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Hintergrund-Information

Girih-Muster
Moscheen: Spiegelbild islamischer Mathematik?
Zwei US-Physiker haben die Mosaike auf mittelalterlichen Moscheen und Palästen untersucht und
darin geometrische Elemente gefunden, die auf eine hochstehende mathematische Tradition
schließen lassen.
Sollte das zutreffen, dann waren die Mathematiker des Islam ihren westliche Kollegen um Jahr-
hunderte voraus, berichten Peter J. Lu von der Harvard und Paul J. Steinhardt von der Princeton
University. Die so genannten aperiodischen Musterungen wurden in Europa erst in den 1970er-
Jahren grundlegend verstanden.

Das Parkettboden-Problem
Wie bedeckt man eine ebene Fläche mit symmetrischen Figuren, ohne dass Lücken zwischen die-
sen Figuren bleiben? Wer einen Parkettboden zu Hause hat, kann diese Frage gleich am Wohn-
zimmerboden überprüfen. Dabei fällt auf: Offensichtlich kann der Boden nur mit einer begrenzten
Zahl von Parkettsteintypen ausgelegt werden. Damit ist nicht deren Größe oder deren konkrete
Form gemeint, aber deren Symmetrie.
Lückenlose Muster, die sich regelmäßig wiederholen, sind nur mit Figuren möglich, die eine zwei-,
drei-, vier- oder sechszählige Rotationssymmetrie aufweisen.
Ein Quadrat beispielsweise hat eine vierzählige Rotationssymmetrie, da man es nach einer Dre-
hung um 90 Grad mit sich selbst zur Deckung bringen kann. Bei einem regelmäßigen Sechseck ist
hingegen eine Drehung um 60 Grad nötig, deswegen ist seine Symmetrie sechszählig.

Verbote in der Welt der Kristalle


Was für den Parkettboden gilt, gilt in allgemeiner Form auch für Kristalle. Kristalline Muster sind
definitionsgemäß periodisch, und auch hier kommen die erwähnten Zweier-, Dreier-, Vierer- und
Sechsersymmetrien vor. Nicht antreffen wird man in der Welt der Kristalle hingegen regelmäßige
Fünf- oder Zehnecke. Wie der französische Physiker und Kristallograph Auguste Bravais im Jahr
1850 nachwies, kann man mit ihnen prinzipiell kein periodisches Muster konstruieren.

Pentagonale Tradition

Bild oben: Torbogen der Sultanloge in der Grünen Moschee, Bursa, Türkei (1424).
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Aperiodische Mosaike lassen sich mit Fünf- oder Zehnecken hingegen sehr wohl aufbauen. Das
wussten offenbar schon die islamischen Architekten im Mittelalter. Zeuge dieser langjährigen
Kunst, Flächen mit Sternen, penta- und dekagonalen Figuren zu bedecken, sind die Moscheen,
Mausoleen und Paläste der islamischen Welt.
Die beiden US-Physiker Peter J. Lu und Paul J. Steinhardt haben nun diese so genannten Girih-
Musterungen berühmter Bauwerke aus der Türkei, Afghanistan, dem Iran und dem Irak genauer
unter die Lupe genommen und kommen zu einer überraschenden These. Bisher nahm man näm-
lich an, dass die aperiodischen Muster der islamischen Bauten ganz konventionell mit Zickzackli-
nien unter Zuhilfenahme von Zirkel und Messlatte konstruiert wurden.

Universelle Konstruktionsmethode?

Bild oben: Ausschnitt eines Torbogens aus dem Darb-i Imam Schrein, Isfahan, Iran (1453).

Nach Meinung von Lu und Steinhardt ist das unwahrscheinlich. Und zwar deshalb, weil die Girih-
Tradition ab etwa 1200 unserer Zeitrechnung einen Grad an Komplexität erreicht hat, der mit die-
ser Konstruktionsmethode nur mehr sehr schwer zu bewältigen ist.
Die beiden Physiker vermuten dagegen, dass die Mosaike mit einer geometrischen Universalme-
thode aufgebaut wurden. Und zwar quasi Stück-an-Stück mit fünf genormten Kacheltypen.
Diese Girih-Kacheln sind deswegen interessant, weil man mit ihnen fast beliebig komlexe Formen
herstellen kann, die eine nahe Verwandtschaft zur so genannten Penrose-Parkettierung aufweisen.
Dabei handelt es sich um eine Methode, die der britische Mathematiker Roger Penrose im Jahr
1974 vorschlug, um aperiodische Muster zu konstruieren. Ursprünglich wurde das nur als eine
mathematische Spielerei angesehen, mittlerweile hat man jedoch Materialien entdeckt, deren A-
tome tatsächlich wie die Penrose-Kacheln angeordnet sind.

Kunst oder Wissenschaft?


"Wir wissen nicht genau, was das bedeutet", sagt Peter J. Lu. "Es könnte zeigen, dass die Mathe-
matik in der mittelalterlichen islamischen Kunst eine wichtige Rolle gespielt hat. Es könnte aber
auch ein Weg für Künstler gewesen sein, ihre Kunstwerke möglichst einfach zu konstruieren."
Interessanter wäre freilich der erste Fall: Wenn die Girih-Kacheln auf ein tieferes Verständnis ape-
riodischer Muster hinweisen, dann waren die islamischen Mathematiker ihren Kollegen aus der
westlichen Welt mehr als 500 Jahre voraus.

Quelle: http://science.orf.at/science/news/147351 (23.2.07)

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