Sie sind auf Seite 1von 3

Niš – weit mehr als eine Nische

von Ernst Deubelli


Die Stadt überrascht. Niš, gesprochen "Nisch", im Südosten Serbiens und im Herzen des Balkans
gelegen, empfängt den Besucher mit mediterraner Leichtigkeit trotz der Ferne vom Mittelmeer.
Alleen mit einem Blätterdach, das sich über den Straßen zu einem Baldachin verbindet,
Straßencafés und Gartenrestaurants, eine sensationelle Küche, erlesene und in Deutschland kaum
bekannte Weine und günstige Preise – all das fällt dem Gast sofort ins Auge.

"Hier beginnt der Orient", urteilten über Jahrhunderte die Besucher von Serbiens drittgrößter Stadt.
Heute ist vom orientalischen Flair nur noch wenig zu spüren, und doch hat sich vielerorts viel vom
alten Charme und auch ein wenig von der jugoslawischen Nonchalance erhalten. Und auch nach
Jahrhunderten unverkennbar, auch die Habsburger herrschten hier mal eine kurze Weile und haben
Spuren hinterlassen.

Architektur aus den 1960er und 1970er Jahren vermischt sich mit Jugendstil aus der Wende vom
19. zum 20. Jahrhundert; auch ein wenig Bauhaus aus den 1930er Jahren ist dort und da zu sehen.
Es gibt eine kleine osmanische Moschee und eine antike Festung mit Gräbern und Gewölben aus
der Römerzeit, ein Amphitheater und Umbauten aus der jahrhundertelangen Herrschaft der
Osmanen, von der sich Serbien im Laufe des 19. Jahrhunderts löste und dafür einen hohen Blutzoll
bezahlte.

Schädelturm erinnert an RebellionNicht ohne makabren Stolz zeigen die Tour-Guides gerne den
Schädelturm Cele Kula, ein Zeugnis des ersten serbischen Aufstands. Zu Beginn des 19.
Jahrhunderts wurden die Kämpfe zwischen den Serben und den Türken der Verwaltung des
Osmanischen Reiches immer heftiger und mündeten schließlich in einer allgemeinen Rebellion und
einem Aufstand zur Erlangung der serbischen Unabhängigkeit.

Im Jahr 1809 jedoch wurde eine Rebellion im Raum um Niš blutig niedergeschlagen. An die
Schlachten erinnern heute ein Turm auf dem Hügel Čegar vor Niš und eben der Schädelturm,
wenige Kilometer vom Stadtzentrum von Niš entfernt.

Der siegreiche Pascha ließ zur Abschreckung vor weiteren Rebellionen den Leichen der
Aufständischen die Köpfe abschlagen und nach Istanbul schicken. Dem Sultan war die Demütigung
noch nicht genug. Er erteilte den Befehl, die Schädel nach Niš zurückzubringen und in einen Turm,
der sich an einer belebten Straße befinden sollte, einzumauern, damit jedermann es sehen kann. In
seine vier Seiten wurden ursprünglich 952 Schädel eingemauert. Heute sind davon noch rund 60
erhalten und erinnern an die grausame Zeit, aber auch an die Sehnsucht nach Unabhängigkeit und
Selbstbestimmung.

So makaber die Erinnerung, so friedlich und weltoffen erleben moderne Besucher die Stadt. Seit
beinahe drei Jahrzehnten gibt es hier im Sommer das international renommierte Jazzfestival
"Nišville" auf dem Terrain der alten Festung, deren Grundmauern noch aus der Antike stammen. Die
restliche Zeit des Jahres wird das Areal als grüne Lunge der Stadt genutzt – das Gelände ist ein
beliebter Park.

Star-Gast in diesem Sommer war Bob Geldof. Neben international bekannten Gruppen bietet das
Festival jedes Jahr auch jungen Bands mit eigenen Interpretaionen von Balkan-Jazz eine Bühne,
gleichzeitig finden Film-Foren und Workshops zu Street-Art und Comic-Zeichnen ihren Platz. Nicht
nur während der Festivals – es gibt nicht nur das Nišville, sondern auch Festivals für Wein, Bier oder
für die Blätterteig-Bureks mit verschiedenen Einlagen – ist in den Lokalen der Fußgängerzone jeden
Abend Hochbetrieb.

Die jungen Menschen verleihen der Stadt ein vitales Flair. Hier mischen sich die Einheimischen –
außerhalb der Ferien auch Studenten der besonders wegen der Technik-Fakultät renommierten
Universität – mit Touristen. Hiesige trinken nach slawischem Brauch gerne Schnaps, und zwar den
Obstbrand Rakija, am liebsten aus Zwetschgen (Sliwowitz) oder Weintrauben (Grozdova), im Fass
gereift. Wie in vielen Städten hat sich auch in Niš eine ausgedehnte und besuchenswerte Craftbeer-
Szene etabliert.

Für den schnellen Überblick über Niš bietet sich der offene Panoramabus an. Der fährt Sehens- und
Merkwürdigkeiten wie den Schädelturm ab. Oder Crveni Krst, das einst vom NS-
Kollaborationsregime errichtete Konzentrationslager, in dem 12000 Menschen, vorwiegend Serben,
getötet wurden. Leider geschlossen ist derzeit die Ausgrabungsstätte Mediana, die an die römische
Zeit erinnert. Dass der römische Kaiser Konstantin der Große, Quasi-Geburtshelfer des
europäischen Christentums, hier geboren wurde, erfüllt Niš noch heute mit Stolz. Der Kaiser ist
außerdem Namenspatron des Flughafens. Die serbische Regierung nutzt nun den Flughafen, um
den touristisch noch wenig erschlossenen Südosten des Landes zu stärken und aus dem
Dornröschenschlaf zu erwecken.

Niš macht sich fit für den TourismusNicht nur die Stadt selbst hat Potenzial. Niš am Fluss Nišava
ist umgeben von teils felsigen, teils dicht bewachsenen und von der Sicevo-Schlucht durchzogenen
Bergen. Mitten des gleichnamigen Naturparks liegt das verlassene Dorf Gradište. Park-Ranger
Dusan Smiljanič hat sich bereits ein Haus ausgesucht. 5000 Euro soll es kosten und sich künftig in
die Struktur eines belebten Museumsdorfes einfügen.

Gäste können hier Ruhe finden, die Natur und ihre wilde Schönheit erleben oder alten Mythen und
Sagen nachspüren. Die gibt es hier zuhauf. Seit der Antike zogen die Menschen aus dem Westen
durch diese Schlucht in Richtung Orient, ob nun Römer oder Kreuzritter. Oder umgekehrt, aus dem
Orient in den Westen; ob nun Hunnen oder Osmanen.

Noch heute sind Spuren einer alten Römerstraße sichtbar. Und es gibt eine Vielzahl von Legenden
um verschollene Schätze und vergrabenes Gold. Aber diese Schätze zu suchen ist streng verboten.
Doch nicht alle halten sich daran, denn es locken Reichtümer. Die Gegend um Niš hat eine
Kulturtradition, die weit ins Dunkel der Geschichte, weit über 6000 Jahre, zurückreicht, und die in
kleinen Auszügen im städtischen Museum besichtigt werden kann.

Aber Tourismus-Chef Uros Parlic sieht noch mehr und ganz andere Schätze in der Schönheit seiner
Stadt und Heimat, die es zu heben gilt. Etwas außerhalb liegt Niška Banja, ein auf Medizin
eingerichtetes Radon-Heilbad, das mit einem Spa attraktiver gemacht werden soll. Mit Blick auf den
Kandidaten-Status zum Beitritt in die EU, bereitet sich Niš auf kommende Gäste vor.

INFORMATIONEN

Niš ist mit ihren 250000 Einwohnern nach Belgrad und Novi Sad eine der größten Städte Serbiens.
Nach wie vor ist Niš Verkehrsknotenpunkt an der Transitstrecke aus Westeuropa in Richtung
Bulgarien, Mazedonien und Türkei. Ein Militärflughafen wurde bereits 1912 angelegt, 1999 von der
NATO zerstört und mit norwegischer Unterstützung als Zivilflughafen wieder aufgebaut und 2003
eröffnet.

ANREISEN

Per Direktflug aus Nürnberg oder Salzburg mit Air Serbia (Infos unter: www.serbia.travel). Seit Mitte
Juli hat Air Serbia zwölf neue Flugverbindungen von Niš in sechs EU-Länder und nach Montenegro
aufgenommen. Seit August wird zweimal pro Woche Salzburg angeflogen (ab 15 Euro). Air Serbia
ist 2013 aus der ehemaligen jugoslawischen Staatsairline Jat hervorgegangen. Heute befindet sich
die Fluglinie im Eigentum des Staates (51 Prozent) und von Etihad Airways.

ÜBERNACHTEN
Über die Homepage von Air Serbia findet man eine reiche Auswahl an günstigen Hotels in Niš.

Das könnte Ihnen auch gefallen