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DOI: 10.

1007/s10273-012-1425-9
Zeitgespräch

Inflation und Schuldenabbau


Die Rettungsaktionen der EZB stehen in der Kritik: Es wird befürchtet, dass sie zu steigenden
Inflationsraten führen könnten. Die Autoren des Zeitgesprächs sehen diese Gefahr nicht.
Vielmehr könne ein gemäßigter Anstieg der Inflation sogar dazu beitragen, die Staatsschulden
schneller abzubauen. Die Autoren aus dem DIW sehen hier allerdings die Wiedereinführung der
Vermögensteuer und eine einmalige Vermögensabgabe als eine gerechtere und transparentere
Alternative an.

Thomas Straubhaar, Henning Vöpel


Geldpolitik als „Krisen-Feuerwehr“ – droht Inflation?

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat klargemacht, wel- alte Schulden zu refinanzieren, vor der Staatsinsolvenz
chen geldpolitischen Kurs sie fahren will. EZB-Präsident zu bewahren, sei das Ende der Geldwertstabilität. Damit
Draghi kündigte an, dass die Geldpolitik „im Rahmen ih- würde das politische Stabilitätsversprechen für den Euro,
res Mandats alles Notwendige tun (wird), um den Euro das zu Beginn der Währungsunion gegeben worden war,
zu erhalten. Und glauben Sie mir – es wird ausreichen.“1 gebrochen.
Noch hat Draghi offen gelassen, wie genau eine kon-
zertierte Aktion von EZB und dem künftigen Euro-Ret- Die deutsche Erwartung entspricht dem monetaristi-
tungsschirm ESM für den Ankauf von Staatsanleihen schen Lehrbuch. Demgemäß ist es nur eine Frage der
aussehen wird; allein die Ankündigung dürfte kaum aus- Zeit, bis eine Ausweitung der Zentralbankgeldmenge über
reichen. Ebenso unklar bleibt, welche Bedingungen von das Wachstum des realen Bruttoinlandprodukts hinaus
überschuldeten Euroländern zu erfüllen sein werden, um zwangsläufig zu einer inflationären Entwicklung führen
Hilfen zu bekommen. Aber zweifelsfrei ist, dass die EZB müsse. Die Kosten von Inflation – insbesondere hoher
bereit ist, kurzfristig die Rolle des Euro-Retters zu spielen. und volatiler Inflationsraten – sind bekannt: vielfältige
Sogar öffentlich kommunizierte Zinsobergrenzen für die Umverteilungswirkungen (beabsichtigte wie unbeabsich-
Krisenländer stehen zur Diskussion. Damit stellt sich die tigte), verzerrte Allokationsentscheidungen bis hin zu der
Frage, welche Folgen mit einer expansiven Geldpolitik der Gefahr von sich selbst beschleunigenden, kaum kontrol-
EZB zu erwarten sind. Und mehr noch, ob sie zur Lösung lierbaren Inflationsprozessen.
der Krise überhaupt taugt.
Für die (angelsächsische) Sicht wird gerne das Konzept
Deutsche versus angelsächsische Perspektive der optimalen Inflationsrate verwendet.3 Demgemäß kann
Inflation auch zu positiven makroökonomischen Effekten
In Deutschland reagieren viele Entscheidungsträger ver- führen. Erstens ergibt sich aus der Geldschöpfung für die
ständnislos, bisweilen verärgert auf die geldpolitische öffentlichen Haushalte die Möglichkeit, Einnahmen zu
Offensive der EZB. Als „Vermögensvernichtungswaffe“, generieren, die dann als Alternative zur Kreditaufnahme
„Inflationsmaschine“ oder „Lizenz zum Gelddrucken“ oder Steuern dienen (Seigniorage). Zweitens können ne-
wird die EZB-Politik kritisiert.2 Die Absicht der EZB, mit gative Realzinsen zu einem wirkungsvollen Instrument ei-
frisch gedrucktem Geld den Krisenländern, die von pri- ner Stabilisierungspolitik werden. Und drittens lässt sich
vaten Gläubigern keine neuen Kredite mehr erhalten, um die mit Inflation verbundene Geldillusion dazu nutzen, um
bei nach unten rigiden Nominallöhnen (was in der Rea-
1 Zitiert nach http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/zinsent- lität wohl häufig der Fall ist) dennoch Reallöhne senken
scheidung-ezb-verzichtet-auf-zinssenkung-a-847856.html (8.8.2012) zu können oder – wie in der aktuellen Krise – Nominal-
2 Vgl. verschiedene Urteile in Welt-Online vom 1.8.2011, http://www.
welt.de/print/die_welt/article108430284/Berlin-gegen-Lizenz-zum-
Gelddrucken.html (8.8.2012); und ebenso R. Brüderle: Keine Lizenz
zum Gelddrucken erteilen, in: Thüringer Allgemeine Zeitung vom 3 Zum Konzept der optimalen Inflationsrate siehe S. Schmitt-Grohé, M.
6.8.2012, http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/de- Uríbe: The Optimal Rate Of Inflation, in: B. M. Friedman, M. Woodford
tail/-/specific/Der-Gastkommentar-Keine-Lizenz-zum-Gelddrucken- (Hrsg.): Handbook of Monetary Economics, San Diego, Amsterdam
erteilen-343089707 (8.8.2012). 2011, Vol. 3B, Chapter 13, S. 653-722.

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Zeitgespräch

schulden real zu entwerten. Betrachtet man die derzeiti- Reserve Bank in der Vergangenheit – mit Blick auf die
ge Krise als seltenes Ereignis, gehen von der (einmaligen) US-Immobilienblase – selbst eher eine Ursache von In-
Erzeugung von Inflation unter Umständen keine Zeitkon- stabilität gewesen sei und es paradox wäre, sie zur Be-
sistenzprobleme für die Geldpolitik aus. Bei permanenter kämpfung ihrer Folgen fortzusetzen. Diese Sicht folgt
Akkommodierung dürften sich die Inflationserwartungen der Österreichischen Überinvestitionstheorie: Werde der
jedoch schnell anpassen. Geldzins unterhalb des Wicksell’schen „natürlichen Zins-
satzes“ gesenkt, würden mehr Investitionen (vor-) finan-
Fasst man die geldpolitische Kontroverse zusammen, ziert als durch Ersparnis real zur Verfügung stünden. Es
zeigt sich, dass Inflation aus deutscher Perspektive komme nicht nur zu Inflation, sondern durch ein solcher-
„Sand im Getriebe“ der Volkswirtschaft darstellt, nach maßen „erzwungenes Sparen“ zu einer Überinvestition
angelsächsischem Verständnis jedoch als „Schmieröl“ und zu einem makroökonomischen Ungleichgewicht zwi-
wirkt.4 Beide Sichtweisen müssen nicht unbedingt im schen Investition und Konsum. Überkapazitäten würden
Widerspruch zueinander stehen: „Wegen rigider Nomi- aufgebaut und führten zur Krise, in der eine Bereinigung
nallöhne und der Zinsuntergrenze mag bei niedrigen In- stattfinde und stattfinden müsse, um die schlechten von
flationsraten ein bisschen mehr Inflation als Schmieröl den guten Investitionen zu trennen. Eine expansive Geld-
wirken; steigt die Inflation aber stark genug an, bringt sie politik würde in dieser Situation folglich nur die notwendi-
Sand ins Getriebe.“5 gen Anpassungen verzögern und womöglich neue Krisen
verursachen.9
Olivier Blanchard, damals Chefökonom des Internatio-
nalen Währungsfonds (IWF), benutzte im Februar 2010 Es ist allerdings unklar, ob eine expansive Geldpolitik
die Ideen des Konzepts der optimalen Inflationsraten für wirklich zu Blasen auf Vermögensmärkten führt. Im Fall
einen konkreten Vorschlag einer künftigen EZB-Politik. der US-Immobilienblase hat tatsächlich erst ein staatli-
Seine Erkenntnis aus der Finanzmarktkrise, die sich zu ei- ches Wohneigentumsprogramm der Regierung Clinton
ner Staatsschuldenkrise entwickelte, formulierte er in der die reichliche Liquidität in bestimmte Märkte gelenkt – vor
Frage: „Should policymakers therefore aim for a higher allem in das Subprime-Segment – und so zu Entstehung
target inflation rate in normal times, in order to increase der Blase beigetragen. Umgekehrt ist genauso zweifel-
the room for monetary policy to react to such shocks? To haft, ob Geldpolitik über die Instrumente verfügt, Blasen
be concrete, are the net costs of inflation much higher at, überhaupt zuverlässig zu identifizieren, und mehr noch,
say, 4 percent than at 2 percent, the current target ran- ob sie über eine angemessene Versorgung der Wirtschaft
ge? Is it more difficult to anchor expectations at 4 per- mit Liquidität hinaus die Entstehung von Blasen über-
cent than at 2 percent?“6 Als Reaktion auf den Vorschlag haupt gezielt bekämpfen sollte.10
von Blanchard entbrannte eine heftige Diskussion über
Ursachen und Folgen, sowie Vor- und Nachteile einer ex- Historisch wurde „politische Inflation“ von Regierungen
pansiven Geldpolitik, die auch zu höheren Inflationsraten oft dazu genutzt, durch Inflation Schulden real zu ent-
führen könnte.7 Eine neue Studie des IWF gibt eher den werten und Ressourcen zu sich umzulenken. Sowohl das
Gegnern als den Befürwortern höherer Inflationsraten Steuermonopol als auch das Geldausgabemonopol la-
recht. Offenbar gilt nach der Finanzmarktkrise, was auch gen beim Staat. Oftmals war es weniger problematisch,
vorher richtig war, nämlich dass „an increase in inflation Staatsschulden durch Inflation als durch Steuern zu „fi-
targets gives rise to additional welfare costs, even after nanzieren“. Eine unabhängige Zentralbank soll diese Art
the extra room to maneuver above the zero lower bound der Schuldenfinanzierung eigentlich institutionell aus-
for nominal policy rates is taken into account.“8 schließen. Die neuen Diskussionen um eine Ausstattung
des europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) mit
Gegner einer allzu expansiven Geldpolitik wenden einer Banklizenz, die den Staaten dauerhaften (und un-
schließlich ein, dass die lockere Geldpolitik der Federal begrenzten?) Zugriff auf EZB-Kredite gewähren könnten,
weisen auf genau diesen Zusammenhang hin.

4 Die Metapher stammt aus O. Blanchard, G. Illing: Makroökonomie,


München 2004, 3. Aufl., S. 745.
5 Ebenda, S. 745. 9 Bei Keynes hingegen ist Geldpolitik ein Stabilisierungsinstrument
6 O. Blanchard, G. Dell’Ariccia, P. Mauro: Rethinking Macroecono- und der Zins keine reale, sondern eine monetäre Größe. Bei Unterbe-
mic Policy, IMF Staff Position Note SPN/10/03, Washington DC, schäftigung kann die Zentralbank den Zins senken, um die Investiti-
12.2.2010, S. 11. onsnachfrage zu stimulieren. Investitionen sind bei Unterauslastung
7 Vgl. für die Gilde der Befürworter P. Krugman: The Case For Higher der Kapazitäten nicht nur durch die Höhe der Ersparnis beschränkt,
Inflation, http://krugman.blogs.nytimes.com/2010/02/13/the-case- sondern können sich durch Ausweitung der Produktion ihre Ersparnis
for-higher-inflation/ (8.8.2012). selbst „schaffen“.
8 E. B. Yehoue: On Price Stability and Welfare, IMF Working Paper 10 Vgl. B. Bernanke: Asset-Price Bubbles and Monetary Policy, Remarks
WP/12/189, Washington DC, Juli 2012, Abstract und S. 4. by Governor Ben S. Bernanke, 15.10.2002.

Wirtschaftsdienst 2012 | 9
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Zeitgespräch

Prof. Dr. Gerhard Illing ist Leiter des


Es bleibt aber die Frage, ob „ein wenig mehr“ Inflation
Seminars für Makroökonomie am Institut
nicht dennoch dazu beitragen kann, die Krise zu lösen.
für Volkswirtschaftslehre der Ludwig-
Offenbar hat es bislang wenig gebracht, die Kosten der
Maximilians-Universität München.
Krise von den Banken und privaten Gläubigern auf die
Staaten abzuwälzen, letztlich eine Bankenkrise nur durch
eine Staatsschuldenkrise zu ersetzen. Am Ende müssen
die Kosten der Krise so oder so getragen werden. Ent-
scheidend ist wohl, wie diese Kosten tragfähig für alle zu
verteilen sind. Ein historisch gut belegter Ansatz, Kosten
gleichmäßiger und – so womöglich die Hoffnung – schlei-
chender und deshalb unbemerkt zu verteilen, ist die Er-
zeugung höherer Inflation. Prof. Dr. Heiner Flassbeck ist Direktor
der Division „Globalization and Develop-
ment Strategies“ der UNCTAD in Genf.
Geldmenge und Inflation

Über den allgemeinen Zusammenhang von Geldmen-


genwachstum und Inflation gibt es eine Reihe von em-
pirischen Arbeiten. Die Evidenz ist jedoch uneinheitlich.
Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass der Zusammen-
hang der Quantitätsgleichung erstens nur langfristig und

Friederike Spiecker, Dipl.-Volkswirtin, ist


freie Wirtschaftspublizistin.

Die Autoren des Zeitgesprächs


Prof. Dr. Thomas Straubhaar ist PD Dr. Stefan Bach ist wissenschaft-
Direktor des Hamburgischen Welt- licher Mitarbeiter in der Abteilung Staat
WirtschaftsInstituts (HWWI) und am Deutschen Institut für Wirtschaftsfor-
Professor für Volkswirtschaftsleh- schung (DIW Berlin) und Privatdozent für
re, insbesondere internationale Volkswirtschaftslehre an der Universität
Wirtschaftsbeziehungen, an der Potsdam.
Universität Hamburg.

Prof. Dr. Henning Vöpel ist Senior Prof. Dr. Gert G. Wagner ist Vorstands-
Economist am Hamburgischen vorsitzender des DIW Berlin, Professor
WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) für Empirische Wirtschaftsforschung und
und Professor an der Hamburg Wirtschaftspolitik an der TU Berlin und
School of Business Administration Max Planck Fellow am MPI für Bildungs-
(HSBA). forschung in Berlin.

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Zeitgespräch

zweitens bei eher hohen Inflationsraten gilt.11 Vor diesem Zentralbanker Deflation. Zurzeit scheint daher eine betont
Hintergrund bleiben in der aktuellen Kontroverse über die expansive Geldpolitik das geringere Risiko zu sein. Auch
künftige Ausrichtung der EZB-Geldpolitik jenseits ideolo- im Euroraum könnte es bei einer erneuten Rezession eher
gischer Debatten nach wie vor einige Fragen offen. Die wieder zu Deflationsrisiken kommen. In diesem Fall wäre
wichtigste lautet, ob die Krisenpolitik der EZB in Kon- der Einsatz unkonventioneller Instrumente der EZB auch
flikt zum Ziel der Preisniveaustabilität steht. Die EZB ist nach monetaristischer Orthodoxie dringend angezeigt.
in der Krise verstärkt zu unorthodoxer Geldpolitik über-
gegangen; sie hat Staatsanleihen der Krisenländer auf Geringe Kreditschöpfung der Geschäftsbanken
dem Zweitmarkt aufgekauft und längerfristige Refinan-
zierungsgeschäfte getätigt, die in „normalen“ Zeiten eher Und selbst ein Anstieg der Geldbasis führt nicht notwen-
unüblich sind. Die EZB hat in zwei Tenderausschreibun- digerweise zu Inflation. Das Geldangebot weitet sich en-
gen am 22.12.2011 und am 1.3.2012 rund 1 Billion Euro zu dogen durch Kreditschöpfung der Geschäftsbanken aus.
einem Zinssatz von 1% über drei Jahre an Geschäftsban- Voraussetzung für eine steigende Geldmenge ist daher
ken des Euro-Systems zugeteilt. Zuletzt hat die EZB den neben einer entsprechenden Kreditnachfrage die Bereit-
Einlagezins, das ist der Zinssatz, zu dem die Geschäfts- schaft der Banken, Kredite zu vergeben.13 Entscheidend
banken Reserven bei der Zentralbank halten können, auf ist daher, mit welchem Multiplikator der Finanzsektor auf
0% gesenkt, damit die Geschäftsbanken das Geld nicht die zusätzlich von der EZB bereit gestellte Liquidität re-
als Überschussreserve halten, sondern den geldpoliti- agiert. Und hier zeigt sich momentan keine Gefahr. Die
schen Impuls auch über die Kreditvergabe weitergeben. Geldmenge M3 ist im Sommer 2012 gegenüber dem Vor-
jahr weniger als 3% gewachsen.14 Als Orientierungsgröße
Mittelfristig ist eine Inflationsgefahr dennoch nicht zu gilt ein Referenzwert von jährlich 4,5%. Offenbar deponie-
erkennen. Im Euroraum sind die Kapazitäten unteraus- ren Banken das von ihnen bei der EZB ausgeliehene Geld
gelastet, das Wirtschaftswachstum ist schwach, die Ar- lieber wieder bei der EZB, statt es zur Kreditschöpfung zu
beitslosigkeit bleibt hoch, die private Konsumnachfrage verwenden. Das Inflationspotenzial zusätzlicher Liquidi-
verläuft schleppend und der Staat wird über Jahre die tät wird zurzeit auch durch die gestiegene Geldnachfrage
öffentlichen Haushalte konsolidieren müssen. In einem reduziert, weil in Krisen bei niedrigen Zinsen und hoher
derart rezessiven Umfeld ist das Entstehen einer unkon- Unsicherheit die Geldhaltung zunimmt.15 Die Frage wird
trollierbaren Lohn-Preis-Spirale wenig wahrscheinlich. jedoch sein, wie schnell die EZB die ausgeweitete Liquidi-
Eher drohen deflationäre Tendenzen. Eine Ausweitung tät wieder abschöpfen kann, wenn die Konjunktur wieder
der Geldbasis wäre also zurzeit kaum inflationswirksam. anzieht und es zu einer Normalisierung der Geldnachfra-
Größere Risiken gehen derzeit eher von einer möglichen ge und des Geldschöpfungsmultiplikators kommen sollte.
Vermögenspreisinflation und der Entstehung von neu-
en Preisblasen aus. Steigende Aktienkurse, Rohstoff- Und schließlich ist die Kausalität von Geldmengenwachs-
und Edelmetall- sowie Immobilienpreise deuten auf eine tum und Inflation heutzutage nicht mehr so eindeutig wie
Flucht in Sachwerte hin – getrieben durch die Sorge auf das in früheren Zeiten der Fall gewesen ist. Die geldpo-
langfristig ansteigende Inflation. litischen Transmissionskanäle in einer global hochgradig
verflochtenen Weltwirtschaft mit freiem Kapitalverkehr fol-
Restriktive Geldpolitik lässt sich zudem – anders als ei- gen anderen Mechanismen als in historischen Zeiten der
ne expansive Geldpolitik – immer durchführen. Die EZB stärker geschlossenen Volkswirtschaften.16 Deshalb sind
hat jederzeit die Möglichkeit, die momentan zusätzlich Zweifel angebracht, ob die Erfahrungen der 1920er Jah-
geschaffene Liquidität wieder abzuschöpfen und so den re sich auf die heutige Zeit übertragen lassen. Historisch
Ankauf von Staatsanleihen zu „sterilisieren“. Sie kann betrachtet, hatte hohe Inflation häufig eng mit dem jewei-
entweder weniger Kredite an Banken verleihen. Oder ligen Wechselkursregime zu tun, wie z.B. in den Zeiten
sie offeriert Banken einen so attraktiven Zins für Termin-
einlagen, dass das Zentralbankgeld über diesen Kanal
gleich wieder an die EZB zurückfließt. In beiden Fällen 13 Die Vorstellung eines weitgehend endogenen Geldangebots wird in
der postkeynesianischen Theorie verfolgt.
steigt die Geldbasis nicht. Und somit erhöht sich auch 14 Europäische Zentralbank: Monatsbericht Juli 2012, Frankfurt a.M.,
das Inflationsrisiko nicht. Genau dieser Strategie ist die S. 17.
EZB bislang gefolgt.12 Nicht weniger als Inflation fürchten 15 Vgl. M. Faig, B. Jerez: Precautionary Balances and the Velocity of Cir-
culation of Money, in: Journal of Money, Credit and Banking, 39. Jg.
(2007), H. 4, S. 843-873, die interessanterweise für die USA bereits für
11 Vgl. P. Teles, H. Uhlig: Is Quantity Theory Still Alive?, CEPR Discussion 2004 einen deutlichen Rückgang der Geldhaltung aus dem Vorsichts-
Paper, Nr. 8049, 2010. motiv finden, was der Blasenbildung auf dem US-Immobilienmarkt
12 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli- zusätzlich Vorschub geleistet haben dürfte.
chen Entwicklung: Verantwortung für Europa wahrnehmen, Jahres- 16 Als Stichwörter seien hier „Carry Trades“ oder „Off-shore Banking“
gutachten 2011/12, Wiesbaden 2011, S. 107. genannt.

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des Goldstandards oder von Bretton Woods, als nationale von Reserven zwischen nationalen Bankensektoren.17 Ne-
Geldpolitik fixierte Wechselkurse durch Interventionen am ben steigender Inflation bedeutete eine solche Geldpolitik
Devisenmarkt stützen musste, was zu entsprechenden zudem einen impliziten Umverteilungsmechanismus.
Veränderungen der heimischen Geldbasis führte.
Zur zukünftigen Rolle der EZB
Nicht-optimaler Währungsraum
Nicht zuletzt aufgrund des Einflusses der Deutschen Bun-
Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen geht es desbank war die bisherige Geldpolitik der EZB stabili-
bei der derzeitigen Diskussion der EZB-Politik entschei- tätsorientiert. Damit war es gelungen, die Reputation der
dend um die Frage, ob der Ankauf von Staatsanleihen Bundesbank institutionell auf die EZB zu übertragen. Die
durch die EZB einen einmaligen Akt der Krisenbekämp- US-amerikanische Fed dagegen gilt seit jeher als stärker
fung – und insoweit eine begründete Ausnahme darstellt. pragmatisch auf die allgemeine makroökonomische Si-
Oder ob die EZB am Anfang einer dauerhaften „Repara- tuation hin orientiert. Historisch ist das Trauma der USA
turfunktion“ steht, bei der die EZB die strukturellen Defi- die hohe Arbeitslosigkeit in der Zeit der Großen Depres-
zite des Euroraums permanent akkommodieren muss, sion; das Trauma der Deutschen ist die Hyperinflation der
um ein Auseinanderbrechen zu verhindern. In diesem Fall 1920er Jahre; psychopolitisch wirken beide (im Kern un-
hätte eine Intervention der EZB weitreichende Implikatio- terschiedlichen) Traumata einmal in Europa und anders
nen für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik: Sie markierte begründet in den USA bis heute fort.
den Übergang von einer regelgebundenen zu einer stärker
diskretionären Geldpolitik, der die Aufgabe zufiele, einen Betrachtete man den Euroraum als „große“ Volkswirt-
nicht-optimalen Währungsraum fallweise zu stabilisieren. schaft, dann könnte auch die EZB dazu übergehen, nach
Eine solche Rolle der Geldpolitik könnte – so die Befürch- dem Vorbild der Fed stärker Beschäftigungsziele zum Ge-
tung – den notwendigen Konvergenzprozess der Eurolän- genstand der Geldpolitik zu machen. Die Fed jedoch agiert
der zu einem optimalen Währungsraum verschleppen, weil – und das ist der entscheidende Unterschied zur EZB – in
sie den Reformdruck auf die Krisenländer reduzierte. Die einem der Situation eines optimalen Währungsraums eher
Folge wären steigende Inflationserwartungen, weil sich die entsprechenden Umfeld und somit unter einem anderen
Länder dann nur äußerst „weichen Budgetrestriktionen“ institutionellen Setting. Die EZB ist gehalten, im Euroraum
gegenübersähen. Insoweit dürfen die kurzfristigen Hilfen eine stark regelgebundene Politik zu betreiben, da sie an-
nicht in Konflikt zu langfristigen Konvergenzzielen geraten. dernfalls in den Konflikt asymmetrischer Interessen von
Sie könnten anreizkompatibel ausgestaltet werden, indem Ländern geraten kann.
sie formal beim ESM beantragt werden mit der expliziten
Bereitschaft, den Reformprozess überwachen zu lassen. Die normative Frage, was Geldpolitik tun sollte, hängt um-
gekehrt an der theoretisch-positiven Frage, was Geldpoli-
Die Forderung nach einer aktiveren Rolle der EZB grün- tik überhaupt zu tun vermag. Abgesehen von kurzfristigen
det auf der Einschätzung, dass es sich bei der Eurokrise Stabilisierungswirkungen, die Geldpolitik unbestritten hat,
vornehmlich um eine Vertrauenskrise handelte und die kann sie langfristig nicht permanent reale Anpassungs-
gestiegenen Marktzinsen für Staatsanleihen nicht funda- prozesse akkommodieren, ohne dabei Inflation zu erzeu-
mental gerechtfertigt seien, sondern das Ergebnis einer gen. Aus diesem Grund ein „Ja“ zu einer aktiveren Rolle
Marktpanik darstellten. Tatsächlich spricht vieles dafür, der EZB zur Lösung einer akuten Vertrauenskrise, jedoch
dass die derzeitigen Probleme im Euroraum die Folgen ei- ein ebenso klares „Nein“ zu einer Geldpolitik als Ersatz für
nes nicht-optimalen Währungsraums sind, in dem es keine strukturelle Konvergenz der Euroländer auf dem Weg zu
hinreichenden realen Anpassungs- und Ausgleichsme- einem optimalen Währungsraum. Im Gegenteil: Es wäre
chanismen zum Abbau interner Ungleichgewichte in Form Aufgabe der Politik, mit entsprechenden Konvergenzvor-
von Leistungsbilanzdefiziten und -überschüssen gibt. Ist kehrungen die EZB vor einer Rolle zu schützen, die sie
der Befund richtig, dass die derzeitige Staatsschulden- letztlich nicht erfüllen kann. In der akuten Krise, auf die die
und Zahlungsbilanzkrise die Folge eines nicht-optimalen Politik institutionell nicht angemessen vorbereitet war und
Währungsraums ist, dann ist nicht von einer temporären infolgedessen nicht hinreichend handlungsfähig ist, muss-
Intervention der EZB, sondern von einer dauerhaften „Re- te und muss wohl die EZB ihren Beitrag leisten, langfristig
paraturfunktion“ auszugehen, in der die EZB quasi-fiska- ist sie davor dringend zu bewahren – andernfalls drohte
lische Aufgaben übertragen bekäme. Mit dem Ankauf von tatsächlich Inflation.
Staatsanleihen werden interne Ungleichgewichte abge-
baut, indem nicht mehr tragfähige Staatsschulden mone-
17 Zur Diskussion siehe H.-W. Sinn, T. Wollmershäuser: Target Loans,
tisiert und indirekt Leistungsbilanzdefizite finanziert wer- Current Account Balances and Capital Flows: The ECB’s Rescue Fa-
den, etwa über die Target2-Salden oder eine Umverteilung cility, NBER Working Paper, Nr. 17626, 2011.

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Zeitgespräch

Gerhard Illing
Kommunikationsprobleme unkonventioneller Geldpolitik

Prominente US-Ökonomen haben die Politik der japa- Sicht liberaler Ökonomen ist die Zinssteuerung ein idea-
nischen Zentralbank in der Phase der Stagnation heftig les Stabilisierungsinstrument – nicht zuletzt deshalb, weil
als zu passiv kritisiert. Die aktuelle Politik der US-ameri- sie verteilungsneutral ist: Sie greift nicht in den Mecha-
kanischen Notenbank scheint aber in mancher Hinsicht nismus der Bestimmung relativer Preise ein und lässt den
fast eine Kopie der Strategie in Japan zu sein – eine Folge Marktkräften so freien Raum. Die privaten Akteure kön-
hoher Unsicherheit über die angemessene Kommunikati- nen selbst frei entscheiden, welche Art von Investitionen
onsstrategie. Die explizite Steuerung des nominalen BIP sie tätigen wollen; keine staatlichen Vorgaben schreiben
könnte einen Ausweg weisen. vor, in welchen Sektoren die Nachfrage gestützt werden
sollte.
Nach dem Platzen der Immobilien- und Aktienblase geriet
die japanische Wirtschaft Anfang der 1990er Jahre in eine In der Liquiditätsfalle
lang anhaltende Stagnationsphase. Obwohl die Zentral-
bank den Leitzins von 8% schließlich bis auf Null senkte, Schon Keynes2 hatte in seiner General Theory jedoch die
kam es zu keiner Erholung. Zehn Jahre später – nach der Wirkungslosigkeit traditioneller Geldpolitik in einer Li-
ersten „verlorenen Dekade“ – kritisierte Milton Friedman1 quiditätsfalle postuliert. Er plädierte dafür, unter solchen
die Politik der japanischen Notenbank auf einem Festvor- Bedingungen stattdessen Fiskalpolitik als wirkungsvolles
trag der Bank of Canada scharf: „Das Beispiel Japans Stabilisierungsinstrument zu nutzen. Lange Zeit wurde
zeigt, wie unzuverlässig Zinsen als Indikator für eine an- das Argument der Liquiditätsfalle jedoch nur als theore-
gemessene Geldpolitik sind. Die japanische Zentralbank tisches Kuriosum angesehen. Es habe für die realen He-
betrieb eine Nullzinspolitik. Aber diese Nullzinspolitik rausforderungen makroökonomischer Politik so gut wie
ist Zeichen einer extrem restriktiven Geldpolitik. Japan keine Relevanz; zudem mangele es an überzeugender mi-
steckte effektiv in einer Phase der Deflation. Der Realzins kroökonomischer Fundierung. Die Erfahrung mit der Zins-
war positiv, nicht negativ. Was Japan brauchte war zu- untergrenze in Japan machte schlagartig klar, dass dies
sätzliche Liquidität… 1989 geriet Japan in eine Rezession eine Fehleinschätzung war.
und verharrt seitdem darin. Das Wachstum der Geldmen-
ge war zu niedrig. Das Argument der japanischen Zent- Die niedrigen Zinsen dort wurden von vielen in der Öffent-
ralbank ist: ‚Nun, wir haben die Zinsen ja schon auf Null lichkeit, ja selbst in Kreisen der japanischen Zentralbank
gesenkt – was sollen wir denn noch tun?‘ Die Antwort lange als Indiz einer extrem expansiven Politik gewertet,
ist ganz einfach: Sie können langfristige Staatsanleihen die hohe inflationäre Gefahren berge. Die Zentralbank be-
kaufen, und sie können dies so lange fortsetzen, bis die tonte deshalb bewusst immer wieder, dass sie die Zinsen
steigende Geldbasis die Wirtschaft wieder in Schwung wieder anheben werde, sobald die Inflationsrate auch nur
bringt. Was Japan braucht ist eine expansivere Geldpo- moderat ansteigen sollte. Milton Friedman erkannte dage-
litik.“ gen, dass die niedrigen Zinsen keineswegs Inflationsge-
fahren mit sich bringen, sondern angesichts deflationärer
Die Entwicklung in Japan führte eindringlich die Grenzen Tendenzen eher als Indiz einer zu restriktiven Geldpolitik
konventioneller Geldpolitik vor Augen, sobald der Leit- zu deuten sind. Geleitet von seiner Analyse der Fehlent-
zins an die Untergrenze von Null stößt. In normalen Zei- wicklungen der Geldpolitik während der Depression der
ten ist die geldpolitische Steuerung über Nominalzinsen Dreißiger Jahre plädierte er deshalb für einen Wechsel
sehr effektiv: Solange die Inflationserwartungen stabil zur bewussten Ausdehnung der Geldbasis (einer Politik
bleiben, senken niedrigere Nominalzinsen den Realzins. quantitativer Lockerung), um die Geldmengenaggregate
Antizyklische Zinssteuerung kann die Wirtschaftsaktivität im privaten Sektor zu stabilisieren.
in einer Rezession stimulieren und im Boom dämpfen. Als
Transmissionsmechanismen dienen der Zinskanal (zur Kurz nach den Äußerungen Friedmans wechselte die
Stimulierung privater Investitionen, aber auch privaten Zentralbank von Japan in der Zeit von 2001 bis 2006 tat-
Konsums) sowie der Wechselkurskanal (durch die indu- sächlich zu einer Politik mit quantitativen Vorgaben zur
zierte Abwertung wird der Nettoexport stimuliert). Aus Ausdehnung der Geldbasis. Sie weitete in dieser Zeit ihre

1 M. Friedman: Keynote address to the Bank of Canada, http://www. 2 J. M. Keynes: The General Theory of Employment, Interest and Mo-
bankofcanada.ca/wp-content/uploads/2010/08/keynote.pdf. ney, Cambridge 1936.

Wirtschaftsdienst 2012 | 9
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Zeitgespräch

Bilanz um ca. 75% aus – fast durchwegs durch den An- teiligten Vorteile, weil so individuell nominal fest verein-
kauf von Staatspapieren. Mit den ersten Zeichen einer Er- barte Kontrakte an veränderte makroökonomische Be-
holung wurde die Ausweitung der Geldbasis 2006 dann dingungen angepasst werden. Genauso wie starre Löhne
aber wieder rasch rückgängig gemacht. Trotz der mas- und Preise reagieren ja in der Vergangenheit vereinbarte
siven Ausweitung der Geldbasis ist das nominale BIP im Nominalzinsen nicht auf gesamtwirtschaftliche Schocks.
gesamten Zeitraum so gut wie gar nicht angestiegen. Für den einzelnen Kreditgeber erscheint es individuell
nicht rational, einer effektiven Reduktion der Zinsbelas-
Die Wirksamkeit einer solchen Strategie ist theoretisch tung zuzustimmen. Aber auch alle Gläubiger wären insge-
stark umstritten. Keynes argumentierte bereits 1936, samt besser gestellt, wenn durch einen leichten Anstieg
dass eine reine Ausweitung der Geldbasis keine realen der Inflation verhindert wird, dass die stark steigende
Effekte bringen wird, sobald der private Sektor mit Li- Realschuldbelastung die Schuldner in den Bankrott treibt
quidität gesättigt ist. Paul Krugman3 hat den Kern des und so die Produktion weiter einbrechen lässt.
Problems in einem einfachen dynamischen Makromodell
untersucht: Sobald die Zinsuntergrenze erreicht ist, kann Eine Politik, die ankündigt, für eine gewisse Zeit bewusst
der Realzins nur dann sinken, wenn die Zentralbank bereit leicht steigende Inflationsraten zuzulassen, steht jedoch
ist, das Preisniveau zukünftig ansteigen zu lassen. Dies vor dem Problem, dass solche Ankündigungen nicht
setzt zumindest über einen gewissen Zeitraum hin anstei- glaubwürdig sind. Am einfachsten lässt sich das für den
gende Inflationserwartungen voraus. Entsprechend der Fall illustrieren, dass der kurzfristig angemessene Re-
Fisher-Gleichung ergibt sich der Realzins ja aus der Diffe- alzins negativ ist – ein plausibles Szenario während des
renz zwischen Nominalzins und erwarteter Inflationsrate. Deleveraging-Prozesses, wenn überschuldete Haushal-
te versuchen, ihre hohe Verschuldung abzubauen. So-
Bewusste Inflationspolitik bald der Nominalzins einmal bei Null verharrt, kann der
Realzins nur dann sinken, wenn die Inflationserwartun-
Gelingt es dagegen nicht, rückläufige Inflationserwar- gen ansteigen. Die privaten Akteure müssten also da-
tungen zu stabilisieren, droht die Gefahr einer deflatio- von überzeugt werden, dass die Zentralbank bereit ist,
nären Spirale. Eggertsson und Krugman4 liefern in einem einen Anstieg des Preisniveaus zu tolerieren und diesen
neo-keynesianischen Ansatz eine mikro-ökonomische auch später nicht rückgängig zu machen. Sobald sich die
Fundierung des zugrunde liegenden Mechanismus. Sie Wirtschaft jedoch von der Stagnationsphase erholt hat,
modellieren den Teufelskreislauf zwischen rückläufigen verändern sich die Anreize der Zentralbank fundamen-
Preisen und der daraus steigenden realen Zinsbelastung tal. Dann wird sie versuchen, wieder für Preisstabilität zu
der Schuldner, den bereits Irving Fisher5 1933 als zentrale sorgen und damit von ihrer ursprünglichen Ankündigung
Ursache der Großen Depression identifizierte. Der Druck abweichen. Diesen Anreiz antizipierend, zweifeln die pri-
zum raschen Abbau der Schulden (Deleveraging) löst ei- vaten Akteure von vorneherein an ihrer Bereitschaft, eine
nen Rückgang der Nachfrage der Schuldner aus. Diesen höhere Inflation zuzulassen.
Rückgang würden die Gläubiger nur dann ausgleichen,
wenn fallende Realzinsen es attraktiver machen, heute Die Befürchtung, dass aus Sorge vor drohenden Inflati-
schon zu konsumieren. Können aber die Realzinsen nicht onsgefahren die Stimulierung vorzeitig rückgängig ge-
gesenkt werden, kommt es auch gesamtwirtschaftlich zu macht wird, macht es somit von Anfang an unmöglich,
einem Nachfrageausfall. Er verschärft das Problem weiter den Realzins zu senken – damit aber verharrt die Wirt-
und droht einen deflationären Prozess auszulösen. Eine schaft in der Stagnation. Die Zentralbank steht vor einem
bewusste Politik höherer Inflationsraten könnte diesen fa- Problem der dynamischen Konsistenz, das genau konträr
talen Prozess stoppen. ist zum traditionellen Konsistenzproblem der Geldpolitik
– dem Anreiz, die Wirtschaft durch zu viel Inflation zu sti-
Der Anstieg der Inflationsrate bewirkt einen Umvertei- mulieren. Die Tatsache, dass die japanische Zentralbank
lungseffekt zwischen Gläubigern und Schuldnern. Dieser ihre Ausdehnung der Geldbasis rasch wieder rückgängig
Effekt bringt aber unter diesen Bedingungen für alle Be- gemacht hat, ist eine eindrucksvolle Bestätigung dieser
Mechanismen.

3 P. Krugman: It‘s Baaack: Japan‘s Slump and the Return of the Li- Die Auffassung von Bernanke
quidity Trap, Brookings Papers on Economic Activity, 29. Jg. (1998),
S. 137-206.
4 G. B. Eggertsson, P. Krugman: Debt, Deleveraging and the Liquidi- In der Liquiditätsfalle ist die Welt quasi auf den Kopf ge-
ty Trap: A Fisher-Minsky-Koo Approach, in: The Quarterly Journal of stellt. Krugman6 formulierte provozierend, die Zentralbank
Economics, 127. Jg. (2012), H. 3, S. 1469-1513.
5 I. Fisher: The Debt-Deflation Theory of Great Depressions, in: Econo-
metrica, 1. Jg. (1933), H. 4, S. 337-357. 6 P. Krugman, a.a.O.

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589
Zeitgespräch

müsste eine glaubwürdige Verpflichtung eingehen, „un- eine Periode lang anhaltender niedriger Zinsen; sie deu-
verantwortlich“ zu handeln. Gerade diese etwas unglück- ten zugleich aber immer auch an, dass diese Phase rasch
liche Formulierung mag aber durchaus einer der Gründe beendet würde, sollte die Wirtschaft an Fahrt gewinnen.
sein, weshalb Zentralbanken seinem Rat bislang nicht fol- Zudem wird dabei eintönig immer auch ausdrücklich die
gen. Auch Ben Bernanke,7 damals Kollege von Krugman Sorge der Fed um die Preisstabilität betont: „Mit dem Ziel,
an der Universität Princeton, kritisierte die japanische die derzeitige wirtschaftliche Erholung zu fördern und da-
Zentralbank 2002 ebenso heftig wie Milton Friedman. Er zu beizutragen, dass die Inflationsrate im Zeitablauf auf
skizzierte dabei ausführlich verschiedene Strategien un- einem Niveau bleibt, das mit dem Mandat der Fed verein-
konventioneller Geldpolitik, die verhindern könnten, dass bar ist, hat das Gremium heute Folgendes beschlossen
zusätzlich bereit gestellte Liquidität nur gehortet wird und … Das Gremium diskutierte verfügbare Instrumente, eine
damit wirkungslos bleibt. stärkere wirtschaftliche Erholung im Rahmen der Preis-
stabilität zu fördern.“10
So zeigte er etwa, dass die Bereitstellung zusätzlicher
Liquidität durchaus reale Effekte haben kann, sofern die Auf einer Pressekonferenz im April 2012 explizit auf For-
Zentralbank Risiken übernimmt, die der private Sektor derungen angesprochen, das Inflationsziel anzuheben,
nicht bereit ist einzugehen. In einer Kreditklemme, in der formulierte Bernanke: „Aus Sicht des Gremiums wäre
die privaten Märkte dysfunktional sind, kann der Aufkauf das höchst unbesonnen. Die Fed hat 30 Jahre Zeit darauf
riskanter Papiere zur Korrektur verzerrter Marktpreise bei- verwendet, Glaubwürdigkeit für eine Politik niedriger und
tragen. Die Politik des Credit Easing, die die Fed während stabiler Inflationsraten aufzubauen. … Es wäre aus mei-
der Finanzkrise betrieb, folgte genau dieser Strategie; sie ner Sicht höchst unklug, dieses Kapital aufs Spiel zu set-
versuchte erfolgreich, ineffizient hohe Zinsaufschläge zen für nur sehr zaghafte und vielleicht sogar zweifelhafte
durch gezielte Interventionen zu korrigieren. Vorteile in der realen Ökonomie.“11

In seinem Aufsatz formulierte Bernanke8 aber noch we- Manche (etwa Laurence Ball12) sehen den Grund für den
sentlich weitergehende Überlegungen – wie folgendes radikalen Wechsel von Bernanke vom scharfen akade-
Zitat zeigt, das ihm später den Spitznamen „Helicopter mischen Kritiker hin zum Verteidiger einer vorsichtigen
Ben“ eingebracht hat: „Die US-Regierung verfügt über Haltung im psychologischen Gruppenzwang, den ein
eine Technologie, Druckerpresse genannt (bzw. heutzu- Entscheidungsgremium wie das Board der Fed mit sich
tage das elektronische Äquivalent dazu), die es erlaubt, bringt. Wesentlich plausibler scheinen aber zwei ande-
praktisch ohne Kosten so viele US-Dollar zu drucken wie re Gründe für die Zurückhaltung zu sein: (1) zum einen
sie will. Wenn die Menge an im Umlauf befindlichen Dol- die Tatsache, dass unkonventionelle Geldpolitik nahezu
lar ansteigt (ja allein schon durch die glaubwürdige Dro- zwangsläufig politisch kontrovers ist; ungewohnte Schrit-
hung, so zu handeln) kann die US-Regierung den Wert te gehen deshalb mit einer Polarisierung einher, die es
eines Dollars in Gütereinheiten beliebig reduzieren … und erschwert, weitgehende Änderungen durchzusetzen;
damit für höhere Ausgaben und positive Inflationsraten (2) zum anderen die Fragilität der Erwartungen über die
sorgen.“9 zukünftig betriebene Geldpolitik. Ohne adäquate bin-
dende Mechanismen lässt sich nicht ausschließen, dass
selbst ein zeitlich eng begrenzter Anstieg der Inflations-
Die Politik der Fed rate als Einstieg in eine „Nuklearoption“ dauerhaft hoher
Inflationsraten interpretiert wird und damit die Preisent-
Ben Bernanke ist sich der Wirksamkeit höherer Inflations- wicklung außer Kontrolle zu geraten droht.
raten in einer Liquiditätsfalle sehr wohl bewusst. Umso
mehr hat es viele überrascht, dass er als Notenbankchef • Zu (1): Unkonventionelle Geldpolitik kann sich nicht auf
in Washington seinem eigenen Rat zumindest bislang einen bequemen Laissez-Faire-Ansatz beschränken;
nicht gefolgt ist. Im Gegenteil – in mancher Hinsicht sie erfordert vielmehr zwangsläufig aktive Eingriffe in
scheint die aktuelle Politik der amerikanischen Notenbank den Marktmechanismus. So verlangt die Stützung ris-
nahezu eine direkte Kopie der Strategie der japanischen kanter Vermögenswerte Einschätzungen darüber, wel-
Zentralbank zu sein: Regelmäßig versprechen die monat- che Marktpreise verzerrt sind und in welchem Umfang
lichen Statements des Board of Governors der Fed zwar
10 Board of Governors of the Federal Reserve System: FOMC State-
ment, Pressemitteilungen, 2011/2012.
7 B. Bernanke: Deflation: Making Sure „It“ Doesn‘t Happen Here, Natio- 11 B. Appelbaum: Bernanke on What the Fed Can Do, in: New York
nal Economists Club, Washington DC, 21.11.2002. Times vom 25.4.2012.
8 Ebenda. 12 L. Ball: Ben Bernanke and the Zero Bound, Working Paper, Johns
9 Ebenda. Hopkins University, 2012.

Wirtschaftsdienst 2012 | 9
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Zeitgespräch

dies zutrifft. Darüber herrschen unvermeidlich kontro- wann einmal kommt dann der Zeitpunkt, wo ein Wechsel
verse Ansichten. Dies droht die Zentralbank in ihrem zu mehr Inflation unvermeidlich wird, dann jedoch erfolgt
Handeln politisch angreifbar zu machen – die Trennung er mit umso heftigerer Wucht. Ken Rogoff13 formuliert zu-
zwischen Geld- und Fiskalpolitik verschwimmt. Es wä- treffend: „Viele (wenn nicht notwendigerweise alle) Zen-
re naiv, zu glauben, Geldpolitik könne unter solchen tralbanken werden letztlich herausfinden, wie sie höhere
Bedingungen verteilungsneutral agieren. Zwar liegt es Inflationserwartungen erzeugen können. Sie werden hö-
gesamtwirtschaftlich durchaus auch im Interesse der here Inflation als ein Mittel tolerieren müssen, Investo-
Gläubiger, die reale Schuldenbelastung zu mildern, ren in Realvermögen zu zwingen, den Schuldenabbau zu
wenn damit stabile Wachstumsbedingungen geschaf- beschleunigen und als einen Mechanismus, der eine Ab-
fen werden. Die Frage aber, wie die Anpassungslasten wärtskorrektur der Reallöhne und Preise für Eigenheime
auf die Beteiligten verteilt werden, birgt heftige Inter- ermöglicht. Es ist Unsinn zu behaupten, Zentralbanken
essenkonflikte. Solche Kontroversen lähmen die Politik seien machtlos und völlig unfähig die Inflationserwartun-
und verhindern entschiedene Schritte. Die aus solchen gen zu erhöhen, wie sehr sie es auch versuchen. Im Ext-
Konflikten folgende Lähmung erklärt zu einem wesent- remfall können Regierungen Notenbankchefs ernennen,
lichen Teil, warum die Erholung in Finanzkrisen nach die seit langem für ihre Toleranz gegenüber einer mode-
einem anhaltenden Kreditboom weit länger auf sich raten Inflation einstehen – eine exakte Parallele zur Idee
warten lässt als in Zeiten normaler Rezessionen. Sie ‚konservative‘ Zentralbanker zur Bekämpfung hoher In-
erklärt zudem, warum es Zentralbanken schwer fällt, flation einzusetzen.“
Änderungen durchzusetzen, die leicht missverstanden
werden könnten. Letztendlich droht bei einer Strategie des Abwartens
die Gefahr, am Ende der Reihe nach in den schlechtes-
• Zu (2): Ein beträchtlicher Teil der geldpolitischen Wir- ten beider Welten zu enden: zunächst verharrt die Wirt-
kung entfaltet sich über den Erwartungskanal – über schaft in einer lang anhaltenden Periode der Stagnation;
den Einfluss auf die Erwartungen der privaten Wirt- dann aber kommt es zu einem umso dramatischeren
schaftsakteure. Die Wirksamkeit hängt wesentlich Überschießen genau in die andere Richtung. Zu die-
von der eigenen Glaubwürdigkeit ab. Moderne Zent- sem Zeitpunkt jedoch dürfte es schon zu spät sein, um
ralbankpolitik besteht zu einem großen Teil aus Kom- noch die erhoffte Wirkung zu erzielen. Umso wichtiger
munikationsstrategie. Mit der Abkehr von vertrauten wäre ein entschiedener Wechsel hin zu glaubwürdigen
Handlungspfaden angesichts neuer Herausforderun- Mechanismen, die einen raschen Übergang zu höherem
gen besteht aber die Gefahr, dass die Erwartungen Wachstum bei einem eng begrenzten Anstieg der Inflati-
plötzlich in eine ganz andere Richtung umschlagen. on ermöglichen.
Die Vorteile eines gezielten, zeitlich eng begrenzten
Anstiegs der Inflationsrate um wenige Prozentpunkte Seit langem schon propagiert Scott Sumner14 die Strate-
sind in theoretischen Modellen leicht zu skizzieren. In gie der Steuerung des nominalen BIP als ein ideales Ins-
der Praxis ist aber eine solche Feinsteuerung der Er- trument genau dafür. In jüngster Zeit gewinnt diese Idee
wartungen nur dann möglich, wenn dabei auf glaub- immer mehr Anhänger. Eine Verpflichtung darauf, das
würdige Bindungsmechanismen zurückgegriffen wer- nominale BIP wieder auf den Trendpfad vor Ausbruch
den kann. Andernfalls ist die Gefahr hoch, dass die der Finanzkrise zurückzubringen, ist als Kommunikati-
Handlungen von der Öffentlichkeit missverstanden onsstrategie deshalb attraktiv, weil sie der Öffentlichkeit
werden. Die Diskussion in Japan liefert ein gutes Bei- klare Signale übermittelt. Sie macht zum einen klar, dass
spiel dafür: Wenn niedrige Zinsen oder auch eine star- die Politik bereit ist, einen kurzfristigen Anstieg der Infla-
ke Ausweitung der Geldbasis als Indiz für eine ultra- tion zu tolerieren. Zum anderen wird aber gleichzeitig ein
lockere Geldpolitik fehlinterpretiert werden, engt dies langfristiger Anker, an dem sich die Politik messen las-
den Handlungsspielraum für eine angemessene Geld- sen muss, klar definiert. Auf diese Weise könnte es ge-
politik enorm ein. lingen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von miss-
verständlichen Indikatoren (wie niedrigen Zinsen oder
einer massiven Ausweitung der Geldbasis) wegzulenken
Abwarten – eine gefährliche Strategie hin zu einer glaubwürdigen Wachstumsstrategie.

Das Paradoxe ist allerdings, dass eine zu vorsichtige Poli-


tik gerade Gefahr läuft, die Probleme immer weiter zu ver- 13 K. Rogoff: Wie lange werden die Zinsen niedrig bleiben?, Blog-Beitrag
schärfen – je länger abgewartet wird, desto länger zieht 2012, Project Syndicat, http://www.project-syndicate.org/commen-
tary/how-long-for-low-rates-by-kenneth-rogoff/german.
sich die Stagnation der Wirtschaft hin; umso gravierender 14 S. Sumner: Re-Targeting the Fed, in: National Affairs, 9. Jg. (2011),
wird letztlich das Problem der Überschuldung. Irgend- S. 79-96.

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Zeitgespräch

Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker


Von hohen Staatsschulden und expansiver Geldpolitik zur Inflation?
Keine globale Inflations-, aber eine ernsthafte Deflationsgefahr
Die andauernde Krise der Finanzmärkte seit 2008 hat das Staatsanleihekäufen die Inflation von übermorgen oder
Thema Inflation trotz miserabler Wirtschaftsentwicklung in gar die nächste Krise vor? Ging der Finanzkrise 2008
die vorderste Front an den Stammtischen gerückt. Ban- nicht eine übermäßig expansive Geldpolitik der Fed
kenrettung durch die Staaten, Staatsanleihekäufe durch voraus?2 Die Geldpolitik kann nur indirekt Einfluss auf die
die Zentralbanken, milliardenschwere Rettungsschirme Inflationsrate nehmen und zwar nur über den „Umweg“
für Krisenstaaten und weltweit steigende Staatsschulden der Realwirtschaft. Einen direkten Einfluss auf die Infla-
nähren die Angst, die Politik könne trotz gegenteiliger Be- tionsrate durch einen wie eng oder weit auch immer ge-
teuerungen und Schuldenbremsen einen Ausweg aus der schneiderten „Geldmantel“ für die Realwirtschaft hat die
Schuldenlast durch hohe Inflation wählen. Kann sie das? Zentralbank nur in der fiktiven Welt der monetaristischen
„Quantitätsgleichung“, die eine Identität ist und deswe-
Natürlich beeinflusst die Fiskalpolitik über die Nachfrage, gen keinerlei kausale Aussage zulässt.3
die sie selbst am Markt entfaltet, die Preise von Gütern
und Dienstleistungen. Entzieht der Staat dazu durch Be- Der eigentliche Wirkungszusammenhang basiert auf dem
steuerung den Privaten allerdings nachfragewirksame Ein- Zusammenspiel von kurz- und langfristigen Zinsen einer-
kommen, gleicht er zum großen Teil ausgefallene private seits und auf dem Verhältnis von Zinsniveau und Sachin-
Nachfrage wieder aus. Verschafft der Staat privaten Haus- vestitionen andererseits. Ein hohes Zinsniveau verteuert
halten durch Umverteilung finanzielle Mittel, nimmt die Ge- Kredite und dämpft tendenziell die Sachinvestitionstätig-
samtnachfrage nur in dem Maße zu, wie die Sparquote der keit. So sinkt die Auslastung im Investitionsgütersektor,
Begünstigten niedriger liegt als die der Zahler. Durch Kre- was sich nach und nach in einem verlangsamten Wachs-
ditaufnahme finanzierte öffentliche Nachfrage erhöht die tum oder sogar in einem Rückgang der Gesamtnachfra-
Gesamtnachfrage direkt, wenn Verdrängungseffekte auf ge niederschlägt. Das bremst die gesamtwirtschaftliche
dem Kapitalmarkt ausgeschlossen werden können, was in Preissteigerung. Die kurzfristigen Zinssätze anzuheben,
der Regel der Fall ist. Aber auch hier hat eine Zunahme der dadurch das Niveau der langfristigen Zinsen nach oben
öffentlichen Nachfrage nur dann eine preistreibende Wir- zu schleusen und so einer unerwünschten Inflationsbe-
kung, wenn die Kapazitäten weitgehend ausgelastet sind. schleunigung einen Riegel vorzuschieben, dazu ist die
Davon kann derzeit in der gesamten Welt nicht die Rede Zentralbank in großen, relativ geschlossenen Volkswirt-
sein. Spekulativ bedingte Preissteigerungen bei Immo- schaften jederzeit in der Lage. Der Preis dafür sind Ver-
bilien, Edelmetallen, Lebensmitteln oder beim Öl haben luste in der Realwirtschaft in Form von Arbeitslosigkeit
nichts mit erhöhtem öffentlichen Verbrauch zu tun. Selbst und Realeinkommensrückgängen.
wenn hohe Staatsschulden irgendwann in Steuererhöhun-
gen münden sollten, führt das nicht zu Inflation, weil sol- Im Fall einer in die Rezession abgleitenden Realwirt-
che Steuererhöhungen allenfalls einen einmaligen Schub schaft und einer folglich zu niedrigen oder gar negativen
bei den Preisen auslösen. Preissteigerungsrate sind allerdings die Möglichkeiten
der Geldpolitik begrenzt. Zwar kann die Geldpolitik ver-
Das beste Beispiel dafür, dass es einem Staat nicht so ein- suchen, die Investitionsnachfrage durch niedrige kurz-
fach gelingt, eine spürbare Preissteigerung zu entfachen, fristige Zinsen anzuregen. Das gelingt ihr aber nur, wenn
obwohl er das versucht und sich extrem hoch verschuldet Banken und andere Finanzinvestoren Vertrauen in die
hat, ist Japan. Das Land kämpft seit zwei Jahrzehnten mit Bonität potenzieller Sachinvestoren haben und es solche
einer deflationären Entwicklung, die seiner Realwirtschaft bei sinkender Auslastung der vorhandenen Kapazitäten
massiv schadet, und kann ihr nicht entkommen.1 überhaupt gibt. Bei generell gedämpften Einkommenser-
wartungen der privaten Haushalte als wichtigsten End-
Expansive Geldpolitik? kunden kann sich aber die gesamte Realwirtschaft in ei-
ner Situation befinden, in der zusätzlich und billig zur Ver-
Aber bereiten nicht die Notenbanken mit ihrer Niedrig-
zinspolitik und umfangreichen direkten und indirekten
2 Vgl. H. Flassbeck, F. Spiecker: Greenspans Geldpolitik war es nicht,
in: Wirtschaftsdienst, 88. Jg. (2008), H. 12, S. 805-809.
1 Vgl. R. C. Koo: The Holy Grail of Macroeconomics: Lessons from 3 Vgl. H. Flassbeck, F. Spiecker: Das Ende der Massenarbeitslosigkeit,
Japan‘s Great Recession, New York 2008. Frankfurt a.M. 2007, S. 165 ff.

Wirtschaftsdienst 2012 | 9
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Zeitgespräch

fügung gestelltes Geld keine neue Nachfrage am Markt zu sorgen, dass das Geld- und Kreditwesen wieder seine
induziert. Dann geht die Wirkung der Geldpolitik gegen eigentlichen Aufgaben und nur diese wahrnimmt.7
Null.
Das Versagen der Politiker beruht nicht nur auf erfolgrei-
Und genau mit diesem Szenario kämpft die Weltwirt- chem Lobbyismus der Finanzwelt und fehlender internati-
schaft derzeit. Hohe Arbeitslosigkeit im Gefolge der Fi- onaler Kooperation der Wirtschaftspolitik. Es hat vor allem
nanzkrise drückt die Löhne und damit die Einkommens- mit dem vorherrschenden Verständnis der Funktionswei-
erwartungen in allen Industrieländern, ohne dass die se einer Marktwirtschaft zu tun. So wird „Sparen“ immer
Arbeitslosigkeit selbst die Folge zu hoher Löhne gewe- noch unkritisch als Voraussetzung für Investieren angese-
sen wäre. Im Gegenteil: Weltweit waren im Vorfeld die- hen. Kapitalströme, in die Entwicklungsländer z.B., gelten
ser Rezession die Lohnsteigerungen hinter dem Vertei- als uneingeschränkt gut, ganz gleich zu welchem Zweck
lungsspielraum (trendmäßiges Produktivitätswachstum sie eingesetzt werden. Bei einer solchen Sichtweise ist es
plus Inflationsziel) zurückgeblieben und dennoch ist die unmöglich, im Vorfeld zwischen ungehindertem Strömen
Arbeitslosigkeit gestiegen. Die Folge sind eine extrem von Sparkapital in gesellschaftlich ertragreiche Sachan-
schwache Konsumnachfrage und eine darniederliegende lagen und den schädlichen Auswüchsen fehlgeleiteter Fi-
Investitionstätigkeit.4 nanzspekulation als „Investition“ zu unterscheiden.

Ganz anders, wenn Ersparnisse nicht als notwendi-


Deregulierter Finanzsektor ge Quelle der Investitionstätigkeit angesehen werden,
sondern wegen Auslastungsminderung eher als ein In-
In der Tat, ein deregulierter Finanzsektor hatte vor der vestitionshemmnis. Dann kann und muss man sich un-
Krise Finanzspekulationsgeschäften mit privatwirt- eingeschränkt dafür einsetzen, dass das Geld- und Kre-
schaftlichem Nullsummen- und gesamtwirtschaftlichem ditwesen nur für zwei Dinge zur Verfügung steht: für die
Negativsummencharakter Tür und Tor geöffnet und den Liquiditätsversorgung des normalen Geschäftsbetriebs
Transmissionsmechanismus der Geldpolitik unterbro- der Realwirtschaft und für durch Geldschöpfung ge-
chen.5 Geld floss vor allem in spekulationsanfällige Ver- schaffene Kredite, mit denen reales gesamtwirtschaft-
mögenswerte statt in produktive realwirtschaftliche Akti- liches Wachstum in Form von zusätzlichen Sachinvesti-
vitäten. Die daraus entstandenen Preisblasen fraßen sich tionen finanziert werden.8 Der beste Weg, Kredite „aus
teilweise in den „normalen“ Preisindex – z.B. bei Heiz- dem Nichts“ in diese Verwendung zu zwingen, ist eine
kosten, Lebensmittelpreisen und Mieten – hinein, was die Rückkehr zum Trennbankensystem mit prohibitiv hohen
Geldpolitik nur mit Zinsanhebungen bekämpfen konnte. Eigenkapitalvorschriften für spekulative Finanzgeschäfte
Das aber traf in erster Linie die Sachinvestoren, die Real- sowie der Vorschrift, dass Banken, die Kredite vergeben,
wirtschaft und die Arbeitnehmer, während die Akteure an sie als Forderung in ihren Büchern behalten müssen und
den Finanzmärkten zu einem erheblichen Teil vom Staat nicht weiterverkaufen dürfen, weil sie nur dann das nö-
gerettet wurden. tige Interesse an Auswahl und Kontrolle der Projekte ih-
rer Schuldner haben. Zu einer solchen Welt gehören in
Weil es eine wirkliche Re-Regulierung des Finanzsys- Verbindung mit den Krediten „aus dem Nichts“ niedrige
tems nicht gegeben hat, liegt zwar die Realwirtschaft Realzinsen. Denn die ermöglichen eine wirtschaftliche
noch immer am Boden, aber die Spekulation mit Immo- Dynamik, die zu realen Einkommenszuwächsen führt,
bilien, Rohstoffen und Währungen hat zu alter „Stärke“ von denen alle profitieren, auch die Sparer. Nur aus re-
zurückgefunden und erneut Vermögenswerte und Preise alen Zuwächsen lassen sich nämlich Zinsen bezahlen,
steigen lassen, die teilweise auf den allgemeinen Preisin- hinter denen nicht heiße Luft, sondern tatsächlich Güter
dex durchwirken und für Verwirrung bei den Inflationsbe- stehen.
obachtern sorgen.6 Doch nicht die Notenbanken und ihre
Krisenpolitik sind der Adressat für diese Probleme, son- In einer wettbewerblich organisierten Marktwirtschaft
dern die Politik, die offenbar nicht in der Lage ist, dafür mit dergestalt regulierten Finanzmärkten spiegeln die
Preise für Waren und Dienstleistungen dann in erster Li-
nie die Produktionskosten wider. Da die Lohnkosten für
die Gesamtwirtschaft mit Abstand die wichtigsten Kos-
4 Vgl. UNCTAD: Trade and Development Report 2012.
5 Vgl. F. Spiecker: Bankengeld oder Zentralbankgeld?, in: FTD Wirt- ten sind, hängt die gesamtwirtschaftliche Inflationsrate
schaftswunder vom 29.4.2009; http://wirtschaftswunder.ftd.
de/2009/04/26/friederike-spiecker-bankengeld-oder-zentralbank-
geld/ (3.9.2012). 7 Vgl. F. Spiecker: Schulden machen, aber richtig, in: Le Monde diplo-
6 Vgl. UNCTAD: Price Formation in Financialized Commodity Markets: matique, Juni 2009, S. 8.
The Role of Information, New York, Juni 2011. 8 Vgl. H. Flassbeck, F. Spiecker: Das Ende der ..., a.a.O., S. 233 ff.

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Zeitgespräch

maßgeblich von der Entwicklung der Lohnstückkosten direkter Einkommenspolitik9 und eventuell mit expansiver
ab, also vom Lohnwachstum im Verhältnis zum Produkti- Finanzpolitik dagegenzuhalten. Doch aus der in Deutsch-
vitätswachstum. Preise werden weder von der Zentralbank land medial gepflegten Angst vor Hyperinflation und dem
noch von der Fiskalpolitik bestimmt und folglich liegt auch so platten wie falschen Glauben, „mehr“ Geld heize immer
die Veränderungsrate des gesamtwirtschaftlichen Preisni- die Inflation an, erwächst die Weigerung vieler auf die Wäh-
veaus, anders als viele meinen oder befürchten, nicht direkt lermehrheiten schielender Politiker, bei der Bekämpfung
in den Händen der Fiskal- und Geldpolitik. der Eurokrise endlich von der kontraproduktiven Sparthe-
rapie zu lassen.
Deflationsgefahr
Es ist eben einfacher, mit eingängigen, auf einzelwirtschaft-
Weil in der EWU alle bislang ergriffenen fiskal- und arbeits- lichem Denken fußenden Erklärungsmustern die Stammti-
marktpolitischen Anstrengungen zur Angleichung der Wett- sche für sich zu gewinnen, als durch unvoreingenommenes
bewerbsfähigkeit zwischen den EWU-Ländern auf Deflation Nachdenken dazuzulernen und sich der öffentlichen Aufklä-
hinauslaufen, die USA ganz nahe an einer deflationären Ent- rung in Sachen Makroökonomie zu verschreiben. Der Preis
wicklung sind und Japan noch immer offene Deflation auf- für diese kurzsichtige Haltung wird sehr hoch sein und wie-
weist, gibt es in der globalisierten Wirtschaft und insbeson- der in erster Linie von den Einkommensschwächeren bezahlt
dere in Europa gegenwärtig oder in absehbarer Zukunft kei- werden müssen.
nerlei Inflationsgefahr, aber ein gefährliches Deflationsrisiko.
9 UNCTAD schlägt in seinem Trade and Development Report 2012 vor,
Wegen der beschriebenen Asymmetrie der geldpolitischen dass Regierungen Lohnleitlinien vorgeben und/oder Signale durch
die Dynamik der von ihnen festgelegten Mindestlohnentwicklung an
Wirkungsmöglichkeiten folgt daraus die Notwendigkeit, mit
die Tarifpartner aussenden.

Stefan Bach, Gert G. Wagner


Steuergerechtigkeit als Zukunftsinvestition
Für den Abbau der Staatsverschuldung, die in Deutsch- Die Nach- und Vorteile einer erhöhten Inflation im Euroraum
land inzwischen bei gut 80% des Bruttoinlandprodukts werden in den anderen Beiträgen dieses Zeitgesprächs
(BIP) liegt, wird in weiten Teilen der Öffentlichkeit und der ausführlich diskutiert.2 Im vorliegenden Beitrag wird darauf
Politik zumeist eine Kombination von Wachstum und Ein- nur knapp eingegangen. Statt durch eine Inflationierung mit
sparungen bei den Staatsausgaben empfohlen. Die nahe unklaren Verteilungswirkungen und wirtschaftlichen Fol-
liegende Alternative, nämlich Steuererhöhungen, wurde gewirkungen werden hier die Möglichkeiten dargelegt, mit
fast 20 Jahre lang nicht ernsthaft diskutiert. Obwohl ge- gezielten Steuererhöhungen die Staatsschulden geordnet
zielte Steuererhöhungen zur Rückzahlung von Staats- und sozial ausgewogen zu senken. Dabei wird nur kurz auf
schulden auch eine Möglichkeit zur Entschuldung durch die Möglichkeiten von Erhöhungen der Einkommen-, Erb-
höhere Inflation ist. Auch über diese Alternative wird in schaft- und Grundsteuern eingegangen, intensiver aber auf
Deutschland praktisch gar nicht diskutiert, obgleich Infla- die Wiedereinführung einer Vermögensteuer sowie vor allem
tion das „klassische“ Instrument zur staatlichen Entschul- auf die Möglichkeiten und Grenzen einer einmaligen Ver-
dung ist. Aber Hyperinflationen und Währungsreformen mögensabgabe, wie sie im Rahmen des Lastenausgleichs
nach den beiden verlorenen Weltkriegen sind in Deutsch- nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben wurde.
land ein nationales Trauma. Das im internationalen Ver-
gleich hohe Maß an Preisstabilität der letzten Jahrzehnte Ausgabensenkungen kein Königsweg
gilt in Deutschland nach wie vor als erstrebenswert.1
In der breiten Öffentlichkeit und auch bei vielen Meinungs-
führern und Entscheidungsträgern ist die Vorstellung weit

1 Geldwertstabilität ist ein Ziel, dessen Priorität für die meisten politi-
schen Entscheidungsträger sogar über dem Wachstumsziel liegt, vgl. 2 Vgl. T. Straubhaar, H. Vöpel: Geldpolitik als „Krisen-Feuerwehr“
ISG: „Studie zur Wahrnehmung und Berücksichtigung von Wachs- –droht Inflation?; G. Illing: Kommunikationsprobleme unkonven-
tums- und Wohlstandsindikatoren“ im Auftrag der Enquete-Kommis- tioneller Geldpolitik; H. Flassbeck, F. Spiecker: Von hohen Staats-
sion „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bun- schulden und expansiver Geldpolitik zur Inflation? Keine globale
destages, Kommissionsmaterialie _-17 (26)11, http://www.bundestag. Inflations-, aber ernsthafte Deflationsgefahr, Zeitgespräch „Inflation
de/bundestag/ausschuesse17/gremien/enquete/wachstum/gutach- und Schuldenabbau“, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 9, S.
ten/m17-26-11.pdf, S. 24 ff. und S. 54 ff. 583-598.

Wirtschaftsdienst 2012 | 9
594
Zeitgespräch

verbreitet, dass es völlig verfehlt sei, die Steuern zu erhö- gesehen. Spielraum für größere Steuersenkungen gibt es
hen oder gar den Staat durch Inflation zu sanieren. Bes- jedenfalls nicht.
ser solle man die überflüssigen Staatsausgaben zurück-
führen, die es angesichts der vielfältigen Verschwendung Inflation als Ausweg?
von Steuermitteln reichlich gäbe. Betrachtet man dann
aber die Staatsausgaben im Detail und sucht nach kon- Gegen Inflation und für Geldwertstabilität sprechen die
kreten Einsparmöglichkeiten, dann werden umsetzbare unklaren wirtschaftlichen Wirkungen einer „Inflations-
Vorschläge rar, die wirklich weiterhelfen. Denn in den öf- steuer“. Sicher ist für die nächsten Jahre keine Hyperinfla-
fentlichen Haushaltsplänen findet man keinen Titel „öf- tion wie 1922/1923 zu befürchten, eher eine schleichende
fentliche Verschwendung“, den man kurzfristig um zwei- Inflation von 4 bis 5 Prozentpunkten. Schon eine solche
stellige Milliardenbeträge kürzen könnte. Auch die bürger- moderate Inflation könnte im Zusammenwirken mit niedri-
lichen Parteien, die traditionell für einen schlanken Staat gen Nominalzinsen über längere Zeiträume die Schuldner
plädieren, machen sich bezeichnenderweise inzwischen deutlich entlasten – und die Gläubiger schröpfen. Anders
gar nicht mehr die Mühe aufzuzeigen, wo konkret gespart als bei höheren Inflationsraten würde das keine größeren
werden könnte. makroökonomischen Schäden anrichten.

Sicher ist die Staatsbürokratie kein Hort der öko- Die schleichende Inflation bzw. „finanzielle Repression“3
nomischen Effizienz. Sicher ist auch der deutsche ist aber nicht verteilungsneutral. Sie belastet Vermögens-
Kooperations-Fiskalföderalismus ein Musterbeispiel für besitzer und Bezieher von Einkommen, die nicht bei der
ein beachtliches Maß organisierter Verantwortungslosig- höheren Inflation mithalten können. Das sind vor allem
keit. Sicher laufen Subventionen schnell aus dem Ruder die festverzinslichen Vermögenanlagen, also die Sparein-
– wie es derzeit in der Energiepolitik und bei der Fami- lagen, Rentenfonds, Lebensversicherungen und private
lienförderung zu beobachten ist, bei gleichzeitigem Ar- Rentenversicherungen einschließlich der betrieblichen
tenschutz für Subventionen aus der Vergangenheit. Aber Altersvorsorge – also die klassischen Vermögensanlagen
Verwaltungs- und Föderalismusreformen brauchen viel der Normalbürger. Aber auch Immobilien sind zumindest
Zeit, denn die Reformer müssen den mühseligen Kampf kurz- bis mittelfristig nicht unbedingt das sichere „Beton-
mit den staatlichen Leistungsbeziehern und den Bürokra- gold“, für das sie derzeit viele halten. Denn längerfristige
ten aufnehmen. Und zügige Subventionskürzungen kos- Mietverträge bei Gewerbeimmobilien und Vergleichs-
ten zunächst eher Geld, denn sie entwerten Investitionen mietensysteme bei der Wohnungsvermietung verhindern
und erhöhen die Arbeitslosigkeit, oft noch regional ge- häufig eine zügige Anpassung der Erträge an eine schlei-
ballt. Steuerausfälle, sowie höhere Ausgaben für die sozi- chende Inflation.
ale Sicherung und weitere Ausgleichsmaßnahmen stehen
den Einsparungen bei den Subventionen entgegen. Ei- Insoweit wirkt die Inflation(ssteuer) wie eine Vermögens-
nem langfristigen Nutzen von gezielten Ausgabenkürzun- abgabe, aber ohne Freibeträge; also vom ersten Euro an.
gen stehen hohe kurzfristige Kosten gegenüber. Und sie belastet vor allem die Vermögen der Normalbür-
ger. Anders als bei den derzeit diskutierten Plänen für
Insgesamt ist die Staatswirtschaft inzwischen besser als höhere „Reichensteuern“ werden somit vor allem die Mit-
ihr Ruf. Bei den viel gescholtenen sozialen Sicherungs- telschichten belastet. Die großen Vermögen, die überwie-
systemen hat es schon durchgreifende Reformen gege- gend aus Unternehmensbeteiligungen bestehen, wären
ben und auch in der Staatsbürokratie ist einiges verbes- dagegen von der schleichenden Inflation kaum betroffen.
sert worden. Man denke etwa an den Umbau der Bundes-
anstalt für Arbeit in die „Arbeitsagentur“. Und es gilt nun Gezielte Steuererhöhungen und Abgaben!
einmal, dass es Verschwendung in jeder großen Organi-
sation gibt. Viele Beispiele aus Großkonzernen sprechen Inzwischen mehren sich die Stimmen, die laut über Steu-
dafür. Es ist naiv zu glauben, dass der ideale Staat ohne ererhöhungen nachdenken.4 Angesichts der Entwicklung
Verschwendung auskommen könnte.
3 C. M. Reinhart, J. F. Kirkegaard, M. Belen Sbrancia: Financial Repres-
Geld wird es künftig auch kosten, dass im Zuge der sion Redux, http://www.imf.org/external/pubs/ft/fandd/2011/06/pdf/
Haushaltskonsolidierung der letzten Jahre „Zukunftsin- reinhart.pdf.
4 Entsprechende Vorschläge kommen nicht nur aus dem „rot-grünen
vestitionen“ vernachlässigt wurden. Das deutsche Vor- Lager“, sondern zunehmend auch aus „bürgerlichen Kreisen“, vgl.
schul- und Bildungssystem ist zunehmend unterfinan- etwa die neuesten Vorschläge von Paul Kirchhof, http://www.welt.
ziert. Die öffentliche Infrastruktur ist teilweise in einem de/politik/deutschland/article108723064/Wir-werden-zu-einem-Volk-
von-Sparern.html; oder die Vorschläge einer Kommission um Heinz
erbärmlichen Zustand. Energiewende und Klimawandel Dürr und Kurt Biedenkopf zur Schuldentilgung Ende 2011, http://
werden noch viel Geld kosten, von der Eurokrise ganz ab- www.publicgovernance.de/24159.htm.

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Zeitgespräch

der vergangenen Jahre ist auch die Perspektive denkbar, könnte der Schuldenstand in Deutschland ein deutliches
dass die Steuern zu niedrig waren – und nicht die Ausga- Stück näher an die im Maastricht-Vertrag festgeschriebe-
ben zu hoch. Es sollte aufhorchen lassen, dass es zuneh- ne 60%-Grenze zurückgeführt werden.
mend Millionäre gibt, die für sich selbst höhere Steuern
für gerechtfertigt halten.5 Dabei ist auch zu bedenken, Würde der Freibetrag auf 500 000 Euro pro Person (1 Mio.
dass in Deutschland die realen Einkommenszuwächse für Ehepaare) erhöht, wären nur noch gut 2% der Bevöl-
der letzten 15 Jahre weitgehend bei den reichsten 10% kerung betroffen, aber der Ertrag würde noch immer bei
der Bevölkerung anfielen, während die Mittel- und Un- 170 Mrd. Euro oder knapp 7% des BIP liegen.8 Bei einem
terschichten real verloren haben. Die Verteilung ist ent- derartigen Freibetrag wären z.B. normale Hausbesitzer
sprechend ungleicher geworden, und gerade die Hoch- gar nicht betroffen.
einkommensbezieher sind in diesem Zeitraum steuerlich
entlastet worden.6 Der wesentliche Vorteil einer solchen einmaligen und au-
ßerordentlichen Vermögensabgabe auf den vorhandenen
Höhere Steuern auf höhere Einkommen und Vermögen Vermögensbestand liegt aus ökonomischer Sicht darin,
wären vor diesem Hintergrund als ausgleichende Gerech- dass die Steuerpflichtigen ihr nicht ausweichen können.
tigkeit zu verstehen. Die Umverteilung von Einkommen, Denn eine Vermögensabgabe würde auf das in der jünge-
die insbesondere in den letzten zehn Jahren von unten ren Vergangenheit liegende Vermögen erhoben, und nicht
nach oben stattgefunden hat, würde wieder teilweise auf das regelmäßig aktualisierte Vermögen. Dadurch
rückgängig gemacht. Und mit einer einmaligen Vermö- kann es keine „Substitutionseffekte“ geben, die dadurch
gensabgabe könnten die Staatsschulden zügig zurück- entstehen, dass die Bürger ihr Geld umschichten, ins
geführt werden, die auf diverse Rettungsaktionen nach Ausland verlagern oder weniger investieren. Insoweit gibt
der Finanzkrise zurückgehen und manch einen Vermö- es keine „Zusatzlasten“ („excess burdens“) im Sinne der
gensbesitzer bisher vor Verlusten bewahrt hat – zu Lasten Optimalsteuerlehre. Wird die Zahlung der Vermögensab-
aller Steuerzahler. Das würde Spielraum für dringend not- gabe auf mehrere Jahre gestreckt, kann die Abgabe aus
wendige Investitionen in die öffentliche Infrastruktur wie den laufenden Erträgen des Vermögens gezahlt werden
z.B. Vorschulen, Schulen und Hochschulen oder auch in – wie dies auch beim Lastenausgleich nach dem zweiten
Straßen und Grünanlagen schaffen, und von fast der ge- Weltkrieg faktisch der Fall war. Rechtlich ist eine solche
samten Bevölkerung als gerecht angesehen. einmalige Vermögensabgabe des Bundes möglich zur
Finanzierung von außerordentlichen Ausgabenbedarfen,
Im DIW Berlin wurden in einer vieldiskutierten Studie kon- etwa durch die Finanzkrise oder auch durch die Energie-
krete Szenarien einer einmaligen Vermögensabgabe in wende.9
Deutschland durchgerechnet.7 Würde die Vermögensab-
gabe ab einem individuellen Nettovermögen von 250 000 Bei Erhöhungen von konventionellen Steuern, vor allem
Euro beziehungsweise 500 000 Euro für Ehepaare greifen, solchen auf hohe Einkommen und Vermögen, werden da-
betrüge die Bemessungsgrundlage 92% des BIP. Wenn gegen vielfältige Ausweich- und Verlagerungseffekte be-
insgesamt 10% der Bemessungsgrundlage abgeführt fürchtet. Verwiesen sei hier auf die intensive Diskussion in
würden, betrüge das Aufkommen gut 9% des Bruttoin- Großbritannien zur zeitweisen Erhöhung des Einkommen-
landsprodukts, also in heutigen Werten gerechnet etwa steuer-Spitzensteuersatzes auf 50% („50p“), auf die ak-
230 Mrd. Euro. Dieses Aufkommen könnte aus Liquidi- tuellen Steuererhöhungen in Frankreich unter dem neuen
tätsgründen über mehrere – z.B. zehn – Jahre mit Verzin- Präsidenten Hollande, auf die Diskussionen zu ähnlichen
sung der jährlichen Teilzahlungen verteilt werden. Betrof- Vorschlägen in Deutschland oder auf die ständigen Aus-
fen wären die 8% reichsten Bürger in Deutschland. Damit einandersetzungen in den USA um die Fortsetzung der
Steuererleichterungen für die hohen Einkommen.10
5 Die Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe ist eine Grup-
pe Vermögender, die an die Politik appelliert, Reiche durch eine Ver-
mögensabgabe stärker zu belasten, vgl. http://www.appell-vermoe-
gensabgabe.de; vgl. auch http://www.faz.net/-02465x; http://www. 8 Vgl. ebenda, S. 10.
tagesspiegel.de/wirtschaft/finanzkrise-das-gute-geld-der-superrei- 9 J. Wieland: Vermögensabgaben im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 5
chen/4549282.html; http://www.zeit.de/2011/36/Reiche. GG, Rechtsgutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung und der
6 J. Goebel, M. Gornig, H. Häußermann: Polarisierung der Einkom- Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Speyerer Arbeitsheft,
men: Die Mittelschicht verliert, in: Wochenbericht des DIW Ber- Nr. 208, http://www.uni-speyer.de/Publ/Arbeitshefte/Arbeitsheft-
lin, Nr. 24/2010, http://www.diw.de/documents/publikationen/73/ 208Wieland.pdf.
diw_01.c.357505.de/10-24-1.pdf. 10 Vgl. http://www.handelsblatt.com/politik/international/zwangsab-
7 S. Bach: Vermögensabgaben – ein Beitrag zur Sanierung der Staats- gaben-die-reichensteuer-ein-laendervergleich/6922730.html; http://
finanzen in Europa, in: Wochenbericht des DIW Berlin, Nr. 28/2012, www.zeit.de/wirtschaft/2011-05/schulden-usa-steuern; http://www.
http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.405701. spiegel.de/wirtschaft/soziales/schatzkanzler-legt-osborne-legt-briti-
de/12-28-1.pdf. schen-haushalt-vor-a-822883.html.

Wirtschaftsdienst 2012 | 9
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Zeitgespräch

Kasten 1
Historische Vorbilder für eine Vermögensabgabe in Deutschland1

In der Geschichte des modernen Kapitalismus hat es zahlreiche Finanz- und Staatsschuldenkrisen gegeben. 2 Bis zur Mitte des 20.
Jahrhunderts waren übermäßige Staatsschulden eher die Regel als die Ausnahme. Staatsbankrotte oder Fiskalinflationen kamen
häufig vor, insbesondere nach größeren Kriegen. In besonderen fiskalischen Notsituationen haben Regierungen häufig auf außer-
ordentliche Instrumente wie Vermögensabgaben oder auch Zwangsanleihen zurückgegriffen.3

In Deutschland gibt es seit Ende des 19. Jahrhunderts moderne Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuern, mit denen auch
die steuertechnischen Grundlagen für fiskalische Notinstrumente gelegt wurden. Vor allem nach den beiden Weltkriegen hat die
Politik in Deutschland auf Vermögensabgaben und Zwangsanleihen zurückgegriffen. Nach dem Ersten Weltkrieg scheiterten diese
Instrumente an der Inflation, erfolgreich aber war der „Lastenausgleich“ nach dem zweiten Weltkrieg. Dies wird interessanterweise
im ansonsten lesenswerten Überblick von Eichengreen4 verschwiegen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Westdeutschland ab 1949 eine Vermögensabgabe auf den Vermögensbestand von 1948
erhoben, die 1952 im Rahmen des Lastenausgleichs abschließend geregelt wurde.5 Die Bemessungsgrundlage orientierte sich
grundsätzlich an der Vermögensteuer, juristische Personen waren gesondert steuerpflichtig. Abgabepflichtig waren vor allem
Grund- und Betriebsvermögen entsprechend den steuerlichen Einheitswerten. Für Finanzvermögen gab es eine relativ hohe Frei-
grenze von 150 000 DM, da diese durch die Währungsreform 1948 im Verhältnis 10:1 auf D-Mark umgestellt worden waren. Für
natürliche Personen wurde ein persönlicher Freibetrag von 5000 DM gewährt, der bei höheren Vermögen abgeschmolzen wurde.
Zur Einordnung der genannten Nominalwerte: Das durchschnittliche rentenversicherungspflichtige Jahreseinkommen lag 1952 bei
3850 DM.6

Der Abgabesatz der Vermögensabgabe betrug 50%, wobei es für Kriegs- und Vertreibungsschäden Ermäßigungen gab. Die Ab-
gabeschuld wurde über 30 Jahre verteilt und in vierteljährlichen Beträgen bis 1979 erhoben. Insgesamt erbrachte diese Vermö-
gensabgabe ein Aufkommen von 42 Mrd. DM. Dies entsprach 60% des Bruttoinlandsprodukts von 1952. Entsprechend hatten die
Lastenausgleichsabgaben in den 1950er Jahren auch gesamtwirtschaftlich ein spürbares Gewicht. Durch die hohen Zuwachs-
raten bei Sozialprodukt und Einkommen reduzierte sich ihre wirtschaftliche Bedeutung und Belastungswirkung in den folgenden
Jahrzehnten schrittweise. Zugleich gelang es, nennenswerte Mittel für den Wiederaufbau und die Integration der Vertriebenen und
Flüchtlinge zu mobilisieren. Insoweit war der Lastenausgleich ein finanz-, wirtschafts- und sozialpolitischer Erfolg.

1 Vgl. S. Bach: Vermögensabgaben – ein Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen in Europa, in: Wochenbericht des DIW Berlin, Nr. 28/2012,
http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.405701.de/12-28-1.pdf, S. 5-7.
2 C. M. Reinhart, K. S. Rogoff: This Time Is Different: Eight Centuries of Financial Folly, Oxford, Princeton 2009; E. Chancellor: Reflections on the
sovereign debt crisis, GMO White Paper, 2010, http://blogs.reuters.com/felix-salmon/files/2010/07/chancellor.pdf; A. Manes: Staatsbankrotte,
2. Auflage, Berlin, http://archive.org/details/staatsbankrottew00maneuoft.
3 B. Eichengreen: The Capital Levy in Theory and Practice, NBER Working Paper, Nr. 3096, 1989, http://www.nber.org/papers/w3096.
4 Ebenda.
5 R. Hauser: Zwei deutsche Lastenausgleiche – Eine kritische Würdigung, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 80. Jg. (2011), S. 103-
122; L. Wiegand: Der Lastenausgleich in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1985, Frankfurt a.M. 1992.
6 Vgl. SGB 6, Anlage 1, http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_6/anlage_1_567.html.

Die Schattenseite der außerordentlichen Vermögensab- durchsetzbar und klug ist, ist sicherlich eine offene Frage.
gabe ist allerdings, dass die Steuerpflichtigen sich über- Aus Sicht der reinen Optimalsteuerlehre spricht durchaus
rumpelt und enteignet fühlen. Das ist der Preis, den man einiges für höhere Spitzensteuersätze.11 In den 1950er
für ein hohes Maß wirtschaftlicher Neutralität zu zahlen Jahren hat ein solch hoher Satz der wirtschaftlichen Ent-
hat.

Höhere Steuern für Gutverdienende und Vermögende lie-


gen inzwischen in den westlichen Demokratien durchaus 11 Vgl. dazu E. Saez, J. Slemrod, S. H. Giertz: The Elasticity of Taxa-
ble Income with Respect to Marginal Tax Rates: A Critical Review,
wieder im Trend. Ob – wie in Frankreich im Gespräch – in: Journal of Economic Literature, Nr. 50 (2012), S. 3-50, http://dx/
bei der Einkommensteuer ein Spitzensteuersatz von 75% doi=10.1257/jel.50.1.3.

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Zeitgespräch

wicklung der USA oder Deutschlands nicht besonders ge- venz vertrauen, suchen sie den sicheren Hafen Deutsch-
schadet. land und sind dafür teilweise sogar bereit, bei kurzfristi-
gen Anlagen eine negative Verzinsung hinzunehmen, also
Schuldenbremse erst nach Entschuldung glaubhaft eine Liegegebühr für ihr Geld an den Deutschland-Hafen
zu zahlen. Auch für länger laufende Staatsschuldtitel lie-
Angesichts hoher Staatsschulden ist eine Kürzung der gen die Zinsen derzeit (Ende August 2012) unter 1,5%.13
Staatsausgaben keineswegs alternativlos. Und eine Ver- Dadurch wird die Zins-Steuer-Quote, also die Relation
mögensabgabe ist nicht das einzige steuerpolitische Ins- der Zinsausgaben auf die Staatsschulden zu den Steuer-
trument, über das nachzudenken ist. Neben einer stärke- einnahmen, dieses Jahr auf 10,6% sinken. Im Jahr 2007
ren Progression bei der Einkommensteuer und Einschrän- lag sie noch bei 12% und Mitte der 1990er Jahre sogar
kungen von Steuervergünstigungen bei der Unterneh- bei 16%, und das bei damals deutlich niedrigeren Staats-
mensbesteuerung oder der Besteuerung von Immobilien schulden. Aber die Zinsen werden auf Dauer nicht so nied-
gibt es viele sinnvolle Vorschläge zu Steuererhöhungen rig bleiben. Wenn dann die Schuldenbremse eingehalten
bei der Grundsteuer oder bei der Erbschaftsteuer. Es ist werden soll, müssten Staatsausgaben gekürzt werden.
die Aufgabe der Politik, aus den verschiedenen Vorschlä- Dass dies dann tatsächlich passieren wird, ist äußerst
gen für höhere „Reichensteuern“ ein ausgewogenes Paket zweifelhaft trotz entsprechender Regeln im Grundgesetz.
zu schnüren. Dazu können auch eine höhere und „schlupf-
lochfreie“ Erbschaftsteuer, eine kräftigere Besteuerung Wer die grundsätzlich positiven Wirkungen der Schulden-
höherwertiger Immobilien, Anpassungen bei den steu- bremse verwirklichen will, der muss vorher – so behaup-
erlichen Rahmenbedingungen von Stiftungen und eine ten wir – die Staatsverschuldung zügig in Richtung der
grundgesetzkonforme Vermögensteuer gehören.12 Dann Maastricht-Grenze von 60% des Bruttoinlandsprodukts
können maßvolle Steuererhöhungen – gerade für ein pro- herunterfahren. Nur dann wird bei Einhaltung der Schul-
sperierendes Land wie Deutschland – eine sinnvolle Zu- denbremse aus den laufenden Steuerzahlungen genug
kunftsinvestition sein. Geld für öffentliche Investitionen und den Sozialstaat auf-
zubringen sein. Und diese Rückführung der Staatsschul-
Erst die zügige Entschuldung des Staates macht auch die den ist sozialverträglich weder durch Ausgabenkürzungen
ins Grundgesetz geschriebene „Schuldenbremse“ glaub- noch mit Inflation, sondern am effektivsten mit einer Ver-
haft. Die Staatsverschuldung ist in Deutschland zurzeit mögensabgabe zu erreichen. Die Vermögensabgabe ist
leicht zu tragen und nährt den Glauben einer effektiven somit auch das Finanzierungsinstrument, das am besten
Schuldenbremsung, weil die Eurokrise die Soll-Zinsen für zu einem „Schuldentilgungspakt“, wie ihn der Sachver-
den Bundesfinanzminister auf ein historisches Tief ge- ständigenrat zur Lösung der Europäischen Schuldenkrise
bracht hat. Da Anleger nach wie vor auf die deutsche Sol- vorschlägt, passt.14

12 B. Rürup: Nur mit dem Geld der „Reichen“ geht es nicht, Handelsblatt
Online,18.7.2012, http://www.handelsblatt.com/meinung/kolumnen/ 13 Vgl. http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Statis-
kurz-und-schmerzhaft/professor-chiffre-nur-mit-dem-geld-der- tiken/Geld_Und_Kapitalmaerkte/Zinssaetze_Renditen/stat_uren-
reichen-geht-es-nicht/6888324.html. Auf die Probleme wie Vorzüge dite_wpart.pdf?__blob=publicationFile.
einer laufenden Vermögensteuer wollen wir hier nicht im Detail ein- 14 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
gehen. Eine laufende Vermögensteuer hätte den Vorteil, dass sie Entwicklung: Nach dem EU-Gipfel: Zeit für langfristige Lösungen nut-
im Gegensatz zu einer Vermögensabgabe nicht den Anschein einer zen, 5.7.2012, http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/filead-
„rückwirkenden“ Besteuerung erwecken würde. min/dateiablage/download/publikationen/sg2012.pdf.

Title: Inflation and Debt Reduction


Abstract: The European Central Bank (ECB) recently announced its willingness to do whatever is needed to save the euro. This has
raised the question whether such a role of the ECB must lead to higher rates of inflation. Under current recessive macroeconomic
conditions in the eurozone, the ECB’s expansionary monetary policy will not lead to higher inflation. On the contrary, there is a serious
danger of deflation. Higher inflation would likely occur only if a permanent stabilisation function were assigned to the ECB. Yet histori-
cal examples show that mistakes can be made. During the stagnation in Japan, US economists heavily criticised the Bank of Japan’s
timid monetary policy response. But in some sense, current Fed policy seems to be a direct copy of that strategy, caused by uncertainty
about the proper communication channel. An inflation tax could help to bring down the mounting public debt in the wake of the fi nancial
crisis, but higher wealth taxes have more transparent distributional effects.
JEL-Classification: E31, E42, E50

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