukturerhebung des Statistischen Bun-
desamtes umfassen Daten zur geleisteten
Arbeitszeit, die Beschäftigtenstatistik der
BA liefert verlässliche Verdienst- und
Erwerbsinformationen im Lebensverlauf –
eine Verknüpfung hätte enorme Potentiale.
Gleiches gilt für die Verknüpfung von Bil-
dungs- und Arbeitsmarktdaten, die unser
Verständnis der langfristigen Wirkungen
von Bildung auf den Arbeitsmarkt, die Klä-
rung von Ursachen für soziale Ungleichheit
und vieles andere stark verbessern dürfte.
Für solche sinnvollen und in anderen
Ländern möglichen Verknüpfungen sind in
Deutschland Rechtsänderungen erforder-
lich. Eine Nutzung solcher Daten kann in
einem geschützten Rahmen wie den For-
schungsdatenzentren erfolgen, die den
Datenschutz sicher gewährleisten.
Bernd Fitzenberger ist Direktor des Instituts für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und
Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg.
Ulrich Walwei ist Vizedirektor des IAB
und Professor an der Universität Regensburg.
Jens Stegmaier ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter des IAB.
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
EUROPLATZ FRANKFURT
Die neue Rolle der Bundesbank
Von Holger Schmieding
aum einer Institution vertrau-
K en die Deutschen mehr als
ihrer Bundesbank. Sie tun dies
zu Recht. Der bevorstehende Wechsel
an der Spitze der Bank bietet einen
Anlass, über ihre Rolle nachzudenken.
Gerade da die Bundesbank sich über
Jahrzehnte so viel Vertrauen erarbeitet
hat, konnte sie es sich leisten, bei
Bedarf weit pragmatischer zu
handeln, als es einer reinen
Lehre entsprochen hätte.
Auch sie hat während ihrer
Regentschaft mal Anleihen
gekauft, den französischen
Franc gestützt und Italien aus
der Patsche geholfen.
Zu ihren größten Ver-
diensten gehört der rei-
bungslose Übergang zum
Euro. So hat beispielsweise
der Wechsel ihres damaligen
Chefvolkswirtes Otmar Issing auf den
entsprechenden Posten bei der neuen
Europäischen Zentralbank Bürgern
und Märkten Kontinuität signalisiert.
Seit der Eurokrise ist die Bundes-
bank jedoch manchmal einer Versu-
chung erlegen: Wer nicht die letzte Ver-
antwortung für Entscheidungen trägt,
neigt zur Kritik. Aus der Politik ist dies
wohlbekannt. Der Opposition fällt es
leicht, klare Kante zu zeigen. Regieren
ist dagegen die Kunst des diplomati-
schen Kompromisses und der pragma-
tischen Antwort auf Fragen des Tages.
In der überzogenen deutschen
Debatte über angebliche Gefahren der
„Target-Salden“ im Zahlungssystem
des Euroraumes hat die Bundesbank
konsequent und mit überzeugenden
Fakten für die EZB Stellung bezogen.
Mit ihrer Kritik an der unkonventionel-
len Geldpolitik der EZB ist sie jedoch
mehrfach über das Ziel hinausgeschos-
sen. Dass ungewöhnliche Zeiten den
WIRTSCHAFTSBÜCHER
Auf der Spur der Gier
Ein Journalist durchleuchtet die Cum-ex-Geschäfte
Im Grunde geht es in dieser großen,
noch nicht vollends aufgearbeiteten
Geschichte um die Gier des Menschen.
Also das ungezügelte und rücksichtslo-
se Streben nach Besitz, aber zugleich
ein Gefühl der intellektuellen Überle-
genheit. Das sind jedenfalls Motive,
wie man sie von Protagonisten der
„Cum-ex“-Industrie immer wieder
hört. „Wir sind die Schlausten. Wir sind
die Genies. Und ihr seid alle doof“,
beschreibt etwa Benjamin Frey, ein
Wirtschaftsanwalt, das Gefühl. Rund
50 Millionen Euro hat er an den
Aktiengeschäften verdient, bei denen
der Staat eine nur einmal angefallene
Kapitalertragsteuer gleich mehrfach
erstattete. Frey ist längst aus der „Cum-
ex“-Maschine ausgestiegen, ist Kron-
zeuge der Anklage im größten Steuer-
skandal, den es jemals in Deutschland
gegeben hat. Seine Geschichte hat er
einem Millionenpublikum im Fernse-
hen erzählt, die Bühne dafür gab ihm
Oliver Schröm.
Mit seinem Buch „Die Cum-ex-files“
will Schröm, der seit mehr als zwei
Jahrzehnten für den „Stern“, das ARD-
Magazin „Panorama“ oder die Recher-
che-Plattform „Correctiv“ einer der
profiliertesten Investigativjournalisten
der Republik ist, den großen Bogen
zwischen den Anfängen der Aktien-
kreisgeschäfte bis hin zur Gegenwart
spannen. Das rund 350 Seiten lange
Buch endet knapp zwei Wochen vor der
Bundestagswahl im September 2021
mit Gedanken, wie künftig ein ver-
gleichbares Kollektivversagen von
Politik, Aufsicht und Steuerbehörden
verhindern werden könnte. Fast acht
Jahre hat sich Schröm in die Strukturen
der dubiosen Aktiengeschäfte einge-
graben. Eine „rattenhafte Verbissen-
heit“ konstatierten ihm Gegner wie die
Anwälte der im Cum-ex-Skandal tief
verstrickten Hamburger Privatbank
M.M. Warburg.
Für Schröm beginnt die Geschichte
mit dem Anruf eines Informanten im
September 2013. Der Vollblutjournalist
ist im Jagdfieber, nach dem Treffen mit
dem Whistleblower einer Schweizer
Bank erfährt er, dass schwerreiche
Investoren wie Carsten Maschmeyer
oder Drogeriekönig Erwin Müller über
Luxemburger Fonds binnen weniger
Monate hohe Millionengewinne einfah-
ren. Ohne Risiken sind die Investments,
denn der deutsche Steuerzahler sichert
die Gewinne. Doch das erfährt der
Leser erst später. Schröm baut für ihn,
raffiniert durch mehrere Zeit- und
Erzählebenen gestreckt, Stück für Stück
ein Puzzle über den groß angelegten
Betrug am Fiskus zusammen, in dem
Londoner Investmentbanker wie Paul
Mora und der Frankfurter Steueranwalt
und Machtmensch Hanno Berger tra-
gende Rollen spielen. Dabei wird schon
nach wenigen Seiten Lektüre klar, dass
der Autor keine trockene, nachrichtli-
che Chronistenpflicht erfüllen will.
Sein Buch kommt als gut verdauli-
cher Wirtschaftskrimi daher, Protago-
Einsatz ungewöhnlicher Mittel erfor-
dern, hat sie nur zögerlich anerkannt.
Auch wenn es nachvollziehbare Ein-
wände gegen einzelne Aspekte gibt,
entsprechen Anleihekäufe in Krisen-
zeiten doch einem verbreiteten Kon-
sens der internationalen Wissenschaft
und der Praxis fast aller anderen gro-
ßen Zentralbanken. Nicht nur an den
Finanzmärkten wurde die
Bundesbank daher – trotz
ihrer eigenen pragmatischen
Geschichte – manchmal
mehr als Opposition zur EZB
denn als vielleicht wichtigs-
ter Bestandteil des Eurosys-
tems gesehen. Damit hat sie
ihren Einfluss auf Entschei-
dungen der EZB vermutlich
eher geschmälert.
In der geldpolitischen
Debatte kommen der Bun-
desbank zwei große Rollen zu. Zum
einen sollte sie die deutsche Stabilitäts-
kultur in der EZB möglichst effektiv
vertreten. Wie in anderen Bereichen
der Politik gehört dazu ein Ausgleich
der Interessen, der es anderen im
Gegenzug erleichtern kann, auch die
Sichtweise der Bundesbank stärker zu
berücksichtigen. Zum anderen sollte
sie sich mehr als bisher als Brücke zwi-
schen EZB und deutscher Öffentlich-
keit verstehen. Mit einer durchschnitt-
lichen deutschen Jahresinflation von
nur 1,5 Prozent seit dem Beginn des
Euros hat die EZB alles in allem die
Geldwertstabilität bestens gewährleis-
tet. Sollte die neue Spitze der Bundes-
bank diese Vermittlerrolle künftig
noch besser ausfüllen als bisher, könnte
dies auf Dauer sowohl der Geldpolitik
als auch der deutschen Diskussion über
diese Politik zugutekommen.
Der Autor ist Chefvolkswirt bei Berenberg.
nisten wie Steueranwalt Hanno Berger,
dessen ehemalige rechte Hand Benja-
min Frey oder Manager der Schweizer
Privatbank Sarasin werden seitenlang
reich an Attributen und Anekdoten
umschrieben. Damit bekommen die
Figuren einerseits lesenswerte Kontu-
ren, aber die „Cum-ex-files“ lesen sich
dann wie das Drehbuch eines Thrillers,
nicht wie ein Sachbuch.
Deutlich wird das vor allem, wenn
der Investigativjournalist sich und sei-
ne Arbeit selbst zum Gegenstand sei-
nes Buchs macht. Wer sich als Leser
darauf einlässt, für den sind diese sehr
subjektiven Passagen des Buchs
gewinnbringend. Andere wiederum
werden sich mit den selbstreferenziel-
len Bezügen anfreunden müssen.
Seine klaren Stärken spielt das Buch
vor allem durch die Tiefe der Recher-
che und den scheinbar unversiegbaren
Strom an Quellen aus, zu denen
Schröm wie kaum ein anderer Zugang
findet. Ein Beispiel: Als der Autor von
einem durch Staatsanwälte beschlag-
nahmten Tagebuch von Christian Olea-
rius, Chef der Hamburger Privatbank
M.M. Warburg, erfährt, in dem sich
belastendes Material gegen ranghohe
SPD-Politiker finden soll, lässt er nicht
locker. Die brisanten Seiten landen aus
der Asservatenkammer des Landeskri-
minalamts Düsseldorf bei Schröm und
anderen Journalisten – wie jedoch, das
behält der Autor für sich.
Im Fokus steht damit die Frage,
warum Finanzbehörden im Herbst 2016
Steuerrückforderungen über 47 Millio-
nen Euro gegen M.M. Warburg verjähren
ließen. Gab es eine politische Einfluss-
nahme durch Finanzsenator Peter
Tschentscher – oder den damaligen Ers-
ten Bürgermeister der Hansestadt, Olaf
Scholz? Damit nehmen die „Cum-ex-
files“ im letzten Drittel des Buchs noch-
mals an Fahrt auf. Der Leser wird mit in
den Sog des Wahlkampfs in Hamburg im
Frühjahr 2020 genommen, den Vorwür-
fen der Opposition wegen der Steuerge-
schenke an die Warburg-Bank: Der Wirt-
schaftskrimi wandelt sich zunehmend in
ein Politdrama. An dieser Stelle sind die
„Cum-ex-files“ mehr denn je Spiegel der
Arbeit Schröms, dessen Recherchen sich
zuletzt auf den parlamentarischen
Untersuchungsausschuss der Hamburger
Bürgerschaft und die Rollen von Olaf
Scholz, des früheren Vertrauten Johan-
nes Kahrs sowie der Warburg-Banker
konzentrierten. Das Fazit des Autors:
Eine neue Bundesregierung unter dem
Bundeskanzler Scholz muss entschieden
gegen Cum-ex-ähnliche Deals vorgehen.
Dass sich Gier und Machthunger künftig
durch Strafurteile und hohe Bußgelder
eindämmen lassen werden, daran zwei-
felt Schröm letztlich dann doch auch
selbst. MARCUS JUNG
Oliver Schröm: Die Cum-ex-files: Der
Raubzug der Banker, Anwälte und Super-
reichen – und wie ich ihnen auf die Spur
kam, Ch. Links Verlag, Berlin 2021, 363 Seiten,
18 Euro.
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG Wirtschaft M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 1 7

Bevölkerung schrumpft vielerorts

Studie spricht von „bisher ungekannter Realität“
marf. FRANKFURT. Noch wächst die
Weltbevölkerung. Je nach Szenario
könnten es 11 Milliarden Menschen am
Ende des Jahrhunderts sein, mögli-
cherweise aber auch weniger. Wahr-
scheinlich ist, dass im Jahr 2023 die
Marke von 8 Milliarden überschritten
wird. Dabei gibt es große Unterschiede:
Vor allem in Entwicklungsländern in
Afrika und Asien wachsen die Bevölke-
rungen, in anderen Regionen schrump-
fen sie schon jetzt. Laut einer neuen
Studie des Bundesinstituts für Bevölke-
rungsforschung (BiB), die der F.A.Z.
vorliegt, sind von dem Bevölkerungs-
rückgang 18 Länder betroffen. Sechs
weitere, darunter Deutschland,
schrumpfen nur deshalb nicht, weil der
negative Bevölkerungssaldo durch Ein-
wanderung aufgefangen wird.
Die Ampelkoalition hat in ihrem
knapp 180 Seiten langen Koalitions-
vertrag die demographischen Aspekte
der Politik und Wirtschaft kaum ange-
sprochen. Gerade einmal an vier Stel-
len wird dieses Zukunftsthema
erwähnt. Dabei ist es auch für Deutsch-
land hoch relevant. Ein negativer
Bevölkerungssaldo kommt dann
zustande, wenn mehr Menschen ster-
Hat mit Blick auf die Steuerregeln eine große Aufgabe vor sich: Der designierte Finanzminister Christian Lindner, hier beim Parteitag der FDP (links hinten) Foto Jens Gyarmaty ben, als geboren werden. Demogra-
phen sprechen auch von Sterbeüber-
schuss. „Der Sterbeüberschuss, der zu
Bevölkerungsrückgang führt, ist als
Litauen und Bulgarien ist dieser Trend
schon seit Jahren sichtbar.
Die BiB-Studie untersucht, wie lange
es dauert, bis auf den Rückgang der Fer-
tilität ein Sterbeüberschuss folgt. Das
Neue an der Studie ist weniger der Trend
als die Geschwindigkeit, mit der sich
Rückgänge bemerkbar machen werden.
Demnach bedeutete das Schrumpfen
„für viele Länder in den nächsten Jahr-
zehnten eine bisher ungekannte Reali-
tät“. Swiaczny sagt: „Auf einen schnellen
Rückgang der Fertilität auf ein niedriges
Niveau, wie es nach 1990 in Osteuropa
beobachtet werden konnte, folgt mit
einem geringen zeitlichen Abstand ein
Sterbeüberschuss.“ Heißt: Erst bekom-
men die Frauen weniger Kinder, dann
überwiegt die Zahl der Toten die der
Geburten. In Europa hat diese Entwick-
lung nur 17 Jahre gedauert. In China als
dem bevölkerungsreichsten Land der
Welt wird das „natürliche Wachstum“ in
etwa zehn Jahren enden und „ein lang-
fristiger Bevölkerungsrückgang einset-
zen“, schätzen die Autoren. Auch Indien
und die USA werden in der zweiten Hälf-
te des Jahrhunderts zu schrumpfen
beginnen. Der Rückgang der Bevölke-
rung mache sich häufig zuerst in struk-
turschwachen Regionen bemerkbar.
Helfen könnten laut Swiaczny lebens-
langes Lernen und Investitionen in die
Gesundheit, ebenso wie Anpassungen in

Ran an die Superabschreibung Problem bisher weniger beachtet wor-

Die Unternehmen eigentlich auf unterschiedliche Ansatz-
punkte deutet. Zugleich haben sie offen-
sollen schnell viel in gelassen, wie hoch die Unterstützung
ausfallen soll. Mit diesen Aussagen wird
Digitalisierung und kein Unternehmer scharf kalkulieren
können, wie sich eine Investition rechnet.
Klimaschutz investieren. In den Verhandlungen gab es durchaus
Aber welche konkrete Überlegungen, zumindest in der
entsprechenden Arbeitsgruppe. Danach
Steuerregeln gelten? soll es im ersten Jahr der Anschaffung
eine Prämie von 25 Prozent geben – aber
Von Manfred Schäfers, als Abschreibung. Dass in der Runde der
Spitzenvertreter von SPD, Grünen und
Berlin FDP über solche finanztechnischen
Details vertieft beraten wurde, ist
unwahrscheinlich, sodass die Vorlage aus
dem Bundesfinanzministerium für die
das wären demnach 93 750 Euro. Konkret
heißt das: Im ersten Jahr würden einmalig
343 750 Euro berücksichtigt, in den fol-
genden sieben Jahren jeweils 93 750 Euro.
In der Summe ist auch das 1 Million Euro,
aber im ersten Jahr wäre der Gewinn und
damit die Steuerlast geringer als nach dem
geltenden Recht. In den folgenden Jahren
dreht sich das, am Ende verzichtet der
Staat nicht auf Geld, aber das Unterneh-
men hat einen Liquiditätsvorteil.
Buchungstechnisch könnte die Sonderab-
schreibung außerbilanziell ablaufen (um
nicht alle Programme neu schreiben zu
müssen), ohne dass dies den steuerlichen
Effekt ändert.
Von einer Deckelung der Superab-
sive Abschreibung ausnahmsweise zuge-
lassen. Das Bundeswirtschaftsministe-
rium soll einmal durchgerechnet haben,
was eine generelle Zulassung der degres-
siven Abschreibung von 33 Prozent den
Fiskus kosten würde. Das Ergebnis: gut 7
Milliarden Euro – allerdings nur zu
Beginn, da früher oder später jede Inves-
tition abgeschrieben wird. Was im ersten
Jahr angesetzt wird, fällt später weg. Was
am Anfang fehlt, kommt später umso
mehr herein.
Ohne Schuldenbremse wäre die
beschleunigte Abschreibung kein großes
Problem für den Bund und die Länder. Da
vom Jahr 2023 an die Kreditobergrenze
wieder greifen soll, muss verschärft
den“, sagt Frank Swiaczny, einer der
Studienautoren. Zuwanderung habe
das Schrumpfen der deutschen Bevöl-
kerung seit 1972 aufgefangen – das
könne sich in Zukunft jedoch ändern.
In einigen Ländern wie Lettland,
Verlängerung für Corona-Hilfsfonds
dpa. BERLIN. Angesichts der vierten
Pandemiewelle stehen die Ampel-
Fraktionen kurz vor der Verlängerung
des Corona-Hilfsfonds für größere
Unternehmen. SPD, Grüne und FDP
im Bundestag planen, den Wirtschafts-
stabilisierungsfonds (WSF) um ein hal-
bes Jahr bis Ende Juni 2022 auszudeh-
nen, wie aus einem Gesetzentwurf her-
vorgeht, aus dem die Nachrichtenagen-
der Arbeitswelt. Außer dem Bevölke-
rungsrückgang dürfte die Vergreisung
die Rentensysteme belasten und sich auf
die Produktivität einer Gesellschaft aus-
wirken. Es ergäben sich jedoch auch
Chancen: weniger Ressourcenverbrauch
und geringere CO2-Emissionen.
schöpft worden ist – kleiner werden.
Der Fonds ist ein wichtiges Instrument
der Bundesregierung, um großen
Unternehmen direkt zu helfen, die
wegen der Corona-Krise in Not sind.
„Mit dieser qualifizierten Verlängerung
geben wir Unternehmen und Markt das
klare Signal, dass funktionierende Sta-
bilisierungsmittel verlängert werden
und zugleich an den Bedarf angepasst

D
ie neue Superabschreibung
gehört zu den Dingen, über die
sich Christian Lindner (FDP)
mit als Erstes beugen muss,
sobald er im Finanzministerium gelandet
sein wird. Denn die Unternehmen brau-
chen bald Klarheit, welche Anschaffung
wie stark gefördert wird. Jede Investition
hat ihren Vorlauf, und die Wirtschaft soll
nächstes und übernächstes Jahr Geld in
die Hand nehmen, um Deutschland in
Sachen Klimaschutz und Digitalisierung
besser für die Zukunft aufzustellen.
Der Blick in den Koalitionsvertrag hilft
nur bedingt weiter, was dort steht, dürfte
für Verwirrung sorgen. So heißt es: „Wir
wollen eine Investitionsprämie für Kli-
maschutz und digitale Wirtschaftsgüter
schaffen, die den Steuerpflichtigen in den
Jahren 2022 und 2023 ermöglicht, einen
Anteil der Anschaffungs- und Herstel-
lungskosten der im jeweiligen Jahr ange-
schafften oder hergestellten Wirtschafts-
güter des Anlagevermögens, die in
besonderer Weise diesen Zwecken die-
nen, vom steuerlichen Gewinn abzuzie-
hen (,Superabschreibung‘).“ So haben es
die Unterhändler geschafft, in einem Satz
sowohl von einer Prämie als auch von
einer Abschreibung zu schreiben – was
Arbeitsgruppe den letzten Stand der
Überlegungen abbilden dürfte. Nicht aus-
zuschließen ist natürlich, dass die neue
Leitung unter Lindner einen anderen
Schwerpunkt setzen wird.
Was ist der letzte Stand der Überlegun-
gen? Die Fachpolitiker haben nicht an
eine Prämie gedacht, wie man sie etwa
zur Forschungsförderung kennt, sondern
eben an eine Sonderabschreibung. Mit-
hilfe eines Beispiels lässt sich beschrei-
ben, in welche Richtungen die Überle-
gungen gingen: Ein Unternehmen inves-
tiert in Netzwerksysteme, das kostet 1
Million Euro. Die Finanzverwaltung geht
davon aus, dass diese acht Jahre genutzt
werden können. Deswegen werden die
Kosten über diese Zeitspanne verteilt,
jedes Jahr mindern sie den Gewinn um
ein Achtel oder 12,5 Prozent, das wären
in dem Fall 125 000 Euro je Jahr.
Wenn es so käme, wie es in den Ampel-
Verhandlungen besprochen wurde, wird
nun so gerechnet: Ein Viertel der Kosten
kann im ersten Jahr geltend gemacht wer-
den – neben der üblichen Tranche von
12,5 Prozent. Da in der Summe nicht mehr
als die Anschaffungskosten abgesetzt wer-
den dürfen, werden die üblichen Abschrei-
bungstranchen auf 750 000 Euro begrenzt,
schreibung soll in den Koalitionsver- gerechnet werden, was mit der Superab- tur dpa zitiert. Zugleich soll der werden“, sagte FDP-Haushaltsexperte
handlungen keine Rede gewesen sein. schreibung geht und was nicht. Umfang – der bisher nicht ausge- Otto Fricke.
Weil nur bestimmte Investitionen „son-
derabgeschrieben“ werden sollen, ist
davon auszugehen, dass diese Regelung
als eine Beihilfe gilt, die Brüssel geneh-
migen müsste. Doch das hält man in
Ampel-Kreisen für unproblematisch, da
Digitalisierung und Klimaschutz zu den
Aufgaben gehören, die auch die EU-
Kommission anstrebt. Es bleibt die Frage
nach der Abgrenzung im Einzelfall, also
welche Investition in die Förderkategorie
fällt. Hier wird daran gedacht, auf andere
Vorgaben zurückzugreifen, etwa interna-
tionale Umweltabkommen.
Das FDP-geführte Finanzministerium
ist natürlich nicht daran gebunden, was
die Beamten unter SPD-Leitung aufge-
schrieben haben. Das Ministerium könn-
te stattdessen auf die degressive
Abschreibung zurückgreifen, bei der
jedes Jahr ein bestimmter Prozentsatz
vom Bilanzwert abgezogen wird. Dieses
Vorgehen sorgt zumeist dafür, dass in
den ersten Jahren nach der Investition
höhere Beträge geltend gemacht werden
können. In der Pandemie hat die
schwarz-rote Koalition für Investitionen
in den Jahren 2020 und 2021 die degres-

Corona-Testung ist keine Arbeitszeit

Was Arbeitsrechtler Unternehmen zur 3-G-Regel und einer Impfpflicht raten
mj. FRANKFURT. Knapp zehn Tage
sind die neuen Corona-Regeln in Kraft.
In vielen Unternehmen herrscht Unsi-
cherheit im Umgang mit den Arbeits-
schutzvorschriften. Anwälte, die auf
Arbeitsrecht und Fragen zum Daten-
schutzrecht spezialisiert sind, sind der-
zeit stark gefragt. Denn die Betriebe
müssen wissen, wie die staatlichen 3-G-
Vorgaben für den Zugang zu ihren
Betriebsstätten und deren Kontrolle
möglichst effizient und rechtssicher
umgesetzt werden können.
Von einer „unglaublich großen Zahl“
an Anforderungen spricht Michel Hoff-
mann, Anwalt in der Arbeitsrechtsbou-
tique Küttner, auf einer Veranstaltung
des Bundesverbands mittelständische
Wirtschaft (BVMW) für Unternehmen
aus der Wirtschaftsregion Köln. Nur Mit-
arbeiter, die einen Nachweis über eine
Impfung, eine Genesung oder einen
es dubios, und Unternehmen tragen das
Risiko von Sanktionen.“
Größere Unternehmen haben zwi-
schenzeitlich eigene Testzentren einge-
richtet. In diesen Fällen greift eine wich-
tige Ausnahme der 3-G-Zugangsbe-
schränkung: Mitarbeiter müssen keinen
Testnachweis vorlegen, wenn sie vor
Dienstantritt auf dem Betriebsgelände
einen Test wahrnehmen. Damit ist,
zumindest aus Sicht von Arbeitsrecht-
lern, eine weitere hoch umstrittene Frage
geklärt: In solchen Fällen zählen die Tes-
tung und die mögliche Zeit in der Warte-
schlange nicht zur Arbeitszeit. Es gehe
schließlich um den Nachweis der
„Arbeitsfähigkeit“ des Beschäftigten,
betont Küttner-Anwalt Hoffmann. Ohne
diese könne ein Mitarbeiter seine
Arbeitsleistung nicht anbieten und kei-
nen Lohn fordern.
Auch wenn bisher für die Einordnung
pflicht kommt, müssen nicht geimpfte
Mitarbeiter in den Betrieben mit erhebli-
chen Konsequenzen rechnen.
„Weigern sich Arbeitnehmer, ihren
Impfnachweis vorzulegen oder sich
grundsätzlich impfen zu lassen, kann der
Vorgesetzte mit einer internen Verset-
zung auf eine andere Stelle und die Tätig-
keit aus dem Homeoffice heraus reagie-
ren“, erklärt Sascha Morgenroth, Partner
der Wirtschaftskanzlei Simmons & Sim-
mons. Beide Varianten sollten als milde-
res Mittel vor einer Kündigung erwogen
werden, sagt Morgenroth, insbesondere
wenn ein arbeitsvertraglicher Anspruch
R+V GESUNDHEITSVORSORGE
auf Homeoffice oder eine entsprechende
Betriebsvereinbarung vorliegen.
Eine verhaltensbedingte Kündigung
hält Morgenroth allenfalls als letztes
Du findest, Gesundheit sollte
das Kostbarste im Leben sein,
Mittel für zulässig. „Eine außerordentli-
che Kündigung ohne vorherige Abmah-
nung könnte nur infrage kommen, wenn

nicht das Teuerste?

negativen Corona-Test vorlegen, haben
Zugang zum Arbeitsplatz. Die Testung
darf zum Zeitpunkt des Arbeitsantritts
maximal 24 Stunden zurückliegen, bei
einem PCR-Test erhöht sich der Zeitraum
auf 48 Stunden. Obwohl viele Unterneh-
men ihren Mitarbeitern Schnelltests für
zu Hause zur Verfügung stellen, sollten
diese nicht als Nachweis für den Zugang
akzeptiert werden. Es sei wichtig, dass
diese unter Aufsicht erfolgen, betont
Arbeitsrechtler Hoffmann. Die Kontrolle
sei auch durch eigenes, geschultes Perso-
nal möglich, stelle aber gerade für kleine-
re, mittelständische Betriebe ein zusätzli-
ches Haftungsrisiko dar. Von einer
Lösung, Selbsttests per Videokonferenz
zu überwachen, warnt der Anwalt.
„Soweit das nicht gesetzlich geklärt ist, ist
als Arbeitszeit eine klare gesetzliche
Regelung fehlt, müssen Beschäftigte die-
sen zeitlichen Mehraufwand vermutlich
als Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsver-
trag akzeptieren. Im Interesse des
Betriebsfriedens können Unternehmen
diese Zeiten allerdings auch auf freiwilli-
ger Basis vergüten. Kommt ein Mitarbei-
ter aufgrund der Testungen wiederholt zu
spät zur Arbeit, sollten Vorgesetzte oder
Teamleiter klar darauf hinweisen.
Mittlerweile haben sich weite Teile der
Rechtswissenschaft für die Einführung
einer Corona-Impfpflicht ausgesprochen.
Zu diesem Ergebnis kommt auch ein Gut-
achten der Kanzlei Oppenländer im Auf-
trag der baden-württembergischen Lan-
desregierung, über das die F.A.Z. berich-
tete. Wenn es zu einer allgemeinen Impf-
der Mitarbeiter sich einer Impfung ohne
klar ersichtliche Gründe hartnäckig ver-
weigert und der Arbeitgeber ihn nicht
anderweitig einsetzen kann. Schwieri-
ger wird eine Trennung hingegen, wenn
es nicht um steuerbares Verhalten, son- Du bist nicht allein: Auch wir finden, dass die Gesundheitsvorsorge für Dich da sein sollte –
dern um Tatsachen geht, die nicht im und nicht umgekehrt. Werde Teil einer Gemeinschaft, für die im Wir das Beste für Dich steckt.
Einflussbereich des Arbeitnehmers lie-
gen. Die relevanteste Fallgruppe sind Ganz egal, ob Du gesund werden oder bleiben möchtest.
Erkrankungen und Allergien. Nach Ein-
schätzung von Morgenroth ist dann die
Prognose entscheidend, ob der Arbeit- www.ruv.de
nehmer auf absehbare Zeit wegen einer
allgemeinen Impfpflicht nicht mehr ein-
gesetzt werden kann. „Dann stellen sich
schwierige Fragen, wie lange an einer
Impfpflicht festgehalten wird und wann
möglicherweise eine Herdenimmunität
erreicht ist.“
SE I TE 1 8 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284 Digitec FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG

D
ie Dampfmaschine war
der Motor der industriel-
len Revolution und ver-
änderte Fertigungsabläu-
fe nachhaltig. Dennoch
konnten Wissenschaftler
erst im Zuge der Entwicklung der Gesetze
der Thermodynamik und der Grundsätze
der statistischen Mechanik im Laufe des
darauffolgenden Jahrhunderts auf theore-
tischer Ebene vollständig erklären, warum
und wie sie funktioniert.
Das fehlende theoretische Wissen
hielt die Menschen zwar nicht davon ab,
die Dampfmaschine zu verbessern –
aber erst mit dem Verständnis der Prin-
zipien der Wärmekraftmaschine gingen
schnelle Fortschritte einher, wie bei-
spielsweise die Erfindung des Dieselmo-
tors. Seitdem wird er dank seines opti-
mierten Wärmewirkungsgrads in zahl-
losen Anwendungen eingesetzt, zum
Beispiel in Autos. Und als die Wissen-
schaft sich schließlich die statistische
Mechanik erschloss, hatte dies Auswir-
kungen, die weit über den Bau besserer
und effizienterer Motoren hinausgin-
gen: Die statistische Mechanik führte zu
der Erkenntnis, dass Materie aus Ato-
men besteht, legte den Grundstein für
die Entwicklung der Quantenmechanik
und führte (ganzheitlich betrachtet)
sogar zur Erfindung des Transistors,
ohne den die heutige Computertechno-
logie nicht möglich wäre.
Die Künstliche Intelligenz (KI) hat heute
einen ähnlichen kritischen Punkt erreicht.
Tiefe neuronale Netze bilden einen festen
Bestandteil der modernen KI-Forschung
und sorgen mitunter gar für Schlagzeilen,
wenn Alpha Go professionelle Go-Spieler
besiegt und das hinter dem Kürzel GPT-3
stehende riesige KI-System Texte in
menschlicher Qualität generiert. Aller-
dings werden diese neuronalen Netze
immer noch mehr oder weniger als „Black-
box“ betrachtet. Denn wenngleich KI-
Fachleute beträchtlichen Fortschritt erzielt
Neuronen zeigt sich theoretisch, dass
die tatsächliche Leistung tiefer neuro-
naler Netze – also ihre Fähigkeit,
Repräsentationen der Welt aus Daten
abzuleiten – proportional zu ihrem
„Seitenverhältnis“ ist, also dem Ver-
hältnis von Tiefe zu Breite. Dieses Ver-
hältnis entspricht in Modellen mit
unendlicher Breite null. Daher kann
übrigens die nicht-interagierende
Theorie die Tiefe nicht erfassen, wes-
halb ihre Beschreibung mit zunehmen-
der Tiefe des tiefen neuronalen Netzes
immer ungenauer wird. Die Interaktio-
nen einbeziehende Theorie berücksich-
tigt während der Betrachtung von
Schichten mit endlicher Breite hin-
gegen die Tiefe. Dies ist für das Reprä-
sentationslernen und andere Anwen-
dungen entscheidend, in denen die Tie-
fe ein tragender Faktor ist.
Mithilfe der Interaktion einbeziehen-
den Theorie können wir das Verhalten
eines realen tiefen neuronalen Netzes
über den gesamten Lernpfad hinweg
grundsätzlich verstehen. Insbesondere
können wir die Funktion, die ein voll-
ständig trainiertes tiefes neuronales
Netz berechnet, explizit aufschreiben,
um Vorhersagen für neue Testszenarien
zu treffen. Alles in allem steht uns
somit eine effektive, einfache – aber
nicht weniger aussagekräftige – Theo-
rie darüber zur Verfügung, wie reale
tiefe neuronale Netze funktionieren.
Katalysator für die Praxis
Die jüngsten Fortschritte zeigen, dass
KI keine unerklärliche Technologie ist
und dass angewandte KI mithilfe grund-
legender wissenschaftlicher Prinzipien
verstanden werden kann. Hoffentlich
ist dies der erste von vielen kleinen
Ist die KI heute so erklärbar wie die Dampfmaschine zu der Zeit, als sie erfunden wurde? Foto iStock Schritten auf dem Weg zum übergeord-
neten Ziel, eine Wissenschaft der
Künstlichen Intelligenz neu zu denken,
die auf grundlegenden Prinzipien auf-

Die neuronalen
haben, werden neuronale Netze in der baut und sich gleichzeitig darauf fokus-
Regel weithin als zu kompliziert angese- siert, die tatsächliche Funktionsweise
hen, als dass sie von Grund auf verstanden realitätsnaher Modelle zu beschreiben.
werden könnten. Solche Modelle für das Zu hoffen ist, dass diese effektive
maschinelle Lernen werden in der Praxis Theorie tiefer neuronaler Netze Wis-
meist im Trial-and-Error-Verfahren opti- senschaftlern ein Werkzeug an die
miert. Obwohl diese Methode intelligent Hand gibt, um ein tiefer gehendes und

angewendet werden kann und oft jahrelan-
ge Erfahrung den Prozess unterstützt, gibt
es noch keine einheitliche theoretische
Sprache, um die Funktionsweise tiefer
neuronaler Netze zu beschreiben.
Es ist nun an uns, diese neue Blackbox
zu öffnen, so wie einst große Denker wie
James Clerk Maxwell, Ludwig Boltzmann
und Josiah Willard Gibbs vor Jahrhunder-
ten mit der Einführung der statistischen
Mechanik das alte Rätsel – die Dampfma-
schine – entschlüsselt haben.
Kurz gesagt erklärt die statistische
Mechanik, wie sich die makroskopischen
Gesetze der Thermodynamik statistisch
aus der Dynamik vieler mikroskopischer
Elementarbestandteile ableiten, zum Bei-
spiel der Wassermoleküle in einer Dampf-
maschine. Tatsächlich waren es die präzi-
sen theoretischen Vorhersagen aus der sta-
tistischen Mechanik, die letztlich zur wis-
senschaftlich allgemein anerkannten
Erkenntnis führten, dass Materie aus
Molekülen und Atomen besteht. Die wich-
tigste Lehre daraus ist, dass es zwar sehr
schwierig ist, die Bewegungen einzelner
Wassermoleküle zu berechnen, die theore-
tische Anwendung dieser Erkenntnisse
sich aber deutlich einfacher gestaltet,
wenn wir die gemittelten Auswirkungen
einer großen Anzahl von Wassermolekü-
len – so wie sie beim Druck und der Tem-
peratur auftreten – betrachten.
Die mikroskopisch kleinen Bausteine
tiefer neuronaler Netze werden wiede-
rum als künstliche Neuronen bezeich-
net, analog zu den Neuronen in unse-
rem biologischen Gehirn. Ähnlich wie
biologische Neuronen Reize aus unserer
Umgebung aufnehmen (Licht, Wärme
oder Schall), nimmt ein künstliches
neuronales Netz zunächst ein Eingangs-
signal in Form einer Reihe von Zahlen
auf und leitet es über ein Geflecht von
Verbindungen an eine Schicht von
Neuronen weiter; diese Neuronen füh-
ren dann einige elementare Berechnun-
gen auf der Grundlage der eingehenden
Reize durch, und die Ergebnisse erge-
ben in ihrer Summe ein umgewandeltes
Signal, das an die nächste Schicht von
Neuronen weitergeleitet wird. Diese
Signalverarbeitung wird so lange fort-
gesetzt, bis das umgewandelte Signal
am Ende des Netzes den finalen Output
Netze verstehen
Fortschritte in der KI-Theorie hängen davon ab,
dass wir ein grundlegendes Verständnis tiefer neuronaler Netze entwickeln.
Das ist mathematisch anspruchsvoll – und könnte so gelingen.
Von Sho Yaida
ergibt. Betrachtet man diese Signalver- bung, wie diese Netze lernen und funktio-
arbeitung vertikal, so wird die Anzahl nieren in diesem Gedankenexperiment.
der Neuronen pro Schicht als Breite des Dies stellt jedoch eine übermäßig ver-
Netzes und die Anzahl der Schichten als einfachte Beschreibung der realen neuro-
Tiefe des Netzes bezeichnet. Insbeson- nalen Netze dar. Der eigentliche Grund
dere die heutigen modernen neurona- dafür ist technischer Natur, aber intuitiv
len Netze verfügen oft über viele sol- gesehen umfasst der Input für jedes
cher Schichten, weshalb sie auch als tie- Neuron unendlich viele Signale, wodurch
fe neuronale Netze bezeichnet werden. die Informationen, die zum Erlernen
So wie sich die Beschreibung einer detaillierter Repräsentationen führen wür-
Dampfmaschine vereinfacht, wenn viele den, quasi „übertönt“ würden. Theoreti-
Wassermoleküle in ihr interagieren, schen Berechnungen zufolge hören diese
besteht die Möglichkeit, dass sich unsere Neuronen auf, sich im Grenzbereich
Beschreibung des neuronalen Netzes ver- unendlicher Breite miteinander auszutau-
einfacht, wenn es sich aus vielen Neuronen schen oder zu interagieren. Mit anderen
zusammensetzt. In anderen Worten: Es ist Worten können sie keine nützliche Reprä-
zwar schwierig, die Aktionen jedes einzel- sentation der Welt erlernen, da die erfor-
nen künstlichen Neurons zu verfolgen, derlichen Informationen in der unendli-
aber es könnte möglich sein, auf statisti- chen Signalmenge verloren gehen – und
scher Ebene den Output solcher Netze zu das, obwohl ein solches Repräsentations-
erfassen, wenn sie aus Schichten mit einer lernen als das wesentliche Merkmal von
großen Anzahl an Neuronen bestehen. Wie Deep Learning angesehen wird und es in
schon von dem kanadischen Informatiker der realen Welt zu einem so mächtigen
Radford Neal in den Neunzigerjahren fest- Werkzeug macht. In der Praxis lässt sich
gestellt und von Forschern von Google ein derart gigantisches Netzwerk mit einer
Brain und an der EPFL in Lausanne in jün- unendlichen Anzahl von Neuronen ohne-
gerer Zeit weiter vertieft wurde, tritt eine hin nicht umsetzen, denn jedes reale Netz
solche Vereinfachung mathematisch ein, hat eine endliche Breite. Daher muss es
wenn die Breite des Netzes gegen unend- unser Ziel sein, diese Grenze der unendli-
lich geht. Ausgehend von einer solchen chen Breite zu umgehen.
unendlichen Breite, erhält jedes Neuron in
einer späteren Schicht Signale von einer
Jenseits von unendlich
unendlichen Anzahl von Neuronen in der
vorherigen Schicht, sodass das berühmte Erfreulicherweise ist es möglich, diese
Gesetz der großen Zahlen greift. Kurz Kluft zur Realität Schritt für Schritt zu
gesagt: Wir haben eine einfache Beschrei- schließen. Tatsächlich wird der erfor-
derliche theoretische Unterbau von
Physikern schon seit Jahrhunderten
täglich genutzt: die sogenannte Stö-
rungstheorie. Dahinter steckt viel
anspruchsvolle Mathematik. Um zu ver-
stehen, wie diese Störungstheorie funk-
tioniert, vergegenwärtigen wir uns das
Gesetz des idealen Gases, dem die
Annahme zugrunde liegt, dass Molekü-
le nicht miteinander wechselwirken;
dann wenden wir die Taylor-
entwicklung, ein Standardverfahren aus
der Infinitesimalrechnung zur sukzessi-
ven Annäherung an eine Funktion über
ihre Ableitungen, darauf an, um die
Auswirkungen winziger Wechselwir-
kungen zwischen Molekülen zu berück-
sichtigen. Dies bringt die nötige Kom-
plexität ein, um ein reales Gas und sei-
ne spezifischen Phänomene zu
beschreiben, wie beispielsweise Pha-
senübergänge von Dampf zu Wasser. In
der Physik ist es generell üblich, ein
möglichst einfaches Modell zu erstel-
len, das gleichzeitig hinreichend kom-
plex ist, um die reale Welt abzubilden.
Die Modellbildung beinhaltet häufig
die Berechnung der Auswirkungen von
Wechselwirkungen.
Um nun die minimale Komplexität ein-
zubringen, die für die Beschreibung realer
tiefer neuronaler Netze erforderlich ist,
müssen wir auch die winzigen Interaktio-
nen zwischen Neuronen modellieren –
sowohl innerhalb einer Schicht als auch
schichtübergreifend. Hierzu trennen wir
uns von der Annahme der unendlichen
Breite und nehmen stattdessen systema-
tisch alle Korrekturen vor, die erforderlich
sind, um die Endlichkeit der realen Netz-
breite zu berücksichtigen. Die Änderun-
gen mögen unscheinbar wirken, aber die
Resultate der nicht wechselwirkenden
Theorie und der wechselwirkenden Theo-
rie weisen qualitative Unterschiede auf –
ein Phänomen, das in der Physik recht
häufig auftritt.
Hier ein Gedankenexperiment zur Ver-
anschaulichung der Unterschiede: Stellen
Sie sich zwei Billardkugeln vor, die aufei-
nander zurollen. Wenn wir für unsere
Berechnung eine Theorie analog zur
Grenze der unendlichen Breite heranzie-
hen würden, die Wechselwirkungen ver-
nachlässigt, würden wir zum Schluss
gelangen, dass die Kugeln direkt durchei-
nander durchrollen und ihre jeweilige
Bahn fortsetzen. Bekanntermaßen ist dies
nicht der Fall. Die Elektronen in den
Kugeln können nicht denselben Raum ein-
nehmen, also prallen sie voneinander ab.
Diese Wechselwirkungen – so klein
sie für einzelne Elektronen auch sein
mögen – verhindern, dass Sie durch
Ihren Stuhl, durch den Boden und gera-
dewegs zum Mittelpunkt der Erde fal-
len. Solche Wechselwirkungen haben
somit relevante Auswirkungen auf das
wirkliche Leben, auf die Physik und
ebenso auf tiefe neuronale Netze.
Unter Berücksichtigung ähnlicher
winziger Interaktionen zwischen
vollständigeres Verständnis dieser zu
erlangen. Es bleibt noch viel zu tun und
zu berechnen, aber eine solche Theorie
könnte dem Feld der KI zu einem besse-
ren Verständnis darüber verhelfen, wel-
che besonderen Eigenschaften diese
Modelle dazu befähigen, intelligente
Entscheidungen herbeizuführen. Wenn
dies gelingt, könnte eine solche allge-
meine Theorie des tiefen Lernens even-
tuell sogar als Rahmen für die weitere
Erforschung universeller Aspekte von
Intelligenz dienen. Zu hoffen ist des
Weiteren, dass eine wirksame Theorie
der KI-Gemeinschaft dabei helfen wird,
mit weniger Trial-and-Error-Zyklen
auszukommen, da diese dem Fortschritt
aktuell manchmal im Wege stehen.
Wir möchten Fachleute dazu befähi-
gen, innerhalb kurzer Zeit bessere
Modelle für maschinelles Lernen zu
entwickeln, die effizienter, leistungsfä-
higer oder schneller zu trainieren sind
und nach Möglichkeit alle diese Eigen-
schaften besitzen. Insbesondere werden
Entwickler tiefer neuronaler Netze in
der Lage sein, optimale Hyperparame-
ter ohne Training auszuwählen und
jene Algorithmen und Modellarchitek-
turen einzusetzen, die optimale Ergeb-
nisse liefern.
Auch wenn empirische Ergebnisse
die KI in den letzten Jahren deutlich
vorangebracht haben, glaube ich, dass
eine praktische Vorgehensweise, die
theoretisch fundiert ist, dazu beitragen
könnte, die KI-Forschung zu beflügeln.
Dies könnte zudem zur Entdeckung
neuer Bereiche führen, die wir uns heu-
te noch nicht einmal vorstellen können,
so wie die statistische Mechanik vor
mehr als einem Jahrhundert zum Infor-
mationszeitalter führte.
Sho Yaida ist Wissenschaftler in der KI-
Forschungsabteilung von Meta (Facebook).
Einen theoretischen Ansatz zum besseren
Verständnis künstlicher neuronaler Netze hat
er mit den Forschern Daniel A. Roberts (MIT)
und Boris Hanin (Princeton) in dem Buch
„The Principles of Deep Learning Theory“
aufgeschrieben, das im kommenden Jahr
gedruckt erscheinen wird und im Internet
schon jetzt frei zugänglich ist unter
www.deeplearningtheory.com.

Bald ohne „Cookie-Terror“?

Am 1. Dezember ist ein neues Gesetz zum Datenschutz in Kraft getreten. Es soll das Ende der Cookie-Banner einläuten. Von Rolf Schwartmann
Wer außerhalb des persönlichen und
familiären Bereichs mit personenbezoge-
nen Daten umgeht, muss die DSGVO
beachten. Telefonauskünfte an einer Hot-
line an die falsche Person sind ebenso ein
Datenschutzverstoß wie das zu lange
Speichern von Kundendaten oder eine zu
spät gegebene Auskunft über Daten, die
ein Unternehmen über eine Person spei-
chert. Diese Vorgänge regelt die DSGVO,
denn hier geht es um eine Verarbeitung
personenbeziehbarer Daten, die analog
oder digital bei Personen erhoben und
gespeichert werden.
Nicht alle Daten werden aber bei Perso-
nen erhoben. Datenverarbeitung findet
auch statt, indem Unternehmen per Soft-
ware, Betriebssystem oder Browser Daten
auf stationären Computern oder Smart-
phones erheben. Ohne einen solchen
Zugriff des Anbieters einer Website oder
App auf das Gerät, von dem aus die Seite
aufgerufen wird, können die Geräte nicht
mit den Servern der Anbieter kommunizie-
ren. Das müssen sie aber, damit eine
Datenübertragung stattfindet, die dazu
führt, dass Inhalte als Bild, Text oder Ton
vom Server des Anbieters auf das Handy
gespielt werden. Diese Art der Datenver-
arbeitung regelt nicht die DSGVO, sondern
eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2002, die
nun in Deutschland durch das Telekommu-
nikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz
(TTDSG) umgesetzt wird. Dessen Aufgabe
ist es etwa, den Schutz des Fernmeldege-
heimnisses zu erweitern. Dieses schützt
neben dem Inhalt einer Nachricht auch die
näheren Umstände der Kommunikation,
sogenannte Metadaten über Kommunika-
tionspartner, Standortdaten oder Geräte-
daten. Das neue Gesetz erstreckt die Gel-
tung des Fernmeldegeheimnisses von klas-
sischen Kommunikationsdiensten wie
Telefonie und SMS auf internetbasierte
Kommunikationsdienste wie E-Mail, Mes-
senger, Voice-over-IP-Telefonie und Video-
konferenzsysteme. Das ist wichtig, weil
Unternehmen Zugriffe auf vernetzte und
darauf betriebene Dienste von der Website
über die App bis zur vernetzten Musikanla-
ge und zum Navigationssystem im vernetz-
ten Auto nur bei Vorliegen einer Erlaubnis
durch das Gesetz oder den Nutzer vorneh-
men dürfen.
Das TTDSG trifft aber auch Regeln zur
Rolle des Arbeitgebers als Telekommuni-
kationsanbieter und zum digitalen Erbe.
Nach dem neuen Gesetz schützt das
Fernmeldegeheimnis nach dem Tod eines
Menschen auch dessen Erben. Das hat
der Bundesgerichtshof im Jahr 2018 ent-
schieden, und diese Regelung wurde in
das neue Gesetz aufgenommen. Jetzt gilt:
Bis zum Tod schützt das Fernmeldege-
heimnis vor den Erben, und danach
schützt es die Erben, weil sie die Rechte
des Verstorbenen ausüben. Das bedeutet
praktisch: Wer seine Passwörter zu Leb-
zeiten geheim hält, der ist nach dem Tod
den Erben ebenso ausgeliefert wie all sei-
ne Chatpartner. Diensteanbieter sind
nämlich auch ohne Kenntnis von Log-in-
Daten verpflichtet, Erben Zugang zu Nut-
zeraccounts zu gewähren. Wer das ver-
hindern will, muss eine entsprechende
Verfügung ins Testament aufnehmen, um
seine Kommunikation in sozialen Netz-
werken im wahrsten Sinne des Wortes
mit ins Grab nehmen zu können.
Nutzer und Wirtschaft sind mit den
Anforderungen des Onlinedatenschutzes
jedes Mal konfrontiert, wenn ein Cookie-
Banner auf dem Bildschirm erscheint.
Das ist momentan alternativlos. Anbieter
von Websites und Apps müssen eine Ein-
willigung vom Nutzer einholen, wenn sie
per Cookies Daten zum Zuspielen von
Werbung erheben. Mit dem Klicken des
Banners kann man einwilligen. Ob für
eine Datenanalyse zur Betrugspräven-
tion, zur bedarfsgerechten Gestaltung
oder statistischen Analyse des Seitenauf-
rufs auch eine Einwilligung erforderlich
ist, sagt das Gesetz nicht und muss des-
halb noch ausgelegt werden. Das TTDSG
ist auch ein Gesetz gegen Cookies. In der
Perspektive will es den „Terror der Coo-
kie-Banner“ über sogenannte Dienste zur
Einwilligungsverwaltung, sprich Perso-
nal Information Management Systems
(PIMS), entbehrlich machen. Mit ihrer
Hilfe sollen Nutzer gegenüber einem
neutralen Dritten ihre Datenschutzpräfe-
renzen angeben, die dieser dann als
Datentreuhänder verwaltet. Man soll also
seinen Willen gesammelt über einen
neutralen Mittler gegenüber Anbietern
von Websites, Betriebssystemen und
Browsern erklären können – und durch-
setzen können.
Das ist eine gute Idee, aber bis sie
wirkt, gibt es noch viel zu klicken. Den-
noch geht es gut voran. Das Bundes-
wirtschaftsministerium lässt eine Stu-
die zur technischen und rechtlichen
Umsetzung von PIMS erstellen, die
aktuell vorgelegt wird. Das Inkrafttre-
ten einer Verordnung, die den Einsatz
von PIMS ins Werk setzen und das Ende
der Cookie-Banner einläuten soll, ist
für Herbst des nächsten Jahres ange-
kündigt. Laut Koalitionsvertrag beab-
sichtigt die neue Regierung, Datentreu-
händer, deren Einsatz die Datenethik-
kommission empfohlen hat, zu fördern.
Zu Recht, denn PIMS können zu fairen
Lösungen und einem effektiven Daten-
schutz aus Sicht des Bürgers und der
Onlinewirtschaft beitragen.
Professor Dr. Rolf Schwartmann leitet die For-
schungsstelle für Medienrecht an der TH Köln.
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
BRIEFE AN DIE HERAUSGEBER
Die Verantwortung der STIKO
Zu „Das letzte Mittel gegen Corona“
von Christian Geinitz (F.A.Z. vom 27.
November): Nun mahnt also der
amtierende Bundesgesundheitsminis-
ter die STIKO zu beschleunigter Emp-
fehlung für die Kinderimpfungen,
während sein Ministerium mit der
Organisation der bereits bestehenden
Impfempfehlungen völlig überfordert
ist. Aktuell gelingt es nicht einmal, die
bereits bestehenden STIKO-Empfeh-
lungen in der gebotenen Geschwin-
digkeit umzusetzen. Aber selbst wenn
man nun die knappen Ressourcen
auch noch in den Dienst von Off-La-
bel-Impfungen der kaum gefährdeten
Gruppe der Kinder stellen würde,
wäre ein Effekt auf die aktuelle Welle
kaum mehr erreichbar.
Aber nicht nur hier zeigt sich die
geringe medizinische Kompetenz in der
ministerialen Kommunikation. Auch
Spahns Kritik, dass Prüfungen der STI-
KO zur Verunsicherung von Impflingen
und Ärzten geführt hätten, zeugt davon.
Denn die von der STIKO angepassten
Empfehlungen folgten konsequent den
Regeln der evidence based medicine.
Und dass die darin ehrenamtlich täti-
gen Ärztinnen und Ärzte darüber
hinaus bisher konsequent dem Grund-
Sinnwidrig aus dem Text herausgelöst
In der Ausgabe der F.A.Z. vom 22.
November zitiert Marlene Grunert im
Artikel über die Bundesanwaltschaft
„Braunes Wasser“ die „Hetze gegen
Remigranten“, an die bei der Vorstel-
lung des Buches die Historikerin Julia
Angster erinnert habe. Namentlich
erwähnt wird in diesem Zusammenhang
nur eine Äußerung von Franz Josef
Strauß gegen Willy Brandt.
Das besagte Strauß-Zitat ist sinnwid-
rig aus seinem Text herausgelöst wor-
den. Der inkriminierte Satz steht in fol-
gender Passage von seiner Aschermitt-
wochsrede 1961: „Ich bin nicht der Mei-
nung, dass Emigration eine verdam-
menswerte Angelegenheit ist . . . Wenn
einer Emigrant war, ist er deshalb
genauso wenig negativ zu beurteilen wie
nicht jeder, der hiergeblieben ist, als ein
potentieller Nazi oder Militarist zu gel-
ten hat.“ Strauß erwähnte als positive
Beispiele politischer Emigranten den
Unser Lebenshaus im Blick
Zum Beitrag „Kernkraft ist quickle-
bendig und wächst“, ein Interview
mit Rafael Grossi, Chef der Welt-
atombehörde IAEA, (F.A.Z. vom 9.
November): Der F.A.Z. sei Dank, dass
sie sich bei der Energiewende nicht
scheut, wiederholt auch qualifizierte
Beiträge zur Kernkraft zu bringen.
Bei Gesprächsrunden im Fernsehen
scheint man kernkraftfreundliche
Personen zu meiden. Das Gleiche
glaube ich in vielen Zeitungen fest-
stellen zu können. Bei der Leserbrief-
auswahl scheint man auch kaum Bei-
träge abzudrucken, die den überstürz-
ten Atomausstieg infrage stellen.
Gerade eine weiterentwickelte Kern-
kraft könnte wesentlich dazu beitra-
ge, möglichst schnell die Klimaziele
zu erreichen.
Müsste man den Ländern nicht
dankbar sein, die bei zunehmenden
CO2-Emissionen auf Kernkraft setzen?
Wenn bei uns 2022 auch noch die letz-
ten Kernkraftwerke stillgelegt werden,
drohen Stromausfälle, und Deutsch-
land wird auf weniger sicheren atoma-
ren Strom aus Tschechien und Frank-
reich angewiesen sein. Auch wenn es
Wir benötigen keine Klugschwätzer
Zum Interview von Christian Geinitz
„Die Erde leidet unter Multiorganver-
sagen. Eckart von Hirschhausen über
den Patienten Erde und den Zusam-
menhang von Klimaschutz und
Gesundheit“ (F.A.Z. vom 12. Novem-
ber): Ganzseitige Gesprächswiederga-
ben mit einem wortgewaltigen
Schaumschläger wie Herrn von
Hirschhausen und seinem produzier-
ten Halbwissen braucht man wirklich
nicht mehr. Keine der genannten Zah-
len ist wissenschaftlich belegt. Sicher
kann er dazu noch den Flug/die Fahrt
als Buchautor und so weiter nach
Glasgow steuerlich absetzen.
Wir benötigen nicht Klugschwätzer,
sondern mehr Forscher und Ingenieu-
re, die sich mit neuer Atomkrafttech-
nik, neuen alternativen Energietechni-
ken, alternativen Kraftstoffen, CO2-
Speicherung, Hochwasserschutz und so
weiter intensiv beschäftigen, und
Handwerksmeister, Facharbeiter und
Techniker, die dieses vor Ort praktisch
umsetzen können. Die fehlen, diese
Studienplätze und Arbeitsplätze wer-
den nicht mehr entsprechend in den
Fokus genommen in unserer Gesell-
schaft und vor allem nicht in den
Medien. Herr von Hirschhausen sollte
doch mal mit Personen wie Greta, die
von Agenturen, Eltern, Lehrern usw.
promotet werden, nach China, Indien,
Saudi-Arabien usw. fahren/fliegen und
auf deren Straßen protestieren, denn
prinzip des „primum nil nocere“ (ers-
tens nicht schaden) folgten, unter-
streicht ein Verantwortungsbewusst-
sein, welches die Bürger gerade in Kri-
senzeiten von ihren staatlichen Institu-
tionen erwarten dürfen.
Dabei könnten die Gesundheitsmi-
nisterien indes durchaus auch abwei-
chend von STIKO-Empfehlungen
öffentlich zu Impfungen raten; wie dies
etwa in Sachsen-Anhalt hinsichtlich
der Influenzaimpfungen geschehen ist.
Auch könnte der Staat in solchen Fäl-
len die Haftung für die Ärzte garantie-
ren. Das allerdings möchte Jens Spahn
offenbar lieber nicht vor der Öffent-
lichkeit verantworten.
Vielleicht hätte es für die Erarbei-
tung solcher Entscheidungen eines
beratenden Krisenstabes bedurft.
Wenn Spahn jetzt auffällt, dass die von
ihm gescholtene STIKO in ihrer bishe-
rigen Aufstellung eben weder die Auf-
gabe hat, noch über eine ausreichende
Ausstattung verfügt, um als Ersatz für
einen solchen Krisenstab zu dienen, ist
das nach knapp zwei Jahren Pandemie
mehr als peinlich.
PROFESSOR DR. MED. WOLFGANG EIRUND,
WIESBADEN
Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner
und den ehemaligen Reichskanzler
Heinrich Brüning (Zentrumspartei) und
erklärte, Brandt nicht persönlich angrei-
fen zu wollen.
Als Willy Brandt Strauß in
Unkenntnis des vollständigen Textes
angriff, sandte ihm Franz Josef Strauß
die Mitschrift der Rede. Brandt ant-
wortete ihm am 7. März 1961: „Ich
darf Ihnen versichern, dass ich bei
Kenntnis dieses Wortlautes davon
abgesehen hätte, auf Ihre Ausführun-
gen in Vilshofen in kritischem Sinne
Bezug zu nehmen. Im Gegenteil
begrüße ich es sehr, dass Sie sich ent-
schieden gegen einen Schmutzkampf
in der Politik und gegen persönliche
Herabsetzungen ausgesprochen
haben.“
PROFESSOR DR. DR. H. C. MULT. HORST
MÖLLER, MÜNCHEN
viele Klimaaktionen in der Politik wie
in der Gesellschaft gibt und die Kosten
dafür rasant steigen, scheinen wir
noch lange nicht auf einen grünen
Zweig zu kommen.
Manches von dem ist auch nur grün
vorgetäuscht, eine windige Angele-
genheit und oft auch nicht naturver-
träglich, wenn weite Maisfelder die
Böden auslaugen und dafür auch noch
für schädliche Monokulturen Flächen-
prämien bezahlt werden. Was ist daran
biologisch, wenn Mais und Wiesengrä-
ser nicht wie früher primär in die Fut-
tertröge, sondern zur Stromerzeugung
in Biogasanlagen kommen? Wird das
Klima nicht auch noch zusätzlich
belastet, wenn dafür Soja als Viehfut-
ter von weit her von Farmen Amerikas
und Brasiliens in unsere Regionen
transportiert wird?
Eine grüne Politik bleibt kurzsich-
tig und stümperhaft, wenn sie bei uns
einseitig auf eine CO2-Reduzierung
beschränkt ist und nicht im ökologi-
schen Sinn unser ganzes Lebenshaus
im Blick hat.
SIMON KIRSCHNER, BAD ENDORF
diese Staaten verabreichen der Welt
ungefähr 70 Prozent der CO2-Abgaben
oder fördern Rohstoffe, die den CO2-
Ausstoß verursachen. Dann würde sich
zeigen, wer sich wirklich um die
Umwelt Sorgen macht und sich ganz
persönlich einbringt. Hier in Westeuro-
pa lautstarke und werbewirksame Pro-
teste und Parolen anzuführen, die man
dann in Buchform und Artikeln ver-
marktet, in bezahlten Talkshows ver-
breiten kann oder damit zu gut bezahl-
ten Anstellungen im Politikbereich
oder in staatlich geförderten Klimaver-
einen strebt und diese dann bekommt,
ist egoistisch und berechnend. Dies
führt für die Gesellschaft zu nichts,
sondern nur zu Polemik.
Deutschland ist das Land, das am
meisten Ressourcen und so weiter für
die Umwelt bereitstellt. Seine Aussage
„Der Begriff Überbevölkerung ist bös-
artig“ ist eine Zumutung, besser gesagt
Dummheit. Beweis: China konnte sich
aus der Unterernährung befreien, weil
es eine konsequente Geburtenkontrolle
durchgesetzt hat. Das heißt: im großen
Maße dadurch Ressourcen geschont
hat. Die Geburtenkontrolle ist eine der
wichtigsten Ansätze für eine CO2-
Reduzierung auf der globalen Welt.
Eine Grundvoraussetzung, um alle Res-
sourcen zu schonen.
PROFESSOR OTTO C. J. NIEMANN,
BORGHOLZHAUSEN
Unternehmen
Houlihan Lokey geht auf Attacke
D
ie amerikanische Investment-
bank Houlihan Lokey greift
mit der Übernahme des hei-
mischen Konkurrenten GCA
den Markt für Fusionsberatung in Europa
und speziell auch in Deutschland an.
Zusammengenommen sehen sich die
Partner als Beratungshaus mit den meis-
ten Transaktionen in Deutschland und
als führend in ihrer Personalstärke. Das
sagten Houlihan Lokeys globaler Ko-Lei-
ter Scott Adelson und der von GCA Alti-
um kommende Ko-Leiter des europäi-
schen Technologie-Teams, Sascha Pfeif-
fer, im Gespräch mit der F.A.Z.
Der Zusammenschluss ist das auffälligs-
te Zeichen der momentanen Bewegung im
Geschäft mit mittelgroßen Fusionen und
Übernahmen (Mergers & Acquisitions,
M&A). Spezialisierte Berater wie Alantra
heuern inmitten der M&A-Hochkonjunk-
tur Leute. Und große Investmentbanken
nehmen sich in den vergangenen Jahren
des hiesigen Mittelstands an, beispielswei-
se Goldman Sachs.
Houlihan Lokey und GCA machen gel-
tend, von allen Beratern in diesem Jahr
die meisten Transaktionen zu begleiten:
Bis Ende November weisen sie nach Zah-
len des M&A-Datendienstleisters Mer-
germarket zusammen 47 bekannt gege-
bene Transaktionen auf – viel mehr als
etwa die Deutsche Bank (20), Goldman
Sachs (18), Bank of America (16) und JP
Morgan (11). Allerdings betreuen diese
Dickschiffe mehr Großfusionen, weswe-
gen jedes einzelne von ihnen mehr als
das Zehnfache des addierten Transak-
tionsvolumens von Houlihan Lokey/GCA
(4,3 Milliarden Dollar) auf sich vereinigt.
Volumina stehen in der Bilanz der
M&A-Statistiken meist im Vordergrund.
Im deutschsprachigen Raum kommen
Houlihan Lokey und GCA auf 60 Transak-
tionen bis Ende November, ebenfalls der
Spitzenplatz. Auch von der Belegschafts-
größe her sieht man sich als führend. „Das
kombinierte Team ist, soweit ich weiß, von
der Zahl der Mitarbeiter her wahrschein-
lich jetzt das größte Team im Markt“, sagte
Pfeiffer, der bei GCA im Vorstand saß und
nun im europäischen Führungsteam Platz
nimmt. „Wir waren der Aufsteiger in Euro-
pa, aber noch nicht in der Größenordnung
einiger unserer Wettbewerber“, sagte Adel-
son. „Jetzt sind wir auf globaler Ebene die
aktivste Bank für den Technologiesektor,
und wir sind jetzt die zweitaktivste Bank in
Europa insgesamt.“
Anfang August hatten die börsennotier-
ten Gesellschaften ihre Fusion angekün-
digt, am heutigen Montag nehmen sie als
zusammengeschlossenes Haus den Betrieb
auf, im Zuge des „Launch Day“; sie treten
unter der Marke Houlihan Lokey auf. Alle
GCA-Aktien sind nun in Houlihan Lokeys
Hand. „Das ist abgeschlossen“, sagte Adel-
son. Wie Pfeiffer ausführte, sind an den
deutschsprachigen Standorten Frankfurt,
München und Zürich 125 Banker tätig,
davon etwa 100 als Fusionsberater, die
anderen als Schulden- und als Restruktu-
rierungsspezialisten. Die Frankfurter
GCA-Leute zogen im November in das
Weitere Milliardenaufträge für Frankreichs Industrie
Luftfahrt erhält in der Golfregion lukrative Bestellungen / Airbus und Saudi-Arabien gründen Joint Venture
niza. PARIS. Vertreter der französischen
Wirtschaft konnten am Samstag in der
Golfregion weitere Großaufträge ergat-
tern. Als Teil der Delegation von Präsi-
dent Emmanuel Macron, der am Freitag
zu einer zweitägigen Reise in die Region
aufgebrochen war, unterzeichnete das in
Paris ansässige Unternehmen CFM Inter-
national mit saudischen Fluggesellschaf-
ten Verträge im Wert von umgerechnet
rund 11 Milliarden Euro. Zum einen hat
Saudi Arabian Airlines 149 sogenannte
Leap-Triebwerke für seine neue Flotte an
Mittelstreckenflugzeugen bestellt, als da
wären 35 Airbus-Maschinen des Typs
A321neo und 30 des Typs A320neo. Das
Volumen dieser Bestellung, das die War-
tung dieser und 20 weiterer geleaster
A320neo-Maschinen einschließt, beläuft
sich auf etwa 7,5 Milliarden Euro. Zum
anderen hat die saudische Billigflugge-
Kurze Meldungen
Trauriges Weihnachtsgeschäft
Der Einzelhandel ist unzufrieden mit den
Umsätzen am zweiten Adventswochen-
ende. Nach einem bereits schwachen
Auftakt des Weihnachtsgeschäfts hätten
Pandemie-Einschränkungen in den ver-
gangenen Tagen für erhebliche Einbußen
gesorgt, teilte der Handelsverband
Deutschland am Sonntag mit. „Die Ein-
führung verschärfter Corona-Maßnah-
men in Geschäften ist eine dramatische
Zäsur im Weihnachtsgeschäft“, sagte
Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Laut
einer HDE-Trendumfrage unter etwa
1600 Unternehmen fielen die Umsätze
im stationären Nicht-Lebensmittel-Han-
del um durchschnittlich 26 Prozent gerin-
ger aus als im Vorkrisenjahr 2019. „Unter
2-G-Bedingungen sind die Besucherzah-
len im Innenstadthandel durchschnittlich
um 41 Prozent zu 2019 gesunken.“ Der
Verband bekräftigte seine Forderung,
Wirtschaftshilfen anzupassen und den
Handel zu unterstützen. dpa
Der Fusionsberater hat den Konkurrenten GCA
erworben und mischt den deutschen Markt für
mittelgroße Transaktionen auf. Beide ergänzen
einander regional und in den betreuten Branchen.
Von Klaus Max Smolka, Frankfurt
Zeitnah: GCA beriet Anteilsverkauf von Uhrenmarke Breitling.
sellschaft Flynas einen Vertrag zur War-
tung von 160 Leap-Triebwerken abge-
schlossen. Er betrifft die 80 A320neo-Ma-
schinen zählende Flotte von Flynas. Das
Volumen dieser Bestellung beträgt knapp
3,5 Milliarden Euro. CFM International
ist ein Gemeinschaftsunternehmen (Joint
Venture), an dem der französische Trieb-
werkhersteller Safran und der Mischkon-
zern General Electric aus den USA je 50
Prozent der Anteile halten.
Auch für Airbus war die Reise nach
Saudi-Arabien von Erfolg gekrönt. So
schloss der Luftfahrtkonzern mit dem
saudischen Unternehmen The Helicopter
Company (THC) einen Vertrag zur Liefe-
rung von 26 zivilen Hubschraubern,
darunter 20 des Typs H145 und sechs des
Typs H160. Die Kaufsumme wurde nicht
veröffentlicht. Für Airbus ist es die zweite
Bestellung durch THC, hinter dem der
Not von Evergrande steigt
Der hoch verschuldete chinesische
Immobilienriese Evergrande hat vor
möglichen Zahlungsschwierigkeiten
gewarnt. Nach einer Überprüfung der
Finanzmittel könne keine Garantie gege-
ben werden, dass die Gruppe über ausrei-
chende Mittel verfüge, um den finanziel-
len Verpflichtungen nachzukommen,
teilte das Unternehmen am späten Frei-
tagabend mit. Die Regierung der chinesi-
schen Provinz Guangdong, wo Evergran-
de seinen Hauptsitz hat, teilte ebenfalls
am Freitag mit, eine Arbeitsgruppe in
den Konzern entsendet zu haben, um
„Risiken zu mindern und die Interessen
aller beteiligten Parteien zu schützen“.
Xu Jiayin, der Chef von Evergrande, sei
von den Behörden zum Gespräch gebe-
ten worden. Chinas Börsenaufsicht ver-
suchte, Ängste vor einer sich ausbreiten-
den Krise zu zerstreuen. Die Auswirkun-
gen der Vorgänge bei Evergrande seien
kontrollierbar. dpa-AFX
M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 1 9
Foto Bloomberg
saudische Staatsfonds steht und der im
Königreich ein Monopol für gewerbliche
Helikopterflüge hat. So wurde im August
2020 ein Vertrag zur Lieferung von zehn
Hubschraubern des Typs H125 geschlos-
sen, was unter anderem den Zugang zu
inländischen Tourismuszielen verbessern
soll. Zudem traf Airbus am Samstag eine
Vereinbarung zur Gründung eines Joint
Ventures mit der staatlichen Rüstungs-
holding Saudi Arabian Military Indus-
tries, kurz Sami. Ziel ist die Zusammen-
arbeit in der militärischen Luftfahrt. Air-
bus soll dabei 49 Prozent, Sami 51 Pro-
zent der Anteile halten. Als Sitz des Joint
Ventures ist die saudische Hauptstadt
Riad vorgesehen. Im ersten Quartal 2022
soll es seine Arbeit aufnehmen.
Ebenfalls enger mit Saudi-Arabien
zusammen rückt der französische
Umweltkonzern Veolia. Er unterzeichne-
Bahnfahren wird teurer
Für Fahrgäste der Deutschen Bahn gibt
es vom nächsten Wochenende an neue
Angebote – aber auch höhere Preise. Mit
dem Fahrplanwechsel kosten Fahrten im
ICE und Intercity von Sonntag (12.
Dezember) an durchschnittlich 1,9 Pro-
zent mehr, wie die Bahn im Herbst ange-
kündigt hatte. Einfacher und in vielen
Fällen wohl auch günstiger wird die Mit-
nahme von Kindern unter 15 Jahren: Die
notwendige Begleitperson kann künftig
jeder sein, nicht nur Eltern oder Groß-
eltern. Neu im Fahrplan sind zusätzliche
Sprinter-Verbindungen. Sie sollen auch
Menschen für die Bahn gewinnen, die
sonst Inlandsflüge nutzen. Auf acht der
zehn stärksten innerdeutschen Flugstre-
cken sollen zusätzliche ICE mit weniger
Zwischenhalten fahren, die sogenannten
Sprinter. Darunter ist die Verbindung
Berlin–Köln. Dort fahren ICE dreimal
täglich ohne Zwischenhalt in unter vier
Stunden. dpa-AFX
Hochhaus „Marienturm“, die Houlihan-
Lokey-Leute folgen im kommenden Jahr.
Houlihan Lokey ist hierzulande vor
allem als Restrukturierer bekannt: Die Lis-
te der Fälle reicht von Wirecard über
A.T.U. zu Pfleiderer, von Takko über Sche-
fenacker bis zu Jack Wolfskin. Global ist
die klassische M&A-Aktivität viel bekann-
ter als in Deutschland. Hierzulande beglei-
tete Houlihan Lokey bisher wenig spekta-
kuläre Transaktionen, darunter den Ver-
kauf des Walzfabrikategeschäfts für die
Diehl-Gruppe. Das Haus hat in den ver-
gangenen eineinhalb Jahren zwei promi-
nente Deutsche als Berater für sich gewon-
nen: Andreas Dombret, den früheren
Deutschland-Chef von Bank of America
und Bundesbank-Vorstand, der inzwischen
als „Independent Chairman“ für den
deutschsprachigen Raum agiert; und Mat-
thias Wissmann, früher Bundesminister
und Vorsitzender der Autolobby VDA.
GCA machte sich seit Jahren in
Deutschland breit, trat in Europa zuletzt
noch als GCA Altium auf, wegen des
guten Namens, den das 2016 erworbene
Münchener Beratungshaus Altium
genoss. Altium war vor allem durch das
Mandat der Familie Kreke bekannt gewe-
sen, namentlich bei deren Plänen, den
Handelsmischkonzern Douglas aufzutei-
len. Ansonsten war und ist GCA weitest-
gehend auf den Technologiesektor spe-
zialisiert, der nach den Worten Adelsons
75 bis 80 Prozent des Geschäfts aus-
macht. Houlihan Lokey hatte hier fast
keine Expertise, bringt dafür einen star-
ken Industriesektor ein: etwa Chemie,
Luftfahrt, Verteidigung und Auto. „Das
ergänzt sich vollständig“, sagte Pfeiffer.
Dazu kommt die regionale Komple-
mentarität: GCA wollte sich in Amerika
stärken, Houlihan Lokey in Asien. Beide
Häuser hatten sich lange als Spezialisten
für Transaktionen im Wert von 100 bis 500
Millionen Euro positioniert, weiten das
nun auf bis eine Milliarde Euro aus, wobei
einzelne Deals auch über der Milliarde lie-
gen. Wettbewerber sind vor allem ameri-
kanische Häuser wie Jefferies und Ever-
core, in einzelnen Deals auch Häuser wie
Rothschild, wobei dieser Berater weniger
stark im Technologiesektor ist.
Die Konkurrenz hofft nun auf interne
Unruhe aufgrund der Fusion. Adelson
betonte aber die einander nahestehenden
Kulturen beider Häuser. „Das ist seit dem
allerersten Tag, als wir uns getroffen
haben, glasklar: wie ähnlich die Kulturen
sind und dass es eine mühelose Verschmel-
zung beider Kulturen ist.“ Houlihan Lokey
gilt manchen in der Branche als forsches
Haus. Im Interview intervenierte PR-Mann
Richard Creswell nach einer Antwort Pfeif-
fers und deklarierte sie zu „off the record“
(nicht zitierbar), was man von Gesprächen
mit Pfeiffer bisher nicht gewohnt ist. Nach
der Bekanntgabe der Fusionspläne wech-
selte – ob Zufall oder nicht – der GCA-Ban-
ker Mathias Heymann zu Alantra, wo er
Geschäftsführer (Managing Director) wur-
de. Pfeiffer sagte aber, es gebe keine außer-
gewöhnliche Fluktuation. Aus der Füh-
rungsriege soll niemand gegangen sein.
te unter anderem eine „strategische Part-
nerschaftsvereinbarung“ mit dem saudi-
schen Investitionsministerium, was auf
die Verbesserung der Wasserwirtschaft
abzielt. So sollen die Franzosen Saudi-
Arabien beim Transport von entsalztem
Meerwasser in die größeren Städte und
den staatlichen Ölriesen Saudi Aramco
bei der Beseitigung von Giftmüll beraten.
Für Veolia, Weltmarktführer auf dem
Gebiet der Entsorgung, sind die Verträge
Teil der Expansion in die Region. Dank
der zweitägigen Reise in die Golfstaaten
winken für Frankreichs Industrie insge-
samt zusätzliche Aufträge im mittleren
zweistelligen Milliardenbereich. Am
Freitag hatten die Vereinigten Arabi-
schen Emirate ihre Unterschrift unter die
Bestellung von 80 Kampfflugzeugen des
Typs Rafale und zwölf Airbus-Militär-
hubschraubern des Typs Caracal gesetzt.
Bitcoin-Kurs unter Druck
Nach dem Kursrutsch am Samstagmor-
gen haben sich Kryptowährungen am
Sonntag weiter stabilisiert. Allerdings
bleibt die Nervosität der Anleger insge-
samt hoch. Gründe sind das Coronavirus,
die Probleme des verschuldeten chinesi-
schen Immobilienkonzerns Evergrande
sowie eine wohl bald etwas weniger groß-
zügige Geldpolitik der US-Notenbank
Fed. Zudem steht in der neuen Woche
eine wichtige Anhörung von Managern
von Kryptounternehmen im US-Reprä-
sentantenhaus an. Am Sonntagvormittag
kostete ein Bitcoin auf der Handelsplatt-
form Bitstamp um die 49 500 Dollar und
damit etwa so viel wie am Samstagabend.
Am frühen Samstag war der Kurs der
größten und bekanntesten Digitalwäh-
rung in weniger als einer Stunde um rund
ein Fünftel auf knapp 42 000 Dollar ein-
gebrochen. Ether, nach dem Bitcoin die
zweitgrößte Digitalwährung, zeigte einen
ähnlichen Kursverlauf. dpa
 SE I TE 2 0 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
M Zoff um Werbe-Verbotsplan
acht Werbung für ungesun-
de Lebensmittel die Kinder
dick? Um diese Frage
schwelt in Deutschland seit
Jahren Streit. Verbraucherschutzorgani-
sationen und Werbewirtschaft überzie-
hen sich gegenseitig mit immer heftige-
ren Vorwürfen: Die Wirtschaft versage in
ihrer Selbstkontrolle, findet die Verbrau-
cherschutzorganisation Foodwatch. Die-
se verbreite Fake News, meint der Werbe-
verband ZAW.
Die neue Ampelregierung scheint in
diesem Streit nun zum Richter zu werden
– und sich größtenteils aufseiten der Ver-
braucherschützer zu stellen. Denn im
Koalitionsvertrag findet sich der Satz: „An
Kinder gerichtete Werbung für Lebens-
mittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salz-
gehalt darf es in Zukunft bei Sendungen
und Formaten für unter 14-Jährige nicht
mehr geben.“ Das klingt sehr nach einem
Verbot, das die Verbraucherschützer lange
gefordert haben. Die Werbewirtschaft hat
erst in diesem Jahr weitere Zugeständnis-
se gemacht und strengere Vorgaben für
Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder
richtet, eingeführt. Diese Vorgaben wer-
den im Werbekodex festgehalten, dessen
Einhaltung der Werberat kontrolliert, eine
mit Managern aus der Branche besetzte
Selbstkontrollinstitution. In der neuesten
Version wurde die Altersgrenze, bis zu der
die strengeren Kinderschutzregeln gelten,
von 12 auf 14 Jahre hochgesetzt. Zudem
sollen in der Werbung für Kinder keine
positiven Eigenschaften von Lebensmit-
teln mehr hervorgehoben werden, wenn
„deren übermäßige Aufnahme im Rah-
men einer ausgewogenen Ernährung
nicht empfohlen wird“. Das gilt für For-
mulierungen wie „unter Zusatz wertvoller
Vitamine und Mineralstoffe“. Zudem gel-
ten weitere Einschränkungen für Wer-
bung, die sich an Kinder richtet.
Die Industrie reagiert entsprechend
ablehnend auf die Ampelpläne. „Werbe-
verbote sind nicht der richtige Ansatz“,
teilt eine Sprecherin des Werbeverbands
mit und verweist auf den zum 1. Juni ver-
schärften Werbekodex, der den „Schutz
der Unter-14-Jährigen vor unangemesse-
ner Lebensmittelwerbung verstärkt“ habe.
Auch der Bundesverband der Deutschen
Süßwarenindustrie hält Werbeverbote für
„nicht geeignet, um einen Beitrag zur
Lösung des gesamtgesellschaftlichen Pro-
blems des Übergewichts bei Kindern und
Jugendlichen“ zu leisten, heißt es von
einer Sprecherin des Branchenverbandes.
Es gebe schließlich längst eine freiwillige
Selbstverpflichtung. Nun erwarte die
Branche „im Gegenzug Fairness und Ver-
CHAFTLER? WIE SCHÜTZT MAN SEIN GEHÖR? WIE ERKENNT MA
MAN TINNITUS & CO.? WIE BITTE? WELCHE THERAPIEN
APIEN KÖNNEN HELFEN? WAS SAGEN ÄRZTE UND WISSENSCHAFTLER
Die Ampelregierung will Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder
richtet, verbieten – Gegner und Befürworter bringen sich in Stellung.
Ich esse, was ich sehe: Wo es gesetzliche Beschränkungen für Kindermarketing gibt, sinkt der Konsum von sogenanntem Junkfood.
lässlichkeit der Politik für die meist mittel-
ständischen Unternehmen“. Weitere Ver-
schärfungen benötige es nicht, vielmehr
müssten die bestehenden in der Praxis
getestet und evaluiert werden. Statt Verbo-
te einzuführen, müsse die „Bewegungsför-
derung, Ernährungsbildung und Medien-
kompetenz“ im Mittelpunkt stehen. Auch
der ZAW empfiehlt andere Maßnahmen
gegen Übergewicht von Kindern. Die Ver-
bandssprecherin teilt nun mit, es brauche
für funktionierende Regeln eine valide
Bestandsaufnahme und wissenschaftliche
Beurteilungsmaßstäbe.
Auf die Wissenschaft beruft sich auch
die Gegenseite. Foodwatch zitiert regel-
Unternehmen
Von Stefanie Diemand und Gustav Theile, Frankfurt
mäßig ein Gutachten des wissenschaftli-
chen Beirats des Bundesministeriums für
Ernährung und Landwirtschaft: In dem
heißt es, dass der „Konsum von Junkfood“
in Ländern mit gesetzlichen Beschrän-
kungen des Kindermarketings gesunken
sei, während er in Ländern mit Selbstver-
pflichtungen der Wirtschaft steige.
Rückendeckung bekommen die Ver-
braucherschützer und die künftige Ampel-
regierung von der Weltgesundheitsorgani-
sation. „Wir sind sehr froh darüber, dass die
neue deutsche Regierung das plant“, sagt
Kremlin Wickramasinghe, der das WHO-
Europabüro für nichtübertragbare Krank-
heiten (NCD Office) leitet und zu Ernäh-
JETZT
IM HANDEL &
DIGITAL
rung und Übergewicht forscht. Das Werbe-
verbot sei schon lange eine WHO-Empfeh-
lung. „Werbeverbote sind eine der kosten-
günstigsten Maßnahmen, um Übergewicht
zu bekämpfen.“ Die WHO habe dafür
„diverse Studien ausgewertet und systema-
tische Analysen der Effekte der an Kinder
gerichteten Werbung unternommen“, sagt
Wickramasinghe, der sich im Gespräch als
Freund noch radikalerer Maßnahmen
zeigt: Kind sei man laut UN-Definition bis
18 Jahre, das Werbeverbot solle entspre-
chend gelten. Er plädiert dafür, Werbung
für ungesunde Lebensmittel generell von
7 Uhr morgens bis 21 Uhr abends und zu
der Zeit auch im Internet zu verbieten.
Immofinanz im Übernahmevisier
In der österreichischen Immobilienbranche geht die Konsolidierung weiter
ela. WIEN. In der von wechselseitigen
Beteiligungen geprägten österreichi-
schen Immobilienbranche könnte eine
Bereinigung anstehen. Die vom tsche-
chischen Milliardär Radovan Vitek
kontrollierte CPI Property Group hat
Freitag Abend angekündigt, ein mil-
liardenschweres Kaufangebot für die
börsennotierte Immofinanz vorzule-
gen. Die in Luxemburg ansässige CPI
beabsichtigt, den Aktionären 21,20
Euro je Aktie zu bieten, auf einer Cum-
Dividenden-Basis. Der angebotene
Preis liege um 4,2 Prozent über dem
Durchschnittskurs der Aktie der ver-
gangenen sechs Monate und entspricht
dem Schlusskurs an der Wiener Börse
am 2. Dezember. Das Management der
auf Gewerbeimmobilien spezialisier-
ten Immofinanz AG erklärte darauf-
hin, das Angebot zu prüfen. CPI wird
von Radovan Vitek kontrolliert, dessen
Prämie für die Fachkräfte-Finder
In Österreich müssen Unternehmen kreativ sein, um an Beschäftigte zu kommen
ela. WIEN. In Österreich klagen Unter-
nehmen schon lange über Fachkräfte-
mangel. Im Zuge der Corona-Pandemie
hat sich das Problem eher verschärft.
Auf der Suche nach Mitarbeitern ergrei-
fen Unternehmen ungewöhnliche Ini-
tiativen. Mit finanziellen Anreizen für
die Anwerbung von Kollegen hofft der
Leiterplattenhersteller AT&S zu neuem
Personal zu kommen. Das Technik-
unternehmen in der Steiermark will 700
neue Stellen besetzen. Doch erschwert
die Knappheit an Angebot die Suche.
Mitarbeitern, die potentielle Kandida-
ten aus ihrem persönlichen Umfeld für
eine offene Stelle empfehlen, winkt ein
Bonus von 1000 Euro. Bedingung dafür
ist, dass ein neuer Angestellter zumin-
dest drei Monate bleibt.
Der Anreiz wirkt: Auf diesem Weg
hat es nach Angaben von AT&S immer-
hin weit mehr als zweihundert Vermitt-
lungen gegeben. Mehr als fünf Dutzend
Bewerber konnten so inzwischen
erfolgreich eingestellt werden, wie
Erwin Zarfl, Leiter des Personalwesens
bei AT&S, gegenüber dem österreichi-
schen Rundfunk die Erfolgsaussichten
bezifferte. Wie er machen immer mehr
Personaler die Erfahrung, dass sich
heute Kandidaten ihre Arbeitgeber aus-
suchen, während Unternehmen früher
Kandidaten aussuchen konnten.
Auch der Chipproduzent Infineon
Österreich leidet unter dem Fachkräfte-
mangel, der besonders ausgeprägt bei
Technikspezialisten ist. Derzeit sind
250 Posten unbesetzt. Gesucht werden
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Foto dpa
Auch Plakatwerbung für ungesunde
Lebensmittel in der Nähe von Schulen sei
zu untersagen. Zur Definition von unge-
sunden Lebensmitteln habe die WHO ein
Modell entwickelt, mit dem sich Nährwert-
profile bestimmen lassen. Wichtig sei auch,
dass das Werbeverbot gut durchgesetzt
werde, man könne etwa die Plattformen,
die die Werbung ausstrahlten, in die Pflicht
nehmen. Auch Vertreter der Deutschen
Adipositas-Gesellschaft oder der Deut-
schen Diabetes-Gesellschaft begrüßten das
geplante Verbot auf Anfrage, verwiesen
aber auf Hürden in der Ausgestaltung.
Doch auch in der Werbebranche gibt es
Stimmen, die ein Verbot unterstützen.
Vermögen nach Angaben der Austria
Presse Agentur auf knapp fünf Milliar-
den Dollar (4,1 Milliarden Euro)
geschätzt wird.
Bei Immofinanz ist bisher dessen
Sohn Radovan Patrick Vitek als Investor
aufgetreten. Das Angebot der CPI werde
durch deren Kapitalressourcen finan-
ziert, einschließlich einer Überbrü-
ckungsfinanzierung von 2,5 Milliarden
Euro durch ein Konsortium folgender
Banken: Banco Santander, Credit Suisse,
Erste Group Bank, Goldman Sachs
Bank, HSBC, Raiffeisen Bank Interna-
tional, Société Générale/Komerční Ban-
ka und Uni Credit. Bereits gut ein
Fünftel der Aktien kontrolliert CPI.
Weitere 10,6 Prozent seien unter Vorbe-
halt erworben, was einer Gesamtbeteili-
gung von 32,0 Prozent entspreche.
Einen großen Teil ihres Aktienpakets
hat CPI erst in den letzten Tagen erwor-
technische Fachkräfte wie Chemiker,
Verfahrenstechniker und IT-Spezialis-
ten. Am Sitz von Infineon Austria in
Villach ist ein Großteil der Mitarbeiter
beschäftigt, aber auch am Standort
Graz wird gesucht. In der steirischen
Landeshauptstadt arbeiten fast 450
Beschäftigte, etwa für die Softwareent-
wicklung von Antriebs- und Motor-
steuerung. Graz ist auch eines von vier
globalen Zentren des Konzerns für
industrielle Mikrocontroller. In Linz
liegt der Schwerpunkt auf der Entwick-
lung von Radarchips.
Neben finanziellen Anreizen setzen
Unternehmen auf flexiblere Arbeits-
zeitmodelle. Schließlich ist in der Pan-
demie die Suche nach Personal nicht
einfacher geworden – trotz der großen
Abbaubewegungen im Zuge der wirt-
schaftlichen Krise. Doch hat sich in
Österreich der Arbeitsmarkt auch dank
der stark eingesetzten Kurzarbeit
rascher als erwartet von den wirtschaft-
lichen Verwerfungen erholt. Die
Arbeitslosigkeit lag im Oktober bereits
im langjährigen Schnitt. Vor zwei
Monaten wies Österreich – einst Spit-
zenreiter in der EU – eine Arbeitslosen-
quote von fast sechs Prozent aus und lag
damit im Mittelfeld der EU. Die Zahl
der sofort verfügbaren Stellen erhöhte
sich gegenüber dem Vorjahresmonat
um 73 Prozent auf fast 109 000 und liegt
damit nahe am Höchststand.
Dass die von der konservativ-grünen
Regierung angekündigte Impfpflicht
von Februar an die Personalsuche ver-
Karsten Göbel, Chef der Berliner Agen-
tur Super an der Spree, findet ein Verbot
„grundsätzlich begrüßenswert“. Die For-
mulierung im Koalitionsvertrag sei aber
noch „sehr vage“. Er verweist auf die
Plattform Instagram, auf der viele unter
14-Jährige falsche Altersangaben mach-
ten. „Da wird die Regulierung schwerlich
umzusetzen sein.“
Hört man sich in der Süßwarenindus-
trie um, distanzieren sich die meisten
Hersteller von Werbung, die gezielt Kin-
der anspricht. Eine Sprecherin des Mars-
Konzerns, der für seine Schokoriegel
bekannt ist und als größter Süßigkeiten-
hersteller der Welt gilt, teilt mit, dass man
schon 2007 als eines der ersten Unterneh-
men einen strengen Marketing-Kodex
entwickelt habe. Dieser stelle sicher, dass
Produkte nicht für Kinder unter 12 Jahren
vermarktet würden. „In Deutschland
schalten wir keine Werbung an Kinder
unter 14 Jahren“, schreibt die Sprecherin.
Man schließe dafür alle Sendungen und
Formate aus, denen 25 Prozent oder mehr
unter 14-Jährige folgten. Das gelte für
Fernseh- und Onlinewerbung, aber auch
für die Zusammenarbeit mit Influencern.
Diese Regeln gingen weit über die Ziele
des Koalitionsvertrages hinaus. Auch das
Berliner Unternehmen Storck, das vor
allem für seine Bonbons bekannt ist, ver-
zichtet nach eigenen Angaben längst auf
„Werbeplatzierungen im Umfeld von Sen-
dungen und Kanälen, die sich an diese
Altersgruppe wenden“. Inwieweit die
Maßgabe im Koalitionsvertrag Storck
treffen würde, könne das Unternehmen
bisher nicht einschätzen.
Ähnlich deutlich will sich Ritter Sport
distanzieren. „Wir verzichten schon seit
vielen Jahren bewusst auf kinderspezifi-
sche Werbung“, schreibt eine Sprecherin.
Auf Kinderkanälen würden keine TV-
Spots geschaltet. Man verzichte auch „auf
die im Süßwarenmarkt weit verbreiteten
Produktpromotions, die gezielt eine junge
Zielgruppe ansprechen, wie zum Beispiel
Abziehbilder oder Auslobung von eigens
auf Kinder abgestimmten Gewinnen“, sti-
chelt der Hersteller gegen andere Unter-
nehmen der Branche. Auf die Frage, ob
Ritter Sport das Werbeverbot unterstütze,
antwortete die Sprecherin: „Unsere eigene
Haltung zum Thema Lebensmittelwer-
bung, die sich an Kinder richtet, ist klar, ob
es dafür jedoch einer gesetzlichen Rege-
lung oder eines Verbots bedarf, ist eine
politische Entscheidung.“ Der designierte
Ernährungsminister Cem Özdemir und
die designierte Verbraucherschutzministe-
rin Steffi Lemke (beide Grüne) wollten
sich auf Anfrage nicht äußern.
ben, geht aus den Mitteilungen hervor.
Immofinanz und S- Immo sind aneinan-
der beteiligt. CPI hält nach eigenen
Angaben nun auch 11,6 Prozent an der
S-Immo, wie das Unternehmen am
Freitagabend mitteilte.
Wenn die Übernahme gelingt, wäre
das ein weiterer Konsolidierungsschritt
in der fragmentierten Branche. Nach
dem gescheiterten Übernahmeversuch
von Immofinanz im Juni hatte S-Immo
eine Entflechtung der gegenseitigen
Beteiligungen der Immobilienunter-
nehmen in Aussicht gestellt. Beim Kon-
kurrenten CA Immo hat S-Immo
bereits Kasse gemacht. Der knapp
sechsprozentige Anteil wurde in den
zurückliegenden Monaten für rund 235
Millionen Euro an den amerikanischen
Finanzinvestor Starwood Capital ver-
kauft. Das Geld soll in Immobilienkäu-
fe gesteckt werden.
einfacht, ist unwahrscheinlich. Wäh-
rend die österreichische Industriellen-
vereinigung (IV) die Entscheidung der
Bundesregierung für eine allgemeine
Impfpflicht mittragen will, warnt die
Tiroler IV vor einem sich verschärfen-
den Fachkräftemangel. Die Impfpflicht
berge Risiken, die für den Wirtschafts-
standort Tirol nicht zu unterschätzen
seien. „Die Gefahr, dass Mitarbeiter,
wenn die Impfpflicht nur in Österreich
verhängt wird, Tirol den Rücken keh-
ren, ist groß“, argumentiert die Tiroler
Industrie. In Zeiten des Fachkräfteman-
gels sei dies „ausgesprochen schädlich
für alle Bereiche der Wirtschaft“. Aus-
ländische Mitarbeiter seien „nicht sehr
an den Standort gebunden“, und es wür-
den auch in den Nachbarländern
Deutschland, Schweiz, Italien, aber
auch in Slowenien, Ungarn, der Tsche-
chischen Republik und der Slowakei
Fachkräfte dringend gesucht.
Obwohl der Fachkräftemangel viel
beklagt wird, sind Unternehmen nach
einer Onlineumfrage des Recruiting-
portals karriere.at mehrheitlich nicht
bereit, seltenen Fachkräften mehr zu
bezahlen, um Stellen attraktiver zu
gestalten. Zwar räumt jedes zweite
Unternehmen ein, zumindest eine
Stelle seit mehr als einem halben Jahr
nicht besetzen zu können. Gleichzei-
tig bekennen sich aber zwei Drittel der
befragten Mitarbeiter, keinen jährli-
chen Termin zur Gehaltsverhandlung
mit ihrer Firma zu haben, heißt es auf
dem Portal.
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG Unternehmen M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 2 1

UNTERNEHMERGESPRÄCH

„Der Erfolg der

Küchen wird Stefan

weitergehen“
Waldenmaier,
Mitinhaber und
Vorstands-
vorsitzender des
Küchenherstellers
Leicht
Lifestyle, Babyboomer, Zuwanderung: Foto Verena Müller

Stefan Waldenmaier und der Leicht AG

spielen mehrere Trends in die Karten.
Von Oliver Schmale, Waldstetten

D
ie Küche ist zunehmend das außen dient der Kubus als Küchenzeile plus von mehr als 10 Prozent erwartet. Und das China-Geschäft läuft nach In den vergangenen Jahren gebe es Bei der Jahrespressekonferenz des
Herz einer Wohnung oder des mit Backofen, Spülmaschine und den Die Marke ist in den vergangenen Jahren anfänglichen Startschwierigkeiten inzwi- nach seiner Beobachtung einen Trend zu Verbands der Deutschen Küchenmöbel-
Hauses – ein zentraler Ort, wo Schränken. Waldenmaier öffnet eine Tür stark gewachsen, wobei jedes Exportland schen auch besser. Dort ist der Mittel- dunklen Oberflächen. Neben Grau und industrie formulierte er, der derzeitige
mehr als gekocht und gegessen und sorgt für eine Überraschung. Das seine speziellen Eigenschaften hat. Wäh- ständler vor allem im Projektgeschäft Schwarz sind auch Betonoptiken gefragt. Präsident, es so: „Auch auf längere Sicht
wird. Und das nicht erst seit der Corona- Innere könne man als Büro oder Haus- rend die Kunden in England etwas ver- tätig. Da gehe es um größere Bauvorha- Dabei wird der flüssige Beton auf eine steht einem Fortschreiben der Erfolgs-
Pandemie. Mit ihr wird seit Jahren das wirtschaftsraum nutzen, erläutert er dem spielter seien und mehr Materialmix ben, bei denen mehrere Hundert Küchen Hartfaserplatte gespritzt und zum geschichte Küche nichts im Weg.“ Im
Wohlbefinden der Menschen verknüpft. verdutzten Besucher. Den Preis für das wünschten, bevorzugten Franzosen mit dem gleichen Grundriss geliefert Schluss geschliffen und lackiert, damit er Inland wollten sich die in den Ruhe-
Und bei vielen steht eine hochwertige Ein- ausladende Küchenmodell nennt er geradlinige Formen. Und in Russland, werden. Gefertigt werden die Aufträge in keine Flüssigkeit aufsaugt. Fingerabdrü- stand eintretenden Babyboomer noch-
richtung somit für ein positives Lebensge- nicht. Er wird aber deutlich über dem „einem Markt, der deutlich unter den Top Deutschland. Das bleibt auch so. In Chi- cke auf Oberflächen störten manchen mals gut einrichten, die akkumulierten
fühl. Deshalb ist das Verlangen nach geho- durchschnittlichen Endkundenpreis in Ten rangiert“, wird auf westlich geprägte na solle kein Werk gebaut werden, versi- Küchennutzer zwar, aber dafür gebe es Vermögen hätten Höchststände
bener Ausstattung und intelligenten Höhe von 19 000 Euro liegen, die für ein Ausstattung gesetzt. Die politischen Aus- chert Waldenmaier. In Schanghai gebe es seit Kurzem eine Lösung. Dank einer erreicht, und eine kluge Nachhaltig-
Lösungen immer mehr in den Vordergrund Produkt von der Schwäbischen Alb einandersetzungen zwischen dem Wes- ein hochwertiges Einzelkundengeschäft. neuen Beschichtungstechnik sind solche keits- und Einwanderungspolitik sollten
gerückt. Davon profitiert die Leicht bezahlt werden. Das Unternehmen bewe- ten und Russland bekommen die Schwa- Das Auslandsgeschäft soll in den kom- Abdrücke auf einer dunklen Oberfläche „für zusätzliche Nachfrage sorgen“. Der
Küchen AG, die ihren Sitz bei Schwäbisch ge sich im mittleren und gehobenen Seg- ben nicht zu spüren. „Das Produkt Küche menden Jahren Richtung 70 Prozent aus- so gut wie nicht mehr zu sehen. Viele typische durchschnittliche Kunde der
Gmünd hat und dort eher ein Exot unter ment. Die Deutschen geben seit Jahren steht nicht im Fokus“, sagt Waldenmaier. gebaut werden. Kunden wünschten, dass sich das Design Schwaben ist in den vergangenen Jahren
den Unternehmen ist. Denn in der Region immer mehr für eine Küche aus. Der der Küche auch in anderen Räumen wie- sogar jünger geworden, von Ende 50 auf
sind vor allem der Maschinenbau und die Durchschnittspreis kletterte nach Anga- derfindet. Deshalb werden mittlerweile Mitte bis Ende 40. Und es seien vor
Autozuliefererindustrie dominierend. ben der Gesellschaft für Konsumfor- immer häufiger Begleitmöbel hergestellt, allem Zweiteinrichter.
„Möbel kauft man dreimal im Leben“, schung im vergangenen Jahr im Fachhan- Schränke, Regale, Sideboards, Wandver- Wie die gesamte Wirtschaft ist aber
sagt der Vorstandsvorsitzende Stefan Wal- del um 425 Euro auf 9678 Euro. Das Unternehmen Der Unternehmer kleidungen. Selbst Badezimmer habe auch Leicht von steigenden Materialprei-
denmaier. Und der Kunde habe in der Die deutsche Küchenmöbelindustrie hat man schon eingerichtet. Leicht gilt des- sen und Lieferkettenproblemen betrof-
Regel ein kurzes Zeitfenster, in dem er sich laut Statistik ihren Umsatz von Januar bis Die Leicht Küchen AG ist 1928 als Der 59 Jahre alte Stefan Waldenmai- halb zunehmend als Architekturmarke. fen. So habe es über Monate hinweg
mit dem Thema auseinandersetze, in etwa August 2021 um 12 Prozent auf 3,6 Milliar- klassische Schreinerei von den Brü- er ist die treibende Kraft bei dem Der seit Jahren anhaltende Erfolg hat Probleme bei Auszugssystemen für
drei bis vier Monate. So wird die Küche den Euro gesteigert. Im Inland habe der dern Alois und Josef Leicht im Küchenbauer. Der aus Iggingen eine Erweiterung der Produktion not- Schubladen gegeben, so der 59-Jährige.
also nicht beim ersten Besuch beim Fach- Zuwachs 5 Prozent auf 2 Milliarden Euro baden-württembergischen Waldstet- stammende Diplom-Kaufmann hat wendig gemacht. Denn das überalterte Die Industrie habe Kontingente für Kun-
händler bestellt. Für eine aufwendig betragen, im Ausland sei es ein Plus von 23 ten gegründet worden. Der Mittel- beim schweizerischen Käsehersteller Stammwerk kam mit der Fertigung nicht den festgelegt. Da nicht genügend Ware
geplante Variante seien vier bis fünf Bera- Prozent auf 1,6 Milliarden Euro. Zum Ver- ständler mit 720 Mitarbeitern und Bel, bei Stollwerck und Ritter Sport mehr hinterher, und so entstand unweit geliefert worden sei, habe man die Kapa-
tungstermine nötig. Denn die Küche wird gleich: Die gesamte deutsche Möbelindust- drei Produktionsstätten gehört seit gearbeitet, bevor er in seine schwäbi- von Waldstetten in einem Gewerbepark zität heruntergefahren, und die Beschäf-
oft an den Wohn- und Essbereich angeglie- rie erzielte von Januar bis August 2021 ein für knapp 90 Millionen Euro eine hoch- tigten hätten Arbeitszeitkonten abge-
1975 zur Welle Holding, der Familie sche Heimat zurückkehrte und 1998
dert und bewusst präsentiert. „Wohnen Wachstum von 3,2 Prozent auf 11 Milliar- moderne Produktionsstätte. In dem im baut. Probleme haben die Küchenherstel-
und Küche haben einen hohen Stellen- den Euro. Die deutsche Küchenmöbel- Welle in Paderborn. Für das zu Ende zu Leicht kam. Waldenmaier ist Min- Oktober 2020 eröffneten Werk erfolgt die ler gleichfalls bei beschichteten Spanplat-
wert“, sagt der geschäftsführende Gesell- industrie zählt 50 Betriebe mit mehr als 50 gehende Jahr rechnen die Schwaben derheitsgesellschafter bei dem Mit- Korpusfertigung automatisiert. In der ten. Hier gebe es aber immerhin Anzei-
schafter. Leicht ist die Nummer sechs unter Beschäftigten und insgesamt rund 17 400 mit einem Umsatz von 160 Millionen telständler, bei dem er 2002 in den weitläufigen Halle sind nur vereinzelt chen für eine Entspannung. Die Preise
den hiesigen Küchenbauern. Beschäftigte. Wichtigstes Exportland der Euro nach 145 Millionen im Jahr Vorstand aufrückte und seit 2008 Menschen zu sehen. Das Unternehmen für Holzwerkstoffe, zu denen Spanplat-
Im Showroom am Stammsitz in Wald- Branche ist Frankreich, gefolgt von den 2020. Angaben zum Gewinn macht Vorstandsvorsitzender ist. Ihn zieht kann durch die Erweiterung inzwischen ten zählen, seien auf Jahressicht um 20
stetten zeigt der Mittelständler, was alles Niederlanden, Österreich, Belgien, der Leicht nicht. Er sei auskömmlich. es in seiner Freizeit vor allem raus in mehr als 160 Küchen am Tag produzie- bis 50 Prozent gestiegen. Doch so ohne
möglich ist, wenn man das notwendige Schweiz, dem Vereinigten Königreich, Chi- Die Exportquote beträgt rund 60 die Natur rund um seine schwäbische ren. Waldenmaier ist überzeugt, dass die Weiteres kann das Unternehmen die
Kleingeld hat. So ist ein Würfel ganz in na und Spanien. Prozent. Die Küchen werden in mehr Heimat. Zugleich ist er seit März erweiterten Kapazitäten langfristig auch gestiegenen Kosten nicht an seine Kun-
Weiß zu sehen, der frei im Raum steht. Die Geschäfte der Schwaben laufen als 55 Länder geliefert. 2020 waren 2004 Präsident des Verbands der gebraucht werden. Das Thema Küche sei den weitergeben. Denn: „Preiserhöhun-
Vor ihn ist eine Kochinsel gesetzt. Von gut. So wird für dieses Jahr ein Umsatz- es global insgesamt 31 000 Stück. Deutschen Küchenmöbelindustrie. ein Wachstumsmarkt. gen sind ein schwieriges Thema.“

FIRMENINDEX SEITE AT&S....................................................20 CFM International....................19 Evergrande....................................19 Goldman Sachs..........................19 Infineon............................................20 Leicht Küchen..............................21 Safran.................................................19 Simmons & Simmons.............17
Bank of America.........................19 Deutsche Bank............................19 Flynas.................................................19 Houlihan Lokey..........................19 JP Morgan.......................................19 Lineas.................................................22 Sami.....................................................19 Storck.................................................20
Airbus.................................................19 BLS Cargo........................................22 Deutsche Bahn...........................22 General Electric..........................19 Immofinanz...................................20 Küttner..............................................17 Oppenländer...............................17 SBB.......................................................22 Veolia..................................................19

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Bremen 2° b 3° b 3° b 1° S hinweg zieht und für Wind und 10° bis 14° 1 8 Frankfurt Berlin Warschau Sofia 6° h 9° b 4° S 1° s
Brocken -2° w -4° N -3° N -4° N 15° bis 19° Berlin 7 3 1010
feuchte Luftmassen sorgt. 2 Wien Stockholm -6° b -7° h -5° w -2° h

unkorrekter
20° bis 24° 2
Cottbus 2° b 0° b 1° s 0° w Hannover 2
Cuxhaven 1° b 2° b 2° b 1° b Berlin, Brandenburg, 25° bis 29°
von 30° an
Magdeburg 11
Paris 5
München 5 Budapest Varna T St.Petersbg. -17° h -21° s -16° w
Venedig 6° b 10° s 8° h
-13° w
7° R
Dresden 5° b 2° b 2° w 1° b Sachsen-Anhalt, Thüringen, Bordeaux Mailand 6 Warschau -1° S 0° S -1° b -5° b
Kalt- 4 2 1005 15
Wien 4° R 5° w 4° w 2° b
Düsseldorf 4° b 4° b 6° s 5° b Sachsen: Meist halten sich dich- front Essen 2 Leipzig 2 1030 1025 13 13 18
Nizza
Erfurt 4° w 2° w 2° b 2° b
te Wolken. Südlich Berlins fällt Warm- 5 Dresden H 13 14 12 Dubrovnik Istanbul Zürich 3° w 4° h 5° s 1° S

Jahres-
18 Madrid Barcelona Rom AFRIKA
Essen
Feldberg
4° w 4° b 5° h 5° b
-5° N -5° N -4° N -3° S gelegentlich Schnee, am meisten front Köln 2
Lissabon
17
Athen 18T Accra 31° h 32° h 32° Rs 32° Rs
Okklu- 1 20 1020
Antalya 15° Rs 15° h 19° s
Feldberg/Ts. -1° b -2° N -1° N -2° S im Erzgebirge. Die Höchstwerte sion
3 21 Malaga Algier Tunis Palermo Algier 18° R
2 Frankfurt 13 Casabl. 16° w 17° s 17° h 18° b
Frankfurt 5° w 3° b 5° w 2° b liegen bei kalten 2 Grad. Der Hochdruck- Las Palmas 15 11 Dakar 26° w 30° h 29° h 27° h
Freiburg 5° w 4° w 5° h 5° R Wind weht schwach zuerst aus zentrum 4 2 Johannesb. 18° R 26° w 27° h 24° R

rückblick
Garmisch 1° Ss 1° h 1° b 4° b Nord, später auf Süd drehend. Tiefdruck-
Saarbrücken Nürnberg Kairo 18° h 21° w 20° h 20° s
Greifswald 2° b 2° w 0° b -1° h zentrum 3 Reisewetter in Europa - Vorhersage für die nächsten Tage Kapstadt 19° R 21° h 24° s 27° s
Gr. Arber -5° b -2° w -2° S 0° b Bremen, Niedersachsen, Warmluft- Stuttgart 2
Lagos 30° h 30° s 29° R 30° h
zufuhr Nairobi 22° h 24° h 25° h 25° h
DIE Hamburg 1° S 2° w 1° b 0° b Hamburg, Schleswig-Hol- Österreich, Schweiz: Oft Freundlich mit Sonne und Wol-
F Ü R C H- Kaltluft- 2 2 Tunis 15° h 11° b 18° h 20° h
Hannover 5° w 2° w 4° b 1° S stein, Mecklenburg-Vorpom- zufuhr 4 München Schneefall, zwischendurch im- ken. Teils windig. Am Mittwoch
S NORDAMERIKA
WUN TE Helgoland 3° b 5° b 6° b 4° R
mern: Viele Wolken wechseln Kaltluft Freiburg mer wieder sonnig. Höchstwerte Regen auf Korsika und Sardinien. Chicago 2° R 0° h -6° b -1° w
LIS Hof 1° b 1° w 0° b 0° b
sich mit wenig Sonne ab. Es
in der Höhe,
Erwärmung
1
www.wetter.com
zwischen -13 und +5 Grad. Maximal 10 bis 18 Grad. Houston 24° h 25° R 23° b
Los Angeles 19° s 21° h 19° s
25° h
20° s
Kahler Asten -2° w 1° b 0° w -1° N Frankreich, Benelux: Wolkige Italien, Malta: Heute und Mor-
bleibt überwiegend trocken. Die am Boden Quelle: wetter.com GmbH Miami 25° w 28° w 28° h 29° w
Karlsruhe 4° w 3° b 5° w 3° S
Kassel 3° w 1° N 2° S 1° S Temperaturen erreichen maximal und sonnige Phasen. Immer wie- gen im Süden Regen, im Norden Montreal -4° b 5° R -4° h -7° S
Köln 5° R 5° b 6° h 5° b 2 bis 4 Grad. Der Südwestwind Aussichten Biowetter der Regen, in den Niederlanden Sonne. Mittwoch Regen und am New York 7° b 16° R 5° h
S. Francisco 14° h 15° w 15° h
3° S
14° w
Konstanz 3° w 4° s 4° w 2° S weht zunächst schwach bis auch Schneeregen. Zeitweise südlichen Alprnrand Schnee. Toronto 0° b 8° b -3° b -3° b
Die Chronik der Leipzig 4° b 2° S 3° w 1° w Am Dienstag fällt im Harz und Nutzen Sie die Zeit, in der sehr windig. 3 bis 13 Grad. Höchstwerte: -1 bis +18 Grad. Washington 10° w 16° w 7° w 4° R
beiden F.A.Z.- mäßig, am Abend frischt er im
Lübeck 1° w 1° h 0° b 0° b
Westen stark auf. in Bayern zeitweise Schnee. die Sonne heute kurz hervor Griechenland, Türkei, Zypern: Großbritannien, Irland: LATEINAMERIKA
Karikaturisten Magdeburg 4° w 2° b 1° w 1° b Dabei ist es windig. Sonst bleibt kommt, für einen Spaziergang Bogota 17° w 20° h 20° h 20° h
Mal sonnig, mal regnerisch. Wechselhaft. In Irland zeitweise B.Aires 21° R 24° h 26° s 26° R
Greser & Lenz Mannheim 5° b 3° b 6° h 3° b Nordrhein-Westfalen, Hessen, es meist trocken, an manchen an der frischen Luft. Auch
München 3° b 2° w 2° h 0° b
Maximal 9 bis 20 Grad. stark windig. 3 bis 10 Grad. Caracas 25° h 27° s 27° s 27° s
enthält gezeichnete Norderney 2° b 4° b 5° w 3° b Rheinland-Pfalz, Saarland: Orten kommt auch mal die an Orten, an denen es heute Spanien, Portugal: In Skandinavien: Heute teils Lima 21° b 22° b 22° b 22° w
Witze, die einen Am Morgen ist es vielerorts noch Sonne heraus. Am Mittwoch bewölkt bleibt, ist Bewegung Nordspanien und -portugal ist bewölkt, teils sonnig. Die Mexiko-St. 20° h 25° h 26° h 26° h
Nürnberg 2° w 2° w 2° S 1° S R.d. Janeiro 27° h 27° b 25° w 26° w
etwas anderen Oberstdorf 0° b -1° S -1° Ss 3° b neblig. Teilweise ist es sehr glatt. halten sich viele Wolken. In draußen wohltuend, konzen- es bewölkt, häufig fällt Regen, nächsten Tage vielerorts Schnee. Sant.(Ch.) 28° s 27° s 24° s 30° s
Blick auf das Osnabrück 5° w 3° b 5° b 3° b Tagsüber halten sich dichte Wol- der Westhälfte Deutschlands trationsfördernd und stärkend zeitweise weht Wind. Im Süden Höchstwerte: -13 bis +3 Grad. NAHER OSTEN
Passau 1° b 2° b 1° S 2° b ken, meist bleibt es aber trocken. fällt oberhalb von 200 bis 600 für das Immunsystem. Achten scheint oft die Sonne. Höchst- Polen, Tschechien, Slowakei: Ankara 9° w 13° w 13° b 10° b
spannungsgeladene Antalya 18° h 18° Rs 18° G 15° G
Rostock 1° b 3° w 0° w 0° b Die Höchstwerte liegen zwischen Metern gelegentlich Schnee, in Sie dabei jedoch unbedingt auf werte zwischen 8 und 22 Grad. Heute Schnee, morgen bewölkt,
Jahr 2021 werfen. Saarbrücken 4° b 4° b 5° h 5° b Bagdad 17° h 21° s 22° h 22° b
Mit einem Vor- Stuttgart 3° h 3° w 4° h 2° S
3 und 5 Grad. Am Abend frischt der Osthälfte bleibt es trocken. ausreichend warme Kleidung. Balearen, Sardinien, Korsika: Mittwoch Sonne. -6 bis +4 Grad Dubai 26° s 28° s 27° s 29° s
der Südwind stark auf und im Riad 24° s 28° s 25° s 26° s
wort des F.A.Z.- Sylt 3° R 3° b 3° b 1° b Teheran 11° h 11° w 13° s 13° h
Herausgebers Trier 4° w 4° b 5° w 5° b äußersten Westen beginnt es zu
Zugspitze -15° S -15° S -12° S -10° S regnen oder zu schneien. NORDAMERIKA ASIEN Städtewetter im Ausland Tel Aviv
ASIEN
17° Rs 21° h 22° b 20° h
Berthold Kohler.
s: sonnig, h: heiter, w: wolkig, b: bedeckt, G: Gewit- Bangkok 26° s 30° s 30° s 31° s
3 EUROPA So. Mo. Di. Mi. So. Mo. Di. Mi.
ter, N: Nebel, R: Regen, Rs: Regenschauer, Sr: Sprüh- Baden-Württemberg und
Vancouver 1015 1005 1010 1030
H Peking Seoul
H 5.12. 6.12. 7.12. 8.12. 5.12. 6.12. 7.12. 8.12.
Hongkong 20° s 24° s 24° s
Jakarta 29° R 29° R 30° R
24° s
30° w
regen, S: Schnee, SR: Schneeregen, Ss: Schnee- Bayern: Nach Nebelauflösung 1025
1005
T 12 111
17
10 Tokio
11 Amsterdam 5° b 3° b 6° h 7° b Kiew -2° b 1° b 4° N 1° S Manila 28° w 29° w 29° w 29° w
Greser & Lenz
H
995
schauer, –: keine Mitteilung. Alle Tabellen zeigen wechseln sich Wolken und etwas 8 Toronto
T New York Xian Athen 15° h 17° s 14° b 14° s Kopenhagen 1° b 1° w 3° w 2° b Neu-Delhi 23° N 24° h 23° s 23° s
Deutschland als Prognose die Tages-Höchsttemperatur, als
Sonne ab. An den Alpen fallen
1015
1 0 1025 Schanghai
Barcelona 12° b 14° s 14° h 14° s Las Palmas 19° w 21° w 21° b 21° h Peking 7° h 11° s 9° h 7° b
nach Merkel gestrigen Wert die Messung mittags Ortszeit. Denver Chicago 16 Hongkong Taipeh Belgrad 6° R 6° R 4° R 4° s Lissabon 15° s 18° h 17° w 15° h Seoul 6° s 10° h 12° h 12° s
20,00 Euro
letzte Schneeflocken, sonst ist Washington 1020
24 22 1015
Ljubljana 3° R 5° h 2° s 1° w
Los Angeles 1020
16 Bozen 3° b 6° s 5° s 2° b Schanghai 15° h 17° s 15° s 16° b
ISBN 978-3-96251-109-8 Sonne & Mond es den ganzen Tag über meist 21
1010
1015
1010
Brüssel 4° h 6° b 6° s 6° b London 6° w 8° R 8° b 7° h Singapur 28° G 30° G 31° G 30° w
Überall im Buchhandel erhältlich. trocken. Bei schwachem bis 25 Miami 30 23 Manila Budapest 1° b 5° b 3° w 2° s Madrid 10° h 13° b 11° b 8° b Taipeh 20° w 22° w 21° w 22° h
Houston
08:10/16:23 10:52/18:22 mäßigem Wind aus unterschied- 1015
28 Bangkok Saigon 29 Bukarest 5° s 7° b 7° R 5° R Mailand 5° s 6° s 10° s 3° S Tokio 9° s 11° h 13° h 12° R
Mexiko-St. 29 Dublin 5° h 9° h 10° R 6° s Malaga 15° s 20° s 22° s 16° s AUSTRALIEN und NEUSEELAND
Auf- und Untergang in Mitteleuro- lichen Richtungen steigen die Mallorca 11° b 15° s 17° h 17° s
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päischer Zeit (MEZ) für Frankfurt/ Temperaturen auf kalte -1 bis 25
Havanna
28 Kuala Lumpur T Dubrovnik 14° G
Helsinki -15° s
13° G
-11° w
11° R
-13° s
11° s
-13° s Moskau -3° S -2° b -1° S -1° b
Melbourne 19° b 26° w 17° R
Sydney 20° b 22° w 24° Rs
17° h
22° Rs
Main. maximal +4 Grad.
1015 30 Singapur Istanbul 14° h 18° h 17° R 14° G Neapel 13° b 12° b 12° s 15° R Wellington 19° b 15° b 17° s 21° s
SE I TE 2 2 · NR. 2 8 4
M ONTAG , 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1
Verkehrschaos
auf der
Schiene
Mehr Güter von der Straße auf die Gleise –
das will die Politik. Derzeit jedoch
bremsen Baustellen und Betriebsstörungen
die Bahnen aus. Die sprechen von einer
„Katastrophe“. Wer ist schuld?
Von Thiemo Heeg, Frankfurt
I
n den sozialen Medien gibt sich die
Güterverkehrstochtergesellschaft
der Deutschen Bahn gerne frech. Im
Kurznachrichtendienst Twitter lautet
die Selbstbeschreibung: „Offizieller
Account von denen, wegen denen du so
lange an der Bahnschranke stehst“. Vor
wenigen Tagen postete das Social-Media-
Team von DB Cargo die Erkenntnis:
„Lieber Güterverkehr als schlechter Sex“.
Der Spruch könnte cool sein, wäre
Güterverkehr auf der Schiene derzeit auch
nur halbwegs attraktiv. Das Gegenteil ist
der Fall. Die, die vermeintlich die Bahn-
schranke blockieren, stehen selbst im Stau.
„Das ist ein Volldrama. Was im Augenblick
abgeht: eine absolute Katastrophe. Das
habe ich so noch nicht erlebt, und ich bin
jetzt seit 30 Jahren bei der Eisenbahn“, sagt
Sven Flore, Vorstandsvorsitzender von
SBB Cargo International.
Der Güterzugbetreiber, der sich mehr-
heitlich im Besitz der Schweizerischen
Bundesbahnen befindet, ist mit einem
Marktanteil von 43 Prozent größter
Anbieter im alpenquerenden Schienen-
güterverkehr. Das Unternehmen fährt im
sogenannten Nord-Süd- oder Rhein-
Alpen-Korridor, bringt Tausende Contai-
ner von den großen Nordseehäfen Ant-
werpen und Rotterdam nach Deutsch-
land und Norditalien. Man legt Wert auf
Schweizer Präzision: „Reibungslose
Abläufe garantiert“, so das Versprechen.
120 Jahre und 609 nobelpreiswürdige Ideen mit Sprengkraft
Ein Nobelpreis ist die höchste Ehre für Forscher. Preisträger sind aber oft zugleich Geschäftsleute, die kräftig an ihren Erfindungen verdienen. Von Mark Fehr
Diesen Freitag steht ein ganz
besonderer Termin im Kalen-
der, denn dann dürfen sich die
Nobelpreisträger des Jahres 2021 ihre
Medaillen beim schwedischen König
Carl Gustav abholen. Wie jedes Jahr am
10. Dezember, dem Todestag des Preis-
stifters Alfred Nobel, findet die Preis-
verleihung in Stockholm statt. Gekrönt
wird die Feier durch ein Bankett mit
Delikatessen aus der Hand von Spitzen-
köchen. Abendgarderobe ist zu diesem
Anlass nicht nur Ehrensache, sondern
auch Pflicht. Vorher müssen die Preis-
träger eine Vorlesung über ihr Werk hal-
ten. Der Friedensnobelpreis wird wie
immer parallel in Norwegens Haupt-
stadt Oslo verliehen.
Das strenge Zeremoniell soll deutlich
machen, wie wichtig wissenschaftliche
Erkenntnis und technischer Fortschritt
für das Wohl der Menschheit sind. So hat
es der 1896 verstorbene Nobelpreis-Stif-
ter Alfred Nobel festgelegt, der sein Ver-
mögen unter anderem mit der Erfindung
des Dynamits gemacht hat. Weil er keine
Kinder hatte, bestimmte er in seinem
Testament, dass mit den Zinsen seines
Besitzes Preise an Persönlichkeiten ver-
liehen werden sollten, die im vergange-
nen Jahr der Menschheit den größten
Nutzen gebracht haben. Bemerkenswert
ist, dass der Chemiker Nobel dabei nicht
nur an Naturwissenschaftler und Ärzte
dachte, sondern auch an Schriftsteller
oder Personen, die sich für Frieden und
Völkerverständigung einsetzen.
Die Nobelpreise haben sich als eine
ebenso zündende Idee erwiesen wie No-
bels 355 Patente. Denn das Ereignis rückt
jedes Jahr die sonst abgeschottete Welt
der Wissenschaft ins Licht der Öffent-
lichkeit und holt Persönlichkeiten auf die
ganz große Bühne, die im Alltag meist in
Laboren und Bibliotheken zu finden sind.
Wie bei olympischen Spielen oder Fuß-
ballweltmeisterschaften können Natio-
nen mitfiebern und „ihre“ Medaillen zäh-
len, gerade deshalb, weil die Preise den
Würdigsten verliehen werden, unabhän-
gig von deren Nationalität. So hat Nobel
es festgelegt. Dabei sollte allerdings nicht
vergessen werden, dass Wissenschaftler
oft nicht nur altruistische Forscher sind,
sondern gleichzeitig auch Geschäftsleu-
te, die mit ihren Erfindungen Geld ver-
dienen. Nobel selbst ist dafür das beste
Beispiel. ❶ Seit 1901 wurden 609 Nobel-
preise an 975 Preisträger verliehen. Die
Zahl der für Physik, Chemie, Medizin,
Wenn da nicht die Deutschen im Weg
stünden. „In guten Wochen fahren wir
rund 730 Züge. Derzeit verlieren wir
massenhaft Züge durch den Komplett-
zusammenbruch der deutschen Infra-
struktur. In den letzten zwei bis drei
Wochen gab es dadurch Umsatzrück-
gänge in einer Größenordnung von 15
bis 17 Prozent“, berichtet Firmenchef
Flore, und sein Ärger darüber spiegelt
sich im Tonfall wider.
Der SBB-Ableger ist längst nicht der
einzige Betroffene. Am vergangenen
Dienstag schickten acht internationale
Industrieverbände einen Brandbrief an
EU-Verkehrskommissarin Adina
Vălean, den geschäftsführenden Ver-
kehrsminister Andreas Scheuer (CSU)
und seinen designierten Nachfolger
Volker Wissing (FDP) sowie an DB-
Netz-Chef Frank Sennhenn. „Wir wen-
den uns an Sie, um unsere ernste
Besorgnis über das Ausmaß, die Schwe-
re und die Dauer der Störungen zum
Ausdruck zu bringen, denen wir seit
zwei Wochen auf dem deutschen Schie-
nennetz ausgesetzt sind“, heißt es
darin. Die Störungen hätten in Verbin-
dung mit der mangelnden Bereitstel-
lung von Ausweichkapazitäten dazu
geführt, dass „der Schienengüterver-
kehr in und durch Deutschland auf den
Hauptkorridoren nahezu zum Erliegen
gekommen ist“.
Literatur und Frieden vergebenen Preise
unterscheidet sich leicht, weil in man-
chen Jahren nicht für jedes Fach ein Preis
vergeben wird. In solchen Fällen wird das
Preisgeld für das folgende Jahr aufge-
hoben. Die Zahl der Preise für Wirt-
schaftswissenschaften ist deutlich nied-
riger, weil diese erst seit 1968 verliehen
werden. Die Zahl der Preisträger unter-
scheidet sich je Fachrichtung stark. Denn
das Nobelpreiskomitee kann einen Preis
Mediziner und Physiker
forschen oft in Gruppen
Zahl der in den einzelnen Kategorien verliehenen Nobelpreise* und Preisträger von 1901 bis 2021
Zahl der Preisträger
Medizin
Physik
Chemie
Frieden
Literatur 118
Wirtschaft 89
Gesamt: 975
*Der Friedensnobelpreis kann auch an Gruppen vergeben werden. Der Preis für Wirtschaft war ursprünglich kein Nobelpreis und
wurde 1968 erstmals als "Preis der Reichsbank Schwedens für die ökonomische Wissenschaft zum Andenken an Alfred Nobel"
vergeben
Deutsche Preisträger meist
Chemiker und Physiker
Zahl der deutschen Nobelpreisträger seit der
Gründung der Nobelstiftung im Jahr 1901 bis
2021 nach Fachrichtung
Chemie
Physik
30
27
Wirtschaft Physiologie oder Medizin
1 University of Cambridge
Frieden 17
Literatur
4 Rockefeller University
8 Princeton University
Unternehmen FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Rhein-Alpen-Korridor
Der Verkehr auf der wichtigsten
europäischen Transportachse stockt.
NIEDERLANDE DEUTSCHLAND
Rotterdam Zevenaar
Emmerich
Zeebrugge
Oberhausen
Antwerpen
Düsseldorf
Aachen Köln
Gent
Mechelen
BELGIEN
Montzen
Wiesbaden
Mannheim
Gewünschte Planung:
Ausbaustrecke
aris Lauterbourg Karlsruhe
zur Entlastung
Straßburg
Offenburg
Freiburg
Nadelöhr:
Streckenabschnitt Basel
nur zweispurig Bern
Arth-Goldau
SCHWEIZ
FRANKREICH Domodossola
Chiasso
Luino
Novara Mailand
ITALIEN
Genua
200 km
Quelle: BAV, Schweiz 2019/Foto dpa/F.A.Z.-Grafik Sieber
Das wäre vielleicht nicht ganz so viele Züge wegen Störungen vor der aber auch: Eine Störung oder ein Mitarbei- Die DB selbst gibt sich offiziell gelas-
schlimm, wäre Deutschland nicht das deutschen Grenze stehen bleiben. Wir ter reichen, um den Verkehr zum Stillstand sen. „Bei bis zu 1000 Baustellen pro Tag
wichtigste Gütertransitland in Europa. mussten zwischen Lüttich und Aachen zu bringen. „In Mülheim ist am 15. Novem- sind Engpässe im Netz leider nicht auszu-
Rund die Hälfte der europäischen Schie- 17 Züge parken. Belgien war voll mit ber eine Signalanlage ausgefallen, da dau- schließen. Selbstverständlich stehen wir
nenkorridore – darunter der Rhein- Zugwaggons, die Niederlande auch“, erte es 16 Stunden, bis dies geregelt werden mit unseren Güterverkehrskundinnen
Alpen-Korridor als der wichtigste von sagt Lineas-Chef Geert Pauwels. konnte und der Verkehr wieder geordnet und -kunden im engen Kontakt, um hier-
allen – führen durch die Bundesrepu- In der Branche weiß man zu gut, wie die- lief. In Duisburg war am 23. November eine für kurzfristige Lösungen zu finden“, sagt
blik. Wenn hier etwas schiefläuft, gerät ses Verkehrschaos zustande kommt. Es Weichenstörung, das dauerte sogar 24 eine Sprecherin. Die bleiben skeptisch –
das gesamte System aus dem Takt, und liegt an der hohen Auslastung des Netzes, Stunden. Und wenn einmal ein Stellwerk- und sehen das Ganze auch als strukturel-
das schon mal tagelang. Es ist wie an verbunden mit den vielen Baustellen, mit mitarbeiter krank wird, dann resultieren les Problem. „Aus der Monopoltruppe
einem Fließband: Eine Störung an einer denen der deutsche Infrastrukturverant- daraus immer wieder stundenlange Stö- DB Netz eine dynamische, kundenorien-
Stelle, und die komplette Produktion wortliche, die Deutsche-Bahn-Tochter DB rungen im Verkehr“, klagt Dirk Stahl, Chef tierte Mannschaft zu formen, das geht
kommt ins Stocken. Auch die deutschen Netz, eine lange vernachlässigte Infra- des Zugbetreibers BLS Cargo und Präsi- nicht über Nacht“, glaubt SBB-Manager
Nachbarländer bekommen das schmerz- struktur zu flicken versucht. Eine Rekord- dent des Güterbahnverbandes ERFA. Die Flore – und verweist auf bessere Infra-
lich zu spüren. Der belgische Anbieter summe von 12,7 Milliarden Euro fließt Branche sieht die Netzgesellschaft der strukturbedingungen in den Nachbarlän-
Lineas, hervorgegangen aus der Staats- 2021 in die Modernisierung, die Instand- Deutschen Bahn in der Pflicht: Sie müsse dern: „Die Schweizer und die Österrei-
bahn SNCB/NMBS, kam mit seiner haltung, den Neu- und Ausbau von Glei- Baustellen besser koordinieren, sich inter- cher sind gut, die Italiener inzwischen
Fracht nicht einmal nach Deutschland sen, Weichen, Brücken und Bahnhöfen. national absprechen, Ausweichrouten auch. Ist es nicht eine Schande, dass die
hinein. „Vergangene Woche mussten Die Güterbahnen begrüßen das, sie wissen anbieten, mehr Personal einsetzen. Deutschen ihren Job nicht machen?“
SCHNELLER SCHLAU
mehreren Personen gleichzeitig verlei- sodass kaum mehrere Autoren für das bevölkerung stellt. Geht es nach der Zahl wird, von denen die meisten Nobelpreis-
hen, vor allem, wenn diese gemeinsam an gleiche Buch ausgezeichnet werden kön- der Preisträger je Fach, ❷ ist Deutsch- träger stammen. Fast alle sind US-Hoch-
einem preiswürdigen Forschungsprojekt nen. Der Friedensnobelpreis geht auch land stark in Chemie und Physik, aber schulen. Doch mit dem Max-Planck-Ins-
gearbeitet haben. Das ist am häufigsten an Institutionen wie das Rote Kreuz, dass schwach in Wirtschaft. Der einzige deut- titut auf dem vierten Platz ist Deutsch-
in der Medizin und der Physik der Fall. In schon dreimal ausgezeichnet wurde. sche Wirtschaftsnobelpreis ging an den land vorn mit dabei. Der Namensgeber
der Literatur dagegen ist das äußerst sel- Obwohl Nobel wollte, dass Nationa- Mathematiker Reinhard Selten. Seine Max Planck ist Begründer der Quanten-
ten. Nur vier der insgesamt 114 Literatur- litäten keine Rolle spielen, zählt jedes Leistungen auf dem Gebiet der Spiel- theorie und erhielt 1919 einen Nobel-
Nobelpreise wurden an jeweils zwei Land seine Preise und Preisträger. Knapp theorie sind auch für Ökonomen bedeu- preis für Physik.
Preisträger verliehen. Zudem verfassen 9 Prozent der 975 Nobelpreisträger waren tend. ❸ Die Vereinigten Staaten führen Nur ganz wenige Persönlichkeiten ha-
große Schriftsteller wie Günter Grass ih- Deutsche – keine schlechte Quote für ein die Liste der Preisträger an, was auch ben den Nobelpreis zweimal erhalten, et-
re großen Werke in der Regel allein, Land, das nur gut ein Prozent der Welt- mit Blick auf die Universitäten deutlich wa Marie Curie, die Entdeckerin der Ra-
dioaktivität, 1903 für Physik und 1911 für
Chemie. Insgesamt sind Frauen aller-
dings selten unter den Preisträgern. Das
liegt mit daran, dass in der Zeit bis zum
Zweiten Weltkrieg kaum Frauen auf Uni-
versitäten gingen. So war es selbst dem
naturwissenschaftlichen Talent Marie
Zahl der Preise Curie in ihrem Heimatland Polen nicht
erlaubt zu studieren, sodass sie nach Paris
224 112 ziehen musste, um ihre Ausbildung auf-
zunehmen. Besonders niedrig ist der An-
219 115 teil von Forscherinnen in der Preiskate-
gorie der Physik. Andere Fächer haben
188 113 immerhin etwas höhere Frauenanteile.
❹ Am größten ist der Anteil der Preisträ-
137 102 gerinnen in der Kategorie Frieden.
Auch mit Blick auf das Alter ist die
114
Riege der Nobelpreisträger ziemlich un-
ausgewogen. Das liegt jedoch nicht etwa
an einer Diskriminierung junger Wissen-
53 schaftler, sondern an einer Reihe anderer
Illustration: Katharina Hofbauer
F.A.Z.-Grafik Niebel Gesamt: 609 Gründe. So braucht es Zeit, bahnbre-
chende Ideen zu entwickeln und diesen
zum Durchbruch zu verhelfen. Viele spä-
tere Nobelpreisträger wurden zu Anfang
ihrer Karriere als Querköpfe verspottet
und vom Establishment misstrauisch be-
Max-Planck-Forscher Nur geringer Eine Teenagerin äugt. Das ging auch Marie Curie so. Das
vorn dabei Frauenanteil unter Greisen Nobelpreiskomitee wartet daher oft sehr
University of California Männer Physik Frauen Jüngste Nobelpreisträger Geschlecht Geburtsland lang, bevor es Wissenschaftler oder ande-
44 98,2 in % 1,8 Malala Yousafzai 17 Frieden w 2014 Pakistan re Persönlichkeiten auszeichnet. Trotz-
Harvard University dem wurden auch schon in frühen Jahren
38 Lawrence Bragg 25 Physik m 1915 Australien
Wirtschaft der Nobelpreishistorie sehr junge Leute
Stanford University 97,8 2,2 Nadia Murad 25 Frieden w 2018 Irak ausgezeichnet, etwa der 25-jährige aust-
24
Werner Heisenberg 31 Physik m 1932 Deutschl. ralische Physiker Lawrence Bragg im Jahr
Max-Planck-Institut 1915. ❺ Die jüngste Preisträgerin war
24 Chemie Tsung-Dao Lee 31 Physik m 1957 China
Massachusetts Institute of Technology (MIT) 96,3 3,7 Carl D. Anderson 31 Physik m 1936 USA noch nicht einmal volljährig. Die pakis-
23 tanische Bloggerin Malala Yousafzai
Paul A. M. Dirac 31 Physik m 1933 Großbrit. erhielt den Friedensnobelpreis mit 17
California Institute of Technology Medizin
20 94,6 5,4 Älteste Nobelpreisträger Jahren, weil sie sich gegen die Taliban-
University of Chicago John B. Goodenough 97 Chemie m 2019 Deutschl. diktatur und den Terror in Afghanistan
20 Insgesamt stark gemacht hatte. Zwei Jahre vor der
93,9 6,1 Arthur Ashkin 96 Physik m 2018 USA Preisverleihung wurde sie von Taliban-
20 Leonid Hurwicz 90 Wirtschaft m 2007 Russland
attentätern überfallen und überlebte
Columbia University
18 Literatur Syukuro Manabe 90 Physik m 2021 Japan schwerst verletzt.
86,4 13,6
Klaus Hasselmann 89 Physik m 2021 Deutschl.
17
Lloyd Shapley 89 Wirtschaft m 2012 USA
Frieden Datenrecherche: Matthias Janson
17 83,5 16,5 Raymond Davis Jr. 88 Physik m 2002 USA Quelle: Nobelpreisstiftung nobelprize.org
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG Sport NR. 2 8 4 · SE I TE 2 3
M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1

Verlorener
Respekt
Von Christopher Meltzer

s gibt in der Welt des Fußballs

E viel zu viele sogenannte Weis-

heiten, aber manche kann
man auch einfach nicht widerlegen.
Zum Beispiel diese: Ein guter
Schiedsrichter ist einer, über den
man nicht spricht. Ist einfach so. Und
spricht damit nicht für Felix Zwayer,
einen Schiedsrichter, über den schon
viel zu viel gesprochen worden ist,
um noch als gut zu gelten.
Am Samstagabend, als das Bun-
desligaspiel zwischen Borussia Dort-
mund und dem FC Bayern vorbei
war, sprachen vor allem die mit BVB-
Logo auf den Klamotten über Zway-
er. Man hätte das als unreflektierten
Umgang mit der 2:3-Niederlage ein-
stufen können. Wäre da nicht Tho-
mas Müller gewesen, der Diplomat
aus Bayern, der sagte, dass er „den
Frust und Ärger“ über die Schiri-Ent-
scheidungen „verstehen“ könne.
Wenn Blicke alles sagen: Der entsetzte Jude Bellingham kann nicht glauben, dass Schiedsrichter Felix Zwayer auf den Elfmeterpunkt zeigt. Foto Imago Zwei strittige Strafraumszenen lös-
ten sein Mitgefühl aus. In der 53.
Minute drückte der Münchner Lucas

A
ls die Beteiligten noch erfüllt am Ende den Ball deutlich mit dem Ellen- Hernández mit dem Oberkörper und
waren vom Adrenalin eines
wahrlich wilden Rittes durch
die weite Welt der Fußballge-
fühle, ahnte noch niemand, wie weit die
Debatten über den Schiedsrichter Felix
Strafanzeige nach bogen abwehrt“, berichtete Zwayer später.
Genau das schienen die Bilder zu bestäti-
gen. Rose jedoch hatte die ganze Situation
vor Augen, als er sagte: „Das geht los mit
der Hand von Thomas Müller auf Mats
dem rechten Arm gegen den Rücken
des Dortmunders Marco Reus, der
daraufhin stürzte. Kein Pfiff. In der
74. Minute stolperte der Dortmunder
Mats Hummels, vom Münchner Mül-
Zwayer am Sonntag noch gehen würden.
Nachdem im Stadion, in den Wohnzim-
mern und in den Fernsehstudios ausgiebig
über einen streitbaren Elfmeterpfiff des
Unparteiischen debattiert worden war,
berichtete am Sonntag zuerst die
dem Spitzenspiel Hummels, Mats versucht sich dadurch ein
Stück weit zu schützen, was sehr natürlich
ist, kommt ins Straucheln, sieht den Ball
gar nicht mehr, taucht irgendwohin ab, und
dann fällt ihm der Ball auf die Hand.“
Hätte Zwayers Assistent einen Aus-
ler bedrängt, mit Arm und Kopf
voraus in den Ball, der ihm auf den

„Bild“-Zeitung von einer Strafanzeige, die
der für den Deutschen Fußball-Bund
(DFB) arbeitende Schiedsrichter-Beobach-
ter Marco Haase gegen Jude Bellingham
gestellt hat. Der junge Engländer hatte
nach der 2:3-Niederlage gegen den FC
Bayern beim skandinavischen Streaming-
dienst Viaplay gesagt: „Man gibt einem
Schiedsrichter, der schon mal Spiele ver-
schoben hat, das größte Spiel in Deutsch-
land. Was erwartest du?“ Am Sonntagmor-
gen war das Video mit den kurzen Sätzen
fast zwei Millionen Mal abgerufen worden.
Der Imageschaden ist nicht nur für Zwayer
gewaltig. Die ganze Bundesliga steht nach
diesem Spiel im Ruf, nicht nur sportlich
langweiliger zu sein als andere Wettbewer-
be, sondern auch noch unseriöser.
Tatsächlich war Zwayer in den berühm-
ten Hoyzer-Skandal im Jahr 2005 verwi-
ckelt, er hatte vor einer Partie zwischen
Wuppertal und Werder Bremen II 300
Euro angenommen, verbunden mit der
Bitte, als Linienrichter „kritische Situatio-
nen für den Wuppertaler SV zu vermei-
den“. Das steht in einem Urteil des DFB-
Sportgerichts. Inzwischen ist Zwayer reha-
bilitiert. Weil Bellingham nun diese alte
Sache hervorgekramt hat, könnte ein Ver-
Dem atemraubenden Duell zwischen dem BVB und Bayern folgt ein Abstieg
in die Abgründe des Sports. Im Mittelpunkt: Schiedsrichter Zwayer
Von Daniel Theweleit, Dortmund
fahren wegen Beleidigung, Nachrede und
Verleumdung eröffnet werden, auch der
DFB-Kontrollausschuss ermittelt. Damit
ist dieses Spiel, das eine Stunde lang atem-
raubend schön gewesen war, endgültig in
den Abgründen des Sports angekommen.
„Ich würde gerne mehr über Fußball
reden. Ich habe ein richtiges Spitzenspiel
gesehen, es ging hoch, runter, mit Chancen
auf beiden Seiten“, sagte Marco Rose, als
er noch nichts von der Bellingham-Wen-
dung wusste. Von einer Vorentscheidung
im Titelkampf mochte der Dortmunder
Trainer nicht sprechen: „Die Saison ist
noch lang“, die beiden besten Teams der
Liga hätten „schon auf Augenhöhe agiert“,
obgleich der BVB „einfach besser werden“
müsse, „um dauerhaft da oben reinzurie-
chen“. Die Defensive lässt viel zu viele geg-
nerische Chancen zu, aber dieses Thema
ist etwas für ruhigere Tage. Nun ging es um
die Schiedsrichter, die zum Ärger der Dort-
munder nach einem Zweikampf zwischen
Lucas Hernández und Marco Reus im
Münchner Strafraum beim Stand von 2:2
nicht einmal eine Überprüfung in der
Review Area vornahmen.
Hier hatte Zwayer „einen Kontakt im
Oberkörperbereich“ gesehen, „da darf
Kontakt stattfinden“, sagte er später. Eine
Argumentation, die Jochen Drees, Projekt-
leiter für den Videobeweis, am nächsten
Tag stützte. Dass Hernández Reus’ Ober-
körper mit seinem Arm und seiner Hand
gestoßen und überdies noch ein Kontakt
am Bein stattgefunden hatte, übersahen
aber sowohl Zwayer als auch Tobias Welz,
sein Assistent in Köln. Die Dortmunder
waren sich einig, dass Hernández Reus
eindeutig gefoult hatte, selbst der Münch-
ner Trainer Julian Nagelsmann sagte: „Es
gab schon Schiedsrichter, die das gegeben
hätten.“ Aber diese Szene, die man wohl
auch auf eine Abseitsstellung von Haaland
hätte untersuchen müssen, wäre keine gro-
ße Sache gewesen, wenn nicht die andere
Entscheidung gefallen wäre, in der ein
Grundproblem der Schiedsrichter bei ihrer
Arbeit mit den Bildern erkennbar wurde.
Nach einem Handspiel von Mats Hum-
mels im eigenen Strafraum betrachtete
Zwayer in der Review-Area immer wieder
einen kleinen Ausschnitt der Situation,
vorwärts und rückwärts. Zu sehen war, wie
Hummels sich in die Flugbahn des Balles
hineinbewegt, der ihm dann auf den tat-
sächlich recht weit abgespreizten Arm fällt.
Der Videoassistent habe ihm gesagt, „dass
Hummels den Arm in einer unnatürlichen
Haltung vom Körper weggestreckt hat und
schnitt der Situation gezeigt und diesen
mit den zweifellos zutreffenden Worten
Roses beschrieben, wäre die Entschei-
dung sehr wahrscheinlich anders ausge-
fallen. Mit der Aussage, Hummels habe
den Ball „deutlich mit dem Ellenbogen
abgewehrt“, erweckten die Schiedsrich-
ter stattdessen den Eindruck, der Vertei-
diger habe in fester Absicht agiert. Die
Frage nach dem Motiv für ein Handspiel
soll ja seit Saisonbeginn im Zentrum der
Abwägungen stehen. Um dem Abwehr-
chef in dieser Szene Absicht zu unterstel-
len ist jedoch eine ordentliche Portion
Fantasie erforderlich.
In jedem Fall haben die Dortmunder
Gründe, sich wieder einmal in einem Spiel
gegen München ungerecht behandelt zu
fühlen. Wie schon beim für den Meisterti-
tel elementar wichtigen Duell im Frühjahr
2020, als die Bayern viel Glück hatten,
weil die Videoschiedsrichter ein sehr kla-
res Handspiel von Jerome Boateng im
eigenen Strafraum übersehen haben. Bel-
linghams Behauptung, dass etwas schief-
läuft mit den Schiedsrichtern, wenn der
BVB gegen die Bayern spielt, hat eine Vor-
geschichte, und wahrscheinlich wird sie
auch ein Nachspiel haben.
Schiedsrichter Zwayer
wird den Schatten
des Hoyzer-Skandals
nicht los.
Arm plumpste. Kein Pfiff. Der Unter-
schied: Die erste Szene schaute sich
Zwayer nicht noch mal an der Seiten-
linie an. Die zweite schon – und gab
den Strafstoß, den Robert Lewandow-
ski zum 3:2 verwandelte.
Den Unterschied versuchte Zwayer
im „Sky“-Interview zu erklären. In der
Reus-Szene habe er einen „robusten
Zweikampf“ wahrgenommen, den er
wegen seiner „großzügigen Linie“
nicht ahnden wollte. In der Hummels-
Szene habe er „faktische Berührung“
mit dem Arm wahrgenommen, aber
nicht, ob und wie der vom Körper
weggestreckt gewesen und damit
strafbar war. Das hörte sich verständ-
lich an – noch mehr aber konnte man
Emre Can verstehen, der sagte: „Jetzt
reden wir wieder über den Schieds-
richter, und es war in der Vergangen-
heit leider zu oft für die Bayern.“
Man verbreitet keine Verschwö-
rungstheorie, wenn man sagt, dass die

Wenn es ernst wird, funktionieren alle Bayern
Abseits strittiger Entscheidungen: In der Bundesliga verliert der Serienmeister keine Partie, die er aus strategischer Sicht nicht verlieren sollte
cfm. DORTMUND. Vor vier Wochen
hat Karl-Heinz Rummenigge einen
Spruch gemacht, der sogar für seine Ver-
hältnisse außergewöhnlich arrogant
war. „Jetzt können wir schon langsam
die Meisterschale etwas entstauben“,
sagte er der „Bild“-Zeitung an einem
Bundesliga-Wochenende, an dem der
FC Bayern München 2:1 gewonnen und
Borussia Dortmund 1:2 verloren hatte.
In der Tabelle dieses elften Spieltags
waren die Vereine vier Punkte vonein-
ander getrennt. Und obwohl der
Abstand danach auf einen Punkt
geschrumpft war, muss man davon aus-
gehen, dass Rummenigge sich vor dem
Duell in Dortmund keine Sorgen
gemacht hatte, ob sein Spruch ihm spä-
ter um die Ohren fliegen könnte. Er war
in den vergangenen neun Saisons, in
denen die Meisterschale in München
verstaubte, der Vorstandsvorsitzende.
Er weiß, was in solchen Spielen passiert.
Am Samstagabend hat der FC Bayern
im Stadion seines stärksten Konkurren-
ten 3:2 gewonnen – und an eine noch
nicht so alte Faustregel des deutschen
Fußballs erinnert: In der Bundesliga ver-
liert der Serienmeister kein Spiel, das er
aus strategischer Sicht nicht verlieren
sollte. Meistens gewinnt er sogar. Manch-
mal auch, weil er von den Entscheidun-
gen des Schiedsrichters profitiert.
Es ist später aus guten Gründen viel
über die Pfiffe und Nicht-Pfiffe von Felix
Zwayer diskutiert worden (siehe Kom-
mentar rechts und Text oben). Man sollte
deswegen aber nicht verschweigen, dass
der BVB mal wieder fahrlässig und feh-
lerhaft verteidigt hat. Vor dem ersten Tor
von Robert Lewandowski patzte Abwehr-
chef Mats Hummels. Vor dem zweiten
Gegentor durch Kingsley Coman wurde
Hummels von Raphaël Guerreiro ange-
schossen. Das reichte den Bayern, um aus
dem Rückstand – Julian Brandt hatte in
der fünften Minute das 1:0 geschossen –
eine Führung zu machen. „Wir sollten zur
Halbzeitpause deutlicher führen“, Trai-
ner Julian Nagelsmann. Man konnte ihm
kaum widersprechen. Auch nicht, als er
danach den Einfluss des Spiels auf den
Ausgang der Meisterschaft einschätzte:
„Es ist noch nichts entschieden gegen
Dortmund, es waren allerdings mit
Sicherheit Big Points.“
Es liegt nun schon drei Jahre zurück,
seit der BVB in der Bundesliga gegen die
Bayern Punkte gewinnen konnte.
Damals, im November 2018, siegte die
Mannschaft mit dem Trainer Lucien Fa-
vre und dem falschen Neuner Mario Göt-
ze 3:2. Am Ende reichte der Erfolg aber
nicht, um die Meisterschale aus Mün-
chen zu entführen. Das dürfte sich auch
unter dem Trainer Marco Rose und dem
echten Neuner Erling Haaland nicht
ändern, wenn man den vergebenen
Heimvorteil (der durch die neuen Coro-
na-Maßnahmen auf 15 000 Zuschauer
beschränkt war) und die Historie (der
BVB lässt gegen kleinere Klubs mehr
Punkte liegen als Bayern) miteinbezieht.
Mitten drin: Ersatzmann Tolisso (links) spielt eine wichtige Rolle.
Ein Fazit, das man so auch formulieren
müsste, wenn der Schiedsrichter das
Handspiel von Hummels nicht mit dem
spielentscheidenden Strafstoß geahndet
hätte. Schon ein Unentschieden wäre für
den Meister aus strategischer Sicht
akzeptabel gewesen.
Foto Reuters
Das führt, wenn man das Offensichtli-
che (mehr Geld) ausklammert, wieder
zur Frage dieses Spieltags – und der ver-
gangenen Spielzeiten: Warum verliert
der FC Bayern die Spiele nicht, die er
nicht verlieren sollte?
Am Beispiel von Corentin Tolisso kann
man das gut erklären. Der französische
Mittelfeldspieler stand nur deswegen in
der Startelf, weil Joshua Kimmich
(Covid-19) und auch Marcel Sabitzer
(Wadenverletzung) fehlten. Er ist der
Ersatz für den Ersatz. In dieser Bundesli-
gasaison durfte er nur einmal durchspie-
len. Am vergangenen Spieltag gegen
Arminia Bielefeld. Und trotzdem hat er
im bisher wohl wichtigsten Spiel der Sai-
son die Erwartungen übertroffen. Seine
dynamische Art passte zu dem dynami-
schen Spiel (wobei man „dynamisch“ in
der kritischen Variante auch mit unkon-
trolliert übersetzen konnte). Tolisso ist
kein Spielmacher, kein Taktgeber. Er war
aber das, was seine Mannschaft brauchte:
ein Mittelfeldmann mit guter Laufleis-
tung und Zweikampfhärte. Wenn es
wichtig wird, funktionieren beim FC Bay-
ern sogar die Ersatz-Ersatzspieler. Man
muss diesen Satz wegen der Anfälligkeit
der Abwehr, die am Samstag nicht zu
übersehen war, aber einschränken. Er ist
nur für die Bundesliga gültig, nicht für die
K.-o.-Runde der Champions League.
Bayern in der Bundesliga mit den Ent-
scheidungen der Schiedsrichter nicht
zum ersten Mal glücklicher sein kön-
nen als ihr Rivale aus dem Ruhrpott.
Das Gefühl der Ungleichbehandlung
führte dazu, dass der 18-jährige Jude
Bellingham dem Streamingdienst Via-
play sagte: „Man gibt einem Schieds-
richter, der schon mal Spiele verscho-
ben hat, das größte Spiel in Deutsch-
land. Was erwartest du?“ Das war
eine Anspielung auf den Hoyzer-
Skandal, in dem Zwayer im Mai 2004
vor dem Spiel SV Wuppertal gegen
Werder Bremen II 300 Euro angenom-
men hatte, um als Linienrichter zu
helfen, „kritische Situationen für den
Wuppertaler SV zu vermeiden“. So
steht es in einem Urteil des DFB-
Sportgerichts, das Zwayer sperrte.
Der DFB, der den heutigen FIFA-Re-
feree danach förderte, verheimlichte
die Strafe, die durch eine Recherche
öffentlich wurde. Und die sich in den
Kabinen der Liga offenbar noch
immer erzählt wird.
Als Antwort auf den Abend sollte
man mal wieder über Eingriffsricht-
linien des Videoassistenten nachden-
ken – und darüber, ob man Felix
Zwayer so ein Spiel noch anvertrau-
en will. Er mag dieses Mal nur nicht
stringent entschieden haben. Dafür
aber, das deuten die Aussagen der
Dortmunder an, hat er die wichtigste
Währung verloren, die ein Schieds-
richter hat: den Respekt der Spieler.

RISS IM RB-IMPERIUM QATAR PROBT DIE WM JUGEND SCHREIBT MITTEN IM MEHRKAMPF

Erst Salzburg – und dann ab nach Von allem nur das Beste und Trampelpfad zum Fitz Roy: Der neue DOSB-Präsident Weikert
Leipzig: Im Fall von Jesse Marsch Teuerste: Der Arab Cup als Ein Mann aus Mainz radelt macht Tempo. Und es gibt auch
funktionierte das nicht. Ouvertüre voller Illusionen. ein Jahr lang durch Südamerika. schon eine Einladung vom IOC.
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SE I TE 2 4 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284 Sport FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG

Hoffenheim im Aufwind Hertha holt 2:2 beim VfB

Bloß keine
großen Träume
Immer Pech ist ...? Jovetic rettet
Korkuts Premiere
Bei Mats Hummels häufen sich die unglücklichen Situationen. So ist der
raw. SINSHEIM. Natürlich kam die erwarte- dpa. STUTTGART. Mit zwei Toren nach
te Frage nach der Champions League. Doch Weltmeister von 2014 seiner Mannschaft keine große Hilfe mehr. einem 0:2-Rückstand hat Stevan Jovetic die
was machte Sebastian Hoeneß? Lässig und Trainer-Premiere von Tayfun Korkut bei Her-
gekonnt kommentierte der Hoffenheimer Von Daniel Theweleit, Dortmund tha BSC zumindest halbwegs gerettet. Der 32-
Trainer den Griff zu den Sternen in der Art Jährige sicherte den Berlinern am Sonntag in
und Weise, dass er kein einziges Mal das Wort der Fußball-Bundesliga noch das 2:2 und
Champions League in den Mund nahm. damit einen Punkt im Spiel beim VfB Stutt-
Sicherlich: Das 3:2 gegen die Frankfurter Ein- gart. Omar Marmoush (15. Minute) und Phi-

L
tracht ist jetzt schon der ange noch stand Mats Hummels nach standschef des FC Bayern, sagte am Sonntag bei lipp Förster (19.) hatten
fünfte Heimsieg in Folge dem Abpfiff bei den Schiedsrichtern, dis- Bild-TV: „Es ist bekannt, dass Mats Probleme Korkuts früheren Klub
für seine stabil funktionie- kutierte, versuchte zu überzeugen, auch hat, wenn er in Laufduelle gehen muss – das ist früh in Führung gebracht,
rende und harmonierende wenn er wusste, dass diese 2:3-Niederlage gegen dem Alter geschuldet.“ doch Jovetic (40./76.)
Mannschaft. Doch der den FC Bayern unabwendbar feststand. Hummels kämpft mit dauerhaften Kniepro- schlug noch zurück. Die
TSG-Coach weiß, dass erst Womöglich befand sich der Abwehrspieler in blemen, seine einstmals legendären Vertikalbäl- abstiegsgefährdeten Berli-
14 Spieltage absolviert und ner blieben sechs Tage
Foto AFP

diesen Momenten auf der Suche nach Mitver- le mit dem Außenrist schlägt er auch nur noch

Foto dpa
die erreichten 23 Punkte antwortlichen für dieses bittere Erlebnis, und er selten, und die flachen Pässe in die vorderen nach der Trennung von Pal
Sebastian Hoeneß nur eine Momentaufnah- wusste: Seine Argumente in der Kontroverse Mittelfeldbereiche überlässt er lieber Akanji, Dardai auch im fünften Tayfun Korkut
me sind. Eine schöne mit den Unparteiischen würden sicher überzeu- weil dieser einfach zuverlässiger ist. Und Ligaspiel nacheinander
immerhin, denn am Samstag kletterten die gender sein als Versuche, seine Leistung zu wenn Hummels seine Abwehrkette ver- sieglos, konnten in der Tabelle aber als Vier-
Kraichgauer, die sich nach dem vormaligen erklären. Felix Zwayer und seine Assistenten lässt, um nach vorne zu verteidigen, lässt zehnter zumindest den VfB auf Distanz hal-
6:3 bei der Spielvereinigung Greuther Fürth ten. Die Stuttgarter, nach dem 2:1-Sieg gegen
hatten eine der unglücklichen Hummels-Szenen er sich immer öfter überspielen. Oben
auch gegen die Eintracht in prächtiger Torlau- Mainz 05 mit frischem Selbstvertrauen ausge-
ne präsentierten, vorläufig rauf auf Tabellen- mit ihrer Elfmeterentscheidung zum Schlüssel- auf der Tribüne saß Hansi Flick, der stattet, begannen furios, schon nach 19 Minu-
platz vier. Hoeneß stellte nach dem Prestige- moment der Partie gemacht. Das konnte man sicher auch wahrnimmt, dass Hummels ten stand es 2:0. Die Herthaner schienen kurz
sieg gegen den hessischen Ländernachbarn ihnen gut vorwerfen. derzeit nicht in der Form eines Natio- beeindruckt, schöpften durch eine gekonnte
vielmehr etwas anderes heraus, das ihn bren- nalspielers auftritt. Der Bundestrainer Einzelaktion von Ishak Belfodil aber neue
nend interessiert: „Es geht für mich um Ent- kann das verkraften, er hat Alternati- Hoffnung (34.). Dessen Treffer zählte wegen
wicklung“, sagte er – und der neben ihm sit- MANN DES ven. Bedenklich müssen Hummels’ einer Abseitsposition nicht, bewirkte aber
zende Eintracht-Trainer nickte zustimmend. SPIELTAGS Schwächen hingegen für Dortmunds eine Art Hallo-wach-Effekt. Sechs Minuten
Auch Oliver Glasner geht es um Entwicklung Trainer Rose sein. später war der Anschlusstreffer besiegelt.
und Perspektive. Bei der Eintracht stimmt sie
MATS Denn beim BVB fehlen hochklassi- Nach der Pause wurde die Hertha mutiger und
halbwegs, bei der TSG ganz besonders. HUMMELS ge Ersatzleute. Marin Pongracic ist jubelte ein zweites Mal dank Jovetic.
nicht noch nicht richtig in Dortmund
angekommen, und der hoch veranlag-
3:2-Sieg in Augsburg Mit etwas Abstand dürfte sich der als selbst-
kritischer Mensch bekannte Profi jedoch auch
te Dan-Axel Zagadou ist so oft verletzt, Mainz siegt mit Blitzstart
dass seine Entwicklung zuletzt sta-
mit den eigenen Fehlern auseinandersetzen, mit gnierte. Aber es wäre ohnehin schwie-
seiner Form und vielleicht sogar mit seiner rig, Hummels auf die Bank zu setzen,
Bochum freut sich Zukunft. Denn der 32 Jahre alte Weltmeister
von 2014 ist derzeit in vielen Momenten keine
weil seine Verdienste um den BVB so
groß sind und seine meist klugen Worte
Und nun zu
sehr große Hilfe mehr für seine Mannschaft.
auf das Derby „Das war nicht immer der beste Fußball“, sagte
Trainer Marco Rose und meinte damit sicher
so viel Gewicht haben. Als die Dortmun-
der Ende November ohne ihren gesperr-
ten Anführer in Lissabon ausschieden,
den Bayern!
auch die Fehler in der Abwehr und im Spielauf- fehlte zudem der beruhigende Einfluss
sid. AUGSBURG. Nach einer wilden Achter- bau, an denen Hummels beteiligt gewesen ist. aus der letzten Reihe, der von diesem dpa. MAINZ. Die 10 000 zugelassenen Fans
bahnfahrt freute sich Thomas Reis auf eine Wobei diese Schwächen nicht ganz überra- erfahrenen Profi ausgeht. Die Dort- sangen unentwegt, das Team tanzte auf dem
entspannte Rückreise tief hinein in den Wes- schend kamen. Es gab in dieser Saison schon munder müssen also vorerst klarkom- vom Regen komplett durchnässten Rasen,
ten. „Wir sind glücklich und fahren auch ger- etliche wegweisende Situationen, an denen men mit den Defiziten dieses Spie- und auch Sportvorstand Christian Heidel war
ne mit den drei Punkten nach Hause“, sagte Hummels entweder als Fehlerproduzent oder lers. begeistert. „Ich möchte nicht zu euphorisch
der Trainer des VfL Bochum nach dem aufre- als Pechvogel beteiligt war. Wobei das gar nicht Wenn Hummels aber noch einmal werden, aber das war heute ein Mainz-05-
genden 3:2 beim FC Augsburg, das den Auf- immer so einfach zu trennen ist. Spiel, in dem ich mich eigentlich an keine
steiger nach einer 3:0-Pausenführung mehr zu den stärksten Akteuren in einem Wolfsburger Chance erinnern kann. Wenn
Die völlig unberechtigte Rote Karte beim 1:3 Team zählen möchte, das deutscher
Nerven gekostet hatte als nötig. Tatsächlich gegen Ajax Amsterdam war so ein Moment. man ihre Offensive sieht, zeigt das, was wir in
hätte das Spiel auch anders ausgehen können. Meister werden oder die Europa der Defensive geleistet haben. Es war ein
Genau wie das Handspiel vom Samstag, das League gewinnen kann, benötigt er
Was nach den Treffern des starken Sebastian hochverdienter Sieg“, sagte Heidel nach dem
zum Elfmeter und zum Siegtor für die Bayern eine längere Phase in Topform.
Polter (23./45.+2) und des ebenfalls auffälli- 3:0-Erfolg.
gen Gerrit Holtmann (40.) zunächst nicht führte. Auch seine Beteiligung am zweiten Wohin die Reise gehen würde, ließ sich
wahrscheinlich schien. Doch schon in der ers- Münchner Tor war kein klarer Fehler, er war schon nach vier Minuten erkennen – durch
ten Halbzeit hatte Augsburg gute Chancen unglücklich von seinem Kollegen Raphael Tore von Jonathan Burkardt (2. Minute) und
besessen, und am Ende hätte sich kein Bochu- Guerreiro angeschossen worden, woraufhin Anton Stach (4.) legte Mainz rasant vor, ein
mer beschweren dürfen, wären noch wesent- Kingsley Coman an den Ball kam und traf. Aber Eigentor des Wolfsburgers Maxence Lacroix
lich mehr Gegentreffer gefallen als jene durch der weise Thomas Müller hat irgendwann ein- (90.) sorgte für die Schlusspointe. Nach drei
Michael Gregoritsch (57.) und Daniel Cali- mal den schönen Satz „Immer Glück ist Kön- sieglosen Partien kam der souveräne Heim-
giuri (86., Foulelfmeter). nen!“ gesagt. Im Umkehrschluss wirft die Häu- sieg gegen überforderte Wolfsburger zur rich-
Nachvollziehbar war daher, dass bei Augs- fung des Pechs im Spiel von Mats Hummels die tigen Zeit. Stürmer Burkardt betrieb mit sei-
burg die Enttäuschung tief saß. „Das war ein Frage auf, ob er derzeit gut genug ist für Topleis- nem siebten Saisontor und vielen weiteren
Rückschlag“, sagte Trainer Markus Wein- tungen auf höchstem internationalen Niveau. tollen Aktionen mal wieder viel Eigenwer-
zierl. Allerdings einer, der aus seiner Sicht Zumal ihm auch noch schlimme Fehler ganz bung Richtung Nationalmannschaft.
erklärbar war: Gleich vier Innenverteidiger Mainz ist als Tabellensiebter mit 21 Punk-
fehlten, die Angreifer vergaben genug Chan- ohne Einfluss von Zufällen unterlaufen. ten nun wieder in Europapokal-Reichweite.
So wie gegen München vor dem 1:1, als er Aus der Balance:
cen für zwei Siege. Rosig ist die Lage aller- Bei Mats Hummels passt Zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres hatten
dings nicht: Relegationsplatz 16, und jetzt unter Druck an der Mittellinie den Ball verlor. die Rheinhessen gerade sechs Punkte auf dem
das Verhältnis zwischen
folgen die Spiele beim 1. FC Köln und gegen Ein missratener Brust-Pass hätte in der ersten Risikobereitschaft und Konto und drohten in Richtung Zweite Bun-
RB Leipzig. Hälfte beinahe noch ein weiteres Gegentor ein- Fehlerquote nicht mehr. desliga abzurutschen. „Die Mannschaft hat
Aufsteiger Bochum wiederum empfängt geleitet. In fast jedem Spiel der vergangenen Foto Witters einen Plan, und es ist eine tolle Leistung des
nun erst mal Borussia Dortmund, und Reis Wochen lassen sich solche Situationen finden, Trainerteams, dass jeder weiß, was er zu leis-
hat schon Mühe, die Aufregung in Grenzen zu die Balance zwischen Risikobereitschaft und ten hat – das ist überragend, weil wir so jedem
halten: „Das ist ein Derby, und wir freuen uns Fehlerquote passt nicht mehr bei Hummels. Gegner Probleme bereiten können“, sagte
drauf“, sagte er, „aber wenn du elf Jahre nicht Karl-Heinz Rummenigge, der langjährige Vor- Heidel. Das aber wird zu beweisen sein – am
in der ersten Liga warst, sind alle Spiele nächsten Samstag geht es schließlich zum FC
besonders.“ Und jeder Sieg erst recht. Bayern.

Bundesliga 14. Spieltag Spiele - Tore - Zuschauer Zweite Bundesliga 16. Spieltag

Union Berlin – RB Leipzig 2:1 Darmstadt 98 – Fort. Düsseldorf 1:3

1. FC Union Berlin – Borussia Dortmund – Bayer Leverkusen – TSG Hoffenheim – FSV Mainz 05 –
FSV Mainz 05 – VfL Wolfsburg 3:0 RB Leipzig 2:1
Union: Luthe – Friedrich, Knoche, Baumgartl –
Bayern München 2:3
Dortmund: Kobel – Meunier, Akanji, Hummels,
Greuther Fürth
Leverkusen: Hradecky – Frimpong (81.
7:1 Eintracht Frankfurt 3:2
Hoffenheim: Baumann – Posch, Vogt, Richards
VfL Wolfsburg 3:0
Mainz: Zentner – Bell, Hack (86. Nemeth),
Werder Bremen – Erzgebirge Aue 4:0
Bayer Leverkusen – SpVgg Gr. Fürth 7:1 1. FC Nürnberg – Holstein Kiel 2:1
Ryerson, Khedira, Prömel, Gießelmann – Becker Guerreiro (82. Schulz) – Can, Dahoud (60. Kossounou), Tah, Tapsoba, Hincapié – Palacios – Akpoguma, Geiger (54. Stiller), Samassékou Niakhaté – Widmer, Barreiro Martins, Martín –
Arminia Bielefeld – 1. FC Köln 1:1 (80. Voglsammer), Awoniyi (80. Behrens), Kruse Malen) – Brandt (69. Wolf), Reus, Bellingham (62. Aranguiz), Andrich (62. Demirbay) – Diaby, (88. Nordtveit), Raum – Bebou (88. Lee (83. Boetius), Stach – Onisiwo (83. Szalai), FC Hansa Rostock – FC Ingolstadt 04 1:1
(72. Haraguchi). – Haaland (82. Tigges). Wirtz, Adli (62. Bellarabi) – Schick (81. Alario). Baumgartner), Dabbur (73. Kramaric), Rutter Burkardt (76. Ingvartsen).
FC Augsburg – VfL Bochum 2:3 Leipzig: Gulacsi – Mukiele, Klostermann (70. München: Neuer – Pavard, Upamecano, Lucas Fürth: Funk – Barry (77. Asta), Griesbeck, (73. Adamjan). Wolfsburg: Pervan – Lacroix, Guilavogui, SV Sandhausen – SC Paderborn 1:1
1899 Hoffenheim – Eintr. Frankfurt 3:2 Simakan), Gvardiol – Henrichs (64. Forsberg), Hernandez (74. Süle), Davies – Goretzka (65. Bauer, Willems (60. Meyerhöfer) – Dudziak (58. Frankfurt: Trapp – Tuta, Hasebe, Ndicka – Brooks (46. Bornauw) – Baku (46. Mbabu), FC St. Pauli – FC Schalke 04 2:1
Adams, Laimer (70. Kampl), Angelino – Musiala), Tolisso – Coman (88. Nianzou), Seguin), Christiansen (77. Seufert), Tillman – Sow, Jakic (68. Rode) – Chandler (83. Ache), Arnold (46. Gerhardt), Vranckx (81. Philipp),
Bor. Dortmund – Bayern München 2:3 Nkunku, Szoboszlai (78. Brobbey) – Silva. Müller, Sané (65. Gnabry) – Lewandowski. Leweling (60. Nielsen), Abiama, Hrgota. Kostic – Lindström (58. Paciencia), Kamada Paulo Otavio – Lukebakio (57. Waldschmidt), 1. FC Heidenheim – Jahn Regensburg 3:0
Schiedsrichter: Osmers (Hannover). Schiedsrichter: Zwayer (Berlin). Schiedsrichter: Reichel (Stuttgart). (68. Hauge) – Borré. L. Nmecha – Weghorst.
VfB Stuttgart – Hertha BSC 2:2 Zuschauer: 13 506. Zuschauer: 15 000. Zuschauer: 10 455. Schiedsrichter: Schlager (Rastatt). Schiedsrichter: Badstübner (Windsbach). Hannover 96 – Hamburger SV 1:0
Mönchengladbach – SC Freiburg So., 17.30 Uhr Tore: 1:0 Awoniyi (6.), 1:1 Nkunku (13.), 2:1 Tore: 1:0 Brandt (5.), 1:1 Lewandowski (9.), 1:2 Tore: 1:0 Adli (12.), 2:0 Tapsoba (17.), 2:1 Zuschauer: keine. Zuschauer: 10 000. Dynamo Dresden – Karlsruher SC 3:1
Baumgartl (57.). Coman (44.), 2:2 Haaland (48.), 2:3 Dudziak (33.), 3:1 Hincapié (45.), 4:1 Schick Tore: 0:1 Borré (15.), 1:1 Geiger (24.), 2:1 Tore: 1:0 Burkardt (2.), 2:0 Stach (4.), 3:0
Verein Sp. g. u. v. Tore Pkte. Lewandowski (77./Handelfmeter). (49.), 5:1 Schick (69.), 6:1 Schick (74.), 7:1 Rutter (30.), 3:1 Samassékou (59.), 3:2 Lacroix (90./Eigentor). Verein Sp. g. u. v. Tore Pkte.
Besonderes Vorkommnis: Gelb-Rote Karte für Schick (76.). Paciencia (72.).
1 Bayern München 14 11 1 2 45:15 34 1 FC St. Pauli 16 11 2 3 36:19 35
Trainer Rose (Dortmund, 78.).
2 Bor. Dortmund 14 10 0 4 35:22 30 2 Darmstadt 98 16 9 2 5 38:20 29
3 Bayer Leverkusen 14 8 3 3 35:19 27 3 Jahn Regensburg 16 8 4 4 33:23 28
2:2 Zahl des Tages
FC Augsburg – Arminia Bielefeld – VfB Stuttgart –
4
5
1899 Hoffenheim
Union Berlin
14
14
7
6
2
5
5
3
30:22
22:20
23
23
VfL Bochum 2:3
Augsburg: Gikiewicz – Framberger (31. Jensen),
1. FC Köln 1:1
Bielefeld: Ortega – Brunner, Pieper, Nilsson,
Hertha BSC
Stuttgart: F. Müller – Mavropanos, Anton, Ito
4 SC Paderborn 16 7 6 3 30:18 27
5 1. FC Nürnberg 16 7 6 3 23:16 27
6 SC Freiburg 13 6 4 3 19:13 22 Gumny, Winther, Iago – Maier (46. Moravek),
Dorsch – Caligiuri, Vargas (80. Niederlechner) –
Laursen – Prietl, Kunze (57. Lasme) – Wimmer
(72. Hack), Schöpf, Okugawa – Klos (84.
– Sosa, Massimo (46. Tibidi), Mangala (75.
Karazor), Endo, Förster, Marmoush – Al
Vorsicht, ein Aufsteiger 15 6 1. FC Heidenheim 16 8 3 5 19:20 27
7 FSV Mainz 05 14 6 3 5 20:14 21 Hahn (80. Cordova), Zeqiri (41. Gregoritsch). Krüger). Ghaddioui (63. Silas). Der FC Augsburg hat keines der letzten 15 Heimspiele
7 Hamburger SV 16 6 8 2 27:17 26
8 VfL Wolfsburg 14 6 2 6 15:20 20 Bochum: Esser – Stafylidis, Masovic, Köln: Schwäbe – Schindler (70. Ehizibue), Berlin: Schwolow – Pekarik, Boyata, gegen einen Aufsteiger gewonnen (8 Remis, 7
Lampropoulos, Danilo Soares – Losilla – Löwen Kilian, Czichos, Schmitz – Özcan, Skhiri – Torunarigha (72. Boateng), Plattenhardt – Niederlagen). Diese Negativserie ist einzigartig in der 8 FC Schalke 04 16 8 2 6 29:21 26
9 1. FC Köln 14 4 7 3 23:23 19 (79. Tesche), Rexhbecaj (89. Leitsch) – Ljubicic, Duda (65. Thielmann), Kainz (84. Ascacibar, Darida, Marco Richter (72. Stark), 9 Werder Bremen 16 6 5 5 25:22 23
Holtmann (79. Antwi-Adjej), Asano (61. Schaub) – Modeste (65. Andersson). Maolida (63. Ekkelenkamp) – Belfodil (85. Historie der Spielklasse.
10 VfL Bochum 14 6 1 7 15:22 19 Pantovic) – Polter (79. Ganvoula). Schiedsrichter: Brych (München). Piatek), Jovetic. 10 Karlsruher SC 16 5 6 5 26:24 21
11 RB Leipzig 14 5 3 6 25:18 18 Schiedsrichter: Aytekin (Oberasbach). Zuschauer: 8231. Schiedsrichter: Brand (Gerolzhofen).
11 Fort. Düsseldorf 16 5 4 7 22:23 19
12 Mönchengladbach 13 5 3 5 18:18 18 Zuschauer: keine. Tore: 0:1 Özcan (17.), 1:1 Lasme (59.). Zuschauer: 750.
Tore: 0:1 Polter (23.), 0:2 Holtmann (40.), 0:3 Tore: 1:0 Marmoush (15.), 2:0 Förster (19.), 2:1 12 Dynamo Dresden 16 6 1 9 19:22 19
13 Eintr. Frankfurt 14 4 6 4 18:20 18 Polter (45.+2), 1:3 Gregoritsch (57.), 2:3 Jovetic (40.), 2:2 Jovetic (76.).
Caligiuri (86./Foulelfmeter). 13 FC Hansa Rostock 16 5 4 7 19:26 19
14 Hertha BSC 14 4 3 7 15:29 15
14 Holstein Kiel 16 4 5 7 18:28 17
15 VfB Stuttgart 14 3 5 6 20:25 14
15 Hannover 96 16 4 5 7 11:22 17
16 FC Augsburg 14 3 4 7 14:25 13
17 Arminia Bielefeld 14 1 7 6 10:20 10 16 Erzgebirge Aue 16 3 5 8 14:26 14
Werder Bremen – FC St. Pauli – SV Sandhausen – Hannover 96 – Dynamo Dresden –
18 SpVgg Gr. Fürth 14 0 1 13 12:46 1 Erzgebirge Aue 4:0
Tore: 1:0 Schmid (7.), 2:0 Veljkovic (19.), 3:0
FC Schalke 04 2:1
Tore: 1:0 Burgstaller (20.), 2:0 Burgstaller (39.),
SC Paderborn 1:1
Tore: 0:1 Mehlem (5.), 1:1 Ajdini (90.+3).
Hamburger SV
Tore: 1:0 Maina (13.).
1:0 Karlsruher SC 3:1
Tore: 1:0 Königsdörffer (47.), 1:1 Schleusener
17
18
SV Sandhausen
FC Ingolstadt 04
16
16
3
1
4
4
9
11
17:34
10:35
13
7
■ Champions League ■ Europa League ■ Europa-Conference-League- Ducksch (53.), 4:0 Füllkrug (57.). 2:1 Zalazar Martinez (75.). (53.), 2:1 Königsdörffer (55.), 3:1 Daferner
Play-offs ■ Relegation ■ Abstiegsplätze Bes. Vorkommnis: Huth (Paderborn) hält
Foulelfmeter von Testroet (17.). (69.). ■ Aufstiegsplätze ■ Relegation ■ Abstiegsplätze
1. FC Heidenheim –
Nächste Spiele: Fr., 10.12., 20.30 Uhr: 1. FC Köln – FC Augsburg; Sa., 11.12.,
15.30 Uhr: Bayern München – FSV Mainz 05, Hertha BSC – Arminia Bielefeld,
SV Darmstadt 98 –
Fortuna Düsseldorf 1:3
1. FC Nürnberg –
Holstein Kiel 2:1 Hansa Rostock –
Jahn Regensburg 3:0
Tore: 1:0 Kühlwetter (23.), 2:0 Leipertz (77.),
Bes. Vorkommnis: Gelb-Rote Karte für Choi
(Karlsruhe), wiederholtes Foulspiel (61.).
Nächste Spiele: Fr., 10.12., 18.30 Uhr: FC Schalke 04 – 1. FC Nürnberg, Jahn
Regensburg – Werder Bremen; Sa., 11.12., 13.30 Uhr: FC Ingolstadt 04 –
RB Leipzig – Mönchengladbach, SC Freiburg – 1899 Hoffenheim, VfL Bochum –
Bor. Dortmund; Sa., 11.12., 18.30 Uhr: VfL Wolfsburg – VfB Stuttgart; So., Tore: 0:1 Hennings (16.), 0:2 Gjasula (41./
Eigentor), 0:3 Narey (76.), 1:3 Tietz (85./
Tore: 1:0 Schäffler (6.), 2:0 Shuranov (63.), 2:1
Korb (88.).
FC Ingolstadt 1:1
Tore: 0:1 Keller (41.), 1:1 Verhoek (49.).
3:0 Schöppner (90.).
Bes. Vorkommnis: Rote Karte für Otto
Hannover 96, Holstein Kiel – SV Sandhausen, SC Paderborn – Darmstadt 98;
Sa., 11.12., 20.30 Uhr: Fort. Düsseldorf – FC St. Pauli; So., 12.12., 13.30 Uhr:
12.12., 15.30 Uhr: SpVgg Gr. Fürth – Union Berlin; So., 12.12., 17.30 Uhr: Eintr. Erzgebirge Aue – Dynamo Dresden, Hamburger SV – FC Hansa Rostock,
Frankfurt – Bayer Leverkusen Foulelfmeter). (Regensburg), Tätlichkeit (42.). Karlsruher SC – 1. FC Heidenheim
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Der Ball will
nicht ins Tor
Bielefeld spielt gut –
und nur 1:1 gegen Köln
rz. BIELEFELD. Auf den ersten
Blick kam alles wie erwartet. Die
Remis-Spezialisten der Bundesliga
trennten sich 1:1 – das jeweils siebte
Unentschieden von Arminia Bielefeld
und dem 1. FC Köln in dieser Spiel-
zeit. Die Ostwestfalen bleiben auf der
Suche nach dem ersten Heimsieg der
Saison, während die Rheinländer
noch immer auf ihren ersten Aus-
wärtserfolg warten. Auf den zweiten
Blick aber konnte sich nur der FC mit
dem Tagesertrag halbwegs arrangie-
ren. Schließlich haben die Kölner
schon neunzehn Punkte beisammen,
während die Bielefelder auf dem
Abstiegsplatz 17 bei gerade mal zehn
Pünktchen händeringend auf der
Suche nach dem Anschluss zu den
Mannschaften vor ihnen sind. Wäre
die Partie gerecht ausgegangen, hätte
die Arminia am Samstag angesichts
eines deutlichen Chancenplus gewon-
nen. So blieb nur die Erkenntnis, dass
der Aufwärtstrend aus den vergange-
nen vier Spielen, ausgelöst durch den
1:0-Erfolg in Stuttgart, bestätigt durch
die – was sonst? – Unentschieden
gegen Wolfsburg und Köln und nicht
gekippt bei der achtbaren 0:1-Nieder-
lage in München, anhält. Was fehlt, ist
der Booster-Effekt, der gegen die Köl-
ner so nah wie selten schien.
Also müssen die Arminen, spiele-
risch gegenüber der vorigen Aufstei-
gersaison deutlich verbessert, weiter
auf die Wende durch Siege hoffen.
Manuel Prietl, der Kapitän der unver-
zagten Mannschaft, legte nach dem
1:1 durch die Treffer des Kölners Salih
Öczan (17. Minute) und das erste
Bundesligator des Franzosen Bryan
Lasme (59.), ein Glaubensbekenntnis
aus fester Überzeugung ab: „Arminia
lebt“, hob der österreichische Vor-
arbeiter aus dem defensiven Mittel-
feld hervor, „wir wollen auf Platz 15.“
An Komplimenten für die Qualität
der Bielefelder Mannschaft fehlte es
auch diesmal nicht. So hielt der Köl-
ner Trainer Steffen Baumgart fest:
„Wir sind auf eine Mannschaft getrof-
fen, die den Abstiegskampf komplett
angenommen, nicht nur gekämpft,
sondern auch gut gespielt hat. Wir
haben einen glücklichen Punkt
geholt.“
Symptomatisch für die verlorene
Bielefelder Effektivität war der zu
Zweitligazeiten gefürchtete Torjäger
Fabian Klos (drei Saisontreffer,
darunter zwei Elfmetertore), der
allein vor dem Kölner Torwart
Schwäbe scheiterte (25.) und kurz
vor der Pause bei einem Kopfball
Pech hatte, dem sich Schmitz auf der
Torlinie in den Weg stellte (45.+2).
Am Ende durfte sich niemand wun-
dern, dass die Bielefelder noch
immer die wenigsten Tore der Liga
(zehn) geschossen haben. Die einzi-
ge Statistik, in der der abgeschlage-
ne Tabellenletzte Greuther Fürth
(zwölf Treffer) Vorletzter ist.
an muss dieser Tage als Fuß-
M gänger gut aufpassen in Doha.
Vor allem im Dunkeln. Gefahr
geht nicht etwa von Überfällen aus –
Straßenkriminalität gibt es im Emirat
Qatar nicht. Nein, es gilt einen Sturz in
eines von gefühlt Hunderten Baustellen-
löchern zu vermeiden. Kaum vorstellbar,
dass es derzeit eine Stadt auf der Welt
gibt, in der mehr gebaggert, Beton gegos-
sen und planiert wird. Ein Jahr vor der
Fußball-WM 2022 im Emirat sind die
acht Stadien des Sport-Großereignisses
zwar fertig. Doch drum herum wird nach
wie vor emsig gebaut: Hotels, Malls,
Apartmentkomplexe und Parks schießen
regelrecht aus dem steinigen Boden –
unmöglich, die Baustellen allesamt auch
noch passantengerecht abzusichern.
Während Doha weiter unaufhörlich
wächst, laufen sich die WM-Organisatoren
zwölf Monate vor dem WM-Start schon
warm. In sechs der acht WM-Stadien wird
gerade der „FIFA Arab Cup“ ausgetragen –
ein Turnier mit 16 Teams aus der Region.
Und der Besucher erhält einen Eindruck
davon, was da im November 2022 auf die
Fußballwelt zukommt: Gigantismus pur.
Und ein ausgetüfteltes Spiel mit Illusionen.
In der wohlhabenden Welt der Emirate,
Scheichs und Öl-Fürsten spielt der Schein
eine große Rolle. Denn natürlich ist die
Fußball-Begeisterung in einem kleinen
Emirat mit nur rund 2,8 Millionen Einwoh-
nern sehr überschaubar. Für die wohlha-
benden 300 000 Einheimischen ist Fußball
so etwas wie eine Matinee-Unterhaltung.
Von den etwa 2,2 Millionen einfachen
Gastarbeitern, die aus asiatischen Entwick-
lungsländern zum Geldverdienen an den
Persischen Golf gekommen sind, weiß
kaum jemand überhaupt, was der Arab
Cup ist. Sie haben andere Sorgen.
Bleibt die schmale, schon eher fußball-
interessierte Mittelschicht – hauptsäch-
lich aus arabischen Nachbarländern
stammend. Aber so bekommt man kaum
Stadien voll. Zumal, wenn wie beim Arab
Cup vier Partien im Großraum Doha an
einem Tag stattfinden. Also werden von
den Veranstaltern zur Auftaktpartie zwi-
schen Tunesien und Mauretanien kurzer-
hand zwei Dutzend bunt verkleidete Mit-
glieder der mauretanischen Gemeinde
Riss im RB-Imperium
Erst Salzburg, dann ab
nach Leipzig – das
funktionierte im Fall von
Jesse Marsch nicht. Der
Wunschkandidat heißt
nun Edin Terzic.
Von Sebastian Stier,
Berlin
D
ie Worte, die Oliver Mintzlaff
am späten Freitagabend wählte,
erreichten Jesse Marsch auf
direktem Wege. Marsch, wegen
einer Covid-Erkrankung immer noch ver-
hindert, saß daheim vor dem Fernseher
und hörte, wie sein Vorgesetzter die
1:2-Niederlage bei Union Berlin einschätz-
te. Mintzlaff wählte die Worte „katastro-
phal“ und „desolat“, ehe er am Mikrofon
des übertragenden Senders DAZN grund-
sätzlich wurde: „Wir haben 18 Punkte aus
14 Spielen, das ist für unseren Anspruch zu
wenig. Wir haben einen Kader, der sicher-
lich zu den drei, vier besten in der Bundes-
liga zählt. Das ist auch unser Anspruch.
Wir werden nicht den Kopf in den Sand
stecken, bis Weihnachten warten und hof-
fen, dass es im neuen Jahr besser wird. Wir
müssen uns Gedanken machen.“
Gedanken haben sich der Leipziger
Geschäftsführer und seine Mitarbeiter
dann mit dem Ergebnis gemacht, dass
Marsch ab sofort nicht mehr Cheftrainer
von RB Leipzig ist. Beim abschließenden
Spiel am Dienstag in der Champions
League gegen Manchester City (18.45
Uhr), bei dem es für die Leipziger um die
Qualifikation für die Europa League
geht, wird Achim Beierlorzer die Mann-
schaft betreuen. Ein Nachfolger für
Marsch soll „zeitnah“ präsentiert wer-
den, hieß es von Seiten des Klubs.
Die Niederlage bei Union brachte
Mintzlaff zur endgültigen Erkenntnis,
dass keine Besserung in Sicht ist. In Berlin
verlor RB das dritte Bundesliga-Spiel hin-
tereinander und hinterließ den Eindruck,
von der Spitzengruppe weiter entfernt zu
sein als je zuvor. Der zwischenzeitliche
Treffer durch Christopher Nkunku war
nur einem schweren Aussetzer von
Unions Torwart Andreas Luthe geschul-
det, die Gegentore durch Taiwo Awoniyi
und Timo Baumgartl waren Ausdruck der
gegenwärtigen Leipziger Verunsicherung.
Bei der abschließenden Bewertung seiner
Arbeit kam Marsch auch nicht mehr zugu-
te, dass die Mannschaft mitunter berau-
schenden Fußball zeigte wie kürzlich
beim 5:0 in Brügge. Eher bestärkten sol-
che Auftritte die Verantwortlichen um
Mintzlaff darin, was dieser Kader eigent-
lich zu leisten imstande wäre.
Die Symptome, an denen RB seit Sai-
sonbeginn krankt, haben sich längst zu
einer schwereren Infektion entwickelt.
Der Mannschaft mangelt es in allen Tei-
len an Stabilität und vor allem am
Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Marsch hatte den Transformationspro-
aus der Stadt in Bussen vor das Ahmad
Bin Ali Stadium gefahren. Tanzen und
Stimmung machen lautet der Auftrag –
beim Anblick der künstlich inszenierten
Begeisterung und der im Hintergrund die
Musikanlage bedienenden und Komman-
dos gebenden Turnier-Mitarbeiter
beschleicht den neutralen Betrachter
allerdings eher peinlich berührtes
Unwohlsein. Immerhin dürfen sich die
verkleideten Stimmungskanonen kosten-
frei das Spiel ansehen.
Richtig große Show dann am selben
Abend im rund 60 Kilometer entfernten
Al Bayt Stadium. Einer Fata Morgana
gleich liegt diese – das muss man zugeben
– wunderschöne Arena am Rand der
Kleinstadt Al Khor im Wüstenstaub.
30 000 Menschen leben hier. In das neue
Stadion, das von außen aussieht wie ein
historisches Beduinen-Zeltlager, passen
doppelt so viele. Ergibt natürlich spätes-
tens nach 2022 keinen Sinn mehr. Al
Khors Erstligateam, der Sportsclub,
spielt für gewöhnlich vor etwa 150
Zuschauern. Der Sportsclub spielt aber
keine Rolle, als am Abend vor immerhin
fast 40 000 Zuschauern der Arab Cup fei-
erlich eröffnet wird. Die Scheichs des
Landes sitzen ebenso in weichen VIP-
Sesseln wie FIFA-Präsident Gianni Infan-
tino. Allesamt genießen sie die giganti-
sche Show voller farbenfroher Tanzeinla-
gen, Feuerwerk und großzügigen Illumi-
nationen. So geht Technik in einem Land,
in dem Geld keine Rolle spielt. Größer,
schöner, bunter. Es muss von allem
immer das Beste sein.
Vom Besten können die Bauarbeiter in
der Stadt nur träumen. Für sie geht es um
die Existenz und die Versorgung ihrer
Familien im fernen Bangladesch, Indien
oder Pakistan. „Arab Cup? Das sagt mir
nichts“, bekennt freimütig Arbeiter
Ganesh, der gemeinsam mit seinem Kol-
legen Jeevan an einer neuen Straßenzu-
fahrt zur „Corniche“, der Küstenstraße
der Stadt, arbeitet. „Natürlich wäre ich
lieber in der Heimat bei meiner Familie.
Aber das geht nicht, dort gibt es keine
Arbeit“, sagt er. 1000 Rial bekommt
Ganesh im Monat, umgerechnet etwa
250 Euro. Dazu ein Mittagessen von der
Firma und freie Unterkunft. „Wir schla-
Sport
Zu viele Baustellen: Jesse Marsch scheitert bei RB Leipzig
zess unterschätzt, den er der Mannschaft
unterzog. Hatte das Team unter Julian
Nagelsmann verstärkt an Lösungen mit
dem Ball gearbeitet, wollte Marsch die
Zeit zurückdrehen und wieder eine Ball-
jagd kultivieren, wie sie in den frühen
Leipziger Jahren unter der Aufsicht von
Ralf Rangnick en vogue war. Dafür ließ
er deutlich intensiver trainieren als sein
Vorgänger. Es dauerte nicht lange, bis
sich ein Teil des mit EM-Fahrern gespick-
ten Kaders zumindest wunderte ob der
neuen Vorgehensweise. Noch weniger
Verständnis aber brachten sie für den von
Marsch verordneten Stilbruch auf. An
Nagelsmanns Ballbesitzfußball hatten
vor allem Stützen wie Emil Forsberg,
Dani Olmo, Kevin Kampl oder Angeliño
Gefallen gefunden. Das Gleiche galt für
die defensive Dreierkette, die Marsch
zuerst wieder zur Viererkette machte, ehe
er auf Anraten der Mannschaft wieder
zum alten System zurückkehrte. Die vie-
len Änderungen sorgten nicht nur für
Unmut, sondern auch für Hilflosigkeit.
Führungskräfte wie Kapitän Peter Gula-
csi deuteten immer wieder an, dass die
Mannschaft sich mit den neuen, alten
Vorgaben nicht wohl fühle. „Die Mann-
schaft war nicht zu 100 Prozent bereit,
dieser Überzeugung und den Matchplä-
Vorhang auf:
Qatar probt die WM
Von allem das Beste – aber mit kurzer Zündschnur
gegen Kritiker und ohne Datenschutz:
Der Arab Cup als Ouvertüre voller Illusionen.
Von Olaf Jansen, Doha
Schmuckstück in der Wüste: Das Education City Stadion
fen da auf sehr engem Raum. Aber es
geht schon“, sagt er.
Qatar ist vor allem von der europäi-
schen Presse hart kritisiert worden, seit
es den WM-Zuschlag erhalten hat.
Wovon Ganesh und seine Kollegen
durchaus profitiert haben. 2015 hat Qatar
das Kafala-System tiefgreifend refor-
miert. Die Arbeits- und Lebensbedingun-
gen der Arbeitskräfte wurden verbessert,
ihre Löhne erhöht, und sie behalten ihre
Pässe. Doch nicht alle Bauunternehmer
halten sich an die neuen Regeln. „Ich
kenne Landsleute“, sagt Ganesh, „denen
nen zu folgen“, sagte Mintzlaff am Sonn-
tag in der Fernsehsendung „Doppelpass“.
Schließlich ist der Kader nicht mehr
wie früher für ein radikales Pressing
zusammengestellt. Am deutlichsten
sichtbar wurde das an Stürmer André Sil-
va. Der war für mehr als 20 Millionen
Euro aus Frankfurt gekommen, wo er in
der vergangenen Saison 28 Tore erzielt
hatte. In Leipzig aber fremdelte er ob der
laufintensiven Aufgaben, die Marsch an
ihn stellte. Die Deutlichkeit, mit der sich
bald schon Sieger und Verlierer des Trai-
nerwechsels herausstellten, war selbst für
Profiverhältnisse ungewöhnlich. Wäh-
rend Nkunku Tor um Tor schoss, war
auch der Spanier Angeliño nur ein Schat-
ten seiner selbst, um nur zwei Persona-
lien zu nennen.
Marschs Mängelliste ist lang, zur Wahr-
heit gehört aber auch, dass der Amerika-
ner zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt
nach Leipzig kam. Neben dem erfolgrei-
chen und beliebten Trainer Nagelsmann
hatten den Klub im Sommer die Verteidi-
ger Dayot Upamecano und Ibrahima
Konaté verlassen. Kurz vor Ende der
Transferfrist folgte Kapitän Marcel Sabit-
zer seinem Trainer nach München. Bei
Sabitzer hatte sich wie schon im Fall von
Nagelsmann der Eindruck aufgedrängt,
Foto GES-Sportfoto
geht es schlechter. Die haben schon wie-
der seit drei Monaten keinen Lohn mehr
bekommen. Und müssen in Dreckslö-
chern hausen.“
Man darf sich nichts vormachen: Das
Emirat Qatar wird autoritär regiert. Freie
Presse gibt es nicht. Also auch kein Auf-
begehren irgendeines Teils der Bevölke-
rung. Was diversen Sportverbänden die-
ser Welt in den vergangenen Jahren gar
nicht so ungelegen kam. Unvergessen der
Satz „Manchmal ist weniger Demokratie
bei der Planung einer WM besser“ –
gesagt von Jérôme Valcke, der FIFA-Ge-
M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 2 5
Foto Reuters
dass die Leipziger Verantwortlichen nicht
um jeden Preis versuchten, die führenden
Angestellten zu halten. Eine schwerwie-
gende Fehleinschätzung. Marsch fand
eine Mannschaft vor, die ihre wichtigsten
Führungskräfte gerade verloren hatte. Zu
den Mitarbeitern, die im Sommer gegan-
gen waren, zählte außerdem Sportdirek-
tor Markus Krösche. Sein Posten ist fünf
Monate nach seinem Abschied immer
noch nicht besetzt. Vieles bei RB Leipzig
befindet sich derzeit im Vakuum, nicht
nur auf dem Feld.
Vorerst wird Achim Beierlorzer als
Trainer verantwortlich sein, eine längere
Anstellung als Chef ist nicht geplant.
Mintzlaff sagte, RB wollte „spätestens zur
Rückrunde“ einen neuen Trainer präsen-
tieren. Zu den Kandidaten gehören der
umworbene Edin Terzic, er gilt dem Ver-
nehmen nach als Wunschlösung. Auch
Roger Schmidt und Zsolt Löw kommen
als Alternativen infrage. Beide wurden
an den Red-Bull-Standorten Leipzig und
Salzburg ausgebildet und verkörpern den
typischen RB-Stil. So wie Jesse Marsch.
Dessen glücklose Zeit in Leipzig dürfte
den Verantwortlichen dort jedoch gezeigt
haben, dass hoch qualifizierte Trainer
auch im RB-Imperium nicht im Überfluss
vorhanden sind.
neralsekretär war, als Qatar den Zuschlag
für die WM 2022 erhielt. Dennoch sieht
man auch jetzt immer mal wieder, wie
empfindlich die Qatarer gegenüber euro-
päischen Journalisten geworden sind.
Erst vor wenigen Tagen wurden zwei nor-
wegische Reporter 32 Stunden von der
Polizei festgehalten und stundenlang ver-
hört, weil sie ohne Genehmigung in
einem Lager von Gastarbeitern gefilmt
hatten. Kurz darauf wurde ein weiterer
norwegischer Journalist 24 Stunden fest-
gehalten. Auch er ist als hartnäckiger Kri-
tiker des Systems bekannt. Die Zünd-
schnur qatarischer Ordnungskräfte
gegenüber ausländischen Medien ist kurz.
Was die Golfstaaten wirklich wollen:
den Rest der Welt beeindrucken. Das
werden die Qatarer all jenen beweisen,
die im November 2022 zur WM kommen.
Für die anreisenden Fans beginnt der
Gigantismus bereits am Flughafen
Hamad International Airport, rund zehn
Kilometer vor der Stadt. Vom rund elf
Milliarden teuren Flug-Drehkreuz Dohas
geht es über die mehrspurige Autobahn –
oder besser noch in der 2019 eröffneten
Metro – innerhalb weniger Minuten ins
Stadtinnere. Die rund 40 Milliarden teure
U-Bahn ist auch für den Transport zwi-
schen den acht WM-Stadien von Bedeu-
tung. Die sind sämtlich ans Metro-Netz
angeschlossen – so liegen alle Arenen
maximal 40 Minuten Fahrzeit auseinan-
der. Arab Cup und damit auch die WM im
nächsten Jahr sind somit Turniere der
kurzen Wege wie noch niemals zuvor. Für
Fans ist es theoretisch überhaupt kein
Problem, gleich bei mehreren Spielen pro
Tag live vor Ort dabei zu sein.
Zumindest wird ihnen das dann mög-
lich sein, wenn sie sich ein wenig in der
digitalen Welt auskennen. Denn in Qatar
geht beinahe alles über das Internet und
Smartphone-Apps. Das geht los bei der
Anreise, für die man sich auf einer App
des staatlichen Gesundheitswesens
registrieren lassen muss, um überhaupt
auf die App weitergeleitet werden zu
können, über die man wiederum seine
Berechtigung für ein Visum nachweisen
muss. All dies ist Voraussetzung, um
Zugang zum Tickettool bekommen zu
können. Wer etwas wissen möchte über
Wie beim
Ketchup
Schick trifft viermal
beim Bayer-Sieg
rz. FRANKFURT. Das war schick
und sah ganz einfach aus. Wie so
viele Kunststücke von Artisten –
auch aus der Welt des Fußballs.
Patrik Schick, der 25 Jahre alte
tschechische Mittelstürmer von
Bayer 04 Leverkusen, erklärte sei-
nen Coup mit dem Ketchup-Effekt:
„Erst kommt nichts und nach dem
ersten Tor alles auf einmal.“ Tat-
sächlich fiel der schlaksige Angrei-
fer vor der Pause beim 7:1-Sieg
über den sieglosen Tabellenletzten
Spielvereinigung Greuther Fürth
schon deshalb kaum auf, weil er
nicht einmal aufs Tor geschossen
hatte. Aber dann! Dann fiel ihm
der Ball viermal vor die Füße und
vor die Stirn, sodass der Prager aus
dem 3:1 für den Tabellendritten
bei Halbzeit nach Treffern von
Adli (12. Minute), Tapsoba (17.)
und Hincapie nach Schick-Vorlage
(45.) bei einem Gegentor durch
Dudziak (33.) den bisher höchsten
Bundesligasieg für Bayer machte.
Adli, Diaby und Wirtz legten ihm
die kinderleicht aussehenden Tref-
fer zum 4:1 (49.), 5:1 (69.) und 7:1
(76.) vor. Das 6:1 fiel nach Bella-
rabis Lattenschuss, als der Tsche-
che per Kopf den Abpraller ver-
wertete (74.).
Fußball-Notizen
Rangnick-Sieg beim Debüt
Ralf Rangnick hat bei seinem Debüt
als Teammanager des englischen
Rekordmeisters Manchester United
gleich etwas Historisches geschafft:
Mit dem 1:0 gegen Crystal Palace
gewann er als erster Deutscher sein
erstes Spiel an der Seitenlinie in der
Premier League. Fred erzielte das
Tor des Tages (77.). Rangnick ver-
passte United noch keine neue
Handschrift: Die Startelf unter-
schied sich nicht von der seines Vor-
gängers Michael Carrick, der in sei-
nem letzten Spiel am vergangenen
Donnerstag 3:2 gegen den FC Arse-
nal gewonnen hatte. dpa
Malmö wieder Meister
Malmö FF ist zum 22. Mal schwedi-
scher Meister. Der Rekord-Titelträ-
ger verteidigte am Samstag durch
ein 0:0 im Heimspiel gegen Halm-
stads BK die Tabellenführung. Dem
Verfolger AIK Stockholm nutzte ein
Sieg am letzten Spieltag nichts
mehr, um noch am Titelverteidiger
vorbeizuziehen. Malmö, Heimat-
klub von Superstar Zlatan Ibrahi-
movic, gewann die Meisterschaft
mit 59 Zählern aufgrund der besse-
ren Tordifferenz vor den punktglei-
chen Stockholmern. Dritter wurde
Djurgårdens Stockholm dpa
Ort, Zeit und sonstige Informationen zu
den Spielen, Stadien und zur Verfügung
stehenden Hotels des Turniers, kann sich
ausschließlich online informieren.
Gedrucktes Papier ist nahezu aus der
Welt Qatars verschwunden. Datenschutz
und Persönlichkeitsrechte? Schwierig.
All jene, die dies mitmachen, um beim
Arab Cup oder dann nächstes Jahr bei der
WM dabei zu sein, werden zu gläsernen
Menschen. Aufenthaltsort und Bewe-
gungsmuster des Qatar-Besuchers ist im
Prinzip jederzeit einsehbar.
Echte Fußballfans aus aller Welt in der
Stadt zu haben wird 2022 ein ganz neues
Erlebnis für die Einheimischen sein, für
die Fußball bislang eher als TV-Sport
stattgefunden hat. So berichtet jedenfalls
Heiko Engels, ein deutscher Manager, der
in Doha für ein Firmen-Konsortium
arbeitet, das Hotels, Restaurants und
einen Vergnügungspark betreibt. „Die
Leute schauen daheim, haben bestenfalls
ihre Familie um sich“, sagt er. Eine Knei-
penkultur gibt es nicht im Emirat, wo
nach strenggläubigem wahhabitischem
Islam gelebt wird. Alkohol ist verpönt,
ausschweifende Partys gelten als laster-
haft. Zum gesellschaftlichen Höhepunkt
trifft man sich zum Abendessen im Res-
taurant, eventuell gibt’s auch mal ein
Schwätzchen im Café bei Tee oder Was-
serpfeife. Jene, die ins Fußballstadion
gehen, erwarten einen Sitzplatz mit VIP-
Standard, Stehplätze sind in den Arenen
nicht vorgesehen. Aber lieber bleibt man
ohnehin in den eigenen vier Wänden.
„Als hier vor einigen Tagen das Endspiel
des nationalen Cup-Wettbewerbs statt-
fand, waren ein paar hundert Leute im
Stadion“, berichtet der Manager.
In Qatar – wo die 18 Klubs der „Qatar
Stars League“ beinahe ausnahmslos in
Doha spielen, gibt es keine Fanszene. Es
kann sie nicht geben. Denn während die
Einheimischen höchstens dezent für eines
der Teams sympathisieren, haben die
Gastarbeiter keinerlei emotionelle Ver-
bindung zu einem der qatarischen Verei-
ne. Und so ist es keine Seltenheit, dass ein
Ligaspiel in Qatars höchster Liga weniger
Zuschauer anzieht als ein Kreisligaspiel in
Deutschland. Da nutzen auch die bestens
inszenierten Illusionen nichts.
SE I TE 2 6 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
Trampelpfad S
zum Fitz Roy
Berge, Seen, Nationalparks und
Gastfreundschaft: Florian Weich aus
Mainz ist mit dem Zelt ein Jahr lang
durch Südamerika geradelt.
Der Berg
ruft
„Casas de Cyclistas“
oder Nächte im Zelt:
ein Mann aus Mainz
über seine Radtour
durch Südamerika.
Ein Touristenführer auf
den Azoren erfreut
sich Tour für Tour an
den Naturschönheiten.
Angefangen hat es in
der Hohen Tatra: Ein
Rentner steigt auf hohe
Berge in aller Welt.
Roter Schneeglanz auf
dem Kilimandscharo
Kampf gegen den inneren Schweinehund: Ein Mann
aus Strausberg besteigt hohe Gipfel in aller Welt
m normalen Leben ist Dietmar Kuhl
I eher unscheinbar. Er ist nicht sehr
groß, wirkt eher still. Mal geht er Rad
fahren oder mal ein wenig wandern. So wie
man sich einen Rentner eben vorstellt.
Doch das Hobby des 69-Jährigen ist außer-
gewöhnlich. Dietmar Kuhl aus Strausberg
reist in ferne Länder und bezwingt einige
der höchsten Gipfel der Welt. In Peru,
Nepal, den Alpen, Ecuador, Frankreich,
Italien oder in der Türkei, dort fühlt er sich
wohl. Konditionstraining und weite Wege
nimmt er gerne in Kauf, um die Schönheit
der Natur von ganz oben sehen zu können.
In Europa, Asien, Afrika und Südameri-
ka war er schon. Angefangen hat alles 1988
in der Hohen Tatra, in der heutigen Slowa-
kei, erzählt er: „Ein Familienurlaub war es
damals, aber es hat mich so fasziniert, dass
mich die Sehnsucht nach weiteren Reisen
gepackt hat.“ Seine erste Reise auf einen
anderen Kontinent führte ihn nach Nepal.
Seinen 50. Geburtstag feierte er im Basis-
camp des 8849 Meter hohen Mount Eve-
rest. Es war ein unvergessliches Erlebnis
inmitten des Basiscamps, während er an
seinem Geburtstag eine atemberaubende
Umgebung zwischen den höchsten Gipfeln
der Welt zu Gesicht bekam.
Den schönsten Moment auf einer Reise
erlebte der ehemalige Automechaniker
genau zehn Jahre später: Bei seiner Reise
nach Afrika, auf der er auch den 4566
Meter hohen Mount Meru bestieg, hatte er
sich auf einen ganz besonderen Moment
vorbereitet. Er wollte unbedingt den 5895
Meter hohen Kilimandscharo besteigen.
Bis zum 3950 Meter hohen Barranco-Camp
schien der Aufstieg noch ohne Strapazen
ablaufen zu können. Doch als sie die
berüchtigte Barranco-Felswand überwin-
den wollten, wurde es langsam problemati-
scher. Diese Felswand ist durch schwierige
Kletterpassagen gekennzeichnet. Doch
auch Eis erschwerte ihnen den Weg. „Am
Einstieg in die Barranco-Felswand stellten
wir fest, dass der Fels an vielen Stellen mit
neuem Eis überzogen war.“ Danach war
das 4600 Meter hoch gelegene Barafu-
Camp ihr Ziel. „Das Wetter wurde wieder
zunehmend schlechter, und Regen und
Schnee waren auf dem Weg unsere Beglei-
ter ins Lager.“ Auch dort sollten die Proble-
me kein Ende nehmen. „Wir mussten da
aber feststellen, dass wir eingeschneit
waren und es weiter schneite und in weiter
Ferne ein Gewitter tobte.“ Trotzdem mach-
ten sie sich auf den Weg. „Wir hatten
Glück, da drei andere Gruppen bereits vor
uns aufgebrochen waren, und wir brauch-
ten in dem steilen Gelände nur ihren Spu-
ren zu folgen.“ Doch sie überholten die
anderen Gruppen nach und nach. „Jetzt
waren wir es, die bei diesem Schneechaos
den richtigen Weg finden und die Spur tre-
ten mussten. Der Hang und dessen Steilheit
wollten einfach kein Ende nehmen, dazu
kamen immer wieder einige kleine Kletter-
passagen, doch um 5 Uhr erreichten wir
endlich Stella Point auf 5730 Meter Höhe.“
Sechs Stunden Aufstieg unter erschwer-
ten Bedingungen lagen nun hinter ihm.
„Morgens um 5.56 Uhr war es dann endlich
so weit, ich stand an meinem 60. Geburts-
tag auf dem höchsten Berg Afrikas und hat-
te damit meinen zweiten Seven-Summit-
Gipfel bestiegen“, sagt er. Zu den Seven
ZE I T UN G I N D E R S C H UL E
Verantwortlich: Dr. Ursula Kals
Pädagogische Betreuung:
IZOP-Institut zur Objektivierung
von Lern- und Prüfungsverfahren, Aachen
Ansprechpartner:
Norbert Delhey
An dem Projekt
„Jugend schreibt“ nehmen teil:
• •
Aachen, St. Ursula Gymnasium Aschaffenburg,
Karl-Theodor-v.-Dalberg-Gymnasium Backnang,
Max-Born-Gymnasium •
Bad Bergzabern, Gym-
•
nasium im Alfred-Grosser-Schulzentrum
Kreuznach, Lina-Hilger-Gymnasium•
Bad
Bad Pyr-
mont, Humboldt-Gymnasium
Markgraf-Ludwig-Gymnasium •• •
Baden-Baden,
Bergen auf Rü-
gen, Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium Berlin,
Jugend schreibt
onniges Wetter. Keine einzige
Wolke in Sicht. Der 34-jährige,
dunkelblonde Florian Weich ist
nach einer langen Fahrt auf der
Carretera Austral, einer bekann-
ten Straße in Chile, an ihrem Ende ange-
kommen. Umgeben von einem einzigen
Dorf, einem großen See, Gletschern und
einer zerklüfteten Landschaft, geht es nur
noch für Fahrradfahrer und Rucksackrei-
sende weiter mit einem Boot und anschlie-
ßendem Trampelpfad nach El Chaltén in
Argentinien. Auf dem Weg will der aufge-
weckte Abenteurer mit einem amerikani-
schen Fahrradfahrer, den er an diesem Tag
getroffen hat, den Monte Fitz Roy besichti-
gen. „Wir sind lange durch einen Wald
gefahren und haben uns immer wieder
gefragt: ‚Wo ist denn dieser Berg jetzt?‘“,
erinnert sich der 1,70 Meter große, sportli-
che Weich lächelnd. Doch irgendwann
geht der Wald auf, und der Weg macht
einen Knick. „Dann sehen wir auf einmal
diesen Berg, schauen uns beide an und
sagen lachend: ‚Jetzt wissen wir, welcher
der Berg ist.‘“ Vor ihnen liegt ein beeindru-
ckender Berg mit einer hohen Steinspitze,
der sich in dem davor gelegenen See spie-
gelt. „Das war einer der schönsten Momen-
te meiner Reise.“
Ende November 2018 geht die Reise in
Santiago de Chile, der Hauptstadt von Chi-
le, los. Warum die Fahrradtour in Südame-
rika stattfindet, erklärt der bei iC-Haus
angestellte Mechatronik-Ingenieur damit,
dass zwei von seinen Onkeln mit Frauen
aus Peru verheiratet sind, deren Familie er
als Endziel der Reise besuchen möchte.
„Südamerika war mir davon abgesehen
irgendwie immer im Hinterkopf“, gibt
Weich zu, „außerdem kommt man dort
auch mit einer Sprache durch, wenn man
Spanisch spricht, und kann mit den Leuten
reden.“ Ein Jahr zuvor war er vier Wochen
lang durch Vietnam Fahrrad gefahren:
„Dort konnte man nur mit Händen und
Illustration Zubinski
Summits zählt man den jeweils höchsten
Berg der sieben Kontinente. In Afrika ist es
der Kilimandscharo. „Dann ging am Hori-
zont die Sonne auf und färbte den Schnee in
ein intensives Rot. Von allen Bergen, die ich
bereits in der ganzen Welt bestiegen habe,
wurde mir noch nie so ein grandioses
Schauspiel geboten.“ Diese Besteigung ist
nicht wie oft beschrieben ein Spaziergang.
Es ist ein Kampf über viele Tage mit Stei-
gungen, vereisten Felsen, schier endlosen
Weiten, gegen die Naturgewalten aus eisi-
ger Kälte, Regen, Schnee und vor allem ein
Kampf gegen den inneren Schweinehund.
„Aber diese atemberaubende Schönheit mit
allen gewonnenen Eindrücken hinterlässt
unauslöschbare Spuren im Gedächtnis.“
Seine letzte Reise ist jetzt coronabedingt
schon zwei Jahre her. „Mein Ziel war Lapp-
land. Geplant waren drei kleine Bergbe-
steigungen auf schöne Aussichtsgipfel,
Wanderungen durch Moore und Wälder
sowie Kanu- und Fahrradtouren.“ Auch
Rentiere und Huskys haben sie besucht.
„Alles Schöne hat leider auch mal ein
Ende, und so brachte uns der Flieger
zurück in unsere Heimat. Das macht mich
mehr als traurig. Aber genauso wie alles
Gute ein Ende hat, hat auch alles Schlechte
eins, und die Pandemie wird irgendwann
vorbei sein. Bis dahin werde ich meine
nächsten Touren planen und mich auf mei-
ne nächste Reise freuen.“
Antony Kuhl, Marie-Curie-Gymnasium,
Hohen Neuendorf
Anna-Freud-Oberschule, Droste-Hülshoff-Gymna-
sium, Eckener-Gymnasium, Staatliche Ballettschule
Berlin und Schule für Artistik, Wilma-Rudolph-
• •
Oberschule Bielefeld, Brackweder Gymnasium
•
Bilbao (Spanien), Deutsche Schule Braun-
•
schweig, Wilhelm-Gymnasium Cottbus, Pückler-
•• •
gymnasium Dresden, Berufsfachschule für
Sozialwesen Durmersheim, Wilhelm-Hausen-
stein-Gymnasium Eisenach, Martin-Luther-Gym-
•
nasium Emmendingen, Goethe-Gymnasium
Eppelheim, Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium
••
•
Eschwege, Oberstufengymnasium Frankfurt am
Main, Helene-Lange-Gymnasium, Otto-Hahn-
•
Schule, Ziehenschule Freiburg, Droste-Hülshoff-
Gymnasium, Wentzinger-Gymnasium • Freige-
•
richt, Kopernikusschule
•
Friedrichroda, Perthes-
Gymnasium Friedrichshafen, Claude-Dornier-
•
Schule •
Fulda, Marianum Geisenheim, Inter-
natsschule Schloss Hansenberg, Rheingauschule
• Gelnhausen, Grimmelshausen-Gymnasium
Germersheim, Johann-Wolfgang-Goethe-Gymna-
• Mayen, Megina-Gymnasium
•
sium
• •
Göttingen, Felix-Klein-Gymnasium, Max-
Planck-Gymnasium Großkrotzenburg, Franziska-
nergymnasium Kreuzburg Grünheide, Docemus
Füßen reden.“ Wie viele Kilometer er ins-
gesamt gefahren ist, weiß er nicht genau, er
schätzt um die 15 000 Kilometer. „Auf dem
Fahrrad macht es sehr viel Unterschied, auf
welcher Oberfläche man fährt oder auch
bei welchem Gefälle“, erklärt er und
betont: „Für mich sind die Kilometer nicht
das Wichtigste.“
Von dem Startpunkt in Chile aus geht
die Fahrradtour Richtung Süden bis nach
Ushuaia, der „südlichsten Stadt der Welt“
in Argentinien. Diese Stadt ist für viele
Radfahrer ein großes Ziel. Dort ist er im
April angekommen. „Ende April ist dort
etwa Ende Herbst, es war also sehr kalt. Da
hatte ich keine Lust mehr zurückzufahren
und wollte es wärmer haben“, scherzt er.
Deshalb ging die Fahrradtour nach einem
Flug in den warmen Norden nach Buenos
Aires, der Hauptstadt Argentiniens, weiter.
Von dort aus ist Weich über Uruguay, durch
einen Teil Brasiliens, Paraguay, wieder ein
Stück Argentinien und Bolivien schließlich
zu seinem Endziel Lima, der Hauptstadt
Perus, gelangt. Mitte Oktober 2019 ging
sein Flug zurück nach Deutschland.
Auf seiner Reise hat Weich die meiste
Zeit in seinem Zelt übernachtet, doch wie
er erklärt, gibt es in Südamerika „Casas de
Cyclistas“, das sind selbstorganisierte Häu-
ser, wo Radreisende wohnen. Neben dem
Schlafplatz bringt eine solche Unterkunft
noch andere Vorteile: „Das ist ein guter
Treffpunkt, um sich mit anderen auszutau-
schen.“ Auch das Zelten bringt schöne
Erlebnisse mit sich. „Es war so eine schöne
Erfahrung, wie gesund es ist, im Tages-
rhythmus zu leben“, schwärmt er, „am
Abend schläft man früh, da man im Zelt
nicht viel Licht hat und vom Radfahren eh
erschöpft ist, und am Morgen wacht man
dann mit der Sonne auf.“ Nach einem Früh-
stück, meist Porridge und Tee, wird das Zelt
eingepackt, auf das Rad geschnallt, und los
geht es. Das Mittagessen hat Weich sich oft
selbst gekocht, aber vor allem in Peru hat er
100 Mal im Jahr
hoch auf die Azoren
João Xavier führt Touristen auf Portugals höchsten
Berg. Nur lieber nicht zwölfmal hintereinander.
ch werde den Berg nicht los. Er
I liegt in meinem Hinterhof.“ Ein
Blick aus dem Fenster, und schon
sieht João Xavier seinen Arbeitsplatz.
Als Wanderführer auf der höchsten Spit-
ze Portugals besteigt der 47-jährige
Azorianer den „Pico“-Berg fast 100 Mal
im Jahr, doch jede Besteigung verläuft
anders.
Pico ist der Name der zweitgrößten
Insel unter den neun Inseln des portu-
giesischen Archipels Azoren. Sie ver-
dankt ihren Namen einem Vulkanberg,
der im „Pico Pequeno“ oder „Piquinho“,
also kleinem Gipfel, gipfelt. Mit seinen
2351 Meter Höhe ist er der dritthöchste
Berg, der aus dem Atlantik ragt, eine
Attraktion für Touristen und Grund für
Stolz für die Einwohner der Insel.
João Xavier, versteckt mit seiner azo-
rianischen Bräune und seinem Spitzbart
seinen Patriotismus und seine Leiden-
schaft für den ganzen Archipel nicht,
wenn er seine Insel mit den anderen ver-
gleicht. „Ich bin wie ein Vater, der neun
Kinder hat. Ich finde alle einzigartig
wunderschön.“ Seine Karriere als Reise-
führer fing früh an. Als Sohn von portu-
giesischen Immigranten in Kanada, kam
er als Kind nach Pico und hatte somit in
der englischen Sprache einen Vor-
sprung. Mit 17 Jahren übernahm er sei-
ne ersten touristischen Dienstleistungen
und finanzierte davon sein Leben. Als er
später anfing, den Pico zu besteigen, gab
es noch keinen markierten Weg und kei-
Campus • Hamburg, Ebert-Gymnasium, Marion-
Dönhoff-Gymnasium • Heubach, Rosenstein-
•• •
Gymnasium Hildesheim, Scharnhorstgymna-
sium Hohen Neuendorf, Marie-Curie-Gymna-
• ••
sium Icking, Günter-Stöhr-Gymnasium Kaarst,
Georg-Büchner-Gymnasium Kaiserslautern,
H.-Heine-Gymn. (Sportgymnasium) Karlsruhe,
• • •
Tulla-Realschule Kassel, Friedrichsgymnasium
Kempten, Allgäu-Gymnasium Kenzingen, Gym-
ce ••
nasium Kielce (Polen), 6 Liceum Ogolnoksztalca-
Koblenz, Görres-Gymnasium • Köln, Elisa-
beth-von-Thüringen-Gymnasium, Fachschule für
Agrarwirtschaft der Landwirtschaftskammer NRW
•• Koprivnica (Kroatien), Gymnasium „Fran Galovic“
Leutkirch im Allgäu, Hans-Multscher-Gymnasi-
•
um Linz am Rhein, Martinus-Gymnasium Lud- • •
• •
wigsburg, Goethe-Gymnasium Lunzenau, Evan-
gelische Oberschule Mainz, Bischöfl. Willigis-
Gymnasium, Rabanus-Maurus-Gymnasium • •
• München, Asam-
Gymnasium, Städtisches Louise-Schroeder-Gym-
nasium • Münnerstadt, Johann-Philipp-von-
Schönborn-Gymnasium •• Nantes (Frankreich),
Lycée des Bourdonnières Neumünster, Imma-
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
kaum noch gekocht: „Da kommt man
durch sehr viele Dörfer, da gibt es Restau-
rants, wo es ein Tagesmenü für ein bis zwei
Euro gibt, das war immer sehr lecker.“
Auf der Reise hat er viele Sehenswürdig-
keiten wie den Machu Picchu, die Wasser-
fälle von Iguazú, den beeindruckenden
Salzsee von Bolivien, bekannte Berge,
Gletscher oder Nationalparks besichtigt. In
Feuerland, einer Inselgruppe im Süden
Südamerikas, war er sogar in einer Königs-
pinguinkolonie: „Das war natürlich auch
ganz cool“, lacht er.
Was Weich überrascht hat, ist, wie viel
den Reisenden von wildfremden Leuten
geholfen wird. „Einmal bin ich einen Berg
hochgefahren, und von hinten kommt so
ein Auto und fährt ganz eng an mich
heran, und ich dachte mir schon so ‚Wie
blöd, warum fährt der so nah, es ist über-
haupt kein Gegenverkehr, total unnötig‘,
doch dann kommt das Beifahrerfenster
auf meine Höhe, und dann kommt auf ein-
mal eine Hand, die mir eine Wasserflasche
raushält“, erinnert er sich lachend. Oft
wurde ihm etwas zu trinken, zu essen oder
auch ein Schlafplatz angeboten. Eines
Abends gab es ein starkes Unwetter, und
Weich wurde von einem Haushalt aufge-
nommen, um dort zu übernachten. „Dort
ne spezifische Ausbildung für Reisefüh-
rer. Er organisierte aus eigener Initiative
ungefähr 100 Besteigungen, bis er sich
in jeder Wetterlage wohlfühlte und mit
Sicherheit wusste, wo er sich an jedem
Ort auf dem Berg befand.
Zurzeit hat er ein touristisches
Unternehmen „Caminhando“, dessen
Haupttätigkeit der Aufstieg zum Pico-
Berg ist. Die Besteigung dauert durch-
schnittlich acht Stunden, rund vier
Stunden für den Aufstieg und drei Stun-
den für den Abstieg, wobei man 7600
Meter mit einer Höhe von 1100 Metern
zurücklegen muss. Es gibt auch die
Möglichkeit für Gäste, an der Spitze zu
übernachten, sodass man den Sonnen-
untergang und -aufgang erlebt. Man
muss dazu perfekte Wetterbedingungen
erwischen: kein Regen und Wind unter
30 Stundenkilometern. Die Landschaft
über dem Atlantik und den landwirt-
schaftlichen Feldern und die Suche
nach den anderen Inseln unter den
Wolken entschädigen für die Probleme
des Übernachtens: Beim Wandern muss
man mehr mit sich nehmen, beim
Schlafen sehnt man sich nach einem
gemütlichen Bett. Und Toiletten fehlen
einem manchmal auch.
„Keine Fahrt gleicht der anderen,
keine Gruppe kommt zweimal vor. Das
Wetter ist immer unterschiedlich, die
Landschaft ist immer unterschiedlich
schön, und die Wolken bewegen sich
jedes Mal anders“, sagt Xavier und
•
nuel-Kant-Schule Nürnberg, Johannes-Scharrer-
Gymnasium • Offenbach, Albert-Schweitzer-
• •
Schule Offenburg, Kaufmännische Schule
Ogulin (Kroatien), Gymnasium Bernardina
• • •
Frankopana Oldenburg, Cäcilienschule Plau-
en, Lessing-Gymnasium Porto (Portugal), Deut-
•
sche Schule Ptuj (Slowenien), Gymnasiums
• •
Rheinbach, Sankt Joseph Gymnasium
heim, Karolinen-Gymnasium Saarbrücken, Lud-
Rosen-
•
wigsgymnasium
Schorndorf,
••
Schlüchtern, Kinzig-Schule
Johann-Philipp-Palm-Schule
• •
Schwäbisch Gmünd, Parler-Gymnasium
(Bulgarien), Galabov-Gymnasium Speyer, Hans-
Sofia
• •
Purrmann-Gymnasium Stuttgart, Evang. Heide-
hof-Gymnasium Trier, Berufsbildende Schule für
Ernährung Hauswirtschaft Sozialpflege Trogen
•
(AR), Kantonsschule Weinheim, Johann-Philipp-
Reis-Schule •
Weinstadt, Remstal-Gymnasium
Wetzikon (Schweiz), Kantonsschule Zürcher Ober-
• •
land Wetzlar, Theodor-Heuss-Schule Wiesba-
•
den, Friedrich-List-Schule Würzburg, St.-Ursula-
reb • •
Gymnasium Zagreb (Kroatien), III Gimnazija Zag-
Zürich (Schweiz), Kantonsschule Zürich
Nord
gab es zum Abendessen Kartoffeln, und es
gab zum Frühstück Kartoffeln. Die Men-
schen dort helfen einem, auch wenn sie
nicht viel haben.“ Er denkt gerne zurück
und schwärmt: „Auf meiner Reise habe
ich so viele gute Menschen getroffen. Die
Mehrheit der Menschen ist gut und hilft
sich gegenseitig. Das ist ein ganz wichtiges
Wissen.“
Eine weitere Erfahrung, die Weich auf
seiner Reise gemacht hat, ist, wie schnell
man sich an seine Umgebung gewöhnt.
„Die erste Nacht im Zelt war schon hart,
aber wenn man das erst mal ein paar
Wochen gemacht hat, dann kommt es
einem schon komisch vor, wenn man den
ganzen Tag im Haus verbringt“, erinnert er
sich. Aber auch daran, mit wenig zu leben,
gewöhne man sich: „Als ich nach Deutsch-
land kam, stand ich mal im Supermarkt vor
dem Joghurt-Regal und war total überfor-
dert. So viele Sorten und Marken, das ist
total verrückt. In Südamerika war ich froh,
wenn ich überhaupt mal einen Joghurt
gefunden habe, der geschmeckt hat“,
scherzt er. Doch geschockt davon, wie
schnell man seine Umgebung als normal
empfindet, stellt Weich nach ein paar
Monaten zurück in Mainz fest: „Man hat
dann doch so seine Lieblingssorte entwi-
ckelt und ärgert sich, wenn diese nicht da
ist, obwohl es doch noch so viel anderes
Gutes gibt.“
Das Schöne daran, ein Land mit dem
Fahrrad zu erkunden, ist laut Weich, dass
man sich die Entfernung selbst erarbeitet
und zufällig an viele Orte gerät und Men-
schen trifft, die man mit dem Auto über-
sprungen und nicht gefunden hätte, „da
man mit dem Auto meist nur ausgewählte
Ziele besucht. Doch die schönsten Erfah-
rungen entstehen oft auf dem Weg und
nicht am Ziel.“
Merle Seeger
Oberstufengymnasium, Eschwege
begründet so seinen Wunsch, bis zum
hohen Alter als Wanderführer weiter-
zuarbeiten. Das jüngste Mitglied bei
einer Besteigung war ein neun Monate
altes Baby und das älteste ein 87-jähri-
ger Mann.
2019 schaffte es „Caminhando“,
1300 Personen aller Altersgruppen bei
Besteigungen Picos zu begleiten, ohne
dass Verletzungen oder große Probleme
vorkamen. Unfälle gibt es aber auch.
João erfuhr das am eigenen Leib wäh-
rend einer Mittagspause auf der Spitze.
Nach dem Essen war sein Körper abge-
kühlt, und als er spielerisch einem klei-
nen Kind hinterherrennen wollte, erlitt
er einen Muskelfaserriss im Bein. Er
sagte es niemandem und beendete die
Tour mit Schmerzen. Danach musste er
für drei Monate zur Physiotherapie und
aufs Wandern verzichten. Schönere
Überraschungen gehören auch dazu.
„Letzte Woche kam ein nervöser junger
Mann zu mir, um um Hilfe zu bitten,
seiner Freundin einen Heiratsantrag
auf der Spitze zu machen. Wir haben es
besprochen, ich habe es gefilmt, und
dann waren die beiden sehr glücklich“,
sagt der Azorianer.
Seine Firma bietet auch andere Akti-
vitäten an wie Autotouren über die
Insel, Wanderungen und Besuche mit
Weinprobe in den Weingütern, die als
Plan B dienen, wenn das Wetter nicht
ideal für eine Besteigung ist. Im Winter
nimmt die Nachfrage um 80 Prozent ab,
aber man kann trotz der Kälte und des
Schnees mit geeigneter Ausrüstung
steigen.
Die Saisonalität prägt den Tourismus
in den Azoren. Deshalb widmet sich
Xavier in seinem zweiten Job seinen
Weinreben und seiner kleinen Obst-
und Gemüseproduktion. Diese Arbeit
als Bauer hilft ihm, fit zu bleiben. „Ein
Spaziergang im Weinberg ist fast wie
ein Spaziergang in den Bergen.“ Jedoch
ist die psychologische Last schwieriger
als die physische zu bewältigen. „Als
ich einmal zwölf aufeinanderfolgende
Besteigungen gemacht habe, musste ich
mich für zwei bis drei Tage ausruhen,
weil ich den Leuten keine gute Gesell-
schaft mehr leisten konnte.“
Während der Pandemie gab es natür-
lich einen riesigen Einbruch der Nach-
frage. Der internationale Tourismus
verringerte sich, aber dafür stieg der
nationale. „Die Portugiesen, besonders
Azorianer, haben uns gerettet“, erklärt
Xavier mit Dankbarkeit.
Im Tourismussektor zu arbeiten bie-
tet tägliche Abenteuer. João Xavier
wird seines Arbeitsorts und seiner Hei-
mat nicht müde. Über Besteigungen
anderer, höherer Vulkane, wie in Cabo
Verde oder in Tenerife, sagt er: „Schön,
aber unser Pico ist schöner.“
Sofia Pinho
Deutsche Schule zu Porto
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Winter
Große
Sprünge
ie deutschen Skispringer
D bangten hinter der Bande,
am Ende fehlten umgerech-
net weniger als 20 Zentimeter zum
Sieg: Pius Paschke, Stephan Leyhe,
Markus Eisenbichler und Schluss-
springer Karl Geiger sind im packen-
den und von schwierigen Windbe-
dingungen beeinflussten Mann-
schaftswettbewerb in Polen Zweite
geworden. Nur ganz knapp mussten
sie sich am Samstag in Wisła den
siegreichen Österreichern geschla-
gen geben. Nach dem ersten Durch-
gang war das Quartett von Bundes-
trainer Stefan Horngacher noch
Vierter gewesen.
Beflügelt in Lillehammer
Katharina Althaus hat für den ersten
Weltcupsieg einer deutschen Ski-
springerin nach fast 32 Monaten
gesorgt. Die Olympiazweite aus
Oberstdorf gewann am Samstag auf
ihrer Lieblingsanlage in Lilleham-
mer souverän und errang ihren ach-
ten Karriereerfolg.
Forscher Frenzel
Kombinierer Eric Frenzel hat beim
Weltcup im norwegischen Lilleham-
mer seine starke Form bestätigt und
zum zweiten Mal in dieser Saison den
Sprung aufs Podium geschafft. Beim
Heimsieg des schier unschlagbar
scheinenden Jarl Magnus Riiber wur-
de Rekordweltmeister Frenzel Drit-
ter. Frenzel, schon am Samstag beim
zweiten Platz der deutschen Staffel
hinter Norwegen in exzellenter Ver-
fassung, lag im Ziel 45,6 Sekunden
hinter dem Norweger Riiber.
Mit der 1 nach Peking
Im Starthaus von Beaver Creek hatte
Dominik Schwaiger mehr als nur den
Zielhang im Visier – und quittierte
seinen elften Platz beim Abfahrts-
Weltcup mit Bedauern. „Leider
knapp an der Acht vorbei“, konsta-
tierte der Skirennfahrer vom Königs-
see. Um 0,15 Sekunden verpasste er
die direkte Qualifikation für die
Olympischen Winterspiele in Peking.
Schon einen Schritt weiter ist Kira
Weidle. Mit der Startnummer 1 raste
die Starnbergerin am Samstag beim
Weltcup im kanadischen Lake Louise
auf Position sieben und qualifizierte
sich beim Sieg der Italienerin Sofia
Goggia gleich im zweiten Abfahrts-
rennen der Saison für Peking. In
Beaver Creek war der Norweger
Aleksander Aamodt Kilde mit einem
Doppelsieg in Super-G und Abfahrt
der überragende Mann.
Der „brutale Druck“ ist weg
Erste Siege für Julia Taubitz, erster
Podestplatz für Natalie Geisenber-
ger: beim dritten Rodel-Weltcup des
Olympia-Winters haben sich
Deutschlands größte Hoffnungen
mit einem Doppelerfolg zurückge-
meldet. Weltmeisterin Julia Taubitz,
später auch im Sprint vorne, gewann
am Sonntag in Sotschi vor Olympia-
siegerin Natalie Geisenberger. Nata-
lie Geisenberger sagte: „Es ist ein
brutaler Druck abgefallen, weil ich
auch in Sachen Olympiaqualifikation
damit einen Schritt weitergekommen
bin.“ Bei den Männern überzeugt
weiterhin nur einer – und der heißt
noch nicht Felix Loch. Johannes
Ludwig wurde am Samstag Zweiter
hinter Kristers Aparjods aus Lett-
land. Loch wurde Sechster.
Friedrich – wie immer
Bob-Pilot Francesco Friedrich hat
das dritte Weltcup-Double im Olym-
pia-Winter „eingefahren“. Nach sei-
nem siegreichen Rennen im kleinen
Schlitten in Altenberg gewann er am
Sonntag auch den Vierer-Wettbe-
werb. Die Siegesserie von Laura
Nolte im Zweierbob-Weltcup ist
dagegen gerissen. Nach zwei Erfol-
gen musste sie sich in Altenberg der
Amerikanerin Kaillie Humphries
geschlagen geben.
Die Zuversicht lebt
Für Podestplätze reichte es in Öster-
sund nicht, doch die Auftritte der
deutschen Biathleten geben zwei
Monate vor den Winterspielen in
Peking durchaus Grund zum Opti-
mismus. Franziska Preuß und Denise
Herrmann hatten am Samstag als
Fünfte und Achte in der Verfolgung
ebenso einen recht überschaubaren
Rückstand auf die Weltspitze wie die
Staffel der Männer als Vierte. dpa/sid
Ergebnisse auf F.A.Z.NET
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faz.net/ergebnisse
Rumgeballert, draufgehämmert
Das deutsche Team
unterliegt Russland
im Davis Cup –
macht aber einen
sehr guten Eindruck.
Von Doris Henkel,
Hamburg
W
as will man machen, wenn
die anderen keinen Spaß
verstehen und am vorletz-
ten Spieltag des Jahres so
voller ungebremster Energie antreten, als
sei es der erste Anfang Januar? Da war
nichts zu machen, gar nichts. Nach zwei
schnellen Niederlagen in den Einzeln
gegen Russland führte der Weg der deut-
schen Mannschaft im Davis Cup am
Wochenende nicht zum ersten Mal seit
1993 ins Finale, sondern direkt in die
kurze Winterpause. Nun ist es nie leicht,
sich mit einer Enttäuschung im Gepäck
auf die Heimreise zu begeben, aber alles
in allem wog dieses Gefühl deutlich
weniger als die Erkenntnis, einen guten
Eindruck hinterlassen zu haben; einen
sehr guten sogar.
Vor dem Halbfinale in der Madrid Are-
na hatte Kapitän Michael Kohlmann
gesagt: „Unsere Jungs müssen ihre Leis-
tung bringen und das spielen, was sie im
Training zeigen. Wenn wir das trotz des
Drucks – der sowohl für die Russen als
auch für uns da ist – abrufen können,
dann bin ich guter Dinge, dass wir unsere
Chancen bekommen werden.“ Aber diese
Hoffnung ging vor allem deshalb nicht
auf, weil des Gegners zweiter Mann,
Andrej Rubljow, die richtigen Schlüsse
aus den Spielen der Vorrunde gezogen
hatte. Gegen den 40 Jahre alten Spanier
Feliciano López hatte er verloren, fast
auch gegen den in der Weltrangliste nicht
zu den besten 150 gehörenden Schweden
Elias Ymer, und das, fand er, habe auch
mit seiner zu lockeren Einstellung zu tun
Zwei-Wege-Spielerin
Das deutsche Handballteam setzt auf die besonderen
Fähigkeiten der gebürtigen Dänin Silje Bröns Petersen
FRANKFURT. Für die Schönheiten
Valencias hat Silje Bröns Petersen
momentan keine Zeit. Die mittelalterli-
chen Serranos-Türme oder die Stier-
kampfarena gehören zu den Attraktio-
nen der spanischen Hafenstadt, sie
wird die Spielmacherin der deutschen
Frauen-Handballnationalmannschaft
kaum zu Gesicht bekommen während
der Weltmeisterschaft. Ihre Kathedrale
ist gerade die Spielhalle in Llíria.
Wenigstens liegt das Mannschaftshotel
nicht weit vom Meer entfernt. Acht
Kilometer sind es zum Strand. „Hinlau-
fen kann man nicht“, erzählt Petersen,
„aber mit dem E-Roller ist das ja nicht
weit, ich mag das Meer.“
Gegen ein paar Stunden der Zer-
streuung hat Bundestrainer Henk
Groener bestimmt nichts einzuwen-
den. Seine Mannschaft hat sich nach
dem zweiten überzeugenden Sieg im
zweiten Spiel am Samstag gegen die
Slowakei (36:22) bereits vorzeitig vor
dem letzten Gruppenspiel an diesem
Montag gegen Ungarn die Teilnahme
an der Hauptrunde gesichert. „Das war
ein Auftakt, wie wir ihn uns vorgestellt
haben“, sagt Petersen. Für sie ist alles
neu und aufregend in Spanien. Sie trägt
noch nicht lange das Jersey der Natio-
nalmannschaft, sie ist noch nicht ein-
Silje Bröns Petersen Foto firo
mal allzu lange deutsche Staatsbürge-
rin. Am 7. November debütierte die
Bundesligaspielerin der TuS Metzingen
für die Auswahl des Deutschen Hand-
ball-Bundes (DHB) – ein paar Tage
nachdem sie ihren Personalausweis in
Reutlingen im Rathaus abholen durfte.
„Für mich ist ein Traum wahr gewor-
den, für Deutschland bei der WM zu
spielen“, sagt die gebürtige Dänin am
Telefon. Eine längere Eingewöhnungs-
zeit benötige sie nicht, die Systeme im
Handball ähneln sich alle, merkt sie
lapidar an. „Ich musste nur lernen,
wohin meine Mitspielerinnen laufen.“
Sie spricht hervorragend Deutsch mit
leichter dänischer Einfärbung, Peter-
Sport M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 2 7
Werbung für das deutsche Tennis: Das Team um Jan-Lennard Struff erhält ein Lob vom Verbandschef. Foto EPA
gehabt. Nach dem am Ende klaren Sieg Medwedew im ersten Satz sprach Bände, Russland landeten, vor allem auch dank Deutschen Tennis Bundes (DTB), Dietloff
gegen Dominik Koepfer (6:4, 6:0) war im zweiten waren es ein paar mehr, aber der tatkräftigen Mithilfe eines gewissen von Arnim, nach den Auftritten in Inns-
Rubjow mit sich zufrieden und sagte: mit der gleichen, hohen Aufschlagquote Borna Gojo vom Weltranglistenplatz bruck und Madrid ausdrücklich gelobt
„Heute war ich von Anfang an voll dabei, hielt er Struff auf Abstand. Der sagte hin- 279. Der gewann jedes Einzel auf dem wurde. Das Team könne stolz auf sich sein,
habe versucht, so gut zu spielen, wie ich terher, er sei zufrieden mit der Art seines Weg ins Finale, und was dann noch fehl- fand der Chef, das sei Werbung für den
kann, um keine Hoffnung, keine Chance Auftritts, er habe nur in zwei Spielen te, das erledigte das derzeit beste Doppel deutschen Tennissport gewesen. Und
zu verschenken.“ Eine knappe halbe zwei, drei Fehler zu viel gemacht – „und der Welt, Nikola Mektic und Mate Pavic. irgendwie passte es am Ende, dass der
Stunde lang wehrte sich Koepfer nach dann zieht er weg. Aber er hat halt auch Das ging im Halbfinale auch zulasten von letzte Punkt im Halbfinale gegen Russland
Kräften, aber danach ging es schnell eine brutale Klasse.“ Djokovic, der sich nach der Niederlage im an jene beiden ging, die nach der Endrun-
bergab. Im zweiten Satz, so erklärte er Und das trifft eben nicht nur auf Med- Doppel erschöpft in die Pause bis zum de 2021 weiter unbesiegt sind, Kevin Kra-
später bedient vor den Kameras von Ser- wedew zu, Nummer zwei der Welt, son- Beginn der neuen Saison verabschiedete. wietz und Tim Pütz, eine Bank im Doppel.
vus TV, sei Rubljow einfach zu aggressiv dern auf das ganze russische Team mit Er brauche jetzt vor allem erst mal Schwer zu sagen, ob und wie es mit dieser
gewesen, habe „rumgeballert und drauf- Rubljow (fünf), Aslan Karatsew (18) und Abstand nach dieser ereignisreichen, Kombination weitergehen wird, falls dem-
gehämmert“. Damit war klar, dass den Karen Chatschanow (29). Aber im 2019 kräftezehrenden Saison, sagte er. Auch in nächst jener Mann ins Team zurückkehren
Deutschen nur noch ein Sieg von Jan- erneuerten System des Davis Cups mit seiner letzten Pressekonferenz ließ er wird, mit dem Krawietz zwei Grand-Slam-
Lennard Struff gegen Daniil Medwedew nur noch zwei Einzeln sind die Chancen allerdings offen, ob er im Januar bei den Titel gewann, Andreas Mies. So oder so
helfen würde, aber diese vage Möglich- für Mannschaften mit größerem Gefälle Australian Open spielen wird, wo jedenfalls beste Aussichten im Doppel,
keit verdampfte, weil Russlands Nummer in den eigenen Reihen gestiegen – sofern bekanntlich nur geimpfte Spieler und und der Ort der ersten Probe im kommen-
eins mit ähnlich stahlharter Konzentra- sie ein starkes Doppel haben. So wie die Spielerinnen zugelassen sein werden. den Jahr steht auch schon fest – am ersten
tion durchs Spiel marschierte wie zuvor Kroaten, die mit einem Sieg über Serbien Aber noch mal zurück zur deutschen Wochenende im März 2022 muss das
Rubljow. Ein einziger unforced error von um Novak Djokovic im Finale gegen Mannschaft, die vom Präsidenten des deutsche Team in Brasilien ran.
DAMIT
UNGESEHENES
sen, die in einem Kopenhagener Vorort
aufgewachsen ist, lebt seit fünf Jahren
in Deutschland, sie kam in den Genuss
einer beschleunigten Einbürgerung.
Die Idee, für das deutsche Team zu
ERHÖRT
spielen, kam von Petersen selbst. „Ich
habe mit Henk Groener gesprochen
und ihm gesagt, dass ich große Lust
hätte.“ Der Niederländer hörte das ger-
ne, er wusste ja, dass sie schon seit Jah-
WIRD.
ren zu den auffälligsten Spielerinnen in
der Bundesliga auf der Spielmacher-
position gehört. Ihre erste Profistation
hatte sie 2015 nach Ungarn geführt. Bis
zum Sommer 2020 spielte sie dann für
die HSG Blomberg-Lippe in Ostwestfa-
len, ehe sie ins württembergische Met-
zingen übersiedelte.
Petersen hat ihre Stärken in der
PRESSEFREIHEIT GRENZENLOS -
Offensive, ihr Markenzeichen ist ihr raf-
finierter und wuchtiger Unterarmwurf. DER PODCAST VON REPORTER OHNE GRENZEN
Obwohl sie mit ihren 1,73 Metern nicht
zu den Größten gehört, kommt sie häu-
fig vor dem Tor frei zum Wurf, weil sie
schnell, wendig und trickreich ist. Peter-
sen ist wichtig, dass sie nicht nur mit
ihren taktisch-strategischen Fähigkeiten
ihre Mitspielerinnen besser macht,
ihnen mit überraschenden Pässen zu
einfachen Toren verhilft. „Ich darf mich
dabei selbst auch nicht vergessen“, sagt
sie. Sie will torgefährlich bleiben. Ihre
ganzheitliche Spielanlage imponiert
auch Axel Kromer. Der Sportvorstand
des DHB nennt Petersen eine tolle
Option für die Mannschaft und lobt ihre
skandinavische Ausbildung. „Man
merkt sofort, dass sie es von Kindheit an
gelernt hat, aus dem Stand zu werfen
und tief stehende Abwehrformationen
mit einer hohen Passqualität auszuspie- Begegnungen mit Journalist*innen weltweit - jeden Monat neu
len.“ Er und alle anderen hoffen natür- Die belarussische Fotografin Violetta Savchits begleitete die Massenproteste gegen
lich, dass Petersens besondere Fähigkei- die umstrittene Wiederwahl von Präsident Alexander Lukaschenko von Beginn an.
ten zu einem späteren Zeitpunkt bei der
WM noch spielentscheidend werden Im Podcast spricht sie über die Macht der Bilder und die bedrohliche Lage für die
könnten. Menschen in Belarus. Angesichts der sich zuspitzenden Lage musste sie das Land
In Metzingen steht sie überwiegend kurz nach der Podcastaufnahme verlassen. © Violetta Savchits
im Angriff auf dem Parkett. Dabei wür-
de sie gerne häufiger in der Abwehr
zupacken. „Ich will eine Zwei-Wege-
Spielerin werden“, sagt Petersen. Also
eine komplette Spielerin. Bundestrai-
ner Groener traut ihr diese Rolle zu, er
hat sie bei der WM schon auf den Halb-
oder Außenpositionen verteidigen las-
sen. „Bei uns gerät niemand in Panik,
wenn sie hinten ranmuss“, sagt Kro-
mer. Silje Bröns Petersen freut sich nun Jetzt überall hören, wo es Podcasts gibt oder unter:
jedenfalls auf die Hauptrunde bei der www.reporter-ohne-grenzen.de/podcast
WM, auf mindestens weitere drei Spie-
le. „Das wird toll“, sagt sie. Nur eines
vermisst sie in Spanien, ihre Hündin
Molly, eine Mischung aus französischer
Bulldogge und Beagle. „Mit ihr würde
ich gerne am Meer spazieren gehen.“
Aber Molly ist zurzeit in Dänemark, bei
ihren Eltern. MATTHIAS SCHMID
SE I TE 2 8 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
Tempomacher
Weikert mitten
im Mehrkampf
Der neue DOSB-Präsident hat es eilig: Es geht
um Durchschlagskraft und Glaubwürdigkeit in
außenpolitischen Fragen, aber auch um die Lösung
von Alltagsproblemen an der Basis. Ein Erfolg stellt
sich schon ein: eine Einladung nach Lausanne.
Von Anno Hecker, Weimar
A
m Morgen vor seiner
Wahl zum neuen Präsi-
denten des Deutschen
Olympischen Sportbun-
des (DOSB) räumte Tho-
mas Weikert seine Jog-
gingschuhe aus einer kleinen Tasche und
machte sich zu Fuß auf zur nahe gelegenen
Weimarhalle. Wenige Stunden später, vor
seinem gewaltigen Sieg über seine Mitbe-
werberin Claudia Bokel (361:56 Stimmen),
zog er sie wieder an. In Gedanken während
seiner Bewerbungsrede zu den Delegier-
ten, die den Juristen aus Hadamar auf der
Bühne im dunklen Anzug erlebten, der
aber von sich das Bild vom agilen Sportchef
im Sportdress zeichnete: „Auf geht’s,
packen wir es an.“ Weikert macht Tempo.
Am Morgen nach seiner Wahl konnte
der jüngst 60 Jahre alt gewordene Spitzen-
funktionär schon den ersten Erfolg seiner
Mission wahrnehmen. Der DOSB war
unter seinem Vorgänger Alfons Hörmann
intern wie extern in alle Himmelsrichtun-
gen mit Dissonanzen und teils öffentlichen
Streitereien aufgefallen. Das gipfelte in
einem offen ausgetragenen Krach mit dem
Internationalen Olympischen Komitee
(IOC). Dessen Präsident Thomas Bach ver-
band seine Gratulation an Weikert prompt
mit einer Einladung nach Lausanne, ausge-
sprochen für das gesamte Präsidium. Das
riecht nicht nach einer Versöhnung; ein
Friedensschluss war auch nicht nötig zwi-
schen Weikert und dem Weltsportchef.
Bach hatte mit seiner Kritik an den Zustän-
den im DOSB Hörmanns im Zuge des
Streits um anonyme wie offene Klagen an
dessen Führungsstil im Sommer gewaltig
Partei ergriffen und das letztlich mitent-
scheidend in Bewegung gesetzt, was die
Sportphilosoph Gunter Gebauer über die Rolle von IOC-Chef Thomas Bach im Fall Peng Shuai und die Leuchtturm-Funktion der WTA
Wie schätzen Sie den Rückzug der WTA
aus China ein?
Das Verhalten der WTA finde ich mutig
und klar. Sie hält Wort – und tut, was das
IOC nicht tut. Dabei gibt es einen großen
Unterschied zwischen der WTA und dem
IOC: Die WTA ist in jeder Hinsicht eine
professionelle Organisation, amerikanisch
geführt. Dass eine Organisation, die die
Interessen von Profis vertritt, dem politi-
schen Argument mehr Gewicht gibt als
dem ökonomischen, finde ich außeror-
dentlich wichtig. Das ist vorbildlich für
den gesamten Sport.
Das heißt: Das könnte Signalwirkung
haben?
Anderen wird nichts anderes übrig blei-
ben, als auf diesen Leuchtturm hinzuwei-
sen. Das Zeichen ist so stark, dass die
anderen Weltorganisationen des Sports
daran nicht vorbeikommen. Ich bin
gespannt, wie es mit der Kritik am IOC
und an Thomas Bach, die berechtigterwei-
se angefangen hat, weitergeht. Das IOC ist
eigentlich Werten verpflichtet, die unab-
hängig von ökonomischen Interessen
funktionieren sollten. Führung, Stil und
Haltung sind aber sehr unterschiedlich im
Vergleich zur WTA. Bach versucht auf sei-
ne übliche Weise, seinen Laden zusam-
menzuhalten und zu taktieren, um keinen
Einfluss bei den Chinesen zu verlieren.
Die Olympischen Spiele machen die Sache
besonders brisant. Es ist sehr bedauerlich,
Delegierten am Samstag in geheimen
Wahlen durchsetzten: komplett neues Per-
sonal im ehrenamtlichen Führungszirkel
ein Jahr vor Ablauf der Amtszeit. Ein neuer
Chef mit knapp 87 Prozent der Stimmen
gewählt, die drei Wiederbewerber aus dem
alten Präsidium mit schwachen Voten
abgestraft und fünf frische Kandidaten ins
Amt gehoben. Allerdings darf Stephan
Mayer vorerst nicht agieren. Bis zum kom-
menden Mittwoch ist der CSU-Politiker
noch Parlamentarischer Staatssekretär im
Bundesinnenministerium. Ob ihm eine
Karenzzeit auferlegt wird, wird die neue
Regierung entscheiden. (Siehe Text auf
dieser Seite.)
Bach, das wurde im Verlauf der vergan-
genen Monate offensichtlich, hat indirekt
seinen Anteil am Neuanfang. Und Weikert
muss sich gleich sputen, die wieder ver-
knüpfte Verbindung zwischen DOSB und
IOC als Partnerschaft auf Augenhöhe vor-
zuleben. Ein Minenfeld. Die Winterspiele
in Peking stehen vor der Tür. Das IOC sieht
sich gewaltiger Kritik ob seines Umgangs
mit dem seit Wochen diskutierten Fall der
Tennisspielerin Peng Shuai ausgesetzt.
Kollaboration mit dem Regime wird Bach
vorgeworfen, „stille Diplomatie“ zum
Wohle der Athletin hält sich das IOC zugu-
te. Weikert wählt in dieser Frage den Mit-
telweg: „Lassen Sie uns mal abwarten, ob
es im Januar zum verabredeten Treffen
zwischen Thomas Bach und Peng Shuai
kommt, dann sehen wir, wie erfolgreich
das Vorgehen war.“ Der zukünftigen
Außenministerin Annalena Baerbock ließ
er keinen Spielraum. Sie hatte in der „taz“
über einen Boykott der Spiele räsoniert.
„Frau Baerbock“, sagte Weikert in Weimar,
„soll die Kirche im Dorf lassen. Ein Boy-
„Ein reiner Hohn“
dass er sich so abhängig gemacht hat von
solchen Motiven.
Die Diskussionen ziehen sich durch seine
Amtszeit.
Der Präsident des IOC hat ganz offen-
kundig eine Neigung zu autokratischen
Staaten. Das kann man in gewisser Hin-
sicht verstehen – auch in China werden
sie ihm reibungsloses Funktionieren der
Spiele garantieren. Dann ist das IOC,
finanziell gesehen, wieder auf der siche-
ren Seite für die nächsten Jahre. Der Prä-
sident des IOC ist kein Anwalt von Men-
schenrechten, sondern des IOC. Er will
das IOC zusammenhalten, deshalb
moderiert er politische Stellungnahmen
herunter auf Positionen, mit denen China
leben kann.
Welchen Eindruck hat die Kontaktauf-
nahme des IOC auf Sie gemacht?
Das Gespräch von Bach und Peng Shuai
war eine reine Peinlichkeit, ein reiner
Hohn. Die Formulierungen, sie wolle
sich auf ihre Familie konzentrieren, da
weiß man schon aus der Erfahrung mit
Dissidenten in der Sowjetunion, dass es
bedeutet: Sie stehen mehr oder weniger
unter Hausarrest, sind unter Aufsicht,
sind interniert, können sich nichts erlau-
ben. Bach muss das wissen. Aber Bach
spielt den Unwissenden und kommt Chi-
na auf diese Weise entgegen. Er tut alles,
um seine Spiele zu retten. Die Sorge,
Sport
„Auf geht’s, packen wir es an“: Thomas Weikert sieht sich als agiler Sportchef sozusagen im Sportdress.
kott hat noch nie jemandem was gebracht.
Das wäre unfair gegenüber den Athleten,
die sich jetzt so lange vorbereitet haben.“
Nur zweieinhalb Stunden nach seiner
Wahl fand sich Weikert mitten im Mehr-
kampf wieder um die Entwicklung einer
„starken Stimme des Sports“. Dabei geht es
nicht nur um Durchschlagskraft und
Glaubwürdigkeit in wichtigen außenpoliti-
schen Fragen, sondern vor allem um die
Lösung von Alltagsproblemen an der
Die Neuen
im Präsidium
Präsident: Thomas Weikert.
Vizepräsidenten: Verena Bentele
(Präsidentin VdK), Kerstin Holze
(Vorsitzende Deutsche Kinder-
turn-Stiftung), Stephan Mayer*
(Parlamentarischer Staatssekre-
tär/CSU), Oliver Stegemann
(Präsident Sportakrobatik), Miri-
am Welte (Vizepräsidentin LSB
Rheinland-Pfalz).
Für die Sportjugend: Stefan Raid
(Vorsitzender).
Athletenvertreterin: Fabienne
Königstein.
Das Präsidium muss sich in
einem Jahr zur Wiederwahl stel-
len. *Stephan Mayer darf sein
Amt erst nach Zustimmung der
Bundesregierung antreten.
Gunter Gebauer Foto Sven Simon
dass sie von einem Boykott und das nach
den Spielen von Tokio unrettbar beschä-
digt werden, ist sicher ein Motiv, wenn
man versucht, sich in ihn hineinzuver-
setzen. Das Problem ist, dass er jede
Haltung verliert, die man von ihm ver-
langen kann als deutschem Bürger, als
Bürger eines Landes, das westlichen
Werten verpflichtet ist. Das ist er offen-
bar nicht. China kann ihm viel Rücken-
deckung innerhalb des IOC geben durch
seinen großen Einfluss in der Welt. Aber
er verspielt die letzten Reste des
Ansehens der olympischen Bewegung,
jedenfalls im Westen. Gerade weil wir
jetzt die WTA als Gegenbeispiel haben
und wir uns fragen: Warum macht Bach
das nicht auch so?
Basis. In der Pandemie ist eine gewaltige
Diskrepanz zwischen dem Anspruch des
DOSB als größte Personenvereinigung des
Landes (27 Millionen Mitgliedschaften)
und seiner Beachtung in wesentlichen Gre-
mien der Politik so deutlich zutage getreten
wie nie zuvor. Der organisierte Sport
abseits des Profifußballs hat nichts zu
sagen. Im Wahlergebnis vom Samstag
drückt sich wohl auch deshalb eine Sehn-
sucht nach mehr Anerkennung, Beach-
tung, Respekt aus für den mit Händen zu
greifenden, von Pädagogen, Medizinern,
Soziologen, Psychologen bestätigten
gesellschaftspolitischen Beitrag der 90 000
Vereine. Die neue Vizepräsidentin Verena
Bentele mag als erfolgreiche Sportlerin
bekannt sein, die Premiere einer Paralym-
pikerin im Präsidium ist ein Zeichen für
eine neue Gewichtung. Bentele nährt aber
die Hoffnung, mit ihrer Erfahrung einst als
Behindertenbeauftragte der Bundesregie-
rung und nun als Vorsitzende des größten
Sozialverbandes VdK die Interessen des
Sports nachdrücklich vertreten zu können.
Prägnant und kämpferisch schilderte ihre
neue Kollegin im Präsidium, Kerstin Holze,
wo die Not groß ist: „1,5 Jahre Stillstand
haben enorme Folgen für den Gesund-
heitssektor und darüber hinaus. Ich kann
nicht akzeptieren, dass Schulsport nicht
stattfindet, dass Kinder über diesen langen
Zeitraum ausgeschlossen werden. Ja, die
vierte Welle muss gestoppt werden. Ich
weiß aber, dass Sport Teil der Lösung ist.
Die Vereine haben so viele tolle Projekte
entwickelt. Kinder müssen in Bewegung
bleiben, Krebskranke können ihre Hei-
lungschancen erhöhen, Ältere ihre kogniti-
ven Fähigkeiten erhalten. Es ist jetzt die
Zeit, ausreichend gehört und beteiligt zu
Was geschieht mit den Winterspielen
jetzt?
Ich glaube nicht, dass die Gegner es fertig-
bringen, in so kurzer Zeit noch eine Boy-
kottbewegung aufzubauen. Es ist ja auch
die Frage, ob ein Boykott etwas bringt,
wenn man sich anschaut, welche Wirkun-
gen frühere Boykottbewegungen hatten.
Es ist eine symbolische Bestrafung des
jeweiligen Gastgebers, aber zunächst mal
sind die eigenen Sportler bestraft. Und
man überlässt die Spiele dem jeweiligen
Regime. Der Ostblock hat sich gefeiert
1980, die Amerikaner haben ihre Kultur
gefeiert 1984. Ein sehr effektives Mittel ist
es, den Hauptsponsoren des IOC ihre
Steuervergünstigungen für ihr Sponsoring
in den USA zu entziehen. Das IOC braucht
die Überschüsse: Das IOC fördert mit sei-
nen Einnahmen den Weltsport und behält
sich zehn Prozent der Gesamteinnahmen
für gezielte Projekte vor, was eine gewalti-
ge Summe ist. Wenn dieses Geld gefährdet
ist, dann ist auch die Politik des IOC
gefährdet, Geld an Länder und Verbände
zu verteilen, die gefügig sind.
Die WTA begründet ihren Rückzug auch
damit, dass sie die Sicherheit der eigenen
Spielerinnen nicht garantieren kann.
Kann das IOC glaubhaft die Sicherheit
der Wintersportler garantieren?
Bei nichtchinesischen Teilnehmern wird
man glaubhaft garantieren können, dass
sie sicher wieder rauskommen. Bei chine-
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Foto dpa
werden an der Umsetzung, wir brauchen
den Sport jetzt.“
Eine gewaltiger Anspruch. Aber das
Bundesverfassungsgericht hat Sportpoliti-
kern in der vergangenen Woche einen
Ansatz geboten, über Appelle hinauszu-
kommen: Kinder haben ein Recht auf Bil-
dung. Fehlte nur noch die Feststellung,
dass Sport im Sinne einer Entwicklung
von Körper und Geist das ist, was viele
Experten predigen: ein Teil der (zu för-
dernden) Bildung. Der Weg zur greifbaren
Anerkennung wird lang sein. Weikert will
das Lobbybüro des DOSB in Berlin stär-
ken. Und so schnell wie möglich die Nach-
folge für die Vorstandsvorsitzende Veroni-
ka Rücker regeln. Außerdem soll die seit
einem Jahr nicht ausgefüllte Stelle eines
Vorstands für Sportentwicklung wieder
besetzt werden. „Ich habe Namen im
Kopf“, sagt Weikert. Noch vor Weihnach-
ten will er mit seinem Präsidium so weit
sein: „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Das gilt für alle weiteren großen Aufga-
ben, die sich vor dem Präsidium türmen,
von der Sportstättensanierung bis zur
Reform der Spitzensportorganisation. Die
Neuaufstellung dafür erscheint vielver-
sprechend. Allerdings mahnte Thomas de
Maizière, der Vorsitzende der
DOSB-Ethikkommission: „Mit einer Neu-
wahl ist es nicht getan, wenn sich nicht
insgesamt im Umgang miteinander und
nach außen etwas ändert.“ Bis zum Abend
vor der Wahl war es noch nicht so weit. Da
wurden in manchen Verbänden Wunden
geschlagen. Darüber konnte die spürbare
Erleichterung am Samstagabend nicht
hinwegtäuschen. Weikert wird sich beeilen
müssen mit der Einheit des Sports. Im
nächsten Jahr wird wieder gewählt.
sischen Teilnehmern wird man das nicht
garantieren können. Wie man das IOC so
kennt, werden sie Abmachungen mit den
Organisatoren treffen, nach denen die chi-
nesische Seite feierlich erklärt, dass alle
Olympiateilnehmer Chinas ehrenvoll in
ihren Heimatprovinzen empfangen wer-
den. Und dagegen kann man nichts
machen – es heißt dann, es gibt die Versi-
cherungen, und Peng Shuai ist auch nicht
eingesperrt, sie sitzt ja an der Kaffeetafel
und wartet auf Gespräche . . . Man ist
gefangen in den Pseudoargumenten und
kommt nicht raus. Man würde höchstens
rauskommen, wenn man glasklar nach-
weisen kann, dass die Frau unter großen
Repressionen steht, eingesperrt ist, Haus-
arrest hat, weitere schwere Konsequenzen
zu gewärtigen hat. Und das kann kein
Nichtchinese. Und damit spielen die ein-
fach. Die diffuse Lage kommt ihnen zugu-
te, und das nutzen sie total aus.
Und das IOC spielt mit?
Das IOC spielt dieses Spiel immer mit.
Das ist ein besonderer Fall, weil China,
was Menschenrechte angeht, sowieso am
Pranger steht, aus gutem Grund. Aber
wir haben schon etliche Male erlebt, dass
das IOC mit solchen Zwischenlagen
umgeht, bei denen ständig Verdächtigun-
gen da sind, die man letzten Endes nicht
konkretisieren kann.
Die Fragen stellte Christoph Becker.
Streitfall
Mayer
Regierung muss
Wechsel zustimmen
ahe. WEIMAR. Der SPD-Bundes-
tagsabgeordnete Mahmut Özdemir hat
die Kandidatur von Stephan Mayer
zum Vizepräsidenten des Deutschen
Olympischen Sportbundes (DOSB)
ohne Klärung der Karenzzeitfrage kri-
tisiert. „Ich halte das für ungeschickt
und unsensibel“, sagte Özdemir, unter
anderem Mitglied im Sportausschuss
des Deutschen Bundestages, der
F.A.Z.: „Es widerspricht dem Sinn und
dem Zweck des Ministergesetzes,
wenn sich ein geschäftsführender
Staatssekretär in ein Amt wählen lässt,
bevor überprüft worden ist, ob eine
Interessenverquickung vorliegt. Das
Ergebnis muss man abwarten. Dann
erst sollte man sich zur Wahl stellen.“
Mayer (CSU) ist bis zum kommenden
Mittwoch als Parlamentarischer
Staatssekretär beim Bundesinnenmi-
nister unter anderem für den Spitzen-
sport zuständig. Am Samstag hatten
ihn die Delegierten des DOSB auf der
Mitgliederversammlung in Weimar
zum Vizepräsidenten gewählt. (Siehe
Text auf dieser Seite.) Das Amt darf er
erst antreten, wenn die neue Bundes-
regierung dem Wechsel zustimmt.
Mayer rechnet mit einer Zusage im
Januar. Er verwies auf die Bedeutung
der Karenzzeit für ehemalige Regie-
rungsmitglieder, die in die Wirtschaft
wechselten. In seinem Falle gehe es
um die Übernahme eines Ehrenamtes,
um ein unentgeltliches Engagement.
Özdemir warnte davor, allein dieses
Kriterium zu bemühen: „Es macht kei-
nen Unterschied, ob es um einen
Wechsel in eine Aktiengesellschaft
oder in einen Verein geht, wenn nicht
vorher geklärt ist, ob die Fähigkeiten,
die Kenntnisse, der Nimbus der betrof-
fenen Person eine Abkühlphase not-
wendig erscheinen lassen. Eine
Karenzzeit erfüllt das Ministergesetz
mit Leben.“
Vor Özdemir war Kritik aus dem
Sport laut geworden. Thomas Härtel,
Präsident des Landessportbundes
Berlin, ergriff im Sitzungssaal von
Weimar das Wort und legte Mayer
einen zeitlichen Abstand nahe: „Ich
stelle mir die Frage, ob das der richti-
ge Zeitpunkt ist, aus der unmittelba-
ren Verantwortung aus der Politik für
den Sport in den DOSB zu wech-
seln.“ Er halte Mayer für geeignet,
aber er halte auch sehr viel von Com-
pliance-Regeln und deshalb den
Zeitpunkt für nicht angemessen. Im
Wandelgang der Weimarhalle hatte
vor der Wahl Mayers der Begriff des
Parteienproporz die Runde gemacht.
Ohne Mayer wäre das Präsidium
SPD-lastig. „Da musste ein Schwar-
zer rein“, sagte ein Funktionär. Wäh-
rend der Tagung der Fachverbände
am Freitag hatte sich Rainer Koch,
kommissarischer Präsident des Deut-
schen Fußball-Bundes und Strippen-
zieher nicht nur dort, für Mayers
Wahl ins Zeug gelegt. Er erhielt 257
Stimmen, rund 100 weniger als Miri-
am Welte und Verena Bentele.
Sollte die neue Bundesregierung
eine Zustimmung verweigern,
bestünde die Möglichkeit, jemanden
zu kooptieren, sagte der neue DOSB-
Präsident Thomas Weikert.
In Kürze
Carlsen ohne Mühe
Titelverteidiger Magnus Carlsen hat
bei der Schach-Weltmeisterschaft in
Dubai problemlos seine Führung
verteidigt. In der siebten Partie am
Samstag trennten sich der Norweger
und Herausforderer Jan Nepo-
mnjaschtschi wie bereits fünfmal
zuvor remis. Carlsen liegt nach der
Hälfte der 14 angesetzten Partien 4:3
vorn. „Das Match läuft gut, aber es
ist noch ein langer Weg“, sagte Carl-
sen. dpa
Petros läuft Rekord
Der Wattenscheider Amanal Petros
hat seinen deutschen Marathon-Re-
kord verbessert. In Valencia lief der
gebürtige Äthiopier am Sonntag
nach 2:06:27 Stunden als Elfter ins
Ziel. Damit blieb er als erster deut-
scher Läufer unter einer Zeit von
2:07:00 Stunden und steigerte seine
Bestzeit um 51 Sekunden. Sieger des
Valencia-Marathons wurde der
Kenianer Lawrence Cherono in
2:05:12 Stunden. dpa
Emma Hinzes Coup
Die fünfmalige Weltmeisterin Emma
Hinze hat die Sprint-Gesamtwertung
in der erstmals ausgetragenen Cham-
pions League im Bahnradsport
gewonnen. Die Cottbuserin vertei-
digte am Samstag beim vierten und
letzten Renntag der neuen Serie im
Olympia-Velodrom in London ihre
Spitzenposition und sicherte sich
25 000 Euro Preisgeld. „Ich bin ziem-
lich stolz, glücklich und wirklich
zufrieden“, sagte Emma Hinze. dpa
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
M ONTAG , 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1
Winterliche
Ausflüge in
den Taunus
RHEIN-MAIN Eis, Schnee und die ersten
Besucher mit Schlitten: Rund um den
Großen Feldberg ist der Winter ange-
kommen. Während sich das zweite
Adventswochenende in den flacheren
Lagen wie in Frankfurt, Offenbach oder
Darmstadt noch herbstlich trüb, regne-
risch und durchweg ungemütlich zeigte,
herrscht im Taunus und den anderen
Höhenlagen der Region nun schon seit
einigen Tagen die weiße Pracht – und
lockt die Ausflügler in Scharen in die
Wälder und auf die Gipfel. Vor allem auf
dem Feldberg waren am Samstag und
Sonntag schon früh die Parkplätze belegt
und die Wege mit Wanderern und Spa-
ziergängern bevölkert, und manche
Besucher versuchten sich tatsächlich mit
ersten Schlittenabfahrten. Ob es dazu
auch am nächsten Wochenende die Gele-
genheit geben wird, mögen die Meteoro-
logen vom Deutschen Wetterdienst nicht
mit Bestimmtheit sagen, aber es sieht
ganz danach aus: Denn auch während der
Woche werden die Tageshöchsttempera-
turen weiterhin zwischen vier und sechs
Grad in den tieferen und um den Gefrier-
punkt in mittleren und höheren Lagen
pendeln und dafür sorgen, dass die
immer wieder zu erwartenden Nieder-
schläge unterhalb von 400 Metern als
Regen oder Schneeregen fallen, darüber
aber als Schnee. Es dürfte im Taunus also
weiß bleiben. bad.
Lese-Empfehlungen
auf faz.net/rmz
Frankfurter CDU
Wie der Kreisverband einen
neuen Vorsitzenden sucht
Traditionelles Gänseessen
Wie Obdachlose vom Impfen
überzeugt werden
Neue Comics
Wie man deutsch-jüdische
Geschichte anders erzählen kann
„Alles nur Schikane“
Bei ihren Protesten halten sich
Impfgegner und „Querdenker“ am
Samstag nicht an die Auflagen.
Deshalb greift die Polizei durch.
FRANKFURT, SEITE 30
Die Abstell-Erlaubnis
Auch wenn niemand zu Hause ist:
Die Zustellung von Paketen war
noch nie so einfach wie heute.
Das hat auch mit Corona zu tun.
VERBRAUCHER, SEITE 34
Farben, Sex und Malerei
Großmutter, Mutter, Enkelin: In der
Ausstellungshalle an der Schulstraße
zeigen Anna Nero und Julia
Ovrutschski die Kunst ihrer Familie.
KULTUR, SEITE 40
Wetter
Heute bleibt der Tag meist
grau und trüb, aber auch
trocken. Die Höchstwerte
erreichen nur 3 Grad, erst in der
Nacht gibt es Regen und Schnee.
Temperaturen gestern Min. Max.
Flughafen Frankfurt 3° 6°
Feldberg im Taunus -2° -1°
Flughafen Frankfurt gestern:
24-stg. Niederschlag bis 17h 0,5 mm
Kollateraleffekt
Sie sei schon seit drei Wochen erkäl-
tet, sagt die Freundin und hört sich
irritierend vergnügt an. Vor lauter
Husten habe sie sich „aus Versehen“
das Rauchen abgewöhnt. mali.
Winterlandschaft: Wanderer auf einem der Wege rund um den Großen Feldberg
m Mittwoch wird es im Hessi-
A schen Landtag wieder einmal
hoch hergehen. Wenn die Abge-
ordneten eine Corona-Sonder-
zahlung für Beamte beschließen, wird die
Opposition es sich nicht entgehen lassen,
zwei Urteile zur Sprache zu bringen, die
der Hessische Verwaltungsgerichtshof
(VGH) in Kassel in der vergangenen
Woche verkündet hat. Danach war die
Besoldung der Beamten in den Jahren
2013 bis 2020 so niedrig, dass sie gegen das
Grundgesetz verstieß.
Das Bundesverfassungsgericht ver-
langt, dass die Bezüge der Beamten in der
untersten Besoldungsgruppe mindestens
15 Prozent über der Grundsicherung für
Arbeitslose liegen müssen. Diese Anfor-
derung werde bei einem Vergleich zwi-
schen vierköpfigen Familien von Allein-
verdienern nicht erfüllt, stellte der VGH
in seiner Entscheidung fest.
Die offizielle und definitive Feststel-
lung der Verfassungswidrigkeit ist den
Karlsruher Richtern vorbehalten. Dass sie
die beiden noch nicht veröffentlichten
Vorlagenbeschlüsse aus Kassel grundsätz-
lich bestätigen werden, gilt aber als
höchstwahrscheinlich. Denn sie orientie-
ren sich ausdrücklich an der einschlägigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts. Es hat in den zurückliegenden
Jahren schon die Besoldung in anderen
Bundesländern verworfen, ohne dass
Hessen darauf reagiert hätte.
Die Sache wird das Land teuer zu ste-
hen kommen. Wie hoch die Nachzah-
lungen sein werden, lässt sich aber noch
nicht absehen. So ist beispielsweise
noch nicht endgültig geklärt, ob nur die
Beamten, die gegen ihre Besoldung
geklagt oder Widerspruch eingelegt
haben, nun entschädigt werden – oder
alle. Unkalkulierbar sind die zusätzli-
chen Aufwendungen, die sich aus dem
Einschränkungen bei Kontakten und Konsum
WIESBADEN In Hessen gelten jetzt neue Corona-Regeln / Gastronomie spricht von Rückschlag
Die Zahl der registrierten Infektionen
mit dem Coronavirus in Hessen ist bin-
nen 24 Stunden um 2135 gestiegen. Das
teilte das Robert-Koch-Institut (RKI)
am Sonntag mit. Im selben Zeitraum
wurden sechs Todesfälle registriert. Die
Gesamtzahl derer, die in Hessen seit
Pandemiebeginn mit oder an Covid-19
gestorben sind, liegt damit bei 8211.
Die Sieben-Tage-Inzidenz stagniert
unterdessen. Sie veränderte sich von
271,0 am Vortag auf 271,1 am Sonntag.
Am höchsten war sie laut hessischem
Sozialministerium im Odenwaldkreis
mit 562,3 am niedrigsten im Kreis Mar-
burg-Biedenkopf mit 151,3.
Die für die jeweils geltenden Corona-
Regeln wichtige Hospitalisierungsinzi-
denz lag am Sonntag laut Sozialministe-
rium bei 4,05. Am Freitag hatte sie bei
4,1 gelegen, vor einer Woche hatte die
Zahl der Neuaufnahmen von Covid-19-
Patienten in Krankenhäusern je 100 000
Einwohner 4,18 betragen. Auf den
Intensivstationen in Hessen lagen nach
Mehr Geld
für Beamte,
aber wann?
WIESBADENDie Besoldung in Hessen ist
laut Verwaltungsgerichtshof zu niedrig.
Was die Landesregierung dagegen tun will,
könnte sich in dieser Woche klären.
Verfahren für die künftige Bezahlung
der Staatsdiener ergeben.
Sie sind in den unteren Besoldungsgrup-
pen nicht sehr zahlreich und ihre Bezüge
relativ bescheiden. In der untersten Stufe
liegen sie in der Größenordnung von rund
30 000 Euro im Jahr. Die Richter in Kassel
verlangen aber auch einen „hinreichend
großen Abstand“ zwischen den einzelnen
Besoldungsgruppen. Aus ihrer Sicht ver-
dienen Beamte im höheren Dienst „wegen
der höheren Wertigkeit der ihnen anver-
trauten Tätigkeiten“ mehr als die Kollegen
in den niedrigeren Besoldungsgruppen.
Diese Anforderung könnte erhebliche Aus-
wirkungen auf künftige Haushalte haben.
„Falls rückwirkend Ansprüche ausgegli-
chen werden müssen, muss die Landesre-
gierung voraussichtlich finanzielle Mittel
Daten der Deutschen Interdisziplinären
Vereinigung für Intensiv- und Notfall-
medizin (DIVI) vom Sonntag 295 Perso-
nen, 129 wurden beatmet.
Seit Sonntag gelten in Hessen neue
Corona-Regeln und für Ungeimpfte Kon-
taktbeschränkungen: Von nun am dürfen
sich maximal zwei Hausstände ungeimpf-
ter Personen im öffentlichen Raum tref-
fen, das gilt auch als Empfehlung für pri-
vate Zusammenkünfte. Geschäfte dürfen
nur noch Geimpfte und Genesene einlas-
sen (2-G-Regel), Ausnahmen gelten für
die Grundversorgung etwa in Supermärk-
ten, Drogerien, Apotheken.
Die 2-G-plus-Option ist gestrichen: Wie
Gastronomen dürfen auch Kinos, Theater
und Diskotheken außer Geimpften und
Genesenen niemanden mehr mit tagesak-
tuellem Test einlassen. Jugendliche bis zu
einem Alter von 18 Jahren erhalten, weil
sie regelmäßig an Tests in Schulen teilneh-
men, grundsätzlich Zugang zu Einrichtun-
gen und Veranstaltungen, bei denen 2 G
gilt. Diese Regelung soll auslaufen, sobald
im hohen dreistelligen Millionenbereich
bereitstellen.“ So hatte sich der FDP-Abge-
ordnete Stefan Müller schon in Erwartung
des Urteils geäußert. Es richtet sich aber
bei genauem Hinsehen nicht nur gegen die
amtierende Landesregierung, sondern
auch gegen Beschlüsse, an denen die Libe-
ralen als Koalitionspartner der Union bis
zum Jahr 2013 beteiligt waren.
Die Klagen wurden allerdings durch die
Folgen der Nullrunde des Jahres 2015 aus-
gelöst, die CDU und Grüne gegen Ende
des Jahres 2013 im Rahmen ihrer Koali-
tionsverhandlungen vereinbarten, „auf Ini-
tiative der Grünen“, wie der Abgeordnete
der Linken, Hermann Schaus, heute
betont. Tatsächlich zählte die Absicht,
angesichts der Schuldenbremse ernsthaft
zu sparen, zu den Differenzen, die die Bil-
ein umfassendes Impfangebot auch für
diese Altersgruppe vorliegt. Geimpfte und
genesene Schülerinnen und Schüler erhal-
ten von sofort an das Angebot, sich eben-
falls einmal in der Woche in der Schule
testen zu lassen.
Es gelten auch neue Regelungen für
Zusammenkünfte, Fachmessen, Veran-
staltungen und Vereinstreffen sowie
Kulturangebote wie Theater, Opern,
Kinos und Konzerte. In Innenräumen
ist bis zehn Personen keine Einschrän-
kung erforderlich. Sollen elf bis
100 Menschen zusammenkommen, gilt
2 G, und es ist ein Abstands- und Hygie-
nekonzept notwendig. Von 101 Perso-
nen an gilt 2-G-plus mit einem
Abstands- und Hygienekonzept. Von
250 Personen an müssen die zuständi-
gen Gesundheitsämter die Veranstal-
tung genehmigen. Im Freien ist für
Zusammenkünfte bis zu zehn Personen
keine Regelung erforderlich, von elf bis
100 Personen greift ein Abstands- und
Hygienekonzept, von 101 Personen an
RM Z IM INTE RNE T: www.faz.net/rmz
Foto Imago
dung einer rot-grün-roten Landesregie-
rung verhinderten.
Während die Linke einen „Sozialabbau“
ablehnte, erklärten SPD und Grüne, dass
eine Konsolidierung des Haushalts neben
der Erhöhung der Einnahmen auch Ein-
sparungen nötig mache. Mathias Wagner,
damals noch Parlamentarischer Geschäfts-
führer der Ökopartei, betonte die Dramatik
der Haushaltslage. Und Partei- und Frak-
tionschef Tarek Al-Wazir stellte wenige
Tage später fest, dass die Ahnung sich
bestätigt habe: „Es ist kein Geld da.“ So
einigten CDU und Grüne sich, den Beam-
ten einen einschneidenden Beitrag abzu-
verlangen, um vom Jahr 2020 an einen aus-
geglichen Haushalt vorlegen zu können.
Der Plan, die Bezüge nach der Nullrunde
des Jahres 2015 jährlich nur noch jeweils
um ein Prozent ansteigen zu lassen, wurde
allerdings angesichts hoher Steuereinnah-
men schon 2017 wieder begraben. Doch
den Anforderungen der Gerichte hat die
Besoldung offensichtlich nicht genügt.
Ministerpräsident Volker Bouffier
(CDU) wies darauf hin, dass das endgülti-
ge Urteil des Bundesverfassungsgerichts
ja noch ausstehe. Damit ist allerdings erst
in zwei bis drei Jahren zu rechnen. So lan-
ge will der Beamtenbund nicht warten.
Der Landesvorsitzende Heini Schmitt
meint, dass die Entscheidung der Karlsru-
her Richter nur noch ein formaler Akt sei.
„Jetzt eine Anpassung mit Blick auf diese
Entscheidung hinauszögern zu wollen ist
unter keinen Umständen hinzunehmen.“
Mit Innenminister Peter Beuth (CDU) sei
vereinbart gewesen, dass man nur noch
das ausstehende Urteil des VGH abwarte,
um dann die Frage der Neugestaltung der
Besoldung in Hessen zu erörtern, sagt
Schmitt. In der Landtagsdebatte am Mitt-
woch könnte die Landesregierung nun
erklären, wie sie sich das weitere Vorge-
hen vorstellt. htr.
gilt 2 G und die Verpflichtung, ein
Abstands- und Hygienekonzept zu
garantieren. Bei Gottesdiensten und
anderen religiösen Zusammenkünften
in Innenräumen wird die Anwendung
der 3-G-Regeln dringend empfohlen.
Kritik an den Regeln übte am
Wochenende der Deutsche Hotel- und
Gaststättenverband (DEHOGA) in Hes-
sen. Viele Betriebe hätten sich für die
Anwendung von 2 G plus entschieden,
um in der Vorweihnachtszeit wieder
mehr Reservierungen annehmen zu kön-
nen, sagte Hauptgeschäftsführer Julius
Wagner. Dass diese Möglichkeit entfal-
len sei, bedeute für viele Restaurants, die
gerade wieder in der Gewinnzone seien,
einen herben Rückschlag. Der Frankfur-
ter Gastronom Robert Mangold spricht
in diesem Zusammenhang von einem
erheblichen Umsatzverlust. Im Interview
mit der F.A.Z. fordert er Hilfe von den
Kommunen; diese hätten die Verpflich-
tung, der Branche jetzt unter die Arme
zu greifen. (Siehe Seite 31.) lhe./jv.
NR. 284 ( 2 2 ) · SE I TE 2 9
Politisches
Armutszeugnis
Von Ewald Hetrodt
ass junge Leute vermehrt in
D den Staatsdienst streben, hat
gute Gründe: die Sicherheit
des Arbeitsplatzes, eine relativ hohe
Pension und eine großzügige Versor-
gung im Krankheitsfall. Arbeitneh-
mer und Angestellte können von sol-
chen Privilegien nur träumen. Sie
bleiben den Beamten erhalten, auch
wenn der Abstand der untersten
Besoldungsgruppe zur Grundsiche-
rung zusammenschmilzt. Darüber
hinaus werden jedenfalls im höhe-
ren Dienst sehr ansehnliche Gehäl-
ter gezahlt. Darum löst das Urteil
des Hessischen Verwaltungsge-
richtshofes zur Besoldung der hessi-
schen Beamten kein allzu großes
Mitleid aus. Doch wenn die Bezüge
seit Jahren so niedrig sind, dass die
Richter in Kassel sie für verfassungs-
widrig halten, ist das ein politisches
Armutszeugnis.
Nun ist Hessen nicht das einzige
Bundesland, das mit dem Versuch, an
seinen Beamten zu sparen, auf dem
juristischen Weg scheitert. Aber
gerade die in den zurückliegenden
Jahren schon ergangenen Urteile des
Bundesverfassungsgerichts hätte die
Koalition zum Anlass nehmen müs-
sen, die Besoldung zu ändern.
Schwarz-Grün lässt es offensichtlich
gern darauf ankommen. Gerade ist
die Koalition auch mit ihrer Corona-
Politik gescheitert. Das sogenannte
Sondervermögen zur finanziellen
Bewältigung der Pandemie ist eben-
falls verfassungswidrig. So hat es der
Staatsgerichtshof entschieden.
Schwarz-Grün hat also in kürzes-
ter Zeit in zwei fundamentalen Kon-
flikten vor Gericht Schiffbruch erlit-
ten. In beiden Fällen gab es vor dem
Richterspruch heftige Auseinander-
setzungen. Dabei beharrte die Lan-
desregierung stur auf ihrer Position,
anstatt zu versuchen, sich mit der
Gegenseite zu arrangieren. Das deu-
tet nicht nur auf ein schlechtes
Management hin. Vielmehr tritt hier
ein äußerst robuster, allzu selbstge-
wisser und überaus riskanter Politik-
stil zutage. Aber halt: In der vergan-
genen Woche kündigte Ministerprä-
sident Volker Bouffier (CDU) an, auf
die Opposition zugehen zu wollen,
um ihr Vorschläge zur Bekämpfung
des Virus zu machen. Ist er zur Ein-
sicht gekommen? Beginnt er ange-
sichts des Machtwechsels in Berlin,
sich von seinem grünen Koalitions-
partner zu emanzipieren?
Prüfungen von
Betrieben seltener
WIESBADEN Die Quote der Betriebs-
prüfungen von Finanzbeamten bei
hessischen Großbetrieben und Ein-
kommensmillionären ist im Corona-
Jahr 2020 im Vergleich zu den Vor-
jahren gesunken. Das geht aus einer
Antwort des Finanzministeriums auf
eine parlamentarische Anfrage der
Linken im Landtag hervor. Demnach
wurden 2020 rund 16 Prozent der
Großbetriebe und 7,7 Prozent der
„Steuerpflichtigen mit bedeutenden
Einkünften“ geprüft. Von 2010 bis
2019 hatte diese Quote bei den Groß-
betrieben zwischen 24,5 Prozent
(2016) und 18,4 Prozent (2019) gele-
gen. Im gleichen Zeitraum lag die
Prüfquote bei den Einkommensmil-
lionären zwischen 22 Prozent (2013)
und rund 8,7 Prozent (2019).
Zweifellos habe die Corona-Pan-
demie 2020 gravierende Auswirkun-
gen auf die Betriebsprüfungen und
damit auf die jeweiligen Prüfquoten
gehabt, teilte das Finanzministe-
rium weiter mit. Gerade zu Beginn
der Pandemie seien Anordnungen
von neuen Außenprüfungen kaum
noch möglich gewesen. Betriebs-
prüfer seien während des Jahres
2020 verstärkt zur Unterstützung
anderer Bereiche eingesetzt wor-
den, etwa bei der Abarbeitung von
Anträgen auf Steuerstundungen
oder auf Sofort- oder Überbrü-
ckungshilfe. lhe.
SE I TE 3 0 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
ass ihre Kundgebungen am
D Samstagnachmittag in der
Innenstadt aufgelöst wurden,
dürfte die „Querdenker“ und
Impfgegner nicht überrascht haben.
Denn wie in der Vergangenheit immer
wieder haben die Kritiker der Corona-
Maßnahmen auch diesmal gezeigt, dass
sie die Auflagen, die für ihre Aufmärsche
angeordnet werden, in ihrer Mehrzahl
nicht beachten wollen. Wieder einmal
haben sie sich weder an die Masken-
pflicht noch an Abstandsregeln gehalten.
Die Polizei, die am Samstag mit einem
Großaufgebot in der Stadt unterwegs
war, ging dagegen schnell und konse-
quent vor: Ein Demonstrationszug mit
gut 500 Teilnehmern, der sich im Reuter-
weg sammelte, um durch die Innenstadt
zu ziehen, wurde nach nur wenigen
Metern gestoppt und aufgelöst. Und auch
eine Kundgebung auf dem nahe gelege-
nen Opernplatz, wo sich rund 1500 Impf-
gegner zusammengefunden hatten, wur-
de vorzeitig beendet. Dort hatten die
Teilnehmer ebenfalls in großer Zahl
gegen die Auflagen verstoßen.
Auf die Aufforderungen, die Ver-
sammlungsorte zu räumen, reagierten sie
dann mit blanker Wut. Parolen wie „Ihr
tretet die Freiheit mit Füßen“, „Ihr brecht
das Recht“ und „Ihr prostituiert euch“
wurden den Polizisten entgegengerufen.
„Das ist doch alles Schikane, wie in der
DDR“, brüllte eine Frau am Reuterweg.
Die Bereitschaft, sich an Regeln und
Verfügungen zu halten, nimmt in der Sze-
ne der „Querdenker“ offenbar weiter ab.
Verstöße gegen Demonstrationsauflagen
wurden am Wochenende auch von vielen
anderen Orten in Deutschland gemeldet,
aus Hamburg, aus dem thüringischen
Greiz, aus Freiberg in Sachsen. In Berlin
waren Anhänger der „Querdenker“-Be-
wegung trotz eines Demonstrationsver-
bots auf die Straße gegangen, fünf Jour-
nalisten wurden dabei angegriffen.
Zu einem Übergriff gegen einen Foto-
grafen kam es auch am Reuterweg: Als ein
Pulk von Fotojournalisten sich dort einer
Gruppe von Demonstranten näherte,
schlug einer der Männer mit der Faust in
Richtung eines der Medienvertreter. Die
Polizei meldete am Samstagabend auch
mehrere Angriffe auf Einsatzkräfte. Ein
Mann wurde festgenommen, weil er eine
Flasche auf einen Polizisten geworfen hat-
te. Im Bahnhofsviertel, wo sich nach der
Auflösung der Kundgebungen einige
„Querdenker“ und Impfgegner zu einer
spontanen Protestaktion zusammenge-
funden hatten, setzten die Polizisten Pfef-
ferspray und Schlagstöcke ein.
Die Sorge, dass die Bewegung sich
immer weiter radikalisiert und die Gewalt-
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Frankfurt
Der Protest wird radikaler: „Querdenker“-Kundgebung auf dem Opernplatz
Parolen und verbotene Symbole
Impfgegner und „Querdenker“ wollen am Samstag durch die Innenstadt ziehen. Doch
weil sie sich wieder nicht an die Auflagen halten, greift die Polizei schnell durch und
löst den Protest auf. Derweil wird vor einer Radikalisierung der Szene gewarnt.
Von Alexander Jürgs und Ole Kaiser
bereitschaft wächst, ist groß. Die verschärf- dem Schriftzug „Ungeimpft“ trug. Der
ten Regeln für Ungeimpfte und die Diskus- gelbe Stern ist ein häufiges Symbol auf
sion über die Einführung einer allgemei- den Kundgebungen der „Querden-
nen Impfpflicht könnten ihr zu einem neu- ker“-Szene, und immer wieder verglei-
en Schub verhelfen. Davon war am Sams- chen sich Impfgegner mit den verfolgten
tag in der Innenstadt allerdings noch nichts Juden der NS-Zeit.
zu bemerken: Die Teilnehmerzahl bei den Das Ordnungsamt hatte für die Kundge-
Kundgebungen war deutlich niedriger als bungen ein explizites Verbot angeordnet,
erwartet. Von der in den Telegram-Kanä- solche Symbole zu tragen. Als die Polizei
len der Szene angekündigten „Großdemo“ diese Anordnung vor dem Beginn des Pro-
war der Protest weit entfernt. testzuges am Reuterweg per Lautsprecher-
Festgenommen wurde auch ein durchsage verlas, reagierten die Demons-
Demonstrant, der einen „Judenstern“ mit trationsteilnehmer mit lauten Buh-Rufen.
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„Michel Friedman, komm raus!“, schrie
ein Mann, ohne dass jemand Anstoß daran
nahm. Der jüdische Publizist Friedman ist
ein häufiges Opfer antisemitischer Anfein-
dungen, und der „Querdenker“-Szene wird
schon lange vorgeworfen, sich gegen
judenfeindliche und rechtsradikale Posi-
tionen nicht abzugrenzen.
Am Reuterweg waren auch Plakate zu
sehen, auf denen die Corona-Impfungen
als Verstoß gegen den „Nürnberger
Kodex“ gedeutet wurden. Der zehn
Grundsätze umfassende Kodex ist als
Grünen-Doppelspitze
wieder komplett
Zugezogener gegen Ur-Frankfurter: Kreisverband
wählt Götz von Stumpfeldt zum Parteisprecher
Nach aufregenden Monaten endet das
Jahr für die Frankfurter Grünen mit
einer relativ unspektakulären Wahl des
neuen Parteisprechers. Die Aufgabe
wird künftig der 56 Jahre alte Götz von
Stumpfeldt wahrnehmen und so mit
der schon im Juni gewählten Julia
Frank die Doppelspitze der Grünen in
Frankfurt bilden. Der vor zweieinhalb
Jahren nach Frankfurt gezogene
Stumpfeldt konnte sich bei der Wahl
am Samstag klar gegen den Ur-Frank-
furter Klaus Lengefeld durchsetzen.
Stumpfeldt erhielt 84 der 163 abgege-
benen Stimmen. Auf Lengefeld entfie-
len 62 Stimmen. Acht Mitglieder lehn-
ten beide Kandidaten ab, neun enthiel-
ten sich der Stimme. Weitere Kandida-
ten gab es nicht. Aus den Reihen der
Grünen im Römer
hatte sich niemand
um den Posten
beworben.
Lengefeld hatte
vor der Abstimmung
Foto privat
auf sein langjähriges
Engagement als
„undogmatischer Götz von
Linker“ verwiesen. Stumpfeldt
So sei er mit Joschka
Fischer in der Sponti-Szene aktiv gewe-
sen. Zudem kündigte er an, die Grünen
„noch mehr zu einer Mitmachpartei“,
zu der Pluralität und Diversität gehöre,
machen zu wollen. Doch die Mehrheit
stimmte für den Politikwissenschaftler
Stumpfeldt, der zwar erst seit seinem
Umzug an den Main Mitglied bei den
Frankfurter Grünen ist, aber viel
Erfahrung in der politischen Sach-
arbeit vorzuweisen hat. Zu Zeiten der
rot-grünen Bundesregierung war er
Referent der Grünen-Bundestagsfrak-
tion, damals für Wirtschaftspolitik
zuständig. Später war er in Mainz im
rheinland-pfälzischen Umweltministe-
rium für Energie verantwortlich. Der-
zeit ist er bei der Deutschen Gesell-
schaft für Internationale Zusammen-
arbeit in Eschborn beschäftigt.
Stumpfeldt lobte in seiner Bewer-
bungsrede den von der neuen Römer-
Koalition ausgehandelten Koalitions-
vertrag. Die Grünen hätten eine „star-
ke und bunte Fraktion“, seien gut im
Magistrat vertreten. Doch um die Ziele
umzusetzen, sei es notwendig, die Par-
tei einzubeziehen. „Das wird kein Spa-
ziergang“, warnte Stumpfeldt. Er
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Foto Lucas Bäuml
Reaktion auf die Euthanasie-Morde der
Nationalsozialisten und die medizini-
schen Experimente an KZ-Gefangenen
entstanden und definiert klare Regeln
für medizinische Versuche. Mit ihren
Plakaten rückten die Demonstranten die
Corona-Impfung nun in die Nähe zu den
Menschenexperimenten der Nazi-Ärzte.
Auf dem Opernplatz wurde außerdem
ein Demonstrant gesichtet, der eine
umgedrehte Deutschlandfahne mit sich
trug: Diese Flagge gilt als Code der
Reichsbürger-Szene.
erwarte „harte gesellschaftliche Ausei-
nandersetzungen“, fügte er hinzu.
Umso wichtiger sei eine enge Zusam-
menarbeit von Parteivorstand, Stadt-
teilgruppen und Ortsbeiräten. Der Par-
teivorstand habe in den vergangenen
Monaten vieles auf den Weg gebracht,
das in diese Richtung weise. Die Grü-
nen, als Partei „sehr akdemikerlastig“,
müssten gezielt strukturelle Verände-
rungen vornehmen, auch in der Kom-
munikation. Er wolle seine Erfahrun-
gen einbringen, „damit wir als Partei
noch besser werden“, warb Stumpfeldt.
Die Wahl für den zweiten Partner in
der Doppelspitze der Frankfurter Grü-
nen war notwendig geworden, nach-
dem der ebenfalls im Juni gewählte
Daniel Frank im Oktober sein Amt nie-
dergelegt hatte. Ihm war vorgeworfen
worden, sich in der Nacht der Bundes-
tagswahl in alkoholisiertem Zustand
„grenzüberschreitend“ gegenüber Par-
teimitgliedern verhalten zu haben,
Frank hatte das später eingeräumt. Die
Grünen haben mit der Aufarbeitung
des Vorfalls begonnen und wollen aus
diesem Anlass in einer dafür gegründe-
ten Kommission einen Verhaltensko-
dex erarbeiten.
Vor der Wahl des Parteisprechers
hatte der Bundestagsabgeordnete Omid
Nouripour bei den Mitgliedern um
Zustimmung für den in Berlin ausge-
handelten Koalitionsvertrag von SPD,
Grünen und FDP geworben. Am Mon-
tag um 13 Uhr läuft die Frist für die
Urabstimmung der Grünen-Basis ab. In
dem Vertrag sei viel „Großartiges und
Historisches“ enthalten. So sei erstmals
ein Rüstungskontrollgesetz vereinbart
worden. Insgesamt werde die grüne
Handschrift mehr als deutlich. Und die
Grünen stellten künftig fünf Minister,
bei einem Wahlergebnis von 14,8 Pro-
zent der Stimmen. Das sei alles „kein
Grund, sich zu verstecken“.
Nouripour gestand zu, dass beim
Thema Verkehr „wir mehr gewollt
haben“, etwa ein Tempolimit. Es sei
nun Aufgabe der Grünen-Verkehrspoli-
tiker in der Fraktion, „hart dagegenzu-
halten“, sollte der künftige Verkehrsmi-
nister und FDP-Politiker Volker Wiss-
ing sich nicht an die Vereinbarungen im
Vertrag halten. Dass Wissing sich
bereits klar für die Interessen der Auto-
fahrer ausgesprochen habe, „war ein
Foul“, so Nouripour. mch.
ANDERE STÄDTE –
GLEICHE NÖTE
BERLIN Den Wäldern der Hauptstadt
geht es immer schlechter. Die Zahl
gesunder Bäume ist in diesem Jahr
abermals gesunken, obwohl es weder
so heiß noch so trocken war wie die
vorherigen. Laut dem aktuellen
Waldzustandsbericht sind nur noch
sechs Prozent aller Bäume gesund,
das ist der niedrigste Wert seit
Beginn der Schadenserhebung im
Jahr 1993. Von der häufigsten Baum-
art, der Kiefer, sind nur noch drei von
100 intakt. Als Hauptursache gelten
die Trockenjahre von 2018 bis 2020,
die den Bäumen enorm zusetzten.
* * *
MÜNCHEN Wer in der Landeshaupt-
stadt Wohngeld beantragt, muss war-
ten können. Rund ein Jahr dauert es,
bis die Mitarbeiter des Sozialreferats
den Antrag das erste Mal anfassen,
weitere ein bis zwei Monate, bis der
Bescheid verschickt wird. Dem Referat
fehlen seit Jahren Mitarbeiter, außer-
dem ist die Zahl der Antragsteller in
den vergangenen Jahren um gut 80
Prozent auf rund 16 000 jährlich gestie-
gen. So langwierig das Verfahren, so
überschaubar ist, was dabei heraus-
kommt. Laut „Süddeutscher Zeitung“
bekommt nur jeder vierte Antragstel-
ler einen Zuschuss zur Miete, der im
Schnitt dann aber immerhin 157 Euro
beträgt und jeweils zur Hälfte von
Bund und Land bezahlt wird.
* * *
STUTTGART Die Flächen auf dem
Gleisgelände rund um das Projekt
Stuttgart 21 sollen schneller für den
Wohnungsbau zur Verfügung stehen,
als es die bisherigen Verträge ermögli-
chen. Das will die Stadt durch einen
zügigen Rückkauf der rund 85 Hektar
erreichen, welche sie 2001 an die Bahn
übergeben hatte, damit das Tiefbahn-
hofprojekt realisiert werden konnte.
Die Kommune plant laut einem als
vertraulich geltenden Vertragsent-
wurf, über den die „Stuttgarter Zei-
tung“ berichtet, zügig neue Bebau-
ungspläne zu erstellen, eine weniger
strenge Einhaltung des Artenschutz-
rechts durchzusetzen und die Tiere auf
Ersatzhabitate außerhalb der Wohn-
baufläche zu verlagern. Allerdings ist
offen, ob der dafür nötige Bruch des
Artenschutzrechts vor Gericht be-
stehen würde. wöb.
Zwei Männer mit
Messer verletzt
Nach einem gewalttätigen Streit in
einem Club an der Brönnerstraße in
der Innenstadt, bei dem zwei Män-
ner mit einem Messer verletzt wur-
den, ermittelt die Mordkommission
der Kriminalpolizei wegen eines
versuchten Tötungsdelikts. Laut
Polizei hatte die Auseinanderset-
zung gegen 5.30 Uhr am Sonntag-
morgen in der Diskothek begonnen
und wurde später auf der Straße fort-
geführt. Dabei wurden zwei 27 und
29 Jahre alte Männer mit einem
Messer so schwer verletzt, dass sie
ins Krankenhaus gebracht werden
mussten. Einen 24 Jahre alten Tat-
verdächtigen nahm die Polizei nach
eigenen Angaben noch am Sonntag-
vormittag am Flughafen fest. Die
Hintergründe der Tat und des Streits
blieben zunächst unklar. bad.
RHEIN-MAIN
Leben in Frankfurt und der Region
VERANTWORTLICHER RESSORTLEITER: Helmut
Schwan; Marie Lisa Kehler (stv.), Manfred Köhler
(stv.).
Peter Badenhop (Koordination Newsroom), Mat-
thias Trautsch (Koordination Reportage); Martin
Benninghoff, Ralf Euler, Dr. Florentine Fritzen,
Monika Ganster, Mechthild Harting, Katharina
Iskandar, Alexander Jürgs, Ingrid Karb, Martin
Ochmann, Rainer Schulze, Dieter Schwöbel,
Jacqueline Vogt, Theresa Weiß, Sascha Zoske.
KULTUR: Eva Maria Magel (Koordination); Dr. Flo-
rian Balke, Katharina Deschka, Guido Holze,
Anna-Sophia Lang.
WIRTSCHAFT: Manfred Köhler (Koordination),
Daniel Schleidt (stv.); Patricia Andreae, Falk Heu-
nemann, Inga Janović, Petra Kirchhoff.
KORRESPONDENTEN: Wolfram Ahlers, Bernhard
Biener, Oliver Bock, Luise Glaser-Lotz, Heike Latt-
ka, Hanns Mattes, Jochen Remmert, Markus
Schug.
LANDESPOLITIK: Dr. Ewald Hetrodt.
ONLINE: Thorsten Winter (Koordination); Daniel
Meuren, Christian Riethmüller.
RHEIN-MAIN-SPORT: Der Rhein-Main-Sport
wird redigiert von der Sportredaktion der Frank-
furter Allgemeinen Zeitung; verantwortlich:
Anno Hecker; Ralf Weitbrecht.
ANSCHRIFT FÜR DEN VERLAG UND
REDAKTION:
Postanschrift: 60267 Frankfurt am Main
Hausanschrift: Hellerhofstraße 2–4,
60327 Frankfurt am Main, Telefon (069) 7591-0,
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VERANTWORTLICH FÜR ANZEIGEN: Achim
Pflüger. RheinMainMedia GmbH, Frankenallee
71–81, 60327 Frankfurt am Main, Telefon (069)
7501-3336, Telefax (069) 7501-3337.
E-Mail: service@rmm.de
Anzeigenpreise laut RMM-Preisliste Nr. 26a, gül-
tig vom 1. Juni 2021 an.
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Herr Mangold, wenn Sie die Lage der
Gastronomie und der Hotels in Frank-
furt in einem Satz zusammenfassen sol-
len, wie lautet er?
Wir haben, seitdem vor zehn Tagen die
2-G-Regel für Hessen verfügt worden ist,
einen halben Lockdown, die Umsätze
sind um 50 Prozent eingebrochen.
Immerhin sind ja die Corona-Wirt-
schaftshilfen bis Ende März 2022 ver-
längert worden.
Die Hilfen sind viel zu gering. Den Unter-
nehmerlohn zum Beispiel enthalten sie
wieder nicht. Verbale Umarmungen helfen
unserer Branche nicht. Wir Unternehmer
finanzieren uns seit anderthalb Jahren aus
anderen Zusammenhängen, aus Ersparnis-
sen, Rücklagen. Wir stützen mit dem Weni-
gen, das wir haben, eine fehlgeleitete Poli-
tik, die im Sommer nicht dafür gesorgt hat,
dass jetzt genügend Leute geimpft sind.
Das Gezänk rund um die Bundestagswahl
hat anscheinend alle Verantwortlichen
abgelenkt. Sogar von der Notwendigkeit,
Impfstoff zu bestellen. Das ist ein Skandal.
Jetzt werden Entscheidungen getroffen.
Und sie treffen die Falschen, nämlich wie-
der vor allem unsere Branche. In der die
Impfquote bei 90 Prozent liegt, während in
der Fabrikation erst jetzt 3 G verpflichtend
wird.
Wo sind in Frankfurt die Probleme am
größten? In Restaurants? Oder eher in den
Hotels?
In Hotels und Clubs. In der öffentlichen
Wahrnehmung sind Clubs ja immer
irgendwie in der Schmuddelecke, während
Hotels eher glänzen. Aber es sieht bitter
aus in den Hotels, in Frankfurt liegt die
durchschnittliche Auslastung der Häuser
bei 15 Prozent. Und dass unserer gesamten
Branche in Hessen die Möglichkeit von
2-G-plus gestrichen wurde: Das versteht
niemand. Für die Clubs zum Beispiel ist das
wieder ein faktisches Berufsverbot
Macht das tatsächlich so einen Unter-
schied, ob ein Ort neben Geimpften und
Genesenen auch Leute mit Test einlassen
darf oder nicht?
Ja natürlich, weil damit auch die Möglich-
keit wegfällt, auf die Abstandsregeln zu
verzichten. Und für die Clubs heißt das ja:
Besuch mit Maske, mit Abstand und ohne
Tanz. Das ist, als säße man in einem Auto
ohne Räder. Als die Clubs mehr als ein Jahr
überhaupt nicht auf waren, hat man sehen
können, was und wie schnell sich etwas in
einer Altersgruppe verändert im Verhalten,
und dann auch im Stadtbild: Geduldete Off
Partys, auch auf prominenten Plätzen mit
all ihren Folgen, überall liegengelassene
Flaschen, die Vermüllung von Innenstäd-
ten ohne Not: So etwas in Kauf zu nehmen
ist konzeptlos und fördert Spannungen
Sind sie jetzt nicht vor allem froh, dass in
Hessen vorerst kein abermaliger Lock-
down droht?
Auch wenn es keinen gibt, werden die
Regeln nach und nach so verschärft, dass
das für die touristischen Akteure einem
faktischen Lockdown gleichkommt.
Sie haben unlängst in einem anderen
Zusammenhang gesagt, die Kommunen
müssten jetzt alles unternehmen, die plu-
ralen gastronomischen Angebote zu
erhalten. Was kann eine Stadt wie
Frankfurt tun?
Sie kann damit anfangen, für Pächter von
Hotels oder Lokalen in städtischen Gebäu-
den einen Mieterlass um ein Drittel auszu-
sprechen. Mindestens für die neun Monate,
in denen wir einen Lockdown hatten. Das
hätte die Signalwirkung, die wir gesamtge-
sellschaftlich benötigen.
Das kann ja nur einen kleinen Teil der
Szene betreffen.
Nein, das stimmt nicht. Das betrifft
weit mehr als 200 Mietverhältnisse;
nehmen sie alleine die Bürgerhäuser,
wie viele das sind. Und bislang sind die
Mieten nur gestundet. Wenn es wieder
richtig losgeht, werden einige über-
Sonntagsgeschichten
für Kinder
Zugunsten des Projekts „Sternenzelt“
der Evangelischen Familienbildung
Main-Taunus und des Ateliers Goldstein
F.A.Z.-Leser
helfen in Frankfurt.
Alle Autoren der Sonntagsgeschichten verzichten auf ein Honorar. Der Eintritt geht komplett als Spende an „F.A.Z.-Leser helfen“.
Login-Daten können unter veranstaltungen.faz.net erworben werden. Fragen beantwortet Frau Mayer-Simon telefonisch unter (069)7591-1251.
Frankfurt
Zu lange nichts entschieden habe die Politik, sagt Mangold, jetzt müsse dafür die Zeche gezahlt werden.
„Das ist faktisch
ein Lockdown“
Der Gastronom Robert Mangold spricht im
Interview über die Lage der Lokale und Hotels in
Frankfurt, verändertes Gästeverhalten und darüber,
ob und wie die Stadt der Branche helfen soll.
haupt nicht zahlen könne, es wird ihnen Ja, dort kann man das Café der Zukunft
einfach nicht möglich sein, die Schul- sehen. Solche Konzepte, bei denen mit
den der Vergangenheit zu begleichen. wenig Personal gearbeitet wird, die
überall das Gleiche anbieten, nicht
Was passiert, wenn die Stadt nicht so nachhaltig und nicht gesund, von denen
handelt, wie Sie es sich vorstellen? wird es in Zukunft noch mehr geben, als
Die großen Convenience-Konzerne mit wir heute schon haben. Gleichzeitig
ihren Gastronomie-Konzepten stehen brauchen Städte aber Einzigartigkeit,
schon in den Startlöchern. im Handel, in der Gastronomie, wenn
sie für die Bürger interessant bleiben
Denken Sie an Lokale wie Guglhupf&Co wollen. Und für Touristen und Messe-
von Dr. Oetker im Palais Thurn&Taxis? besucher.
Digitale Lesung
Foto Wonge Bergmann
Beim Thema Handel heißt es ja oft, das
Sterben der Läden habe seinen Grund
auch im Verhalten der Kunden, die lie-
ber im Netz als in der Stadt kauften. In
der Gastronomie: Macht der McDo-
nalds-Fan dem inhabergeführten Res-
taurant den Gar aus?
Es ist immer der Kunde. Wobei der
Kunde nicht böse ist. Er ist nur bequem.
Und im Lockdown hat sich das Kunden-
verhalten auch verändert. Die Leute
haben ja weiter gegessen und getrun-
Charlotte Habersack liest aus ihren Büchern der Reihe
„Bitte nicht öffnen“
Lustige Abenteuer rund um Schule, Freundschaft und ein
verlorenes Wesen, das nach Hause will!
In Kooperation mit
Login am Sonntag, 12. Dezember 2021, von 15.00 bis 16.30 Uhr.
Der Eintritt zur digitalen Lesung kostet 5 Euro pro Person.
Die Zugangsdaten werden am Freitag vor der Lesung per E-Mail übermittelt.
M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 3 1
Zur Person
Robert Mangold ist geschäftsführen-
der Gesellschafter der Tiger & Pal-
men Gruppe, zu der das Restaurant
im Tigerpalast, das „Lafleur“ im Pal-
mengarten-Gesellschaftshaus und
das Café Siesmayer gehören; er hat in
der Gruppe 150 Mitarbeiter. Man-
gold ist auch Vizepräsident des Deut-
schen Hotel- und Gaststättenver-
bands (Dehoga) in Hessen und seit
Juli Vorsitzender des Dehoga Frank-
furt, als Nachfolger von Eduard Sin-
ger, der einmal Direktor des Hessi-
schen Hofs war und heute als soge-
nannter Citymanager für die Stadt
arbeitet. Mangold gilt als gut ver-
netzt, in der Kommune und auch in
der Landespolitik. jv.
ken; ich kenne zum Beispiel keinen
Winzer, der in dieser Zeit nicht mehr
Nachfrage hatte als vorher. Es wurde in
der Krise so viel Wein getrunken wie
nie, und der war natürlich preiswerter
als im Restaurant. Und das Essen haben
die Lieferdienste gebracht, an so etwas
gewöhnt man sich.
Als sie wieder öffneten, waren viele
Lokale sehr gut besucht.
Das stimmt. Und dennoch hat sich
etwas verändert, die Menschen haben
sich verändert in der Krise.
Wenn Sie in die Zukunft sehen: Wel-
chen Satz finden Sie für diesen Aus-
blick?
Die Zukunft wird steinig.
Ein zweiter und dritter Satz?
Die Zukunft wird uns extrem fordern,
wegen der ganzen Talente, die der
Branche schon jetzt verlorengegangen
sind. Eine neue bundesweite Umfrage
zeigt, dass wir in den letzten anderthalb
Jahren 15 Prozent Personal verloren
haben und in den letzten zwei Jahren 50
Prozent der Auszubildenden. Und in
unserer Branche sind die Mitarbeiter
die Produktionsfaktoren. Wir haben
unglaublich viel knowhow verloren, das
wir zurückgewinnen müssen.
Personalprobleme hatte die Gastrono-
mie aber schon vor der Pandemie.
Das stimmt.
Was wollen Sie ändern?
Die Ausbildung muss weiter professio-
nalisiert werden und darf kürzer wer-
den für einen Teil der Auszubildenden,
damit auch Abiturienten und Leute, die
aus einem Studium kommen, eine
Zukunft in unserer Branche sehen. Und
dann muss das Personal in Hotellerie
und Gastronomie zukünftig auf dem
Niveau des Bundesdurchschnitts ent-
lohnt werden.
Und jetzt sagen Sie wahrscheinlich,
dass der Gast dafür höhere Preise zah-
len muss?
Angemessene Preise sind die Voraus-
setzung dafür, dass Betriebe überleben
und zukunftsfähig sind. Dass man ger-
ne in unserer schönen Branche arbeiten
kann und möchte.
Dieser Tage hat in einem Innenstadtlo-
kal ein halber Liter Wasser aus dem
Sodastreamer fünf Euro gekostet. Ist
das die Richtung, in die es gehen muss?
Sie finden das teuer? Aber dann sehen
Sie nur das Wasser aus dem Sodastrea-
mer und nicht, dass es auch etwas kos-
tet, wenn es Ihnen jemand bringt.
Die Fragen stellte Jacqueline Vogt.
Abbiegen
künftig
verboten
Stadt legt Konzept für
Schweizer Platz vor
Es herrscht eine angespannte, biswei-
len sogar aggressive Stimmung im
Saalbau am Südbahnhof. Lange hat-
ten die Bürger Sachsenhausens auf
Informationen der Stadt dazu gewar-
tet, wie die Schweizer Straße und der
Schweizer Platz umgestaltet werden
sollen. Am Freitagabend haben sich
nun Verkehrsdezernent Stefan Majer
(Die Grünen) und der Leiter der Neu-
bauabteilung im Amt für Straßenbau,
Michael Weiwoda, gestellt, um im
Ortsbeirat eine Machbarkeitsstudie
zu präsentieren – und erhielten dafür
ebenso Lob wie scharfe Kritik.
Die Schweizer Straße ist eine der
zentralen Zufahrten in die Innenstadt
von Süden aus. Straßenbahnen, Autos
und Fahrräder fahren hier dicht an
dicht, Fußgänger queren oft die Stra-
ße. Für Radfahrer und Fußgänger ist
das gefährlich – und für die Anwohner
laut. Im Sinne „der urbanen Mobilität
im 21. Jahrhundert“ müsse darum der
öffentliche Raum „neu aufgeteilt“ wer-
den, sagt Dezernent Majer. Das heißt
konkret: Die Schweizer Straße und der
Schweizer Platz sollen weniger auto-
freundlich werden.
Konkret will die Stadt den Autover-
kehr sowie die Straßenbahnen auf
gerader Strecke über den Schweizer
Platz leiten, bisher ist dort ein Kreis-
verkehr angelegt. Abbiegemöglichkei-
ten in Anliegerstraßen sollen abge-
schafft und baulich getrennte Fahr-
radwege neben der Fahrbahn und
außen herum errichtet werden.
Dadurch entstünde am Platz eine
neue Straßenbahnhaltestelle. Es gin-
gen aber auch Parkflächen verloren,
und die abgehenden Straßen wären
schlechter mit dem Auto zu erreichen.
All dies sei, so Neubau-Abteilungslei-
ter Weiwoda, aber nur ein „Input für
ein Wettbewerbsverfahren“.
Eine „Horrorverkehrsplanung“ sei
das, empört sich dennoch Jochen
Heumann, Vorsitzender des Sachsen-
häuser CDU-Ortsvereins, weil durch
die fehlenden Abbiegemöglichkeiten
der Verkehr in umliegende Wohnstra-
ßen abgedrängt werde. „Wir wollen
vor unseren Wohnzimmern weniger,
nicht noch mehr Verkehr.“ Dezernent
Majer entgegnet, dass alle Straßen
dort Wohnstraßen seien, und fragt
zurück: „Lieber Jochen, in welcher
Welt lebst du?“
Von Bertram Giebeler vom deut-
schen Fahrrad-Club in Frankfurt
kommt dagegen Lob. Er finde den
„Grundgedanken der Planung sehr
gut“, sagt er, weist aber darauf hin,
dass auf der Straße und am Platz
Tempo 30 gelten müsse, um Fußgän-
ger besser zu schützen.
Grundsätzliche Kritik war aber
auch zu dem Präsentationstermin
selbst zu hören: Pandemiebedingt gab
es nur rund 50 Plätze im Saalbau, von
denen allerdings wurde ein erhebli-
cher Teil von Stadtvertretern belegt.
Für interessierte Sachsenhäuser Bür-
ger blieben so nur 25 Stühle frei.
Bis der umstrittene Umbau beginnt,
wird noch einige Zeit verstreichen:
Für 2022 ist zunächst ein Beteili-
gungsverfahren vorgesehen, in dem
Bürger eigene Umbauvorschläge for-
mulieren können. Im Frühjahr 2023
soll mit der konkreten Planung begon-
nen und diese dann noch dem Orts-
beirat vorgelegt werden. OLE KAISER
SE I TE 3 2 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284 Leserforum FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG

Umdenken
erforderlich
Wir berichteten über Pendler, die im Frankfurter Nordend
keinen Stellplatz für ihr Auto finden. Dieser Leser hält Bus
und Bahn für eine vertretbare Option (zu: „Zu wenig
Parkplätze für Pendler“, FAZ.NET vom 23. November
und F.A.Z. vom 24. November).
Eine Pflegefachkraft am Bürgerhospital gibt an, von ih-
rem Wohnort Egelsbach mit dem ÖPNV mehr als eine
Stunde zu brauchen, mit dem Auto fahre sie diese Strecke
in 16 Minuten. Und der Pressesprecher des Bürgerhos-
pitals wird mit den Worten zitiert, man sei mit der Bahn
„viermal so lange unterwegs wie mit dem Auto“.
Machen wir den Faktencheck: Es sind von Egelsbach Mit-
te 27 km bis zum Bürgerhospital. Google-Maps gibt für
die Strecke 24 Minuten an, bei freier Strecke. Nun zum
ÖPNV. In Egelsbach fährt die S 3 alle halbe Stunde nach
Frankfurt. Mit größeren Abständen sogar nachts. Mit
Umstieg an der Konstablerwache in die U 5 bis Deutsche
Nationalbibliothek gibt bahn.de für die gesamte Strecke
bis zum Bürgerhospital 37 Minuten an. Darin sind sogar
die fünf Gehminuten von der U-Bahnhaltestelle bis zum
Bürgerhospital enthalten. Die Schlussfolgerung im Unter-
titel „Wer auf das Auto angewiesen ist, hat im Alltag gro-
ße Schwierigkeiten“, stimmt in diesem Fall nicht.
Wir brauchen einen besseren ÖPNV, aber wir brauchen
auch ein Umdenken derer, die es als selbstverständlich
ansehen, mit ihrem Auto in die Innenstadt zu fahren und
dort einen möglichst kostenlosen Parkplatz beanspruchen
Lokalpatrioten: Die Stadt Büdingen stemmte sich in der Gebietsreform gegen eine Fusion mit dem Landkreis Friedberg. Foto Axel Häsler
zu können. ■ Dieter Wesp, Frankfurt

Resignierter Bürgermeister und müde Unterhändler

Wir berichteten über den Zusammen- gar keine Rede sein. Die Stadt schloss mit
schluss der Landkreise Friedberg und dem Kreis Hanau einen Eingliederungs-
Büdingen während der hessischen Gebiets- vertrag ab, den Landrat Woythal und
reform. Dieser Leser erinnert daran, dass Bürgermeister Zinnkann am 26. April
Büdingen die Fusion ablehnte und sich 1972 unterzeichneten. Im schriftlichen
lieber dem Landkreis Hanau angeschlossen Anhörungsverfahren hatte der Bürger-
hätte (zu: „Aus Dörfern wurden Groß- meister den Zusammenschluss der Kreise
gemeinden“, F.A.Z. vom 25. November). Friedberg und Büdingen aufgrund des
Beschlusses der Stadtverordnetenver-
Davon, dass die Büdinger am Ende ihren sammlung vom 7. April abgelehnt.
Widerstand gegen die Fusion mit dem Am 2. Juni forderte die Stadtverordne-
Kreis Friedberg aufgegeben hätten, kann tenversammlung in einer Resolution von
Landtag und Landesregierung, den Wil-
len der Stadt Büdingen zu respektieren.
Am 6. Juni, also in ziemlich letzter Mi-
nute, reiste eine Delegation von Stadt-
verordneten und Magistratsmitgliedern
nach Wiesbaden und trug dort Vertretern
der Mehrheitsfraktionen (Willi Görlach
von der SPD, Otto Wilke von der FDP)
und auch Walter Wallmann von der CDU
den Büdinger Willen zur Gebietsreform
vor. Görlach und Wilke, hemdsärmelig
und müde von zähen Verhandlungen, lie-
ßen uns keine Hoffnung. Aber sie spra-
chen immerhin mit uns. Ministerpräsi-
dent Osswald, am 12. Juni zu einer Ta-
gung des Landkreistages in Büdingen
weilend, nahm nicht einmal ein Schrei-
ben der Fraktionsvorsitzenden entgegen.
Zinnkann, bis 1970 selbst Landtagsab-
geordneter, zeitweise sogar Fraktionsvor-
sitzender der SPD, hatte bereits resig-
niert. Zum 1. Juli trat das Gesetz in Kraft.
La raison du plus fort est toujours la meil-
leure. ■ Dr. Volkmar Stein, Büdingen
Lückenlos: Parkplätze sind Mangelware. Foto Frank Röth

Die Redaktion antwortet:

Lebensgefährlich Wider besseres Wissen
Wir berichteten über einen neuen Rad- lich die Arbeit an den echten Proble- Mit einem Artikel über Verbrechen, die von werden, scheut sich die Politik jedoch, Sehr geehrter Herr Wesp,
weg in Frankfurt-Sachsenhausen. Nach men im Straßenverkehr? psychisch Kranken verübt worden sind, wider besseres Wissen und auf Kosten
Meinung dieses Lesers müsste viel mehr ■ Torsten Diergardt, Frankfurt befasst sich diese Leserin (zu: „Verbrechen, aller Betroffenen.
dass in unseren Großstädten zu viele Autos fahren und
getan werden (zu: „Neuer Radweg in im Wahn verübt“, F.A.S. und FAZ.NET ■ Rose Maria Konang, Geschäfts- parken, dass es gut wäre, wenn der öffentliche Personen-
Sachsenhausen“, F.A.Z. vom vom 14. November führender Vorstand, Landesverband Hes-
27. November). sen für Angehörige psychisch erkrankter
nahverkehr ausgebaut würde und stärker genutzt, bestrei-
Menschen, Frankfurt tet kaum jemand. Ich tue es auch nicht, glaube aber, dass
„Wir rollen den Radfahrern den roten Der Artikel zeigt bei aller Vorsicht in den
Teppich aus“, sagt Verkehrsdezernent Formulierungen, dass bei Anzeichen psy- es Situationen gibt, in denen Pendler zu Recht gern das
Stefan Majer (Die Grünen). Man chischer Erkrankung präventives Han- Auto nehmen, nach einem Nachtdienst zum Beispiel.
möchte entgegnen: Ja, aber nur da, wo deln unerlässlich ist, um Gewalttaten zu
Dass Sie als Anwohner sich über Fremdparker ärgern:
sowieso ausreichend Platz für Radfah-
rer ist.
verhindern, und dies, ohne Patienten-
rechte zu verletzen. Dies kann die Exeku-
Verwahrung Das ist verständlich. Der Bauer im Taunus mag es auch
Wir Radfahrer unterscheiden die tive allein nicht leisten, und es kann auch Es ist ein Dauerthema in den Großstädten
Straßen nach „lebensgefährlich“ nicht ihre Aufgabe sein. Seit Jahren for- im Rhein-Main-Gebiet: E-Scooter und de- nicht, wenn ihm Städter am Wochenende den Feldrand
ren Standplätze (zu: „Feste Abstellplätze
(Schweizer Straße), „sehr gefährlich“ dern die Landesverbände und der Bun-
für E-Scooter“, F.A.Z. vom 1. Dezember) zuparken, weil sie ihren Kindern die Natur zeigen möch-
(Gartenstraße) und „relativ sicher“ desverband der Angehörigen psychisch
(Walter-Kolb-Straße). kranker Menschen Prävention ein. Bei- ten. In diesen Tagen aber Pflegekräften, die etwas bekla-
Um den neuen roten Teppich auf der spiele sind aufsuchende Hilfen wie Kri- Warum sammelt die Stadt nicht die kreuz gen, im Gegenzug etwas vorrechnen? Krankenhausperso-
Walter-Kolb-Straße von Westen her zu sendienste und aufsuchende Gespräche, und quer liegenden E-Scooter abends ein
erreichen, muss ich vorher allerdings bei denen auch das soziale Netz einbezo- und „verwahrt“ diese auf dem großen nal würde ich jeden Parkplatz nur wünschen, wie alles,
mein Leben riskieren oder auf dem gen werden kann. Dies könnte, wie Bei- Parkplatz am Ostpark. Nach drei Tagen was ihm die Arbeit nicht noch schwerer macht.
Bürgersteig fahren. spiele anderer Länder belegen, sowohl ist der Markt in Frankfurt leer gefegt, und
Wann hört im Verkehrsdezernat das Roter Teppich: ein neuer Radweg in Eigen- wie auch Fremdgefährdung er- Anbieter und Nutzer denken darüber Mit freundlichen Grüßen ■ Jacqueline Vogt
Marketing auf, und wann beginnt end- Frankfurt Foto Marie-Luise Kolb heblich verringern. Hier endlich tätig zu nach. ■ Rolf Häussner, Dietzenbach

DIESE WOCHE IN RHEIN-MAIN

MUSIK MUSIK LITERATUR

Sephardische Spuren Ladies Nyght Susanne Hasenstab

Foto Palmengarten der Stadt Frankfurt/

Eigene Sprache, Ines Mutter hat ge-

ei gene Ku lt u r : bucht, und zwar
I h ren eigenen eine Nordsee-
Wurzeln und, da- kreuzfahrt mit al-
m it verbunden, lem Dr u m u nd
den Traditionen Dran für sie selbst
Foto Randomhouse
Tom Wolf

der sephardischen und ihre Tochter.

Foto Klaus Mümpfer

Juden spürt die Die Aussicht auf

Foto Monika Rittershaus

Sängerin, Song- zwei Wochen auf

writerin, Posau- engstem Raum mit
AUSSTELLUNG
Foto Vicror Lacke

nistin und Pianis- ihrer Mutter erfüllt

t i n Na n i Noa m Ines mit Grauen, sie will die Reise aber
Winterlichter Vazana nach. Ihre
Sprache ist das Unglaublich humorvoll, musikalisch
nutzen, um sich endlich innerlich von
ihrem Freund Günther zu trennen, der zu
Bis 9. Januar 2022 leuchten im Palmen- Ladino, das Ele- vielseitig und groovig glitzernd fegen alt und vor allem zu verheiratet für sie ist.
garten die Winterlichter. Hunderte von mente des Spanischen, Hebräischen, die Ladies mal als neurotisches Rentier, Hasenstab liest aus ihrem neuen Roman
Lichtern illuminieren die einzigartige Aramäischen, Arabischen und Türki- OPER mal als Engelein über die Bühne, um „Das Leben kann mich kreuzfahrtweise“.
Pflanzenwelt und schaffen eine ganz schen vereint – eine Sprache, die vom „White Christmas“ in japanischer Spra-
besondere Atmosphäre. Lichtobjekte,
Klang- und Videoinstallationen machen
Aussterben bedroht ist, weil niemand
aus der Generation der nach 1945 Ge-
Die lustige Witwe che zum Besten zu geben. Mit ihrem
Programm „I feel betta with Lametta“
SUSANNE HASENSTAB
Frankfurt, Internationales
den Spaziergang durch den Park zusätz- borenen sie mehr als Muttersprache Die lustige Witwe von Franz Lehár (1870– tie des Camille. Nahezu alle weiteren Par- hat das Trio allen Widrigkeiten zum Theater Frankfurt, Donners-
lich zu einem außergewöhnlichen Er- lernt. Aus diesem Erbe schöpft Vazana 1948) in der Regie von Claus Guth gehört tien inklusive der Alternativbesetzungen Trotz ein neues und erfrischendes Gute tag, 9. Dezember, 20 Uhr
lebnis. Ideal für einen langen dunklen ihre eigene Musik. Unterstützt wird sie zu den großen Erfolgen der Spielzeit sind mit Sängern besetzt, die mit dieser Laune-Weihnachtsprogramm zusam-
Winterabend. dabei von Ericles Makris (Gitarre) und 2017/18. Diese Produktion wird nun wie- Fassung bereits vertraut sind. mengestellt. Alle Termine
Ayoze de Alejandro (Perkussion). deraufgenommen. Mit Guths Produktion
LADIES NYGHT finden Sie
WINTERLICHTER der Lustigen Witwe vertraut ist Michael WIEDERAUFNAHME:
Frankfurt, Palmengarten, SEPHARDISCHE SPUREN Porter, der in der Premieren- und der ers- DIE LUSTIGE WITWE Mainz, Mainzer Kammer- online unter
täglich von 17 bis 21 Uhr, Frankfurt, Alte Oper, Montag, ten Wiederaufnahmeserie den St. Brioche Frankfurt, Oper Frankfurt, spiele, Donnerstag, faz.net/vk
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diese Ankündigungen in E-Mails
der Deutschen Post-Tochter DHL
und die daran angeschlossene Fra-
ge: „Wann und wo möchten Sie es emp-
fangen?“ Zurzeit hat sich diese für viele
Empfänger erübrigt, weil sie wegen
Corona von zuhause aus arbeiten und
ohnehin daheim sind. Und wenn nicht,
dann lassen sich mit wenigen Schritten
Alternativen finden. Die einfachste ist,
das Lieferdatum einfach auf den Tag zu
schieben, an dem man sicher anzutreffen
ist. Das geht mit wenigen Klicks.
Wer viel im Internet bestellt und sich
um die Ankunft seiner Sendungen kei-
ne Sorgen machen will, wird aber den
Empfangsort in der Regel im Voraus
festlegen oder sich für eine Packstation
in der Nähe registrieren, um Sendungen
dorthin zu delegieren. Das geht auch
dann noch, wenn das Paket schon
unterwegs ist.
An Packstationen lassen sich Päckchen
und Pakete unkompliziert abholen und auf
den Weg bringen. Das Angebot wird von
Jahr zu Jahr ausgebaut. Wegen Corona sei
der Zuspruch besonders groß, sagt der
Frankfurter Post-Sprecher Stefan Heß.
Mehrmals täglich müssten die Stationen
inzwischen angefahren und befüllt werden.
Heß führt das auch auf den Wunsch nach
einer kontaktlosen Abfertigung zurück.
Selbst ältere Empfänger, die sich an techni-
sche Lösungen seltener herantrauten, zähl-
ten inzwischen zu den Kunden. „In der
Corona-Zeit gerade für Ältere der einzig
gangbare Weg“, sagt Heß.
Weniger anonym ist es, einen Nach-
barn als Empfänger zu bestimmen,
wenn dieser bereit ist, sich unter
Umständen mehrmals am Tag stören zu
lassen. Das kommt auch ohne explizite
Festlegung vor. Denn bevor der Paket-
bote, der den Adressaten in einem
Mehrfamilienhaus nicht erreicht hat,
wieder geht, klingelt er in der Regel
woanders, um seine Ladung loszuwer-
den. Das stößt bei Nachbarn nicht
immer auf Begeisterung.
Grundsätzlich ist es möglich, eine
Lieferung an eine Post-Filiale in der
Nähe umzuleiten. Davon gibt es leider
immer weniger, und die Schlangen sind
lang. Deshalb kommen auch sogenann-
te Paketshops in Frage, etwa Kioske
oder Lotto-Annahmestellen, die als
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Wenn der
Postmann
vergeblich
klingelt
FRANKFURT Niemand zuhause? Kein
Problem: Auf diesen Wegen kann
ein Paket den Empfänger erreichen.
Von Petra Kirchhoff
Fristen beachten
Auch wenn es bis Weihnachten noch
knapp drei Wochen hin ist – wer möch-
te, dass Grüße und Geschenke an
Freunde und Verwandte rechtzeitig
zum Fest ankommen, sollte die Fristen
dafür kennen. Für alle Ziele außerhalb
Europas muss man sich bereits sputen.
Nach Angaben der Post-Tochter DHL
ist es für das Standard-Paket schon zu
spät, im Premiumformat (mit Zuschlag
für den bevorzugten schnellen Weg)
kommen nur die Pakete und Päckchen
rechtzeitig an, die bis zum 7. Dezember
aufgegeben werden. Diese Deadline
gilt auch für Briefe nach Amerika oder
,–
ges
eines Neuvertra
ne
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Verbraucher
in andere fernere Länder. Liegt das Ziel
in Europa, haben Briefeschreiber bei
der Post bis zum 14. Dezember Zeit.
Die Fristen für Pakete und Päckchen
variieren je nach Land zwischen dem
14. und 20. Dezember.
Innerhalb Deutschlands sollen dem-
nach alle Briefe am 24. Dezember
ankommen, die bis zu zwei Tage vorher
aufgegeben werden. Für Päckchen und
Pakete ist der 20. Dezember vorzumer-
ken, mit Express hat man einen Tag
länger Zeit. Eine Übersicht der Fristen
aller Dienstleister (Hermes, DPD, UPS)
bieten Portale wie paketda.de.
1) Mtl. Grundpreis beträgt 49,95 € (ohne Smartphone), 59,95
€ (mit Smartphone), 69,95 € (mit Top-Smartphone) u. 79,95 €
(mit Premium-Smartphone). Für junge Leute im Alter von 18
bis 27 Jahren gelten die mtl. Grundpreise abzüglich 10 €. Be-
reitstellungspreis 39,95 €. Mindestlaufzeit 24 Monate. Im mtl.
Grundpreis sind eine Telefonie- u. eine SMS-Flatrate in alle dt.
Netze enthalten. Ab einem Datenvolumen von 12 GB wird die
Bandbreite im jew. Monat auf max. 64 KBit/s (Download) u. 16
KBit/s (Upload) beschränkt. Die HotSpot Flatrate gilt für die Nut-
zung an inländischen HotSpots der Telekom Deutschland GmbH.
Zudem beinhaltet der Tarif Roaming in der EU, in der Schweiz u.
in Großbritannien mit der Option Standard Roaming. In der EU
ist Roaming für vorübergehende Reisen mit angemessener Nut-
zung enthalten. In der Schweiz u. in Großbritannien darf die Nut-
zung eine angemessene Nutzung (1.000 Minuten u. 1.000 SMS/
Monat sowie ein mtl. Datenvolumen in Höhe des jew. Inlands-
volumens vor Bandbreitenbeschränkung) nicht überschreiten.
StreamOn Music&Video u. Gaming sind kostenlos zubuchbar.2)
Im Aktionszeitraum 30.11.2021–31.01.2022 erhalten Kunden bei
Abschluss eines neuen Mobilfunk-Vertrags mit einer Mindest-
vertragslaufzeit von 24 Monaten in den Tarifen MagentaMobil
und Family Card mit oder ohne Endgerät (ausgeschlossen Young
Tarife, Special Tarife, DTAGTarife, For Friends Tarife, Family Card
Basic, Family Card Kids & Teens, Family Card Teens, Community
Card Teens EINS und Datentarife) 120 € auf ihrem Girokonto gut-
geschrieben (z. B. MagentaMobil S ohne Smartphone für 39,95
€/Monat, einmaliger Bereitstellungspreis 39,95 €). Kunden, die
eine Vertragsverlängerung durchführen, erhalten ebenfalls
die Gutschrift beim Wechsel in einen höherwertigen Tarif der
aktuellen Generation. Die Gutschrift wird nicht in Verbindung
mit einer mtl. Grundpreisbefreiung gewährt, wenn diese mehr
als 3 Monate umfasst. Zum Erhalt der Gutschrift (nach Ablauf
der Widerrufsfrist) ist bis 14.03.2022 eine Online-Registrierung
über telekom.de/cashback-einloesen mit Vorlage eines Erwerbs-
nachweises (Eingangs-/Auftragsbestätigung) entsprechend den
genannten Bedingungen erforderlich. Ein Angebot von: Telekom
Deutschland GmbH, Landgrabenweg 151, 53227 Bonn.
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
GESCHÄFTSGANG
Die Königin aus Nürnberg
ssen und Trinken hält Leib und Nürnberger in Frankfurt erstmals umset-
E Seele zusammen, das gilt in die-
sen Tagen mit neuen beunruhi-
genden Corona-Nachrichten mehr denn
zen wollen. In der warmen Jahreszeit
sollen dann Frozen Joghurt, Kaffee und
Tee verkauft werden. Weil der Umbau
je. Zum Adventskaffee darf es dann ger- erst noch ansteht, wird im Moment
ne auch mal ein nahrhafter Lebkuchen improvisiert bei einem recht hellen,
sein, dessen Masse vor allem aus Man- ungemütlichen Licht.
deln, Haselnüssen, Eiweiß und Zucker Das hält Lebkuchen-Fans aber nicht
besteht. Schon die Mönche im Mittelal- davon ab, sich großzügig einzudecken,
ter, später ebenfalls gewerbliche Anbie- nicht nur mit Lebkuchen, sondern auch
ter, sogenannte Lebküchler oder Lebzel- mit Zimtsternen, Spekulatius, Domino-
ter, verstanden sich auf die Verarbeitung steinen und dem Mürbegebäck vom
dieser haltbaren Gebäcke, bei denen die fränkischen Sternekoch Alexander
Verarbeitung spezieller Gewürzmi- Herrmann, mit dem eine Kooperation
schungen eine besondere Rolle spielt. besteht. Beliebt sind die günstigen
Auf eine lange Lebkuchentradition Säcke mit Lebkuchen-Bruch, das sind
blickt die Stadt Nürnberg zurück, da Kuchen mit kleinen Schönheitsfehlern,
sich hier einst mehrere europäische die je nach Qualitätsstufe zwischen
Handelsrouten kreuzten, und auf diese 6,90 und 10,90 Euro (550 Gramm) kos-
Weise Gewürzhändler in die Stadt tet. Auch vom Elisenlebkuchen, der
kamen. Mit der Marke „Nürnberger wegen seines höheren Anteils an Nüs-
Lebkuchen“ darf heute nur werben, sen und Gewürzen zur Premiumstufe
wer diese an Ort und Stelle herstellt. zählt, gibt es solche Tüten.
Das macht das Unternehmen Lebku- Noch schöner freilich sehen die Leb-
chen-Schmidt nach eigenen Rezepten kuchen in den bunten, mit nostalgi-
und Gewürzmischungen seit 1927. schen Bildern gestalteten Dosen und
In Frankfurt ist der Lebkuchen-Produ- Truhen aus, von denen es zig Varian-
zent gut bekannt. Die Filiale ist eine von ten gibt – etwa eine große Festtags-
fünf ganzjährigen Verkaufsstellen und Truhe (78,50 Euro), in der Platz ist für
mit mehr als 30 Jahren der am längsten 13 verschiedene Spezialitäten, unter
bestehende Standort. „Frankfurt ist ech- diesen die „Elisen-Königin“, Lebku-
tes Schmidt-Land“, sagt ein Sprecher. chen des Jahres, der ganz ohne Mehl
Das Geschäft an der Neuen Kräme wur- auskommt. PETRA KIRCHHOFF
de in diesem Herbst jedoch aufgegeben,
es ist jetzt etwas weiter Richtung Zeil zu Lebkuchen-Schmidt, Liebfrauenberg 3,
finden, auf einer ehemalige Bäckereiflä- Frankfurt; montags bis freitags 9.30 bis
che, die lange leer stand. Hier gibt es 19.30 Uhr, samstags 10 bis 19 Uhr;
mehr Platz für das neue Konzept, das die www.lebkuchen-schmidt.com
Foto Sven Simon
Partner der Post – Hermes und DPD
arbeiten ebenfalls mit solchen Part-
nern – nebenbei Briefmarken verkau-
fen und Pakete annehmen. Der Vorteil:
Die Verkaufsstellen haben attraktive
Öffnungszeiten, und in der Regel muss
man nicht so lange warten wie in der
Post-Filiale.
Eher auf dem Land als in der Stadt bie-
tet es sich an, einen alternativen Ablage-
ort am Haus festzulegen, etwa die Terras-
se, der Kellereingang oder die Garage.
Das passiert oft auch nur in Absprache.
Ohne solche Sondervereinbarungen
muss ein Paket vom Paketboten immer
persönlich an der Wohnungstür überge-
ben werden. Das heißt, die Zusteller müs-
sen klingeln und sich den Empfang quit-
tieren lassen. Wegen Corona verzichtet
die Post jedoch auf die Kundenunter-
schrift, stattdessen dokumentieren die
Zusteller dies selbst – und stellen die Lie- Klassiker: bei Lebkuchen Schmidt in Frankfurt Foto Martin Albermann
ferung vor die Wohnungstür oder in den
Hausflur.
Die persönliche Paketübergabe mit
Unterschrift hat den Vorteil, dass der GEHT DOCH
Empfänger einen beschädigten Karton
vor den Augen des Paketboten öffnen
kann, ehe er den Empfang abzeichnet.
Denn mit der Unterschrift dokumen-
Für Finger ohne Mief
tiert der Empfänger, dass die Ware
äußerlich heil bei ihm angekommen ist. Der kleine Hunger meldet sich von jetzt ein, die mit ihnen zugange sind. Da bie-
Ist ein Paket stark lädiert, empfiehlt es auf gleich. Was geht nun auf die Schnel- tet es sich an, mit der Zwiebel und dem
sich, die Annahme zu verweigern. Auch le? Spaghetti aglio e olio! Nudeln, Knob- anderen Gemüse für den Salat das
der Nachbar, der einspringt, sollte lauch und hübsche Cocktail-Tomaten Gleiche zu machen: schälen, zerteilen
offensichtlich beschädigte Pakete bes- finden sich in der Küche. Und die scharfe und fein hacken. Der wunderbar in die
ser nicht annehmen. Gewürzmischung mit Chili für den rich- Jahreszeit passende Feldsalat vom
Verbraucherschützer empfehlen, sich tigen Pfiff steht auch griffbereit. Das Oli- Wochenmarkt ist alsbald von den übli-
wichtige Sendungen in einen Paketshop
schicken zu lassen, um eine Sendung in
venöl sowieso. Dazu passt ein bunter
Salat mit Paprika, Schalotten und Zwie-
cherweise mitgelieferten Erd- und
Sandkörnchen befreit sowie angerich-
Ruhe zu prüfen und eventuell unter beln, unter anderem. Das klappt. tet mit Essig-Öl-Honig-Sauce. Nun
Zeugen auszupacken. An einer Packsta- Wobei die eigentliche Aufgabe nach noch das Olivenöl vorsichtig erhitzen,
tion geht das nicht. Sobald sich die der Vorbereitung ansteht. Während Knoblauch nebst Gewürzen und Toma-
Klappe öffnet, gilt das Paket als ange- also der Wasserkocher einen Liter auf ten dazugeben und vor sich hin köcheln
nommen, berichtet das Verbraucher- die richtige Temperatur bringt und das lassen.
portal Finanztip.de. Erhitzen auf der Herdplatte verkürzt, Doch, ach, die eigentliche Aufgabe
Wird ein Schaden erst nach Öffnung was zudem auch ökologisch sein soll, wartet noch: die Finger wieder frisch
des Pakets festgestellt, sollten Empfän- macht sich der Freizeitkoch ans Werk. machen. Es gibt ja allerlei Tipps dazu.
ger diesen anhand von Fotos dokumen- Und schält ein paar Knoblauchzehen. Von Essigwasserbehandlung haben wir
tieren und sich so schnell wie möglich Drei, vier ordentlich dicke Zehen soll- gehört. Auf stark parfümierte Seife soll
an den Absender wenden, aus Beweis- ten reichen. Die enthäuteten Teile manch einer schwören. Wir bevorzugen
gründen am besten schriftlich per dann mit dem Schälmesser, der Hesse eine zuverlässige wie billige Methode –
E-Mail oder Einschreiben. Denn nach an sich kennt es als „Kneipche“, in dün- und reiben die Finger an unserer Edel-
Erfahrung der Verbraucherzentralen ne Scheiben schneiden und dieselben stahlspüle ab. Die ist sowieso da. Ein
schieben bei Problemen mit Paketliefe- dann noch klein hacken. Derweil zieht paar Sekunden reichen, um den Mief zu
rungen die Händler und Transport- der charakteristische Duft in die Nase vertreiben. Garantiert. Im Zweifel tut es
unternehmen die Schuld häufig auf den und förmlich in die Haut der Finger auch ein Stahltopf. THORSTEN WINTER
jeweils anderen.
Siegel helfen bei
Spielzeug-Auswahl
FRANKFURT Beim Kauf von Spielzeug
geht es für Eltern nicht nur um die Frage,
wie gut es gemacht ist und ob es zum
Alter passt, sondern auch darum, dass
Materialien frei von Chemie und sicher
sind. Hilfe geben eine Reihe von Prüfsie-
geln, wie auf der Seite verbraucherfens-
ter.de des hessischen Verbraucherschutz-
ministeriums nachzulesen ist. Danach
steht das GS-Zeichen für „Geprüfte
Sicherheit“ und wird von unabhängigen
Prüfstellen für fünf Jahre vergeben.
Wichtig ist, dass das jeweilige Prüfinsti-
tut mit angegeben ist, ein GS-Zeichen
allein könnte gefälscht sein. Auf einen
pädagogisch „ausgezeichneten Spiel-
wert“ weist das TÜV/LGA-Prüfzeichen
hin, das auch Aspekte wie Sicherheit und
Funktionalität mit einschließt. Das VDE-
Zeichen ist ein Hinweis auf elektronische
Sicherheit bei sachgemäßem Gebrauch.
Ist Holzspielzeug mit dem Blauen Engel
ausgezeichnet, so können Eltern sicher
sein, dass die verwendeten Materialien
strenge Umweltauflagen erfüllen. hoff.
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Parteien streiten um
Erhöhung der Grundsteuern
OESTRICH-WINKEL Defizit im Haushaltsentwurf
Die Stadt Oestrich-Winkel steuert auf
finanziell schwierige Zeiten zu. Bei
Ausgaben von fast 27 Millionen Euro
tut sich eine Einnahmelücke von
mehr als 800 000 Euro auf. Und im
Finanzhaushalt, aus dem die Investi-
tionen bestritten werden, fehlen
sogar 1,1 Millionen Euro. Zur
Begründung heißt es im Vorbericht
zum Haushaltsentwurf: „In Folge der
Corona-Pandemie brechen auf der
einen Seite Einnahmen ein und auf
der anderen Seite steigen die Ausga-
ben überproportional an.“
Zwar hat die Stadt für viel Geld
einige Wohnbaugrundstücke verkauft.
Doch ohne deutliche Erhöhung der
Hebesätze bei den Grundsteuern um
200 auf jeweils 790 Punkte sei trotz
der Einnahmen aus den Grundstücks-
erlösen kein Ausgleich im Finanz-
haushalt möglich. 2023 sollen die
Hebesätze sogar noch weiter auf dann
890 Punkte steigen. Dies sei nötig, um
die bis 2019 aufgelaufenen Fehlbeträ-
ge abzubauen.
Ob es dazu kommt, muss sich erst
noch zeigen, denn in der Stadtverord-
netenversammlung stellen SPD und
Grüne die Mehrheit. Die SPD will den
von Bürgermeister Tenge (parteilos)
und Stadtrat Björn Sommer (FDP) vor-
gelegten Haushaltsentwurf jedenfalls
abmildern. Die vorgesehenen Hebesät-
ze wären „mit die höchsten Werte im
Rheingau und ganz Hessen“, argumen-
tieren die Fraktionen.
SPD-Fraktionschef Carsten Sinß
sieht den Haushalt in einer „dramati-
schen Schieflage“, die nicht mit Son-
dereffekten zu erklären sei. Nur die
Steuern zu erhöhen, sei „einfallslos“
und eine Zumutung für die von der
Pandemie gebeutelten Bürger. Die Ver-
waltung solle Einsparvorschläge unter-
breiten, meint Sinß und wirft dem Bür-
germeister unter anderem kostspielige
Fehlplanungen beim Neubau einer
Kindertagesstätte vor. Zudem weise
Impfen an allen Wochentagen
WIESBADEN Stadt und Kreis erweitern Angebote
Um die vierte Pandemie-Welle zu bre-
chen, bauen die Landeshauptstadt und
der benachbarte Rheingau-Taunus-
Kreis ihre stationären Impfangebote
deutlich aus. Um die für den Landkreis
vorgegebene Zahl von 4685 Impfungen
wöchentlich zu erreichen, sind die
Impfstationen in Eltville und in Tau-
nusstein-Wehen nun täglich – ein-
schließlich Sonntag – geöffnet, in Elt-
ville von 10 bis 18 Uhr, in Taunusstein
von 11 bis 17 Uhr. Dieses Sieben-Tage-
Angebot gilt bis zum 23. Dezember und
dann wieder ab 3. Januar.
Vom 24. bis zum 26. und vom
31. Dezember bis 2. Januar haben die
Impfstationen geschlossen, dazwi-
schen sind sie aber geöffnet. Eine
Anmeldung ist nicht erforderlich.
Wiesbaden eröffnet am Montag ein
weiteres stationäres Impfangebot im
ehemaligen Bürgerbüro im Luisenfo-
rum, Dotzheimer Straße 8. Dort kön-
nen von 9 bis 17 Uhr täglich bis zu 500
Bürger ohne Voranmeldung geimpft
werden. Am 8. Dezember soll zudem
eine Impfstation im Stadtteilzentrum
Schelmengraben, Hans-Böckler-Stra-
ße 5–7, in Betrieb gehen, die von
Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr
geöffnet ist. Noch vor Weihnachten
sollen weitere Impfangebote in Erben-
heim und Biebrich eröffnet werden.
Der Impfbetrieb in der DKD Helios
Klinik, Aukammallee 33, läuft unter-
dessen weiter.
Wiesbaden will fortan in der Lage
sein, rund 7000 Impfungen wöchent-
lich vornehmen zu können und somit
Neuer Chef für Bus und Bahn
WIESBADEN ESWE erhält zweiten Geschäftsführer
Für die Spitze der kommunalen Ver-
kehrsgesellschaft ESWE hat der Auf-
sichtsrat auf einer Sondersitzung mit
Jan Görnemann einen neuen
Geschäftsführer bestellt. Görnemann
erhält zunächst einen Zweijahresver-
trag. Görnemann ist damit zweiter
Geschäftsführer neben Jörg Gerhard,
der schon seit 2014
die Verantwortung
trägt. Görnemann
tritt auf seiner Posi-
tion die Nachfolge
Foto Stadt Wiesbaden
von Geschäftsführer
Hermann Zemlin
an, der zum 31.
Dezember aus dem
Unternehmen aus- J. Görnemann
scheidet. Dem Ver-
nehmen nach ist Görnemann eine
Übergangslösung, nachdem ein erster
Anlauf zur Besetzung der Geschäfts-
führerstelle gescheitert war. Der 50
Jahre alte Diplom-Ingenieur war schon
an verantwortlicher Stelle für mehrere
der Entwurf „eklatante Fehler“ auf.
Sinß kündigt Vorschläge an, wie die
Grundsteuererhöhung abgemildert
werden kann.
Die FDP hält zwar Steuererhöhun-
gen nicht für den Königsweg einer
Etatplanaufstellung. Notwendig sei
dennoch ein realistischer Blick auf die
Situation, meint FDP-Fraktionschef
Marius Schäfer. Wer die Leistungen der
Stadt aufrechterhalten und Gebühren-
erhöhungen vermeiden wolle, der kom-
me aber nicht an einer Erhöhung der
Steuern vorbei, meint Schäfer und ver-
weist auf Ausgaben von allein vier Mil-
lionen Euro für die Kinderbetreuung.
Zudem seien in der Vergangenheit
soziale Wohltaten beschlossen worden,
die nun auch bezahlt werden müssten.
Die CDU hat sich unterdessen gegen
die vorgeschlagene Steuererhöhung
ausgesprochen. „Wir halten Steuer-
erhöhungen derzeit für unangebracht
und schädlich. Die Menschen sind in
dieser Zeit bereits mit vielen anderen
Dingen in höchstem Maße bean-
sprucht“, meint die Fraktionsvorsitzen-
de Almut Hammer. Die CDU werde in
den Beratungen konkrete Vorschläge
für Veränderungen sowohl bei den Ein-
nahmen als auch den Ausgaben unter-
breiten.
Beispielsweise stelle sich die Frage,
ob alle vorgeschlagenen Bauprojekte
wirklich zwingend im nächsten Jahr
realisiert werden müssten. Das gelte
auch für den grundhaften Ausbau von
Straßen. Zudem müsse genau geprüft
werden, für welche in den Vorjahren
eingeleiteten Bauprojekte noch Haus-
haltsreste vorhanden seien. Hinter-
fragt werden müssten auch zusätzli-
che Stellen in der Verwaltung. „Nicht
alles, was wünschenswert ist, ist auch
machbar“ sei der Tenor in der CDU-
Fraktion. Steuererhöhungen seien
stets das letzte Mittel. Zuvor müssten
alle Einsparmöglichkeiten ausge-
schöpft werden. obo
den Vorgaben des Landes zu genügen.
„Wir hoffen, dass wir nun auch schnell
ausreichend Impfstoff erhalten“, sagt
Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende
(SPD). Für die kommende Woche
wurden 4080 Dosen Biontech und
4000 Dosen Moderna bestellt. Tat-
sächlich geliefert werden laut Land
aber nur 1848 Dosen Biontech und
4000 Dosen Moderna.
Für das Impfangebot in der DKD
Helios Klinik sind inzwischen mehr als
12 000 Terminanfragen eingegangen.
Rechnerisch ist die Klinik damit bis
März ausgebucht. Die Stadt bittet
darum, vorerst keine Terminanfragen
mehr zu stellen. Geimpft wird in Wies-
baden nach den Empfehlungen der
Ständigen Impfkommission. Der Impf-
stoff kann nicht frei gewählt werden.
Alle Impfwilligen unter 30 Jahren wer-
den Biontech erhalten, alle anderen
vorrangig Moderna, da weniger Bion-
tech-Dosen geliefert werden als
bestellt.
Zusätzlich zu den stationären Ange-
boten ist weiter das mobile Impfteam
der Stadt unterwegs. Die Anfrage bei
der Kassenärztlichen Vereinigung um
Unterstützung wurde unterdessen
abschlägig beschieden: Der angefragte
Medibus sei als rollende Arztpraxis in
anderen Kreisen im Einsatz, hieß es.
Laut Verwaltung haben in der vergan-
genen Woche die niedergelassenen
Ärzte in Wiesbaden 8868 Impfungen
vorgenommen – deutlich mehr als in
den beiden Vorwochen mit 4517 bezie-
hungsweise 6243 Impfungen. obo.
deutsche Verkehrsunternehmen enga-
giert und zuletzt selbständig tätig. Gör-
nemann ist gelernter Eisenbahner und
hat über den zweiten Bildungsweg Ver-
kehrsingenieurwesen und Logistik stu-
diert. Er war unter anderem Betriebs-
leiter der S-Bahn München und
Geschäftsführer des Busunternehmens
Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein.
Zu seinen Kernaufgaben gehört die
Weiterentwicklung des ÖPNV in Wies-
baden nach dem ablehnenden City-
bahn-Bürgerentscheid nach der Coro-
na-Pandemie.
Aufsichtsratschef Andreas Kowol
(Die Grünen) nennt Görnemann
„einen hoch qualifizierten Geschäfts-
führer mit langjähriger ÖPNV-Erfah-
rung aus zwei deutschen Millionen-
städten“. Dank seiner Bahn-Expertise
werde er die Stadt bei der Begleitung
der regionalen Bahnprojekte Wallauer
Spange, Ländchesbahn-Ausbau und
Aartalbahn-Reaktivierung unterstüt-
zen können. obo.
Rhein-Main
Ausflug in die Natur: In den Gehegen der Wiesbadener Fasanerie leben Nutztiere, einheimische und bedrohte Arten.
Eine Arche für bedrohte Nutztiere
ine der besucherstärksten
E Attraktionen der Landeshaupt-
stadt, der Tier- und Pflanzen-
park Fasanerie, hat eine neue
Leiterin: Nadja Niemann steht zwar
schon seit Sommer vergangenen Jahres
an der Spitze der 25 Hektar großen Frei-
zeiteinrichtung, doch erst jetzt fand sich
im zweiten Pandemiejahr die Zeit zur
öffentlichen Vorstellung durch Umwelt-
dezernent Andreas Kowol (Die Grünen).
Die 1954 eröffnete Fasanerie, deren
Keimzelle vor mehr als 250 Jahren ein
Gehege für fürstliche Jagden und zur
Aufzucht von Fasanen war, zählt außer-
halb von Pandemiezeiten jedes Jahr bis
zu 250 000 Besucher. Sie können dort
mehr als 40 einheimische Tierarten
sehen, vor allem Wild- und Haustiere wie
Schafe, Ziegen, Kaninchen, Wölfe, Füch-
se und Bären. Es gibt einen großen Spiel-
platz und ein naturpädagogisches Zen-
Rudolph bleibt
DGB-Chef
BAD HERSFELD Mit 97 Prozent
Zustimmung haben die 78 Delegier-
ten des Deutschen Gewerkschafts-
bundes (DGB) Hessen-Thüringen
ihren Bezirksvorsitzenden Michael
Rudolph am Samstag im Amt bestä-
tigt. Der 44 Jahre alte Kasseler wird
damit den Dachverband der Gewerk-
schaften, die zusammen mehr als
400 000 Mitglieder in Hessen haben,
weitere vier Jahre repräsentieren. Zu
seiner neuen Stellvertreterin wurde
wie erwartet die Thüringerin Renate
Sternatz gekürt. Traditionell stehen
an der Spitze des Zwei-Länder-Be-
zirks je ein Vertreter aus Hessen und
aus Thüringen.
Ebenfalls für vier Jahre wiederge-
wählt wurde der für die Region Frank-
furt/Rhein-Main zuständige hauptamt-
liche Geschäftsführer Philipp Jacks.
Die Region umfasst auch Wiesbaden
und die Landkreise Limburg-Weil-
burg, Hochtaunus, Main-Taunus sowie
Rheingau-Taunus. Jacks ist auch
ehrenamtlicher DGB-Vorsitzender in
Frankfurt. Die Geschäfte der Region
Südhessen (Darmstadt sowie Land-
kreise Darmstadt-Dieburg, Odenwald
Bergstraße und Groß-Gerau) führt
künftig Jens Liedtke, er löst den
63 Jahre alten Jürgen Planert ab. fahe.
Christbäume
selbst schlagen
WIESBADEN Wer einen frischen
Weihnachtsbaum selbst schlagen
möchte, kann auch in diesem Jahr im
Wiesbadener Stadtwald die Säge
ansetzen. Am Samstag, 11. Dezem-
ber, zwischen 11 und 15 Uhr können
in der Kultur im Stadtteil Heßloch
Weihnachtsbäume ausgesucht und
mitgenommen werden.
Der Weg vom Friedhof zur Scho-
nung ist ausgeschildert, teilte die
Stadt mit. Die Bäume stammen aus
umweltfreundlicher Waldwirtschaft
und sind FSC-zertifiziert. Verkauft
werden Nordmanntannen in einer
Größe zwischen einem und drei
Metern.
Die Kunden werden gebeten, beim
Aussuchen des Baums eine Maske zu
tragen, und sollten nach Möglichkeit
eine eigene Säge mitbringen. Es sind
allerdings auch einige Sägen vorhan-
den, die regelmäßig von Mitarbeitern
desinfiziert werden. Die Veranstal-
tung findet unter Einhaltung der
3-G-Regel statt, und das Team vom
Stadtwald freut sich über bargeldlose
Zahlung. robm.
Die Fasanerie gibt es seit mehr als
WIESBADEN
250 Jahren. Jetzt hat sie eine neue Leiterin, die das
Tiergehege zukunftsfähig machen soll.
trum. Botanisch interessant sind die vie-
len heimischen und exotischen Pflanzen.
Auch ein Baumlehrpfad (Arboretum) ist
ausgewiesen.
Die Stadt lässt sich die Unterstützung
des stark frequentierten Parks mit sei-
nen 19 Mitarbeitern jährlich rund eine
Million Euro kosten. Eine der vielen
Besonderheiten der Fasanerie ist, dass
der Eintritt unentgeltlich ist. Niemanns
Aufgabe ist es, den Park konzeptionell
weiterzuentwickeln und einen Master-
plan zu erstellen, um die Attraktivität
der Fasanerie dauerhaft zu bewahren.
Untersuchung zeigt:
Jede zweite Frau über 50 hat zwar
gefühlvollen aber schmerzhaften Sex
Das Ergebnis einer Umfrage des In-
timpflegeherstellers Vagisan2 bringt
überraschende Einsichten: Die meis-
ten Frauen über 50 haben noch regel-
mäßigen und gefühlvollen Sex! Jede
dritte Frau sagt allerdings, dass der Sex
schlechter geworden ist, jede zweite hat
sogar Schmerzen dabei.1 Besonders
betroffen sind Frauen mit Scheiden-
trockenheit.
Woher kommt das Problem mit der tro-
ckenen Scheide? Und was kann frau da-
gegen tun? Wir haben Sexualtherapeutin
Ann-Marlene Henning dazu befragt, die
das Problem aus eigener Erfahrung kennt.
„Ab Mitte 40 beginnt bei Frauen eine
hormonelle Umstellung mit teils deut-
lich spürbaren Folgen: Sie bekommen
Hitzewallungen oder schlafen schlecht.
Auch wird die Schleimhaut in der Va-
gina dünner und trockener“, weiß Hen-
ning, „dafür ist vor allem der sinkende
Östrogenspiegel verantwortlich“.
Über 50 % der Frauen mit Scheidentro-
ckenheit haben laut Umfrage nur selten
oder gar nie Geschlechtsverkehr. Ist
Scheidentrockenheit also ein Sex-Killer?
„Wenn eine Frau beim Sex plötzlich
einen Schmerz verspürt, und sei er auch
noch so klein, spannt sie unwillkür-
lich an“, erklärt die Sexualtherapeutin.
„Dadurch schwinden oft Erregung und
Lust. Denn warum sollte sie auf etwas
Lust haben, das weh tut? Ein Teufels-
kreis beginnt.“
Die Vagisan-Umfrage verdeutlicht: 40 %
der Frauen, die an Schmerzen beim Sex
leiden, unternehmen nichts gegen ihre
Beschwerden. Woran liegt das?
„Ich muss erst einmal realisieren, was
es sein könnte, wenn es pikst oder
schmerzt“ sagt Henning aus eigener Er-
fahrung. „Frauen verbinden das Bren-
nen oder ein Wundgefühl im Bereich
der Vagina oft nicht mit Scheidentro-
ckenheit.“
Was können sie tun? „Ich selbst bin in
die Apotheke gegangen und habe mich
Zum ganzen Interview auf
www.vagisan.de
M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 3 5
Die 43 Jahre alte
Biologin hat in Köln
studiert und sich wäh-
rend des Studiums und
danach vor allem mit
Foto Stadt Wiesbaden
Wildkatzenarten und
Reptilien beschäftigt.
Sie war fast zwei Jahre
Assistentin des Direk-
Nadja Niemann tors am Dortmunder
Zoo, leitete danach
den elf Hektar großen „Zoo in der
Wingst“ in Niedersachsen und war
zuletzt am Tierpark Berlin und für die
beraten lassen. Viele Frauen schämen
sich aber“, weiß Henning.
Das zeigt auch die Vagisan-Befragung:
Die Scham bei Scheidentrockenheit ist
groß. Über die Hälfte der betroffenen
Frauen empfinden es als peinlich, mit
ihrer Apothekerin oder Ärztin darüber
zu sprechen. Oder sie wollen vermeiden,
dass ihr Partner davon erfährt.
Viele Frauen schämen sich
für die Scheidentrockenheit,
dabei ist sie ab einem
gewissen Alter eine ganz
normale Sache.
Ann-Marlene Henning,
Sexualtherapeutin
„Meine Apothekerin hat mir damals die
Feuchtcreme von Vagisan empfohlen“,
sagt Ann-Marlene Henning, „die bringt
sofort etwas. Sie versorgt die Haut nicht
nur mit Feuchtigkeit, sondern auch mit
pflegenden Fetten. Und dann kann die
Entspannung wieder kommen!“
1 Oskay UY, Beji NK, Yalcin O. A study on urogenital
complaints of postmenopausal women aged 50 and over.
Acta Obstet Gynecol Scand 2005;84, 72–78.
2 Umfrage mit dem Meinungsforschungsinstitut Appinio;
Aug. 2021; 1 022 Frauen wurden befragt.
Foto Cornelia Sick
Zoom Erlebniswelt Gelsenkirchen ver-
antwortlich tätig. Doch das waren meist
Zeit- und Projektverträge. Für Wiesba-
den und seine Fasanerie will sich Nie-
mann nun langfristig engagieren.
In die Fasanerie habe sie sich auf Anhieb
verliebt, sagt Niemann. Vor allem wegen
des Standorts inmitten der Natur und des
schönen Tierbestands. Sie sehe es als ihre
Aufgabe, Charme und Charakter zu erhal-
ten und den Masterplan in den nächsten
Jahren zu realisieren. Neben den Stärken
hat Niemann aber auch die Schwächen der
Fasanerie im Blick. Der Natur- und Arten-
schutz sei bisher zu kurz gekommen, meint
sie. Zudem will sie mehr bedrohte Haus-
tierarten präsentieren und auf dem Feld
der Erlebnispädagogik gegen die „Natur-
Entfremdung der Menschen“ arbeiten. Ihre
Vision ist es, die Fasanerie auch zu einer
Art „Arche für bedrohte Nutz- und Haus-
tiere“ zu entwickeln. obo.
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Daran erkennen Sie
Scheidentrockenheit
Hatten Sie in den letzten 4 Wochen folgende
Beschwerden im Scheidenbereich?
Trockenheitsgefühl ja nein
Juckreiz ja nein
Wundgefühl/Reizung ja nein
Brennen ja nein
Schmerzen im Scheidenbereich …
unabhängig von
sexueller Aktivität ja nein
bei sexueller Aktivität ja nein
Wenn Sie auch nur einmal mit „Ja“ geant-
wortet haben, kann dies bereits ein Hinweis
auf Scheidentrockenheit sein.
VAGISAN-MERKZETTEL FÜR DIE APOTHEKE
25 g Vagisan FeuchtCreme (PZN 9739474)
oder
50 g Vagisan FeuchtCreme (PZN 6786786)
SE I TE 3 6 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284 Rhein-Main FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG

„Schrottruinen is zu seinem 22. Lebensjahr

müssen weg“
Staudinger-Altanlagen
sollen sofort weichen
GROSSKROTZENBURG Der Rück-
bau der nicht mehr benötigten Anla-
gen auf dem Gelände des Kraftwerks
Staudinger könnte wesentlich früher
erfolgen als von dem Kraftwerksbe-
treiber Uniper vorgesehen. Dieser
Ansicht ist die Initiative „Zukunftssi-
cheres Großkrotzenburg“, die die
größte Fraktion in der Gemeindever-
tretung stellt. Fraktionsvorsitzender
Aloys Lenz verweist auf eine Resolu-
tion, die von der Gemeindevertre-
tung einstimmig verabschiedet wor-
den sei. Darin wird ein frühzeitiger
Abbau „der Schrottruinen“ empfoh-
len. Die Standortleitung weise dieses
Ansinnen mit dem Hinweis auf die
„Komplexität der Entflechtungsmaß-
nahmen“ zurück, die Voraussetzung
für einen Abriss seien.
Die Darstellung der Kraftwerkslei-
tung habe mit den realen Zuständen
auf dem Staudinger-Areal nichts zu
tun, sagt Lenz. Nach Informationen
der Initiative sind Kühltürme und
Kamine, Kessel- und Maschinenhäu-
ser sowie Rauchgasentschwefelungs-
und Bekohlungsanlagen schon weit-
gehend entflochten und könnten
sofort zurückgebaut werden. So steht
es auch in der Resolution.
Kraftwerksleiter Thomas Hube
hatte in diesen Tagen Folien veröf-
fentlicht, die Entwicklungen auf dem
Kraftwerksareal für die nächsten
Jahrzehnte bis zum Jahr 2040 skiz-
zieren. Danach soll der erste Kühl-
turm bis zum Jahr 2035 verschwun-
den sein. Bis 2040 sollen die Altanla-
gen vollständig abgerissen sein
(F.A.Z. vom 2. Dezember).
Kritik übt die Initiative an den
Entwicklungsplänen von Staudinger.
Die Bevölkerung sei daran interes-
siert, dass die Entwicklung auf dem
Gelände auch zum Vorteil der
Gemeinde sein werde. Die Kraft-
werksverantwortlichen
B hat Özgür Kazan ein norma-
les Leben geführt. In seiner
Freizeit war er erfolgreicher
Boxer und beruflich leitete er
ein Bau- und Brandsanierungsunterneh-
men. Bis zu jenem Tag, als er bei Hanau
unschuldig in einen schweren Unfall
verwickelt und lebensgefährlich verletzt
wurde. Als Özgur Kazan im Kranken-
haus aus der Bewusstlosigkeit erwachte,
war er vom Halswirbel an abwärts
gelähmt, sein rechter Arm in der Bewe-
gung beeinträchtigt, was sein Leben
fortan völlig auf den Kopf stellte.
Rehabilitationsangebote halfen ihm,
sich langsam wieder in einen einigerma-
ßen normalen Alltag zurückzukämpfen.
Er wohnte bei seinen Eltern in Neu-
Isenburg, die ihm bei den täglichen Ver-
richtungen halfen. Doch irgendwann
hat sein Vater entschieden, der Sohn
müsse trotz seiner Behinderung selbst-
ständig werden, was einen abermaligen
Wendepunkt im Leben von Kazan
bedeutete.
Als Rollstuhlfahrer hatte er schnell
die Probleme kennen gelernt, mit denen
sich behinderte Menschen herumschla-
gen müssen. Hoch gehängte Schränke
waren für ihn nicht mehr erreichbar. Er
brauchte Hilfe, wenn er eine Tür oder
ein Fenster öffnen wollte. Auch viele
Schalter sind für Rollstuhlfahrer zu hoch
angebracht. In der Küche kam er im
Kühlschrank nur an das unterste Regal.
Schon kleine Unebenheiten machen
einem Menschen im Rollstuhl Schwie-
rigkeiten. Kazan hatte schnell erkannt,
dass bei Planungen für den Alltag auf
Behinderte wenig Rücksicht genommen
oder an ihre Bedürfnisse nicht gedacht
wird. Das wollte er ändern.
Mit finanzieller Unterstützung seiner
Eltern plante er in Dreieich-Sprendlin-
gen sein neues Heim. Da das Grundstück
groß genug war, sollte es ein behinder-
tengerechtes Mehrfamilienhaus werden.
Wer Kazan besucht und in die kleine
Tiefgarage fährt, die besonders breite
Parkbuchten hat, schaut erst einmal auf
Wände mit vielen bunten Gemälden,
geschaffen von verschiedenen Künstlern.
Statt grauer Tristesse schaut man Goethe
in die Augen, von der Wand zur Tiefgara-
Zum dritten
Mal kein Lauf
Gutenberg-Marathon
für 2022 abgesagt
MAINZ Schlechte Nachrichten für die
Freunde des Gutenberg-Marathons:
Auch im nächsten Jahr wird kein
Startschuss fallen. Wegen der sich
zuspitzenden vierten Corona-Welle
hat der Stadtvorstand beschlossen,
den Lauf vorsorglich abzusagen.
Nach 2020 und 2021 ist es das dritte
Mal, dass der im Jahr 2000 erstmals
veranstaltete Marathon ausfällt.
Laut einer Mitteilung der Presse-
stelle waren die Planungen der
Sportabteilung unter der Federfüh-
rung von Rennleiter Dieter Ebert
schon weit gediehen. Es wäre ein
„Marathon mit deutlich veränder-
tem Gesicht“ geworden, da auf-
grund der laufenden Rathaussanie-
rung weder die Tiefgarage noch die
Rheingoldhalle zur Verfügung
gestanden hätten.
„Absolut oberste Priorität hat die
Gesundheit der Teilnehmerinnen
und Teilnehmer“, sagt Bürgermeister
und Sportdezernent Günter Beck
(Die Grünen). „Manche Dinge hat
man aber bei aller Planungssorgfalt
nicht selbst in der Hand. Ich hatte es
bereits befürchtet, mit der erneut
anschwellenden Pandemie erleben
wir aus Marathon-Sicht leider ein
Déjà-vu.“
Deshalb hat die Stadt von der für
vorigen Samstag geplanten Öffnung
der Meldeliste abgesehen. „Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt würde sich
nachvollziehbarerweise niemand
anmelden, zugleich kann die organi-
satorische Detailplanung bei steigen-
dem oder bestenfalls stagnierendem
pandemischen Niveau nicht seriös
Alles tiefer gelegt: Özgur Kazan in seinem behindertengerechten Wohnhaus in Sprendlingen . Foto Helmut Fricke
und vorausschaubar vorangetrieben
werden“, sagt Beck. „Die Meldelisten
zu öffnen wäre verantwortungslos.
Und öffnen wir die Portale zu einem

Geländes blieben und sie selbst

pochten
darauf, dass sie Eigentümerin des
allein mit künftigen Investoren Ver-
tragsabschlüsse vornehmen wollten.
So besteht Lenz zufolge die Gefahr,
dass künftige Investoren auf Groß-
krotzenburger Grund und Boden kei-
ne Gewerbesteuern zu zahlen hätten,
während der Konzern die Gewinne
einstreiche, wie es zum Nachteil der
Kommune seit mehr als zehn Jahren
der Fall sei.
Seit gut fünf Jahren werde die
Bevölkerung beruhigt und über die
angebliche Dynamik der Weiterent-
wicklung mit „Erzählungen getrös-
tet“. Das seien zunächst Gewächs-
häuser für Tomaten gewesen, die auf
den Flächen des Kraftwerksgeländes
angebaut werden sollten. Dann sei
eine umweltschädliche Verarbei-
tungsanlage für Straßenasphalt
geplant worden, die auf Protest der
Grünen schnell wieder zu den Akten
gelegt worden sei.
Seit mehreren Jahren würden nun
zukunftsträchtige Rechenanlagen
angekündigt. Doch während Uniper
noch Jahr für Jahr von einer Ansied-
lung spreche, seien in Hanau die Vor-
bereitungen zu einem solchen Bau in
der benachbarten Großauheim
Kaserne fast abgeschlossen. lu.
genabfahrt lächelt Albert Einstein. Ganz
hinten an einer Wand sieht man lediglich
ein Buch mit braunem Einband, auf dem
Kazans Name steht. „Das ist eines meiner
nächsten Projekte“, sagt er stolz. Denn
der inzwischen 44 Jahre alte Mann hat
seit seinem Unfall vieles aufgeschrieben,
was er jetzt zu einem Buch verarbeiten
möchte.
Von der Tiefgarage geht es hinauf in
den zweiten Stock, wo Kazans Wohnung
liegt. Die schwere Brandschutztür öffnet
sich automatisch, wenn man darauf
zugeht. Die Knöpfe im Aufzug sind tiefer
als anderswo angeordnet. An den Woh-
nungstüren im Haus fallen zwei Türspio-
ne auf. Einer in normaler Höhe, der
andere deutlich tiefer, damit man auch
aus dem Rollstuhl heraus sehen kann,
wer gerade Einlass begehrt. Die Woh-
nungen in dem Haus habe breitere Türen
als sonst üblich, die sanitären Einrichtun-
gen sind behindertengerecht angelegt.
Kazans Kühlschrank sitzt so tief, dass er
vom Rollstuhl aus auch in den oberen Teil
kommt. Auch der Küchenherd ist tiefer
gelegt. Die Zimmer haben teilweise
Schiebetüren, die sich ebenfalls automa-
tisch öffnen. Genauso wie die Tür hinaus
auf den großen Balkon. Kazan hat alles
so gut durchdacht, dass behinderte Men-
schen fast genauso sorglos wohnen kön-
nen wie ander Zeitgenossen.
Fünf Jahre lebt er jetzt in seinem neu-
en Heim. Inzwischen hat er ein Unter-
nehmen gegründet und tüftelt mit seinem
Alles gut durchdacht
Nach einem Unfall, der ihn in den Rollstuhl brachte,
DREIEICH
hat Özgur Kazan neu anfangen müssen. Jetzt plant er mit einem eigenen
Unternehmen behindertengerechte Bauten.
Von Peter Eisenhuth
Team an immer neuen Ideen, wie Woh-
nen für Behinderte und für alte Men-
schen besser werden kann. „Das ist mei-
ne Berufung“.
In Neu-Isenburg hat er ein weiteres
Wohnprojekt realisiert. Auf dem Grund-
stück seines ehemaligen Boxtrainers
Horst Louis Gauss, dessen Name das
Haus auch trägt. „Das ist die Alternative
zum Seniorenheim“, beschreibt Kazan
die Besonderheiten des Hauses an der
Wilhelmstraße 20.
Das Besondere ist der Zuschnitt der
Wohnungen. Sie können entweder von
einem älteren Ehepaar alleine bewohnt,
oder aber in einer Art Wohngemein-
schaft von mehreren Seniorinnen und
Senioren genutzt werden. Jedes Zimmer
hat eine eigene Waschgelegenheit,
Wohnraum und Küche werden gemein-
sam genutzt. „Da kann man sich die Miet-
kosten teilen“, sagt Kazan. Im Unterge-
schoss hat er zwei Räume für Pflegeper-
sonal eingeplant. Wer einen Menschen
rund um die Uhr pflege, brauche auch
einmal einen privaten Rückzugsort,
begründet er diesen Schritt. Natürlich ist
auch in diesem Haus alles behindertenge-
recht ausgeführt. Wer will, kann spezielle
Leistungen hinzu buchen, ein Arzt kom-
me regelmäßig in dem Haus vorbei, durch
die Lage in der Neu-Isenburger Innen-
stadt seien Geschäfte und Restaurants
auf kurzen Wegen erreichbar.
Für Kazan ist das eine zukunftsweisen-
de Wohnmöglichkeit für alte und behin-
derte Menschen, die nicht in einem
Seniorenheim wohnen wollen. Die bei-
den bisherigen Häuser im gehobenen
Standard richten sich zunächst an finan-
ziell etwas besser gestellte Menschen.
Doch in Zusammenarbeit mit Kommu-
nen aus dem Rhein-Main-Gebiet will er
solche Häuser auch für Senioren mit
geringeren Renten realisieren. „Mein
Konzept ist derzeit deutschlandweit ein-
malig“, erzählt Kazan stolz. Fünf weitere
Projekte habe er schon in Planung.
Irgendwann will er in ganz Deutschland
arbeiten.
Seine Liebe zur Kunst ist nicht nur in
der Tiefgarage und in seinem Heim in
Dreieich-Sprendlingen zu sehen, sondern
auch an dem Haus in Neu-Isenburg. Dort
wurden 28 Felder an einer Mauer mit
Motiven aus der Geschichte der Stadt
gemalt. In den Fluren des neuen Projek-
tes sollen Gemälde die Wände zieren.
Und wenn Özgur Kazan mal nicht
gerade seine Ideen für senioren- und
behindertengerechtes Wohnen verfei-
nert, schreibt er weiterhin eifrig an sei-
nem ersten Buch.
weit späteren Zeitpunkt, sind wir in
den notwendigen Vorbereitungen
einfach zu spät dran.“
Um beispielsweise Läufershirts,
-geschenke und Verpflegung zu
besorgen, benötigten die Organisa-
toren frühzeitig verlässliche Teil-
nehmerzahlen. Ähnliches gelte für
größere Ausschreibungen wie die
Verkehrssicherung und für die
Suche nach freiwilligen Helfern.
„Mit den Zwängen der Pandemie
stoßen wir erneut an die Grenze des
Planbaren.“ ehu.
Testzentrum
wieder offen
Offenbach Die Stadt Offenbach hat
das Corona-Testzentrum hinter dem
Stadion Bieberer Berg wieder geöff-
net, in dem die Emanto GmbH Coro-
na-Tests anbietet. Wie es in einer
Mitteilung der Stadt heißt, ist das
Zentrum von Montag bis Sonntag
von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Im Ange-
bot sind sowohl Schnelltests als auch
PCR-Tests. Termine können im Inter-
net unter www.testzentrum-offen-
bach.de gebucht werden. Das Test-
zentrum ist mit Bussen der Linie 102
zu erreichen, die direkt vor dem Sta-
dion hält. jor.

FAMILIENANZEIGEN Im Alten BEKANNTMACHUNGEN

Testament steht:
Liebe Deinen ESCHBORN
Alles hat seine Zeit. Es gibt eine Zeit der Stille,
eine Zeit des Schmerzes und der Trauer, Gerd Melzer Nächsten.
aber auch eine Zeit der dankbaren Erinnerung. 14. Juli 1938 – 7. Dezember 2001 Öffentliche Bekanntmachung Nr. 077/2021
Auch nach 20 Jahren in unseren Gedanken, unseren Gesprächen
In meinem auch. Die 6. öffentliche Sitzung des Akteneinsichtsausschusses
und in unseren Herzen. „Klärung von Verwaltungsvorgängen hinsichtlich von Anlagen
bei der Greensill Bank in der Wahlperiode 2021/2026 findet am
Monika (Moni) Nauheim In liebevoller Erinnerung
Ella
Donnerstag, 09.12.2021 um 18.00 Uhr
im Raum E 1, Bürgerzentrum Niederhöchstadt,
geb. Wolf Irgendwann kommt für jeden Montgeronplatz 1, 65760 Eschborn,
Moni und Katja
Peyman und Ole der Zeitpunkt, an dem man
* 10. Dezember 1946 † 1. Dezember 2021 statt.
Luki, Kyan, Niki, Juli, Süske, Clara sich fragt, ob man alles richtig
und nun auch Romchen
Aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie wird die Sitzung unter erhöhten hygienischen
gemacht hat, den anderen ein Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt. Zur Gewährleistung der erforderlichen Ab-
guter Mensch war. Was bleibt, standsregelungen ist die Besucher/innenzahl begrenzt. Zwecks Reservierung der
wenn man geht? Dies können limitiert bereitstehenden Plätze sind die Anmeldungen vor der Sitzung an das Büro
Bestattungskalender Sie selbst entscheiden. Mit der Stadtverordnetenversammlung E-Mail-Adresse buero-stvv@eschborn.de zu
In Liebe und Dankbarkeit Am Montag, dem 6. 12. 2021 Schwalbach am Taunus, Ihrem Testament! richten. Sie werden nach der Reihenfolge ihres Eingangs berücksichtigt. Ein nach
(Angaben ohne Gewähr) alter Friedhof einer Teilnehmenden-Liste zu kontrollierender Einlass wird nur erfolgen, wenn Be-
Günter Nauheim Frankfurt am Main-Fechenheim 13.00 Trauerfeier mit Urnenbeisetzung Mit einer Testamentsspende sucher/innen einen Mund-Nasenschutz vom Betreten bis zum Verlassen des Sit-
Michael und Petra Nauheim 12.00 Trauerfeier und Bestattung Wagener, Gerhard, 83 J. unterstützen Sie unser En- zungsgebäudes tragen. Das bestehende und vor Ort ausliegende Hygienekonzept
Tim und Robin Felisch, Günter, 69 J. ist ferner zu beachten
gagement gegen Einsamkeit
Frankfurt am Main, Hauptfriedhof Frankfurt am Main, Hauptfriedhof TAGESORDNUNG:
Stefan Nauheim und Tina Wehrheim 12.00 Trauerfeier und Bestattung 13.30 Trauerfeier und Bestattung im Alter und schenken alten
Lukas, David, Alina und Kristoph Schön, Elisabeth, Möller, Elke, geb. Dreer, 74 J. vereinsamten Menschen 1. Begrüßung und Formalien
Maria Pischiutta geb. Wittenberg, 87 J. wieder Zuversicht und Le- 2. Akteneinsicht
Frankfurt am Main, Hauptfriedhof Frankfurt am Main-Oberrad-Wald Hinweis: Die Einsichtnahme ist nur für die Ausschussmitglieder zulässig
und alle Angehörigen 12.45 Trauerfeier und Bestattung 13.30 Trauerfeier und Bestattung
bensfreude.
Weuack, Heinz Rudolf, 76 J. Reyes, Raymundo, 60 J. 3. Verschiedenes
Hochheim am Main, neuer Friedhof Nähere Informationen: Eschborn, den 02.12.2021
13.00 Bestattung Bad Homburg-Ober-Eschbach gez.: Blomberg
Neumann, Irene, geb. Wiesner, 14.00 Bestattung Freunde alter Menschen e.V.
Tieckstraße 9, 10115 Berlin Ausschussvorsitzender
89 J. Schäfer, Karl
61476 Kronberg im Taunus · Frankfurter Straße 23 Telefon 030 / 13 89 57 90
In Stunden der Trauer sind wir für Sie da!
Die Trauerfeier findet am Mittwoch, dem 8. Dezember 2021, www.famev.de
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06122021

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SE I TE 3 8 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
EINZELKRITIK
Flankomat
auf links
Kevin Trapp: Drei Gegentore sind für
seine Ansprüche eine Torflut. Nur
beim 2:5 am ersten Spieltag in Dort-
mund waren es noch mehr. Bei den
Hoffenheimer Treffern zum 1:1 und
1:3 machtlos. Beim 1:2 hingegen
wehrte er den Schuss von Bebou
direkt vor die Füße des freistehenden
Torschützen Rutter ab.
Tuta: Wächst in seine Rolle hinein.
Selbstbewusst, mit guter Körperspra-
che. Resolut in den Zweikämpfen.
Kann sich im Spiel nach vorne aber
noch steigern.
Makoto Hasebe: Mit der Europa
League sein viertes Spiel in Serie
über 90 Minuten. Als Kopf der
Mannschaft und Stratege nicht so
souverän wie sonst. Spielte vor dem
1:3 einen kapitalen Fehlpass. Hob
dann außerdem mit seiner Hacke das
Abseits auf. Und zu allem Überfluss
wehrte er die Flanke noch zum Tor-
schützen Samassekou ab.
Evan Ndicka: Verhinderte auf spekta-
kuläre Weise auf der Linie mit dem
Kopf für den geschlagenen Trapp das
1:3. Für seine hohen Ansprüche aber
nicht immer Herr der Situation.
Unter dem Strich ein solider Auftritt.
Djibril Sow: Befand sich nach seiner
Gelben Karte am Rande eines Platz-
verweises. Zeigte viel Einsatz. Dafür
kam zu wenig raus. Nahm so nicht
die Rolle des Führungsspielers ein.
Kristijan Jakic: Beklagte ebenfalls
einen Leistungsabfall. Spielte vor
dem 1:2 vorne einen Fehlpass. Ließ
die Chance zum 2:0 ungenutzt. Als
Abräumer diesmal nicht mit der
gewohnten Konsequenz.
Timothy Chandler: Könnte seinen
gerade eroberten Stammplatz wieder
loswerden. Sein Auftritt ließ in jegli-
cher Form zu wünschen übrig.
Filip Kostic: Bereitete in gewohnter
Form als Flankomat das 2:3 von
Paciência vor. Es war seine sechste
Torvorlage. In der zweiten Halbzeit
an fast allen torgefährlichen Situatio-
nen beteiligt. Vom Gegner kaum zu
stoppen. Verlor aber ab und an die
Defensivarbeit aus den Augen.
Daichi Kamada: Lief seiner Bestform
weit hinterher. Kein Ideengeber.
Kaum mit Durchschlagskraft im
Spiel nach vorne.
Jesper Lindström: Bereitete mit
einem strammen Flankenschuss das
1:0 von Borré vor. Die beste Tat des
Dänen. Auch dessen Zuspiel nach 46
Jesper Lindström Foto Simon
Minuten zu Borré war sehenswert.
Bringt sich der Däne noch häufiger
ein, macht er den nächsten Schritt in
seiner Entwicklung.
Rafael Borré: Der Frankfurter Füh-
rungstreffer war das dritte Saisontor
des Kolumbianers. Verpasste nach
Pass von Lindström den Treffer zum
2:2. Enorm fleißig und willensstark.
Zum Torjäger fehlt ihm aber noch die
Kaltschnäuzigkeit.
Gonçalo Paciência: Kam für Lind-
ström ins Spiel. Mit großem Taten-
drang und auf den Punkt hellwach.
Erzielte auf technisch sehr
anspruchsvolle Weise das 2:3.
Erfüllte alle Kriterien eines guten
Einwechselspielers.
Sebastian Rode: Ersetzte den enttäu-
schenden Jakic. Auch der Kapitän
belebte das Spiel, in das er mit sei-
nem fußballerischen Vermögen
Struktur brachte.
Jens Petter Hauge: Durfte für Kama-
da ran. Versuchte viel. Insgesamt
sprang dabei aber zu wenig heraus.
Ragnar Ache: Wurde anstelle von
Chandler auf den Platz beordert.
Läuft einem Erfolgserlebnis weiter
hinterher. die.
Vollstrecker: Gonçalo Paciência erzielt nach feiner Einzelleistung das zweite Frankfurter Tor gegen Hoffenheim.
Zum Schluss kein Happy End
SINSHEIM Die Eintracht
ist in Hoffenheim
mental nicht auf der
Höhe und verliert
verdient 2:3. „Wir
kamen immer einen
Schritt zu spät.“
Von Ralf Weitbrecht
r hat es schon wieder gemacht.
E Doch anders als noch in den
vorausgegangen Spielen kam
diesmal jede Rettung zu spät.
Immerhin: Es war eine starke Aktion,
mit der Gonçalo Paciência noch einmal
Hoffnung verbreitete. Die Ballannahme
nach der Flanke von Filip Kostic mit der
Brust war perfekt. Und perfekt waren
auch die Drehung und der nachfolgende
kompromisslose Abschluss, als der Por-
tugiese in der 72. Minute mit links voll-
endete und auf 2:3 verkürzte. Zum aber-
maligen Last Minute Happy End aber ist
es für die Eintracht in Sinsheim nicht
mehr gekommen. „So ist Fußball. Wir
müssen den Kopf weiter oben haben und
es im nächsten Spiel einfach besser
machen“, sagte Paciência. „Das ist ja das
Schöne im Fußball, dass es sofort weiter-
Spiel der frühen Tore
Mainzer setzen Erlerntes in Rekordzeit um
MAINZ Bo Svensson hatte nicht zu viel
versprochen. Die erste komplette Trai-
ningswoche seit der letzten länder-
spielbedingten Pause habe seine
Mannschaft gut genutzt, um die Inhal-
te des von ihm geforderten Fußballs
aufzufrischen, hatte der Coach des
FSV Mainz 05 vor dem Spiel gegen den
VfL Wolfsburg gesagt. Wie gut, beka-
men die Niedersachsen in der Arena
am Europakreisel am Samstag von
Beginn an zu spüren: Nach 68 Sekun-
den erzielte Jonathan Burkardt das
1:0, nach 3:17 Minuten gelang Anton
Stach mit einem 22-Meter-Schuss sein
erster Bundesligatreffer.
Das alljährlich in der Vorweih-
nachtszeit ausgerichtete „Spiel der
Herzen“ zugunsten sozialer Einrich-
tungen hatten die Mainzer Profis
um das „Spiel der frühen Tore“
zugunsten des eigenen Punktekontos
erweitert. Der Wolfsburger Maxence
Lacroix stellte in der 90. Minute mit
einem Kopfball ins eigene Netz den
3:0-Endstand her. Daran, dass dieser
Sieg auch in der Höhe vollkommen
verdient war, gab es keine Zweifel. Das
erkannte auch VfL-Trainer Florian
Kohfeldt an, der den Rheinhessen ein
„großes Kompliment“ aussprach, auch
wenn er mit der Leistung der eigenen
Elf haderte: „Es kann nicht unser
Anspruch sein, solche Auswärtsspiele
abzuliefern.“
Tatsächlich hätte es für den Cham-
pions-League-Teilnehmer, der am
Mittwoch international um den Einzug
ins Achtelfinale spielt, noch viel
schlimmer kommen können. Mit ihren
vielen gewonnenen Zweikämpfen,
Sport
geht. In der Europa League wollen wir
jetzt den direkten Achtelfinaleinzug
klarmachen.“
Die Niederlage bei der TSG Hoffenheim
ist das Ende einer stolzen Serie. Zuvor war
der Eintracht das Kunststück geglückt,
sechs Bundesligaspiele in Folge gegen die
Kraichgauer zu gewinnen. Der Frankfurter
Fußballlehrer Oliver Glasner sprach nach
dem 2:3 von einer „unnötigen Niederlage“
und zeigte sich „enttäuscht. Das wäre nicht
nötig gewesen.“ Vor allem dann nicht,
wenn seine Mannschaft so wie in den Vor-
wochen agiert und funktioniert hätte. Im
Sinsheimer Dauerregen aber, der sich vor
allem in der ersten Halbzeit wie aus
Kübeln ergoss, stimmte die Balance nicht.
Glasner beklagte ein „inkonsequentes
Defensivverhalten“ und schloss in seine
Kritik gleich die gesamte Mannschaft mit
ein – „nicht nur die Verteidiger“. Die müh-
ten sich nach Kräften, hätten aber in eini-
gen Situationen mehr Unterstützung von
den Kollegen benötigt.
So war es auch keine Überraschung,
dass der seit Wochen überragende Mako-
to Hasebe einen Leistungsabfall erlebte.
Der Japaner hatte zudem Pech, dass er bei
der spielentscheidenden Szene die
zunächst gepfiffene Abseitsstellung des
Hoffenheimer Angreifer Ihlas Bebou nach
Intervention des Videoschiedsrichters
aufhob. Die TSG erzielte in der 59. Minu-
te durch Diadie Samassékou das 3:1 –
Paciências Hoffnungsschimmer war
danach nicht mehr als eben nur ein Hoff-
ihrer guten Raumaufteilung, scharfen
Flanken und gefährlichen Kontern
waren die 05er dem dritten Treffer
schon viel früher nahe. „Das soll nicht
despektierlich klingen, aber mit einer
etwas besseren Chancenverwertung
gewinnen wir auch 4:0 oder 5:0“, sagte
Sportvorstand Christian Heidel, der
sich im Übrigen nicht daran erinnern
konnte, jemals eine so schnelle Zwei-
toreführung seines Klubs erlebt zu
haben. „Wenn überhaupt, war es in der
zweiten Liga und ist gefühlte 30 Jahre
her.“
Die frühen Treffer waren kein
Zufall, wie die Protagonisten berichte-
ten. Beim ersten spielte das unter der
Woche erfolgte Auffrischen eine Rol-
le. Die Abläufe müssten immer wieder
erneuert werden, sagte Jonathan Bur-
kardt, damit jeder vom anderen wisse,
was er mache und wo er hinlaufe – in
Perfektion umgesetzt von Jae-sung
Lee, der den Spielzug einleitete und
Leandro Barreiro, der den Ball mit
einem Kontakt in Burkardts Lauf leg-
te. „Die Woche war Gold wert“, sagte
der Stürmer.
Das 2:0 entsprang einer am Freitag
einstudierten Eckenvariante. Aarón
führte kurz aus, Lee passte von der
rechten Seite in die Mitte, Stach zog
ab. Trainer Svensson („Jetzt muss ich
mich selbst loben“) hatte diese Aus-
führung vorgegeben, zeigt sich aber
vom Gelingen überrascht. Im Training
nämlich hatte Stach, wie dieser selbst
später einräumte, keinen Ball richtig
getroffen. „Aber schön, dass Anton
sich den guten Schuss für heute aufge-
hoben hat.“ PETER H. EISENHUTH
nungsschimmer (72.). In seiner Analyse
machte Eintracht-Trainer Glasner deut-
lich, „dass wir zu einfache Tore kassiert
haben. Alle waren vermeidbar. Uns hat
die letzte Galligkeit gefehlt. In der Defen-
sive waren wir zu passiv und haben als
Mannschaft nicht mehr harmoniert.“
Harmonie und Eintracht – diese Tugen-
den waren an diesem Samstag vor allem
auf Seiten der TSG zu sehen, die jetzt
schon das fünfte Bundesligaspiel in Folge
gewonnen und sich dadurch auf Tabellen-
platz vier emporgearbeitet hat. Auch von
Sebastian Rode gab es fair Lob für die Dar-
bietung des Gegners. „Die TSG war gut“,
sagte der in der 68. Minute für Kristijan
Jakic in die Partie gekommene Mittelfeld-
stratege. „Sie haben einen Lauf.“ Rode
stufte die Frankfurter Führung, für die
Rafael Borré in der 15. Spielminute mit
seinem dritten Saisontor verantwortlich
zeichnete, als „Weckruf für Hoffenheim“
ein. Danach nämlich hätte die Eintracht
den Faden verloren. „Wir hatten nicht
mehr den Zugriff.“
Erst schaffte Dennis Geiger mit einem
für Kevin Trapp unhaltbaren Kunstschuss
den Ausgleich (24.), dann brachte Georgi-
nio Rutter die TSG in Führung (30.), ehe
der dritte Hoffenheimer Treffer nach dem
Seitenwechsel den zu einem weiteren
Heimsieg ebnete. Rode fand es schade,
dass „wir nicht mehr wie in den vergange-
nen Wochen zurückgekommen sind. Wir
waren immer einen Schritt zu spät und
mental nicht auf der Höhe.“
Tag des offenen Tores
Eintracht-Frauen offenbaren Abwehrschwächen
FRANKFURT Wenn zwei Stützen in der
Viererabwehrkette langfristig ausfallen,
stecken dies auch die Frauen der Frank-
furter Eintracht nicht so einfach weg.
Ohne Virginia Kirchberger (Schien- und
Wadenbeinbruch) sowie Camilla Küver
(Kreuzbandriss) verhinderten Defensiv-
schwächen am Freitagabend den vorü-
bergehenden Sprung an die Tabellen-
spitze der Frauenfußball-Bundesliga.
Das 3:3-Unentschieden im Heimspiel
gegen den alten Rivalen Turbine Pots-
dam war vor allem in der ersten Halbzeit
ein spektakulärer Schlagabtausch, liefer-
te aber nicht den gewünschten und mög-
lichen Ertrag.
Den späten Ausgleichstreffer zum 3:3
durch Dina Orschmann (86.), als die
Meister der Standards
Deniz bringt Kickers den 3:1-Sieg über Elversberg
FRANKFURT Die Offenbacher Kickers
haben ihren Aufstiegskurs Richtung
Dritte Liga gehalten. Der 3:1-Sieg über
die SV Elversberg am Sonntag vor über
5000 Zuschauern im Stadion am
Bieberer Berg fiel dem Tabellenführer
der Fußball-Regionalliga Südwest aller-
dings schwer. Der OFC kam lange nicht
in die Partie und musste in der 21. Minu-
te den Rückstand durch Schnellbacher
hinnehmen, dem ein sehenswerter Seit-
fallzieher gelang. Wenig später vergab
Schnellbacher die Chance, auf 2:0 für die
Saarländer zu erhöhen. Danach wurde
die Kickers-Offensive agiler, was sich
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Foto Hübner
In der Niederlage Positives hervorhe-
ben: Für diese Vorgehensweise entschied
sich Markus Krösche. Als auch die letzten
der paar hundert Hoffenheimer TSG-Mit-
arbeiter, die als Zuschauer dabei sein durf-
ten, die Arena verlassen hatten, bezog der
Sportvorstand der Eintracht im Sins-
heimer Presseraum Stellung. Lobende
Worte fand Krösche vor allem für Paciên-
cia, dessen Auftritt ihm abermals gefallen
habe. „Gonçalo macht es sehr gut. Er hat
eine unheimliche Qualität in der Box. Er
wird für das belohnt, was er sich im Trai-
ning erarbeitet hat.“
Selbstvertrauen, Behauptungswillen,
Durchsetzungsstärke: Gonçalo weiß, dass
sein stürmischer Kollege Borré in Glasners
Planungen eine hervorgehobene Rolle
spielt. Der Kolumbianer steht seit Wochen
zu Recht in der Startelf. Doch Paciência hat
aufgeholt. Der 27 Jahre alte Angreifer aus
Porto hat in seinem sechsten Kurzeinsatz
seit Saisonbeginn immerhin schon zwei
Tore erzielt. Zudem hat er auch doppelt in
der Europa League getroffen. Paciência ist
der Mann, der von der Bank kommend für
Gefahr sorgt und es dank guter Technik
versteht, mit Kopf und Fuß zu treffen. Viel-
leicht ja auch am kommenden Donnerstag
in Istanbul. Die Eintracht, schon seit dem
Auswärtssieg in Piräus für die K.-o.-Runde
in der Europa League qualifiziert, will
mehr und sich den Gruppensieg sichern.
Paciência ist zuversichtlich. Zum Abschied
aus Sinsheim sagte er: „Wir sind Eintracht
Frankfurt. Wir können alles machen.“
SGE-Verteidigung wenig zupackend
agierte, bezeichnete der Frankfurter
Cheftrainer Niko Arnautis als „enttäu-
schend“ und „bitter“. Die 1200 Zuschau-
er im Stadion am Brentanobad hatten
kaum Platz genommen, da waren schon
zwei Tore gefallen. Melissa Kössler hatte
die Potsdamerinnen schon nach 15
Sekunden in Führung gebracht, nach
1:26 Minuten glich SGE-Stürmerin Lara
Prasnikar aus. Nicole Anyomi mit ihrem
Premierentor für die Eintracht (10.) und
Barbara Dunst (29.) erzielten die weite-
ren Eintracht-Treffer, Selina Cerci (16.)
traf für Turbine, das in der 87. Minute
noch Karen Holmgaard verlor, die die
Gelb-Rote Karte vom Schiedsrichter
vorgehalten bekam. west.
schnell lohnen sollte. Nach einem Foul
an Bozic verwandelte Deniz in der 32.
Minute den Foulelfmeter. Danach hielt
Elversberg die Offenbacher wieder
geschickt vom eigenen Tor fern, lange
spielte sich das Geschehen fast aus-
schließlich im Mittelfeld ab. Doch dann
entschieden zwei Standards von Deniz
die Begegnung. Erst war es Bojaj (74.
Minute), dann Fetsch (83.), die von den
Eckstößen des Mittelfeldspielers profi-
tierten. Der FSV Frankfurt bleibt trotz
eines 0:0 bei Rot-Weiss Koblenz in gro-
ßer Abstiegsgefahr. Die Bornheimer
belegen Platz 18 der Tabelle. peh.
Zurück auf
dem Boden
Von Ralf Weitbrecht
un also ist es passiert. Die stol-
N ze Serie von gleich sechs Sie-
gen ist gerissen. Das konnte
passieren, und dass es jetzt tatsächlich
gegen die TSG Hoffenheim passiert
ist, ist kein Beinbruch. Schließlich hat
sich die Eintracht schon vor dem Pres-
tigeduell mit den Kraichgauern in der
Bundesliga stabilisiert. Gelungen ist
dies der Mannschaft mit einem Mix
aus kontrollierter Defensive und ver-
lässlicher Offensive. Vor allem aber
dank der fast schon unglaublich anmu-
tenden Last-Minute-Aktionen.
In der Sinsheimer Arena gab es
gleichfalls einen Nachschlag. Diesmal
jedoch ohne Knalleffekt. In den
zusätzlichen vier Minuten passierte
aus Eintracht-Sicht nichts Entschei-
dendes mehr. Kein Lucky Punch, kei-
ne jubelnde Spielertraube, die ihr spä-
tes Glück kaum zu fassen wusste. Die
Eintracht darf sich nach dem 2:3
Ohne Geschlossenheit
kommt das System
Eintracht vom Kurs ab.
geerdet fühlen. Zurück auf dem Boden
der Tatsachen: Für die Bundesliga-
Mittelmacht muss dies nicht das
Schlechteste sein. Die Niederlage hat
der Mannschaft von Trainer Oliver
Glasner klar vor Augen geführt: Letzt-
lich geht es nur über Konstanz und
Beständigkeit. Hakt es auch nur in
einem Mannschaftsteil oder mangelt
es an kollektiver kämpferischer und
spielerischer Geschlossenheit, kommt
das System Eintracht vom Kurs ab.
Die Tendenz aber stimmt. Glasner und
seinen vielen Helfern im Team neben
und hinter dem Team ist es nach
monatelanger Anlaufzeit gelungen,
das Gros ihrer Idee von Fußball umzu-
setzen. Auch andere Vereine, die es
seit Saisonbeginn mit neuen Trainern
versucht haben, brauchten Zeit, um in
die Spur zu kommen – oder haben es
immer noch nicht geschafft und in
ihrer Verzweiflung deshalb zum
bekannten Mittel des Trainerwechsels
gegriffen.
Zwei Wochen noch, dann darf sich
Glasners Mannschaft in den Tagen
rund um Weihnachten entspannen.
Bis dahin aber gilt alle Konzentration
den anspruchsvollen Aufgaben im
Kerngeschäft Bundesliga sowie im
geliebten Bonusbetrieb Europa
League. Dass die Eintracht in Europa
bislang noch kein Gruppenspiel verlo-
ren hat, ist eine starke Leistung. Stim-
men Einstellung und Balance, sollte
diese Serie auch im sechsten Spiel am
Donnerstag bei Fenerbahce Istanbul
halten. Oft war es so, dass sich die
Frankfurter Fußballprofis gerade in
der Europa League die Kraft und das
Selbstvertrauen für die Aufgaben in
der Bundesliga geholt haben. Dies
sollte Glasners Truppe auch jetzt wie-
der schaffen. Die kommenden Punkt-
spielgegner Leverkusen, Mönchen-
gladbach und Mainz sind schließlich
unangenehm und von zuweilen großer
Qualität. Qualität in den eigenen Rei-
hen – das hat auch die Eintracht. Um
sie dauerhaft abzurufen, bedarf es
geschärfter Sinne. In Sinsheim hat es
in letzter Konsequenz genau daran
gemangelt.
Spiele in Kürze
Hoffenheim – Eintracht Frankfurt 3:2
Hoffenheim: Baumann – Posch, Vogt,
Richards – Samassekou (88. Nordtveit), Gei-
ger (54. Stiller) – Akpoguma, Raum – Bebou
(88. Baumgartner), Dabbur (73. Kramaric),
Rutter (73. Adamyan).
Frankfurt: Trapp – Tuta, Hasebe, Ndicka –
Chandler (83. Ache), Jakic (68. Rode), Sow,
Kostic – Lindström (58. Paciencia), Kamada
(68. Hauge) – Borre.
Schiedsrichter: Schlager (Hügelsheim).
Tore: 0:1 Borre (15.), 1:1 Geiger (24.), 2:1
Rutter (30.), 3:1 Samassekou (59., nach
Videobeweis), 3:2 Paciencia (72.).
Zuschauer: keine
FSV Mainz 05 – VfL Wolfsburg 3:0
Mainz: Zentner – Bell, Hack (86. Nemeth),
Niakhate – Widmer, Stach, Martin – Barrei-
ro, Lee (83. Boetius) – Onisiwo (83. Szalai),
Burkardt (76. Ingvartsen).
Wolfsburg: Pervan – Lacroix, Guilavogui,
Brooks (46. Bornauw) – Baku (46. Mbabu),
Arnold (46. Gerhardt), Vranckx (81. Philipp),
Paulo Otavio – Lukebakio (57. Wald-
schmidt), Nmecha – Weghorst.
Schiedsrichter: Badstübner (Windsbach).
Tore: 1:0 Burkardt (2.), 2:0 Stach (4.), 3:0
Lacroix (90. Eigentor).
Zuschauer: 10 000.
FRANK FU RTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
VCW verliert
Heimspiel
FRANKFURT Die Bundesliga-Vol-
leyballerinnen des VC Wiesbaden
sind bei ihrem letzten Heimspiel in
diesem Jahr punktlos geblieben.
Die Hessinnen unterlagen am
Samstagabend dem neuen Tabel-
lenzweiten Ladies in Black Aachen
trotz harten Kampfes 1:3 (20:25,
23:25, 26:24, 23:25). Vor 600
Zuschauern, die unter der 2G-plus-
Regel in die Sporthalle am Platz der
Deutschen Einheit gekommen
waren, zeigten die Hessinnen eine
deutliche Leistungssteigerung im
Vergleich zum mit 0:3 Sätzen verlo-
renen Pokal-Viertelfinale gegen
den USC Münster, leisteten sich
aber wiederum zu viele Fehler. Bes-
te Scorerin beim Ranglistensechs-
ten, bei dem Neuzugang Jenna Potts
im Mittelblock ihr Debüt gab, war
Außenangreiferin Pia Leweling mit
23 Punkten. Kapitänin Laura Künz-
ler musste Mitte des vierten Satzes
wegen einer Kreislaufschwäche
ausgewechselt werden. kaja.
SC 1880 auf
Play-off-Kurs
FRANKFURT Die Herren des SC
Frankfurt 1880 sind nach einem
Sechspunkte-Wochenende ein Kan-
didat für die Play-off-Teilnahme um
die deutsche Meisterschaft. Die
Hessen setzten sich an ihrem bayri-
schen Wochenende in der Hallen-
hockey-Bundesliga am Samstag
nach 4:1-Pausenführung knapp 5:4
beim Münchner SC durch. Moritz
Schmidt-Opper erzielte den Sieg-
treffer. Tags darauf gewannen die
80er souverän 8:2 beim Nürnberger
HTC.
Gut stehen auch die Damen des
Rüsselsheimer RK nach vier Sai-
sonpartien da. Am Samstag verlor
die Mannschaft von Trainer Hahl
zwar 3:5 beim Münchner SC, am
Sonntag gab es indes einen 4:3-Er-
folg beim Bietigheimer HTC. Viola
Becker erzielte in der Schlussminu-
te das entscheidende Tor. west.
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Der Funke will nicht zünden
DARMSTADT Die „Lilien“
versuchen gegen
Düsseldorf viel, aber
können ihre Serie nicht
fortsetzen. Nur Tietz
trifft beim 1:3.
Von Alex Westhoff
ie Lücken auf den Rängen legten
D nahe, dass nicht alle Ticketinha-
ber erschienen waren. Dass
mancher den Besuch einer Mas-
senveranstaltung in Zeiten wie dieser
scheute. Diejenigen „Lilien“-Fans, die
zuhause geblieben waren, brauchten sich
über ihr Fernbleiben aus sportlicher Sicht
nicht zu grämen. Sie haben nicht den mög-
lichen siebten Heimsieg des SV Darmstadt
98 nebst möglichem vorübergehenden
Sprung an die Zweitligaspitze verpasst.
Sondern eine in dieser Form überraschend
anmutende 1:3-Niederlage gegen Fortuna
Düsseldorf.
Natürlich war es ein stimmungsvoll dich-
ter Flutlichtabend am Böllenfalltor, doch
der Zündfunke, den die SVD-Profis zuletzt
immer zu erzeugen wussten, um aus dem
Böllenfalltor eine Erlebniswelt zu machen,
blieb aus. Stattdessen stand es zur Pause
nach den Treffern von Hennigs (16.) und
einem von Jürgen Gjasula ins eigene Netz
abgefälschten Schuss von Hennings (41.)
0:2, was nicht unverdient war. Und der
trotz klarer Leistungssteigerung in der
zweiten Hälfte nicht mehr aufzuholen war.
„Wir haben in den letzten Wochen nicht
alles rosarot gesehen“, sagte Trainer Tors-
ten Lieberknecht, „genauso sehen wir jetzt
nicht alles schlecht.“
Zumal ja nicht viel passiert ist – die
Darmstädter stehen mit 29 Punkten nach
16 Spieltagen noch immer auf einem fei-
nen zweiten Tabellenplatz. Nur ein paar
Serien sind in die Brüche gegangen im letz-
ten Heimspiel des Jahres: Zum Beispiel die,
dass die letzte Niederlage daheim aus dem
Hochsommer stammt. Nach den rausch-
haften Wochen zuvor waren auch nicht
plötzlich krisenhafte Symptome im Darm-
Sport
Trauriges Serienende: Phillip Tietz nach dem Abpfiff.
städter Spiel zu entdecken. Es lief nach
guten Startminuten und dem Kopfball von
Gjasula gegen den Außenpfosten (2.)
gegen einen guten Gegner nicht viel
zusammen. Zumal die Fortuna das hatte,
was zuletzt wie im Abonnement den
„Lilien“ zufiel: das Momentum, aus wenig
Chancen Tore im richtigen Moment zu
erzielen. Und wer weiß, was die mit viel
Wucht und Entschlossenheit aus der Pause
gekommenen Südhessen mit einem schnel-
len Anschlusstreffer hätten anstellen kön-
nen?
Fabian Holland, Marvin Mehlem und
Philip Tietz scheiterten mit ihren Schüssen
nur knapp. „Wenn wir das 1:2 machen, dre-
hen wir das Spiel hundertprozentig“, sagte
SVD-Torhüter Marcel Schuhen. „Wichtig
ist, was wir auch aus Tagen machen, an
faz.net/geschenk
faz.net/ihr-geschenk
Foto Imago
denen es nicht so läuft – und die im Fußball
ganz normal sind. Und in der zweiten
Halbzeit war es viel besser.“ Die Darmstäd-
ter entschieden sich dann für lange Bälle
als Mittel der Wahl, was zwar angesichts
von letztlich drei Zielspielern im Angriff –
Luca Pfeiffer (1.96 Meter), Tietz (1,90) und
Aaron Seydel (1,99) – zwar einige Ballge-
winne, aber wenig konkrete Torchancen
brachte. Lieberknecht sah aber ganz offen-
sichtlich eine Mannschaft, die „alles dafür
getan hat, das Spiel nicht zu verlieren“. Der
Gegentreffer zum 0:3 durch den starken
Narey (76.) trübte die Hoffnungen aber
nachhaltig, auch wenn Tietz per Elfmeter
(85.) noch mal zu verkürzen vermochte.
Außenverteidiger Matthias Bader musste
aufgrund einer Gehirnerschütterung aus-
gewechselt werden.
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für Sie.
M ONTAG, 6. DE Z E M BE R 2021 · NR. 2 8 4 · SE I TE 3 9
Skyliners bezwingen Gleim
80:73 gegen Crailsheim dank Rebound-Stärke
FRANKFURT Als Basketballtrainer war
Sebastian Gleim den Fraport Skyliners
nicht mehr gut genug. Weil der 37-Jäh-
rige dann in Frankfurt nicht Sportdi-
rektor werden wollte, wechselte er vor
dieser Saison innerhalb der Bundesliga
zu den Merlins Crailsheim. Der Klub
und sein neuer Headcoach bereuen die
Zusammenarbeit nicht. Zwar verlor
Crailsheim nach vier Erstliga-Siegen in
Serie in der Ballsporthalle gegen die
Skyliners überraschend 73:80. Das
Team von Gleim wurde aber Gruppen-
sieger im Fiba Europe-Cup und qualifi-
zierte sich auch für das Halbfinale im
deutschen Pokal. Frankfurt (6:12 Punk-
te) freute sich am Sonntag immerhin
über seinen dritten Saisonsieg. Zum
ersten Mal gewann der neue Rangdrei-
zehnte, bei dem Len Schoormann mit
17 und Lukas Wank mit 13 Punkten die
besten Werfer waren, mit seinem Trai-
ner Diego Ocampo zwei Partien hinter-
einander. „Wir sind ein gutes Team. Die
Defensive war heute ausschlaggebend
für unseren Sieg“, sagte Schoormann.
Bei den Frankfurtern kehrte Kapitän
Quantez Robertson nach siebenwöchi-
Bunn quält sich
Knapper Punktsieg über „Ersatz-Gegner“
FRANKFURT Neuer Gegner, neues
Glück? Für Berufsboxer alles andere
als der Idealfall. Der Frankfurter Leon
Bunn hatte sich für den Kampfabend
am Freitag in Ilsenburg auf einen Geg-
ner aus der Ukraine eingestellt und traf
dann kurzfristig auf Iago Kiziria aus
Georgien. Einer mit erst sieben Auf-
tritten als Preisboxer, aber in mehr als
150 Amateurkämpfen erworbenen
Abgeklärtheit. Mit 30 Jahren nur ein
paar Monate älter als Bunn und so
motiviert wie zuvor nur wenige Kon-
kurrenten des Hessen. Für ihn hat es in
dem Halbschwergewichtsduell über
acht Runden zum denkbar knappen
Erfolg gereicht. Zwei Punktrichter
sahen Bunn jeweils 77:75 vorn, das
Votum des Dritten: Unentschieden.
ger Verletzungspause wieder in die
Startformation zurück. Ihm gelangen
elf Punkte. Vor seiner unfreiwilligen
Auszeit hatte der Amerikaner noch
17,5 Punkte pro Spiel erzielt. Neu im
Krankenstand ist Brancou Badio auf-
grund von muskulären Problemen im
Oberschenkel, der Senegalese war
beim Sieg in Würzburg Topscorer
zusammen mit Will Cherry gewesen.
Und auch Neuzugang Jamel McLean
konnte nicht sein Debüt geben. Nach
seiner Knöchelverletzung befindet sich
der Power Forward jedoch wieder im
Teamtraining.
Zur Halbzeitpause stand es 35:35.
Frankfurt war Crailsheim vor allem bei
den Rebounds (25:14) überlegen. Zum
Schluss waren es 50:27. Ein erstaunlich
großes Übergewicht. Mit zwölf
Rebounds ragte Lorenz Brenneke bei
den Skyliners heraus. Die Crailsheimer
waren für ihre Verhältnisse offensiv-
schwach. Viele freie Würfe konnten sie
nicht verwerten. Dass sich Frankfurt 15
Ballverluste (Crailsheim hatte acht)
leistete, fiel bei den Siegern so nicht ins
Gewicht. die.
Kein imponierender Sieg, um in den
Ranglisten Plätze gut zu machen. Das
aber war das erklärte Ziel nach über
einjähriger Corona-bedingter Ringpau-
se für Bunn. Die Pandemie hat ihn bis
in den Nordharz verfolgt. Sein
ursprünglich verpflichteter Gegner
musste wegen eines positiven Tests
passen, und statt Zoltan Lunka stand
Vater Bunn in der Ringecke. Weil dem
Trainer die Nachwirkungen einer
Covid-19-Infektion zu schaffen
machen. Somit bleibt nach dem Aus-
flug unter erschwerten Bedingungen
der Ausblick auf den Februar. Dann
soll Bunn in Berlin seine nächste
Bewährungschance bekommen. Mit
einem Gegner von Rang und mit
Zuschauern auf den Rängen. ley.
PR21129 (F.A.Z.) PR21130 (F.A.S.)
SE I TE 4 0 · M ONTAG, 6 . DE Z E M BE R 2 0 2 1 · NR. 284
Lied
und Tanz
Trifonov und Pappano
in der Alten Oper
FRANKFURT Mozart und Beethoven
statt Brahms und Sibelius: In reduzier-
ter Besetzung, die ein Musizieren mit
Abstand erlaubte, war Roms bedeu-
tendstes Sinfonieorchester auf einer
kurzen Deutschlandtournee, die es
nach Hamburg, Düsseldorf und Frank-
furt führte. Immerhin konnte das
Orchestra dell’Accademia Nazionale
di Santa Cecilia das Konzert in der
Alten Oper mit seinem langjährigen
musikalischen Direktor Antonio Pap-
pano und dem russischen Pianisten
Daniil Trifonov noch geben, zu einem
Zeitpunkt, als andere Klangkörper
ihre Dezemberauftritte im Konzert-
haus schon abgesagt hatten.
Die auffällige Zurückhaltung man-
cher russischer Pianisten gegenüber
Mozarts Klavierwerken teilt Trifonov
nicht. Das Konzert „Jeunehomme“ Nr.
9 Es-Dur KV 271, das er anstelle des
ersten Brahms-Konzerts spielte, ver-
stand er deutlich als Vorboten der
Romantik, weniger als ebenso denkba-
ren Ausdruck des Stürmens und Drän-
gens. Seine Vorliebe zum teils über-
deutlichen Retardieren kostete er
sogar im Presto-Finale aus, wenn er
sein leichtes, verspieltes, nie übermä-
ßig verziertes, klares, aber nie wirklich
gehärtetes Mozart-Spiel ins Innehal-
ten kommen ließ. Pappano und sein
Orchester standen ihm bei dieser lied-
haft bis arios grundierten Mozart-Aus-
legung meist diskret und stets auf-
merksam zur Seite.
Das 1908 gegründete Orchester,
dessen Leitung Pappano vor 16 Jahren
übernommen hat, wählte auch bei
Beethoven einen von der historischen
Aufführungspraxis völlig unberührten
Ansatz. Dennoch vermittelte Pappano
mitreißend den musikdramatischen
Charakter der Ballett-Ouvertüre „Die
Geschöpfe des Prometheus“ op. 43. In
der Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 stellte
er die ohnehin ausgeprägt tänzeri-
schen Facetten klar in den Vorder-
grund und machte den vierten Satz,
dessen Rasanz sich auch durch klangli-
che Trennschärfe vermitteln ließe, zur
haltlosen Jubel-Jagd. AXEL ZIBULSKI
Anders
als andere
David-Bowie-Abend
an der Volksbühne
FRANKFURT Wenn Nachahmung die
höchste Form der Anerkennung ist,
wie es bei Oscar Wilde heißt, dann
hat David Bowie seinen Nachahmern
nicht nur reiches Material hinterlas-
sen, sondern auch schon mutige
Menschen gefunden, die gewillt sind,
ihm Tribut zu zollen. Mag die Musik
des 2016 gestorbenen Stars in Teilen
leicht ins Ohr gehen oder gar den
Anschein erwecken, das Interpretie-
ren wäre ein Klacks – dem ist nicht
so. Der Sänger, Musicaldarsteller und
Schauspieler Artur Molin meistert
bei der Frankfurter Premiere seines
szenischen Konzerttributs „David
Bowie – Return Of Ziggy Stardust“
selbst schwierige Gesangspassagen
mühelos. Mit makellosem Timbre
singt er sich in der Volksbühne durch
Bowies Œuvre. Auch seine Begleiter,
der Schlagzeuger Sven Demandt, der
Keyboarder Olaf Roth sowie der
Gitarrist und musikalische Leiter
Michael Lohmann, haben sich die
vertrackten Details von Klassikern
wie „Space Oddity“, „Changes“ und
„Lady Stardust“ einverleibt.
Es gibt ein paar Fehler: Ein angeb-
liches Jugendfoto von David Bowie
stellt den jungen Mick Jagger dar,
auch fand Bowies erstes Konzert in
der Frankfurter Festhalle nicht 1978
statt, sondern 1976. Mit „Heroes“
wird das legendäre Albentriptychon
„Low“, „Heroes“ und „Lodger“ aus
den Berliner Jahren etwas kurz abge-
handelt, für den Mainstream-Bowie
der achtziger Jahre bleiben lediglich
„Loving The Alien“ und „This Is Not
America“.
Peter Jäger, Leiter der Arachnolo-
gie am Senckenbergmuseum, lockert
die Biografie auf – der große Vereh-
rer Bowies benannte Arten aus der
Familie der Riesenkrabbenspinnen
nach ihm. Für Erheiterung sorgt eine
Anekdote: Zweimal kam Bowie zu
Interviews in den Hessischen Rund-
funk, wo er der Moderatorin Lidia
Antonini einen Pelz geschenkt haben
soll, den sie für den Abend zur Verfü-
gung stellen wollte. „In den Wirren
der Corona-Pandemie landete das
gute Stück in Antoninis Heimat
Kroatien“, sagt Molin. Zum Finale
erklingt Bowies Berlinreminiszenz
„Where Are We Now?“ Zweithöchste
Form der Anerkennung für Künstler
bleibt spontaner Applaus – er ist
euphorisch lang. MICHAEL KÖHLER
Familienbetrieb: Anna Nero (links) und Julia Ovrutschski beim Hängen ihrer Schau in der Ausstellungshalle an der Schulstraße
Farben, Sex und Malerei
FRANKFURT Großmutter,
Mutter, Enkelin: In der
Ausstellungshalle an der
Schulstraße zeigen
Anna Nero und Julia
Ovrutschski die Kunst
ihrer Familie.
Von Christoph Schütte
s ist mehr als eine hübsche Anek-
E dote. Auch wenn es eine schöne
Geschichte ist. Und man tatsäch-
lich lange zurückblicken muss, um
eine vergleichbare Konstellation zu finden
in all den Kunstgeschichten, die Frankfur-
ter Familien geschrieben haben. Zwei oder
mehr Generationen von Malern, das hat es
zuletzt bei Wilhelm Steinhausen gegeben,
dessen Tochter Marie weder eine Akade-
mie besuchen konnte noch einfach malen
durfte, was sie wollte. „Bleib du bei deinen
stillen Blumen“, gab der Vater seiner Toch-
ter vor: „Die Menschen zeigen sich nicht
von ihrer besten Seite, wenn man sie malt.“
Oder im 18. Jahrhundert mit Johann Lud-
wig Ernst Morgensterns Dynastie von
Landschafts- und Vedutenmalern. Oder,
noch ein paar Jahre früher, mit Christian
Georg und Johann Georg Schütz. Frauen
freilich, wie sie nun in der gleichermaßen
prosaisch wie plakativ „Drei – Jüdische
Amoklauf der Pointen
WIESBADEN Nie darf’s erwartbar sein: Oscar Wildes „Bunbury“ gerät dem Staatstheater mitreißend
Es gibt nicht den geringsten plausiblen
Grund dafür, dass die unzuverlässige Gou-
vernante der minderjährigen Cecily zum
Geständnis ihrer die Komödie auf die Spit-
ze treibenden Schludrigkeit in einem rosa
Hasenkostüm über die Bühne wackelt. In
einer Inszenierung jedoch, in der man mit
Marshmallows und Muffins um sich wirft,
der Butler Breakdance macht und aus
einem Rollstuhl Maschinengewehrsalven
kommen, spielt die köstliche Absurdität
dieses Kostüms längst keine Rolle mehr.
Hier sind die Regeln bedeutungsgeleiteter
Dramaturgie außer Kraft gesetzt, nichts
passt zu nichts und das ist paradoxerweise
genau der Grund für das begeisternde
Gelingen dieser „trivialen Komödie für
ernste Leute“, wie Oscar Wilde seine bei
ihm wie immer nur an der Oberfläche tri-
viale Farce genannt hat.
Wirklich trivial nämlich wäre es, „Bun-
bury (The Importance of Being Earnest)“
als demaskierende Gesellschaftskomödie
zu inszenieren, die Heuchelei, Dünkel und
intellektuelle Dumpfheit der viktoriani-
schen Gesellschaft entlarvt. Das kann
funktionieren, hat aber Johannes Lepper,
dem die zwei Stunden funkelnder Leich-
tigkeit am Staatstheater Wiesbaden zu
verdanken sind, ganz offenkundig nicht
interessiert. Er geht einen Schritt weiter
und zeigt eine Gesellschaft, in der es kei-
nen Unterschied zwischen Wahrheit und
Lüge mehr gibt, in der jeder um die
Gemachtheit der eigenen Rolle weiß und
es infolgedessen auch keine Empörung
Kultur
Malerinnen aus Frankfurt“ überschriebe-
nen Schau in der Frankfurter Ausstellungs-
halle 1A zu entdecken sind, waren bis auf
Marie Steinhausen nicht dabei. Und Jüdin-
nen ohnehin nicht. Auch wenn das für Julia
Ovrutschski erst einmal von nachgeordne-
ter Bedeutung ist. „Es ist wichtig, dass wir
drei Künstlerinnen sind“, sagt die 1961 in
Sankt Petersburg geborene Malerin, die
1995 mit ihrer Mutter Tatjana und ihrer
damals sieben Jahre alten Tochter Anna
Nero als sogenannte Kontigentflüchtlinge
nach Frankfurt kam.
Und in der Tat, darauf kommt es an.
Dabei gibt es wohlgemerkt mehr als bloß
drei gute Gründe für diese im Rahmen des
Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in
Deutschland“ eingerichtete und mit Unter-
stützung des Zonta Clubs realisierte Aus-
stellung. Und allemal mehr als drei, sei es
aus der Herkunft, dem Geschlecht oder der
Frankfurter Heimat sich ableitende Grün-
de, sie sich unbedingt anzusehen. Schließ-
lich gilt es, neben der jüngsten, inzwischen
längst erwachsenen Künstlerin der Fami-
lie, der spätestens mit „Jetzt!“, der großen
Ausstellung junger Malerei in Hamburg,
Bonn, Wiesbaden und Chemnitz auch
international bekannt gewordenen Anna
Nero, zwei bislang weitgehend unbekannte
Frankfurter Positionen zu entdecken.
Dabei war die in Moskau klassisch rea-
listisch ausgebildete Großmutter Tatjana
Ovrutschski, die kurz vor der Eröffnung
der Schau im Alter von 86 Jahren gestorben
ist, in Russland eine erfolgreiche Künstle-
rin. Eine Malerin, deren figurative, stets
erzählerisch motivierten Arbeiten an die
über noch so schwerwiegende Taten und
Untaten geben kann. Dass Miss Prism
(Ingrid Domann) vor zwanzig Jahren ver-
sehentlich ein ihr anvertrautes Baby im
Bahnhofsschließfach vergaß, ist ebenso
verzeihlich wie das Lügen von John Wort-
hing (Matze Vogel) und seinem Cousin
Algernon Moncrieff (Christoph Kohlba-
cher) oder der unverstellt geldgierige
Adelshochmut der Lady Bracknell (Eve-
lyn Faber).
Bunt: Algernon Foto Karl und Monika Forster
neusachlichen Bilder eines Otto Dix anzu-
knüpfen trachten und deren bühnenartige
Inszenierungen so manche Verbindung zur
Malerei der ersten und zweiten Generation
der Leipziger Schule aufweisen. Allein, „es
ist schwer, wenn man von außen kommt“,
erinnert sich Ovrutschski, die neben ihrem
malerischen Schaffen seit mehr als 20 Jah-
ren mit ihrer eigenen Malschule erfolgreich
ist. Denn tatsächlich musste auch sie ihren
Platz erst finden im Kunst- und Ausstel-
lungsbetrieb des Westens. Ihre eigenen
Themen und ihren eigenen, im Vergleich
zur Mutter ungleich weniger erzähleri-
schen, mehr von formalen Fragen geleite-
ten Stil indes hatte sie da längst entwickelt.
Mit einer Malerei in bevorzugt bescheide-
nem Format, die Interieur, Stillleben oder
Landschaft ahnen lässt. Doch im Grunde
sind ihre Bilder von der Realität zwar inspi-
riert, aber weitgehend abstrakt.
Und doch hat die jeweils höchst indivi-
duelle Malerei von Großmutter, Enkelin
und Tochter mehr gemein, als es auf den
ersten Blick scheint. Was nicht nur für die
hier wie dort zu beobachtende Vorliebe für
gebrochene oder, wie Anna Nero sagt,
„künstlichen Farben“ gilt, sondern auch für
die Bedeutung des Raumes. Und der mal
mehr (bei Julia), mal weniger (bei ihrer
Mutter) und bei Nero ganz und gar abstrak-
ten Formen und Motive, die in ihren Kom-
positionen ein merkwürdiges, sich vom
Betrachter ebenso wie von der Malerin
zunehmend emanzipierendes Eigenleben
zu entwickeln scheinen. Vor allem aber ste-
hen alle drei Künstlerinnen selbstbewusst
in ihrer Zeit, ob sie nun Geschichten aus
Es gibt keinen moralischen Standpunkt
innerhalb der Komödie und Leppers
Inszenierung will auch außerhalb keinen
einnehmen. Deshalb läuft die Dramatur-
gie des Abends auf keinen Punkt zu, über-
lassen der Regisseur, sein Bühnenbildner
Robert Schwer und die Kostümbildnerin
Anne Buffetrille sich scheinbar wahllos
ihren Einfällen und haben dabei nur
einen einzigen Grundsatz: Nie darf das
Erwartbare geschehen.
Als es einmal so aussieht, als kippe die
Rivalität zwischen Gwendolen Fairfax
(Lina Habicht) und Cecily Cardew (Chris-
tina Tzatzaraki) in eine primitive Torten-
schlacht um, hält eine plötzlich inne und
beginnt genüsslich, das Törtchen zu ver-
speisen. Ob man die platten Schmeichelei-
en, hohlen Phrasen und bösen Sottisen des
Textes murmelt, brüllt, singt oder säuselt,
wirkt wie von einem Zufallsgenerator auf
das unter Dauerstrom spielende Ensemble
verteilt. Außer im Fall der konsequent
falsch temperierten Gwendolen, bei der
selbst das Liebesgeflüster mit fanatisch
aggressivem Dauerton rausgehauen wird,
wodurch köstliche komische Momente ent-
stehen.
Und dass nichts unwahrer ist als das
scheinbar Hüllenlose, zeigt Leppers gleich
in den ersten Minuten des Abends. Wir
schauen einem anfangs splitternackten
Algernon beim selbstgefällig-narzissti-
schen Ankleiden zu und sehen: Hier ist
alles Rolle, ob mit oder ohne buntschillern-
de Hosenanzüge.
FRANK FURTE R AL LGE M E I NE Z E I TU NG
Foto Michael Braunschädel
dem auch die emanzipierten Frauen der
Sowjetunion überfordernden Haushalt, der
Manege, einer Bar oder dem Varieté erzäh-
len. Oder ob sie aus nichts als Farbe, Linien
und Flächen weitgehend abstrakte Räume
generieren. Oder, wie Nero, abstrakte Figu-
ren vor einem Raster anordnen, deren Rea-
lität ganz offensichtlich eine digitale ist.
„Die Außenwelt“, so die in Mainz und
Leipzig ausgebildete Künstlerin, „ist für
mich nicht so relevant“. Was allenfalls die
halbe Wahrheit ist. Zwar finden sich in
ihren Bildern überall Formen wie aus dem
3D-Drucker. Und doch sind es Motive, die,
ebenso wie das Formvokabular von Mutter
und Großmutter, am Ende stets auf eine
Form von Wirklichkeit zurückverweisen.
Allein die stillen Blumen früherer Jahrhun-
derte sind ihnen allen entschieden zu
wenig. „Bei meiner Oma geht es vor allem
um Frauen“, bringt Anna Nero es auf den
Punkt: „Bei mir geht es immer um Sex.“
Darum, sich zu behaupten. Als Frau und als
Künstlerin. Und, wie bei allen Frauen in
dieser bemerkenswerten Frankfurter Fami-
lie: um die Malerei.
■ DREI – JÜDISCHE
MALERINNEN AUS
FRANKFURT
Ausstellungshalle, Schulstraße
1a, bis 19. Dezember, geöffnet
mittwochs und donnerstags
von 14 bis 20 sowie freitags bis
sonntags von 14 bis 18 Uhr.
Finissage mit Vorstellung des
Katalogs am 19. Dezember von
16 Uhr an.
Leicht ließe sich dem wortwörtlich bun-
ten Abend Standpunktlosigkeit vorwerfen,
aber Lepper führt ja gerade eine durch und
durch korrupte Gesellschaft ohne Werte
vor, entlarvt durch irrwitzige Übertreibung
sämtlicher theatralischer Stilmittel auch
den kritischen Standpunkt als unterminiert
und rettet sich und das nutzlos geistreiche
Stück in einen rasanten Amoklauf der
Pointen. Wie bitter das eigentlich ist und
wie viel es über die Möglichkeit entlarven-
der Gesellschaftskritik aussagt, dämmert
einem erst langsam beim Hinausgehen,
während man sich leicht und klug und köst-
lich getröstet fühlt. MATTHIAS BISCHOFF
■ BUNBURY
Nächste Vorstellungen am
8. und 9. Dezember von jeweils
19.30 Uhr an im Kleinen Haus
des Staatstheaters Wiesbaden.
Um die Sitzpläne seiner
Spielstätten auf 2 G Plus mit
Schachbrett umzustellen, hat
das Staatstheater alle im
Vorverkauf oder über ein
Abonnement erworbenen
Karten im Großen und Kleinen
Haus bis einschließlich 23.
Dezember storniert. Viele
Vorstellungen gelangen mit
neuem Saalplan am
6. Dezember neu in den Verkauf,
einige fallen aus. Alle weiteren
Informationen im Internet unter
staatstheater-wiesbaden.de.
link
Vorverkauf
Von Guido Holze
Wenn man in der Kulturbranche, vor
allem im Theater- und Konzertbe-
trieb, derzeit Helden des Alltags
küren wollte, müsste man zuvörderst
an die Mitarbeiter des Kartenvorver-
kaufs denken. Sie stehen nicht im
Rampenlicht, sondern sitzen im
wahrsten Sinne des Wortes vor der
Tür. Sie bekommen nie Applaus, son-
dern lediglich den Ärger der Besucher
zu spüren. Dabei haben sie in den ver-
gangenen Tagen, seit der blitzartigen
Verschärfung der Corona-Maßnah-
men mitsamt der Wiedereinführung
des Schachbrettmusters, Großartiges
geleistet. Dass die jüngste Premiere
der Oper Frankfurt, die hiesige Erst-
aufführung der Oper „Die Nacht vor
Weihnachten“ von Nikolai Rimski-
Korsakow, zum vorgesehenen Termin
am 5. Dezember stattfinden konnte,
war maßgeblich ihnen zu danken.
Denn natürlich war zuvor beim Kar-
tenverkauf von einer Vollbesetzung
des Saals ausgegangen worden.
Eigentlich hätte das die Absage der
Premiere nach sich ziehen müssen.
Denn: Wen schickt man so kurzfristig
nach Hause? Wer darf seinen Platz
behalten?
Bei der Lösung des Problems kam
ein in Vergessenheit geratenes Gerät
zum Einsatz: das gute, alte Telefon.
Viele Abonnenten wurden direkt
angerufen und gebeten, eine spätere
Vorstellung zu besuchen. Offenbar
ließ sich so am Flinksten eine genü-
gend große Anzahl zur Mithilfe bewe-
gen und die nötige Reduktion der Plät-
ze erreichen. Eine Zitterpartie bis
Freitagnachmittag. Mit einem Ratten-
schwanz weiterer Überlegungen: Wie
werden die nächsten Vorstellungen
belegt?
Alles erinnerte an die konzertante
Aufführung der Oper „Ariadne auf
Naxos“ im vergangenen Juni, die ein
feierlicher Auftakt zum „Neustart Kul-
tur“ hätte sein sollen und nach extrem
kurzfristiger Anordnung vor einigen
wenigen, in Riesenabständen gesetz-
ten Zuschauern lief. Eine Schließung
ist aber erst recht keine Option. Denn
der vergangene Lockdown hat die
Oper 6000 Abonnenten gekostet, wie
Intendant Bernd Loebe nun dem hes-
sischen Ministerpräsidenten Volker
Bouffier schrieb. Es ist ein Trauer-
spiel.
Aufgehende
Sonne
Herreweghe und das
HR-Sinfonieorchester
FRANKFURT Duftiger Ensembleklang
– das war es, was Philippe Herreweghe
und das HR-Sinfonieorchester im Sen-
desaal boten. Der dem Arztberuf ent-
laufene Originalklangsucher, der seit
rund zehn Jahren mit dem Orchester
zusammenarbeitet und es zum siebten
Mal leitete, hielt die keineswegs kleine
Besetzung mit einer Intensität zurück,
die sich auf die Zuhörenden übertrug.
In Bachs Violinkonzert a-Moll BWV
1041 schmiegte sich die Solistin Vilde
Frang aufs Sensibelste in das Klang-
bild ein, mit sichtlichem Genuss an
den feinen Höhen ihrer 1734 erbauten
Guarneri-Geige. Der zweite Satz gerät
oft derb. Hier nicht. Die Phrasierungen
der Bässe hatten deutliche Konturen,
blieben aber schwebend leicht, Vrang
führte ihren Einsatz über die Hör-
schwelle zum Vollklang, wie eine auf-
gehende Sonne. Fein ziseliert wirkte
auch der dritte Satz. Weil das Ohr mitt-
lerweile auf feine Nuancen eingestellt
war, entstand der Eindruck, dass man-
che Phrasierung sich noch stärker hät-
te ausfeilen lassen, etwa im Sinne der
Tonrepetitionen im ersten Satz des fol-
genden Violinkonzerts E-Dur BWV
1042, in denen Frang und das Orches-
ter nicht achtmal den gleichen Ton
spielten, sondern dem energetischen
Sich-Aufschaukeln dieser Figur nach-
spürten.
Der Eindruck, dass Herreweghe den
Abstand zum emotionalen Gesülze der
Romantik sehr bewusst sucht, verfes-
tigte sich in Mozarts „Prager“ Sinfonie
Nr. 38 D-Dur KV 504. Was man als
emotional abwechslungsreiche Klang-
reise zu hören gewohnt war, lag quasi
in verschiedenen Strängen sichtbar
aufgeflochten vor einem, so dass auch
eingefleischte Mozart-Hasser die
Konstruktion bewunderten. Dabei ließ
Herreweghe den Bläsersolisten den
Raum, selbstbewusst die Schönheit
ihrer Parts zur Geltung zu bringen und
würdigte ihre Leistung in einem Son-
derschlussapplaus. DORIS KÖSTERKE