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James D. G. Dunn · Richard B. Hays
Hermann Lichtenberger
herausgegeben von
Michael Wolter
Band 114
WDE
G
Walter de Gruyter · Berlin · New York
2002
Bereitgestellt von | Universiteit Leiden / LUMC
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Der historische Jesus
Tendenzen und Perspektiven
der gegenwärtigen Forschung
Herausgegeben von
Jens Schröter und Ralph Brucker
WDE
_G
Walter de Gruyter · Berlin · New York
2002
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® Gedruckt auf säurefreiem Papier,
das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-11-017511-8
© Copyright 2002 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin
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Vorwort
Wir danken des weiteren den Herausgebern der Reihe „Beihefte zur
Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der
älteren Kirche", den Herren Professoren Dr. Michael Wolter, Dr. James
D. G. Dunn, Dr. Richard B. Hays und Dr. Hermann Lichtenberger, für
die Sympathie, die sie dem Unternehmen eines solchen Bandes von Be-
ginn an entgegengebracht haben, sowie für die Bereitschaft, ihn in dieser
Reihe zu publizieren.
Last but not least: Ein herzlicher Dank ergeht an den Verlag Walter de
Gruyter - und hier insbesondere an Herrn Dr. Claus-Jürgen Thornton -
für die stets kompetente und freundliche Zusammenarbeit während der
Erstellung des Bandes. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, die Arbeit der
Herausgeber zu einem angenehmen Erlebnis werden zu lassen.
Vorwort V
W E R N E R H . KELBER
Der historische Jesus
Bedenken zur gegenwärtigen Diskussion aus der Perspektive
mittelalterlicher, moderner und postmoderner Hermeneutik 15
MICHAEL MOXTER
Erzählung und Ereignis
Uber den Spielraum historischer Repräsentation 67
DAVID S . DU T O I T
Der unähnliche Jesus
Eine kritische Evaluierung der Entstehung des Differenzkriteriums
und seiner geschichts- und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen . . 89
JAMES D . G . D U N N
"All that glisters is not Gold"
In Quest of the Right Key to unlock the way to the historical Jesus . . 131
JENS S C H R Ö T E R
Von der Historizität der Evangelien
Ein Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion um den historischen Jesus . . 163
CHRISTOPHER M . TUCKETT
Q and the Historical Jesus 213
DAVID E . A U N E
Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions
A Critique of Conflicting Methodologies 243
JÖRG FREY
Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 273
HERMUT LOHR
Jesus und der N o m o s aus der Sicht des entstehenden Christentums
Zum Jesus-Bild im ersten Jahrhundert n. Chr.
und zu unserem Jesus-Bild 337
MICHAEL WOLTER
„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth
und Johannes dem Täufer
Semantische und pragmatische Beobachtungen 355
PETR POKORNY
Stilistische und rhetorische Eigentümlichkeiten
der ältesten Jesustradition 393
ULRICH LUZ
Warum zog Jesus nach Jerusalem? 409
ANDREAS LINDEMANN
Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas
Erwägungen zum Verhältnis von Bekenntnis und historischer Erkenntnis
in der neutestamentlichen Christologie 429
Autorenverzeichnis 463
Register 465
Die Beschäftigung mit Jesus von Nazareth stellt eine der zentralen Auf-
gaben und zugleich eine der großen Herausforderungen christlicher
Theologie dar. Gründet sich das Christentum auf Wirken und Geschick
Jesu als eines galiläischen Juden des 1. Jahrhunderts, so stellt sich die Fra-
ge, wie ein Bezug zu dieser Person herzustellen ist, unter den jeweils lei-
tenden Prämissen der Deutung von Wirklichkeit immer wieder neu. Ver-
schiedene hermeneutische und methodische Zugänge zur Vergangenheit
haben deshalb immer auch in den Jesusbildern Ausdruck gefunden, die sie
hervorbrachten.
Eine der wichtigsten Entwicklungen der neueren Jesusforschung be-
steht darin, daß sie auf diesen Zusammenhang zwischen dem Bezug auf
Jesus und den jeweiligen Prämissen, die unser Bild von der Vergangenheit
steuern, aufmerksam gemacht hat. Damit werden neuere Einsichten in der
Erkenntnis- und Geschichtstheorie aufgenommen. Diese besagen, daß die
Beschäftigung mit den „Uberresten der Vergangenheit" (um einen Aus-
druck des Begründers der modernen Historik, J O H A N N GUSTAV D R O Y -
SEN, aufzunehmen) niemals zu einer Wiederherstellung der Vergangenheit
führt. Sie erfolgt vielmehr stets als ein sich die Uberreste aneignender, sie
zu einem Bild von der Vergangenheit zusammensetzender Bezug auf zu-
rückliegende Ereignisse. Kann dieses, aus späterer Perspektive gezeich-
nete und auf der Deutung der Uberreste basierende Bild niemals mit der
Vergangenheit selbst identisch sein, ist Geschichte als Aneignung der Ver-
gangenheit immer schon eine Hypothese darüber, wie es gewesen sein
könnte, die der Orientierung in der Gegenwart dient.
Angewandt auf die Jesusforschung bedeutet dies, daß Bilder, die von
Jesus entworfen werden, zwischen der jeweiligen Gegenwart und derjeni-
gen Person, bei der das Christentum seinen Ausgang genommen hat,
vermitteln. Dieses zu bedenken, bedeutet zugleich, die Beschäftigung mit
Jesus in den weiteren Horizont hermeneutischer Reflexionen einzu-
stellen. Damit ist ein erster Schwerpunkt der hier versammelten Beiträge
benannt.
Mit dem Beitrag von D A V I D S . DU T O I T steuert der Band auf die konkre-
ten Fragenkreise der gegenwärtigen Jesusforschung zu. Du T O I T nimmt
das Differenzkriterium ins Visier, um daran das Methodenproblem der
historisch-kritischen Jesusforschung zu verdeutlichen. Vorausgesetzt ist
dabei nicht nur die schon von E R N S T KÄSEMANN konzedierte Einschrän-
kung, daß das Differenzkriterium nur erfassen kann, was Jesus von sei-
nem historischen Kontext unterscheidet, vorausgesetzt ist vielmehr auch,
daß es sich eigentlich um ein doppeltes Kriterium handelt, insofern so-
wohl die Differenz zum Judentum als auch diejenige zum Urchristentum
(oder beide) gemeint sein können.
Du T O I T geht auf dieser Basis den beiden „Differenzen" nach, mit
denen Jesus seit Beginn der historisch-kritischen Jesusforschung zum
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Einleitung 5
Christentum und zum Judentum ins Verhältnis gesetzt wurde. Die These
der Differenz zum Christentum verfolgt DU TOIT auf einer Linie, die bei
HERMANN SAMUEL REIMARUS b e g i n n t u n d bis z u WILHELM HEITMÜLLER
führt. Aufschlußreich ist dabei, daß die Annahme dieser Differenz die
liberale Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts und die mit KAHLER
und WREDE einsetzende Problematisierung des historischen Wertes der
Evangelien verbindet: Hier wie dort wird versucht, über die ältesten
Quellen - seien es auf der Basis der Zwei-Quellen-Theorie M k und Q , sei
es auf der Grundlage der Formgeschichte die hinter diesen liegende
mündliche Uberlieferung - zu Jesus selbst vorzustoßen. D a s Differenz-
kriterium dient dabei in beiden Fällen zu einer kritischen Sichtung der
Uberlieferung, nach deren ältester Schicht gesucht wird.
Der behaupteten Differenz Jesu zum Judentum widmet sich DU TOIT
in einem eigenen Abschnitt, indem er dessen geistesgeschichtliche Prä-
missen offenlegt. Diese sieht er zum einen in der für die Geschichts-
auffassung des 19. Jahrhunderts zentralen Kategorie der Individualität,
zum anderen in einem Negativbild des antiken Judentums, von dem
Jesus abgesetzt wurde. Die Zusammenführung beider Differenzen - und
damit die Etablierung des doppelten Differenzkriteriums in der Jesusfor-
schung - ist nach DU TOIT wesentlich mit BULTMANN verbunden, der das
Individualitätsideal des Historismus mit den Prämissen der Religions-
geschichtlichen Schule verbunden habe und auf diese Weise bis in die
gegenwärtige Jesusforschung hineinwirke.
D u TOIT stellt dem eine Alternative entgegen, die auf anderen er-
kenntnistheoretischen Prämissen basiert. Er bestreitet die Angemessen-
heit der Anwendung eines archäologischen Modells, das in Texten nach
ältesten Schichten „gräbt", um auf diese Weise näher an die historische
Wirklichkeit zu gelangen. Dieses Modell sei insonderheit darum unange-
messen, weil es die Tatsache, daß wir es bei der Jesusüberlieferung mit ei-
nem ursprünglich mündlichen Phänomen zu tun haben, zu wenig in
Rechnung stellt. Demgegenüber gelte es, mit der Einsicht ernst zu ma-
chen, daß Jesus als Person der Vergangenheit nur in seinem historischen
Kontext zu erfassen ist; die „Karte, auf der Jesus zu verorten ist", müsse
gerade „die spezifischen Kontinuitäten zwischen zeitgenössischem Juden-
tum und frühem Christentum berücksichtig[en]".
Der Beitrag von JAMES D . G . DUNN läßt sich als Präzisierung und Wei-
terführung desjenigen von DU TOIT lesen. Er geht zunächst verschiedenen
Wegen der neuen Jesusforschung nach, auf denen der Schlüssel zum
historischen Jesus gefunden werden sollte.
Ein Weg besteht darin, über die Identifizierung einer frühen weisheitli-
chen Schicht in Q und deren vermuteter Analogie im Thomasevangelium
an die Verkündigung Jesu zu gelangen. Dieses Modell ist in Teilen der
JENS SCHRÖTER setzt diese Richtung fort, indem er nach der Historizität
der Evangelien fragt. Er arbeitet zunächst als eines der wesentlichen Cha-
rakteristika der neuen Jesusforschung heraus, daß sie sich als historische
Disziplin verstehe, wohingegen in früheren Phasen oftmals die theologi-
sche Dimension der Jesusfrage im Vordergrund gestanden habe. Sodann
führt er aus, daß der historische Wert der Evangelien in der historisch-kri-
tischen Forschung mit zwei Argumenten bestritten wurde:
Eine Linie beginnt bei DAVID FRIEDRICH STRAUSS und setzt sich über
WREDE und BULTMANN bis in die gegenwärtige Jesusforschung hinein
fort. Auf dieser Linie wurde die „mythische" bzw. „kerygmatische" Prä-
gung der Uberlieferung gegen ihren historischen Wert ins Feld geführt -
mit der Konsequenz, daß sich die Forschung auf die Worte und Gleich-
nisse Jesu konzentriert, den deutenden „Rahmen" dagegen beiseite ge-
schoben habe. Dieser Weg, der in BULTMANNS Jesusbuch deutlich zum
Ausdruck kommt, ist in SCHRÖTERS Augen keineswegs überzeugend: Die
Evangelien seien nicht einfach als legendarische, mythische Erzählungen
ohne historischen Wert zu betrachten, sondern stellten gerade eine Ver-
bindung von Ereignis und dessen späterer - ζ. T. durchaus auch mythi-
scher - Deutung dar. Zudem sei es eine geschichtsmethodologisch defi-
zitäre Sicht, die Verkündigung Jesu als eine ihres historischen Kontextes,
in den sie in den Erzählungen der Evangelien eingebettet sei, entkleidete
Botschaft zu deuten und die historischen Erinnerungen der Evangelien als
unwesentlichen „zeitgeschichtlichen Rahmen" beiseite zu stellen.
Die zweite Linie ist die mit KARL LUDWIG SCHMIDT einsetzende T h e s e
der literarischen Fiktion. Die richtige Beobachtung, daß die Darstellung
des Wirkens und Geschicks Jesu in den Evangelien ein Produkt des Ver-
fassers der jeweiligen Schrift ist, hat zu Unrecht dazu geführt, diese Dar-
stellungen als historisch wertlos zu betrachten und sich im Gefolge der
Formgeschichte auf die „kleinen Einheiten" zu konzentrieren. SCHRÖTER
macht demgegenüber geltend, daß die Beobachtung, es handle sich bei
den Evangelien um Erzählungen, die sich auf vergangene Wirklichkeit
beziehen, gerade dazu führen müsse, das Verhältnis von Erzählung und
Ereignis - hier ist ein Bezug zu dem Beitrag von MOXTER unverkennbar -
zu erfassen.
Diesen Weg beschreitet SCHRÖTER in Anlehnung an RICŒUR, von dem
er den Begriff der „Repräsentanz" vergangener Ereignisse bzw. Personen
in der historischen Erzählung übernimmt. Er exemplifiziert dies anhand
des Markus evangeliums in der Weise, daß er nach Facetten fragt, die sich
historisch auswerten lassen. Genannt werden deren drei: Johannes der
Täufer und dessen Verhältnis zu Jesus, die Konzentration der Wirksam-
keit Jesu auf die Dörfer Galiläas, der gegenüber das völlige Fehlen einer
Erwähnung von Sepphoris und Tiberias auffällt, sowie schließlich die
Schilderung der Reisen Jesu in die an Galiläa angrenzenden Gebiete. Bei
alledem geht es dezidiert nicht darum, in historistischer Manier eine
Identität von Erzählung und Ereignis zu behaupten. Vielmehr läßt sich
gerade auf der Grundlage der methodischen Einsicht, daß es sich hierbei
um ein Verhältnis der Analogie handelt, Repräsentanz also Gemeinsam-
keit und Differenz gleichermaßen umschließt, der Wert der Evangelien als
Erzählungen, die sich auf vergangene Wirklichkeit beziehen, erheben.
daß wir es bei Q mit einem Dokument zu tun haben, das ältere Traditio-
nen aus einer bestimmten Perspektive aufgreift und anordnet.
Im zweiten Teil seines Beitrags wendet sich TUCKETT anhand von zwei
speziellen Themen dem Beitrag von Q für die Frage nach dem histori-
schen Jesus zu. Das erste betrifft die in den Evangelien beschriebenen
Sabbat-Konflikte, die anscheinend in Q nicht vorkamen. TUCKETT wendet
sich gegen KLOPPENBORG VERBINS Vorgehen, hieraus vorschnell histori-
sche Schlußfolgerungen abzuleiten: Zum einen sei der Befund nicht völlig
eindeutig (Lk 14,5/Mt 12,11 könne eine Reminiszenz an eine Q - U b e r -
lieferung darstellen), zum anderen sei es sehr wohl denkbar, daß Q von
Konflikten um den Sabbat wußte, sie aber aufgrund der auch anderweitig
erkennbaren positiven Stellung zur Tora überging. Das zweite Thema ist
die Gerichts- und Gottesreichsvorstellung in Q und deren Auswertbar-
keit im Blick auf den historischen Jesus. Auch hier sei es fragwürdig, die
in Q erkennbare Vorstellung eines innerweltlichen Gerichtes und eines
unmittelbaren Eingreifens Gottes als Elemente der Q-Redaktion zu erklä-
ren und damit von einem Bild Jesu auszuschließen. Dagegen spreche auch
die in den synoptischen Evangelien und Q durchgehend anzutreffende
Einordnung der Verkündigung Jesu in den Horizont des Auftretens des
Täufers. Abschließend warnt TUCKETT prinzipiell davor, polemische
Aspekte von Jesus fernzuhalten und späteren Schichten zuzuweisen. Hier
bestehe die Gefahr einer unplausiblen Konstruktion, die nicht mehr ver-
ständlich machen könne, warum Jesus auf massiven Widerstand gestoßen
sei, der schließlich sogar zu seiner Hinrichtung geführt habe.
DAVID E. AUNE befaßt sich mit dem historischen Wert der apokryphen
Jesusüberlieferung. Zur Auseinandersetzung wählt er die Jesusdarstellun-
gen v o n JOHN P. MEIER u n d JOHN DOMINIC CROSSAN, die auf sehr
unterschiedliche Weise mit dieser Frage umgehen: Schließt MEIER die
außerkanonische Uberlieferung aus seinem Jesusbild praktisch völlig aus,
spielt sie bei CROSSAN eine zentrale Rolle. AUNE stellt zunächst die Frage
nach der methodischen Grundlage dieser Differenz. MEIER schließt die
apokryphe Uberlieferung mit dem theologischen Argument einer einheit-
lichen Glaubensüberzeugung im Urchristentum aus und unterläuft damit
die von ihm selbst programmatisch vertretene Trennung von theologi-
scher und historischer Fragestellung. Auf dieser Linie werde auch das
Thomasevangelium, das AUNE in seinem Beitrag besonders interessiert,
deshalb aus einer historischen Analyse ausgeschlossen, weil es von MEIER
als gnostisch eingestuft wird. AUNE problematisiert nicht nur diese
Zuweisung, sondern auch die Logik der Argumentation. Schließlich stellt
er auch MEIERS Argumentation über das Verhältnis des Thomasevange-
liums zu den synoptischen Evangelien auf den Prüfstand und kommt zu
dem Schluß, daß es hier einer differenzierteren Bestimmung bedürfe als
Begriff „Reich Gottes" und die mit ihm verbundenen Wendungen (die
„Nähe" des Reiches, das „Eingehen" in das Reich, aber auch die außer-
kanonisch bezeugte Wendung „das Geschlecht ohne König") sowie die
Betonung des „Glaubens", von dessen Wortstamm wohl Jesus selbst den
Ausdruck „Kleingläubigkeit" neu geprägt habe. Zahlreicher sind die rhe-
torischen Eigentümlichkeiten, von denen POKORNY „nur einen Aus-
schnitt" vorstellt: Verstehe man den Begriff „Reich Gottes" als „Grund-
metapher" (nach RICOEUR und JÜNGEL), etwas, das sprachlich nicht
anders ausgedrückt werden könne, so sei auch deren weitere Deutung nur
durch metaphorische Sprache möglich; genannt werden hier die Gleich-
nisse vom Reich, die Zusage des Reiches an „unerwartete Adressaten"
sowie als Sonderfall die „amoralischen Gleichnisse". Auch rhetorische
„Intensivierungen" seien für die älteste Jesustradition bezeichnend; hierzu
nennt POKORNY die Anrede in der 2. Person bei den Seligpreisungen, die
Abba-Anrede Gottes sowie Hyperbeln und „sokratische Gegenfragen".
Schließlich falle auf, daß die rhetorisch durchaus übliche Verwendung von
Sprichwörtern und sprichwörtlichen Wendungen in der Jesustradition
einen deutlichen Hang zur Rätselhaftigkeit bzw. Neuinterpretation auf-
weise. Insgesamt werde aus den angeführten Beobachtungen die innova-
tive, vorgegebene Traditionen relativierende Sprachkraft der Verkündi-
gung Jesu deutlich.
Die von U L R I C H L U Z gestellte Frage „Warum zog Jesus nach Jerusa-
lem?" wird, nach dem Siegeszug der Formgeschichte, in den Jesusbüchern
des 20. Jahrhunderts eher vage beantwortet. Luz möchte, in Anknüpfung
an ALBERT SCHWEITZER, diese „Frage des 19. Jahrhunderts wiederauf-
nehmen". Dazu rekurriert er zunächst auf die zeitgenössischen Quellen,
v. a. Josephus, nach denen Jerusalem im 1. Jahrhundert „ein für einen
Propheten gefährlicher Ort" war. Dies müsse Jesus klar gewesen sein, er
müsse also die Lebensgefahr „bewußt in Kauf genommen haben", zumal
seine Wirksamkeit schon in Galiläa auf Widerstand gestoßen sei. Luz
verfolgt sodann Jesu Verhalten in Jerusalem - seinen Einzug in die Stadt,
die Tempelreinigung und die Ankündigung der Zerstörung des Tempels -
und kommt auch hier zu dem Schluß, daß Jesus „seinen möglichen Tod
bewußt in Kauf genommen oder ihn sogar gewollt" habe. Für die Frage,
welchen Sinn Jesus selber mit seinem Tod verbunden haben könnte,
stützt sich Luz auf das Logion Lk 12,49f und die Einsetzungsworte zum
Abendmahl Mk 14,22-25 und kommt zu der vorsichtigen Antwort, es sei
„denkbar, aber wirklich höchstens denkbar, daß Jesus seinen Tod in den
Zusammenhang der endzeitlichen Drangsale gestellt hat [ . . . ] , daß er
durch ihn das Kommen des Gottesreichs beschleunigen oder gar herbei-
führen wollte" und daß er vielleicht sogar „durch seinen eigenen Tod
stellvertretend seinen Jüngern das Erleiden der endzeitlichen Drangsale
ersparen wollte".
WERNER H . KELBER
But as the dialectic of the Enlightenment unfolded, it became trapped in ever nar-
rower models of what could count as truth.
DAVID TRACY
The force of fact as modernity has constructed it has not gone uncontested.
EDITH WYSCHOGROD
The best ethical criticism, ancient and modern, has insisted on the complexity and
variety revealed to us in literature, appealing to that complexity to cast doubt on
reductive theories.
M A R T H A NUSSBAUM
By locating the world in relation to its creative origin we override the plurality and
opacity of the world as phenomenologically accessible.
JOSEPH STEPHEN O ' L E A R Y
The Early Church remains a period still charged with more than academic interest
for many readers. Stereotypes, alternately placid and histrionic, gravitate around
with remarkable ease.
PETER BROWN
1 Dieser Artikel erschien ursprünglich unter dem Titel "The Quest for the Historical
Jesus: From the Perspectives of Medieval, Modern, and Post-Enlightenment Readings,
and in View of Ancient, Oral Aesthetics" in The Jesus Controversy: Perspectives in
Conflict, Trinity Press, Pa, 1999. Ich bedanke mich bei Henry L. Carrigan, Jr, Editorial
Director, Trinity Press International, für die Erteilung der Erlaubnis zur Publikation
dieser überarbeiteten Fassung in deutscher Sprache.
Einen durch historische Forschung gesicherten Jesus wird es nicht geben, sondern
nur vorläufige, der Veränderung unterworfene Rekonstruktionen.
JENS SCHRÖTER
von HENRI DE LUBAC vorgelegte These 2 postulierte, daß jeder Text einen
vierfachen Textsinn beinhaltete, beziehungsweise einem solchen zugäng-
lich war: der wörtliche Schriftsinn, der grammatikalischen und philologi-
schen Details auf die Spur ging; der allegorische Schriftsinn, der nach hö-
heren und tieferen Bedeutungen Ausschau hielt; der ethische Schriftsinn,
der moralischen Sensibilitäten Rechnung trug; und der geistige Sinn, der
zu himmlischen Wahrheiten aufstrebte. Ob man nun die vierfache Potenz
völlig ausschöpfte oder nur einen zweifachen oder dreifachen Schriftsinn
berücksichtigte, dem geistigen Sinn wurde in jedem Fall der Primat zuer-
kannt.
Die mittelalterliche Exegese mag den modernen Interpreten verblüffen,
wie sie imstande war, diversen und heterogenen Lesarten in einem ein-
heitlichen Interpretationsmodell Raum zu schaffen. Man hielt es in vielen
Fällen für durchaus angemessen, der wörtlichen, grammatologischen Ei-
genständigkeit biblischer Texte nachzugehen, den mehr oder weniger
weiten Spielraum allegorischer Nuancen und Bedeutungsumformungen
zu ermessen und ethische Implikationen in Erwägung zu ziehen und all
diese exegetischen Möglichkeiten in einem hermeneutischen Modell zu
integrieren, das unter der Voraussetzung Gültigkeit besaß, daß der geisti-
ge Sinn als letzte Instanz ewiger Wahrheiten anerkannt wurde.
Was der Vielfalt ein integrierendes Einheitsmoment verlieh, war die
Prämisse, daß die Bibel als Wort Gottes verstanden wurde. Das bedeutete
unter anderem, daß die Gesamtheit biblischer Texte als ein einheitliches,
von einer einzigen Intention getragenes Kommunikationsmodell gedacht
war. In Predigten und erbaulichen Auslegungen konnten mittelalterliche
Theologen den gesamten Textraum der Heiligen Schrift durchmessen,
wobei sie Paulus und die Psalmen, Genesis und die Johannesapokalypse
ohne Rücksicht auf jeweilige textspezifische Situationen zitieren konnten,
da sie von der Uberzeugung getragen waren, daß es sich bei der Bibel
zwar um eine Sammlung unterschiedlicher Texte, im Grunde aber um eine
einheitliche Botschaft handele.3
Wenn man sich näher mit dem theologisch-exegetischen Denken des
hohen und späten Mittelalters befaßt, so läßt sich eine in gewissen Krei-
sen gepflegte Tendenz beobachten, der Erfassung des wörtlichen Sinnes
größere Aufmerksamkeit zuzuwenden. So legten beispielsweise im 12.
Jahrhundert Hugo und Andreas vom Stift St. Viktor in Paris den Schwer-
punkt ihrer Exegese auf den wörtlichen, vom Autor intendierten Text-
sinn. Hugo machte sich über Exegeten lustig, die über den wörtlichen
Sinn hinweghuschten, um so rasch wie möglich ins heilige Mysterium des
geistigen Sinnes vorzudringen. In bezug auf Andreas bemerkte BERYL
SMALLEY: " N O western [Christian] commentator before him had set out
to give a purely literal interpretation of the Old Testament." Und sie fuhr
fort, man traue seinen Augen kaum ("One sometimes rubs one's eyes"),
wenn man einen christlichen Theologen des 12. Jahrhunderts beobachtet,
wie er das Alte Testament in völlig unchristologischer Weise lesen kann,
ohne dabei in offensichtliche Schwierigkeiten zu geraten.4 Bemerkens-
werterweise haben weder Hugo noch Andreas den geistigen Sinn in Frage
gestellt. Vielmehr rechtfertigten sie ihre Neigung zum wörtlichen Sinne
damit, daß sie die Grundlage für den geistigen Sinn zu befestigen beab-
sichtigten.
Im 14. und 15. Jahrhundert präzisierte die philosophische Richtung des
Nominalismus erkenntnistheoretische Prinzipien bezüglich Sprache,
Sinngebung und Wirklichkeit und leitete damit eine Geistesströmung ein,
welche richtungsweisend für die via moderna sein sollte. Es war insbeson-
dere der Franziskaner William von Ockham (ca. 1285-1349)5, gebürtiger
Engländer, verurteilt in Avignon und gestorben im Münchner Exil, der
die herkömmliche Vorstellung, daß Sprache, einschließlich biblischer
Texte, auf geistige Realitäten, gewissermaßen auf transzendentale Signifi-
kate außerhalb des menschlichen Erkenntnisvermögens hinwiesen, pro-
blematisierte. Auf Grund seiner Skepsis in bezug auf geistige Universalien
rückte er die Realität der Einzelphänomene und einer an ihnen geschulten
Erfahrungsweise in den Mittelpunkt seines philosophischen Denkens.
Was die Bibel und biblische Exegese anbelangte, so konzentrierte sich
Ockhams Nominalismus insbesondere auf den singulären Status individu-
eller Texte. Die Heilige Schrift, in der Tat alle Texte, waren nach Ansicht
Ockhams als eigengesetzliche, linguistische Systeme verständlich, und
menschliches Denkvermögen, und zwar das eines jeden Menschen, war
derart, daß es die individuellen Texte erfassen konnte. Infolge dieser vom
Nominalismus geförderten intellektuellen Entwicklung wurde der wörtli-
che Textsinn auf subtile, doch unübersehbare Weise privilegiert.
Als Luther im 16. Jahrhundert dem wörtlichen Schriftsinn den Primat
zuerkannte, bewegte er sich anfänglich noch im Rahmen der viktorini-
schen Tradition und Ockhams Nominalismus. Aber als er es unternahm,
den vierfachen Textsinn zu verwerfen, um einzig den wörtlichen Schrift-
6 Luthers Distanzierung von der mittelalterlichen, biblischen Exegese war das Ergebnis
eines längeren Prozesses. Vgl. hierzu die Ausführungen von WILHELM PAUCK, Luther,
und darin vor allem seine "General Introduction," xvii-lxvi. Luthers Vorlesungen über
den Römerbrief (begonnen zu Ostern 1515 und beendet im September 1516) waren in
vieler Hinsicht noch der mittelalterlichen Bibelexegese verpflichtet. Der spätere Luther
war zunehmend von dem Franziskaner Nikolaus von Lyra beeinflußt, ein zum christli-
chen Glauben übergetretener Jude, dessen Kenntnis des Hebräischen und der Kom-
mentare zur Hebräischen Bibel ihn u. a. dazu veranlaßten, die allegorische Exegese
einzuschränken und letztlich zu verwerfen.
7 EDWARDS, Printing,Propaganda, and Martin Luther, 109-130.
8
OLSON, The World on Paper, 143-144.
' ALPERS, The Art of Describing.
10 FREI, T h e Eclipse, 1 8 - 4 1 .
11 HARVEY, The Historian and the Believer, 103.
bald einmal die Heilige Schrift konsequent und rückhaltlos aus der Per-
spektive eines historisch verstandenen Literalsinnes untersucht wurde,
war eine Entsakralisierung des Wortes Gottes unvermeidlich.
Vielleicht darf man sagen, daß die sich nun anbahnende historisch-
kritische Forschung auf kaum einem anderen Wissensgebiet derart weit-
reichende Folgen nach sich zog wie auf dem der Evangelienforschung, wie
umgekehrt die historisch-kritische Analyse der Evangelien einen bedeut-
samen Beitrag zur modernen europäischen Kultur- und Geistesgeschichte
darstellte.
Als man beispielsweise die Frage nach der historischen Entstehung der
Evangelien konsequent verfolgte, war es nur folgerichtig, wenn man einer
von menschlichem Traditions- und Gestaltungswillen getragenen Uber-
lieferungsgeschichte auf die Spur kam. Die Entdeckung literarischer
Quellen und mündlicher Uberlieferungsprozesse, formgeschichtliche
Einblicke in die Geschichte des Rezipierens, Tradierens und Revidierens
von Einzelmaterialien, die Konzeption einer rational erfaßbaren Uberlie-
ferungsgeschichte, die gewissermaßen eine genetische Vorgeschichte dar-
stellte, welche vom redaktionellen Imprimatur des endgültigen Evange-
lientextes gekrönt wurde - all dies ließ wenig Raum mehr übrig für die
Vorstellung der vom Heiligen Geist inspirierten Evangelisten.
Was den Inhalt der Evangelien betraf, so darf es nicht verwundern, daß
der neue Wissensdrang insbesondere die Wunder, die Verklärung und die
Auferstehung einer kritischen Betrachtung unterzog - Geschichten also,
welche mit dem Kanon rationaler, historischer Denkweise unvereinbar
waren. Abgesehen von der Reflexion über diese sogenannten supranatu-
ralistischen Geschichten richtete sich das kritische Augenmerk aber auf
den gesamten Erzählablauf und problematisierte dessen Korrespondenz
mit der biographisch-historischen Wirklichkeit des Lebens Jesu. So
konnten sich die Evangelien nicht mehr gegenüber der entschlossenen
Ernsthaftigkeit behaupten, mit der man dem einfachen, repräsentativen
Schriftsinn nachspürte in der Hoffnung, das definitive Leben Jesu im Ge-
gensatz zu den interpretierenden und mythisierenden Evangelienerzäh-
lungen rekonstruieren zu können. Wie auch immer man die Evangelien las
und untersuchte - als theologische, mythologische, kerygmatische oder
literarische Erzählungen - : der Zeitpunkt war gekommen, an dem man sie
nicht mehr als Geschichten verstehen konnte, die den einer fernen Ver-
gangenheit angehörenden historischen Jesus unmittelbar repräsentierten.
Angesichts des Aufstieges des einfachen, repräsentativen Schriftsinnes
und des Niederganges der historischen Glaubwürdigkeit der Evangelien
erwies sich die Suche nach dem historischen Jesus darum als ein durchaus
plausibles Unternehmen. Wenn die Evangelien einige Zeit nach den ei-
gentlichen Ereignissen, als Folge eines Traditionsprozesses und nicht in
16 SCHÜSSLER FIORENZA, I n M e m o r y o f H e r .
17 MACK, A Myth of Innocence.
18 JOHNSON, The Real Jesus, 85; CROSSAN, The Historical Jesus, xxviii.
21 KAHLER, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus.
22 A. a. O., 18.
23 A. a. O., 83-84.
"Ebd.
26 A. a. O., 75.
mittelten. Wir halten fest, daß die Auferstehung sowohl als ein die Evan-
gelien begründendes Ereignis wie auch als Glaubenserfahrung eine ent-
scheidende Rolle in KÄHLERS Verständnis der Evangelientexte und ihres
Einflusses auf Hörer/Leser spielte. Es wird deutlich, daß von KÄHLERS
theologischem Gesichtspunkt aus die Suche nach dem hinter den Evange-
lien liegenden historischen Jesus als ein Unterfangen beurteilt werden
mußte, welches die religiöse Funktion und Identität der Evangelien miß-
verstanden und außer acht gelassen hatte. Seiner Auffassung nach wurden
Texte, die wesenhaft Bekenntnisschriften waren und deren Intention dar-
auf hinauslief, den auferstandenen Christus zu verkünden, irrtümlicher-
weise aufgrund ihrer historisch-wissenschaftlichen Evidenz ausgewertet.
Es darf noch hinzugefügt werden, daß KAHLER überdies die traditionelle
christliche Ansicht vertrat, auch das Alte Testament antizipiere Vor-
stellungen von Christus, welche sich mit dem Bilde Jesu im Neuen Te-
stament deckten. Insgesamt repräsentierte KÄHLERS Christus demnach
eine im Alten und Neuen Testament bezeugte einheitliche persona, deren
Hauptfunktion die Erlösung von Schuld und Sühne war.
Es ist durchaus nicht abwegig, in KÄHLERS Modell eine Defensivstrate-
gie zu sehen, welche sich gegen das neuzeitliche, auf Fakten fundierte
Ethos zu schützen suchte, in dem sie zu Recht eine Bedrohung für den
traditionellen Umgang mit den Evangelien erkannte. Die Diastase von hi-
storischem Jesus vs. biblischem Christus scheint zumindest zum Teil von
der Intention bestimmt, die Evangelien und den in ihnen für präsent an-
genommenen Christus mit einer Tabusphäre zu umgeben, um ihn vor
dem schädlichen Einfluß historischer Neugierde in Schutz zu nehmen.
Solch eine Strategie sah sich genötigt, der historischen Jesusforschung
jegliche Berechtigung abzusprechen.
KÄHLERS eindrucksvolles Alternativmodell zur historischen Leben-
Jesu-Forschung hat das Klima der modernen Theologie in einem nicht zu
unterschätzenden Maße beeinflußt. Es dominierte die sogenannte Dia-
lektische Theologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und es
wirkte auf das theologisch-biblische Denken bis in unsere Gegenwart hin-
ein.27 Wie unterschiedlich auch immer die theologischen Prämissen eines
K A R L BARTH, R U D O L F BULTMANN u n d PAUL TILLICH w a r e n , sie s t i m m -
ten darin überein, daß der in den Evangelien verkündete Christus und
nicht der historisch rekonstruierte Jesus legitime Grundlage christlichen
Glaubens sei.
überhaupt. "The Seminar's obsessive concern with historicity and its ex-
treme literalism merely represents the opposite side of fundamentalism."
Aber, fragt JOHNSON, ist die Annahme "the origin of a religion defines its
essence" überhaupt gerechtfertigt?29
Wenn man JOHNSON die Frage stellt, warum Geschichte und ein streng
aus dem historischen Umfeld heraus verstandener Jesus nicht als Grund-
lage für den Glauben dienen können, erhält man eine Reihe von Antwor-
ten, die im großen und ganzen an KAHLER erinnern. Da wäre erstens das
Problem hinsichtlich der historischen Quellen. Obwohl archäologische
Entdeckungen, die Anwendung innovativer, soziologischer Methoden
sowie unerwartete Textfunde im 20. Jahrhundert unsere Kenntnisse des
gesamten Mittelmeerraumes durchaus bereichert hätten, hätte all dies
nichts zu unserem Wissen um Jesu Leben in dieser Welt beigetragen. Das
betreffe insbesondere auch die höchst bedeutsamen Funde von Qumran
und Nag Hammadi, welche, laut JOHNSON, alle Erwartungen hinsichtlich
neuer Information über den historischen Jesus nicht erfüllt hätten.30
Zweitens zeigt sich JOHNSON ganz im Sinne vieler anderer Kritiker be-
unruhigt über die erstaunliche und nicht enden wollende Fülle und Diver-
genz von Leben-Jesu-Büchern, 31 von denen ein jedes historische Glaub-
würdigkeit beanspruche - ein Phänomen, welches uns ins Reich der
Phantasien verweise und die historische Leben-Jesu-Forschung ad absur-
dum führe.
Aber der dritte und bedeutsamste Grund für die Misere der Leben-
Jesu-Forschung hat, so JOHNSON, weniger mit historischen Quellen und
der Heterogenität der Rekonstruktionsversuche zu tun als vielmehr mit
dem im Neuen Testament und im christlichen Glauben vorfindlichen
Verständnis der Person Christi. "Christianity in its classic form has not
based itself on the ministry of Jesus but on the resurrection of Jesus, the
claim that after his crucifixion and burial he entered into the powerful life
of God, and shares that life [ . . . ] with those who can receive it." Was die
kanonischen Evangelien betreffe, so seien diese "narratives of faith" und
vom Gesichtspunkt der Auferstehung Jesu und des Glaubens an den auf-
erstandenen Sohn Gottes geschrieben.32 Diese Erinnerung an seine konti-
nuierliche und vollmächtige Gegenwart sei von der Kirche erhalten und
tradiert worden, mit dem Ergebnis, daß "for the Christian confession, the
risen Lord still powerfully alive is the 'real Jesus'" und die Nachfolger Jesu
infolgedessen ihren Glauben nicht am historischen Jesus, sondern am le-
benden Christus orientierten. Aus diesem Grunde seien die Texte des
Neuen Testaments ungeeignet, die unverletzliche Identität des Ursprungs
wiederherzustellen. In der Tat, eine Rekonstruktion des Lebens Jesu in
der Absicht, eine Grundlage für den Glauben zu schaffen, "would be a
form of idolatry." 33
Letztlich muß betont werden, daß JOHNSON, ganz im Stile KÄHLERS,
mit einem einheitlichen Bild der Jesusfigur im Neuen Testament arbeitet.
Obwohl JOHNSON über unterschiedliche Christologien im Frühchristen-
tum durchaus unterrichtet ist, legt er den Akzent auf "a profound unity
of understanding concerning Jesus throughout the New Testament litera-
ture" 34 , so daß man von einem "basic pattern of his life" sprechen könne. 35
Alle vier Evangelien, Paulus, die Petrusbriefe und der Hebräerbrief re-
präsentierten "the same pattern of messiahship and discipleship" sowie ei-
ne grundlegende Ubereinstimmung hinsichtlich des Charakters und der
Existenz Jesu "as one of radical obedience toward God and self-disposing
service toward others" 36 . JOHNSONS biblischer Christus ist ganz im Ge-
gensatz zum historischen Jesus in den neutestamentlichen Schriften
zugänglich und mittels der Wortverkündigung in der Gemeinde gegen-
wärtig.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es sich bei der These JOHNSONS
um ein sehr einflußreiches Denkmodell handelt, welches aus dem Trauma
der Moderne geboren wurde und sich zumindest ein Jahrhundert bis auf
MARTIN KAHLER zurückverfolgen läßt. Was diese sich von KAHLER bis
JOHNSON erstreckende Interpretationsgeschichte charakterisiert, ist die
Identifizierung der Evangelien als nachösterliche, vom Auferstandenen
ausgehende Geschichten. Mittels der Evangelien habe die Kirche dann die
Erinnerung an den auferstandenen Herrn fortgeführt und im Leben der
Gläubigen aufrecht erhalten. Aus diesem hermeneutisch-theologischen
Gesichtswinkel ergibt es sich zwangsläufig, daß die Leben-Jesu-For-
schung als ein theologisch unzweckmäßiges Projekt abgelehnt werden
muß. Anstelle des historischen Jesus legitimiert man eine angeblich ein-
deutige, einheitliche, im Neuen Testament verankerte Konzeption von
Christus und begründet auf diese Weise die unüberbrückbare Diastase
zwischen dem biblischen Christus und dem historischen Jesus, wobei er-
sterer für den christlichen Glauben legitim und letzterer illegitim ist.
Das von KAHLER b i s JOHNSON reichende Interpretationsspektrum
stellt ein Christusmodell vor, welches jeglichen Diskurs mit der histori-
SLOYAN, The Crucifixion of Jesus; Ross, Grief of God; RUBIN, Corpus Christi,
37
sti verehrten. Der inkarnierte, leidende Körper wurde weithin als Ort
göttlicher Gegenwart angesehen. In menschlicher Körperlichkeit inkar-
nierte Göttlichkeit - das mag die Vorstellung und das Erlebnis gewesen
sein, welches im Mittelpunkt der eucharistischen Zelebration des Körpers
Jesus stand. Auf jeden Fall war es
"not Jesus Christ rising f r o m the dead that this culture found so remarkable; it
was the miracle that G o d became embodied in order to suffer on behalf of hu-
manity that captivated the imagination of medieval Christians. G o d bled and wept
and suffered on the cross to draw persons to Godself; G o d bled and wept and
suffered on the cross to manifest the boundless mercy of divine compassion." 3 '
Themen, die sich schlecht mit JOHNSONS These "Christianity in its classic form has
based itself not on the ministry of Jesus but on the resurrection of Jesus" vereinbaren
lassen.
Wie triftig sind letztlich die Gründe, die für eine einheitliche persona des
sogenannten biblischen Christus sprechen, die JOHNSON im Neuen Te-
stament vorzufinden vorgibt? Auch diese These muß sorgsam bedacht
werden, erhebt sie doch den Anspruch, den historischen Jesus zu substi-
tuieren und seiner theologischen Legitimität zu berauben.
Unsere Überlegungen beschränken sich auf die in den kanonischen
Evangelien dargestellte Jesusfigur. Seit den 60er Jahren haben Neutesta-
mentler und Literaturwissenschaftler zunehmend Interesse an den kano-
nischen Evangelien als Erzählungen gezeigt und die kompositorisch-
narrative Verarbeitung des von KAHLER SO benannten biblischen Christus
analysiert. Zum Teil wohl auch in Reaktion auf das Trauma der Moderne,
welche den historischen Jesus problematisiert hatte, lenkte man die Auf-
merksamkeit von den hinter den Evangelien liegenden Traditionen und
Ereignissen auf den sich in den Evangelien selbst abspielenden Erzäh-
lungsablauf. Anstatt eine homogene, allen Evangelien gemeinsame persona
anzunehmen, unternahm man es, die literarische Landschaft und narrative
Gestaltung Jesu in jedem Evangelium gesondert zu reflektieren. Insofern
44 PAGELS, The Gnostic Gospels, 1982. Vgl. auch ihren Artikel "The Orthodox against
the Gnostics."
Die feste Entschlossenheit der jungfräulichen Thekla zum Beispiel, ihren Verlobten, ei-
nen jungen Mann mit einer vielversprechenden Zukunft im politischen Etablissement
von Ikonium, nicht zu ehelichen, findet seine Erklärung in sozial und religiös komplexen
Umständen. 4 ' Die Verweigerung der Ehe wurde von ihr selbst, von ihrem Verlobten und
den Stadtvätern als ein Affront gegenüber den höchsten Werten der Gesellschaft angese-
hen, wie es denn auch unübersehbar ist, daß ihr Verhalten die Autorität der Stadt (polis)
und die der Familie (oikia), der beiden bedeutsamsten Institutionen im sozialen Gefüge
der hellenistischen Gesellschaft, provozierte. Mit dieser Einstellung machte sich Thekla
"BROWN, Body and Society, 156-59. Vgl. auch MACDONALD, The Legend and the
Apostle.
zum Vorbild für junge Frauen, aber nicht weil sie die Erlösung ihres im körperlichen
Kerker gefangenen geistigen Kernes erstrebte, sondern weil sie sich gegenüber den Be-
drohungen einer politischen Machtstruktur wehrte, welche Frauen in die Rolle von Kin-
dergebärerinnen zu drängen suchte.
Andere Christen leiteten ihren asketischen Lebenswandel von einer besonderen In-
terpretation des Falles Adams und Evas ab, in welchem sie ein Ereignis sahen, das die
Menschen in einem schicksalhaften circulus vitiosus von Sexualität und Sterblichkeit ge-
fangenhielt. Nur sexuelle Enthaltsamkeit, so nahm man an, könne die Folgen des Falles
wieder rückgängig machen und den ursprünglichen Zustand eines freien Willens und un-
gebrochener Identität wiederherstellen.50 Tertullian (ca. 160-220), der sich auf schärfste
Weise gegen triebhafte Instinkte und sexuelle Phantasien aussprach, war dennoch "not a
'dualist' in any way."51 Vielmehr war es gerade sein Glaube an eine nahezu körperliche
Form der Seele, welcher die Voraussetzung dafür schuf, daß eine körperliche Kasteiung
den Zustand der Seele beeinflussen konnte. Nach dem Verständnis des Platonikers Orí-
genes (ca. 185-254) hatte die Befriedigung physischer Sinnesfreuden eine Abstumpfung
rein geistlicher Sinnlichkeiten zur Folge, welch letztere dazu prädestiniert waren, die
Weisheit Gottes schmecken, riechen und trinken zu lassen. Wenn es auch das Wesen ei-
nes christlichen Lebens ausmachte, unermüdlich sexuelle Disziplin auszuüben und den
Körper zur Entsagung anzuhalten, so bestand das Ziel dennoch nicht darin, dem sinnli-
chen Genuß als solchem abzusagen, sondern vielmehr intensivste spirituelle Sinnesfreu-
den zu kultivieren, welche physische Lustbefriedigung bei weitem übertrafen, da sie von
einer Intensität waren, wie sie der Körper selbst niemals imstande war hervorzubringen.
Die ägyptischen Mönche des 4. Jahrhunderts waren herausragende, eine neue
Menschlichkeit verkörpernde Gestalten, die fähig waren, in einer unbewohnbaren, un-
wirtlichen Gegend zu überleben. Sie verkörperten "a perpetual challenge to the situation
of hunger and bitter dependence on the marketplace that characterized the society of a
starving and laborious Near East."52 Gregor von Nyssa (ca. 335-394), ein weiterer Plato-
niker, vertrat die Ansicht, daß die Unterdrückung sexueller Triebe keineswegs im Inter-
esse von Keuschheit und Abstinenz erstrebenswert war, sondern im Hinblick auf
menschliche Vergänglichkeit und die Furcht vor dem Tode. Ehe zum Zwecke der Fort-
pflanzung war das augenfälligste Mittel, um den Blick vom Grab abzulenken und die
Furcht hinsichtlich unserer persönlichen Vernichtung zu unterdrücken. Keuschheit,
meinte Gregor, war die angemessenste, die einzige Möglichkeit, dem pathetischen
Zwang, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, zu entgehen und das unerbittliche Ticken
der Zeit zu verkürzen. "To abandon marriage was to face down death. It was to deliver
no further hostages to death in the form of children."53
50 BROWN, a. a. O . , 9 2 - 9 6 . V g l . a u c h PAGELS, A d a m , E v e a n d t h e S e r p e n t .
51 BROWN, a. a. O . , 7 7 .
52 A. a. O., 221.
53 A. a. O., 298.
5 ' Nicht einmal die theologische Schule von Antiochia, die häufig mit dem wörtlichen
Schriftsinn in Verbindung gebracht wird, beschäftigte sich mit einem hinter den Evan-
gelien liegenden historischen Jesus. Die exegetischen Bemühungen eines Theodor von
Mopsuestia und Johannes Chrysostomus waren auf den sprachlichen Kontext gerich-
tet und gerade nicht auf eine vom heiligen Text distanzierte und abstrahierte Sinnge-
bung.
CROSSAN entwickelten Methodik zu, auf welcher sein Leben Jesu begrün-
det ist. In der gesamten, sich über zwei Jahrhunderte erstreckenden Le-
ben-Jesu-Forschung ist kaum jemals ein auf einer derart logischen und sy-
stematisch durchgearbeiteten methodischen Grundlage basierendes und
mit einem derart überragenden technischen Können ausgeführtes Leben
Jesu geschrieben worden. Wohl niemals zuvor hat man einen kritischen
Apparat logischer, formaler Prinzipien entworfen und mit großem histo-
risch-kritischen Geschick angewandt, um das vorhandene Logienmaterial
und zum Teil auch Erzählungseinheiten zusammenzutragen, auszuwerten
und zu klassifizieren. C R O S S A N S methodische Kompetenz stellt höchste
Ansprüche an die gesamte zukünftige Leben-Jesu-Forschung. 63
Moderne Historiker, die es sich zur Aufgabe gesetzt haben, ein auf den
Quellen basiertes Leben Jesu zu schreiben, sehen sich, laut C R O S S A N , mit
der Tatsache konfrontiert, daß das Jesusmaterial in verschiedenen Tradi-
tionskontexten eingebunden ist. Angesichts dieser Sachlage sei es metho-
disch unerläßlich, "to search back through those sedimented layers to find
what Jesus actually said and did." 64 Um dieser Aufgabe gerecht zu werden,
klassifizierte C R O S S A N das gesamte Logienmaterial Jesu auf Grund einfa-
cher, doppelter, dreifacher und vielfacher Bezeugung. Als nächstes unter-
nahm er eine systematische Bestandsaufnahme kanonischer und außerka-
nonischer Texte. Unter Berücksichtigung chronologischer Prioritäten
teilte er alsdann die gesamte Tradition auf Grund ihres Kompositionsda-
tums in vier Strata auf, welche von 30 bis 60, von 60 bis 80, von 80 bis 120
und von 120 bis 150 datiert werden. Und letztlich legte er eine Datenbank
an, welche einfach, doppelt, dreifach und vielfach bezeugtes Material den
jeweilig entsprechenden Strata zuordnete. Aus Platzmangel konzentrierte
sich C R O S S A N S Werk fast ausschließlich auf das erste Stratum, und im
Interesse maximaler Objektivität schloß er einfache Bezeugung aus, selbst
wenn sie im ersten Stratum vorfindlich ist. Chronologische Priorität und
Pluralität unabhängiger Bezeugungen werden als Indiz historischer Ver-
läßlichkeit gewertet. "A first-stratum complex having, say, sevenfold in-
dependent attestation must be given very, very serious consideration." 65
C R O S S A N S methodisches Vorgehen ist prinzipiell nicht darauf angelegt,
die eine ursprüngliche Version von Jesusworten wiederherzustellen.
Stattdessen gilt sein Interesse dem gemeinsamen Nenner, welcher seiner
Meinung nach den vielfach bezeugten Versionen eines bestimmten Logi-
ons zugrunde liegt. Indem er kompositions- und kontextbedingte Vari-
63 Vgl. dazu die kritische Analyse der Methodologie CROSSANS bei KELBER, Jesus and
Tradition.
64 CROSSAN, The Historical Jesus, xxxi.
45 A . a. O., xxxii.
anten von den vielen Lesarten eines Logions ablöste, versuchte er eine
strukturelle Stabilität zu eruieren, die er "the aphoristic core" oder "the
ipsissima structura"66 oder "the core of the complex" oder "a common
structural plot" nannte.67
So läßt sich beispielsweise die vierfach unabhängige Bezeugung des Lo-
gions von „Gottesreich und Kindern" auf eine "central and shocking"
Metapher reduzieren, welche letztlich auf Jesus zurückgeht. Sobald
C R O S S A N diesen strukturellen Kern von „Gottesreich und Kindern" aus
seinen verschiedenen Traditionsgebundenheiten herausgelöst hat, ver-
pflanzte er ihn in den hellenistisch-jüdischen Kulturraum des 1. Jahrhun-
derts. In diesem historischen Kontext sind die Kinder weder eine Meta-
pher für Demut (Markus) noch ein Vorbild der mit Wasser und Geist
Neugetauften (Johannes) noch eine Anspielung auf die im Stande der
Ehelosigkeit Lebenden (Thomas) - alles Varianten der Tradition - , son-
dern historisch eine Metapher für solche, die ohne jeglichen Rechte sind,
die nobodies. Dies letztere ist es, was einem in Galiläa im 1. Jahrhundert
unmittelbar in den Sinn gekommen sei, und es ist der Grund, warum der
strukturelle Kern von „Gottesreich und Kindern" derart schockierend
gewirkt haben mußte.68
Entgegen C R O S S A N kann man sich natürlich fragen, ob "nobody" in der
Tat der erste Gedanke war, der einem im 1. Jahrhundert im Mittelmeer-
raum in den Sinn kam, wenn Jesus von Kindern sprach oder Kindern be-
gegnete. Aber unser Interesse gilt C R O S S A N S Methodik, und das Logion
von „Gottesreich und Kindern" ist ein treffendes Beispiel für einen wich-
tigen Aspekt seiner Methodologie: eine vergleichende Analyse von vielfa-
chen und variablen Bezeugungen eines Logions ermittelt einen soge-
nannten strukturellen Wesenskern, dessen spezifische Sinndeutung in
einem sekundären Vorgang dadurch bestimmt wird, daß diese - von der
Tradition befreite - ipsissima structura in den primären Kausalnexus histo-
rischen Geschehens eingesetzt wird.
"Method, method, and, once again, method"69 proklamierte C R O S S A N ,
wobei er so etwas wie eine Apotheose der Methodik heraufbeschwört. In
der Tat, die Art, wie er Material kontrolliert und die Observationsbedin-
gungen reguliert, verrät eine nahezu brillante Fähigkeit des Organisierens
und Kategorisierens, der Stratifizierung oder Schichtenanalyse, des quan-
titativen Tabellierens, der Chronologisierung und der Benennung von
Prioritäten. Die Logik, welche die Triebkraft für seine Methodologie bie-
70
ONG, Presence of the Word, 323.
Schlußbemerkungen
wohnt sind, die wir im allgemeinen als positive und bereichernde Erfah-
rungen beurteilt haben. Der Kern der Ironie ist darum nicht die pluralisti-
sche Proliferation als solche, sondern die Tatsache daß jeder neue Beitrag
mit der dezidierten Absicht geliefert wurde, der Proliferation ein Ende zu
setzen. 76
Zweitens lassen sich die Thesen JOHNSONS und CROSSANS bei aller
Unterschiedlichkeit auf gewisse epistemologische Gemeinsamkeiten zu-
rückführen. Zwar haben wir in unseren Ausführungen das antithetische
Verhältnis beider Thesen klar herauszustellen versucht. JOHNSONS Re-
zeption des sogenannten biblischen Christus ist CROSSANS methodisch
präziser Herausarbeitung des historischen Jesus diametral entgegenge-
setzt. Genaugenommen bringt CROSSAN der Tradition ein größeres Ver-
ständnis entgegen als JOHNSON dem historischen Jesus. Für JOHNSON ist
"Christian faith not directed to a human construction about the past; that
would be a form of idolatry." 77 CROSSAN hingegen räumt ein, "that there
will always be divergent historical Jesuses, [and] that there will always be
divergent Christs built upon them." 78
Abgesehen von diesen fundamental entgegengesetzten Ansätzen und
Ausführungen neigten sowohl JOHNSON wie CROSSAN dazu, christliche
Wahrheit mit einem monolithischen Aspekt der Tradition gleichzusetzen,
sei es nun der biblische Christus oder der historische Jesus. Diese episte-
mologische Exklusivität des Ansatzes, welche beiden Autoren gemeinsam
ist, hat ihre Spuren in beiden Thesen hinterlassen. Beide sind bemüht, das
Phänomen einer pluralistischen Traditionsgeschichte zu überwinden.
JOHNSONS biblischer Christus beruht auf dem Postulat einer grundlegen-
den Ubereinstimmung aller neutestamentlicher Christologien. CROSSAN
wies das Phänomen der Pluralität der Tradition zu, um die Eindeutigkeit
der Rede Jesu in den logischen Griff zu bekommen. Die singuläre Fokus-
sierung führte in beiden Fällen zu einer Verkennung der frühchristlichen,
pluralistischen Traditionsgeschichte. Hinzu kommt, daß beide Thesen ein
mangelhaftes bzw. verzerrtes Bild insbesondere der mittelalterlichen Kir-
chengeschichte implizieren.
Wir erinnern uns an das zu Anfang angeführte Motto TRACYS, daß das,
was als Wahrheit Gültigkeit hatte, seit der Aufklärung in immer begrenz-
tere Modelle eingefangen wurde. Im gewissen Sinne war sich JOHNSON
dessen bewußt, wenn er feststellte: "by reducing everything to a single
dimension, the historical model distorts what it can know and misses a
" W a s das Phänomen des Pluralismus in der Tradition anbelangt, vgl. FROEHLICH,
'Aminadab's Chariot', und Luz, Kann die Bibel.
77 JOHNSON, The Real Jesus, 143.
Literatur
ALPERS, SVETLANA: T h e A r t o f D e s c r i b i n g : D u t c h A r t i n t h e S e v e n t e e n t h
Century, Chicago 1983.
ASSMANN, JAN: Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politi-
sche Identität in fremden Hochkulturen, München 1992.
MICHAEL MOXTER
Zu den Grenzen unseres Wissens trägt auch die Unmöglichkeit bei, uns
selbst historisch zu beobachten. Um so enger zeitgeschichtliche Be-
trachtungen an unsere eigene Gegenwart heranrücken, um so ungewisser
wird uns die Zukunft der Erinnerung, gleichsam der Reim, den sich die
Historiker über uns machen werden. Das liegt vor allem daran, daß wir
nicht wissen können, im Lichte welcher zukünftigen Ereignisse von unse-
rer Zeit erzählt werden wird. Die Unbestimmtheit der Zukunft und mit
ihr die Ungenauigkeit aller Antizipationen bilden einen blinden Fleck un-
seres Selbstverständnisses. Was wir gleichwohl wissen können, das hat
JAN ASSMANN unter der Frage, wie die Erinnerung an den 11. September
sich darstellen wird, „wenn das, was jetzt Gegenwart ist, einmal Vergan-
genheit sein wird", mit der folgenden Behauptung umrissen: „Was und
wie wir erinnern, richtet sich nicht nach dem, was eigentlich passiert und
wie es eigentlich gewesen ist, sondern ausschließlich danach, warum wir
die Geschichte davon erzählen werden, in Verfolgung welcher Ziele, wel-
cher politischer Absichten"1.
Diese Behauptung verdient eine Diskussion. Um sie voranzubringen,
sollte man drei Begriffe in eine Ordnung bringen: Wäre da nicht das Er-
eignis, wir hätten nichts zu erzählen. Indem wir aber erzählen, indem wir
zu sagen versuchen, was geschehen ist, bilden wir nicht nur Fakten ab,
spiegeln wir nicht nur Tatsachen, sondern wir refigurieren und beurteilen
unter allgemeinen Gesichtspunkten. Der Richtwert der Erzählung ist da-
bei nicht das, was eigentlich gewesen ist, sondern die Erinnerung und ihre
Horizonte. Daraus entspringt eine konstitutive Spannung, aber auch eine
unübersteigbare Differenz. Durch die Erzählung halten wir das Ereignis
ebensosehr fest, wie wir uns zugleich von ihm entfernen. Die Logik der
Erinnerung erlaubt es an keinem einzelnen Punkt, mit einem klaren krite-
riologischen Schnitt die beiden Seiten dieser Differenz in ein sogenanntes
1901, also vor genau hundert Jahren, hat WILLIAM WREDE das Fazit ge-
zogen, auch die älteste Quelle der Jesuserzählungen, das Markusevangeli-
um, vermittle aufs Ganze gesehen keine historische Anschauung mehr
vom wirklichen Leben Jesu. Es gehöre vielmehr bereits zur kirchlichen
5 Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 4 1926, 6f., zitiert nach RAU, a. a. O., 75.
6 Man kann bei SCHWEITZER einen Einfluß seiner NIETZSCHE-Lektüre vermuten. Denn
NIETZSCHES Begriff der Experimentalphilosophie ist der genaue Ausdruck eines
Wahrheitssinnes, der unter der Voraussetzung radikaler Perspektivität aller unserer
Erkenntnisse dennoch am Werk ist: „Ich lobe mir eine jede Skepsis, auf welche mir er-
laubt ist zu antworten: .Versuchen wir's!' Aber ich mag von allen Dingen und allen
Fragen, welche das Experiment nicht zulassen, Nichts mehr hören. Diess ist die Gren-
ze meines .Wahrheitssinnes': denn dort hat die Tapferkeit ihr Recht verloren." (Die
Fröhliche Wissenschaft, Stück Nr. 51, in: Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe,
Bd. V2, hg. von G. COLLI und M. MONTINARI, Berlin/New Y o r k 1973, 89f.).
7 Zur Verwendung des Risikobegriffs vgl. RAU, a. a. O., 76.
8 Vgl. RAU, a . a . O . , 168.
11
K . STIERLE, Geschichte als Exemplum - Exemplum als Geschichte. Z u r Pragmatik und
Poetik narrativer T e x t e , in: R . KOSELLECK u. W . D . STEMPEL ( H g g . ) , Geschichte - E r -
eignis und Erzählung (Poetik und Hermeneutik. Arbeitsergebnisse einer Forschungs-
gruppe V ) , München 1973, 3 4 5 - 3 7 5 (360).
12 Vgl. zu einer These R . KOSELLECKS a. a. O . , 3 6 7 .
" Sie wird .implizit' genannt, weil sie den Status eines ontological commitment hat.
14 L. WITTGENSTEIN, Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt a. M. , 0 1975, Tractatus 1,
S. 11.
dessen, was der Fall war. Die Kategorie des Ereignisses gehört einer
Tractatuswelt an, für die das Tatsächliche stets das unabhängig von unse-
rer Rekonstruktion und Betrachtung Existierende ist. Dieser unabhängige
Status ist den physikalischen und den historischen Ereignissen gemein-
sam: Der Ausbruch eines Vulkans und der Ausbruch einer Revolution
sind parallelisierbar als Ereignisse, die zu den Sachverhalten zählen, aus
denen die Welt besteht. Unterschieden werden sie durch die zusätzliche
Annahme, das eine Ereignis werde von Menschen stets nur erlitten, das
andere dagegen von einigen Menschen auch gemacht. Diese Zusatzan-
nahme hat aber keine Relevanz für die methodische Orientierung. Eine
methodisch am Begriff des Ereignisses orientierte Geschichtsauffassung
operiert bevorzugt auch mit dem anderen .Unteilbaren', das unsere Spra-
che kennt: Sie denkt vom Individuum aus, das als Basis der Handlung Er-
eignisse verursacht oder erleidet.
Im Horizont dieser impliziten Ontologie ergibt sich für die Erkennt-
nis, daß sie die Abbildung der von ihr unabhängigen Tatsachen leisten
soll. Für die Gesamtheit der Sätze folgt dementsprechend, daß sie in dem
Maße wahr oder falsch sind, indem sie „Bilder der Tatsachen" 15 sind. Dar-
aus folgt wiederum, daß der Begriff der Erzählung nicht aus dem Phäno-
men der Narrativität des Menschen entwickelt, sondern dem Begriff der
Beschreibung der Welt angepaßt wird. Die nach Maßgabe des Ereignisbe-
griffs verstandene Erzählung erscheint als Beschreibung der Handlung.
Daß diese Konzeption durch ein einseitiges Bild gebunden ist, hat die
Diskussion der analytischen Philosophie gezeigt, wo immer sie sich im
Ü b e r g a n g v o m WITTGENSTEIN des Tractatus zum WITTGENSTEIN der
Philosophischen Untersuchungen der menschlichen Praxis zugewandt
hat. Vor allem A. C. DANTO" hat es als das charakteristische Vorurteil
dieses Bildes bezeichnet, daß es mit einer Vorstellung operiert, nach der
die Vergangenheit eindeutig bestimmt, unveränderlich in ihrem Sosein
festgelegt ist, während die Zukunft als die gleichsam jetzt noch nicht ver-
gangene Zeit und folglich als noch offen und unentschieden gedacht wird.
Das am Ereignisbegriff und an den historischen Fakten orientierte Ge-
schichtsverständnis denkt den Geschichtsprozeß nach dem Modell eines
Gefäßes, in dem sich die Ereignisse allmählich sammeln, gleichsam wie
der Sand im unteren Teil einer Sanduhr: Im Laufe der Zeit rieselt immer
mehr Stoff aus dem Bereich des Möglichen in den Bereich der Fakten, in
dem jedes Element für immer das bleibt, was es im Moment des Eintritts
war. Das dementsprechende Ideal des historischen Wissens und Bewußt-
seins ist das einer vollständigen Beschreibung, die jedes dieser Elemente je
für sich erfaßt, gleichsam numeriert und in seiner Unverwechselbarkeit
festhält. Der ideale Historiker erscheint demnach als ein Chronist, der in
jedem Augenblick in einen Bericht transkribieren kann, was jeweils
geschieht, ohne daß diese mitlaufende Zeugenschaft der bloßen Beob-
achtung etwas hinzufügen würde. Das historische Wissen begreift sich
selbst als Kumulation, als Häufung von Ereignissen. 17 Die Paradoxie, die
in dieser Zuspitzung markiert werden soll, ist klar erkennbar - ein solcher
Chronist kann die Geschichte nur um den Preis erfassen, daß er selbst
keine hat. Gerade so aber kommt ein Selbstverständnis von Geschichte
nicht zustande.
RUDOLF BULTMANN bemüht wohl kaum eine Kategorie so oft wie die des
Ereignisses 18 , wenn er seine Einstellung zur Frage nach dem historischen
Jesus darlegt. Seine Verwendung des Begriffs unterscheidet sich aber fun-
damental von dem beschriebenen Ontologie-Modell, ja sie zielt gerade auf
die Kritik eines Geschichtsverständnisses, das auf solcher Ontologie be-
ruht. Es ist deshalb naheliegend, eine Reflexion der methodischen Vor-
aussetzungen der Frage nach dem historischen Jesus einmal mehr an die-
sem Autor zu schärfen. Denn so gewiß wir die Phasen der Jesusforschung
mit Bezug auf BULTMANN und seine Schule einzuteilen pflegen, so gewiß
ist BULTMANNS Stellung zu dieser Frage eine Folge einer veränderten
Ontologie.
Um die Veränderung des theologischen und hermeneutischen Kon-
textes, der sich bei BULTMANN vollzieht, zu beschreiben, kann es hilfreich
sein, an die Etymologie des Wortes Ereignis anzuknüpfen. Dieses kommt
von .eräugen', etwas vor die Augen bringen, es zeigen. Das .Ereignis' ge-
hört also einem semantischen Feld an, für das Verwandtschaft mit dem
Phänomenbegriff notiert werden darf, weshalb es nicht verwundern muß,
daß der Ereignisbegriff innerhalb der theologischen Hermeneutik Funk-
17 Vgl. P. RICCEUR, Zeit und Erzählung, Bd. I: Zeit und historische Erzählung, München
1988, 217f.
18 Zu der von BULTMANN ausgehenden Stellung dieses Begriffs in der Theologie des
zwanzigsten Jahrhunderts vgl. E. FUCHS, Was ist ein Sprachereignis? Ein Brief, in:
DERS., Zur Frage nach dem historischen Jesus, Tübingen 1960, 424-430, sowie G . EBE-
LING, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 4 1981, 1 - 1 7 (Luther als Sprach-
ereignis).
Gnosis. Mit einer Einleitung zur Geschichte und Methodologie der Forschung, Göt-
tingen 2 1964.
Wie sich das Verhältnis von Ereignis und Erzählung wandelt, wenn das
Phänomen der Rezeption eine konstitutive Rolle erhält, sei im folgenden
mit einigen Hinweisen auf PAUL R I C Œ U R S dreibändiges Werk Zeit und
Erzählung angedeutet. Es handelt sich in ihm um einen Brückenschlag
zwischen Geschichtsschreibung, Literaturkritik und Phänomenologie, der
in Nachbarschaft zu dem 1975 erschienenen Buch La métaphore vive
28 A. a. O., 220.
" A . a . O . , 221. BLUMENBERG, der 1954 „Marginalien zu [ . . . ] Bultmann" beisteuern
wollte, erklärt nun den Autor selbst für marginal. Freilich: für ihn war BULTMANN es
zweifelsohne nicht.
Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt a. M. [u. a.]
1987), 192.
33 Vgl. RICŒUR, a. a. O., Bd. I, 95.
nis und Erzählung möglich wären. Sie besagt nur, daß Ereignisse im
Kontext von Erzählungen identifiziert werden, weshalb sich die generelle
These, nach der Erkenntnis die Wirklichkeit nicht einfach kopiert, hier
spezifisch zuspitzt.
Die Nachahmung der Handlung durch die Erzählung nennt R I C C E U R
deshalb eine schöpferische Nachahmung.34 Dieser paradox erscheinende
Begriff vereinigt zwei Seiten unter der Voraussetzung, daß eine Handlung
nur mit Bezug auf die Kontexte ihrer Darstellbarkeit gegeben ist. Das
Leitmotiv .Zeit und Erzählung' klingt dabei in R I C C E U R S Gedanken an, die
Erzählung als Vergegenwärtigung einer Handlung sei eine Repräsentation,
die deren présence nicht wiederholen oder wie in einem Spiegel verdoppeln
kann. Die Zeit der Handlung mündet nicht in die Zeit der Erzählung wie
der Fluß ins Meer. Weil es kein natürliches Gefälle zwischen Ereignis und
Erzählung gibt, bedarf es eines konstruktiven Beitrags, der in der Erzäh-
lung liegt und aus der Zeiterfahrung resultiert." Diese ist schon insofern
Vollzug einer Interferenz, als Vergangenheit nur im Horizont der Ge-
genwart erinnert werden kann. Am deutlichsten zeigt sich das daran, daß
die Erzählung im nachhinein auf etwas zurückkommt, was sich gerade
ohne Wissen um den Ausgang zugetragen hat. Schon aufgrund ihrer zeit-
lichen Distanz ist die Erzählung gegenüber dem Ereignis überschüssig.
Zugleich jedoch muß der Begriff einer schöpferischen Nachahmung,
die sich auf Ereignisse bezieht, von der Freiheit schöpferischer Phantasie
unterschieden werden. Um diese Differenz zu befestigen, greift R I C C E U R
auf seine Theorie der Metapher zurück, handele es sich doch bei der le-
bendigen Metapher ebenfalls um das Phänomen einer Suspension wörtli-
chen Sinns und direkter Referenz, ohne daß durch sie Wirklichkeits- und
Wahrheitsgehalt ruiniert würde. Die gelungene Metapher steigert viel-
mehr den Wirklichkeitssinn, indem sie ,auf den Trümmern' der Beschrei-
bung eine unmittelbar gar nicht zugängliche Wirklichkeit eröffnet. 36 Ent-
sprechend kann von Ereignissen nur erzählt werden, indem diese in den
Horizont dessen gestellt werden, was hätte sein können. Dieser Horizont
der Möglichkeiten, aber auch der Schluß, den die Erzählung den Ereignis-
sen verschafft, konfiguriert das Geschehene neu. So lebt die Erzählung
von dem Spannungsbogen, den sie aufbaut, indem ihr Schluß ebenso un-
vorhersehbar-überraschend kommt, wie er gleichwohl im Lichte des Er-
zählten annehmbar sein muß. Die Refiguration der Erzählung hält sich
34 A. a. O., 77.
35 Vgl. U . BARTH, Die Christologie Emanuel Hirschs. Eine systematische und problem-
geschichtliche Darstellung ihrer geschichtsmethodologischen, erkenntniskritischen
und subjektivitätstheoretischen Grundlagen, Berlin/New York, 1992, 196f.
36 RICCEUR, a. a. O . , B d . I, 9 .
37 S o J O H A N N W O L F G A N G V. G O E T H E , M a t e r i a l i e n z u r G e s c h i c h t e d e r F a r b e n l e h r e , i n :
Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 14, Hamburg 1960, 93.
38 RICŒUR, a. a. O., Bd. 1,107.
39 Ebd.
RICCEUR, a. a. O . , B d . I , 2 1 7 .
48 RICCEUR b e t o n t d i e s a. a. O . , 2 2 8 .
49 A. a. O., 128.
50 A. a. O., 129.
51 Das Problem ist eine Spielart der Frage, wie man das Wahrheitsmoment des Realismus
53 Vgl. M. MOXTER, Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie,
Tübingen 2000, 347.
M RICŒUR, a. a. O . , Bd. 1,129.
55 U m einen Titel von B. WALDENFELS auszuleihen.
56 RICŒUR, a. a. O . , B d . I I I , 193.
von Ereignis und Erzählung iteriert und wie sie mit größerer Umsicht
angewandt wird. O f f e n b a r sind sowohl die D i f f e r e n z von historischer und
dogmatischer Frage wie auch die (anders gelagerte) Unterscheidung von
Ereignis und Erzählung unhintergehbar. Gerade deshalb aber sind wir
skeptischer gegenüber dem aufklärerischen A u f r u f geworden, endlich die
Höhle der dogmatischen Jesusbilder zu verlassen und uns der Sache selbst
zuzuwenden. D o c h auch in der unhintergehbaren Abhängigkeit von ge-
gebenen Bildern verliert sich nicht die kritische Urteilskraft, die zwischen
den verschiedenen Entwürfen, die uns heute als Darstellungen Jesu ange-
boten werden, zu unterscheiden lernt. Ihre K o m p e t e n z speist sich aus
dem Bewußtsein f ü r den historischen Gegenhalt der Ereignisse in den
Abweichungen und Differenzen der neutestamentlichen Texte. W e n n es
gestattet ist, ein W o r t E R N S T K Ä S E M A N N S ZU variieren, könnte man sagen:
Das Leben Jesu ist nicht der hinter den Evangelien erkennbare G r u n d
ihrer Einheit, sondern der in ihnen repräsentierte Anlaß ihrer Verschie-
denheit. 57
57 Abschließend sei auf die - gerade an den zentralen Pointen - übereinstimmende Be-
handlung des Themas bei J. SCHRÖTER hingewiesen. Vgl. DERS., Die Frage nach dem
historischen Jesus und der Charakter historischer Erkenntnis, in: The Sayings Source
Q and the historical Jesus, hg. v. A . LINDEMANN, Leuven 2 0 0 1 , 2 0 7 - 2 5 4 .
DAVID S. DU T O I T
I. Einführung
1 CONZELMANN, M e t h o d e , 8 bzw. 9.
2 CONZELMANN, Methode, 8; DERS., Art. Jesus Christus, 621.
3 „Was kann also als echt (im Sinne des historischen .Faktums') angesehen werden?
[ . . . ] Für die Rekonstruktion der Lehre gilt der methodische Grundsatz: als echt ist
anzusehen, was sich weder in das jüdische Denken einfügt noch in die Anschauungen
der späteren Gemeinde", ebd., 623.
4 „Einigermaßen sicheren Boden haben wir nur in einem einzigen Fall unter den Füßen,
wenn nämlich Tradition aus irgendwelchen Gründen weder aus dem Judentum abge-
leitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann [ . . . ] " , vgl. K Ä S E M A N N , 1 4 4
( = EVB 205). Weitere Verweise auf diesen Aufsatz beziehen sich auf den Nachdruck
13 Vgl. z . B . MEIER, Marginal Jew, 171-174: "The Criterion is at once the most prom-
ising and the most troublesome"; ferner TUCKETT, Sources, 132f.: " T o say the dis-
similarity criterion has been totally discredited would be too strong". In Teilen der
neueren Jesusforschung zeichnet sich die Tendenz ab, das Differenzkriterium nur
hinsichtlich des frühen Christentums und nicht mehr bezüglich des Judentums anzu-
wenden, vgl. dazu DU TOIT, Erneut auf der Suche, 114-116, bes. Anm. 106.
M BECKER, Jesus, 17f.: „Das [ . . . ] Fundamentalkriterium [ . . . ] ist das Differenzkriteri-
um. Es erfreut sich mit Recht weitgehender, manchmal sogar auch alleiniger Zustim-
mung [ . . . ] Das Kriterium bleibt [ . . . ] weit und breit konkurrenzlos [ . . . ] " .
15 Vgl. THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage; HOLMEN, Doubts, 47-80; PORTER, Criteria.
" Trotz der Tatsache, daß das Differenzkriterium von Anfang an Kritik ausgesetzt war,
wurde es zum unbestrittenen Leitkriterium der Jesusforschung der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts. Dies lag vor allem daran, daß das Differenzkriterium - abgesehen
von dem Kohärenzkriterium, das allerdings von jenem abhängig ist - faktisch das ein-
zige Echtheitskriterium im eigentlichen Sinne darstellt, wie D. WINTER überzeugend
gezeigt hat (vgl. THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 11-19): Die anderen im Laufe der
Jahre formulierten Kriterien sind entweder Spielarten des Differenzkriteriums (bes.
das sog. 'Criterion of Embarrassment', vgl. ζ. Β. neuerdings MEIER, Marginal Jew I,
168-172), oder sie bilden Quellenwertargumente oder sind Besonderheitsindizien, die
für sich nicht positive Echtheitskriterien bilden können. Bedeutende Diskussionen
der Kriterien liegen vor bei CALVERT, Examination, 209-219; BORING, 'Criteria of
Authenticity', 9-44; EVANS, Authenticity, 6-31; PORTER, Criteria, 69-102.
17 Zu Recht machen THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 10, darauf aufmerksam, daß bei
der Formulierung des Kriteriums eine Auseinandersetzung mit der allgemeinen Ge-
schichtswissenschaft und ihren Methoden kaum eine Rolle spielte.
32 Vgl. KÄSEMANN, Problem, 205f., der direkt anschließend an seine klassische Formulie-
rung des Differenzkriteriums formuliert: „Allerdings müssen wir uns dabei von vorn-
herein dessen bewußt sein, daß man von hier aus keine Klarheit erhält, was Jesus mit
seiner palästinischen Umwelt und seiner späteren Gemeinde verbunden hat. Da blei-
ben die Grenzen für verschiedenste Hypothesen weit offen".
35 Vgl. KÄSEMANN, Problem, 211f.; PERRIN, Was lehrte Jesus, 37. Dort, wo das Kriteri-
um so angewendet wird, daß das jeweils als nicht-differierend ausgesonderte Material
grundsätzlich als unecht betrachtet wird (seine sog. negative Verwendung, vgl. dazu
THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 22), geschieht dies folglich in methodisch unzuläs-
siger Weise, weil das, was das Differenzkriterium gemäß seiner Definition nicht lei-
sten kann, nun als sein Ergebnis präsentiert wird.
34 T H E I S S E N / W I N T E R , K r i t e r i e n f r a g e , 1 9 - 2 2 , u n d i h n e n f o l g e n d TUCKETT, S o u r c e s , 133.
35 Es handelt es sich also um den logischen Operator . UND. ; vgl. die Formulierungen
von KÄSEMANN („wenn Tradition weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Ur-
christenheit zugeschrieben werden kann") und CONZELMANN („was sich weder in das
jüdische Denken einfügt noch in die Anschauungen der späteren Gemeinde").
„ [ . . . ] alles, was wir von seiner [sc. Jesu] Lehre und Handlungen wissen, ist in den
Schriften seiner Jünger erhalten. Was nun seine Lehre besonders betrifft, so haben
zwar unter seinen Jüngern nicht allein die Evangelisten, sondern auch die Apostel
[d. h. Petrus, Johannes, Jakobus, Judas, und vor allem Paulus, D d T ] , ihres Mei-
sters Lehre vorzutragen unternommen: allein ich finde große Ursache, dasjenige,
was die Apostel in ihren eignen Schriften vorbringen, von dem, was Jesus
würklich selbst ausgesprochen und gelehrt hat, gänzlich abzusondern. Denn die
Apostel sind selbst Lehrer gewesen, und tragen also das ihrige vor, haben auch
immer behauptet, daß Jesus [ . . . ] selbst in seinem Leben alles dasjenige gesagt und
gelehret, das sie schreiben." 3 8
REIMARUS betont die Differenz zwischen Jesu Lehre und der Lehre der
Apostel über ihn, eine Vorwegnahme des im 20. Jahrhundert formulierten
Gegensatz von Verkündiger und Verkündigtem. Allerdings sind die
Evangelisten von diesem Verdacht ausgenommen, ihnen wird explizit eine
zuverlässige Berichterstattung zugetraut:
„Dagegen führen sich die vier Evangelisten bloß als Geschichtsschreiber auf, wel-
che das hauptsächliche, was Jesus sowohl geredet als gethan, zur Nachricht aufge-
zeichnet haben. Wenn wir nun wissen wollen, was eigentlich J e s u Lehre gewesen,
[ . . . ] ist dieses aus den Nachrichten der Geschichtschreiber zu holen. D a nun die-
se Geschichtschreiber gar viere sind, und sie alle in der H a u p t - S u m m e der Lehre
Jesu übereinstimmen: so ist weder an der Aufrichtigkeit ihrer Nachrichten zu
zweifeln, noch auch zu glauben, daß sie einen wichtigen Punkt oder wesentliches
Stück der Lehre J e s u sollten verschwiegen oder vergessen haben." 3 9
mächtnis von STRAUSS41 ist ein doppeltes: Zum einen besteht es darin, daß
er das bis dahin geltende naive Zutrauen zu der historischen Verläßlich-
keit der Evangelienüberlieferung dadurch erschütterte, daß er in seinem
Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet (1835/36) durch eine radikale Kritik der
Evangelienberichte herausstellt, daß das Gros der evangelischen Stoffe als
unhistorische, mythische Sagengebilde zu betrachten ist. Seither ist die Je-
susforschung mit der Aufgabe konfrontiert, über den Wert ihrer Quellen
Rechenschaft abzulegen. Ferner zeigte STRAUSS, daß der Autor des J o -
hannesevangeliums seine Sprache auf Jesus und den Täufer übertragen
hatte und daß das Evangelium gegenüber den Synoptikern eine fortge-
schrittene Mythologisierung aufweist. Damit war der Quellenwert des
Johannesevangeliums erschüttert. F. C . BAURS Beitrag42 besteht nun dar-
in, daß er in seiner Studie Kritische Untersuchungen über die kanonischen
Evangelien (1847) auf Grund seiner tendenzkritischen Analyse der Evan-
gelien die Erkenntnis von STRAUSS hinsichtlich des Johannesevangeliums
bestätigen konnte: In ihm liegt keine brauchbare historische Tradition
vor, denn der Stoff ist von der Idee der göttlichen Herrlichkeit Jesu her
gestaltet worden. Das Evangelium entfällt damit als Quelle für die Erfor-
schung der Geschichte Jesu, und B A U R bescheinigt den Synoptikern im
Vergleich zu Johannes explizit die größere historische Treue 43 . Für die
vorliegende Fragestellung ist festzuhalten: In der Arbeit von STRAUSS und
B A U R setzt sich die bei REIMARUS und der auf ihn folgenden Jesusfor-
schung beobachtete Praxis fort, die die Differenz der Evangelien zur
frühchristlichen Verkündigung als Maßstab verwendet, um der Tradition
historische Verläßlichkeit zuzubilligen. Bei STRAUSS und B A U R wird das-
selbe Prinzip in umgekehrter Richtung angewandt: Der Nachweis, daß
das Johannesevangelium in die frühchristliche christologische Dogmen-
bildung hineingehört, hebt die Differenz zum Christentum auf und de-
struiert somit den historischen Quellenwert dieses Evangeliums.
Parallel zu der soeben beschriebenen Entwicklung der Demontage des
Johannesevangeliums als historischer Quelle für eine Geschichte Jesu
setzte sich eine andere Entwicklung durch, der für die Entstehung des
Differenzkriteriums entscheidende Bedeutung zukommen sollte, nämlich
die Formulierung von Benutzungsthesen innerhalb der synoptischen Fra-
gestellung und dort besonders die umfassende Begründung der Markus-
priorität (K. LACHMANN; C . G . WILKE) und der Zwei-Quellen-Hypo-
these (C. H. WEISSE). Der entscheidende Impuls für den Siegeszug der
Zwei-Quellen-Hypothese ging von einem 1863 erschienenen Buch von
HEINRICH JULIUS HOLTZMANN44 aus, in dem er die L ö s u n g des s y n o p t i -
schen Problems mit der Frage nach dem geschichtlichen Jesus, d. h. mit
der Frage nach der historischen Zuverlässigkeit der synoptischen Evange-
lien verknüpft 45 . HOLTZMANN argumentiert gegen die Tübinger Schule,
daß die synoptischen Evangelien weitgehend von der Tendenz zu dogma-
tisieren frei seien - sie wollen „Geschichte erzählen" (401). Das hier oben
erwähnte Prinzip kommt hier also zu Anwendung: In dem Maße, wie eine
Differenz zur frühchristlichen Dogmenbildung (Tendenzfreiheit) festge-
stellt werden kann, läßt sich historische Zuverlässigkeit postulieren. Im
Rahmen der Zwei-Quellen-Hypothese begründet HOLTZMANN nun den
überlegenen Quellenwert der ältesten Quellen ( = Q und ein Urmarkus
A 46 ) im Vergleich zu Matthäus und Lukas. Zwei Argumentationsgänge
sind entscheidend: Zum einen wird der markinischen Darstellung (bzw.
dem Urmarkus A) mittels einer Wirklichkeitsanalogie eine größere Wirk-
lichkeitstreue bescheinigt, während der kompositioneile Charakter der
beiden anderen Evangelien gegen eine glaubwürdige Darstellung spricht47.
Zum anderen wird Markus (bzw. dem Urmarkus A) und der Logienquelle
eine größere Tendenzfreiheit bescheinigt48. Damit wird das erwähnte
Differenzprinzip innerhalb der synoptischen Tradition angewandt, um
den relativen historischen Quellenwert der Evangelien zu klären49.
50 N a c h HOLTZMANN verbirgt sich hinter Markus (bzw. dem Urmarkus) „die ursprüng-
lichste Erinnerung der Jünger", wohingegen die Logienquelle als eine „von einem apo-
stolischen Ohrenzeugen herrührende, fast ohne alle geschichtliche Einkleidung abge-
fasste, Redesammlung aufzufassen ist", ebd., 450f.
51 Diese Annahme war von A n f a n g an eine latente, wenn nicht gar die treibende Voraus-
setzung hinter der Formulierung aller Benutzungshypothesen. So läßt sich auch
nachweisen, daß die die GRIESBACH-Hypothese vertretende Tübinger Schule trotz al-
ler historischen Skepsis dem Matthäusevangelium als frühester Q u e l l e eine gewisse hi-
storische Glaubwürdigkeit zutraute, vgl. SCHMITHALS, Einleitung, 158f.
52 HOLTZMANN, Evangelien, 1.
55 Vgl. MEHLHAUSEN, Art. Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie,
649-654.
54 Schlagwörter wie „rein historisch" (so B. WEISS, Lehrbuch der Biblischen Theologie
des N T ) , „streng geschichtlich" (so A. JÜLICHER, Einleitung in das N e u e Testament)
usw. dokumentieren das Ideal einer objektiven (im Gegensatz zu einer philosophisch-
spekulativen) historischen Erkenntnis.
55 Vgl. auch THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 81.
„Wir besitzen keine Quellen für ein Leben Jesu, welche ein Geschichts-
forscher als zuverlässige und ausreichende gelten lassen kann": Mit dieser
Aussage griff M A R T I N K A H L E R 1 8 9 2 die Grundvoraussetzung der histori-
schen Jesus-Forschung seiner Zeit frontal an56 und nahm damit das Er-
gebnis der Forschung von W I L L I A M W R E D E und J U L I U S W E L L H A U S E N
vorweg. W R E D E hat bekanntlich in seinem aufsehenerregenden Buch57 das
bei Markus begegnende Messiasgeheimnis als nachösterliches dogmati-
sches Motiv der frühchristlichen Gemeinde gedeutet58, das Markus zum
Organisationsprinzip seiner Jesus-Darstellung gemacht hat. Die im Mar-
kusevangelium geschilderte Entwicklung beruht nach W R E D E also nicht
auf der Erinnerung an die tatsächliche geschichtliche Entwicklung des Le-
bens Jesu, sondern auf einem theologischen Motiv, das gerade die Unmes-
sianität des historischen Jesu zu verschleiern hat. Offenbar unabhängig
von W R E D E bestreitet W E L L H A U S E N 1905 ebenfalls den historischen Cha-
rakter des Markusevangeliums und stellt fest: „Markus schreibt nicht de
vita et moribus Jesu [ . . . ] er will dartun, daß Jesus der Christus sei" 59 .
Diese Einsicht erschütterte die Grundlagen der bisherigen Jesusforschung
nachhaltig60: Entfällt das Markusevangelium als zuverlässige historische
Quelle, weil es kein historischer Tatsachenbericht ist, sondern zur frühe-
sten christlichen Dogmenentwicklung gehört, fehlt jegliche Quellen-
grundlage für eine historische Darstellung eines Lebens Jesu. Das Prinzip,
daß die Differenz zum christologischen Dogma des frühen Christentums
die Verläßlichkeit einer Quelle der Geschichte Jesu begründet, führte also
schließlich dazu, daß die Jesusforschung Anfang des 20. Jahrhunderts oh-
56 KAHLER, Jesus, 21. Entsprechend scharf ablehnend fielen die Reaktionen liberaler
Theologen aus, vgl. ebd., l l f .
57 W R E D E , M e s s i a s g e h e i m n i s . V g l . d a z u SCHWEITZER, G e s c h i c h t e , 3 6 8 - 3 9 0 ; EBELING,
Messiasgeheimnis, 3-19.
58 Vorbereitet wurde dieser Weg durch WREDES Lehrer ALBERT EICHHORN, der 1898
nachweist, daß die Abendmahlsberichte der Evangelien von D o g m a und Kult der Ge-
meinde beeinflußt wurden, so daß sich der geschichtliche Vorgang nicht klar erken-
nen läßt; s. EICHHORN, Abendmahl.
59 WELLHAUSEN, Einleitung, 51. Das Buch faßt die Ergebnisse seiner Kommentare zu
den Synoptikern der Jahre 1903 (Mk) und 1904 (Mt; Lk) zusammen. Auch er urteilt:
„Markus nahm auf, was die Tradition ihm bot. Die Zusammenstellung des Stoffes ist
sein Werk" (Einleitung, 53). Ähnlich auch J. WEISS, Evangelium, der u. a. einen chro-
nologischen Aufbau des M k ablehnt, ebd., 19-22, ferner 94-104 zum theologischen
Charakter des Stoffes.
60 So schon SCHWEITZER, Geschichte, 368-375.
„Es ist für uns sehr wichtig, die älteste Schicht der Überlieferung von Jesus zu er-
kennen, die uns bruchstücksweise gegeben ist. Großenteils ist sie überdeckt von
jüngeren Schichten, und nur durch ein kritisches Verfahren können die älteren
Schichten bloß gelegt werden. In diesem Bemühen wird man sich einig wissen mit
der historisch-kritischen Methode. Andererseits ist es [ . . . ] noch wichtiger, die
Umbildung der älteren Traditionen zu erkennen [ . . . ] Beiläufig möchte ich hier
auf eine Thorheit der historischen Kritik hinweisen [ . . . ] Es giebt wirklich Leute,
die glauben, die älteste uns erkennbare [sc. schriftlich fixierte, DdT] Uberliefe-
rung mit dem geschichtlichen Vorgang identifizieren zu müssen. Die jüngsten Be-
richte, so meint man, muß jeder historisch-kritisch gebildete Theologe ablehnen,
die ältesten Berichte muß man dagegen annehmen [ . . . ] Ich gestehe, daß ich diese
Ansicht für sehr beschränkt halte [ . . . ] In Wirklichkeit ist es natürlich so, daß die-
selben Faktoren, die innerhalb der schriftlich fixierten Tradition [ . . . ] wirksam
gewesen sind, das Alte umzubilden, schon vorher eine entscheidende Rolle ge-
spielt haben. Ich halte für wahrscheinlich, daß die wichtigsten Umbildungen der
Traditionen in den ersten Jahrzehnten der christlichen Gemeinde stattgefunden
haben."
Hier zeichnen sich drei entscheidende Entwicklungen ab: Zum einen wird
der bisher übliche Ansatz der Jesusforschung, die ältesten schriftlichen
Quellen mit der geschichtlichen Wirklichkeit zu identifizieren, prinzipiell
in Frage gestellt. Zum anderen wird nicht nur den ältesten literarischen
Quellen, sondern auch der vorliterarischen Überlieferung Beeinflussung
durch Kult und Dogma des frühesten Christentums unterstellt. Des wei-
teren wird jedoch prinzipiell an dem Ideal festgehalten, die älteste Schicht
" Ihr Ende wurde endgültig besiegelt durch K. L. SCHMIDTS Studie Der Rahmen der
Geschichte Jesu (1919), in der er nachwies, daß die Zeit- und Ortsangaben der Evange-
lien nicht zur Tradition gehörten, sondern der redaktionellen Tätigkeit der Evangeli-
sten zugeschrieben werden müssen, so daß die Möglichkeit einer Lebensgeschichte Je-
su im Sinne eines Entwicklungsvorgangs nicht mehr gegeben ist.
62 EICHHORN, Abendmahl, 15 (vgl. oben Anm. 58).
63 Vgl. WEISS, Evangelium, 8 u. ö.; WELLHAUSEN, Einleitung, 43ff., bes. 52f.: „Die letzte
Quelle der Evangelien ist mündliche Überlieferung, aber diese enthält nur zerstreuten
Stoff" (43).
" DIBELIUS, Überlieferung, 4.
65 Diese Vorstellung geht maßgeblich auf J. WEISS zurück, der den Nachweis führt, daß
Markus kein Schriftsteller, sondern ein Vermittler ältester Gemeindeüberlieferung ist,
s. DERS., Evangelium, 120-345. M. DIBELIUS nimmt sie auf (vgl. DERS., Überlieferung,
4) und sie fließt in dieser Form in die Formgeschichte ein, wo sie über Jahrzehnte ei-
nen festen Bestandteil des formgeschichtlichen Paradigmas bildet. Erst mit W. MARX-
SENS Studie Der Evangelist Markus (1957) setzte eine Neueinschätzung des schrift-
stellerischen und theologischen Beitrags des Evangelisten Markus ein.
" „Wir müssen immer deutlicher unterscheiden lernen zwischen der dem Evangelisten
vorliegenden Tradition und dem Rahmen, den er ihr gegeben hat [ . . . ] " , fordert M.
DIBELIUS, Rez. J. Weiß, Jesus von Nazareth. Mythus oder Geschichte, ThLZ 3 5 , 1 9 1 0 ,
545ff.
" Vgl. die Evangelienkommentare WELLHAUSENS, ferner die zusammenfassende Dar-
stellung des Überlieferungsprozesses in J. WEISS (Hg.), Die Schriften des Neuen Te-
staments I, Göttingen 1906, 36-56, ferner DIBELIUS, Überlieferung, 4 - 6 .
" DIBELIUS, Formgeschichte; SCHMIDT, Rahmen; BULTMANN, Geschichte.
" Vgl. auch SCHMITHALS, Einleitung, 261. Die Tatsache, daß alle drei Kronzeugen der
formgeschichtlichen Betrachtung Jesusstudien veröffentlichen, belegt dies eindeutig.
Vgl. BULTMANN, Jesus; SCHMIDT, Art. Jesus Christus; DIBELIUS, Jesus.
70 Vgl. WEINEL, Verkündigung, 32: „Das Neue, das seit der Aufklärung eingetreten ist,
ist [ . . . ] nur dies, daß der Prozeß der Sichtung der Überlieferung [ . . . ] nun endgültig
und absolut fortgeführt wird bis auf Jesus selbst".
71 Hierin liegt auch eine Weiterentwicklung gegenüber früherer Anwendung des Diffe-
„Die literarische Kritik [...] hat sich zuerst auf die Feststellung dessen zu er-
strecken, was die ältesten Quellen boten. Dann ist noch das von der mündlichen
Uberlieferung Hinzugefügte durch historische Kritik festzustellen. Für diese nun
hat als der einzige Maßstab, Echtes von Unechtem zu unterscheiden, der Grundsatz
zu gelten: Nur solche Züge der Uberlieferung sind als unecht auszuschalten, die
nicht aus einem Interesse Jesu, sondern nur aus einem Interesse der Gemeinde
herstammen können. Dieser Grundsatz ist [...] nicht zu dem anderen auszuwei-
ten, daß überall da, wo die Gemeinde ein Interesse hatte [...], die Überlieferung
ganz und gar als unecht anzusprechen sei. Vielmehr muß, da es sich hier immer
um eine Ausscheidungs-Operation handelt, erst der Beweis erbracht werden, daß
das betreffende Interesse erst später aufgetaucht sein kann."
Der Ausgang des 19. Jahrhunderts war von dem Aufstieg der sogenannten
religionsgeschichtlichen Betrachtungsweise gekennzeichnet, die darauf
zielte, die Entstehung des Christentums auf dem Hintergrund seiner
Problematik formuliert worden und stellt somit eine untypische Position dar. Ferner
ist es nicht als überlieferungskritisches Aussonderungsprinzip formuliert, sondern als
Maßstab der Historizität des von den vorliegenden Evangelien gebotenen geschichtli-
chen Stoffes. Es stellt eher eine Vorform des späteren Criterion of Embarrassment dar
und beruht auf Spekulation darüber, was angeblich im frühen Christentum nicht er-
funden werden konnte. Darin unterscheidet es sich erheblich vom Differenzkriterium.
73 WEINEL, Verkündigung, 28f. (Hervorhebung im Original).
74 HEITMÜLLER, Art. Jesus Christus, 361.
75 Alle grundlegenden Prämissen der Formgeschichte waren vor dem Ausbruch des Er-
sten Weltkrieges schon gegeben. Es fehlte nur noch die ausführliche Dokumentation
der Ergebnisse des dort anvisierten Programms (das Desiderat formulierte ζ. B. B O U S -
SET, Kyrios Christos, 246-269).
Ich erwähne nur wenige Beispiele einiger einflußreicher Gelehrter. Da ist zunächst WIL-
HELM BOUSSET ZU nennen, der zwar eine konsequente „Heranziehung der religiösen Ge-
danken- und Stimmungs-Welt des Spätjudentums zum Verständnis der geschichtlichen
Erscheinung Jesu" forderte, andererseits aber urteilte, daß „die Predigt Jesu vor allem
und in erster Linie in ihrem Gegensatz zum Judentum verstanden werden muß" und daß
die Gesamtgestalt Jesu nicht „im Bannkreis des Judentums" stehe 77 . Trotz seines be-
rühmten Diktums, daß Jesus nicht Christ, sondern Jude gewesen sei, der innerhalb des
Judentums bleiben wollte, urteilte JULIUS WELLHAUSEN, „man darf das Nichtjüdische in
ihm, das Menschliche, für charakteristischer halten, als das Jüdische" 78 . ADOLF HARNACK
hat in seiner äußerst einflußreichen Vorlesung Das Wesen des Christentums (Erstveröf-
fentlichung 1900) ein zum Teil düsteres Bild des antiken Judentums gezeichnet, um Je-
sus als die Verwirklichung des höchsten religiösen Ideals davon absetzen können. Ihm
zufolge ist der Zusammenhang Jesu zum Judentum „nur noch ein lockerer", der Zusam-
menhang mit der Zeitgeschichte sei überhaupt unbedeutend 79 . PAUL WERNLE beklagte
die Rejudaisierung des vom Judentum frei gewordenen Jesus im frühen Christentum, die
„das Bild Jesu verfälscht durch die Eintragung ihm fremder judaistischer Züge" und die
Jesus in jüdischen Gedanken einbalsamiere80.
E s ist H E I N R I C H W E I N E L S V e r d i e n s t , d a ß e r das in d e r J e s u s f o r s c h u n g
l a t e n t v o r h a n d e n e P r i n z i p d e r D i f f e r e n z z u m J u d e n t u m als m e t h o d i s c h e n
G r u n d s a t z e r f a ß t e u n d klar f o r m u l i e r t e . S o m i t f i n d e t s i c h das d o p p e l t e
D i f f e r e n z k r i t e r i u m s c h o n 1 9 1 0 v o l l s t ä n d i g bei i h m . W E I N E L b e t o n t e , d a ß
mit dem Differenzprinzip zwar die von Jesus stammende echte Überliefe-
rung gesichert werden könne, nicht jedoch das Wesentliche 81 :
„Das Wesentliche bestimmt sich nach einer ganz anderen Methode als das Echte.
Aus dem Echten [ . . . ] muß das Wesentliche noch erst ausgeschieden werden, und
zwar nach dem Grundsatz: das Wesentliche ist das Originale. N i c h t was Jesus mit
seinem Volk und seiner Zeit geteilt hat - das ist natürlich oft gerade das Echte an
der Uberlieferung - sondern was ihn von seinem Volk und seiner Zeit unterschie-
den hat, das ist sein, das ist das Wesentliche an ihm und seiner Predigt."
Die Tendenz der Jesusforschung des späten 19. und frühen 20. Jahrhun-
derts, Jesus von seiner Verflechtung mit dem zeitgenössischen Judentum
isolieren zu wollen, ist auf ihre Beheimatung im Historismus als ihrem ge-
schichtstheoretischen Kontext zurückzuführen84. Der im 19. Jahrhundert
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daß das Individualitätsaxiom des Historismus
sich auch hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Jesus und Christentum auswirkte.
Dies läßt sich exemplarisch an J. WELLHAUSEN illustrieren. WELLHAUSEN zufolge haftet
dem Christentum (wie dem nachexilischen Judentum) etwas Epigonenhaftes an, so daß
es nicht vermag, Jesu einzigartigen Neuansatz in Reinform weiter zu führen. Vielmehr
habe ein Rückfall eingesetzt, der endlich in eine Fortsetzung der jüdischen Theokratie in
Gestalt der weltweiten Kirche gemündet sei' 5 . Ahnliches läßt sich bei WERNLE beob-
achten, der einen Rückfall der Nachfolger Jesu in jüdische Kategorien beklagt 96 . So be-
kommt Jesus in beide Richtungen eine einzigartige, über seine Umgebung herausragende
Stellung zugewiesen 97 .
101 WELLHAUSEN, Geschichte, 191. Er betont den „Widerspruch, daß der Gott der Pro-
pheten sich jetzt in einer kleinlichen Heils- und Zuchtanstalt verpuppte". Das Gesetz
habe eine „erstickende Wirkung", in der „der Kern hinter der Schale verholzte" (208).
Zu WELLHAUSENS Sicht des Judentums vgl. LIEBESCHÜTZ, Judentum, 2 4 3 - 2 6 8 ; ferner
PERLITT, Vatke und Wellhausen; KUSCHE, Unterlegene Religion, 3 0 - 7 4 .
102 So der Titel des vorletzten Kapitels des Buches (in der 1. Auflage des letzten Kapi-
tels).
103 WELLHAUSEN, Geschichte, 379. Die Bezeichnung Spätjudentum hat ihre Entstehung
im ausgehenden 19. Jahrhundert diesem verbreiteten Konzept einer Abfallgeschichte
Israels zu verdanken.
104 Vgl. dazu LIEBESCHÜTZ, Judentum, 2 4 3 - 2 6 8 , bes. 2 5 5 - 2 5 7 .
105 WELLHAUSEN, Geschichte, 3 8 1 - 3 9 0 . Schon 1884 schrieb er: „Das Evangelium ent-
wickelt verborgene Triebe des Alten Testaments, aber es protestiert gegen die herr-
schende Richtung des Judentums. Jesus versteht den Monotheismus anders als seine
Zeitgenossen", zitiert nach THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 76. Eine solche Pro-
pheten-Anschluß-Vorstellung läßt sich schon bei D. F. STRAUSS und in liberalen Je-
sus-Darstellungen nachweisen, vgl. ebd., 54f.
"* Vgl. KOCH, Ratlos, 3 5 - 3 7 . Die Rezeption setzt schon in BOUSSETS Jesusbuch ein, der
Jesu universale und individuelle Gerichtspredigt auf altisraelitische Herkunft zurück-
führt, vgl. THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 95f.
das sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts infolge der Rezeption von
FERDINAND WEBERS 1880 posthum erschienenem Buch System der alt-
synagogalen palästinischen Theologie herauskristallisierte107. Dieses Bild
zeichnet das Judentum in erster Linie als partikularistische Gesetzes-
frömmigkeit angesichts eines unendlich fernen, transzendenten Gottes.
Das von WEBER gezeichnete Negativbild eines legalistischen Judentums
wurde durch die Rezeption in zwei Standardwerken der jüdischen Religio-
sität popularisiert und für Jahrzehnte festgeschrieben, nämlich durch
EMIL SCHÜRERS dreibändige Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter
Jesu Christi (ab 1886) und WILHELM BOUSSETS Die Religion des Juden-
tums im neutestamentlichen Zeitalter (1903)108. Das antike Judentum
bekam dadurch gerade für protestantische Jesusforscher ein äußerst
unattraktives Gesicht 10 ', was eine Einbettung Jesu in seine jüdische Um-
welt aus ihrer Sicht praktisch unmöglich und eine scharfe Absetzung Jesu
von ihr geradezu unumgänglich machte110.
107 D a z u D E I N E S , P h a r i s ä e r , 2 4 5 - 2 5 5 ; WAUBKE, P h a r i s ä e r , 2 5 0 - 2 5 6 .
10S Dazu ausführlich SANDERS, Paulus, 27-54. Zu BOUSSET vgl. THEISSEN/WINTER, Krite-
rienfrage, 9 2 - 9 8 .
109 Im Brennpunkt der Negativdarstellung standen vor allem die Pharisäer, s. WAUBKE,
Pharisäer, 336-338.
110 Siehe auch THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 76-78.
111 HEINRICHS, J u d e n b i l d , bes. 6 8 1 - 6 9 5 .
„Wo der Gegensatz zur jüdischen Moral und Frömmigkeit und die spezifische
eschatologische Stimmung, die das Charakteristikum der Verkündigung Jesu bil-
den, zum Ausdruck kommt, und wo sich andererseits keine spezifisch christliche
Züge finden, darf man am ehesten urteilen, ein echtes Gleichnis Jesu zu besitzen."
116 BULTMANN, G e s c h i c h t e , 8 - 7 3 .
117 Zur Anwendung von Echtheitskriterien in BULTMANN, Geschichte, vgl. BAASLAND,
T h e o l o g i e , 2 3 6 - 2 6 1 ; ferner THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 1 1 4 - 1 1 6 .
118 BULTMANN, G e s c h i c h t e , 222.
" ' D a m i t ebnet er den Weg für eine in der späteren Jesusforschung gelegentlich vor-
kommende fehlerhafte Anwendung des Differenzkriteriums, die davon ausgeht, daß
jüdische Stoffe in der Uberlieferung unecht wären.
120 Vgl. BULTMANN, Geschichte, 132: „Die erste grundlegende Beobachtung ist die, daß
jüdisches Gut von der christlichen Tradition übernommen und Jesus in den Mund
gelegt ist", vgl. ferner die Diskussion zu den Weisheitslogien ebd., 106-113, und zu
den prophetischen Worten ebd., 132-138. Das Vorgehen BULTMANNS entspricht der
hier oben erwähnten Position WERNLES, der eine Rejudaisierung Jesu im frühen Chri-
stentum beklagte. Streng genommen müßte man also sagen, daß Bultmann nicht ein
doppeltes Differenzkriterium vertrat, sondern nur das an dem überlieferungsge-
schichtlichen Problem orientierte Differenzkriterium zum Christentum. Die Diffe-
renz zum Judentum wird dazu instrumentalisiert, die Differenz zum Judenchristen-
tum erkennen zu können.
121 BULTMANN, G e s c h i c h t e , 108.
Zum Abschluß ist festzuhalten: Auch wenn in den zwanziger Jahren bei
BULTMANN mit seiner Abkehr von den systematisch-theologischen und
hermeneutischen Prämissen der Leben-Jesu-Theologie eine Wende be-
züglich des Stellenwertes der Frage nach dem historischen Jesus für die
Theologie eingetreten ist, blieben die geschichtstheoretischen und me-
thodischen Voraussetzungen, unter denen er sich mit dem historischen
' " T H E I S S E N / W I N T E R , K r i t e r i e n f r a g e , 1 8 3 - 9 4 , 2 0 9 - 1 2 , 2 1 5 - 1 7 . V g l . DU T O I T , E r n e u t a u f
der Suche, 109-116, zu den forschungsgeschichtlichen Zusammenhängen.
128 Vgl. die Formulierung bei THEISSEN/MERZ, Jesus, 119: „Historische Kontextplausibili-
tät haben Jesusüberlieferungen, wenn sie in den jüdischen Kontext des Wirkens Jesu
passen und innerhalb dieses Kontextes als individuelle Erscheinungen erkennbar
sind", ferner THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 194-205.
In der neuesten Jesusforschung zeichnet sich ein gewisser Konsens ab, das
Differenzkriterium hinsichtlich des Judentums und somit das historisti-
sche Verständnis geschichtlicher Individualität aufzugeben. Dagegen wird
das Differenzkriterium hinsichtlich des Christentums als Aussonderungs-
bzw. Authentizitätskriterium weitgehend aufrechterhalten132. Dies ist eine
Folge der Tatsache, daß die Jesusforschung unbeirrt an gewissen aus dem
Historismus übernommenen Postulaten festhält - insbesondere an der
Prämisse, der Zugang zum historischen Jesus erfolge am besten über den
129 Dagegen wurde von A n f a n g der sogenannten N e w Q u e s t an Kritik laut - vgl. KÜM-
MEL, Vierzig Jahre Jesusforschung, 28-32, 100-108; s. bes. HOOKER, Using, 570-581.
Vgl. aber schon WEINELS Einschränkung (hier oben Anm. 73).
130 Vgl. z. B. jene Darstellungen der Entstehung des frühen Christentums, die aus dem
terium herbeigeführte Isolierung J e s u durch die Forderung aufzufangen, daß die Ent-
stehung des frühen Christentums als Wirkungsgeschichte der Geschichte J e s u plausi-
bel gemacht werden soll; s. BECKER, Jesus, 4f.; THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage,
1 7 6 - 1 8 3 , 2 1 2 - 2 1 4 ; THEISSEN/MERZ J e s u s , 1 1 7 - 1 2 0 .
132 Vgl. DU TOIT, Erneut auf der Suche, 116. Auch das von THEISSEN/WINTER und
THEISSEN/MERZ vorgeschlagene Kriterium der Wirkungsplausibilität (bzw. Tendenz-
widrigkeit/-sprödigkeit) ist nur eine Variante der Differenzkriteriums - auch sie zielt
darauf, Einzelüberlieferungen auf ihre Authentizität hin zu prüfen und J e s u s zu- oder
abzuerkennen.
Wie tief die Jesusforschung noch am Ende des 20. Jahrhunderts in histori-
stische Voraussetzungen verstrickt ist, läßt sich vor allem daran ablesen,
daß sie sich eines der Archäologie vergleichbaren Verfahrens bedient -
Ziel ist es, die sekundären Schichten der Uberlieferung abzutragen, um zu
der ältesten Uberlieferungsschicht vorzustoßen, die einen unmittelbaren
Zugang zum historischen Jesus verspricht 134 . Dementsprechend ist oft
von einer Rückfrage nach Jesus die Rede 135 . Dieses Modell verdankt seinen
Ursprung der Tatsache, daß der Ubergang zu einer Untersuchung der
vorliterarischen Uberlieferung am Anfang des 20. Jahrhunderts gänzlich
im Rahmen der von der Jesusforschung des 19. Jahrhunderts vorgegebe-
nen Zwei-Quellen-Hypothese stattfand 136 .
Diese Verquickung der Frage nach dem historischen Jesus mit der Frage nach der Ent-
stehung der Evangelien bestimmte auch jene Tendenz der Jesusforschung des 20. Jahr-
hunderts, die Quellenbasis auf die synoptische Uberlieferung einzuschränken, und stand
einer Ausweitung auf die außersynoptische Uberlieferung bis zum Ende des 20. Jahr-
hunderts im Wege. Die Einsicht der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller unabhängiger
Überlieferungen begann sich erst seit den neunziger Jahren durchzusetzen"7. Wie leben-
dig jedoch die historistische Prämisse „je älter, desto zuverlässiger" noch am Ende des
20. Jahrhunderts ist, zeigt sich daran, daß gerade diejenigen, die die Relevanz außerkano-
nischer Quellen für die Jesusforschung betonen, großen Wert darauf legen, das Alter
dieser Quellen oder ihrer primären Schichten (bes. des Thomas- bzw. Petrusevangeli-
ums) hervorzuheben 1 3 8 . Sie ist auch dort wirksam, wo mit Hilfe einer Stratifikation der
Quellen älteste Schichten als primäre Quellen ausgesondert werden, wie es z. B. im E n t -
wurf CROSSANS geschieht bzw. dort, wo eine primäre nicht-eschatologische, weisheitli-
che Schicht in Q einen direkten Zugang zum historischen Jesus verbürgen soll' 3 '.
riert ist. Eine hinter den Quellen verborgene Vergangenheit durch histori-
sche Rekonstruktion wirklichkeitsgetreu wiederauferstehen zu lassen, ist
also eine Illusion - dem Historiker bleibt nur die Möglichkeit, in reflek-
tierender Verantwortung angesichts der fragmentarischen Quellen Ge-
schichte in einem kreativen Akt zu konstruieren144.
Einen Versuch, die Frage nach den Uberlieferungsmodalitäten zu klären, haben HARALD
RIESENFELD, BIRGER GERHARDSSON und neuerdings RAINER RIESNER unternommen.
Das von ihnen vorgeschlagene Uberlieferungsmodell geht davon aus, daß die Überliefe-
rung durch von Jesus selbst eingesetzte und unterrichtete Autoritäten gesteuert worden
sei und daß die Modalitäten der rabbinischen mündlichen Uberlieferung auf die früh-
christliche Jesusüberlieferung zu übertragen seien. Dieses Modell eignet sich schon des-
wegen nicht als methodische Grundlage des Kriterienmodells und somit als Basis einer
von der Authentizitätsproblematik geleiteten Jesusforschung, weil es ein bestimmtes J e -
susbild (Jesus als Lehrer) voraussetzt, das die Jesusforschung erst zu eruieren hat.
Solange die offenen Fragen der Modalitäten der Uberlieferung nicht be-
friedigend geklärt sind, fehlt dem Kriterien- bzw. Authentizitätsmodell
der Jesusforschung eine tragfähige methodische Grundlage. Es ist aller-
dings zu befürchten, daß Optimismus in dieser Frage fehl am Platz wäre.
Die Komplexität mündlicher Uberlieferung gestattet voraussichtlich kei-
ne eindeutige Klärung der Modalitätenfrage.
146 GÜTTGEMANNS, O f f e n e Fragen; G. STANTON, Form Criticism; KELBER, The Oral and
the Written Gospel, 1-43; SCHMITHALS, Einleitung, 298-318; BERGER, Einführung;
SCHRÖTER, Erinnerung, 1-65.
151 Dieser Ansatz läuft dem der Jesusforschung des 20. Jahrhunderts entgegen, der seit
der Entstehung des Differenzkriteriums mit einem Rückfall des Judenchristentums in
das Judentum, von dem Jesus sich getrennt haben soll, rechnet (vgl. z. B. das Zitat von
P. WERNLE bei Anm. 80, ferner die Überlegungen hier oben zu BULTMANNS Anwen-
dung des Differenzkriteriums und KÄSEMANNS Zusatzformulierung zu demselben (s.
Anm. 4). Dieser Ansatz setzt jedoch ein bestimmtes Bild der geschichtlichen Ent-
wicklung voraus, das nicht einfach vorausgesetzt werden darf, sondern historisch
plausibel zu begründen ist.
152 Die den Quellen zu entnehmenden Informationen sind also von ihrem jetzigen Sinn-
vorösterlichen Gegebenheiten gehabt haben soll, wie man es sich in der Nachfolge
BULTMANNS vorstellt, ist mit Skepsis zu betrachten. Wenn Neuschöpfungen in der
Tradition vermutet werden, ist dies plausibel zu begründen.
Bibliographie
JAMES D . G . D U N N
of Jesus' day and the faith of the first Christians. Most of the third
questers have found the key in the Jewishness of Jesus, and his aim/hope
for the restoration of Israel, and have settled mostly on the picture of Je-
sus as the eschatological prophet.1 But the more the Jewishness of Jesus
is stressed, of course, the wider the gap that must be crossed in moving
from Jesus the Jew to the predominantly Gentile Christianity which soon
emerged.
Such brief characterisations, of course, run the risk of being carica-
tures. And each of the above attempts to unlock a surer way to the "his-
torical Jesus" 2 surely deserves a much fuller and more nuanced critique.
But there have been many such critiques offered over the past century,3
and there is neither scope nor sufficient reason here to undertake a fresh
analysis. Instead it will have to suffice to examine in more detail two of
the most interesting keys which have been offered in recent research,4
before proffering my own suggested key. One is the rather traditional re-
course to literary analysis of the available sources. In this case the key is
given by the isolation of an earliest stratum within the Q document, and
its correlation with the Gospel of Thomas, as providing the most immedi-
ate access to Jesus' teaching. The second is to step back from the imme-
diacy of the text and to read the text within a larger theoretical context,
what might be called "a grand narrative". There have been two impressive
examples in recent Jesus research. J. D . CROSSAN has no doubt that the
conjunction of three vectors (a rather broadly conceived cross-cultural
anthropology, Greco-Roman and Jewish history, and literary or textual
1 S A N D E R S sums up a fair consensus when he notes: "Many scholars have agreed that,
of various roles which we can identify, Jesus best fits that of 'prophet' (Jesus and Ju-
daism, 2 3 9 ) ; note also B E C K E R , Jesus of Nazareth, 2 1 2 - 2 2 6 , 2 2 7 ; the subtitles of A L -
L I S O N , Jesus of Nazareth, and E H R M A N , Jesus. Similarly M E I E R finds that his three
volumes investigating the Jesus tradition support the self-chosen portrait of Jesus as
"the Elijah-like, miracle-working, eschatological prophet" (Elijah-like Prophet 4 5 - 8 3 ) ;
and see n. 40 below.
2 I use the term "historical Jesus" here in the characteristically casual way of current Je-
sus research: that is, despite the recognition that the phrase denotes the figure of Je-
sus reconstructed by historical method, the phrase continues to be widely used in ref-
erence to the Jesus who conducted a mission in the Galilee during the years
(probably) 27-30. But I point up the dangers of the usage below.
3 See of course SCHWEITZER, Quest. Of recent treatments see e. g. ALLEN, The Human
Christ; WEAVER, Historical Jesus; WITHERINGTON, The Jesus Quest; EVANS, Life of
Jesus Research.
4 With more space to command I would have liked to include critique also of M E I E R ' S
magisterial four volume study of A Marginal Jew, in which he recognizes that "the
quest for objectivity" is an unrealistic one (1.4-6), but nevertheless pursues the ideal
of an exegete using "purely historical-critical methods" (1.197).
A strong feature of the Quest in the transition from 19th to 20th centu-
ries was the focus on Mark's Gospel as the earliest written Gospel (Mar-
kan priority). For many this invited the obvious inference that Mark pro-
vides the most direct and immediate access to "the historical Jesus". 7 In
an eerily reminiscent way, the transition from the 20th to 21st centuries
has been marked by a similar focus on the other member of the "two
document hypothesis", Q. The currently influential consensus, that not
only the content and extent of the complete document but also an earliest
stratum can be identified within Q, 8 seems to invite the equivalent infer-
ence that this earliest version of Q (Q 1 ) provides the most direct and im-
mediate access to "the historical Jesus". 9 Moreover, the fact that Q 1
seems to be similar in character to the Gospel of Thomas (wisdom, rather
in the literature of the period,17 and that the second stage compiler, on his
own hypothesis, evidently had no qualms in combining the different ma-
terial (genres) of Q 1 and Q 2 . 18 So critics at this point should not them-
selves make the mistake of which they accuse K L O P P E N B O R G , that is, of
assuming that the designation of a "sayings" genre as a " s a p i e n t i a l " sayings
genre would necessarily be restricted to exclusively "wisdom" sayings.19
The deficiency of such categorisation is rather, as C H R I S T O P H E R T U C K E T T
has repeatedly observed, that the range of material included by K L O P P E N -
BORG in this genre gives such a breadth of definition to "wisdom" as to
diminish its usefulness as a distinguishing category.20 The likening of Q
to a collection of Cynic chriae,21 a suggestion taken up and pushed further
by others,22 has confused the issue still further.23 And to speak of a gnos-
ticizing tendency in the sapiential genre24 is to confuse later development
with original motivation,25 and to propagate a concept of genre as having
an inherent character analogous to the genetic determinism advocated by
some contemporary biologists. All in all, the attempt to classify and de-
marcate genre types has not proved very helpful in the discussion of Q.
More to the point, is the question of redaction itself. Here we need to
remind ourselves of the methodological problems in such an analysis.26 If
we take the parallel of Mark, it has proved difficult enough to determine
redaction in Mark's case. There are, after all, no firm criteria which enable
17 KLOPPENBORG notes that Proverbs contains some prophetic motifs and that Isaiah
has absorbed sapiential elements (Formation 3 7 - 3 9 ) . See also e. g. C D and 1QS from
the DSS, or T. 12 Patr. from Jewish pseudepigrapha and Revelation from the N T .
" Cf. TUCKETT, Stratification of Q , 215-216.
" For KLOPPENBORG'S robust response to HORSLEY in particular, see Excavating Q
150-151 n. 71.
20 TUCKETT, Q particularly 345-348, 353-354; similarly HORSLEY in HORSLEY &
DRAPER, Whoever 77-78, and further 75-82. SCHRÖTER also points out that the
vagueness of "Logoi/Sayings" hardly makes it a suitable criterion to distinguish a spe-
cific genre (Erinnerung 9 5 - 9 6 ) .
21 KLOPPENBORG, Formation 306-316, 322-325; but he has repeatedly pointed out that
sus; MACK, Lost Gospel 45-46, 114-123; VAAGE, Galilean Upstarts; also Historical
Jesus.
23 For TUCKETT'S critique see Q 368-391. See also the critiques of BETZ, Jesus and the
Robinson ( Q 3 3 7 - 3 4 3 ) .
25 Cf. LÜHRMANN'S critique of ROBINSON on this point (Redaktion 91).
Excavating Q 114-118.
saw Jesus more as a sage than a prophet (KLOPPENBORG VEREIN, Excavating Q 199,
3 9 7 - 3 9 8 ) , only begins to make sense if Q 1 represented the complete range of concerns
of the Q people.
17 See further TUCKETT, Q 7 1 - 7 4 ; DOWNING, Word-processing in the Ancient World
8 5 - 9 4 . HORSLEY in HORSLEY & DRAPER, Whoever 6 2 - 6 7 , sums up his genre critique:
"The common features that supposedly characterize the sayings clusters assigned to
the different strata either fail to appear in the clusters or do not appear consistently
across the various clusters. The hypothesized layers cannot in fact be differentiated
according to the stated criteria of these features" (67).
38 See particularly KLOPPENBORG, Formation 2 4 4 - 2 4 5 ; also Sayings Gospel Q , 323
n. 70, 337; also Excavating Q 151.
39 See further my Jesus Remembered # 1 2 n. 177; also MEIER, Marginal Jew 2.209 n. 134.
40 KOESTER notes that KLOPPENBORG assigns to the secondary stage not only sayings
about the judgment of this generation and about the coming of the Son of Man, but
also the entire sections in which these sayings are embedded ( Q 3 . 7 - 9 , 1 6 - 1 7 ; 4 . 1 - 1 3 ;
12.39-59; 17.23-37; and the Q materials in Luke 7 . 1 - 3 5 and 11.14-52), and argues for
"a more explicit eschatological orientation of the earliest composition of Q " (Sayings
of Q, 145); "the image of Jesus that is accessible through the most original version of
Q is that of an eschatological prophet" (153).
Another key offered to unlock the way into the Jesus tradition has been
the master or meta-narrative. Indeed, some would say that without such a
grid into which to fit the data, the evidence is capable of too many diver-
gent readings. H A L V O R M O X N E S reminds us that Protestants were for a
long time attracted by the master narrative of a decline from the age of
spirit and freedom to the age of institutions and control ("early Catholi-
cism" as a negative description). 43 And the grand narrative of modernity
actually provided the key for the old Liberal questers: a non-miracle
working, moral teacher affirmed a European optimistic individualism
born of self-conscious cultural supremacy, industrial might and imperial-
istic conquest. The very idea of a grand narrative is itself a corollary of an
apocalyptic vision of history: what happens on earth as the reflection of
cosmic and epochal spiritual forces shaped in accordance with the divine
purpose. So it is hardly surprising if most of the 20th century Quest took
for granted the master narrative of Jewish apocalyptic expectation put to
it by W E I S S and SCHWEITZER. 4 4 But now that paradigm in turn has been
undermined for many, and other hermeneutical keys are being sought. 45
Those Jesus questers unwilling to align themselves wholly with postmod-
ernism's pluralism and concomitant rejection of all grand narratives still
look for the grand narrative which will provide the key to resolve the rid-
dle of Jesus' kingdom preaching. The two most impressive attempts to
open the way to the historical Jesus using such a key have been those of
J O H N D O M I N I C CROSSAN a n d T O M W R I G H T .
52 This criticism need be tempered to only a little extent by CROSSAN'S teaming up with
the archaeologist, J. L . REED in their jointly-authored Excavating Jesus.
M See particularly the critique by FREYNE, Galilean Q u e s t i o n s : "If one were to follow
Crossan's methodology to its logical conclusion [ . . . ] it would be difficult to locate
Jesus anywhere, certainly not in Galilee" (64); and the warnings on this point by SA-
WACKI, Crossing Galilee 73-80.
54 S e e e. g . F R E Y N E , G a l i l e e c h . 6; H O R S L E Y , J e s u s c h . 4 ; R A P P A P O R T , H o w Anti-Roman
Was the Galilee?". C f . Tacitus' report that "under Tiberius (14-37 C E ) all was quiet"
(Histories 5.9). BOND notes that during the first six years of Pilate's prefecture ( 2 6 -
32), that is the period of Jesus' activity, there was no Syrian legate in residence to over-
see affairs in Palestine (Pontius Pilate 14).
55 Historical Jesus 287-291. Sentences of Sextus - "a collection of Greek wisdom say-
ings assembled by a Christian redactor probably near the end of the 2d century C E "
(F. WISSE, A B O 5.1146-1147).
2.2 N . T . WRIGHT is the most forthright in his assertion of the need for
the quester to work with a grand narrative.57 He criticizes his predeces-
sors for "pseudo-atomistic work on apparently isolated fragments" and
argues instead that "the real task" is that of "major hypothesis and serious
verification". 58 "The scholar must work with a large hypothesis, and must
appeal, ultimately, to the large picture of how everything fits together as
the justification for smaller-scale decisions". 5 ' In other words, verifica-
tion essentially consists in demonstrating how well individual details fit
within the framework of the larger story. The point here is that the
phrase "kingdom of God" evokes a story, which may well be present even
when the phrase is absent; and individual sayings can only be made sense
of in relation to that story. 60 Jesus and the Victory of God is a massive
exposition of Jesus on that basis, quite as impressive and enchanting as
CROSSAN'S, as one might have hoped for from two who take so seriously
the medium of story in their work.
The problems with W R I G H T ' S exposition begin with his identification
of the grand narrative. He has no doubt that "the controlling story" is
that of "exile and restoration": 61 that is, the conviction of most of Jesus'
place within the larger framework of the story or worldview which forms the basis of
the observer's way of being in relation to the world" (New Testament 37); "simplicity
of outline, elegance in handling the details within it, the inclusion of all the parts of
the story, and the ability of the story to make sense beyond its immediate subject-
matter: these are what counts" (42); see further 98-109.
51 WRIGHT, Jesus 33; see also 51, 87-89, 133.
59 Jesus 79.
60 Jesus 224-225.
" Jesus 245, 576-577. SANDERS speaks more cautiously of "a common hope for the
restoration of Israel which could embrace a variety of themes" (Jesus and Judaism
contemporaries that Israel was still in exile,62 and the preaching of Jesus to
the effect that the exile was now over. The proclamation that "the king-
dom of God is at hand" summed up "the entire narrative of Israel's new
exodus, her final return from exile".63 Here again there are three prob-
lems in particular to be considered.
(1) WRIGHT exaggerates the importance of the theme of return from
exile in Palestinian Judaism. It was certainly a feature of Jewish eschato-
logical hope, that is, for the return of the scattered outcasts of Israel to
the homeland, in accordance with the original schema of Deut. 30.64 But
there is no real evidence that those who actually were living within the land
thought of themselves as still in exile.65 Such a hypothesis hardly squares
with the amazing hymn of praise to Simon the High Priest in Sir. 50,66 or
with the confidence that the purification of altar and temple attested the
restoration of Israel's heritage (2 Macc. 2.17). And the Sadducean priests
responsible for the twice daily Tamid offering in the Temple presumably
did not think of themselves as still in exile. The hypothesis hardly fits
with the confidence of blamelessness of a Pharisee like Saul (Phil. 3.6),
and "the righteous"/"sinners" antithesis so characteristic of the Psalms of
Solomon evidently worked with a frame of reference which was not de-
pendent on the exile-restoration paradigm. The Qumran community
certainly made use of the exile-restoration motif, but in different ways: a
return from "Damascus" already accomplished ( C D 1.4-8), an exile from
Jerusalem in the wilderness (of Judea!), 67 and the threat of future exile to
124). WRIGHT also sees the expectation of Yahweh's return to Zion as integral to the
controlling story (Jesus 616-623).
62 Particularly New Testament 268-272; Jesus xvii-xviii, 126-127, 203-204.
63 Jesus 244.
64 See e. g. Isa. 49.5-6, 22-26; 56.8; Jer. 3.18; 31.10; Ezek. 34.12-16; 36.24-28; Zech. 8.7-
8; Tob. 13.5; 14.5-6; Sir. 36.11-15; 48.10; Bar. 4.37; 5.5; 2 Macc. 1.27, 29; Pss. Sol.
11.1-9; 17.31,44.
65 Writings like Daniel, Tobit and Baruch, of course, write from the perspective of those
still scattered among the nations (Dan. 9.3-19; Tob. 13.3-18; Bar. 2.11-15; 3.7-14).
Such imaginative living again (as in liturgy) through epochal events of Israel's history
- covenants with the patriarchs, passover and exodus, wilderness wanderings and en-
try into the promised land, Davidic kingdom and resilient faith under oppression, ex-
ile and return, Maccabean triumph, loss of Temple (70 CE) - should not be treated
woodenly or reduced to a single motif.
" The appeal for deliverance from oppression in Sir. 36.1-22 is of a piece with the lam-
entation Psalms (Pss. 43, 54-57, 109, 140-141, 143) and does not presuppose that the
speaker believed himself, or those who had already returned to the promised land, to
be still in exile.
67 A B E G G (Exile, 120-124) cites lQpHab 11.4-8 (the "exile" [galoth] of the Teacher of
Righteousness); 1 Q H 12.8-9 ("they drive me from my land"); 1QM 1.2-3 ("the exiles
123).
" As ABEGG does (Exile 120 n. 38, 121).
70 HALPERN-AMARU concludes: " f r o m the postexilic perspective of the author, restora-
tion of a lost purity, not exile and return to the Land, is the signature of the imminent
eschaton" (Exile 144).
71 EVANS is unwilling for the obvious imagery of re-enacting the conquest of the prom-
ised land (the parting of the Jordan, the collapse of city walls) to stand without
pressing the corollary that such movements must have "regarded Israel as in a state of
bondage, even exile" (Aspects of Exile 305).
72 Which SANDERS reckoned to be the focus of restoration theology (Jesus and Judaism
77-87).
73 See e. g. the survey in SANDERS, Jesus and Judaism 213-218.
74 C f . B O R G ' S criticism of S A N D E R S (using different imagery): "the lens of 'J e s u s a s
prophet of restoration eschatology' enables us to see too limited a range of data and
forces us to set aside too much data. Its explanatory power is inadequate" (Jesus 81).
75 A somewhat disturbing feature of WRIGHT'S treatment is his willingness simply to
cite texts without any supporting analysis (e. g. Jesus 166, 179-180).
76 WRIGHT, J e s u s 125-131.
77 Contrasting pairs is one of the most characteristic features of J e s u s ' parables - e. g.
shrunk/unshrunk cloth, new/old wineskins (Mark 2.21-22 pars.), two ways (Matt.
WRIGHT hardly strengthens his case by giving a pivotal place t o the par-
able of the sower (Mark 4 . 2 - 8 pars.). 7 8 The problem is not that an allu-
sion to the idea of the returnees from exile as seed being sown (again) in
the land is farfetched. 7 9 It is rather that planting and fruitful growth are
metaphors of much more diverse application, 80 and that the parable's im-
agery of different soils and outcomes more naturally invites a different
line of thought and application from that of return from exile. Again, the
calling of twelve disciples certainly evokes thought of eschatological res-
toration or renewal of Israel (the twelve tribes), 81 but if "return-from-
exile theology" was a prominent feature of the rationale, 82 it is surprising
that so little is made of it. And the first petition of the Lord's Prayer
("May your name be sanctified"), could evoke the prophecy of Ezek.
3 6 . 2 2 - 2 8 , 8 3 though the implications of the petition are far broader than
simply the restoration of Israel to the land.
F o r the most part, however, WRIGHT is content t o read the Jesus tra-
dition through the lens of his grand narrative without further attempt at
justification. But in squeezing the diversity of Jesus' proclamation of the
kingdom into conformity with that single controlling story 8 4 he misses
much that is of central significance within that proclamation - not least
Jesus' own critique of Israel's current leadership, outreach to the " p o o r "
7.13-14/Luke 13.23-24), wise and foolish builders (Matt. 7.24-27/Luke 6.47-49), two
sons (Matt. 21.28-30), wise and foolish maidens (Matt. 25.1-13), pharisee and taxcol-
lector (Luke 18.9-14). As the corollary to his reading of the parable WRIGHT (Jesus
127) infers that the elder brother would have been identified with the Samaritans
(who objected to the return of the exiles to Judea), in complete disregard of the set-
ting indicated by Luke (the parable was addressed to Pharisees' objection to Jesus
eating with "sinners" - Luke 15.1-3).
78 WRIGHT, J e s u s 2 3 0 - 2 3 9 .
79 J e r . 2 4 . 6 ; 3 2 . 4 1 ; H o s . 2 . 2 3 ; A m o s 9 . 1 5 (cited b y WRIGHT, J e s u s 2 3 2 - 2 3 3 n . 1 2 8 ) .
80 Of the passages cited by WRIGHT, consider Jer. 31.27 and 4 Ezra 8.41; the parable
could have evoked the classic reminder of God's part in the agricultural process (Isa.
28.23-26); at one point WRIGHT himself assumes the identity of "seed" and "word",
as the (later) explanation invites (Jesus 238), but he seems unconcerned that the ex-
planation attached to the parable (which he includes with the parable itself) shows no
awareness of his own "controlling story" (Mark 4.13-20 pars).
81 SANDERS, J e s u s and J u d a i s m 9 8 - 1 0 2 .
82 WRIGHT, J e s u s 4 3 0 - 4 3 1 ; EVANS, Exile 3 1 7 - 3 1 8 . Even so, the t h o u g h t w o u l d b e o f t h e
outcasts of Israel restored to the land and reunited with those already living there, not
that the latter were still in exile.
83 WRIGHT, J e s u s 2 9 3 ; and particularly LOHFINK, J e s u s 1 5 - 1 7 .
84 For example: Jesus' welcome of the poor was a sign of return from exile (Jesus 255);
"forgiveness of sins is another way of saying 'return from exile'" (268-272); Mark 13
is "the story of the real return from exile", and the anticipated destruction of Jerusa-
lem marks the end of exile (340-343, 358-359,364).
and "sinners" and concern for life to be lived in the light of the coming
kingdom. 85
In short, we can be sure that Jesus the Jew shared in his people's confi-
dence in God with regard to Israel and the future. But otherwise we
should heed postmodernism's warning against uncritical dependence on
grand narratives, against the superimposition of a unitary meta-narrative
on much more complex data.86 Here too the grand narrative seems to
lock the resulting portrayal of Jesus into a "one message fits all" pattern
rather than to unlock the rich diversity of the Jesus tradition.
My own suggestion for a key to unlock the way to Jesus the Galilean Jew
has several strands to it. I put it forward in a sequence of theses.
(1) We must take seriously the probability that the ultimate and primary
source of the Jesus tradition is the impact made by Jesus during his mission
on those who responded to him.
We should not assume that the impact of Jesus only began with his res-
urrection, or if you prefer, from the conviction that the crucified Jesus
had been raised from the dead. Of course the tradition as we now have it
is indeed retold in the context and light of Easter faith; of that there is no
doubt. But HEINZ SCHÜRMANN in particular has long ago demonstrated
that many pericopes and motifs within the Jesus tradition have been
shaped without any noticeable influence as such from Easter faith.87
Which is to say, these pericopes and motifs had probably already received
their enduring shape before the rise of Easter faith. Which also means
that their initiating impulse must be traced to the impact made by Jesus
during his (pre-Good Friday) mission.
We should not work methodologically with any assumption that Jesus
must have been different from the Jesus of the Synoptic tradition - as
though there must have been a Jesus who made a different impact from
the one we see in the Jesus tradition, or a Jesus who made no discernible
impact. As MARTIN KAHLER long ago argued: to dispense with the Jesus
85 See my Jesus Remembered # # 1 3 - 1 4 . On the other hand, simply to deny that Jesus
made any use of the theme of the return of the exiles, as BECKER does (Jesus 129),
hardly does justice to the data evoked and issues raised by WRIGHT.
86 C f . the critique o f MARSH, T h e o l o g i c a l H i s t o r y ? 8 7 - 8 8 , 9 1 - 9 2 .
87 SCHÜRMANN, Die vorösterlichen Anfänge.
therefore expressing the consistency, but also from the first, the diversity
of ways in which any word or action impacted the different members of
the group.
In all this, it should be noted, we are able to take seriously the proper
emphasis in contemporary literary theory on reception, on the hearer's
response as a constitutive part of the effectively delivered message. To
quest for an abstracted "historical Jesus", conceived as some artefact to be
excavated below the lowest layer of the literary strata of tradition, is like
the quest for the author's intention, conceived as mental processes behind
the text, independent of the text, but somehow accessible through the
text. In each case we only have the tradition/text itself. And what we
really should be interested in is the impact which the tradition embodies,
the intention as embodied in the text (entextualized). That there was an
author responsible for the text's composition, we need not doubt. And
that there was a Jesus who made the impact thus "en-traditioned" we can
be even more confident of. But it is the Jesus who made just that impact
which we should be interested in. And in any case, it is only the Jesus
who made that impact that we have any realistic hope of finding in the
casket of the Jesus tradition.
(2) The character of the Jesus tradition is best understood for much if not the
most part in terms of oral tradition rather than solely in terms of literary in-
terdependence.
We should cease to allow our perspective on the Synoptic tradition to
be determined by the centuries-old Western cultural conditioning of a lit-
erary, print-dominated mind-set. Despite various, indeed repeated re-
minders that the earliest forms of the Jesus tradition must have been oral
and not yet written, the Synoptic problem has consistently been perceived
as a literary problem, of one text known to and influencing the composer
of another text. The Synoptic problem has characteristically been defined
primarily in terms of source (i. e. written source) criticism and redaction
(literary editing) criticism. Now literary dependency, the phenomenon of
intertextuality, is without serious doubt an important aspect of the whole
picture. But should the whole process of Jesus tradition, formation and
transmission, be restricted to the question of how Matthew or Luke de-
rived (contrived) their version of particular traditions from Mark or Q? -
restricted, that is, by the assumption that they could not have known that
particular tradition in any other form or from any other source than that
provided by the text of Mark, or Q? 91
The classic two (or four) document hypothesis92 is easily demon-
strated, as almost any lecturer to first year students will agree. The degree
of close similarity between Matthew, Mark and Luke again and again
demands a hypothesis of literary interdependence. Passages like Matt.
3.7-10/Luke 3.7-9 and Matt. 11.4-11/Luke 7.22-28 are very persuasive of
the existence of a Q document, written in Greek, on which Matthew and
Luke must have been able to draw. But it is easy to pass over the equally
substantial traditional material where the Synoptic versions are very dif-
ferent, or where the agreement within pericopes is very uneven, close at
one part, distant at another. Such material has usually been ignored in
formulating solutions to the Synoptic problem. Or to be more precise,
such material has usually been considered (as problematic) after the solu-
tion has been first drawn up on the basis only of the passages where liter-
ary interdependence can be more readily discerned. How different might
the road taken have been if the more diverse/divergent material had been
allowed to influence the hypothesis-making from the start.
It is my thesis that when proper attention is given to the full range of
inter-relationships between the various strands of the Synoptic tradition it
becomes more appropriate to conceive the traditioning process of the
earliest groups/communities also or rather more in terms of oral tradition.
There is little doubt, after all, that the earliest groups/churches functioned
in a highly oral society, where levels of literacy were low,93 and where
most communication, even the reading of a Torah scroll, would have been
heard by the audience.94 Within that context it makes best sense to con-
ceptualize the earliest use of the Jesus tradition in terms of groups/com-
munities gathered to celebrate the traditions which they cherished. In a
pre-printing press, pre-radio, pre-cinema/TV age, that was how groups
and communities functioned in communal gatherings after the sun had set
and the day's work was done. At such a point the historian needs to make
93 The level of literacy in Roman Palestine has been reckoned as lower than 10%, per-
haps as low as 3% (HARRIS, Ancient Literacy; BAR-ILAN, Illiteracy in the Land of Is-
rael; HEZSER, Jewish Literacy 496-497).
M Cf. particularly ACHTEMEIER, Omne verbum sonat.
,s I draw particularly, but not exclusively on the conclusions drawn by BAILEY (see par-
ticularly Jesus R e m e m b e r e d # 8 . 3 - 6 ) .
" See further m y Jesus Remembered # 8 . 1 .
wider circulation and that in the event they were circulated more widely
than in their originating church circle.
How does this work out in terms of turning a key in the lock? My
conviction, worked out in detail in Jesus Remembered, is that the Synoptic
tradition, as we still have it, still retains much of the character of tradi-
tions told and retold orally. The Synoptic tradition through all its diver-
sity embodies a remarkably consistent and coherent picture of Jesus, the
impact made by Jesus, Jesus as he was in fact remembered in the earliest
years of nascent Christianity. Most episodes, diverse in the telling, are
recognizably the same episodes. There is a remarkable stability of theme
and core elements within the often diverse (or diverging) tendencies of
parallel traditions. It is such stabilities which both embody the initial im-
pact thus en-traditioned and attest the bonding effect of shared disciple-
ship as expressed in these traditions. It is such diversity which illustrates
the vitality of the tradition as it was rehearsed and fresh lessons drawn
from it in the diversity of early Christian communities.
(3) The characteristic and relatively distinctive features of the Jesus tradition
are most likely to embody and reflect the consistency and distinctive character
of the impact made by Jesus himself
It is methodologically unwise to attempt entry into the Jesus tradition
through a single episode or saying. The logic for many has been that if a
single foothold can be found of sufficient strength, then that can serve as
a kind of bridgehead which can be patiently expanded to take in more and
more of the territory. It is the logic of the second quest's "criteria of dis-
similarity": to find a minimal number of sayings whose "historicity" or
"authenticity" can be more or less guaranteed, and then to expand that
foothold by the criterion of coherence.100 So the attempt is undertaken to
construct great pyramids upside down, as it were, with all dependent on
the "authenticity" of a saying like Matt. 12.28/Luke 11.20 or Luke 17.20-
21. Alternatively, SANDERS thinks the episode in the Temple (symboliz-
ing its destruction) gives him a sure point of entry to the Jesus tradi-
tion.101
My own conviction, shared with others in the "third quest", is that it
would be wiser to look first at the broad picture,102 or, drawing on LEE
KECK'S term, to look for the "characteristic Jesus" rather than the dis-
the tendency to ask "broader questions" (Major Trends 50, 52, 57).
similar Jesus. 103 Otherwise we are liable to become quickly bogged down
and lost in a mire of details over individual disputed sayings.104 The logic
is straightforward: if a feature is characteristic within and relatively dis-
tinctive of the Jesus tradition (in comparison with other Jewish tradi-
tions), then the most obvious explanation of its presence in the Jesus tra-
dition is that it reflects the abiding impression which Jesus made on at
least many of his first followers, which first drew them into and consti-
tuted their community with other disciples, and which was celebrated
(together with the kerygmatic traditions of cross and resurrection) in the
gatherings of the first churches through the first generation of Christian-
ity·
16.
106 BEASLEY-MURRAY, Jesus, provides one of the most thorough of recent analyses of the
evidence of the phrase added to the tradition (e. g. Matt. 16.28; 24.30a;
26.2), the same astonishing fact pertains: that the redaction conformed to
the consistent pattern of usage, as a phrase ("the son of man") used by Je-
sus alone. In such circumstances, it flies in the face of all credibility to
conclude other than that the phrase was remembered as a characteristic
speech usage of Jesus himself, and that its appearance in the Gospel tradi-
tion stems from and reflects his own idiom.
If these are two examples of "characteristic" features of the Jesus tra-
dition, then it is equally easy to illustrate with two "relatively distinct"
features of the Jesus tradition, which equally are best traced back to Jesus.
Neither is so controversial as the first two. One is the use of "Abba" as
relatively distinctive of Jesus' prayers. The classic statement of J. JERE-
MIAS on the subject is much criticized, but has proved nevertheless re-
markably enduring. 108 Most surprising was the fact that second questers
supported the conclusion, even though it failed the criteria of dissimilar-
ity: prayers expressive of intimate sonship are attested in Jewish tradi-
tion; and the "Abba" prayer was certainly prominent in earliest Christi-
anity (Rom. 8.15; Gal. 4.6). But the criterion so applied would be much
too blunt an instrument. "Characteristic and relatively distinctive" is a
quite sufficient and strong enough criterion. And when applied at this
point the Jesus tradition seems to come through well: a way of praying to
G o d as "Father" which seems to have been characteristic of Jesus, and
which is remembered in Pauline usage as distinctive of those who thereby
are assured that they share in Jesus' sonship.
The other example is Jesus the exorcist. There is no doubt that there
were many exorcists and healers in the ancient world, which by the crite-
rion of dissimilarity should make us suspicious of the attribution of exor-
cistic and healing activity to Jesus. But the Gospels' picture is clear
enough that such activity was characteristic of Jesus' mission; and it is
confirmed by Josephus' description of Jesus as "a doer of extraordinary
deeds (paradoxôn ergôn poiêtês)" (Ant. X V I I I 63). 109 And the "relatively
distinctive" features are easily documented: in particular, the laying on of
hands and lack of material aids; the fact that Jesus did not evoke a higher
source of power ("I adjure you by . . . " ) ; and the eschatological signifi-
cance which he saw attested in his healing ministry (Matt. 11.5/Luke 7.22;
Matt 12.27-28/Luke 11.19-20). We can be confident that Jesus was well
known as a great and successful healer and that he fully deserved the
reputation.
Space does not permit me to develop the hypothesis further. For any
interested I may simply refer them to the fuller working out of my Jesus
Remembered volume. But sufficient has been set out above, I hope, to in-
dicate that there is another path for questers of "the historical Jesus" to
explore, and that it promises a more successful outcome than most others
being currently pursued.
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JENS SCHRÖTER
1 Diese können unterschiedlichen Charakter haben, je nachdem ob sie von der Vergan-
genheit unmittelbar Zeugnis geben oder aber von Menschen „zum Zweck der Erinne-
rung" geformt sind. Vgl. DROYSEN, Historik, 6 7 - 1 0 0 (dort die Unterscheidung der
Materialien in Uberreste, Denkmale und Quellen, das Zitat a. a. O . , 426). Für die Je-
susforschung sind aus der ersten Kategorie ζ. B. archäologische Zeugnisse aus Galiläa
bedeutsam, die den Lebensraum Jesu zu erschließen helfen, aus der letzteren in erster
Linie die Darstellungen der Evangelien.
2 Vgl. etwa MEIER, Present State; CROSSAN, Faces; THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage,
hier Teil III: Das Historische Plausibilitätskriterium als Korrektur des Differenzkrite-
riums, 175-232.
3 Im 19. Jahrhundert wird dies ζ. B. an dem Disput zwischen STRAUSS und WEISSE um
die dogmatische Grundlage des christlichen Glaubens deutlich, im 20. Jahrhundert vor
allem an der durch BULTMANN ausgelösten Diskussion darüber, wie eine Darstellung
von Lehre und Wirken Jesu und eine Theologie des Neuen Testaments miteinander in
Beziehung zu setzen seien. Vgl. die eingehende Erörterung der zuletzt genannten
Problematik durch LINDEMANN, Jesus.
sammelt worden seien, die ihre Prägung maßgeblich den Uberzeugungen und Interes-
genheit gefordert. Im Blick auf die Evangelien gilt dabei noch einmal besonders, daß
sie als biographische Erzählungen innerhalb der antiken Geschichtsschreibung zu be-
urteilen sind, näherhin im Rahmen von deren jüdisch-hellenistischer Ausprägung.
" Vgl. hierzu REED, Archaeology, 1-22, der einen knappen, aber instruktiven Überblick
über die archäologischen Forschungen zu Galiläa sowie deren Beitrag für die Jesusfor-
schung gibt.
12 Terminologisch kennzeichnend für die ältere Forschung ist dabei der Begriff des
„Rahmens", in den dann die „Verkündigung Jesu" gestellt wird. Völlig zu Recht be-
merkt FREYNE, Geography, 75, deshalb im Blick auf eine gegenwärtig notwendige
Orientierung der Jesusforschung: "Perhaps we are better placed today to undertake
again the quest for Jesus within a specific social and cultural world."
Die Problematisierung des Charakters der Evangelien als Quellen für die
Geschichte Jesu fällt mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Je-
susforschung zusammen. Sie läßt sich auf zwei Einwände zurückführen,
die in verschiedenen Variationen begegnen. Das erste Argument läßt sich
als dasjenige der sachlichen Diskrepanz bezeichnen. Es besagt, die Deu-
tungen der Person Jesu ließen sich durch den Verweis auf von seinem
Auftreten ausgegangene Impulse nur höchst unzureichend erklären. Die-
ses habe vielmehr nur den äußeren Anstoß geliefert, sei jedoch durch die
Kategorien, die zu seiner Deutung herangezogen wurden, auf eine Weise
überlagert worden, die den historischen Ausgangspunkt undeutlich und in
seinem sachlichen Gehalt zweitrangig erscheinen lasse.
D a s Diskrepanzargument wird zum ersten Mal von DAVID FRIEDRICH
STRAUSS auf die Evangelien angewandt18. Seiner Auffassung zufolge beru-
forschung, die sich vornehmlich auf Jesu Worte stützen, den erzählerischen Rahmen
dagegen für historisch sekundär erachten. Es wird sich zeigen, daß dieses Urteil ge-
schichtsmethodologisch unhaltbar ist.
" Auf andere Weise spielt die Behauptung einer sachlichen Diskontinuität bereits bei
REIMARUS eine Rolle, der zwischen der sittlichen Botschaft Jesu und der nach seinem
T o d an deren Stelle getretenen Lehre der Apostel von einem leidenden, vom Tode
gestellt. Zwar leugnet STRAUSS nicht, daß den Evangelien tatsächlich ge-
schehene Ereignisse zugrunde liegen und auch das messianische Selbstver-
ständnis Jesu einen historischen Impuls zur Entstehung des Glaubens an
ihn geliefert habe22. Diese Anstöße reichen jedoch s. E. nicht aus, um die
Erzählungen über ihn verständlich zu machen. Hierfür bedarf es vielmehr
einerseits der Einbeziehung des - für STRAUSS in seiner Herkunft letztlich
nicht aufzuhellenden - Auferstehungsglaubens 23 , andererseits der Beach-
tung des durch diesen veranlaßten mythischen Charakters der Uberliefe-
rung. Beide Aspekte kulminieren schließlich in einer Trennung der ge-
schichtlichen von der dogmatischen Grundlage des christlichen Glaubens.
Das von STRAUSS festgehaltene Grundgerüst des Lebens Jesu 24 wird zu ei-
nem Ausgangspunkt, der die inhaltliche Gestalt der auf ihm aufbauenden
Deutungen letztlich nur unwesentlich beeinflußt. Diese sind vielmehr von
der mythischen Anschauungsweise geprägt, die die Ideen zwar ge-
schichtsartig einkleidet, jedoch selbst kein Fundament in historischen
Sachverhalten besitzt. Damit hatte STRAUSS eine Diastase zwischen dem
Wirken Jesu und dessen auf dem Auferstehungsglauben gründender Dar-
stellung behauptet, die überall dort nachwirkt, wo keine sachliche Ent-
sprechung zwischen Jesus und der Entstehung des christlichen Glaubens
gesehen wird.
STRAUSS betrachtet den Mythos also als Kategorie, mit deren Hilfe die
zufällige historische Einzelerscheinung in den Rang einer überzeitlichen
Wahrheit erhoben wird. Das unbestreitbare Verdienst, das er sich damit in
der Jesusforschung erworben hat, besteht darin, zum ersten Mal eine kon-
sequente Interpretation der Evangelien durchgeführt zu haben, die deren
Gehalt durch eine Verbindung von historischem Ereignis und deutender
Kategorie zu bestimmen sucht. Seine Auffassung führt jedoch dazu, das
konkrete Ereignis nur noch als Ausdrucksform einer überzeitlichen Idee
zu betrachten25. Die spannungsvolle Einheit von Mythos und Geschichte,
die die Evangelien kennzeichnet, wird deshalb von ihm letztlich nicht
festgehalten. Die „Schlußabhandlung" seines Werkes trägt den bezeich-
22 Leben Jesu, I, 469: » [ . . . ] daß den Gestorbenen seine Jünger als den Messias festhiel-
ten, läßt sich nicht begreifen, wenn nicht der Lebende schon durch bestimmte Erklä-
rungen diese Uberzeugung in ihnen gepflanzt hatte."
23 Leben Jesu, 2. Auflage, I, 99: Es „lag in dem, wodurch auch immer entstandenen,
Glauben an seine Auferstehung mehr als hinreichend Ueberzeugungskraft für seine
Messianität".
24 Leben Jesu, I, 72.
25 Leben Jesu, I, VII: „Den inneren Kern des christlichen Glaubens weiss der Verfasser
von seinen kritischen Untersuchungen völlig unabhängig. Christi übernatürliche Ge-
burt, seine Wunder, seine Auferstehung und Himmelfahrt, bleiben ewige Wahrheiten,
so sehr ihre Wirklichkeit als historischer Fakta angezweifelt werden mag."
durch Rekurs auf das Papiaszeugnis begründete - Einsicht, daß sich aus
dem MkEv nicht unmittelbar auf einen Verlauf der Wirksamkeit Jesu
schließen läßt.
Trotz dieser Erkenntnisse tendiert WEISSE in seiner Betonung eines
unmittelbaren Bezugs auf die Person Jesu dazu, diese auf andere Weise als
STRAUSS ebenfalls aus ihren konkreten geschichtlichen Bezügen zu isolie-
ren und ihr eine quasi urbildliche Bedeutung zuzuschreiben. Bleibt bei
STRAUSS das Verhältnis von historischem Ereignis und dessen Wirkung
letztlich ungelöst, weil sein Mythosbegriff auf einer Entgegensetzung von
Geschichte und Idee basiert, so ist das Gegenmodell von WEISSE, der den
christlichen Glauben im Bezug auf eine aus ihren geschichtlichen Kon-
kretionen gelöste Persönlichkeit Jesu sucht, nicht minder problematisch.
Beiden gelingt es nicht, einen Bezug zur historischen Person Jesu zu erar-
beiten, der die in den urchristlichen Entwürfen vorliegenden historischen
Erinnerungen und von seinem Wirken ausgegangenen Impulse mit deren
späterer Ausgestaltung und sachlichen Weiterführung vermittelt.
Eine der Position von STRAUSS analoge Auffassung begegnet wieder in
der Religionsgeschichtlichen Schule und ihrer in verschiedenen Ausfor-
mungen vertretenen These der nachösterlichen Entstehung der Christo-
logie. Signifikant greifbar wird diese zunächst in WILLIAM WREDES Un-
tersuchung über „Das Messiasgeheimnis in den Evangelien", die dem
Problem des messianischen Selbstbewußtseins Jesu gewidmet ist. Auf-
grund seiner Analyse vornehmlich des MkEv gelangt er zu der Auffas-
sung, die Messianität Jesu sei „jedenfalls nicht ein Gedanke Jesu, sondern
ein Gedanke der Gemeinde" 27 gewesen, der nachträglich auf seine irdische
Wirksamkeit übertragen worden sei. Dieser Gedanke sei als „theologisch"
oder „dogmatisch" zu bestimmen und nicht aus einer historischen Be-
trachtung des Lebens Jesu erwachsen.
WREDES Position läßt sich somit als Zuspitzung der bereits bei
STRAUSS anzutreffenden Sichtweise auffassen, insofern er nunmehr auch
die bei diesem noch existierende Verbindung zwischen dem Selbstbe-
wußtsein Jesu und der bei seinen Anhängern entstandenen Uberzeugung
von seiner Messianität auflöst28. Die Frage, wie es zu dieser Überzeugung
27 Messiasgeheimnis, 218.
28 Vgl. jedoch seine Äußerung in dem gerade veröffentlichten Brief an HARNACK vom
2.1.1905, in: ROLLMANN/ZAGER, 315-317, 317: „Ich bin geneigter als früher zu glau-
ben, daß Jesus sich selbst als zum Messias ausersehen betrachtet hat." Freilich fährt
WREDE dann fort: „Gewiß vereinten sich nun auch vorhandene Ideen vom Messias
leicht mit dem Eindruck der Person. Eine Verschiebung wäre das aber dennoch,
mochte sie sich auch auf die natürlichste Weise einstellen." Damit ist eine gegenüber
seiner Untersuchung zum Messiasgeheimnis wichtige Modifikation angedeutet, inso-
fern nun genauer danach zu fragen wäre, wie diese Verschiebung vom Selbstverständ-
nis Jesu zum Glauben an ihn vorzustellen ist. Vgl. hierzu jetzt auch HENGEL/
SCHWEMER, Anspruch, I X - X V , sowie den Hinweis von J. FREY in seinem Beitrag für
diesen Band, unten S. 301.
29 O b dies freilich im Sinne eines „Messiasgeheimnisses" zu erklären ist und WREDE hier
nicht Aspekte zu einem Konzept verbindet, die bei Mk durchaus unterschiedliche
Funktionen haben, wäre noch einmal eigens zu fragen. Vgl. dazu die knappen, aber in-
struktiven Bemerkungen von LINDEMANN, in: CONZELMANN/LINDEMANN, Arbeits-
buch, 322-324.
30 BULTMANN, C h r i s t o l o g i e , 2 5 3 .
31 Es ist aufschlußreich, daß BULTMANN seine „Geschichte der synoptischen Tradition"
ursprünglich STRAUSS widmen wollte und dies nur auf den Rat HEITMÜLLERS hin un-
terließ. Immerhin wird STRAUSS in der 1. Auflage noch als erster (vor WREDE und
WELLHAUSEN) „von den älteren Forschern" genannt, von denen er „in erster Linie für
diese Arbeit gelernt" habe. Vgl. EVANG, Rudolf Bultmann, 71 mit Anm. 53 sowie
SCHMITHALS, Johannes Weiß, 389.
32 SCHMIDT, Rahmen, 19: „ D i e Erzählungen aus der Geschichte Jesu sind in der ersten
Zeit von Mund zu Mund gegangen. Wenn die Christen zusammen waren, erzählten
sie einander von den Worten und Taten des Herrn, einer den anderen ablösend, einer
den anderen ergänzend. U n d wenn auch in den gottesdienstlichen Versammlungen die
Bibel der J u d e n das heilige Buch war, s o wird doch von vornherein auch all das, was
man von Jesus zu sagen wußte, eine bedeutende Rolle gespielt haben. Wir wissen über
diese D i n g e nichts Bestimmtes. Wir können uns aber solches Reden und Erzählen
über die Geschichte J e s u nicht lebendig genug vorstellen."
35 Geschichte, 370-376.
34 Geschichte, 371f., in Anschluß an WREDES Messiasgeheimnistheorie: „Jedenfalls ist es
dem Verf. [gemeint ist Mk, J. S.] mit seinen Mitteln gelungen, die Tradition in eine
bestimmte Beleuchtung zu rücken, ihr die Deutung aufzuprägen, deren sie in den
hellenistischen Gemeinden der paulinischen Sphäre bedurfte; sie mit dem christologi-
schen Kerygma dieses Christentums zu verbinden, in ihr die christlichen Mysterien
Taufe und Abendmahl zu verankern und so erstmals eine Darstellung v o m Leben Jesu
zu geben, die mit Recht als εύαγγέλιον Ίησοΰ Χ ρ ι σ τ ο ΰ bezeichnet werden konnte
Mk 1,1)."
gung des Stoffes, wobei bei ihm die soziologische Kategorie des Sitzes im
Leben an die Stelle der mythischen Vorstellungen bei STRAUSS tritt. Mit
WREDE teilt er die Auffassung vom erst nachösterlich entstandenen
Glauben an die Messianität Jesu. Die Deutungskategorien, die dem Stoff
bei seiner Verbindung mit diesem Glauben aufgeprägt wurden (von
BULTMANN „dogmatische Motive" genannt), stammen s. E. aus hellenisti-
scher bzw. gnostischer Religiosität, welche die Entstehung der Christolo-
gie maßgeblich beeinflußt habe. Daß BULTMANN das mit dieser doppelten
Auflösung der sachlichen Kontinuität zwischen Jesus und der Christolo-
gie entstehende Problem durchaus gesehen hat, wird gleich noch zu zei-
gen sein.
Das Diskrepanzargument macht seinen Einfluß bis in die gegenwärtige
Jesusforschung hinein geltend. Es führt dazu, daß bei Konstruktionen der
Person Jesu der historische Wert der Evangelien mit dem Hinweis auf ih-
ren kerygmatischen Charakter von vornherein mit einem Fragezeichen
versehen wird. Dem liegt die schon bei STRAUSS anzutreffende Auffassung
zugrunde, die Stoffe der Jesusüberlieferung seien durch die in dem Aufer-
stehungsglauben gründende Uberzeugung von seiner Messianität auf eine
Weise umgeprägt worden, die eine historische Kontinuität unwahrschein-
lich mache35. Eine solche wird dann im wesentlichen - wie schon bei
BULTMANN selbst - in Jesu Worten gesehen, da diese am ehesten aus ihrer
interpretierenden Verarbeitung zurückzugewinnen seien36. Hier deutet
sich eine durchaus fragwürdige Unterscheidung zwischen der Wort- und
der Erzählüberlieferung bezüglich ihres Wertes für die historische Rück-
frage an, die schon von daher schwer nachzuvollziehen ist, als es sich auch
bei den Worten um von späteren Tradenten ausgewählte und gedeutete
Uberlieferungen handelt, die in eine historische Konstruktion nur als von
einer bestimmten Person zu bestimmten Adressaten in bestimmten Si-
tuationen gesprochene einbezogen werden können.
Dem Diskrepanzargument ist eine Berechtigung nicht generell abzu-
sprechen. Zum einen ist evident, daß die Uberzeugung von Auferstehung
35 Vgl. etwa CROSSAN, Historical Jesus, xxx: "The Gospels are neither histories nor bi-
ographies, even within the ancient tolerances for those genres. They are what they
were eventually called, Gospels or good newses [ . . . ] " . Diese Feststellung ist zum ei-
nen zu bezweifeln (die Evangelien lassen sich sehr wohl als Biographien verstehen),
sie besagt zum anderen nichts über deren Wert als historische Erzählungen, der darum
mit einer solchen Aussage auch nicht einfach beiseite geschoben werden kann.
36 Eine Fortführung dieses Ansatzes begegnet in der Konzentration auf Q und das Ev-
Thom in der neueren (vornehmlich nordamerikanischen) Jesusforschung, die hier auf
originale Jesusworte stoßen möchte und diese dem nachösterlichen Kerygma gegen-
überstellt; so etwa bei ROBINSON, der sich hierfür explizit auf BULTMANN beruft. Vgl.
DERS., Critical Edition, 34 mit Anm. 14; 45-47 mit Anm. 31.
und Erhöhung Jesu auch die Berichte der Evangelien über sein irdisches
Wirken beeinflußt hat 37 . Berechtigt ist zum anderen der Hinweis auf die
Deutungskategorien, die auf seine Person angewandt wurden. Es ist deut-
lich, daß das Wirken Jesu - seine Berufung von Nachfolgern, seine Hei-
lungen, seine Interpretation der Thora - unter Rückgriff auf die Schrift
und messianische Erwartungen des Judentums dargestellt wurden. Dies
erfolgte freilich so, daß er dabei als Person erkennbar blieb, die in einem
konkreten zeitlichen und geographischen Raum und im Kontakt mit den
Menschen ihrer Umgebung gewirkt hat.
Das Problem des Diskrepanzargumentes ist jedoch, daß es davon aus-
geht, das Wirken des irdischen Jesus sei durch Auferstehungsglauben und
messianische Uberzeugungen auf eine Weise überlagert worden, daß hi-
storisch verwertbare Erinnerungen allenfalls durch Herauslösung aus die-
sem Deutungsrahmen zu eruieren seien38. Daß Jesu Wirken und Geschick
aus einer bestimmten Perspektive dargestellt wurden, führt jedoch kei-
neswegs mit Notwendigkeit zur Annahme eines sachlichen Bruches zwi-
schen den konkreten Ereignissen und deren späterer Deutung, weshalb
auch die viel bemühte Rede vom „Ostergraben", der zwischen der Jesus-
überlieferung und deren Deutung liege, in die Irre führt 39 . Die Evangelien
stellen die Person Jesu vielmehr gerade so dar, daß die auf ihn angewand-
37 Diese Ereignisse stellen einerseits die Voraussetzung für den Verweis auf den gegen-
wärtig zu Gott Erhöhten sowie für die Erwartung seines zukünftigen Wiederkom-
mens dar. Andererseits wird, etwa in den Leidensweissagungen oder der Darstellung
des irdischen Jesus als κύριος bei Mt und Lk, deutlich, daß bereits sein irdisches Wir-
ken im Lichte dieser Ereignisse gezeichnet wird.
38 Vgl. hierzu KELBER, Quest, 85-94, sowie seinen Beitrag in diesem Band. KELBEK zeigt
eine Linie auf, die von KAHLER über BULTMANN zu JOHNSON führt und in der der Re-
kurs auf den historischen Jesus als theologisch illegitim erwiesen und durch den Be-
zug auf den biblischen Christus ersetzt werden sollte. KELBER macht völlig zu Recht
geltend, daß in dieser Linie die Prägung durch den Osterglauben zu Unrecht gegen
den historischen Wert der Evangelien ins Feld geführt wird, da sich diese - anders als
etwa die Dialoge des Auferstandenen unter den Nag-Hammadi-Schriften - an die irdi-
sche Geschichte Jesu gebunden wissen.
39 Es sei hier noch einmal (vgl. oben Anm. 28) auf WREDES kürzlich veröffentlichten
Brief an HARNACK hingewiesen. WREDE benennt die soeben angeführten Aspekte der
Messiasidee sowie des Auferstehungsglaubens als diejenigen Bereiche, in denen sich
eine Verschiebung von Jesus zum nachösterlichen Glauben ereignet habe. In beiden
Fällen versteht er diese Verschiebung jedoch nicht als Abbruch einer Beziehung zur
historischen Person Jesu: Das Messiasbewußtsein wird bei ihm selbst verankert, die
„Auferstehungsvisionen" werden mit einem „Reflex vom Eindruck der Person Jesu"
in Zusammenhang gesehen. Die eigentliche Diskrepanz sieht WREDE dagegen zwi-
schen Jesus und Paulus, den er „nicht als Interpreten und Fortsetzer Jesu" anerkennen
kann.
40 Vgl. seine programmatische Formulierung, Jesus, 13: „Ihr [sc.: der folgenden Dar-
stellung, J. S.] Gegenstand ist also nicht das Leben oder die Persönlichkeit Jesu, son-
dern nur seine .Lehre', seine Verkündigung." Entsprechend wird dann, nach der Dar-
stellung des „zeitgeschichtlichen Rahmens", in drei Teilen „Jesu Verkündigung" unter
verschiedenen Aspekten behandelt.: „Das Kommen der Gottesherrschaft", „Der Wille
Gottes" und „Der ferne und der nahe Gott". Der Bemerkung von LINDEMANN „Dabei
ist es von Bedeutung, daß Bultmann in diesem Buch nicht lediglich die Verkündigung
Jesu darstellt, als sei Jesus lediglich als .Lehrer' zu sehen" und als Begründung auf die
einleitenden Reflexionen und das Kapitel über den zeitgeschichtlichen Rahmen ver-
weist (vgl. DERS., Einführung, 6), kann ich angesichts der soeben angeführten Ab-
sichtserklärung BULTMANNS nicht folgen.
41 BULTMANN, Jesus, 10. Nach LINDEMANN (a. a. O., 5) ist BULTMANNS Kritik an der
Frage nach dem historischen Jesus „nicht Ausfluß historischer Skepsis oder gar Kon-
sequenz eines grundsätzlichen Desinteresses an historischen Fragen". Wie aber soll
man eine Äußerung wie die soeben zitierte anders verstehen denn als historische
Skepsis? Das Problem bei BULTMANN besteht letztlich darin, daß er seiner Kritik an
der liberalen Leben-Jesu-Forschung einen Entwurf entgegensetzen will, der unabhän-
gig von den Vorläufigkeiten historischer Erkenntnis zu einer unmittelbaren Begeg-
nung mit der Vergangenheit führt und dabei die prinzipielle Relativität jedes Ge-
schichtsentwurfes zu wenig berücksichtigt.
ganz und gar nicht SCHWEITZERS Auffassung, auch wenn er gewisse Vor-
behalte - etwa bezüglich des Lebens Jesu vor seinem öffentlichen Auf-
treten oder der Zeitdauer, die er im Gefolge des Täufers verbrachte -
formulierte 42 . Seine Kritik an der Leben-Jesu-Forschung ist insofern von
BULTMANN nicht ganz richtig aufgenommen worden: Das Argument von
SCHWEITZER läuft letztlich darauf hinaus, daß geschichtliche Erkenntnis
nicht wirklich zu Jesus und damit zum wahren Fundament des christli-
chen Glaubens vordringen könne, weil sie ihn stets für die Gegenwart zu-
rechtlege. Demgegenüber gelte es, ohne einen derartigen Umweg über
den historischen Jesus direkt zur wahren Geschichte vorzudringen 43 . Die-
se - geschichtsmethodologisch durchaus fragwürdige - Sicht SCHWEIT-
ZERS, die den nicht zu hintergehenden Zusammenhang von Quellenfor-
schung und Konstruktion der Wirklichkeit bei jeder Beschäftigung mit
der Vergangenheit unberücksichtigt läßt, findet sich in BULTMANNS -
ebenso problematischer - Vorstellung einer persönlichen Begegnung mit
der Geschichte wieder 44 . Wenn sie in gegenwärtigen Jesusdarstellungen
wieder auftaucht, dann zeigt sich darin dieselbe Problematik eines Zu-
gangs, der den „wirklichen" Jesus hinter den narrativen Verarbeitungen
seines Wirkens und Geschicks finden möchte. Die dabei zugrundeliegen-
de Diastase von Kerygma und Geschichte ist jedoch darin erkennt-
nistheoretisch defizitär, daß sie die Beziehung zwischen Ereignis und hi-
42 Vgl. hierzu das Kapitel „Die Lösung der konsequenten Eschatologie" in: SCHWEITZER,
Geschichte, 4 0 2 - 4 5 0 , wo er einen Uberblick über diejenigen Aspekte gibt, die sich
s. E. für den historischen Jesus festhalten lassen.
43 SCHWEITZER, Geschichte, 621: „Wir meinten, wir müßten unsere Zeit den Umweg
über den historischen Jesus, wie wir ihn verstanden, machen lassen, damit sie zum Je-
sus käme, der in der Gegenwart geistige Kraft ist. Der Umweg ist nun durch die wahre
Geschichte versperrt." Geschichtsmethodologisch ist das eine ganz unhaltbare Aussa-
ge. Es bleibt völlig unklar, wie man unter Verzicht auf stets relative historische Er-
kenntnis zu einer „wahren Geschichte" gelangen soll. Bei der Beschäftigung mit dem
historischen Jesus kann es - anders als SCHWEITZER meinte - nie darum gehen, der
defizitären historischen Erkenntnis den „wahren Jesus" gegenüberzustellen, sondern
stets nur darum, ein den jeweiligen Erkenntnisbedingungen genügendes, vorläufiges
Bild zu entwerfen.
44 BULTMANN, Jesus, 9: „Also zu einer Geschichts-,Betrachtung' will ich den Leser im
Grunde nicht führen, sondern zu einer höchst persönlichen Begegnung mit der Ge-
schichte." Hierzu hat bereits LOHMEYER in seiner Rezension treffend bemerkt: „Mit
anderen Worten, die Frage nach dem Gegenstande der Geschichte ist eine der schwie-
rigsten Fragen der Methodenlehre, die um so weniger mit flüchtigen Bemerkungen
über persönliche Begegnungen gelöst sind, als sie die Komplexion der Probleme, wie
sie etwa in dem Begriff des geschichtlich Gewesenen, der geschichtlichen Zeit, der
Notwendigkeit der geschichtlichen Darstellung und anderen mehr schlagwortartig
umrissen sind, gar nicht berühren" (438).
45
Vgl. etwa ROBINSON, Critical Edition, der die narrativen Evangelien mit einem Ver-
weis auf SCHMIDT beiseite stellt und die historische Jesusfrage auf die s. E. älteste
Schicht von Q beschränken möchte. Diese vermutete älteste Schicht der Wortüber-
lieferung tritt hier also an die Stelle dessen, was BULTMANN als die auf Jesus zurück-
zuführende „Verkündigung" betrachtete. Diese Gleichsetzung ist schon deshalb pro-
blematisch, weil auch Q ein auf Selektion und Interpretation beruhendes Jesusbild
entwirft, das keinesfalls a priori für die historische Rückfrage in den Vordergrund zu
stellen ist.
46
Diese Problematik k o m m t auch in BULTMANNS Auffassung zum Ausdruck, daß J e s u
Gottesgedanke entgeschichtlicht" sei, ebenso wie „der unter diesem Gottesgedanken
gesehene Mensch", was bedeute: „das Verhältnis von Gott und Mensch ist den Bin-
dungen an die Weltgeschichte entnommen." Vgl. DERS. Theologie, 25. Wie kann der
Gottesgedanke Jesu als einer historischen Person seinen historischen Konkretionen
und Bedingtheiten entnommen sein?
47
LOHMEYER hat dieses Defizit des Jesusbuches von BULTMANN in seiner Rezension
deutlich benannt. Vgl. etwa a. a. O., 434: „Alle Bemerkungen über Person und Auf-
treten fallen unter den Oberbegriff des .zeitgeschichtlichen Rahmens'; so wäre also
das Werk, das die folgenden Kapitel schildern, wenn man das Gleichnis fortsetzen
darf, das nicht mehr zeitgeschichtlich bestimmte ,Bild' von bleibender Giltigkeit?
[. ..] wohl aber entsteht die Frage, ob unter einer solchen Betrachtung seine Einma-
ligkeit und Geschichtlichkeit nicht verkürzt zu werden droht." 437f.: „Was also das
Buch geben will und nur gibt, ist nichts anderes als ,das Werk'; und mit Werk ist bei
geschichtlichen Gestalten ,νοη ihrem Blickpunkt aus das gemeint, was sie eigentlich
gewollt haben' [ . . . ] man weiß nicht was das .eigentlich' bedeuten soll, man kann auch
sagen, wie Max Weber es getan hat, daß solche Gespenster wie eigentlicher Wille in
der Geschichte nicht ihr Wesen treiben. Aber nimmt man einmal das Recht dieser
Definition an, dann fordert eben sie grundsätzlich die Einheit von Person und W e r k ;
denn es sind bestimmte Gestalten, die etwas .eigentlich gewollt haben' [ . . . ] d. h., die
Persönlichkeit ist nicht gleichgiltig, sondern in der Sache, die sie treibt, einzig wich-
tig." Mit diesen Einwendungen hat LOHMEYER zentrale Probleme der Beschränkung
auf die „Lehre" Jesu benannt, die auch in der gegenwärtigen Forschung zu bedenken
sind.
48 Das E v T h o m ist eine Spruchsammlung, die verschiedenartiges Material versammelt,
das aus unterschiedlichen Quellen - darunter auch den synoptischen Evangelien -
stammt. Q ist dagegen eine Jesusdarstellung nach Art der synoptischen Evangelien,
wenn auch in dem erkennbaren T e x t die narrativ-biographischen Züge weniger her-
vortreten. Dies kann zum Teil daran liegen, daß der T e x t nur teilweise rekonstruierbar
ist, zum Teil daran, daß Q andere Akzente setzt als M k . D a ß es sich hierbei jedoch
um eine Darstellung handelt, die - gewissermaßen in Analogie zu M k - eine Vorstufe
zu den Großevangelien von M t und Lk darstellt, ist schon deshalb evident, weil Q auf
analoge Weise wie M k beginnt. N u r so wird es auch verständlich, daß M t und Lk diese
Quelle - ebenso wie das M k E v - aufnahmen und in ihre Erzählungen integrierten.
Vgl. hierzu auch SCHRÖTER, Bedeutung.
4 ' Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß mit dem E v T h o m eine auf die Darbietung
der isolierten W o r t e und Gleichnisse konzentrierte Schrift vorliegt. Eine derartige
Sammlung ist ein Kunstprodukt, das narrative Darstellungen des Wirkens Jesu bereits
voraussetzt und diesen gegenüber einen anderen W e g einschlägt, die Bedeutung Jesu
zu explizieren. D i e T h e s e vom altertümlichen Charakter einer solchen Sammlung wird
los, wo Jesus gewirkt und an welche Menschen er sich gewandt hat. Es ist
nicht gleichgültig, warum er dem MkEv zufolge in die an Galiläa angren-
zenden Gebiete gezogen ist, die galiläischen Städte Sepphoris und Tiberias
dagegen gemieden hat. Für eine historische Konstruktion ist es von ent-
scheidender Bedeutung, daß die Quellen aus dem 1. Jahrhundert seine
Wirksamkeit in einem solchen Kontext darstellen. Die Reduktion eines
Jesusbildes auf die ihrer narrativen Einbettungen entkleidete „Verkündi-
gung", die sekundär in einen „zeitgeschichtlichen Rahmen" gestellt wird,
ist deshalb ein methodisch defizitäres Verfahren, bei dem ohne eine ein-
leuchtende Begründung Aspekte seines Wirkens ausgeblendet werden, die
für eine historische Konstruktion grundlegend sind 50 .
Wenn BULTMANN, zweitens, an anderer Stelle auf den Kyrioskult der
hellenistischen Gemeinde rekurriert, um eine Diskrepanz zwischen irdi-
schem Jesus und nachösterlicher Christologie zu behaupten 51 , dann ist im
Blick auf den (vor) paulinischen Strang der Christologie zweifellos etwas
Zutreffendes erfaßt 52 . Auch wenn man die Grenzen hier nicht zu scharf
ziehen sollte 53 , bleibt die Beobachtung bestehen, daß für die Bekenntnis-
aussagen, auf die Paulus zurückgreift, ebenso wie für seine eigene Deu-
tung der Person Jesu, die in den Evangelien aufbewahrten Inhalte der
Verkündigung Jesu keine zentrale Rolle spielen. Eine andere Frage ist, ob
vorausgesetzt werden kann, daß diese Bekenntnistradition auch die Re-
zeption der Jesusüberlieferung maßgeblich beeinflußt hat und als sachli-
che Diskontinuität zwischen dem Wirken Jesu und der Entstehung der
Evangelien zu deuten ist. Damit steht jedoch zugleich die Frage nach dem
Verhältnis von Wirken Jesu und Entstehung des christlichen Glaubens
zur Disposition. Formuliert BULTMANN hier ein Kriterium der Diskonti-
nuität zum Christentum - Jesus sei innerhalb des Judentums zu verste-
hen, die Entstehung des Glaubens an ihn sei dagegen ein nicht aus seinem
Wirken heraus erklärbares Phänomen 54 - , so steht dem entgegen, daß sich
die Evangelien nicht einfach als nachösterliche Glaubenszeugnisse ohne
historische Referenz interpretieren lassen. Auch das Kriterium der Dis-
kontinuität zum Christentum muß deshalb durch eine Betrachtung er-
setzt werden, die die Entstehung der Evangelien aus der Anknüpfung an
Jesus heraus historisch plausibel macht 55 .
52 Am Rande sei notiert, daß in BULTMANNS Ansatz eine unaufgelöste Spannung beste-
hen bleibt. Wenn er einerseits davon spricht, daß in Jesu Verkündigung das Kerygma
bereits in nuce enthalten sei, ist nicht einsichtig, warum er andererseits eine sachliche
Kontinuität zur nachösterlichen Gestalt dieses Kerygmas bestreitet. SCHMITHALS
verweist im Nachwort zur Taschenbuchausgabe des Jesusbuches diesbezüglich darauf,
daß nach BULTMANNS Überzeugung das Kerygma „das .Einmal' des historischen Jesus
in das ,>Ein-für-allemal< verwandelt hat [ . . . ] indem es über die Verkündigung Jesu
hinaus den Glauben an den in ihm präsenten Jesus fordere (156f.). Abgesehen davon,
daß es eine durchaus plausible Möglichkeit ist, die Uberzeugung von der einzigartigen
Bedeutung seiner Person bereits mit dem historischen Jesus selbst in Verbindung zu
bringen, bleibt schwer verständlich, wie sich diese Verwandlung des Kerygmas von der
Verkündigung Jesu zum nachösterlichen Glauben damit verträgt, daß BULTMANN an
anderer Stelle explizit schreibt, daß er vom irdischen Jesus nichts wissen wolle und
dessen Anspruch „keine sachliche Einheit des Wirkens und der Verkündigung Jesu
mit dem Kerygma" beweise (Verhältnis, 458). Wenn dieser Anspruch tatsächlich hi-
storisch belanglos wäre, wäre es auch unerheblich, ob in diesem das „Kergyma in nu-
ce" zum Ausdruck kommt oder nicht.
53 Auch Paulus erwähnt die Herkunft Jesu aus dem Geschlecht Davids (Rom 1,3; vgl.
9,5; 11,26), kennt die mit den Passionsereignissen verbundene Einsetzung des Her-
renmahles (IKor 11,23) und läßt gelegentlich synoptische Tradition anklingen.
54 Ähnlich HOLMEN, Doubts.
55 Vgl. DUNN, Third Quest, 36-44.
Bevor diese Frage wieder aufgegriffen wird, wenden wir uns dem
zweiten Argument zu, daß gegen die historische Auswertbarkeit der
Evangelien formuliert wurde.
Das zweite Argument, das gegen den Geschichtswert der Evangelien vor-
gebracht wurde, bezieht sich auf die Unterscheidung der literarischen von
der historischen Fragerichtung. Bereits W R E D E hatte kritisiert, daß der
„Boden des evangelischen Berichts" vorschnell verlassen werde, um ihn
für die Geschichte Jesu zu verwerten 5 '. In Aufnahme von W R E D E wendet
S C H W E I T Z E R wenig später gegen den Gebrauch der Mk-Hypothese durch
die Leben-Jesu-Theologie ein, daß ,,[d]er Stoff, mit dem man die Einzel-
erzählungen zu einem Leben-Jesu zusammenlötete [ . . .] die Temperatur-
probe nicht aus [hält]." 57 Wirksam wurde dieses Argument dann vor allem
durch die Untersuchung von K A R L L U D W I G S C H M I D T „Der Rahmen der
Geschichte Jesu" 5 8 , in welcher er zeigt, daß die Auffassung, in den synop-
tischen Evangelien (insbesondere im MkEv) spiegle sich der tatsächliche
Verlauf der öffentlichen Wirksamkeit Jesu wider, dessen Charakter ver-
fehle. Aus der Annahme, das MkEv sei das literarisch älteste, dürften
deshalb keine unmittelbaren historischen Schlußfolgerungen abgeleitet
werden. Erweise sich vielmehr auch die Darstellung des MkEv als ein
nachträglich entworfener Zusammenhang von Einzelgeschichten, so lasse
sich hieraus kein chronologischer Aufriß der Geschichte Jesu erheben.
Die hier formulierte Einsicht in den literarischen Charakter des MkEv
- und analog in denjenigen von Mt und Lk - ist in gewisser Weise durch
die Redaktionskritik aufgegriffen, vor allem aber durch die Anwendung
erzähltheoretischer Einsichten seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhun-
derts vertieft worden. Es ist unbestreitbar, daß sich der chronologische
und geographische Aufriß des Wirkens Jesu erzählerischen Konzepten
verdankt, die auf der jeweiligen Deutung dieses Wirkens beruhen und
nicht als Widerspiegelung seines tatsächlichen Verlaufs aufzufassen sind.
Damit ist deutlich, daß die narrativen Kompositionen der Evangelien
zentrale Bestandteile der jeweiligen Deutung der Person Jesu darstellen.
An dieser Stelle wäre über S C H M I D T hinauszugehen, der bei einem negati-
56 Messiasgeheimnis, 2.
57 Geschichte, 385.
58 Bei SCHMIDT findet sich eine vergleichbare Formulierung, Rahmen, 17: „Historische
und literarische Betrachtung werden überhaupt zu sehr in der F o r s c h u n g miteinander
vermengt."
59 Vgl. a. a. O., 19: „Es ist möglich, daß man für den gottesdienstlichen Gebrauch derar-
tige K o m p l e x e niedergeschrieben hat, um mehrere Geschichten hintereinander vor-
zulesen. Dann wurde aber auch wieder mal nur eine Geschichte, eine Perikope darge-
boten. Dabei blieb das κ α ι bestehen, genau so wie wir heute in unseren Kirchen das
sonntägliche Evangelium verlesen und mit einem ,und' beginnen."
60 Es ist deshalb überhaupt nicht einzusehen, warum ROBINSON, Critical Edition, 31,
unter Berufung auf SCHMIDT formulieren kann: "Thus the preference for Narrative
Gospels rather than Sayings Gospels seems to be no more than a preference for an
unhistorical itinerary - a story but not history." Abgesehen davon, daß noch einmal
eigens zu fragen wäre, was die Spruchevangelien den Erzählungen in historischer Hin-
sicht eigentlich voraus haben sollen (warum sollen Sammlungen von Worten histo-
risch zutreffendere Bilder von Jesus vermitteln als Erzählungen über ihn?), scheitert
der hier zugrunde gelegte Geschichtsbegriff an der methodologisch völlig unhaltbaren
Opposition von " s t o r y " und "history" (wie soll es Geschichte anders geben als in
F o r m von Erzählungen?). Der Bezug der Evangelien auf die in ihnen verarbeiteten hi-
storischen Ereignisse wird sich auf diese Weise jedenfalls nicht erklären lassen.
2.3 Zusammenfassung
62 Es sei daran erinnert, daß genau an dieser Stelle DIBELIUS einen Einwand gegen
BULTMANN formulierte, indem er darauf hinwies, daß dessen analytische Methode
selbst nicht ohne ein konstruktives Moment auskomme. Vgl. DERS., Zur Formge-
schichte der Evangelien, 193-195. Dies macht darauf aufmerksam, daß der Rück-
schluß von der Jesusüberlieferung auf die dahinterliegende Geschichte keineswegs
durch die Kategorie des Sitzes im Leben auf die nachösterliche Gemeinde zu begren-
zen ist.
43 Damit ist über den Wert beider Dokumente für die Jesusfrage keineswegs ein negati-
ves Urteil gefällt. Allerdings kann die historische Beurteilung nicht darauf gestützt
werden, daß sie vornehmlich Worte Jesu enthalten.
M Vgl. hierzu die methodisch wichtigen Bemerkungen von FREYNE, Galilee, Jesus and
the Gospels, 5-30.
65 Auf diese Weise haben die Form- sowie die Redaktionsgeschichte die Evangelien in-
terpretiert und damit von den Ereignissen, von denen sie berichten, weitgehend ab-
gelöst. Dabei wird jedoch der Charakter dieser Schriften als historischer Erzählungen
zu wenig beachtet.
66 RICŒUR, Zeit und Erzählung, III, 2 5 3 - 2 5 7 u.ö. Vgl. etwa 254: „Repräsentanz [ . . . ]
bedeutet nacheinander Reduktion aufs Selbe, Anerkennung von Alterität, analogisie-
rendes Erfassen."
67 Unter Fabel ist dabei - ebenfalls in Anlehnung an RICŒUR, der sich hierzu auf den
von Aristoteles in der Poetik verwandten Ausdruck μΰθος bezieht - der eine Erzäh-
lung konstituierende Handlungsablauf verstanden. Vgl. RICŒUR, Zeit und Erzählung,
I, 1 0 4 - 1 1 3 .
61 Mit Fiktionalisierung ist dabei nicht freie Erfindung gemeint, sondern die für jedes
„Intendieren der Vergangenheit" (RICŒUR, a. a. O., 295) notwendige Phantasie, die
erst einen Bezug zwischen Gegenwart und Vergangenheit ermöglicht.
69 In diesem Sinn formulieren auch THEISSEN/MERZ, Jesus, 31: „Historische Imagina-
tion schafft mit ihren Hypothesen ebenso eine ,Fiktionalitätsaura' um die Gestalt Jesu
wie die religiöse Imagination des Urchristentums. Denn hier wie dort ist eine kreative
Vorstellungskraft am Werk, entzündet durch dieselbe historische Gestalt."
70 Für einen breiteren Überblick über Ansätze und Probleme der Integration litera-
turtheoretischer Ansätze in die neutestamentliche Wissenschaft vgl. PORTER, Literary
Approaches. Speziell zum narrative criticism vgl. bereits POWELL, Narrative Criticism,
sowie in neuerer Zeit MERENLAHTI/HAKOLA, Reconceiving Narrative Criticism.
71 Vgl. RHOADS, Narrative Criticism; die Beiträge in: HAHN, Erzähler; MÜLLER, „Wer
ist dieser?"; DORMEYER, Markusevangelium. Vgl. weiter zu Mt: KINGSBURY, Matthew;
Luz, Jesusgeschichte; zu Lk: TANNEHILL, Unity; LÖNING, Geschichtswerk. Neuere
Beiträge der Anwendung des narrative criticism auf die Evangelien finden sich in
RHOADS/SYREENI, Characterization.
72 Inwieweit zu den von Mk verarbeiteten Stoffen auch schriftliche Texte gehörten, ist
unsicher und braucht uns hier nicht weiter zu beschäftigen. Literarkritisch rekonstru-
ieren lassen sich diese Quellen jedenfalls nicht, da Mk sie sprachlich und inhaltlich in
seine Erzählung eingearbeitet hat. Daß sich von mündlichen Traditionen kein Wort-
laut erheben läßt, ist durch die Forschung zu oralen Uberlieferungsprozessen aufge-
zeigt worden, die auch in der neutestamentlichen Wissenschaft rezipiert worden sind.
Vgl. hierzu jüngst HOLLANDER, Words. Dies bedeutet, daß von der Aufnahme von
Traditionen durch Mk auszugehen ist, auch wenn die konkrete Gestalt dieser Traditio-
nen nicht mehr zugänglich ist.
73 Vgl. KLOPPENBORG, C i t y and Wasteland; JÄRVINEN, Son of Man; SCHRÖTER, Jesus,
62-89. 140-179.
74 Dieser Zugang befindet sich somit in Übereinstimmung mit GOERTZ, Unsichere Ge-
schichte. Vgl. a. a. O., 37: „Der konstruktivistische Ansatz ist als äußerste Anstren-
gung zu verstehen, der .historischen Realität' abzutrotzen, was von ihr zu erkennen
möglich ist. Ein solches historisches Konstrukt ist die Erzählung."
75 RICCEUR, Zeit und Erzählung, III, 294-311. Vgl. auch den Rekurs auf RICCEUR bei
FREYNE, Galilean Questions, 21 If.
76 Es ist bekannt, daß es sich tatsächlich um ein Mischzitat (Ex 23,20/Mal 3,1/Jes 40,3)
handelt. Nach der mk Darstellung ist es jedoch ein Zitat έν τ φ Ήσαΐςι τ φ προφήτη
(Mk 1,2).
77 Nach PESCH, Markusevangelium, 79, handelt es sich hierbei um eine „historische An-
gabe der Tradition [ . . . ] keine symbolische Einfügung mk Redaktion". Angesichts der
Kombination der bei Mt und Lk getrennt aufgeführten, auf Joh bezogenen Zitate Ex
23,20/Mal 3,1 und Jes 40,3 sowie der abweichenden Lokalisierung von Johannes in Q
in der Jordangegend, die angesichts von 1,5 (έβαπτίζοντο ύπ' αύτοϋ έν τ φ 'Ιορδάνη
ποταμψ) und 1,9 (έβαπτίστη εις τόν Ίορδάνην ΰπό Ι ω ά ν ν ο υ ) auch für Mk näher-
gelegen hätte, ist dies jedoch unwahrscheinlich: Mk schildert die Tauftätigkeit, die den
Jordan voraussetzt, dessen Erwähnung sich deshalb - ganz unabhängig von den son-
stigen geographischen Gegebenheiten - eher angeboten hätte als die Wüste. Zu Recht
bemerkt deshalb LÜHRMANN, Markusevangelium, 34f.: „Dadurch [sc.: durch die
Identifizierung des Johannes mit dem Rufer in der Wüste aus dem Jes-Zitat, J . S.]
kommt es zu der merkwürdigen Vorstellung, daß er, der zum Taufen das Wasser des
Jordan braucht, in der Wüste predigt."
rung seiner Nahrung und Kleidung verstärken dies, indem sie Johannes als
Propheten zeichnen. Das Kommen Jesu wird mit den biblischen Wen-
dungen και έγένετο und έν έκείναις ταΐς ήμέραις eingeleitet, seine Taufe
wird ebenso wie seine Versuchung mit Anspielungen auf Stellen und Mo-
tive aus der Schrift geschildert.
Mk verbindet somit bereits am Anfang seiner Erzählung die histori-
schen Informationen über die unterschiedlichen Orte und Zeiten des
Wirkens Johannes und Jesu mit einer Deutung, die beider Auftreten in ei-
nem bestimmten Licht erscheinen läßt: Johannes ist als Vorläufer Jesu der
eschatologische Prophet, Jesus der Sohn Gottes. Die Erzählung erhält
damit biblisches Kolorit, welches die berichteten Ereignisse in den Hori-
zont der Geschichte Israels einrückt. Deutlich ist zugleich: Mk hat kon-
krete historische Erinnerungen an den Ort der Wirksamkeit des Johannes,
die Herkunft Jesu sowie seine Taufe durch Johannes bewahrt. Daß diese
historischen Informationen nicht nebensächlich sind, zeigt der weitere
Verlauf der Erzählung, denn die Wirksamkeit Jesu erfolgt in Anknüpfung
und Abgrenzung von derjenigen des Täufers, sie wird zudem nur aus dem
geographischen und religiösen Kontext Galiläas heraus verständlich.
Die Q-Texte bestätigen und ergänzen dieses Bild. Auch hier werden
zunächst das Auftreten des Johannes und seine Botschaft geschildert,
auch hier werden Johannes und Jesus geographisch voneinander abge-
setzt 78 . Der Anfang von Q stellt somit eine Analogie zur mk Erzählung
dar, indem hier ebenfalls eine Zuordnung von Johannes und Jesus sowie
eine Lokalisierung des Geschehens erfolgen. Diese Zuordnung ist für Q
sogar überaus bedeutsam, wie Q(Lk) 7,18-35 zeigt, wo das Verhältnis von
Johannes und Jesus noch einmal thematisiert wird. Der historische Be-
fund, daß Jesus vor dem Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit zum
Kreis des Täufers gehörte, wird in der Erinnerung an ihn bewahrt und zu
seinem Selbstverständnis, er selbst, nicht Johannes sei der entscheidende
Repräsentant der Gottesherrschaft, in Beziehung gesetzt.
Im Folgenden wird Galiläa zum Schauplatz der Handlung 79 . Der Autor
läßt dabei eine Vorstellung von den konkreten Umständen des Auftretens
78 Auch wenn der Anfang von Q nicht mehr vollständig rekonstruierbar ist, ist erkenn-
bar, daß Johannes mit der Wendung πάσα ή περίχωρος τοΰ 'Ιορδανού (Mt 3 , 5 / L k
3,3) in der Jordangegend lokalisiert wird, wogegen Jesus nach Nazaret (Mt 4 , 1 3 / L k
4,16: Ναζαρά) gehört. Dabei könnte die Bemerkung in Lk 4,16 (και ήλθεν εις
Ναζαρά) den Beginn einer Episode in Q darstellen, die vom Auftreten Jesu in Naza-
ret nach der Taufe des Johannes berichtete. Vgl. hierzu SCHRÖTER, Bedeutung.
79 Vgl. FREYNE, Galilee, Jesus and the Gospels, 3 4 - 6 8 . Die joh Darstellung weicht hier
freilich ab: J o h 3,22 zufolge tauft Jesus - nach den Anfängen in Galiläa - zeitgleich
mit Johannes „im jüdischen Land".
Jesu erkennen: D e r See Galiläas ist ein O r t , zu dem Jesus des öfteren
kommt (1,16; 2,13; 3,7; 4,1), es gibt Synagogen in Galiläa, in denen Jesus
lehrt (1,39) 8 0 ; als O r t e kommen Kafarnaum (1,21; 2,1) sowie die Heimat-
stadt Jesu (ή πατρίδα αύτοΰ, 6,1; nach 1,9 handelt es sich dabei um N a -
zaret) in den Blick, als Personen treten die in die Nachfolge berufenen
Jünger, das Volk, die Familie Jesu sowie Pharisäer und Schriftgelehrte als
seine Gegner auf. In den mk Chrien werden dabei - anders als ζ. B. in
denjenigen von Diogenes Laertius oder des E v T h o m - viele biographische
Details bewahrt, sie werden zudem des öfteren untereinander verknüpft,
so daß eine zusammenhängende Erzählung entsteht 8 1 . Dies ist ein deutli-
ches Indiz für den historisch-erinnernden Charakter der Evangelien 82 .
80 Die Diskussion über Ursprung und Funktion der Synagogen wird gegenwärtig kon-
trovers geführt. Vgl. hierzu den (etwas schematischen) Uberblick von MCKAY, An-
cient Synagogues. In der neueren Diskussion ist die Existenz von Synagogen als reli-
giöser Institutionen und Gebäude vor 70 von KEE in einem programmatischen Artikel
von 1990 bestritten worden. KEE vertritt hier - und in späteren Artikeln - die Auffas-
sung, daß sich die Bezeichnung von Gebäuden mit dem Terminus συναγωγή erst ab
dem späten 1. bzw. frühen 2. Jahrhundert nachweisen lasse, wogegen zuvor damit
Versammlungen unterschiedlichen Charakters bezeichnet würden. In den Evangelien
werde dagegen eine spätere Entwicklung in das Galiläa des 1. Jahrhunderts zurück-
projiziert. Vgl. DERS., Transformation; DERS., Early Christianity, 3-14; DERS., Defin-
ing. Die These ist vielfach diskutiert und dabei mehrheitlich zurückgewiesen worden.
Vgl. etwa O S T E R , Supposed Anachronism, der KEES These u. a. anhand einer Inschrift
aus Berenice (vor 70) widerlegt, auf der der Terminus συναγωγή zweimal verwandt
wird und dabei einmal die Versammlung, das andere Mal das Gebäude meint (a. a. O.,
187); ATKINSON, Defining sowie STRANGE, Ancient Texts, der anhand der drei häufig
angeführten archäologischen Befunde für Synagogen vor 70 (Gamia, Masada und des
Herodiums) sowie Magdala die These KEES hinterfragt. Vgl. auch die Bestandsauf-
nahmen von FOERSTER, Ancient Synagogues; LEVINE, Nature; DERS., Synagogues;
DERS., Judaism, 139-179 sowie jetzt DERS., Ancient Synagogue, 42-159. Ergänzend sei
darauf hingewiesen, daß die Datierung der Theodotus-Inschrift in das 2. bzw. 3. Jahr-
hundert durch K E E durchaus zweifelhaft ist. Vgl. hierzu die Kritik von RIESNER,
Synagogues, 192-201 sowie die eingehende Analyse der Inschrift und Auseinander-
setzung mit K E E bei KLOPPENBORG VERBIN, Dating Theodotos.
Für die hier diskutierte Fragestellung ist aus dieser Diskussion wichtig, daß sich Mk
mit der Erwähnung von Synagogen in Galiläa keines Anachronismus schuldig macht,
sondern auf einen historisch zutreffenden Sachverhalt rekurriert. Auch damit ist wie-
derum in keiner Weise gesagt, daß die mk Erzählungen von Szenen in Synagogen des-
halb in einem naiven Sinn „historisch glaubwürdig" seien. Allerdings zeigt sich, daß
Mk historisch plausibel erzählt.
81 Zu den Chrien vgl. den informativen Beitrag von HEZSER, Verwendung.
82 Exemplarisch verwiesen sei auf die Doppelchrie über die Berufung der Brüderpaare in
Mk 1,16-20. Deutlich ist einerseits, daß die Prophetenberufung des Elisa durch Elia
aus 3Βασ 19,19-21 als Modell im Hintergrund steht. Deutlich ist auch, daß es sich um
zwei Variationen einer „idealen Szene" über Berufungen Jesu handelt, in denen jeweils
Obwohl Nazaret der Heimatort Jesu ist, tritt Kafarnaum als Ort seines
Wirkens besonders hervor: Im Kontrast zu der summarischen Darstel-
lungsweise in anderen Partien wird in 1,21-34 der Verlauf eines Sabbats in
Kafarnaum geschildert, an dem Jesus zunächst in die Synagoge, anschlie-
ßend in das Haus von Simon und Andreas (1,23.29) geht und am Abend
viele Kranke und Besessene heilt (1,32-34). Kurz darauf, in 2,1, ist Jesus
wieder im Haus in Kafarnaum, in 3,1 wiederum in der dortigen Synagoge.
Kafarnaum wird somit zu demjenigen Ort, von dem aus Jesus in die um-
liegenden Orte und an den See geht und zudem er immer wieder zurück-
kehrt. In 2,1 und 9,33, vielleicht auch in 3,20 und 7,17, wird dabei an das
in 1,29 erwähnte Haus des Petrus angespielt, in dem sich Jesus offenbar
aufhält, wenn er in Kafarnaum ist 83 .
Markus verfügt hier über die historische Information, daß es ein Haus in Kafarnaum ge-
geben hat, welches die Familie des Petrus bewohnte und welches ein Ort war, an dem
Jesus lehrte und heilte. Unabhängig davon, ob man dieses Haus mit dem von den Fran-
ziskanern ausgegrabenen „ H a u s des Petrus" identifiziert 84 , ist deutlich, daß die Ausgra-
bungen von Kafarnaum einen Eindruck davon vermitteln, wie ein derartiges Wohnhaus
ein besonderer Aspekt (Menschenfischer werden, Vater verlassen) betont wird (vgl.
Mk 2,14; Q 9,57-60). Im Blick auf die historische Auswertbarkeit ist indes von Inter-
esse, daß ein konkreter Ort des Geschehens angegeben wird (ή θάλασσα της
Γαλιλαίος), die N a m e n der Berufenen sowie deren Berufe (Fischer) und Familienver-
hältnisse (Brüder, Vater) erwähnt werden, die Tätigkeit, bei der Jesus sie antrifft
(Netze auswerfen bzw. flicken) genannt wird und auch ein Detail wie die Tagelöhner
des Vaters des zweiten Brüderpaares Erwähnung findet. Es kann kein ernsthafter
Zweifel daran bestehen, daß diese Darstellungsweise nicht auf legendarische Ausge-
staltung von Worten Jesu zurückgeht, sondern auf historisch-erinnernde Bewahrung
von Personen und Umständen seiner Wirksamkeit. Erzählerisch ist von Interesse, daß
beide Szenen miteinander verknüpft werden (και προβάς ολίγον), wodurch der Ein-
druck eines geschlossenen Handlungsverlaufs entsteht.
83 In 3,20 und 7,17 ist die Lokalisierung unsicher. Die Wendung ερχεται (bzw.
είσήλθεν) είς οίκον kann auch als „er geht/ging in ein H a u s " aufgefaßt werden. Mög-
licherweise legt sich von den anderen Stellen her jedoch die Bedeutung „nach H a u s e "
(zumindest für 3,20) nahe.
14 Z w i s c h e n 1968 u n d 1 9 8 6 w u r d e n v o n C O R B O u n d LOFFREDA 19 Ausgrabungskam-
pagnen in Kafarnaum durchgeführt. Besonderes Interesse galt dabei der Synagoge aus
dem 4. Jahrhundert sowie der Insula sacra, ca. 30 m südlich der Synagoge. Die dabei
unter der oktogonalen Kirche aus dem 5. Jahrhundert zum Vorschein gekommene
Domus-Ecclesia aus dem 4. Jahrhundert wurde von den Genannten mit dem in den
Evangelien erwähnten Haus des Petrus in Zusammenhang gebracht, welches am Ende
des 1. Jahrhunderts zu einem Versammlungsort der christlichen Gemeinde umgebaut
worden sei. Vgl. LOFFREDA, Kapernaum, 50-66; DERS., Capernaum, 418f.; DERS./
TZAFERIS, C a p e r n a u m , 2 9 5 ; C O R B O , C a p e r n a u m , 8 6 7 . A n d e r s TAYLOR, Christians,
268-294.
im 1. Jahrhundert ausgesehen hat. Damit werfen sie auch Licht auf eine Szene wie die in
Mk 2,1-12 geschilderte, in der von einem Platz vor der Tür' 5 und vom Aufgraben
(έξορύσσειν) des Daches die Rede ist". Diese Angaben lassen sich mit dem archäologi-
schen Befund insofern in Beziehung setzen, als dieser Häuser zutage gefördert hat, die
um Innenhöfe herum gebaut waren und Lehmdächer besaßen. Offensichtlich ist in 2,2
vorausgesetzt, daß nicht nur das Haus selbst, sondern auch der dazugehörige Hof über-
füllt waren, weshalb diejenigen, die den Gelähmten tragen, über eine Treppe auf das
Dach steigen und es aufgraben87.
85 Die Wendung μηδέ τά προς την {Κιραν ist als Accusativus Graecus zu interpretieren:
„ [ . . . ] nicht einmal auf dem Platz vor der Tür"; vgl. 1,33.
86 Vgl. BREYTENBACH, Mark and Galilee, bes. 80-85.
87 In Kafarnaum wurden zwei Häusertypen ausgegraben, die in die hellenistisch-römi-
sche Zeit gehören: Individualhäuser und Gemeinschaftshäuser. Das sog. „Haus des
Petrus" gehört zu letzterem Typ. Diese Häuser besaßen zwei oder drei Innenhöfe.
Der Zugang von der Straße erfolgte über einen dieser Höfe. Im Fall des „Petrushau-
ses" besaß der nördliche Hof einen östlichen Zugang, durch den man vom Cardo aus
zu dem Haus gelangte. In den Innenhöfen befanden sich Treppen, über die man auf
die Dächer der Häuser steigen konnte. Vgl. CORBO, Capernaum, 867.
88 Zum episodischen Charakter der mk Erzählung vgl. BREYTENBACH, Markusevange-
lium.
89 Bekanntlich ordnet Mk des öfteren Episoden gleichen Charakters zusammen. So wer-
den ζ. B. in 2,1-3,6 verschiedene Konfliktszenen berichtet, bei denen es nicht auf eine
chronologische Reihenfolge ankommt. In vergleichbarer Weise werden in 4,35-6,6a
verschiedene Machttaten Jesu berichtet, die eine Facette seines Auftretens beleuchten.
Es ist nicht notwendig, diese Komplexe auf vormk Sammlungen zurückzuführen. Nä-
her liegt, daß sie auf mk Gestaltung zurückgehen, die von dem Gesamtporträt Jesu,
wie es im MkEv gezeichnet wird, her konzipiert sind.
,0 Dieses Vorgehen findet sich bei CROSSAN/REED, Excavating. Ihr Bild von der Wirk-
samkeit Jesu in Galiläa ist nicht an der literarischen Darstellung der Evangelien, son-
dern an CROSSANS Stratigraphiemodell orientiert, das auch die Grundlage für die
Auswertung des archäologischen Befundes darstellt. Aus diesem postulierten ersten
Stratum lassen sich jedoch keine Hinweis auf historische Konkretionen des Wirkens
Jesu entnehmen, weshalb die Konstruktion von CROSSAN/REED auch in sehr allge-
meinen Kategorien verbleibt.
" OVERMAN formuliert in diesem Sinn völlig zu Recht: "Archaeology will not help one
to know what Jesus said or did, or what the Gospel of Mark fabricated. It will and
does help us to describe and understand the world and context into which we must
place our texts and reconstructions." Vgl. DERS., Recent Advances, 49.
92 So BÖSEN, Galiläa, 69-75. BATEY, Jesus and the Theatre, zufolge Iäßt die Verkündi-
gung Jesu Kenntnis des griechischen Theaters in Sepphoris erkennen. Dies wird je-
doch schon von daher zweifelhaft, als das Theater neueren archäologischen Untersu-
chungen zufolge frühestens aus der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts (so REED,
Archaeology, 119), möglicherweise aber auch erst vom Anfang des 2. Jahrhunderts
(so MEYERS/MEYERS, Sepphoris, 533) stammt. Anders jedoch WEISS, Sepphoris, 1325:
"early first century CE, possibly in the reign of Antipas".
93 Vgl. FREYNE, Galilee from Alexander the Great to Hadrian, 155-207; DERS., Urban-
Rural Relations; DERS., Jesus and the Urban Culture; DERS. Geography, 104-121;
THEISSEN/MERZ, J e s u s , 1 6 2 - 1 6 7 .
Sepphoris war durch Antipas zu einer hellenistischen Stadt ausgebaut worden. Er ließ
dort ein Theater und einen Palast errichten und die Stadt in eine Unter- und eine Ober-
stadt einteilen, jeweils mit einem dazugehörigen Markt 94 . Tiberias wurde von ihm im Jahr
19 an der Stelle eines jüdischen Friedhofs gegründet' 5 , erhielt ebenfalls die Gestalt einer
hellenistischen πόλις und wurde Josephus zufolge nunmehr die Hauptstadt Galiläas 9 '.
Das Verhältnis dieser πόλεις zu den umliegenden Dörfern war - wie bei anderen antiken
Städten auch - einerseits durch Handelsbeziehungen geprägt, insofern die agrarischen
Gegenden die Lebensgrundlage einer πόλις bildeten. Andererseits besaß die πόλις die
administrative und politische Oberhoheit über die zu ihrem Territorium gehörenden
Dörfer 9 7 . Diese Beziehungen konnten zu sozialen Konflikten führen, wenn sich die
Spannungen zwischen der reichen Aristokratie in den Städten und der ärmeren Land-
bevölkerung zuspitzten. Für Galiläa unter der Herrschaft des Antipas (und auch noch
zur Zeit des jüdischen Krieges) kann eine solche gespannte Situation aufgrund verschie-
dener Indizien angenommen werden, die auf Aufstände und Widerstandsbewègungen
hindeuten".
Das von den Evangelien vermittelte Bild weist eindeutig darauf hin, daß
sich Jesus mit seiner Botschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft
der Bevölkerung in den Dörfern zuwandte, die Städte dagegen mied. Stellt
man die genannten sozialen und kulturellen Differenzen sowie die zwi-
schen Stadt und Land bestehenden politischen Spannungen in Rechnung,
so kann diese Ausrichtung als eine bewußte Entscheidung Jesu interpre-
tiert werden, sich in demjenigen Umfeld zu bewegen, aus dem er selbst
stammte und dessen Menschen er darum auch als die Adressaten seiner
Botschaft betrachtete". Dabei kann auch die Herrschaft des Antipas eine
Rolle gespielt haben, die Jesus bereits durch die Inhaftierung und Ent-
hauptung des Täufers als Gefährdung begegnet war100. Die Annahme eines
Auftretens Jesu in Sepphoris muß deshalb als eine unwahrscheinliche hi-
storische Hypothese bezeichnet werden. Wesentlich plausibler ist dage-
gen, daß das von den Evangelien entworfene Bild einer auf die ländlichen
Gebiete konzentrierten Wirksamkeit Jesu, das sich durch soziologische
Erwägungen sowie die archäologischen Funde in Sepphoris stützen läßt,
Anhalt an den tatsächlichen Ereignissen hat.
Durch den Befund in Q wird dies wiederum unterstützt. Sepphoris
und Tiberias werden auch hier nicht erwähnt, über das in Mk Genannte
treten dagegen die Orte Chorazin und Betsaida in den Blick (Lk 10,13/
Mt 10,21). Auch bei diesen handelt es sich um Dörfer in der Nähe des ga-
liläischen Sees, die das an Mk gewonnene Bild einer Konzentration der
geographischen Perspektive auf diese Gegend bestätigen 101 . Auch diese
Beobachtung weist somit darauf hin, daß sich aus den Evangelien wichtige
historische Informationen über den geographischen und sozialen Kontext
des Auftretens Jesu entnehmen lassen. Auch hier wäre es fragwürdig,
einen solchen Kontext zu negieren oder ihn unabhängig von diesen litera-
rischen Zeugnissen zu entwerfen.
3) Eine letzte hier zu nennende Facette des mk Berichtes ist die Schilde-
rung von drei Reisen, die Jesus in die angrenzenden Gebiete - das Land
der Gerasener, die Gegend von Tyros, Sidon und die Dekapolis sowie die
Dörfer von Cäsarea Philippi - unternimmt. Diese Berichte wurden in re-
daktionsgeschichtlich ausgerichteten Deutungen als Vorzeichen der spä-
teren Heidenmission interpretiert, die Mk für seine eigene Zeit vorausset-
ze und auf diese Weise mit dem Wirken Jesu verknüpfe102. In neuerer Zeit
wurde dagegen danach gefragt, wie sich diese Berichte in historischer Per-
spektive verstehen lassen, was sie also über das Wirken Jesu selbst zu er-
100 In diesem Sinn erklären FREYNE und REED Jesu Vermeidung des Kontaktes mit
Sepphoris. Vgl. FREYNE, Galilee, Jesus and the Gospels, 139f.; REED, Archaeology,
137f.
101 Während C h o r a z i n im Gebiet des Antipas lag, gehörte Betsaida zur Tetrarchie des
Philippus und wurde von diesem in Julias umbenannt und in den Rang einer πόλις
erhoben (Josephus, A n t . X V I I I 28, vgl. Bell. II 1 6 8 ) . Dies könnte jedoch z u m einen
erst nach der Wirksamkeit Jesu geschehen sein, zum anderen dürfte es sich auch dann
nicht um eine grundlegende Veränderung des Charakters dieses O r t e s gehandelt
haben.
102 So ζ. B. LANG, „Sidon", bes. 1 5 5 - 1 5 9 , der in dem Komplex M k 7 , 2 4 - 8 , 9 das T h e m a
„Anteil der Heiden am Heil" aus drei verschiedenen Perspektiven behandelt sieht -
ohne allerdings dem Verfasser deshalb Unkenntnis der geographischen Gegebenhei-
ten zu unterstellen.
k e n n e n g e b e n 1 0 3 . D i e s e F r a g e r i c h t u n g ist d e m M k E v deshalb a n g e m e s s e n ,
weil in d i e s e m die e r z ä h l t e Z e i t v o n der eigenen u n t e r s c h i e d e n u n d e r s t
in dieser U n t e r s c h e i d u n g v o n V e r g a n g e n h e i t und Gegenwart relevant
wird 1 0 4 .
N i m m t m a n die T e x t e aus h i s t o r i s c h e r P e r s p e k t i v e in d e n Blick, s o
stellt sich z u n ä c h s t die F r a g e n a c h der g e o g r a p h i s c h e n Plausibilität der
Reisen J e s u .
Ein erstes Problem stellt die Wendung ή χώρα των Γερασενών in 5,1 dar, denn das zur
Dekapolis gehörige Gebiet von Gerasa grenzte nicht an den See, sondern war ein be-
trächtliches Stück von diesem entfernt 105 . Textkritisch wird sich die Schwierigkeit kaum
befriedigend lösen lassen, denn die Varianten Γαδαρηνών (so auch Mt 8,28) und
Γεργεσηνών (möglicherweise handelt es sich dabei um den Ort Kurse) stellen bereits
Lösungsversuche des Problems dar. Andere Möglichkeiten bestehen deshalb darin, mit
einer geographischen Unkorrektheit seitens Mk zu rechnen oder den Ausdruck χώρα
των Γερασηνών auf die Dekapolis insgesamt zu beziehen 106 . Auffällig ist freilich, daß gar
nicht von dem zu Gerasa gehörigen Gebiet (δρια), sondern von einer χώρα der Gerase-
ner die Rede ist. Diese Bezeichnung steht somit im Gegensatz zu 7,24 (τά ορια Τύρου;
vgl. 7,31); 7,31 (τά όρια Δεκαπόλεως) sowie 8,27 (at κώμαι Καισαρείας της Φιλίπ-
που). Der Terminus χώρα wird zudem in 6,55 zur Bezeichnung der Landschaft
Γεννησαρέτ (Γεννησάρ) verwendet, die sich am Nordwestufer des gleichnamigen Sees
zwischen Tiberias und Kafarnaum erstreckt 107 . Geht man von diesem Gebrauch von
χώρα im Unterschied zu δρια aus, dann besteht eine weitere Möglichkeit darin, daß Mk
von einem Gebiet am Ostufer des Sees weiß, das im Besitz der Gerasener war, jedoch
nicht innerhalb des zu Gerasa gehörigen Gebietes lag108.
108 So BREYTENBACH, Mark and Galilee, 79. Auch dies ist freilich außerhalb von Mk nicht
Ein weiteres Problem stellt die in 7,31 beschriebene Reiseroute dar: Je-
sus geht aus dem Gebiet von Tyros über Sidon an den galiläischen See
άνά μέσον των ορίων Δεκαπόλεως. Es kann kein Zweifel daran beste-
hen, daß es sich hierbei nicht um die Beschreibung eines tatsächlichen
Reiseweges Jesu handelt. M k beschreibt mit dieser Route vielmehr die
nördliche Ausdehnung des Wirkens Jesu. Dies bedeutet freilich nicht
notwendig, daß es sich um eine geographische Unmöglichkeit handelt 109 .
Mit τά όρια Τύρου und Σιδών beschreibt Mk das Gebiet nordwestlich von Galiläa110.
Die Wendung άνά μέσον των ορίων Δεκαπόλεως kann „mitten im" oder „mitten ins
Gebiet der Dekapolis" bedeuten. Schwieriger wäre es dagegen, sie als Wegbeschreibung
aufzufassen, also im Sinne von „mitten durch das Gebiet der Dekapolis"111. Im ersten Fall
würde es sich um eine Lokalangabe handeln, die sich auf θάλασσα της Γαλιλαίας be-
zieht. Dies wäre in der Tat wenig sinnvoll, da der See zwar im Osten an die Dekapolis
grenzte, auf keinen Fall aber „mitten in der Dekapolis" lag. Im zweiten Fall wäre es da-
109 Von einer solchen geht SCHWEIZER aus. Zur Illustration führt er an, der Weg sei einer
Wanderung vergleichbar „von Darmstadt über Frankfurt nach Mannheim mitten
durch das Neckartal". Vgl. DERS. Markus, 82. Vermutlich weil SCHWEIZER schreibt,
man müsse sich „die Unmöglichkeit des Reiseweges an einem Beispiel der eigenen
Gegend klarmachen", wurde das Beispiel in der Ausgabe des Kommentars für die
DDR (Berlin 1981) ersetzt durch: „von Halle an der Saale nach Leipzig über Magde-
burg durchs Erzgebirge".
1,0 Vgl. Mt 15,21: τά μέρη Τύρου καίΣιδώνος.
schreibt, Jesus gehe „an den See von Galiläa zurück, wenn auch mitten in der Dekapo-
lis" (132, gemeint ist offenbar: „mitten in die Dekapolis", da diese LÜHRMANN zufolge
Schauplatz der folgenden Erzählung ist). Die von LANG rekonstruierte Reiseroute
führt Jesus ebenfalls durch das Gebiet der Dekapolis, obwohl er Mk 7,31 mit „mitten
ins Gebiet der Dekapolis" übersetzt. Auch SCHWEIZERS Illustration der mk Jesusreise
mit Beispielen aus west- und ostdeutschen Gegenden basiert auf der Übersetzung
„mitten hindurch durch das Gebiet der Dekapolis" (was nebenbei bemerkt so abwegig
nicht wäre, wie er meint). Die dabei vorausgesetzte Deutung von άνά μέσον ist je-
doch fragwürdig. Zum einen liegt es syntaktisch näher, die Lokalangabe άνά μέσον
των όρίων Δεκαπόλεως zu dem mit εις eingeleiteten Satzteil zu rechnen und nicht zu
διά Σιδώνος. Zum anderen kann die Präposition άνά zwar im Sinn von „durch/hin-
durch" gebraucht werden (etwa in der Wendung άνά χρόνον), das zusammengesetzte
Adverb άνά μέσον bezeichnet jedoch stets das/den inmitten von etwas Befindli-
che (n), ebenso wie das davon abgeleitete Adjektiv άνάμεσος. Vgl. MAYSER, Gramma-
tik, 1/3, 206; II/2, 403. Da man kaum annehmen wird, Mk wolle an dieser Stelle plötz-
lich Auskunft darüber geben, wo sich der (zuvor schon häufig erwähnte) See Galiläas
befindet (dessen Lage er dann zudem unkorrekt beschreiben würde), bleibt als
nächstliegende Möglichkeit, daß es sich um eine Angabe handelt, die das mit είς τήν
•θάλασσαν της Γαλιλαίας beschriebene Ziel der Reise Jesu näher erläutert. Dann wäre
zu übersetzen: „an den See Galiläas, (und zwar) in die Dekapolis", also an dessen
Ostufer. Eine treffendere Analogie als die bei SCHWEIZER genannten wäre darum:
„von Basel über Straßburg an den Bodensee, (und zwar) in die Schweiz".
gegen eine Angabe des Ziels, an welches Jesus am Ende seiner Reise gelangt112. Diese
geographische Angabe ist nun nicht sonderlich problematisch. Auch wenn bereits Pli-
nius d. Ä. bemerkt, daß bezüglich der Zugehörigkeit der Städte zur Dekapolis einige Un-
sicherheiten bestehen"3, enthält die von ihm genannte Liste ausschließlich Städte östlich
des Jordans, die - abgesehen von Damaskus, das einen gewissen Sonderfall darstellt114 -
auch ein zusammenhängendes Gebiet bilden. Dazu gehörten auf jeden Fall auch diejeni-
gen Städte, deren Gebiet an das Ostufer des galiläischen Sees grenzte (nämlich Hippos
und Gadara). Daß Mk die Reise Jesu also άνά μέσον των όρίων Δεκαπόλεως enden
läßt, ist verständlich, wenn mit τά δρια Δεκαπόλεως das Gebiet östlich des Sees be-
zeichnet ist.
Die von Mk entworfene Reiseroute ist somit nicht so absurd, wie mitun-
ter angenommen. Er steckt mit den genannten Gebieten vielmehr auf
summarische Weise den geographischen Horizont der Wirksamkeit Jesu
außerhalb Galiläas ab, indem er mit Tyros und Sidon das nord-
nordwestlich gelegene Gebiet bezeichnet und Jesus sodann wieder (vgl.
5,1) in das Gebiet östlich vom See gehen läßt. Die geographischen Anga-
ben der Jesusreisen im MkEv sind somit weder Indizien für eine Un-
kenntnis des Verfassers noch lassen sie sich als exakte Reisebeschreibun-
gen verstehen. Mit ihnen werden vielmehr summarisch diejenigen Gebiete
bezeichnet, in denen Jesus außerhalb von Galiläa gewirkt hat.
Inhaltlich sollte in dieser geographischen Erweiterung des Wirkungs-
gebietes nicht zu schnell ein ausschließlich redaktionelles Interesse an der
Legitimation der Heidenmission gesehen werden. Heidenmission ist bei
Mk kein Thema der Wirksamkeit Jesu in Galiläa und den angrenzenden
Gegenden. Bei den genannten Texten handelt es sich vielmehr zunächst
einmal um ein Aufsuchen von Gebieten, die nicht zum jüdischen Kern-
land gehörten. Dabei wird niemals gesagt, daß Jesus sich mit seiner Ver-
kündigung oder seinem heilenden Wirken an Heiden wandte, sondern
nur, daß er auf heidnischem Gebiet wirkte. Die Erzählung von der syro-
phönizischen Frau in 7,24-30 bestätigt dieses Bild. Zum einen ist es die
Frau, die sich ihrerseits an Jesus wendet, zum anderen werden sowohl ihr
Ersuchen, von Jesus Hilfe für ihre Tochter zu erhalten, als auch die
schließlich erfolgende Heilung dezidiert als ein nicht vorgesehener Aus-
112 Zu Recht betont SCHMELLER, Jesus im Umland Galiläas, 47, Anm. 21, deshalb, daß
der „Bedeutungsunterschied [ . . . ] nicht unerheblich" sei, da sich die zweite Variante
„mit der historisch-geographischen Situation leichter vereinbar" lasse.
113 Hist. nat. V 16,74: Iungitur ei latere Syriae Decapolitana regio, a numero oppidorum, in
quo non omnes eadem observant...
114 Damaskus ist möglicherweise erst später (evtl. unter Nero) der Dekapolis zugewiesen
worden. Vgl. BIETENHARD, Dekapolis, 226. Anders LANG, „Sidon", 148-150, der da-
für optiert, daß Damaskus als „Vorort und Modell der anderen der Städte dieses Bun-
des von Anfang an [also seit Pompejus, J. S.] und konstitutiv dazugehörte."
115 Die Q-Erzählung vom Hauptmann zu Kafarnaum stellt eine Analogie zu dieser Epi-
sode dar. Auch in dieser geht es um den Glauben eines Heiden, der hier zusätzlich in
Gegensatz zu demjenigen steht, den Jesus in Israel gefunden hat. Auch dabei geht es
nicht um Heidenmission, sondern um die erstaunliche Tatsache des Zutrauens, das
Nicht-Israeliten zu Jesus haben.
Josephus schildert in Bell. II 466-480 Auseinandersetzungen zwischen Juden und der
fremdstämmigen Bevölkerung der umliegenden Gebiete im Vorfeld des jüdischen
Krieges und erwähnt dabei auch die dortigen jüdischen Bevölkerungsteile. Epigra-
phisch sind Juden für Tyros auf C I J II 879 und 880 belegt, auf C I J 991 zudem
άρχισυνάγωγοι für Sidon und Tyros. Vgl. des weiteren die Hinweise bei SCHMELLER,
Jesus im Umland Galiläas, 57f. FREYNE, Archaeology and the Historical Jesus, 169f.,
weist zudem darauf hin, daß die Funde jüdischer Haushaltsgegenstände für einen re-
gen Handel zwischen dem galiläischen Kefar Hanania und den umliegenden (jüdi-
schen und nicht-jüdischen) Städten sprechen. Möglicherweise läßt sich die Erwäh-
nung von Produkten aus Kefar Hanania und Shikhin in der rabbinischen Literatur
zudem als Indiz für "halachic concerns of some of the inhabitants of these places"
(a. a. O., 170) interpretieren.
117 Hierauf verweist auch FREYNE, Jesus and the Urban Culture, 187f.
118 Die hier vorgestellten Überlegungen haben sich am MkEv als der ältesten narrativen
Verarbeitung des Wirkens Jesu orientiert. Damit ist nicht gesagt, daß sich aus den
anderen Erzählungen nicht ebenfalls historische Erkenntnisse gewinnen ließen. Dies
wäre Gegenstand weiterer Untersuchungen.
' " V g l . LOHMEYER, Galiläa und Jerusalem; MARXSEN, Evangelist; KELBER, Gospel,
9 6 - 1 1 6 ; STRUTHERS MALBON, Galilee and Jerusalem.
120 Dies hatte ROLOFF bereits in seiner 1970 erschienen Untersuchung dargelegt. Vgl.
DERS., Kerygma. Es ist jedoch in der von der Redaktionsgeschichte geprägten Phase
weithin ungehört geblieben. Für die gegenwärtige Jesusforschung ist die Verbindung
von Erzählung und Geschichte Jesu wieder neu ins Blickfeld zu rücken.
121 THEISSEN spricht in einer dem hier vertretenen Ansatz vergleichbaren Weise von einer
Einheit von Geschichte und Mythos im Urchristentum, die nicht zugunsten einer
Seite aufgelöst werden dürfe. Vgl. DERS., Die Religion der ersten Christen, 4 7 - 7 0 . An-
ders als THEISSEN würde ich jedoch von einer Einheit von Mythos und Ereignis bzw.
Vergangenheit sprechen, da Geschichte immer schon einen Entwurf darstellt, der auf
einer solchen Verbindung beruht. In vergleichbarer Weise sprechen MOXTER von Er-
eignis und Erzählung (vgl. seinen Beitrag in diesem Band) und GOERTZ in Anlehnung
an FOUCAULT von Diskurs und Realität. Vgl. DERS., Unsichere Geschichte, 5 3 - 8 2 .
sekundär und historisch unergiebig seien. Die Worte Jesu stellen jedoch -
nicht anders als seine Heilungen, seine Installation eines Kreises von
Nachfolgern sein Auftreten in den Synagogen Galiläas, seine Reisen in die
angrenzenden Gebiete und seine Konflikte mit Gegnern - Bestandteile
seines Wirkens dar, das sich in einer bestimmten Zeit an bestimmten Or-
ten abgespielt hat, die in den Evangelien bewahrt wurden. Eine historische
Konstruktion hat diese deshalb ernst zu nehmen, denn sie stellen diejeni-
gen Informationen dar, auf deren Grundlage ein Bild der Person Jesu zu
erstellen ist. Auf diese Weise kann dann auch historisch plausibel gemacht
werden, wie es zur Auffassung, Jesus sei der Gesalbte Gottes, kommen
konnte, womit die seit W R E D E in der Jesusforschung gelegentlich auftau-
chende These eines „unmessianischen" Charakters des Wirkens Jesu ver-
mieden wird. Die Entstehung der Evangelien als historischer Jesuserzäh-
lungen, die auf dieser Auffassung basieren, wird so verständlich, sie
können als solche für gegenwärtige Konstruktionen des Wirkens Jesu
herangezogen werden.
Die Streiflichter des zweiten Teils haben in diesem Sinn gezeigt, daß
die mk Erzählung die Person Jesu so repräsentiert, daß dabei Vergangen-
heit aus einer bestimmten Perspektive beleuchtet wird. Es kann kein
Zweifel daran bestehen, daß diese Repräsentation nicht einfach mit der
Vergangenheit identisch ist. Dies wir schon dadurch deutlich, daß der Er-
zählverlauf von Mk selbst entworfen wurde, daß viele der berichteten Er-
eignisse im Licht atl.-jüdischer Uberlieferungen gedeutet werden, daß
schließlich auf literarische Gattungen - etwa bei den Chrien und den
Heilungserzählungen - zurückgegriffen wird, mit deren Hilfe paradigma-
tische Szenen entworfen werden. Auf der anderen Seite haben die ange-
führten Beispiele gezeigt, daß das MkEv eine historische Erzählung dar-
stellt, die auf einer Verbindung von Ereignis und Erzählung basiert. Eine
Auflösung dieser Verbindung hätte zur Folge, daß der historische Wert
der Erzählung nicht mehr wahrgenommen und diese zu einem unhistori-
schen „Mythos" erklärt würde. Eine solche Auflösung hätte auch zur Fol-
ge, daß eine Jesusdarstellung von den Quellen abgelöst würde, die nicht
mehr als historische Zeugnisse interpretiert, sondern für von diesen un-
abhängige Deutungen herangezogen würden. Stellt jedoch jede historische
Konstruktion eine Verbindung von Ereignis und Erzählung dar, auch eine
solche, die unter den Bedingungen des historisch-kritischen Bewußtseins
verfaßt wird, dann kann auch eine gegenwärtige Jesusdarstellung die nar-
rativen Repräsentationen der Person Jesu in den Evangelien nicht einfach
beiseite stellen. Sie hat sich stattdessen an diesen zu orientieren und sie
unter heutigen Erkenntnisbedingungen neu zusammenzusetzen. Das Er-
gebnis ist nicht der „wirkliche" Jesus hinter den Evangelien. Das Ergebnis
ist eine historische Konstruktion, die den Anspruch erhebt, unter gegen-
wärtigen Erkenntnisbedingungen plausibel zu sein.
Bibliographie
CHRISTOPHER M . TUCKETT
5 And if the present essay inevitably focuses on points where I have disagreed with
KLOPPENBORG, it should not disguise my deep appreciation for, and indebtedness to,
his work.
' See especially LÜHRMANN, Logienquelle, 191-192.
7 Cf. the use of Mark by HOLTZMANN, the use of Q by HARNACK or T. W . MANSON, or
of Proto-Luke by STREETER or V. TAYLOR.
8 Although I know that the existence of Q is debated by some, I assume its existence in
the rest of this essay. F o r discussion of the theory of Q's existence, see TUCKETT, Q
and the History, ch. 1; also KLOPPENBORG VERBIN, Excavating Q, ch. 1.
' LÜHRMANN, Redaktion; TÖDT, Menschensohn.
"In these volumes there is practically nothing said about the historical Jesus. They
attend to the reconstruction of various aspects of Q and the Jesus movement; they
are neither overtly nor covertly about Jesus."12
Further, it is almost certain that, as is the case with the other evangelists,
Q has imposed at least an element of interpretation on the Jesus tradition
it has received. It does indeed seem meaningful and sensible to speak of a
"Q theology" in some shape or form. Thus a Q-editor has imposed spe-
cific ideas on to the tradition which then makes the attempt to get back
from Q to Jesus at least a genuine problem. All this means that we cannot
simply follow the approach of e. g. HARNACK in the past, or (if I have un-
derstood him correctly) J O H N M E I E R in the present, in regarding Q as an
unmixed and un-"contaminated" source of sayings for the historical Je-
sus.13 If we seek to use Q in any reconstruction of Jesus we have to take
full account of at least the possibility that Q has adapted and redacted the
tradition no less than Mark or the other evangelists, so that Q is
"a document whose editorial features must be noted and weighed before blithely
ascribing its contents to Jesus. Clearly elements of Q redaction cannot be em-
ployed in a reconstruction of the historical Jesus." 14
The second main point to make is that in study of the historical Jesus, no
one single source can or should necessarily be privileged in seeking evi-
dence for Jesus. In relation to the present discussion, one must therefore
avoid the dangers of becoming too exclusively tied to Q in any quest for
the historical Jesus; further, one must not lose sight of both the provi-
sional nature of our knowledge as well as its limited extent. I am assum-
ing here that the theory of the existence of a Q source lying behind Mat-
thew and Luke is indeed well-founded (cf. η. 8 above). But any possible
further precision within such a theory, as well as the implications about
how Q should relate to other sources for Jesus which we have, are all
matters of great dispute about which there is no unanimity and about
which there must be great uncertainty.
For example, the date of Q is notoriously uncertain. All we can say for
certain is that Q must pre-date Matthew and Luke; but that will not help
us if we cannot date Matthew and/or Luke precisely. Most would argue
that Matthew and Luke are post-70 (cf. Mt 22,7; Lk 21,20). But that
hardly helps in dating Q : Q must be pre-post-70! Whether Q itself is
pre-70 is debated. 15 Equally the date of Mark is hotly debated. Further,
we do not know if Q predates Mark or vice-versa. If we wished to assign
dates to all our sources and privilege (in some sense) our earliest sources
(as is done in part for example by CROSSAN), then we cannot be sure that
Q is our earliest, let alone that it is prior to some arbitrary cut-off date."
In any case we should perhaps be wary of placing too much weight on
the dates of our literary sources per se. In one (but only one) way, such
evidence may be valuable: in relation to sources which are in a literary re-
lationship with each other, relative dates are of course significant with re-
gard to the historical value of the sources. Thus where Matthew and/or
Luke are dependent on Mark (if they are), the fact that Matthew/Luke are
later than Mark means that we cannot place much weight on Mat-
thew's/Luke's later - and probably redacted - version of the tradition
compared with Mark's. This is of course well-known and almost univer-
sally respected as a principle. Nobody today would lightly use Mt 16,28
as evidence for the use of the term Son of Man by Jesus when it seems al-
most certain that the Son of Man reference is due to Matthew's redaction
of Mk 9,1 which refers to the Kingdom of God and not to Son of Man.
15
A relatively late, i. e. post-70, date has been proposed by HOFFMANN, Q R und der
Menschensohn; also MYLLYKOSKI, Social History of Q.
" CROSSAN, Historical Jesus. Cf. CROSSAN'S well-known division of sources into strata
with a date of 60 CE as the dividing line between the earliest stratum and the next
oldest - with Q included in the earliest stratum: such confidence is simply not possi-
ble. Q may or may not be pre-60. But even if it could be established as such, it re-
mains unclear why 60 CE should be regarded as the critical dividing line. Such a di-
viding line seems somewhat arbitrary.
However, this does not apply in relation to sources that are not literarily
related to each other. Assuming that Mark and Q are independent of
each other,17 we cannot assume that one of the two is necessarily more re-
liable in historical terms than the other simply because it is earlier (if we
could determine that). Further, the point at which the evidence "comes
to light" and is attested for us 2000 years later can often be rather arbi-
trary and due to chance. In the case of Q we have to remember too that
the evidence does not "come to light" in any tangible sense for us before
the gospels of Matthew and Luke, and then only indirectly: we have no
manuscript evidence of Q ; we only have Q as used by Matthew and
Luke.18 We cannot then necessarily privilege Q above other strands of the
tradition either on the basis of its date or in terms of any alleged "early"
attestation. 19
In turn this means that we can scarcely turn our backs on other parts
of the gospel tradition simply because those parts are not in a privileged
"in-group" of sources, be they Q alone or Q and Mark. Thus when
K L O P P E N B O R G says
" F o r t y years of redactional analysis have shown that Matthew and L u k e have sig-
nificantly reworked their two written sources, M a r k and Q . It is a priori likely
that they have done similarly with M and L materials. O f course, M and L may
have preserved s o m e authentic traditions. Awareness of the methodological impli-
cations of the T w o D o c u m e n t Hypothesis has made increasingly problematic any
approach to the historical Jesus that allows the special elements of Matthew or
Luke a determinative role," 2 0
some of what he says about "M" and " L " is unquestionable. But the same
applies to Mark and Q in turn as well. All of the tradition has probably, or
potentially, been reworked and we ignore that possibility at our peril. But
conversely, so-called " M " or " L " material will have as little - or as much -
likelihood of being authentic material from Jesus as (Mark or) Q material.
Unless one works with an a priori assumption that all this material is a re-
17 This is probably the m o s t widely held view today, though with s o m e notable dis-
senters.
18 Even then we should remember that it only fully comes to light for us in the manu-
scripts of Matthew and Luke, m o s t of which date f r o m a time of 3 0 0 + years after the
time of their original writing!
" H e n c e contra CROSSAN, who regards attestation in Q as providing earlier attestation
than Mark or traditions which appear in Matthew or L u k e alone. C f . t o o FREYNE,
Galilean Q u e s t i o n s , 64: "the difficulties with claiming that only the earliest docu-
ments can serve as genuine sources in historical reconstruction have been exposed for
a long time n o w . "
20 KLOPPENBORG VERBIN, Discursive Practices, 152.
s h o u l d L k 1 4 , 5 (cf. M t 1 2 , 1 1 ) be r e g a r d e d as Q m a t e r i a l ? D i d Q have a
v e r s i o n o f t h e d e b a t e a b o u t t h e d o u b l e love c o m m a n d ( L k 1 0 , 2 5 - 2 8 cf.
M t 2 2 , 3 4 - 4 0 ) ? In relation t o the question of the attitude t o the Jewish law
e v i d e n c e d in Q s u c h q u e s t i o n s c o u l d be o f s o m e i m p o r t a n c e .
B o t h issues are h o w e v e r slightly c o n t r o v e r s i a l ( o r at least debated)
a m o n g Q scholars today. F o r e x a m p l e , L k 1 4 , 5 w a s r e g a r d e d as p a r t o f Q
b y t h e m e m b e r s o f t h e I n t e r n a t i o n a l Q P r o j e c t ( I Q P ) in 1 9 9 1 , b u t is e x -
cluded f r o m Q in t h e r e c e n t l y p u b l i s h e d Critical Edition of Q.2* Lk
1 0 , 2 5 - 2 8 w a s n o t i n c l u d e d in Q b y t h e I Q P in 1 9 9 5 , t h o u g h w i t h m o r e
u n c e r t a i n t y e x p r e s s e d at t h e t i m e b y HOFFMANN a n d ROBINSON; it is a l s o
e x c l u d e d f r o m Q in t h e Critical Edition ( 2 0 0 ) . Y e t the case f o r including
a v e r s i o n o f t h e s t o r y in Q has always h a d s o m e (albeit m i n o r i t y ) sup-
port.25 Similarly, it has always b e e n d i s p u t e d w h e t h e r t h e s t o r y o f t h e
b a p t i s m o f J e s u s was p a r t o f Q o r n o t . (It was excluded b y the I Q P , but
is i n c l u d e d in t h e Critical Edition [18].)
In m a n y c a s e s t h e e x c l u s i o n o r i n c l u s i o n o f o d d v e r s e s m a y n o t m a k e
that m u c h difference. H o w e v e r , in s o m e i n s t a n c e s , t h e issue c o u l d b e
critical. F o r e x a m p l e , t h e issue o f a t t i t u d e s t o t h e L a w m i g h t b e signifi-
c a n t l y a f f e c t e d b y t h e p r e s e n c e o r a b s e n c e o f L k 1 4 , 5 a n d / o r 1 0 , 2 5 - 2 8 in
Q; a n d in r e l a t i o n t o C h r i s t o l o g y , t h e i n t e r p r e t a t i o n o f t h e r e f e r e n c e s t o
J e s u s as " s o n / S o n o f G o d " in t h e t e m p t a t i o n n a r r a t i v e m i g h t b e a f f e c t e d
24 ROBINSON et al., Critical Edition, 426. - It would be a shame if the recent publication
of a volume entitled The Critical Edition of Q were felt to foreclose discussion of such
issues. This volume represents the distilled views of three of the main leaders of the
I Q P , whose results in work devoted to trying to reconstruct the wording of Q were
previously published in JBL. As such the volume represents a tremendous achieve-
ment and is immensely valuable. Yet, at the end of the day, it can do no more than
represent one view among others; and even the three main editors themselves are not
always in agreement, either with themselves or with their earlier views; equally the
volume does not always agree with the earlier decisions of the I Q P . (All the changes
are noted in NEIRYNCK, Reconstruction.) This is not intended as a criticism. The
nature of the evidence is such that there will always be disagreement between scholars;
equally it is entirely legitimate - and indeed laudable - that people should change their
minds on particular issues: is one not allowed the chance to ponder and reconsider?
All this means however that any "results" presented in a volume such as this, pur-
porting to present the contents of Q , can be at best provisional. N o r can any "re-
sults" claimed here have any special status necessarily in relation to different deci-
sions, as if the burden of proof must lie with those who take a slightly different view
of the situation. At most a volume such as this can only claim to be "A Critical Edi-
tion"!
25 See my Q and the History, 416 with other literature cited. There are a number of
agreements of Matthew and Luke against Mark which makes it at least plausible to
think of a Mark-Q overlap here.
How far all this should bear (or does bear: the two are not the same!)
on study of the historical Jesus is however another issue. KLOPPENBORG
himself has argued vehemently on many occasions that stratigraphical
analyses of Q and study of the historical Jesus are not necessarily related
at all. He has himself often referred to his own formulation in his 1987
book The Formation of Q :
" T o say that the wisdom components were formative for Q and that the prophetic
judgment oracles and apophthegms describing Jesus' conflict with "this genera-
tion" are secondary is not to imply anything about the ultimate tradition-historical
provenance of any of these sayings. It is indeed possible, indeed probable, that
some of the materials from the secondary compositional phase [ = " Q 2 " ] are
dominical or at least very old, and that some of the formative elements [ = " Q 1 " ]
are, from the standpoint of authenticity or tradition-history, relatively young.
Tradition history is not convertible with literary history and it is the latter we are
treating here." 30
So too KLOPPENBORG has responded very robustly to those who have as-
sumed that his stratigraphical model can be applied to study of the histo-
rical Jesus too simplistically, as if his " Q 1 " can be equated with the his-
torical Jesus and " Q 2 " identified as later Christian redaction.31
Whether KLOPPENBORG himself has been quite true to his methodo-
logical principles is I believe slightly questionable. It is true that part of
his reasoning for distinguishing " Q 1 " material from " Q 2 " material has
been his claim that in some Q 1 sections, later "redactional" glosses can be
identified; and in this he is clearly working with (what I would call) liter-
ary-critical criteria. Certainly too he has heavily criticized (in my view
rightly) the theories of those such as S. SCHULZ who sought to delineate
layers within Q on the basis of similar content or ideas, i. e. on what I
presume is meant by "tradition-critical" criteria.32 Yet when KLOPPEN-
BORG himself seeks to expand the (relatively small) "Q 2 "-type glosses by
much larger whole discourses (e. g. the preaching of John the Baptist, or
the series of woes in Q 11), partly on the grounds of similar content, there
is a sense in which he too is working with tradition-history rather than
literary history.33
30 Formation, 244-245; cf. too Sayings Gospel Q , 322; Discursive Practices, 159; Ex-
cavating Q , 351.
31 Sayings Gospel Q , 323 (on FULLER, MEADORS, WITHERINGTON and others); Discur-
sive Practices, 161; Excavating Q , 351 etc.
32 See SCHULZ, Q ; KLOPPENBORG, Tradition and Redaction.
33 Cf. the way in which at least part of the reason for separating the different layers is on
the basis of "common/characteristic motifs" (cf. Formation of Q , 169, 240). O n this
see my Son of Man and Daniel 7, 384; see also SCHRÖTER, Jesus, 108.
"It is in the archaic collections embedded in Q that one can with the most assur-
ance speak of material that goes back to sayings of Jesus himself." (44).
"Any presentation of Jesus that lacks at its core these collections that comprise
the oldest core of Q is to that extent deficient." (45, his stress).
"has in fact glossed over central dimensions in the archaic collections, as to how,
in Jesus' view, one should think of God [.. .]." (39, my stress).
"One must take seriously the substantive - theological and ethical - tension be-
tween the two main layers of Q , that of the archaic clusters, and that of the final
redaction. Jesus' vision of a caring Father who is infinitely forgiving [ . . . ] may
have been lost from sight a generation later." (42f., my stress).
In all this then, a tension is seen between the outlook of Q 1 and Q 2 , and
Q 1 is equated with the historical Jesus almost tout court.
The same seems to be true in the writings of MACK. KLOPPENBORG
has sought to defend MACK, claiming that MACK'S thesis of Jesus as a
Cynic-type aphorist depends in part on theories about Q but also on
other factors (his beliefs about Mark, about kingdom sayings, about
Galilee).36 This may be true in part, but it is still the case that a significant
element within MACK'S overall argument is based on a fairly simple equa-
tion of the historical Jesus with the earliest layer in Q , and this coupled
with the negative converse that later strata in Q are deemed to be alien to
the historical Jesus. Thus he writes about the material in the earliest
stratum o f Q which he identifies:
"If we ask about the character of the speaker of this kind of material, it has its
nearest analogy in contemporary profiles of the Cynic-sage. This is as close to the
historical Jesus as Q allows us to get, but it is close enough for us to reconstruct a
beginning of the movement that is both plausible and understandable."37
Conversely, the division of material between " Q 1 " and " Q 2 " , with the
former containing "aphoristic wisdom" and the latter "apocalyptic pre-
diction and pronouncement of d o o m " suggests that
"aphoristic wisdom is characteristic of the earliest layer. This turns the table on
older views of Jesus as an apocalyptic preacher and brings the message of Jesus
around to another style of speech altogether."39
37 MACK, Lost Gospel, 203. It seems clear that the "plausible and understandable" pic-
ture is being equated with the historical Jesus without too many qualms or exceptions.
38 MACK, Q and a Cynic-like Jesus, 31 (my stress). The equation seems quite explicit
here between the (alleged) early/later literary stages of Q and the early/later stages of
the (social) history of the community responsible for Q. Cf. too MARSHALL, Gospel
of Thomas, 40: "Mack uses Kloppenborg's stratigraphy and treats what Kloppenborg
designates as primary in a literary sense as also historically primary. He makes no al-
lowance for authentic Jesus sayings employed in the framing redaction."
39 MACK, Myth of Innocence, 59.
i0 It should also be noted that MACK'S own stratigraphical analysis is different from
KLOPPENBORG'S (postulating c. five, rather than three, stages) and the basis for such a
division is by no means clear: certainly the ascription of some elements to one stra-
tum rather than another is at times somewhat arbitrary and contradicts the very rea-
sons for postulating a stratigraphy (e. g. by KLOPPENBORG) in the first place. On this
see ROBINSON, Taxonomy.
his earliest stratum: hence the two strata have equal pedigree in terms of
CROSSAN'S methodology. KLOPPENBORG also refers to the fact that much
more important for CROSSAN is the criterion of multiple attestation and
in this Q counts as only one vote.41 This is probably true: just as impor-
tant for CROSSAN are his theories about the Gospel of Thomas, including
his stratification theory in relation to Thomas whereby one stratum of
Thomas is dated into his earliest period; hence where Thomas and Q
overlap (material which is almost by definition of the proposed strata in
Thomas constitutes the earliest stratum of Thomas), the criterion of
multiple attestation inevitably includes these elements as primary in
CROSSAN'S "database". It may thus be CROSSAN'S theories about Thomas
and its strata which have more influence than theories about Q and its
possible strata.42 And in any case, as KLOPPENBORG points out, scholars
such as MARCUS BORG have reached similar conclusions (e. g. about a
non-eschatological Jesus) without adopting any theory of strata within
Q. 43 Nevertheless, even if the stratification model is not appealed to di-
rectly by CROSSAN, it is probably being introduced implicitly: Q material
paralleled in Thomas is given priority, but the content of Thomas (lacking
for the most part the polemical "Q 2 " material) leads inexorably to "Q 1 "
material being prioritised.44
One can therefore see that, in a number of recent studies of Jesus, the
Q 1 material is taken as the primary body of evidence. What is "later" in
literary terms within the development of the Q tradition is regarded as
secondary in terms of tradition history: hence an equation is effectively
being made between " Q " ' and the historical Jesus; " Q 2 " is regarded as
part of the secondary, post-Easter development of the Jesus tradition and
not to be ascribed to Jesus. Further, what others might regard as poten-
tially equally important primary source material, e. g. in Mark, "M" or
"L", is also sidelined.45 Such a model is clearly methodologically more
"the strictly rhetorical sense, denoting the intellectual process or finding and ar-
ranging materials germane to the conduct of an argument and the rendering plau-
sible of a certain conclusion" 4 '.
The jargon we use can vary. For others, this might be termed "composi-
tion criticism" rather than "redaction criticism", paying attention to the
way in which the total material is now presented, almost irrespective of its
ultimate origin.
In terms of method, there is virtually nothing I would wish to quarrel
with here. Indeed it was precisely this kind of approach which I myself
tried to use in my own study of Q. 50 But this in turn does mean that it
may become much harder to use any such results about a possible Q the-
ology discussions of authenticity and/or the historical Jesus. If the proc-
ess of "invention" does not necessarily mean fabrication (or "redactional
creation"), but involves "finding and arranging", then the present form of
the "text" is as likely as not to be the result of using earlier traditions
which will have as good (or as bad) a chance as any of being authentic.
Hence the fact that one particular unit or discourse in Q appears to be
thoroughly in line with Q ' s general ideological outlook (or that of " Q 2 " )
cannot mean that that whole tradition can be written off (in relation to
the question of authenticity) as a redactional creation de novo. Q may
just as well have "found" all the elements of the unit in its tradition and
written them up to form the unit as it now appears in Q so that the pres-
ent form contributes strongly to Q ' s overall perspective but does so by
using elements that may be firmly authentic. If we can identify clear
glosses that appear to be secondary additions to earlier traditions, and
which could not really exist in isolation, then a claim to inauthenticity
might be justified. But in the absence of such evidence, we cannot simply
make deductions about authenticity on the basis of Q ' s "rhetoric" or "ar-
rangement" or "invention" alone.
T o take one example of what seems to me an illegitimate appeal to such
considerations, I refer to KLOPPENBORG'S discussion of Q 22,28-30. 51
KLOPPENBORG refers (in my view rightly) to the fact that "the saying is
deeply embedded in the rhetoric of Q as a document": it is (probably)
the final saying of Q and may therefore have formed its climax; it "reca-
pitulates and extends the motif of the judgment of 'this generation'"
which is a key element of Q ; and it forms the climax of a smaller se-
quence of sayings in Q 17 and 19. KLOPPENBORG'S conclusion is then
that, in light of the strategic importance which the saying has in Q ' s over-
all arrangement, "one must offer good reasons for not thinking that Q
22,28-30 is simply a creation of Q " . Yet whilst agreeing (as I do) with all
that KLOPPENBORG says about the place of the saying within Q , one can-
not really say, on that basis alone, whether Q "found" the saying Q
22,28-30 in its tradition and used it with compositional "added value", or
whether Q invented the saying de novo. It is not the case that the saying
functions as a secondary, separable gloss on an earlier self-contained say-
ing and that it could not exist in isolation (as e. g. in Q 11,42c); rather,
the saying can (and e. g. in Luke does) stand on its own. Thus appeals to
Q ' s composition, or "invention" cannot settle questions of authenticity
quite so easily. 52
In the second part of this essay, I consider two specific topics in relation
to study of the historical Jesus where it has been claimed that the evidence
of Q may be highly significant. In both I refer once again to the work of
KLOPPENBORG. The first concerns the Sabbath controversies in the gos-
pel tradition. Certainly the existence of these stories in the tradition have
in the past played a significant role in reconstructions of the historical Je-
sus. However, KLOPPENBORG refers to the (apparent) absence of such
stories in Q. 5 3 H e claims that, unlike some other apparent silences in Q ,
this silence may be significant, "since it is very difficult to argue that Q
knew of Sabbath controversies but disregarded them" (Sayings Gospel Q ,
333). Q does indeed know of other points of difference between Jesus
and Pharisaic practice (cf. the woes of Q 11), and lampoons the latter;
hence " Q ' s silence seems to imply that it knew nothing of Sabbath con-
troversies." (ibid.)
According to KLOPPENBORG, Q ' s silence suggests that Jesus cannot
have been involved in any programmatic critique of Sabbath observance.
He claims that the case is slightly different in relation to the issues of pu-
rity and tithing. For example in the saying on tithing (Q 11,42), the final
clause (11,42c) conflicts with the rest of the saying, but this is probably a
later addition to Q "by a 'nervous glossator' who wishes to avoid a poten-
tially antinomian interpretation of 11,42b" (Sayings Gospel Q , 334). But
in any case, in the earlier forms of the sayings on washing cups and on
tithing (11,39-41 and 11,42), there are no programmatic critiques of the
Law but (only) attempts to ridicule Pharisaic practice.
"Jesus may have made statements that touched on purity, tithing and other legal
issues - but this does not imply that he offered a programmatic critique of the
Torah or that he put himself forward as a Torah-interpreter. That is Matthew's
Jesus." 5 4
Hence
"When Q gives no evidence of knowing items that otherwise it might have been
expected to have employed, however, as in the case of Sabbath controversies, it is
very doubtful that these should be ascribed to Jesus." 5 5
" A critical examination of Jesus literature, even the most recent, certainly arouses
the suspicion that the methodological implications of the Two Source Hypothesis
have not been taken seriously enough. Generally speaking, it is Matthew's por-
trait of Jesus that has left its impression. It is only on this basis that one can ac-
count for the fact that the issue of Jesus' understanding of the Law is a seemingly
unavoidable question for Jesus-scholarship. But the word νόμος does not even
appear in Mark, and in Q only in texts that are probably late (Q 16,16-17). It was
Matthew who first seriously raised the issue in the tradition of Jesus' sayings." 5 '
All this is however not fully persuasive. I take first the more general
point that attributing to Jesus a concern about the Law is really only a
feature of Matthew's presentation and hence does not go back earlier (to
Mark or Q , let alone the historical Jesus).
It may be the case that the Greek word νόμος itself is more character-
istic of Matthew than of Mark or Q . Nevertheless, it seems undeniable
that the issue of Torah observance was a feature of the earlier (one might
almost say the earliest) tradition. If we come at the issue from the point
of view of later traditions, adopting what one might call a wirkungs-
geschichtlich approach, it is clear that certainly some (relatively early) in-
terpreters of the tradition thought that the issue was acutely raised in the
earlier tradition. We can consider Matthew himself and his well-known
attempts to tone the apparently radical stance of Jesus in relation to the
Law in the Markan tradition (in relation to Sabbath observance, hand
washing, divorce etc.). Whether the historical Jesus was so radical may be
disputed; but it seems undeniable that Matthew read Mark in this way, or
at least thought that Mark could be read in this way, and was concerned
to "correct" the picture.
The same is true for Q . Many have argued that Q ' s "arrangement",
and perhaps even at times Q ' s creative redactional activity, shows a con-
56 In the recent debates, most notably SANDERS, Jesus, 264-269; Jewish Law, 1-96. The
theory that the Sabbath controversies are all "ideal scenes", reflecting primarily de-
bates of the early Christians rather than those of Jesus, goes back of course to BULT-
MANN, History, 48. KLOPPENBORG regards it as slightly ironic that the Q theory
lends support to SANDERS since SANDERS himself does not believe in Q !
57 KLOPPENBORG cites this passage twice (Sayings Gospel Q , 325; Discursive Practices,
153) as coming from an unpublished paper presented at the Westar Institute, 1991.
The same passage (in German of course!) now appears in LÜHRMANN, Logienquelle,
196-197.
argued elsewhere, the saying only makes sense as some kind of argument
to defend an apparent breach of Sabbath law.65 It is "experientially based",
rather than "halakic", 66 but this is not necessarily significant: in any case
what we have is only a torso (and we do not know if it was supplemented
by other "halakic" arguments; but in any case the distinction may be an
artificial one). The verse does show an awareness - probably within Q -
that Jesus' actions could be construed as breaching Sabbath observance,
but that arguments could be - and here are - produced to show that any
apparent breach of this nature was justifiable and justified.
With this in mind, Q's (perhaps only partial) silence may be intelligi-
ble. Against KLOPPENBORG, it is certainly not inconceivable that " Q knew
of Sabbath controversies but disregarded them" (though we must concede
that we can never really know Q's sources with such precision that we can
identify material available to, but omitted by, Q ) . In any case we know
little or nothing of Q's sources at the level of material available to Q but
which Q chose to omit.) The intra-Pharisaic debate (on e. g. purity or
tithing) may have been acceptable simply because it was recognised as an
"in-house" argument which did not necessarily challenge of the basic
"ground rules" of life under Torah. Debates about Sabbath would have
been of a different order. Q shows an awareness of the more general dan-
ger of possibly subverting the Law elsewhere: Q 11,42c; 16,17 have al-
ready been noted. The temptation narrative of Q 4,1-11 has as an im-
portant function to show that Jesus is obedient to the word of God as
revealed in the Law.67 So too, if Q contained a version of the story about
the double love command (cf. above), the inclusion of the story in Q may
show a concern by the Q editor(s) to show Jesus as in line with Torah,
appealing to the Torah as the basis of his teaching and doing so precisely
in order to counter opposition from others suspicious of him.68 That Q
might then have known of Sabbath stories and deliberately not included
them seems entirely credible and in line with what we can discern of Q's
overall strategy and concerns.
Whether we should then deduce that the historical Jesus was a radical
questioner of Sabbath and other major parts of the Torah is quite another
matter. It may well be that Jesus' attitude to the Sabbath was somewhat
ambiguous, that the tradition was not clear, and the resulting variety in
early Christian responses is in part the result of such unclarity. Further,
any questioning of Sabbath law by Jesus may have been well within the
parameters of debates at the time about how exactly one should keep
Sabbath and what might constitute an acceptable to reason for doing
"work" on the Sabbath.69
However, it seems unjustified to deduce from Q's apparent silence that
such debates never occurred within Jesus' lifetime. If all the Sabbath de-
bates are reflections of early Christian controversies, and if none goes
back to Jesus, we have to face the problem of explaining why then Sab-
bath controversies dominate (at least parts of) the gospel tradition but are
notable by their (almost total) absence from non-gospel Christian litera-
ture in the first century (e. g. the epistles, the Didache etc.). 70 It seems
much more plausible to argue that Sabbath controversies do go back to
Jesus in some shape or form, that the early Christians reacted differently
to the tradition and that one possibility was to try to sweep the issue un-
der the metaphorical carpet. Q's relative silence (which may not have
been total, cf. Q 14,5) should therefore be interpreted with something of
a critical eye.
" Cf. SANDERS, Jewish Law, 23; also MARGUERAT, Jésus et la loi. Nevertheless, the tra-
dition seems to be better explained if there were apparently critical tendencies in the
tradition from the very beginning. Cf. in more general terms, SCHRÖTER, Erwägun-
gen, 458.
70 There are a few passing references in the Pauline letters, but the pressing issues there
are much more circumcision and food laws.
71 Cf. BORG, Jesus; ALLISON, Jesus of Nazareth.
72 Discursive Practices, 165; Sayings Gospel Q, 341.
73 In S a y i n g s G o s p e l Q , KLOPPENBORG m e n t i o n s Q 1 0 , 1 3 - 1 5 ; 1 1 , 1 9 . 2 4 - 2 6 . 3 1 - 3 2 ; in
Discursive Practices, he adds Q 6,37-38.47-49; 10,12.50.51; 12,8.9.39-40.42-
46.49.58-59.
74 Discursive Practices, 165.
75 Ibid.
76 Sayings Gospel Q , 341; cf. Discursive Practices, 166.
77 Discursive Practices, 168.
78 Sayings Gospel Q , 341; Discursive Practices, 168.
79 Discursive Practices, 169, cf. Saying Gospel Q , 342.
80 Discursive Practices, 169.
84 Few have disputed the historicity of the baptism of Jesus, especially in the light of the
evident embarrassment it caused for early Christians.
85 Cf. SANDERS, Jesus, 91-95,152-156; also BECKER, Jesus of Nazareth, 49-53.
86 Unless one postulates a change of mind on the part of Jesus and distinguishes be-
tween an "early Jesus" and a "later Jesus": cf. CROSSAN, Historical Jesus, 237-238.
Such a theory is of course possible, though it opens the floodgates to all kinds of pos-
sibilities and it is then hard to know what kind of controls one could have in assessing
the evidence.
87 For a generally positive view of the authenticity of the sayings about judgement in the
synoptic tradition, see too REISER, Jesus and Judgment.
tie to suggest that, in this respect, Q and Jesus were radically different
from each other.
One may also consider here a slightly more broader issue. The threats of
catastrophic judgement are all part of the " Q 2 " material (for those who
accept the stratigraphical analysis of Q on which the terminology is
based). I have earlier referred to the dangers of separating off the " Q 1 "
material from " Q 2 " and assigning only the former to the historical Jesus,
primarily in terms of methodology: such a procedure may be pressing lit-
erary-critical judgements into a tradition-critical area where they are in
danger of being inappropriate if not irrelevant.
However, in relation to the material itself, other factors may also be
relevant in this discussion. The " Q 2 " material contains much of the
"apocalyptic" and/or "prophetic" material in the tradition, where Jesus is
seen as being more polemical, attacking opponents etc. By contrast the
Jesus of " Q 1 " is more irenic, perhaps the almost playful Cynic-sage of
MACK, the Jewish Cynic peasant of CROSSAN, or the teacher of infinite
forgiveness of ROBINSON. 88
Yet, as I have sought to argue elsewhere, any attempt to reconstruct a
picture of the historical Jesus has to pass a number of critical tests. Of
course any sifting of the individual elements of the tradition has to go
through the process of considering the "criteria for authenticity" such as
dissimilarity, coherence multiple attestation etc. in some shape or form.
But any final result, any picture which claims to re-present the historical
Jesus with any degree of accuracy, has to pass a further acid test in that it
must "cohere" or "fit" with the unquestioned fact that Jesus was cruci-
fied.89 N o one has ever seriously doubted the fact of the cross. Explain-
ing it in any detail is of course notoriously problematic. But at the very
least, this brute fact has to be placed alongside any reconstruction of the
historical Jesus and some attempt made to explain how the latter could
end up crucified. And it may be a difficulty for some "Q'-based" histori-
cal Jesuses that the resulting picture is so ««polemical, and ¿«offensive,
that it becomes all the harder to envisage why such a Jesus aroused such
intense passion and hatred on the part of at least some sections of the
population that he was executed in this way. Unless one goes down the
route of saying that the cross was a complete accident of history, and that
88 Indeed it was precisely this distinction between the more overtly polemical material
and the more irenic appeals to the sensibilities of the audience that functioned as the
criterion for distinguishing strata in Q at all: cf. KLOPPENBORG, Formation, 167, 238,
and the appeals there to "projected/implied audience (s)" as distinguishing the strata.
89 TUCKETT, Sources and Methods, 136.
it bore no relationship at all to Jesus' life and activity,90 then it seems one
needs an element of real polemic and offensiveness in Jesus' teaching to
explain his death (at least in very general terms). A reconstruction of Je-
sus who is too "Q'"-like is thus perhaps historically unpersuasive if only
because alongside any such Jesus one has to put the brute fact of the
cross.
Bibliography
90 Such a move is a theoretical possibility - Jesus was executed almost by accident - but
few if any have felt comfortable with such a view.
DAVID E . A U N E
1. Introduction
succinct précis and critique of the first two volumes, see JULIAN V. HILLS, The Jewish
Genius: Jesus according to John Meier, Forum, n. s. 1 (1998), 327-347.
3 MEIER, The Roots of the Problem, 167-195.
4 MEIER, The Roots of the Problem, 41-166 contains four chapters on sources including
the canonical books of the New Testament (41-55), Josephus (56-88), "Other Pagan
and Jewish Writings" (89-111), and finally, the largest section is devoted to "The
Agrapha and the Apocryphal Gospels" (112-166).
5 FRIEDRICH REHKOPF argues this for Special L, in Die lukanische Sonderquelle: Ihr
Umgang und Sprachgebrauch, W U N T 5 (Tübingen: Mohr-Siebeck, 1959).
6 Though the index to vol. 2 lists a reference to Acts 20:35 on p. 238, this apparently an
error; JOHN P. MEIER, Mentor, Message, and Miracles, vol. 2 of A Marginal Jew: Re-
thinking the Historical Jesus (ABRL; New York: Doubleday, 1994), 1092.
7 MEIER, The Roots of the Problem, 160-161, note 114 is an extended critique of KOES-
"The radical claims usually overlook the fact that, for all the differences and even
conflicts among first-generation Christian leaders, there was a common gospel
message on which all of them agreed (cf. Paul's affirmation of a common procla-
mation by all Christian preachers in 1 C o r 15:11). Unlike the picture painted by
those who want to make some form of gnostic Christianity an equally valid
manifestation of first-generation Christian experience, the mainstream picture of
Christianity presented by documents and traditions that definitely do come from
the first and second generations are different from some of the wilder develop-
ments among certain Christians in the 2d century."
"There was no period when individual bits of tradition about Jesus floated about
in a Church bereft of the larger grid that the life, death, and resurrection of Jesus
provided."
These two quotations nicely illustrate the fact that the "faith-knowledge,"
which MEIER claims to have bracketed in the interest of historical re-
18 MEIER, The Roots of the Problem, 124, referring to CHRISTOPHER TUCKETT, Nag
Hammadi and the Gospel Tradition (Edinburgh: T. & T. Clark, 1986) 149.
" TUCKET, N a g Hammadi and the Gospel Tradition, 149, n. 553. TUCKET does not refer
to the study published two years earlier: RON CAMERON, Sayings Traditions in the
Apocryphon of James, HThS 34 (Philadelphia: Fortress, 1984), which discusses Jesus
traditions in some detail.
"In the gnostic myth implied in the Gospel of Thomas, the individual spirits
originally dwelt in the kingdom of light, the kingdom of the Father, who is the
first principle of 'the All' ( = the spiritual universe of divine beings). By their very
nature, these spirits were all united with and one substance with the divine. Through
some sort of primeval catastrophe, some of the spirits entered into the poverty of
this material world and are imprisoned in the fleshly garments of human bodies
[Log. 29]. This fall and imprisonment have caused them to fall asleep spiritually,
have caused them to forget their true origin in the kingdom of light·, they are like
drunkards and blind men in the realm of darkness [Log 28], The 'living' Jesus
(basically, the timeless, eternal Son, without any true incarnation in matter,
length earthly ministry to the Jewish people in general, real death, or true bodily
resurrection) comes into this world to wake these spirits up, to remind them of
their true origin and destiny, to free them from the illusion that they belong to
this material world of death.
One in divine substance with those he seeks, Jesus saves them simply by revealing to
them the truth of who they are, i. e., divine beings who belong to another world.
This knowledge, pure and simple, saves these spiritual persons right now. As
soon as they realize who they are, they are immediately free from the 'garments'
of their material bodies, which they can trample underfoot [Log. 37]. Even now
they can find the treasure of true knowledge that means eternal life; even now
they can enter into the 'place' or 'rest' of the Father. Fully integrated with the di-
vine source form which they came, there is no salvation to be awaited in the future;
the Gospel of Thomas thus represents 'realized eschatology' in its most radical
form.
Indeed, it is perhaps more accurate to speak of a return to the primordial paradise
than an anticipation of a future consummation. There is no kingdom to be
awaited from above or in the future; the spiritual kingdom is already within them
and surrounding them, if only they open their inner eyes to see it [Log. 3, 113].
The material world and physical bodies are rejected as evil, and one abstains as far
as possible from things material. Sex is seen as an evil. and the female role in hear-
ing new spirits imprisoned in bodies is especially deprecated [Log. 79, 114], By as-
ceticism the spirits already triumph in principle over the body, which will be to-
tally left behind as physical death. Physical death does not spell destruction for
the initiated who have 'found the interpretation' of Jesus' sayings and who there-
fore do not experience death [Log. 1]. Physical death is simply final release from
the evil material world."
This reconstructed gnostic myth is not without problems. First, the ob-
vious error in this reconstructed myth is the claim that the Living Jesus of
Thomas was "without any true incarnation in matter," a statement contra-
dicted by Logion 2 8 (LAMBDIN): "Jesus said: Ί took my place in the midst
of the world and I appeared to them in flesh [Coptic: hn sarx\," a passage
in which neither "world" nor "flesh" has a pejorative meaning. 23 This pas-
sage is one of those extant in Greek, for P O x y 1 . 1 3 - 1 4 reads: και έν
σαρκΐ ώ φ ϋ η ν αύτοΐς, "and I appeared to them in flesh."24 Second, the
terms "imprisoned" and "imprisonment" are exaggerations, for while
parts of Thomas indeed reflect the Hellenistic view of the dualism of body
and soul in which the body is depreciated (e. g., life in the body is referred
to as dwelling in "poverty," log. 3, 2 9 ) , the relationship between soul and
body is never referred to under the metaphor of imprisonment. Similarly,
MEIER uses the term "evil" in an exaggerated way, for while the term
[i. e., the Greek loanword κακός] occurs six times in Thomas (log. 14, 45
23 RICHARD VALANTASIS, The Gospel of Thomas (London and New York: Routledge,
1997) 102.
24 HAROLD W. ATTRIDGE, The Greek Fragments, in: Nag Hammadi Codex 11,2-7, ed.
BENTLEY LAYTON, NHS 20 (2 vols.; Leiden: Brill, 1989), 1.118-119. Since the noun
and verb in this phrase have their closest parallel in 1 Tim 3:16 (δς εφανερώθη έν
σαρκί) it is not possible to insist on a Docetic meaning of φανερόω.
" U G O BIANCHI (ed.), The Origins of Gnosticism: Colloquium of Messina 13-18 April
1966: Texts and Discussions, SHR 12 (Leiden: Brill, 1967; reprinted, 1970), xxvi. The
problematic terms "proto-Gnosticism" and "pre-Gnosticism" are discussed briefly on
pp. xxvii-xxviii. The definitions formulated at Messina, however, were subjected to
harsh criticism by MORTON SMITH, Review of The Origins of Gnosticism, ed. Ugo Bi-
a n c h i , J B L 8 9 ( 1 9 7 0 ) , 8 2 - 8 4 ; KURT RUDOLPH, R a n d e r s c h e i n u n g e n des J u d e n t u m s u n d
das Problem der Entstehung des Gnostizismus, Kairos 9 (1967), 105-122; MORTON
SMITH, The History of the Term Gnostikos, in: The Rediscovery of Gnosticism: Pro-
ceedings of the Conference at Yale, New Haven, Connecticut, March 28-31, 1978,
SHR 41, ed. BENTLEY LAYTON (2 vols.; Leiden: Brill, 1981), 2.796-807; KURT
RUDOLPH, 'Gnosis' and 'Gnosticism' - The Problems of their Definition and their
Relation to the Writings of the New Testament, in: The New Testament and Gnosis:
Essays in Honour of Robert McLachlan Wilson, ed. A. H . B. LOGAN and A. J. M.
WEDDERBURN ( E d i n b u r g h : T . & T . C l a r k , 1 9 8 3 ) , 2 1 - 3 7 .
26 KURT R U D O L P H , ' G n o s i s ' a n d ' G n o s t i c i s m ' , 2 9 - 3 0 ; BIRGER A . PEARSON, " I n t r o d u c -
tion," Gnosticism, Judaism, and Egyptian Christianity, ed. BIRGER A. PEARSON (Min-
neapolis: Fortress, 1990), 7 - 8 .
independent of the Synoptic tradition (The Roots of the Problem, 119): "I admit that
Dodd's explanation is also possible."
tion and Its Influence in the Greek and Roman World, ed. E. A . MACKAY, Mnemosyne
Suppl. 188 (Leiden: Brill), 31.
optic sayings, thus rendering them shorter. Finally, the ahistorical, atem-
poral and amaterial ideology of the redactor motivated him to drop fea-
tures contradicting these conceptions.
Response: While it is true that the shorter version of a text is not in-
variably earlier than a longer version (the contrary view was falsified by
E. P. SANDERS), it is often true that the shorter version can be shown to
be an earlier version. In effect, M E I E R uses generalities, not exegesis, to
argue that the shorter Thomas sayings are later than their longer Synoptic
counterparts because of the compositional tendencies and motivations of
the "gnostic" redactor. If the generality that the shorter text is the earlier
text is invalid, MEIER'S assertion that the "gnostic" redactor shortened
canonical texts is also invalid, unless and until each saying is analyzed in
its own terms to determine its relationship to parallel or partially parallel
texts and not dismissed out of hand as "gnostic."
(4) M E I E R maintains that it is unlikely that the very early source of the
sayings of Jesus upon which the Gospel of Thomas supposedly drew would
have contained the broad spread of sayings from first century Jesus tradi-
tion evident in the Gospel of Thomas, including Q , Special M, Special L,
Matthaean and Lucan redaction, the triple tradition and possibly the Jo-
hannine tradition; rather, it is more likely that Thomas has conflated ma-
terial from Matthew and Mark and possibly from Mark and John as well.40
MEIER points particularly to the special Matthean material ( " M " ) , ob-
serving that "some of the M passages may be Matthew's own redactional
creations."41 He lists several passages in Thomas which are arguably de-
pendent on M, and then concludes:
"In sum, only one of the passages I have listed would have to be Matthew's own
creation or reflect Matthew's redaction to prove beyond a doubt that Thomas
knows and uses Matthew's Gospel to compose his own."
MEIER then argues along the same lines for the dependence of Thomas on
special Lukan material ("L").
Response: First, the notion that Thomas used "a single very early
source" which contained material, now recognized as belonging to Q ,
Special M, Special L, Matthean and Lucan redaction, the triple tradition
and possibly the Johannine tradition, is a supposition not held by Thomas
40 The same objection to the independence of the Thomas traditions is made by KLYNE
R. SNODGRASS, The Gospel of Thomas a Secondary Gospel, SecCent 7 (1989/90),
24-25. Both SNODGRASS and MEIER, incorrectly suppose (I believe) that Thomas ex-
hibits literary dependence on the Fourth Gospel (see below).
41 MEIER, The Roots of the Problem, 135.
scholars, with the exception of those few who suppose that Thomas was
dependent on Tatian's Syriac Diatessaron. Second, MEIER'S assumption
42
42 T. BAARDA, Early Transmission of the Words of Jesus: Thomas, Tatian and the Text of
the New Testament (Amsterdam, 1983) 49; H. J. W. DRIJVERS, Facts and Problems in
Early Syriac-Speaking Christianity, SecCent 2 (1982), 173. This position is critiqued
by W. L. PETERSEN, Tatian's Diatessaron: Its Creation, Dissemination, Significance, &
History of Scholarship (VigChr.S 25; Leiden: Brill, 1994), 298-300. The opposite
view, that the Diatessaron was dependent on Thomas, maintained by JACQUES-É. MÉ-
NARD, L'évangile selon Thomas, N H S 5 (Leiden: Brill, 1975), is extremely unlikely
( W . L . PETERSEN, D i a t e s s a r o n , 2 9 6 - 2 9 7 ) .
43 Dependence on the triple tradition is extremely difficult to prove. I do not think that
there is any clear evidence that Thomas was dependent on Mark.
44 A. J. BELLINZONI, The Sayings of Jesus in the Writings of Justin Martyr, NT.S 17
(Leiden: Brill, 1967), 139-142.
45 BELLINZONI, J u s t i n M a r t y r , 1 3 1 - 1 3 8 .
46 The logia with no verbal parallels to the canonical Gospels are the following: 2, 7, 11,
13, 15, 17, 18, 19, 22, 23, 24, 27, 28, 29, 37, 38, 42, 43, 49, 50, 51, 52, 53, 56, 58, 59, 60,
67, 71, 74, 75, 77, 8k0, 81, 82, 83, 84, 85, 87, 88, 95, 97, 98, 102, 105, 106, 108, 110, 111,
112,114.
47 JOSEPH FITZMYER, The Gospel According to Luke, A B 28, 28A (2 vols.; Garden City:
Doubleday, 1981-1985), 1.527-528.
48 JOACHIM JEREMIAS, Die Sprache des Lukasevangeliums: Redaktion und Tradition im
10:8b, "eat what is set before you," is probably, though not certainly, a
redactional addition to Q. 50
There is at least one memorable line in a satirical western movie "The
Life and Times of Judge Roy Bean" (1972): "Can we hang him now,
Judge, or do we need to hold a trial first?" The outcome of MEIER'S dis-
cussion of the Gospel of Thomas is about as unexpected as the results of
that fictional trial:51
"Since I think that the Synoptic-like sayings of the Gospel of Thomas are in fact
dependent on the Synoptic Gospels and that the other sayings stem from 2d-
century Christian gnosticism, the Gospel of Thomas will not be used in our quest
as an independent source for the historical Jesus."
Nevertheless, since MEIER recognizes that all scholars do not agree with
his assessment, he promises that throughout his project, he will keep an
eye on the sayings in Thomas throughout his project as a check and con-
trol on his own interpretation of the data in the canonical Gospels. He
does follow through on this promise occasionally, as a few entries in the
index under "Gospel of Thomas" indicate, though never with the rigor
that one might wish. One of the consequences of MEIER'S wholesale re-
jection of Thomas - and one of which he is fully aware - is the problem
that few parables in the Jesus tradition exist in more than one independ-
ently attested version, so that the criterion of multiple attestation cannot
be used.52
J O H N D O M I N I C CROSSAN is a p r o l i f i c a n d e l o q u e n t s c h o l a r w h o h a s p r o -
duced twenty books, sixteen on aspects of the life and teachings of Jesus
and related sources. His 1991 book The Historical Jesus is at once the best
known, most exciting, and yet most controversial of his books. 53 Unlike
1997), 2 3 2 - 2 3 3 ; RISTO URO, Thomas and the Oral Gospel Tradition, in: Thomas at the
Crossroads: Essays on the Gospel of Thomas, ed. RISTO URO (Edinburgh: T. & T.
Clark, 1998), 2 6 - 3 1 .
50 JAMES M . ROBINSON, P A U L HOFFMANN a n d JOHN S. KLOPPENBORG, T h e Critical
Edition of Q (Minneapolis: Fortress; Leuven: Peeters, 2000), 170-171.
51 MEIER, The Roots of the Problem, 139.
52 MEIER, Mentor, Message, and Miracles, 290.
53 JOHN DOMINIC CROSSAN, The Historical Jesus: The Life of a Mediterranean Jewish
Peasant (San Francisco: HarperSanFrancisco, 1991).
"The first triad involves the reciprocal interplay of a macrocosmic level using
cross-cultural and cross-temporal social anthropology, a mesocosmic level using
Hellenistic or Greco-Roman history, and a microcosmic level using the literature
of specific sayings and doings, stories and anecdotes, confessions and interpreta-
tions concerning Jesus. All three levels, anthropological, historical and literary,
must cooperate fully and equally for an effective synthesis."
Canon (Minneapolis: Winston, 1985; IDEM, The Cross that Spoke: The Origins of the
Passion Narrative (San Francisco: Harper & Row, 1988).
59 CROSSAN, Historical Jesus, 4 2 7 - 4 3 0 .
60 While these three papyrus fragments were dated ca. 150 C E (H. I. BELL and T. C.
SKEAT, Fragments of an Unknown Gospel [London: Trustees of the British Museum,
1935], this date has been advanced to ca. 200 C E by E. G. TURNER, Greek Manuscripts
of the Ancient World (Oxford: Clarendon, 1971), 13. It has been argued by some that
this fragmentary work is earlier than both John and the Synoptics (the view of CROS-
T h e c o n c e p t u a l i z a t i o n o f C R O S S A N ' S m e t h o d o l o g y in t h r e e interlocking
triads is d o u b t l e s s o n e o f t h e m o s t c o m p l e x a n d e l e g a n t a t t e m p t s o f a n y
historical Jesus scholar t o articulate historical m e t h o d o l o g y . A t the same
t i m e it is s t r i k i n g h o w f r e q u e n t l y C R O S S A N ' S m e t h o d o l o g y is p a s s e d o v e r
in s i l e n c e in d i s c u s s i o n s o f c r i t e r i a u s e d t o r e c o n s t r u c t t h e w o r d s and
deeds o f Jesus.61 T h e f i r s t t r i a d , w i t h its e m p h a s i s f i r s t o n c r o s s - c u l t u r a l
SAN), while others regard it as dependent on them (JOACHIM JEREMIAS and WILHELM
SCHNEEMELCHER in N e w T e s t a m e n t A p o c r y p h a , ed. W I L H E L M SCHNEEMELCHER [rev.
ed.; 2 vols.; Louisville: Westminster John Knox, 1991], 1.96-98).
" Two recent books on the criteria for historical Jesus research virtually ignore the
method articulated by CROSSAN: BRUCE CHILTON and CRAIG A. EVANS (eds.),
Authenticating the Words of Jesus, N T T S 28,1 (Leiden: Brill, 1999), and STANLEY E.
PORTER, The Criteria for Authenticity in Historical-Jesus Research: Previous Discus-
sion and N e w Proposals, J S N T . S 191 (Sheffield: Sheffield Academic Press, 2000).
Porter claims that recent historical Jesus research is dominated by three scholars, E. P.
SANDERS, J O H N P . M E I E R a n d T O M W R I G H T . T h e o m i s s i o n o f CROSSAN'S n a m e is
striking, and the excuse given is that CROSSAN is a member of the Jesus Seminar which
the author does not want to discuss in this volume. This is an astonishing omission,
given the independence and creativity of CROSSAN'S work. N o t e the very positive as-
sessment of CROSSAN'S book in N . T . WRIGHT, Jesus and the Victory of God (Min-
neapolis: Fortress, 1996), 44. The one book on criteria for historical Jesus research
w h i c h d o e s t r e a t CROSSAN'S m e t h o d is G E R D THEISSEN a n d DAGMAR W I N T E R , D i e
Kriterienfrage in der Jesusforschung: Vom Differenzkriterium zum Plausibili-
"THEISSEN and WINTER, Die Kriterienfrage in der Jesusforschung, 154: " F ü r unsere
Kriterienfrage ist wichtig, daß Crossan dezidiert auf das Differenzkriterium in allen
seinen F o r m e n als Mittel zur Rekonstruktion authentischer Jesusüberlieferung ver-
zichtet."
" J O H N DOMINIC CROSSAN, Divine Immediacy and H u m a n Immediacy: Towards a N e w
First Principle in Historical Jesus Research, Semeia 4 4 ( 1 9 8 8 ) , 123.
ries CE. 67 Elsewhere he has formulated what he has designated the "crite-
rion of adequacy" as an alternative first principle to the criterion of dis-
similarity: "that is original which best explains the multiplicity engen-
dered in the tradition."68 Further, the extensive application of this crite-
rion of adequacy is evident in C R O S S A N ' S earlier detailed transmission
analysis of 133 aphorisms attributed to Jesus in both the intracanonical
and extracanonical texts.69 While C R O S S A N makes no mention of the cri-
terion of adequacy in the introduction methodological discussion in The
Historical Jesus, it is clearly the driving conviction behind his emphases on
the multiplicity of independent attestation and the chronological stratifi-
cation of the individual complexes of Jesus tradition. Conclusions based
on these multiply attested complexes in the first stratum become the
"bedrock" for the analysis of later strata and single attestations.70
In The Historical Jesus, the methodological process which C R O S S A N
has used to date sources and texts in the first stratum is not (with some
minor exceptions) made explicit, nor is the methodological process where
by he judges that the 522 complexes of Jesus tradition (186 of which are
located in the first stratum) originated with Jesus, did not originate with
Jesus, or cannot be decided. Occasionally, C R O S S A N does make such
judgments explicit. The Gospel of the Egyptians, he observes, has a dia-
logue format more developed than that in the Gospel of Thomas.71 POxy
840, which belongs to the second stratum, is placed there because it "is
formally more developed than the debates in the Egerton Gospel or Mark
7, so it may be dated tentatively around the eighties (if so, it does not be-
long in the second stratum, 60-80 CE, where he has assigned it, but rather
in the third, 80-120). 7 2 Such arguments, which presuppose that composi-
tional complexity can be correlated with chronological development, have
little credibility since the work of E. P. SANDERS on the "tendencies" of
the Synoptic tradition.73
Cambridge University, 1969). Among other things, SANDERS argues that the generali-
zation that Matthew abbreviates Mark is invalid.
CROSSAN'S inventory of sources and texts found in the first and second
strata are of particular interest. O f the thirteen sources placed in the first
stratum (30-60 CE), four are complete early Christian texts (1 Thessa-
lonians, Galatians, 1 Corinthians, and Romans), five are reconstructed
sources (Gospel of Thomas I, Sayings Gospel Q, Miracles Collection [em-
bedded in Mark and John], Apocalyptic Scenario [embedded in Did 16
and Matt 24], and the Cross Gospel [embedded] in the Gospel of Peter),
three are papyrus fragments of otherwise unknown gospels (Egerton
Gospel,74 Papyrus Vindobonensis Greek 2325, Papyrus Oxyrhynchus
1224), and the Gospel of Hebrews, known only from seven patristic cita-
tions. O f the eight sources assigned to the second stratum (60-80 CE),
two are complete early Christian texts (Mark, Colossians), several are re-
constructed sources (Gospel of Thomas II, Dialogue Collection, Signs
Gospel), and three are fragments (Gospel of the Egyptians [known only
from six patristic quotations], Secret Gospel of Mark, Papyrus Oxyrhyn-
chus 840).
In the case of the Egerton Gospel, CROSSAN has argued elsewhere that
this fragmentary gospel is earlier than Mark.75 However, his reasoning for
this view is peculiar. Rather than observe, as others have, that PEger 2,
frag. 2, lines 43-59 clearly reflects a knowledge of all three Synoptic Gos-
pels: (1) Lines 43-50 reflect Mark 12:14-15 (the double question is found
only here), (2) Lines 50-53 betray a knowledge of the saying found only
in Luke 6:46 ("Why do you call me 'Lord, Lord,' and do not do what I tell
you?"), and (3) Lines 54-59 reflects Matt 15:7-8 (similar to Mark 7:6-7,
though this includes the term "hypocrites" which is not found in PEger).
CROSSAN is impressed with the compositional structure of PEger 2, fr. 2,
lines 53-59, and for that reason gives it priority.76 However, there is no
inherent reason why the author-editor of the Egerton Gospel could not
have created a coherent pericope out of materials found in the Synoptics
and John.
74 JOHN DOMINIC CROSSAN, Four Other Gospels: Shadows on the Contours of the
Canon (Minneapolis: Winston, 1985), 65-75.
75 CROSSAN, Four Other Gospels, 86.
76 CROSSAN, Four Other Gospels, 78-86. KOESTER regards as implausible either that the
Egerton Gospel (with specific reference to the Paying Taxes to Kings pericope) is an
independent older tradition or that it is an apophthegma pieced together from sen-
tences from three different gospels, but rather is drawn from oral tradition not from
existing gospels (Ancient Christian Gospels [Philadelphia: Trinity Press International,
1990], 213-215. The second "implausible" alternative could be based on memory, sug-
gests KOESTER, but he asks whether this memory was based on written or oral gos-
pels? He prefers the second alternative, but the first is just as viable.
77 CROSSAN, The Historical Jesus, 427, referring there to the work of STEVAN L. DAVIES,
The Gospel of Thomas and Christian Wisdom (New York: Seabury, 1983), to his own
book Four Other Gospels, and especially to the dissertation of Stephan Patterson,
subsequently published as The Gospel of Thomas and Jesus (Sonoma: Polebridge,
1993).
7" CROSSAN, The Historical Jesus, 427.
7' CROSSAN, The Historical Jesus, 437, no. 37: Thomas 57, which is listed with Dial. Sav.
49-52; Dial. Sav. 84—85 (neither of which are convincing oral or literary parallels), and
Gos. Eg. 5a.
if at all, does CROSSAN use these logia which have no apparently relation-
ship to Synoptic or Johannine tradition? The answer is that 32 of the re-
maining logia are assigned to the Second Stratum (60-80 CE); nearly all
of these being logia which have no significant parallels in the Synoptics
and John. 80
This is all quite remarkable, for it means that CROSSAN'S early stratum
of Thomas (30-60 CE) consists almost exclusively of logia with canonical
parallels, while his later stratum (60-80 CE) consists almost exclusively of
logia which have no canonical parallels. CROSSAN makes no mention of
this approach to stratifying Thomas in his earlier discussion Four Other
Gospels, nor is such a stratification scheme found in any other discussion
of the composition and redaction of Thomas in Thomas scholarship (so
far as I am aware).81 Such a stratification hypothesis certainly needs
careful and convincing argumentational support before it can be used as a
tool for historical research.
A second problem, not unrelated to CROSSAN'S arbitrary stratification
proposal, is his uniform dating of virtually all Thomas logia with Synoptic
or Johannine parallels to 30-60 CE, his First Stratum. Like most other
aspects of Thomas research, of course, there is widespread disagreement
about the date when the work was composed, though it is unnecessary to
parade the various proposals before the reader. Suffice it to say that when
any scholar departs significantly from the date of composition of Thomas
which is most widely held in the academy, namely ca. 140 CE, significant
arguments need to be adduced in support of that position. In an earlier
discussion of the logia of Thomas, CROSSAN concluded that "the tradition
in Thomas is independent of the intracanonical gospels but, of course, this
working hypothesis will have to be tested in every single case to be con-
sidered."82 Well and good. However, by assigning nearly all of the Tho-
mas logia which have Synoptic or Johannine parallels (arbitrarily) to the
First Stratum, this aspect of his data base of complexes of Jesus tradition
becomes extremely tenuous. It is essentially an unlikely hypothesis which
80 The vast major of the Thomas logia assigned to the second stratum have only a single
attestation (though eight of these are judged by CROSSAN to be authentic: 25, 42, 47a,
58, 77b, 97, 98, 110), while the four listed under double attestation have only noncan-
onical parallels: # 2 0 6 : Knowing Yourself (Thomas 3:2; Dial. Sav. 3 0 ) , # 2 0 8 : Life and
Death (Thomas l l : l - 2 a ; 111:1; Dial. Sav. 5 6 - 5 7 ) , # 209: The Bridal Chamber (Thomas
75; Dial. Sav. 50b); see CROSSAN, The Historical Jesus, 444.
81 See, for example, HANS-MARTIN SCHENKE, O n the Compositional History of the
Gospel of Thomas, The Institute for Antiquity and Christianity Occasional Papers, 40
(Claremont: Institute for Antiquity and Christianity, 1998).
82 CROSSAN, F o u r O t h e r Gospels, 37.
83 JOHN S. KLOPPENBORG VERBIN, Excavating Q : The History and Setting of the Sayings
Gospel (Minneapolis: Fortress, 2000), 87.
4. Methodological Reflections
Both M E I E R and CROSSAN have, each in their own way, violated a rule of
criticism which I will call the "criterion of unpredictability," by which I
mean that suspicion attaches to the critical methodology of those whose
interpretive moves are excessively predictable. For example, while K L Y N E
SNODGRASS is convinced that Thomas is derived from canonical traditions,
he also maintains that Thomas doubtless contains independent traditions
not found in the canonical Gospels and perhaps parallel traditions that
were not derived from the canonical Gospels.84 For this reason, I think
that it is obvious that SNODGRASS is using critical judgment and is not in
thrall to some theological or ideological position. The same can be said
for the important recent work of JENS S C H R Ö T E R , whose analysis of the
relationship between Thomas traditions and Mark and Q is credible pre-
cisely because he sometimes judges for and other times against the de-
pendency of Thomas on Synoptic tradition. J O H N M E I E R does not come
off nearly so well, for I think that it would be incredible if a document
like Thomas, containing nearly 150 sayings of Jesus, and compiled ca. 140
CE (while oral tradition still retained some measure of vitality) did not
contain at least some happy vestiges of original historical Jesus traditions.
CROSSAN does not comport himself very well either, for it would be in-
credible if a document like Thomas did not contain at least a smidgen of
Jesus traditions which were dependent on the Synoptic Gospels. Both
scholars evaluate the historical value of the Jesus traditions in Thomas in
such a consistent way that their general approach to Thomas must be
called into question.
85
"Thomas, Gospel of," A B D 6.537.
" See also the balanced essay by P H I L I P H . SELLEW, The Gospel of Thomas: Prospects
for Future Research, in: The N a g Hammadi Library after Fifty Years: Proceedings of
the 1 9 9 5 Society of Biblical Literature Commemoration, ed. J O H N D . T U R N E R and
A N N E M C G U I R E , N H M S 4 4 (Leiden: Brill, 1 9 9 7 ) , 3 2 7 - 3 4 6 .
87
DAVIES, The Gospel of Thomas and Christian Wisdom.
88
A P R I L D . D E C O N I C K , Seek to See Him: Ascent and Vision Mysticism in the Gospel
of Thomas, VigChr.S 33 (Leiden: Brill, 1996).
"Few critics nowadays focus much attention on the transformations and devel-
opments that doubtless occurred in the oral tradition prior to its inscription in
written documents as a means of resolving the Synoptic Problem. This is not be-
cause such knowledge would not be quite useful, but because it is simply beyond
our reach."
HELMUT KOESTER has laid out influential arguments for the viability of
oral Jesus traditions well into the second century CE. 9 1 Since the work of
PARRY and LORD on oral formulaic theory, classicists have become in-
creasing interested in the phenomenon of orality and oral tradition in the
Greek and Roman world. 9 2 N e w Testament scholars have followed suit, 93
and have begun to use insights from the modern study of orality and oral
" RISTO URO, IS Thomas an Encratite Gospel?, in: Thomas at the Crossroads: Essays on
the Gospel of Thomas, ed. RISTO U R O (Edinburgh: T . & T . C l a r k , 1 9 9 8 ) , 1 4 0 - 1 6 2 .
90 KLOPPENBORG VERBIN, Excavating Q , 5 2 - 5 5 .
91 HELMUT KOESTER, Synoptische Uberlieferung bei den apostolischen Vätern, TU 65
(Berlin: Akademie-Verlag, 1957), to be supplemented by his more recent work, An-
cient Christian Gospels: Their History and Development (Philadelphia: Trinity Press
International, 1 9 9 0 ) .
92 E. ANNE MACKAY, Signs of Orality: The Oral Tradition and Its Influence in the Greek
and Roman World, Mnemosyne Suppl. 188 (Leiden: Brill, 1999).
93 WERNER H. KELBER, The Oral and the Written Gospel: The Hermeneutics of Speak-
ing and Writing in the Synoptic Tradition, Mark, Paul, and Q (Philadelphia: Fortress,
1983; PAUL J. ACHTEMEIER, Omne Verbum Sonat: The New Testament and the Oral
E n v i r o n m e n t o f Late W e s t e r n A n t i q u i t y , J B L 109 ( 1 9 9 0 ) , 3 - 2 7 ; DAVID E . AUNE, P r o -
legomena to the Study of Oral Tradition in the Hellenistic World; IDEM, Oral Tradi-
tion and the Aphorisms of Jesus, in: Jesus and the Oral Gospel Tradition, ed. HENRY
WANSBROUGH, J S N T . S 6 4 (Sheffield: Sheffield A c a d e m i c P r e s s , 1 9 9 1 ) , 5 9 - 1 0 6 and
211-265.
J Ö R G FREY
„Ob Christus mehr als Mensch gewesen, das ist ein Problem. Daß er wah-
rer Mensch gewesen, wenn er es überhaupt gewesen; daß er nie aufgehört
hat, Mensch zu sein, das ist ausgemacht" 1 . Mit diesen Worten hat G O T T -
HOLD E P H R A I M LESSING im Jahr 1780 seine Thesenreihe über „Die Reli-
gion Christi" eröffnet und damit die spezifisch neuzeitliche Wendung der
Frage nach Jesus aufs deutlichste markiert. Hatte die traditionelle Chri-
stologie, letztlich im Anschluß an das vierte Evangelium, das Wesen und
Wirken Jesu unter dem Aspekt der Inkarnation des Logos (Joh 1,14) bzw.
der Sendung des Sohnes (Joh 3,16f.), also „von oben" her verstanden, so
erhält nun in LESSINGS These die Perspektive „von unten" die Priorität 2 .
Daß Jesus Mensch war, ist dem neuzeitlichen, historisch ansetzenden
Fragen unproblematisch. Fraglich wurde das andere, ob er mehr war als
ein .bloßer' Mensch. Fraglich wurde damit nicht nur das vere Deus der
klassischen Zwei-Naturen-Lehre, sondern letztlich auch das Christusbild
der Evangelien.
3 LESSING, R e l i g i o n , 3 5 2 ( § 3 - 4 ) .
4 LESSING, R e l i g i o n , 3 5 3 ( § 5 ) .
5 Siehe die vollständige Ausgabe des Werks: REIMARUS, Apologie 1-2; sowie zu Jesus
insbesondere das siebte Fragment mit dem Titel „Von dem Zwecke Jesu und seiner
Jünger", vgl. die von LESSING besorgte Erstausgabe REIMARUS, Von dem Zwecke, so-
wie das klassische Referat bei SCHWEITZER, Geschichte, 56-68.
6 So REIMARUS, Von dem Zwecke § 3 (zit. nach BAUMOTTE, Frage, 13): „Ich finde gro-
ße Ursache, dasjenige, was die Apostel in ihren eignen Schriften vorbringen, von dem,
was Jesus in seinem Leben würklich selbst ausgesprochen und gelehret hat, gänzlich
abzusondern".
7 Siehe das berühmte Zitat von LESSING: „Zufällige Geschichtswahrheiten können der
Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden" (Beweis, 47).
8 Man könnte wohl eine Geschichte der neuzeitlichen Jesusforschung schreiben als Ge-
schichte der Eintragung moderner .Dogmen' und Ideale in das Bild des .historischen'
Jesus von Nazareth.
9 Die Untergliederung dieser Forschung in Phasen ist notwendigerweise schematisch
und erfolgt entsprechend der Gewichtung der einzelnen Charakteristika in unter-
schiedlicher Weise. Vgl. zu einer Gliederung in fünf Phasen THEISSEN/MERZ, Jesus,
2 2 - 3 0 („die kritischen .Anstöße' [ . . . ] durch H. S. Reimarus und D . F. Strauß", „der
Optimismus der liberalen Leben-Jesu-Forschung", „der Zusammenbruch der Leben-
Jesu-Forschung", „die .neue Frage' nach dem historischen Jesus", „the .third quest'
for the historical Jesus"); daneben den Uberblick bei PORTER, Criteria, 6 0 - 6 2 , der mit
vier Phasen rechnet ("old quest", "no quest", "new quest", "third quest"); s. auch
REUMAN, Jesus and Christology, 502. Eine andere Terminologie wählt DU TOIT, Er-
neut auf der Suche, 92f. („erste Phase der Jesusforschung" - „Bultmannphase" -
„zweite Phase", „dritte/neuere Phase"). Zur Forschung im 19. Jh. s. nach wie vor das
unübertroffene Werk von SCHWEITZER, Geschichte; vgl. auch KÜMMEL, Testament;
NEILL/WRIGHT, Interpretation; für die Zeit von 1900 bis 1950 die ausführliche
Darstellung von WEAVER, Jesus; kürzer THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 9 8 - 1 1 7 ;
LINDEMANN, Einführung, 1 - 1 4 ; für die Zeit ab ca. 1950 s. KÜMMEL, Vierzig Jahre;
THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 117-145; zur Bibliographie s. den Überblick bei
EVANS, Life, sowie PORTER, Criteria, 2 8 - 6 2 .
2 . 1 D i e e r s t e n A n s t ö ß e u n d die k l a s s i s c h e L e b e n - J e s u - F o r s c h u n g :
V o n R e i m a r u s bis S c h w e i t z e r
D i e e r s t e , in s i c h vielfältig d i f f e r e n z i e r t e P h a s e d i e s e r F o r s c h u n g „von
R e i m a r u s z u W r e d e " h a t ALBERT SCHWEITZER in s e i n e r „ G e s c h i c h t e d e r
Leben-Jesu-Forschung" in u n ü b e r t r o f f e n e r W e i s e b e s c h r i e b e n u n d mit
dieser Darstellung selbst zu ihrem E n d e gebracht10. D i e s e P h a s e w a r ge-
prägt v o n der Suche nach d e m ,wirklichen' Jesus, nach den .Tatsachen'
unter ihrer d o g m a t i s c h e n U b e r m a l u n g . Bei den A u t o r e n dieser E p o c h e
z e i g t sich i m m e r w i e d e r ein aus h e u t i g e r S i c h t n a i v z u n e n n e n d e r Opti-
m i s m u s , m a n k ö n n e n o c h ein B i l d d e r P e r s ö n l i c h k e i t J e s u u n d s e l b s t sei-
n e r i n n e r e n E n t w i c k l u n g z e i c h n e n u n d - l e t z t l i c h v e r e i n n a h m e n d - als r e -
ligiöses o d e r s i t t l i c h e s Ideal in die e i g e n e G e g e n w a r t s t e l l e n .
Nachdem LESSING durch die Publikation der REIMARUS-Fragmente die Brandfackel ge-
schleudert hatte", war das Feuer der Kritik nicht mehr zu halten. Doch fehlten die me-
thodischen Grundlagen, v. a. eine kritische Analyse der Quellen, noch völlig 12 . Der An-
stoß dazu ging erst von dem nächsten epochemachenden Werk aus, dem berühmten
„Leben Jesu" des Tübinger Stiftsrepetenten DAVID FRIEDRICH STRAUSS'3. Auch er bot
noch keine methodisch durchreflektierte Quellenanalyse 14 . Ihm ging es um den Nach-
weis, daß die evangelische Geschichte im Ganzen „mythisch" 15 , d. h. als geschichtliche
Einkleidung von Ideen aus dem Alten Testament, insbesondere der jüdischen Messias-
erwartung, gestaltet sei. Mit diesem Ansatz war die Frage nach der Bedeutung der Ge-
schichtlichkeit Jesu in bislang unerhörter Schärfe gestellt.
Das Verdikt des .Mythischen' war bei STRAUSS auf alle Evangelien gemünzt, am
stärksten auf Johannes". Aber da Matthäus traditionell als das älteste Evangelium galt,
10 SCHWEITZER, Geschichte. Die erste Auflage erschien 1906 unter dem Titel: „Von
Reimarus zu Wrede".
11 So die Metapher bei SCHWEITZER, Geschichte, 58.
12 D i e rationalistischen Ausleger wie HEINRICH EBERHARD GOTTLOB PAULUS ( L e b e n
Jesu) beschränkten sich noch weithin darauf, Einzelphänomene wie die Wunder Jesu
.natürlich' zu erklären. Andere, historisch gleichermaßen problematische Teile der
Uberlieferung wie ζ. B. die Jungfrauengeburt waren für PAULUS auffälligerweise noch
nicht von Interesse (Hinweis von Prof. Dr. Hans Klein, Sibiu/Hermannstadt).
13 STRAUSS, Leben Jesu.
14 „Eine synoptische Frage existiert für ihn eigentlich nicht [ . . . ] , Strauß ist skeptischer
Eklektiker" (SCHWEITZER, Geschichte, 125).
15 Zum hier vorliegenden Mythosbegriff s. HARTLICH/SACHS, Ursprung 134-147; s.
auch BERGER, Exegese und Philosophie, 62f.
16 Im schroffen Gegensatz zu SCHLEIERMACHERS theologischer und historischer Bevor-
zugung des johanneischen Christusbildes zeigte STRAUSS, daß im vierten Evangelium
„eine den Synoptikern gegenüber fortgeschrittene Form des Mythos vorliege. Damit
hat STRAUSS als erster die Alternative .Synoptiker oder Johannes' für die Jesusfor-
schung aufgestellt, der die neutestamentliche Wissenschaft von da an nicht mehr aus-
s e h e R ü c k f r a g e n a c h J e s u s g e k e n n z e i c h n e t ist 2 5 . D i e s e r v e r b i n d e t s i c h v o r
a l l e m m i t d e m N a m e n R U D O L F BULTMANNS. M a n k a n n die v o n BULT-
MANN e i n g e n o m m e n e F o r s c h u n g s p o s i t i o n 2 6 e r k l ä r e n aus d e m Z u s a m m e n -
b r u c h der liberalen T h e o l o g i e im ersten W e l t k r i e g u n d den späteren dia-
l e k t i s c h - t h e o l o g i s c h e n A u f b r ü c h e n , s o w i e a u s d e m d u r c h K A R L LUDWIG
SCHMIDT u n d MARTIN DIBELIUS f a s t g l e i c h z e i t i g b e g r ü n d e t e n formge-
s c h i c h t l i c h e n N e u a n s a t z in d e r S y n o p t i k e r f o r s c h u n g 2 7 : D e r chronologi-
s c h e R a h m e n d e r E v a n g e l i e n , a u c h des M k , w a r z e r b r o c h e n , u n d als R e s t -
bestände der ältesten T r a d i t i o n blieben n u r n o c h .kleine E i n h e i t e n ' übrig,
d e r e n B i l d u n g u n d A u s g e s t a l t u n g m a n d a n n w e i t h i n a u f das B e d ü r f n i s d e r
Gemeinde zurückführte, s o daß sich der R ü c k s c h l u ß auf J e s u eigenes
W i r k e n als i m m e r s c h w i e r i g e r , w e n n n i c h t g a r u n m ö g l i c h e r w i e s 2 8 .
D i e s e s e h r w e i t g e h e n d e h i s t o r i s c h e S k e p s i s 2 ' v e r b a n d s i c h bei B U L T -
MANN m i t e i n e r t h e o l o g i s c h e n E i n s c h ä t z u n g , in d e r J e s u A u f t r e t e n als
historischem Phänomen keine theologische Relevanz mehr zukommen
k o n n t e . A l s t h e o l o g i s c h b e d e u t s a m galt allein das K e r y g m a , die heilvolle
25 Daß der Sachverhalt komplexer ist, formuliert PORTER, Criteria, 36: "all that was
really brought to an end by Schweitzer and others was quests that remained optimistic
of writing romanticised and overly psychologized lives o f Jesus along anti-
supernatural lines (and usually in German)". A. a. O . , 47: "the rubric 'no quest' de-
scribes an abandonment in some, perhaps mostly German, circles of the agenda of
some nineteenth-century questing after Jesus, but it can hardly be used as an adequate
label for the entire period of research [ . . . ] " . Deshalb ist auch die in den 50er Jahren
einsetzende ,neue Frage' lediglich im Kontext der BULTMANN-Schule und ihrer
Kerygma-Theologie ,neu', während in der französischen oder der angelsächsischen
Forschungstradition (und bei .Außenseitern' in der deutschen Forschung) die ,alte'
Jesusforschung teilweise ungebrochen weitergeführt wurde; vgl. etwa die J e s u s -
bücher' von BURKITT, Jesus Christ; MANSON, Jesus; TAYLOR, Work; GOODSPEED,
Life; LAGRANGE, L'évangile; F.-M. BRAUN, Jésus, sowie das Werk des jüdischen Ge-
lehrten JOSEPH KLAUSNER, Jesus.
26 Zur Genese und Interpretation der Synoptiker- und Jesusdeutung BULTMANNS
s. grundlegend BAASLAND, Theologie; zu Bultmanns Jesusbuch s. jetzt SCHMITHALS,
Jesus.
27 SCHMIDT, Rahmen; DIBELIUS, Formgeschichte. Die beiden grundlegenden Werke er-
schienen 1919 fast gleichzeitig und bildeten so einen markanten Neueinsatz für die
Forschung nach dem ersten Weltkrieg. Siehe zur forschungsgeschichtlichen Einfüh-
rung weiter HAHN, Formgeschichte.
28 Zu beachten ist jedoch, daß MARTIN DIBELIUS in späteren Arbeiten (DIBELIUS, Evan-
gelienkritik; DERS., Jesus) eine historisch sehr viel weniger pessimistische Haltung
einnimmt als Bultmann.
29 Vgl. BULTMANN, Jesus, 10, mit der Meinung, „daß wir vom Leben und von der Per-
sönlichkeit Jesu so gut wie nichts mehr wissen können", im folgenden verweist BULT-
MANN auf die Darstellung ALBERT SCHWEITZERS. Zur Entwicklung der Interpretation
der Verkündigung Jesu im Werk BULTMANNS S. BAASLAND, Theologie, 4 2 3 - 4 3 2 .
Verkündigung von Jesus als dem Christus, die sich in dieser Form erst in
nachösterlicher Zeit herausbildete. Die Rückfrage hinter dieses Kerygma
nach historischen Sachverhalten oder dem historischen Jesus zog hinge-
gen den Verdacht auf sich, sie strebe nach einer falschen .Objektivierung',
sie sei also ein Absicherungsversuch, den der wahre Glaube nicht benö-
tigt. Der dialektisch-theologische Ansatz verband sich hier mit dem neu-
kantianischen Erbe der Diastase von Glaube und Geschichte bzw. Ge-
schichtswissenschaft 30 in einer für die Frage nach Jesus letztlich fatalen
Weise: BULTMANN schrieb ein Jesusbuch, in dem die Person des irdischen
Jesus fast keine Rolle spielt 31 , und in seiner Theologie des Neuen Testa-
ments wird Jesu Verkündigung nur knapp unter den jüdischen „Voraus-
setzungen" abgehandelt 32 , die von dem christlichen Kerygma durch einen
Graben getrennt ist 33 . So konnte BULTMANN die von WREDE übernom-
mene skeptische Sichtweise, daß „das Leben Jesu" tatsächlich „ein unmes-
sianisches" war 34 , festhalten, aber das .Eigentliche', das Kerygma, in eine
vor jeder historischen Infragestellung geschützte Zone .retten'. Die Frage,
wie aus dem Verkündiger der Verkündigte wurde 35 , welche Beziehung also
zwischen der vorösterlichen Verkündigung Jesu und der nachösterlichen
Verkündigung von Jesus als dem Christus besteht, mußte historisch ein
Rätsel bleiben. BULTMANN selbst hat sich und anderen diese Frage verbo-
ten36, und er meinte dabei sogar, Paulus auf seiner Seite zu haben 37 . In die-
Aber die Fragen ließen sich nicht auf Dauer verbieten 38 . Sie standen im
Raum, und es war 1953 zuerst ERNST KÄSEMANN, der seinem Lehrer dezi-
diert widersprach und „das Problem des historischen Jesus" 3 9 neu aufroll-
te. Diese - jedenfalls im deutschen Sprachraum - „neue Frage nach dem
historischen Jesus" 4 0 ging ebenso wie BULTMANNS Interpretation 41 von ei-
nem dezidiert theologischen Interesse aus: von der Uberzeugung, daß das
Kerygma selbst zur Frage „nach der Kontinuität des Evangeliums in der
Diskontinuität der Zeiten" 42 und damit zur historischen .Rückfrage' nach
Jesus nötigt. So stellte GERHARD EBELING fest, „der Bezug auf Jesus" sei
für die Christologie „konstitutiv": Die Christologie wäre „erledigt", wenn
man erweisen könnte, daß sie „keinen Anhalt habe am historischen Je-
sus" 43 .
Die an der „neuen Frage" interessierten Exegeten hielten aber nicht
nur an der Notwendigkeit und Legitimität, sondern auch an der Möglich-
(Theologie, 239). Siehe zur Kritik dieser Interpretation bereits MICHEL, Erkennen,
22f.; weiter BETZ, Christuserkenntnis; WOLFF, T h H K 8, 125; STUHLMACHER, T h e o -
logie I, 301; Vgl. auch EHLER, Herrschaft, 190f., der zeigt, daß 2 K o r 5,16 durch die
von BULTMANN herangetragene Fragestellung unangemessen gepreßt wird.
38 Darauf wiesen einige aus dem Kreis der BuLTMANN-Schüler explizit hin, vgl. EBELING,
J e s u s und Glaube, 68: „ E s hat sich das seltsame D o g m a verbreitet, man dürfe über die
Zeugnisse des N e u e n Testaments nicht zurückfragen nach dem historischen J e s u s .
Wer will denn das verbieten?"; vgl. auch BORNKAMM, J e s u s , 20.
39 KÄSEMANN, Problem. Z u m Kontext der Fragestellung KÄSEMANNS S. EHLER, Herr-
schaft, 161-273 (164-166).
40 Die Rede von der „neuen Frage" geht insbesondere zurück auf ROBINSON, N e w
Quest.
41 Interessanterweise kann BAASLAND, Theologie, 109, „die N e w - Q u e s t Bewegung als
eine Wiederholung der Position Bultmanns in den Jahren 1 9 2 4 - 2 6 " sehen, also etwa
z u der Zeit, als KÄSEMANN u n d BORNKAMM b e i BULTMANN s t u d i e r t e n .
42 S o bereits KÄSEMANN, Problem, 213: „ D i e Frage nach dem historischen J e s u s ist legi-
tim die Frage nach der Kontinuität des Evangeliums in der Diskontinuität der Zeiten
und in der Variation des Kerygmas. Solcher Frage haben wir uns zu stellen [ . . . ] D a s
Evangelium ist an den gebunden, der sich vor und nach O s t e r n den Seinigen als der
Herr offenbarte, indem er sie vor den nahen G o t t [ . . . ] stellte. [ . . . ] E r tat es einst
ohne jede ausweisbare Legitimation [ . . . ] und tat es doch in der Vollmacht dessen,
den das vierte Evangelium den eingeborenen Sohn nennt."
43 EBELING, Frage, 14f.
keit der Rückfrage nach dem historischen Jesus fest 44 : Sie wollten zwar
nicht mehr wie die alten Liberalen ein .Persönlichkeitsbild' Jesu erheben,
aber doch die Grundzüge seiner Verkündigung herausarbeiten. Als sicher-
stes Kriterium dafür erschien ihnen das sogenannte „doppelte Unableit-
barkeitskriterium" oder „Differenzkriterium": Eine Tradition ist am ehe-
sten als authentisch jesuanisch zu klassifizieren, wenn sie - in der
klassischen Formulierung KÄSEMANNS - „aus irgendwelchen Gründen
weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrie-
ben werden kann" 45 . Mit diesem keineswegs unproblematischen, aber an-
gesichts der in der damaligen Forschungssituation vorherrschenden radi-
kalen historischen Skepsis46 allein anwendbaren Kriterium war wenigstens
die Möglichkeit gegeben, „ein kritisch gesichertes Minimum" 4 7 an Tradi-
tionen auf den irdischen Jesus zurückzuführen. Freilich mußte man sich
dessen bewußt sein, daß man mit diesem Kriterium aus methodischen und
epistemologischen Gründen nur einen kleinen Ausschnitt dessen erheben
konnte, was Jesus während seines Erdenwirkens tatsächlich gesagt und
verkündigt hatte 48 , einen „gewissen .Kernbestand'", der „als Ausgangsba-
sis" dienen konnte 49 , aber durch andere Überlegungen zu erweitern war
44 V g l . z u r A r g u m e n t a t i o n KÄSEMANNS a u s f ü h r l i c h E H L E R , H e r r s c h a f t , 2 1 9 - 2 6 2 .
45 So die grundlegende Formulierung des Kriteriums bei KÄSEMANN, Problem, 205. Auf-
schlußreich ist allerdings die Weiterführung des Satzes: „speziell dann, wenn die Ju-
denchristenheit ihr überkommenes Gut als zu kühn gemildert oder umgebogen hat"
(a. a. O . ) . Dieser Zusatz macht deutlich, daß die beiden Komponenten des Kriteriums
nicht wirklich gleichrangig nebeneinander stehen, daß für KÄSEMANN vielmehr die
Unterscheidung Jesu vom zeitgenössischen Judentum im Vordergrund steht. Eine
ausführliche Geschichte des aus zwei Komponenten (Differenz zum frühen Chri-
stentum/Differenz zum Judentum) bestehenden Kriteriums bieten THEISSEN/WIN-
TER, Kriterienfrage, 2 8 - 2 3 2 . Das Kriterium selbst ist bereits in BULTMANNS „Ge-
schichte der synoptischen Tradition" formuliert und angewandt (BULTMANN, Ge-
schichte, 222) und geht zumindest in seinen Einzelkomponenten auf die ältere liberale
Forschung zurück.
46 Siehe das Diktum bei KÄSEMANN, Problem, 203: „Nicht das Recht der Kritik, sondern
ihre Grenze ist heute zu beweisen." Die Folge ist, „daß die historische Glaubwürdig-
keit der synoptischen Tradition auf der ganzen Linie zweifelhaft geworden ist"
( a . a . O . , 205).
47 So DAHL, Jesus, 126, in seiner kritischen Rezeption des Ansatzes von KÄSEMANN.
48 Voraussetzung einer sicheren Anwendung des Unableitbarkeitskriteriums wäre eine
vollständige Kenntnis dessen, was in der jüdischen Umwelt Jesu wie in den verschie-
denen Traditionen der Urkirche insoweit vorstellbar ist, daß der begründete Verdacht
besteht, eine gegebene Tradition sei aus diesem Kontext ableitbar. Eine so vollständi-
ge Kenntnis ist freilich nicht nur angesichts der Lückenhaftigkeit der Uberlieferung,
sondern viel grundsätzlicher auch angesichts der Begrenztheit jeder historischen Er-
kenntnis nicht gegeben.
49 So HAHN, Methodologische Überlegungen, 34.
Oies zeigt sich angesichts des Charakters der mit diesem Kriterium für authentisch zu
erklärenden Logien. Ein Logion, für das ein solches Urteil recht sicher gefällt werden
kann, ist ζ. B. der bei Mt und Lk in ein Apophthegma eingebettete Spruch „Laß die To-
ten ihre Toten begraben!" (Q 9,60 = Mt 8,22 par Lk 9,60). Dieses kurze Wort enthält
einen skandalösen Affront gegen jede Pietätspflicht im Judentum und in der hellenisti-
schen Welt und ist als urchristliche .Gemeindebildung' durch nichts zu erklären51. Aber
es ist zugleich inhaltlich ziemlich dürftig und zunächst ohne erkennbaren Bezug zu
Kernthemen der Jesustradition. Für andere, sachlich gehaltvollere Logien, in denen sich
ein spezifischer Anspruch Jesu, eine implizite oder gar explizite Christologie, äußert,
konnte im Kontext einer radikalen historischen Skepsis der .Verdacht' einer nachösterli-
chen Bildung oder Uberformung selten völlig entkräftet werden. Deshalb konnten diese
Logien mit Hilfe des Differenzkriteriums nicht als authentisch ausgewiesen werden, und
die rigide Anwendung dieses Kriteriums geschah nicht selten in dem Anliegen, eine .un-
kritische' Identifikation der urchristlichen Jesusbilder mit dem .wahren', historischen
Jesus zu vermeiden - d. h. in einem grundlegend dogmenkritischen Interesse52. Daraus
konnte sich nur allzu schnell das umgekehrte .Dogma' entwickeln, daß der irdische Jesus
letztlich völlig .unmessianisch' aufgetreten sei53 oder - als religionsgeschichtliche Vari-
50 Eben dies geschah und geschieht in der Praxis freilich häufig, wenn die historisch
nicht als authentisch zu erweisenden Bestandteile der synoptischen Tradition in der
weiteren Erörterung als unauthentisch betrachtet wurden, d. h. dem aus epistemologi-
schen Gründen nicht auszuräumenden .Verdacht' ohne weitere sachliche Gründe
Recht gegeben wird. Zugrunde liegt hier eine generelle Skepsis gegenüber der synopti-
schen Tradition, die dann auch KÄSEMANNS Formulierung der .Beweislastregel' zu-
grundeliegt. Vgl. dazu THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 131f.
51 Siehe dazu HENGEL, Nachfolge, 6-17; Luz, EKK 1/2, 24f. Interessanterweise ist die-
ses Logion auch kaum selbständig tradierbar. Es scheint von Anfang an seinen .Rah-
men' (d. h. Q 9,59 = Mt 8,21 par Lk 9,59) mit sich getragen haben. Dies spricht auch
gegen die oft axiomatisch gehandhabte Regel, nur Logienüberlieferungen auf einen
vorösterlichen Ursprung zurückzuführen.
52 Dieses steht nach THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 68f., hinter der Komponente
.Differenzkriterium gegenüber dem Christentum'.
53 So in der Tradition von W R E D E und BULTMANN Z. B . FUCHS, Jesus, 107, mit einer tat-
sächlich dogmatisierenden Formulierung: „Das Unmessianische ist nicht bloß als hi-
storische Tatsache, sondern zuvor als Notwendigkeit in Jesu Auftreten zu verstehen."
Im Kontext der BuLTMANN-Schule wurde selbst Jesu Rede vom .Menschensohn' von
vielen Auslegern gänzlich der Gemeindetheologie zugeschrieben und dem irdischen
Jesus abgesprochen (so z.B. KÄSEMANN, Problem, 211; CONZELMANN, Jesus Chri-
s t u s , 6 3 1 ; BORNKAMM, J e s u s , 2 0 8 ; vgl. a u c h VIELHAUER, G o t t e s r e i c h ; DERS., J e s u s ;
aufgenommen bei V Ö G T L E , Gretchenfrage, 132f.). Für CONZELMANN ist Jesus dem-
entsprechend keine .messianische' Gestalt, sondern lediglich der „letzte Rufer" (op.
cit., 633), d. h. eine letztlich immer noch - wie bei BULTMANN - prophetische Gestalt.
ante dieser Position - daß seine Geschichte allenfalls als eine Geschichte „zerbrochener
Messiaserwartungen" 5 4 gewesen sein könne. Diese dogmen- und kirchenkritische Moti-
vation des Differenzkriteriums (bzw. der Komponente der Differenzierung zwischen
Jesus und dem Urchristentum) zeigt sich auch bei den Vertretern der .neuen Frage' in
hohem Maße, und die Betonung des .Bruches' zwischen Jesus und der Urkirche bzw. des
mit dem Kerygma gegebenen radikal .Neuen' führt dazu, daß das rekonstruierte Bild der
Verkündigung Jesu und v. a. seine Beziehung zur nachösterlichen Tradition historisch
ζ. T . unplausibel bleibt 5 5 .
Ein zweites Problem des Differenzkriteriums wurde weithin als noch gravierender
empfunden. Seine religionsgeschichtliche Komponente, der Aspekt der Differenz Jesu
vom zeitgenössischen Judentum, führte dazu, daß in dem Bestand der als authentisch
erhobenen Logien insbesondere diejenigen enthalten waren, die Jesu Unterscheidung
von seinem jüdischen Kontext, einzigartiges Selbstverständnis, seine Kritik am .Gesetz'
und an der jüdischen Frömmigkeit zur Sprache bringen. Hingegen ließ sich für jene Lo-
gien, die sich besser in einen jüdischen Kontext einfügen, der .Verdacht' einer Bildung in
nachösterlich-judenchristlichen Kreisen nicht streng ausschließen. Das resultierende J e -
susbild betonte dementsprechend die Einzigartigkeit Jesu im Kontrast zu seiner jüdi-
schen Umwelt und seine Radikalität seiner Verkündigung - häufig auf dem Hintergrund
eines überwiegend negativen Bildes des so genannten .Spätjudentums' 5 ' - , während die
Entwicklung der nachösterlichen Tradition dann als eine „Geschichte der Mißverständ-
nisse" 5 7 , als nomistische und partikularistische Verengung der Jesustradition verstanden
wurde. D o c h ist diese Konstruktion nicht nur in dem ihr vorausgesetzten Bild des zeit-
genössischen Judentums problematisch, sondern auch in ihrer kriterialen Anwendung
auf die Verkündigung Jesu: Sollte es historisch plausibel sein, den irdischen Jesus nur in
stetem Gegensatz zu seiner Umwelt, insbesondere seiner jüdischen Umwelt zu den-
ken 58 ? M u ß t e man nicht damit rechnen, daß der irdische Jesus vor aller möglichen .Ori-
ginalität' und .Individualität' zunächst eine Vielzahl von Vorstellungen mit seiner jüdi-
schen Umwelt teilte und daß daher Logien und Handlungsweisen, die sich von dieser
nicht durch das Differenzkriterium abheben ließen, dem irdischen Jesus mit einer hohen
Wahrscheinlichkeit zuzuschreiben sind?
55 GERD THEISSEN hat dagegen korrigierend den Aspekt der .Wirkungsplausibilität' ein-
S ' KÄSEMANN weiß um das Problem, daß man mit Hilfe seines Kriteriums „keine Klar-
heit über das erhält, was Jesus mit seiner palästinischen Umwelt und seiner späteren
Gemeinde verbunden hat", aber wichtiger doch, „wenn wir zu Gesicht bekommen,
was ihn von Gegnern und Freunden trennte" (Problem, 205f.).
Es war daher schon den Vertretern der .neuen Frage' deutlich, daß man
das Kriterium der Unableitbarkeit mit anderen, weniger sicheren, aber er-
gänzenden Kriterien verbinden mußte, wenn man zu einem historisch
plausiblen Bild der W o r t e (und des Wirkens) Jesu kommen wollte 59 . Zu
nennen sind hier v. a. das Kriterium der Kohärenz einzelner W o r t e mit ei-
nem bereits als authentisch erwiesenen Bestand 6 0 , das Kriterium der
mehrfachen Bezeugung in unabhängigen Quellenschichten 6 1 sowie Beob-
achtungen zur sprachlichen Formung oder typischen Stilmitteln und
-techniken (auf dem Hintergrund des Aramäischen) 6 2 . Gleichwohl führte
die Rückfrage nach Jesus in dieser Phase der Forschung immer noch häu-
fig zu einem eher minimalistischen Bild der Verkündigung Jesu, und der
Einwand lag nahe, ob denn die Beweislast wirklich dem obliege, der ein
Jesuswort tatsächlich auf Jesus zurückführen will, oder ob nicht zumin-
dest in gleichem Maße die Behauptung einer .Gemeindebildung' ebenso
gründlich plausibel gemacht werden müsse 63 . Programmatisch formulierte
MARTIN HENGEL: „ W e r eine .Gemeindebildung' annimmt, m u ß dann
auch O r t , Zeit und Gründe angeben" 6 4 . Die in der formgeschichtlich ge-
prägten Forschung verbreitete These, daß die Urchristenheit in großem
Stil Prophetenworte in I c h - F o r m gebildet und Jesus in den Mund gelegt
hätte 65 , ließ sich historisch nicht hinreichend belegen 66 . Sie kann deshalb
59 Siehe dazu den Überblick bei PERRIN, Was lehrte Jesus, 6-51; PORTER, Criteria,
6 3 - 1 2 3 . vgl. w e i t e r die D i s k u s s i o n bei THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage; SCRIBA,
Echtheitskriterien.
60 Siehe dazu PERRIN, Was lehrte Jesus, 37-40; PORTER, Criteria, 79-82.
" Siehe dazu PERRIN, Was lehrte Jesus, 40-42; PORTER, Criteria, 82-89. Dieses Kriteri-
um läßt sich auch auf die Uberlieferung der Taten Jesu, z. B. auf seine therapeutische
und exorzistische Tätigkeit anwenden; s. dazu THEISSEN/MERZ, Jesus, 269-275; MEI-
ER, Marginal Jew II, 619-623; FREY, Verständnis, 12f.
62 Siehe dazu grundlegend JEREMIAS, Theologie I, 19-46. Das Kriterium der semitischen
Sprachgestalt (s. dazu skeptisch PORTER, Criteria, 89-99) läßt sich vom Differenzkri-
terium unabhängig einsetzen, es kann allerdings nur Indizien für das hohe Alter einer
Tradition beisteuern, nicht jesuanische Authentizität beweisen. Erst in Verbindung
mit anderen Beobachtungen wie Häufigkeit eines Phänomens, sprachlicher Formung
etc. lassen sich weitergehende Folgerungen ziehen, wobei immer noch nicht auszu-
schließen ist, daß jesuanische Formulierungen in andere Logien .gewandert' sind (vgl.
RIESNER, Jesus, 92f.).
63 So gegen die .Beweislastregel' bei KASEMANN, Problem, 203, und anderen zunächst
KÜMMEL, Antwort, 187f., der das Diktum prägte, die Jesusüberlieferung verdiene
„kritische Sympathie"; vgl. STUHLMACHER, Theologie I, 43-45.
M HENGEL, Geschichtsschreibung, 29; ähnlich bereits DROYSEN, Historik, 99f.: „Zum
vollen Beweis der Unechtheit gehört, daß der wirkliche Ursprung des Gefälschten, die
Zeit, der Zweck der Fälschung nachgewiesen wird".
65 Dies wird nicht zuletzt von KÄSEMANN, Problem, 211 (vgl. DERS., Sätze) betont.
auch nicht mehr - wie noch bei KÄSEMANN - zur Legitimation einer
grundlegenden Skepsis gegenüber der Jesusüberlieferung herangezogen
werden.
Der hier nur knapp skizzierte Streit zwischen .Minimalisten' und ,Ma-
ximalisten' verband sich zugleich stets mit der Frage, welche theologische
Relevanz dem Ergebnis der Rückfragt nach dem historischen Jesus bei-
gemessen wurde: Welche theologische Bedeutung und welche Relevanz
für den christlichen Glauben hat es, daß Jesus tatsächlich Heilungen voll-
bracht, daß er einen .messianischen' Selbstanspruch erhoben und seinen
Tod selbst gedeutet hat? Dabei ist häufig zu beobachten, daß historisch
.konservativere' Autoren dazu tendieren, dem so erhobenen Bild Jesu eine
stärker normative Bedeutung beizumessen 67 , während historisch skepti-
schere Autoren die theologische Bedeutung der historischen Rückfrage
eher gering ansetzen 68 . Dies zeigt erneut, daß die Frage nach Jesus trotz
der elaborierten Versuche, mit Hilfe strikter Kriterien zu einem möglichst
.objektiven' Bild des historischen Jesus zu gelangen, stets in einem her-
meneutischen Zirkel erfolgt, in dem die theologische Option der einzel-
nen Interpreten nie ganz ausgeklammert werden kann.
2.4 Die „dritte Frage" bzw. die neueste Phase der Jesusforschung
Seit dem Ende der 80er Jahre gibt es in der anglo-amerikanischen For-
schung das Diktum von einer „dritten Frage" nach Jesus, bzw. einem
„Third Quest" 69 , der seit ca. 1980 zu einer neuen Flut von Publikationen
über Jesus geführt hat. Diesem Zweig der Forschung hat sich im deut-
schen Sprachraum vor allem G E R D T H E I S S E N zugeordnet70. Und auch
wenn zwischen der .neuen' und der .neuesten' Phase der Jesusforschung
nicht immer eine klare Zäsur zu erkennen ist71, so gibt es doch eine Reihe
von Verschiebungen im Diskussionsrahmen und einzelnen Fragestellun-
gen, die hier nur in aller Kürze benannt werden können72:
menwechsel' der Jesusforschung; vgl. auch TELFORD, Trends, 33f.57—61. Zur Kritik an
dieser Behauptung einer .epochalen' W e n d e s. PORTER, Criteria, 5 1 - 5 5 .
70 THEISSEN/MERZ, Jesus, 28f.; THEISSEN/WINTER, Die Kriterienfrage, bes. 1 7 5 - 2 3 2 ; vgl.
auch SCHRÖTER, Jesus, 8 - 1 4 .
71 So PORTER, Criteria, 5 1 : "there is a great deal of evidence that there has always been
just one multi-faceted quest for the historical Jesus"; vgl. auch DU TOIT, Emeut auf
der Suche, 108f., der meint, „daß man trotz aller Differenzen festhalten muß, [ . . . ]
daß beide Phasen auf breiter Front eine grundlegende Kontinuität aufweisen".
72 Siehe zum Überblick SCHRÖTER, Jesus, 8 - 1 3 ; THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 145—
157; DU T o r r , Erneut auf der Suche; BORG, Scholarship, 3 - 4 7 ; PORTER, Criteria, 5 1 -
55; TELFORD, Trends; EVANS, Contemporaries, 1 - 4 9 ; WITHERINGTON, Jesus Quest.
73 SCHRÖTER, J e s u s , 8 .
74 Vgl. EVANS, Contemporaries, lOf.: "Unlike the earlier quests, the Third Quest is not
driven by theological-philosophical concerns. There has been a shift away f r o m a
philosophical orientation to a historical orientation".
75 Vgl. MEIER, Marginal J e w I, 2 5 - 3 1 ; s. auch SANDERS, Jesus, 331.333f., mit dem Anlie-
gen der Befreiung von "history and exegesis f r o m the control of theology". Dabei
kann man mit THEISSEN/WINTER (Kriterienfrage, 146f.) beobachten, daß der „profan-
historische Impetus [.. .] sich bei einigen Vertretern des Third Quest mit einem
A f f e k t gegen die deutsche Theologie [verbindet] und [ . . . ] insofern zugleich eine
Emanzipation angelsächsischer Theologie gegenüber der früheren Dominanz deutsch-
sprachiger Theologie" darstellt.
Andererseits sind auch die sehr unterschiedlichen Jesusbilder aus der Feder neuerer Au-
toren77, insbesondere die Rekonstruktionen aus dem Jesus-Seminar' und die Versuche,
in den Quellen oder eher hinter den Quellen einen unapokalyptischen bzw. uneschato-
logischen78, rein weisheitlichen79 oder kynisch-popularphilosophischen80 oder gar einen
rein politisch-religiösen81 Jesus zu .entdecken', dahingehend zu befragen, inwieweit sie
nicht auch in hohem Maße eine Widerspiegelung dessen sind, was ,der Herren eigner
Geist' sich vorzustellen vermag oder für akzeptabel hält82. Die Uberzeugung, daß der
.wirkliche' Jesus nicht von einem Ende der Welt, einem letzten Gericht oder gar von sei-
ner Wiederkunft gesprochen habe, daß er das Gottesreich nicht als eine bald einbrechen-
de, sondern als eine gegenwärtig verborgene Wirklichkeit verkündigt habe, daß er nicht
die Bibel zitiert und seinen Freunden zwar Weisheitsworte, aber keine wirkliche .Lehre'
aufgab83 - das alles fügt sich eher in die Kontext einer nachchristlich-aufgeklärten, post-
modern-toleranten Gesellschaft als in das Palästina der Zeitenwende. Was A L B E R T
SCHWEITZER einst über die Jesusbilder der liberalen Jesusforschung sagte, ließe sich an-
gesichts mancher Konstruktionen der neuesten Forschung mutatis mutandis wiederho-
len. Die Prämissen des Jesus-Seminar' haben offenbar dazu geführt, daß die Regel "Be-
ware of finding a Jesus entirely congenial to you"84 gerade nicht zur Wirkung kommen
konnte85.
CRAIG A. EVANS hat zutreffend beobachtet, daß die breite Heranziehung, ja z. T. Hö-
herschätzung der außerkanonischen, oft nur durch hypothetische Rekonstruktionen ge-
wonnenen .Quellen' vor allem ein amerikanisches Phänomen darstellt 87 . Es ist völlig
selbstverständlich, daß eine um historisches Verstehen bemühte Forschung nicht an den
Grenzen des Kanons enden darf, sondern möglichst alle verfügbaren Quellen kritisch in
ihr Gesamtbild einbeziehen muß, aber die Rezeption der außerkanonischen Traditionen
erfolgt gelegentlich mit einer recht unkritischen Begeisterung an den .neuen' Stoffen -
ganz im Gegensatz zur skeptischen Einschätzung der synoptischen Traditionen 88 . Im
B l i c k auf die q u e l l e n k r i t i s c h e n U r t e i l e v o n HELMUT KOESTER o d e r JOHN DOMINIC
CROSSAN h a t D W I G H T M O O D Y SMITH m i t R e c h t f e s t g e s t e l l t " t h a t w e a r e s e e i n g n o w a
willingness or propensity to credit the independence and antiquity of the apocryphal
gospels that is somewhat surprising in view of what is allowed in case of the canoni-
cals" 89 . Diese kritischen Fragen beruhen nicht nur - wie gerne unterstellt wird - auf einer
.dogmatischen Voreingenommenheit' 90 , sondern auf quellenkritischen Überlegungen.
Diese können hier nicht im Detail ausgeführt werden. Doch ist festzustellen, daß die
Rekonstruktionen und Datierungen, wie sie etwa bei CROSSAN vorgenommen werden,
auch in der amerikanischen Forschung und bei anderen Vertretern des .Third Quest' mit
guten Gründen auf Widerspruch stoßen".
Davon unberührt ist jedoch das Postulat, daß ein historisch plausibles
Bild des irdischen Jesus auf einer möglichst breiten Quellenbasis und im
Rahmen des sozialen und religiösen Kontextes seiner Zeit zu zeichnen ist.
Dabei kommt den Texten des zeitgenössischen Judentums 92 und den ar-
chäologischen Zeugnissen, insbesondere auch im galiläischen Raum zen-
trale Bedeutung zu.
Vätern' - ein systematisch reflektiertes Programm wirksam ist, das in der Kritik am
.frühkatholischen' Kanon der Kirche .Rechtgläubigkeit' dort finden will, wo „die Exi-
stenz der Glaubenden radikal geschichtlich verstanden ist", während das Gegenteil
eben dort vorliegt, wo von einem „Versagen der Entmythologisierung im Urchri-
stentum" gesprochen werden muß - ζ. B. in den .frühkatholischen Evangelien
(KOESTER, Häretiker, 71.73; vgl. auch DERS., Ein Jesus, 184ff.: „Die kanonischen
Evangelien und das rechtgläubige Bekenntnis"). Dieses theologische Programm hat
sich bei KOESTER natürlich gewandelt, aber noch 1991 formulierte er, es sei die Auf-
gabe der Bibelwissenschaft, die bestehenden Sicherheiten und Strukturen religiöser
und politischer Macht in Frage zu stellen (KOESTER, Epilogue, 475.) - das bultman-
nianische Programm ist damit ins Politische ausgeweitet. Siehe zu diesen - in der ame-
rikanischen Diskussion meist übersehenen - Wurzeln der .Harvard-Schule' auch
FREY, Eschatologie I, 367-370; zur Auseinandersetzung mit den Prämissen KOESTERS
auch SCHRÖTER, Jesus, 189-195.
" Siehe zur Kritik exemplarisch CHARLESWORTH/EVANS, Jesus in the Agrapha; MEIER,
Marginal Jew I. 112-166.
92 Vgl. dazu EVANS, Non-Christian Sources; einen breiten Überblick bietet DERS., Con-
temporaries.
93 Den Beitrag der jüdischen Forschung zur Genese des „Third Quest" beschreiben
THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 148-151.
94 Zur Kritik am Differenzkriterium bzw. zur Diskussion um seine Modifikation s.
CATCHPOLE, T r a d i t i o n H i s t o r y , 1 7 4 - 1 7 8 ; T H E I S S E N / W I N T E R , K r i t e r i e n f r a g e , 19-26.
124-145.157-166; DU T O I T , E r n e u t a u f d e r S u c h e , 1 1 4 - 1 1 6 ; vgl. a u c h BAASLAND,
Theologie, 159-161.
95 Dies zeigt das Werk von PORTER mit den von ihm eingeführten .neuen' Kriterien wie
z. B. dem Kriterium der griechischen Sprache (!), s. Criteria, 126-180; ganz andere,
Dabei ist vorausgesetzt, daß das palästinische J u d e n t u m der Z e i t J e s u ein vielfältig diffe-
renziertes war. D i e früher übliche, auf den späteren rabbinischen Zeugnissen basierende
Rede von einem .normativen' J u d e n t u m 1 0 1 , von dem sich lediglich einzelne . S e k t e n ' wie
ζ. B . die E s s e n e r oder eben auch Jesus und seine A n h ä n g e r wie von einer dunklen F o l i e
abheben k o n n t e n , ist durch die Erschließung neuer Quellen (wie ζ. B . der Q u m r a n -
Funde sowie archäologischer Zeugnisse) wie auch durch die differenziertere historische
Erschließung der rabbinischen Literatur als unhaltbar erkannt worden. A u c h die im A n -
schluß an Ε. P. SANDERS verbreitete Rede von einem .Common Judaism' kann der Ge-
fahr nicht entgehen, die vielfältigen Differenzierungen und tiefgreifenden Gruppenkon-
flikte in der Spätzeit des Zweiten Tempels in unangemessener Weise einzuebnen 102 . Eine
jüdische .Orthodoxie', gegenüber der sich Jesus en bloc abheben könnte, gab es vor dem
Jahr 70 nicht. Wie sich sein Wirken und seine Botschaft in das Judentum seiner Zeit
einfügen konnte und worin er sich von einzelnen Gruppen desselben unterschied oder
gar Anstoß und Gegnerschaft provozieren konnte, muß deshalb im Blick auf die ver-
schiedenen sozialen und religiösen Gruppenbildungen im palästinischen Judentum dieser
Zeit differenziert beantwortet werden.
Im Blick auf die Kriterien für die Authentizität von Traditionen ist daher
das Kriterium der Differenz gegenüber dem Judentum nur noch „im
Rahmen einer grundlegenden Kontinuität Jesu zum Judentum" anwend-
bar103, und man kann den ,Third Quest' gerade dadurch gekennzeichnet
sehen, daß der jüdische Charakter Jesu hier in vollem Maße zum Bewußt-
sein gebracht wurde104. Ohne die Einbettung in den sprachlichen und
kulturellen Kontext des zeitgenössischen Judentums hätte Jesus von nie-
mandem verstanden werden können. Andererseits reicht der .jüdische'
Charakter einer Tradition nicht hin, um diese als spezifisch jesuanisch zu
qualifizieren. So bleibt die Frage nach dem besonderen Profil Jesu bzw.
nach Kriterien, die es ermöglichen, innerhalb des zeitgenössisch-jüdischen
Kontextes jene Elemente zu identifizieren, die nicht einfach von anderen
Personen der frühen, noch ganz judenchristlichen Gemeinde übernom-
men und in die Jesustradition eingetragen sein können, sondern mit be-
sonders hoher Wahrscheinlichkeit von Jesus selbst formuliert sein dürf-
ten. GERD THEISSEN will in seiner Umformung des Differenzkriteriums
hier von zwei Komponenten der so genannten .Kontextplausibilität' re-
den, einer .Kontextentsprechung' (nach der eine Tradition innerhalb des
jüdischen Kontextes denkmöglich sein muß) und einer .kontextuellen
Individualität', die sich im Vergleich mit anderen jüdischen Gruppen und
Gestalten oder in bestimmten sprachlichen .Besonderheitsindizien' (wie
z. B. dem .nicht-responsorischen Amen') 105 zeigt. Diese Argumente
102 Siehe dazu jetzt den Sammelband von CARSON/O'BRIEN/SEIFRID, Justification; sowie
die profunde Kritik von HENGEL/DEINES, Common Judaism.
103 DU TOIT, Erneut auf der Suche, 115.
,<M Vgl. HOLMEN, Jewishness; eine Ausnahme bildet freilich das Jesusbild bei MACK,
Argument bei HOLMÉN, Doubts, 73f. Anm. 106, der einwendet, die Suche nach sol-
chen individuellen Zügen erfordere bereits ein apriorisches Wissen über diese, ist vor-
eilig. Natürlich erfolgt jede historische Rückfrage nach Jesus in einem hermeneuti-
schen Zirkel, dem prinzipiell nicht zu entkommen ist. Aber man kann auch durch
andere Kriterien wie das der vielfachen Bezeugung oder auch der sprachlichen For-
weisen dann zwar nicht je für sich, aber doch in der Summe mit großer
Wahrscheinlichkeit auf einen jesuanischen Ursprung einer bestimmten
Tradition.
a) Das erste Problem besteht heute praktisch nicht mehr: die Frage nach
der Legitimität der historischen Rückfrage nach Jesus. Diese ist im westli-
mung bestimmte Elemente der Jesustradition als zentral herausstellen, über die dann
solche individuellen Züge bestimmt werden. Es reicht jedenfalls nicht, aus dem jüdi-
schen Charakter einer Tradition auf deren Jesuanität zu schließen!
106 THEISSEN/MERZ, Jesus, 29: „Was im jüdischen Kontext plausibel ist und die Entste-
wenn die gezielt gesuchte Unverwechselbarkeit Jesu immer zugleich als kontextuelle
Ausprägung des Judentums und als Vorgabe mit Kontinuität zum Urchristentum ver-
standen wird".
b) Das zweite, viel schwerere Problem ist das der M ö g l i c h k e i t der histori-
schen Rückfrage. Hier stellt sich das Problem der Quellen und der Lei-
stungsfähigkeit der historischen Methodologie. Natürlich sind die Evan-
gelien nicht dazu verfaßt, Daten für eine historische oder biographische
Untersuchung zu liefern. Dennoch ist ihr Quellenwert nicht zu vernach-
lässigen10'. Gerade weil wir nicht nur ein einziges Evangelium haben - ein
solches hätte sich, wenn das Gedankenexperiment erlaubt ist110, durch ei-
ne .Verschwörung' aller Beteiligten noch eher .fälschen' lassen - , sondern
eine Pluralität von Texten und Traditionen, die sich in ihrer Perspektive
signifikant unterscheiden, eine Reihe voneinander literarisch unabhängi-
ger Überlieferungskomplexe, auf der Stufe der mündlichen Tradition un-
terschiedliche Textgattungen mit je eigenen Darstellungsweisen, gerade
deshalb ist an das Netz inkohärenter, verschiedenartiger Traditionen die
Frage zu stellen, ob sie sich zu einem kohärenten Bild fügen und welche
Elemente deshalb historisches Vertrauen verdienen, weil sie der übergrei-
fenden Tendenz der Quellen eher zuwiderlaufen111. Die historische
Nachfrage ist insofern m ö g l i c h .
Dem widerspricht auch nicht das seit A L B E R T SCHWEITZER immer wie-
der angeführte Argument, der Projektionsverdacht. Natürlich gab und
10i Zu bedenken ist aber, daß die im .westlichen' (europäischen und nordamerikanischen)
Kulturkreis verankerte historische Zugangsweise in anderen kulturellen Kontexten
nicht in diesem Maße verwurzelt ist, so daß dort (und unter entsprechenden kultu-
rellen Einflüssen auch in der .westlichen* Welt) auch andere Zugänge in zunehmen-
dem Maße als mehr oder weniger legitim angesehen werden können. Die Spannung
zwischen historischen und dezidiert nicht historischen Ansätzen schafft dabei neue
Problemfelder, die hier nicht erörtert werden können.
' w Siehe die Argumentation bei SCHRÖTER, Jesus, 16f., in Auseinandersetzung mit
BULTMANN und der Position von JOHNSON, Real Jesus, der die alte Argumentation
KÄHLERS gegen eine am Historismus orientierte Jesusforschung wiederaufgenommen
hat.
110 Siehe die Überlegungen bei THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 241.
gibt es immer wieder Jesusbilder, die nach dem Bilde oder dem intensiven
Wunsch ihrer Autoren geschaffen sind, und v. a. die Vielzahl der popu-
larisierten Bilder vom ideologisierten .arischen Jesus' der 30er und 40er
Jahre112 über den in den 60er und 70er Jahren populären Jesus als .Sozial-
revolutionär'113, die später beliebten Bilder von „Jesus als Psychothera-
peut"114 und „der erste neue Mann"115 bis hin zum „ökologischen Jesus" 116
bieten abschreckende Beispiele solch projektiv-vereinnahmender Darstel-
lungen. Aber diese Irrwege sprechen nicht grundsätzlich gegen die Mög-
lichkeit historischer Rekonstruktion. Aufzugeben ist freilich das Ideal, als
könne diese ein quasi .objektives' Bild ergeben, als könne historische For-
schung eine Wiederherstellung der Vergangenheit leisten, die der prinzi-
piellen Perspektivität historischen Erkennens enthoben wäre117. So läßt
sich L E S S I N G S Graben nicht überspringen. Die geschichtswissenschaftli-
che Diskussion ist hier nüchterner. Sie weiß, daß jede historische Rekon-
struktion stets ein deutendes, ordnendes und in diesem Sinne fiktionales
Element enthält. Historisch-rekonstruierende Darstellungen sind daher
höchstens „relativ willkürfrei"118. Daher ist eine „strikte Unterscheidung
von Geschichte und Fiktion", wie sie in der .kritischen' Absicht, den
.wahren' Jesus unter den frühkirchlichen Bildern Jesu zu .entdecken', ge-
rade nicht möglich, sie „versagt [ . . . ] an der Jesusüberlieferung (und weit
über sie hinaus)119. Eine wissenschaftliche Darstellung Jesu bietet daher
nicht die .Wirklichkeit' hinter den Texten, sondern bestenfalls „eine auf
kritischer Quellenanalyse basierende .Fiktion des Faktischen'" 120 . Dessen
muß man sich bewußt sein, wenn man die historische Rückfrage nicht
überfordern will. Wo man hingegen - wie häufig in populären Darstellun-
gen - fragt, wer Jesus .wirklich' war oder was er .wirklich' lehrte121, da
112 A n dieser dunklen Etappe der Jesusforschung wird deutlich, zu welchen Verirrungen
historische Forschung in der Lage ist. Siehe etwa GRUNDMANN, Jesus der Galiläer,
166-200 („Das Problem der völkischen Zugehörigkeit J e s u " ) ; HIRSCH, Wesen, 1 5 8 -
165 („Die A b s t a m m u n g J e s u " ) ; s. dagegen die scharfe Kritik von v. SODEN, Jesus.
113 Vgl. etwa BARTSCH, T o d ; BRANDON, Jesus; s. die Literatur und die kritische Ausein-
Es wäre nicht nur angesichts der Quellen und der Möglichkeiten histori-
scher Rückfrage, sondern auch in theologischer Hinsicht unangemessen,
den .historischen Jesus' gegen den Christus des Glaubens und der
nachösterlichen Verkündigung auszuspielen. Das Urchristentum hat ja
aus gutem Grund nach Ostern nicht einfach die Verkündigung des irdi-
schen Jesus in identischer Weise fortgeführt, sondern in seiner Deutung
der Ereignisse von Karfreitag und Ostern neue Inhalte zum Ausgangs-
punkt seiner Verkündigung gemacht - Inhalte freilich, die sich selbst „ge-
deuteter Geschichte verdanken"123. Insofern wäre es in der Tat problema-
tisch, wenn man erweisen könnte, daß diese Inhalte an der Geschichte
selbst keinerlei Anhalt hätten. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn man
nachweisen könnte, daß Jesus als geschichtliche Gestalt gar nicht existiert
hätte, oder wenn man sagen müßte, er wäre ,alt und lebenssatt' eines na-
türlichen Todes gestorben. Dann wäre die österliche Deutung seiner Ge-
stalt historisch falsifiziert. Umgekehrt ist klar, daß die nachösterliche
Deutung seiner Gestalt über die historisch rekonstruierbare Geschichte
und über das Selbstverständnis des Irdischen bzw. den aus einzelnen sei-
ner Worte erkennbaren Selbstanspruch hinausgehen kann 124 . Aber weil
sich der christliche Glaube auf eine konkrete geschichtliche Gestalt, auf
ein nach O r t und Zeit bestimmtes Geschehen zurückbezieht, deshalb ist
die historische Frage nach Jesus auch theologisch von Belang.
Zu fragen ist dabei nach der bei aller Diskontinuität wesentlichen Kon-
tinuität zwischen dem Anspruch des irdischen Jesus und der nachösterli-
chen Deutung seiner Gestalt. Denn nach einhelligem neutestamentlichen
Zeugnis ist der Verkündigte kein anderer als der Verkündiger, der Chri-
stus der Evangelien kein anderer als der irdische Jesus.125
Inwiefern also hat das, was nach Ostern von Jesus als dem Christus und
Gottessohn ausgesagt wird, Anhalt an Wirken und Geschick des irdischen
Jesus? Steht das Christusbild der Evangelien - zuletzt das des Johannes-
evangeliums - in einer zumindest .wirkungsplausiblen' Kontinuität zu Je-
su ureigenem Anspruch? Dieser Frage soll im zweiten Teil dieses Beitrags
unter historischer Perspektive nachgegangen werden.
Ich verzichte also darauf, ein Gesamtbild des Wirkens Jesu oder einen Querschnitt seiner
Verkündigung vorzuführen. Ich muß auch darauf verzichten, Daten zu begründen, die in
der Forschung weithin akzeptiert oder zumeist nur in Nuancen diskutiert werden: Daß
Jesus von Nazareth als geschichtliche Gestalt existiert hat126, daß er natürlich Jude war127
124
Siehe dazu K R E P L I N , Selbstverständnis, 72f.
125
Dabei ist natürlich zwischen dem irdischen Jesus und dem .historischen Jesus' als ei-
nem mit historischen Methoden rekonstruierten Bild des irdischen Wirkens Jesu zu
unterscheiden.
126
Dies wurde in der Vergangenheit gelegentlich radikal bestritten, so z. B. von D R E W S ,
Christusmythe I—II, vgl. DERS., Leugnung; auch in der .orthodox'-marxistischen Leh-
re, s. E N G E L S , Bruno Bauer; DERS., Geschichte; vgl. in neuerer Zeit noch K A H L , Elend,
68-81 (mit einem Bekenntnis zum Marxismus; dieses ist in der Neuausgabe von 1993
jetzt zurückgenommen); s. auch W E L L S , Jesus; DERS., Jesus Myth; zu diesen Positio-
nen s. T H E I S S E N / M E R Z , Jesus, 123f.
127
Die ideologisch motivierten Entgleisungen einiger deutscher Forscher in den 30er und
40er Jahren (s. o. Anm. 112) sind keiner Diskussion mehr würdig.
- wobei seine galiläische Herkunft nach heutigem Forschungsstand eine religiöse Erzie-
hung im Kontext der Tora keineswegs ausschließt128 - , daß er wohl überwiegend ara-
mäisch sprach, aber das Hebräische sicher kannte und angesichts der Sprachsituation in
Galiläa vielleicht sogar etwas Griechisch verstand129, daß er mit der Bewegung des Täu-
fers in Verbindung stand und von diesem getauft wurde130, daß er - vermutlich wenig
später - selbständig auftrat und Gottes Herrschaft als „nahe" verkündigte131, nicht nur,
aber gerade auch den religiös und sozial Ausgegrenzten, daß er dabei auch als Therapeut
und Exorzist auftrat132 und nicht zuletzt damit Zulauf hatte und Diskussionen auslöste,
und daß er schließlich als möglicher Unruhefaktor von der Jerusalemer Lokalaristokratie
festgesetzt und unter der denunziatorischen Anklage politischer Agitation von den Rö-
mern durch Kreuzigung hingerichtet wurde. Das nächste, was dann historisch festge-
stellt werden kann, ist wenig später die Behauptung seiner Anhänger, der Gekreuzigte sei
ihnen, aber auch anderen, ihn bisher ablehnenden Personen im Glänze göttlicher Herr-
lichkeit erschienen, woraufhin sich dann die neue charismatische Bewegung schnell aus-
breitete. Was dazwischen liegt - das .Osterereignis' - ist m. E. aufgrund des Charakters
der Quellen und aus methodologischen Gründen der historischen Beschreibung entzo-
gen. Es läßt sich historisch nur von seinen Rändern her thematisieren133.
193), gerade weil sie der Tendenz aller christlichen Quellen entgegenläuft und anneh-
men läßt, daß der irdische Jesus ein Tauchbad der Umkehr, zur Vergebung der Sün-
den, auf sich nahm, was - zumindest zu diesem Zeitpunkt - „auf ein Sündenbewußt-
sein Jesu schließen läßt" (THEISSEN/MERZ, loc. cit.). In späteren Texten wird eben
dieser Sachverhalt aus christologischen Gründen eher zurückgedrängt (vgl. Mt 3,14;
Joh l,32f.).
131 Die temporale Ausrichtung der Eschatologie Jesu ist nach wie vor strittig, s. zum
Uberblick DU TOIT, Erneut auf der Suche, 120-123. M. E. ist das von einigen Ausle-
gern vertretene Bild eines ,uneschatologischen' Jesus (s. etwa BORG, Scholarship, 47-
68; CROSSAN, Jesus, 265-302) heute ebenso wie im 19. Jh. ein modernes Wunschbild.
Zur .eschatologischen' Interpretation Jesu s. BECKER, Jesus, 100-275; MEIER, Margi-
nal Jew II, 237-507; SANDERS, Jesus and Judaism, 123-156; vgl. auch ALLISON, Plea;
REISER, Eschatology.
132 Zur Historizität THEISSEN/MERZ, Jesus, 269-275; MEIER, Marginal Jew II, 619-623;
FREY, Verständnis, 12f.
133 Die damit verbundenen Fragen lassen sich hier nicht weiter erörtern. Eine generelle
Abweisung der Versuche, die Auferstehung Jesu Christi von ihrem historischen
,Rand' her zu thematisieren, wie sie z. B. bei LÜDEMANN, Auferstehung, 216, vorliegt,
erscheint jedoch m. E. verfehlt.
134 Damit ist - nach dem Urteil von HOLTZMANN, Lehrbuch I, 295 - nicht weniger als
„das Hauptproblem derneutest[amentlichen] Theologie" berührt.
135 Für REIMARUS ist gerade das Scheitern des messianischen .Programms' Jesu (im Sinne
des davidisch-politischen bzw. zelotischen Messianismus) der Grund dafür, daß die
Apostel nach seinem Tod das Konzept des Messianischen im Sinne eines anderen .Sy-
stems* umdeuten mußten, seinen Tod als Opfertod uminterpretierten, die Auferste-
hung erdichteten und die Erwartung der baldigen Gründung des Gottesreiches auf
seine noch ausstehende Parusie bezogen (vgl. SCHWEITZER, Geschichte, 65f.).
STRAUSS schreibt dem irdischen Jesus das Messiasbewußtsein und die Erwartung eines
Kommens in Herrlichkeit zu (s. STRAUSS, Leben Jesu I, 469; II, 373), freilich sei er
damit ein hochgradiger Schwärmer gewesen und mit seiner Wiederkunftsidee dem
Wahnsinn nahe (vgl. dazu SCHWEITZER, Geschichte, 127-131). Ein solcher Jesus kann
nicht mehr Ideal einer gegenwartsrelevanten religiösen Weltanschauung sein. Aus die-
sem Dilemma erklärt sich das für die ganze liberale Theologie kennzeichnende „ange-
strengte Bemühen, Jesus vor der Apokalyptik zu retten" (KOCH, Ratlos, 55; vgl.
SCHWEITZER, G e s c h i c h t e , 1 6 9 ) .
136 Siehe zu diesem forschungsgeschichtlichen Problem HENGEL, Messias, 17-34, der
darauf hinweist, daß W R E D E selbst die Frage nach der Messianität Jesu „nicht mit ei-
nem quod non, sondern mit einem non liquet abschließt" (18; s. WREDE, Messiasge-
heimnis, 207f.22lf.). Das Selbstverständms Jesu kann W R E D E gerade nicht klären. Da
es im Urchristentum eine Auffassung gegeben hätte, daß Jesus erst durch die Aufer-
stehung zum Messias geworden sei (wie WREDE, a. a. O., 214, aus Apg 2,36 er-
schließt), nimmt er an, „dass sich Jesus thatsächlich nicht für den Messias ausgegeben
hat" (a. a. O., 229). Die letztlich psychologische Frage, ob er sich als Messias wußte,
ob er gar in Ablehnung aller jüdischen Messiasvorstellungen seine Hoffnung „auf ein
anderes Ideal, höherer Ordnung" (WELLHAUSEN, Geschichte, 315; zitiert bei W R E D E ,
a. a. O., 220) richtete, referiert W R E D E skeptisch, ohne sie letztlich zu beantworten.
Erst durch BULTMANN und seine Schüler hat sich die Auffassung vom
.unmessianischen' Jesus weit verbreitet 137 . Man hat sogar .hermeneutisch'
zu begründen versucht, warum Jesus, wenn er Glauben an sein W o r t fin-
den wollte, von seiner Person absehen und unmessianisch auftreten
mußte 138 . So kann man historische Probleme und Hypothesen dogmati-
sieren.
1,3 So die Argumentation bei WREDE, 220. Eine ähnliche Argumentationsstruktur findet
sich wieder bei HOFIUS, Messias, 128: „Dieser Messias Israels ist der im Neuen Testa-
ment bezeugte Jesus Christus nicht." Dahinter steht freilich ein völlig anderes, primär
offenbarungstheologisches Argumentationsinteresse, nämlich die These, daß die wah-
re Würde Christi jede vorgegebene Kategorie sprengt, da er nicht ,nur' der Messias,
sondern Gott ist.
144 Siehe etwa WELLHAUSEN, Geschichte 6 , 375f.; vgl. KOCH, Ratlos, 35-37.55.57, aus-
führlich ZAGER, Begriff, passim. Vgl. zum Hintergrund dieser Position in der soge-
nannten .Spätjudentumstheorie' auch FREY, Eschatologie I, 66-68.
145 Wo man anders urteilte und den eschatologischen Charakter der Predigt Jesu akzep-
tierte, konnte der historische Jesus nicht mehr als religiöses und sittliches Ideal fun-
gieren. Die Vertreter der .konsequenten Eschatologie' konnten dem von ihnen erho-
benen historischen Bild Jesu daher keine unmittelbar systematisch-theologische
Relevanz mehr zuerkennen; s. dazu FREY, Eschatologie I, 43-47.
146 Siehe die kritischen Reaktionen von beiden bei HENGEL, Messias, 20-24.
147 Siehe den Brief vom 2. 1. 1905 in: ROLLMANN/ZAGER, Briefe, 274-322, 315-317 (Zi-
tat: 317).
148 HENGEL, Messias, 1; vgl. zum Ganzen auch DERS., Erwägungen; ZELLER, Transfor-
mation.
149 Vgl. auch Rom 14,9; IKor 8,11; 2Kor 5,15; IThess 5,10; Gal 2,21.
150 Das bedeutet freilich nicht, daß dem Urchristentum und Paulus der semantische
Hintergrund dieses .Namens' nicht mehr bewußt gewesen wäre. Gerade in der Ster-
beformel „schimmert die ursprüngliche titulare Bedeutung noch deutlich durch"
(HENGEL, Messias, 3). Freilich ist die Bezeichnung semantisch keineswegs so .offen',
wie KARRER, Gesalbte, 89, aus dem artikellosen Gebrauch von Χριστός in diesen
Formeln erschließen will. Seine Übersetzung der Formel „Gesalbter war er, der starb"
(a.a.O., 370) ist jedenfalls reichlich „gequält" (ZELLER, Transformation, 157). Der
prädikative Gebrauch kann nicht überzeugen, da - wie auch KARRER zugibt - vor
„Gesalbter" eben kein „ein" gesetzt werden darf (a. a. O., 370 Anm. 44). Für das
Urchristentum, das diese Formel verwendet, gibt es ja „nur einen einzigen Χριστός,
eben diesen Jesus, der gekreuzigt wurde" (HENGEL, Messias, 1). Sachlich ist das Ap-
pellativum daher sehr wohl determiniert, nämlich aus der Schrift, wie IKor 15,3b
zeigt: „Jesus starb als der aus der Schrift bekannte Messias für unsere Sünden" (ZEL-
LER, a. a. O., 158).
151 Es besteht kein zwingender Grund, an der Zuverlässigkeit, der von Lukas redaktionell
hängigen Schriften wird χρ[ιστός] niemals auf Personen angewandt; umgekehrt findet
bzw. „der Christus" 1 5 7 „für uns gestorben ist" ( R o m 5,6.8; 14,15 u. a.)
„was offensichtlich im Zusammenhang mit Jesu Verurteilung steht" 1 5 8 .
Der Christus- bzw. Messiastitel ist daher in der ältesten Formeltradition
mit Jesu T o d verbunden.
Daraus ergibt sich ein zweites, grundlegendes Argument 1 5 9 : W ä r e Jesus
völlig unmessianisch aufgetreten, dann wäre zugleich fraglich, wie er -
nach dem titulus am Kreuz - als der „König der Juden", d. h. eben doch als
(vermeintlicher) Messiasprätendent, hingerichtet werden konnte. Die Re-
de vom „König der Juden" begegnet im literarisch ältesten Bericht über
Jesu Passion, bei Markus 1 6 0 , in mehreren Szenen: dem Verhör durch Pila-
tus (Mk 15,2), der Barabbas-Episode (Mk 15,9.12), der Narren-König-
Szene (Mk 15,18) und dann in der N o t i z über die Uberschrift über dem
Kreuz (Mk 15,26). Die Rede von Jesus als „König" durchzieht den marki-
nischen Kreuzigungsbericht, dabei begegnet die Bezeichnung „König der
Juden" ausschließlich im Munde von Heiden 1 6 1 . In ihrer Verspottung des
Gekreuzigten sprechen die Hohenpriester und Schriftgelehrten anschlie-
ßend v o m „König Israels" (Mk 15,32). Aber nirgendwo begegnet der Titel
im Rahmen einer Aussage von Anhängern Jesu oder gar des Evangelisten
selbst. So fehlt jede Identifikation des Autors bzw. seiner Leser mit die-
sem .König', auch ein Hinweis auf die Schrift oder die Schriftgemäßheit
des erzählten Geschehens liegt in diesen Aussagen völlig fern. Im U n t e r -
157 Die Bezeichnung kann nur im determinierten Sinne oder als Eigenname verstanden
werden (womit freilich ein mitschwingender semantischer Wert nicht ausgeschlossen
ist). Siehe oben Anm. 150 zur Auseinandersetzung mit der abweichenden Uberset-
zung von KARRER, Gesalbte, 370, die den Raum offen halten will für seine insgesamt
nicht überzeugende Herleitung des Christustitels aus dem Vorgang der Salbung des
Heiligtums. Siehe zur Kritik dieser These auch HORBURY, Messianism, 7f.; NIEBUHR,
Jesus, 344f.
158 S o HAHN, E W N T I I I , 1 1 6 5 .
159 Die beiden hier genannten Argumente werden auch bei EVANS, New Quest, 183, als
entscheidend erachtet; vgl. ebenfalls DAHL, Messianic Ideas, 3930f. Den titulus crucis
als entscheidendes Argument hat DAHL, Messias, herausgearbeitet, vgl. auch HENGEL,
Messias, 45-63).
Siehe zur Markuspassion zuletzt SCHWEMER, Passion. Die nur zum Teil überzeugen-
den Versuche, aus Markus einen literarisch älteren Passionsbericht zu rekonstruieren,
können hier nicht diskutiert werden. Keinesfalls überzeugen können die Versuche, aus
der Schnittmenge von Markus und Johannes einen ältesten Passionsbericht zu rekon-
struieren, da erstens das dabei angewandte Reduktionsverfahren methodisch höchst
fragwürdig ist und zweitens die Indizien für eine Kenntnis des Mk seitens des vierten
Evangelisten nicht zu überspielen sind (s. dazu FREY, Eschatologie I, 399; DERS., Lei-
denskampf, 90-92; ausführlich LANG, Johannes; gegen REINBOLD, Bericht. Vgl. auch
SCHWEMER, P a s s i o n , 1 4 2 A n m . 4 3 .
Außerhalb des Passionsberichts begegnet die Wendung nur noch einmal, in Mt 2,2,
wo sie ebenfalls Heiden in den Mund gelegt wird.
schied zum Christustitel liegt in der Rede von Jesus als dem „König der
Juden" gerade keine christlich-christologische Aussage vor, die Formulie-
rung des titulus läßt sich daher nicht einfach als nachträglich-dogmatische
Deutung interpretieren 162 . Der titulus bezieht das Königtum des Gekreu-
zigten vielmehr auf andere, nämlich ,die Juden', er erscheint somit als eine
ganz aus römischer Perspektive formulierte, zynisch-antijüdische Aussa-
ge, eine Diffamierung des jüdischen Volkes durch die römische Besat-
zungsmacht. Hingegen ist festzustellen, daß „.König der Juden' nirgend-
wo eine jüdische Bezeichnung des Messias" ist163. Es wäre auch „extrem
unwahrscheinlich", „daß die frühe Urgemeinde ohne Anhalt an der ge-
schichtlichen Wirklichkeit das Stichwort vom König der Juden als causa
poenae von sich aus eingeführt" hätte, „denn damit rechtfertigte sie im
Grunde das römische Vorgehen gegen Jesus als Aufrührer gegen die herr-
schende Gewalt und setzte sich dem Vorwurf aus, als Anhänger dieses
Verbrechers selbst eine Gemeinde von Aufrührern zu sein" 164 . Dies
spricht mit Nachdruck dafür, daß sich in dieser Wendung ein historisch
zutreffender Hinweis auf die causa poenae, den .offiziellen' Grund der
Verurteilung Jesu, zeigt 165 . Dieser konnte in der Ausgestaltung der marki-
nischen Passionsgeschichte später breitere Verwendung finden, weil mit
Hilfe dieses Motivs zugleich verdeutlicht werden konnte, „in welchem
tieferen theologischen Sinn Jesus tatsächlich der König Israels war"166,
freilich zeigt sich später zugleich das Bestreben, den politischen Verdacht,
der sich mit dem Königstitel verband (vgl. Lk 23,2; Joh 19,12), zu ent-
schärfen, ζ. B. indem man Pilatus Jesu Unschuld bezeugen ließ (Lk
23,14.22; Mt 27,19.23f.; Joh 18,38; 19,4.6) oder Jesu Königtum als ein
Königtum .nicht von dieser Welt' beschrieb (Joh 18,36). Die Rede von Je-
sus als „König der Juden" erweist sich somit als viel zu sperrig bzw. .ten-
denzwidrig', um als Ausdruck christlicher Gemeindetheologie zu gelten.
Die Annahme ihrer Historizität ist plausibler.
162 Gegen BULTMANN, Geschichte, 293, und viele seiner Nachfolger. Vgl. dagegen DAHL,
Messias, 159: „Die Formulierung .König der Juden' entstammt weder dem Weis-
sagungsbeweis noch der Gemeindechristologie. Den Titel .König' scheut man sich im
allgemeinen von Jesus zu gebrauchen".
163 HENGEL, Messias, 50.
144 HENGEL, Messias, 50. Das später insbesondere bei Johannes deutliche Bemühen, das
Königtum Jesu .unpolitisch' zu fassen (Joh 18,36), zeigt, wie problematisch der Kö-
nigstitel für die frühe Christenheit war.
165 S o a u c h BECKER, J e s u s , 4 3 5 - 4 3 7 ; H E N G E L , M e s s i a s , 4 9 - 6 3 .
166 BECKER, Jesus, 436.
Dagegen läßt sich auch nicht der Befund anführen, daß sich für solche
tituli bislang keine schlagenden Parallelen nachweisen ließen 1 ' 7 . Dies
spricht sogar eher dafür, daß sich in der markinischen Uberlieferung eine
historische Erinnerung erhalten hat168. Wenn Jesus aber von den römi-
schen Machthabern - wohl wider besseres Wissen - als Königsprätendent
hingerichtet wurde, dann dürfte die Frage seiner Messianität im Hinter-
grund des Pilatusprozesses tatsächlich eine ausschlaggebende Rolle ge-
spielt haben169. Allerdings: „Von sich aus kann Pilatus nicht auf diese
causa poenae gekommen sein, wenn man Jesus nicht zu einem aktiven po-
litischen Revolutionär im Stil der Zeloten machen will" 170 . So spricht vie-
les dafür, daß sich in diesem Titel die Anklage widerspiegelt, mit der Jesus
von seinen jerusalemischen Gegnern an Pilatus überstellt wurde - eine
Anklage, die aufgrund ihrer politischen Brisanz mit großer Wahrschein-
lichkeit zur Verurteilung führen mußte. Wie aber hätte Jesus unter einer
solchen Anklage verurteilt werden können, wenn sein Auftreten völlig
.unmessianisch' gewesen wäre?
Nun ist es allerdings weithin Konsens, daß der irdische Jesus während
seines öffentlichen Wirkens den Messiastitel nicht für sich beansprucht
hat. Die wenigen Stellen, an denen sich der Titel in der synoptischen Tra-
dition im Munde Jesu findet, „sind Ausnahmen" 171 . Ein expliziter und un-
verhüllter Anspruch auf den Titel findet sich erst im Johannesevangelium,
wo Jesus auf die Aussage der Samaritanerin „Ich weiß, daß der Messias
kommen wird", antwortet: „Ich bin's, der mit dir redet" (Joh 4,25f.; vgl.
1,41). Doch hier liegt ein sehr viel späteres Stadium der Traditionsent-
wicklung vor. Der einzige .Titel', dessen Gebrauch sich für den irdischen
Jesus mit guten Gründen behaupten läßt, ist der Rätselbegriff des ,Men-
schensohns', dessen griechische Übertragung ó υιός τοϋ άνθρώπου, mit
einer Ausnahme (Apg 7,56) nur in den vier Evangelien und nur im Munde
Jesu begegnet und auffälligerweise gerade nicht mit der sprachlichen Ge-
stalt von Dan 7,13 (LXX) übereinstimmt 172 . Den Begriff des .Messias'
komplexen neueren Diskussion zu diesem Terminus findet sich bei SCHRÖTER, Erin-
nerung, 4 5 1 - 4 5 5 .
173 Die Zurückweisung des Petrus als „Satan" in Mk 8,33b gilt im K o n t e x t dem Versuch
des Petrus, den W e g Jesu ins Leiden zu verhindern. Jede andere .Rekonstruktion' (wie
ζ. B. die von DINKLER, Petrusbekenntnis, als ursprünglich angesehene unmittelbare
Korrelation von Petrusbekenntnis und Satanswort) entbehrt der Textgrundlage.
174 Siehe zur möglichen Historizität grundlegend PESCH, H T h K I I / 2 , 4 3 6 - 4 3 9 . 4 4 2 f . , so-
wie jetzt die ausführliche Analyse von BOCK, Blasphemy, 2 0 9 - 2 3 8 ; vgl. auch SCHWE-
MER, Passion, 1 4 9 - 1 5 1 , und HENGEL, Setze dich, 163, der einschränkend formuliert:
„ O b Jesus in dieser oder ähnlicher Weise selbst zu den Volksführern gesprochen hat,
läßt sich natürlich nicht mehr beweisen, er scheint sie aber zumindest durch den H i n -
weis auf seine .messianisch-richterliche' Vollmacht so provoziert zu haben, daß sie ihn
als messianischen Prätendenten an Pilatus auslieferten."
175 Siehe dazu ausführlich BOCK, Blasphemy, 1 9 7 - 2 0 9 , z u m Hintergrund a. a. O . , 3 0 - 1 1 2 .
176 KREPLIN, Selbstverständnis, 322, meint, daß „die Annahme, dass Jesus sich im V e r h ö r
vor dem Hohepriester zu seinem Messiasanspruch bekannt habe, den U m s c h w u n g
von der bewussten Zurückhaltung Jesu, sein Selbstverständnis zu thematisieren, zur
sehr schnell nach O s t e r n schon fertig geprägten christologischen Titulatur historisch
plausibler m a c h e n " könne.
177 Vgl. HAHN, Hoheitstitel, 393: „Kommend ist alles, was mit der Heilszeit in Verbin-
dung steht." Im Munde des Täufers wäre ein Bezug auf den .Boten' Mal 3.1 nahelie-
gend. In Dan 7,13 (Theodotion) ist έρχόμενος mit dem Menschensohn verbunden.
178 Die unmittelbare Parallele zur Täuferanfrage ist der vieldiskutierte Text 4 Q 5 2 1 2 II
1-14, der die gleichen jesajanischen Stellen aufnimmt und - wie Q 7,22 - auch von der
Auferweckung der Toten als einem Teil des endzeitlichen Heilshandelns Gottes
spricht. Der in Zeile 1 in Anlehnung an Jes 61,1 erwähnte .Gesalbte' (oder - was phi-
lologisch auch möglich ist - .die Gesalbten'; vgl. NIEBUHR, Psalm, der die Aussage auf
das Priestertum der Endzeit beziehen will; BECKER, Gesalbten, denkt eher an die Pro-
pheten) wird in Verbindung mit dem Geschehen in der Heilszeit gebracht. Dabei ist -
nach anfänglich heftigen Diskussionen - inzwischen klar, daß es sich in diesem Text
nicht um die .Werke des Messias', sondern um die Werke Gottes in der .messiani-
schen' Heilszeit handelt, der als Subjekt in Zeile 5 explizit genannt wird und auch in
der folgenden Aufzählung der Heilstaten vorauszusetzen ist. Siehe zu diesem aus-
führlich ZIMMERMANN, Texte, 343-388. Ein zweiter, schon länger bekannter Text, der
Jes 61,lf. in Bezug auf eine endzeitliche Heilsgestalt rezipiert, ist l l Q M e l c h (dazu
eingehend ZIMMERMANN, a. a. O., 389-412).
179 Das Jesajatargum führt das erläuternde tn'sîhâ' zwar nicht bei Jes 35,5f. und 61,lf.,
aber bei Jes 9,5; 11,1.6; 42,2 und 52,13 ein und führt damit diese und weitere thema-
tisch verbundene Texte einer Zusammenschau unter dem Aspekt der messianischen
Verheißung zu. Siehe zu den Targumim EVANS, Contemporaries, 155-181; weiter PÉ-
REZ FERNÁNDEZ, Tradiciones.
185 Diese terminologische Festlegung wird vorab bei HOFIUS, Jesus, 104, getroffen. Die
weiteren Folgerungen im Blick auf die .Inkomparabilität' des neutestamentlichen Je-
susbildes ergeben sich aus diesem Ansatz, ohne daß dadurch historisch größere Plausi-
bilität erreicht würde.
186 So HOFIUS, Jesus, 128.
187 Siehe dazu COLLINS, Scepter, 1 1 - 1 4 .
188 Gegenüber der Tendenz in der neueren alttestamentlichen Wissenschaft, die .messia-
nischen' Motive entweder unter den Stichworten .Königsideologie' oder .Apokalyp-
tik' abzuhandeln und dann einen Ausfall messianischer Vorstellungen festzustellen,
kann HORBURY (Messianism, 6) zusammenfassend formulieren: "Messianism grew up
in Old Testament times; the Old Testament books, especially in their edited and col-
lected form, offered what were understood in the post-exilic age and later as a series
of messianic prophecies; and this series formed the heart of a coherent set of expecta-
tions which profoundly influenced ancient Judaism and early Christianity".
1 8 ' Siehe dazu HORBURY, Messianism, 2 5 - 3 1 .
1,0 Dies geschieht bei COLLINS, Scepter, 3 1 - 3 4 . Vgl. dagegen HORBURY, Messianism, 37,
sowie den ausführlichen Aufweis der Verbreitung messianischer Erwartungen in der
Zeit des Zweiten Tempels a. a. O.. 3 6 - 6 3 . HORBURY erfaßt noch wesentlich mehr
Quellen als SCHREIBER, Gesalbtenvorstellungen, 145ff.
hen worden wären" 1 . Die Variationsbreite ist freilich groß: Neben der
klassischen Erwartung des siegreichen Messiaskönigs, die nicht zuletzt
durch ihre liturgische Rezeption in der 14. Benediktion des Achtzehn-
Bitten-Gebetes von großer Bedeutung war192, steht die Hoffnung auf den
(königlichen) Messias als einen geisterfüllten Lehrer (so PsSal 17,32-
44 193 ). In apokalyptischen Traditionen (4Esra 13) verbindet sich die Mes-
sias-Vorstellung mit der des danielischen .Menschensohns' 194 oder mit der
Vorstellung des endzeitlichen Richters (so in den Bilderreden lHen 3 7 -
71). Neben der Erwartung des herrscherlich-königlichen Messias stand
(zumindest in bestimmten Kreisen) die Hoffnung auf einen endzeitlichen
Hohenpriester oder einen Propheten nach dem Bilde Moses (vgl. Dtn
18,15). Die Qumran-Texte reden - freilich nur zum Teil - von zwei ne-
beneinander auftretenden .Messiassen', einem priesterlichen und einem
politisch-militärischen ( C D X I X 3 3 - X X l 1 9 5 ), die sich ihrerseits noch mit
,dem Propheten' verbinden konnten (1QS I X 10f.). Auch die unter Ex-
egeten verbreitete Uberzeugung, daß ,der Messias' stets als eine rein ir-
disch-menschliche Gestalt verstanden worden sei, setzt offenbar eine fal-
sche Alternative voraus. Sie erweist sich als unzutreffend für Texte, in
denen sich die Vorstellung von der Rettung durch Gott selbst oder göttli-
che Hypostasen oder durch Engelmächte mit dem Gedanken an messiani-
sche Mittler verbindet196. Ein derartiger Anklang findet sich ζ. B. im
LXX-Psalter, wenn es etwa ψ 109,3 über den Messias heißt προ
εωσφόρου έξεγέννησά σε, „vor dem Morgenstern habe ich Dich ge-
zeugt", so daß der messianische König hier zum einen als präexistentes
197 Vgl. dazu SCHAPER, Eschatology, lOlf.; HORBURY, Messianism, 96, der im Blick auf
weitere Stellen aus der LXX feststellt "that the messianic king was envisaged, vari-
ously yet consistently, as an angel-like spirit waiting to appear and be embodied". Be-
lege für die faktische Interpretation von ψ 109,3 in diesen Kategorien finden sich etwa
bei Justin, Dial. 45,4 (wo die Stelle mit ψ 71,5 verbunden und als Beleg für die Präexi-
stenz Christi gewertet wird) und Tertullian, Adv. Praxean 7 (in Verknüpfung mit Spr
8). Siehe dazu SCHAPER, a. a. O., 172f., ausführlich PARENTE, ΠΡΟ ΠΟΙΟΥ.
1,8 Vgl. die Wiedergabe von Dan 7,9-14 in der LXX, s. dazu SCHAPER, a. a. O., 170f.
" ' Die alte These von DINKLER (Petrusbekenntnis; erneuert jetzt bei LÜDEMANN, Jesus,
80-82), daß Jesus das Bekenntnis des Petrus unmittelbar mit dem „Weiche von mir
Satan!" beantwortet habe, verdankt sich eher Marburger Dogmatik als historischer
Argumentation. Hätte der irdische Jesus .messianische' Vorstellungen gleich welcher
Art so brüsk abgewiesen, dann wäre es völlig unverständlich, wie der Christustitel
schon in den frühesten vorpaulinischen Bekenntnissen so intensiv aufgenommen wer-
den konnte.
200 Siehe dazu BECKER, Jesus, 32-34. Die These einer erst nachösterlichen Konstitution
des Zwölferkreises wäre völlig unplausibel. Zumindest die Rede von Judas als ,einem
der Zwölf' würde sich dann nicht mehr erklären lassen, vgl. jetzt die ausgewogene Ar-
gumentation bei MEIER, Marginal Jew III, 128-147. Im Blick auf das Logion Mt 19,28
par. Lk 22,28-30 und die Perikope über die Zebedaiden Mk 10,35-40 meint EVANS,
Contemporaries, 454, sogar "that Jesus did anticipate setting up a messianic admini-
stration that would displace the religious establishment of Jerusalem".
F r a g t m a n , w o r a n diese E r w a r t u n g e n in J e s u W i r k e n a n k n ü p f e n k o n n t e n ,
dann w i r d m a n z u n ä c h s t auf J e s u exorzistisches und heilendes Wirken ver-
weisen, das ja a u c h in d e r A n t w o r t an den T ä u f e r anklingt. D a n e b e n s t e h t
seine R e d e v o n d e r Gottesherrschaft, die n i c h t n u r n a h e b e v o r s t e h t , s o n -
d e r n in u n d m i t s e i n e m W i r k e n bereits b e g o n n e n hat. B e i d e sind v e r -
k n ü p f t in e i n e m L o g i o n , das m i t g r o ß e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t z u m a u t h e n -
t i s c h e n K e r n b e s t a n d der W o r t e J e s u z u zählen ist 2 0 3 ( L k 1 1 , 2 0 [par. M t
201 Auch wenn die Erzählung Mk 11,1-11 theologisch übermalt ist, lassen sich doch so-
wohl eine .messianische' Huldigung durch die Festpilger (auf dem Hintergrund der
zuvor erzählten Heilungen) als der Eselsritt (mit seiner Zeichenhaftigkeit) schwerlich
als nachösterliche Bildung erklären. Vgl. dazu PESCH, Markusevangelium II, 187f.
202 Dazu s. ausführlich ÂDNA, Stellung, der die Tempelaktion Jesu als das entscheidende
Bindeglied „zwischen dem unrevolutionären Wirken Jesu einerseits und seinem von
römischer Hand vollstreckten Verbrechertod am Kreuz" herausarbeitet, insofern erst
diese Aktion die Hohenpriester dazu bewogen haben kann, „gezielt auf Jesu Hin-
richtung hinzuwirken" (326). Zur historischen Rekonstruktion a. a. O., 328-333, zur
Deutung der Tempelaktion als messianische Zeichenhandlung a . a . O . , 381ff. Vgl.
auch EVANS, Contemporaries, 319-380.
203 So schon BULTMANN, Geschichte, 174, und nach wie vor die Mehrzahl der Interpre-
t e n , z . B . SATO, Q , 1 3 3 ; M E R K E L , G o t t e s h e r r s c h a f t , 1 4 2 ; D A V I E S / A L L I S O N , M a t t h e w
II, 339 ("one of the assured results of modern criticism"), anders jetzt allerdings SAN-
DERS, Jesus, 133-141, und RÄISÄNEN, Exorcisms, 24f., der unter Berufung auf KLOP-
PENBORG, Formation, 124f., argumentiert, das Logion sei nicht von seinem Kontext in
Q 11,19 abzutrennen und stelle zusammen mit V. 19 eine Erweiterung des Textkom-
plexes Q l l , 1 4 f . l 7 f . dar. Doch ist diese Argumentation nicht zwingend (s. z. B. die
abweichende Erklärung bei SATO, Q, 132-134). Überhaupt lassen sich die unter-
schiedlichen Thesen einer mehrstufigen .Entwicklung' der Logientraditionen „am Q -
Material nicht aufweisen" (SCHRÖTER, Jesus, 116f.; vgl. DERS., Erinnerung, 276); sie
sind in der Regel von externen Kriterien bzw. vorgängigen Auffassungen zur theolo-
giegeschichtlichen Entwicklung des Urchristentums bestimmt. Der hermeneutische
Zirkel ist auch hier nicht zu umgehen.
12,28]): „Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann
ist die Gottesherrschaft schon zu euch gekommen". Es gibt kaum ein an-
deres Logion, „das auf so eindrückliche [ . . . ] Weise Jesu Vollmacht und
die Gottesherrschaft verbindet" 204 . Es steht im Rahmen der Logienquelle
in der Auseinandersetzung um Jesu exorzistisches Wirken, das selbst von
seinen Gegnern nicht bestritten wird, aber auf eine dämonische Ursache,
auf „Beelzebul" zurückgeführt wird. Jesu Wort schließt das Streitgespräch
ab und greift dabei zurück auf den Kampf Moses mit den Zauberern des
Pharao. Dabei wird festgehalten, daß, was in Jesu Wirken geschieht, „mit
dem Finger Gottes" geschieht - die spätere Uberlieferung hat dies dann
abgemildert: „mit dem Geist Gottes" (Mt 12,28), das spricht für das Alter
und die .Tendenzwidrigkeit' der hier vorliegenden Formulierung. Deshalb
wird man dieses Logion auch dann, wenn es sich nicht sehr leicht aus sei-
nem gegebenen Kontext herauslösen läßt 205 , nicht nur für eine .redaktio-
nelle' Stufe der Logienquelle in Anspruch nehmen dürfen. Es weist viel-
mehr auf ein herausragendes Vollmachtsbewußtsein zurück, das sich in
dieser Form auch in Kreisen urchristlicher Propheten oder .Charismati-
ker' nicht belegen läßt und das sich auch nicht bruchlos in eine .redaktio-
nell' als Gerichtsansage an Israel206 verstandene Logienquelle fügt. Des-
halb ist es m. E. nach wie vor plausibler, die beiden Verse Q l l , 1 9 f . nicht
auf eine evtl. gar späte Schicht der Logienquelle zurückzuführen, sondern
zumindest V. 20 und vermutlich auch V. 19 auf eine frühere Situation,
und dabei am ehesten auf Jesus selbst, auf dessen Exorzismen die Logien
verweisen207. Immerhin verfügt das autoritative „Ich" dieses Logions über
den .Finger Gottes'; damit wird in subtiler Anspielung an die Schrift 208 der
Anspruch erhoben, daß in Jesu exorzistischem Wirken Gott selbst befrei-
end und damit zum Heil der Menschen am Werk ist und sich somit die
Gottesherrschaft zeichenhaft - aber keineswegs .nur' symbolisch - mani-
festiert. Signifikant ist dabei die Verknüpfung zwischen dem exorzisti-
schen Wirken Jesu und der Gottesherrschaft, die in diesem Logion gerade
nicht ausschließlich als zukünftige Größe verstanden wird, sondern sich
Die Forschung war hier immer wieder versucht, eine nachösterliche christologische Aus-
sage zu vermuten. Doch zeigt die Geschichte der Interpretation, wie schwer es fällt, für
das Gespräch „einen überzeugenden nachösterlichen Sitz im Leben [ . . . ] zu finden" 2 ".
Hält man fest, daß der Verweis auf die bei Jesaja verheißenen und in frühjüdischen Tex-
ten wie 4Q521 weitergeführten endzeitlichen Heilstaten Gottes noch ganz im jüdischen
Rahmen bleibt und im Übrigen auf die für den Täufer durchaus passende (aber keine
spezifische .Messianiologie' implizierende) Frage nach dem .Kommenden' (vgl. Mt 3,11
par.) bezogen ist, dann läßt sich das Gespräch durchaus im vorösterlichen Kontext ver-
stehen 212 . Das ganze Gespräch enthält keine explizite Christologie, erst recht keine Ap-
plikation einer vorgegebenen Messianologie auf Jesus 213 . Es bringt nichts anderes zur
Sprache als den auch in Q 11,20 belegten Anspruch, daß sich in Jesu Taten, seinen Hei-
lungen und Exorzismen, das für die kommende Heilszeit erwartete Heil schon jetzt
Bahn bricht. Mit der andeutenden Aufnahme der jesajanischen Verheißungen identifi-
ziert sich Jesus indirekt, aber doch erkennbar mit dem prophetischen, gesalbten Verkün-
tar, 3 9 f . , u n d K L O P P E N B O R G , F o r m a t i o n , 1 0 7 .
212 Vgl. Luz, a. a. O.; MEADORS, Jesus, 162-168. In diesem Kontext würde sich σκανδα-
λίζειν in Q 7,23 noch präzise auf die Frage des Täufers an seinen ehemaligen .Schüler'
beziehen; s. dazu MEIER, Marginal Jew II, 202 Anm. 13.
213 So auch POLAG, Christologie, 38: „Der gesamte Wortlaut scheint unbeeinflußt von
späterer christologischer Terminologie", vgl. ebenso MEIER, Marginal Jew II, 400f.
diger des Heils aus Jes 6 1 , I f . - ein Bezug, der auch in anderen W o r t e n Jesu wie z. B. den
ältesten Seligpreisungen Jesu M t 5 , 3 - 5 eine wesentliche Rolle zu spielen scheint 2 1 4 .
2" HENGEL, Lehrer, 86; vgl. auch THEISSEN/MERZ, Jesus, 243; a. a. O., 320: „Die Kon-
frontation skeptischer Zeitgenossen mit dem biblischen Beispiel .frommer Heiden' in
Verbindung mit dem eschatologischen Bewußtsein, daß die Gegenwart Salomo und
Jona übertrifft, ist ein für Jesus typischer Schriftgebrauch".
220 HENGEL, Lehrer, 86. Anders z . B . SATO, Q , 151, der mit einer sekundären Bildung
rechnet, allerdings zugesteht: „Definitiv gegen die Echtheit spricht nichts" (a. a. O . ) .
Vgl. die gründliche Argumentation bei DAVIES/ALLISON, Matthew II, 357. Alle
πλεΐον-Worte im Munde Jesu haben den Komparativ im Neutrum und bleiben ei-
gentümlich rätselhaft (s. MUSSNER, Wege, 72).
221 „Die christliche Gemeinde hätte sehr wahrscheinlich formuliert: .mehr als Salomon
(bzw. Jonas) ist Jesus . . . " ' (so MUSSNER, Wege, 71).
222 So LABAHN, Exorzismen, 630, zu Q 11,20.
223 Siehe KREPLIN, Selbstverständnis, 322.
224 Auf die Probleme dieser Texte kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Sicher
scheint mir, daß die Antithese hier gegen die Schrift selbst und nicht nur gegen ein-
zelne Auslegungstraditionen gerichtet ist. Eine wirkliche Parallele zu dieser Form liegt
im antiken Judentum nicht vor, auch nicht in der in die Ich-Form Gottes gebotenen
.Uberbietung' der Tora in der Tempelrolle ( l l Q T e m p ) . Auch wenn sich im zeitge-
nössischen Judentum zu einzelnen der Weisungen Jesu Sachparallelen finden lassen,
bleibt doch die apodiktische Form, die das „Ich" Jesu dem göttlichen Schriftwort ent-
gegenstellt, ein Zeichen eines außerordentlichen Sendungsanspruchs.
225 Das in dieser Perikope eingebettete Streitgespräch V. 5b-10 braucht nicht notwendi-
dem „Ich" bei Mt 10,32 s. zuletzt TUCKETT, Q 12,8 Once Again; auch SCHRÖTER,
Erinnerung, 3 6 2 - 3 6 5 .
227 So BECKER, Jesus, 261.
228 Vgl. einen Überblick über die Diskussion bei VÖGTLE, Gretchenfrage, 22ff.
229 Anders Mt 10,33 und Mk 8,38.
230 Vgl. zur Authentizität BECKER, Jesus, 261-267; DAVIES/ALLISON, Matthew II, 214f.
231 Vgl. in diesem Sinne auch NIEBUHR, Wirken, 13ff., mit der beherzigenswerten Über-
legung, daß die theologisch kriteriale Funktion dabei nicht einem Rekonstrukt des
.historischen Jesus', sondern dem gedeuteten Christusgeschehen zukommen soll, auf
das sich alle neutestamentlichen Schriften zurückbeziehen.
ριος) auf den Erhöhten. Die Rede von Jesus als .Messias' bzw. .Christos'
scheint durch Jesu Wirksamkeit und spätestens durch seinen T o d als ,Kö-
nig der Juden' nahegelegen zu haben. Engstens verbunden mit dem Mes-
siastitel ist schließlich die Rede vom .Sohn Gottes', in der das einzigartige
Verhältnis Jesu zu Gott als seinem Vater Ausdruck finden konnte. Ihr
Bezug auf .messianische' Gestalten war in biblischen Texten wie 2Sam 7
und Ps 2 vorbereitet 239 . Zur weiteren Deutung der Osterereignisse konn-
ten jüdische Erhöhungs-Traditionen beitragen 240 , wobei insbesondere Ps
110,1 zentrale Bedeutung zugekommen sein dürfte 241 , denn hier wurde die
Frage „nach dem gegenwärtigen .Ort' des .von den Toten Erweckten' und
seiner Funktion eindeutig und unüberbietbar beantwortet [ . . . ] D e r Men-
schensohn-Messias Jesus war zur Rechten Gottes .eingesetzt'" 242 . Diese
enge Verbindung von Messianität und Gottessohnsschaft zeigt sich schon
in dem frühen, palästinisch-jüdischen Bekenntnis in R o m l,3f., das Jesus
nach seiner irdischen Herkunft als „Sohn Davids" - man könnte sagen als
,messias designatus' — charakterisiert, und dann unter Verweis auf das
Ostergeschehen von seiner Einsetzung als „Sohn Gottes in Macht"
spricht. Dabei sagt dieser Text gerade nicht, „daß der ganz gewöhnliche
Mensch Jesus erst durch die Auferstehung zum Sohn Gottes" geworden
wäre, sondern „der aus dem Geschlecht Davids stammende (gekreuzigte)
Messias Jesus ist seit der Auferstehung als Sohn Gottes in Macht [ . . . ]
von Gott eingesetzt" 243 .
In anderen, ebenfalls bereits vorpaulinischen Texten wurden in hymni-
scher Form und vornehmlich in Aufnahme weisheitlicher Motive Aussa-
gen gewagt, die weiter ausgriffen und den Grund des erfahrenen Heils
nicht allein im Wort und Wirken Jesu, sondern weitergehend in seiner
Sendung durch Gott, in seinem Ratschluß, letztlich im Sein vor Welt und
Zeit verankerten. So konnten auch die Motive der Präexistenz und der
Schöpfungsmittlerschaft Christi, die etwa im Philipper- oder im Kolos-
serhymnus begegnen, auf dem Hintergrund jüdischer Traditionen über
die Weisheit (Spr 8; Sir 24 etc.), die ja auch in der Verkündigung Jesu be-
reits eine gewisse Rolle gespielt hatten, ausgestaltet werden 244 . Das Theo-
logumenon von der Schöpfungsmittlerschaft findet sich bereits in dem
vorpaulinischen Bekenntnis IKor 8,6: „Durch ihn" - den Kyrios - „ist al-
les und wir durch ihn".
Man könnte natürlich - wie die alte liberale Theologie - in dieser weit
ausgreifenden, spekulativ anmutenden Denkbewegung eine Verfälschung
des .schlichten' Evangeliums Jesu sehen. Aber auch diese Traditionsent-
wicklung hat ihre theologische ratio, die ihrerseits im Wirken Jesu und
seinem Selbstanspruch gründet: Wenn das Heil, das Jesus den Sündern
zugesprochen hat, nicht nur eine Episode, ein (unter Umständen wieder
revidierbares) Zwischenspiel sein sollte, sondern definitiv und eschatolo-
gisch gültig, dann lag es nahe, über die Begründung dieses Heils und zu-
gleich des Heilsbringers, Jesus Christus, im vorzeitlichen Sein der Weis-
heit oder des Logos Gottes, ja letztlich in Gott selbst und seinem
liebenden Willen nachzudenken. In diesem Horizont konnte, ja mußte
schließlich von Jesus das ausgesagt werden, was dann in der Tat gegen-
über dem jüdischen Bekenntnis als systemsprengend oder gar .blasphe-
misch' erscheinen konnte: θεός ήν ό λόγος (Joh 1,1) bzw. - nach dem jo-
hanneischen Thomasbekenntnis - als Anrede: „Mein Herr und mein
Gott!"(Joh 20,28). Diese Aussage scheint auf den ersten Blick außeror-
dentlich weit von der Reich-Gottes-Predigt Jesu entfernt zu sein oder gar
in schroffem Gegensatz zur ,Theozentrik' derselben zu stehen, aber sie
liegt letztlich in der Konsequenz eines christologisch-soteriologischen
Denkwegs, der seinen Anfang beim Sendungsanspruch des irdischen Jesus
und den Geschehnissen von Karfreitag und Ostern nahm und - auch in
den johanneischen Spitzenaussagen - bleibend auf diesen Ausgangspunkt,
die konkrete Person Jesu von Nazareth, bezogen ist.
III. Schluß
Kommen wir zurück zur Frage LESSINGS: Besteht zwischen dem Glauben
Jesu und dem Glauben an ihn ein unüberwindlicher Graben? Haben die
Apostel, hat die Kirche den ursprünglichen Jesus verfälscht? Diese Frage
stellt sich natürlich in einem anderen Licht, wenn man nicht - aus wel-
chen Gründen auch immer - von einem völlig .unmessianischen* Auftre-
ten Jesu ausgehen kann, sondern bereits im Blick auf sein irdisches Wir-
ken historisch einen Sendungsanspruch wahrnehmen muß, der die
gängigen Kategorien des Rabbi, des Propheten, des Charismatikers oder
des Weisheitslehrers sprengt. Natürlich besteht zwischen der Predigt des
Irdischen und dem Christusbild späterer Epochen eine tiefgreifende Dif-
ferenz, und auf der Stufe der neu testamentlichen Sprachentwicklung, in
der Sprache des Johannesevangeliums, in der Jesus letztlich sich selbst
verkündigt, wird diese Transformation besonders augenfällig. Aber gerade
wenn man den irdischen Jesus und das frühe Christentum historisch im
Horizont des zeitgenössischen Judentums zu verstehen versucht, dann
wird auch erkennbar, wie es in der Tradition zu einer solchen Entwick-
lung kommen konnte und welcher ratio diese folgt. Die Entwicklung der
urchristlichen Christologie läßt sich verstehen als ein immenser theologi-
scher Sprachgewinn, der sich wesentlich aus den Traditionen des antiken
Judentums speist und auf einer doppelten Grundlage beruht: der gedeu-
teten Ostererfahrung und der Erinnerung an das Wirken und das Ge-
schick Jesu von Nazareth.
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HERMUT LOHR
I.
In dem Brief, den der syrische Philosoph Mara bar Sarapion vielleicht
noch im letzten Viertel des ersten Jahrhunderts1 aus römischer Gefangen-
schaft an seinen Sohn Sarapion richtet, schreibt er über die fortdauernde
Bedeutung dreier bedeutender Persönlichkeiten der Vergangenheit:
„Sokrates ist nicht tot, wegen Piaton, noch Pythagoras, wegen des Bildes der
Hera, noch der weise König, wegen der neuen Gesetze, die er gegeben hat." 2
Mit dem „weisen König" ist ohne Zweifel Jesus Christus gemeint; der
Brief des Mara bar Sarapion ist damit vielleicht das älteste pagane Zeugnis
von Jesus. Aus der Sicht des Philosophen sind das Bleibende an Jesus die
von ihm erlassenen neuen Gesetze; Jesus erscheint als neuer Gesetzgeber.
Uns, die wir von Paulus gelernt haben, daß Christus das Ende des Geset-
zes ist zur Gerechtigkeit „für jeden, der glaubt" (Rom 10,4), ist die Vor-
stellung von Jesus als neuem Gesetzgeber vielleicht ungewohnt oder an-
stößig. Aber sie fand auch im frühen Christentum durchaus Widerhall.
Die Wendung vom „Gesetz Christi" in Gal 6,2 ist hierfür ein erstes, wenn
auch nicht ganz eindeutiges Indiz. Paulus spielt hier mit dem Begriff des
Gesetzes. Gemeint ist vermutlich die christliche Interpretation des Geset-
zes Israels, der Tora 3 , die sich in der Zusammenfassung durch das Liebes-
gebot ausdrückt. Die Rede vom έννομος Χρίστου in IKor 9,21 weist in
eine ähnliche Richtung.
Von Jesus als neuem Gesetzgeber reden dann deutlich christliche
Quellen des zweiten Jahrhunderts. So spricht Barn 2,6 ausdrücklich vom
„neuen Gesetz unseres Herrn Jesus Christus", das ohne Opferbestim-
mungen auskomme. Im achten Gleichnis des „Hirten des Hermas", ist
das Gesetz Gottes mit dem Sohn Gottes identifiziert, der „bis an die En-
den der Erde verkündigt wird" (Herrn, sim. 8,3 [69,2] ). Auch der Dialog
des Justin mit dem Juden Trypho führt Jesus als neuen Gesetzgeber ein
(Dial. 12,3) bzw. Jesus wird mit dem neuen Gesetz selbst identifiziert
(Dial. 11,2)\ Das allen diesen Quellen gemeinsame Wissen um die Pro-
blematik der Beziehung Christi zur Tora hindert sie nicht daran, Jesus in
einer positiven Beziehung zu Gesetzgebung und Gesetz zu sehen. Die
neue Botschaft ist in dieser Perspektive also keine Botschaft der Gesetzlo-
sigkeit!5
So sehr man sich für die paulinische Theologie und ihre vordergründig
eindeutige These von einer Abschaffung des Gesetzes durch Christus ei-
nerseits, andererseits für die Stellung des historischen Jesus zum jüdi-
schen Gesetz interessiert hat, so selten hat man bisher versucht, die ver-
schiedenen frühchristlichen Jesus-Bilder, welche durch die Beschreibung
seines Verhältnisse zur Tora geprägt werden, wahrzunehmen, zu verglei-
chen und mögliche Entwicklungslinien aufzuzeigen 6 . Dabei liegt diese
Aufgabe denkbar nahe. Denn der Rückblick auf circa 200 Jahre kritischer
Jesus-Forschung hat uns gelehrt, welche unterschiedlichen Jesus-Bilder je
nach den unterschiedlichen theologischen Interessen gezeichnet wurden
3
Seit der Septuaginta übersetzt νόμος den Begriff ΠΤίΠ. Diese Entsprechung bildet
auch die Grundlage für das neutestamentliche Verständnis von νόμος, ohne daß damit
andere, zu oft übersehene semantische Einflüsse ausgeschlossen wären. Im vorliegen-
den Beitrag wird ν ό μ ο ς mit „Gesetz" übersetzt. Zur semantischen Breite des hebräi-
schen Lexems vgl. CRÜSEMANN, Tora, 7f.; zur Identifikation mit dem Pentateuch ebd.
348f. Zur Bedeutung von ΓΠ1Π in den hebräischen Texten aus Qumran vgl. GARCÍA
LÓPEZ, ThWAT V i l i , 635-637; zur LXX ebd. 634.
4
Dial. 43,1 nennt Christus das „ewige Gesetz".
5
Ausführlich über das Thema „neues Gesetz" im zweiten Jahrhundert unterrichtet
KÜHNEWEG, Gesetz, vgl. 279-310 zu etwaigen neutestamentlichen Wurzeln der Aus-
sage.
6
Eine Differenzierung zwischen der redaktionellen Haltung zum Gesetz und dem Bild
Jesu versucht für die synoptische Tradition HÜBNER, Gesetz. BANKS, Jesus, ist zwar
primär am historischen Jesus und seiner Haltung zum Gesetz interessiert, bietet aber -
zusammenfassend S. 246-253 - das synoptische Material auch in redaktionskritischer
Perspektive dar. TAEGER, Unterschied, 23-35, skizziert die Bedeutung von Mk 7,15 in
den unterschiedlichen Stadien der Uberlieferung.
und wie verschieden dabei auch die Stellung Jesu zur Tora bestimmt wur-
de. Um zwei Beispiele zu nennen: Während eine Darstellung, die Jesus
konsequent als Juden versteht und in die Glaubensgeschichte einzuord-
nen versucht, eine differenzierte Stellungnahme zum Thema „Jesus und
die Tora" hervorbringt 7 , ist ein wissenschaftliches Jesus-Bild, das Jesus als
bäuerlichen (wenn auch natürlich jüdischen) Kyniker zeichnet, an seiner
Position zur Tora Israels wenig interessiert8. So bedeutet die gewählte
Themenstellung nichts anderes, als die an der Analyse der Forschungsge-
schichte gewonnene Frage zurückzulenken auf die ersten christlichen
Quellen selbst. Die Wirkung des historischen Jesus, seine Erfassung in
den ersten literarischen Jesus-Bildern wird zum Korrektiv gegenüber einer
Rückfrage nach dem historischen Jesus, welche die Wirkungs- und Re-
zeptionsgeschichte unter hermeneutischem Aspekt als störend betrach-
ten. Der Versuch, einen historischen Jesus trotz aller Kontextualisierung
doch wieder „hinter" den Quellen zu greifen, ist zum Scheitern verurteilt.
II.
Eingangs wurde Rom 10,4 zitiert, das Wort, mit dem Paulus den Nomos
und Christus einander gegenüberstellt. Der Apostel ist bei der Formulie-
rung nicht an der Darstellung einer inhaltlichen Stellungnahme des histo-
rischen Jesus zum Gesetz interessiert. Vielmehr geht es um eine rechtfer-
tigungstheologische Aussage. Vergleichbar ist die Formulierung von Gal
3,24: Das Gesetz war unser Zuchtmeister bis zu Christus. Die Zeit dieses
Zuchtmeisters ist mit dem rechtfertigenden Glauben vorüber 9 . In Rom
5,12ff. werden die Zeit des Gesetzes und die Zeit Christi zu Epochen ei-
ner Geschichte von Heil und Unheil, die den ersten wie den letzten Adam
umfaßt. Um Erinnerungen an den historischen Jesus und ihre Wirkung
geht es dabei gar nicht.
Mehr Aufschluß in dieser Hinsicht könnte man von Passagen erhoffen,
in welchen Paulus auf halachische Probleme seiner Gemeinden eingeht
und dabei auf die Autorität des irdischen Jesus zurückgreift. Doch wo
dies geschieht, in der Frage der Ehescheidung in IKor 7,10 sowie in der-
„Als aber die Erfüllung der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, von einer Frau
geboren, unter das Gesetz getan, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz
waren." 10
10 δτε δέ ήλθεν τό πλήρωμα τοϋ χρόνου, έξαπέστειλεν ό θεός τον υ'ιόν αΰτοϋ,
γενόμενον έκ γυναικός, γενόμενον ΰπό νόμον, ίνα τούς υπό νόμον έξαγοράση, ϊνα
τήν υίοθεσίαν άπολάβωμεν.
11 In ähnlicher Weise wie Gal 4,4f. will DAUTZENBERG, Gesetzeskritik, 5 2 - 5 4 , auch ROM
15,8 (Christus als διάκονος περιτομής) interpretieren.
12 Vgl. die Rekonstruktion bei ROBINSON/HOFFMANN/KLOPPENBORG, Edition of Q ,
464f.
„Daß aber in eurem Volk kein Prophet mehr sein wird und daß man erkennt, daß
der neue Bund, von dem vormals verkündigt wurde, er werde von Gott angeord-
net werden, seinerzeit schon gekommen ist - das heißt, daß er selbst der Christus
ist - , hat er so ausgedrückt: ,Das Gesetz und die Propheten sind bis zu Johannes
dem Täufer"'. 14
Man darf in den Stürmerspruch also nicht die paulinische Aussage vom
Ende der Tora einlesen, es geht um die durch Tora und Propheten, d. h.
durch die heilige Schrift, bezeichnete Zeit der Ankündigung und Erwar-
tung. Eine Stellungnahme Jesu zur Tora nach ihrem vorschreibenden
Charakter ist daher aus dem oft zu dieser Thematik herangezogenen
Stürmerspruch nicht zu gewinnen15.
Eine ähnlich grundsätzliche Aussage findet sich bei Lk direkt im An-
schluß an den Stürmerspruch in 16,17:
„Es ist leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß ein Häkchen vom
Gesetz fällt.""
13
Die Wendung begegnet im Neuen Testament sonst in Rom 3,21; Mt 5,17; 7,12; Apg
13,15; 24,14; 28,23 und in Joh 1,45. In der Septuaginta findet sich die Zusammenstel-
lung in 2Makk 15,9 und 4Makk 18,10 (vgl. Lk 24,27.44). In allen diesen Passagen ist
die Wendung eindeutig auf die aus Gesetz und Propheten bestehenden Schrift zu be-
ziehen. Der Versuch von B E R G E R , Gesetzesauslegung, 209-227, diese Deutung zu wi-
derlegen, hat mich nicht überzeugt. BERGERS Argumentation geht nicht von dem
Nächstliegenden aus, nämlich den tatsächlichen Vorkommen der Wendung samt ihrem
Kontext.
14
είρήκει δέ περί τοΰ μηκέτι γενήσεσθαι èv τω γένει ύμών προφήτην καί περί τοΰ
έπιγνώναι ότι ή πάλαι κηρυσσομένη υπό τοΰ θεοΰ καινή διαθήκη διαταχθήσεσθαι
ήδη τότε παρήν, τοΰτ' εστίν αυτός ών ό Χριστός, οΰτως· Ό νόμος καί οί προψή-
ται μέχρι 'Ιωάννου τον βαπτιστοϋ ( G O O D S P E E D 1 5 1 = M A R C O V I C H , I T S 4 7 , 1 5 4 ) .
15
So kann man auch nicht mit H Ü B N E R , Gesetz, 212, sagen, in Lk 16,16 liege ein Q-Wort
vom Ende des Gesetzes vor.
" εύκοπώτερον δέ έστιν τον ούρανόν καί τήν γήν παρελθεϊν ή τοΰ νόμου μίαν
κεραίαν πεσεΐν.
„Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, werden nicht ein Jota und
ein Häkchen vom Gesetz vergehen, bis alles geschieht.""
17
Vielleicht schöpften die beiden Evangelisten aus verschiedenen Q-Vorlagen. Weiter
zurückgehende Rekonstruktionen der Traditionsgeschichte des Logions sind m. E.
nicht möglich.
18
άμήν γάρ λέγω ύμϊν εως αν παρέλθη ό ουρανός και ή γη, ιώτα εν η μια κεραία ού
μή παρέλθη άπό τοϋ νόμου, εως αν πάντα γένηται.
" Die Argumente gegen eine solche Deutung bei Luz, Matthäus, 237, haben mich nicht
überzeugt. Gegen Luz halte ich eine heilsgeschichtliche Deutung auch von V. 17 für
möglich. Freilich ist zuzugestehen, daß eine erhebliche Spannung zwischen den Zeit-
ansagen von V. 17 und 18 bestehen bleibt. V. 17 ist christologisch konzentriert, V. 18
nicht.
20
Umstritten ist, ob das Mt-Wort die Erwartung einer tora-losen Endzeit impliziert oder
ob gesagt sein soll, die Tora werde nie vergehen; vgl. Luz, Matthäus, 237. Zu Recht
spricht MERKLEIN, Botschaft, 103 Anm. 49, von der „Vorstellung von der apokalypti-
schen Begrenzung der Mosetora in Q".
21
So etwa KOSCH, Tora, 429.
Vergleichbares gilt für das Wort zum Sabbat in Lk 14,5 par. Mt 12,1 lf.,
dessen Zugehörigkeit zu Q allerdings umstritten ist. Während jedoch das
Wort zur Ehescheidung direkt, wenn auch nicht ausdrücklich, einer Tora-
Bestimmung widerspricht, wird die Sabbat-Norm durch dieses Wort nicht
grundsätzlich in Frage gestellt. Es geht vielmehr um die Halacha22, die
praktische Auslegung und Anwendung der grundsätzlich anerkannten
Norm der Heiligkeit des Sabbats. Wieder werden jedoch dabei die Tora
insgesamt und ihre Gültigkeit nicht eigens zum Thema.
So ist nach der Darstellung von Q das Verhältnis Jesu zur Tora zwar in
Fragen alltäglicher Praxis durch Freiheit und Interpretationsvollmacht be-
stimmt, wobei die entsprechenden Textabschnitte das Woher dieser
Vollmacht aber nicht thematisieren. Jesus tritt hier vielleicht als Weis-
heitslehrer auf. Eine grundsätzliche Ablehnung des Gesetzes ist damit je-
doch eindeutig nicht verbunden.
Zu erwähnen ist zuletzt noch das Wort zur Verzehntung in Mt 23,23
par. Lk 11,42. Der Verzehntung der geringsten agrarischen Produkte
wird, so Mt, das „Schwerere des Gesetzes", Recht, Barmherzigkeit und
Glaube, nach Lk Recht und Liebe Gottes, gegenübergestellt. Allerdings
hebt das Wort die Verzehntungspflicht nicht auf, vielmehr wird betont,
beides sei zu tun. Erkennbar ist aber doch eine Gewichtung innerhalb der
Tora.23
Die Stellungnahmen Jesu zu den Themen Sabbat und Ehescheidung
erfahren auch im Mk-Evangelium eine spezifische Ausformung.
Mk 2,23-3,6 erzählen zwei Sabbatkonflikte, in denen Jesus mit den
Pharisäern konfrontiert wird. Darauf, daß vor allem die erste der beiden
Perikopen zu einer vormarkinischen Sammlung gehört haben könnte, sei
hingewiesen24. Die Haltung Jesu wird jeweils in einem Spitzensatz zum
Ausdruck gebracht. 2,27f. formuliert:
22 Zum Verhältnis von Tora und Halacha im Judentum des Zweiten Tempels vgl. MÜL-
LER, Beobachtungen.
23 Nicht in den Zusammenhang der Frage nach dem Verhältnis Jesu zur Tora gehört
m. E. die Perikope über die Nachfolge in Lk 9,57-62 par. Mt 8,19-22. Zwar hat HEN-
GEL, Nachfolge, 9-17 (vgl. auch SANDERS, Jesus, 252-255), darin recht, daß in dem
Wort Jesu eine erhebliche Provokation gegen Pietät und Sitte vorliegt. Daß hier jedoch
mit dem Gebot der Elternehrung zugleich die Autorität der Tora insgesamt angegrif-
fen ist, scheint mir in dem Text nicht akzentuiert zu sein. Vgl. BOCKMUEHL, Let the
Dead, 23-48.
24 Vgl. KUHN, S a m m l u n g e n , 5 3 - 9 8 .
„Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des
Sabbats willen. So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat".25
„Soll man am Sabbat Gutes tun oder Böses tun, Leben erhalten oder töten?"26
In dem ersten Wort werden eine indirekt auf den Schöpfungsbericht re-
kurrierende Argumentation und eine christologische Aussage miteinander
verbunden. Die Frage im Kontext der zweiten Perikope spitzt das Pro-
blem zu in einer Weise, die über die durch die geschilderte Situation gege-
bene Problemstellung so weit hinausgeht, daß man vermutet hat, hinter
dem Wort Jesu stehe das Wissen um den Sabbatdiskurs in der Makkabäer-
zeit, in der zum ersten Mal von Quellen bezeugt die Frage gestellt wurde,
ob bewaffneter Kampf am Sabbat erlaubt sei27. In beiden Worten steht
nicht die Gültigkeit des Sabbats an sich in Frage, durch das Wort und
Handeln wird aber eine neue Sabbathalacha gesetzt.
Ausführlich wird in Mk 10,2-12 die Frage der Ehescheidung erörtert,
im Rahmen eines Streitgespräches Jesu mit den Pharisäern. U n d dabei
wird die Tora ausdrücklich, und zwar nach V. 3 zunächst von Jesus, als
Autorität angerufen. Indem Jesus dann jedoch die Motivation der Tora-
Erlaubnis zur Scheidung aufdeckt, wird diese in ein Spannungsverhältnis
zum ursprünglichen Schöpferwillen Gottes gebracht. Dabei zitiert Jesus
wörtlich aus dem Schöpfungsbericht, und zwar in V. 7 Gen 2,24 nach der
Septuaginta 28 . Man könnte also annehmen, hier werde Tora gegen Tora
ausgespielt. Besser spricht man jedoch davon, daß hier zwischen zwei
Konzepten von Tora unterschieden wird; Tora als Schrift und als Vor-
schrift treten auseinander. Denn die Argumentation läuft ja nicht darauf
hinaus, die Tora durch ihre innere Widersprüchlichkeit zu desavouieren
oder gar aufzuheben. Vielmehr ist die zugrundeliegende Unterscheidung
diejenige zwischen ursprünglichem Schöpferwillen für alle Menschen, der
in den Erzählungen der heiligen Schrift von der Schöpfung aufbewahrt
und überliefert wird, und der von Mose (nicht Gott!) in der Tora gegebe-
nen Weisung für Israel „wegen ihrer Herzenshärtigkeit". Die Gesetz-
gebung des Mose konstatiert also nicht den universalen Schöpferwillen
25
τό σάββατον διά τον ανθρωπον έγένετο και ούχ ό άνθρωπος διά τό σάββατον·
ώστε κύριος έστιν ό υιός τοΰ ανθρώπου και του σαββάτου.
26
εξεστιν τοις σάββασιν άγαθόν ποιησαι η κακοποιήσαι, ψυχήν σωσαι ή άποκτεΐναι;
27
Vgl. lMakk 2,29-41. Zur Frage der Kriegsführung am Sabbat vgl. den Überblick bei
DOERING, S c h a b b a t , 5 3 7 - 5 6 5 .
28
GNILKA, Markus, 73, zeigt, daß die von Mk gestaltete jesuanische Argumentation nur
ausgehend vom griechischen Genesis-Text funktioniert.
Gottes, drückt nicht den Ursinn und die Urordnung, vielleicht sogar das
Schöpfungsideal der Welt aus, sondern trifft realistische Regelungen für
den Alltag des Volkes Israel. Jedenfalls an diesem einen Punkt ist die
Tora nicht einfach Ausdruck des Schöpferwillens, sie ist nicht ungebeug-
ter Gotteswille ohne die Erfahrung mit dem Volk und seiner Unvoll-
kommenheit. Die Tora ist keine präexistente Urordnung, sondern zu
bestimmter Zeit an bestimmte Adressaten zu vorschreibendem Zweck
gegeben. Entspricht dies nicht genau den ursprünglichen Aussagen des
Pentateuch und wehrt einer Art Tora-Metaphysik, deren Ansätze im Ju-
dentum des Zweiten Tempels hier und da zu greifen sind? Jesus bleibt
nach der Darstellung des Mk nicht bei diesem Konstatieren des status quo
stehen, vielmehr wird schon in der aus dem Schöpfungsbericht gezogenen
Schlußfolgerung, dann auch in der Jüngerbelehrung in V. 10-12 der
Schöpferwillen zum Ausdruck gebracht und als Regel auch für den Alltag
interpretiert. Übrigens formuliert V. 11 f. das Scheidungsverbot für Mann
und Frau, das Logion setzt anders als die wohl ältere Q-Fassung voraus,
daß auch die Frau die rechtliche Möglichkeit zur Scheidung hatte 29 . Durch
diese Wendung wird defacto die zitierte Bestimmung der vorschreibenden
Mose-Tora außer Kraft gesetzt, zugleich aber die Intention des im
Schöpfungsbericht ausgedrückten Schöpferwillens für Mann und Frau in
eine Regel ausformuliert. Was Jesus damit angreift, ist im Kern nicht die
Tora, sondern die „Herzenshärtigkeit", derentwegen die vorschreibende
Tora des Mose erlassen wurde. Es ist, so ist impliziert, den Adressaten
möglich, diesen Zustand der Herzenshärtigkeit zu verlassen und so das
Zusammenleben von Mann und Frau entsprechend der eigentlichen Ab-
sicht Gottes zu gestalten.
Als Diskussionen um das richtige Verständnis der Tora sind die Peri-
kopen von der Auferstehung der Toten und der Frage nach dem ersten
Gebot in Mk 12,18-34 gestaltet. Debattenpartner Jesu sind Sadduzäer
bzw. ein Schriftgelehrter. In der Frage nach der Totenauferstehung wird
Jesus als der bessere Kenner der Schrift dargestellt. Es sind die Sadduzäer,
die sich auf das Tora-Gebot der Leviratsehe beziehen und ausdrücklich
auf Mose berufen, um den Glauben an die Auferstehung der Toten ad
absurdum zu führen. Jesus tadelt unter anderem auch ihre mangelnde
Schriftkenntnis (Mk 12,24):
29 Dies galt im Judentum nur ausnahmsweise. Vgl. BROOTEN, Frauen; DIES., Debatte;
SCHWEIZER, Scheidungsrecht. Ist die Formulierung also ein Hinweis auf heidenchrist-
liche Adressaten?
„Irrt ihr nicht deswegen, weil ihr weder die Schriften noch die Kraft Gottes
kennt?" 3 0
Es folgt ein Zitat aus dem Buch Exodus, das Gott als den Gott der Le-
benden und nicht der Toten eben aus „den Schriften" beweisen soll. Die
Leser dieser Perikope werden Zeugen eines theologischen Konfliktes, der
mit Hilfe von Tora-Zitaten bestritten wird. Jesus weicht hier nicht einfach
auf ein anderes Feld aus - der Hinweis auf die Kraft Gottes ist nur zu-
sätzliches Argument - , sondern er erweist sich der sadduzäischen Argu-
mentation als überlegen. Dabei wird die von der Tora gegebene Regelung
weder kritisiert noch in ihrer Gültigkeit in Frage gestellt.
Als Gespräch, nicht als Streit mit einem Schriftgelehrten ist die Peri-
kope von der Frage nach dem ersten Gebot gestaltet31. Dem Schriftge-
lehrten und seiner wohl ernsthaft gemeinten Frage antwortet Jesus mit
Zitaten aus der Schrift, dem Pentateuch, nämlich mit Dtn 6,4f. und Lev
19,18. Er erhält vom Schriftgelehrten auch sogleich die Bestätigung, recht
geantwortet zu haben. Schriftgelehrter und Jesus teilen hiernach die
Uberzeugung, daß Differenzierungen innerhalb der Tora möglich sind. Es
ist der Schriftgelehrte, nicht Jesus, der das Doppelgebot der Liebe gegen-
über den Brandopfern und Opfern (und damit implizit gegenüber den
entsprechenden Torabestimmungen) aufwertet.
Auch in der Perikope vom reichen Jüngling (Mk 10,17-27) zitiert Jesus
die Tora, hier die zweite Tafel der Zehn Gebote. Ihre Geltung wird von
seinem Gesprächspartner und ihm anerkannt. Doch ist die Pointe dieses
Zitierens nicht darin zu sehen, Jesus als besonders gesetzeskundig darzu-
stellen. Vielmehr werden die Gebote als allgemein bekannt eingeführt
(vgl. V. 19: τάς έντολάς οιδας). Die Geltung der Toragebote wird nicht
eingeschränkt oder aufgehoben, aber doch überholt durch die Nachfolge-
forderung an den jungen Mann. Wer auch die Zehn Gebote erfüllt, dem
„fehlt" dennoch etwas, nämlich der Besitzverzicht um der Nachfolge wil-
len. Zwar soll hier gewiß keine Aussage über die Unvollständigkeit der
Tora getroffen werden, aber immerhin ist das torakonforme Ethos nicht
ausreichend, um den Reichen für die Nachfolge Jesu bzw. das ewige Le-
ben zu qualifizieren. Spürbar ist, daß die Forderung Jesu radikaler ist als
das Gebot der Tora.
Eine besonders deutliche Darstellung des Verhältnisses Jesu zur Tora
hat man in der Perikope über Rein und Unrein Mk 7,1-23 gesehen. Be-
kannt ist der Kommentar E R N S T KÄSEMANNS ZU V. 15: „ . . . wer bestrei-
30 ού διά τοΰτο πλανάσθε μη είδότες τάς γραφάς μηδέ την δύναμιν τοΰ θεού;
31 Zur Frage, ob in M t und Lk neben Mk hier auch Q als Quelle benutzen, vgl. ENNULAT,
Minor Agreements, 2 7 8 - 2 8 7 .
tet, daß Unreinheit von außen auf den Menschen eindringt, trifft die Vor-
aussetzungen und den Wortlaut der Thora und die Autorität des Mose
selbst" 32 . Eine traditionskritische Untersuchung kann nachweisen, daß die
mk Komposition Vorstufen hatte, in denen zumal der Erzählerkommen-
tar V. 19b (καθαρίζων πάντα τά βρώματα) noch nicht auftauchte. Vor-
stellbar ist, daß eine ursprünglichere Tradition über eine Stellungnahme
Jesu zu halachischen Problemen, speziell zur Frage des Händewaschens
vor dem Essen zur Herstellung ritueller Reinheit, von Mk ausgeweitet
wurde zu einer grundsätzlichen Stellungnahme Jesu zur Speisenfrage ins-
gesamt. Damit ist der Tora an einem wichtigen Punkt direkt widerspro-
chen. Zugleich sind damit, ohne daß dies terminologisch ausgedrückt
werden müßte, rituelle Bestimmungen, welche die Unterscheidung von
Rein und Unrein propagieren, gegenüber ethischen Mahnungen abge-
wertet. Von hier aus hätte der Weg zu einer totalen Ablehnung der Tora
offen gestanden. Sie ist aber bei Mk nicht vollzogen, es wird jedoch eine
deutliche Unterscheidung zwischen verschiedenen Gruppen von Tora-
geboten getroffen.
Für das Bild, welches der erste Evangelist von der Beziehung Jesu zur
Tora zeichnet, sind zunächst markante Veränderungen von Bedeutung,
welche er an von Mk und Q übernommenen Texten vornimmt. Hier seien
nur die auffälligsten erwähnt.
In der Perikope über Rein oder Unrein wird das Problem durch Mt
15,20 deutlich auf das Händewaschen beschränkt; die generalisierende
Bemerkung Mk 7,19 wird bei Mt ausgelassen. Die Zufügungen, die Mt zur
Szene vom Ahrenausraufen am Sabbat vornimmt, sowohl als Erzähler-
bemerkung wie die erzählten Worte Jesu, laufen darauf hinaus, für das
Verhalten Jesu eine festere Grundlage in der Tora zu finden: Einerseits
wird in 12,1 gesagt, die Jünger hätten Hunger gehabt - der Bruch des
Sabbats geschieht also aus existentieller Not heraus. Und zum anderen
verweist nach V. 5 Jesus auf das Verhalten der Priester, die im Tempel
durch den Vollzug des Opfers den Sabbat entheiligen. In die Heilungs-
geschichte von der verdorrten Hand wird das Q-Wort Lk 14,5 integriert,
das für die allgemeine Akzeptanz des sabbatlichen Verhaltens Jesu zielt,
ohne besondere Autorität zu beanspruchen, d. h. ohne eine Christologie
zu implizieren. Und in das Q-Wort über die Ehescheidung wird die soge-
nannte Unzuchtsklausel eingefügt, welche die Scheidung in einem beson-
deren Fall doch ermöglicht und so die Weisung Jesu näher an die Tora-
Bestimmungen heranrückt.
32 KÄSEMANN, P r o b l e m , 2 0 7 .
Für das matthäische Jesus-Bild sind sodann die Antithesen der Berg-
predigt von besonderer Wichtigkeit. In ihnen wird ein Wort der Tora,
versehen mit der Einleitung „ihr habt gehört, daß gesagt ist" oder „ihr
habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist" wörtlich zitiert33. Entgegenge-
stellt wird dann jeweils eine Aussage Jesu, eingeleitet durch die Wendung
„ich aber sage euch". Wort der Tora und Wort Jesu treten antithetisch
auseinander. Deutet so die Struktur der Abschnitte auf eine Entgegenset-
zung von Torawort und Jesuswort, sieht es also so aus, als hebe das Wort
Jesu die jeweilige Torabestimmung auf, so ist doch genauer nach dem
Verhältnis der jeweils antithetischen Teile zu fragen. Dabei wird deutlich,
daß in der ersten, zweiten und vierten Antithese, den primären Antithe-
sen, die zum mt Sondergut gehören, kein aufhebender Gegensatz zwi-
schen Tora und Weisung Jesu formuliert wird. So erfährt das Tötungsver-
bot in der ersten Antithese gleichsam eine Intensivierung und Vertiefung
dadurch, daß einerseits schon der Zorn gegenüber dem Mitbruder, nicht
erst das Töten, als des Gerichtes schuldig bezeichnet wird, andererseits
die Weisung zur Versöhnung mit dem Bruder vor dem Opfergang gege-
ben wird. Das Ehebruchsverbot des Dekalogs wird vertieft durch den Be-
zug auf das Begehren der anderen Frau, das Verbot des falschen Eides
wird radikalisiert zum Verbot des Eides überhaupt. In diesen Fällen kann
von einer Radikalisierung und Verinnerlichung der zitierten Torabestim-
mungen gesprochen werden34. Im Falle der dritten, fünften und sechsten
Antithese, die im inhaltlichen Kern, wenn auch nicht der antithetischen
Form nach, aus Q stammen, wird daraus jedoch ein direkter Widerspruch:
Die Torabestimmungen zum Scheidebrief werden abgelehnt, die Talio
wird völlig verworfen, das Gebot der Nächstenliebe und des Feindeshas-
ses wird durch das Gebot der Feindesliebe nicht nur überholt, sondern
der Text formuliert hier ganz bewußt einen direkten Widerspruch. Ob Je-
sus insgesamt in der Bergpredigt oder gar im ganzen Mt als Antitypos zu
Mose gezeichnet ist, kann hier offenbleiben. Deutlich ist jedenfalls, daß
die Antithesen der Bergpredigt Jesus als Proklamator des Gotteswillens
teilweise in Radikalisierung und Verinnerlichung, teilweise im direkten
Widerspruch zur Tora charakterisieren. Jesus, der Sohn Davids (Mt 1,1)
der Hirte Israels (2,6), der Sohn Gottes (3,17), tritt in Souveränität und
eigener Vollmacht (7,29) der Tora gegenüber. Einen Widerspruch zwi-
schen der ersten und der zweiten Gruppe der Antithesen, zwischen Tora-
33 N u r im Falle von Mt 5,33 ist eine Identifizierung mit einem tatsächlich existierenden
Wort aus dem Pentateuch nicht möglich. Es war jedoch die Uberzeugung des helleni-
stischen Judentums, daß das Eidverbot Bestandteil der Tora war; vgl. BETZ, Sermon,
263-265.
34 In dieselbe Richtung weist die Rede von den βαρύτερα τοϋ νόμου in Mt 23,23.
Über die Tora hinausgehend und auf die ganze, zwei- oder dreigeteilte
Schrift bezogen sind schließlich die Aussagen in Lk 24,44 und Apg 28,23:
Die Schrift, darin auch die Tora, kündigte Jesus an, ist also insgesamt pro-
phetisch verstanden.
Charakteristisch für das Bild, das Joh vom Verhältnis Jesu zur Tora
zeichnet, ist, daß im Munde Jesu stets von „eurem" bzw. „ihrem Gesetz"
die Rede ist, gemeint ist das Gesetz der Juden, das, so Joh 1,17 und 8,5,
von Mose gegeben wurde. Dabei nimmt Jesus das Zeugnis des Gesetzes
durchweg positiv in Anspruch. In 8,17 beruft er sich auf die in der Tora
festgelegte Anzahl von Zeugen, um von der Wahrheit seines Zeugnisses
zu überzeugen. In 10,34 versucht Jesus seine Selbstbezeichnung als Got-
tessohn aus dem Gesetz bzw. der Schrift zu begründen; tatsächlich zitiert
er Ps 82,6. In 15,25 schließlich wird das Zeugnis des Gesetzes gegen den
Haß der Welt angerufen; das Zeugnis des Gesetzes wird als erfüllt ange-
sehen. Wiederum wird aus den Psalmen zitiert. Der Begriff des νόμος ist
hier offenbar auf die ganze heilige Schrift ausgeweitet. Die aus der synop-
tischen Tradition bekannten halachischen Fragen spielen nur in Joh 5,9ff.
eine Rolle; hier geht es um eine Heilung am Sabbat. Allerdings wird kein
ausdrückliches Wort Jesu zur Sabbatnorm überliefert. Allein sein Han-
deln spricht, stellt die überlieferte Norm in Frage und bringt ihm die Kri-
tik „der Juden", wie Joh pauschal sagt, ein. Explizit wird in diesem
Zusammenhang der νόμος aber nicht erwähnt. In 13,34; 14,15.21 und
15,10.12 begegnet sodann die Rede von der neuen έντολή oder den
έντολαί Jesu, die material gefüllt ist durch das Liebesgebot. Ohne daß das
Verhältnis von Gesetz und neuem Gebot in Joh ausdrücklich erörtert
würde, kann man feststellen, daß mit diesem neuen Gebot eine neue ethi-
sche Richtschnur gegeben ist, die zwar der Tora inhaltlich nicht wider-
spricht, sie aber als explizite Norm ablöst. Die Liebe ist nicht mehr wie in
der synoptischen Tradition und bei Paulus die Erfüllung der Tora. Die
Tora ist (nur noch) die Tora der Juden, das (neue) Gebot gilt den Anhän-
gern und Freunden Jesu. Die Rede von Jesus als neuem Gesetzgeber ist
hier bereits deutlich zu greifen.
III.
anderem auch zu einer neuen Wahrnehmung der Tora und ihrer positiven
Bedeutung beigetragen, sowohl im Judentum des Zweiten Tempels 37 als
auch im entstehenden Christentum. Gerade die protestantische Exegese
und Theologie mußte in diesem Zusammenhang lernen, die Diskurskon-
stellationen des ersten Jahrhunderts n. Chr. unabhängig von späteren, et-
wa durch die Reformation geprägten theologischen Weichenstellungen
und auch Vorurteilen wahrzunehmen. Anders als in früheren Generatio-
nen wurde es so möglich, positive frühchristliche Aussagen über das Ge-
setz bewußt aufzunehmen und in das Bild frühchristlicher Theologie zu
integrieren. In der Konsequenz wurde eine differenzierte Beschreibung
des Verhältnisses jüdischer und christlicher Theologien notwendig, und
ebenso ein neue Reflexion auf die offenbarungstheologische und ethische
Bedeutsamkeit des Gesetzes.
In diesem Horizont war nach dem Verhältnis des irdischen Jesus zur
Tora bzw. zum νόμος zu fragen, das sich verschiedenen frühchristlichen
Autoren ergab. Einer generellen Ablehnung des Nomos durch Jesus
begegneten wir dabei nirgends. Allerdings werden schon in den ältesten
erhaltenen Quellen Aussagen Jesu überliefert, die einzelnen wichtigen
Regelungen der Tora sachlich direkt widersprechen. Daß Jesus dabei nir-
gends Äußerungen zugeschrieben werden, die sich mit Tora-Bestimmun-
gen für den Tempelkult auseinandersetzen, bleibt ein auffälliger Befund.
Gestreift werden Probleme der Kultpraxis allenfalls in Mk 7,11. Indirekt
normative Funktion hat der Kult in Mt 12,5. Der Anspruch Jesu, abgese-
hen vom Wortlaut der Tora den Gotteswillen zum Ausdruck zu bringen,
wird so abgebildet. Im Mk-Evangelium scheint Jesus anläßlich der Frage
reiner und unreiner Speisen nicht mehr weit von einer grundsätzlichen
Abrogation der Tora entfernt zu sein, doch wird dieser Zug des Bildes Je-
su bei Mt und Lk nicht weiterentwickelt. Daß Jesus der Tora Israels in
Souveränität gegenübertritt, ist schon bei Mk ausgesagt und wird in späte-
ren Quellen weiter überliefert. Dabei bewirkt die Rede von den Geboten
(so Mt) bzw. dem neuen Gebot, das Jesus gibt (Joh), eine zunehmende
Distanzierung von der Tora als Offenbarungsautorität, wenn auch durch
das Liebesgebot materialiter eine Verbindung zwischen Ethik der Tora
und Ethik Jesu gewahrt bleibt. Wenn Jesus zunehmend deutlicher als neu-
er Gesetzgeber gemalt wird, so wird damit zunehmend die Offenbarungs-
37 Wieweit die Tora das organisierende Prinzip des Judentums bzw. der Judentümer der
Zeit war, ist bekanntlich umstritten. Mit den Stichworten „Land", „Tempel" und
„Bund" sind andere Konkretionen und theologische Konzepte benannt, deren Stellen-
wert für das Judentum des Zweiten Tempels wie auch im Jesus-Bild der ersten Chri-
sten vergleichend zu untersuchen wäre. Die Frage nach Jesu Verhältnis zum Judentum
kann also nicht allein anhand seines Tora-Verständnisses geklärt werden.
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MICHAEL WOLTER
Auch für die Frage nach dem historischen Jesus gilt, was HANS-JÜRGEN
GOERTZ von der Geschichtswissenschaft im allgemeinen gesagt hat: Sie
„hat keinen Gegenstand, sondern nur Probleme" 1 . In bezug auf die Ge-
schichtswissenschaft hat diese Feststellung ihren Grund darin, daß wir zu
den sog. historischen Tatsachen keinen unmittelbaren Zugang haben,
sondern immer nur einen solchen, der durch unsere eigene, vorauslaufen-
de Konstruktion von Zusammenhängen und Bedeutungen vermittelt ist.
Für unsere Rückfrage nach dem historischen Jesus verschärft sich dieses
Problem noch einmal dadurch, daß der Zugang zum Gegenstand unserer
Untersuchung durch Quellen - die Evangelien - vermittelt ist, die eben-
falls nichts anderes sind als Konstruktionen von geschichtlicher Wirklich-
keit. U n d dementsprechend hat auch der geschichtstheoretische Diskurs
der letzten Jahre mit Recht herausgestellt, daß es keine Geschichtsschrei-
bung ohne Fiktion gibt und daß jede Rekonstruktion vergangener Ereig-
nisse immer auch Konstruktion ist. 2
Verantwortlich für diesen Sachverhalt sind unter anderem die wissen-
schaftssprachlichen Begriffe, mit deren Hilfe wir unsere Quellen inter-
pretieren. Diese Begriffe stellen bereits eine vorweggenommene Inter-
pretation dar, denn die semantische Bestimmtheit, die ihrer Verwendung
als analytische Kategorien zugrundeliegt, fungiert gewissermaßen als Fil-
ter, und zwar sowohl für unsere Wahrnehmung als auch für die Darstel-
lung des Textbefundes. Die Begriffe erhalten ihre Bedeutung im Wege der
Zuschreibung, und dieser Vorgang determiniert darum auch ihre Ord-
nungsfunktion: Sie geben die Kriterien vor, mit deren Hilfe Gemeinsam-
keiten und Unterschiede festgestellt werden. Sie stellen Zusammenhänge
her und ziehen dabei gleichzeitig Grenzen. Mit der Wahl der Kategorien,
die wir für die Interpretation verwenden, und mit der Bedeutung, die wir
ihnen zuschreiben, schaffen wir Sinnstrukturen, die unserer Wahrneh-
mung und Beschreibung der sogenannten Fakten immer schon voraus-
gehen. Daraus folgt, daß Begriffe Wirklichkeit nicht abbilden, sondern sie
allererst herstellen, denn als sprachliche Zeichen haben sie keine andere
Funktion, als jenen aus Bedeutungen zusammengesetzten Sinnzusam-
menhang zu konstruieren, den wir „Wirklichkeit" zu nennen gewohnt
sind.
Selbstverständlich ist auch der historische Jesus, wie er in der wissen-
schaftlichen Jesusforschung dargestellt wird, nichts anderes als eine solche
Konstruktion. Ihr Sinngefüge ist durch ein Inventar von interpretations-
sprachlichen Kategorien strukturiert, zu denen auch das Begriffspaar „Ge-
richt und Heil" bzw. „Heil und Gericht" gehört.3 Die unausgesprochen
vorausgesetzte Bedeutungszuschreibung, auf der seine wissenschaftliche
Verwendung in diesem Zusammenhang basiert, besteht darin, daß dieses
Begriffspaar als antithetischer Dualismus verstanden wird. Diese semanti-
sche Binnenstruktur fungiert als Parameter, mit dessen Hilfe das Profil
der eschatologischen Verkündigung Jesu beschrieben wird.4 Darüber hin-
aus geht mit der Verwendung dieses Begriffspaares als analytische Katego-
rie einher, daß sich mit ihm eine bestimmte Annahme in bezug auf seinen
pragmatischen Gebrauch verbindet.
Im folgenden sollen zunächst der Gebrauch des Gegenübers von
„Gericht" und „Heil" innerhalb der Jesusforschung und der ihm zugrun-
deliegenden semantischen und pragmatischen Voraussetzungen proble-
matisiert werden. Im Anschluß daran soll ein Weg skizziert werden, der
vielleicht zu einem differenzierteren Verständnis der jesuanischen Ge-
richtsaussagen hinführen kann.
3 Vgl. bereits WEISS, Predigt, 113. - Dies hält sich bis in die neueren Jesusbücher hinein
durch; vgl. z. B. BORNKAMM, Jesus von Nazareth, 85; GNILKA, Jesus von Nazaret,
157; BECKER, Jesus von Nazaret, 59; THEISSEN/MERZ, Der historische Jesus, 241ff.;
HOPPE, J e s u s , 35.
4 In diesem Sinne kann J. WEISS das Gegenüber von „Gericht" und „Heil" durch die
semantische Antithese von „Gericht und Reichserrichtung" ersetzen (Predigt, '1892,
36 = 2 1900, 112); „Heil" und „Reich Gottes" gehören zusammen (ebd., '1892, 39 =
2 1900, 115), während „das Gericht [ . . . ] hauptsächlich in dem Ausschluss aus dem
Reiche Gottes [besteht]" (ebd., 2 1900, 112; in der 1. Aufl. 1892 hieß es an dieser Stelle
noch: „der empfindlichste Teil der Strafe ist der Ausschluss aus dem Reiche Gottes"
[37])·
I. Hinführung
Der Weg zum historischen Jesus führt über Johannes den Täufer. Die
meisten neueren Jesusbücher stellen ihrer Darstellung des Auftretens und
der Verkündigung Jesu darum auch eine Darstellung des Auftretens und
der Verkündigung Johannes des Täufers voran. Dies hat seinen guten
Grund darin, daß die Taufe Jesu durch Johannes (Mk 1,9) als das chro-
nologisch erste der in den Jesusgeschichten der Evangelien berichteten
Ereignisse gelten kann, deren Historizität außer Frage steht. Daraus läßt
sich erschließen, daß Jesus zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens
die prophetische Verkündigung des Täufers kennengelernt hat5, daß er
sich von ihrem Inhalt überzeugen ließ und daß er wie andere Juden auch
sich nach Ablegung eines Sündenbekenntnisses 6 dem als „Taufe der
Umkehr zur Vergebung der Sünden" (βάπτισμα μετανοίας εις αφεσιν
αμαρτιών, Mk 1,4 par. Lk 3,3) gedeuteten Tauchritus im Jordan unter-
zogen hat.
Ebenso können wir aufgrund der Berichte in den Evangelien aber auch
mit einiger Sicherheit sagen, daß Jesus einige Zeit danach eigene Wege zu
gehen begann, die sich von denen seines Täufers deutlich unterschieden:
Jesus wirkte anders als Johannes nicht in der „Wüste" (Mk 1,4 parr.), d. h.
in unbewohnten Gebieten, sondern im galiläischen Kulturland, also dort,
wo die Menschen lebten, und er zog dann nach Jerusalem. Er teilte nicht
die Nahrungsaskese des Johannes (vgl. Mk 1,6b par. Mt 3,4b; Lk 7,33f.
par. Mt ll,18f.; s. auch Mk 2,18 parr.), und er übernahm auch nicht den
Kleidungscode des Täufers (vgl. Mk 1,6a par. Mt 3,4a). Anders als Johan-
nes trat Jesus den Menschen als charismatischer Heiler und Exorzist ge-
genüber, als Weisheits- und Gesetzeslehrer, als Erzähler von Gleichnissen
über die Landwirtschaft, über Gott und über die Menschen, und er fiel
vor allem auch dadurch auf, daß er geradezu programmatisch Gemein-
schaft mit religiös und sozial Marginalisierten praktizierte (vgl. Mt 11,19b
par. Lk 7,34b: τελωνών φίλος και άμαρτωλών).
Nicht so eindeutig zu beantworten ist demgegenüber die Frage nach
dem Verhältnis der Verkündigung Jesu zu derjenigen des Täufers. Die
Hauptverantwortung für diese Schwierigkeit trägt in erster Linie natürlich
die Quellenlage mit den bekannten methodischen Problemen und Apo-
rien der historischen Rückfrage. Hinzu kommt dabei noch, daß uns die
Evangelien über den Täufer sehr viel weniger erzählen als über Jesus.
Wenn wir nun davon ausgehen - und es gibt gute Gründe, dies zu tun - ,
daß Worte und Taten bei Johannes wie bei Jesus jeweils ein in sich kohä-
rentes Sinngefüge bildeten, müssen wir auch nach der theologischen
Grundorientierung fragen, die den oben beschriebenen Differenzen zwi-
schen den beiden ihren Richtungssinn gegeben hat. Etwas konkreter for-
muliert: Gibt es so etwas wie eine Basisdifferenz zwischen Johannes und
Jesus, die allen anderen Unterschieden vorausgeht und zu der sich alle an-
deren Unterschiede wie Ableitungen verhalten? Es liegt auf der Hand,
daß aus den eingangs beschriebenen Gründen die entscheidende Weichen-
stellung für die Beantwortung dieser Frage in der Wahl der Kategorie
liegt, an deren Semantik sich die Beantwortung dieser Fragen orientiert.
Und genau an dieser Stelle kommt wieder das Gegenüber von „Gericht"
und „Heil" ins Spiel, denn ein Blick in die einschlägige Literatur läßt so-
fort erkennen, daß es eben dieses Begriffspaar ist, dem die Funktion des
Paradigmas zugeschrieben wird, das der Darstellung des Unterschieds
zwischen Johannes und Jesus zugrundegelegt wird.7
Wir können dieser Frage freilich nicht nachgehen, ohne dabei in Rech-
nung zu stellen, daß es keine Diskontinuität ohne Kontinuität gibt. Wir
können also nicht Differenzen trennscharf beschreiben, ohne daß wir
auch nach Gemeinsamkeiten fragen. In bezug auf das Verhältnis von Jo-
hannes und Jesus ergibt sich die Nötigung dazu vor allem natürlich dar-
aus, daß davon auszugehen ist, daß Jesus mindestens bis zum Beginn sei-
nes eigenen öffentlichen Auftretens das Wirklichkeitsverständnis des
Täufers geteilt hat, denn sonst hätte er sich nicht der von Johannes pro-
pagierten Umkehrtaufe unterzogen. Hinzu kommt aber auch noch ein
weiterer Aspekt: Weil Johannes und Jesus ihre Sozialisation in ein und
demselben kulturellen Kontext erfahren haben, können wir bei beiden
auch ein über weite Strecken gemeinsames kulturelles Grundwissen bzw.
eine gemeinsame „enzyklopädische Kompetenz"8 voraussetzen. Ohne de-
ren Berücksichtigung können wir weder den einen noch den anderen ver-
stehen, und darum ist auch die Beschreibung des beiden gemeinsamen
kulturellen Wissens unerläßlich, wenn wir die Unterschiede zwischen ih-
nen darstellen wollen.
In der Jesus-Literatur des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts hat sich in
bezug auf die Frage nach dem Verhältnis von „Gericht" und „Heil" bei Je-
sus insofern eine Veränderung vollzogen, als zunehmend auch der „Ge-
richtsprediger" Jesus entdeckt und theologisch ernst genommen wird.
Eindrucksvoller Beleg dafür ist das Erscheinen von gleich drei deutsch-
sprachigen Monographien zur Gerichtsverkündigung Jesu in den 90er
Jahren des 20. Jahrhunderts 9 , nachdem dieses Thema jahrzehntelang nur
am Rande Beachtung gefunden hatte. Auch in den Jesusbüchern wird in
den letzten Jahren zunehmend dazu übergegangen, die „Gerichtsaus-
sagen", die „Gerichtspredigt" oder die „Gerichtsverkündigung" Jesu in
einem eigenen Kapitel zu behandeln, das der Darstellung von Jesu
„Heilspredigt" 10 vorangestellt wird.11 Damit stellt sich sofort aber auch die
Frage nach dem Verhältnis der Verkündigung Jesu zu derjenigen des
Täufers in neuer Weise: Insofern es nämlich gerade die Ankündigung des
unmittelbar bevorstehenden Gerichts war, die als Zentrum der Botschaft
des Täufers galt, mußte von der neugewonnenen Einsicht in das Gewicht
der Gerichtsaussagen innerhalb der Verkündigung Jesu das Erfordernis
einer präziseren Beschreibung des Verhältnisses von Kontinuität und
Diskontinuität zwischen beiden ausgehen. - Ein Blick in die Literatur zu
unserem Thema zeigt nun, daß diesem Erfordernis durchaus Rechnung
getragen wird. Gleichzeitig ist aber auch nicht zu übersehen, daß die Be-
schreibung der Gemeinsamkeiten sehr viel deutlicher und konsenshafter
greifbar ist als die Beschreibung der Differenzen.
" Vgl. z. B. MERKLEIN, Botschaft, 33ff.; BECKER, Jesus von Nazaret, 58ff.; THEISSEN/
MERZ, Jesus, 241ff.; anders GNILKA, Jesus von Nazaret.
12 MERKLEIN, Botschaft, 34; s. auch BECKER, Jesus von Nazaret, 61; THEISSEN/MERZ,
Jesus, 245.
13 BECKER, Jesus von Nazaret, 64.
14 BECKER, ebd., 9 2 .
15 MERKLEIN, Botschaft, 3 5 .
16 REISER, Gerichtspredigt, 3 0 4 ; vgl. auch BECKER, Jesus von Nazaret, 70ff.; WOLF, Ge-
richt, 49.
17 Vgl. REISER, Gerichtspredigt, 304f.; BECKER, Jesus von N a z a r e t , 61; THEISSEN/MERZ,
Jesus, 2 4 3 .
18 MERKLEIN, Umkehrpredigt, 118; vgl. auch REISER, Gerichtspredigt, 3 0 5 ; BECKER, J e -
sus von Nazaret, 63; THEISSEN/MERZ, Jesus, 2 4 3 .
19 HOPPE, Jesus, 3 5 (Hervorhebungen im Original).
20 BECKER, Johannes der Täufer, 8 5 . 1 0 0 .
21 ZAGER, Gottesherrschaft, 3 1 6 .
22 BECKER, Johannes der Täufer, 100; vgl. auch WOLF, Gericht, 49.
was auf der anderen Seite ist, und machen auch keinen Hehl daraus"35.
Dementsprechend werde die geforderte Umkehr bei Johannes „allein
durch die Furcht vor dem Gericht motiviert", während „Jesus zuerst die
Hoffnung auf das endgültige Heil [weckt] ". 34
37 So in der Tat expressis verbis REISER, Gerichtspredigt, 306 (s. o. bei Anm. 34).
38 Siehe oben bei Anm. 31 und 32.
39 Siehe oben bei Anm. 33 und 34.
40 Vgl. auch BECKER, Johannes der Täufer, 89: „Die Umkehr wird hier nicht motiviert
durch das neu verkündigte Heil, sondern durch das unmittelbar drohende Gericht".
41 MERKLEIN, Gericht und Heil.
„Und nun sage ich euch Menschenkindern: όργή μεγάλη gegen euch und eure
Söhne! Dieser Zorn wird nicht von euch ablassen bis zur Zeit der Niedermetze-
lung eurer Kinder. Und verderben werden die von euch Geliebten und sterben die
von euch Geehrten aus jedem Land [...], denn es gibt für sie von jetzt an keinen
Fluchtweg wegen der όργή, ήν ώργίσθη ΰμΐν der König der Ewigkeiten. Denkt
nicht, daß ihr diesem (ταΰτα) entfliehen werdet."
47 Vgl. zum Folgenden vor allem K. M Ü L L E R , Gott als Richter, 38ff. - E. BRANDENBUR-
GER (Gerichtskonzeptionen, 306ff.), der als erster den Versuch einer Unterscheidung
zwischen „Grundtypen und Funktionen von Gerichtskonzeptionen" (ebd., 306)
machte, meinte vier Gerichtstypen voneinander unterscheiden zu können: „das Erlö-
sungs- oder Heilsgericht", „das Vernichtungsgericht", „das Rechtsverfahren vor dem
Richterthron" und „das universale Weltgericht". Demgegenüber hat M Ü L L E R (Gott
als Richter, 40f.) mit Recht darauf hingewiesen, daß das „Erlösungs- oder Heils-
gericht" kein eigener Gerichtstyp ist, sondern als ein integraler Bestandteil des sog.
„Vernichtungsgerichts" gelten kann. Ebensowenig ist auch das „universale Welt-
gericht" ein eigener Gerichtstyp: Mt 25,31-46 ζ. B., wo BRANDENBURGER diesen
Gerichtstyp beschrieben sieht (Gerichtskonzeptionen, 314), schildert in geradezu
idealtypischer Weise ein forensisches Verfahren vor dem Thron des Richters. B R A N -
DENBURGER kommt zu seinem Katalog, weil er inkommensurable Paradigmen mitein-
ander verquickt. Wenn man methodisch konsequent ausschließlich nach dem Gesche-
hensablauf fragt, in dem die Texte Gottes eschatisches Gerichtshandeln Gestalt
gewinnen sehen, lassen sich lediglich zwei Gerichtstypen unterscheiden.
48 Siehe auch K. MÜLLER, Gott als Richter, 33.
49 Text bei BLACK, Apocalypsis Henochi Graece, 37.
rieht beschreiben, sehnen sich nach diesem Gericht, weil es ihnen nichts
als Rettung und Befreiung von Unterdrückung und Verfolgung bringt.
Wichtig ist noch: Dieses Vernichtungshandeln Gottes ist integraler Be-
standteil der Erwartung der universalen Durchsetzung von Gottes Kö-
nigsherrschaft, die zu einer heilvollen Restitution seiner SchöpfungsOrd-
nung führen wird. Konstitutiv für beides ist vor allem das Element der
Theophanie.
2.2. Das forensisch ausgerichtete Verfahren vor dem Thron des Richters, wie
es z. B. in äthHen 62 geschildert wird: Dieses Verfahren dient jedoch
weder der Urteilsfindung noch hat es einen offenen Ausgang. Sein Zweck
ist vielmehr ausschließlich die Zuweisung von Heil und Unheil, deren
Verteilung schon vorher feststeht.50 Auch dieser Gerichtstyp ist gruppen-
orientiert: Entweder müssen nur die Sünder vor ihm erscheinen, damit
sie ihre Verurteilung, d. h. die Zuweisung von eschatischem Unheil,
entgegennehmen, oder - wenn denn auch die Gerechten vor dem Thron
des Richters auftreten - , dann tun sie dies ebenfalls nur als Gruppe und
ausschließlich zu dem Zweck, das eschatische Heil zugesprochen zu be-
kommen.
50 Vgl. auch REISER, Gerichtspredigt, 147: „Niemals hat das Gericht den Charakter einer
Untersuchung, um Sünder und Gerechte zu bestimmen; ihre Sonderung ist immer
schon vorausgesetzt.
51 So z. B. GNILKA, Jesus von Nazaret, 157; THEISSEN/MERZ, Jesus, 2 4 1 ; ZAGER, G o t -
tesherrschaft, 105.
Gottes. 52 Das Gericht ist darum auch nicht lediglich die „Voraussetzung"
des Heils oder ein „notwendiger Schritt auf dem Weg zum Heil" 53 , son-
dern es ist der Vorgang, mit dem Gott seine heilvolle Schöpfungsordnung
eschatisch aufrichtet und sie gegen alles ihr Entgegenstehende durchsetzt:
Gottes GmcAishandeln ist Hez/shandeln.
4. Übertragen wir diese Ergebnisse nun auf Johannes und Jesus, kann
man sagen, daß Johannes offenbar mit dem erstgenannten Gerichtstyp,
d. h. mit dem sog. „Vernichtungsgericht" rechnete, obwohl angesichts
der Kargheit der Textüberlieferung (als Quellen stehen ja lediglich Lk
3,7-9.16-17 par. Mt 3,7-12 zur Verfügung) gegenüber vorschnellen Ur-
teilen Vorsicht geboten sein sollte. Gleichwohl darf man aber wohl die
Rede von der μέλλουσα οργή (Lk 3,7 par. Mt 3,7) und den Rückgriff auf
die Feuer-Metapher (Lk 3,9.16.17 par. Mt 3,10.11.12) als zuverlässige In-
dizien dafür nehmen, daß bei Johannes dieser Gerichtstyp zumindest im
Vordergrund stand.54 Für Jesus sind demgegenüber beide Gerichtstypen
belegt: Lk 13,1-5 und 17,26-30 scheinen die Erwartung eines Vernich-
tungsgerichts vorauszusetzen, während ζ. B. in Lk l l , 3 1 f . par. Mt 12,41f.
eindeutig die Situation eines forensischen Gerichts vor dem Thron des
Richters vor Augen steht.
Diese Differenz - wenn es sie denn überhaupt gegeben haben sollte -
ist jedoch nur von nachgeordneter Bedeutung, denn in bezug auf den pro-
positionalen Gehalt der Gerichtserwartungen von Johannes und Jesus läßt
sich kein Unterschied ausmachen. Beide stehen in ungebrochener Konti-
nuität zum gerichtseschatologischen Grundwissen ihres kulturellen Kon-
textes, und diese Ubereinstimmung reicht völlig aus, um das Profil ihrer
beider Gerichtserwartungen zu beschreiben: Gott wird in Kürze mit Hilfe
eines endgültigen Gerichtshandelns seine universale Heilsordnung auf
Erden durchsetzen. Dieses Gericht hat keinen offenen Ausgang, sondern
es wird eine Zuweisung von Heil und Unheil vornehmen, über deren
Verteilung bereits in der Gegenwart entschieden wird. Kriterium für diese
Verteilung - und auch in dieser Hinsicht gibt es zwischen dem Täufer und
Jesus keinen Unterschied in der Geüchtskonzeption - ist die Reaktion auf
die jeweilige Verkündigung: Wer sie annimmt, wird auf der Heilsseite zu
stehen kommen, wer das nicht tut, auf der Unheilsseite. 55
Wenn wir Jesus und Johannes von ihrem kulturellen Kontext und dem
in ihm in Geltung stehenden überindividuellen gerichtseschatologischen
Grundwissen her in den Blick nehmen, erweist es sich darum als viel zu
oberflächlich geurteilt, wenn ihrer beider Ankündigungen des andringen-
den Gerichts Gottes - sei es nun in Gestalt eines Vernichtungsgerichts
oder in Gestalt eines forensischen Verfahrens - schon als solche einfach-
e n mit der Ankündigung von Unheil gleichgesetzt werden. Aus diesem
Grunde fällt auch die undifferenzierte Rede vom „dunklen Gerichtspredi-
gerjesus" 5 ' hinter die in den letzten Jahren neu gewonnene Einsicht in die
Einbettung Jesu in das Judentum seiner Zeit57 zurück, denn sie verdankt
sich eher den überkommenen christlichen Sprachgewohnheiten als einer
traditionsgeschichtlich differenzierten Wahrnehmung frühjüdischer Ge-
richtserwartungen.
Damit ist freilich noch nicht alles gesagt, denn in der vorstehenden Dar-
stellung haben wir lediglich eine systematisierende Außenperspektive be-
zogen und das gemeinsame gerichtseschatologische Grundwissen Johan-
nes des Täufers und Jesu gewissermaßen ausschließlich sub specie Dei in
den Blick genommen. Die Nötigung zu einer Differenzierung ergibt sich,
wenn wir ihre Gerichtsaussagen vor dem Hintergrund ihrer jüdischen
Umwelt sub specie hominum in den Blick nehmen. Dies findet seine leicht
nachvollziehbare Begründung darin, daß mit Gottes weltordnendem Ge-
richtshandeln für die von ihm betroffenen Menschen ein unterschiedliches
Geschick einhergeht: Den einen wird Heil und Rettung zugewiesen, den
anderen - und auch dies ist Bestandteil von Gottes eschatischem Heils-
handeln - Vernichtung und Unheil. Sub specie hominum ist darum ent-
scheidend, wer auf welcher Seite zu stehen kommt.
Darüber hinaus ergibt sich diese Nötigung aber auch daraus, daß wir
bisher lediglich nach dem für Johannes und Jesus vorauszusetzenden
gerichtseschatologischen Grundwissen gefragt haben. Dabei ist unberück-
sichtigt geblieben, daß die sprachliche Realisierung solchen Wissens im-
mer auch ein Kommunikationsgeschehen ist und daß überindividuelle
GerichtsVorstellungen und die situationsbezogene aktuelle Rede von ihnen
voneinander zu unterscheiden sind. Das soll nun nachgeholt werden.
Die Gericht saus sagen bei Johannes und Jesus werden in der Regel immer
nur auf ihren propositionalen Gehalt hin befragt. Dies hat seinen Grund
darin, daß sie immer nur als an die Öffentlichkeit gerichtete Mitteilungen
eschatologischer Erwartungen interpretiert werden. Die Einordnung in
diesen Kontext hat zur Folge, daß die Gerichtsaussagen als Bestandteile
einer protreptischen Rhetorik aufgefaßt werden, deren Intention sich dar-
auf richtet, die jeweiligen Adressaten in ihrer Existenzorientierung zu
verunsichern und zu destabilisieren.58 Ein Indiz dafür ist die verbreitete
Rede von der „Gerichtspredigt", der „Gerichtsbotschaft" oder der „Ge-
richtsVerkündigung" Jesu und des Täufers.
Diese Wahrnehmung ist freilich noch zu oberflächlich, denn sie läßt
das pragmatische Potential, das dem Reden vom Gericht Gottes inne-
wohnen kann, weithin unbeachtet. Ansätze für eine Interpretation, die die
pragmatische Tiefenstruktur der Gerichtsaussagen demgegenüber sehr
viel sachgerechter zu Geltung bringt, finden sich bereits bei E. BRAN-
DENBURGER59: Er betont völlig zu Recht, daß für das Verständnis von
„Gerichtskonzeptionen" „entscheidend ist [ . . . ] , wie und wozu sie ange-
wendet werden und was [ . . . ] sie „im Rahmen jeweils unterschiedlicher,
theologisch anders wahrzunehmender typischer Situationen und Funk-
tionen prägt". 60 Dies führt ihn dann zu einer Unterscheidung zwischen
einem ,,prophetisch-eschatologische[n]" und einem „apokalyptische [n]
Gerichtsverständnis" 61 . Letzteres habe „die Funktion, die Religionsge-
meinschaft angesichts tiefer Krisenlagen zum Durchstehen der über-
kommenen Gottesverehrung zu stabilisieren".62 Demgegenüber seien die
prophetischen Gerichtskonzeptionen „von der Wahrnehmung verfehlten,
nichtigen Existierens [geleitet]"; in ihnen würden darum „Mensch und
Welt und deren konkreter Wandel vor Gott kritisch in Frage gestellt".63
In dem einen Fall hat die Rede vom Gericht demnach vergewissernde
Funktion, in dem anderen Fall dient sie der Verunsicherung. Auch wenn
5' Erkennbar wird dies an der durchgängigen Verknüpfung der Gerichtsaussagen Jesu
und des Täufers mit der Umkehrforderung. Im Blick sind damit auch diejenigen In-
terpretationen der jesuanischen Gerichtsankündigung, die „Gericht" als Unheilsfolge
der Ablehnung des Heils verstehen (s. oben bei Anm. 27-29): Ihnen wird eine Prag-
matik unterstellt, die auf die „Umkehr" von der Abweisung der Heilsverkündigung
Jesu abzielt; vgl. z. B. MERKLEIN, Umkehrpredigt, 122.
59 Gerichtskonzeptionen, 32Iff.
40 Ebd., 329.
61 Ebd., 321.
62 Ebd., 332.
63 Ebd.
der Bedrängnis dasein werden, damit alle Bösen und Frevler vertilgt wer-
den" vorangestellt wird (äthHen 1,1). 6 7
Die Übertragung dieser situationsbezogenen und pragmatischen Diffe-
renzierung der Gerichtsaussagen auf die Johannes- und die Jesusüberliefe-
rung stellt uns jedoch vor erhebliche, wenn nicht unüberwindbare Schwie-
rigkeiten. Dies hat seinen einfachen Grund darin, daß wir die synoptische
Wort-Uberlieferung nur in einem narrativen Aggregatzustand vorliegen
haben und wir darum in keinem einzigen Fall mit Sicherheit sagen kön-
nen, ob die in den Evangelien erzählten Adressaten und/oder H ö r e r der
Gerichtsworte Jesu und des Täufers mit den jeweiligen histonschen Adres-
saten und/oder H ö r e r n identisch sind. 68 F ü r eine Fragestellung, die die
pragmatische Funktion der Gerichtsaussagen von ihrer Adressatenorien-
tierung her ermitteln will, ist das einerseits natürlich fatal. Andererseits
nötigt uns diese Ungewißheit aber auch dazu, in jedem Einzelfall immer
auch eine Gegenprobe durchzuführen und danach zu fragen, ob auch eine
andere als die erzählte Adressatenorientierung möglich ist. Kann diese
67 Übers. UHLIG, Henochbuch, z. St.; in der griechischen Fassung lautet die Über-
schrift: λόγος ευλογίας Ένώχ, καθώς εύλόγησεν έκλεκτούς δικαίους οϊτινες
έσονται εις ήμέραν ανάγκης έξάραι πάντας τούς εχθρούς, και σωθήσονται
δίκαιοι.
68 Daß zwischen „Adressaten" und „Hörern" zu unterscheiden ist, wissen wir aus der
Rezeptionsforschung (vgl. ζ. B. LINK, Rezeptionsforschung, 16ff.): Unter „Adressa-
ten" verstehe ich hier diejenige produktionshermeneutische Größe, die der Autor ei-
nes Textes als intendierte Hörer oder Leser voraussetzt. Die Begriffe „Hörer" oder
„Leser" sollen im folgenden ausschließlich den sog. realen Hörern oder Lesern vorbe-
halten bleiben, d. h. solchen Menschen, die den Text tatsächlich hören bzw. lesen und
rezeptionshermeneutisch deuten, ob sie nun zu den „Adressaten" gehörten oder
nicht. Innerhalb der erzählten Welt wird eine solche Unterscheidung ζ. B. in Lk 16
vorgenommen: Als „Adressaten" des Gleichnisses vom klugen Verwalter und seiner
Deutung (V. 1 b—13) nennt Lukas die Jünger (V. la); als „Hörer" in dem beschriebe-
nen Sinne führt er dann auch die Pharisäer in die Erzählung ein (V. 14). Im Blick auf
die besprochene Welt wäre hier noch einmal zu unterscheiden zwischen den erzählten
Adressaten (d. h. den Jüngern), den intendierten Adressaten (d. h. denjenigen Chris-
ten, von denen Lukas sein Evangelium gelesen wissen wollte), den erzählten Hörem
(d. h. die Pharisäer) und den realen Lesern oder Hörern (d. h. denjenigen Menschen,
die die Jüngerunterweisung bis auf den heutigen Tag tatsächlich lesen oder hören);
zur Unterscheidung von „erzählter" und „besprochener" Welt vgl. WEINRICH, Tem-
pus. - Auf der historischen Ebene ist eine solche Unterscheidung im Einzelfall exege-
tisch natürlich unkontrollierbar; wir können lediglich postulieren, daß es möglich bis
wahrscheinlich ist, daß ζ. B. an die Öffentlichkeit .adressierte' Worte Jesu und des
Täufers auch von ihren jeweiligen Anhängern .gehört' wurden und daß diese das Ge-
hörte mit einer durchaus anderen pragmatischen Deutung versahen als die „Adressa-
ten". - Noch einmal eine andere Frage ist die Unterscheidung zwischen den fiktiven
und den intendierten Adressaten (s. dazu unten Abschnitt IV. 1.3).
Frage bejaht werden, muß sich daran sofort die Frage nach den Konse-
quenzen für die Pragmatik des jeweiligen Gerichtswortes anschließen.
Als Beispiel für die Leserlenkung, die die Quellen der synoptischen Uberlieferung mit
Hilfe der Adressatenorientierung vornehmen, lassen sich die unterschiedlichen Fassun-
gen der Beschreibung des Unterschieds zwischen Johannes dem Täufer und dem kom-
menden ισχυρότερος in M k 1,8 diff. Lk 3,16 par. Mt 3,11 anführen. Es gibt zwei Diffe-
renzen, auf die es in diesem Zusammenhang ankommt, weil sie miteinander
korrespondieren:
(a) Johannes spricht von seiner eigenen Tauftätigkeit bei Markus im Aorist (έγώ
έβάπτισα υμάς ϋδατι, 1,8a), während die bei Lukas und Matthäus überlieferte Q -
Fassung das Präsens verwendet (έγώ μέν υμάς βαπτίζω έν ΰδατι, Lk 3,16b par. Mt
3,11a) 6 '.
(b) Nach Mk 1,8b tauft „der Stärkere" nur „mit heiligem Geist" (έν πνεύματι άγίφ),
bei Lukas und Matthäus „mit heiligem Geist und Feuer" (έν πνεύματι άγίω και πυρί).
In der neueren Literatur wird der Aorist bei Markus einmütig als redaktionelle Ände-
rung erklärt, während umstritten ist, ob die Formulierung έν πνεύματι άγίω και (α) von
Matthäus und Lukas aus M k 1,8b in die Q-Fassung des Logions eingetragen wurde, die
dementsprechend nur davon gesprochen habe, daß der „Stärkere" έν πυρί taufen wird70,
ob (ß) die Verknüpfung von „(heiligem) Geist und Feuer" durch Q vorgenommen wur-
de, während Johannes selbst nur von der Feuertaufe gesprochen habe", oder ob (γ) be-
reits Johannes selbst angekündigt habe, daß „der Stärkere" „mit (heiligem) Geist und
Feuer" taufen wird 72 . 73
In der Diskussion keine Rolle spielt erstaunlicherweise die Frage nach den Adressa-
ten dieses Wortes: Auf wen verweist das Pronomen ΰμάς in Mk l,8a.b und in Q 3,16b.e
innerhalb des jeweiligen Kontextes? Wen lassen die beiden Erzähler den Täufer mit die-
ser Proform anreden? D e r Unterschied ist nicht zu übersehen:"
Markus stellt in 1,5 das Wirken des Täufers als eine Erfolgsgeschichte dar, indem er
mit Hilfe zweier durativer Imperfekte (έξεπορεύετο und έβαπτίζοντο) die positive Re-
sonanz beschreibt, die Johannes zuteil wurde: „Das ganze Land Judäa und alle Jerusale-
" εις μετάνοιαν in M t 3,11 ist mit großer Wahrscheinlichkeit redaktionelle Ergänzung
durch den Evangelisten.
70 So z. B. MANSON, Sayings, 40f.; SCHULZ, Q , 368; HOFFMANN, Studien, 30f.
71 So z. Β. v. DOBBELER, Gericht, 49ff.; ERNST, Johannes der Täufer, 53f.; FLEDDER-
MANN, Mark and Q , 35 sowie jetzt auch The Critical Edition of Q , 14f.
72 So z. B. DUNN, Spirit-and-Fire Baptism, mit einem ausführlichen Referat älterer Posi-
tionen; LANG, Erwägungen, 466ff.; BÖCHER, Johannes der Täufer, 71; WEBB, John the
Baptizer and Prophet, 272ff.; ZAGER, Gottesherrschaft, 13lf. - Mit Recht nicht
durchgesetzt hat sich die Interpretation von πνεΰμα als „Sturm" oder „Wind" (so
z. B. SAHLIN, Studien, 50ff.; SCHWEIZER, Art. πνεΰμα κτλ., 396f.; BEST, Spirit-
Baptism; zur Kritik vgl. REISER, Gerichtspredigt, 156).
73 Noch einmal anders LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 107ff., der die bereits früher
vertretene Auffassung erneuert, derzufolge der historische Täufer „nur" von einer
Geisttaufe durch den kommenden Stärkeren gesprochen habe (vgl. auch ebd., 101 mit
Anm. 54 [S. 413]).
74 Vgl. auch schon SATO, Q und Prophetie, 127.
mer kamen heraus zu ihm und ließen sich von ihm im Jordanfluß taufen, wobei sie ihre
Sünden bekannten". Sie sind es, d. h. diejenigen, die sich der „Taufe der Umkehr zur
Vergebung der Sünden" (V. 4) unterzogen haben, die Markus damit zu den mit ύμάς in
V. 8 Angesprochenen macht. Dadurch bekommt nicht nur der Aorist έβάπτισα seinen
guten Sinn75, sondern auch die Ankündigung, daß der „Stärkere" eben sie „mit heiligem
Geist" taufen wird: Markus macht die Ankündigung des Täufers damit zu einem Verhei-
ßungswort an die von ihm Getauften, das diese ihres zukünftigen Heils vergewissern
will, und er bringt damit zum Ausdruck, daß die Uberbietung der Wassertaufe des Täu-
fers durch die Geisttaufe des „Stärkeren" nicht als Ablösung zu verstehen ist, sondern
Kontinuität impliziert.76
Demgegenüber setzt die Logienquelle eine ganz andere Konstellation voraus:77 Sie be-
steht aus dem Gegenüber von Johannes und Angehörigen einer noch unentschiedenen
Öffentlichkeit, die Umkehr und Taufe noch nicht absolviert haben und darum noch da-
zu gebracht werden müssen (vgl. Q 3,8: ποιήσατε ου ν καρπόν άξιον της μετανοίας) 78 .
Ihre Bezeichnung als γεννήματα έχιόνών (Q 3,7b) läßt deutlich erkennen, daß sie sich
noch in einer Situation befinden, in der ihnen - wenn sie sie nicht ändern - künftige
Vernichtung droht. Darüber hinaus steckt auch in der rhetorischen Frage τίς ύπέδειξεν
φυγείν άπό της μελλούσης όργής (V. 7) und in der Bestreitung des Nutzens ihrer
Abrahamskindschaft (Q 3,8b-d) ein propositionaler Gehalt, der die Adressaten der Rede
des Täufers in eindeutiger Weise qualifiziert: Ihnen wird eine Daseinsgewißheit zuge-
schrieben, der Gott die Basis entzogen hat und die darum als völlig unbegründet entlarvt
werden kann. Auf diese Adressaten referiert das zweifache υμάς in Q 3,16b.e, und das
hat mehrere Konsequenzen: Zunächst kann aufgrund der semantischen und pragmati-
schen Kohärenz der gesamten Rede zuverlässig davon ausgegangen werden, daß in Q
3,16e nur von einer Feuertaufe gesprochen wurde und die Geisttaufe durch Matthäus
und Lukas aus Mk 1,8 übernommen wurde. Darüber hinaus läßt sich aber auch die be-
sondere Akzentuierung verständlich machen, mit der das Präsens βαπτίζω die Selbstaus-
sage des Täufers in 3,16b versieht: Es charakterisiert die Eigenart der Taufe des Johannes
75 In der Regel wird angenommen, Markus wolle mit Hilfe des Aorists den Täufer zum
Ausdruck bringen lassen, daß seine Wassertaufe „ihre Gültigkeit verloren hat" (ZA-
GER, Gottesherrschaft, 129; s. auch v. DOBBELER, Gericht, 53). Diese Interpretation
geht jedoch mit Sicherheit am Aussagewillen des Textes vorbei, denn in der erzählten
Welt ist der Täufer, als er diese Worte spricht, ja noch aktiv; Jesus ist noch gar nicht
auf dem Plan und muß sogar erst selbst noch von Johannes getauft werden. Darüber
hinaus scheitert diese Deutung allein schon an der Ankündigung ε ρ χ ε τ α ι . . . οπίσω
μου (Mk 1,7), die das Kommen des ισχυρότερος als einen Vorgang kennzeichnet, der
vom Standpunkt des erzählten Sprechers aus gesehen noch in der Zukunft liegt.
76 Man kann darum auch nicht sagen, daß Markus einen „Gegensatz" von Wasser- und
Geisttaufe konstruiert (so z. B. KLOSTERMANN, Markusevangelium, 7; s. auch HOFF-
MANN, Studien, 21).
77 In Mt 3,7 sind die „Pharisäer und Sadduzäer" als Adressaten der Rede des Täufers si-
cher redaktionell; ob δχλοις (Lk 3,7a) in Q stand, ist unsicher. Nicht zu Q gehörten
auch die sog. „Standespredigt" (Lk 3,10-14) und die Exposition des Vergleichs zwi-
schen Johannes und dem ισχυρότερος (Lk 3,15-16a), bei der es sich um eine redak-
tionelle Uberleitung handeln dürfte.
78 Der Plural καρπούς άξιους (Lk 3,8) wird lukanisch sein und auf die Forderungen der
Standespredigt vorausweisen.
im Gegenüber zur Eigenart der Taufe des „Stärkeren" und hat die Funktion, die Was-
sertaufe als eine Alternative zur Feuertaufe darzustellen und damit unter den von der
Vernichtung Bedrohten für sie zu werben: Die Wassertaufe eröffnet die Möglichkeit,
dem Unheilsgeschick der Feuertaufe 7 ' zu entgehen. 80
Anhand von drei weiteren Beispielen soll zunächst die Eindeutigkeit bis-
heriger Interpretationen von Gerichtsaussagen problematisiert werden
(mehr nicht!). In einem zweiten Schritt will ich dann versuchen, mit Hilfe
einer Typologie potentieller kommunikativer Konstellationen Parameter
für eine adressaten- und hörerorientierte Interpretation der jesuanischen
Gerichtsaussagen zu gewinnen.
1.1. Als erstes Beispiel sei noch einmal die Q-Fassung der in Lk 3,7-9.16-
17par. Mt 3,7-12 überlieferten sog. „Gerichtspredigt" Johannes des Täufers
in den Blick genommen. Sie wird in der Regel so interpretiert, als hätte sie
ein und denselben Adressatenkreis, nämlich die in V. 7 als γεννήματα
έχιδνων angesprochene Zuhörerschaft, die Johannes vom Feuergericht
bedroht sieht und der er seine Taufe im Jordan als Möglichkeit anbietet,
dem andringenden Unheil zu entgehen. So hat sich das ganz offensicht-
lich auch schon die Redaktion der Logienquelle vorgestellt, weil es im
Text kein Indiz für einen Adressatenwechsel gibt. Auch in unseren deut-
7 ' Eigentlich ist die Verwendung der Begriffe „taufen" und „Taufe" im Vorstehenden
sowie in der Diskussion um das Selbstverständnis Johannes des „Wäschers" oder des
„Eintauchers" (so müßten wir eigentlich übersetzen) generell anachronistisch, weil sie
die mit dem christlichen Taufritual verbundene Semantik in die Zeit des Johannes zu-
rückprojiziert. Die geläufige Übersetzung verdeckt, daß βάπτω, βαπτίζω für „eintau-
chen" oder „waschen" steht und darum nicht mit den am Begriff „taufen" etc. haften-
den Konnotationen aufgeladen werden darf (vgl. z. B. Josephus, Bell. I 437; Vita 15;
zur Bezeichnung von rituellen Reinigungen z. B. 2Kön 5,14; Jdt 12,7). Die Formulie-
rung βαπτίζειν έν πυρί ist insofern nicht mehr als eine metaphorische Analogie-
bildung zu dem, was Johannes tut: Wie er jetzt in Wasser taucht, wird der kommende
Stärkere in Feuer tauchen. Nicht vergessen werden sollte auch, daß der Begriff
βαπτιστής in der gesamten außerchristlichen griechischen Literatur nur noch bei
Josephus, Ant. X V I I I 116 belegt ist - und hier ebenfalls unseren Johannes bezeichnet
(Johannes ό επικαλούμενος βαπτιστής).
80 Zur Korrelation von Wasser und Feuer als Reinigungsmittel (die Zerstörungsfunktion
des Feuers darf von diesem Gebrauch nicht getrennt werden!) vgl. z. B. Num 31,23:
„ [ . . . ] alles, was Feuer verträgt, sollt ihr durchs Feuer gehen lassen, so wird es rein;
[ . . . ] aber alles, was Feuer nicht verträgt, sollt ihr durchs Wasser gehen lassen"; s. auch
Plutarch, Mor. 263e: τό πυρ καθαιρεί και τό ΰ δ ω ρ άγνίζει.
81 So z. B. auch noch in der Revision der Übersetzung Martin Luthers von 1984 als
Überschrift zu Mt 3 , 1 - 1 2 .
82 S o z . B . HOFFMANN, S t u d i e n , 1 5 ; v . DOBBELER, G e r i c h t , 6 0 ; REISER, G e r i c h t s p r e d i g t ,
154.
83 Vgl. z. B. KLOPPENBORG, Formation, 102ff.: Mindestens zwei Einheiten seien zu un-
terscheiden: Q 3 , 7 - 9 als "threat of imminent judgment and a call to repentance" und
Q 3 , 1 6 - 1 7 als "apocalyptic prediction concerning a figure who will effect both fiery
judgment and salvation of the elect" (102f.); SATO, Q und Prophetie. 209ff.; WEBB,
John the Baptizer and Prophet, 263.
84 V g l . ζ . Β . v . DOBBELER, G e r i c h t , 64FF.
85 Siehe oben S. 374.
86 Siehe oben S. 373f.
87 Zu seiner Phänomenologie vgl. BACKHAUS, „Jüngerkreise", 326ff.
88 Vgl. dazu die Überlegungen bei WEBB, John the Baptizer and Prophet, 263.
1.2. Als zweites Beispiel kann das Doppelwort über das Auftreten der Köni-
gin des Südens und der Niniviten im Jüngsten Gericht (Lk 11,31-32 par. Mt
12,41-42) fungieren. Es wurde zwar schon in der Logienquelle als sog.
" Nicht die Spreu wird verbrannt, sondern das Stroh (vgl. REISER, Gerichtspredigt,
165)!
90 Vgl. auch WEBB, Activity.
1.3. Das dritte Beispiel, die Wehe-Worte gegen Chorazin und Bethsaida (Lk
10,13-14 par. Mt 11,21-22), läßt die Problematik noch deutlicher hervor-
treten. Trotz ihres performativen Charakters haben sie gewissermaßen
zwei Adressaten, einen fiktiven Adressaten und einen intendierten Adres-
saten, und zwischen beiden ist sorgfältig zu unterscheiden. Illustrieren
läßt sich diese Differenz mit Hilfe der Wehe-Worte, die sich in den letz-
ten Kapiteln des äthiopischen Henochbuches 102 und in den Sibyllinischen
Orakeln103 reichlich finden: Sie richten sich stets (in äthHen) gegen Frev-
ler, Ausbeuter, Gewalttäter und andere Sünder sowie (in OrSib) vor allem
gegen die Bewohner fremder Städte und Länder, und sie reden diese je-
weils auch direkt an. Von diesen fiktiven Adressaten der Wehe-Worte
wird nun aber gerade nicht erwartet, daß sie sie auch lesen, denn für sie
wurden die Schriften, in denen die Wehe-Worte stehen, eben gerade nicht
geschrieben. Als Leser der gesamten Schrift, und damit als intendierte
Adressaten104 der in ihr enthaltenen Wehe-Worte sind vielmehr die Ange-
hörigen derjenigen Gruppe anzusehen, der auch der Verfasser der Schrift
und Autor der Wehe-Worte angehört und die den fiktiven Adressaten der
Wehe-Worte feindlich gegenübersteht. Die Wehe-Worte sind insofern
Bestandteil eines gruppeninternen Kommunikationsgeschehens, und ihre
100 In der Critical Edition wird als Q-Fassung rekonstruiert: „Selig die Augen, die sehen,
was ihr seht . . . Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wünschten zu se-
hen, was ihr seht, und sahen es nicht, und zu hören, was ihr hört, und hörten es nicht"
(196-199).
101 Vgl. BECKER, Jesus von Nazaret, 82; REISER, Gerichtspredigt, 202f.
1.4. Wenn wir eine kurze Zwischenbilanz ziehen, tritt das Dilemma klar
zutage: Es reicht bei weitem nicht aus, lediglich nach dem Vorstellungs-
gehalt der Gerichtsvorstellungen, Gerichtskonzeptionen und Gerichtser-
wartungen zu fragen. Es ist vielmehr unerläßlich, die Gerichtsaussagen
Johannes des Täufers und Jesu auch im Blick auf ihre Adressatenorientie-
rung zu interpretieren und nach ihrer Pragmatik zu fragen, denn allererst
die Rede vom Gericht entscheidet über Sinn und Funktion der jeweils
mitgeteilten Gerichtskonzeption. Angesichts des Zustandes, in dem die
synoptische Uberlieferung auf uns gekommen ist, vervielfachen sich da-
mit aber auch die Probleme, die sich der historischen Rückfrage entgegen-
stellen. Die Adressaten der jesuanischen Gerichtsaussagen ermitteln zu
wollen, was für die Frage nach deren Pragmatik ja unerläßlich ist, dürfte
sich in den meisten Fällen als gänzlich undurchführbar erweisen. Aus der
2.1. Johannes/Jesus und die noch indifferente Öffentlichkeit: Auf diese Kon-
stellation bezogen ist die protreptische Rede, die die Adressaten zu einer
Entscheidung mit „Schwellenfunktion"108 auffordert. Ihr Kennzeichen ist
das Stichwort „Umkehr". Dem Verweis auf das bevorstehende Gericht
kommt die Funktion zu, die Adressaten in ihrer augenblicklichen Exi-
stenzorientierung zu verunsichern, und dementsprechend wird mit den
Unheilsfolgen gedroht, die bei der Verweigerung der Umkehr eintreten.109
Aus der Johannesüberlieferung läßt sich Mt 3,7-10 par. Lk 3,7-9 dieser
Konstellation zuordnen, und aus der Jesusüberlieferung gilt Entsprechen-
des für Lk 13,1-5. Hier wie dort ist die Eindeutigkeit dieser Adressa-
tenorientierung und der mit ihr einhergehenden Pragmatik der Gerichts-
ankündigung dadurch sichergestellt, daß das den jeweiligen Adressaten
auf Grund ihrer gegenwärtigen Verfaßtheit unausweichlich drohende Un-
heilsgeschick als noch vermeidbar dargestellt wird (Q 3,7f.: „Schlangen-
107 Wie wir aus Lk 12,41 wissen, hatte bereits der lukanische Petrus an dieser Stelle die-
selben Probleme wie die modernen Gleichnisinterpreten.
108 Ich orientiere mich hier an der Terminologie von K. BERGER, der unter den Begriff
der „protreptische [n] Mahnrede" alles faßt, „was die grundsätzliche Wahl des [ . . . ]
Weges zum Thema macht" (Formgeschichte, 217f.).
109 Diese Funktion der Rede vom Gericht entspricht dem, was E. BRANDENBURGER unter
den Begriff des „prophetisch-eschatologische[n] Gerichtsverständnis [ses]" gefaßt hat
(Gerichtskonzeptionen, 321); s. o. S. 370 (auch zur Kritik an BRANDENBURGERS Ter-
minologie).
brut, wer hat euch weisgemacht, daß ihr dem kommenden Zorn entflie-
hen werdet? Bringt Frucht, die der Umkehr entspricht!"; Lk 13,3.5:
„Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr alle genauso umkommen!"). Auch
die in Mt 5,25-26 par. Lk 12,58-59 überlieferte metaphorische Warnung
vor der drohenden, aber noch vermeidbaren Verurteilung, die dasselbe ar-
gumentative Gefälle aufweist, ließe sich dieser Konstellation zuweisen. 110
2.2. Jobannes/Jesus und ihr jeweiliger Jüngerkreis (gemeint sind damit die-
jenigen, die der an die Öffentlichkeit adressierten protreptischen Auffor-
derung nachgekommen sind). Innerhalb dieser Konstellation ist zwischen
zwei pragmatischen Orientierungen von Gerichtsaussagen zu unterschei-
den:
Darüber hinaus bekommt vor allem auch der rätselhafte Doppelvergleich der gegenwär-
tigen Situation mit den Tagen Noahs und Lots in Lk 17,26-30 (par. Mt 24,37-39) 1 1 3 ei-
nen plausiblen Sinn, wenn wir ihn auf diese Konstellation beziehen.
J . BECKER und CH. RINIKER interpretieren dieses Logion als Bestandteil der sich an
die jüdische Ö f f e n t l i c h k e i t wendenden Verkündigung Jesu"' 1 , mit deren Pragmatik es
sich jedoch kaum in Einklang bringen läßt: W e d e r die M e n s c h e n zur Zeit und mit A u s -
nahme N o a h s n o c h die B e w o h n e r Sodoms hatten jemals eine C h a n c e , ihrer Vernichtung
zu entgehen. Sie sind darum gänzlich ungeeignet, um als Beispiele innerhalb einer p r o t -
reptischen Rede fungieren zu können, die ihren Adressaten einen Ausweg aus der k o m -
menden Katastrophe eröffnen will. Das Fehlen jeder Rettungsmöglichkeit aus dem
kommenden U n h e i l , das sich aus der Semantik der beiden Beispiele ergibt, machte es in
diesem pragmatischen K o n t e x t darum völlig funktionslos. RINIKER stellt darum auch mit
R e c h t die Frage, „ob ein solches W o r t seinen Zweck, wachzurütteln im H i n b l i c k auf die
kommende Krise, überhaupt erfüllen konnte" 1 1 5 .
Diese P r o b l e m e lassen sich hingegen sofort beseitigen, wenn wir den Jüngerkreis als
Adressaten voraussetzen. W i r können das Logion dann nämlich mühelos als stabilisie-
rendes T r o s t w o r t verständlich machen, das die Jünger der Richtigkeit ihrer Entscheidung
für Jesus vergewissern will. Aus den beiden Beispielen dürften vor allen Dingen zwei
Elemente für die J ü n g e r plausibel gewesen sein: zum einen die Tatsache, daß in beiden
Fällen die R e t t u n g einiger weniger mit der Vernichtung aller anderen einhergeht, und
zum anderen die auffällige Beschreibung der noachitischen M e n s c h h e i t und der B e w o h -
ner S o d o m s in V . 27a.28b. Abgestellt ist gerade nicht auf ihre Sündhaftigkeit (obwohl sie
natürlich im Hintergrund vorausgesetzt ist, denn nur sie erklärt, warum es in beiden
Fällen zur Vernichtung k o m m t ) , sondern auf die Regelhaftigkeit der elementaren Le-
bensvollzüge. 1 1 ' Derartige Verrichtungen, die als solche aufgrund ihrer unspektakulären
Alltäglichkeit eigentlich nicht bemerkenswert wären, werden hier in den Vordergrund
gestellt, um den J ü n g e r n die Möglichkeit zu eröffnen, die Mehrheitsgesellschaft in ihrer
Imagination mit der noachitischen Menschheit und den Bewohnern S o d o m s gleichzuset-
zen: V o n den M e n s c h e n der beiden biblischen Beispiele wird genau das gesagt, was die
Jünger auch in ihrer eigenen U m w e l t sehen: daß die M e n s c h e n essen, trinken, heiraten,
verheiraten, kaufen, verkaufen, pflanzen und bauen - und zwar gänzlich unbeeindruckt
von der Verkündigung Jesu. In beiden Hinsichten unterscheiden sie sich charakteristisch
von der marginalisierten und sozial entwurzelten Existenzweise des Jüngerkreises, die
für einen Schatz im A c k e r bzw. für eine kostbare Perle - für die Gottesherrschaft also -
alles andere aufgegeben haben (vgl. Mt 13,44.45-46).117 Indem Jesus dieses Verhalten, in
dem sich die Ablehnung seiner Verkündigung dokumentiert, zu Merkmalen der Sintflut-
generation und der Bewohner Sodoms macht, liest er deren Geschick in die Geschichte
seiner Zeitgenossen ein: Er entwertet damit nicht nur die Normalität des alltäglichen Le-
bens der Außenstehenden, sondern gibt seinen Jüngern auch ein Modell an die Hand,
mit dessen Hilfe sie die Story derer, die Jesu Umkehrruf nicht gefolgt sind, fortschreiben
können. Dadurch wird ihnen ihre eigene Entscheidung für Jesus bestätigt, und die At-
traktivität dieser Deutung ihrer historischen Erfahrung besteht sicher nicht zuletzt auch
darin, daß auch die Jünger sich in den beiden Stories, die Jesus aus ihrem kulturellen
Wissen abruft, unterbringen können: in dem Geschick Noahs und Lots, die gerettet
wurden, während alle anderen umkamen.
117
Vgl. dazu THEISSEN, „Wir haben alles verlassen"; DERS., Einordnung, bes. S. 27f.;
SCHMELLER, Brechungen, 68ff.
118
Begriff nach BERGER, Formgeschichte, 130ff.
119
Vgl. auch BRANDENBURGER, Art. Gericht, 472,51ff.
120
R I N I K E R führt Mt 5,29f. auf Q zurück und hält die hier belegte Struktur des Einzel-
wortes für älter, während er annimmt, daß in Mk 9,43ff. die ursprüngliche Reihenfolge
bewahrt ist (Gerichtsverkündigung, 176ff.). Andere sind anderer Meinung (z. B. ZEL-
LER, Mahnsprüche, 74). N o n liquet.
121
Ich folge hier ZELLER, Mahnsprüche, 76: „Die Sprüche wollen verhindern, daß der
Hörer [ . . . ] durch die Einzelsünde [ . . . ] wieder aus der Heilssphäre herausfällt".
V. Fazit
Eine andere Frage ist aber immer noch offen: Wenn es nicht das Paradig-
ma von Gericht und Heil ist, an dem sich der Unterschied von Jesus und
Johannes festmachen läßt, was ist es dann? Denn daß es einen Unter-
schied gibt, steht außer Frage - er ist an den eingangs beschriebenen
Merkmalen, die das Auftreten und die Verkündigung Johannes des Täu-
fers und Jesu voneinander unterscheiden, deutlich zu erkennen. Die Frage
ist darum wiederaufzunehmen: Was gibt diesen Einzeldifferenzen des
Auftretens und der Verkündigung ihren Richtungssinn? Oder: gibt es so
etwas wie eine Grunddifferenz zwischen Johannes und Jesus, die allen
Einzeldifferenzen zugrundeliegt und sie zusammenhält?
Die Antwort ist einfach: Der Unterschied zwischen Johannes und Je-
sus ist Jesus. Es ist nichts anderes als das Auftreten Jesu selbst und die
theologische Qualifikation dieses Auftretens, die den entscheidenden
Unterschied zwischen ihm und seiner Verkündigung sowie dem Täufer
und dessen Verkündigung markieren und an denen sich alle anderen Teil-
differenzen ausrichten.
Dies gilt zunächst in einem ganz äußerlichen Sinne: Mit seinem eige-
nen Auftreten bestreitet Jesus die Ankündigung des Täufers, daß nach
ihm nur noch der Feuerrichter kommt, denn erst kommt er noch, Jesus.
Gegen seinen eigenen Anspruch wird Johannes damit vom letzten zum
vorletzten Boten Gottes. 125 Darüber hinaus wird aber auch die Verkündi-
gung des Täufers und vor allen Dingen auch seine Taufe im Jordan theo-
logisch depotenziert: Jesu Selbstverständnis macht es gänzlich bedeu-
tungslos, ob man sich der von Johannes propagierten Umkehrtaufe
unterzogen hat oder nicht, denn über die Zuweisung von Heil und Unheil
im Gericht entscheidet jetzt einzig und allein, wie man sich zur Verkündi-
gung/es» verhält.
Es wäre nun aber ein Mißverständnis, wenn man annehmen wollte, daß
Jesus selbst nunmehr diese Rolle des letzten Propheten vor dem Gericht
für sich beansprucht hätte, denn die Differenz gegenüber der Verkündi-
gung des Täufers geht noch sehr viel weiter: Sie findet ihr theologisches
Zentrum darin, daß Jesus sein eigenes Auftreten als integralen Bestandteil
der machtvollen Durchsetzung der Königsherrschaft Gottes auf Erden
ansah, daß also das Israel verheißene eschatische Heil Gottes in seinem
Wirken bereits punktuell erfahrbar ist und durch ihn als den authentischen
Repräsentanten Gottes verbindlich ausgelegt wird. Das spezifische Profil
der jesuanischen Verkündigung besteht also nicht lediglich in der Gewiß-
heit, daß das erwartete Heil der Königsherrschaft Gottes bereits in der
Gegenwart zugänglich ist, sondern darin, daß es in seinem Wirken zu-
gänglich ist. Diese Extension der Rede von der Gottesherrschaft, die vor
allem in Lk 11,20 par. Mt 12,28 („Wenn ich mit dem Finger/mit dem
Geist Gottes die Dämonen austreibe, ist das Reich Gottes auf euch herab-
gekommen") greifbar wird, steht in einer offenkundigen Spannung mit
den Intensionen der frühjüdischen Reich-Gottes-Erwartung: Hier ist es
zum einen allein Gott selbst, von dessen Eingreifen die Durchsetzung
seiner königlichen Herrschaft erhofft wurde, und zum anderen wurde er-
wartet, daß sich dieses Eingreifen immer in einem universalen Maßstab
vollzog und mit kosmischen Begleiterscheinungen einherging.126 Hinter
dieser Erwartung mußte der Anspruch Jesu, daß sich das Kommen der
Gottesherrschaft in ein paar Heilungen und Exorzismen ereignete, hoff-
nungslos zurückbleiben. - Erkennbar wird diese Deutung, die Jesus sei-
nem Wirken gibt, darüber hinaus auch in Lk 7,22 par. Mt 11,5 („Blinde
sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote werden
auferweckt, den Armen wird gefrohbotschaftet") : Jesus aktualisiert hier
eine Reihe von Jesaja-Texten Qes 26,19; 29,18; 35,5f.; 61,1) und deutet
sein eigenes Wirken als Erfüllung der dort ausgesprochenen Verheißun-
gen. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß
die alttestamentlichen Praetexte stets Gottes eschatisches Heilshandeln an
seinem Volk beschreiben bzw. als Metaphern für die durch Gott herbei-
geführte Transformation von Israels Unheil in Heil fungieren. Dement-
sprechend liegt die theologische Pointe dieses Wortes darin, daß Jesus mit
ihm den Anspruch erhebt, an der Stelle Gottes zu handeln: Was Israel
aufgrund der prophetischen Verheißungen von Gott erwartete, wird ihm
durch Jesus zugänglich gemacht. - O b wir den Ursprung dieses Selbstver-
ständnisses in der in Lk 10,18 angesprochenen Vision vom Satanssturz zu
sehen haben127 oder in der Erfahrung, daß die Dämonen weichen und die
Kranken gesund werden, wenn Jesus kommt 128 , kann offen bleiben.
Mit dem Vorstehenden ist freilich nicht gesagt, daß Jesus die Gottes-
herrschaft als eine rein präsentische Größe ansah, denn was auch für ihn
als noch ausstehend gelten mußte, war - das läßt sich aufgrund der über-
kommenen jüdischen Reich-Gottes-Erwartung erschließen 12 ' - ihre
universale Durchsetzung durch Gott selbst: durch die herrscherliche Er-
scheinung seiner Heiligkeit im Jerusalemer Tempel mit all ihren kosmi-
schen Begleiterscheinungen und Folgen.
Die Erwartung, daß dieses Geschehen unmittelbar bevorstand, führte
Jesus vermutlich nach Jerusalem 130 und veranlaßte ihn zu der in Mk 11,15-
16 beschriebenen sog. „Tempelreinigung". Bestandteil der Erwartung Jesu
war aber auch, daß Gott das Heil seiner universalen Herrschaft mit Hilfe
eines umfassenden Gerichts weltweit durchsetzen und dabei eine gerechte
Verteilung von Heil und Unheil vornehmen wird, die sich einzig und
allein daran orientiert, wie die Menschen sich seinem eigenen Anspruch
gegenüber verhalten hatten.
Literatur
PETR POKORNY
1 E. KÄSEMANN, Sackgassen im Streit um den historischen Jesus, zuletzt in: DERS., Ex-
egetische Versuche und Besinnungen II, Göttingen 1965 (2. Aufl.), 3 1 - 6 8 , dort 67.
1.2 Da uns Jesus von Nazareth nur durch Texte zugänglich ist, müssen
wir die Texte und Textbereiche bestimmen, die beim Suchen der authenti-
schen, vorösterlichen Züge Vorrang haben, weil sie nicht von anderen uns
bekannten Texten abhängig sind, und weil ihr Umfang die Entdeckung
des Typischen erlaubt. Es handelt sich vor allem um das Markusevangeli-
um (Mk), die Logienquelle (Q), das Sondergut des Matthäus (SMt), das
Sondergut des Lukas (SLk), um die paulinischen Briefe (Paulus) und um
das Thomasevangelium (EvThom), eventuell auch um die Oxyrhynchos-
Papyri 840 und 1224, um Papyrus Egerton 2 und ähnliche Texte.
Methodisch gilt es, daß wir die in mehreren von diesen Bereichen vor-
kommenden Phänomene, die in den sonstigen zeitgenössischen Texten
weniger auffällig hervortreten, näher untersuchen müssen, weil es wahr-
scheinlich ist, daß sie direkt oder indirekt mit dem Auftreten Jesu zu-
sammenhängen. Da es sich fast in allen Fällen, die wir als solche definie-
ren werden, um Innovation bekannter Traditionen oder Vorstellungen
handelt, kann gesagt werden, daß die voneinander unabhängige Bezeu-
gung der Ausgangspunkt für die Bestimmung der ältesten Schicht der Je-
sustradition ist, wobei die Frequenz und Kongruenz sekundäre Kriterien
repräsentieren, die uns erlauben, zu diesem methodischen Kern weitere
Phänomene zuzuordnen.2
1.4 Da es nicht möglich ist, die älteste aramäische Schicht der Reden Jesu
zu rekonstruieren, oder evtl. die Textsegmente zu identifizieren, die sein
eigenes Griechisch widerspiegeln, müssen wir uns auf diejenigen Zeichen
konzentrieren, die auch in der Ubersetzung und eventueller redaktioneller
Bearbeitung spürbar sind und mindestens indirekt von theologischer Be-
deutung sein könnten.
2. Die Einzelbeobachtungen
Alle uns zur Verfügung stehenden ältesten Texte bezeugen oder setzen
voraus, daß Jesus das Reich Gottes (βασιλεία τοΰ θεοΰ) verkündigt hat.3
Vom Gottesreich ist in verschiedenen Untergattungen und rhetorischen
Modalitäten die Rede, wie in den Gleichnissen, Seligpreisungen oder dem
Gebet (Vaterunser). Da schon Paulus die Perspektive des Reiches Gottes
als etwas Bekanntes vorausgesetzt hat (IKor 6,9; Gal 5,21; vgl. Eph 5,5;
Jak 2,5) und da er gleichzeitig versucht hat, die Reich-Gottes-Verkündi-
gung neu zu interpretieren (Rom 14,17) und vor Mißdeutung zu schützen
(IKor 4,6-12), ist es kaum möglich, die Bedeutung der Reich-Gottes-
Verkündigung in der Jesus tradition zu überschätzen.
Wenn auch die Vorstellung von der Regierung Jahwes schon im Alten
Testament bekannt ist (Gott herrscht als Schöpfer - ζ. B. Ps 145,11-13; er
Der Jesus tradition können wir auch entnehmen, daß die Rede vom Reich
Gottes mit spezifischen Wendungen und mindestens einer weiteren para-
doxen Vorstellung verbunden war.
Erstens hören wir mehrmals, daß das Reich Gottes „nahe gekommen"
ist (έγγίζειν, έγγύς είναι, das hebr. Äquivalent wären etwa die Derivate
der Wurzel 3 i p ) : Mk l,15par. (Mk); Mt 10,7par. ( Q ) ; Lk 10,11 (SLk?).
Es ist wahrscheinlich, daß dieselben oder ähnlichen semitischen Rede-
wendungen Jesu, die mit seiner Verkündigung des Reiches Gottes ver-
bunden waren, auch durch zwei weitere Aussagen übersetzt und interpre-
tiert sind. Es handelt sich um die Aussage, wonach das Reich Gottes die
Zeitgenossen Jesu „erreicht hat" (εφΦασεν, Mt 12,28par. [Q]), und um
das Wort aus Lk 17,21b (Lk Redaktion), wonach das Reich Gottes „unter
euch" (έντός υμών - d. h. den Hörern Jesu) ist, und zwar offensichtlich
in der Gestalt Jesu. Dies kann schon eine nachösterliche Bearbeitung der
Jesustradition sein, die allerdings die Tragweite und die gleichzeitige Poly-
semie der Aussagen über die Nähe des Reiches Gottes nur bestätigt. Das
Reich ist eine gegenständliche (mythische) Größe, die erst in der Zukunft
geoffenbart wird, aber gleichzeitig ist sie in der Verkündigung (und nach
Ostern auch in der Gestalt) Jesu präsent, sie ist der Horizont menschli-
cher Hoffnung, so daß es schon in der Gegenwart „wirkt".
nen!" Eine Gruppe in der korinthischen Gemeinde hat die Verheißung Je-
su „Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer!" (Lk 6,20b: Mt
5,3 [Q]) offensichtlich als durch ihren Glauben schon erfüllt betrachtet.
Paulus polemisiert dagegen, aber die Art der Polemik, deren Gegenstand
beiden Seiten gut bekannt ist, spricht dafür, daß die Verbindung des
Reich-Gottes-Begriffs mit dieser sozial umwälzenden Vorstellung schon
mit den alten jesuanischen Traditionen zusammenhängt.
8 G. EBELING, Jesus und Glaube, zuletzt in: DERS., Wort und Glaube, Tübingen 2 1962,
2 0 3 - 2 5 4 , bes. 232f.; vgl. D. LÜHRMANN, Glaube im frühen Christentum, Gütersloh
1976, 23.
' Mit Vorbehalt kann dies durch Hinweis auf MARTIN HEIDEGGER aktualisiert werden.
Wie bei jedem Vergleich der Phänomene, die aus verschiedenen Zeiten kommen, kann
es sich nur um eine Analogie einzelner Dimensionen innerhalb der sonst unvergleich-
baren Weltprojekte handeln. Nur seine Definition der „Sorge als das Sein des Daseins"
(Sein und Zeit I, Halle + 1935, 180ff.) ist der Auffassung der Sorge in der Jesustradition
ähnlich. Vor allem ist bei ihm der Tod fester Punkt des Daseins und demzufolge auch
Gegensatz der Kleingläubigkeit, also als ein Zeichen des Glaubens wird
das „Suchen" des Reiches bezeichnet. Das Reich Gottes wird also zum
Fluchtpunkt des Daseins. Es ist nicht nötig, das Reich Gottes zu bauen,
es kann gefunden werden, und der Glaube soll in diesem Zusammenhang
offensichtlich die Voraussetzung des Suchens sein - das Vertrauen, daß
das Gesuchte zu finden ist, wenn es auch nicht gegenständlich vorhanden
ist. Der Wunderglaube kann in dieser Sicht als das Ernst-Nehmen der
Macht (δύναμις) Gottes als des Schöpfers und Erlösers positiv interpre-
tiert werden.
Daß das „Amen" als Einleitung einer Aussage Jesu (ζ. B. Mt 21,31b
[SMt] ; Mk 14,25 [Mk]; Mt 24,47par. [Q]) aus ältester Tradition stammt 10
und mit der eben beschriebenen Anwendung des Begriffs „Glaube" zu-
sammenhängen kann, ist nicht ausgeschlossen. Es kann allerdings nicht
als Beleg des messianischen Bewußtseins interpretiert werden."
des Denkens, während die jesuanische Überlieferung das Denken über den Menschen
auf einen anderen Grund stellt.
10 So J. JEREMIAS, Kennzeichen der ipsissima vox Jesu, zuletzt in DERS., Abba, Göttingen
1966, 1 4 5 - 1 5 2 .
11 Siehe K. BERGER, Zur Geschichte der Einleitungsformel „Amen, ich sage euch", Z N W
63 (1972), 1 7 7 - 2 0 9 .
12 E. JÜNGEL/P. RICCEUR, Metapher (BEvTh), München 1974.
Eine ähnliche Rolle wie die Metaphern spielen die unerwarteten Aussagen,
in denen das Reich Gottes einer Gruppe zugesagt wird, die in der gän-
gigen Vorstellung zu den Unbedeutenden, Verlierern oder zu den
„schlechten" Menschen gehören, einfach zu denen, von welchen man das
Mitregieren nie erwarten würde: den Kindern (Mk 10,15parr. [Mk]), den
Armen (Demütigen) (Lk 6,20par.; Mt 5,4 [Q]), den Sündern (Mt 21,31
[SMt]), allen Gläubigen (s. o. 2.1.3). Als Gipfel solcher Aussagen kann
das Wort von den Fremden betrachtet werden, die aus aller Welt kom-
men, um im Reiche Gottes mit Abraham zu essen, wobei die „Söhne des
Reiches" hinausgestoßen werden (Mt 8,ll-12par. [Q]). Dadurch wird die
in der jüdischen Bibel bezeugte Vorstellung von der Regierung Gottes
relativiert, denn die hat man sich israelzentrisch als Unterordnung der
Heiden vorgestellt (ζ. B. Mi 4,1-5; Sach 8,20-23). 1 5
Es handelt sich um schockierende Aussagen, die durch unerwartete
Verbindungen ähnlich wie die Metaphern wirken und wie die Metaphern
Keimzellen eines alternativen Weltprojekts darstellen.
Anderer Art sind die sog. amoralischen Gleichnisse, die bei Jesus aus-
drücklich oder indirekt der Verkündigung des Reiches Gottes dienen.16
Zum Beispiel das Gleichnis vom Schatz im Acker (Mt 13,44 [SMt]), den
ein Mensch erreicht hat, indem er das Feld gekauft hat, ohne dem frühe-
ren Inhaber von dem Schatz zu sagen (anders nach EvThom Log. 109).
Auffälliger ist die moralische Verkehrtheit des Verwalters, der seines
Herrn Besitz verschleudert hatte und sich dann durch Bestechung der
Schuldner retten wollte (Lk 16,1-8 [SLk]). In der Fassung des Gleichnis-
ses von den bösen Winzern (Pächtern) nach EvThom Log. 65 wird die aus
Mk 12,l-12par. bekannte Erzählung ohne die Aussage über die Bestra-
fung der Bösen überliefert. Die amoralischen Gleichnisse gipfeln in dem
Gleichnis vom Attentäter aus dem Thomasevangelium, der zu Hause trai-
nieren mußte, bevor er den mächtigen Mann getötet hat (EvThom Log.
98). Auch das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden hat ursprünglich
zu dieser Art gehört (Lk 19,ll-27par. [Q?]), denn Geschäft und Zinsen-
nehmen war für die orthodoxen Juden Sünde (Sir 26,29-27,2). 1 7 Das Pro-
blem ist, daß alle jene schlechte Menschen den Hörern/Lesern zum Vor-
bild dienen sollen. Offensichtlich nicht in ihrer Verkehrtheit, sondern in
der Konsequenz ihres Handelns. 18
2.4 Intensivierungen
Die Intensivierung, die als eine ihrer Dimensionen zu jeder Metapher ge-
hört, spielt auch in anderen Zusammenhängen eine bedeutende Rolle.
2.4.2 A b b a - V a t e r
2.4.3 Hyperbeln
" M i t R. Chanin ha-nechba (Ende des 1. Jh.s v. Chr.) verbunden; s. J. JEREMIAS, Abba,
zuletzt in: DERS., a. a. O. (Anm. 10) 15-80, hier 60.
20 Dies erwägt als Möglichkeit auch J. JEREMIAS, Abba, zuletzt in: DERS., a. a. O . (Anm.
10), 56-67.
sie wirklich in die Augen stechen. Es handelt sich vor allem um die radi-
kalen Ratschläge wie „Wer dich auf die rechte Backe schlägt, dem biete
auch die andere dar . . ." (Lk 6,29par. [Q] ; vgl. Mt 5,41 [SMt]). „Und
wenn dich deine Hand zur Sünde verführt (σκανδαλίζειν), so haue sie ab
. . . Und wenn dich dein Auge zur Sünde verführt, so reiß es aus" (Mk
9,43.47 [Mk]). „Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr hin-
durchgeht, als daß ein Reicher in das Reich Gottes kommt" (Mk
10,25parr. [Mk]). „Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr
sagen zu diesem Berge: ,Heb dich dorthin!', so wird er sich heben" (Mt
17,20par. [ Q ] ; M k ll,22-23par.) „Liebet eure Feinde . . . " (Lk 6,27par.
[ Q ] ; Pap. Oxyrh. 1224; Did 1,3) 21 Das sind nur einige Beispiele jenes
Phänomens, das durch die kirchliche symbolische Deutung weniger deut-
lich geworden ist.
Die Gegenfragen Jesu sind bekannt: „Wessen Bild und Aufschrift ist
das?" fragt Jesus die Pharisäer und Herodianer, die ihm die Frage nach der
Steuerpflicht gestellt haben (Mk 12,16parr.; vgl. Pap. Egerton, fr. 2').22
Ähnlich reagiert er auf die Frage des reichen „Jünglings": „Was nennst du
mich gut?" (Mk 10,18parr.). „Wer ist meine Mutter und meine Brüder?"
ist seine Reaktion, wenn ihn die Verwandten rufen (Mk 3,33parr.). „Ich
will euch auch eine Frage stellen . . . Die Taufe des Johannes - war sie vom
Himmel oder von den Menschen?" antwortet er auf die Vollmachtsfrage
(Mk ll,29parr.). „Was steht im Gesetz geschrieben?" antwortet er auf die
Frage des Gesetzeslehrers nach Lk 10,26. „Wer von diesen drei scheint
der Nächste geworden zu sein dem, der unter die Räuber fiel?" faßt er
seine Antwort auf die Frage nach dem Nächsten zusammen (Lk 10,36
[SLk]). „Ihr habt den Anfang entdeckt und schon sucht ihr das Ende?"
(EvThom Log. 18), „Versteht ihr nicht . . . wer ich bin?" (EvThom Log.
43) usw. sind die Gegenfragen, die im Thomasevangelium vorkommen.
Solche Beispiele können erweitert werden. Die Gegenfragen sind für
mehrere Denker, Traditionen und Gattungen (politische Reden, Diatri-
ben) bezeichnend. Es ist also nur zu notieren, daß sie auch Jesus benutzen
konnte. Die Funktion der Gegenfragen ist, ähnlich wie bei der Anrede in
der 2. Person, den Fragenden aus der Rolle des Beobachters herauszu-
locken. In der literarischen Bearbeitung werden sie zur Anrede des Lesers.
Er erfährt dadurch Jesus als sein Gegenüber, dem er verantwortlich ist.
2.5 Sprichwörter
auf die Sterblichkeit des Menschen 29 , aber im Kontext der Rede Jesu
„Vom Sorgen" (Mt 6,25-34par. [Q]) drückt es das Vertrauen, mit dem
der Jünger Jesu das Kommen des Reiches erwarten und deswegen von der
Sorge frei sein kann, die den Horizont seines ganzen Lebens bestimmt. 30
3. Vorläufige Schlußfolgerungen
Es ist ganz deutlich, daß wir nur einen Ausschnitt aus den rhetorischen
Eigentümlichkeiten der ältesten jesuanischen Tradition erwähnt haben.
Schon jetzt vermuten wir weitere solche Phänomene, und andere wird
man ohne Zweifel noch entdecken. Doch bietet das eben Erwähnte schon
Material genug, um daraus einige Folgerungen zu ziehen, die unser Bild
Jesu bereichern.
Der erste Komplex der Beobachtungen, die alle mit dem Begriff „Reich
Gottes" zusammenhängen (2.1), kann zunächst ganz allgemein als Unter-
stützung der durch inhaltliche (theologische) Analyse gewonnenen
Schlußfolgerung dienen, wonach Jesus die vorgegebenen jüdischen
eschatologischen Erwartungen seiner Zeit tief umgestaltet (innoviert) hat.
Die Verschiebungen sind deutlich sichtbar: Es war vor allem die Relativie-
rung des israelzentrischen Bildes der Hoffnung, das mit einigen imperia-
len Zügen verbunden war. Statt dessen tritt die unmittelbare Beziehung
zu Gott als Vater hervor (2.4.2), sowie das gläubige Vertrauen (2.2), das
sich auf verschiedene Weisen konkretisieren kann. Eine Tendenz zu Per-
sonalisierung und Universalisierung der Hoffnung ist kaum zu verkennen.
Dies hoben in den letzten zwei Jahrzehnten besonders diejenigen For-
scher hervor, welche Jesus als einen jüdischen Wanderphilosophen kyni-
scher Art verstehen. Sie haben mit Recht vor mechanischen Rekonstruk-
tion der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu aus der jüdischen Apokalyptik
gewarnt. Dafür sprechen auch die Worte, welche das Reich Gottes uner-
warteten Adressaten zuschreiben, samt der Auflösung der monarchischen
Struktur, was auch Paulus in seiner Interpretation anerkennt (IKor
15,28). Und doch enthüllen die eben gemachten Beobachtungen die
kynische These als eine einseitige Deutung des Befundes. 31 In den meta-
29 Spr 27,1; Sir 10,10; 1 1 , 1 8 - 1 9 ; vgl. H. D. BETZ, The Sermon on the Mount (Herme-
neia), Minneapolis, M N 1995, ζ. St.
30 Übrigens handelt es sich um eine auffällige sachliche Analogie der paulinischen
Rechtfertigungslehre.
31 Eine philosophische (konkret: kynische) Einstellung Jesu setzt als den Rahmen des
Reich-Gottes Begriffs vor allem J. D. CROSSAN, The Historical Jesus, San Francisco
phorischen Aussagen vom Kommen des Reiches ist die präsentische Di-
mension deutlich von der zukünftigen, eschatologischen unterschieden,
die nicht verschwindet und als eine umfassende räumliche Größe darge-
stellt wird. Daß sie metaphorisch ausgedrückt ist, weil sie die gängige Er-
fahrung transzendiert, bedeutet noch nicht, daß es sich um eine hypothe-
tische Größe handelt. Ihre Ankunft sollte die Gestalt einer sichtbaren und
überindividuellen Änderung haben (Ernte, Uberfall, Entdeckung, Ende
des bisherigen Zustandes usw.). Die Personalisierung und konkrete Dar-
stellung „im Fragment" des Alltags 32 löst jenen kosmisch eschatologi-
schen Rahmen nicht auf, sondern beraubt ihn seiner Fatalität. Sie setzt
ihn allerdings voraus. 33
Die Rolle der amoralischen Gleichnisse und rätselhafter Sprichwörter
paßt zu dieser Beobachtung. In den amoralischen Gleichnissen wird die
Folgerichtigkeit und Erfindungskraft der „schlechten Menschen" zum
Vorbild für die „Kinder des Reiches", damit sie in den guten Sachen, d. h.
in den Sachen des Reiches Gottes, ähnlich folgerichtig sind. Dies kann
nur unter einer Bedingung authentisch wirken: Die Macht, der die Jünger
Jesu dienen, ist stärker als die Macht des Bösen. Das stimmt mit den Aus-
sagen über Jesus als den Stärkeren überein, der den Starken, d. h. den
Teufel bändigen kann (Mk 3,27parr. [Mk]). Wenn also die Leute des Ver-
lierers in ihrem Dienst so konsequent sind, umso mehr sollen es die An-
hänger des Repräsentanten des einzigen Gottes sein, der als der endzeitli-
che Richter allen Mächten überlegen ist. Ohne eine solche Voraussetzung
1991 (deutsch: München 1 9 9 5 [2. Aufl.], 553ff.) voraus, wonach deren apokalyptische
Züge entweder von Johannes dem Täufer abhängen oder nachösterlich sind (ähnlich
F . G . DOWNING, Cynics and the Christian Origins, Edinburgh 1 9 9 2 ) ; B . L . MACK,
" T h e Lost Gospel". T h e B o o k o f Q and the Christian Origins, L o n d o n 1 9 9 4 ) . Vgl. die
Diskussion in J B L 115 ( 1 9 9 6 ) - 117 ( 1 9 9 8 ) : P. R . EDDY, Jesus as Diogenes? Reflec-
tions on the C y n i c Jesus Thesis (115, 4 4 9 - 4 6 9 - kritisch); D . SELLEY, Jesus and the
Cynics Revisited (116, 7 0 4 - 7 1 2 ) und F . G. DOWNING, Deeper Reflections on the
Jewish C y n i c Jesus (117, 9 7 - 1 0 4 - Apologien der kynischen These). Z u r Kritik der
kynischen These siehe auch: M. EBNER, Jesus - ein Weisheitslehrer? (Herders bibli-
sche Studien 15), Freiburg 1998, Kap. 3.2, und J. SCHRÖTER, Erinnerung an Jesu W o r -
te. Studien zur Rezeption der Logienüberlieferung in Markus, Q und Thomas
( W M A N T 7 6 ) , Neukirchen 1997, bes. 482ff. Z u r Diskussion um dieses Problem s.
M. LABAHN/A. SCHMIDT ( H g g . ) , Jesus, Mark and Q (JSNT.S 2 1 4 ) , Sheffield 2 0 0 1 .
32 So richtig M . EBNER, a. a. O . (Anm. 3 0 ) , Kap. 3.3.
33 Außer ALBERT SCHWEITZER und der nachfolgenden deutschen F o r s c h u n g des 2 0 . Jh.s
behaupten die apokalyptisch-eschatologische Auffassung des Reiches G o t t e s bei Jesus
mehrere englisch schreibende F o r s c h e r wie J. P. MEIER, a. a. O . ( A n m . 2), Bd. II,
237ff. Alle diejenigen, die den eschatologischen Charakter der Verkündigung Jesu re-
lativieren, müssen ihre Beziehung zu der eschatologischen Verkündigung des Täufers
und der eschatologischen Verkündigung der Urkirche erklären.
34 E. RAU, Jesus - Freund von Zöllnern und Sündern, Stuttgart u. a. 2001, 14lff.
35 Dies verkennt die amerikanische Jesusforschung, ein neueres Beispiel ist M. J. BORG,
Jesus and Eschatology: A Reassessment, in: J. H . CHARLESWORTH/W. P. WEAVER
(Hgg.), Images of Jesus Today, Valley Forge, PA, 1995, 4 2 - 6 7 .
Warum zog Jesus nach Jerusalem? Das ist eine von der Forschung immer
und immer wieder gestellte Frage. Sie ließ sich einigermaßen deutlich
beantworten, solange man - wie im 19. Jahrhundert - davon ausging, daß
die synoptischen Evangelien den Aufriß des Lebens Jesu im großen und
ganzen zuverlässig wiedergeben. Auf dieser Annahme basierten die gro-
ß e n A n t w o r t e n d e s 19. J a h r h u n d e r t s : F ü r H E I N R I C H JULIUS HOLTZMANN
ist der Leidensgedanke bei Jesus nicht eine logische Konsequenz seines
Messiasverständnisses - d. h. der Tod Jesu war für ihn nicht mehr der von
Anfang an feststehende Entschluß des Gottessohns, nach Gottes Willen
für die Errettung der Menschen zu sterben. Vielmehr ist für den Histori-
ker HOLTZMANN dieser Entschluß allmählich gereift: „Die Perspektive auf
Untergang konnte sich erst auftun, als die Dinge sich mit der Zeit dahin
zugespitzt hatten, daß er entweder den Mißerfolg [ . . . ] anerkennen [ . . . ]
oder aber alle Konsequenzen einer solchen Fortsetzung des begonnenen
Werkes, jetzt auch unter feindlich dareinschauenden Himmelszeichen, auf
sich nehmen mußte"1. Hätte Jesus seinen Mißerfolg anerkannt, so hätte
das seinen inneren Zusammenbruch bedeutet. Ihm blieb also nur das
Zweite übrig, wenn er Gott treu bleiben wollte. Ausdruck dieses Ent-
schlusses Jesu ist für HOLTZMANN Mk 8,27-33, der Haupteinschnitt in
der ältesten Jesusgeschichte, derjenigen nach Markus. Jesus zog also nach
Jerusalem, um „in der Aufopferung seines Lebens" seiner Aufgabe, den
Menschen Messias, Heiland, Retter zu werden, treu zu bleiben2. Die
Antwort seines Schülers ALBERT SCHWEITZER auf dieselbe Frage basiert
auf dem Aufriß des Matthäusevangeliums: Jesus schickt seine Jünger in
Israel zur Verkündigung aus. Inhalt ihrer Verkündigung, welche die
Aussendungsrede Mt 10 wiedergibt, ist die Ankündigung des Leidens der
' A. POLAG, Die Christologie der Logienquelle (WMANT 45), Neukirchen-Vluyn 1977,
bes. 195f.
10 M. REISER, Die Gerichtspredigt Jesu (NTA 23), Münster 1990.
12 RAU a. a. O . 159.
13 G. BORNKAMM, Jesus von Nazareth, Stuttgart 1956 (Urban-Bücher 19), 142f.
" B E C K E R a. a. O . 4 1 1 .
Sie möchte ich hier stellen und damit eine Frage des 19. Jahrhunderts
wiederaufnehmen. Ich frage dabei nicht nur nach der Absicht von Jesu
Verhalten in Jerusalem, sondern auch, warum er dahin gegangen ist. Vor-
aussetzung dieser Frage ist ein grundsätzliches Zutrauen in die synopti-
sche Überlieferung, nach der das hauptsächliche Wirkungsgebiet Jesu
Galiläa und nicht Jerusalem war17. Ich werde in meiner Antwort nicht ori-
ginell sein. Mein eigener Antwortversuch wird sich in Richtung auf den-
jenigen ALBERT SCHWEITZERS hin bewegen, auch wenn ich nicht so weit
komme wie er. Nicht nur seine philosophische Grundthesen, sondern
auch manche seiner historischen Hypothesen scheinen mir nach wie vor
aktuell zu sein. Ein wichtiger Baustein für meine Hypothese wird dabei
ein Text sein, den ALBERT SCHWEITZER fast völlig übersehen hat, nämlich
Lk 12,49f; aber auch hier wird vieles hypothetisch bleiben.
2.1 Eine erste Überlegung gilt der damaligen politischen Situation in der
Prokuratur Judcia. G E R D T H E I S S E N charakterisiert die Anfangszeit der
römischen Prokuratur in Judäa nach der Niederschlagung des Aufstandes
von 6 n. Chr. und vor dem Konflikt unter Caligula als eine „vergleichs-
weise friedliche Zeit" und als Zeit einer Verlagerung der akuten Konflikte
auf eine „symbolpolitische Ebene18. Der Friede war relativ; er war gleich-
sam der Zustand eines Konflikts in Latenz. Die lange währende Prokura-
tur des Pilatus zeigt das deutlich: Bereits sein Amtsantritt begann mit
dem Konflikt um die Standarten mit den Kaiserbildern (Josephus, Ant.
XVIII 55-59). Der Versuch des Pilatus, die Wasserleitung für Jerusalem
mit Geldern des Tempelschatzes zu finanzieren, führte nach Josephus zu
vielen jüdischen Todesopfern (Ant. X V I I I 60-62). Lukas berichtet von
einem Gemetzel unter galiläischen Pilgern zu dieser Zeit - offensichtlich
in Jerusalem (Lk 13,1). Markus erzählt von einer στάσις kurz vor der
17Nach dem JohEv stellt sich die Frage, warum Jesus nach Jerusalem gegangen ist, na-
türlich nicht, weil er immer schon dort wirkte. Das JohEv, das einige wenige Jesus-
traditionen auswählt (vgl. 20,30), bevorzugt ganz bewußt Jerusalemer Traditionen und
verrät auch dadurch seinen spezifischen Jerusalemer „Blickpunkt". Wenn es richtig ist,
daß Jesu hauptsächliches Wirkungsgebiet Galiläa war, kann die Frage, ob Jesus wäh-
rend seines öffentlichen Wirkens nur einmal nach Jerusalem zog, oder ob er dies
mehrmals tat und nur das letzte Mal seine Reise dorthin mit dem Gedanken an seinen
eigenen Tod verband, offen bleiben.
" G. THEISSEN, Jesus und die symbolpolitischen Konflikte seiner Zeit. Sozialgeschicht-
liche Aspekte der Jesusforschung, EvTh 57 (1997), 3 7 8 - 4 0 0 , dort 396.
22 E. SCHÜRER/G. VERMES, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ
Die bloße Tatsache, daß er Prophet war und Anhänger im Volk besaß,
genügte völlig, um ihn in Jerusalem zu einem potentiellen Sicherheitsrisi-
ko zu machen. Die spätere nachösterliche Uberlieferung spricht vor allem
in den Worten vom leidenden und auferstehenden Menschensohn von
Jesu Einsicht in Gottes Plan mit ihm, vom göttlichen δει (Mk 8,31; vgl.
9,31; 10,33; 14,21.41; Mt 26,2). Ich denke, es genüge, anzunehmen, daß
Jesus nicht realitätsblind war und bewußt das tat, was er wollte, resp. was
er als seinen Auftrag erkannte, um ihn erkennen zu lassen, wie gefährlich
das Auftreten eines Propheten in Jerusalem sein konnte 23 .
2.2 Damit komme ich zu einem zweiten Punkt, der Rolle und dem
Schicksal von Propheten. Jesus wurde vom Volk als Prophet wahrgenom-
men und verstand sich selbst wohl auch als Prophet bzw. als eine die bi-
blischen Propheten überbietende Gestalt. Ich möchte hier zunächst ein-
mal darauf hinweisen, wie oft im 1. Jahrhundert symbolische Aktionen
von Propheten Anlaß zu Interventionen mit dem Ziel, Ruhe und Ord-
nung aufrecht zu erhalten, gewesen sind. Fast immer waren dabei die Ak-
tionen von Propheten an heilige Orte gebunden, ζ. B. an den Tempel, den
Ölberg oder den Berg Garizim. Ich erinnere an die wenige Jahre nach Jesu
Tod stattfindende Aktion eines samaritanischen Propheten, der dem Volk
auf dem Garizim die heiligen Geräte des Mose zu zeigen versprach (Jose-
phus, Ant. X V I I I 85-87), eine symbolische Zeichenhandlung. Diese Ak-
tion entwickelte sich rasch - aber offensichtlich von den Veranstaltern
nicht beabsichtigt (Ant. X V I I I 88) - zu einer antirömischen Aktion einer
bewaffneten Volksmenge. Pilatus griff militärisch ein und ließ nach Nie-
derschlagung des Aufstandes nicht nur den Propheten, sondern auch die
κορυφαιότατοι und δυνατώτατοι unter den Aufständischen, d. h. seine
wichtigsten Anhänger, hinrichten. Er schätzte offenbar die Situation als
viel gefährlicher ein als im Fall Jesus und griff entsprechend sehr hart
durch. Deswegen wurde er von Vitellius zur Rechenschaftsablage nach
Rom geschickt. Die Analogie ist interessant, denn sie zeigt, wie leicht
durchaus gewaltlos und friedlich gemeinte symbolische Handlungen von
Propheten aus dem Ruder laufen konnten.
" Hübsch formuliert P. WERNLE, Jesus, Tübingen 1916, 343f: „Rings um ihn herum soll
sich das N e t z seiner Feinde enger und enger zusammengezogen haben, er aber hätte
von allem nichts gemerkt und wäre harmlos seinen Häschern in die Falle gegangen?
Sein ganzes Lebenswerk wäre Schritt für Schritt zusammengebrochen, ohne daß er ge-
ahnt hätte, was für ihn persönlich daraus folgern mußte? Nein, wer so wie Jesus [ . . . ]
allen Illusionen über die Menschen fremd war [ . . . ] , wird im Gegenteil das Heranna-
hen der Katastrophe eher zu früh als zu spät erkannt haben und wird manchen seiner
Gegner mit seinen Leidensgedanken zuvorgekommen sein".
24 Das gilt für die Essener, bei denen es besonders viele Propheten gab (Josephus, Bell.
II 159). Prophetie wurde dort wohl schulmäßig - durch Schriftauslegung und Traum-
deutung - gelernt. A u c h die Apokalyptiker können in gewissem Sinn als „Propheten
im Verborgenen" verstanden werden. Die Pharisäer waren damals in der Opposition.
Johannes der Täufer stammte aus der priesterlichen Unterschicht und z o g aus Jerusa-
lem weg an den Jordan. D e r Ägypter ist ein τις, von dem nicht einmal der N a m e be-
kannt ist. Jesus ben Ananias ist ein ungebildeter Mann v o m Lande (Josephus, Bell.
VI 3 0 0 ) .
25 Skeptisch sind zu R e c h t Ο . H . STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der P r o -
pheten ( W M A N T 2 3 ) , Neukirchen-Vluyn 1967, 2 8 4 - 2 8 9 ; A . VÖGTLE, Todesankündi-
2.4 Jesus ist bei seiner Wirksamkeit in Galiläa nicht nur auf Zustimmung,
sondern auch auf Widerstand gestoßen. Zeugnis dieses Widerstandes ge-
genüber seinem Wirken geben vor allem die Gerichtsworte, welche Jesus
an Kollektive gerichtet hat: an die galiläischen Städte Betsaida, Chorazin
und Kafarnaum (Q 10,13-15), an „diese Generation" (Q l l , 3 1 f , vgl.
7,33f), an Israel (Q 13,28f), an Jerusalem (Q 13,34f). Auch wenn ich nicht
bei allen diesen Worten zu einem positiven Echtheitsurteil komme 28 , so
erlaubt doch der Gesamtbefund die Anwendung des Kohärenzkriteriums.
Einige dieser Worte verstehen die Gerichtsdrohung als Folge der Ableh-
nung des Wirkens oder der Verkündigung Jesu ( Q 10,13-15 [Wunder!];
Q l l , 3 1 f [Verkündigung!]). Das paßt zum Befund, der sich aus manchen
Gleichnissen ergibt, z. B. aus Lk 14,16-24; Mt 18,23-34; Mt 25,1-13. Ich
rechne also wie ALBERT SCHWEITZER und viele Jesusbiographen des
19. Jahrhunderts mit „zwei kontrastierenden Epochen" 29 in der Wirksam-
keit Jesu, wobei der sog. „galiläische Frühling" keineswegs nur eine Zeit
des Erfolges Jesu gewesen sein braucht. Im Unterschied zu all denjenigen
Forschern, welche mit einer sekundären Verstärkung der Gerichtsverkün-
digung erst im Laufe des Entstehungs- und Wachstumsprozesses der
gung und Todesverständnis Jesu, in: K. KERTELGE (Hrsg.), Der Tod Jesu ( Q D 74),
Freiburg u. a. 1976, 5 9 - 6 1 .
26 Jer 2 6 , 2 0 - 2 3 ; 2 C h r 2 4 , 2 0 - 2 2 ; vgl. Jer 3 8 , 4 - 6 ; 2Kön 21,16; Josephus, Ant. X 38; Martjes
Logienquelle Q rechnen30, denke ich, daß ein sehr großer Teil der Ge-
richtslogien Jesus nicht abgesprochen werden kann31. Bei ihm selbst hat
also wohl eine Verschärfung der - von Johannes dem Täufer übernomme-
nen - Gerichtsverkündigung stattgefunden. Die Plazierung eines Logions
innerhalb der Komposition der Logienquelle, die für KLOPPENBORG ent-
scheidend ist, sagt m. E. grundsätzlich nichts über seine Entstehungszeit
aus.
2.5 In Jesu Verkündigung gibt es eine Reihe von Logien, welche mit Ver-
folgungen rechnen und die Jünger auch auf solche vorbereiten. Auch hier
macht es wiederum das Kohärenzkriterium unmöglich, sie insgesamt Je-
sus abzusprechen. Einige dieser Logien setzen zwar nachösterliche Ver-
hältnisse voraus und sind wohl Gemeindebildungen (Q 6,22f; Q 12,1 lf;
Q 11,49-51; Q 12,51-53; Mkl3,9.11f). Andere gehen aber wahrscheinlich
auf Jesus zurück (Q 12,8f; Q 12,4f; Q 12,6f; Q 14,27; Q 17,33). Das Kri-
terium der Wirkungsplausibilität spricht dafür, daß sich die Gemeinde
aufgrund von bereits vorhandenen jesuanischen Verfolgungslogien zur
Bildung von zusätzlichen solchen Logien anregen ließ. Sie sind vor allem
in der matthäischen Aussendungsrede gesammelt und gehen zum größe-
ren Teil, aber nicht ausschließlich, auf Q zurück. Q 12,8f, das Wort vom
Bekennen und Verleugnen Jesu, ist eines der am sichersten auf Jesus zu-
rückgehenden Menschensohnworte. Es legt nicht fest, bei welcher Gele-
genheit man sich vor den Menschen zu Jesus bekennen muß. Die Hö-
rer/innen werden aber in erster Linie an gerichtliche Verhöre gedacht
haben; diese Deutung von όμολογεΐν und άπαρνεΐσΦαι legt sich vom
Gegenüber zum Weltgericht vor den Engeln des Himmels her nahe.
Q 14,27, das Wort vom Kreuztragen, knüpft wohl an den römischen
Brauch an, daß die Verurteilten ihr Kreuz selber zur Hinrichtungsstätte
tragen müssen. Am Anfang seines Weges zum Martyrium nimmt der
Verurteilte sein Kreuz auf sich; das Logion versteht Jüngerschaft also als
Weg zur Hinrichtung 32 . Dafür, daß dieses Logion wirklich auf Jesus zu-
rückgeht, spricht vieles, ζ. B. seine dreifache Bezeugung und seine semiti-
sche Färbung33. Seine exklusive Formulierung („wer nicht sein Kreuz auf
sich nimmt [...]> kann nicht mein Jünger sein") spricht für Herkunft von
Jesus; sie paßt nämlich nicht ins spätere Urchristentum, wo Kreuzigungen
von Jüngern eine seltene Ausnahme gewesen sind. Die markinische Fas-
sung (Mk 8,34) zeigt, wie das Wort an die Situation der nachösterlichen
Gemeinde angepaßt wurde. Für Herkunft von Jesus spricht auch die
nicht-christologische Formulierung: Es geht nicht darum, Jesu Kreuz auf
sich zu nehmen. Für sie spricht schließlich die wirkungsgeschichtlich
plausible Möglichkeit, die existenzielle Deutung des Kreuzes bei Paulus
(z. B. Gal 6,14) von Jesus her zu verstehen. Das Logion macht also das
Martyrium - oder mindestens die Bereitschaft dazu - zur Bedingung der
Jüngerschaft. So deuten jedenfalls die Logienquelle und Markus, die es
mit dem Wort vom „Leben gewinnen / Leben verlieren" verbinden (Q
17,33; vgl. Mt 10,39; Mk 8,35). Ist das richtig und geht das Logion wirk-
lich auf Jesus zurück, so hat Jesus auch für sich selbst mit der Möglich-
keit, ja mit der Wahrscheinlichkeit der Kreuzigung gerechnet. Diese
Möglichkeit ist keineswegs undenkbar, denn die Kreuzigung war im da-
maligen Palästina die häufigste Hinrichtungsweise. Es ist verständlich,
daß diese Schlußfolgerung viele Exegeten davor zurückschrecken ließ, das
Logion für echt zu halten; nicht nur JÜRGEN BECKER, sondern auch der in
Echtheitsfragen sonst recht positiv urteilende GERD THEISSEN übergeht
es mit Schweigen.
Die übrigen Logien, die ich vorher nannte, stützen aber diesen Schluß:
Die Logien Q 12,4-7 scheinen vorauszusetzen, daß die Jünger getötet
werden könnten, und sprechen ihnen Mut zu. Irgend eine christologische
Implikation enthalten sie nicht; gerade darum sind sie echtheitsverdäch-
tig. Q 17,33, das Wort vom Leben gewinnen und verlieren, verliert ohne
das Martyrium als möglichen Hintergrund jeden konkreten Haftpunkt im
Leben. Q 12,8f ist fast nur verstehbar, wenn es sich auf eine gegenwärtig
mögliche gerichtliche Situation bezieht. Das Wort vom Kreuztragen steht
also keineswegs isoliert, sondern wird durch das Kohärenzkriterium ge-
stützt.
Alle Logien sind für mich am leichtesten verständlich, wenn Jesus in
der Schlußphase seines Wirkens mit der Möglichkeit seiner eigenen Hin-
richtung und auch mit der Möglichkeit der Hinrichtung seiner Jünger
ernsthaft gerechnet hat. Wie FRANZ MUSSNER und andere rechne auch ich
mit so etwas wie einer „galiläischen Krise" 34 . Als Fazit ergibt sich für
1922, 172. Vgl. weiter M. BLACK, Die Muttersprache Jesu ( B W A N T 115), Stuttgart
u. a. 1982, 195f.
34 Vgl. MUSSNER O. Anra. 8. Anders als er meint L. OBERLINNER, Todeserwartung und
Todesgewißheit Jesu (SBB 10), Stuttgart 1980, 112-135, bes. 134f, daß Jesu Todesge-
mich, daß Jesus bei seiner Jerusalemreise die Lebensgefahr, in die er sich
begab, klar gewesen sein muß. Er muß sie bewußt in Kauf genommen ha-
ben. Damit gewinnt die Frage „Warum ging Jesus nach Jerusalem?" eine
neue Brisanz. Sie lautet jetzt: Hat er seine Hinrichtung nicht nur in Kauf
genommen, sondern sogar gewollt? Die Möglichkeit, daß er nach Jerusa-
lem zog, um dort zu sterben, ist ernsthaft in Erwägung zu ziehen.
3.1 Der Einzug nach Jerusalem. Der Forschungstand läßt sich kurz dahin
zusammenfassen, daß nach der Meinung der meisten Jesu triumphaler
Einzug in Jerusalem zwar in den evangelischen Erzählungen überhöht,
aber kaum „ganz erfunden" sein dürfte 35 . Es spielt dabei keine große Rol-
le, wer Jesus zujubelte, und wir wissen natürlich auch nicht, was Jesus
selbst angesichts dieser messianischen Ovation dachte. Wichtig ist nur,
daß Jesus sich dieser Ovation offenbar nicht entzogen, sondern mitge-
spielt hat. Darin steckt natürlich eine Provokation. Ob im Trubel der Pil-
gerscharen vor dem Passahfest diese Provokation von vielen bemerkt
wurde, ist eine andere Frage.
3.2 Keine Frage ist dies beim nächsten Vorfall, der Austreibung der
Geldwechsler und Verkäufer aus dem Tempelvorhof. Wiederum frage ich
nur, ob dieser Vorfall im Leben Jesu wirklich stattgefunden hat. Mich in-
teressiert also nicht die Absicht, welche Jesus allenfalls mit dieser pro-
phetischen Zeichenhandlung verbunden hat. Da ich der Meinung bin, daß
Jesus von den jüdischen Behörden einfach deshalb dem Statthalter über-
stellt wurde, weil er eine Gefahr für Ruhe und Ordnung darstellte und
daß dies ganz unabhängig davon, was sie oder einzelne jüdische Gruppen
wißheit durch die Ereignisse in Jerusalem, d. h. durch die Feindschaft der jüdischen
Führer nach dem Vorfall im Tempel, entstanden sei.
"ROLOFF, Jesus (o. Anm. 14) 107; vgl. E. P. SANDERS, The Historical Figure of Jesus,
London 1993, 250; G. THEISSEN/A. MERZ, Der historische Jesus, Göttingen 1996, 170.
gegen seine Verkündigung gehabt haben könnten, ihre Pflicht war36, ist
die Frage nach Jesu Absicht verhältnismäßig irrelevant. Die letzte mir be-
kannte prominente Bestreitung der Historizität der Austreibung ist dieje-
nige von JÜRGEN BECKER. Seine Argumente gegen die Historizität der
Szene sind im wesentlichen zwei: 1. Sie setze voraus, daß Jesus die Rein-
heit und Heiligkeit der inneren Tempelbezirke auf den Vorhof ausweite,
was nicht zum Gesamtbild Jesu passe. 2. Der Text spreche vom „Heraus-
werfen der Verkäufer und Käufer im Tempel"; dies sei unvorstellbar, denn
die Tempelpolizei oder die römische Garnison auf der Antonia hätte so-
fort eingegriffen; die Historizität der Szene sei nur so zu retten, daß man
sie zu einem marginalen Vorfall mache oder zu einer prophetischen Sym-
bolhandlung minimiere37. Ich halte beide Argumente für nicht stichhaltig:
Das zweite Argument beißt sich in den Schwanz: Man kann genau so gut
umgekehrt argumentieren, daß die Austreibung nur eine symbolische Zei-
chenhandlung gewesen sein könne, die relativ verborgen blieb, gerade weil
die Tempelpolizei nicht einschritt und weil sich die Jünger daran nicht
aktiv beteiligt haben dürften. Dafür spricht ja immerhin, daß sie später
nicht zusammen mit Jesus verhaftet wurden. Der sehr knappe Bericht Mk
11,15 sagt nur, daß Jesus „angefangen habe", die Verkäufer wegzutreiben;
er setzt keineswegs voraus, daß Jesus den ganzen, mehrere Hektaren gro-
ßen Tempelvorhof gesäubert habe. Das erste Argument setzt eine be-
stimmte Deutung der Tempelreinigung voraus und bedenkt andere Deu-
tungsmöglichkeiten gar nicht, z. B. eine Deutung der Symbolhandlung als
sozialkritischer Protest gegen die wirtschaftliche Macht der Tempel-
aristokratie, die vom Handel im Tempelvorhof profitierte 38 , oder ihre
Verbindung mit dem Logion Mk 14,58, das die Zerstörung des Tempels
ansagt39. Es reduziert überdies den Gedanken der Heiligkeit des Tempels
auf seine Reinheit. Mk 11,16 könnte aber dafür sprechen, daß es Jesus
nicht um die Reinheit, sehr wohl aber um die Heiligkeit des Tempels
ging40. Für die Historizität dieser Episode sprechen ihre gute Veranke-
36 Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 2 6 - 2 8 ) (EKK 1/4), Düsseldorf u.
Neukirchen-Vluyn 2002, 201 f.
37 BECKER (O. Anm. 15) 407-410.
Jesus and the Purity of the Temple (Mk 11,15-18). A Comparative Religion Approach,
J B L 116 (1997), 4 5 5 - 4 7 2 , bes. 461Í.465-467.
39 So z. B. E. P. SANDERS, Jesus and Judaism, Philadelphia 1985, 6 1 - 7 2 ; THEISSEN/MERZ,
Der historische Jesus (o. Anm. 35), 380f; J. GNILKA, Jesus von Nazaret (HThK.S 3),
Freiburg u. a. 1990, 279f.
40 Die Echtheit ist allerdings unsicher. - Auch beim Ehescheidungsverbot ging es Jesus
vermutlich um die Heiligkeit der Ehe und um Gottes gültigen Willen, nicht um die
3.3 Ich lasse es offen, in welcher Form Jesus seine Ankündigung der Zer-
störung des Tempels, die ich ebenfalls für historisch halte45, gemacht hat.
JÜRGEN BECKER weist darauf hin, daß eine solche in guter prophetischer
Tradition stehende Äußerung (vgl. Jer 26,9.18; äthHen 90,28f etc.) „kein
Anlaß wäre, Jesus zu töten" 46 . Das Verfahren gegen Jesus ben Ananias
(Josephus, Bell. VI 300-306) weist auf das Gegenteil. Der Grund für Jesu
Hinrichtung war ja kein juristischer, sondern ein politisch-taktischer: Es
macht einen großen Unterschied, wo man eine prophetische Äußerung
tut, ob in einem halb im Untergrund zirkulierenden Traktat oder öffent-
lich, im Tempel oder in der Stadt, zum Zeitpunkt eines Pilgerfestes, nach
einer kleineren στάσις.
Ich fasse zusammen·. Jesus hat sich in Jerusalem sehr auffällig benommen.
Er hat sich um das offenkundige Risiko, das er dadurch einging, über-
haupt nicht gekümmert. Spätestens nach seiner Zeichenhandlung im
Tempel wäre es höchste Zeit gewesen, sich aus der Stadt abzusetzen und
unterzutauchen. Jesus hat das nicht getan. Er hat also in der Tat seinen
möglichen Tod bewußt in Kauf genommen oder ihn sogar gewollt. Dann
aber muß man die Frage stellen, welchen Sinn er in ihm gesehen haben
könnte.
42 BETZ a. a. O . 4 5 9 .
43 J . ADNA, J e s u S t e l l u n g z u m T e m p e l ( W U N T 2 / 1 1 9 ) , T ü b i n g e n 2 0 0 0 , 3 0 0 - 3 3 3 .
44 K. PAESLER, Das Tempelwort Jesu (FRLANT 184), Göttingen 1999, 240-245.
45 Anders BECKER (o. Anm. 15) 405f. Für die Historizität: THEISSEN/MERZ a. a. O. 380f.
PAESLER a. a. O. 256-261 rechnet damit, daß Mk 13,2, nicht aber Mk 14,58 auf Jesus
zurückgeführt werden könne.
46 BECKER (O. A n m . 1 5 ) 4 0 4 .
Was hat Jesus selber mit seinem T o d für einen Sinn verbunden? Sehe ich
recht, so sind es nur zwei Texte, die uns möglicherweise in dieser Frage
Hinweise geben könnten 47 , nämlich Lk 12,49f und die Einsetzungsworte
zum Abendmahl Mk 14,22-25.
4.1 Das Logion Lk 12,49f ist eines der schwierigsten in der ganzen synop-
tischen Tradition. Relativ große Einigkeit herrscht darüber, daß V. 49
sehr alt ist, wobei hier offen bleiben kann, ob er aus Q stammt oder nicht.
Der auch vom Thomasevangelium überlieferte Vers 48 enthält verschiedene
Semitismen 4 '. „Feuer" ist eine offene Metapher; biblisch und jüdisch ge-
prägte Hörer/innen werden sie aber fast sicher negativ und ohne weitere
das Verständnis lenkende Hinweise im Text auf das göttliche Gerichts-
feuer gedeutet haben 50 . Auch die Verbindung mit βαλεΐν επί την γην
spricht für diese Deutung 51 . Jesus ist also gesandt, um das Feuer des gött-
lichen Gerichts auf die Erde zu bringen. Diese Aussage ist nicht so über-
raschend, wie sie klingt: Sie entspricht dem, was Johannes der Täufer von
dem nach ihm kommenden Feuerrichter sagt, der größer ist als er ( Q
3 , 1 6 ) . Mit ζ. B. JÜRGEN BECKER 52 m ö c h t e ich den „Stärkeren" auf den
Menschensohn deuten. Hat Jesus sich selber für denjenigen gehalten, der
einst als Menschensohn inthronisiert werden wird und jetzt inkognito auf
47 Lk 13,32 ist zwar jesuanisch, aber das Verbum τελειοΰμαι bezeichnet vermutlich nicht
mehr als den von Gott gesetzten Abschluß seines Wirkens. Mk 12,1-9 - die Authenti-
zität ist unsicher - knüpft Jesus an die deuteronomistische Prophetenmordtradition
an, die durch die Metapher des „Sohns" gegenüber den „Sklaven" überhöht wird. Die
Parabel könnte deutlich machen, daß Jesus in seinem eigenen Wirken eine Fortsetzung
und zugleich Überhöhung des Wirkens der biblischen Propheten sieht (vgl. Q 11,32),
sagt aber nichts über einen möglichen Sinn des Todes Jesu.
48 EvThom Log. 10.
4 ' Der deutlichste ist τί θέλω (V. 49). P. WOLF, Liegt in den Logien von der Todestaufe
(Mk 10,38f; Lk 12,49f) eine Spur des Todesverständnisses Jesu vor? Diss. Freiburg
1 9 7 3 , 1 2 6 - 1 4 1 , weist ferner auf θέλειν έν und βάπτισμα βαπτισθηναι.
50 Ubersicht über die Assoziationsmöglichkeiten bei F. BOVON, Das Evangelium nach
53
Als Lukanismen werden genannt: εχω + Inf., συνέχω, εως ότου und τελέω. Aller-
dings ist absolut gebrauchtes συνέχω nicht lk. Das an sich geläufige (aber nicht spezi-
fisch lk!) πώς kommt nur noch Lk 18,24 in einem Ausruf vor. εχω + Inf. wird bei Lk
nicht im Sinn einer Notwendigkeit gebraucht - dafür braucht Lk normalerweise δει.
54
C. P. MÄRZ, „Feuer auf die Erde zu werfen, bin ich gekommen . . . " , in: DERS., „ . . .
laßt eure Lampen brennen!" (EThS 20), Leipzig 1991, 10-12; vgl. ähnlich schon
H . KÖSTER, Art. συνέχω, ThWNT VII, 1964, 883.
55
Vgl. H . SCHÜRMANN, Sprachliche Reminiszenzen an abgeänderte oder ausgelassene
Bestandteile der Redequelle im Lukas- und Matthäusevangelium, in: DERS., Traditions-
geschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien (KBANT), Düssel-
dorf 1968, dort 113f; DERS., Die Dublettenvermeidungen im Lukasevangelium, ebd.
279-289. Vorausschauende Dublettenvermeidung kennt Lukas nach SCHÜRMANN
a. a. O. 288f nicht. Mk 10,42-45//Lk 22,24-27 ist aber ein Gegenbeispiel dazu.
" Vgl. immerhin Lk 17,33.
57
M i t F. BOVON, D a s E v a n g e l i u m n a c h Lukas (Lk 9 , 5 1 - 1 4 , 3 5 ) ( E K K I I I / 2 ) , Z ü r i c h /
Düsseldorf u. Neukirchen-Vluyn 1996, 352.
51
Dann wäre auch das Stichwort ποτήριον zu erwarten, das zugleich eine deutliche Re-
miniszenz zu Mk 10,38 und einen Vorverweis auf Lk 22,42 hergestellt hätte.
59 So J. JEREMIAS, Die Gleichnisse Jesu, Göttingen '1977, 163f. Pointiert und mit vielen
Belegen wird diese Interpretation von S. LEGASSE vertreten: L'épisode des fils de
Zébédée, NTS 20 (1973/74), 161-177, dort bes. 166-169.
60 So vor allem WOLF (o. Anm. 49) 217-225.231-237. Falls sich Jesus in Lk 12,50 auf die
Täuferankündigung zurückbezieht, dann wäre dies aber nur so möglich, daß er dessen
Hoffnung auf das Kommen des „Feuertäufers" ganz bewußt umbiegt und zu einer ihn
selbst betreffenden Leidenserfahrung macht.
61 D. ALLISON (O. Anm. 50) 127 versteht "the eschatological tribulation" als "the begin-
ning of God's judgement": Auf alle, auch auf Jesus, komme das Feuer und die Flut.
Gegen diese Interpretation spricht aber die markant unterschiedliche Stimmungslage
von V. 49 und V. 50.
Metapher für Bedrängnis und Leiden62. Eine große Bedrängnis Jesu - daß
der Tod gemeint ist, ergibt sich aus dem bildlichen Sprachgebrauch kei-
neswegs zwingend - steht in einem Zusammenhang mit Jesu Auftrag, das
Feuergericht auf die Welt zu bringen. GERHARD DELLING, in dessen
Umkreis ich mich mit meiner Interpretation bewege, nannte das Feuer
„ein Gerichtsgeschehen, in das Jesus selbst einbezogen ist" 63 . Mehr als
dies können wir nicht sagen, ohne unerlaubt zu spekulieren.
ALBERT SCHWEITZER deutete den Tod Jesu als Sühnetod: Jesus habe
stellvertretend für seine Jünger die Drangsale der messianischen Wehen
auf sich genommen und gehofft, so das Reich Gottes heraufzuführen. Lk
12,50 gibt weder einen klaren Deutungshinweis auf die messianischen
Wehen noch einen solchen auf den Sühnetod, ohne daß allerdings solche
Deutungen ausgeschlossen werden könnten. Die einzige Stelle, die hier
möglicherweise weiterhilft, sind die Einsetzungsworte zum Abendmahl.
4.2 Hat Jesus bei seiner letzten Mahlzeit gegenüber seinen Jüngern seinen
Tod als Sühnetod oder Stellvertretungstod gedeutet? Leider kann ich hier
so wenig Gewißheiten vermitteln wie die meisten anderen. Wie heute vie-
le, gehe ich eher von den beiden unsymmetrischen Worten IKor 11,23-25
als von den streng parallelen Deuteworten Mk 14,22-24 als ältester Fas-
sung der Deuteworte aus. Das m. E. stärkste Argument für den jesuani-
schen Ursprung der Deuteworte ist dasjenige von HEINZ SCHÜRMANN:
Er weist beim Becherwort darauf hin, daß bei jüdischen Mahlzeiten der
Einzelbecher üblich ist und daß der in den Mahlberichten eindeutig vor-
ausgesetzte eine Becher, der unter den Jüngern kreist, ein so eigentüm-
licher Ritus sei, daß er gedeutet werden müsse.64 Obwohl seither darauf
hingewiesen wurde, daß es auch einzelne jüdische Belege für einen ge-
meinsamen Becher und vor allem für das Uberbringen eines Bechers an
Abwesende gebe65, behält das Argument sein Gewicht: Üblich ist der
Gemeinschaftsbecher auf gar keinen Fall. Man mußte ihn also deuten.
Natürlich kommt diesem Postulat nur eine Wahrscheinlichkeit zu. Die
zusätzliche Hypothese, daß die überlieferte Deutung zugleich die ur-
62 2Sam 22,5; Ps 32,6; 42,8; 69,2f; 124,4f. Das Wort βάπτισμα kommt allerdings nicht
vor.
63 DELLING (O. A n m . 5 0 ) 2 5 0 .
64 H . SCHÜRMANN, J e s u u r e i g e n e r T o d , F r e i b u r g u. a. 2 1976, 79-90; vgl. a u c h DERS.,
Gottes Reich - Jesu Geschick, Freiburg u. a. 1983, 213-222. Besonders deutlich ist die
konstitutive Funktion des einen Bechers in IKor 10,16 akzentuiert.
" Belege bei J. GNILKA, Wie urteilte Jesus über seinen Tod?, in: KERTELGE (o. Anm. 25)
40f.
sprüngliche sei, ist auch nur eine wahrscheinliche Annahme, wenn auch
bei weitem die einfachste.
Man kann die These SCHÜRMANNS durch drei zusätzliche Überlegun-
gen verstärken: 1. So weit wir sehen können, haben sämtliche urchristli-
chen Gemeinden ein Herrenmahl gefeiert (auch die johanneische!). Diese
Mahlzeit hatte für sie eine so konstitutive Bedeutung, daß sie wahrschein-
lich überall ähnlich gefeiert wurde, also auch z. B. von der judenchristli-
chen Matthäusgemeinde nicht als jährlich gefeierte Passaherinnerung. Das
läßt sich am leichtesten erklären, wenn die Herrenmahlsüberlieferungen
auf Jesus zurückgehen. 2. Eines der schwierigsten Probleme des Urchri-
stentums besteht darin, zu erklären, warum im Frühchristentum offen-
sichtlich früh und vermutlich überall" die Taufe auf den Namen Jesu aus-
geübt wurde, obwohl Jesus selber wohl nicht taufte. Die Johannestaufe,
welche auf die Sündenvergebung zielte, wurde als Taufe auf den Namen
Jesu wieder aufgenommen. Das ist m. E. nur verständlich, wenn man an-
nimmt, daß „Jesus" für seine nachösterlichen Anhängerinnen und Anhän-
ger von Anfang an mit der Vergebung der Sünden verbunden wurde.
Nicht erst nachösterliche kerygmatische Bekenntnisaussagen, sondern
m. E. bereits das Faktum der Taufe auf den Namen Jesu setzt wahr-
scheinlich die Deutung des Todes Jesu als Sühnetod voraus. Das ist wie-
derum am leichtesten verständlich, wenn sie auf Jesus selbst zurückgeht.
3. Darüber hinaus erinnere ich nochmals an das Postulat der Wirkungs-
plausibilität: Die Uberzeugung von der sühnenden Kraft des Todes Jesu
ist im Frühchristentum so weit verbreitet, daß die These, sie sei erst
nachösterlich irgendwo entstanden und habe sich dann sehr schnell und
überall durchgesetzt, doch einige Verlegenheit bereitet. Daß hier ein Erbe
Jesu vorliegt, ist die einfachste Erklärung.
Ich sagte zu Beginn, daß ich in die Nähe ALBERT SCHWEITZERS kommen
würde. Dies stimmt nur bedingt. Es stimmt insofern, als ich denke, daß
keine einzige der grundlegenden Thesen ALBERT SCHWEITZERS zum Gang
Jesu nach Jerusalem und zu seinem Todesverständnis sich wirklich falsifi-
zieren läßt. Ihm bleibt jedenfalls das Verdienst, daß er erkannt hat, daß
bereits Jesu letzter Reise nach Jerusalem eine bestimmte Absicht zugrun-
A N D R E A S LINDEMANN
genannten Titel.
1 Vgl. SCHMIDT, Jesus Christus, 116: Uber Jesus können „nicht Aussagen gemacht wer-
voraus; es bezieht sich aber nicht auf ihn, sondern es hat seinen Aus-
gangspunkt bei der Rede von der Auferweckung Jesu durch Gott. Der
damit verbundenen theologischen Fragestellung wenden sich die folgen-
den Überlegungen zu, nicht aus systematischer, sondern aus historisch-
exegetischer Perspektive.
Am Anfang (I.) stehen einige sehr knappe Anmerkungen zur histori-
schen Frage nach Jesus, wie sie sich mir darstellt. Dann wird (II.) nach
dem neutestamentlichen Befund hinsichtlich des Verhältnisses der Be-
kenntnisaussagen über den auferweckten Jesus zum „historischen Jesus"
gefragt, und zwar mit einigen Beobachtungen zunächst zu einem paulini-
schen Text (Rom 10,9) und sodann zum lukanischen Doppelwerk, ausge-
hend von der Pfingstpredigt des Petrus (Apg 2,14-36). Abschließend soll
(III.) das Verhältnis von Bekenntnis und Historie in der neutestamentli-
chen Christologie in den Blick genommen werden. Das Stichwort „Erwä-
gungen" im Untertitel des Beitrags deutet an, daß abschließende Fest-
stellungen nicht erwartet werden dürfen.
Die folgende Skizze zu Jesu Leben und Verkündigung soll kein eigener
Beitrag zur historischen Frage nach Jesus sein11; sie soll nur deutlich ma-
chen, daß die in Teil II folgenden Erwägungen zu Paulus und zu Lukas
nichts mit einer prinzipiellen Skepsis im Blick auf den „historischen Je-
sus" zu tun haben.
Eine Biographie Jesu, also ein wissenschaftlich verantwortetes Buch
mit dem Titel „Das Leben Jesu", kann nicht geschrieben werden - dafür
reicht die Quellenlage nicht aus, und zwar vor allem deshalb nicht, weil
die Evangelisten an einer wirklich biographischen Darstellung der Person
Jesu nicht interessiert waren. Für Mk gilt das uneingeschränkt, kaum
anders auch für Mt. Nur Lk deutet an, daß seine διήγησις των
πεπληροφορημένων έν ήμΐν πραγμάτων auch dem Maßstab einer histo-
riographischen Darstellung entsprechen soll (Lk 1,1-3). 12 Auf historisch
einigermaßen sicherem Boden bewegen wir uns im Blick auf Jesu Leben
erst bei seiner Taufe durch Johannes. Der Täufer sprach von einem nahen
eschatologischen Gericht, und er rief die Menschen angesichts dieses Ge-
richts zur Buße; dies verband er laut Mk 1,4 mit der Zusage der Sünden-
" Daher wird auch auf eine D e b a t t e mit der F o r s c h u n g verzichtet. D i e nach m e i n e m
Urteil derzeit beste m e t h o d i s c h kontrollierte Darstellung bietet BECKER, J e s u s .
12 L k 1,4 zeigt dann freilich, welchem eigentlichen Z w e c k das W e r k dient.
13 Vgl. ERNST, Johannes, 337: „An der Tatsächlichkeit der Taufe Jesu durch Johannes be-
steht [ . . . ] kein begründeter Zweifel."
14 Mk sieht darin offensichtlich kein Problem; Mt hält immerhin an der mk Formulie-
rung fest, daß die Täuflinge έξομολογούμενοι τάς αμαρτίας αυτών waren (3,6), aber
vor allem der von ihm redaktionell geschaffene kurze Dialog zwischen dem Täufer und
Jesus (3,14f.) zeigt die deutlich veränderte Perspektive (vgl. ERNST, Johannes, 1 6 2 -
164).
15 Vgl. BACKHAUS, „Jüngerkreise", kommt zu dem Ergebnis: Jesus gehörte „dem .nar-
rower circle' der Johannesjünger mit einem denkbar hohen Wahrscheinlichkeitsgrad
nicht an" (110); vgl. 9 6 - 1 1 2 .
16 Vgl. dazu VÖGTLE, Herkunft, 7 9 - 8 7 .
17 BECKER, Jesus, 1 3 1 - 1 3 3 hält Lk 10,18 für authentisch, sieht darin aber nicht den Hin-
weis auf eine Jesus widerfahrene Vision, sondern meint, die Aussage sei „besser als
Urteil Jesu angesichts seiner Wundertaten zu begreifen" (132f.), analog dem Logion in
Lk 1 1 , 2 0 / M t 12,28.
18 V g l . LINDEMANN, H e r r s c h a f t .
" Ein Indiz für diese Vermutung ist die unmittelbar im Anschluß an Petrus folgende
Nennung der δώδεκα als Empfänger der Erscheinung des Auferstandenen ( I K o r
15,4). Als nachösterliche Größe stehen „die Zwölf" sicher für den Gedanken eines
„wahren Israel", vergleichbar etwa der Qumran-Gemeinde.
„Wenn du mit deinem Munde bekennst: ,Herr (κύριος) ist Jesus', und
(wenn du) in deinem Herzen glaubst: ,Gott hat ihn auferweckt von den
Toten' (ήγειρεν έκ νεκρών), wirst du gerettet werden." Mit zwei offen-
sichtlich formelhaften Aussagen beschreibt Paulus in Rom 10,9 die Vor-
aussetzung für die Teilhabe eines Menschen am Heil, für seine eschatolo-
gische Rettung (σωΰηστ]). Paulus hatte unmittelbar zuvor (Rom 10,6b-
8a) Dtn 30,12-14 zitiert, in der Fassung der LXX: „Sprich nicht in deinem
23
FLUSSER, Jesus, 133.
Herzen ,Wer wird in den Himmel hinaufsteigen?' oder ,Wer wird in die
Unterwelt hinabsteigen?' Nahe ist dein Wort, in deinem Munde und in
deinem Herzen." Das dem Mund und dem Herzen „nahe" Wort ist in
dem biblischen Text die Tora, das Gesetz, in der Sprache der L X X : der
νόμος. Paulus aber hatte soeben in Rom 10,4 hinsichtlich der Gerechtig-
keit einen Gegensatz zwischen Jesus Christus und dem νόμος behauptet,
und zwar als Erläuterung für seine These vom Widerspruch zwischen der
eigenen Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit Gottes: „Christus ist des
Gesetzes Ende (τέλος νόμου) für jeden Glaubenden (παντί τφ πιστεύ-
οντι)." 2 '' Daran anknüpfend erklärt er nun in 10,5.6-8, der Gegensatz zwi-
schen den beiden Formen der Gerechtigkeit sei schon im Gesetz selber zu
finden; denn Mose schreibe in Lev 18,5 hinsichtlich der „Gesetzesgerech-
tigkeit" (V. 5a: δικαιοσύνη έκ νόμου), daß sie in das Tun führe, in Dtn
30,12-14 hingegen spreche die „Glaubensgerechtigkeit" (ή έκ πίστεως
δικαιοσύνη), wobei das von ihr dem Hörer zugesprochene „nahe Wort"
das von „uns" verkündigte ρήμα της πίστεως sei.25 Anknüpfend an das
κηρύσσομεν von V. 8 führt Paulus nun in V. 9 als Inhalt des Bekennens
(όμολογεΐν) die Aussage ,Herr ist Jesus' an und als Inhalt des Glaubens
(πιστεύειν) die von einem Handeln Gottes sprechende Aussage, Gott
habe ihn - Jesus - von den Toten auferweckt. Was ist damit gemeint?
Die beiden Worte κύριος und Ίησοϋς bilden einen Nominalsatz, in
dem ein Titel (κύριος) und ein Name (Ίησοϋς) miteinander verbunden
sind; dabei gilt die jeweilige inhaltliche Bedeutung der beiden Worte
offenbar als bekannt. Die formgeschichtliche Einordnung der Aussage
κύριος Ίησοϋς ist nicht ganz deutlich; da dieselbe Wendung auch in IKor
12,3 und ähnlich in Phil 2,11 begegnet, liegt vermutlich eine feste Formel
vor. Paulus verknüpft die Aussage „Herr ist Jesus" mit dem Verb όμο-
λογεΐν, das üblicherweise mit „bekennen" übersetzt wird; nach K Ä S E -
MANN handelt es sich allerdings nicht um eine Bekenntnisformel, sondern
eher um eine im Gottesdienst ausgesprochene Akklamation, „die freilich
das Moment des Bekenntnishaften einschließt". 26
Verbindet sich der Titel κύριος, der im Rahmen religiöser Sprache u. a.
auch als Gottesprädikat dienen kann, mit dem Namen einer bestimmten
Person, so wird damit eine Exklusivaussage über diese Person gemacht.
24 Die Debatte, o b τέλος νόμου „Ende" oder aber „Ziel des G e s e t z e s " meint, braucht
hier nicht expliziert zu werden; da in 10,3 ein Gegensatz konstatiert wird, kann die in
10,4 ausgeführte Erläuterung (γάρ) jedenfalls nicht den Sinn haben, diesen Gegensatz
sogleich wieder zu beseitigen.
25 Näheres dazu bei LINDEMANN, Gerechtigkeit.
26 KÄSEMANN, R ö m e r , 2 8 1 . όμολογεΐν könne hier geradezu mit „proklamieren" übersetzt
werden.
Die Aussage κύριος Ίησοϋς meint also: „Herr ist Jesus, und niemand
sonst". Dabei ist zumindest im Kontext des jüdischen Christentums klar,
daß κύριος hier nicht als ein Gottesprädikat aufzufassen ist - unabhängig
von der Frage, ob die L X X für den hebräischen Gottesnamen den griechi-
schen Begriff κύριος verwendet hat oder nicht; denn Jesus nimmt im
christlichen Glauben nicht die Stelle Gottes ein. Wohl aber tritt Jesus in
einer unvergleichlichen und endgültigen Weise an die Seite Gottes - bis
hin zu der in IKor 8,6 vorliegenden Verbindung der biblischen Rede von
dem einen Gott (εις Φεος) mit der Rede von dem einen Herrn Jesus (εις
κύριος Ίησοϋς). 2 7 Der κύριος-Titel bezieht sich nicht auf die Vergangen-
heit Jesu, sondern er bezeichnet Jesu gegenwärtige Rolle bzw. Funktion:
Jesus ist (jetzt) der Herr (und also nichts anderes28) ; und zugleich gilt: Es
ist eben dieser Jesus (und also niemand sonst), von dem gesagt wird, daß
er „der Herr" ist.29 Zumindest Paulus selber hat dieses Herr-Sein Jesu in
einem umfassenden Sinn verstanden; das wird deutlich in Rom 10,12, wo
Jesus ausdrücklich κύριος πάντων genannt wird. „Alle" - das sind Juden
und Heiden, da Paulus behauptet, die bisher bestehende und als funda-
mental wahrgenommene Unterscheidung von Jude und Nichtjude sei auf-
gehoben (ού γάρ έστιν διαστολή).
Welche Bedeutung besitzt nun aber in der Aussage κύριος Ίησοϋς der
Name Jesus? Klar ist jedenfalls, daß der Name eine reale, historische Per-
son bezeichnet; man braucht nicht über die Möglichkeit zu spekulieren, es
könne sich um eine mythische Gestalt handeln oder der Name „Jesus" be-
zeichne ein bloßes religiöses Konstrukt. Die Historizität Jesu ist in der
Antike nie bestritten worden; vielmehr war sowohl den Anhängern wie
auch den Gegnern der Aussage κύριος Ίησοΰς bewußt, daß Jesus eine
historische Person gewesen war, und zwar eine Person der jüngsten Ver-
gangenheit. Welches historische Wissen sich mit dem Namen „Jesus"
jeweils verband, können wir im einzelnen allerdings nicht sagen; das gilt
sowohl im Blick auf Paulus selber wie auch im Blick auf die Urheber der
von ihm in Rom 10,9 zitierten Formel, und es gilt nicht zuletzt auch im
Blick auf die römischen Adressaten seines Briefes.
Die Annahme, daß Paulus über den „historischen Jesus" nicht nur
nichts gewußt habe, sondern daß er über ihn geradezu nichts habe wissen
wollen, ist wenig wahrscheinlich; aus 2Kor 5,16 ( . . . εί και έγνώκαμεν
30 Vgl. BULTMANN, Zweiter Korinther, 155-158. 156: „Der Χριστός κατά σάρκα ist
Christus in seiner weltlichen Vorfindlichkeit, vor Tod und Auferstehung. Als solcher
soll er nicht mehr in den Blick gefaßt werden (bzw. wenn man κατά σάρκα zu
έγνώκαμεν ziehen will [ . . . ] : in der Weise der σάρξ soll man ihn nicht mehr in dpn
Blick fassen, was auf das gleiche hinauskommt)." FURNISH, II Corinthians, 331,
schließt sich der These von J. L. MARTYN an, der Gegensatz zu κατά σάρκα sei im
sachlichen Kontext des 2Kor ein Kennen Jesu κατά σταυρόν, entsprechend der Aus-
sage in IKor 2,2.
31 So aber beispielsweise HENGEL/SCHWEMER, Paulus, 232f.: „Im Mittelpunkt der Ge-
spräche wird - ca. sechs Jahre nach dem Todespassa - vor allem Jesus gestanden haben,
d. h. der irdische und gekreuzigte, auferstandene und erhöhte, der jetzt verkündigte
und der kommende Herr."
32 HENGEL polemisiert gegen CONZELMANNS Hinweis, Paulus habe in Gal 1,18 vom In-
halt der Gespräche nicht berichtet, „weil er anscheinend für seine eigene Theologie
nicht substantiell war" (CONZELMANN, Geschichte, 67); damit verkenne CONZELMANN
„den Sinn des Berichts von Gal 1,15-24 völlig", da Paulus „nirgendwo ein ausführlicher
Berichterstatter biographischer Details" sei (HENGEL/SCHWEMER, Paulus, 231). Es
geht nicht um das Fehlen biographischer Details, sondern darum, daß Paulus vom sach-
lichen Ertrag des Besuchs bei Petrus nichts berichtet. Sollte Paulus durch Petrus tat-
sächlich eingehend über Jesu Leben und Verkündigung informiert worden sein, so wä-
re das praktisch vollständige Fehlen entsprechender Hinweise in den uns erhaltenen
Briefen um so auffälliger. Anders STUHLMACHER, Theologie I, 222: In der Theologie
des Paulus werden „die wesentlichen Intentionen des Werkes und der Lehre Jesu auf-
gegriffen und von Ostern her begrifflich durchdacht".
standen"; sie spricht vielmehr von Gott, der an Jesus gehandelt hat.37 Da-
bei ist zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber doch wohl vorausgesetzt, daß
von dem Gott gesprochen ist, zu dem Jesus in einer besonderen Bezie-
hung gestanden hatte. Es ist also von dem „Gott Jesu" die Rede 38 , und das
bedeutet: Es ist der Gott Israels, von dem der Glaube an die Auferwek-
kung Jesu spricht. 39 Hinter dem Begriff ó "θεός steht also die biblische
Tradition, die Geschichte der Selbstoffenbarung des Gottes Israels. Ein
besonderes Wissen vom spezifischen Inhalt der Gottesverkündigung Jesu
muß sich mit der Aussage „Gott hat ihn von den Toten auferweckt" gar
nicht unbedingt verbinden; wohl aber kann es als wahrscheinlich gelten,
daß das Wissen vom gewaltsamen Tod Jesu von Anfang an darin enthalten
war, auch wenn zumal in den formelhaften Aussagen ein expliziter Hin-
weis auf das Kreuz meist fehlt. Jesu Sterben selber wird dabei zunächst
offenbar noch nicht gedeutet, weder in den Kategorien der Sühne noch als
Stellvertretung; der Tod wird zunächst nur verstanden als das Ende des
irdischen Weges Jesu. 40 Jesus war tot gewesen; seine Auferweckung be-
deutete seine endgültige Befreiung aus der Macht des Todes.
Paulus formuliert in Rom 10,9 zwei Bedingungssätze: „Wenn du be-
kennst . . . und (wenn du) glaubst" (εάν όμολογήσης . . . και πιστεύσης) ;
als gemeinsamer Hauptsatz folgt dann die Ansage der Rettung im escha-
tologischen Endgericht (σωθηση). Was Paulus meint, verdeutlicht er in
V. 10, indem er das verheißene Ziel mit zwei Begriffen bezeichnet - Ge-
rechtigkeit (δικαιοσύνη) und Heil, Rettung (σωτηρία). Man wird zwi-
schen diesen beiden Begriffen nicht scharf unterscheiden müssen, als sei
womöglich die Gerechtigkeit strikt dem „glauben mit dem Herzen"
(καρδίςι πιστεύεσθαι), das Heil dagegen dem „bekennen mit dem Mun-
de" (στόματι όμολογεισθαι) zuzuweisen. Paulus kommt es darauf an,
den soteriologischen Charakter der glaubenden Aneignung der Wahrheit
der Bekenntnis- und Glaubensaussage zu betonen. 41 Gegenstand des
Glaubens und des Bekennens ist nicht ein Wissen von geschichtlichen
Fakten; es geht vielmehr um die sich im Glauben vollziehende Annahme
der Botschaft „Herr ist Jesus", die ihrerseits Geltung besitzt, weil „Gott
ihn von den Toten auferweckt" hat. Nicht eine Tatsache wird mitgeteilt,
die man zur Kenntnis nehmen, die man aber auch ignorieren kann; son-
dern eine Botschaft wird verkündigt, die von denen, die sie hören, entwe-
42 Daher ist die Feststellung so wichtig, daß das Wort von allen und überall gehört wer-
den kann.
43 Eine derartige Tendenz läßt sich eher dem „Lied" in Phil 2,6-11 entnehmen: Er (sc.
Jesus) war „gehorsam bis zum Tode", und „<¿trum hat ihn Gott erhöht" (V. 9).
44 Dies war zum Teil die Perspektive in der Forschung der 1950er und 1960er Jahre; vgl.
deutlich andere Perspektive erkennen als bei Paulus; es lohnt sich deshalb,
einen Vergleich zwischen diesen beiden theologischen Positionen vorzu-
nehmen.
Lukas bietet im ersten Teil seines Werkes, im Evangelium, zumindest
in Ansätzen so etwas wie eine historiographisch akzentuierte Biographie
Jesu; im zweiten Teil, der Apostelgeschichte, zeichnet er dann ein eben-
falls durchaus historiographisches Bild der Geschichte der urchristlichen
Verkündigung. Die Frage, inwieweit diese Darstellungen jeweils als histo-
risch zuverlässig anzusehen sind, besitzt für den hier erörterten Zu-
sammenhang kaum Bedeutung. Wohl aber ist zu fragen, wie sich die im
lukanischen Doppelwerk dargestellte „Historie" und das von Lukas ent-
worfene Bild der Glaubensverkündigung zueinander verhalten. Grund-
sätzlich ist zu beachten, daß sich Lukas, anders als Paulus, offensichtlich
nicht unmittelbar an bestimmte Adressaten wendet45; aber er schildert mit
seinen literarischen Mitteln Situationen, deren Höhepunkt adressatenbezo-
gene Reden bilden.
In Apg 2,14-36 bietet Lukas die erste öffentliche Missionsrede der im
Entstehen begriffenen christlichen Gemeinde, die Pfingstpredigt des
Petrus. Diese Predigt geht, wie die Reden in der Apg generell, im wesent-
lichen auf Lukas selber zurück46; die formgeschichtliche Frage, ob und in
welchem Umfang dabei auch ältere Tradition verarbeitet worden sein
könnte, bleibt im folgenden unberücksichtigt.47
Die Pfingstpredigt ist durch die drei unterschiedlichen Anreden an die
Adressaten (V. 14: άνδρες Ιουδαίοι κτλ., V. 22: άνδρες Ίσραηλίται,
V. 29: άνδρες αδελφοί) deutlich in drei Abschnitte gegliedert: In 2,14-21
gibt Petrus seinen Jerusalemer Hörern eine Erklärung der Phänomene des
zuvor in 2,1-4 geschilderten und dann in 2,5-13 von den Anwesenden be-
reits unterschiedlich gedeuteten Pfingstwunders; in 2,22-28 spricht er
vom Geschick des irdischen Jesus; in 2,29-36 folgt das Zeugnis von der
Auferweckung Jesu. Der Eingangsszene 2,1-13 entspricht der Schluß
2,37-41, in dem die Reaktion auf das Gehörte beschrieben wird.
45Die Widmung an Theophilos (Lk 1,1-4; Apg 1,1) widerspricht dem nicht; Theophilos
ist nicht in gleicher Weise Adressat von L k / A p g wie die römischen Christen die
Adressaten des Rom sind.
Vgl. die knappen Hinweise bei CONZELMANN, Apostelgeschichte, 9f. Zur Analyse der
Reden im einzelnen s. SOARDS, Speeches.
" Die Stephanusrede dürfte von Lukas im wesentlichen aus einer Quelle (des Stepha-
nuskreises?) übernommen worden sein.
Der lukanische Petrus beginnt seine Predigt damit, daß er nach der fei-
erlichen Einleitung 48 zunächst ausdrücklich den Trunkenheitsverdacht zu-
rückweist (V.15); es handele sich bei dem Geschehen im Gegenteil um die
Erfüllung jener prophetischen Verheißung, mit der Gott angekündigt ha-
be: „Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch" (V. 16-21). 4 9 Erst
nach dieser Einleitung spricht Petrus im zweiten Teil der Predigt von „Je-
sus, dem Nazoräer" (V. 22a); dabei erklärt er ausdrücklich, daß die von
ihm angesprochenen Menschen (άνδρες Ίσραηλίται) „wissen", wer die-
ser Jesus gewesen war: Ein Mann, von Gott beglaubigt ε'ις υμάς durch
Machttaten und durch Zeichen und Wunder (V. 22fin: καθώς αυτοί
οιδατε). 50 Aber sie, die jetzt angeredeten Jerusalemer, hatten ihn, der ent-
sprechend dem Willen und der πρόγνωσις Gottes dahingegeben wurde,
durch die Hand der Gesetzlosen (ans Kreuz) „angeheftet" und also um-
gebracht (V. 23). 51 Gott jedoch bewirkte seine Auferstehung (άνέστη-
σεν), indem er „die Wehen des Todes" löste (V. 24a) 52 , dem Tod also die
Möglichkeit nahm, Jesus in seinem Machtbereich festzuhalten (V. 24b).
Auch für dieses Geschehen führt Petrus einen Schriftbeweis an; es ent-
spreche einer Verheißung des Psalmsängers David: „Du wirst nicht zuge-
ben, daß dein Heiliger die Verwesung sieht" (V. 2 7 ) . "
Im Anschluß an dieses Zitat beginnt der dritte Teil der Predigt. Petrus
betont unter Hinweis auf das „bis heute" bekannte Grab Davids in Jeru-
salem, dieser könne in dem Psalm nicht von sich selber gesprochen haben
(V. 29) ; vielmehr habe er als Prophet von der Auferstehung Jesu gewußt
und davon gesprochen (V. 30f.). Zur näheren Ausführung dessen nimmt
48 Vgl. PLÜMACHER, Lukas, 41f., der auf die zahlreichen Septuagintismen verweist, die
sich nicht erst in der Redeeröffnung (V. 14b) finden, sondern schon in der Schilderung
des Auftretens des Petrus (V. 14a).
49 Zitiert wird der LXX-Text von Joel 3,1-5, allerdings mit einigen Abweichungen; vgl.
d a z u BARRETT, A c t s , 1 3 6 - 1 3 9 .
50 Vgl. dazu KORN, Geschichte, 234-236. Auf die Wunder Jesu wird in der Apg nur hier
in 2,22 sowie in 10,38 verwiesen (vgl. a. a. O., 233-241). Ob Lukas von V. 22 an einer
anderen Quelle folgt, wie BARRETT, Acts, 129, aus dem "abrupt change marked by a
fresh address to the listeners" schließt, kann hier offen bleiben.
51 Zur dialektischen Spannung zwischen dem von Gott beschlossenen Plan und der
gleichwohl bestehenden Verantwortung der Menschen s. CONZELMANN, Mitte, 141—
144; BARRETT, Acts, 142; ferner SQUIRES, Plan.
52 Die rätselhafte Wendung λύσας τάς ώδΐνας τοΰ θανάτου wird meist auf eine
Fehlübersetzung der L X X zurückgeführt (BARRETT, Acts, 143, unter Hinweis auf
Ps 17,6; 114,3: Statt Strick, sei San, Wehe, gelesen worden). PLÜMACHER,
Lukas, 42, meint, es liege liturgische Sprache vor, keine direkte Übernahme aus einem
LXX-Text.
" I n 2,25-28 wird Ps 15,8-11 L X X zitiert (zu den Differenzen vgl. BARRETT, Acts,
144-146).
die Rede in V. 32 die Aussage von V. 24 wieder auf: Gott hat an diesem
Jesus die Auferstehung bewirkt 54 , und dafür, so sagt Petrus, sind „wir alle
Zeugen" (πάντες ήμεΐς εσμεν μάρτυρες). Jesus, so heißt es weiter, ist zur
Rechten Gottes erhöht worden (V. 33). 55 Dies entspreche abermals einer
Verheißung Davids, die anschließend in V. 34b-35 zitiert wird,
nämlich Ps 109,1 LXX. 5 6 Die Predigt schließt in V. 36 mit dem Hinweis,
„das ganze Haus Israel" solle „mit Sicherheit wissen" (άσφάλως ουν
γινωσκέτω πάς οίκος Ισραήλ), daß Gott „ihn" zum Herrn (κύριος) und
zum Messias (χριστός) gemacht hat, „diesen Jesus, den ihr gekreuzigt
habt".
Die Nähe der die Pfingstpredigt abschließenden Wendung zu den bei-
den von Paulus in Rom 10,9 zitierten Formeln ist deutlich; auffällig ist
insbesondere, daß die hier ausgesprochene Vorstellung, Gott habe Jesus
zum κύριος und zum χριστός „gemacht", der lukanischen Christologie,
wie sie etwa in der Botschaft der Engel in der Weihnachtsgeschichte
sichtbar wird (Lk 2,11), nicht entspricht. 57 Es kommt jetzt aber nicht auf
eine formgeschichtliche oder traditionsgeschichtliche Analyse der von
Lukas hier dem Petrus in den Mund gelegten Worte an, sondern zu fragen
ist nach der Interpretation dieser Aussagen im Rahmen des lukanischen
Doppelwerkes: Wie sollen die in der erzählten Textwelt angeredeten Hö-
rerinnen und Hörer der Pfingstrede, also „die Jerusalemer", die Aussage
des Petrus über Jesus als den „Herrn" und als den „Messias" verstehen?
Und wie sollen die von Lukas implizierten Leser des Textes Apg 2,14-36
- also letztlich wir - diese Pfingstpredigt aufnehmen?
Gegenstand des als eine fortlaufende Erzählung gestalteten lukanischen
Werkes 58 sind die Geschichte der Geburt, des Lebens und des Sterbens Je-
su sowie Jesu Auferweckung und die darauf folgende Geschichte der Kir-
che. Wenn der lukanische Petrus in seiner Pfingstpredigt von den Wun-
dertaten spricht, durch die Gott den Menschen Jesus von Nazareth
„beglaubigt" habe (V. 22-24), dann ist dabei vorausgesetzt, daß die auf
der Ebene der Erzählung dies hörenden Jerusalemer wissen, worauf sich
Petrus im einzelnen bezieht; ebenso wissen dies auch die Leserinnen und
54 Die Parallelität ist betont: 2,24: ov ό θεός άνέστησεν - 2,32: τοΰτον τόν Ίησοΰν
άνέστησεν ό θεός.
55 In diesem Zusammenhang ist nochmals von der Geistausgießung die Rede.
56 Das Zitat wird ähnlich wie zuvor im Fall von Ps 16,8-11 mit dem Hinweis verbunden,
David sei nicht selbst in den Himmel hinaufgestiegen (V. 34a); das folgt für den luka-
nischen Petrus offensichtlich aus dem Wortlaut der Ps-Stelle, in der ja „der Herr"
(κύριος) zu „meinem Herrn" (τψ κυρίω μου) spricht.
57 In Lk 2,11 ist bereits das neugeborene Kind χριστός κύριος und als solcher σωτήρ.
58 Vgl. die Beiträge in dem Sammelband von VERHEYDEN, Unity.
Leser des Textes: Jesus hat Dämonen ausgetrieben und Kranke geheilt; er
hat Behinderte von ihren Behinderungen befreit und sogar Tote wieder
zum Leben erweckt. 59 Wenn in diesem Zusammenhang dann ausdrücklich
darauf hingewiesen wird, daß Jesus diese Wunder in aller Öffentlichkeit
getan hat, dann entspricht das dem vorausgesetzten „Wissen" der Adres-
saten (έν μέσω υμών καθώς αυτοί οιδατε). Die Jerusalemer Hörer der
Petrusrede in der erzählten Welt des Textes können von ihrer eigenen
Erfahrung her die Aussagen des Petrus über das Leben Jesu unmittelbar
bestätigen. Es spielt dabei keine Rolle, daß Jesus die genannten Machter-
weise nicht in Jerusalem, sondern in Galiläa bzw. auf dem Weg von Gali-
läa nach Jerusalem vollbracht hatte; der lukanische Petrus kann vielmehr
ohne weiteres davon ausgehen, daß niemand unter seinen Hörern Anlaß
hat, die Richtigkeit des von ihm über Jesus Gesagten zu bezweifeln. Und
für die Leser der Apostelgeschichte genügt ja ein Blick in das Evangelium.
Die Jerusalemer Adressaten der Rede wissen auch, daß der von Petrus
gegen sie erhobene Vorwurf, sie hätten Jesus διά χειρός άνομων umbrin-
gen lassen, berechtigt ist. Anders als bei Mk (15,11-13) war nach der lu-
kanischen Passionsdarstellung das Volk nicht durch die Hohenpriester
dazu aufgewiegelt worden, von Pilatus die Begnadigung des Barabbas und
die Kreuzigung Jesu zu verlangen60; vielmehr hatte die Volksmenge von
sich aus Pilatus dazu aufgefordert, Jesus hinzurichten und Barabbas frei-
zulassen, nachdem zuvor Pilatus ausdrücklich Jesu Schuldlosigkeit festge-
stellt hatte (Lk 23,13-16.18)." Was Petrus also in Apg 2,22f. über das Le-
ben und über das Todesgeschick Jesu sagt, entspricht präzise dem zuvor
im Evangelium von ihm Berichteten; der „historische" Wahrheitsgehalt ist
also auf der Ebene des lukanischen Werkes ohne weiteres überprüfbar.
Welchen Wahrheitsgehalt hat dann aber die in Apg 2,24 folgende Aus-
sage, Gott habe die Auferstehung Jesu bewirkt? Für die Leser der lukani-
schen Erzählung ist die Antwort klar: Jesus war den Jüngern erschienen
und hatte seine Auferstehung insbesondere durch das Essen einer Fisch-
mahlzeit unter Beweis gestellt (Lk 24,36-43). Unmittelbar zuvor war von
dem Weg zweier Jünger nach Emmaus erzählt worden (24,13-35): Die
59 Die Begrifflichkeit ist freilich eine andere: Im Lk wird lediglich das Stichwort δύναμις
im Blick auf Jesu Taten gebraucht (4,36; 5,17; vgl. 10,13); σημεΐον begegnet dagegen
nur im Kontext der (zurückgewiesenen) Zeichenforderung, τέρας begegnet gar nicht.
Von σημεία και τέρατα (oder auch umgekehrt) ist dann freilich in der Apg sehr oft
die Rede.
60 In Mk 15,11 heißt es: οί δέ άρχιερεΐς άνέσεισαν τον οχλον ϊνα μάλλον τον
Βαραββάν άπολύση αίιτοΐς, woraufhin dann die Volksmenge auf die entsprechende
Frage des Pilatus antwortet: σταύρωσον αυτόν (V. 13).
" Nach Lk 23,20.22 unternimmt Pilatus zwei weitere vergebliche Versuche, Jesus frei-
zulassen.
beiden waren dem auferstandenen Jesus begegnet, der ihnen anhand der
Heiligen Schriften verdeutlichte, daß das Leidensgeschick des χριστός
dem entsprach, was „angefangen bei Mose und allen Propheten" über ihn
geschrieben stand (24,27); die Leser wissen allerdings auch, daß die bei-
den Jünger Jesus dann erst an der Geste des Brotbrechens erkannt hatten
(V. 30f.), d. h. die Auslegung der Schrift hatte sie zuvor noch nicht er-
kennen lassen, daß ihnen der Auferstandene selber begegnet war. Davor
hatte Lukas bereits von der Auffindung des leeren Grabes durch die Frau-
en erzählt und von der durch zwei Männer übermittelten Auferstehungs-
botschaft (24,1-8), die von den Frauen sogleich an „die Elf" bzw. die
απόστολοι weitergegeben worden war (24,9-12). Aber gerade in diesem
Zusammenhang war deutlich geworden, daß der Evangelist das leere Grab
offenbar nicht als eine „faktische" Bestätigung der zuvor von Jesus selber
mehrfach ausgesprochenen Leidens- und Auferstehungsankündigungen
(Lk 9,22/9,44f./l 8,31-34) verstanden wissen will; denn zwar erinnern die
άνδρες in dem leeren Grab (24,4) die Frauen an diese Ankündigungen
(24,7f.), und die Frauen teilen dies den απόστολοι mit (24,9f.); doch die-
se halten das für leeres Geschwätz und glauben den Frauen nicht (24,11:
ήπίστουν αύταΐς). Petrus sieht dann zwar das leere Grab; aber er ist über
das Geschehen nur „verwundert" (άπήλθεν προς έαυτόν θαυμάζων τό
γεγονός). 62 Zweifellos ist das leere Grab für Lukas eine Realität; aber
trotz der ausdrücklichen Erinnerung an Jesu eigene Worte vermag es bei
niemandem den Glauben an die Auferweckung Jesu auszulösen, d. h. es
kommt dieser Realität im Zusammenhang der Rede von der Auferstehung
Jesu offensichtlich keinerlei Gewicht zu.
Daran ändert sich nun auch in der Pfingstpredigt nichts. Im Anschluß
an das Zitat von Ps 16,8-11 in Apg 2,25-28 verweist Petrus zwar auf das
Grab Davids, das έν ύμΐν ist „bis auf diesen Tag" (V. 29), und er betont,
daraus sei zu folgern, daß die Verheißung, der „Heilige" Gottes werde die
διαφθορά nicht „sehen", keinesfalls David selber gelten könne; aber das
Grab Jesu wird von Petrus mit keinem Wort erwähnt, obwohl es doch im
Kontext der Apostelgeschichte gar kein Problem gewesen wäre, wenn
Lukas den Petrus vom leeren Grab Jesu als von einem objektiv wahr-
nehmbaren Faktum hätte sprechen lassen. Warum erwähnt der lukanische
Petrus Jesu (leeres) Grab nicht? Den erst spät aus offensichtlich apologe-
tischen Gründen eingeführten und dann „widerlegten" Vorwurf, die Jün-
ger Jesu hätten dessen Leichnam aus dem Grab entfernt (Mt 27,62-66;
28,11-15), kennt Lukas offenbar noch nicht; dieser Vorwurf wird jeden-
falls nicht der Grund dafür sein, daß Petrus die Erwähnung des (leeren)
Grabes Jesu vermeidet." Die Unauffindbarkeit des Leichnams Jesu ist
für Lukas offensichtlich kein Mittel, den Glauben an Jesu Auferweckung
auszulösen oder ihn auch nur zu sichern. Wenn also Petrus in der
Pfingstpredigt ausdrücklich auf das Davidsgrab verweist, ein Hinweis auf
das (leere) Grab Jesu aber fehlt, so zeigt dies unmißverständlich, daß Lu-
kas sowohl auf der Ebene der erzählten Welt wie auch im Gegenüber zu
seinen impliziten Lesern deutlich machen will, daß das - als solches von
ihm gewiß nicht bezweifelte - Faktum des leeren Grabes für den Glauben
an Jesu Auferweckung bedeutungslos ist.
Die beiden Emmaus-Jünger hatten Jesus an der Geste des Brot-
brechens erkannt (Lk 24,30f.), also daran, daß der ihnen bis dahin un-
bekannte Begleiter die Mahlgemeinschaft mit ihnen wieder aufnahm.
Dennoch ist das erste auf der Textebene des lukanischen Doppelwerkes
ausgesprochene Auferstehungszeugnis nicht der Bericht der Emmaus-
Jünger über diese Erfahrung; es ist vielmehr die am Ende der Emmaus-
Erzählung (Lk 24,34) ausgerechnet diesen beiden Jüngern gegenüber von
den „Elf samt den Ihren" formelhaft ausgesprochene Botschaft, daß Jesus
„tatsächlich auferweckt" worden und dem Simon erschienen sei (όντως
ήγέρφη ó κύριος και ώφϋη Σίμωνι, vgl. l K o r 15,3b—5). Doch selbst die-
ses Zeugnis gilt am Ende nicht als ein wirklicher Beweis; denn als der
Auferstandene den Jüngern erscheint, halten diese ihn für ein Gespenst
(πνεΰμα). Erst Jesu Essen in Gegenwart der Jünger läßt diese seine Auf-
erstehung zweifelsfrei erkennen (Lk 24,36-43). M Aber - und darauf
kommt es nun entscheidend an - an diesen Beleg für Jesu Auferstehung
wird in der Pfingstpredigt nicht angeknüpft: In Apg 2,24 nennt Petrus für
seine Aussage öv ό θεός άνέστησεν überhaupt keinen „Beleg"; bei der
Wiederholung jenes Satzes (2,32) läßt Lukas den Petrus zwar sagen, daß
„wir alle" „Zeugen" für die Auferstehung Jesu seien, doch dabei wird der
Status der Apostel als μάρτυρες den Hörern gegenüber nicht näher expli-
ziert. Und für die abschließende entscheidende Aussage, daß Gott den
auferweckten und erhöhten Jesus zum „Herrn" und zum „Messias" ge-
macht hat (2,36), nennt der lukanische Petrus ebenfalls keinen „Beleg" -
es sei denn das in V. 34b.35 zitierte Schriftwort Ps 110,1, dessen „richtige"
Auslegung indirekt darauf zurückgeht, daß sowohl die Emmaus-Jünger
wie auch die in Jerusalem versammelten Apostel die angemessenen Ausle-
" Auch wäre es Lukas ja prinzipiell möglich gewesen, einen Bericht etwa des Inhalts zu
verfassen, Menschen aus Jerusalem hätten mit eigenen Augen das leere Grab gesehen
oder es gebe - wie dann im Petrusevangelium erzählt - unmittelbare „neutrale" Zeugen
des Auferstehungsgeschehens.
64 Darauf folgt dann der lukanische Missionsbefehl, V. 4 4 - 4 9 .
3. Ein Zwischenergebnis
Wie verhalten sich die beiden Formeln in Rom 10,9 zur Pfingstpredigt in
Apg 2,14-36? In Rom 10,9 und auch im Kontext jener Stelle findet sich
keinerlei Versuch einer Plausibilisierung des Auferstehungszeugnisses; bei
Lukas dagegen gibt es immerhin Ansätze für eine narrativ vorgetragene
Argumentation zugunsten der Wahrheit des Auferstehungsglaubens, in-
sofern Petrus an die Erfahrungen seiner Hörer mit dem irdischen Jesus
anknüpft bzw. insofern Lukas seine Leser an die von ihm bis dahin er-
zählten Geschehnisse erinnert und in diesen Rahmen das Auferstehungs-
zeugnis einträgt. Aber auch Lukas liefert keinen „objektiven" Beweis für
das Auferstehungszeugnis, obwohl ihm ein solcher Beweis doch sehr
leicht möglich gewesen wäre - beispielsweise dadurch, daß er in Apg 2
nicht von der Ausgießung des Geistes, sondern von einer Erscheinung des
Auferstandenen vor den in Jerusalem versammelten Menschen erzählt
hätte.65 In seiner Predigt erinnert der lukanische Petrus an die den Hörern
65 Die in I K o r 15,6 erwähnte Erscheinung vor den „mehr als fünfhundert Brüdern" steht
mit der Pfingstszene von Apg 2 in keinem Zusammenhang; entsprechende Überlegun-
gen gehen an beiden Textaussagen vorbei, denn in Apg begegnet die Zahl fünfhundert
nicht, und es ist auch nicht von einer Erscheinung Jesu die Rede, während umgekehrt
die Uberlieferung in IKor 15,6 nicht vom πνεΰμα spricht. LÜDEMANN, Christentum
49, hält es allerdings „zumindest für möglich, daß die Erscheinung vor 500 Brüdern
mit der Tradition hinter Apg 2 , 1 - 4 genetisch zusammenhängt", wobei dann „freilich
traditionsgeschichtliche Zwischenglieder anzunehmen" seien; sein Verweis auf „die
Verbindung von Christophanie und Geistverleihung" in Joh 20,21f. trägt für die An-
nahme eines „genetischen" Zusammenhangs von Apg 2 mit der Tradition in IKor 15,6
allerdings nichts aus. Die in IKor 15,6 überlieferte Notiz zeigt immerhin, daß es je-
denfalls Tradition gab, die von einer „Massenerscheinung" des Auferstandenen be-
bekannten Machttaten Jesu; aber diese Erinnerung soll nicht etwa die
Plausibilität des Auferstehungsglaubens erweisen, sondern sie dient dazu,
das Übermaß des von den Adressaten begangenen Frevels zu unterstrei-
chen. Für die Verkündigung sowohl des Paulus wie auch des Lukas gilt,
daß Gottes österliches Handeln an Jesus, von dem sie sprechen, im Be-
kenntnis wahr ist; für beide gehört die Auferweckung Jesu nicht auf die
Ebene einer Faktenwirklichkeit, von der auch ohne den Glauben an Got-
tes Handeln hätte gesprochen werden können.
Der Vergleich zwischen Rom 10,9 und Apg 2,14-36 ist im Zusammen-
hang unserer Fragestellung vor allem auch deshalb instruktiv, weil beide
Texte recht unterschiedlich zu datieren sind: Die beiden von Paulus im
Römerbrief verwendeten Formeln dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit
schon in den beiden ersten Jahrzehnten des im Entstehen begriffenen
Christentums geprägt worden sein; die Petrusrede ist verglichen damit
relativ „spät" entstanden, doch läßt sie erkennen, wie sich Lukas die Ur-
sprungssituation der österlichen Verkündigung gedacht hat - und diese
Reflexion braucht von den tatsächlichen Gegebenheiten gar nicht allzu
weit entfernt gewesen zu sein. Beide, Paulus wie der lukanische Petrus,
setzen die Historizität des irdischen Jesus selbstverständlich voraus. Aber
auch der Petrus von Apg 2, der im Unterschied zu Paulus und zu den von
diesem in Rom 10,9 zitierten Formeln explizit an „historische" Daten des
Lebens Jesu erinnert, sieht darin keinen Beleg für die Wahrheit der Mes-
sianität Jesu oder für die Wahrheit der Osterbotschaft. Im Gegenteil,
Petrus betont gerade, daß Jesus - ungeachtet der von ihm vollbrachten
„Machttaten" - gerade von denen, die diese Machttaten erlebt hatten,
getötet worden war.
Man kann fragen, ob es im Neuen Testament Texte gibt, die die „Er-
kenntnisstruktur" der Christologie möglicherweise deutlicher zum Aus-
druck bringen, als dies in den hier diskutierten Texten Rom 10,9 und Apg
2 der Fall ist. Aber solche Texte gibt es tatsächlich nicht; denn alle
Schriften des Neuen Testaments setzen den Glauben, also das Bekenntnis
zu Jesus als dem Christus, bereits voraus, ohne daß wir etwas über den
Weg erführen, der von einer bestimmten gewonnenen „Erkenntnis" her
zu dem Bekenntnis hingeführt hätte. Zwar sagt Paulus gelegentlich etwas
über die ihm zuteilgewordene Erkenntnis, daß er den Herrn „gesehen"
habe bzw. daß Christus als der Auferstandene nicht nur dem Petrus und
anderen, sondern auch ihm selber erschienen sei"; der Glaube an die
richtete; ob Lukas diese oder ähnliche Tradition gekannt hat, läßt sich natürlich nicht
sagen.
" Paulus ist der einzige, von dem wir ein solches Zeugnis kennen; vgl. IKor 9,1; 15,8f.; in
Gal l , 1 5 f . ist dies formuliert mit den Worten, es habe Gott gefallen, „an (oder: in) mir"
Wahrheit des Bekenntnisses wird von Paulus also durchaus auf ein von
außen kommendes Widerfahrnis zurückgeführt. Aber zweierlei muß so-
fort hinzugefügt werden: Paulus gibt zum einen keine Beschreibung des-
sen, was er den Korinthern gegenüber als ein „Sehen" des Auferstandenen
und den Galatern gegenüber als das auf Jesus bezogene Offenbarungs-
handeln Gottes έν έμοί bezeichnet.67 Und zum andern meint Paulus nicht,
daß die ihm zuteil gewordene Form der Erkenntnis des Gotteshandelns
an Jesus der allgemein übliche (oder gar der verbindliche) Weg der Ver-
mittlung und Annahme der Glaubensbotschaft sei. Paulus versteht das
„Sehen" des Auferstandenen unmittelbar als die Einsetzung in die aposto-
lische Aufgabe; er scheint sogar davon überzeugt gewesen zu sein, daß die
ihm zuteilgewordene Erscheinung der Abschluß der Selbstoffenbarungen
Jesu gewesen sei (IKor 15,9) und es keine Fortsetzung geben werde.
Glaube ist für Paulus nicht die Antwort des Menschen auf ein ihm von
außen zuteil werdendes, womöglich als übernatürlich, wenn auch als
„real" anzusehendes Widerfahrnis; Glaube ist für Paulus vielmehr die Fol-
ge der „gehörten Verkündigung" (άκοή), die ihrerseits „durch das Wort
Christi" entsteht (Rom 10,17). Die Christuspredigt ist dementsprechend
nicht eine „Erkenntnis", aus der dann als Antwort das „Bekenntnis" folgt;
sondern Erkenntnis und Bekenntnis bilden eine Einheit.
(έν έμοί) seinen Sohn zu offenbaren, „damit ich ihn unter den Völkern verkündige";
vgl. dazu VOUGA, Galater, 33-35; ferner LINDEMANN, Paulus.
67 Es ist in diesem Zusammenhang nur darauf hinzuweisen, daß Lukas in der Apg das
„Damaskuserlebnis" des Paulus dreimal auf sehr unterschiedliche Weise schildert, wo-
bei in keinem Fall von einem Sehen des Auferstandenen die Rede ist, sondern stets
vom Hören.
d e r h i s t o r i s c h e J e s u s s e l b e r w ä r e d a n n d e r u n m i t t e l b a r e R e a l g r u n d f ü r eine
freilich e r s t n a c h O s t e r n n ä h e r e x p l i z i e r t e C h r i s t o l o g i e .
D i e T h e s e , J e s u s h a b e ein „ m e s s i a n i s c h e s S e l b s t b e w u ß t s e i n " gehabt,
w i r d in d e r F o r s c h u n g n i c h t s e l t e n v e r t r e t e n . 6 8 E i n e d i f f e r e n z i e r t e P o s i -
t i o n v e r t r e t e n G E R D THEISSEN u n d ANNETTE M E R Z : Z w a r h a b e J e s u s
n i c h t d e n M e s s i a s t i t e l b e a n s p r u c h t , a b e r es sei a n g e s i c h t s d e r i m V o l k
lebendigen messianischen H o f f n u n g e n „historisch wahrscheinlich", daß
J e s u s m i t i h n e n „ k o n f r o n t i e r t " w u r d e . 6 9 F ü r die „ G e s c h i c h t l i c h k e i t " e i n e r
solchen K o n f r o n t a t i o n spreche, „daß ganz verschiedene Kreise entspre-
chende Erwartungen oder Befürchtungen äußern", und zwar sowohl A n -
h ä n g e r w i e a u c h G e g n e r J e s u ; dabei seien U n t e r s c h i e d e i m B l i c k a u f G a l i -
läa u n d J u d ä a f e s t z u s t e l l e n . „ I n Galiläa ist das P e t r u s b e k e n n t n i s lokalisiert
(Mk 8,27-30), das n i c h t in d e r Ö f f e n t l i c h k e i t g e s c h i e h t . A u f das Be-
k e n n t n i s k ö n n t e u r s p r ü n g l i c h das S a t a n s w o r t g e f o l g t s e i n " , d o c h sei dies
d a n n „ k e i n e Z u r ü c k w e i s u n g des M e s s i a s t i t e l s , s o n d e r n K r i t i k d e r m i t i h m
verbundenen Gesinnung".70 Die Uberlieferung könne so verstanden wer-
d e n : „ V e r b i n d e t s i c h m i t d e m M e s s i a s t i t e l eine G o t t e n t s p r e c h e n d e Ge-
s i n n u n g , s o ist e r a k z e p t a b e l - s o n s t n i c h t . " 7 1 I n J u d ä a sei d a n n „die M e s -
" Vgl. etwa STUHLMACHER, Theologie I, 117, der unter Verweis auf Mk 8,27-33 und Mk
14,61 f. zu dem Ergebnis kommt, Jesus habe sich „mit dem vom Täufer angekündigten
.Kommenden' in ganz eigenständiger Art und Weise identifiziert und sich selbst als
den messianischen Menschensohn angesehen", womit er freilich „nicht nur eine U m -
prägung der frühjüdischen Erwartung des davidischen Messias vollzogen, sondern auch
dem frühjüdischen Bild vom Menschensohn entscheidend neue Züge aufgeprägt" habe.
Anders ROLOFF, Jesus Christus 466f.: Jesus habe den Titel „Christus" „wegen dessen
davidsmessianologisch-polit. Festlegung schwerlich auf sich angewandt", doch habe er
wahrscheinlich die Bezeichnung „Menschensohn" für sich gebraucht, „die zwar eine
eindeutige eschatologische Konnotation (Dan 7) hatte, aber keine titulare Festlegung
implizierte".
" THEISSEN/MERZ, Jesus, 467.
70 Die These, daß das Satanswort Mk 8,33 die ursprüngliche Reaktion Jesu auf das Mes-
siasbekenntnis des Petrus gewesen sei, wurde bereits von DINKLER, Petrusbekenntnis,
vertreten. Zur Analyse von Mk 8,27-33 vgl. LÜHRMANN, Markusevangelium, 144; bei
V. 33b könne es sich durchaus um ein authentisches Jesuswort handeln, das ursprüng-
lich aber nicht auf Petrus bezogen sein mußte (der Name wird nicht genannt). Das
Wort wiederholt „in seiner positiven Aufforderung nur 1,17 (δεΰτε οπίσω μου), die
Berufung des Petrus und seines Bruders"; im jetzigen Kontext liegt der Ton „auf der
Qualifizierung des Petrus als ,Satan' gegenüber seiner eigentlichen Funktion, Jesus
nachzufolgen".
71 A. a. O . 468. Anders DINKLER, Petrusbekenntnis, 310f.: „Die ursprüngliche Tradition
bezeugt die Verbindung des Petrus-Bekenntnisses von Jesus als dem künftigen Messias
mit einer expliziten Antwort Jesu, nämlich dem Satanswort. Demnach hat Jesus die
Rolle eines Messias abgelehnt und mit der Zurückweisung dieser Rolle und des Titels
der Urgemeinde die Suche nach einem adäquaten Titel auferlegt."
setzlosigkeit „den König, den Sohn Davids" aufrichten möge, der dann die gesetzlosen
Völker und die Sünder vernichten wird (17,24f.). Es heißt dann weiter in 17,26: και
συνάξει λαόν αγιον ου άφηγήσεται έν δικαιοσύνη και κρίνει φυλάς λαοΰ
ήγιασμένου ΰπό κυρίου θ ε ο ΰ αύτοϋ („und er wird versammeln ein heiliges Volk, das
er führen wird in Gerechtigkeit, und er wird richten die Stämme des Volks, das gehei-
ligt ist vom Herrn, seinem G o t t " (Übers. HOLM-NIELSEN, J S H R Z I V / 2 , 1 0 2 .
74 THEISSEN/MERZ, Jesus, 469, unter Verweis auf THEISSEN, Gruppenmessianismus.
75 Zur Annahme der Authentizität des Logions neigen DAVIES/ALLISON, Matthew, 58;
Aber auch wenn es sich als möglich erweisen sollte, ein von Jesus selber
akzeptiertes Verständnis von „Messianität" wahrscheinlich zu machen,
und selbst wenn gezeigt werden könnte, daß er dies durch Taten zu be-
kräftigen vermochte, wäre damit für die Frage der historischen Basis der
nachösterlichen Christologie wenig gewonnen. Zum einen könnte Jesus
seinen Anspruch zu Unrecht erhoben haben; die Wundertaten wären
dann nicht von Gott, sondern vom Teufel her erklärbar, wie es in der
vermutlich bei Mk und in der Logienquelle Q überlieferten Beelzebul-
Perikope ja ausdrücklich reflektiert wird (vgl. Mk 3,23ff. bzw. Lk
ll,15ff./Mt 12,24ff. Q). 7 6 Ohnehin fand Jesus bei seinen Zeitgenossen ja
keineswegs nur Zustimmung, d. h. sein Auftreten kann nicht so gewesen
sein, daß sich der Rückschluß auf eine „messianische" Würde unmittelbar
nahelegen mußte; auch wenn Jesus sich selber als Messias gesehen haben
und dies von seinen Anhängern akzeptiert worden sein sollte, so wäre sein
Tod am Kreuz zweifellos als die definitive Widerlegung dieses Anspruchs
gedeutet worden. Entscheidend ist aber, daß das urchristliche Bekenntnis
sich gar nicht darauf berufen hat, daß der Glaube an Jesu Messianität die
Bestätigung eines von ihm selber erhobenen Anspruchs sei; das bedeutet,
daß sich ein vorösterlicher Glaube an Jesus als den Messias historisch
nicht nachweisen läßt. 77
Man kann es für historisch wahrscheinlich halten, daß das älteste Be-
kenntnis der (Jerusalemer) Urgemeinde in der Bezeichnung Jesu als des
κύριος vorliegt; darauf verweist jedenfalls der das eschatologische Kom-
men des erhöhten Jesus erbittende, in aramäischer Sprache formulierte
Ruf maranatha („unser Herr, komm!"). Dieser Ruf ist im Neuen Testa-
ment zwar nur in IKor 16,22 belegt und außerhalb des Neuen Testaments
lediglich im Zusammenhang der Mahlliturgie der Didache (Did 10,6);
aber die Tatsache, daß in zwei griechischsprachigen Texten das aramäische
maranatha unübersetzt begegnet, spricht jedenfalls dafür, daß dieser Ruf
den. "It is possible that in certain circles already at an early date disappointment about
the Jewish mission may have become so acute that it produced the kind o f saying such
as the one in Q 2 2 , 2 8 . 3 0 b which combines threats t o the opponents with a perspective
of hope for the faithful" (a. a. O., 7 1 8 ) .
76 Z u r Q - F a s s u n g der Beelzebul-Kontroverse s. PIPER, Jesus, 3 2 8 - 3 4 0 .
77 Ohnehin gilt, daß historische Aussagen stets auf Vermutungen angewiesen bleiben,
daß sie also nur einen jeweils von der Quellenlage abhängigen mehr oder weniger gro-
ßen Grad an Wahrscheinlichkeit haben; im Fall der Jesusüberlieferung besitzen wir
überhaupt keine direkten Quellen. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus aber
spricht nicht von Wahrscheinlichkeit und auch nicht von Vermutungen, sondern es
spricht von einer Wahrheit, die jenseits überprüfbarer historischer oder empirischer
Realität liegt.
71 In Offb 22,20 scheint die griechische Wiedergabe des maranatha vorzuliegen: ερχου
κύριε Ίησοΰ.
79 Möglicherweise läßt sich aus Gal 3,13 ableiten, daß es eine explizite Deutung des T o -
des Jesu als „Fluchtod" gegeben hat. Vgl. SÄNGER, „Verflucht".
80 Dabei hat Ps 110,1 vermutlich schon sehr bald eine hermeneutisch wichtige Rolle ge-
spielt; der Erhöhungsgedanke wird aber nicht aus Ps 110 abgeleitet, sondern im Ge-
genteil dort „wiedergefunden" worden sein.
" Nicht einmal im Zweiten Petrusbrief oder in dem das Auferstehungsgeschehen relativ
detailliert schildernden Petrusevangelium wird die Mitteilung von der Erscheinung des
Auferstandenen dem Petrus in den Mund gelegt.
*2 MARXSEN, Ethik, 159. Das Buch enthält ungeachtet des Titels weit mehr als eine Dar-
stellung der neutestamentlichen Ethik.
13 „Während seines irdischen Wirkens hatte Jesus das Leben dieser Gruppe in Gang ge-
setzt. Man hatte erfahren: Nur unter seinem Einfluß und in der Gemeinschaft mit ihm
konnte dieses Leben gelingen und war es gelungen. Da es sich aber bei der von Petrus
gesammelten Gruppe um das Leben derselben .Sache' handelte, war - und blieb Jesus
der, der das Leben dieser Sache auslöste" (a. a. O., 160; Hervorhebung im Original).
84 Ebenda.
85
A. a. O., 161 (Hervorhebung im Original).
86
L Ü D E M A N N , Auferstehung. Vgl. zu diesem Buch meine Rezension in: WzM 46, 1994,
503-513. Die später verfaßten weiteren Beiträge L Ü D E M A N N S zur Thematik bieten
sachlich nichts Wesentliches.
87
L Ü D E M A N N , Auferstehung, 216, behauptete, es stehe fest, daß „der Leichnam Jesu
nicht wiederbelebt wurde"; man könne aber „aus der Tatsache, daß die urchristliche
Religion früher einmal mit dem Glauben an die Wiederbelebung des Leichnams Jesu
verbunden war", nicht folgern, daß auch heute an diesem Glauben festzuhalten sei
(216 Anm. 691). Darauf, daß das Urchristentum die Auferweckung Jesu nicht als Wie-
derbelebung seines Leichnams verstanden hat, wurde oben bereits hingewiesen.
88
Vgl. insbesondere P A N N E N B E R G , Auferstehung, vor allem 3 2 4 - 3 2 8 . Differenzierter
R I N G L E B E N , Wahrhaft auferstanden, 1 0 6 - 1 1 1 .
89
D A L F E R T H , Grab, 396. Dieses Bekenntnis wäre „nur dann prinzipiell unvereinbar mit
einem vollen Grab" - D A L F E R T H folgt hier der Begrifflichkeit L Ü D E M A N N S - „wenn die
Identität des Auferweckten so am irdischen Leib Jesu hinge, daß Jesus nicht bei und
mit Gott leben könnte, wenn sein Leib im Grab [...] verwest wäre. Doch genau das ist
die christliche Hoffnung: daß kein Glaubender, der stirbt und verwest, dadurch ausge-
schlossen ist, in, durch und mit Gott zu leben". Aus IKor 15,20 folgert D A L F E R T H , der
auferweckte Christus könne nicht als „Erstling der Entschlafenen" bekannt werden,
„wenn er nicht genau so tot gewesen wäre wie die übrigen Entschlafenen - und das
schließt die Verwesung des Leibes faktisch ein"; andernfalls könne von Jesus nicht be-
kannt werden, „daß er unseren Tod gestorben ist und tot war wie wir" (396f.). Schon
M A R X S E N , Ethik, 162, hatte geschrieben: „Der als Bezeichnung eines .Ereignisses' ver-
standene Satz: Jesus ist auferstanden', ist als solcher (ganz wörtlich) nichts-sagend.
Außer der Konstatierung eines geschehenen Faktums hat er keinen Inhalt. Die Kon-
statierung des Faktums provoziert aber sofort Fragen, und zwar eben nach diesem
Inhalt."
Herr Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn." Vor allem
enthält das Bekenntnis die Einsicht, daß nicht derjenige Gott ist, der sich
in der sieghaften Durchsetzung eines religiösen oder auch moralischen
Anspruchs offenbart, verbunden womöglich mit der Verwirklichung eines
solchen Anspruchs durch den Menschen. Das Bekenntnis, daß der von
Gott auferweckte Gekreuzigte der κύριος ist, bedeutet vielmehr, daß
Gott sich dem Menschen in seiner Schwäche zuwendet, daß Gott sich
offenbart im sichtbaren Scheitern eines Lebens. Gerade daraus resultiert
das Vertrauen und die Hoffnung auf eine dieses Scheitern transzendieren-
de heilvolle Zukunft. Das ist der eigentliche Sinn des von Paulus und von
Lukas gleichermaßen zitierten, wenn auch von ihnen theologisch unter-
schiedlich reflektierten Bekenntnissatzes, daß Gott Jesus von den Toten
auferweckt und zum Christus gemacht hat.
Zitierte Literatur
Dr. Werner H. Kelber, Isla Carroll Turner & Percy E. Turner Professor
of Biblical Studies und Director of the Center for the Study
of Cultures an der Rice University, Houston, Texas; e-mail:
kelber@rice.edu
Dr. Dr. Petr Pokorny, Professor (em.) für Neues Testament und Direktor
des Biblischen Instituts an der Theologischen Fakultät der Karls-
universität in Prag; e-mail: pokorny@etf.cuni.cz
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