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Der historische Jesus

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Beihefte zur Zeitschrift für die
neutestamentliche Wissenschaft
und die Kunde der älteren Kirche

In Verbindung mit
James D. G. Dunn · Richard B. Hays
Hermann Lichtenberger

herausgegeben von
Michael Wolter

Band 114

WDE

G
Walter de Gruyter · Berlin · New York
2002
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Der historische Jesus
Tendenzen und Perspektiven
der gegenwärtigen Forschung

Herausgegeben von
Jens Schröter und Ralph Brucker

WDE

_G
Walter de Gruyter · Berlin · New York
2002
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® Gedruckt auf säurefreiem Papier,
das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-017511-8

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek


Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de > abrufbar.

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Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages
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verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany
Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin
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Vorwort

Die Idee, einen Band mit Beiträgen zur gegenwärtigen Jesusforschung zu


publizieren, hat eine längere Geschichte. Sie entstand im Laufe der Be-
schäftigung mit den neuen Entwicklungen auf diesem Gebiet und der sich
dabei als immer notwendiger erweisenden Aufgabe, die oftmals unausge-
sprochen im Hintergrund stehenden methodologischen und erkenntnis-
theoretischen Prämissen zu thematisieren.
Die Idee konkretisierte sich während zweier Gastvorlesungen, die Prof.
Dr. Werner H. Kelber im Sommersemester 1999 am Fachbereich Evan-
gelische Theologie der Universität Hamburg hielt. Diese Vorlesungen
stellen zugleich die Grundlage seines hier abgedruckten Beitrages dar. Im
Anschluß an diese Vorträge gab es - nicht nur am Hamburger Fach-
bereich - intensive Diskussionen um die hermeneutischen Grundlagen
von Geschichtskonstruktionen im allgemeinen und Konstruktionen der
Person Jesu im besonderen.
Deutlichere Gestalt gewann das Projekt im Zusammenhang eines Sym-
posiums anläßlich der Verabschiedung unseres Kollegen Prof. Dr. Eck-
hard Rau, das im November 2001 an der Universität Hamburg unter dem
Titel „Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Jesusforschung"
abgehalten wurde. Bei dieser Gelegenheit wurden die hier publizierten
Beiträge von Prof. Dr. Ulrich Luz, Prof. Dr. Michael Moxter und Prof.
Dr. Dr. Petr Pokorny als Vorträge gehalten. Auch andere der hier ab-
gedruckten Aufsätze gehen auf Vorträge zurück, die bei verschiedenen
Gelegenheiten gehalten wurden: Prof. Dr. Jörg Frey, Prof. Dr. Andreas
Lindemann, Prof. Dr. Christopher Tuckett und Prof. Dr. Michael Wolter
haben sich bereit erklärt, ihre Vorträge für diesen Band zur Verfügung zu
stellen und für den Druck zu bearbeiten. Prof. Dr. David Aune, Dr. David
du Toit, Prof. Dr. James D. G. Dunn und PD Dr. Hermut Lohr haben
die Einladung angenommen, zu weiteren Aspekten der Jesusforschung
Beiträge zu verfassen, um dem Band ein eigenständiges Profil zu verlei-
hen, das etliche wichtige Bereiche dieses Forschungsgebietes erfaßt. Ihnen
allen sei an dieser Stelle ein herzlicher Dank der Herausgeber ausge-
sprochen.

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VI Vorwort

Wir danken des weiteren den Herausgebern der Reihe „Beihefte zur
Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der
älteren Kirche", den Herren Professoren Dr. Michael Wolter, Dr. James
D. G. Dunn, Dr. Richard B. Hays und Dr. Hermann Lichtenberger, für
die Sympathie, die sie dem Unternehmen eines solchen Bandes von Be-
ginn an entgegengebracht haben, sowie für die Bereitschaft, ihn in dieser
Reihe zu publizieren.
Last but not least: Ein herzlicher Dank ergeht an den Verlag Walter de
Gruyter - und hier insbesondere an Herrn Dr. Claus-Jürgen Thornton -
für die stets kompetente und freundliche Zusammenarbeit während der
Erstellung des Bandes. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, die Arbeit der
Herausgeber zu einem angenehmen Erlebnis werden zu lassen.

Die in diesem Band verwendeten Abkürzungen für Zeitschriften, Reihen


usw. richten sich nach SIEGFRIED M. SCHWERTNER, Internationales Ab-
kürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York
2
1992 (= IATG 2 ).
Biblische Zitate folgen den bei der Deutschen Bibelgesellschaft, Stutt-
gart, verlegten Standardausgaben: Der Biblia Hebraica Stuttgartensia, edd.
ELLIGER/RUDOLPH/SCHENKER, 5 1 9 9 7 , der Septuaginta, ed. RAHLFS, 1 9 3 5
u. ö., und dem Novum Testamentum Graece, edd. N E S T L E / A L A N D , 2 7 1 9 9 3 .

Hamburg, im August 2002 Jens Schröter und Ralph Brucker

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort V

JENS S C H R Ö T E R UND R A L P H BRUCKER


Einleitung 1

W E R N E R H . KELBER
Der historische Jesus
Bedenken zur gegenwärtigen Diskussion aus der Perspektive
mittelalterlicher, moderner und postmoderner Hermeneutik 15

MICHAEL MOXTER
Erzählung und Ereignis
Uber den Spielraum historischer Repräsentation 67

DAVID S . DU T O I T
Der unähnliche Jesus
Eine kritische Evaluierung der Entstehung des Differenzkriteriums
und seiner geschichts- und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen . . 89

JAMES D . G . D U N N
"All that glisters is not Gold"
In Quest of the Right Key to unlock the way to the historical Jesus . . 131

JENS S C H R Ö T E R
Von der Historizität der Evangelien
Ein Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion um den historischen Jesus . . 163

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Vili Inhaltsverzeichnis

CHRISTOPHER M . TUCKETT
Q and the Historical Jesus 213

DAVID E . A U N E
Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions
A Critique of Conflicting Methodologies 243

JÖRG FREY
Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 273

HERMUT LOHR
Jesus und der N o m o s aus der Sicht des entstehenden Christentums
Zum Jesus-Bild im ersten Jahrhundert n. Chr.
und zu unserem Jesus-Bild 337

MICHAEL WOLTER
„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth
und Johannes dem Täufer
Semantische und pragmatische Beobachtungen 355

PETR POKORNY
Stilistische und rhetorische Eigentümlichkeiten
der ältesten Jesustradition 393

ULRICH LUZ
Warum zog Jesus nach Jerusalem? 409

ANDREAS LINDEMANN
Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas
Erwägungen zum Verhältnis von Bekenntnis und historischer Erkenntnis
in der neutestamentlichen Christologie 429

Autorenverzeichnis 463

Register 465

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Einleitung

JENS SCHRÖTER UND R A L P H BRUCKER

Die Beschäftigung mit Jesus von Nazareth stellt eine der zentralen Auf-
gaben und zugleich eine der großen Herausforderungen christlicher
Theologie dar. Gründet sich das Christentum auf Wirken und Geschick
Jesu als eines galiläischen Juden des 1. Jahrhunderts, so stellt sich die Fra-
ge, wie ein Bezug zu dieser Person herzustellen ist, unter den jeweils lei-
tenden Prämissen der Deutung von Wirklichkeit immer wieder neu. Ver-
schiedene hermeneutische und methodische Zugänge zur Vergangenheit
haben deshalb immer auch in den Jesusbildern Ausdruck gefunden, die sie
hervorbrachten.
Eine der wichtigsten Entwicklungen der neueren Jesusforschung be-
steht darin, daß sie auf diesen Zusammenhang zwischen dem Bezug auf
Jesus und den jeweiligen Prämissen, die unser Bild von der Vergangenheit
steuern, aufmerksam gemacht hat. Damit werden neuere Einsichten in der
Erkenntnis- und Geschichtstheorie aufgenommen. Diese besagen, daß die
Beschäftigung mit den „Uberresten der Vergangenheit" (um einen Aus-
druck des Begründers der modernen Historik, J O H A N N GUSTAV D R O Y -
SEN, aufzunehmen) niemals zu einer Wiederherstellung der Vergangenheit
führt. Sie erfolgt vielmehr stets als ein sich die Uberreste aneignender, sie
zu einem Bild von der Vergangenheit zusammensetzender Bezug auf zu-
rückliegende Ereignisse. Kann dieses, aus späterer Perspektive gezeich-
nete und auf der Deutung der Uberreste basierende Bild niemals mit der
Vergangenheit selbst identisch sein, ist Geschichte als Aneignung der Ver-
gangenheit immer schon eine Hypothese darüber, wie es gewesen sein
könnte, die der Orientierung in der Gegenwart dient.
Angewandt auf die Jesusforschung bedeutet dies, daß Bilder, die von
Jesus entworfen werden, zwischen der jeweiligen Gegenwart und derjeni-
gen Person, bei der das Christentum seinen Ausgang genommen hat,
vermitteln. Dieses zu bedenken, bedeutet zugleich, die Beschäftigung mit
Jesus in den weiteren Horizont hermeneutischer Reflexionen einzu-
stellen. Damit ist ein erster Schwerpunkt der hier versammelten Beiträge
benannt.

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2 Jens Schröter und Ralph Brucker

WERNER H . KELBER schlägt in seinem Eröffnungsbeitrag einen weiten


Bogen, einsetzend bei Beobachtungen zur Hermeneutik biblischer Texte
in patristischer und mittelalterlicher Exegese, die den Hintergrund für
seine Betrachtungen zu derjenigen Wende darstellen, die mit der Entste-
hung des historisch-kritischen Bewußtseins verbunden war. Mittelalter-
liche Theologen, wie etwa H u g o von St. Viktor, erscheinen so überra-
schend „modern": Weit davon entfernt, den wörtlichen Sinn des Textes
beiseite zu schieben, war ihr eigentliches Augenmerk darauf gerichtet, die
Bedeutung der Texte zu erheben, also der Frage nachzugehen, wie von den
Buchstaben zur Wirklichkeit zu gelangen sei - wobei „Wirklichkeit" nicht
auf vergangenes Geschehen beschränkt ist. Diese Sicht auf die Texte und
ihre Bedeutung war auch für Luther noch leitend, dessen Einschränkung
des mehrfachen Schriftsinns auf den sensus literalis nicht als Privilegierung
einer historischen Interpretation im modernen Sinn zu verstehen ist,
wenngleich sich hier gewisse Verbindungslinien erkennen lassen.
Die mit der Entstehung des historischen Bewußtseins einhergehende
Neuorientierung erscheint aus dieser Perspektive zunächst wie eine Re-
duktion: Indem der Blick auf die Frage gerichtet wird, was sich in der
Vergangenheit tatsächlich zugetragen hat, wird der Text nicht mehr als
Sinnpotential, sondern als Informationsquelle über vergangene Ereignisse
betrachtet. KELBER stellt heraus, daß diese Betrachtungsweise bis heute
nachwirkt und dazu geführt hat, den „wirklichen" mit dem „historischen"
Jesus gleichzusetzen, den es hinter den Texten zu finden gelte. Die für
neuzeitliches Bewußtsein überraschende Entdeckung liegt nun freilich
darin, daß gerade die für die neueste Jesusforschung kennzeichnende
Konzentration auf deren historischen Charakter statt zu einer Verein-
deutigung vielmehr zu einer Pluralität von Jesusbildern geführt hat.
Angesichts der unsicheren Ergebnisse historisch-kritischer Jesusfor-
schung kam es im Gegenzug zur Ausbildung eines Alternativmodells, das
als legitime Grundlage christlichen Glaubens nur den in den Evangelien
verkündeten Christus und nicht den historisch rekonstruierten Jesus gel-
ten läßt. Diese Auffassung wurde im späten 19. Jahrhundert von MARTIN
KAHLER begründet, dominierte die sogenannte Dialektische Theologie in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und wird in neuerer Zeit von LUKE
TIMOTHY JOHNSON präsentiert. Dabei wird zum einen ins Feld geführt,
daß der Auferstehung Jesu in der christlichen Tradition von Anfang an
die Priorität gegenüber seinem Leben, Wirken und Sterben zugekommen
sei; zum anderen wird von einem einheitlichen Christuszeugnis des Neu-
en Testaments ausgegangen. KELBER zufolge halten beide Argumente der
kritischen Rückfrage nicht stand und stellen letztlich den Versuch dar,
„Vieldeutigkeit durch Eindeutigkeit zu ersetzen" - um den Preis einer
„radikalen Reduzierung der Vorstellungswelt des Neuen Testaments".

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Einleitung 3

Der spiegelbildliche Versuch, das historische Problem um die Person


Jesu zu lösen, verbindet sich für KELBER exemplarisch mit dem N a m e n
von JOHN DOMINIC CROSSAN. Auch hier identifiziert KELBER die impli-
zite Prämisse, die eine Bedeutung zu fixieren, die sich mit seinem Auf-
treten verbindet, und diese anderen gegenüber abzugrenzen. Die Gegen-
überstellung eines „sarkophilischen" und eines „sarkophobischen" Typs
von Christentum privilegiert ein bestimmtes anthropologisches Modell
auf Kosten eines anderen und sucht dessen Legitimation in einer ihrer
vielfältigen Deutungsmöglichkeiten entkleideten Interpretation der Wor-
te und Gleichnisse Jesu, die auf einen einzigen Sinn beschränkt werden.
Die Vorbehalte, die KELBER gegenüber beiden Modellen anmeldet, ba-
sieren auf einem anderen Zugang zu Jesus, bei dem die Tatsache ernstge-
nommen wird, daß wir es mit einer sich im Medium der Mündlichkeit
vollziehenden Wirksamkeit zu tun haben. Diese Tatsache wird KELBER
zufolge regelmäßig unterschätzt, wenn der Versuch unternommen wird,
die von Jesus gesprochenen Worte und Gleichnisse mit der am geschrie-
benen Wort geschulten Logik des Vergleichens verschiedener Versionen
sowie der Reduktion auf den einen Ursprung zu erfassen, von dem dann
alle anderen Fassungen abhängig seien. Eine solche Sicht verkürzt KELBER
zufolge das Potential der Lehre Jesu, welches nur mit einer mündlichen
Ästhetik angemessen zu erheben sei.
Die Konsequenzen eines solchen Zugangs sind weitreichend. Sie lassen
die Alternative „historischer Jesus oder biblischer Christus" zugunsten
der Kategorie der „vergegenwärtigenden Erinnerung" hinter sich. Mit die-
ser soll der je eigene Bezug auf Jesus als Phänomen der Deutung von Ge-
genwart im Bezug auf eine orientierende Größe der Vergangenheit erfaßt
werden. Die hermeneutischen Implikationen dieses Ansatzes sind in der
Jesusforschung bislang erst ansatzweise aufgenommen worden.

MICHAEL MOXTER verfolgt einen anderen, in seinen erkenntnistheoreti-


schen Prämissen jedoch durchaus vergleichbaren Weg. Ausgehend von
den Begriffen „Ereignis" und „Erzählung" fragt er nach einem plausiblen
Modell, beides miteinander in Beziehung zu setzen. Leitend ist dabei die
Kategorie der „historischen Repräsentation", die das vergangene Ereignis
zugänglich macht, dabei jedoch niemals mit diesem identisch ist. MOXTER
ordnet diese Beobachtung in die historische Jesusforschung seit WILLIAM
WREDE ein. Dessen Abtrennung der Messiasdogmatik der nachösterli-
chen Gemeinde von der historischen Grundlage des Lebens Jesu habe
einen Antagonismus zwischen Ereignis und Erzählung behauptet, der
jedoch angesichts einer Reflexion auf den Begriff des Ereignisses zu kurz
greife. MOXTER zeigt, daß der Versuch, Tatsachen und Ereignisse von
ihrer späteren Repräsentation in der Erzählung abzutrennen, einer Logik
verpflichtet ist, der zufolge historische Erkenntnis die Vergangenheit ab-

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4 Jens Schröter und Ralph Brucker

zubilden habe. Bei R U D O L F BULTMANN, der die erkenntnistheoretische


Wende der analytischen Philosophie nicht mitvollzog, sondern stattdes-
sen einen existentialen Zugang zur Geschichte suchte, wurde diese Linie
insofern prolongiert, als er dem Historismus eine „Perspektive der Un-
eigentlichkeit" vorwirft; es gelte, das kontingente historische Ereignis des
Gekommenseins Jesu als eschatologisches zu verstehen, was ihm zufolge
bekanntlich durch die Verkündigung geschieht (oder zumindest gesche-
hen kann). Auch bei BULTMANN werden somit Ereignis und Erzählung
nicht miteinander in Beziehung gesetzt, vielmehr wird jenes durch die
Verkündigung unmittelbar in die Gegenwart hineingeholt.
M O X T E R schlägt nun einen anderen Weg ein. Er setzt hierzu bei P A U L
RICOEUR an, der in seinem dreibändigen Werk „Zeit und Erzählung" in
Anlehnung an Aristoteles die Erzählung als schöpferische Nachahmung
bestimmt und dies auch auf die historische Erzählung angewandt hatte.
Die historische Erzählung bildet vergangene Wirklichkeit nicht einfach
ab, sondern repräsentiert sie in der jeweiligen Gegenwart. Das Verhältnis
von Ereignis und Erzählung wird nun jedoch nicht einseitig zugunsten
der letzteren aufgelöst. Vielmehr - und hier läßt sich eine weitere Ver-
bindung zu K E L B E R S Beitrag erkennen - bleibt die historische Erzählung
auf das Ereignis verwiesen, um Validität zu erlangen. M O X T E R greift
hierzu auf den von LÉVINAS an R I C Œ U R vermittelten Begriff der Spur zu-
rück, worin sich durchaus eine Analogie zu der von K E L B E R angeführten
Kategorie der „Ethik des Erinnerns" erkennen läßt.
M O X T E R S Beitrag stellt somit nicht nur ein Plädoyer für ein Uberden-
ken der Verhältnisbestimmung von historischer und dogmatischer Me-
thode dar, die in einer vom Historismus beeinflußten Exegese nur zu oft
als Gegensatz bestimmt wurden. Er macht darüber hinaus darauf auf-
merksam, daß die Jesusforschung einer reflektierten Verhältnisbestim-
mung von vergangenem Ereignis und dessen Repräsentation in der deu-
tenden Erzählung bedarf.

Mit dem Beitrag von D A V I D S . DU T O I T steuert der Band auf die konkre-
ten Fragenkreise der gegenwärtigen Jesusforschung zu. Du T O I T nimmt
das Differenzkriterium ins Visier, um daran das Methodenproblem der
historisch-kritischen Jesusforschung zu verdeutlichen. Vorausgesetzt ist
dabei nicht nur die schon von E R N S T KÄSEMANN konzedierte Einschrän-
kung, daß das Differenzkriterium nur erfassen kann, was Jesus von sei-
nem historischen Kontext unterscheidet, vorausgesetzt ist vielmehr auch,
daß es sich eigentlich um ein doppeltes Kriterium handelt, insofern so-
wohl die Differenz zum Judentum als auch diejenige zum Urchristentum
(oder beide) gemeint sein können.
Du T O I T geht auf dieser Basis den beiden „Differenzen" nach, mit
denen Jesus seit Beginn der historisch-kritischen Jesusforschung zum
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Einleitung 5

Christentum und zum Judentum ins Verhältnis gesetzt wurde. Die These
der Differenz zum Christentum verfolgt DU TOIT auf einer Linie, die bei
HERMANN SAMUEL REIMARUS b e g i n n t u n d bis z u WILHELM HEITMÜLLER
führt. Aufschlußreich ist dabei, daß die Annahme dieser Differenz die
liberale Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts und die mit KAHLER
und WREDE einsetzende Problematisierung des historischen Wertes der
Evangelien verbindet: Hier wie dort wird versucht, über die ältesten
Quellen - seien es auf der Basis der Zwei-Quellen-Theorie M k und Q , sei
es auf der Grundlage der Formgeschichte die hinter diesen liegende
mündliche Uberlieferung - zu Jesus selbst vorzustoßen. D a s Differenz-
kriterium dient dabei in beiden Fällen zu einer kritischen Sichtung der
Uberlieferung, nach deren ältester Schicht gesucht wird.
Der behaupteten Differenz Jesu zum Judentum widmet sich DU TOIT
in einem eigenen Abschnitt, indem er dessen geistesgeschichtliche Prä-
missen offenlegt. Diese sieht er zum einen in der für die Geschichts-
auffassung des 19. Jahrhunderts zentralen Kategorie der Individualität,
zum anderen in einem Negativbild des antiken Judentums, von dem
Jesus abgesetzt wurde. Die Zusammenführung beider Differenzen - und
damit die Etablierung des doppelten Differenzkriteriums in der Jesusfor-
schung - ist nach DU TOIT wesentlich mit BULTMANN verbunden, der das
Individualitätsideal des Historismus mit den Prämissen der Religions-
geschichtlichen Schule verbunden habe und auf diese Weise bis in die
gegenwärtige Jesusforschung hineinwirke.
D u TOIT stellt dem eine Alternative entgegen, die auf anderen er-
kenntnistheoretischen Prämissen basiert. Er bestreitet die Angemessen-
heit der Anwendung eines archäologischen Modells, das in Texten nach
ältesten Schichten „gräbt", um auf diese Weise näher an die historische
Wirklichkeit zu gelangen. Dieses Modell sei insonderheit darum unange-
messen, weil es die Tatsache, daß wir es bei der Jesusüberlieferung mit ei-
nem ursprünglich mündlichen Phänomen zu tun haben, zu wenig in
Rechnung stellt. Demgegenüber gelte es, mit der Einsicht ernst zu ma-
chen, daß Jesus als Person der Vergangenheit nur in seinem historischen
Kontext zu erfassen ist; die „Karte, auf der Jesus zu verorten ist", müsse
gerade „die spezifischen Kontinuitäten zwischen zeitgenössischem Juden-
tum und frühem Christentum berücksichtig[en]".

Der Beitrag von JAMES D . G . DUNN läßt sich als Präzisierung und Wei-
terführung desjenigen von DU TOIT lesen. Er geht zunächst verschiedenen
Wegen der neuen Jesusforschung nach, auf denen der Schlüssel zum
historischen Jesus gefunden werden sollte.
Ein Weg besteht darin, über die Identifizierung einer frühen weisheitli-
chen Schicht in Q und deren vermuteter Analogie im Thomasevangelium
an die Verkündigung Jesu zu gelangen. Dieses Modell ist in Teilen der

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6 Jens Schröter und Ralph Brucker

amerikanischen Jesusforschung in der Weise gedeutet worden, daß die


vermutete weisheitliche Schicht darauf hinweise, daß Jesus selbst als
Weisheitslehrer aufgetreten sei. DUNN macht nun auf zwei grundlegende
Probleme dieses, außerhalb der genannten Richtung der amerikanischen
Forschung auf wenig Akzeptanz gestoßenen Modells aufmerksam: Zum
einen sei es schwierig, innerhalb des Q-Materials zwischen älteren
Sammlungen und deren späterer Redaktion zu unterscheiden, zum ande-
ren dürfe eine „Redaktion" nicht gegen die ursprüngliche Komposition
eines Dokumentes ausgespielt werden.
Der zweite Weg wird von DUNN als "grand narrative" bezeichnet.
J O H N D O M I N I C CROSSANS Versuch, Jesus als einen "Mediterranean Jew-
ish Peasant" zu zeichnen, erfasse ihn durch ein sehr grobes Raster, bei
dem viele Fragen offen blieben. So sei etwa keineswegs deutlich, inwiefern
etliche der von CROSSAN herangezogenen Quellen zur Erhellung des
historischen Kontextes Jesu als eines Juden, der in der ersten Hälfte des
1. Jahrhunderts in Galiläa gelebt hat, beitragen sollen. Ahnliche Fragen
stellen sich bei dem Entwurf von T O M W R I G H T . Dieser deutet die Ver-
kündigung Jesu von der Gottesherrschaft vor dem Hintergrund der The-
men „Exil und Wiederherstellung Israels". Auch diese "grand narrative"
ist DUNN zufolge nur ungenügend an der tatsächlich feststellbaren Situa-
tion des palästinischen Judentums des 1. Jahrhunderts orientiert, für das
sich das bevorstehende Ende des Exils ebensowenig als generelle Matrix
einer Zukunftserwartung behaupten ließe wie für Jesus.
DUNN macht diesen Wegen gegenüber andere Vorschläge der Annähe-
rung an Jesus. So sei die oft behauptete Diastase zwischen der vor-
österlichen Jesusverkündigung und deren nachösterlicher Rezeption häu-
fig auf Kosten der festzustellenden Kontinuitäten übertrieben worden.
Ebensowenig sei es plausibel, den „historischen Jesus" in Absetzung vom
„synoptischen Jesus" zu suchen. Dieser Weg stehe vielmehr immer noch
in der historistischen Tradition, hinter den Quellen nach dem „Eigentli-
chen" und „Wahren" der Vergangenheit zu suchen, er könne zudem nicht
plausibel machen, warum die Wirkung Jesu, wie sie sich in den Evangelien
manifestiert, historisch unzuverlässiger sein solle als heutige Konstruk-
tionen seiner Person. Des weiteren sei zu beachten, daß sich die Verkün-
digung Jesu im mündlichen Medium vollzog und in diesem auch zunächst
tradiert wurde. Dies habe sowohl zu verschiedenen Versionen einzelner
Uberlieferungen als auch zu unterschiedlichen Sammlungen und Kompo-
sitionen geführt. Es sei deshalb fragwürdig, diese Vielfalt als Indiz für
konkurrierende Gruppen, die nebeneinander oder gar in Konkurrenz zu-
einander existiert hätten, zu werten.
Stattdessen schlägt DUNN vor, nach charakteristischen Merkmalen der
Jesusverkündigung zu suchen. Er nennt die Ansage des zugleich angebro-
chenen und zugleich zukünftigen Gottesreiches, die Menschensohn-
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Einleitung 7

Bezeichnung, die Vateranrede Gottes sowie die Exorzismen. Auf der


Basis derartiger Charakteristika lasse sich fruchtbarer nach einer plau-
siblen historischen Konstruktion suchen als auf den genannten, in ihren
methodischen Prämissen und historischen Verfahrensweisen oftmals
fragwürdigen Wegen.

JENS SCHRÖTER setzt diese Richtung fort, indem er nach der Historizität
der Evangelien fragt. Er arbeitet zunächst als eines der wesentlichen Cha-
rakteristika der neuen Jesusforschung heraus, daß sie sich als historische
Disziplin verstehe, wohingegen in früheren Phasen oftmals die theologi-
sche Dimension der Jesusfrage im Vordergrund gestanden habe. Sodann
führt er aus, daß der historische Wert der Evangelien in der historisch-kri-
tischen Forschung mit zwei Argumenten bestritten wurde:
Eine Linie beginnt bei DAVID FRIEDRICH STRAUSS und setzt sich über
WREDE und BULTMANN bis in die gegenwärtige Jesusforschung hinein
fort. Auf dieser Linie wurde die „mythische" bzw. „kerygmatische" Prä-
gung der Uberlieferung gegen ihren historischen Wert ins Feld geführt -
mit der Konsequenz, daß sich die Forschung auf die Worte und Gleich-
nisse Jesu konzentriert, den deutenden „Rahmen" dagegen beiseite ge-
schoben habe. Dieser Weg, der in BULTMANNS Jesusbuch deutlich zum
Ausdruck kommt, ist in SCHRÖTERS Augen keineswegs überzeugend: Die
Evangelien seien nicht einfach als legendarische, mythische Erzählungen
ohne historischen Wert zu betrachten, sondern stellten gerade eine Ver-
bindung von Ereignis und dessen späterer - ζ. T. durchaus auch mythi-
scher - Deutung dar. Zudem sei es eine geschichtsmethodologisch defi-
zitäre Sicht, die Verkündigung Jesu als eine ihres historischen Kontextes,
in den sie in den Erzählungen der Evangelien eingebettet sei, entkleidete
Botschaft zu deuten und die historischen Erinnerungen der Evangelien als
unwesentlichen „zeitgeschichtlichen Rahmen" beiseite zu stellen.
Die zweite Linie ist die mit KARL LUDWIG SCHMIDT einsetzende T h e s e
der literarischen Fiktion. Die richtige Beobachtung, daß die Darstellung
des Wirkens und Geschicks Jesu in den Evangelien ein Produkt des Ver-
fassers der jeweiligen Schrift ist, hat zu Unrecht dazu geführt, diese Dar-
stellungen als historisch wertlos zu betrachten und sich im Gefolge der
Formgeschichte auf die „kleinen Einheiten" zu konzentrieren. SCHRÖTER
macht demgegenüber geltend, daß die Beobachtung, es handle sich bei
den Evangelien um Erzählungen, die sich auf vergangene Wirklichkeit
beziehen, gerade dazu führen müsse, das Verhältnis von Erzählung und
Ereignis - hier ist ein Bezug zu dem Beitrag von MOXTER unverkennbar -
zu erfassen.
Diesen Weg beschreitet SCHRÖTER in Anlehnung an RICŒUR, von dem
er den Begriff der „Repräsentanz" vergangener Ereignisse bzw. Personen
in der historischen Erzählung übernimmt. Er exemplifiziert dies anhand

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8 Jens Schröter und Ralph Brucker

des Markus evangeliums in der Weise, daß er nach Facetten fragt, die sich
historisch auswerten lassen. Genannt werden deren drei: Johannes der
Täufer und dessen Verhältnis zu Jesus, die Konzentration der Wirksam-
keit Jesu auf die Dörfer Galiläas, der gegenüber das völlige Fehlen einer
Erwähnung von Sepphoris und Tiberias auffällt, sowie schließlich die
Schilderung der Reisen Jesu in die an Galiläa angrenzenden Gebiete. Bei
alledem geht es dezidiert nicht darum, in historistischer Manier eine
Identität von Erzählung und Ereignis zu behaupten. Vielmehr läßt sich
gerade auf der Grundlage der methodischen Einsicht, daß es sich hierbei
um ein Verhältnis der Analogie handelt, Repräsentanz also Gemeinsam-
keit und Differenz gleichermaßen umschließt, der Wert der Evangelien als
Erzählungen, die sich auf vergangene Wirklichkeit beziehen, erheben.

C H R I S T O P H E R M. T U C K E T T setzt sich in seinem Beitrag mit der Frage


auseinander, wie sich die Entwicklungen in der Q - und der Jesusfor-
schung der letzten 20-30 Jahre zueinander in Beziehung setzen lassen.
Insbesondere wendet er sich dabei zwei Beiträgen von J O H N S. K L O P P E N -
BORG ( V E R B I N ) ZU, in denen eben diese beiden Bereiche und ihr Bezug
zueinander thematisiert werden. Ubereinstimmend mit K L O P P E N B O R G
V E R B I N hält T U C K E T T zunächst fest, daß der in Q repräsentierte Jesus
denselben Status habe wie der Jesus des Markusevangeliums, fährt dann
jedoch fort, daß auch das Sondergut von Mt und Lk für eine historische
Konstruktion heranzuziehen sei, da dieses bezüglich seiner Bezeugung
denselben Status besitze wie Q, nämlich bei Mt bzw. Lk zum ersten Mal
in Erscheinung zu treten.
T U C K E T T macht sodann darauf aufmerksam, daß wir bei „ Q " immer
mit einem Dokument arbeiten, bei dem genauer Umfang und Wortlaut
kontrovers diskutiert werden. Auch die kürzlich erfolgte Veröffentli-
chung eines von drei namhaften Forschern verantworteten Q-Textes (die
dabei jedoch nicht in allen Fällen übereinstimmen) verändere diese Situa-
tion nicht. Ein weiteres Problem stelle die These eines in mehreren litera-
rischen Schichten entstandenen Q-Dokumentes dar. Nicht von K L O P -
PENBORG V E R B I N selbst, sehr wohl aber von JAMES M. R O B I N S O N und
B U R T O N L . M A C K , sei die postulierte erste Schicht eher unreflektiert mit
Jesus selbst in Verbindung gebracht worden. Ein vergleichbares Verfahren
sei bei C R O S S A N feststellbar, dessen Jesusbild auf einer Priorisierung von
Q - besonders dessen weisheitlichen Teilen - und dem Thomasevange-
lium basiere. T U C K E T T macht gegenüber diesen Versuchen - und auch
gegenüber K L O P P E N B O R G VERBINS Stratigraphiemodell - den Vorbehalt
geltend, daß es grundsätzlich schwierig sei, innerhalb von Q zwischen
verschiedenen Schichten zu unterscheiden, die sich als Tradition und Re-
daktion voneinander abheben ließen. Plausibler sei es, davon auszugehen,

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Einleitung 9

daß wir es bei Q mit einem Dokument zu tun haben, das ältere Traditio-
nen aus einer bestimmten Perspektive aufgreift und anordnet.
Im zweiten Teil seines Beitrags wendet sich TUCKETT anhand von zwei
speziellen Themen dem Beitrag von Q für die Frage nach dem histori-
schen Jesus zu. Das erste betrifft die in den Evangelien beschriebenen
Sabbat-Konflikte, die anscheinend in Q nicht vorkamen. TUCKETT wendet
sich gegen KLOPPENBORG VERBINS Vorgehen, hieraus vorschnell histori-
sche Schlußfolgerungen abzuleiten: Zum einen sei der Befund nicht völlig
eindeutig (Lk 14,5/Mt 12,11 könne eine Reminiszenz an eine Q - U b e r -
lieferung darstellen), zum anderen sei es sehr wohl denkbar, daß Q von
Konflikten um den Sabbat wußte, sie aber aufgrund der auch anderweitig
erkennbaren positiven Stellung zur Tora überging. Das zweite Thema ist
die Gerichts- und Gottesreichsvorstellung in Q und deren Auswertbar-
keit im Blick auf den historischen Jesus. Auch hier sei es fragwürdig, die
in Q erkennbare Vorstellung eines innerweltlichen Gerichtes und eines
unmittelbaren Eingreifens Gottes als Elemente der Q-Redaktion zu erklä-
ren und damit von einem Bild Jesu auszuschließen. Dagegen spreche auch
die in den synoptischen Evangelien und Q durchgehend anzutreffende
Einordnung der Verkündigung Jesu in den Horizont des Auftretens des
Täufers. Abschließend warnt TUCKETT prinzipiell davor, polemische
Aspekte von Jesus fernzuhalten und späteren Schichten zuzuweisen. Hier
bestehe die Gefahr einer unplausiblen Konstruktion, die nicht mehr ver-
ständlich machen könne, warum Jesus auf massiven Widerstand gestoßen
sei, der schließlich sogar zu seiner Hinrichtung geführt habe.

DAVID E. AUNE befaßt sich mit dem historischen Wert der apokryphen
Jesusüberlieferung. Zur Auseinandersetzung wählt er die Jesusdarstellun-
gen v o n JOHN P. MEIER u n d JOHN DOMINIC CROSSAN, die auf sehr
unterschiedliche Weise mit dieser Frage umgehen: Schließt MEIER die
außerkanonische Uberlieferung aus seinem Jesusbild praktisch völlig aus,
spielt sie bei CROSSAN eine zentrale Rolle. AUNE stellt zunächst die Frage
nach der methodischen Grundlage dieser Differenz. MEIER schließt die
apokryphe Uberlieferung mit dem theologischen Argument einer einheit-
lichen Glaubensüberzeugung im Urchristentum aus und unterläuft damit
die von ihm selbst programmatisch vertretene Trennung von theologi-
scher und historischer Fragestellung. Auf dieser Linie werde auch das
Thomasevangelium, das AUNE in seinem Beitrag besonders interessiert,
deshalb aus einer historischen Analyse ausgeschlossen, weil es von MEIER
als gnostisch eingestuft wird. AUNE problematisiert nicht nur diese
Zuweisung, sondern auch die Logik der Argumentation. Schließlich stellt
er auch MEIERS Argumentation über das Verhältnis des Thomasevange-
liums zu den synoptischen Evangelien auf den Prüfstand und kommt zu
dem Schluß, daß es hier einer differenzierteren Bestimmung bedürfe als

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10 Jens Schröter und Ralph Brucker

sie in der pauschalen Alternative „abhängig/unabhängig" zum Ausdruck


komme. Der prinzipielle Ausschluß der im Thomasevangelium gesam-
melten Jesusüberlieferung ist daher nach A U N E nicht gerechtfertigt, vor
allem deshalb nicht, weil hier z. T. Analogien zu den synoptischen Wor-
ten und Gleichnissen vorliegen, die sich als interessante überlieferungs-
geschichtliche Varianten, jedoch nicht in jedem Fall als spätere, von den
Synoptikern abhängige Traditionen beurteilen ließen.
Das genau entgegengesetzte Modell begegnet bei C R O S S A N . A U N E
stellt heraus, daß dessen stratigraphisches Modell auf einigen ungeklärten
Annahmen basiert. So mute etwa die zeitliche Einteilung der Strata will-
kürlich an, die angenommene Unabhängigkeit etlicher der angeführten
Quellen berücksichtige die komplexen Uberlieferungsverhältnisse zu we-
nig, und die Zuschreibung von Uberlieferungen an Jesus basiere zu ein-
seitig auf dem Kriterium der Mehrfachbezeugung. A U N E geht auch hier
der Einbeziehung des Thomasevangeliums in die Jesusdarstellung näher
nach. Er stellt heraus, daß die Gründe für C R O S S A N S Aufteilung dieser
Schrift in zwei Strata, die verschiedenen zeitlichen Stufen seines Ent-
wicklungsmodells zugewiesen werden, nicht deutlich würden, ebensowe-
nig wie die Annahme, das erste Stratum habe aus denjenigen Logien be-
standen, die Parallelen in synoptischen oder anderen kanonischen Texten
besitzen, und gehöre in die früheste Phase der Überlieferung.
A U N E schließt seine Betrachtung mit der Überlegung, daß in beiden
Fällen eine Voreingenommenheit (spät und abhängig bzw. früh und un-
abhängig) den Umgang mit der apokryphen Jesusüberlieferung, speziell
mit dem Thomasevangelium, präjudiziere. Dagegen sei in einer histori-
schen Untersuchung von derartigen vorgängigen Urteilen abzusehen. Es
dürfe nicht a priori ausgeschlossen werden, daß das Thomasevangelium
alte Traditionen enthalten kann, die in eine Konstruktion des historischen
Jesus einzubeziehen seien, wenngleich dies freilich ebensowenig vorab
behauptet werden dürfe. Notwendig sei vielmehr eine differenzierte Be-
urteilung der einzelnen Überlieferungen.

Waren die bisher vorgestellten Aufsätze mehr auf grundsätzliche Fragen


der Methodik ausgerichtet, so widmen sich die übrigen Beiträge dieses
Bandes einigen Einzelaspekten der Jesusforschung.
J Ö R G F R E Y geht in seinem Beitrag der Frage nach, inwiefern die Deu-
tung Jesu als Christus und Gottessohn in den Evangelien eine Kontinuität
zum Sendungsanspruch des historischen Jesus aufweist. In einem aus-
führlichen forschungsgeschichtlichen Rückblick, der zugleich eine Über-
leitung von den methodischen Grundsatzüberlegungen zu den Einzelfra-
gen der historischen Jesusforschung in diesem Band darstellt, führt er vor,
welche hermeneutischen Probleme sich aus der seit LESSING und R E I M A -
RUS aufgeworfenen Frage nach dem historischen Jesus (im Unterschied

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Einleitung 11

zum verkündigten Christus) ergeben. Er hält fest, daß es sowohl histo-


risch als auch theologisch unangemessen sei, „den .historischen Jesus'
gegen den Christus des Glaubens und der nachösterlichen Verkündigung
auszuspielen"; gerade weil sich der christliche Glaube auf eine konkrete
geschichtliche Gestalt und auf geschichtliche Ereignisse zurückbeziehe,
sei die historische Frage nach Jesus „auch theologisch von Belang". Nach
diesen forschungsgeschichtlich-methodischen Vorklärungen widmet sich
FREY im zweiten Teil seines Beitrags dem Sendungsanspruch des irdi-
schen Jesus. Dabei wendet er sich gegen die in der Forschung weit ver-
breitete Auffassung vom .unmessianischen' Jesus, indem er auf die frühe
Verwendung der Bezeichnung Χριστός im exklusiven Bezug auf Jesus
sowie auf die aus römischer Perspektive formulierte Rede von Jesus als
„König der Juden" verweist; von wesentlicher Bedeutung sei hierbei auch,
daß man im Unterschied zur älteren Forschung heute (vor allem durch
die Qumranfunde) nicht mehr mit einem festgeprägten jüdischen Mes-
siasbegriff rechnen könne, sondern von einer Vielzahl unterschiedlicher
messianischer Erwartungen ausgehen müsse. Die messianische Deutung
der Person Jesu knüpfe an sein „exorzistisches und heilendes Wirken" in
Verbindung mit seiner Rede von der Gottesherrschaft an (vgl. bes. Lk
11,20), in der sich ein „unerhörte [r] Sendungsanspruch" zeige. Nur auf
der Basis dieses Sendungsanspruchs könne verstanden werden, wie es
nach Ostern zur erstaunlich schnellen Ausbildung der Christologie
kommen konnte: FREY zufolge „führt von der Erinnerung an den Irdi-
schen und den hinzukommenden gedeuteten Erfahrungen von Karfreitag
und Ostern ein durchaus konsequenter Weg zur Entfaltung der neu-
testamentlichen Christologie, zur Rede von Jesus als ,Sohn Gottes', wie
sie bei Markus den Rahmen bildet, ja letztlich bis zu den christologischen
Spitzenaussagen des Johannesevangeliums, demzufolge Jesus in wesen-
hafter Einheit mit dem Vater (Joh 10,30), d. h. kein anderer als ,Gott' ist
(Joh 1,1.18; 20,28)".
D e r B e i t r a g v o n H E R M U T L O H R t h e m a t i s i e r t das V e r h ä l t n i s J e s u z u m
Gesetz. Ausgehend von der Beobachtung, daß Jesus in Schriften des
2. Jahrhunderts als „neuer Gesetzgeber" apostrophiert wird, lenkt LOHR
den Blick zurück auf die christlichen Quellen des 1. Jahrhunderts und ver-
sucht, „die verschiedenen frühchristlichen Jesus-Bilder, welche durch die
Beschreibung seines Verhältnisse zur Tora geprägt werden, wahrzuneh-
men, zu vergleichen und mögliche Entwicklungslinien aufzuzeigen". Die-
ser rein wirkungsgeschichtliche Ansatz erscheint ihm als notwendiges
Korrektiv gegenüber einer Rückfrage nach dem historischen Jesus „hin-
ter" den Quellen, die ohnehin „zum Scheitern verurteilt" sei. Der Durch-
gang durch die frühchristlichen Schriften (Paulus, Q, Mk, Mt, lk Dop-
pelwerk, Joh) ergibt ein differenzierendes Bild. Ein wichtiges Ergebnis ist
dabei, daß dem irdischen Jesus „keine grundsätzliche Ablehnung der

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12 Jens Schröter und Ralph Brucker

Tora" zugeschrieben werde. Vor allem die paulinische Spitzenaussage von


Christus als dem „Ende des Gesetzes" (Rom 10,4) sei „nicht an der Dar-
stellung einer inhaltlichen Stellungnahme des historischen Jesus zum
Gesetz interessiert", sondern von Ostern her unter heilsgeschichtlicher
Perspektive formuliert. Die schon früh (wenn auch nicht bei Paulus)
überlieferten Aussagen Jesu, die „einzelnen wichtigen Regelungen der To-
ra sachlich direkt widersprechen", hätten wohl auch Anhalt am histori-
schen Jesus, seien aber frühchristlich „ins Grundsätzliche" übersetzt wor-
den, indem Jesus nun der Tora als ganzer „mit eigener Vollmacht und
Souveränität gegenüber [tritt]".
MICHAEL WOLTER widmet sich dem Begriffspaar „Gericht" und
„Heil", das innerhalb der Jesusforschung „als antithetischer Dualismus
verstanden wird". Damit verbunden ist die Frage nach den Gemeinsam-
keiten und Differenzen zwischen Jesus von Nazareth und Johannes dem
Täufer, deren jeweilige Verkündigung sich den beiden genannten Katego-
rien nicht sauber zuordnen lasse. WOLTER zeigt auf, daß sich im frühen
Judentum zwar verschiedene Gerichtstypen unterscheiden lassen, diesen
jedoch gemeinsam sei, „daß Gottes Gerichtshandeln immer als integraler
Bestandteil seines Heilshandelns verstanden wird" (nicht als „Kehrseite"):
„Den einen wird Heil und Rettung zugewiesen, den anderen [ . . . ] Ver-
nichtung und Unheil." In bezug auf diesen „propositionalen Gehalt" lasse
sich in den Gerichtserwartungen von Johannes und Jesus „kein Unter-
schied ausmachen". WOLTER interessiert nun jedoch mehr noch „die
pragmatische Tiefenstruktur der Gerichtsaussagen", also ihre „Adressa-
ten- und Hörerorientierung". So seien die Gerichtsankündigungen in der
apokalyptischen Literatur für die intendierten Adressaten (die „Frommen
und Gerechten") nichts anderes als Heilsankündigungen. Schwieriger sei
die Zuordnung allerdings in der synoptischen Johannes- und Jesusüber-
lieferung, da die von der Forschung eruierten Einzellogien meist keinen
eindeutigen Adressatenbezug erkennen ließen. WOLTER beschreitet daher
den Weg einer Typologie von „kommunikativen Konstellationen" und
unterscheidet drei idealtypische pragmatische Situationen, denen er die
synoptischen Gerichtsaussagen zuordnet: einerseits Reden an die „noch
indifferente Öffentlichkeit" (Stichwort „Umkehr"), andererseits Reden
an den Jüngerkreis, letztere noch einmal unterteilt in „stabilisierende
Heils- und Trostworte" und „postkonversionale Mahnreden". Abschlie-
ßend nimmt WOLTER die Frage nach dem Unterschied zwischen Johan-
nes und Jesus noch einmal auf und findet diesen darin, „daß Jesus sein ei-
genes Auftreten als integralen Bestandteil der machtvollen Durchsetzung
der Königsherrschaft Gottes auf Erden ansah".
PETR POKORNY macht in seinem Beitrag auf einige auffällige lexikali-
sche und rhetorische Eigentümlichkeiten der ältesten Jesusüberlieferung
aufmerksam. Zu den lexikalischen Eigentümlichkeiten gehören der

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Einleitung 13

Begriff „Reich Gottes" und die mit ihm verbundenen Wendungen (die
„Nähe" des Reiches, das „Eingehen" in das Reich, aber auch die außer-
kanonisch bezeugte Wendung „das Geschlecht ohne König") sowie die
Betonung des „Glaubens", von dessen Wortstamm wohl Jesus selbst den
Ausdruck „Kleingläubigkeit" neu geprägt habe. Zahlreicher sind die rhe-
torischen Eigentümlichkeiten, von denen POKORNY „nur einen Aus-
schnitt" vorstellt: Verstehe man den Begriff „Reich Gottes" als „Grund-
metapher" (nach RICOEUR und JÜNGEL), etwas, das sprachlich nicht
anders ausgedrückt werden könne, so sei auch deren weitere Deutung nur
durch metaphorische Sprache möglich; genannt werden hier die Gleich-
nisse vom Reich, die Zusage des Reiches an „unerwartete Adressaten"
sowie als Sonderfall die „amoralischen Gleichnisse". Auch rhetorische
„Intensivierungen" seien für die älteste Jesustradition bezeichnend; hierzu
nennt POKORNY die Anrede in der 2. Person bei den Seligpreisungen, die
Abba-Anrede Gottes sowie Hyperbeln und „sokratische Gegenfragen".
Schließlich falle auf, daß die rhetorisch durchaus übliche Verwendung von
Sprichwörtern und sprichwörtlichen Wendungen in der Jesustradition
einen deutlichen Hang zur Rätselhaftigkeit bzw. Neuinterpretation auf-
weise. Insgesamt werde aus den angeführten Beobachtungen die innova-
tive, vorgegebene Traditionen relativierende Sprachkraft der Verkündi-
gung Jesu deutlich.
Die von U L R I C H L U Z gestellte Frage „Warum zog Jesus nach Jerusa-
lem?" wird, nach dem Siegeszug der Formgeschichte, in den Jesusbüchern
des 20. Jahrhunderts eher vage beantwortet. Luz möchte, in Anknüpfung
an ALBERT SCHWEITZER, diese „Frage des 19. Jahrhunderts wiederauf-
nehmen". Dazu rekurriert er zunächst auf die zeitgenössischen Quellen,
v. a. Josephus, nach denen Jerusalem im 1. Jahrhundert „ein für einen
Propheten gefährlicher Ort" war. Dies müsse Jesus klar gewesen sein, er
müsse also die Lebensgefahr „bewußt in Kauf genommen haben", zumal
seine Wirksamkeit schon in Galiläa auf Widerstand gestoßen sei. Luz
verfolgt sodann Jesu Verhalten in Jerusalem - seinen Einzug in die Stadt,
die Tempelreinigung und die Ankündigung der Zerstörung des Tempels -
und kommt auch hier zu dem Schluß, daß Jesus „seinen möglichen Tod
bewußt in Kauf genommen oder ihn sogar gewollt" habe. Für die Frage,
welchen Sinn Jesus selber mit seinem Tod verbunden haben könnte,
stützt sich Luz auf das Logion Lk 12,49f und die Einsetzungsworte zum
Abendmahl Mk 14,22-25 und kommt zu der vorsichtigen Antwort, es sei
„denkbar, aber wirklich höchstens denkbar, daß Jesus seinen Tod in den
Zusammenhang der endzeitlichen Drangsale gestellt hat [ . . . ] , daß er
durch ihn das Kommen des Gottesreichs beschleunigen oder gar herbei-
führen wollte" und daß er vielleicht sogar „durch seinen eigenen Tod
stellvertretend seinen Jüngern das Erleiden der endzeitlichen Drangsale
ersparen wollte".

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14 Jens Schröter und Ralph Brucker

Der den Band abschließende Beitrag von ANDREAS LINDEMANN fragt


nach dem Verhältnis der neutestamentlichen Bekenntnisaussagen über
den auferweckten Jesus zum „historischen Jesus". Die von ihm vorange-
stellte „Skizze zu Jesu Leben und Verkündigung" endet mit der Feststel-
lung, daß „das Geschehen nach Jesu Tod, also das .Osterereignis'," kein
„mit den Mitteln historischer Forschung zu erfassendes Faktum" sei,
sondern „ein vom Glauben ausgesprochenes Bekenntnis zum Handeln
Gottes an dem Gekreuzigten". Die mit diesem Bekenntnis verbundene
Problematik wird von LINDEMANN an zwei neutestamentlichen Texten
näher ausgeführt: Rom 10,9 (soteriologisch orientierte Aufnahme zweier
urchristlicher Bekenntnisformeln) und Apg 2,14-36 (die Pfingstpredigt
des Petrus). Bei aller Unterschiedlichkeit sei beiden Texten gemeinsam,
daß sie keinerlei Versuch unternehmen, einen „objektiven" Beweis für das
Auferstehungszeugnis zu liefern; „für beide gehört die Auferweckung
Jesu nicht auf die Ebene einer Faktenwirklichkeit, von der auch ohne den
Glauben an Gottes Handeln hätte gesprochen werden können". Dieser
Befund führt LINDEMANN zu grundsätzlicheren Erwägungen: Ein histo-
rischer „Realgrund" für das christologische Bekenntnis lasse sich nicht
erweisen - sei es ein wie auch immer geartetes „messianisches Selbstbe-
wußtsein" Jesu (auf das sich das urchristliche Bekenntnis dann selt-
samerweise nicht berufen hätte), sei es ein „authentisches Selbstzeugnis"
eines Auferstehungszeugen (das ohnehin nur subjektiven Wahrheitsan-
spruch anmelden könnte). Die Auferweckung Jesu sei „ein dem Bekennt-
nis vorausliegendes, also unverfügbar bleibendes Geschehen". Der sachli-
che Inhalt des Bekenntnisses, „daß der von Gott auferweckte Gekreuzigte
der κύριος ist", sei einerseits „die Relativierung jeglicher Herrschafts-
ansprüche menschlicher oder dämonischer Mächte gleich welcher Art",
andererseits die Gewißheit, „daß Gott sich dem Menschen in seiner
Schwäche zuwendet, daß Gott sich offenbart im sichtbaren Scheitern
eines Lebens".

Die in diesem Buch versammelten Beiträge repräsentieren, wie der Un-


tertitel sagt, „Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung"
zum historischen Jesus. Sie weisen eine Reihe von Berührungen auf (so
besonders die Beiträge des ersten Teils), laden aber auch zum kritischen
Vergleich ein (so etwa die den zweiten Teil .rahmenden' Beiträge von
FREY und LINDEMANN). Die Herausgeber sind davon überzeugt, daß der
Band wertvolle Anregungen enthält, die die historische Jesusforschung
- vor allem in bezug auf die Frage nach den erkenntnistheoretischen
und methodischen Voraussetzungen einer Konstruktion des historischen
Jesus sowie nach dem Verhältnis von Wirken Jesu und Entstehung der
Christologie - voranbringen werden.

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Der historische Jesus

Bedenken zur gegenwärtigen Diskussion aus der Perspektive


mittelalterlicher, moderner und postmoderner Hermeneutik 1

WERNER H . KELBER

But as the dialectic of the Enlightenment unfolded, it became trapped in ever nar-
rower models of what could count as truth.
DAVID TRACY

The force of fact as modernity has constructed it has not gone uncontested.
EDITH WYSCHOGROD

The best ethical criticism, ancient and modern, has insisted on the complexity and
variety revealed to us in literature, appealing to that complexity to cast doubt on
reductive theories.
M A R T H A NUSSBAUM

By locating the world in relation to its creative origin we override the plurality and
opacity of the world as phenomenologically accessible.
JOSEPH STEPHEN O ' L E A R Y

I have suggested that the non-scientific or protoscientific nature of historio-


graphical studies is signaled in the inability of historians to agree - as the natural
scientists of the seventeenth century were able to agree - on a specific mode of
discourse.
HAYDEN W H I T E

The Early Church remains a period still charged with more than academic interest
for many readers. Stereotypes, alternately placid and histrionic, gravitate around
with remarkable ease.
PETER BROWN

1 Dieser Artikel erschien ursprünglich unter dem Titel "The Quest for the Historical
Jesus: From the Perspectives of Medieval, Modern, and Post-Enlightenment Readings,
and in View of Ancient, Oral Aesthetics" in The Jesus Controversy: Perspectives in
Conflict, Trinity Press, Pa, 1999. Ich bedanke mich bei Henry L. Carrigan, Jr, Editorial
Director, Trinity Press International, für die Erteilung der Erlaubnis zur Publikation
dieser überarbeiteten Fassung in deutscher Sprache.

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16 Werner H. Kelber

Einen durch historische Forschung gesicherten Jesus wird es nicht geben, sondern
nur vorläufige, der Veränderung unterworfene Rekonstruktionen.
JENS SCHRÖTER

In den folgenden Betrachtungen wird der Versuch unternommen, die


Frage nach dem historischen Jesus in einem weitgespannten Rahmen
mittelalterlicher, moderner und postmoderner Exegese neu zu überden-
ken. Ziel dieser Überlegungen ist es, der seit mehr als zweihundert Jahren
andauernden Diskussion neue Aspekte abzugewinnen und einige rich-
tungsweisende Akzente zu setzen.

Das Trauma der Geschichte und der Kanon der Tradition

Unsere anfänglichen Betrachtungen gehen von dem exegetischen Modell


des vielfachen Schriftsinnes aus, welches Verstehensbedingungen von
Sprache und Sinngebung unterliegt, die tief in der hermeneutischen Tra-
dition des mittelalterlichen Christentums verwurzelt waren. Die Uber-
zeugung, daß die Heilige Schrift von einem pluralistischen Sinnpotential
geprägt war, bestimmte nahezu die gesamte mittelalterliche biblische Ex-
egese. Sie war ein Gemeinplatz mittelalterlicher Schriftauslegung und
wurde nicht oder selten als Risiko betrachtet, in schrankenlose Willkür
auszuarten. Wenn immer der vielfache Schriftsinn praktizierte wurde, so
geschah das meist im Rahmen sorgsam ausgewogener hermeneutischer
Reflexionen. Dabei ließ man sich von der Grundüberzeugung leiten, daß
die unermeßlichen Schätze biblischer Weisheit nicht im Kerker des einfa-
chen Schriftsinnes verkümmern dürften. Im Gegenteil, man hielt es für
eine der Intention der Bibel durchaus angemessene Vorstellung, im bibli-
schen Text verborgenen und über den vorliegenden Text hinausgehenden
Sinngehalten nachzuspüren, um Leser und Hörer mit der Fülle von Inter-
pretationsmöglichkeiten vertraut zu machen.
Im Zuge mittelalterlicher Exegese bediente man sich Metaphern wie
Körper und Seele, Buchstabe und Geist, um die Differenzierung verschie-
dener Interpretationsstufen zum Ausdruck zu bringen und in Praxis um-
zusetzen. In den meisten Fällen postulierte man einen wörtlichen und ei-
nen geistigen Schriftsinn, die beide in einem hierarchischen, wenngleich
keineswegs oppositionellen Verhältnis zueinander standen. Es war zudem
üblich, den wörtlichen Schriftsinn als eine Art Brücke zum eigentlichen
Ziel biblischer Hermeneutik, nämlich den geistigen Sinn oder die Schau
Gottes, anzusehen.
Die vorherrschende Praxis mittelalterlicher Bibelexegese war von der
Theorie des vierfachen Schriftsinnes geprägt. Diese in vorbildlicher Weise

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Der historische Jesus 17

von HENRI DE LUBAC vorgelegte These 2 postulierte, daß jeder Text einen
vierfachen Textsinn beinhaltete, beziehungsweise einem solchen zugäng-
lich war: der wörtliche Schriftsinn, der grammatikalischen und philologi-
schen Details auf die Spur ging; der allegorische Schriftsinn, der nach hö-
heren und tieferen Bedeutungen Ausschau hielt; der ethische Schriftsinn,
der moralischen Sensibilitäten Rechnung trug; und der geistige Sinn, der
zu himmlischen Wahrheiten aufstrebte. Ob man nun die vierfache Potenz
völlig ausschöpfte oder nur einen zweifachen oder dreifachen Schriftsinn
berücksichtigte, dem geistigen Sinn wurde in jedem Fall der Primat zuer-
kannt.
Die mittelalterliche Exegese mag den modernen Interpreten verblüffen,
wie sie imstande war, diversen und heterogenen Lesarten in einem ein-
heitlichen Interpretationsmodell Raum zu schaffen. Man hielt es in vielen
Fällen für durchaus angemessen, der wörtlichen, grammatologischen Ei-
genständigkeit biblischer Texte nachzugehen, den mehr oder weniger
weiten Spielraum allegorischer Nuancen und Bedeutungsumformungen
zu ermessen und ethische Implikationen in Erwägung zu ziehen und all
diese exegetischen Möglichkeiten in einem hermeneutischen Modell zu
integrieren, das unter der Voraussetzung Gültigkeit besaß, daß der geisti-
ge Sinn als letzte Instanz ewiger Wahrheiten anerkannt wurde.
Was der Vielfalt ein integrierendes Einheitsmoment verlieh, war die
Prämisse, daß die Bibel als Wort Gottes verstanden wurde. Das bedeutete
unter anderem, daß die Gesamtheit biblischer Texte als ein einheitliches,
von einer einzigen Intention getragenes Kommunikationsmodell gedacht
war. In Predigten und erbaulichen Auslegungen konnten mittelalterliche
Theologen den gesamten Textraum der Heiligen Schrift durchmessen,
wobei sie Paulus und die Psalmen, Genesis und die Johannesapokalypse
ohne Rücksicht auf jeweilige textspezifische Situationen zitieren konnten,
da sie von der Uberzeugung getragen waren, daß es sich bei der Bibel
zwar um eine Sammlung unterschiedlicher Texte, im Grunde aber um eine
einheitliche Botschaft handele.3
Wenn man sich näher mit dem theologisch-exegetischen Denken des
hohen und späten Mittelalters befaßt, so läßt sich eine in gewissen Krei-
sen gepflegte Tendenz beobachten, der Erfassung des wörtlichen Sinnes
größere Aufmerksamkeit zuzuwenden. So legten beispielsweise im 12.
Jahrhundert Hugo und Andreas vom Stift St. Viktor in Paris den Schwer-

2 DE LUBAC, Exégèse Médiévale.


3 In bezug auf Augustin sei auf PETER BROWN, Augustine of Hippo, 254, verwiesen:
"His memory, trained on classical texts, was phenomenally active. In one sermon, he
could move through the whole Bible, from Paul to Genesis and back again, via the
Psalms, piling half-verse on half-verse."

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18 Werner H. Kelber

punkt ihrer Exegese auf den wörtlichen, vom Autor intendierten Text-
sinn. Hugo machte sich über Exegeten lustig, die über den wörtlichen
Sinn hinweghuschten, um so rasch wie möglich ins heilige Mysterium des
geistigen Sinnes vorzudringen. In bezug auf Andreas bemerkte BERYL
SMALLEY: " N O western [Christian] commentator before him had set out
to give a purely literal interpretation of the Old Testament." Und sie fuhr
fort, man traue seinen Augen kaum ("One sometimes rubs one's eyes"),
wenn man einen christlichen Theologen des 12. Jahrhunderts beobachtet,
wie er das Alte Testament in völlig unchristologischer Weise lesen kann,
ohne dabei in offensichtliche Schwierigkeiten zu geraten.4 Bemerkens-
werterweise haben weder Hugo noch Andreas den geistigen Sinn in Frage
gestellt. Vielmehr rechtfertigten sie ihre Neigung zum wörtlichen Sinne
damit, daß sie die Grundlage für den geistigen Sinn zu befestigen beab-
sichtigten.
Im 14. und 15. Jahrhundert präzisierte die philosophische Richtung des
Nominalismus erkenntnistheoretische Prinzipien bezüglich Sprache,
Sinngebung und Wirklichkeit und leitete damit eine Geistesströmung ein,
welche richtungsweisend für die via moderna sein sollte. Es war insbeson-
dere der Franziskaner William von Ockham (ca. 1285-1349)5, gebürtiger
Engländer, verurteilt in Avignon und gestorben im Münchner Exil, der
die herkömmliche Vorstellung, daß Sprache, einschließlich biblischer
Texte, auf geistige Realitäten, gewissermaßen auf transzendentale Signifi-
kate außerhalb des menschlichen Erkenntnisvermögens hinwiesen, pro-
blematisierte. Auf Grund seiner Skepsis in bezug auf geistige Universalien
rückte er die Realität der Einzelphänomene und einer an ihnen geschulten
Erfahrungsweise in den Mittelpunkt seines philosophischen Denkens.
Was die Bibel und biblische Exegese anbelangte, so konzentrierte sich
Ockhams Nominalismus insbesondere auf den singulären Status individu-
eller Texte. Die Heilige Schrift, in der Tat alle Texte, waren nach Ansicht
Ockhams als eigengesetzliche, linguistische Systeme verständlich, und
menschliches Denkvermögen, und zwar das eines jeden Menschen, war
derart, daß es die individuellen Texte erfassen konnte. Infolge dieser vom
Nominalismus geförderten intellektuellen Entwicklung wurde der wörtli-
che Textsinn auf subtile, doch unübersehbare Weise privilegiert.
Als Luther im 16. Jahrhundert dem wörtlichen Schriftsinn den Primat
zuerkannte, bewegte er sich anfänglich noch im Rahmen der viktorini-
schen Tradition und Ockhams Nominalismus. Aber als er es unternahm,
den vierfachen Textsinn zu verwerfen, um einzig den wörtlichen Schrift-

* SMALLEY, The Study of the Bible, 83-195.


5 KLEIN, O c k h a m , 1556-1562.

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Der historische Jesus 19

sinn zu legitimieren, und als er mit zunehmender Leidenschaft gegen die


allegorische Exegese Einspruch erhob, setzte er sich in Widerspruch zu
einer eineinhalbjahrtausendalten christlichen Tradition biblischer Exegese.
Die Bibel, behauptete er, war ein in sich selbst verständliches, autoseman-
tisches Buch. Sie legte sich selbst aus oder, wie er zu sagen pflegte, sie war
sui ipsius interpres. Der sensus literalis spreche sich klar und unzweideutig
aus. Verständlich in ihrem einfachen Wortsinn und ungehindert von ande-
ren Sinnesdeutungen war die Bibel daher jedermann zugänglich. Damit
war sie auch des Geheimnisschleiers beraubt, mit dem sie von theologi-
schen Experten umwoben worden war. Stattdessen wurde sie zu einem
offenen Text, der allen verständlich sein sollte, die hören und lesen
konnten.6
In der praktischen Ausübung der Exegese stellte sich allerdings heraus,
daß die Bibel alles andere als ein sich selbst regulierender, hermeneuti-
scher Organismus war. Luther selbst unternahm gewaltige Anstrengun-
gen, um dem von ihm bevorzugten Schriftsinn mittels eigener Uberset-
zungen, interlinearer und marginaler Glossen, Einleitungen, Illustrationen
und theologisch motivierter Formatierung des Textes eindeutig Ausdruck
zu verleihen.7
Für Protestanten bedeutete Luthers hermeneutische Revolution das
Ende mittelalterlicher Mystifikation und eine von vielen Kreisen herbei-
gesehnte Demokratisierung der Bibel und biblischer Lektüre. Katholiken
erschien der revolutionäre Ansatz der neuen biblischen Hermeneutik al-
lerdings in einem anderen Licht. Tief verwurzelt in der Tradition mittel-
alterlicher Exegese sahen sie in der via moderna eine rationalistische De-
gradierung des unermeßlichen Mysteriums der Bibel und den Aufstieg der
Tyrannei des einen, wörtlichen Schriftsinnes. D A V I D O L S O N resümiert:
"at the beginning [of the Middle Ages], texts were seen as boundless re-
source from which one could take an inexhaustible supply of meanings; at
the end of the period, the meaning of the text is austerely anchored in the

6 Luthers Distanzierung von der mittelalterlichen, biblischen Exegese war das Ergebnis
eines längeren Prozesses. Vgl. hierzu die Ausführungen von WILHELM PAUCK, Luther,
und darin vor allem seine "General Introduction," xvii-lxvi. Luthers Vorlesungen über
den Römerbrief (begonnen zu Ostern 1515 und beendet im September 1516) waren in
vieler Hinsicht noch der mittelalterlichen Bibelexegese verpflichtet. Der spätere Luther
war zunehmend von dem Franziskaner Nikolaus von Lyra beeinflußt, ein zum christli-
chen Glauben übergetretener Jude, dessen Kenntnis des Hebräischen und der Kom-
mentare zur Hebräischen Bibel ihn u. a. dazu veranlaßten, die allegorische Exegese
einzuschränken und letztlich zu verwerfen.
7 EDWARDS, Printing,Propaganda, and Martin Luther, 109-130.

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20 Werner H . Kelber

textual evidence." 8 Und es war diese strenge Eindeutigkeit biblischer Ex-


egese, die zum Vorbild für die moderne, historische Interpretation wurde.
Im Laufe des 17., 18. und 19. Jahrhunderts wurde der einfache Wort-
sinn auf wissenschaftlichen, künstlerischen und humanistischen Gebieten
immer mehr im faktisch-repräsentativen Sinne verstanden. So wurde es
immer mehr als ein erstrebenswertes Ziel angesehen, das komplexe
Gewebe von Geschichte und Natur auf möglichst realistische Weise wie-
derzugeben. Unter den vielen Faktoren, welche zur Apotheose des reprä-
sentativen Sinnes beitrugen, war eine auf die Natur gerichtete wissen-
schaftliche Neugierde, die davon ausging, daß die Natur lesbar und dem
analytischen Erkenntnisdrang zugänglich war. Es gab eine Art, das Buch
der Natur zu lesen, und eine Sprache, die den jeweiligen Daten gerecht
werden konnte.
So zeigte die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts ein besonderes
Interesse an realistischer, lebensnaher Repräsentation. 9 Malern wie Jan
Vermeer, Jacob van Ruisdael, Willem Kalf und Jan van Goyen ging es
nicht in erster Linie um thematische Erinnerung, rhetorische Überredung,
religiöse Erbauung oder um erzählerische Darstellung, sondern vielmehr
darum, die sichtbar-konkrete Welt in minutiöser Wirklichkeitsnähe wie-
derzugeben. Sie waren von dem Ehrgeiz besessen, Interpretation durch
Repräsentation zu ersetzen.
Das 19. Jahrhundert gilt weithin als das goldene Zeitalter des Romans.
Es war eine Zeit, in der diese Erzählgattung ihren Höhepunkt in den reali-
stischen Werken meisterhafter Schriftsteller wie Honoré de Balzac, Tho-
mas Hardy, Anthony Trollop, Charlotte und Emily Brontë, Fjodor
Dostojewski, Leo Tolstoi, Gustave Flaubert und anderer erreichte. Es
entsprach der Idealvorstellung des Romans, eine der menschlichen Le-
benserfahrung genauestens entgegenkommende Darstellung zu liefern,
soziale, kulturelle und politische Gegebenheiten mit äußerstem Realismus
und Hingabe zum Detail nachzuvollziehen und die menschliche Psyche
mit analytischer Schärfe darstellerisch zu erschließen. Das 19. Jahrhundert
war überdies von einem nahezu beispiellosen Aufblühen der Geschichts-
schreibung als einer wissenschaftlichen Disziplin gekennzeichnet. Theo-
dor Mommsen, Johann Gustav Droysen, Alexis de Tocqueville, Jakob
Burckhardt und andere entwickelten präzise Forschungsmethoden, die
uns die Grundprinzipien historischer Quellenforschung lehrten. Getragen
von der Uberzeugung, daß es sowohl möglich wie auch erstrebenswert
sei, die Vergangenheit so zu repräsentieren, wie sie sich eigentlich zuge-

8
OLSON, The World on Paper, 143-144.
' ALPERS, The Art of Describing.

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Der historische Jesus 21

tragen hatte, schufen sie Werke über europäische und nordamerikanische


Geschichte, die heute noch als Klassiker westlicher Geschichtsschreibung
gelten. In diesen und vielen anderen wissenschaftlichen, künstlerischen
und schriftstellerischen Strömungen des 17., 18. und 19. Jahrhunderts
wird deutlich, wie der einfache Wortsinn und sein repräsentativer Inhalt
imstande waren, sich mit beispielloser Wirkungskraft durchzusetzen.
In diesem geschichtlichen Kontext konnte sich der biblische Text dem
forschenden Willen zur repräsentativen Darstellung nicht entziehen. Wir
sahen bereits, wie Luther selbst zusammen mit anderen Reformatoren den
Anstoß zur via moderna des einfachen Wortsinnes gab. Um aber die Her-
ausforderung, welche die historische Forschung für die biblische Exegese
darstellte, recht zu verstehen, muß man bedenken, daß für Luther und
weithin auch für die protestantische Orthodoxie der sensus literalis noch
einen größeren Bedeutungsumfang besaß als für die moderne Geschichts-
schreibung. Was beispielsweise die Evangelien betraf, so verstand Luther
diese als von Evangelisten niedergeschriebene Erzählungen, welche zu-
gleich die geschichtliche Faktizität des Erzählten repräsentierten. Man
nahm also noch eine volle Ubereinstimmung von erzählter Darstellung
und deren geschichtlicher Realität an. Mit anderen Worten, der Er-
zählablauf und dessen vermeintliche Geschichtlichkeit waren noch im
wörtlichen Sinne vereinigt, der für die Gläubigen das Wort Gottes war.10
Erst unter dem Einfluß modernen, repräsentativen Denkens begann der
reformatorische einfache Wortsinn einerseits in eine narratologische,
theologische oder kerygmatische Lesart und andererseits in eine wörtlich-
faktische, historische Lesart getrennt zu werden. Luthers sensus literalis,
bereits das Ergebnis einer außerordentlichen Reduktion mittelalterlicher
Hermeneutik, wurde nun noch weiter auf den rein faktisch-historischen
Sinn reduziert. Wenn als Folge dieser Spaltung der narratologisch gestal-
tete, kerygmatische Jesus nicht mehr mit seinem historischen Urbild
identifiziert werden konnte, dann mußte letzterer, der sogenannte histori-
sche Jesus, nun zum Hauptgegenstand der neuzeitlichen Suche nach dem
einfachen, repräsentativen Sinn werden. Dies war, in groben Umrissen,
die hermeneutische Entwicklung und das intellektuelle Klima, in welchem
die Suche nach dem historischen Jesus zu einer unabdingbaren Notwen-
digkeit werden sollte.
Die moderne Entschlossenheit, wissen zu wollen, was sich eigentlich
zugetragen hat, bedeutete "a revolution in the morality of knowledge"11,
welche das christliche Verhältnis zur Bibel bis heute traumatisiert hat. So-

10 FREI, T h e Eclipse, 1 8 - 4 1 .
11 HARVEY, The Historian and the Believer, 103.

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22 Werner H . Kelber

bald einmal die Heilige Schrift konsequent und rückhaltlos aus der Per-
spektive eines historisch verstandenen Literalsinnes untersucht wurde,
war eine Entsakralisierung des Wortes Gottes unvermeidlich.
Vielleicht darf man sagen, daß die sich nun anbahnende historisch-
kritische Forschung auf kaum einem anderen Wissensgebiet derart weit-
reichende Folgen nach sich zog wie auf dem der Evangelienforschung, wie
umgekehrt die historisch-kritische Analyse der Evangelien einen bedeut-
samen Beitrag zur modernen europäischen Kultur- und Geistesgeschichte
darstellte.
Als man beispielsweise die Frage nach der historischen Entstehung der
Evangelien konsequent verfolgte, war es nur folgerichtig, wenn man einer
von menschlichem Traditions- und Gestaltungswillen getragenen Uber-
lieferungsgeschichte auf die Spur kam. Die Entdeckung literarischer
Quellen und mündlicher Uberlieferungsprozesse, formgeschichtliche
Einblicke in die Geschichte des Rezipierens, Tradierens und Revidierens
von Einzelmaterialien, die Konzeption einer rational erfaßbaren Uberlie-
ferungsgeschichte, die gewissermaßen eine genetische Vorgeschichte dar-
stellte, welche vom redaktionellen Imprimatur des endgültigen Evange-
lientextes gekrönt wurde - all dies ließ wenig Raum mehr übrig für die
Vorstellung der vom Heiligen Geist inspirierten Evangelisten.
Was den Inhalt der Evangelien betraf, so darf es nicht verwundern, daß
der neue Wissensdrang insbesondere die Wunder, die Verklärung und die
Auferstehung einer kritischen Betrachtung unterzog - Geschichten also,
welche mit dem Kanon rationaler, historischer Denkweise unvereinbar
waren. Abgesehen von der Reflexion über diese sogenannten supranatu-
ralistischen Geschichten richtete sich das kritische Augenmerk aber auf
den gesamten Erzählablauf und problematisierte dessen Korrespondenz
mit der biographisch-historischen Wirklichkeit des Lebens Jesu. So
konnten sich die Evangelien nicht mehr gegenüber der entschlossenen
Ernsthaftigkeit behaupten, mit der man dem einfachen, repräsentativen
Schriftsinn nachspürte in der Hoffnung, das definitive Leben Jesu im Ge-
gensatz zu den interpretierenden und mythisierenden Evangelienerzäh-
lungen rekonstruieren zu können. Wie auch immer man die Evangelien las
und untersuchte - als theologische, mythologische, kerygmatische oder
literarische Erzählungen - : der Zeitpunkt war gekommen, an dem man sie
nicht mehr als Geschichten verstehen konnte, die den einer fernen Ver-
gangenheit angehörenden historischen Jesus unmittelbar repräsentierten.
Angesichts des Aufstieges des einfachen, repräsentativen Schriftsinnes
und des Niederganges der historischen Glaubwürdigkeit der Evangelien
erwies sich die Suche nach dem historischen Jesus darum als ein durchaus
plausibles Unternehmen. Wenn die Evangelien einige Zeit nach den ei-
gentlichen Ereignissen, als Folge eines Traditionsprozesses und nicht in

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Der historische Jesus 23

voller Übereinstimmung mit der Faktizität der Erzählungen verfaßt wa-


ren, wie sahen dann die historischen Tatsachen aus? Und wenn die Evan-
gelien nicht, oder nicht im vollen Sinne, mit der historischen Person Jesu
in Deckung gebracht werden konnten, gab es eine Möglichkeit, sich hin-
ter die Texte zurückzutasten, um den „echten" Jesus ausfindig zu ma-
chen? Gab es angesichts der vier kanonischen Evangelienfassungen eine
Möglichkeit, eine sichere Methode zu konzipieren, welche Zugang zum
eindeutigen, historischen Ursprung zu ermittelte? Es waren Fragen und
Interessen dieser Art, die den unmittelbaren Anstoß zur Suche nach dem
historischen Jesus gaben. Als die Arbeit an der historischen Rekonstruk-
tion des Lebens Jesu einmal im späten 17. Jahrhundert begonnen hatte,
wurde sie ohne sichtliche Unterbrechung, über eine Zeitspanne von etwa
drei Jahrhunderten hinweg, bis in unsere Tage fortgesetzt. Ein schier
nicht enden wollender Strom von Leben-Jesu-Büchern, von Juden und
Christen, Akademikern und Schriftstellern, Gläubigen und Ungläubigen
geschrieben, bezeugt die bewußte Abkehr von einer Hermeneutik des
vielfachen Schriftsinnes und die leidenschaftliche Hinwendung zur einfa-
chen, und zwar historisch verstandenen Wahrheit des Christentums.
Diese Suche ist nicht ohne Ironie verlaufen, hat sie doch trotz ihrer
unendlichen Sehnsucht nach dem eindeutigen historischen Ursprung eine
Vielzahl von Leben-Jesu-Rekonstruktionen hervorgebracht, die nicht
selten voneinander abwichen: Jesus wurde als Utopist beschrieben, der
höchste geistige und ethische Ideale mit dem festen Glauben an eine Er-
neuerung der Welt vereinte; oder als apokalyptischer Menschensohn, der
in dem Versuch, eine revolutionäre Umkehrung aller Werte herbeizufüh-
ren, vom Rad der Geschichte überrannt und zermalmt wurde; oder als
Verkünder einer verinnerlichten Gottesherrschaft, die allen apokalypti-
schen Phantasien abgeschworen hatte; oder als politischer Revolutionär,
dessen Tätigkeit darauf abzielte, Israel vom Joch römischer Unterdrük-
kung zu befreien; oder als jüdischer Reformer, der die im Gesetz und in
den Propheten verankerten Prinzipien wieder ins kollektive Bewußtsein
zurückrief.
Diese Unfähigkeit, ein eindeutiges, konsensfähiges Leben Jesu zu
schaffen, beschränkt sich keineswegs nur auf die in der Vergangenheit zu-
rückliegende Forschung, der es, wie man vielleicht annehmen könnte, an
Quellenbasis wie an Methodik gemangelt hätte. Auch die gegenwärtige
Leben-Jesu-Forschung zeichnet sich bei aller eingehenden methodischen
und sachlichen Beschäftigung mit den Quellen durch einen unverkennba-
ren Pluralismus aus.

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24 Werner H. Kelber

Für MORTON SMITH12 stellte Jesus religionssoziologisch gesehen den


Typ des Magiers dar, der auf Grund seiner Wunder den Anspruch erhob,
der Sohn Gottes zu sein, und vorwiegend durch Krafttaten und Exorzis-
men Menschen in seine Nachfolge rief. Nach EDWARD SCHILLEBEECKX13
verkündete und realisierte Jesus die Erlösung ausnahmslos für ganz Israel,
wobei er das unkonventionelle Gebet zu Gott als abba in den Mittelpunkt
seiner religiösen Erfahrung stellte. Für E. P. SANDERS14 war Jesus ein jüdi-
scher Prophet, der sich als eschatologischer Abgesandter berufen fühlte,
das Reich Gottes im Zusammenhang mit der Zerstörung und dem Wie-
deraufbau des Tempels herbeizuführen. Nach MARCUS BORG15 stand Je-
sus im Mittelpunkt einer charismatischen, jüdischen Tradition, welche ei-
ne intensive Erfahrung des Geistes und eine geheiligte Lebensführung
praktizierte. N a c h ELISABETH SCHÜSSLER FIORENZA16 betrachtete sich J e -
sus als Kind der Frau Weisheit, welches die Präsenz des Gottesreiches in
Form egalitärer Gemeinschaften mit Frauen in führenden Positionen rea-
lisierte. Für BURTON MACK17 stammte Jesus aus dem überwiegend helleni-
stischen Galiläa, praktizierte den Lebensstil eines Wanderpredigers und
übte scharfe soziale Kritik aus, die sich nicht auf speziell jüdische Interes-
sen einließ, sondern mehr auf der Linie der hellenistischen Popularphilo-
sophie der Kyniker lag. Man wird nicht umhin können, mit LUKE T.
JOHNSON festzustellen: Die in jüngster Zeit - meist in nordamerikani-
schen Veröffentlichungen - entworfenen "images of Jesus" sind "re-
markably diverse if not mutually incompatible." JOHN O . CROSSAN
pflichtet diesem Urteil bei: "it seems we can have as many pictures as
there are exegetes", und diese repräsentieren insgesamt "a stunning diver-
sity [that] is an academic embarrassment." 18
Wie lassen sich die Vielfalt und Widersprüchlichkeiten innerhalb der
Leben-Jesu-Forschung in Vergangenheit und Gegenwart erklären? Zum
Teil liegt es an den Daten, die der jeweilige Autor ins Zentrum der Unter-
suchungen gerückt hat. Es kann nicht ohne Folge bleiben, ob man das
Gewicht auf Jesu Wirken oder Worte, auf seine Wunder oder die soge-
nannte Tempelreinigung, auf weisheitliche oder apokalyptische Logien
legt. Weiterhin spielt die selektive Heranziehung der Quellen eine Rolle.
Manche Autoren favorisieren ein oder zwei Evangelien, andere harmoni-

12 SMITH, Jesus the Magician.


1J SCHILLEBEECKX, Jesus: An Experiment in Christology.
14 SANDERS, Jesus and Judaism.

15 BORG, Jesus, A New Vision.

16 SCHÜSSLER FIORENZA, I n M e m o r y o f H e r .
17 MACK, A Myth of Innocence.
18 JOHNSON, The Real Jesus, 85; CROSSAN, The Historical Jesus, xxviii.

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Der historische Jesus 25

sieren alle vier, während wieder andere allen Evangelien historische


Glaubwürdigkeit absprechen und Jesus im Kontext griechisch-römischer
und jüdischer Geschichte eruieren. In jüngster Zeit sind besonders in
Nordamerika die Redequelle Q und das außerkanonische Thomasevange-
lium zu bevorzugten Kandidaten auf der Suche nach der authentischen
Botschaft Jesu geworden. Je nachdem, ob man sich auf ein oder mehrere
Evangelien oder auf das Thomasevangelium oder auf Q und eine oder
mehrere literarische Schichten innerhalb dieser Quelle konzentriert, wird
das Endergebnis zwangsläufig jeweils anders aussehen. So kann die selek-
tive Datenverarbeitung bis zu einem gewissen Grade die Vielfalt der Le-
ben-Jesu-Darstellungen erklären.
Aber Selektion wirft ihrerseits neue Fragen hinsichtlich der dem Aus-
wahlverfahren zugrundeliegenden bzw. vorangehenden Prämissen auf.
W e n n m a n b e o b a c h t e t , w i e A L B E R T SCHWEITZER" e i n apokalyptisches
Modell entwarf, wie ERNEST RENAN20 eine pastorale Idylle inszenierte und
SCHÜSSLER FIORENZA die Thematik sexueller Gleichrangigkeit themati-
sierte, wie SANDERS ein jüdisches und MACK ein hellenistisches Milieu be-
vorzugten, muß man da nicht mit historischen und ideologischen Prädis-
positionen rechnen, welche in der Auswahl und Auswertung der Daten
mitgespielt haben? Darf man nicht in der Fülle der Leben-Jesu-Bücher -
wie fundiert sie auch immer in bezug auf die historisch-kritischer Metho-
dik sein mögen - vorkritische oder, um einen Begriff HAYDEN WHITES ZU
gebrauchen, protowissenschaftliche (protoscientific) Verpflichtungen se-
hen, Jesus durch besondere Relevanz, oder Irrelevanz (!), für die Gegen-
wart des jeweiligen Autors ansprechbar zu machen? Kann man hier nicht
eine Tendenz beobachten, gegenwärtige Interessen in den Ursprung zu
projizieren, um diesen mit der Gegenwart kommunikationsfähig zu
machen? Auf keinen Fall kann die Ironie der gesamten Leben-Jesu-
Forschung übersehen werden, ist doch die Suche nach dem eindeutigen,
ursprünglichen Leben Jesu in eine kaum noch überschaubare Fülle von
verschiedenen und sich teilweise widersprechenden Jesusdarstellungen
und Jesusfiguren ausgewuchert.
Die neuzeitliche Privilegierung historischer Eindeutigkeit und der
Schock, den diese Denkart dem traditionellen Umgang mit der Bibel ver-
setzte, sind nicht unbeantwortet geblieben. Getrieben von der Sorge um
die Autorität der Evangelien, welche die historisch-kritische Forschung in
Mißkredit zu bringen schien, schlug MARTIN KAHLER gegen Ende des
19. Jahrhunderts eine Alternativlösung vor, die sich als nicht weniger be-

" SCHWEITZER, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 390-443.


20RENAN, La vie de Jésus.

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26 Werner H. Kelber

deutsam erweisen sollte als die Leben-Jesu-Forschung selbst.21 K A H L E R


hielt „diese ganze .Leben-Jesu-Bewegung' für einen Holzweg"22, da sie auf
Mißverständnissen beruhe. Da war zunächst die mangelnde Zuverlässig-
keit der historischen Forschung, der es nicht gelungen war, einen festen
Kern des Glaubensgehaltes sicherzustellen; „denn die Umrisse und die ei-
gentlichen Lebens züge [Jesu] ändern sich unaufhörlich nach dem wech-
selnden Befunde, den die Sichtung der biblischen Stoffe ergibt"23. Mit
anderen Worten, K A H L E R forderte Klärung darüber, wie die unsicheren
Ergebnisse historischer Forschung imstande sein könnten, Grundlage für
Wahrheit und Erlösung zu bieten. Mehr noch als die unterschiedlichen
Ergebnisse von Historikern beunruhigte ihn die Geschichtswissenschaft
als solche, deren wissenschaftlicher modus procedendi Anspruch auf
grundlegende theologische Wahrheiten erhob. War die historisch-kriti-
sche Methode berechtigt, Zugang zu den eindeutigen Wahrheitsgehalten
biblischer Texte zu erstellen? K A H L E R äußerte ernsthafte Bedenken: Eine
Rekonstruktion vergangener Ereignisse sei außerstande, die gegenwärtige
menschliche Situation anzusprechen, denn „geschichtliche Tatsachen,
welche die Wissenschaft erst klar zu stellen hat, können als solche nicht
Glaubenserlebnisse werden."24 Es wird festzuhalten sein, daß es sich bei
KÄHLERS Alternative zur historischen Leben-Jesu-Forschung um eine
theologische These handelte, welche an das reformatorische Prinzip der
Rechtfertigung durch den Glauben erinnert. Denn in bezug auf das re-
formatorische Prinzip lautete KÄHLERS These, daß Glaube nicht auf den
Werken der Geschichte basieren könne, ohne dabei sein eigenständiges
Wesen als reiner Glaube einzubüßen: „darum fließen Geschichte Jesu und
christlicher Glaube wie Ol und Wasser auseinander."25 Historische Fakten
und Glaubenserfahrung seien grundsätzlich unvereinbar.
Mit K A H L E R ist die Diastase zwischen dem historischen Jesus und dem
biblischen Christus in Theologie und Forschung institutionalisiert wor-
den. Der historische Jesus wurde zu einer der Vergangenheit anhaftenden,
unprofilierten Figur, die hinter den Evangelien verborgen lag und von
geringer oder keinerlei Bedeutung für den christlichen Glauben war.
Die Evangelien wurden andererseits als nachösterliche „Zeugnisse und
Bekenntnisse von Christusgläubigen"2' bezeichnet, welche aufgrund apo-
stolischer Tradition den präsenten Christus im Leben der Gläubigen ver-

21 KAHLER, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus.
22 A. a. O., 18.
23 A. a. O., 83-84.

24 A. a. O., 51 (Hervorhebung im Original; dort gesperrt).

"Ebd.
26 A. a. O., 75.

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Der historische Jesus 27

mittelten. Wir halten fest, daß die Auferstehung sowohl als ein die Evan-
gelien begründendes Ereignis wie auch als Glaubenserfahrung eine ent-
scheidende Rolle in KÄHLERS Verständnis der Evangelientexte und ihres
Einflusses auf Hörer/Leser spielte. Es wird deutlich, daß von KÄHLERS
theologischem Gesichtspunkt aus die Suche nach dem hinter den Evange-
lien liegenden historischen Jesus als ein Unterfangen beurteilt werden
mußte, welches die religiöse Funktion und Identität der Evangelien miß-
verstanden und außer acht gelassen hatte. Seiner Auffassung nach wurden
Texte, die wesenhaft Bekenntnisschriften waren und deren Intention dar-
auf hinauslief, den auferstandenen Christus zu verkünden, irrtümlicher-
weise aufgrund ihrer historisch-wissenschaftlichen Evidenz ausgewertet.
Es darf noch hinzugefügt werden, daß KAHLER überdies die traditionelle
christliche Ansicht vertrat, auch das Alte Testament antizipiere Vor-
stellungen von Christus, welche sich mit dem Bilde Jesu im Neuen Te-
stament deckten. Insgesamt repräsentierte KÄHLERS Christus demnach
eine im Alten und Neuen Testament bezeugte einheitliche persona, deren
Hauptfunktion die Erlösung von Schuld und Sühne war.
Es ist durchaus nicht abwegig, in KÄHLERS Modell eine Defensivstrate-
gie zu sehen, welche sich gegen das neuzeitliche, auf Fakten fundierte
Ethos zu schützen suchte, in dem sie zu Recht eine Bedrohung für den
traditionellen Umgang mit den Evangelien erkannte. Die Diastase von hi-
storischem Jesus vs. biblischem Christus scheint zumindest zum Teil von
der Intention bestimmt, die Evangelien und den in ihnen für präsent an-
genommenen Christus mit einer Tabusphäre zu umgeben, um ihn vor
dem schädlichen Einfluß historischer Neugierde in Schutz zu nehmen.
Solch eine Strategie sah sich genötigt, der historischen Jesusforschung
jegliche Berechtigung abzusprechen.
KÄHLERS eindrucksvolles Alternativmodell zur historischen Leben-
Jesu-Forschung hat das Klima der modernen Theologie in einem nicht zu
unterschätzenden Maße beeinflußt. Es dominierte die sogenannte Dia-
lektische Theologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und es
wirkte auf das theologisch-biblische Denken bis in unsere Gegenwart hin-
ein.27 Wie unterschiedlich auch immer die theologischen Prämissen eines
K A R L BARTH, R U D O L F BULTMANN u n d PAUL TILLICH w a r e n , sie s t i m m -
ten darin überein, daß der in den Evangelien verkündete Christus und
nicht der historisch rekonstruierte Jesus legitime Grundlage christlichen
Glaubens sei.

27 Vgl. BRAATEN, Introduction to the English edition of Kähler's So-Called Historical


Jesus, 32-38, v. a. 35: "With some warrant one can speak of the methodological raono-
physitism in Kahler and dialectical theology if this means only that the historical
method cannot objectively demonstrate the revelation upon which faith stands."

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28 Werner H. Kelber

Für B A R T H beinhaltete der Glaube an den biblischen Christus eine Ne-


gierung menschlichen Selbstbehauptung, einschließlich aller Versuche,
den historisch auffindbaren Ursprung des Christentums zur Basis christ-
lichen Glaubens zu machen. BULTMANN, der unter den Historikern des
Neuen Testaments im 20. Jahrhundert nicht seinesgleichen hat, war im-
stande, das sogenannte Urchristentum bedenkenlos im Synkretismus des
jüdischen, hellenistischen, gnostischen Milieus der Spätantike zu verorten.
Und trotz, oder vielleicht wegen, der außerordentlichen Bedeutsamkeit
seiner historischen Arbeiten war er stets darauf bedacht, den christlichen
Glauben gegen die Konsequenzen seiner eigenen wissenschaftlichen For-
schung zu immunisieren, indem er unerschütterlich an der These festhielt,
der im Neuen Testament verkündete Christus könne und dürfe von der
historischen Wissenschaft weder verifiziert noch verdrängt werden. In
ähnlicher Weise betrachtete es T I L L I C H als eine Entstellung des Glaubens,
wenn letzterer mit Glauben an die historisch verifizierbare Gültigkeit bi-
blischer Texte gleichgesetzt würde.
In unserer Zeit hat L U K E TIMOTHY JOHNSON mit seinem Buch The
Real Jesus ein klassisches Werk in der Nachfolge K Ä H L E R S vorgelegt.28
Das Buch ist von einer ausnahmslos negativen Beurteilung der gegenwär-
tigen Leben-Jesu-Forschung und des nordamerikanischen Jesus Seminars
gekennzeichnet. Man gehe durchwegs von der Annahme aus, schreibt
J O H N S O N , Geschichte sei der Maßstab für Theologie in dem Sinne, daß
sie theologische Normen für eine Reform der Kirche liefern könne.
Hier würde mit Prämissen gearbeitet, welche protestantische und gezielt
lutherische Vorstellungen verkörperten. Wie Luther bewußt auf die ur-
sprüngliche Sprache und die theologischen Grundeinsichten des Neuen
Testaments zurückgriff, um die berüchtigten Unzulänglichkeiten der
mittelalterlichen Kirche zu exponieren, so versuchten viele Vertreter der
gegenwärtigen Leben-Jesu-Forschung auf den historischen Jesus zu re-
kurrieren, um ihn der sich angeblich auf dem sukzessiven Abstieg befind-
lichen Theologie- und Kirchengeschichte als Spiegel vorzuhalten. Ge-
schichte als Korrektiv des christlichen Dogmas und der christlichen
Theologie - das sei die explizite oder implizite Zielsetzung vergangener
und gegenwärtiger Leben-Jesu-Forschung gewesen.
J O H N S O N hält das hartnäckige Bestehen auf historischer Verifikation
für eines der "saddest paradoxes about the Jesus Seminar", da dieses doch
"the same literalness and historical positivism that characterizes funda-
mentalism" teile - einer der Hauptangriffspunkte des Jesus Seminars

28 SHARON D O T O stellt die Verbindung zwischen J O H N S O N und K A H L E R in einer kennt-


nisreichen Rezension von J O H N S O N S The Real Jesus in Lexington Theological Quar-
terly 31 (1999) heraus.

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Der historische Jesus 29

überhaupt. "The Seminar's obsessive concern with historicity and its ex-
treme literalism merely represents the opposite side of fundamentalism."
Aber, fragt JOHNSON, ist die Annahme "the origin of a religion defines its
essence" überhaupt gerechtfertigt?29
Wenn man JOHNSON die Frage stellt, warum Geschichte und ein streng
aus dem historischen Umfeld heraus verstandener Jesus nicht als Grund-
lage für den Glauben dienen können, erhält man eine Reihe von Antwor-
ten, die im großen und ganzen an KAHLER erinnern. Da wäre erstens das
Problem hinsichtlich der historischen Quellen. Obwohl archäologische
Entdeckungen, die Anwendung innovativer, soziologischer Methoden
sowie unerwartete Textfunde im 20. Jahrhundert unsere Kenntnisse des
gesamten Mittelmeerraumes durchaus bereichert hätten, hätte all dies
nichts zu unserem Wissen um Jesu Leben in dieser Welt beigetragen. Das
betreffe insbesondere auch die höchst bedeutsamen Funde von Qumran
und Nag Hammadi, welche, laut JOHNSON, alle Erwartungen hinsichtlich
neuer Information über den historischen Jesus nicht erfüllt hätten.30
Zweitens zeigt sich JOHNSON ganz im Sinne vieler anderer Kritiker be-
unruhigt über die erstaunliche und nicht enden wollende Fülle und Diver-
genz von Leben-Jesu-Büchern, 31 von denen ein jedes historische Glaub-
würdigkeit beanspruche - ein Phänomen, welches uns ins Reich der
Phantasien verweise und die historische Leben-Jesu-Forschung ad absur-
dum führe.
Aber der dritte und bedeutsamste Grund für die Misere der Leben-
Jesu-Forschung hat, so JOHNSON, weniger mit historischen Quellen und
der Heterogenität der Rekonstruktionsversuche zu tun als vielmehr mit
dem im Neuen Testament und im christlichen Glauben vorfindlichen
Verständnis der Person Christi. "Christianity in its classic form has not
based itself on the ministry of Jesus but on the resurrection of Jesus, the
claim that after his crucifixion and burial he entered into the powerful life
of God, and shares that life [ . . . ] with those who can receive it." Was die
kanonischen Evangelien betreffe, so seien diese "narratives of faith" und
vom Gesichtspunkt der Auferstehung Jesu und des Glaubens an den auf-
erstandenen Sohn Gottes geschrieben.32 Diese Erinnerung an seine konti-
nuierliche und vollmächtige Gegenwart sei von der Kirche erhalten und
tradiert worden, mit dem Ergebnis, daß "for the Christian confession, the
risen Lord still powerfully alive is the 'real Jesus'" und die Nachfolger Jesu
infolgedessen ihren Glauben nicht am historischen Jesus, sondern am le-

2' T h e Real Jesus, 68, 26, 2 7 , 1 5 .


30 JOHNSON, The Humanity of Jesus, 55.
31 The Real Jesus, 85-86.

32 A. a. O., 134, 110, 143, 151.

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30 Werner H. Kelber

benden Christus orientierten. Aus diesem Grunde seien die Texte des
Neuen Testaments ungeeignet, die unverletzliche Identität des Ursprungs
wiederherzustellen. In der Tat, eine Rekonstruktion des Lebens Jesu in
der Absicht, eine Grundlage für den Glauben zu schaffen, "would be a
form of idolatry." 33
Letztlich muß betont werden, daß JOHNSON, ganz im Stile KÄHLERS,
mit einem einheitlichen Bild der Jesusfigur im Neuen Testament arbeitet.
Obwohl JOHNSON über unterschiedliche Christologien im Frühchristen-
tum durchaus unterrichtet ist, legt er den Akzent auf "a profound unity
of understanding concerning Jesus throughout the New Testament litera-
ture" 34 , so daß man von einem "basic pattern of his life" sprechen könne. 35
Alle vier Evangelien, Paulus, die Petrusbriefe und der Hebräerbrief re-
präsentierten "the same pattern of messiahship and discipleship" sowie ei-
ne grundlegende Ubereinstimmung hinsichtlich des Charakters und der
Existenz Jesu "as one of radical obedience toward God and self-disposing
service toward others" 36 . JOHNSONS biblischer Christus ist ganz im Ge-
gensatz zum historischen Jesus in den neutestamentlichen Schriften
zugänglich und mittels der Wortverkündigung in der Gemeinde gegen-
wärtig.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es sich bei der These JOHNSONS
um ein sehr einflußreiches Denkmodell handelt, welches aus dem Trauma
der Moderne geboren wurde und sich zumindest ein Jahrhundert bis auf
MARTIN KAHLER zurückverfolgen läßt. Was diese sich von KAHLER bis
JOHNSON erstreckende Interpretationsgeschichte charakterisiert, ist die
Identifizierung der Evangelien als nachösterliche, vom Auferstandenen
ausgehende Geschichten. Mittels der Evangelien habe die Kirche dann die
Erinnerung an den auferstandenen Herrn fortgeführt und im Leben der
Gläubigen aufrecht erhalten. Aus diesem hermeneutisch-theologischen
Gesichtswinkel ergibt es sich zwangsläufig, daß die Leben-Jesu-For-
schung als ein theologisch unzweckmäßiges Projekt abgelehnt werden
muß. Anstelle des historischen Jesus legitimiert man eine angeblich ein-
deutige, einheitliche, im Neuen Testament verankerte Konzeption von
Christus und begründet auf diese Weise die unüberbrückbare Diastase
zwischen dem biblischen Christus und dem historischen Jesus, wobei er-
sterer für den christlichen Glauben legitim und letzterer illegitim ist.
Das von KAHLER b i s JOHNSON reichende Interpretationsspektrum
stellt ein Christusmodell vor, welches jeglichen Diskurs mit der histori-

33 A. a. O., 57, 143.


34 A. a. O., 152.
35 Humanity, 70.

36 The Real Jesus, 158, 149.

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Der historische Jesus 31

sehen Leben-Jesu-Forschung untersagt. Schon aus diesem Grunde alleine


sollte die These sorgsamst hinterfragt werden. Welche Gültigkeit kann
dieser persona Christi zugesprochen werden, welche alle unsere histori-
schen Impulse, Geschichtsereignissen auf den Grund zu gehen, proble-
matisiert und unterdrückt?
So ist beispielsweise die Prämisse daß die christliche Tradition "in its
classic form" auf Jesu Auferstehung und nicht auf sein Leben, Wirken
und Sterben fokussiert war, fragwürdig und in bezug auf das westliche,
lateinische Christentum ein historischer Irrtum. Ein Beispiel muß genü-
gen, um die Auferstehungsthese zu problematisieren. Es dürfte kaum zu
bestreiten sein, daß ein Großteil christlicher Frömmigkeit im Westen vom
11. bis zum 15. Jahrhundert intensiv auf Christi Leiden und Tod ausge-
richtet war.37 In der volkstümlichen Frömmigkeit, in theologischen Ab-
handlungen und Predigten, im Kult, in der Kunst und in Passionsspielen
war die Körperlichkeit Christi als eine von Wunden geschlagene persona
zu einer ausgesprochenen Zentralfigur geworden. Körper und Blut Christi
waren Gegenstand extremer Faszination und ehrfurchtsvoller Meditation.
Diese Valorisierung des geschlagenen Christus rief die verschiedensten
Reaktionen unter Hörern, Lesern und Kultteilnehmern hervor: Mitgefühl
für den stigmatisierten Körper, schmerzhaftes Gedenken an das Elend der
menschlichen Existenz, reuevolles Bekennen der sündhaften Mitschuld
und geistliche Läuterung, oder zumindest Hoffnung auf Erlösung dank
der reinigenden Kraft des Blutes Christi. Nebenbei und doch nachdrück-
lich sei angemerkt, daß die mittelalterliche Verehrung des leidenden Kör-
pers Christi nicht selten von Ausbrüchen außerordentlich gewalttätiger
Judenfeindlichkeit begleitet war.
Im Mittelpunkt spätmittelalterlicher Frömmigkeit stand das Sakrament
der Eucharistie, der Ritus, in welchem Brot und Wein in Körper und Blut
Christi verwandelt wurden. Vom 12. Jahrhundert an begann die Kirche,
die Eucharistie als bedeutsamstes Fest hervorzuheben, und im 14. Jahr-
hundert wurde der Ritus durch die Einsetzung des Festes Corpus Christi
mit einem einzigartigen Nimbus umgeben. Im mittelalterlichen Kult gab
es kein ergreifenderes spirituelles und alle Sinne erfassendes Erlebnis als
das Moment der Elevation und Konsekration der Hostie, welche die Prä-
senz Christi zur Wirklichkeit werden ließ und Teilnahme an ihr ermög-
lichte. Man darf durchaus damit rechnen, daß mittelalterliche Frömmig-
keit und sakramentale Theologie in der Zelebration des Blutes und des
Körpers Christi nicht schlechthin die menschliche, physische Natur Chri-

SLOYAN, The Crucifixion of Jesus; Ross, Grief of God; RUBIN, Corpus Christi,
37

BECKWITH, Christ's Body; MARROW, Passion Iconography.

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32 Werner H. Kelber

sti verehrten. Der inkarnierte, leidende Körper wurde weithin als Ort
göttlicher Gegenwart angesehen. In menschlicher Körperlichkeit inkar-
nierte Göttlichkeit - das mag die Vorstellung und das Erlebnis gewesen
sein, welches im Mittelpunkt der eucharistischen Zelebration des Körpers
Jesus stand. Auf jeden Fall war es

"not Jesus Christ rising f r o m the dead that this culture found so remarkable; it
was the miracle that G o d became embodied in order to suffer on behalf of hu-
manity that captivated the imagination of medieval Christians. G o d bled and wept
and suffered on the cross to draw persons to Godself; G o d bled and wept and
suffered on the cross to manifest the boundless mercy of divine compassion." 3 '

Was immer man für Einwendungen gegen die Leben-Jesu-Forschung er-


heben mag, sie können daher nicht mit der Annahme begründet werden,
das Christentum "in its classic form" habe dem physischen, menschlichen
Jesus, seinem Wirken und seinem Tod, zugunsten des auferstandenen, le-
benden Christus das Recht zur theologischen Existenz abgesprochen.
Ganz im Gegenteil! In seinen verbalen, ikonographischen, theologischen
und sakramentalen Manifestationen valorisierte das lateinische Christen-
tum des Mittelalters den gebrochenen und stigmatisierten Körper Christi
und erhob ihn zum Mittelpunkt der Eucharistiefeier.
JOHNSONS andere These, daß die kanonischen Evangelien vom Ge-
sichtspunkt der Auferstehung konzipiert seien, ist kaum weniger proble-
matisch. Es handelt sich hier um eine der KÄHLER-JoHNSON-Hypothese
besonders naheliegende Idee, welche, trotz mangelnder Beweiskraft, weit
über diese beiden Exponenten hinaus bis hin zur modernen Theologiege-
schichte häufig ins Feld geführt wird. Nun könnte man den Einwand er-
heben, die These sei indiskutabel und im Grunde nicht beweisbar. Doch
im Gegensatz zu K A H L E R , welcher den Wissensstand des 19. Jahrhunderts
vertrat, sehen wir uns am Anfang des 21. Jahrhunderts in einer günstige-
ren Position, aus gattungs- und traditionsgeschichtlichen Einsichten Nut-
zen zu ziehen, welcher für die Auferstehungsthese durchaus relevant ist.
Dank der jüngsten Funde christlicher Literatur in der Nähe von Nag
Hammadi in Oberägypten ist die Basis der Vergleichsmöglichkeiten hin-
sichtlich der Gattung Evangelium wesentlich erweitert und differenzierter
geworden. 39

38 Ross, Grief of God, 137.


39 Abgesehen davon, daß das lateinische Christentum des Mittelalters den Blick auf Jesu
Wunden und Passion lenkte, müßte noch viel über das liturgische, homiletische, ex-
egetische und ikonographische Erinnern an Jesu W o r t e n und Taten hinzugefügt wer-
den: die Bergpredigt, die Anbetung der Weisen, die Verkündigung der Geburt, die
Versuchung, Exorzismen, Heilungen, Speisungen, Verklärung, und so weiter - alles

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Der historische Jesus 33

Unter den verschiedenen literarischen Gattungen der Nag-Hammadi-


Texte findet sich ein Genre von Evangelium, welches fast ausschließlich
aus Jesusworten und Diskursen besteht. Von der Perspektive der kanoni-
schen Evangelien aus betrachtet vermißt man sowohl eine narrative Syn-
tax wie eine kontinuierliche Redeeinheit. Einzelworte oder Gruppierun-
gen von Worten und Diskursen sind nicht im Sinne des kanonischen
Evangeliengenres in einen Erzählzusammenhang, und damit auch nicht in
einer von der Erzählung geschaffenen Zeitlichkeit, eingebunden. Allen
temporalen Verpflichtungen gegenüber der Vergangenheit enthoben, ist
die Jesusfigur daher folgerichtig nicht der irdische, vergangene, sondern
der gegenwärtige, gewissermaßen lebende Jesus. Kraft seiner Worte macht
er seine Wirksamkeit unter Hörern geltend. In Texten wie dem Apokry-
phen des Jakobus, dem Thomasevangelium, dem Buch des Thomas (des
Mitstreiters), dem Evangelium der Maria, dem Dialog des Erlösers, der So-
phia Jesu Christi, der ersten und zweiten Apokalypse des Jakobus, den Taten
des Petrus und der zwölf Apostel und dem Brief des Petrus an Philippus
spricht der gegenwärtige Jesus zu einer Gruppe auserwählter Jünger und
Jüngerinnen oder zu einem seiner Brüder.
In diesen außerkanonischen Texten begegnet uns die Gattung eines
Wort- oder Diskursevangeliums, in welchem Jesus, befreit von einem ver-
gangene Zeitlichkeit konstruierenden Erzählzusammenhang, als präsente
Gestalt zum Ausgangspunkt von Weisheitsworten und Offenbarungsre-
den gemacht wurde. Hier treffen wir eine Gattung von Evangelium an,
welche vom Gesichtspunkt der kanonischen Evangelien aus gesehen eine
nachösterliche Kompositionsform darstellt. So sieht die Gattung eines
Evangeliums aus, welche KAHLER und JOHNSON im Sinne haben, wenn sie
an den auferstandenen und lebenden Christus appellieren, welcher mit
österlicher Vollmacht ausgestattet, seine Botschaft verkündet. Nur daß
eben dieses KÄHLER-JoHNSON-Modell seine ideale Entsprechung im au-
ßerkanonischen Thomasevangelium und nicht etwa im kanonischen Mar-
kusevangelium findet, welch letzteres sich auf das irdische Leben Jesu
konzentriert, in der Kreuzigung gipfelt und am Ende den auferstandenen
Christus den unwissenden Jüngern vorenthält.
Was immer man daher an Einwendungen gegen die Leben-Jesu-
Forschung vorbringen mag, sie können nicht mit der Annahme begründet
werden, die kanonischen Evangelien seien vom Standpunkt der Auferste-
hung konzipiert und stünden deshalb im Widerspruch zum Ethos des hi-
storischen Erkenntnisdranges. Diese These hat keinerlei Anhalt an der

Themen, die sich schlecht mit JOHNSONS These "Christianity in its classic form has
based itself not on the ministry of Jesus but on the resurrection of Jesus" vereinbaren
lassen.

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34 Werner H. Kelber

kanonischen Gattungsgeschichte der Evangelienliteratur, wiewohl sie


weitaus besser auf die außerkanonische, von Nag Hammadi vertretene
Evangeliengattung zutrifft.

Die Thematik .Evangelium - Auferstehung' bedarf einer wesentlich nuancierteren Be-


handlung als das im Gefolge der KÄHLER-JoHNSON-Tradition der Fall war. Zumindest
drei Aspekte müssen unterschieden werden:
1) Von synchronischer Perspektive aus gesehen laufen die Evangelienerzählungen auf
Tod/Auferstehung/Erhöhung hinaus - allerdings mit bedeutsamen narrativen Differen-
zen. Zudem realisieren die Plotkonstruktionen der Evangelien zahlreiche religiöse und
ethische Themen, schaffen Konstellationen von Raum und Zeit, entwickeln Charaktere
und konstruieren Subplots mit mannigfachen narrativen Verzweigungen im Gesamtplot.
Angesichts dieser narrativen Komplikationen ist es unangebracht, die Evangelien „Pas-
sionsgeschichten mit ausführlicher Einleitung" oder „Auferstehungsgeschichten mit
ausführlicher Einleitung" zu nennen.
2) Von diachronischer Perspektive aus gesehen sind die Evangelien zutiefst in Tradi-
tion verwurzelt. Sie absorbieren, transformieren und respondieren auf traditionelle Ele-
mente mannigfachster Art. Angesichts ihres vielfachen Engagements ist die These, sie
seien einzig von der Perspektive der Auferstehung komponiert, unhaltbar.
3) Im mündlichen Vortrag oder im (lauten oder schweigsamen) Lesen wird der her-
meneutische Prozeß vom Element der Anteilnahme mitbestimmt. Aber die mündliche
Erfahrung des Hörers, oder die des Lesers, läuft keineswegs (in allen Fällen) auf eine
Synchronisation mit dem auferstandenen Herrn hinaus. Eine Wundergeschichte, bei-
spielsweise, erteilt eine Einladung an Hörer und Leser, auf das Geschehen zu reagieren,
daran teilzunehmen und sein/ihr Leben entsprechend dem Wundergeschehen zu orien-
tieren. Angesichts dieser performativen Dynamik ist die These unhaltbar, der Erinne-
rungsprozeß aktiviere stets den Auferstandenen.

Wie triftig sind letztlich die Gründe, die für eine einheitliche persona des
sogenannten biblischen Christus sprechen, die JOHNSON im Neuen Te-
stament vorzufinden vorgibt? Auch diese These muß sorgsam bedacht
werden, erhebt sie doch den Anspruch, den historischen Jesus zu substi-
tuieren und seiner theologischen Legitimität zu berauben.
Unsere Überlegungen beschränken sich auf die in den kanonischen
Evangelien dargestellte Jesusfigur. Seit den 60er Jahren haben Neutesta-
mentler und Literaturwissenschaftler zunehmend Interesse an den kano-
nischen Evangelien als Erzählungen gezeigt und die kompositorisch-
narrative Verarbeitung des von KAHLER SO benannten biblischen Christus
analysiert. Zum Teil wohl auch in Reaktion auf das Trauma der Moderne,
welche den historischen Jesus problematisiert hatte, lenkte man die Auf-
merksamkeit von den hinter den Evangelien liegenden Traditionen und
Ereignissen auf den sich in den Evangelien selbst abspielenden Erzäh-
lungsablauf. Anstatt eine homogene, allen Evangelien gemeinsame persona
anzunehmen, unternahm man es, die literarische Landschaft und narrative
Gestaltung Jesu in jedem Evangelium gesondert zu reflektieren. Insofern

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Der historische Jesus 35

die Evangelien vor dem unbeugsamen Tribunal der Geschichtswissen-


schaft an Glaubwürdigkeit verloren hatten, wurden sie nun im Lichte lite-
rarisch-narrativer Kriterien begutachtet. Die Voraussetzung für diesen ra-
dikalen Methodenumschwung lag in der Annahme, daß es sich bei den
Evangelien in erster Linie um narrativ gestaltete Kompositionen handelte.
Die historische Frage wurde dabei bewußt ausgeklammert. J O H N S O N be-
grüßte nicht nur den Trend zur narrativen Erforschung der Evangelien,
sondern er leistete im Anfangsstadium einen nicht unerheblichen Beitrag
zum literarischen Verständnis von Lukas und der Apostelgeschichte.40
Anstatt die Evangelien als ein Hindernis zu betrachten, welches es zu
überwinden galt, um zum Eigentlichen, nämlich zur historischen Grund-
lage, vorzudringen, begann man nun die volle Aufmerksamkeit auf die in
den Evangelien gestaltete Erzählwelt zu richten. Wenn man den Blick-
punkt derart auf die narrative Struktur der Evangelien richtete, stellte sich
heraus, daß sie tief in Kompositionsstrukturen wurzelten, welche von ei-
ner literarisch-dramatischen Logik bestimmt waren. Es werden hier nur
einige der zahlreichen literarischen und rhetorischen Kompositions-
merkmale aufgeführt: Anordnung und Folge einzelner Geschichten und
Dialoge, dreigliedrige Wiederholungen und Doppelungseffekte verschie-
dener Art, die Spaltung einer Geschichte in zwei Teile, welche zum Rah-
men für eine dazwischengeschobene Geschichte werden, Wiederaufnahme
vorhergegangener Themen (narrative uptake), umsichtige Anordnung und
Verarbeitung christologischer Titel, rückblickende Aneignung von Wor-
ten, Themen und Figuren aus der hebräischen Bibel, Prolepsen, deren nar-
rative Realisierung entweder innerhalb oder jenseits des von der Evangeli-
enhandlung gezeichneten Rahmens liegen, Plotkonstruktionen, die häufig
durch die Dynamik des Konflikts gezeichnet sind, psychologische Ein-
blicke in das innere Leben von Charakteren, Dialoge zwischen Jesus und
den Jüngern, welche sowohl den beiden Diskussionspartnern wie den Le-
sern/Hörern zugänglich sind, beiseite gesprochene Bemerkungen {narra-
tive aside), die nur für die Leser/Hörer bestimmt sind, welche stets besser
informiert sind als jede andere Erzählfigur, und viele andere literarische
und rhetorische Figuren mehr. Kurzum, wir haben es gelernt, die Evange-
lien mit der von R I C Œ U R SO genannten „zweiten Naivität"41 zu lesen, wel-
che sich nicht mehr von der kritischen Frage nach der hinter den Texten
liegenden Tatsächlichkeiten, sondern von einer neugewonnenen Sensibi-

40 JOHNSON, The Literary Function of Possessions.


41 RICŒUR, Symbolism of Evil, 352. Obwohl RICŒUR den Begriff der „zweiten Naivität"
auf Symbolik anwandte, ist er gleichermaßen auf Erzählung zutreffend, in welcher sich
das Interesse nicht mehr auf die Faktizität des Erzählten, sondern auf die Formgestal-
tung der Erzählung richtet.

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36 Werner H . Kelber

lität für die durch die Evangelien konstituierten literarisch-narrativen Ei-


genwelten leiten zu lassen.
Diese neue, auf den narrativen Charakter der Evangelien ausgerichtete
Interpretation hat uns zweifellos eine Lektion hinsichtlich der differen-
zierten Kompositionsgestaltungen der vier Evangelien erteilt. Die Unter-
schiede sind derart, daß sie auf vier eigenständige, narrative Komposi-
tionsstrukturen des Lebens und Todes Jesu hinauslaufen. Aber sobald je-
dem Evangelium eine eigene narrative Identität zugestanden ist, ist es
nicht mehr länger möglich, ein Evangelium durch die Linse eines anderen
zu lesen oder alle vier in einer eindeutigen Evangelienharmonie zu fusio-
nieren. Die narrative Eigenart eines jeden Evangeliums erfordert, daß es
nach seiner literarischen Eigengesetzlichkeit untersucht wird.
Was die Frage der Christologie anbelangt, so kann sich diese keines-
wegs mehr auf die sogenannten Hoheitstitel oder Bekenntnisformeln
beschränken. Vielmehr muß Jesus als Erzählfigur sowohl in der Ausge-
staltung der einzelnen literarischen Mikrostrukturen, sowie in deren
Querverbindungen zu narrativen Makrostrukturen interpretiert werden.
So sieht es denn vom Standpunkt einer literarisch-narrativen Interpreta-
tion so aus, daß wir es mit einer Vierzahl von christologischen Erzähl-
komplexen zu tun haben, welche nur unter grober Mißachtung ihrer lite-
rarischen Eigenständigkeit auf ein eindeutiges christologisches Modell
reduziert werden können.
Dieses neuerliche Bewußtwerden von der Pluralität der Evangelien-
kompositionen problematisiert J O H N S O N S These von einer eindeutigen,
einstimmigen persona Christi im Neuen Testament. Seine Konstruktion
des sogenannten biblischen Christus negiert in seiner monolithischen
Eindeutigkeit eines der bemerkenswertesten Charakteristiken des Neuen
Testaments, nämlich die vielfachen und unterschiedlichen Manifestatio-
nen Jesu Christi.
Was immer man daher an Einwendungen gegen die Leben-Jesu-For-
schung vorbringen mag, sie können sich nicht auf die angeblich im Neuen
Testament begründete Vorstellung eines einheitlichen Bildes Jesu beru-
fen. Zusammenfassend darf gesagt werden, daß J O H N S O N S Deligitimie-
rung der Leben-Jesu-Forschung und insbesondere seine Alternativlösung
eines eindeutigen biblischen Christus der kritischen Analyse nicht stand-
halten.
Im großen hermeneutischen Zusammenhang wird deutlich, daß sowohl
die Suche nach dem historischen Jesus wie die KÄHLER-JOHNSON-These
bezüglich der einheitlichen persona Christi von dem Wunsch beseelt ist,
Vieldeutigkeit durch Eindeutigkeit zu ersetzen. Ganz im Gegensatz zur
mittelalterlichen Hermeneutik, welche einer vieldeutigen Interpretation
gegenüber offen gestanden hatte, operiert sowohl die moderne Leben-

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Der historische Jesus 37

Jesu-Forschung wie auch die KÄHLER-JOHNSON-Alternative im Interesse


einer radikalen Reduzierung der Vorstellungswelt des Neuen Testaments.

Der Kanon der Geschichte und das Trauma der Tradition

Im folgenden soll die gegenwärtige nordamerikanische Leben-Jesu-For-


schung am Beispiel des Werkes von J O H N D O M I N I C C R O S S A N aufgezeigt
werden. Sowohl J O H N S O N wie CROSSAN sind sich prinzipiell bewußt, daß
jedes der vier Evangelien von einem eigenständigen Darstellungswillen ge-
staltet ist. Aber während JOHNSON die Disparatheit der vier Evangelien-
erzählungen durch das Postulat einer in den Evangelientexten liegenden
eindeutigen christologischen Modellfigur überspielt, begibt sich CROSSAN
auf die Suche nach der hinter den pluralistischen Evangelientexten liegen-
den eindeutigen, historischen Modellfigur, welche als Norm für den
christlichen Glauben dienen kann. Während laut JOHNSON der christliche
Glaube "has never [ . . . ] been based on historical reconstructions of Jesus
[ . . . ] but on the resurrection of Jesus"42, gilt für C R O S S A N : "there is, ever
and always, only one Jesus" - nämlich die historische Person, welche im
Status der Auferstehung von Wundmalen gezeichnet ist; diese "came not
from heaven but from history."43 Dies sind die beiden Positionen - einan-
der diametral entgegengesetzt und im Grunde unvereinbar - welche sich
in Reaktion auf das Trauma der Moderne und ihrer Forderung nach histo-
rischer Exaktheit und faktischer Verifizierbarkeit herausgebildet haben.
Da nach JOHNSONS Ansicht alle Rekonstruktionsversuche, die von der
Absicht getragen sind, eine Grundlage für den Glauben zu schaffen,
theologisch illegitim sind, erscheint es angemessen, nach den logischen,
theologischen oder historischen Prämissen zu fragen, die C R O S S A N an-
führt, um sein monumentales Werk The Historical Jesus: The Life of a
Mediterranean Jewish Peasant zu rechtfertigen. Warum diese außeror-
dentliche Investition in die Wiedergewinnung des historischen Jesus, der
in seiner geschichtlichen Einmaligkeit in keinem einzigen Text und keiner
einzigen Quelle oder Quellenschicht erhältlich ist? Wie kaum ein Leben-
Jesu-Forscher vor ihm hat CROSSAN über seine Arbeit im Horizont histo-
rischer, theologischer, anthropologischer und nicht zuletzt methodologi-
scher Überlegungen reflektiert. Sein Werk wird darum im folgenden zur
Diskussion gewählt, weil sich geschichtstheoretische Probleme, Methodik

42 JOHNSON, The Real Jesus, 133, 134.


43 CROSSAN, "Historical Jesus as Risen Lord," 47.

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38 Werner H . Kelber

und Ergebnisse der gegenwärtigen Leben-Jesu-Forschung hier besonders


ertragreich veranschaulichen lassen.
C R O S S A N unterscheidet zwei Typen des Christentums, einen sarkophi-
lischer oder inkarnierter Art und einen sarkophobischer oder doketischer
Art. Von der griechischen Etymologie für Fleisch (sarx), Liebe (philia)
und Furcht (phobos) hergeleitet, vertritt der sarkophilische Typ eine mo-
nistische Anthropologie der Einheit von Fleisch und Geist und der sarko-
phobische Typ eine Trennung von Fleisch gegenüber Geist. Der monisti-
sche Typ postuliert eine vom Geist erfüllte Körperlichkeit, welche sich
einer Trennung von Körper und Geist widersetzt, eine Privilegierung auf-
grund sexueller, biologischer Attribute ablehnt und den Menschen in sei-
ner physisch-geistigen Einheit anerkennt. Der dualistische oder doketi-
sche Typ ist nach C R O S S A N ethisch problematisch, da er sich anmaßt, die
Materie vom Geist zu trennen und letzteren zu privilegieren, Männlich-
keit mit Geist und Weiblichkeit mit Körper gleichzusetzen und damit
Sexualität und unsere Menschlichkeit zu degradieren. In christologischer
Hinsicht proklamiert sarkophilisches Christentum die Körperlichkeit des
irdischen Jesus, der als Auferstandener die von seiner Hinrichtung her-
rührenden Wundmale trägt. Es gibt in dieser Christologie nur einen Jesus,
nämlich den Inkarnierten, der in physisch-materieller Kontinuität zu sei-
ner Identität als Auferstandener steht. Sarkophobisches Christentum ist
dadurch charakterisiert, daß es dem irdischen Jesus nur scheinbare Wirk-
lichkeit zugesteht, bestenfalls eine geistige Kontinuität zwischen dem ir-
dischen und dem auferstandenen Herrn anerkennt und nur dem geistigen
Christus, im Gegensatz zum irdischen und historischen Jesus, religiöse
Bedeutsamkeit einräumt. C R O S S A N bekennt sich zum sarkophilischen
Typ, welcher in seiner humanen Befürwortung einer nicht-dualistischen,
integrativen Anthropologie die theologische Grundlage und Rechtferti-
gung für alle modernen Bestrebungen zur Rekonstruktion des histori-
schen Jesus bildet.
C R O S S A N zieht scharf markierte Trennungslinien quer durch das weite
Feld christlicher Traditionsgeschichte und fällt dabei gewichtige und harte
Urteile, welche im Zeitalter inklusiven und ökumenischen Denkens und
nicht mehr aufzuhaltender Globalisierungstendenzen Erstaunen erregen
müssen. Vielleicht noch bedeutsamer aber ist es, daß sich seine ge-
schichtstheoretischen und anthropologischen Thesen nicht mit dem Bild
frühchristlicher und mittelalterlicher Geschichte vereinbaren lassen, wel-
ches sich im Laufe des letzten Jahrhunderts abzuzeichnen begonnen hat.
Beginnen wir mit drei Thesen, die zwar nicht völlig unumstritten, aber
doch weithin in der neutestamentlichen Forschung anerkannt sind und
die angesichts CROSSANS geschichtsphilosophischer Reflexionen noch
einmal neu ins Bewußtsein gerufen werden müssen.

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Der historische Jesus 39

Erstens hat die neutestamentliche Wissenschaft seit langem bewußt die


kanonisch privilegierten Grenzen überschritten, um der Vielfalt christli-
cher Stimmen und Erfahrungen gerecht zu werden und diese in ein histo-
risch repräsentatives Gesamtbild einzuordnen. In weiten Kreisen ist die
Forschung von dem Drang beflügelt, sich alle nur erfindlichen Doku-
mente und Uberreste christlicher Vergangenheit zu eigen zu machen. Zu
diesem Zweck hat sich der wissenschaftliche Forschungsdrang jedes
Objekt schriftlicher, archäologischer und ikonographischer Erinnerung
angeeignet, dessen man habhaft werden konnte. So versucht man bei-
spielsweise, die zweifellos einseitige Betonung des westlichen, lateinischen
Christentums - ein Modell, das uns ursprünglich von der lukanischen
Apostelgeschichte und der in ihr geschilderten Ausbreitung christlichen
Glaubens von Jerusalem nach Rom aufgeprägt worden ist - durch kon-
zentrierte Einbeziehung des syrischen und ägyptischen Christentums
auszugleichen. Überdies hat sich das jüngst wieder verstärkte Interesse an
asketischen und monastischen Bewegungen im Frühchristentum zum Ziel
gesetzt, die durch ausschließliche Lektüre der kanonischen Pastoralbriefe
aufgedrängte Vorstellung zu korrigieren, das frühe Christentum habe sich
ausschließlich in Hauskirchen und familiären Gemeinschaften konstitu-
iert. Nicht zuletzt versucht man die Stimmen derer zu hören und ver-
nehmen zu lassen, die an den Rand gedrängt oder ausgeschlossen wurden,
in erster Linie Frauen, aber auch Sklaven, sowie Christen, die einen ho-
moerotischen Lebensstil praktizierten. Summierend läßt sich sagen, daß
die Forschung uns die weitverzweigte Mannigfaltigkeit frühchristlicher
Traditionen zunehmend ins Bewußtsein gerufen hat. Zahllose christliche
Propheten und Lehrer verkündeten ähnliche oder auch verschiedene Bot-
schaften, praktizierten einen unterschiedlichen persönlichen Lebensstil
und lebten in diversen Gemeinschaften, wobei jede Tradition die Wahr-
haftigkeit ihres Christseins betonte. Dieser Pluralismus christlicher
Uberzeugungen, Lebenserfahrungen und Verkündigungen war von einem
Ausmaß, welches alle einseitigen Thesen und eindeutigen Methoden
fragwürdig erscheinen läßt.
Zweitens hat sich ein Bild der ersten Jahrhunderte der frühchristlichen
Geschichte abzuzeichnen begonnen, welches nicht nur durch verschiede-
ne Standortbestimmungen und unterschiedlichen Lebensstil, sondern
auch durch Zwiespalt und Polemik gekennzeichnet ist. Nahezu von An-
fang an war das Vermächtnis Jesu bei all denen, die ihm in treuer Nach-
folge ergeben waren, mehr oder weniger heftig umstritten. Es muß hier
betont werden, daß die Erkenntnis innerchristlicher Polemik durchaus
auch Gefahr läuft, überbetont zu werden. So ist es beispielsweise metho-
disch unzulässig, aufgrund rein formgeschichtlicher und literarkritischer
Analysen historische Schlußfolgerungen in bezug auf angeblich histori-

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40 Werner H. Kelber

sehe innerchristliche Parteiungen zu ziehen. Trotz möglicher Überbeto-


nung darf aber daran festgehalten werden, daß innerchristliche Polemiken
zuweilen kaum weniger intensiv waren als die zunehmenden jüdisch-
christlichen Dispute. Die innerchristlichen Auseinandersetzungen nah-
men im 2. und 3. Jahrhundert an Intensität zu, und christliche Theologen
begannen entscheidende Dispute hinsichtlich der Bedeutsamkeit des
Märtyrertums, der apostolischen Tradition, des Sinnes vom Leiden und
der Auferstehung Christi, episkopaler und kirchlicher Autorität und der
Bedeutsamkeit und Tragweite persönlicher Visionen mit einer an häre-
siologischer Rhetorik geschulten Polemik auszutragen. Mit Hilfe von
Kategorien, welche geeignet waren, scharfe Trennungslinien zu ziehen,
gelang es Theologen vom Range eines Irenäus, Hippolyt, Tertullian und
anderen ihre Identität im Gegensatz zu andersdenkenden Christen zu fe-
stigen, welche man nun mit dem Etikett „Häretiker" versah. Das Chri-
stentum begann, sich in Orthodoxie und Häresie zu zerspalten.
Drittens, während das sich immer bewußter konstituierende kanoni-
sche Christentum seine Position gegenüber zahlreichen Alternativen mit
zunehmender Klarheit definierte, richtete sich einer seiner Hauptangriffs-
punkte im 2. und 3. Jahrhundert gegen einen Typus von Christentum,
welcher unter dem Namen Gnosis 44 bekannt wurde. Unter den zahlrei-
chen Konfliktstoffen, welche sich die orthodoxe Position zunutze mach-
te, um ihre Identität gegenüber der Gnosis zu festigen, spielte die Sinn-
deutung vom Leben, Tod und der Auferstehung Christi und dessen
Funktion in der Erlösung eine führende Rolle. Die Orthodoxie bestand
auf der unaufgebbaren Bedeutsamkeit von Jesu Inkarnation und dem Er-
lösungswerk seines der Auferstehung vorangehenden Todes, wobei sie
sich von den in diesem Sinne verstandenen kanonischen Evangelien leiten
ließ. Zudem optierte die Orthodoxie für eine wörtlich verstandene Inter-
pretation der Auferstehung. Jesus war im Fleisch auferstanden, und wer
immer diese Tatsache leugnete, wurde als Häretiker abgestempelt, dessen
Glaube mit dem Evangelium für unvereinbar erklärt wurde. Für die gno-
stischen Christen war es weniger der irdische Jesus und sein Tod als viel-
mehr der geistige, lebendige Christus, der soteriologisch bedeutsam war.
Seine Auferstehung wurde daher im geistigen und nicht im wörtlichen
Sinn ausgelegt, und was bedeutsam erschien, war die innere Wahrneh-
mung und Aneignung des lebenden Christus. Zumindest in großen Zügen
war dies die Christologie, welche die Orthodoxie für häretisch erklärte
und welcher sie das Signum von Christsein aberkannte.

44 PAGELS, The Gnostic Gospels, 1982. Vgl. auch ihren Artikel "The Orthodox against
the Gnostics."

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Der historische Jesus 41

Man darf davon ausgehen, daß in der gegenwärtigen Forschung hin-


sichtlich dieser drei Thesen ein weitgehender Konsens besteht, dem
C R O S S A N durchaus imstande sein dürfte sich anzuschließen.
Auf dem Hintergrund dieser sich in sehr allgemeinem Rahmen gehal-
tenen Synopse unserer gegenwärtigen Konzeption des Frühchristentums
stellt C R O S S A N S Unterscheidung von einem sarkophilischen gegenüber
einem sarkophobischen und einem monistischen gegenüber einem dua-
listischen Modell - von einer Ausnahme abgesehen - eine Fortsetzung
bzw. Wiederaufnahme klassischer, häresiologischer Polemiken dar. Die
Ausnahme besteht darin, daß die Anwendung der für die alte Kirche nor-
mativen Unterscheidungsmerkmale nicht mehr länger im Sinne einer Dia-
stase von katholischer Orthodoxie gegenüber gnostischer Häresie
brauchbar ist, da, wie er richtig beobachtet, Orthodoxie und Häresie je-
weils Elemente des monistischen und des dualistischen Typus enthielten.
Was man allgemein als Katholizismus und gnostisches Christentum ver-
steht, "is hardly coincident with the monism and dualism under discus-
sion." 45 Dies signalisiert ein beträchtliches Zugeständnis, hat es doch zur
Folge, die konventionelle Demarkation grundlegend zu problematisieren.
Aber anstatt nun die alte, mit häresiologischer Polemik belastete Nomen-
klatur aufzugeben, nimmt C R O S S A N sie in bezug auf die christliche und in
der Tat gesamte westliche theologische Traditionsgeschichte wieder auf.
So postuliert er "a profound fault line in Western sensibility and con-
sciousness" 46 , welcher eine Separation einer monistischen von einer duali-
stischen Anthropologie und Christologie gleichkommt. Damit sind Be-
grifflichkeiten, welche sich für die Arbeit des Historikers als unbrauchbar
erwiesen haben, erneut eine führende Rolle in der Deutung westlicher
Geschichte und Kultur zuerkannt worden.
C R O S S A N S These wirft vier Fragen auf, denen wir uns im folgenden
zuwenden werden.
Erstens, wenn sich Katholizismus und Gnosis nicht mehr mit der alten
Klassifizierung eines monistischen gegenüber einem dualistischen Typus
vereinbaren lassen, warum hält man dann überhaupt noch daran fest? Hat
nicht die bipolare Simplizität im Rahmen der Pluralität christlicher Iden-
titätsstiftungen grundsätzlich an Überzeugungskraft eingebüßt? Sollte
man nicht angesichts einer beträchtlichen Vielfalt christlicher Erinnerun-
gen und Erfahrungsweisen behutsam vorgehen und der Versuchung wi-
derstehen, sich mit den von der Vergangenheit belasteten Kategorien er-
neut anzufreunden? C R O S S A N S These ermangelt nicht der Ironie, denn

45 CROSSAN, Historical Jesus as Risen Lord, 37.


46 A. a. O., 39.

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42 Werner H . Kelber

während sie einerseits die anthropologische und christologische Bipolari-


tät von Körper und Seele verabscheut, zeigt sie andererseits keinerlei
Skrupel, die Bipolarität eines sarkophilischen gegenüber einem sarko-
phobischen Christentum als geschichtsdeutende Merkmale anzuwenden.
Warum muß man sich der traditionellen Metaphern von christlicher
Wahrheit gegenüber christlicher Unwahrheit bedienen, wenn es doch
darum geht, die Fülle christlicher Glaubensweisen neu zu überdenken?
Differenziertere Betrachtungsweisen sind nötig, um den konkreten Gege-
benheiten frühchristlicher Geschichte gerecht zu werden.
Zweitens: Kann man die sicherlich folgenschwere Dichotomie von
Körper gegenüber Geist oder Seele summarisch als Ursache für grund-
sätzliche Problematiken in der westlichen Zivilisation anführen? Versu-
chen wir von dieser Perspektive einmal das von CROSSAN selbst ange-
führte Beispiel der sozialen Unterdrückung der Frau durchzudenken.
Wieviel historisches Gewicht kann man seiner These beimessen, daß das
sarkophobische Christentum und eine daraus resultierende Mißachtung
des Körpers hauptverantwortlich für eine patriarchalische Unterdrückung
gewesen sei? Die dieser These implizit zugrundeliegende Vorstellung, daß
das sarkophilische Christentum seinerseits immun gegenüber patriarchali-
schen Ideologien gewesen sei, ist mit Sicherheit irreführend. So ist es im
frühen Christentum beispielsweise Lukas gewesen, der zwar eine körper-
liche Auferstehung Jesu postulierte, diese aber zum Ausgangspunkt und
Kriterium eines männlichen Apostolates machte (Apg 1,21-22; 10,39-41;
13,30-31). Bekanntlich vertrat Lukas eine sarkophilische Christologie,
und überdies brachte er Frauen gegenüber eine für damalige Zeiten au-
ßerordentliche Sympathie entgegen. Aber "the doctrine of bodily resur-
rection also serves an essential political function" 47 — legitimierte sie doch
bei Lukas eine apostolische Sukzession, die Frauen effektiv von einer offi-
ziellen Rechtsnachfolge ausschloß. Feministische Studien haben in der
Tat überzeugend nachgewiesen, daß die Entwicklung männlicher Füh-
rungsrollen, strenge Separation der Geschlechter und Rituale von Inklusi-
vität und Exklusivität weitverbreitete politische und soziologische Kon-
struktionen gewesen waren.48 In der Antike und Spätantike waren Frauen
jüdischer, griechisch-römischer und christlicher Herkunft Machtstruktu-
ren unterworfen, deren Strategien darauf hinausliefen, ihnen Zugang zu
Rechten und Machtpositionen zu verwehren, welche Männern vorenthal-
ten waren. Jüdisch-patriarchalisches Ethos, soziale Netzwerke der grie-

47 PAGELS, Gnostic Gospels, 7.


48 Zu philosophischen Implikationen feministischer Perspektiven vgl. TUANA/TONG
(Hgg.), Feminism and Philosophy. Zu feministischen Implikationen für die Bibelwis-
senschaft vgl. COLLINS (Hg.), Feminist Perspectives on Biblical Scholarship.

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Der historische Jesus 43

chisch-römischen Patronatsgesellschaft und die christlich-apostolische


Sukzessionstradition hatten bei allen soziologischen und ideologischen
Unterschieden den Effekt, Frauen eine strikt untergeordnete Rolle zuzu-
weisen. Wir haben es mit einer universalen Problematik in unserem anti-
ken Erbe zu tun, welche quer durch alle Unterschiede monistischer und
dualistischer Anthropologie lief und zutiefst in institutionellen und politi-
schen Machtstrukturen verwurzelt war.
Drittens kann man keineswegs mehr sicher sein, daß dualistische
Ideologien in allen Fällen die plausibelste Erklärung für die von asketi-
scher und monistischer Frömmigkeit praktizierte sarkophobische Kastei-
ung des Fleisches abgeben. Hier muß darauf hingewiesen werde, daß
theologische common-sense-Vr'imisszn hinsichtlich der historischen Wur-
zeln, der Zielsetzung und der praktischen Ausübung eines asketischen
Lebensstils seit geraumer Zeit beträchtlichen Revisionen unterworfen
sind. Zwei herausragende Werke über die christliche Askese, PETER
BROWNS The Body and Society und CAROLINE BYNUMS Holy Feast and
Holy Fast, erscheinen uns hinsichtlich CROSSANS Strukturierung christli-
cher Geschichte besonders aufschlußreich zu sein.
BROWN hat mit historischer Akribie die Geschichte der Verwerfung
sinnlicher Begierden und der Entsagung von jeglicher Sexualität in der
westlichen und östlichen Kirche der ersten fünf Jahrhunderte untersucht.
Es steht völlig außer Zweifel, daß viele Christen dem Körper gegenüber
ein tiefes Mißtrauen empfanden, daß sexuelle Enthaltsamkeit vielfach mit
christlichem Glauben gleichgesetzt wurde und daß das Christentum der
ersten Jahrhunderte weithin etwas anderes war als was man heute im We-
sten darunter versteht. Um das Phänomen der Askese einigermaßen zu
begreifen, meint BROWN, sähe man sich genötigt, sich mit einem Syndrom
von Vorstellungen wie Virginität, Keuschheit und Spiritualität sowie ei-
nem allgemeinen Angstgefühl gegenüber dem Körper auseinanderzuset-
zen - Vorstellungen, welche in unterschiedlichen historischen und an-
thropologischen Konstellationen verortet waren.

Die feste Entschlossenheit der jungfräulichen Thekla zum Beispiel, ihren Verlobten, ei-
nen jungen Mann mit einer vielversprechenden Zukunft im politischen Etablissement
von Ikonium, nicht zu ehelichen, findet seine Erklärung in sozial und religiös komplexen
Umständen. 4 ' Die Verweigerung der Ehe wurde von ihr selbst, von ihrem Verlobten und
den Stadtvätern als ein Affront gegenüber den höchsten Werten der Gesellschaft angese-
hen, wie es denn auch unübersehbar ist, daß ihr Verhalten die Autorität der Stadt (polis)
und die der Familie (oikia), der beiden bedeutsamsten Institutionen im sozialen Gefüge
der hellenistischen Gesellschaft, provozierte. Mit dieser Einstellung machte sich Thekla

"BROWN, Body and Society, 156-59. Vgl. auch MACDONALD, The Legend and the
Apostle.

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44 Werner H. Kelber

zum Vorbild für junge Frauen, aber nicht weil sie die Erlösung ihres im körperlichen
Kerker gefangenen geistigen Kernes erstrebte, sondern weil sie sich gegenüber den Be-
drohungen einer politischen Machtstruktur wehrte, welche Frauen in die Rolle von Kin-
dergebärerinnen zu drängen suchte.
Andere Christen leiteten ihren asketischen Lebenswandel von einer besonderen In-
terpretation des Falles Adams und Evas ab, in welchem sie ein Ereignis sahen, das die
Menschen in einem schicksalhaften circulus vitiosus von Sexualität und Sterblichkeit ge-
fangenhielt. Nur sexuelle Enthaltsamkeit, so nahm man an, könne die Folgen des Falles
wieder rückgängig machen und den ursprünglichen Zustand eines freien Willens und un-
gebrochener Identität wiederherstellen.50 Tertullian (ca. 160-220), der sich auf schärfste
Weise gegen triebhafte Instinkte und sexuelle Phantasien aussprach, war dennoch "not a
'dualist' in any way."51 Vielmehr war es gerade sein Glaube an eine nahezu körperliche
Form der Seele, welcher die Voraussetzung dafür schuf, daß eine körperliche Kasteiung
den Zustand der Seele beeinflussen konnte. Nach dem Verständnis des Platonikers Orí-
genes (ca. 185-254) hatte die Befriedigung physischer Sinnesfreuden eine Abstumpfung
rein geistlicher Sinnlichkeiten zur Folge, welch letztere dazu prädestiniert waren, die
Weisheit Gottes schmecken, riechen und trinken zu lassen. Wenn es auch das Wesen ei-
nes christlichen Lebens ausmachte, unermüdlich sexuelle Disziplin auszuüben und den
Körper zur Entsagung anzuhalten, so bestand das Ziel dennoch nicht darin, dem sinnli-
chen Genuß als solchem abzusagen, sondern vielmehr intensivste spirituelle Sinnesfreu-
den zu kultivieren, welche physische Lustbefriedigung bei weitem übertrafen, da sie von
einer Intensität waren, wie sie der Körper selbst niemals imstande war hervorzubringen.
Die ägyptischen Mönche des 4. Jahrhunderts waren herausragende, eine neue
Menschlichkeit verkörpernde Gestalten, die fähig waren, in einer unbewohnbaren, un-
wirtlichen Gegend zu überleben. Sie verkörperten "a perpetual challenge to the situation
of hunger and bitter dependence on the marketplace that characterized the society of a
starving and laborious Near East."52 Gregor von Nyssa (ca. 335-394), ein weiterer Plato-
niker, vertrat die Ansicht, daß die Unterdrückung sexueller Triebe keineswegs im Inter-
esse von Keuschheit und Abstinenz erstrebenswert war, sondern im Hinblick auf
menschliche Vergänglichkeit und die Furcht vor dem Tode. Ehe zum Zwecke der Fort-
pflanzung war das augenfälligste Mittel, um den Blick vom Grab abzulenken und die
Furcht hinsichtlich unserer persönlichen Vernichtung zu unterdrücken. Keuschheit,
meinte Gregor, war die angemessenste, die einzige Möglichkeit, dem pathetischen
Zwang, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, zu entgehen und das unerbittliche Ticken
der Zeit zu verkürzen. "To abandon marriage was to face down death. It was to deliver
no further hostages to death in the form of children."53

Diese Beispiele müssen genügen, um die These zu verdeutlichen, die


BROWN mit großer Uberzeugungskraft vorgelegt hat. Frühchristliche As-
kese kann nicht auf ein einziges anthropologische Schema wie etwa Dua-
lismus reduziert werden. Vielmehr darf man eine angemessene Erklärung
in dem dynamischen Wechselspiel von unterschiedlichen Motivierungen,

50 BROWN, a. a. O . , 9 2 - 9 6 . V g l . a u c h PAGELS, A d a m , E v e a n d t h e S e r p e n t .
51 BROWN, a. a. O . , 7 7 .
52 A. a. O., 221.
53 A. a. O., 298.

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Der historische Jesus 45

sozialen Gegebenheiten und anthropologischen Strukturen sehen. Gerade


weil Diskurs und Praxis der Enthaltsamkeit der gegenwärtigen, westlichen
Erfahrungswelt fremd geworden ist, stellt das Phänomen der Askese ern-
ste Anforderungen an unsere Vorstellungskraft und "should challenge all
interpreters of religion to rethink methods and approaches and ques-
tions."54
B Y N U M S Werk, welches von extravaganten Ausübungen des Fastens
und selbstauferlegter Strafübungen christlicher Frauen im Mittelalter
handelt, zielt darauf hin, die häufig geäußerte Erklärung, es handele sich
um ein Phänomen offensichtlich dualistischen und darum pathologischen
Ursprungs, zu widerlegen. Wenn, nach B Y N U M S Auffassung, Theologen
meist männlichen Geschlechtes nicht selten die asketische Frömmigkeit
dieser Frauen auf einen in die Innerlichkeit projizierten Dualismus und
Selbsthaß zurückführten, so handelten sie dabei nicht unbedingt als au-
thentische Sprecher dieser Frauen und ihrer körperlichen, sinnlichen Er-
fahrungen. Angesichts der Tatsache, daß die Menschlichkeit Christi eine
zentrale Erfahrung für viele christliche Frauen (und Männer) im Mittel-
alter war, zog B Y N U M den Schluß, daß Fasten und Hungern, Keuschheit
und Enthaltsamkeit sowie die Kultivierung physischer Schmerzen eine
Art des "luxuriating in Christ's physicality" (Schwelgen in der Körper-
lichkeit Christi) war.55 Es ging also nicht darum, den Körper zu vernich-
ten, sondern darum, latentes Potential des Körpers zu realisieren, indem
die schmerzerregten Körper mit den Fleisch Christi vereint wurden, in
dessen Wundmalen die Gläubigen soteriologische Therapie zu erleben
meinten. Mittelalterliche Askese darf darum nicht so verstanden werden
als sei sie "rooted in dualism, in a radical sense of spirit opposed to or en-
trapped by body."56 Vielmehr, meint B Y N U M , sollte man am zweckmäßig-
sten von einer imitano Christi im Sinne einer "incorporation of flesh into
flesh" sprechen.57 Weder anthropologischer noch christlicher Dualismus
kann als eine sachgemäße Erklärung für das mittelalterliche Phänomen
weiblicher Selbstkasteiung dienen.
Viertens kann man zumindest die Frage aufwerfen, ob das sarkophobi-
sche Christentum, soweit es in einem echten Dualismus von Körper vs.
Geist oder Seele begründet war, in jedem Fall und zu allen Zeiten eine
Degradierung der menschlichen Persönlichkeit darstellte, wie C R O S S A N
das vorzugeben scheint. Könnte man sich nicht vorstellen, daß die Idee

"WIMBUSH, Rhetorics of Restraint, 3 - 4 . Zur gegenwärtigen Erforschung jüdischer,


griechisch-römischer und frühchristlicher Askese vgl. Semeia 57 und 58.
55 BYNUM, Holy Feast and Holy Fast, 246.
56A. a. O., 294.
" A . a. O., 257.

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46 Werner H . Kelber

eines unverletzlichen, geistigen, im hinfälligen Körper eingebetteten Ker-


nes Gläubigen ein erhabenes Gefühl persönlicher Individualität und Wert-
schätzung vermitteln konnte? Was war eigentlich so menschenunwürdig
an dem Wort Jesu, „Was nützt es dem Menschen, die ganze Welt zu ge-
winnen und seine Seele zu verlieren?" (Mk 8,36)? "Humble people every-
where, who made up the vast majority of people in antiquity, heard his
[Jesus'] message and found themselves valued members of a new kind of
kingdom in which quality of soul, not social position, was the measure of
greatness." 58
Wir haben uns auf ein unverhältnismäßig weites Gebiet historischer
Ereignisse und geschichtlichen Denkens eingelassen, um die Verifizier-
barkeit einer Typologie zu überprüfen, welche ein Begriffsfeld umfaßt, in
dem CROSSAN seine Jesusforschung verortet und expliziert. Seine histori-
sche Jesusforschung legitimiert sich demnach auf der Basis eines nicht-
dualistischen Modells, welches ganz auf den fleischgewordenen Jesus und
seine physische Kontinuität im Status der Auferstehung ausgerichtet ist.
Unsere Untersuchung versuchte aufzuzeigen, daß CROSSANS Kategorien
sich schlecht mit den komplexen und diversen christlichen Erfahrungs-
welten in Einklang bringen lassen. Überdies laufen sie Gefahr, einen kul-
turell bedeutsamen Aspekt der christlichen Tradition in Mißkredit zu
bringen. Gewiß, CROSSANS theologische Rechtfertigung, wie problema-
tisch sie auch immer sein mag, muß seine Kompetenz als Leben-Jesu-
Forscher in keiner Weise in Frage stellen. Aber die Begründungen, welche
er für seine historische Arbeit angibt, werfen die Frage auf, warum seine
historische Kompetenz als Leben-Jesu-Forscher von einem derart unzu-
länglichen Verständnis christlicher Historie begleitet ist.
Rückblickend erinnern wir daran, daß wir im ersten Teil unserer Aus-
führungen nachgewiesen haben, wie JOHNSONS Ablehnung der histori-
schen Jesusforschung zusammen mit der Hochschätzung des lebenden
biblischen Christus von einem mangelnden und sogar irrtümlichen Ge-
schichtsverständnis begleitet war. Damit sieht man sich abschließend mit
der merkwürdigen Tatsache konfrontiert, daß sowohl JOHNSON, der der
religiösen Bedeutsamkeit des historischen Jesus prinzipiell ablehnend ge-
genübersteht, als auch CROSSAN, der die Rekonstruktion Jesu mit großem
Können praktiziert, zu bedauerlichen Fehlurteilen bezüglich der Ge-
schichte des Christentums gelangt sind. Wir werden der Frage nach den
Ursachen dieses Sachverhaltes am Ende noch einmal nachgehen müssen.
CROSSANS These stellt eine Modifikation eines häufig aufgestellten Po-
stulats dar. Das kanonisch sanktionierte Christentum, so das allgemeine

58 RILEY, One Jesus, Many Christs, 30.

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Der historische Jesus 47

Postulat, förderte die Sensibilitäten einer Inkarnationschristologie, welche


die Identität Jesu im Fleische seines Menschseins begründeten. Es scheint
unleugbar, daß die kanonischen Evangelien genau diese These narratolo-
gisch zu dramatisieren suchen. Was das lateinische Christentum anbe-
langt, so haben wir selbst darauf hingewiesen, in welch hohem Grade es
der körperlichen Eigenart und der materiellen Präsenz Jesu verpflichtet
war. Gemessen an diesen kanonischen und mittelalterlichen christologi-
schen Normen sollte die neuzeitliche Leben-Jesu-Forschung daher
schlechthin als die legitime Fortführung kanonischer Grund- und Ansätze
angesehen werden. Dies ist das klassische Inkarnationsargument, welches
zugunsten der modernen Suche nach dem historischen Jesus häufig ins
Feld geführt wird. So plausibel auch immer dieses Argument erscheinen
mag, es hat zur Folge, daß die beträchtliche Distanz, die sich zwischen
den christologischen Modellen der Spätantike und des Mittelalters einer-
seits und dem historischen Jesus der Moderne andererseits auftut, unter-
schätzt und überspielt wird. Das Inkarnationsargument hat nicht genü-
gend das Trauma der Moderne zur Kenntnis genommen, welches sich in
einem exquisit historischen Bewußtsein und einer von diesem geleiteten
leidenschaftlichen Erforschung des eindeutigen, repräsentativen Sinnes
kundtut.
Die Behauptung, daß der Bezug auf die historische Person Jesu - be-
stenfalls nur indirekt in den Evangelien vorfindlich und vorwiegend hinter
den Evangelien liegend - die grundlegende und einzig berechtigte christ-
liche Sinndeutung darstellt, ist, wie bereits ausgeführt, dem christologi-
schen Denken der Spätantike, der Patristik und des Mittelalters eine von
wenigen Ausnahmen abgesehene fremde Vorstellung. 59 Aber, so fragen
wir noch einmal nach, ist es nicht unwiderlegbar, daß die kanonischen
Evangelien in ihrer narrativen Dramatisierung des irdischen Jesus die
Motivierung für die neuzeitliche Suche nach dem historischen Jesus legi-
timieren, ja geradezu provozieren? Was von der im historischen Bewußt-
sein verankerten Moderne aus gesehen selbstverständlich erscheinen mag,
ist von den Christen während der längsten Zeit westlicher und östlicher
Kirchen- und Theologiegeschichte keineswegs so gesehen worden. Her-
meneutisch wurden die Evangelien entweder rhetorisch als Diskurs ver-
standen, welcher Anteil an Erlösung vermittelte, und/oder als ein uner-

5 ' Nicht einmal die theologische Schule von Antiochia, die häufig mit dem wörtlichen
Schriftsinn in Verbindung gebracht wird, beschäftigte sich mit einem hinter den Evan-
gelien liegenden historischen Jesus. Die exegetischen Bemühungen eines Theodor von
Mopsuestia und Johannes Chrysostomus waren auf den sprachlichen Kontext gerich-
tet und gerade nicht auf eine vom heiligen Text distanzierte und abstrahierte Sinnge-
bung.

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48 Werner H. Kelber

schöpfliches Reservoir vielfacher Sinnesdeutungen. Man sollte überdies


bedenken, daß der Kanon nicht ein Evangelium, sondern vier Evangelien
privilegiert hat. Verrät nicht die vierfache Selektion wiederum pluralisti-
sche Interessen, welche sich nicht auf historische Eindeutigkeit reduzie-
ren lassen? Ohne Zweifel war es durchaus üblich und akzeptabel, einzelne
Evangelientexte miteinander zu harmonisieren und beispielsweise einen
Evangelientext durch selektive Ausschnitte eines anderen zu ergänzen,
wurde die Bibel doch, wie bereits erwähnt, als Produkt einer einheitlichen
göttlichen Intention angesehen. Gewiß, Evangelienharmonien wie etwa
Tatians Diatessaron im 2. Jahrhundert brachten deutlich den Wunsch zum
Ausdruck, Einheit auf Kosten der Vielheit zu erlangen. Aber selbst Evan-
gelienharmonien waren nicht dazu bestimmt, hinter den Texten vermu-
tete Fakten zu rekonstruieren, sondern vielmehr bereits existierende Les-
arten zu einem so verstandenen Idealtext zu fusionieren. Zudem darf man
die Abfassung von Evangelienkommentaren nicht außer acht lassen. Von
einem sehr frühen Zeitpunkt an schrieben Christen Kommentare zu den
vier Evangelien, womit sie jedem Evangelium eine eigenständige Identität
zuerkannten. Die kanonische Rezeption und die patristische und mittel-
alterliche Interpretation der vier Evangelienerzählungen wurde im Rah-
men einer pluralistischen Konzeption von Hermeneutik unternommen,
lange bevor man den schicksalhaften Schritt unternahm, die vierfache
Darstellung auf historische Eindeutigkeit zu reduzieren.
Die Legitimität der modernen Leben-Jesu-Forschung kann darum
nicht einfach, wenn überhaupt, von der kanonischen, klassischen Inkar-
nationschristologie hergeleitet werden. Die geistesgeschichtlichen Ursa-
chen der historischen Leben-Jesu-Forschung unterliegen überhaupt kei-
ner monokausalen Erklärung. Wir erwähnten bereits die philosophische
Schule des Nominalismus und die von ihr eingeschlagene intellektuelle
Wende von den Universalien zu einem hermeneutischen, sprachphiloso-
phischen Partikularismus, welcher in der biblischen Exegese eine Zuwen-
dung zum Hier-und-Jetzt-Sein (haecceitas) des vorgegebenen Textes zur
Folge hatte. Nominalistische Philosophie trug mit zum Niedergang des
vielfachen und zum Aufstieg des einfachen Wortsinnes bei. Medienge-
schichtlich darf man die Erfindung der einzelnen, aus Metall gegossenen
Lettern erwähnen, welche die Grundlage für die high tech des modernen
Buchdruckes bildeten. Die Typographie unterwarf Sprache einer bisher
nie gekannten Reglementierung: Buchstaben von völlig identischer Größe
wurden mit geradezu zwanghafter Präzision linear eingereiht und die ein-
zelnen Zeilen im stets gleichem Abstand voneinander getrennt und mit
einem geradlinigen Rand versehen. Die moderne Drucktechnik techni-
sierte und verobjektivierte Sprache in einer nie dagewesenen Weise und
produzierte Meisterwerke von ehrfurchtgebietender Ästhetik und Pro-

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Der historische Jesus 49

portionalität. Sprache erhielt dadurch gewissermaßen eine technisch ma-


nipulierte, bislang nicht gekannte Autorität. Luthers zunehmende Ver-
werfung der Allegorie, seine Betonung des Literalsinnes und seine Be-
hauptung, die Schrift sei ihre eigene Interpretin, sind alles Kennzeichen,
welche ohne die moderne Erfindung des pnwi-Mediums und der damit
verbundenen Illusion, Sprache sei gewissermaßen auf sich selbst gestellt,
undenkbar wären. Diese und andere kulturelle Phänomene konvergierten
im neuzeitlichen Bewußtsein, welches von einer unstillbaren Neugierde
getragen war, den eindeutigen, faktischen Sinn in den Griff zu bekom-
men. So war es das Ethos der Neuzeit, dieser Durst nach Wissen als Re-
präsentation konkreter Ereignisse, diese Sehnsucht, Logik und Nexus so-
wohl von Gesetzmäßigkeiten wie von pathologischen Abartigkeiten zu
erfassen - mit anderen Worten, der Wunsch, vollsten Ernst mit dem zu
machen, was EDITH WYSCHOGROD "the rectitude of fact" 60 genannt hat -
was der historischen Fragestellung und dem modernen Forschungsbe-
wußtsein den entscheidenden Antrieb verliehen hat.
Der unersättliche Trieb, nach angeblich unzweideutigen und wahrhaft
eindeutigen Fakten des Lebens und Todes Jesu zu fahnden, und der
Wunsch, mit der Jesusgestalt faktisch ins reine zu kommen, sind daher
mehr aus neuzeitlicher curiositasbi als aus innerchristlichen, sich mit zwin-
gender Notwendigkeit ergebenden Entwicklungen zu erklären. So dürfte
es sich bei der Leben-Jesu-Forschung wohl mehr um eine geistesge-
schichtliche Entwicklung handeln, welche dem Druck modernen und auf
Fakten ausgerichteten Denkens nachgegeben hat, als um wesenhafte Ver-
bindungen zu einer sarkophilischen Inkarnationschristologie. Und der
Preis, den man für die Unterwerfung unter die Vollmacht historischer
Tatsachen zu zahlen genötigt war, war eine rationalistische Reduktion an-
tiker, patristischer und mittelalterlich polyphoner Sensibilitäten auf die
nüchterne Strenge des einen, eindeutigen historischen Sinnes.
Diese neuzeitliche Fahndung nach Faktizität läßt sich aus keinem Wis-
sensbereich, einschließlich dem der Leben-Jesu-Forschung, mehr weg-
denken. In einem gewissen Sinn ist es heute intellektuell nicht mehr
denkbar, über die seit der Aufklärung in Gange gekommenen Rationali-
sierungsprozesse einzig Klage zu führen. Zwar ist die Problemlage be-
kannt: die Unterdrückung vielfacher Wahrnehmungsfähigkeiten des Sen-
soriums, die Apotheose des wörtlichen und historischen Schriftsinnes,
eine mangelnde Fähigkeit die der Logik selbst innewohnenden Problema-
tiken zu erkennen, die Tendenz, Wahrheit und Fakten für identisch zu

60WYSCHOGROD, Ethics of Remembering, 66.


" Eine meisterhafte philosophische Studie über curiositas (Neugierde) bietet BLUMEN-
BERG, Die Legitimität der Neuzeit.

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50 Werner H. Kelber

halten, und der naive Glaube an uninterpretierte Daten und Informatio-


nen, die unvermittelt vorgegeben sind, um lediglich heruntergeladen und
auf dem Bildschirm projiziert zu werden. So bedauernswert diese be-
kannten Erscheinungen auch sind, sie dürfen uns nicht mehr davon ab-
halten, den Tatsachen auf den Grund gehen zu wollen.
Wir blicken zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf das vorangegangene
Jahrhundert zurück aus dessen klaffenden Wunden noch das Blut strömt,
eine Tatsache, welche die Suche nach den Fakten zu einem unaufgebbaren
ethischen Gebot gemacht hat. Das Trauma unserer Geschichte ist weni-
ger, daß Fakten unserem Glauben widersprechen oder unsere Fiktionen
entlarven, sondern daß Fakten selbst unglaublich, undenkbar und unre-
präsentativ geworden sind - und dennoch dringend der Erinnerung be-
dürftig sind. Die katastrophalen Völkermorde und der staatlich organi-
sierte Terror des vergangenen Jahrhunderts, "whose sheer magnitude and
unfigurable ethical force [ . . . ] resists emergence in word and image" 62 le-
gen uns dennoch die Verpflichtung auf, Geschichte so gewissenhaft wie
möglich nachzuzeichnen, um sie vor dem Vergessen zu bewahren und den
Leugnern der Geschichte das letzte Wort abzusprechen. Historische
Fakten sind zu einem ethischen Mandat und die Arbeit des Erinnerns un-
ser moralischer Imperativ geworden.
In der sich von KAHLER bis JOHNSON erstreckenden theologischen
Tradition hat man die Suche nach dem historischen Jesus unter dem Vor-
wand abgelehnt, Geschichte könne nicht als Maßstab für Theologie die-
nen und der historisch rekonstruierte Jesus sei unfähig, Glauben tragfähig
zu machen. Diese Kritik an der Leben-Jesu-Forschung ist von der Polari-
tät Geschichte vs. Glauben motiviert und von einer Leidenschaft, den rei-
nen Glauben zu erhalten, animiert. Andererseits hat CROSSAN die Leben-
Jesus-Forschung unter Hinweis auf ein sogenanntes sarkophilisches und
unter Ausschluß eines sogenannten sarkophobischen Christentums zu le-
gitimieren versucht. Im Gegensatz zu beiden rechtfertigen wir die histori-
sche Jesusforschung als eine „Ethik des Erinnerns", welche von den tiefen
Wunden dieses Jahrhunderts motiviert und auf der moralischen Wir-
kungskraft historischer Tatsachen begründet ist. Wir privilegieren die hi-
storischen Tatsächlichkeiten Jesu gegenüber unserem Glauben, denn was
in der Ethik des Erinnerns bedeutsam ist, ist die Verantwortlichkeit Ihm
und seiner Geschichtlichkeit gegenüber und nicht das letztlich doch wohl
eigennützige Bedürfnis, uns und unseren Glauben abzusichern.
Das kann aber nicht bedeuten, daß wir der historischen Forschung
kritiklos gegenüberstehen. Und so wenden wir uns im folgenden der von

62 WYSCHOGROD, Ethics of Remembering, 66.

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Der historische Jesus 51

CROSSAN entwickelten Methodik zu, auf welcher sein Leben Jesu begrün-
det ist. In der gesamten, sich über zwei Jahrhunderte erstreckenden Le-
ben-Jesu-Forschung ist kaum jemals ein auf einer derart logischen und sy-
stematisch durchgearbeiteten methodischen Grundlage basierendes und
mit einem derart überragenden technischen Können ausgeführtes Leben
Jesu geschrieben worden. Wohl niemals zuvor hat man einen kritischen
Apparat logischer, formaler Prinzipien entworfen und mit großem histo-
risch-kritischen Geschick angewandt, um das vorhandene Logienmaterial
und zum Teil auch Erzählungseinheiten zusammenzutragen, auszuwerten
und zu klassifizieren. C R O S S A N S methodische Kompetenz stellt höchste
Ansprüche an die gesamte zukünftige Leben-Jesu-Forschung. 63
Moderne Historiker, die es sich zur Aufgabe gesetzt haben, ein auf den
Quellen basiertes Leben Jesu zu schreiben, sehen sich, laut C R O S S A N , mit
der Tatsache konfrontiert, daß das Jesusmaterial in verschiedenen Tradi-
tionskontexten eingebunden ist. Angesichts dieser Sachlage sei es metho-
disch unerläßlich, "to search back through those sedimented layers to find
what Jesus actually said and did." 64 Um dieser Aufgabe gerecht zu werden,
klassifizierte C R O S S A N das gesamte Logienmaterial Jesu auf Grund einfa-
cher, doppelter, dreifacher und vielfacher Bezeugung. Als nächstes unter-
nahm er eine systematische Bestandsaufnahme kanonischer und außerka-
nonischer Texte. Unter Berücksichtigung chronologischer Prioritäten
teilte er alsdann die gesamte Tradition auf Grund ihres Kompositionsda-
tums in vier Strata auf, welche von 30 bis 60, von 60 bis 80, von 80 bis 120
und von 120 bis 150 datiert werden. Und letztlich legte er eine Datenbank
an, welche einfach, doppelt, dreifach und vielfach bezeugtes Material den
jeweilig entsprechenden Strata zuordnete. Aus Platzmangel konzentrierte
sich C R O S S A N S Werk fast ausschließlich auf das erste Stratum, und im
Interesse maximaler Objektivität schloß er einfache Bezeugung aus, selbst
wenn sie im ersten Stratum vorfindlich ist. Chronologische Priorität und
Pluralität unabhängiger Bezeugungen werden als Indiz historischer Ver-
läßlichkeit gewertet. "A first-stratum complex having, say, sevenfold in-
dependent attestation must be given very, very serious consideration." 65
C R O S S A N S methodisches Vorgehen ist prinzipiell nicht darauf angelegt,
die eine ursprüngliche Version von Jesusworten wiederherzustellen.
Stattdessen gilt sein Interesse dem gemeinsamen Nenner, welcher seiner
Meinung nach den vielfach bezeugten Versionen eines bestimmten Logi-
ons zugrunde liegt. Indem er kompositions- und kontextbedingte Vari-

63 Vgl. dazu die kritische Analyse der Methodologie CROSSANS bei KELBER, Jesus and
Tradition.
64 CROSSAN, The Historical Jesus, xxxi.
45 A . a. O., xxxii.

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52 Werner H . Kelber

anten von den vielen Lesarten eines Logions ablöste, versuchte er eine
strukturelle Stabilität zu eruieren, die er "the aphoristic core" oder "the
ipsissima structura"66 oder "the core of the complex" oder "a common
structural plot" nannte.67
So läßt sich beispielsweise die vierfach unabhängige Bezeugung des Lo-
gions von „Gottesreich und Kindern" auf eine "central and shocking"
Metapher reduzieren, welche letztlich auf Jesus zurückgeht. Sobald
C R O S S A N diesen strukturellen Kern von „Gottesreich und Kindern" aus
seinen verschiedenen Traditionsgebundenheiten herausgelöst hat, ver-
pflanzte er ihn in den hellenistisch-jüdischen Kulturraum des 1. Jahrhun-
derts. In diesem historischen Kontext sind die Kinder weder eine Meta-
pher für Demut (Markus) noch ein Vorbild der mit Wasser und Geist
Neugetauften (Johannes) noch eine Anspielung auf die im Stande der
Ehelosigkeit Lebenden (Thomas) - alles Varianten der Tradition - , son-
dern historisch eine Metapher für solche, die ohne jeglichen Rechte sind,
die nobodies. Dies letztere ist es, was einem in Galiläa im 1. Jahrhundert
unmittelbar in den Sinn gekommen sei, und es ist der Grund, warum der
strukturelle Kern von „Gottesreich und Kindern" derart schockierend
gewirkt haben mußte.68
Entgegen C R O S S A N kann man sich natürlich fragen, ob "nobody" in der
Tat der erste Gedanke war, der einem im 1. Jahrhundert im Mittelmeer-
raum in den Sinn kam, wenn Jesus von Kindern sprach oder Kindern be-
gegnete. Aber unser Interesse gilt C R O S S A N S Methodik, und das Logion
von „Gottesreich und Kindern" ist ein treffendes Beispiel für einen wich-
tigen Aspekt seiner Methodologie: eine vergleichende Analyse von vielfa-
chen und variablen Bezeugungen eines Logions ermittelt einen soge-
nannten strukturellen Wesenskern, dessen spezifische Sinndeutung in
einem sekundären Vorgang dadurch bestimmt wird, daß diese - von der
Tradition befreite - ipsissima structura in den primären Kausalnexus histo-
rischen Geschehens eingesetzt wird.
"Method, method, and, once again, method"69 proklamierte C R O S S A N ,
wobei er so etwas wie eine Apotheose der Methodik heraufbeschwört. In
der Tat, die Art, wie er Material kontrolliert und die Observationsbedin-
gungen reguliert, verrät eine nahezu brillante Fähigkeit des Organisierens
und Kategorisierens, der Stratifizierung oder Schichtenanalyse, des quan-
titativen Tabellierens, der Chronologisierung und der Benennung von
Prioritäten. Die Logik, welche die Triebkraft für seine Methodologie bie-

" CROSSAN, In Fragments, 3 7 - 6 6 .


" CROSSAN, The Historical Jesus, xxxiii, 261.
68 A. a. O., 2 6 6 - 2 6 9 .
69 CROSSAN, Historical Jesus as Risen Lord, 5.

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Der historische Jesus 53

tet, ist von einem effizienten Ordnungssinn, einem systematischen


Scharfsinn und einer gedanklich unzweideutigen Klarheit gekennzeichnet.
Einzelworte werden von ihrem Kontext losgelöst und isoliert und ent-
sprechend struktureller Gemeinsamkeiten und chronologischer Prioritä-
ten gruppiert und analysiert. Tradition wird in Strata oder Schichten zer-
legt, welche nach dem Maßstab chronologischer Entwicklung gemessen
werden. Quantitative Logik mißt dem numerisch-mathematisch bere-
chenbaren Quantum von Logienversionen eine hohe Bedeutung bei. Es ist
eine Logik, die zwischen sekundären, unwesentlichen Akkreszenzen und
Revisionen einerseits und dem Urkern eines Wortes andererseits unter-
scheidet. Und die Hauptantriebskraft für die Suche nach dem einen, hi-
storischen Sinn ist Francis Bacons empirische Erkenntnislehre der Induk-
tion, ein Teilgebiet der Logik, welche von der Betrachtung von
Einzelfällen ausgehend zu allgemeinen Schlußfolgerungen gelangt.
Wenn man davon ausgeht, daß Jesus allen Berichten zufolge ein apho-
ristischer und parabolischer Sprecher war, darf man die Frage stellen, wie
es seinen Worten unter dem Reglement von CROSSANS Methodik ergeht
und ob ihnen Gerechtigkeit vor dem Tribunal der rigorosen Logik zuteil
wurde. Jesus war ein Redner, kein Schriftgelehrter oder Kopist, und so-
weit bekannt ist, sind seine Worte nicht einmal das Ergebnis seines Dik-
tates. All unser Denken über Jesu Verkündigung sollte von dieser medi-
engeschichtlichen Tatsache ihren Ausgang nehmen. Darum werden sich
Historiker, gerade wenn sie an der Performanz der Worte Jesu interessiert
sind und sich nicht mit deren Verschriftlichung zufrieden geben, mit dem
ungemein schwierigen Problem der Mündlichkeit auseinanderzusetzen
haben. Man wird zunächst einmal davon ausgehen, daß Rede, im Gegen-
satz zu Schrift, keinen sichtbaren Nachweis hinterläßt. Rede geht im Akt
des Redens auf. Obwohl die Rede von Logien und Gleichnissen darauf
ausgerichtet war, Hörer zu beeinflussen, hat sie dennoch keine nachweis-
baren Spuren hinterlassen. Ein Text gründet sich im Akt des Schreibens
und überlebt ihn, während sich gesprochene Worte im Akt des Sprechens
verbrauchen und bestenfalls unsichtbar im Denken und in den Herzen
von Hörern weiterleben. Deshalb alleine schon kann man sich kaum des
Eindrucks erwehren, daß die von Jesus gesprochenen Worte quantitativer
und klassifikatorischer Logik nicht zugänglich sind.
Der kritische Apparat der Logik entstammt und entspricht dem
schriftlichen und ganz besonders dem/jnni-Medium und der ihm eigenen
linguistischen Stabilität. Schriftlichkeit scheint eine visuell zugängliche
Welt von photographischer Präzision darzustellen, welche die Möglich-
keit eröffnet, Worte analytisch auseinanderzunehmen, klinische Eingriffe
im Text vorzunehmen, Unterscheidungen zwischen traditionellen und re-
daktionellen Texteinheiten durchzuführen und den Text in klar profilierte

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54 Werner H. Kelber

Schichten zu unterteilen. Diese der Logik eigene Kompetenz, Worte zu


isolieren und Wissen zu abstrahieren, entstammt einer langen und intensi-
ven Beschäftigung mit dem geschriebenen und gedruckten Wort. Der
Umgang mit gesprochenen Worten hingegen ist ein anderer. Sie erman-
geln jeglicher quantitative verifizierbarer Existenz. Sie können nicht
"'broken' and reassembled"70, isoliert und rekontextualisiert werden, denn
sie entstehen und vergehen im Augenblick des Sprechaktes. So sieht man
sich zu dem Schluß genötigt, daß das auf literarischen und typographi-
schen Mediensensibilitäten beruhende formale Denken schwer Zugang zu
der oralen Proklamation Jesu finden kann.
So darf es für ein äußerst schwieriges Unterfangen gelten, sich eine
Vorstellung von der mündlichen Hermeneutik des Vortrages Jesu zu ma-
chen, nicht nur weil dieser unseren tief verwurzelten, typographischen
Gepflogenheiten zuwiderläuft, sondern auch weil er von einer sich über
mehr als zwei Jahrhunderte erstreckenden historisch-kritischen For-
schung und deren am chirographischen und print-Text orientierten Me-
thodik überschattet wird.
Denken wir zum Beispiel einmal an das Problem des mit der histori-
schen Jesusforschung aufs engste verbundenen sogenannten ursprüngli-
chen Wortes Jesu, des ipsissimum verbum. Es wird in der Leben-Jesu-
Forschung weithin angenommen, daß das ipsissimum verbum ein unum-
stößliches Faktum sprachlicher Existenz sei. Unendlich viel Energie wur-
de in der Forschung darauf verwendet, die ursprünglichen Worte Jesu zu
rekonstruieren. Und dennoch, was Mündlichkeit charakterisiert, ist eine
Pluralität von Sprechakten und nicht das eine ursprüngliche Logion. Es ist
eine unleugbare Tatsache mündlicher Kommunikationsweise, daß Worte
wiederholt und Geschichten erneut erzählt werden, um verschiedene Hö-
rer anzusprechen. Dieses Bedürfnis nach Wiederholung trifft in ganz be-
sonderem Maße auf den charismatischen Wanderprediger zu, dessen ef-
fektive Verkündigung von der Rezeption der Hörer abhängig war. Wenn
er zuweilen dasselbe Publikum und häufig ein neues Publikum ansprach,
so hatte er gar keine andere Wahl als Worte und Geschichten zu wieder-
holen. Pluralität und nicht eindeutige Originalität sind charakteristisch
für die Modalität seiner Rede.
Wenn wir uns mit der mündlichen Kommunikationsweise und der ihr
angemessenen Hermeneutik vertraut machen wollen, müssen wir uns von
einer tief in der Forschung verhafteten Bindung an die Vorstellung vom
ursprünglichen Wort freimachen. Wenn Jesus ein aphoristisches Wort an
einem Ort aussprach und sich anschließend entschloß, es andernorts er-

70
ONG, Presence of the Word, 323.

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Der historische Jesus 55

neut zur Aussprache zu bringen, dann verstanden weder er noch seine


Zuhörer diese erneute Wiedergabe als eine sekundäre Version des primä-
ren, ursprünglichen Wortes. Vielmehr war jede Wiedergabe ein autono-
mer Sprechakt. Die zweite Wiedergabe konnte mehr oder weniger iden-
tisch mit der ersten sein, oder sie konnte von der ersten unterschieden
sein, insbesondere wenn ein neues Publikum angesprochen wurde, wel-
ches Anpassungen erforderte. Aber ob die wiederholte Rede identisch
oder andersartig war, es wäre weder dem Redner noch seinen Zuhörern in
den Sinn gekommen, die ursprüngliche von einer sekundären Version zu
unterscheiden, denn jede Wiedergabe wurde als eine ursprüngliche, oder
genauer gesagt, als die ursprüngliche Version angesehen. Wenn wir aber
einräumen, daß das eine, ursprüngliche Wort in der Mündlichkeit seinen
Sinn verloren hat, dann habe wir nicht einfach eine singuläre durch eine
pluralistische Konzeption ersetzt. Vielmehr haben wir einen Einblick in
die mündliche Hermeneutik gewonnen, in der die Idee des einen, ur-
sprünglichen Wortes unverständig und gegenstandslos ist.
Im Gegensatz zu vielen Jesusforschern zeigte CROSSAN ein gewisses
Verständnis dafür, daß die Vorstellung vom ursprünglichen Wort mit der
Hermeneutik und Ästhetik oralen Vortrages unvereinbar ist. Er selbst will
die von ihm eingeführten Begriffe vom "aphoristic core" und der ipsissima
structura als Zugeständnis zur mündlichen Hermeneutik verstanden wis-
sen. Ist ein Logion einmal als echtes Jesuswort erwiesen, dann geht, seiner
Ansicht nach, die mnemonisch stabile, generische Struktur prinzipiell auf
Jesus selbst zurück; deren spezifische Bedeutung wird dann durch Wie-
dereinsetzung in einen historisch rekonstruierten Kontext bestimmt. Nun
ist es wohl bekannt, daß in mündlichen Kulturen aufgewachsene Sprecher
mit einer festgefügten und oft rhythmisch stabilen, formelhaften Diktion
arbeiten. Aber im Gegensatz zu Theoretikern mündlicher Vortragskultur
machte sich CROSSAN Stabilität als Träger der einen, einzigen Sinngebung
zunutze. Der strukturelle Kern des Wortes über „Gottesreich und Kin-
der" wird auf die eine schockierende Metapher von der Aufnahme der
Rechtlosen ins Reich Gottes reduziert. Damit hat er im Grunde die ipsis-
sima structura im Sinne von ipsissimum verbum ausgelegt.
Es ist natürlich möglich, daß ein struktureller Kern eine einzige Deu-
tung beinhaltet. Aber in der Regel darf formelhafte Stabilität nicht mit
Eindeutigkeit gleichgesetzt werden. In der Tat, nirgends ist die Identifi-
zierung von struktureller Abstraktion mit inhaltlicher Eindeutigkeit we-
niger sinnvoll als in der mündlichen Kultur. Es ist weitaus angemessener,
sich den aphoristischen Kern als eine Art von Instrument vorzustellen,
dem der Künstler Musik zu entlocken vermag. Was im mündlichen Vor-
trag entscheidend ist, ist nicht nur das Instrument, sondern in ganz be-
sonderem Maße auch die Performanz. Letztere geschieht, indem der

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56 Werner H . Kelber

Sprecher den strukturellen Kern eines Logions variiert, moduliert und


transformiert. So kann das Wort vom „Gottesreich und den Kindern" in
mündlichen Vorträgen durchaus unterschiedliche Bedeutungen anneh-
men. Variabilität von Kernstrukturen und nicht Reduktion einer Kern-
struktur auf eine einzige Sinngebung charakterisiert den mündlichen
Vortrag.
CROSSANS Suche nach struktureller Stabilität offenbart den tiefen
Wunsch der Logik, den Strom der Zeitlichkeit einzudämmen und eine die
zeitgebundene Sprache überwindende Permanenz sicherzustellen. Aber
die Worte des charismatischen Wanderpredigers lassen sich nicht auf
Kernstrukturen mit eindeutigen Sinngebungen beschränken. Seine Ver-
kündigung war gemäß der Logik mündlicher Hermeneutik aufs Ganze ge-
sehen vielgestaltig, wobei jedes einzelne vorgetragene Logion gleichur-
sprünglich mit jedem anderen war. Ein dreimal erzähltes Gleichnis konnte
weder als eine authentische Version und zwei davon abgeleitete, sekundä-
re Varianten noch als Kernstruktur und drei Varianten verstanden wer-
den, sondern stets als drei gleichursprüngliche Darbietungen, die durch-
aus verschiedene Interpretationen beinhalten konnten.
CROSSAN versuchte ein weiteres Zugeständnis gegenüber mündlichem
Pluralismus zu machen, indem er das Recht der Mehrheit privilegierte.
Vielfacher Bezeugung schenkte er große historische Glaubwürdigkeit,
wiewohl er, wie wir sahen, prinzipiell Pluralität als solcher abgeneigt ist
und grundsätzlich für eine Reduktion des Plurals zum Singular optiert.
Nun ist aber das Phänomen einer Pluralität von Versionen komplex, denn
vielfache Bezeugung eines Logions ist sowohl auf der Ebene von Jesu ei-
gener Verkündigung wie auf der Ebene der Tradition mit Sicherheit anzu-
nehmen. In einem seiner eigenen Werke 71 hat CROSSAN überzeugend
nachgewiesen, daß die Erhaltung der Vergangenheit als solcher keines-
wegs die einzige und häufig nicht einmal die wichtigste Motivation in der
synoptischen Traditionsgeschichte war. Der stärkste Impuls für eine ge-
schichtliche Entwicklung der Tradition lag im Erinnern an die Vergan-
genheit im Interesse der Gegenwart mit dem Ziel, die Vergangenheit ge-
wissermaßen als Gegenwart zu legitimieren.72 Gemessen an dieser
Einsicht besagen vielfache Bezeugung und große Variationsbreite eines
Logions in erster Linie seine Funktionsfähigkeit im Kontext kultureller
Erinnerungsprozesse. Diese Tatsache kann historische Echtheit weder
beweisen noch widerlegen. Aber es ist unangemessen, den iterativen und

" CROSSAN, In Fragments.


72 ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis.

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Der historische Jesus 57

adaptiven Charakter der Tradition prinzipiell als Evidenz für historische


Authentizität auszuwerten.
Kaum weniger problematisch ist die Ausscheidung eines jeden Falles
singulärer Bezeugung. Dieser Umstand wiegt um so schwerer, wenn man
bedenkt, daß in CROSSANS gesamter Materialsammlung von 522 Worten
und Erzähleinheiten insgesamt 342 einfach bezeugt sind.73 Das bedeutet,
daß etwa zwei Drittel der Jesus-Tradition wegen singulärer Bezeugung
von jeglicher Reflexion ausgeschlossen sind. Hier handelt es sich um ein
methodisch korrektes, aber historisch problematisches Verfahren. Es ist
zweifellos methodisch korrekt, weil es völlig der Logik der quantitativen
Methode entspricht. Man stößt all das aus, was außerhalb der relativ eng
begrenzten methodischen Reichweite liegt. MICHAEL GIESECKE schreibt
einmal in seinem Meisterwerk Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, daß
man für jede Methode einen Preis zahlen muß, wobei „viele Ideen und
Fakten, die von allgemeinem Interesse sind, unter den Tisch fallen" 74 . Das
Verfahren der Ausscheidung singulärer Bezeugung ist historisch proble-
matisch, wenn man bedenkt, daß man es mit einer Persönlichkeit zu tun
hat, die vom jüdischen Establishment nicht toleriert und von den römi-
schen Machthabern zum Tode verurteilt wurde und deren Leben und Tod
einen ungemein folgenschweren Erinnerungsprozeß ausgelöst hat. Man
kann dieser Person einen hohen Grad an Autorität und ihrer Rede eine
besondere Individualität kaum absprechen. So muß man befürchten, daß
die systematische Aussonderung von zwei Dritteln singulär bezeugter
Logientradition die Rekonstruktion des Lebens und der Botschaft Jesu
aufs gröbste zu verzeichnen droht. Ganz gewiß, einfache Bezeugung kann
historische Echtheit weder beweisen noch widerlegen. Aber es ist unan-
gemessen, singuläre Bezeugung prinzipiell von jeglicher Erwägung auszu-
schließen.
Aber halten wir für einen Augenblick inne, um CROSSANS Gesamtwerk
in Analogie zu einem Beispiel aus der klassischen Geschichtsschreibung
zu überdenken. Stellen wir uns eine Historikerin des klassischen Alter-
tums vor, die es sich zur Aufgabe gestellt hat, eine Biographie des Vorso-
kratikers Heraklit von Ephesus zu schreiben. Unsere Historikerin be-
ginnt mit den 130 Fragmenten, die uns von Heraklit erhalten sind, und sie
rekonstruiert so weit wie möglich deren sogenannte ursprüngliche Fas-
sung, bzw. deren strukturellen Kern, indem sie die Fragmente unterein-
ander und mit den von einer Traditions geschieh te überlieferten Heraklit-
Worten vergleicht. Anschließend integriert sie die fragmentarischen

73 CROSSAN, The Historical Jesus, xxxiii, 434.


74 GIESECKE, Buchdruck, 23

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58 Werner H . Kelber

Kernstücke im Kontext der griechischen Geschichte des 6. und 5. Jahr-


hunderts, um auf diese Weise ihren historischen, von Heraklit beabsichti-
gen Sinn zu eruieren. Die Frage stellt sich, ob diese Art der Selektion, der
Abstraktion und der Rekontextualisierung auch nur annähernd eine Bio-
graphie des Philosophen Heraklit zustande bringen könnte. Man mag
einwenden, die Analogie liege schief, weil Heraklit ein Philosoph war,
dessen Denken bewußt vom täglichen Leben abstrahierte, während Jesus,
mutmaßlich eine charismatische, prophetische Figur, die menschliche Si-
tuation direkt ansprach. Andererseits darf man fragen, ob Heraklits oft
dunkle und rätselhafte Fragmente ohne jeglichen Bezug auf die politische
Katastrophe der brutalen Unterdrückung des Aufstandes griechischer
Städte gegen den persischen König Darius I. waren. Letztlich aber hat
man zu bedenken, ob man überhaupt das Recht zu einer historischen Bio-
graphie eines Heraklit, eines Napoleon, eines George Washington, oder
einer Madame Curie beanspruchen kann, wenn man sich ausschließlich
auf die Worte dieser Persönlichkeiten beschränkt, wie sachgemäß auch
immer deren Rede rekonstruiert und in den entsprechenden historischen
Kontext integriert sein mag. Kann man sich Historiker vorstellen, deren
Biographie einer geschichtlichen Persönlichkeit sich ausschließlich auf der
Basis höchst selektiver, oft sekundär rekonstruierter Worte gründet, wel-
che dieser Person zugeschrieben werden? Trotz CROSSANS unerschütter-
licher Zuversicht in Methodik wird man sagen dürfen, daß seine sich auf
eine selektive Anthologie von Jesusworten stützende Biographie ein Mo-
dell der Geschichtsschreibung darstellt, welches außerhalb der neutesta-
mentlichen Wissenschaft wohl wenig Zustimmung finden dürfte.

Schlußbemerkungen

Indem wir unsere Bedenken zur gegenwärtigen Jesusforschung zum Ab-


schluß bringen, wollen wir damit keineswegs der Diskussion ein vorzeiti-
ges Ende setzen. Im Gegenteil. Die fünf abschließenden Gedanken sollen
neue Gedanken anregen, denn der gegenwärtige Forschungsstand ist von
überflüssigen Wiederholungen, fragwürdiger Methodik und institutionell
verwurzelten Kategorien und Gepflogenheiten belastet, die neue Per-
spektiven dringend notwendig erscheinen lassen.
Erstens war ein diese Ausführungen stets begleitendes Thema die viel-
fach tradierte Traditionsgeschichte, welche sich im Vermächtnis Jesu
kundtat. Es läßt sich schwerlich leugnen, daß Jesus, der Sprecher von Lo-
gien und Gleichnissen, gleiche und variable, aber stets gleichursprüngliche
Versionen seiner Verkündigung zur Sprache brachte. Wenn wir uns Jesus

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Der historische Jesus 59

als den Anfang der Traditions- und Rezeptionsgeschichte vorstellen, dann


sollten wir Anfang nicht als ipissimum verbum oder ipsissima structura
denken, sondern als eine Pluralität gleicher und disparater Worte. Am
Anfang waren die Worte!
Was die kanonische, neutestamentliche Schrifttradition betrifft, so
bietet sie - weit davon entfernt, ein einheitliches christologisches Modell
vorzustellen - ein kaum zu widerlegendes Beispiel von vielfachen chri-
stologischen Denkvorstellungen und Erzählweisen. Nach ASSMANN und
mit SCHRÖTER kann die frühchristliche Tradition in höchst adäquater
Weise als erinnernde Vergegenwärtigung, oder als produktive Erinnerung,
expliziert werden, d. h. als ein Prozeß, die eigene Gegenwart von Jesu Ur-
sprung her zu verstehen und religiös zu festigen bzw. die Vergangenheit
als Gegenwart zu legitimieren.75
Frühchristliche, patristische und mittelalterliche Bibelexegese distan-
zierte sich im großen und ganzen von der Sequestrierung des unerschöpf-
lichen Reichtums biblischer Verkündigung im Kerker des einfachen
Wortsinnes. Wenn man unter Ironie den Vorgang versteht, das Gegenteil
dessen zu erreichen, was man anfänglich beabsichtigte, dann ist Ironie ein
die gesamte Geschichte der modernen Leben-Jesu-Forschung begleiten-
des Merkmal. Nur ist uns vielleicht das Ausmaß dieser Ironie noch nicht
genügend zum Bewußtsein gekommen. Allzu häufig geht man noch im-
mer von der unerschütterlichen Uberzeugung aus, daß uns die Leben-
Jesu-Forschung eben doch Schritt für Schritt der historischen Wahrheit
näher bringt. Aber wenn wir die Jesusforschung nicht aus einer langzeiti-
gen, geschichtlichen Perspektive überblicken, können wir uns der ihr in-
newohnenden hermeneutischen Ironie nicht voll bewußt werden. Von der
Perspektive der longue durée aus gesehen verließen wir das Haus antiker,
patristischer und mittelalterlicher polyvalenter Exegese, um im Geiste der
Aufklärung auf dem soliden Boden des einfachen, historischen Schriftsin-
nes Boden zu fassen. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts scheinen wir uns
mehr denn je in der Vielfalt einer verwirrenden, kein Ende nehmenden
Proliferation von Jesusbüchern verloren zu haben. Jedes neue Jesusbuch
intensiviert unser Bewußtsein des Pluralismus und entfernt uns immer
weiter vom ursprünglich beabsichtigten, eindeutigen, repräsentativen
Schriftsinn. Wenn der Pluralismus in der vergangenen und gegenwärtigen
christlichen Traditionsgeschichte häufig als ein Hindernis betrachtet wird,
das es zu überwinden gilt, dann sei daran erinnert, daß wir auf dem Gebiet
der Kunst seit je an mannigfache Interpretationen religiöser Themen ge-

75 ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis; SCHRÖTER, Erinnerung an Jesu Worte, 459-486;


DERS., Jesus und die Anfänge.

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wohnt sind, die wir im allgemeinen als positive und bereichernde Erfah-
rungen beurteilt haben. Der Kern der Ironie ist darum nicht die pluralisti-
sche Proliferation als solche, sondern die Tatsache daß jeder neue Beitrag
mit der dezidierten Absicht geliefert wurde, der Proliferation ein Ende zu
setzen. 76
Zweitens lassen sich die Thesen JOHNSONS und CROSSANS bei aller
Unterschiedlichkeit auf gewisse epistemologische Gemeinsamkeiten zu-
rückführen. Zwar haben wir in unseren Ausführungen das antithetische
Verhältnis beider Thesen klar herauszustellen versucht. JOHNSONS Re-
zeption des sogenannten biblischen Christus ist CROSSANS methodisch
präziser Herausarbeitung des historischen Jesus diametral entgegenge-
setzt. Genaugenommen bringt CROSSAN der Tradition ein größeres Ver-
ständnis entgegen als JOHNSON dem historischen Jesus. Für JOHNSON ist
"Christian faith not directed to a human construction about the past; that
would be a form of idolatry." 77 CROSSAN hingegen räumt ein, "that there
will always be divergent historical Jesuses, [and] that there will always be
divergent Christs built upon them." 78
Abgesehen von diesen fundamental entgegengesetzten Ansätzen und
Ausführungen neigten sowohl JOHNSON wie CROSSAN dazu, christliche
Wahrheit mit einem monolithischen Aspekt der Tradition gleichzusetzen,
sei es nun der biblische Christus oder der historische Jesus. Diese episte-
mologische Exklusivität des Ansatzes, welche beiden Autoren gemeinsam
ist, hat ihre Spuren in beiden Thesen hinterlassen. Beide sind bemüht, das
Phänomen einer pluralistischen Traditionsgeschichte zu überwinden.
JOHNSONS biblischer Christus beruht auf dem Postulat einer grundlegen-
den Ubereinstimmung aller neutestamentlicher Christologien. CROSSAN
wies das Phänomen der Pluralität der Tradition zu, um die Eindeutigkeit
der Rede Jesu in den logischen Griff zu bekommen. Die singuläre Fokus-
sierung führte in beiden Fällen zu einer Verkennung der frühchristlichen,
pluralistischen Traditionsgeschichte. Hinzu kommt, daß beide Thesen ein
mangelhaftes bzw. verzerrtes Bild insbesondere der mittelalterlichen Kir-
chengeschichte implizieren.
Wir erinnern uns an das zu Anfang angeführte Motto TRACYS, daß das,
was als Wahrheit Gültigkeit hatte, seit der Aufklärung in immer begrenz-
tere Modelle eingefangen wurde. Im gewissen Sinne war sich JOHNSON
dessen bewußt, wenn er feststellte: "by reducing everything to a single
dimension, the historical model distorts what it can know and misses a

" W a s das Phänomen des Pluralismus in der Tradition anbelangt, vgl. FROEHLICH,
'Aminadab's Chariot', und Luz, Kann die Bibel.
77 JOHNSON, The Real Jesus, 143.

78 CROSSAN, The Historical Jesus, 423.

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Der historische Jesus 61

great deal of what is important to know" 79 . Wie wir zu zeigen versuchten,


entwarf C R O S S A N gewissermaßen ein innerchristliches Feindbild, wobei er
christliche Identitäten, Erfahrungen und Sensibilitäten einer scharfen
Kritik aussetzte, weil sie mit dem von ihm rekonstruierten historischen
Jesusbild, in das er einen großen Teil seines wissenschaftlichen Prestiges
investiert hat, nicht übereinstimmten. Aber einen ähnlichen Einwand
kann man gegen J O H N S O N erheben, insoweit er die Pluralität der Tradi-
tionen innerhalb des Neuen Testaments nivellierte und Teile der christli-
chen Tradition verzeichnete, gerade weil er sich einseitig einem einförmi-
gen Modell des sogenannten biblischen Christus verpflichtet fühlte.
Könnte es nicht sein, daß diese J O H N S O N und C R O S S A N charakterisieren-
den Problematiken mit einer jeweilig totalisierenden Epistemologie zu
tun haben, in dem Sinne daß die einseitige Zentralisierung eines Aspektes
der Tradition um den hohen Preis einer großen Vereinfachung christli-
cher Traditionen, einer Verkürzung christlicher Identitäten und einer
Verzerrung, wenn nicht gar Verunglimpfung, christlicher Sensibilitäten
erkauft wurde?
Insofern wir drittens die historische Jesus-Forschung einer kritischen
Analyse unterzogen, beabsichtigten wir keineswegs ihre theologische Re-
levanz zu bestreiten. Vielmehr geht es darum, den unkritischen Enthusi-
asmus eines historischen Positivismus in die Schranken zu fordern und
hermeneutische Nachlässigkeit durch hermeneutische Reflexion zu erset-
zen. Mit Recht hat JENS S C H R Ö T E R darauf aufmerksam gemacht, daß die
„hermeneutische Frage nach der Aneignung der Vergangenheit in der
neueren Diskussion [ . . . ] weitgehend in den Hintergrund getreten" ist.80
Angesichts des geradezu verblüffenden Optimismus, mit dem besonders
in nordamerikanischen Fachkreisen die Jesus-Forschung vorangetrieben
wird, muß man sich fragen, ob uns jeglicher Sinn für Hermeneutik, für die
Geschichte und die Prozesse des Verstehens und für die Aneignung von
Vergangenheit abhanden gekommen ist. Sind wir uns dessen bewußt, daß
das qualvolle Ringen um ein Verstehen des Anderen, insbesondere des
Vergangenen, ein zentrales philosophische Problem darstellt, welches im
postmodernen Denken genau an der Schnittstelle zwischen Ethik und
Hermeneutik liegt?
Man kann sich manchmal des Eindruckes nicht erwehren, daß B U L T -
MANNS programmatisches Urteil, daß „jede Interpretation notwendig von
einem gewissen Vorverständnis der in Rede oder in Frage stehenden Sa-
che getragen ist"81 (eine Einsicht, die er sowohl S C H L E I E R M A C H E R wie

75 JOHNSON, The Real Jesus, 172.


80 SCHRÖTER, Jesus und die Anfänge, 13.
81 BULTMANN, Das Problem der Hermeneutik, 62.

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62 Werner H. Kelber

auch HEIDEGGER ZU verdanken hat), in der gegenwärtigen nordamerika-


nischen Leben-Jesu-Forschung in Vergessenheit geraten ist. Naturgemäß
neigt jeder Autor dazu, sich für die historisch zuverlässige Autorität ihres
oder seines Jesusbuches, unter Absehung der verwirrenden Fülle von Je-
sus-Darstellungen, zu verbürgen. Darin liegt die bereits erwähnte Ironie
der Leben-Jesu-Forschung. Es muß hier an ein hermeneutisches Grund-
prinzip erinnert werden, daß es keine unbefangenen Autoren und Texte,
keine unbeeinflußten Augen und Ohren und keine vorurteilsfreien Leser
gibt. Daß Sprache sowohl enthüllt als auch verhüllt, ist eine Erkenntnis,
die weit über die kleine Berghütte im Schwarzwald hinaus Anerkennung
gefunden hat. Methode, das unaufgebbare Instrumentarium aller histori-
schen Forschung, stipuliert die Bedingungen, unter denen Beweisstücke
zugelassen werden, aber es setzt auch autoritär Grenzen für den Wissens-
bereich, innerhalb dessen Diskussion zulässig ist. Überdies sollten wir im
Zeitalter der Postmoderne Einsicht in die mangelnde Stabilität aller Texte
und in die politische Dimension des Schreibens und Lesens gewonnen ha-
ben. Angesichts dieser und vieler anderer hermeneutischer Problematiken
und Einsichten wird man unumwunden dem Urteil SCHRÖTERS zustim-
men können, welches wir als eines der Mottos über diese Ausführungen
gesetzt haben: „Einen durch historische Forschung gesicherten Jesus wird
es nicht geben, sondern nur vorläufige, der Veränderung unterworfene
Rekonstruktionen." 82 Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung sagt viel
über die Kraft und die Neigung unserer Sehnsucht aus, aber sie wird nie-
mals eine gesicherte Erfüllung erfahren dürfen.
Viertens messen wir der historischen Jesusforschung eine hohe Be-
deutung zu und insistieren auf ihrer unaufgebbaren Bedeutung, auch
wenn wir grundsätzliche Methoden, Prämissen und Ergebnisse problema-
tisieren und die endgültige Zielsetzung in Frage stellen. Wenn man in der
Tradition von KAHLER und JOHNSON mit dem Prinzip arbeitet, Glaube,
der auf den Werken der Geschichte ruhe, sei kein reiner Glaube, so beru-
fen wir uns dagegen auf die „Ethik des Erinnerns", welche an die morali-
sche Aufgabe historischer Forschung appelliert. Traumatisiert vom Blut-
bad des vergangenen Jahrhunderts wehren wir uns dagegen, daß dem
Glauben jemals wieder volle Immunität von der "rectitude of fact" ge-
währt werden darf, daß der Glaube jemals wieder von der Geschichte iso-
liert und von dem Geschick der namenlosen Vielen unberührt bleiben
darf. Die Einbeziehung der ethischen Dimension in biblische Exegese
füllt einen Platz, der in der Hermeneutik häufig unbesetzt geblieben ist.

82 SCHRÖTER, Jesus und die Anfänge, 20.

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Der historische Jesus 63

Doch in welcher Weise dürfen beispielsweise in den Evangelien er-


zählte Christologien eine Korrektur durch den historischen Jesus erfah-
ren, und wann darf die rekonstruierte historische Jesusfigur als Maßstab
für die Vielzahl neutestamentlicher Christologien dienen? In der christli-
chen Tradition sollte die „Ethik des Erinnerns" einen gemeinsamen Bund
mit der augustinischen Hermeneutik eingehen, welche „eine Interpretati-
on die zum Reiche der caritas beisteuerte", zum Ziele hatte. Die „Ethik
des Erinnerns" im Geiste der augustinischen caritas besagt, daß der histo-
rische Jesus durchaus als Korrektur für die Evangelien dienen kann, wenn
durch letztere anderen Schaden zugefügt wird. Wenn man beispielsweise
beobachtet, wie in den Evangelien die Schuld an Jesu Hinrichtung zu-
nehmend von den römischen Autoritäten auf die Juden übertragen wird,
dann fordert die „Ethik des Erinnerns", daß wir die Geschichte als Zeuge
anrufen, um Korrektur an der Tradition vorzunehmen.
Fünftens sollte die Problematik des einfachen vs. dem vielfachen Sinn,
von Geschichte vs. Glaube und von Fakt vs. Fiktion nicht das letzte Wort
dieser Ausführungen sein. Was den historischen Jesus anbelangt, so läßt
sich vieles nicht in den genannten Kategorien ausdrücken und vieles nicht
in sprachlichen, ikonographischen und elektronischen Medien wiederge-
ben. So steht uns zum Beispiel ein umfangreiches Material über die Passi-
onsgeschichte zur Verfügung. Die historischen Umstände, die Rechtslage,
die Quellenfrage und die narrative Darstellungen wurden sämtlich einge-
hendst studiert. Vom Standpunkt der „Ethik des Erinnerns" wird man
aber sagen müssen, daß weder historische Akribie noch genaue juristische
Kenntnisse noch Quellenanalyse, und nicht einmal die literarischen Plot-
strukturen der Geschichte vom Tode Jesu gerecht werden können. Wie
seltsam, daß die Forschung trotz eingehendster Untersuchungen aller
Aspekte seines Todes selten, wenn überhaupt, die Einsicht auszusprechen
wagte, daß die Kreuzigung im Grunde unvorstellbar und unrepräsentier-
bar sei. Fakt oder Fiktion, Geschichte oder Glaube, einfache oder mehrfa-
che Bezeugung, Logik oder caritas - die Hinrichtung durch Kreuzigung
wird sich für immer unserem Vorstellungs- und Interpretationsvermögen
entziehen.

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64 Werner H. Kelber

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Erzählung und Ereignis

Uber den Spielraum historischer Repräsentation

MICHAEL MOXTER

Zu den Grenzen unseres Wissens trägt auch die Unmöglichkeit bei, uns
selbst historisch zu beobachten. Um so enger zeitgeschichtliche Be-
trachtungen an unsere eigene Gegenwart heranrücken, um so ungewisser
wird uns die Zukunft der Erinnerung, gleichsam der Reim, den sich die
Historiker über uns machen werden. Das liegt vor allem daran, daß wir
nicht wissen können, im Lichte welcher zukünftigen Ereignisse von unse-
rer Zeit erzählt werden wird. Die Unbestimmtheit der Zukunft und mit
ihr die Ungenauigkeit aller Antizipationen bilden einen blinden Fleck un-
seres Selbstverständnisses. Was wir gleichwohl wissen können, das hat
JAN ASSMANN unter der Frage, wie die Erinnerung an den 11. September
sich darstellen wird, „wenn das, was jetzt Gegenwart ist, einmal Vergan-
genheit sein wird", mit der folgenden Behauptung umrissen: „Was und
wie wir erinnern, richtet sich nicht nach dem, was eigentlich passiert und
wie es eigentlich gewesen ist, sondern ausschließlich danach, warum wir
die Geschichte davon erzählen werden, in Verfolgung welcher Ziele, wel-
cher politischer Absichten"1.
Diese Behauptung verdient eine Diskussion. Um sie voranzubringen,
sollte man drei Begriffe in eine Ordnung bringen: Wäre da nicht das Er-
eignis, wir hätten nichts zu erzählen. Indem wir aber erzählen, indem wir
zu sagen versuchen, was geschehen ist, bilden wir nicht nur Fakten ab,
spiegeln wir nicht nur Tatsachen, sondern wir refigurieren und beurteilen
unter allgemeinen Gesichtspunkten. Der Richtwert der Erzählung ist da-
bei nicht das, was eigentlich gewesen ist, sondern die Erinnerung und ihre
Horizonte. Daraus entspringt eine konstitutive Spannung, aber auch eine
unübersteigbare Differenz. Durch die Erzählung halten wir das Ereignis
ebensosehr fest, wie wir uns zugleich von ihm entfernen. Die Logik der
Erinnerung erlaubt es an keinem einzelnen Punkt, mit einem klaren krite-
riologischen Schnitt die beiden Seiten dieser Differenz in ein sogenanntes

' So in der Frankfurter Allgemeinen vom 1. Oktober 2001.

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68 Michael Moxter

nacktes und uninterpretiertes Ereignis und in die eigene subjektive Er-


zählung zu zerlegen. Damit ist nicht gemeint, daß es überhaupt keinen
Unterschied gäbe zwischen fiktiven und historischen Erzählungen oder
zwischen eigener Konstruktion, eigenem Erleben und den Ereignissen.
Kein Unterschied kann im Prinzip gewisser sein als dieser, denn mit ihm
operiert der historische Sinn, durch ihn konstituiert sich das historische
Bewußtsein. Daß die Grenze zwischen den Ereignissen und den sie deu-
tenden Erzählungen gleichwohl nicht in jeder Hinsicht klar gezogen wer-
den kann, ist jedoch eine Näherbestimmung dieses historischen Sinnes
und der zu ihm gehörenden Unterscheidung. Auf beide Aspekte zielt im
folgenden der Begriff eines Spielraumes historischer Repräsentation. Mit
Spielräumen hat man es überall dort zu tun, wo es statt der einzig richti-
gen Lösung nur die gleichzeitige Vermeidung gegenläufiger Fehler gibt.
Wie bei pathologischen Phänomenen der geschwächte Sinn für das Reale
genauso neurotisierend sein kann wie der geschwächte Sinn für das Irrea-
le2, Gesundheit also als Spielraum gilt, so bedarf auch der historische Sinn
eines Spielraumes, dessen Pole nicht einseitig aufzulösen sind.
ECKHARD RAU hat den Begriff des Spielraumes benutzt, um das Ver-
fahren seiner Jesusdarstellung zu erläutern, sowohl historisch im Verhält-
nis zu ALBERT SCHWEITZERS Kritik der Leben-Jesu-Forschung wie auch
in methodologischer Hinsicht. 3 Denn es gilt die Einsicht, daß sich das Le-
ben Jesu nicht darstellen läßt, ohne eine subjektive Einfärbung einzubrin-
gen, der man stets nachsagen kann, daß sie mehr über den Autor als über
seinen Gegenstand verrät. Die subjektive Konstruktion, die Produktivität
des ein Jesusbild entwerfenden Autors könne nicht sistiert werden, viel-
mehr müsse man, was sich nicht vermeiden läßt, nach Kräften nutzen und
nach Möglichkeit methodisch kontrollieren.4 Insofern rücken SCHWEIT-
ZERS Begriffe der Intuition und des fortgesetzten Experimentierens ge-
meinsam mit dem aktuellen Begriff des Konstruktivismus in den Rang
von Darstellungsprinzipien und -mittein. Freilich jeweils mit dem Zusatz,
daß es sich um historische Intuition, um historisch-kritisch gezügelte
Phantasie handele.
Exegetisch steht die - von RAU abschlägig beschiedene - Frage zur
Diskussion, ob es ein Kriterium gibt, das es erlaubt, echte von unechten
Jesusworten klar zu unterscheiden. Daß ein solches Kriterium auch im
dritten Anlauf der Jesusforschung nicht fundiert werden konnte und daß

2 Vgl. G . BACHELARD, zitiert nach B. WALDENFELS, In den N e t z e n der Lebenswelt,


Frankfurt a. M . 2 1 9 9 4 , 232.
3 E. RAU, Jesus - Freund von Zöllnern und Sündern. Eine methodenkritische Untersu-
chung, Stuttgart 2000, 79.
4 A. a. O., 74.

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Erzählung und Ereignis 69

gleichwohl mit einer solchen Unterscheidung operiert werden muß, führt


auf den Weg eines historischen Experimentierens, den SCHWEITZER
gleichsam in Vorwegnahme einer Pointe des kritischen Rationalismus be-
tritt. Aufgebaut werden soll ein hypothetisches Wissen, das „nur solange
Gültigkeit hat, als es nicht durch eine absolute Unmöglichkeit bei der
Anwendung auf die Gesamtheit der überlieferten Tatsachen außer Kraft
gesetzt" 5 , also falsifiziert wird.6 Kann Wahrheit nicht im direkten Zugriff
auf eine nur abzubildende Wirklichkeit ermittelt werden, bleibt jede Dar-
stellung auch Verstellung und insofern .konstruktiv', so modifiziert dies
den Wahrheitssinn zu einem Verhältnis von Interpretationsrisiko 7 und
möglichem Scheitern. Als Alternative zur Skepsis ergibt sich so der „Mut
zur Hypothese" 8 .
Ich hoffe daher, daß der Begriff des Spielraumes historischer Reprä-
sentation ein angemessener Titel ist, um den methodenkritischen Aspekt
des von ECKHARD RAU eingeschlagenen Weges der Jesusforschung aus
einer systematisch-theologischen Perspektive zu kommentieren. Dies soll
in drei Schritten geschehen, indem am Leitfaden der Begriffe Ereignis und
Erzählung zunächst das grundsätzliche Problem der Wahrnehmung des
Historischen, dann die für BULTMANN charakteristische Reaktion auf die
Leben-Jesu-Forschung beschrieben wird. Ein dritter Teil paraphrasiert,
wie PAUL RICŒUR die historische Referenz unter der Bedingung der Er-
zählung denkt.

I. Voraussetzungen der historischen Frage

1901, also vor genau hundert Jahren, hat WILLIAM WREDE das Fazit ge-
zogen, auch die älteste Quelle der Jesuserzählungen, das Markusevangeli-
um, vermittle aufs Ganze gesehen keine historische Anschauung mehr
vom wirklichen Leben Jesu. Es gehöre vielmehr bereits zur kirchlichen

5 Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 4 1926, 6f., zitiert nach RAU, a. a. O., 75.
6 Man kann bei SCHWEITZER einen Einfluß seiner NIETZSCHE-Lektüre vermuten. Denn
NIETZSCHES Begriff der Experimentalphilosophie ist der genaue Ausdruck eines
Wahrheitssinnes, der unter der Voraussetzung radikaler Perspektivität aller unserer
Erkenntnisse dennoch am Werk ist: „Ich lobe mir eine jede Skepsis, auf welche mir er-
laubt ist zu antworten: .Versuchen wir's!' Aber ich mag von allen Dingen und allen
Fragen, welche das Experiment nicht zulassen, Nichts mehr hören. Diess ist die Gren-
ze meines .Wahrheitssinnes': denn dort hat die Tapferkeit ihr Recht verloren." (Die
Fröhliche Wissenschaft, Stück Nr. 51, in: Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe,
Bd. V2, hg. von G. COLLI und M. MONTINARI, Berlin/New Y o r k 1973, 89f.).
7 Zur Verwendung des Risikobegriffs vgl. RAU, a. a. O., 76.
8 Vgl. RAU, a . a . O . , 168.

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70 Michael Moxter

Dogmengeschichte, da es vor allem eine übergeschichtliche Glaubens-


auffassung enthalte. Aus heutiger Perspektive kann man diese Äußerung
mit Sinn versehen und zugleich irritiert sein. Denn so sehr man der nega-
tiven Seite dieser Auskunft zustimmen möchte, so wenig kann man ver-
kennen, daß die Leitbegriffe der Ubergeschichtlichkeit bzw. des Dogmas
als willkürlicher Setzung und daß schließlich der Gegensatz, in den beide
zum wirklichen Geschehen gesetzt werden, mit der für das neunzehnte
Jahrhundert typischen Differenz von metaphysischer Spekulation und
historischem Bewußtsein präzise übereinstimmen. Wie zu der Wirkungs-
geschichte dieser Differenz die Historisierung auch des historischen Be-
wußtseins gehört, so darf man zu ihren Voraussetzungen die Uberzeu-
gung rechnen, eben das, was der älteste Text nicht leiste, zähle zu den
erfüllbaren Aufgaben des Historikers: ein objektives Bild der wirklichen
Ereignisse zu geben. Das Problembewußtsein spannt sich auf zwischen
einem historischen Positivismus, der Ereignisse als Fakten begreift, und
einer Erzähltradition, die den Vorkommnissen einen Rahmen verschafft,
aber auch die Wortüberlieferung durchgängig prägt - wie eine formge-
schichtliche Analyse bald nachweisen sollte. Die Perspektiven dieses Pro-
blembewußtseins werden also durch einen Antagonismus von Ereignis
und Erzählung geprägt. Aus dem Stil der Uberlieferung folgt die Unzu-
gänglichkeit des Geschehens und hinsichtlich der Jesusworte die Uner-
reichbarkeit des Authentischen. Wir können die Eigenart der Erzähltradi-
tion auf die BLUMENBERGSche Formel bringen: „Die Rezeption der
Quellen schafft die Quellen der Rezeption" 9 oder beispielsweise im Blick
auf die alttestamentliche Theologie G E R H A R D VON R A D S auf Lektüre-
eindrücke verweisen, die sich zu der These zusammenfassen lassen, .Israel'
gewinne seine Identität erst aus der Rezeption von Texten, die es selbst
produziert hat.10
Wenn es sich mit der Eigenart der Erzählung so verhält, dann findet
sich selbst in den ältesten Quellen stets Rezeption, nicht aber so etwas
wie eine Urimpression. Der Begriff der Urimpression und der Hinweis
auf die Paradoxie, daß wir uns mit jeder Wahrnehmung immer schon dies-
seits der Urimpression befinden, stammen aus anderen wissenschaftlichen
Kontexten als denen der Jesusforschung. Sie markieren den Zusammen-
hang unserer Leitfrage mit erkenntnistheoretischen oder phänomenologi-
schen Erörterungen: Wahrnehmung ist nie unmittelbare direkte Abbil-
dung reiner Sinnesdaten, vielmehr erfolgt jede Rezeption im Modus des
Rezipienten (so Thomas von Aquin), steht jede Erkenntnis unter den er-

9 H . BLUMENBERG, Arbeit am M y t h o s , Frankfurt a. M . 4 1986, 329.


10 Vgl. P. RICCEUR, Zeit und Erzählung, Bd. III: Die erzählte Zeit, München 1991, 398.

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Erzählung und Ereignis 71

fahrungskonstitutiven Kategorien des menschlichen Verstandes und der


ihr entsprechenden Sinnlichkeit (so KANT). Die phänomenologische Vari-
ante dieses Sachverhaltes kann in derselben groben Skizzierung durch die
Formel wiedergegeben werden, daß sich jedes Bewußtsein als Distanz zu
seinen Eindrücken aufbaut.
Die Begriffe Ereignis und Erzählung, mit denen ein methodisches Pro-
blem der Jesusforschung skizziert werden soll, haben nun die Eigenart,
jeder für sich, aber auch jeder in Konkurrenz zum anderen, als Interpre-
tamente des Begriffs der Geschichte aufzutreten. Deshalb kann man Aus-
einandersetzungen um die Methodologie der historischen Wissenschaften
um diese Begriffe gruppieren. Als .Geschichte' bezeichnen wir ja beides:
die Totalität der Ereignisse, deren Gesamtverlauf sich in dem Singular ,die
Geschichte' unterbringen läßt. Aber Geschichte ist auch alles das, was er-
zählt werden kann und was darum im Singular ,eine Geschichte' heißt.
Während der erste Singular (die Geschichte) den Plural leugnet, folgt dem
Singular der narratio der Plural der .Geschichten' auf dem Fuße. Erzählt
wird nämlich stets unter der Bedingung, daß dasselbe auch anders und
daß auch ganz anderes erzählt werden kann. Mit der Pluralität der Ge-
schichten ergibt sich ein Möglichkeitsüberschuß mit der Folge, daß der an
der Rekonstruktion der geschichtlichen Wirklichkeit interessierte Histo-
riker seiner Arbeit an den Quellen und Dokumenten mehr traut als dem,
was die Leute so erzählen. Es macht deshalb Sinn, die historische Frage als
die Frage zu charakterisieren, wie sich die Vielzahl der Geschichten zu der
einen Geschichte verhalte. Insofern baut sich das historische Bewußtsein
über den Unterschied auf, der die Gesamtheit der Geschichten in solche
teilt, deren „Elemente" - mit einer Formulierung K A R L H E I N Z S T I E R L E S -
„das Faktische berühren" und solche, die das nicht tun.11 Daß wir über-
haupt den Singular .die Geschichte' bilden, ist keineswegs selbstverständ-
lich, und die Geschichte, wie es dazu kam, wurde beispielsweise als Ge-
schichte der Auflösung des alten Topos historia magistra vitae erzählt. Er
verlor seine Plausibilität, weil das, was man zunächst zu lernen suchte, ex-
emplarisch für eine sich stets gleichbleibende menschliche Natur sein
sollte, um als „Beweismittel moralischer, theologischer oder politischer
Lehren" dienen zu können.12 Als nicht mehr die paradigmatische Erzäh-
lung, wie es um den Menschen steht, immer schon stand und weiter ste-
hen wird, überzeugte, sondern als nach der Einordnung der menschlichen

11
K . STIERLE, Geschichte als Exemplum - Exemplum als Geschichte. Z u r Pragmatik und
Poetik narrativer T e x t e , in: R . KOSELLECK u. W . D . STEMPEL ( H g g . ) , Geschichte - E r -
eignis und Erzählung (Poetik und Hermeneutik. Arbeitsergebnisse einer Forschungs-
gruppe V ) , München 1973, 3 4 5 - 3 7 5 (360).
12 Vgl. zu einer These R . KOSELLECKS a. a. O . , 3 6 7 .

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72 Michael Moxter

Angelegenheiten in den Strom stets sich ändernder Ereignisse gefragt


wurde, entstand allererst der Kollektivsingular ,die Geschichte'. Die Un-
iiberschaubarkeit ineinander eingreifender, aber kontingenter Auswirkun-
gen bestimmt den spezifischen Begriff der Geschichte, aus der sich sehr
viel schwerer lernen läßt.
Schon der Hinweis auf die Begriffsgeschichte zeigt also, daß das Phä-
nomen der Erzählung nicht nur im biblischen Text, sondern auch im
kulturellen Bewußtsein den ursprünglichen Horizont des Selbstverständ-
lichen bildete. Erst die kritische Reflexion auf die bestehenden Erzählun-
gen rief den Begriff der Geschichte hervor. Denn diese Reflexion mustert
den Bestand der Erzählungen mit einer an den Begriff des Ereignisses ge-
bundenen Logik von Ja-Nein-Stellungnahmen: ja, fand statt, oder nein,
fand nicht statt - tertium non datur. Im Binnenraum der Erzählungen da-
gegen gibt es Varianten, aber keine Alternativen. Diese entstehen erst mit
dem Diskurs der Behauptungen.
Dennoch verführe man einseitig, wenn man die in den Begriff .Ge-
schichte' eingelagerte Differenz von Erzählung und Ereignis ausschließ-
lich zugunsten des letzteren fortbestimmen wollte. Die Gründe darzule-
gen, warum dies nicht sinnvoll ist, berührt systematische Fragestellungen,
die ich unter dem Stichwort .implizite Ontologie' diskutieren möchte.
Eine Verständigung über die Methodologie der Geschichtswissen-
schaften setzt eine Aufklärung über die implizite Ontologie voraus, die
sich mit dem Begriff des Ereignisses verbindet.13 Für den Begriff des Er-
eignisses sind konstitutiv die Momente der Einmaligkeit, der Unwieder-
holbarkeit und der Unveränderlichkeit. Ereignisse sind gleichsam die
Fakten im geschichtlichen Kontext, wie sie der Positivismus als Zustands-
veränderungen im physikalischen Zusammenhang durch bloße Beobach-
tungssätze (Protokollsätze) notieren wollte. Oder - um eine andere
Analogie zu wählen - Ereignisse sind gleichsam Atome der geschichtli-
chen Welt, letzte Bausteine, die als harter Kern einer Welt gelten. Fakti-
sche Teilbarkeit kann dennoch hingenommen werden, da es möglich sein
muß, Ereignisse auf Teilereignisse zurückzuführen oder Handlungen in
kleinere Teilhandlungen zu zerlegen. Entscheidend ist die methodische
Operation, die das seinem Begriff nach punktuelle Ereignis an einem spe-
zifischen Raum-Zeit-Punkt verortet. An ihm steht es unter der Bestim-
mung, stattgefunden zu haben. Mit dem Tractatus WITTGENSTEINS kön-
nen wir im Blick auf diesen Ereignisatomismus sagen: „Die Welt ist alles,
was der Fall ist" 14 und ergänzen, die geschichtliche Welt sei das Insgesamt

" Sie wird .implizit' genannt, weil sie den Status eines ontological commitment hat.
14 L. WITTGENSTEIN, Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt a. M. , 0 1975, Tractatus 1,

S. 11.

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Erzählung und Ereignis 73

dessen, was der Fall war. Die Kategorie des Ereignisses gehört einer
Tractatuswelt an, für die das Tatsächliche stets das unabhängig von unse-
rer Rekonstruktion und Betrachtung Existierende ist. Dieser unabhängige
Status ist den physikalischen und den historischen Ereignissen gemein-
sam: Der Ausbruch eines Vulkans und der Ausbruch einer Revolution
sind parallelisierbar als Ereignisse, die zu den Sachverhalten zählen, aus
denen die Welt besteht. Unterschieden werden sie durch die zusätzliche
Annahme, das eine Ereignis werde von Menschen stets nur erlitten, das
andere dagegen von einigen Menschen auch gemacht. Diese Zusatzan-
nahme hat aber keine Relevanz für die methodische Orientierung. Eine
methodisch am Begriff des Ereignisses orientierte Geschichtsauffassung
operiert bevorzugt auch mit dem anderen .Unteilbaren', das unsere Spra-
che kennt: Sie denkt vom Individuum aus, das als Basis der Handlung Er-
eignisse verursacht oder erleidet.
Im Horizont dieser impliziten Ontologie ergibt sich für die Erkennt-
nis, daß sie die Abbildung der von ihr unabhängigen Tatsachen leisten
soll. Für die Gesamtheit der Sätze folgt dementsprechend, daß sie in dem
Maße wahr oder falsch sind, indem sie „Bilder der Tatsachen" 15 sind. Dar-
aus folgt wiederum, daß der Begriff der Erzählung nicht aus dem Phäno-
men der Narrativität des Menschen entwickelt, sondern dem Begriff der
Beschreibung der Welt angepaßt wird. Die nach Maßgabe des Ereignisbe-
griffs verstandene Erzählung erscheint als Beschreibung der Handlung.
Daß diese Konzeption durch ein einseitiges Bild gebunden ist, hat die
Diskussion der analytischen Philosophie gezeigt, wo immer sie sich im
Ü b e r g a n g v o m WITTGENSTEIN des Tractatus zum WITTGENSTEIN der
Philosophischen Untersuchungen der menschlichen Praxis zugewandt
hat. Vor allem A. C. DANTO" hat es als das charakteristische Vorurteil
dieses Bildes bezeichnet, daß es mit einer Vorstellung operiert, nach der
die Vergangenheit eindeutig bestimmt, unveränderlich in ihrem Sosein
festgelegt ist, während die Zukunft als die gleichsam jetzt noch nicht ver-
gangene Zeit und folglich als noch offen und unentschieden gedacht wird.
Das am Ereignisbegriff und an den historischen Fakten orientierte Ge-
schichtsverständnis denkt den Geschichtsprozeß nach dem Modell eines
Gefäßes, in dem sich die Ereignisse allmählich sammeln, gleichsam wie
der Sand im unteren Teil einer Sanduhr: Im Laufe der Zeit rieselt immer
mehr Stoff aus dem Bereich des Möglichen in den Bereich der Fakten, in
dem jedes Element für immer das bleibt, was es im Moment des Eintritts
war. Das dementsprechende Ideal des historischen Wissens und Bewußt-

,5 Vgl. a. a. O., Tractatus 2.1, S. 16.


16 A. C. DANTO, Analytical Philosophy of History, Cambridge 1965 (deutsch: Analy-
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seins ist das einer vollständigen Beschreibung, die jedes dieser Elemente je
für sich erfaßt, gleichsam numeriert und in seiner Unverwechselbarkeit
festhält. Der ideale Historiker erscheint demnach als ein Chronist, der in
jedem Augenblick in einen Bericht transkribieren kann, was jeweils
geschieht, ohne daß diese mitlaufende Zeugenschaft der bloßen Beob-
achtung etwas hinzufügen würde. Das historische Wissen begreift sich
selbst als Kumulation, als Häufung von Ereignissen. 17 Die Paradoxie, die
in dieser Zuspitzung markiert werden soll, ist klar erkennbar - ein solcher
Chronist kann die Geschichte nur um den Preis erfassen, daß er selbst
keine hat. Gerade so aber kommt ein Selbstverständnis von Geschichte
nicht zustande.

II. Ereignis und Erzählung bei Bultmann

RUDOLF BULTMANN bemüht wohl kaum eine Kategorie so oft wie die des
Ereignisses 18 , wenn er seine Einstellung zur Frage nach dem historischen
Jesus darlegt. Seine Verwendung des Begriffs unterscheidet sich aber fun-
damental von dem beschriebenen Ontologie-Modell, ja sie zielt gerade auf
die Kritik eines Geschichtsverständnisses, das auf solcher Ontologie be-
ruht. Es ist deshalb naheliegend, eine Reflexion der methodischen Vor-
aussetzungen der Frage nach dem historischen Jesus einmal mehr an die-
sem Autor zu schärfen. Denn so gewiß wir die Phasen der Jesusforschung
mit Bezug auf BULTMANN und seine Schule einzuteilen pflegen, so gewiß
ist BULTMANNS Stellung zu dieser Frage eine Folge einer veränderten
Ontologie.
Um die Veränderung des theologischen und hermeneutischen Kon-
textes, der sich bei BULTMANN vollzieht, zu beschreiben, kann es hilfreich
sein, an die Etymologie des Wortes Ereignis anzuknüpfen. Dieses kommt
von .eräugen', etwas vor die Augen bringen, es zeigen. Das .Ereignis' ge-
hört also einem semantischen Feld an, für das Verwandtschaft mit dem
Phänomenbegriff notiert werden darf, weshalb es nicht verwundern muß,
daß der Ereignisbegriff innerhalb der theologischen Hermeneutik Funk-

17 Vgl. P. RICCEUR, Zeit und Erzählung, Bd. I: Zeit und historische Erzählung, München
1988, 217f.
18 Zu der von BULTMANN ausgehenden Stellung dieses Begriffs in der Theologie des

zwanzigsten Jahrhunderts vgl. E. FUCHS, Was ist ein Sprachereignis? Ein Brief, in:
DERS., Zur Frage nach dem historischen Jesus, Tübingen 1960, 424-430, sowie G . EBE-
LING, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 4 1981, 1 - 1 7 (Luther als Sprach-
ereignis).

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Erzählung und Ereignis 75

tionen erfüllt, die dem Grundbegriff der Phänomenologie entsprechen.


Was als Ereignis in die Augen springt, hebt sich von einem Hintergrund
des Gleichförmigen als das unerwartet Besondere ab, das sich aufdringlich
bemerkbar macht. Ereignisse sind stets das, was Aufmerksamkeit so bin-
det, daß man sie nicht länger übersehen kann. In diesem Sinne gilt als
.Sprachereignis' „gerade dasjenige Geschehen, auf das es in der Sprache
ankommt" 19 .
BULTMANNS Deutung des Historismus als eines Positivismus wie seine
theologische Kritik positiver heilsgeschichtlicher Tatsachen richten sich
bekanntlich gegen die Vorherrschaft einer Ontologie, die alle ihr zugäng-
lichen Phänomene unter der Seinsart des Vorhandenen subsumiert. Ge-
schichte allein im Modus vergangener Ereignisse zu betrachten, ist Aus-
druck einer Perspektive der Uneigentlichkeit. In ihr wird verfehlt, .worauf
es unbedingt ankommt': die Existenz des Menschen wie auch Gott als al-
les bestimmende Wirklichkeit. Eine eigentliche Thematisierung der Ge-
schichte vollzieht sich dagegen erst dort, wo am historischen Gegenstand
nicht das Vorhandene, sondern das Dasein interessiert - nämlich ein sol-
ches Selbstverständnis, dem es um sein eigenes und unverfälschtes Sein-
Können, also um seine Freiheit, geht. Das vergangene Dasein zu verste-
hen heißt daher: in den Horizont einrücken, in dem es um das Entwe-
d e r / O d e r d e r F r e i h e i t g e h t . R U D O L F BULTMANN w i e H A N S JONAS be-
greifen die historische Arbeit an den relevanten Quellen als Mittel zur
Freilegung eines Selbstverständnisses. Sie zeigen, daß sich die Unter-
scheidung von Uneigentlichem/Eigentlichem bzw. von Vorhandenheit/
Existenz auch von der anderen Seite aufbaut, also sich auch im Zusam-
menhang vorhandener Zeugnisse der Vergangenheit finden läßt. Das
überlieferte Dokument erweist sich als prägnanter Ausdruck eines Ent-
wurfs eigenster Möglichkeit und darum sozusagen als geeignet für den
Wiedereintritt ins existentielle Entweder/Oder. Erwartet werden kann
von einem solchen Entwurf, „daß in der Wiederholung die .Kraft' des
Möglichen in die faktische Existenz hereinschlägt" 20 , so daß, was einst Er-
eignis war, erneut zum Ereignis wird. Es gehört insofern zum Ereignis,
daß es sich an die Zukunft adressiert. HEIDEGGERS These, daß die Ge-
schichte nicht in der Historie der Vergangenheit, sondern in der Zukunft
ihren Ursprung habe, wird in diesem Sinne von beiden Autoren in die hi-
storische Arbeit eingebracht.21

" FUCHS, a. a. O., 426.


20 M. HEIDEGGER, Sein und Zeit, Tübingen L2 1972, 395.
21 Für H . JONAS vgl. ders., Gnosis und spätantiker Geist. Erster Teil: Die mythologische

Gnosis. Mit einer Einleitung zur Geschichte und Methodologie der Forschung, Göt-
tingen 2 1964.

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Für BULTMANN dreht sich die theologische Arbeit um das eschatologi-


sche Ereignis, also darum, daß das kontingente historische Ereignis, Teil
der Gruppe diverser „Ereignisse der Vergangenheit" 22 , erneut zum ge-
schichtlichen Ereignis wird - was vor allem der Verkündigung des Evan-
geliums anheimfällt. W e n n mit Paulus (2Kor 6,2) gesagt werden kann:
„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils",
dann wird das zum Ereignis, worauf es in der Geschichte ankommt. „Das
geschichtliche Faktum der Sendung Jesu ist also ein zweideutiges Faktum.
Sofern es ein Faktum der konkreten Geschichte ist, hat es - wie jedes ge-
schichtliche Ereignis - die Möglichkeit als ein Vorgang der Vergangen-
heit, vorfindlich in der durch Erinnerung vergegenwärtigten Vergangen-
heit, aufgefaßt zu werden. Und doch hat es auch die Möglichkeit,
Gegenwart zu sein. Man kann im Aorist von ihm reden, d. h. als von einem
Präteritum, und man kann im Perfektum von ihm reden, d. h. als von einer
Gegenwart. Dadurch daß Jesus gekommen ist, ist er da. Aber dies perfek-
tische Präsens seines Da-seins wird vom Unglauben zum Präteritum des
Vergangenseins, des Vorhandenseins in der Vergangenheit, gemacht" und
darin als eschatologisches Ereignis verstellt. 23 BULTMANN ist weit davon
entfernt - das darf nicht übersehen werden - , die Frage nach dem histori-
schen Jesus gänzlich zu sistieren. Er behandelt sie nur in einer Perspekti-
ve, die ich als halbseitigen Konstruktivismus bezeichnen möchte. Einer-
seits nutzt BULTMANN die Doppeldeutigkeit des Wortes .Faktum' und
unterstellt, daß das, was faktisch war, stets nur als das zugänglich ist, wo-
zu es gemacht wurde, indem es in bestimmter Weise verstanden wird.
Aber diese Unterstellung geht einseitig zu Lasten des Unglaubens, denn
nur er ist es, der durch die Art seiner Betrachtung die Dinge zu dem
macht, was sie für ihn sind. Dafür zahlt der Unglaube zugleich den Preis
des existential unangemessenen Verstehens. Dagegen gehört es zur Ei-
gentlichkeit, die Sache unverstellt als das zu nehmen, was sie ist: als Got-
tes Offenbarung, als eschatologisches Ereignis, als Heil etc. Die Positi-
vismuskritik kann das vermeintliche Faktum als Resultat subjektiver
Konstruktion dechiffrieren, gerade weil die Ontologie der Eigentlichkeit
vor den Konsequenzen dieser Operation sichert. D e r Realismus der prä-
sentischen Eschatologie vermeidet einen Ubergang zu dem M o t t o ,wenn
nichts reines Faktum sein kann, dann ist alles Interpretation'.
Die Kategorien Ereignis und Erzählung lassen sich vor diesem Hinter-
grund in Stellung bringen, um BULTMANNS Bearbeitung der Frage nach
dem historischen Jesus zu charakterisieren. Von .Ereignis' wird in einem

22 Theologische Enzyklopädie, hg. v. E. JÜNGEL U. K. W. MÜLLER, Tübingen 1984, 95.


23 Die Eschatologie des Johannes-Evangeliums, in: ders., Glaube und Verstehen. Ge-
sammelte Aufsätze, Bd. I, Tübingen 2 1954, 134-152 (146).

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doppelten Sinn, historisch und eschatologisch, gesprochen. Es entscheidet


sich am Standpunkt des Betrachters bzw. an der Involvierung dessen, der
ein bloßer Betrachter nicht bleiben kann, ob es sich nur um das eine oder
zugleich auch um das andere handelt. Dieser doppelte Ereignisbegriff
entlastet die Kategorie der Erzählung. Unter sie fällt alles, was als
menschliche Antwort auf das Ereignis zu gelten hat. Insofern ist die Er-
zählung von Haus aus Mythos, eine verendlichende Darstellung dessen,
was sich eschatologisch ereignet hat. Die beiden Seiten unserer Leitunter-
scheidung .Ereignis und Erzählung' verhalten sich umgekehrt proportio-
nal zueinander. J e mehr das eschatologische Bewußtsein sich verge-
schichtlicht, desto kräftiger schießt die Narrativität ins Kraut. Jeder
Gewinn an produktiver Einbildungskraft, an menschlicher Erzählung
schwächt das eschatologische Selbstverständnis. U m so reiner dieses je-
doch am paradoxen Ereignis festhält, desto vollständiger kann es alle hi-
storischen Erzählungen beiseite setzen. Die einzige Bedingung, die erfüllt
sein muß, um unter der fingierenden Kraft der Gemeindeproduktion an
der Differenz von Wahrheit und Fiktion festzuhalten, liegt im Ereignis,
im bloßen D a ß des Gekommenseins. Kraft der Faktizität, der Ereignis-
haftigkeit, bleibt die Auffassung ausgeschlossen, im Christentum hänge
alles an der Idee, „es mag mit der Geschichte stehen wie es wolle". 24
Auf diese Grundstruktur der Theologie BULTMANNS fällt ein prägnan-
tes Licht, wenn HANS BLUMENBERG schon 1954 ihr methodologisches
Problem als das Problem eines Historikers beschreibt, „der historische
Gestalt nicht wahrnimmt, weil er sie nicht wahrnehmen darf" 25 . Dieses
Urteil hat BLUMENBERG 1988 noch einmal verschärft, wenn er unter dem
Titel „Der Urschrei" erneut analysiert, wie die „Gestalt des Jesus von N a -
zareth" bei BULTMANN ZU stehen kommt. BULTMANN habe „nicht ohne
Weisheit und Witz" 2 6 die „Schlußabrechnung" der historischen Kritik
vollzogen in dem „Bewußtsein, daß das .Kerygma' nur im Maße gewinnt,
wie der kontingente Text verliert" 27 . BULTMANNS Christologie erscheint
bei BLUMENBERG als ein Reduktionismus, der von der Vielzahl der Worte
Jesu „nichts anderes als das genuine Ich bin es" übriglasse. Verdichtet wird
die Diagnose eines solchen Gefälles in einer Sichtung der Auslegung der
Kreuzigungsszene, und zwar im Verhältnis zu dem, was Haydn und Bach
musikalisch riskiert haben, als der eine zwischen 1785 und 1787 sich den
letzten Worten Jesu durch eine rein instrumentale, dann zu einem

24 Zur Formulierung KANTS vgl. H . BLUMENBERG, Marginalien zur theologischen Logik


Rudolf Bultmann, P h R 2 , Tübingen 1 9 5 4 / 5 5 , 1 2 1 - 1 4 0 (139).
25 A. a. O., 140.
26 H . BLUMENBERG, Matthäuspassion, Frankfurt a. M. 1988, 217.
27 A. a. O., 218.

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Streichquartett vollendete Komposition näherte, der andere aber in der


Matthäuspassion im Blick auf den Schrei und den anschließenden Ruf:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" seine Darstel-
lungsform fand. Im Vergleich mit der Musik notiert BLUMENBERG, daß
sich BULTMANNS theologisches und hermeneutisches Programm darin
vollende, die Anrufung Gottes als „sekundäre Interpretation des wortlo-
sen Schreis Jesu" zu deuten. Die dogmatische Figur der reductio in nihi-
lum, einem Nichts, aus dem Gottes Wort selbst und allein alles neu
schaffen kann, schlage auf das exegetische Verfahren durch, das kein Wort
Jesu als historisch erhalten kann, „nicht einmal das furchtbarste" 28 . Das
bloße Daß des Sich-ereignet-Habens, das reine Ereignis des Schreis, also
der Urschrei als Ereignis, müssen genügen.
An dieser Analyse interessiert mich hier nur BLUMENBERGS Fazit. Es
lautet: „Die Reduktion auf dessen [sc. des Kerygmas] harten unartiku-
lierten Kern zerstört die Möglichkeit seiner Rezeption". Bach - nach
BULTMANN gedacht - „wäre zur musikalischen Ohnmacht und zum Ver-
stummen verurteilt gewesen. Bultmann nach Bach ist nur eine Marginalie
zu einer Geschichte, die unabhängig von ihrer kritischen Stichhaltigkeit
unzerstörbar geworden ist" 29 . Das Verhältnis von Theologie und Ästhetik,
das sich in diesem Fazit auftut, kann hier nicht weiter verfolgt werden.
Für unseren Zusammenhang muß der Hinweis auf die methodologische
Kategorie genügen, die über das von BULTMANN aufgespannte Verhältnis
von Ereignis und Erzählung hinausführt: auf die Kategorie der Rezeption.
Sie führt auf das Problem zurück, das BULTMANNS begrifflicher Rahmen
zugunsten des Evangeliums, aber zu Lasten der Evangelien gelöst hatte:
das Problem der Erzählung.

III. Historie und Erzählung bei Ricoeur

Wie sich das Verhältnis von Ereignis und Erzählung wandelt, wenn das
Phänomen der Rezeption eine konstitutive Rolle erhält, sei im folgenden
mit einigen Hinweisen auf PAUL R I C Œ U R S dreibändiges Werk Zeit und
Erzählung angedeutet. Es handelt sich in ihm um einen Brückenschlag
zwischen Geschichtsschreibung, Literaturkritik und Phänomenologie, der
in Nachbarschaft zu dem 1975 erschienenen Buch La métaphore vive

28 A. a. O., 220.
" A . a . O . , 221. BLUMENBERG, der 1954 „Marginalien zu [ . . . ] Bultmann" beisteuern
wollte, erklärt nun den Autor selbst für marginal. Freilich: für ihn war BULTMANN es
zweifelsohne nicht.

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Erzählung und Ereignis 79

steht. Aus diesem weitverzweigten Anregungsmaterial möchte ich ein


Thema herausgreifen und als roten Faden eigener Suchbewegungen nut-
zen. Mein Ausgangspunkt ist dabei RICŒURS Hinweis auf die aristoteli-
sche Theorie der Tragödie als Beispiel für einen Primat der Handlung. Die
unserem biographischen Interesse eigentümliche Konzentration auf das
Innenleben der Personen, auf das Private bzw. Intime und vor allem auf
das Selbstverständnis ist dort (noch) nicht maßgeblich, wo sich jede Dar-
stellung allein um die Nachahmung der Handlung dreht. N u r in ihr und
durch sie kommt die Erkenntnis der Handelnden zustande. 30 Will man al-
so beschreiben, wie einer war oder ist, so muß man von seinen Handlun-
gen erzählen. 31 Folglich unterliegt die Darstellung der Person der Logik
der Handlungsbeschreibung.
N u n lassen sich Handlungen nur identifizieren, indem man die Verän-
derung von Weltzuständen unter der Einheit von Zweckbegriffen zu-
sammenfaßt. Dies gelingt jedoch, wie die seit MACINTYRE32 einschlägige
Antwort auf die Frage ,was tut der Nachbar im Garten?' zeigt, nur inner-
halb von kulturell eingespielten Voraussetzungen: .Umgraben', ,den Bo-
den auf die Aussaat vorbereiten', .sich Bewegung verschaffen', .einen
Schatz suchen' oder .seiner Frau einen Gefallen tun' sind divergente Be-
schreibungen, die mit den Zwecken, Institutionen und narrativen Plots
variieren, die eine kulturelle Lebensform zur Verfügung stellt. Wie zwei
Wahrnehmungszustände in KANTS Erkenntnislehre erst unter den Kate-
gorien des Verstandes zur Einheit einer Erfahrung synthetisiert werden,
so verlangt die Identifikation dessen, was sich in Nachbars Garten ereig-
net, einer Zusammenhang stiftenden Erzählung. Die Variationsmöglich-
keiten, die sich dabei auftun, sind stets ein Ausdruck der Lebensformen
und kulturellen Symbolsysteme des Handelnden und des Betrachters. 33
Die raumzeitlich lokalisierbare Zustandsänderung (elementar: eine Kör-
perbewegung zur Exekution eines getroffenen Entschlusses) gehört zwar
zur Handlung, erlaubt aber von sich aus noch keine definitive Beschrei-
bung. Deshalb müssen wir die kulturelle Situation spezifizieren, um zu
erklären, warum wir mit ein und derselben Armbewegung einen Beitrag
zur Diskussion ankündigen, ein Taxi anhalten oder eine politische Ent-
scheidung treffen können. Eine solche Streubreite möglicher Beschrei-
bungen besagt aber nicht, daß beliebige Identifikationen zwischen Ereig-

30 RICCEUR, a. a. O.. Bd. I, 58.


31 A. a. O.. 64f.
32 A. MACINTYRE, After Virtue. A Study in Moral Theory, London 1981 (deutsch: Der

Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt a. M. [u. a.]
1987), 192.
33 Vgl. RICŒUR, a. a. O., Bd. I, 95.

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80 Michael Moxter

nis und Erzählung möglich wären. Sie besagt nur, daß Ereignisse im
Kontext von Erzählungen identifiziert werden, weshalb sich die generelle
These, nach der Erkenntnis die Wirklichkeit nicht einfach kopiert, hier
spezifisch zuspitzt.
Die Nachahmung der Handlung durch die Erzählung nennt R I C C E U R
deshalb eine schöpferische Nachahmung.34 Dieser paradox erscheinende
Begriff vereinigt zwei Seiten unter der Voraussetzung, daß eine Handlung
nur mit Bezug auf die Kontexte ihrer Darstellbarkeit gegeben ist. Das
Leitmotiv .Zeit und Erzählung' klingt dabei in R I C C E U R S Gedanken an, die
Erzählung als Vergegenwärtigung einer Handlung sei eine Repräsentation,
die deren présence nicht wiederholen oder wie in einem Spiegel verdoppeln
kann. Die Zeit der Handlung mündet nicht in die Zeit der Erzählung wie
der Fluß ins Meer. Weil es kein natürliches Gefälle zwischen Ereignis und
Erzählung gibt, bedarf es eines konstruktiven Beitrags, der in der Erzäh-
lung liegt und aus der Zeiterfahrung resultiert." Diese ist schon insofern
Vollzug einer Interferenz, als Vergangenheit nur im Horizont der Ge-
genwart erinnert werden kann. Am deutlichsten zeigt sich das daran, daß
die Erzählung im nachhinein auf etwas zurückkommt, was sich gerade
ohne Wissen um den Ausgang zugetragen hat. Schon aufgrund ihrer zeit-
lichen Distanz ist die Erzählung gegenüber dem Ereignis überschüssig.
Zugleich jedoch muß der Begriff einer schöpferischen Nachahmung,
die sich auf Ereignisse bezieht, von der Freiheit schöpferischer Phantasie
unterschieden werden. Um diese Differenz zu befestigen, greift R I C C E U R
auf seine Theorie der Metapher zurück, handele es sich doch bei der le-
bendigen Metapher ebenfalls um das Phänomen einer Suspension wörtli-
chen Sinns und direkter Referenz, ohne daß durch sie Wirklichkeits- und
Wahrheitsgehalt ruiniert würde. Die gelungene Metapher steigert viel-
mehr den Wirklichkeitssinn, indem sie ,auf den Trümmern' der Beschrei-
bung eine unmittelbar gar nicht zugängliche Wirklichkeit eröffnet. 36 Ent-
sprechend kann von Ereignissen nur erzählt werden, indem diese in den
Horizont dessen gestellt werden, was hätte sein können. Dieser Horizont
der Möglichkeiten, aber auch der Schluß, den die Erzählung den Ereignis-
sen verschafft, konfiguriert das Geschehene neu. So lebt die Erzählung
von dem Spannungsbogen, den sie aufbaut, indem ihr Schluß ebenso un-
vorhersehbar-überraschend kommt, wie er gleichwohl im Lichte des Er-
zählten annehmbar sein muß. Die Refiguration der Erzählung hält sich

34 A. a. O., 77.
35 Vgl. U . BARTH, Die Christologie Emanuel Hirschs. Eine systematische und problem-
geschichtliche Darstellung ihrer geschichtsmethodologischen, erkenntniskritischen
und subjektivitätstheoretischen Grundlagen, Berlin/New York, 1992, 196f.
36 RICCEUR, a. a. O . , B d . I, 9 .

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Erzählung und Ereignis 81

folglich schon deshalb im Zusammenhang der Gegenwart, weil man weder


das Wahrscheinliche noch das Annehmbare von der kulturellen Form des
jeweils als selbstverständlich Geltenden ablösen kann. Man muß mithin
die Geschichte von Zeit zu Zeit umschreiben, „weil der Genösse einer
fortschreitenden Zeit auf Standpunkte geführt wird, von welchen sich das
Vergangene auf neue Weise überschauen und beurteilen läßt" 37 .
Solche Transformationsleistungen sind nicht erst ein Resultat hinzu-
gewonnenen oder veränderten Wissens, sondern eine Konsequenz der
Eigenart des Erzählens. Erzählungen sind wiederholungstauglich und
-anfällig, so daß ihre Rezeption sich mit der Dynamik des Wiedererzäh-
lens vermitteln kann. Die Kreativität der nachahmenden Erzählung kann
sich im Prozeß der Rezeption und des Wiedererzählens verstärken. Die
Differenz zwischen Ereignis und Erzählung unterliegt auch deshalb nicht
allein der Logik der Abbildung. Diese Eigenart des Rezeptionsprozesses
kann man sich am gottesdienstlichen Gebrauch der biblischen Texte
klarmachen, der den Wiedereintritt der erzählten Zeit in die Zeit der Re-
zeption prägnant zum Zuge bringt.
In Erzählungen kombinieren sich nach RICOEUR zwei unterschiedliche
Ebenen: eine episodische Dimension, gemäß der die Ereignisse nachein-
ander erfolgen, und eine konfigurierende Dimension, die in der verwan-
delnden Kraft der Erzählung besteht. 38 RICŒUR parallelisiert - wie schon
zweimal angedeutet - den Aufbau der jeweils einschlägigen Wirklichkeit
mit dem Verfahren der kantischen Synthesis, da diese ebenfalls nicht ein-
fach Wahrnehmungsdaten abbildet bzw. ein Subjekt mit einem Prädikat
verknüpft, sondern ein Mannigfaltiges der Anschauung unter die Regel
eines Begriffs bringt. 39 Dabei interessiert die - wie vieles andere im Modus
der Andeutung verbleibende - Bemerkung: „ N o c h größer ist die Ver-
wandtschaft zur reflektierenden Urteilskraft". Man darf dies als Hinweis
darauf verstehen, daß durch die Erzählung etwas als bestimmt angesehen
wird, ohne daß diese Bestimmung aus einer allgemeinen Regel hergeleitet
werden könnte, die notwendig jedermanns Zustimmung erhält. Es ist die
Eigenart der reflektierenden Urteilskraft, Zustimmung nur anzusinnen,
die Subjekte aber hinsichtlich des Urteils selbst frei lassen zu müssen bzw.
zu können. D e m entspricht RICŒURS Begriff des Mitvollzugs einer Ge-
schichte, der ein weiterer Platzhalter für das Phänomen der Rezeption ist
und erneut deutlich macht, daß die Erzählung nicht ausschließlich nach

37 S o J O H A N N W O L F G A N G V. G O E T H E , M a t e r i a l i e n z u r G e s c h i c h t e d e r F a r b e n l e h r e , i n :
Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 14, Hamburg 1960, 93.
38 RICŒUR, a. a. O., Bd. 1,107.

39 Ebd.

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82 Michael Moxter

der Logik einer Ereignis fundierten Abbildung funktioniert40: „Eine Ge-


schichte mitvollziehen heißt, inmitten von Kontingenzen und Peripetien
unter der Anleitung einer Erwartung voranzuschreiten, die ihre Erfüllung
im Schluß findet. Dieser Schluß ist nicht im logischen Sinne in vorausge-
henden Prämissen enthalten. Er gibt der Geschichte einen .Schlußpunkt',
der wiederum den Gesichtspunkt beibringt, von dem aus die Geschichte
als ein Ganzes wahrnehmbar wird. Die Geschichte verstehen heißt zu ver-
stehen, wie und warum die einander folgenden Episoden zu diesem
Schluß geführt haben, der keineswegs vorhersehbar war, doch letztlich als
annehmbar, als mit den zusammengestellten Episoden kongruent erschei-
nen muß"41. Im Unterschied zum logischen Schluß ergibt sich das Fazit
nicht aus einer allgemeinen Regel und der unter sie subsumierten Voraus-
setzung. Natürlich zeigt sich daran die dem Handeln eigentümliche Kon-
tingenz, die nach H E R M A N N L Ü B B E und vor allem nach H A N N A H A R E N D T
allererst eine Geschichte ausmacht.42 Mag das Herstellen zielkonsequent
den gefaßten Plan umsetzen, so weicht von solcher Technik die ge-
schichtliche Welt ab, weil in ihr die Handlungen eines Subjektes Teil eines
Bezugsgewebes sind, in das auch andere ihre Fäden einschlagen. Nur als
Gemisch von Zielabsicht und Widerfahrnis, von Erfolg und Scheitern,
gibt es Geschichte - und nur so etwas zu erzählen. Der rote Faden der
Erzählung wird also erst post festum geknüpft.
Soweit die Phänomenologie der Erzählung. Ist sie triftig, so ist mit ihr
eine ontologische und eine epistemologische Enttäuschung verbunden.
Erstere spricht sich in dem Urteil aus: „Es gibt keine historische Wirklich-
keit, die vor der Wissenschaft fertig existierte und einfach getreulich ab-
zubilden wäre"43. Letztere räumt ein, daß uns keine fundierte allgemeine
Gesetzmäßigkeit zur Verfügung steht, deren Anwendung auf Ereignisse
Geschichte erklären könnte. Beide Enttäuschungen sind aus ein und dem-
selben Grunde zumutbar - weil sie gerade Ausdruck der Eigenart histo-
rischer Wirklichkeit sind. Um diese Uberzeugung zur Geltung zu brin-
gen, muß der kategoriale Vorsprung der Erzählung vor dem Ereignis mit
dem Problem der Referenz von Erzählungen verbunden werden. Das
historische Bewußtsein weiß, daß nur für es so etwas wie Geschichte ge-
geben ist. Gerade darin aber weiß es sich als fundiert. Zugleich stehen Er-

40 Wie das kantische Geschmacksurteil: vgl. Kritik der Urteilskraft A 62.


41 RICŒUR, a. a. O., Bd. I, 108; vgl. 225.
" V g l . H. ARENDT, The Human Condition, Chicago 1958 (deutsch: Vita activa oder
Vom tätigen Leben, München, Neuausgabe 1981, 175); H. LÜBBE, Geschichtsbegriff
und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie, Basel/Stuttgart 1977,
58f.
43 R. ARON, zitiert nach RICŒUR, a. a. O., Bd. 1,144.

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Erzählung und Ereignis 83

zählungen immer im Verhältnis zu anderen Erzählungen und zu den Sinn-


unterstellungen einer Lebenswelt, wenn sie auf Ereignisse referieren.
RICOEUR beschreibt diese doppelte Referenz in phänomenologischer
Tradition als Ineinander von Referenz und Horizont. Im Blick auf die
Zeitlichkeit der menschlichen Erfahrungen und aller Erzählungen könnte
man auch sagen: Er beschreibt sie als Verschlingung von Retention und
Protention, von noch innehabender Erinnerung und schon vorauseilender
Antizipation; eine Verschlingung, ohne die kein Bewußtsein einen inten-
tionalen Gehalt haben könnte. So gewiß das menschliche Zeitbewußtsein
nicht punktuell, sondern fließend, also Bewußtseinsstrom ist, so gewiß
gibt es kein isoliertes Ereignis - jedenfalls keines, an das man sich erin-
nern könnte.
Für unseren Kontext ließe sich die Verschlingung der historischen In-
tentionalität mit den Horizonten gegenwärtiger Erfahrung an den Ein-
sichten der Redaktionskritik verdeutlichen. Auch nach ihr gilt ja, daß wir
noch das synoptisch Identische stets nur im Kontext spezifischer theolo-
gischer Prägungen zu Gesicht bekommen. Die von Markus, Lukas und
Matthäus erzeugten Prägnanzen gestatten es nicht, den ursprünglichen
Stoff, gleichsam das Metall der Wirklichkeit, und die prägende Form zu
separieren/ 4 Die Wirklichkeit läßt sich nicht darstellen, ohne von Bedeut-
samkeitsüberschüssen bereits Gebrauch zu machen.
Der Gesichtspunkt, der damit zur Geltung gebracht wird, ist gewiß
nicht neu. Daß es nur für den Handelnden und nicht für die Position des
simultanen äußeren Beobachters Geschichte gibt und daß die historischen
Wissenschaften deshalb nicht nach Maßgabe rein theoretischer Wissen-
schaft analysiert werden können, war bereits ein zentraler Gesichtspunkt
im sogenannten Positivismusstreit der deutschen Soziologie, den J Ü R G E N
H A B E R M A S 1967 unter dem Titel „Zur Logik der Sozialwissenschaften"
ausführlich diskutiert hat. Nur lauteten die Leitworte, unter denen damals
das Ungenügen einer auf bloß empirische Beobachtung beschränkten
Chronistik behauptet wurde, „Praxis" bzw. „Interesse". Und erwiesen
werden sollte das Desiderat einer Geschichtsphilosophie. 45 Auch H A N S -
G E O R G GADAMERS Rede von der Rehabilitierung des Vorurteils 46 könnte

44 Diese Anlehnung an eine Formulierung ERNST CASSIRERS ist sachgemäß, insofern es


auch an dieser Stelle um eine Reflexion auf symbolische Formen geht; vgl. Zur Meta-
physik der symbolischen Formen, E C N 1, Hamburger Ausgabe, hg. v. J. M. K o l s u.
O . SCHWEMMER, Hamburg 1995, 3 - 1 0 9 (49).
45 Vgl. J. HABERMAS, Zur Logik der Sozialwissenschaften. Ein Literaturbericht (1967), in:
ders., Zur Logik der Sozialwissenschaften. Materialien, Frankfurt a. M. 4 1977, 270ff.
44 H . - G . GADAMER, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Herme-
neutik [1960] ( = Gesammelte Werke, Bd. I), Tübingen 1990, 281ff.

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84 Michael Moxter

herangezogen werden, um deutlich zu machen, daß sich unsere Überle-


gungen in einer vertrauten Schleife bewegen.
Freilich: die theologische Hermeneutik wird sich nicht in kurzschlüs-
siger Anlehnung an diese Theoriehorizonte damit begnügen können, ihre
vom historischen Positivismus abweichende methodische Einstellung al-
lein durch den Begriff des Interesses auszuweisen. Denn die Zurückwei-
sung einer vermeintlich interesselosen Erkenntnis reicht nicht hin, um in
der Umkehrung Interessen schon deshalb für gerechtfertigt zu halten,
weil es die eigenen sind. Sowohl das Interesse der kirchlichen Verkündi-
gung wie das Interesse an befreiender gesellschaftlicher Praxis sind nicht
dadurch gerechtfertigt, daß es ohne standpunktbezogene, also interesse-
geleitete Konstitution nun einmal kein Verstehen gibt. Jedes andere In-
teresse täte es auch. Weil der Begriff der Rezeption größere Widerstände
gegenüber der Hemmungslosigkeit der Interpretation in die Verste-
hensprozesse einbaut, weil dieser Begriff den Vorsprung des Rezipierten
stets mit zum Ausdruck bringt, dürfte er geeigneter sein, um die Diskus-
sion voranzubringen. Das gilt freilich nur, wenn es gelingt, beide Seiten
unserer Leitunterscheidung gleichermaßen zur Geltung zu bringen. Die
produktive Kraft der die Geschichte stets refigurierenden Erzählung wur-
de in unseren Überlegungen zwar als privilegierte Seite der Unterschei-
dung präsentiert. Wenn aber Beliebigkeit vermieden werden soll, so muß
die Kategorie des Ereignisses auch auf dieser Seite wieder eingeführt wer-
den. Dies geschieht zunächst durch RICŒURS Hinweis, daß die beständige
Betonung des Zusammenhanges zwischen Historie und Narrativität nicht
als Plädoyer für eine narrative Geschichtswissenschaft gemeint sei. Die
Arbeit des Historikers konvergiert nicht mit der Tätigkeit eines Ge-
schichtenerzählers, der die Taten und Erlebnisse nachzeichnet, die sich
mit den großen oder kleinen Namen der Christentumsgeschichte verbin-
den. Von Individuen zu erzählen, statt Traditions- und Sozialgeschichte
zu treiben, oder Epochenschwellen zu beschreiben, liegt nicht auf der Li-
nie des RiCŒURSchen Argumentes: „nicht alles, was man Sinnvolles über
die Geschichte sagt, [hat] unbedingt narrativen Charakter". 47
Auch liefe ein einseitiges Gefälle zugunsten der Erzählung darauf hin-
aus, daß entscheidende Veränderungen der refigurierenden Kraft zum ei-
gentlichen historischen Ereignis würden. Um dies zu vermeiden, muß die
als refigurierend begriffene historische Erzählung auf das Ereignis als auf
ihr Anderes bezogen bleiben. Das historische Bewußtsein konstituiert
sich eben nicht als ein höherer Fall der Erzählung, sondern durch kriti-

RICCEUR, a. a. O . , B d . I , 2 1 7 .

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Erzählung und Ereignis 85

sehe Suspension der umlaufenden Erzählungen.48 Deshalb kann der Hin-


weis auf die Unhintergehbarkeit des narrativen Moments nicht als der
Vorschlag gelesen werden, sich beispielsweise mit den biblischen Erzäh-
lungen zu begnügen. Es kann nicht ratsam sein, die Phänomenologie der
Geschichte anders entfalten zu wollen denn als eine kritische Phänome-
nologie, die einer Theorie der Geschichtswissenschaft zuarbeitet.
RICCEUR versucht dem gerecht zu werden, indem er das Phänomen
narrativer Rede im Blick auf die Differenz von Fiktionserzählung und Ge-
schichtsschreibung spezifiziert. 4 ' Diese ergibt sich aus einer prinzipiellen
Asymmetrie der jeweiligen Referenzmodi: „Nur die Geschichtsschrei-
bung kann eine Referenz in Anspruch nehmen, die ihren Ort in der Em-
pirie hat, soweit die historische Intentionalität auf Ereignisse geht, die
tatsächlich stattgefunden haben."50 Es entsteht mithin die Aufgabe, die hi-
storische Referenz zurückzugewinnen, ohne die These von der Konfigu-
ration durch Erzählung aufzulösen.51 Für dieses Problem steht der Begriff
der ,Re-Konstruktion', der einerseits im Begriffsmoment .Konstruktion'
gleichsam den Eigenanteil des Subjektes im Aufbau der Wirklichkeit ein-
räumt, andererseits aber durch die Vorsilbe den Kredit andeutet, den die
historische Arbeit ihrem Gegenstand schuldet. Daß sich die unhintergeh-
bare Konstruktion angemessener, adäquater, als konkurrierende Entwürfe
darstellt, ist ein Anspruch, ohne den der Sinn der historischen Arbeit
kollabiert. Man kann beobachten, daß und wie RICOEUR dieses Problem in
immer neuen Varianten rekapituliert: als wechselseitiges Geben und
Nehmen zwischen Geschichtsschreibung und Fiktionserzählung, als
überkreuzte Referenz, an späterer Stelle auch als überkreuzte Refigura-
tion52. Von einer Lösung des Problems wird man wohl nicht sprechen
können, eher von einer Strategie der Problemverschiebung, die mit dem
Bedarf gleichzeitiger Abgrenzung nach zwei Seiten zusammenfällt: einer-
seits gegen eine positivistische Geschichtsschreibung, die den Anteil der
Fiktion an der ihr eigentümlichen Referenz verkennt. Zugleich aber ande-
rerseits als Abgrenzung gegen eine Literaturwissenschaft, die ihrem Ge-
genstand jede Referenz abspricht.
Um den Platzhalter der Wirklichkeit in der Erzählung, um ihren Bezug
auf Ereignisse zu markieren, spricht RICCEUR von Repräsentation,

48 RICCEUR b e t o n t d i e s a. a. O . , 2 2 8 .
49 A. a. O., 128.
50 A. a. O., 129.

51 Das Problem ist eine Spielart der Frage, wie man das Wahrheitsmoment des Realismus

wiedergewinnen kann, nachdem man einen naiven Realismus ontologischer Abbildung


verabschiedet hat.
52 Zum Wechsel der Terminologie vgl. RICCEUR, a. a. O., Bd. III, 162.

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86 Michael Moxter

manchmal auch in Anspielung auf einen psychoanalytischen Begriff


FREUDS von Repräsentanz. Gedacht ist an einen gleichsam untergründig
mitspielenden Gegenhalt. Sowenig sich die das Unbewußte auszeichnende
Triebkraft naturalistisch identifizieren läßt, sowenig besteht ein Verhält-
nis direkter Abbildung zwischen Ereignis und Erzählung. Sosehr aber an-
dererseits sich der Trieb in den Umbesetzungen und Verstellungen be-
merkbar macht, die sich allein im Bewußtsein zeigen53, kann gleichsam
von einem Druck gesprochen werden, den die vergangenen Ereignisse auf
die Erzählung ausüben. Die Begriffe der Repräsentation bzw. Repräsen-
tanz stehen also für ein Darstellungsverhältnis, bei dem sich etwas als
mitgesetzt bemerkbar macht, obwohl es nicht direkt angezeigt werden
kann. Repräsentation ist insofern eine Platzhalterfunktion für etwas, das
„die historische Intentionalität [mitbestimmt], indem es ihr eine realisti-
sche Note verleiht" 54 .
Um dieses eigentümliche Repräsentationsverhältnis von den traditio-
nellen Begriffe der Quelle, des Dokumentes und des Monumentes zu
unterscheiden, spricht RICOEUR von ,Spur' und nennt er die spezifische
Referenz der Geschichtserzählung .Spurenreferenz'. Es handelt sich bei
dieser Terminologie natürlich um eine Anleihe bei LÉVINAS, durch die die
phänomenologische Option auf die Reflexion der Geschichtswissenschaft
einwirkt. ,Spur' ist eine Metapher für eine Repräsentationsform, die sich
von einer als Gleichschaltung mit Präsenz entworfenen Metaphysik ab-
hebt. Die Spur ist Zeichen für etwas, das sich der Anwesenheit entzogen
hat, das vorübergegangen ist, und gerade so entdeckt werden kann. Im
Modus der Zeit ist die Spur also zunächst und elementar eine Transzen-
denzmetapher. Sie wird als Zeichen gelesen, obwohl sie nicht als etwas
gedacht sein soll, das absichtlich gelegt wurde und so Resultat einer In-
tention wäre. Die Spur bleibt nur zurück, sie ist eine unfreiwillige Hin-
terlassenschaft. In dieser Negativität steht sie für ein Anderes, das sich
nicht direkt, sondern nur in der Brechung zeigt. Die Präsenz des Anderen
kann sich nur in diesem Medium bemerkbar machen, denn ginge es in den
vertrauten und wohldefinierten Zeichensystemen auf, so wäre es nur ein
domestiziertes Anderes, dem der Stachel des Fremden 55 gezogen wäre.
Nur in der Störung, nur in der Unordnung, die am Ort der Identifikatio-
nen entsteht, erscheint Andersheit als sie selbst. Darin darf man den ent-
scheidenden Gesichtspunkt erkennen, der die Sprengmetapher ,Spur' im
Zeichensystem auszeichnet. RICCEUR macht diesen Platzhalter phänome-

53 Vgl. M. MOXTER, Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie,
Tübingen 2000, 347.
M RICŒUR, a. a. O . , Bd. 1,129.
55 U m einen Titel von B. WALDENFELS auszuleihen.

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Erzählung und Ereignis 87

nologischen Differenzbewußtseins für die kritische Reflexion der histori-


schen Wissenschaft fruchtbar, indem er der Spur einen Vorrang vor dem
Zeugnis zuerkennt. Dieser Vorrang rechtfertigt sich daraus, daß sie nicht
nur Zeichen, sondern auch Wirkung ist.56 Insofern zwar auch die Spur ge-
deutet werden muß und also im Modus der Deutung auftritt, bleibt sie
Zeichen, fällt sie immer schon in den Horizont der Interpretation. Inso-
fern sie aber Wirkung ist, markiert sie im Zeichensystem die Unverfüg-
barkeit des Ereignisses. Die Spur macht sich in, gegen und unter den Zei-
chen bemerkbar und zwar darin, daß sie die Ordnung durcheinander
bringt.
Mit diesem Modell einer indirekten Darstellung scheint mir der Begriff
des Spielraumes der historischen Repräsentation insoweit erläutert zu
sein, daß die Arbeit an der Frage nach dem historischen Jesu zu einem an-
gemessenen Selbstverständnis finden kann. Sie gewinnt ihren Boden
durch eine doppelte Grenzziehung. Nie kann sie die rekonfigurierende,
neu gestaltende Dynamik der Erzählungen überschreiten, die sich der
kulturell eingefärbten Imagination unserer Interpretation bedient. Ande-
rerseits aber bleibt sie begrenzt durch eine historische Wirklichkeit, die
sich zwar nicht direkt kennzeichnen läßt, sich aber als Widerstand gegen
die Interpretation bemerkbar macht. Konstruktive Perspektiven sind un-
vermeidbar, aber sie werden durch die Dimension dessen, was wir Ereig-
nisse nennen, polarisiert und irritiert. Zwar kann auch der Historiker der
Phantasie nicht entkommen, aber seine Arbeit an den Quellen und Texten
durchsetzt sie mit gesteigerter und methodisch kontrollierter Störanfäl-
ligkeit.
Gehört der so umrissene Spielraum zur historischen Arbeit selbst,
dann fällt auch Licht auf die Unterscheidung von historischer und dog-
matischer Methode. So wenig der Aufbau beispielsweise einer Christolo-
gie durch direkten Rekurs auf die neutestamentlichen Texte oder gar das
ihnen zugrundeliegende Kerygma als verläßlich oder sachgemäß ausge-
wiesen werden kann, so sehr bleibt gerade die historische Interpretation
der Quellen von den systematischen Horizonten unserer Zeichenordnun-
gen und unseres Selbstbewußtseins abhängig. Und so sehr sich anderer-
seits die Christologie als sachgemäße Auslegung auch des historisch zu
rekonstruierenden Lebens Jesu verstehen muß, so wenig kann sie die Er-
fahrung leugnen, von Zeit zu Zeit durch neue historische Einsicht zum
Umbau gezwungen zu sein.
Insoweit wurde das vor hundert Jahren von WREDE gestellte Problem
nicht gelöst, sondern nur beobachtet, wie sich die grundlegende Differenz

56 RICŒUR, a. a. O . , B d . I I I , 193.

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88 Michael Moxter

von Ereignis und Erzählung iteriert und wie sie mit größerer Umsicht
angewandt wird. O f f e n b a r sind sowohl die D i f f e r e n z von historischer und
dogmatischer Frage wie auch die (anders gelagerte) Unterscheidung von
Ereignis und Erzählung unhintergehbar. Gerade deshalb aber sind wir
skeptischer gegenüber dem aufklärerischen A u f r u f geworden, endlich die
Höhle der dogmatischen Jesusbilder zu verlassen und uns der Sache selbst
zuzuwenden. D o c h auch in der unhintergehbaren Abhängigkeit von ge-
gebenen Bildern verliert sich nicht die kritische Urteilskraft, die zwischen
den verschiedenen Entwürfen, die uns heute als Darstellungen Jesu ange-
boten werden, zu unterscheiden lernt. Ihre K o m p e t e n z speist sich aus
dem Bewußtsein f ü r den historischen Gegenhalt der Ereignisse in den
Abweichungen und Differenzen der neutestamentlichen Texte. W e n n es
gestattet ist, ein W o r t E R N S T K Ä S E M A N N S ZU variieren, könnte man sagen:
Das Leben Jesu ist nicht der hinter den Evangelien erkennbare G r u n d
ihrer Einheit, sondern der in ihnen repräsentierte Anlaß ihrer Verschie-
denheit. 57

57 Abschließend sei auf die - gerade an den zentralen Pointen - übereinstimmende Be-
handlung des Themas bei J. SCHRÖTER hingewiesen. Vgl. DERS., Die Frage nach dem
historischen Jesus und der Charakter historischer Erkenntnis, in: The Sayings Source
Q and the historical Jesus, hg. v. A . LINDEMANN, Leuven 2 0 0 1 , 2 0 7 - 2 5 4 .

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Der unähnliche Jesus

Eine kritische Evaluierung der Entstehung des Differenzkriteriums


und seiner geschichts- und erkenntnistheoretischen
Voraussetzungen

DAVID S. DU T O I T

I. Einführung

„Schluß mit der methodischen Anarchie!" mahnte HANS CONZELMANN


1959 in einem der Frage der Methodik der Leben-Jesu-Forschung gewid-
meten Aufsatz und forderte, „die generellen Thesen über den historischen
Jesus müssen verifiziert werden".1 In CONZELMANNS Sicht bedeutete dies,
von „jeder Rekonstruktion [sc. des historischen Jesus] den methodischen
Ausweis zu fordern, und zwar den formgeschichtlichen", eine Forderung,
die er in seinem im selben Jahr erschienenen Jesus-Artikel in der dritten
Auflage der R G G wiederholte2. Die Gefahr einer von unkontrollierter
Subjektivität herbeigeführten anarchischen Situation in der Jesusfor-
schung wollte CONZELMANN mit der Forderung nach historischer Verifi-
kation und methodischer Stringenz begrenzen. Dementsprechend präzi-
sierte er seine Forderung dahingehend, daß die Jesusüberlieferung im
Rahmen des formkritischen Ansatzes anhand eines Echtheitskriteriums auf
ihre Authentizität überprüft werden sollte3. Damit nimmt CONZELMANN
ein Grundanliegen von ERNST KÄSEMANN auf, der seine ursprüngliche
Formulierung des Differenzkriteriums 4 als radikal kritische Maßnahme

1 CONZELMANN, M e t h o d e , 8 bzw. 9.
2 CONZELMANN, Methode, 8; DERS., Art. Jesus Christus, 621.
3 „Was kann also als echt (im Sinne des historischen .Faktums') angesehen werden?
[ . . . ] Für die Rekonstruktion der Lehre gilt der methodische Grundsatz: als echt ist
anzusehen, was sich weder in das jüdische Denken einfügt noch in die Anschauungen
der späteren Gemeinde", ebd., 623.
4 „Einigermaßen sicheren Boden haben wir nur in einem einzigen Fall unter den Füßen,
wenn nämlich Tradition aus irgendwelchen Gründen weder aus dem Judentum abge-
leitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann [ . . . ] " , vgl. K Ä S E M A N N , 1 4 4
( = EVB 205). Weitere Verweise auf diesen Aufsatz beziehen sich auf den Nachdruck

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90 David S. du Toit

betrachtete, die dem „Chaos" bzw. einem „bestürzende [n] Durcheinander


von angeblich zuverlässigen Jesusbildern" Einhalt zu gebieten hat, das
entsteht, wenn die Entscheidung über die Zuverlässigkeit der Uberlie-
ferung jeweils der subjektiven Entscheidung des Kritikers überlassen
würde5.
Der erhoffte regulative Effekt ist nicht eingetreten: W. G. KÜMMEL sah
sich schon 1983 gezwungen, in der Jesusforschung „den Eindruck eines
völligen Meinungswirrwarrs"6 beklagen zu müssen, während J . D. CROS-
SAN "the impression of acute scholarly subjectivity in historical Jesus re-
search" moniert 7 . In einem kürzlich veröffentlichten Uberblick über die
Geschichte der Leben-Jesu-Forschung konstatiert J . C. PAGET ebenso ein
"chaos of opinions" und geht (allerdings ohne dies zu betrauern) davon
aus, daß dieser Zustand künftig weiterbestehen wird8. Hinzu kommt, daß
CONZELMANNS klassischer Forderung nach doppelter Unähnlichkeit als
Kriterium für die Echtheit der Jesusüberlieferung - von der man sich ja
erhoffte, daß sie „für alle zukünftige Arbeit Maßstab und Grundlage zu-
gleich sein sollte" 9 - heute radikal anderslautende, ja geradezu entgegen-
gesetzte Formulierungen gegenüberstehen: In ihrem Lehrbuch zum hi-
storischen Jesus vertreten G. THEISSEN und A. MERZ die These, daß
„zuverlässige Kriterien zur Scheidung von echter und unechter Jesusüber-
lieferung" fehlen 10 , während PAGET das Differenzkriterium schlichtweg
als "flawed criterion" bezeichnen kann11. Kompliziert wird die Situation
ferner dadurch, daß solchen eindeutigen Absagen an das Differenzkrite-
rium12 anderslautende Aussagen gegenüberstehen, die sich von einer vor-

( E V B 187ff.). KÄSEMANN fügt eine Präzisierung hinsichtlich des Judenchristentums


hinzu: „ [ . . . ] speziell dann, wenn die Judenchristenheit ihr überkommenes Gut als zu
kühn gemildert oder umgebogen hat".
5 Auch gegenwärtige Vertreter des Differenzkriteriums verknüpfen diese Hoffnung mit
dessen Verwendung, vgl. BECKER, Jesus, 17: Sie diene dazu, „einen willkürlichen
Wechsel der Argumentationsmuster" zu vermeiden und „methodische Konsequenz"
zu sichern.
6 KÜMMEL, Dreißig Jahre Jesusforschung, 539 ( = DERS., Vierzig Jahre Jesusforschung,
695).
7 CROSSAN, Historical Jesus, xxvii-xxviii. Er bezeichnet "that stunning diversity" als
"academic embarrassment" und "something of a scholarly bad joke".
8 PAGET, Quests, 152. Zu den scharfen Differenzen in der Jesusforschung vgl. DU TOIT,
Erneut auf der Suche, 9 1 - 1 3 4 .
' PERRIN, Was lehrte Jesus wirklich?, 36f.
10 THEISSEN/ MERZ, Jesus, 116.
11 PAGET, Quests, 1 3 8 - 1 5 5 , dort 147.
12 So sind THEISSEN/MERZ der Meinung, daß „[f]ür alle Strömungen innerhalb der 'third
quest' [ . . . ] gilt: Die Jesusforschung löst sich eindeutig vom .Differenzkriterium' als
methodische Grundlage der Jesusforschung", THEISSEN/MERZ, Jesus, 29.

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Der unähnliche Jesus 91

sichtigen oder eingeschränkten Bejahung des Differenzkriteriums 1 3 bis


hin zu der Bekräftigung dessen fundamentalen Charakters 14 erstrecken.
Das Differenzkriterium ist also fünfzig Jahre nach seiner erstmaligen
Formulierung als Leitkriterium der Suche nach dem historischen Jesus
wenn nicht in Verruf geraten, so doch zumindest ins Gerede gekommen 1 5 .
Denn es hat einerseits nicht die von seinen frühen Vertretern beabsich-
tigte regulative Wirkung ausgeübt, andererseits wird seine Berechtigung,
in der Jesusforschung als Fundamentalkriterium zu fungieren, inzwischen
sogar prinzipiell in Frage gestellt 16 . Für eine erneute Beschäftigung mit
ihm besteht also mehr als genug Anlaß. In diesem Aufsatz wird nun das
Differenzkriterium einer kritischen Uberprüfung dahingehend unterzo-
gen, daß nach seinen erkenntnis- und geschichtstheoretischen Voraus-
setzungen gefragt wird, um sie anschließend auf ihre Validität hin zu
befragen und von dort aus ansatzweise zu einem Alternatiworschlag zu
gelangen 17 . Der Aufsatz ist also in erster Linie historisch angelegt. Zu-
nächst jedoch wende ich mich der Klärung einiger formaler Aspekte des
Differenzkriteriums zu (II.). Dann wird die Entstehung des doppelten
Differenzkriteriums nachgezeichnet (III.) - vorausgesetzt ist, daß sich die
Voraussetzungen und Implikate des Differenzkriteriums im Rahmen ei-

13 Vgl. z . B . MEIER, Marginal Jew, 171-174: "The Criterion is at once the most prom-
ising and the most troublesome"; ferner TUCKETT, Sources, 132f.: " T o say the dis-
similarity criterion has been totally discredited would be too strong". In Teilen der
neueren Jesusforschung zeichnet sich die Tendenz ab, das Differenzkriterium nur
hinsichtlich des frühen Christentums und nicht mehr bezüglich des Judentums anzu-
wenden, vgl. dazu DU TOIT, Erneut auf der Suche, 114-116, bes. Anm. 106.
M BECKER, Jesus, 17f.: „Das [ . . . ] Fundamentalkriterium [ . . . ] ist das Differenzkriteri-

um. Es erfreut sich mit Recht weitgehender, manchmal sogar auch alleiniger Zustim-
mung [ . . . ] Das Kriterium bleibt [ . . . ] weit und breit konkurrenzlos [ . . . ] " .
15 Vgl. THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage; HOLMEN, Doubts, 47-80; PORTER, Criteria.

" Trotz der Tatsache, daß das Differenzkriterium von Anfang an Kritik ausgesetzt war,
wurde es zum unbestrittenen Leitkriterium der Jesusforschung der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts. Dies lag vor allem daran, daß das Differenzkriterium - abgesehen
von dem Kohärenzkriterium, das allerdings von jenem abhängig ist - faktisch das ein-
zige Echtheitskriterium im eigentlichen Sinne darstellt, wie D. WINTER überzeugend
gezeigt hat (vgl. THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 11-19): Die anderen im Laufe der
Jahre formulierten Kriterien sind entweder Spielarten des Differenzkriteriums (bes.
das sog. 'Criterion of Embarrassment', vgl. ζ. Β. neuerdings MEIER, Marginal Jew I,
168-172), oder sie bilden Quellenwertargumente oder sind Besonderheitsindizien, die
für sich nicht positive Echtheitskriterien bilden können. Bedeutende Diskussionen
der Kriterien liegen vor bei CALVERT, Examination, 209-219; BORING, 'Criteria of
Authenticity', 9-44; EVANS, Authenticity, 6-31; PORTER, Criteria, 69-102.
17 Zu Recht machen THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 10, darauf aufmerksam, daß bei

der Formulierung des Kriteriums eine Auseinandersetzung mit der allgemeinen Ge-
schichtswissenschaft und ihren Methoden kaum eine Rolle spielte.

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92 David S. du Toit

ner Verortung in einem theoriegeschichtlichen Zusammenhang (hier: Je-


susforschung, Formkritik) erkennen lassen18. Darauf folgt eine kritische
Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen und Implikationen des
Kriteriums (IV.)· Zum Schluß folgt ein Ausblick auf einen Alternatiwor-
schlag, der der Kritik am Differenzkriterium Rechnung zu tragen ver-
sucht und seinen Ausgangspunkt in der in der modernen Geschichts-
theorie geführten Debatte über den Charakter historischer Erkenntnis hat
(V.)·

II. Formale Aspekte des Differenzkriteriums

„Solche Tradition kann Jesus zugesprochen werden, deren Inhalt in zwei


Zusammenhängen, nämlich innerhalb des Frühjudentums und des Urchri-
stentums, in einer wesentlichen Hinsicht gesondert dasteht, also nach
beiden Richtungen Originalität besitzt". An dieser jüngst von J Ü R G E N
B E C K E R verfaßte Formulierung des Differenzkriteriums" läßt sich die
formale Struktur des Kriteriums verdeutlichen. Mit dem Begriff Diffe-
renzkriterium wird demzufolge ein vergleichendes Verfahren bezeichnet,
dessen Ziel es ist, die Differenz („in einer wesentlichen Hinsicht geson-
dert") einer in der Tradition Jesus zugeschriebenen Uberlieferungseinheit
zu den beiden religions geschichtlichen Größen des Judentums zur Zeit
Jesu und des frühen Christentums zu erfassen. Es geht jeweils um die
Feststellung von Jesu Originalität in bezug auf diese beiden antiken Reli-
gionen. Da das Verhältnis Jesu zu ihnen wegen der geschichtlichen Aus-
gangslage prinzipiell ein jeweils anderes ist, handelt es sich dabei um
unterschiedliche Formen der Originalität20. Originalität besitzt eine
Überlieferung demnach gegenüber dem frühen Christentum, wenn keine
plausiblen Motive für ihre Bildung bzw. Entstehung innerhalb der früh-

18 Es liegen schon mehrere Untersuchungen hinsichtlich der Geschichte des Differenz-


kriteriums bzw. der Authentizitätskriterien vor, von denen die hier vorgestellte Ana-
lyse profitieren konnte: L E N T Z E N - D E I S , Kriterien, 8 1 - 9 3 ; T H E I S S E N / W I N T E R , Kriteri-
enfrage, 2 8 - 1 7 4 ; PORTER, Criteria, 2 8 - 1 0 2 .
19 BECKER, J e s u s , 17.
20 Diesem Unterschied trug K Ä S E M A N N mit seiner Formulierung „ [ . . . ] wenn [ . . . ] Tra-
dition [ . . . ] weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben
werden kann [ . . . ] " Rechnung. Parallele Formulierungen wie die von C O N Z E L M A N N
(„was sich weder in das jüdische Denken einfügt noch in die Anschauungen der späte-
ren Gemeinde") können dazu verleiten, den besagten Unterschied zu übersehen und
gleiche Verfahrensweisen vorauszusetzen - dies geschah in der Jesusforschung der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts häufig.

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Der unähnliche Jesus 93

christlichen Kult- und Theologiegeschichte ersichtlich sind21. Ein religi-


onsgeschichtlicher Vergleich zum frühen Christentum ist also mit einer
entstehungsgeschichtlichen Fragestellung verknüpft - ihn zeichnet eine
diachrone Ausrichtung aus22. Es handelt sich um Originalität im Sinne
von unabhängiger Entstehung. Dagegen besitzt eine Uberlieferung ge-
genüber dem Judentum zur Zeit Jesu Originalität, wenn sie in einem syn-
chronen Vergleich mit religiösen Positionen, die im zeitgenössischen Ju-
dentum vorhanden waren, ein markantes Maß an Unterschiedlichkeit
aufweist23, d. h. wenn sie im Vergleich mit einem aufgrund der verfüg-
baren Quellen konstruierten Bild des damaligen Judentums eine abwei-
chende Position darstellt24. Es handelt sich um Originalität im Sinne von
charakteristischer Eigentümlichkeit. Das Differenzkriterium ist also ein
Verfahren, das darauf zielt, mittels eines doppelten religionsgeschichtlichen
Vergleichs25 ein Urteil darüber zu ermöglichen, inwiefern authentisches
Jesusgut in der Uberlieferung vorhanden ist26.

21 So schon in aller Deutlichkeit formuliert von KÄSEMANN, Problem, 203-206.


22 Der quellenkritische Aspekt des Verfahrens ist von einer durch die Methoden der
Form-, Traditions- und Redaktionskritik ermittelten religionsgeschichtlichen Re-
konstruktion der frühchristlichen Theologie- und Kultgeschichte abhängig. Anders
THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 2lf., die nur von einem quellenkritischen Verfah-
ren sprechen wollen.
23 Sofern im Rahmen eines solchen Vergleichs traditionsgeschichtliche Differenzen
(ζ. B. bezüglich Johannes des Täufers) festgehalten werden, eignet ihm auch ein dia-
chroner Aspekt.
24 Es muß schon hier festgehalten werden, daß es ein merkwürdiger und somit erklä-
rungsbedürftiger Tatbestand ist, daß das Differenzkriterium, das ja prinzipiell eine
überlieferungskritische Ausrichtung hat, von Beginn an um diesen die Uberliefe-
rungsproblematik nicht tangierenden Aspekt erweitert wurde.
25 Vgl. auch LÜHRMANN, Frage, 64. Die Komplexität der jeweiligen Bezugsgrößen (Je-
susüberlieferung, antikes Judentum und Christentum) und der angewandten Metho-
dik führt zwangsläufig dazu, daß die postulierten Differenzen (und Analogien) ein
ganzes Spektrum möglicher Thesen zur geschichtlichen Kontingenz eröffnet, das sich
von „konkret nicht bezeugt und so zwar faktisch nicht ableitbar, jedoch prinzipiell
ableitbar" bis zu „prinzipiell nicht ableitbar" erstrecken kann. Wenn THEISSEN/WIN-
TER, Kriterienfrage, 22, solche Differenzierungen als Folge „sachlicher .Differenzen'
im Verständnis" kritisieren, muß dies als unangemessene Vereinfachung der komple-
xen Sachlage zurückgewiesen werden.
26 Die sehr unterschiedlichen Bezeichnungen für das Differenzkriterium lassen sich da-
her erklären, daß sie jeweils andere Aspekte des Verfahrens betonen: Wo das formale
Moment des Vergleichs, der auf die Erfassung einer Differenz zielt, betont wird, tau-
chen Begriffe wie Differenz-, Unähnlichkeits- oder Dissimilaritätskriterium auf; wo
das von einer solchen Differenz implizierte, religionsgeschichtlich kontingente Mo-
ment der Diskontinuität bzw. Unableitbarkeit in den Blick genommen wird, wird das
Kriterium entsprechend bezeichnet; wo die überlieferungskritische Ausrichtung be-

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94 David S. du Toit

Vorausgesetzt ist bei diesem Verfahren, daß die urchristliche Tradition


dem Verdacht unterliegt, nicht zuverlässig über die ihr überlieferten J e -
susereignisse und -worte zu informieren 27 . Dieses prinzipielle Verdachts-
moment konstituiert das Differenzkriterium - es steht somit generell in
jener neuzeitlichen Tradition einer kritischen Geschichtswissenschaft, die
mit einer Verdachtshermeneutik als grundlegender Steuerungsprämisse
arbeitet, ferner in der kirchen- und dogmenkritischen Tradition der bibli-
schen historischen Kritik. Dieser hermeneutische Verdacht gegenüber der
Uberlieferung ist eine unaufgebbare Prämisse des Kriteriums 2 8 , weil auf
ihm die Verpflichtung zur argumentativen Begründung im Rahmen des
wissenschaftlichen Diskurses beruht 29 .
Das Differenzkriterium unterliegt in formaler Hinsicht einer zwei-
fachen Begrenzung. Z u m einen kann es per definitionem nur jenes au-
thentische Jesusgut erfassen, das Jesus nicht mit dem zeitgenössischen
Judentum und mit dem frühen Christentum gemein hat 30 . Dieses Manko 3 1

tont wird, heißt es Aussonderungsprinzip, usw. Daß hinter diesen unterschiedlichen


Bezeichnungen sachliche Differenzen in der Anwendung des Kriteriums stünden (so
THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 22), läßt sich m. E. nicht nachweisen.
27 KÄSEMANN, Problem, 203, hat dies bekanntlich als Ergebnis der formgeschichtlichen
Sichtung der Uberlieferung angesehen und gefolgert, „daß wir nicht mehr die etwaige
Unechtheit, sondern gerade umgekehrt die Echtheit des Einzelgutes zu prüfen und
glaubhaft zu machen haben".
28 Dementsprechend läßt sich das Differenzkriterium (bzw. jedes Authentizitätskriteri-
um) dort effektiv aushebeln, wo dieses Verdachtsmoment aufgegeben wird und der
Tradition grundsätzlich Vertrauen entgegengebracht wird. Vgl. die zahlreichen Bei-
träge der sogenannten „Skandinavischen Schule" (H. RIESENFELD; B . GERHARDSON;
R . R I E S N E R ) ; ferner H I G G I N S , Tradition, 1 - 1 5 ; BOMAN, Jesus-Überlieferung; B A I R D ,
Audience Criticism; W. G. KÜMMEL, Jesu Antwort, 1 8 4 - 1 8 8 .
29 Vgl. die kuriose Debatte in der Jesusforschung der 60er und 70er Jahre, die sich an
KÄSEMANNS Forderung, „die Echtheit des Einzelgutes zu prüfen und glaubhaft zu
machen", entfachte. Es ging um die Frage, ob die Beweislast der Echtheit des Tradi-
tionsguts bei demjenigen liege, der die Echtheit oder der die Unechtheit der Überlie-
ferung behauptet, s. ζ. Β. KÜMMEL, ebd. Dabei ist es eine Grundvoraussetzung des
(geschichts-) wissenschaftlichen Diskurses, daß jede Behauptung, die dem histori-
schen Zweifel unterliegen kann, argumentativ plausibel zu machen ist. Solange also die
historische Verläßlichkeit der Tradition im wissenschaftlichen Diskurs strittig ist, ist
die etwaige Echtheit bzw. Unechtheit argumentativ plausibel zu machen.
30 Vgl. PERRIN, Was lehrte Jesus, 37.
31 Die Schärfe des Kriteriums wird in der Forschung durch das sog. Kohärenzkriterium
gemildert, das es ermöglichen soll, den durch das Differenzkriterium gesicherten Mi-
nimalbestand echter Überlieferung vorsichtig auf das ausgesonderte Traditionsgut
auszudehnen. Vgl. etwa PERRIN, Was lehrte Jesus, 3 7 - 4 0 , und die Diskussion bei
T H E I S S E N / W I N T E R , Kriterienfrage, 1 7 - 1 9 .

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Der unähnliche Jesus 95

wurde von Anfang an konzediert 32 - es beruht darauf, daß es bei Traditio-


nen, die frühchristlichen kultischen und theologischen Interessen ent-
sprechen, kein methodisch gesichertes Verfahren gibt, zwischen authenti-
schem und nicht-authentischem Gut zu unterscheiden 33 . Zum anderen
unterliegt das Kriterium Einschränkungen, die durch den von ihm voraus-
gesetzten religionsgeschichtlichen Vergleich bedingt sind: Zum einen
handelt es sich um die jeweils lückenhafte Quellenlage, die eine zuverläs-
sige religionsgeschichtliche Rekonstruktion des Judentums zur Zeit Jesu
und des Frühchristentums massiv beeinträchtigt, zum anderen um die
Tatsache, daß die als Vergleichsgrößen herangezogenen Konstrukte des
antiken Judentums und Christentums selber Produkte kritischer Ge-
schichtsforschung (u. U. sogar von dem betreffenden Jesusforscher
selbst) sind.
Zum Schluß ist noch auf einen weiteren formalen Aspekt des Diffe-
renzkriteriums einzugehen. In jüngster Zeit ist die These vertreten wor-
den, daß es sich bei dem Differenzkriterium nur vordergründig um ein
Kriterium handele, tatsächlich seien es aber zwei unterschiedliche Kriteri-
en34. Das Kriterium besteht tatsächlich - wie wir gesehen haben - aus ei-
nem zweigliedrigen vergleichenden Verfahren, d. h. aus zwei Komponen-
ten, die allerdings nur in der konsequenten Verknüpfung dieser beiden
Komponenten miteinander zum angestrebten Ziel führen 35 . Das bedeutet:
Es handelt sich in seiner Handhabung um ein Kriterium, nicht um zwei
unabhängige Kriterien: Nach dem Kriterium ist eine Traditionseinheit
erst dann als authentisch zu betrachten, wenn beide Bedingungen erfüllt
sind. Allerdings ist der besagten These dahingehend recht zu geben, daß
die beiden Komponenten des Kriteriums zum einen sehr unterschiedliche

32 Vgl. KÄSEMANN, Problem, 205f., der direkt anschließend an seine klassische Formulie-
rung des Differenzkriteriums formuliert: „Allerdings müssen wir uns dabei von vorn-
herein dessen bewußt sein, daß man von hier aus keine Klarheit erhält, was Jesus mit
seiner palästinischen Umwelt und seiner späteren Gemeinde verbunden hat. Da blei-
ben die Grenzen für verschiedenste Hypothesen weit offen".
35 Vgl. KÄSEMANN, Problem, 211f.; PERRIN, Was lehrte Jesus, 37. Dort, wo das Kriteri-
um so angewendet wird, daß das jeweils als nicht-differierend ausgesonderte Material
grundsätzlich als unecht betrachtet wird (seine sog. negative Verwendung, vgl. dazu
THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 22), geschieht dies folglich in methodisch unzuläs-
siger Weise, weil das, was das Differenzkriterium gemäß seiner Definition nicht lei-
sten kann, nun als sein Ergebnis präsentiert wird.
34 T H E I S S E N / W I N T E R , K r i t e r i e n f r a g e , 1 9 - 2 2 , u n d i h n e n f o l g e n d TUCKETT, S o u r c e s , 133.
35 Es handelt es sich also um den logischen Operator . UND. ; vgl. die Formulierungen
von KÄSEMANN („wenn Tradition weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Ur-
christenheit zugeschrieben werden kann") und CONZELMANN („was sich weder in das
jüdische Denken einfügt noch in die Anschauungen der späteren Gemeinde").

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96 David S. du Toit

religionsgeschichtliche Verfahrensweisen voraussetzen, zum anderen


theoriegeschichtlich gesehen nicht im Verbund, sondern unabhängig von-
einander entstanden sind und erst nachträglich miteinander verbunden
wurden (vgl. hier unten III.l—III.3).

III. Differenz als Leitkategorie in der Entwicklung der Jesusforschung

Das Differenzkriterium ist ein Produkt der neutestamentlichen For-


schung des frühen 20. Jahrhunderts und gewinnt sein Profil auf diesem hi-
storischen Hintergrund. Andererseits ist jedoch zu beachten, daß die Je-
susforschung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und mit ihr ihr
Leit- und Fundamentalkriterium - wie noch zu zeigen ist - einen theorie-
geschichtlichen Prozeß fortsetzt, dessen Ursprünge in die vom Rationa-
lismus gespeiste Bibelkritik des 18. Jahrhunderts zurückreichen. Dieser
geschichtlichen Entwicklung wenden wir uns im Folgenden zu und zei-
gen, daß die Kategorie der Differenz von Anbeginn an zentrale Bedeu-
tung für die sich entfaltende Jesusforschung hatte.

1. Differenz zum Christentum

1.1 Differenz zum Frühchristentum als Bedingung der


historischen Verläßlichkeit der Quellen

Die Anfänge der kritischen Jesusforschung gehen bekanntlich auf eine


von LESSING posthum ( 1 7 7 8 ) veröffentlichte Schrift von H E R M A N N S A -
MUEL REIMARUS „Vom Zwecke Jesu und seiner Jünger" zurück36, der dort
erstmals in der Geschichte eine Diastase zwischen Jesus und dem frühen
Christentum aufreißt37:

„ [ . . . ] alles, was wir von seiner [sc. Jesu] Lehre und Handlungen wissen, ist in den
Schriften seiner Jünger erhalten. Was nun seine Lehre besonders betrifft, so haben
zwar unter seinen Jüngern nicht allein die Evangelisten, sondern auch die Apostel
[d. h. Petrus, Johannes, Jakobus, Judas, und vor allem Paulus, D d T ] , ihres Mei-

36 Vgl. SCHWEITZER, Von Reimarus zu Wrede. Eine Geschichte der Leben-Jesu-


Forschung, Tübingen, 1906, 1 3 - 2 6 ; DERS., Geschichte, 1 3 - 2 6 . Auszüge des Textes
leicht zugänglich bei BAUMOTTE, Frage, 1 1 - 2 1 .
37 Vgl. auch KÜMMEL, Das neue Testament, 105f.; ferner SCHMITHALS, Einleitung, 197f.
Vgl. auch LESSINGS Traktat „Die Religion Christi", abgedruckt in BAUMOTTE, Frage,
2 2 - 2 4 , dort bes. § 6, ferner SCHMITHALS, Einleitung, 1 6 - 2 2 .

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Der unähnliche Jesus 97

sters Lehre vorzutragen unternommen: allein ich finde große Ursache, dasjenige,
was die Apostel in ihren eignen Schriften vorbringen, von dem, was Jesus
würklich selbst ausgesprochen und gelehrt hat, gänzlich abzusondern. Denn die
Apostel sind selbst Lehrer gewesen, und tragen also das ihrige vor, haben auch
immer behauptet, daß Jesus [ . . . ] selbst in seinem Leben alles dasjenige gesagt und
gelehret, das sie schreiben." 3 8

REIMARUS betont die Differenz zwischen Jesu Lehre und der Lehre der
Apostel über ihn, eine Vorwegnahme des im 20. Jahrhundert formulierten
Gegensatz von Verkündiger und Verkündigtem. Allerdings sind die
Evangelisten von diesem Verdacht ausgenommen, ihnen wird explizit eine
zuverlässige Berichterstattung zugetraut:

„Dagegen führen sich die vier Evangelisten bloß als Geschichtsschreiber auf, wel-
che das hauptsächliche, was Jesus sowohl geredet als gethan, zur Nachricht aufge-
zeichnet haben. Wenn wir nun wissen wollen, was eigentlich J e s u Lehre gewesen,
[ . . . ] ist dieses aus den Nachrichten der Geschichtschreiber zu holen. D a nun die-
se Geschichtschreiber gar viere sind, und sie alle in der H a u p t - S u m m e der Lehre
Jesu übereinstimmen: so ist weder an der Aufrichtigkeit ihrer Nachrichten zu
zweifeln, noch auch zu glauben, daß sie einen wichtigen Punkt oder wesentliches
Stück der Lehre J e s u sollten verschwiegen oder vergessen haben." 3 9

Die angenommenen Differenzen in Lehre zwischen der für die kirchli-


chen christologischen Dogmen grundlegenden Briefliteratur und den
Evangelien führten also zunächst dazu, die historische Zuverlässigkeit der
vier Evangelien zu postulieren, ein Zustand, der dann zunächst fortbe-
stand: Kritische Jesusstudien der Folgezeit stehen zwar im Zeichen des
Rationalismus und reflektieren insofern das Bedürfnis, Wunderbares, Wi-
dersprüchliches und Irrationales aus dem Leben Jesu wegzurationalisie-
ren, den Evangelien wird jedoch grundsätzlich historische Zuverlässigkeit
zugebilligt, um somit durch ein die Quellen harmonisierendes Verfahren
zu einer Darstellung des Lebens Jesu zu gelangen40.
Diese Sachlage ändert sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, als das
Johannesevangelium seinen Status als verläßliche historische Quelle für
die kritische Jesusforschung einbüßte. Dieser tiefe Einschnitt in der Ge-
schichte der Jesusforschung wurde entscheidend von D A V I D F R I E D R I C H
STRAUSS und F E R D I N A N D C H R I S T I A N B A U R vorangetrieben. Das Ver-

38 BAUMOTTE, Frage, 13.


39 BAUMOTTE, Frage, 13.
40 Vgl. SCHWEITZER, Geschichte, 27-37.49-68. Zumeist bildet das Johannesevangelium
das Gerüst der Darstellungen eines Lebens Jesu, so auch noch bei F. E. D . SCHLEIER-
MACHER (Das Leben Jesu, 1864).

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98 David S. du Toit

mächtnis von STRAUSS41 ist ein doppeltes: Zum einen besteht es darin, daß
er das bis dahin geltende naive Zutrauen zu der historischen Verläßlich-
keit der Evangelienüberlieferung dadurch erschütterte, daß er in seinem
Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet (1835/36) durch eine radikale Kritik der
Evangelienberichte herausstellt, daß das Gros der evangelischen Stoffe als
unhistorische, mythische Sagengebilde zu betrachten ist. Seither ist die Je-
susforschung mit der Aufgabe konfrontiert, über den Wert ihrer Quellen
Rechenschaft abzulegen. Ferner zeigte STRAUSS, daß der Autor des J o -
hannesevangeliums seine Sprache auf Jesus und den Täufer übertragen
hatte und daß das Evangelium gegenüber den Synoptikern eine fortge-
schrittene Mythologisierung aufweist. Damit war der Quellenwert des
Johannesevangeliums erschüttert. F. C . BAURS Beitrag42 besteht nun dar-
in, daß er in seiner Studie Kritische Untersuchungen über die kanonischen
Evangelien (1847) auf Grund seiner tendenzkritischen Analyse der Evan-
gelien die Erkenntnis von STRAUSS hinsichtlich des Johannesevangeliums
bestätigen konnte: In ihm liegt keine brauchbare historische Tradition
vor, denn der Stoff ist von der Idee der göttlichen Herrlichkeit Jesu her
gestaltet worden. Das Evangelium entfällt damit als Quelle für die Erfor-
schung der Geschichte Jesu, und B A U R bescheinigt den Synoptikern im
Vergleich zu Johannes explizit die größere historische Treue 43 . Für die
vorliegende Fragestellung ist festzuhalten: In der Arbeit von STRAUSS und
B A U R setzt sich die bei REIMARUS und der auf ihn folgenden Jesusfor-
schung beobachtete Praxis fort, die die Differenz der Evangelien zur
frühchristlichen Verkündigung als Maßstab verwendet, um der Tradition
historische Verläßlichkeit zuzubilligen. Bei STRAUSS und B A U R wird das-
selbe Prinzip in umgekehrter Richtung angewandt: Der Nachweis, daß
das Johannesevangelium in die frühchristliche christologische Dogmen-
bildung hineingehört, hebt die Differenz zum Christentum auf und de-
struiert somit den historischen Quellenwert dieses Evangeliums.
Parallel zu der soeben beschriebenen Entwicklung der Demontage des
Johannesevangeliums als historischer Quelle für eine Geschichte Jesu

41 Vgl. SCHMITHALS, Einleitung, 1 2 6 - 1 3 5 . Wichtige Texte abgedruckt in KÜMMEL, Das


Neue Testament, 1 4 7 - 1 5 5 .
42 Vgl. SCHMITHALS, Einleitung, 1 5 2 - 1 6 3 ; eine Textauswahl bei KÜMMEL, Das Neue Te-
stament, 1 6 9 - 1 7 6 .
43 BAUR urteilt dennoch insgesamt skeptisch über die historische Verläßlichkeit der Syn-
optiker, räumt jedoch dem ihm zufolge recht tendenzfreien Matthäusevangelium eine
relative Ursprünglichkeit und Glaubwürdigkeit gegenüber den anderen Evangelien
ein, vgl. SCHMITHALS, Einleitung, 156ff. In diesem Zusammenhang sind auch die radi-
kal kritischen Studien BRUNO BAUERS zu nennen, der die Authentizität der synopti-
schen Evangelien radikal in Frage stellte, vgl. SCHWEITZER, Geschichte, 1 4 1 - 1 6 1 ;
SCHMITHALS, Einleitung, 1 7 4 - 1 7 8 .

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Der unähnliche Jesus 99

setzte sich eine andere Entwicklung durch, der für die Entstehung des
Differenzkriteriums entscheidende Bedeutung zukommen sollte, nämlich
die Formulierung von Benutzungsthesen innerhalb der synoptischen Fra-
gestellung und dort besonders die umfassende Begründung der Markus-
priorität (K. LACHMANN; C . G . WILKE) und der Zwei-Quellen-Hypo-
these (C. H. WEISSE). Der entscheidende Impuls für den Siegeszug der
Zwei-Quellen-Hypothese ging von einem 1863 erschienenen Buch von
HEINRICH JULIUS HOLTZMANN44 aus, in dem er die L ö s u n g des s y n o p t i -
schen Problems mit der Frage nach dem geschichtlichen Jesus, d. h. mit
der Frage nach der historischen Zuverlässigkeit der synoptischen Evange-
lien verknüpft 45 . HOLTZMANN argumentiert gegen die Tübinger Schule,
daß die synoptischen Evangelien weitgehend von der Tendenz zu dogma-
tisieren frei seien - sie wollen „Geschichte erzählen" (401). Das hier oben
erwähnte Prinzip kommt hier also zu Anwendung: In dem Maße, wie eine
Differenz zur frühchristlichen Dogmenbildung (Tendenzfreiheit) festge-
stellt werden kann, läßt sich historische Zuverlässigkeit postulieren. Im
Rahmen der Zwei-Quellen-Hypothese begründet HOLTZMANN nun den
überlegenen Quellenwert der ältesten Quellen ( = Q und ein Urmarkus
A 46 ) im Vergleich zu Matthäus und Lukas. Zwei Argumentationsgänge
sind entscheidend: Zum einen wird der markinischen Darstellung (bzw.
dem Urmarkus A) mittels einer Wirklichkeitsanalogie eine größere Wirk-
lichkeitstreue bescheinigt, während der kompositioneile Charakter der
beiden anderen Evangelien gegen eine glaubwürdige Darstellung spricht47.
Zum anderen wird Markus (bzw. dem Urmarkus A) und der Logienquelle
eine größere Tendenzfreiheit bescheinigt48. Damit wird das erwähnte
Differenzprinzip innerhalb der synoptischen Tradition angewandt, um
den relativen historischen Quellenwert der Evangelien zu klären49.

44 HOLTZMANN, Evangelien, 191-197.


45 HOLTZMANN, Evangelien, 1.
46 HOLTZMANN hat später das von ihm angenommene Urmarkusevangelium A zurück-
genommen, s. SCHMITHALS, Einleitung, 192f.
47 HOLTZMANN, Evangelien, 418-443.
41 HOLTZMANN, Evangelien, 377-401. So wird von der Redesammlung gesagt, sie sei
„ohne alle dogmatisirende Absichtlichkeit, ganz nur im Interesse des grossen Inhalts
abgefasst" (401). Von Matthäus heißt es z. B., daß er im Vergleich zu Markus „über-
haupt schon in der späteren, einer dogmatischen Terminologie zustrebenden, An-
schauung von Person und Werk Christi drinnen steht".
49 Die historische Zuverlässigkeit von Mk und Q wird allerdings vor allem durch einen
direkten Vergleich ihres Inhalts bewiesen - die Tatsache, daß in beiden dasselbe Je-
susbild vorliege, erweise ihre Historizität, HOLTZMANN, Synoptischen Evangelien,
443-468.

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100 David S. du Toit

Das Ergebnis der Untersuchung HOLTZMANNS ermöglichte nun die


naheliegende, aber weitreichende Schlußfolgerung, daß die ältesten Quel-
len einen direkten und somit zuverlässigen Zugang zu dem geschichtli-
chen Jesus verbürgten50 - diese Annahme wurde zum treibenden Faktor
hinter der sich in den nächsten Jahren etablierenden Leben-Jesu-For-
schung51. Damit scheint HOLTZMANN „unter Anwendung der allein legi-
timen Mittel einer gewissenhaften, historischen Kritik" 52 die historische
Skepsis der Tübinger Schule widerlegt zu haben. Damit ist auch der theo-
riegeschichtliche Kontext der HoLTZMANNschen Studie angesprochen:
Sie steht im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit der speku-
lativen Methode der Tübinger Schule und nimmt die Kritik der sich zu
dieser Zeit etablierenden Historismusbewegung an der HEGELschen Ge-
schichtsspekulation auf53 - wie die Profanhistoriker strebte HOLTZMANN
an, durch eine kritische Analyse der Uberlieferung zu einer möglichst ex-
akt nachprüfbaren, objektiven Geschichtserkenntnis vordringen zu kön-
nen54. Seine Bemühungen werden von der erkenntnistheoretischen Uber-
zeugung getragen, daß der Zugriff auf die ältesten Quellen einen
objektiven und unmittelbaren Zugang zum historischen Objekt (hier: Je-
sus) ermögliche. Sie hat sich in der Folgezeit in der Jesusforschung als
axiomatische Voraussetzung etabliert55.

50 N a c h HOLTZMANN verbirgt sich hinter Markus (bzw. dem Urmarkus) „die ursprüng-
lichste Erinnerung der Jünger", wohingegen die Logienquelle als eine „von einem apo-
stolischen Ohrenzeugen herrührende, fast ohne alle geschichtliche Einkleidung abge-
fasste, Redesammlung aufzufassen ist", ebd., 450f.
51 Diese Annahme war von A n f a n g an eine latente, wenn nicht gar die treibende Voraus-
setzung hinter der Formulierung aller Benutzungshypothesen. So läßt sich auch
nachweisen, daß die die GRIESBACH-Hypothese vertretende Tübinger Schule trotz al-
ler historischen Skepsis dem Matthäusevangelium als frühester Q u e l l e eine gewisse hi-
storische Glaubwürdigkeit zutraute, vgl. SCHMITHALS, Einleitung, 158f.
52 HOLTZMANN, Evangelien, 1.
55 Vgl. MEHLHAUSEN, Art. Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie,
649-654.
54 Schlagwörter wie „rein historisch" (so B. WEISS, Lehrbuch der Biblischen Theologie
des N T ) , „streng geschichtlich" (so A. JÜLICHER, Einleitung in das N e u e Testament)
usw. dokumentieren das Ideal einer objektiven (im Gegensatz zu einer philosophisch-
spekulativen) historischen Erkenntnis.
55 Vgl. auch THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 81.

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Der unähnliche Jesus 101

1.2 Das Differenzkriterium als Authentizitäts-


bzw. Aussonderungskriterium

„Wir besitzen keine Quellen für ein Leben Jesu, welche ein Geschichts-
forscher als zuverlässige und ausreichende gelten lassen kann": Mit dieser
Aussage griff M A R T I N K A H L E R 1 8 9 2 die Grundvoraussetzung der histori-
schen Jesus-Forschung seiner Zeit frontal an56 und nahm damit das Er-
gebnis der Forschung von W I L L I A M W R E D E und J U L I U S W E L L H A U S E N
vorweg. W R E D E hat bekanntlich in seinem aufsehenerregenden Buch57 das
bei Markus begegnende Messiasgeheimnis als nachösterliches dogmati-
sches Motiv der frühchristlichen Gemeinde gedeutet58, das Markus zum
Organisationsprinzip seiner Jesus-Darstellung gemacht hat. Die im Mar-
kusevangelium geschilderte Entwicklung beruht nach W R E D E also nicht
auf der Erinnerung an die tatsächliche geschichtliche Entwicklung des Le-
bens Jesu, sondern auf einem theologischen Motiv, das gerade die Unmes-
sianität des historischen Jesu zu verschleiern hat. Offenbar unabhängig
von W R E D E bestreitet W E L L H A U S E N 1905 ebenfalls den historischen Cha-
rakter des Markusevangeliums und stellt fest: „Markus schreibt nicht de
vita et moribus Jesu [ . . . ] er will dartun, daß Jesus der Christus sei" 59 .
Diese Einsicht erschütterte die Grundlagen der bisherigen Jesusforschung
nachhaltig60: Entfällt das Markusevangelium als zuverlässige historische
Quelle, weil es kein historischer Tatsachenbericht ist, sondern zur frühe-
sten christlichen Dogmenentwicklung gehört, fehlt jegliche Quellen-
grundlage für eine historische Darstellung eines Lebens Jesu. Das Prinzip,
daß die Differenz zum christologischen Dogma des frühen Christentums
die Verläßlichkeit einer Quelle der Geschichte Jesu begründet, führte also
schließlich dazu, daß die Jesusforschung Anfang des 20. Jahrhunderts oh-

56 KAHLER, Jesus, 21. Entsprechend scharf ablehnend fielen die Reaktionen liberaler
Theologen aus, vgl. ebd., l l f .
57 W R E D E , M e s s i a s g e h e i m n i s . V g l . d a z u SCHWEITZER, G e s c h i c h t e , 3 6 8 - 3 9 0 ; EBELING,
Messiasgeheimnis, 3-19.
58 Vorbereitet wurde dieser Weg durch WREDES Lehrer ALBERT EICHHORN, der 1898
nachweist, daß die Abendmahlsberichte der Evangelien von D o g m a und Kult der Ge-
meinde beeinflußt wurden, so daß sich der geschichtliche Vorgang nicht klar erken-
nen läßt; s. EICHHORN, Abendmahl.
59 WELLHAUSEN, Einleitung, 51. Das Buch faßt die Ergebnisse seiner Kommentare zu
den Synoptikern der Jahre 1903 (Mk) und 1904 (Mt; Lk) zusammen. Auch er urteilt:
„Markus nahm auf, was die Tradition ihm bot. Die Zusammenstellung des Stoffes ist
sein Werk" (Einleitung, 53). Ähnlich auch J. WEISS, Evangelium, der u. a. einen chro-
nologischen Aufbau des M k ablehnt, ebd., 19-22, ferner 94-104 zum theologischen
Charakter des Stoffes.
60 So schon SCHWEITZER, Geschichte, 368-375.

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102 David S. du Toit

ne jegliche verläßliche Quellen dastand. Damit ist ein schwerwiegender


historischer Einschnitt vergleichbar mit der Lage nach dem Erscheinen
des Jesusbuches von STRAUSS gegeben: Noch einmal scheinen die Quellen
für eine geschichtliche Darstellung Jesu völlig zu versagen. Damit schien
die Möglichkeit einer wissenschaftlich verantworteten Jesusforschung
nicht mehr gegeben61.
Zur selben Zeit zeichnete sich jedoch eine andere Entwicklung ab, die
der Jesusforschung neue Möglichkeiten eröffnete und die Weichen für die
Entstehung des Differenzkriteriums stellte. In nuce liegt sie schon in der
oben erwähnten Abhandlung E I C H H O R N S zur Abendmahlsfrage von 1898
vor62:

„Es ist für uns sehr wichtig, die älteste Schicht der Überlieferung von Jesus zu er-
kennen, die uns bruchstücksweise gegeben ist. Großenteils ist sie überdeckt von
jüngeren Schichten, und nur durch ein kritisches Verfahren können die älteren
Schichten bloß gelegt werden. In diesem Bemühen wird man sich einig wissen mit
der historisch-kritischen Methode. Andererseits ist es [ . . . ] noch wichtiger, die
Umbildung der älteren Traditionen zu erkennen [ . . . ] Beiläufig möchte ich hier
auf eine Thorheit der historischen Kritik hinweisen [ . . . ] Es giebt wirklich Leute,
die glauben, die älteste uns erkennbare [sc. schriftlich fixierte, DdT] Uberliefe-
rung mit dem geschichtlichen Vorgang identifizieren zu müssen. Die jüngsten Be-
richte, so meint man, muß jeder historisch-kritisch gebildete Theologe ablehnen,
die ältesten Berichte muß man dagegen annehmen [ . . . ] Ich gestehe, daß ich diese
Ansicht für sehr beschränkt halte [ . . . ] In Wirklichkeit ist es natürlich so, daß die-
selben Faktoren, die innerhalb der schriftlich fixierten Tradition [ . . . ] wirksam
gewesen sind, das Alte umzubilden, schon vorher eine entscheidende Rolle ge-
spielt haben. Ich halte für wahrscheinlich, daß die wichtigsten Umbildungen der
Traditionen in den ersten Jahrzehnten der christlichen Gemeinde stattgefunden
haben."

Hier zeichnen sich drei entscheidende Entwicklungen ab: Zum einen wird
der bisher übliche Ansatz der Jesusforschung, die ältesten schriftlichen
Quellen mit der geschichtlichen Wirklichkeit zu identifizieren, prinzipiell
in Frage gestellt. Zum anderen wird nicht nur den ältesten literarischen
Quellen, sondern auch der vorliterarischen Überlieferung Beeinflussung
durch Kult und Dogma des frühesten Christentums unterstellt. Des wei-
teren wird jedoch prinzipiell an dem Ideal festgehalten, die älteste Schicht

" Ihr Ende wurde endgültig besiegelt durch K. L. SCHMIDTS Studie Der Rahmen der
Geschichte Jesu (1919), in der er nachwies, daß die Zeit- und Ortsangaben der Evange-
lien nicht zur Tradition gehörten, sondern der redaktionellen Tätigkeit der Evangeli-
sten zugeschrieben werden müssen, so daß die Möglichkeit einer Lebensgeschichte Je-
su im Sinne eines Entwicklungsvorgangs nicht mehr gegeben ist.
62 EICHHORN, Abendmahl, 15 (vgl. oben Anm. 58).

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Der unähnliche Jesus 103

der Jesusüberlieferung erkennen zu können, um somit zu Jesus selbst


vorzustoßen. Eine weitere entscheidende Voraussetzung der künftigen
Entwicklung der Forschung bildet sich etwa zu derselben Zeit aus, näm-
lich die Vorstellung, daß die vorliterarische Jesusüberlieferung isoliert
umlaufende, volkstümlich-mündliche, Wort- bzw. Anekdotenüberliefe-
rung gewesen sei63.
Der vorliterarischen mündlichen Uberlieferung wurden von Anfang an
zwei charakteristische, aber zueinander in Spannung stehende Merkmale
zugewiesen: Zum einen wurde unter Berufung auf die unliterarische und
volkstümliche Art der Uberlieferung eine konservierende Tendenz der
Uberlieferung ausgemacht, die es ermögliche, „daß sich Altes und Ur-
sprüngliches gut erhalten in den Berichten findet" 64 - die Vorstellung
setzt sich durch, daß die Evangelisten, besonders Markus, konservierende
Sammler von vorliegenden, weitgehend bereits geformten Traditionen
gewesen seien' 5 , die sie im Evangelium lediglich mit einem Rahmen ver-
sehen hätten". Zum anderen erkannte man in der Überlieferung eine -
wie EICHHORN schon nahelegte - zutiefst von den kultischen und theo-
logischen Interessen der überliefernden Gemeinde (durch Auswahl,
Umformung und Neubildung) geprägte Tradition 67 . Es oblag den drei Be-
gründern der Formgeschichte, diese Erkenntnis künftig umfassend zu
dokumentieren68.
Für eine Einschätzung der sich am Anfang des 20. Jahrhunderts neu
etablierenden Forschungslage ist es von entscheidender Bedeutung, dar-
auf zu achten, daß die Hinwendung zur vorliterarischen Überlieferung im

63 Vgl. WEISS, Evangelium, 8 u. ö.; WELLHAUSEN, Einleitung, 43ff., bes. 52f.: „Die letzte
Quelle der Evangelien ist mündliche Überlieferung, aber diese enthält nur zerstreuten
Stoff" (43).
" DIBELIUS, Überlieferung, 4.
65 Diese Vorstellung geht maßgeblich auf J. WEISS zurück, der den Nachweis führt, daß
Markus kein Schriftsteller, sondern ein Vermittler ältester Gemeindeüberlieferung ist,
s. DERS., Evangelium, 120-345. M. DIBELIUS nimmt sie auf (vgl. DERS., Überlieferung,
4) und sie fließt in dieser Form in die Formgeschichte ein, wo sie über Jahrzehnte ei-
nen festen Bestandteil des formgeschichtlichen Paradigmas bildet. Erst mit W. MARX-
SENS Studie Der Evangelist Markus (1957) setzte eine Neueinschätzung des schrift-
stellerischen und theologischen Beitrags des Evangelisten Markus ein.
" „Wir müssen immer deutlicher unterscheiden lernen zwischen der dem Evangelisten
vorliegenden Tradition und dem Rahmen, den er ihr gegeben hat [ . . . ] " , fordert M.
DIBELIUS, Rez. J. Weiß, Jesus von Nazareth. Mythus oder Geschichte, ThLZ 3 5 , 1 9 1 0 ,
545ff.
" Vgl. die Evangelienkommentare WELLHAUSENS, ferner die zusammenfassende Dar-
stellung des Überlieferungsprozesses in J. WEISS (Hg.), Die Schriften des Neuen Te-
staments I, Göttingen 1906, 36-56, ferner DIBELIUS, Überlieferung, 4 - 6 .
" DIBELIUS, Formgeschichte; SCHMIDT, Rahmen; BULTMANN, Geschichte.

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104 David S. du Toit

Rahmen des Fragenhorizontes der Leben-Jesu-Forschung stattfindet. 6 '


Sie setzt bruchlos das auf den Historismus zurückgehende Interesse der
Leben-Jesu-Forschung an den ältesten Quellen als unmittelbarem Zugang
zur historischen Wirklichkeit fort 70 . Ebenso bruchlos wird das Differenz-
prinzip aus den vorigen Jahrhunderten übernommen. Die neue For-
schungslage impliziert allerdings eine erhebliche Verschiebung hin-
sichtlich der Funktion jenes Prinzips: Hatte es bis Anfang des 20. Jahr-
hunderts die Funktion, als Maßstab zur Bewertung des historischen
Quellenwertes schriftlicher Uberlieferungskomplexe bzw. der Evangelien
zu dienen, wird es nun zum Instrument zur Unterscheidung zwischen
authentischer und nicht-authentischer Jesusüberlieferung. Dies folgt ge-
wissermaßen zwingend aus der veränderten Forschungslage. Denn unter
den Voraussetzungen, daß die vorliterarische Jesusüberlieferung als iso-
lierte Einzelüberlieferung im Umlauf gewesen sei, und daß ein Teil dieser
Uberlieferung gegebenenfalls ursprünglich, d. h. echte Jesusüberlieferung
bzw. -Zeugnisse, sein könne, während ein Teil mit Sicherheit unter dem
Druck der kultischen 71 und theologischen (christologischen!) Interessen
des frühen Christentums umgebildet oder gar neugebildet worden sei,
wird das Differenzprinzip zwingend zum Aussonderungsprinzip: Da die
Tradition lediglich fragmentarisch vorliegt, kann das Differenzprinzip
nicht mehr auf einen Traditionskomplex, sondern lediglich je für sich auf
einzelne isolierte Traditionsstücke angewendet werden - nur jene Einzel-
überlieferungen, denen nicht Beeinflussung durch das früheste Christen-
tum nachzuweisen ist, haben Quellenwert für eine Geschichte Jesu.
Unter den skizzierten forschungsgeschichtlichen Bedingungen erfolgte
dann auch prompt die Ausformulierung eines Echtheitskriteriums im Sin-
ne eines Aussonderungsprinzips. In aller Deutlichkeit liegt sie erstmals72
bei HEINRICH WEINEL vor 7 3 :

" Vgl. auch SCHMITHALS, Einleitung, 261. Die Tatsache, daß alle drei Kronzeugen der
formgeschichtlichen Betrachtung Jesusstudien veröffentlichen, belegt dies eindeutig.
Vgl. BULTMANN, Jesus; SCHMIDT, Art. Jesus Christus; DIBELIUS, Jesus.
70 Vgl. WEINEL, Verkündigung, 32: „Das Neue, das seit der Aufklärung eingetreten ist,

ist [ . . . ] nur dies, daß der Prozeß der Sichtung der Überlieferung [ . . . ] nun endgültig
und absolut fortgeführt wird bis auf Jesus selbst".
71 Hierin liegt auch eine Weiterentwicklung gegenüber früherer Anwendung des Diffe-

renzprinzips vor: Die Erkenntnisse der zu diesem Zeitpunkt aufblühenden religions-


geschichtlichen Erforschung des frühen Christentums werden so für die Frage nach
der historischen Verläßlichkeit der Tradition fruchtbar gemacht.
72 THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 66f., 83-87, vertreten den Standpunkt, daß P. W .

SCHMIEDEL das Differenzkriterium erstmals im Jahre 1901 in einem Enzyklopädie-


Artikel (Art. Gospels, E B ( C ) 2, 1901, 1761-1898, dort 1872f.) formuliert habe.
SCHMIEDELS Kriterium ist jedoch unter absichtlicher Umgehung der synoptischen

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Der unähnliche Jesus 105

„Die literarische Kritik [...] hat sich zuerst auf die Feststellung dessen zu er-
strecken, was die ältesten Quellen boten. Dann ist noch das von der mündlichen
Uberlieferung Hinzugefügte durch historische Kritik festzustellen. Für diese nun
hat als der einzige Maßstab, Echtes von Unechtem zu unterscheiden, der Grundsatz
zu gelten: Nur solche Züge der Uberlieferung sind als unecht auszuschalten, die
nicht aus einem Interesse Jesu, sondern nur aus einem Interesse der Gemeinde
herstammen können. Dieser Grundsatz ist [...] nicht zu dem anderen auszuwei-
ten, daß überall da, wo die Gemeinde ein Interesse hatte [...], die Überlieferung
ganz und gar als unecht anzusprechen sei. Vielmehr muß, da es sich hier immer
um eine Ausscheidungs-Operation handelt, erst der Beweis erbracht werden, daß
das betreffende Interesse erst später aufgetaucht sein kann."

Als WILHELM HEITMÜLLER 1912 seinen Jesus-Artikel in der ersten Aus-


gabe der R G G veröffentlichte, konnte er schon von diesem Kriterium als
einem allgemein anerkannten Grundsatz sprechen 74 . Aus diesen E r ö r t e -
rungen ergibt sich: Die Entstehung des Differenzkriteriums als eines
Maßstabs der Echtheit einer Traditionseinheit bzw. als eines Aussonde-
rungsprinzips ist untrennbar mit der Hinwendung zur vorliterarischen
mündlichen Uberlieferung im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ver-
knüpft. Die Entstehung des Differenzkriteriums fällt somit mit der
Grundlegung der Formgeschichte zusammen 7 5 . Dementsprechend gehört
es - wie BULTMANNS Geschichte der synoptischen Tradition zeigt - von
Anfang an inhärent zum Instrumentarium der formgeschichtlichen Be-
trachtungsweise.

2. Differenz zum Judentum

Der Ausgang des 19. Jahrhunderts war von dem Aufstieg der sogenannten
religionsgeschichtlichen Betrachtungsweise gekennzeichnet, die darauf
zielte, die Entstehung des Christentums auf dem Hintergrund seiner

Problematik formuliert worden und stellt somit eine untypische Position dar. Ferner
ist es nicht als überlieferungskritisches Aussonderungsprinzip formuliert, sondern als
Maßstab der Historizität des von den vorliegenden Evangelien gebotenen geschichtli-
chen Stoffes. Es stellt eher eine Vorform des späteren Criterion of Embarrassment dar
und beruht auf Spekulation darüber, was angeblich im frühen Christentum nicht er-
funden werden konnte. Darin unterscheidet es sich erheblich vom Differenzkriterium.
73 WEINEL, Verkündigung, 28f. (Hervorhebung im Original).
74 HEITMÜLLER, Art. Jesus Christus, 361.
75 Alle grundlegenden Prämissen der Formgeschichte waren vor dem Ausbruch des Er-
sten Weltkrieges schon gegeben. Es fehlte nur noch die ausführliche Dokumentation
der Ergebnisse des dort anvisierten Programms (das Desiderat formulierte ζ. B. B O U S -
SET, Kyrios Christos, 246-269).

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106 David S. du Toit

V e r f l e c h t u n g mit seiner religiösen U m w e l t ( J u d e n t u m , H e l l e n i s m u s ) zu


erklären. D i e E n t d e c k u n g der jüdischen A p o k a l y p t i k u n d ihrer B e d e u t u n g
f ü r das f r ü h e C h r i s t e n t u m 7 6 b e r e i t e t e d e n W e g f ü r e i n e k o n s e q u e n t e E i n -
o r d n u n g J e s u in die j ü d i s c h e A p o k a l y p t i k . Sie w u r d e z u n ä c h s t v o r s i c h t i g
v o n W I L H E L M BALDENSPERGER in A n g r i f f g e n o m m e n , d a n n a b e r in v o l l e r
K o n s e q u e n z v o n JOHANNES WEISS u n d ALBERT SCHWEITZER durchge-
f ü h r t . Z u r s e l b e n Z e i t b e t o n t e GUSTAF DALMAN die a r a m ä i s c h e H e r k u n f t
d e r S p r a c h e u n d des D e n k e n s J e s u . T r o t z d e r w a c h s e n d e n Erkenntnis,
d a ß J e s u s u n d s e i n e V e r k ü n d i g u n g n u r i m R a h m e n des z e i t g e n ö s s i s c h e n
J u d e n t u m s v e r s t a n d e n w e r d e n k ö n n e n , z e i c h n e t e n die m e i s t e n J e s u s d a r -
s t e l l u n g e n J e s u s a m E n d e des 1 9 . b z w . z u A n f a n g des 2 0 . J a h r h u n d e r t s in
scharfem Kontrast zum Judentum.

Ich erwähne nur wenige Beispiele einiger einflußreicher Gelehrter. Da ist zunächst WIL-
HELM BOUSSET ZU nennen, der zwar eine konsequente „Heranziehung der religiösen Ge-
danken- und Stimmungs-Welt des Spätjudentums zum Verständnis der geschichtlichen
Erscheinung Jesu" forderte, andererseits aber urteilte, daß „die Predigt Jesu vor allem
und in erster Linie in ihrem Gegensatz zum Judentum verstanden werden muß" und daß
die Gesamtgestalt Jesu nicht „im Bannkreis des Judentums" stehe 77 . Trotz seines be-
rühmten Diktums, daß Jesus nicht Christ, sondern Jude gewesen sei, der innerhalb des
Judentums bleiben wollte, urteilte JULIUS WELLHAUSEN, „man darf das Nichtjüdische in
ihm, das Menschliche, für charakteristischer halten, als das Jüdische" 78 . ADOLF HARNACK
hat in seiner äußerst einflußreichen Vorlesung Das Wesen des Christentums (Erstveröf-
fentlichung 1900) ein zum Teil düsteres Bild des antiken Judentums gezeichnet, um Je-
sus als die Verwirklichung des höchsten religiösen Ideals davon absetzen können. Ihm
zufolge ist der Zusammenhang Jesu zum Judentum „nur noch ein lockerer", der Zusam-
menhang mit der Zeitgeschichte sei überhaupt unbedeutend 79 . PAUL WERNLE beklagte
die Rejudaisierung des vom Judentum frei gewordenen Jesus im frühen Christentum, die
„das Bild Jesu verfälscht durch die Eintragung ihm fremder judaistischer Züge" und die
Jesus in jüdischen Gedanken einbalsamiere80.

E s ist H E I N R I C H W E I N E L S V e r d i e n s t , d a ß e r das in d e r J e s u s f o r s c h u n g
l a t e n t v o r h a n d e n e P r i n z i p d e r D i f f e r e n z z u m J u d e n t u m als m e t h o d i s c h e n
G r u n d s a t z e r f a ß t e u n d klar f o r m u l i e r t e . S o m i t f i n d e t s i c h das d o p p e l t e
D i f f e r e n z k r i t e r i u m s c h o n 1 9 1 0 v o l l s t ä n d i g bei i h m . W E I N E L b e t o n t e , d a ß

74 Vgl. die Pionierarbeit von HILGENFELD, Apokalyptik.


77 BOUSSET, Jesu Predigt, 6.39.70. Schon der Titel ist instruktiv. Zum Jesusbild BOUS-
SETS s. THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 9 2 - 9 8 .
78 WELLHAUSEN, Einleitung, 108-115, dort 113f.
79 HARNACK, Wesen, 23. Vgl. die Erörterungen bei VON DER OSTEN-SACKEN, Rückzug,
108-113.
80 WERNLE, Anfänge, I I I , 104f.

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Der unähnliche Jesus 107

mit dem Differenzprinzip zwar die von Jesus stammende echte Überliefe-
rung gesichert werden könne, nicht jedoch das Wesentliche 81 :

„Das Wesentliche bestimmt sich nach einer ganz anderen Methode als das Echte.
Aus dem Echten [ . . . ] muß das Wesentliche noch erst ausgeschieden werden, und
zwar nach dem Grundsatz: das Wesentliche ist das Originale. N i c h t was Jesus mit
seinem Volk und seiner Zeit geteilt hat - das ist natürlich oft gerade das Echte an
der Uberlieferung - sondern was ihn von seinem Volk und seiner Zeit unterschie-
den hat, das ist sein, das ist das Wesentliche an ihm und seiner Predigt."

Damit war das doppelte Differenzkriterium erstmals formuliert82 und ihre


methodische Problematik klar umrissen83. Es stellt sich jedoch die Frage,
weswegen - trotz der nicht zu leugnenden Tatsache, daß Jesus jüdischer
Herkunft war, und trotz der sich durchsetzenden Erkenntnis, daß Jesu
Verkündigung nur im Rahmen der zeitgenössischen jüdischen Vorstel-
lungswelt verständlich ist - die Jesusforschung Jesus beharrlich von seiner
jüdischen Umwelt zu isolieren versuchte. Die Formulierung W E I N E L S
bietet einen ersten Hinweis zur Beantwortung dieser Frage und damit zu-
gleich zur Beantwortung der Frage nach der Entstehung eines doppelten
Differenzkriteriums am Anfang des 20. Jahrhunderts. Er erläutert nämlich
die Funktion der Bestimmung einer Differenz zum Judentum dahinge-
hend, daß sie dazu diene, Jesu Originalität bzw. Individualität hinsichtlich
seiner jüdischen Umwelt zu bestimmen - das deutet auf den Historismus
mit seiner Betonung geschichtswirksamer Individualität und Originalität
als theoriegeschichtlichen Kontext des Kriteriums.

2.1 Der theoriegeschichtliche Kontext: Individualität im Historismus

Die Tendenz der Jesusforschung des späten 19. und frühen 20. Jahrhun-
derts, Jesus von seiner Verflechtung mit dem zeitgenössischen Judentum
isolieren zu wollen, ist auf ihre Beheimatung im Historismus als ihrem ge-
schichtstheoretischen Kontext zurückzuführen84. Der im 19. Jahrhundert

81 WEINEL, Verkündigung, 35.


,2 Anders THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 115, die die erstmalige Formulierung bei
R . BULTMANN finden.
83 Bei WEINEL ist eindeutig, (1) daß es sich um ein Zwei-Schritt-Verfahren handelt, (2)
daß die Bestimmung der Differenz zum Judentum dem überlieferungskritischen Ver-
fahren nachgeordnet ist und (3) daß es sich bei letzterem um einen religionsge-
schichtlichen Vergleich handelt, s. DERS., Verkündigung, 35f.
84 Zum Historismus vgl. MURRMANN-KAHL, Heilsgeschichte, 7 5 - 2 0 4 , bes. 1 6 8 - 2 0 4 ;
dort Literatur!

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108 David S. du Toit

aufkeimende Historismus übernimmt aus der Romantik und besonders


von JOHANN G O T T F R I E D H E R D E R die Kategorie der Individualität als
Leitkategorie der Geschichte85. Als Akteure der Geschichte gelten Indivi-
duen, d. h. Personen oder Kollektivindividuen (kulturelle Institutionen
und Gebilde)86 - Aufgabe der Geschichtsschreibung ist es, die Handlun-
gen solcher Individuen innerhalb eines Sinnzusammenhangs zu rekon-
struieren. Charakteristisch für den Historismus ist nun, daß Individualität
als Selbständigkeit, d. h. im Sinne einer relativen Unabhängigkeit von der
historischen Umwelt, verstanden wird - das geschichtlich wirksame Indi-
viduum sei durch Unableitbarkeit hinsichtlich seiner Umwelt gekenn-
zeichnet. Die Kategorie der Individualität wird ferner mit der Kategorie
der historischen Persönlichkeit verknüpft87. Die individuelle Persönlich-
keit wird als schöpferische Potenz innerhalb der Geschichte gedacht, die
Neues, Originales, hervorbringt und somit eine neue Epoche in der Ge-
schichte einleitet.88 Diese Konzentration auf geschichtsmächtige, indivi-
duelle Persönlichkeiten ist besonders für den Historismus der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts typisch und läßt sich bei solch unterschiedli-
chen Historikern wie H. VON T R E I T S C H K E , J. B U R C K H A R D T und F . M E I -
NECKE nachweisen. Es wird mit unterschiedlichen Varianten des Ge-
schichtsprinzips „große Männer machen Geschichte" gearbeitet8'.
Auf diesem Hintergrund ist die Jesusforschung vor und nach der Jahr-
hundertwende zum 20. Jahrhundert zu verstehen90. Jesus wird als origi-
naler, schöpferischer Denker und als handelnde Person gedacht. Als ein-
maliger, hervorragender homo religiosus wird er zum Stifter einer neuen
Religion, der die alte Religion sprengt und damit endgültig überholt und
ablöst. Als geschichtsmächtige individuelle Persönlichkeit ist er nur in
seiner prinzipiellen Unverbundenheit mit seiner Umwelt richtig zu ver-

85 Vgl. JAEGER/RÜSEN, Geschichte, 81-86.


86 In der Bibelforschung wird die historistische Kategorie des Kollektivindividuums zu-
nächst im überlieferungsgeschichtlichen Ansatz GUNKELS wirksam: An die Stelle von
schriftstellerischen Persönlichkeiten treten anonyme Kollektivgebilde, die die Tradi-
tion formen, umbilden und tradieren. In die neutestamentliche Forschung zieht als
Kollektivindividuum die urchristliche Gemeinde ein. Zu einer Kritik der Kategorie der
Kollektivindividualität vgl. MURRMANN-KAHL, Heilsgeschichte, 173-175.
87 Die Kongruenz der Leben-Jesu-Forschung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
und des Historismus wird an diesem Punkt unübersehbar deutlich.
88 Zu Recht macht MURRMANN-KAHL, Heilsgeschichte, 172, darauf aufmerksam, daß
dadurch die historische Kausalität prinzipiell ausgehebelt wird, weil letztlich der Fort-
gang der Geschichte mit einer in der schöpferischen Persönlichkeit begründeten
Letztursache erklärt wird.
89 Vgl. MURRMANN-KAHL, Heilsgeschichte, 116. 172; JAEGER/RÜSEN, Geschichte, 135f.
90 Vgl. die grundlegende Studie von MURRMANN-KAHL, Heilsgeschichte, bes. 365-424.

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Der unähnliche Jesus 109

s t e h e n - das W e s e n t l i c h e an i h m ist das Originale, das N e u e " . D i e J e s u s -


darstellungen dieser Z e i t s t e h e n also in jener h i s t o r i s t i s c h e n T r a d i t i o n , die
geistig p o t e n t e „ g r o ß e M ä n n e r " als die eigentliche T r i e b f e d e r der Ge-
s c h i c h t e b e t r a c h t e t 9 2 . D a r u m b e d e u t e t e die Ü b e r t r a g u n g d e r religionsge-
s c h i c h t l i c h e n B e t r a c h t u n g s w e i s e auf den h i s t o r i s c h e n J e s u s i m R a h m e n
der h i s t o r i s t i s c h e n V o r a u s s e t z u n g e n der damaligen J e s u s f o r s c h u n g tat-
sächlich eine K o m p l i k a t i o n , die m e t h o d i s c h d a h i n g e h e n d g e l ö s t w u r d e ,
d a ß s o l c h e J e s u s ü b e r l i e f e r u n g , die m i t d e m z e i t g e n ö s s i s c h e n J u d e n t u m
ü b e r e i n s t i m m t , m i t H i l f e eines A u s s o n d e r u n g s v e r f a h r e n s als u n w e s e n t -
lich, d. h. n i c h t original, a u s g e t r e n n t wird. So w u r d e die h i s t o r i s c h e A b -
s o l u t h e i t J e s u sichergestellt, die w i e d e r u m die A b s o l u t h e i t der v o n i h m
a u s g e g a n g e n e n R e l i g i o n garantiert 9 3 . U n t e r m a u e r t w i r d dies o f t m a l s m i t
einer S u b s t a n z l e h r e , die i m W e r k J e s u einen w e s e n t l i c h e n K e r n a u s m a c h t ,
der v o n der g e s c h i c h t l i c h b e d i n g t e n u n d partikularen H ü l l e o d e r Schale
seiner g e s c h i c h t l i c h e n E r s c h e i n u n g differiere. 9 4

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daß das Individualitätsaxiom des Historismus
sich auch hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Jesus und Christentum auswirkte.
Dies läßt sich exemplarisch an J. WELLHAUSEN illustrieren. WELLHAUSEN zufolge haftet
dem Christentum (wie dem nachexilischen Judentum) etwas Epigonenhaftes an, so daß
es nicht vermag, Jesu einzigartigen Neuansatz in Reinform weiter zu führen. Vielmehr
habe ein Rückfall eingesetzt, der endlich in eine Fortsetzung der jüdischen Theokratie in
Gestalt der weltweiten Kirche gemündet sei' 5 . Ahnliches läßt sich bei WERNLE beob-
achten, der einen Rückfall der Nachfolger Jesu in jüdische Kategorien beklagt 96 . So be-

" Vgl. auch THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 4 5 - 6 3 .


92 Andere wirksame Kategorien waren die des Genius, des Heros, des Religionsstifters,
des Ubergangsmenschen, usw. W. BOUSSET war in seiner Darstellung von Jesus be-
sonders dem Herosbegriff des britischen Gelehrten T. CARLYLE verpflichtet, vgl.
BERGER, Exegese, 92-109; ferner THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 52f.; MURR-
MANN-KAHL, Heilsgeschichte, 414f., der zu Recht betont, daß die Rezeption CAR-
LYLES durch BOUSSET vom Historismus vorbereitet wurde.
93 So klassisch HARNACKS Wesen des Christentums, dazu MURRMANN-KAHL, Heilsge-
schichte, 3 8 6 - 3 9 6 ; s. a u c h die E r ö r t e r u n g e n z u HOLTZMANN, e b d . , 4 1 0 - 4 1 2 , und
BOUSSET, e b d . , 3 9 6 - 4 0 4 . 4 1 3 - 4 1 8 .
94 V g l . M U R R M A N N - K A H L , H e i l s g e s c h i c h t e , 3 9 3 f . (HARNACK); 4 0 1 . 4 1 7 ( B O U S S E T ) ; f e r -
ner THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 94f. So fordert WEINEL, Verkündigung, 31, die
Trennung des Wesentlichen einer geschichtlichen Erscheinung von ihrer individuellen
Gestalt. THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 36-40, zeigen, daß damit die alte Akko-
modationslehre der Deisten und der Aufklärung wiederbelebt wird, nach der eine
überzeitlich-gültige Wahrheit von ihrer zeitbedingten, letztlich unverbindlichen Ein-
kleidung unterschieden wird.
95 WELLHAUSEN, Geschichte, 390-394; vgl. dazu LIEBESCHÜTZ, Judentum, 255f.
96 WERNLE, Anfänge, 104ff.

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kommt Jesus in beide Richtungen eine einzigartige, über seine Umgebung herausragende
Stellung zugewiesen 97 .

2.2 Flankierende theoriegeschichtliche Entwicklungen

Während das historistische Individualitätsaxiom eindeutig als die Haupt-


ursache für die Entstehung eines Differenzkriteriums hinsichtlich des
zeitgenössischen Judentums zu gelten hat, ist an dieser Stelle jedoch auf
zwei weitere Entwicklungen aufmerksam zu machen, die die Anwendung
jenes Individualitätsprinzips auf Jesus entscheidend vorangetrieben haben.
Zunächst ist hier die sogenannte Propheten-Anschluß-Theorie zu erwäh-
nen. Hatten schon die Aufklärung, H E G E L und SCHLEIERMACHER das
Alte Testament radikal entwertet und so einen Keil zwischen das antike
Judentum und das Christentum getrieben98, zeichnet sich in der Bibelkri-
tik von W I L H E L M V A T K E eine Variation dieses Themas ab, die künftig
große Wirkung zeigen sollte". V A T K E kommt unter dem Einfluß der H E -
GELschen Philosophie zu einer Auffassung der Geschichte der Religion
Israels, die sie als einen im Dreischritt vollzogenen Aufstieg aus einer
primitiven Naturreligion zu einer der individuellen Subjektivität Raum
gewährenden Religion versteht, wie dies aus den Propheten und der
Weisheitsliteratur hervorgehe. Der Pentateuch und damit zusammen die
Entstehung einer am Gesetz orientierten Religion gehörten chronologisch
nach diese Entwicklung und stellten eine Erstarrung dar: Es zeichnet sich
die Vorstellung einer Epocheneinteilung Israel-Judentum ab, die die auf-
klärerische Abwertung des Alten Testaments bzw. der Religion Israels
nun auf das spätere Judentum überträgt100.
Während des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts dominierten zwei
Gelehrte, J U L I U S W E L L H A U S E N und B E R N H A R D D U H M , die alttestament-
liche Forschung. Für die vorliegende Fragestellung nehmen sie entschei-
dende Weichenstellungen vor. D U H M zeichnet in seinem berühmten Buch
Die Theologie der Propheten (1875) ein Bild der Entwicklung der Religion
Israels, das die Propheten mit ihrer sittlichen Religion als höchste Stufe
Israels darstellt. In diesem Geschichtsbild ist eine Abwertung der nach-
prophetischen Epoche schon implizit beschlossen. Auch W E L L H A U S E N
betrachtet die prophetische Religion eines sittlichen und individualisti-

97 Vgl. THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 58-62, bes. 62.


98 Vgl. LIEBESCHÜTZ, Judentum, 1 - 4 2 (zu Aufklärung und HEGEL), 9 6 - 9 8 (zu SCHLEI-
ERMACHER).
99 Vgl. dazu LIEBESCHÜTZ, Judentum, 79-85.
100 LIEBESCHÜTZ, Judentum, 86.

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Der unähnliche Jesus 111

sehen Monotheismus als Höhepunkt der israelitischen Religion. Ihm zu-


folge diente die nachexilische Epoche der Organisation des Judentums
mit Tempelkult und Ritualgesetz als zentralen Größen. Ihren inneren
Wert hat diese Epoche darin, daß sie dem prophetischen Monotheismus
eine Schale bzw. einen Panzer bietet, damit er der Welt nicht verloren-
gehe101. Die Geschichte Israels sei jedoch unaufhaltsam auf den „Unter-
gang des jüdischen Gemeinwesens" zugesteuert102, das rabbinische Ju-
dentum habe die begonnene Erstarrung verstärkt fortgesetzt, so daß „eine
geistige Knechtschaft, wie sie nie wirksamer bestanden hat", entstanden
sei103. In Jesus und seinem Evangelium erblickt WELLHAUSEN einen Neu-
anfang, in dem die alte prophetische Religiosität wieder auflebe104: Er habe
„den edelsten Individualismus" gepredigt und damit an die Tradition der
Propheten angeschlossen. Er sei jedoch „mehr als ein Prophet" gewesen,
der tief unter dem Schutt jahrhundertelanger Erstarrung eine Quelle auf-
getan habe, der alles „Zufällige, Karikierte, Abgestorbene" zugunsten des
Wesentlichen abgestoßen habe105. Diese Propheten-Anschluß-Theorie,
die Jesus von seiner unmittelbaren jüdischen Umwelt isoliert, um ihn über
fünf Jahrhunderte des Verfalls hinweg direkt an die Propheten Israels an-
schließen zu lassen, wurde - nicht zuletzt wegen des gewaltigen Einflus-
ses WELLHAUSENS - zum Allgemeingut der exegetischen Zunft des 20.
Jahrhunderts 106 .
Die zweite Entwicklung, die hier anzusprechen ist, betrifft das Bild des
antiken Judentums zur Zeit Jesu und der Entstehung des Christentums,

101 WELLHAUSEN, Geschichte, 191. Er betont den „Widerspruch, daß der Gott der Pro-
pheten sich jetzt in einer kleinlichen Heils- und Zuchtanstalt verpuppte". Das Gesetz
habe eine „erstickende Wirkung", in der „der Kern hinter der Schale verholzte" (208).
Zu WELLHAUSENS Sicht des Judentums vgl. LIEBESCHÜTZ, Judentum, 2 4 3 - 2 6 8 ; ferner
PERLITT, Vatke und Wellhausen; KUSCHE, Unterlegene Religion, 3 0 - 7 4 .
102 So der Titel des vorletzten Kapitels des Buches (in der 1. Auflage des letzten Kapi-
tels).
103 WELLHAUSEN, Geschichte, 379. Die Bezeichnung Spätjudentum hat ihre Entstehung
im ausgehenden 19. Jahrhundert diesem verbreiteten Konzept einer Abfallgeschichte
Israels zu verdanken.
104 Vgl. dazu LIEBESCHÜTZ, Judentum, 2 4 3 - 2 6 8 , bes. 2 5 5 - 2 5 7 .
105 WELLHAUSEN, Geschichte, 3 8 1 - 3 9 0 . Schon 1884 schrieb er: „Das Evangelium ent-
wickelt verborgene Triebe des Alten Testaments, aber es protestiert gegen die herr-
schende Richtung des Judentums. Jesus versteht den Monotheismus anders als seine
Zeitgenossen", zitiert nach THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 76. Eine solche Pro-
pheten-Anschluß-Vorstellung läßt sich schon bei D. F. STRAUSS und in liberalen Je-
sus-Darstellungen nachweisen, vgl. ebd., 54f.
"* Vgl. KOCH, Ratlos, 3 5 - 3 7 . Die Rezeption setzt schon in BOUSSETS Jesusbuch ein, der
Jesu universale und individuelle Gerichtspredigt auf altisraelitische Herkunft zurück-
führt, vgl. THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 95f.

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112 David S. du Toit

das sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts infolge der Rezeption von
FERDINAND WEBERS 1880 posthum erschienenem Buch System der alt-
synagogalen palästinischen Theologie herauskristallisierte107. Dieses Bild
zeichnet das Judentum in erster Linie als partikularistische Gesetzes-
frömmigkeit angesichts eines unendlich fernen, transzendenten Gottes.
Das von WEBER gezeichnete Negativbild eines legalistischen Judentums
wurde durch die Rezeption in zwei Standardwerken der jüdischen Religio-
sität popularisiert und für Jahrzehnte festgeschrieben, nämlich durch
EMIL SCHÜRERS dreibändige Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter
Jesu Christi (ab 1886) und WILHELM BOUSSETS Die Religion des Juden-
tums im neutestamentlichen Zeitalter (1903)108. Das antike Judentum
bekam dadurch gerade für protestantische Jesusforscher ein äußerst
unattraktives Gesicht 10 ', was eine Einbettung Jesu in seine jüdische Um-
welt aus ihrer Sicht praktisch unmöglich und eine scharfe Absetzung Jesu
von ihr geradezu unumgänglich machte110.

2.3 Sozialgeschichtlicher Einfluß: Der antijüdische Affekt

Den hier erwähnten theoriegeschichtlichen Entwicklungen, die die An-


wendung des Differenzprinzips auf das Judentum bedingten, sind nun
auch sozialgeschichtliche Erwägungen zur Seite zu stellen. In einer um-
fangreichen Studie hat W. E. HEINRICHS dokumentiert, wie tief antijüdi-
sche Gefühle in den unterschiedlichsten Strömungen des Protestantismus
des Deutschen Kaiserreichs verwurzelt waren111. Auch die liberale Leben-
Jesu-Forschung und die Religionsgeschichtliche Schule konnten sich der
Sogwirkung dieser sozialen Gegebenheiten nicht entziehen. Gerade im li-
beralen Protestantismus wurde seit 1880 die Partikularität und Exklusivi-
tät jüdischer Religiosität als Hemmnis der Integration deutscher Juden
wahrgenommen - dem stünden die Merkmale der protestantischen Kul-
tur, nämlich Freiheit, Toleranz und humaner Fortschritt, gegenüber. Vor
allem wurde dem Judentum eine defizitäre Sittlichkeit vorgeworfen. Daß
es in einem solchen Milieu schwer fallen mußte, Jesus - der ja als die
identitätstiftende Figur des liberalen Protestantismus galt - in die Nähe

107 D a z u D E I N E S , P h a r i s ä e r , 2 4 5 - 2 5 5 ; WAUBKE, P h a r i s ä e r , 2 5 0 - 2 5 6 .
10S Dazu ausführlich SANDERS, Paulus, 27-54. Zu BOUSSET vgl. THEISSEN/WINTER, Krite-
rienfrage, 9 2 - 9 8 .
109 Im Brennpunkt der Negativdarstellung standen vor allem die Pharisäer, s. WAUBKE,
Pharisäer, 336-338.
110 Siehe auch THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 76-78.
111 HEINRICHS, J u d e n b i l d , bes. 6 8 1 - 6 9 5 .

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Der unähnliche Jesus 113

eines angeblich durch Partikularität und legalistisches Ethos gekenn-


zeichneten antiken Judentums zu rücken, leuchtet sofort ein. „So
schwankte die Stimmung des liberalen Protestantismus über den religi-
onsgeschichtlichen Nachweis des jüdischen Erbes des Christentums zwi-
schen einer Faszination [ . . . ] und einem .Hinterhauskomplex', der davon
ausgeht, daß Jesus eigentlich im .falschen' Stall geboren wurde" 112 . Zeitge-
nössische antijüdische Empfindungen übten also in erheblichem Maße
Druck aus, die Ergebnisse der religionsgeschichtlichen Forschung hin-
sichtlich Jesu Zugehörigkeit zum Judentum zu entschärfen. Dies war ein
nicht zu unterschätzender Faktor für die Entstehung des Differenzkri-
teriums.

3. Die Etablierung des doppelten Differenzkriteriums

Für die Etablierung des doppelten Differenzkriteriums als leitendem me-


thodischem Instrument der Jesusforschung des 20. Jahrhunderts war RU-
D O L F B U L T M A N N S Geschichte der synoptischen Tradition (1921; 2 1931) 1 1 3
entscheidend. Sie wurde (vor allem die 2. Auflage) zur grundlegenden
Urkunde des formgeschichtlichen Paradigmas, dessen Prämissen bis heute
die Evangelienforschung bestimmen. Die enorme Breitenwirkung der
Geschichte der synoptischen Tradition trug mehr als irgend etwas anderes
zu der Verbreitung des doppelten Differenzkriteriums bei. Die Geschichte
der synoptischen Tradition steht ganz im Zeichen der sachkritischen Frage
nach der „Echtheit eines [Jesus-] Wortes" bzw. der „Geschichtlichkeit ei-
nes Berichtes", d. h. der Einzelüberlieferung über Jesus. Ziel ist es, „die
ursprüngliche Form eines Erzählstückes, eines Herrenwortes, eines
Gleichnisses zu erkennen", d. h. zu erkennen, ob es von Jesus stammt
oder in der Gemeindetradition entstanden ist114. Als authentisches Jesus-
gut kommen nach B U L T M A N N fast nur die isolierten Herrenworte in Be-
tracht, weil sich die Erzählstoffe als christologisch bedingte Gemeinde-
produkte ohne biographisches Interesse erklären lassen115, während die
Apophthegmata durchgehend apologetische und polemische Interessen

112 HEINRICHS, Judenbild, 468f.


113 Zitiert wird nach der gegenüber der 2. Auflage unveränderten 9. Auflage von 1979.
1.4 BULTMANN, Geschichte, 6f.
1.5 BULTMANN, Geschichte, 223-335. Das von der Religionsgeschichtlichen Schule über-
nommene historistische A x i o m des Kollektivindividuums wird bruchlos in BULT-
MANNS Vorstellung der produktiven und zu Neuerung fähigen Gemeinde übernom-
men.

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114 David S. du Toit

der (palästinischen) Gemeinde reflektieren 116 (d. h. beide scheiden auf-


grund des Differenzprinzips hinsichtlich der frühchristlichen Dogmen-
und Kultbildung aus). Im Rahmen der Beurteilung der sogenannten Her-
renworte kommt nun das doppelte Differenzkriterium zur Anwendung 1 1 7
und wird explizit im Zusammenhang mit der Gleichnisbetrachtung for-
muliert 118 :

„Wo der Gegensatz zur jüdischen Moral und Frömmigkeit und die spezifische
eschatologische Stimmung, die das Charakteristikum der Verkündigung Jesu bil-
den, zum Ausdruck kommt, und wo sich andererseits keine spezifisch christliche
Züge finden, darf man am ehesten urteilen, ein echtes Gleichnis Jesu zu besitzen."

BULTMANNS Formulierung weist gegenüber der Formulierung WEINELS


einen wichtigen Unterschied auf - die Differenz zum zeitgenössischen
Judentum scheint hier ein Echtheitskriterium zu bilden 119 . Die Position
BULTMANNS läßt sich nur dann erklären, wenn man begreift, daß der reli-
gionsgeschichtliche Vergleich mit dem Judentum hier in den Dienst des
Aufweises einer Differenz zum Christentum gestellt wird: Da das palästi-
nische Christentum im Judentum verankert war, lassen sich Erkenntnisse
über das zeitgenössische Judentum anwenden, um Gemeindebildungen zu
erkennen 120 . Obwohl BULTMANN die Möglichkeit der Authentizität sol-
cher Stoffe explizit zugesteht, urteilt er, daß dies bedeutungslos sei, weil
die Gemeinde „damit nichts Charakteristisches von ihm bewahrt" habe 121 .
Bedeutsam seien lediglich Worte, die „etwas Charakteristisches, Neues,
was über Volksweisheit und Volksfrömmigkeit hinausgeht und doch

116 BULTMANN, G e s c h i c h t e , 8 - 7 3 .
117 Zur Anwendung von Echtheitskriterien in BULTMANN, Geschichte, vgl. BAASLAND,
T h e o l o g i e , 2 3 6 - 2 6 1 ; ferner THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 1 1 4 - 1 1 6 .
118 BULTMANN, G e s c h i c h t e , 222.
" ' D a m i t ebnet er den Weg für eine in der späteren Jesusforschung gelegentlich vor-
kommende fehlerhafte Anwendung des Differenzkriteriums, die davon ausgeht, daß
jüdische Stoffe in der Uberlieferung unecht wären.
120 Vgl. BULTMANN, Geschichte, 132: „Die erste grundlegende Beobachtung ist die, daß

jüdisches Gut von der christlichen Tradition übernommen und Jesus in den Mund
gelegt ist", vgl. ferner die Diskussion zu den Weisheitslogien ebd., 106-113, und zu
den prophetischen Worten ebd., 132-138. Das Vorgehen BULTMANNS entspricht der
hier oben erwähnten Position WERNLES, der eine Rejudaisierung Jesu im frühen Chri-
stentum beklagte. Streng genommen müßte man also sagen, daß Bultmann nicht ein
doppeltes Differenzkriterium vertrat, sondern nur das an dem überlieferungsge-
schichtlichen Problem orientierte Differenzkriterium zum Christentum. Die Diffe-
renz zum Judentum wird dazu instrumentalisiert, die Differenz zum Judenchristen-
tum erkennen zu können.
121 BULTMANN, G e s c h i c h t e , 108.

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Der unähnliche Jesus 115

ebensowenig spezifisch schriftgelehrt-rabbinisch oder jüdisch-apoka-


lyptisch ist", enthalten122. Ausgesondert werden Worte, die „wenig oder
gar nicht charakteristisch [sind] für eine neue und individuelle Frömmig-
keit, die über das Judentum hinausgeht"123. Diese Äußerungen zeigen, daß
BULTMANN jene historistische Position vertritt, nach der Jesus eine ge-
schichtsmächtige, individuelle Persönlichkeit war, die nur in der prinzipi-
ellen Unverbundenheit mit ihrer Umwelt richtig zu verstehen ist, weil das
Originale und das Neue an ihr das Wesentliche bzw. das Charakteristische
ist. Folglich kann alles typisch Jüdische, das die Gemeinde von Jesus tra-
diert hat, sei es nun aus dem Judentum übernommen und auf ihn proji-
ziert, sei es nun echt, als unbedeutsam für das Verständnis Jesu betrachtet
werden. Die von WEINEL vertretene Unterscheidung zwischen „Echt"
und „Wesentlich" wird also von BULTMANN mittels der Differenz zum
Judentum - wenn auch in einem anderen methodischen Zusammenhang -
aufrechterhalten.

Diese Überlegungen zeigen, weswegen BULTMANN, obwohl er immer die Zugehörigkeit


Jesu zum Judentum betont hat, an verschiedensten Punkten seiner Biographie von Jesus
als „Abschluß und Erfüllung" (1920) bzw. als radikalem „Überwinder" (1960) des Ju-
dentums sprechen konnte 124 . Auch die anderen hier oben unter 2.2.2 und 2.2.3 genannten
Faktoren dürften dabei eine Rolle gespielt haben: Die Aussage, daß „Jesus als Abschluß
und Erfüllung in die Geschichte des Judentum hineingehört" zeigt ζ. B. deutliche Berüh-
rung mit WELLHAUSENS Vorstellungen über die Geschichte des Judentums und der hin-
ter der Propheten-Anschluß-Theorie stehenden Epocheneinteilung' 2 5 . Daß BULTMANN
das Negativbild vom „Spätjudentum" von SCHÜRER und BOUSSET übernommen hat, ist
allgemein anerkannt 126 .

Zum Abschluß ist festzuhalten: Auch wenn in den zwanziger Jahren bei
BULTMANN mit seiner Abkehr von den systematisch-theologischen und
hermeneutischen Prämissen der Leben-Jesu-Theologie eine Wende be-
züglich des Stellenwertes der Frage nach dem historischen Jesus für die
Theologie eingetreten ist, blieben die geschichtstheoretischen und me-
thodischen Voraussetzungen, unter denen er sich mit dem historischen

122 BULTMANN, Geschichte, 110.


123 BULTMANN, Geschichte, 108.
124 Die vollständigen Zitate und Literaturangaben bei THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage,
113.
125 V g l . BAASLAND, T h e o l o g i e , 2 5 7 - 2 5 9 .
126 Vgl. SANDERS, Paulus, 27-54; vgl. ferner DE VALERIO, Altes Testament, 348-353. Sehr
umstritten ist dagegen, ob BULTMANN antijüdische Gefühle nachgewiesen werden
k ö n n e n ( s o z . B . VON DER OSTEN-SACKEN, R ü c k z u g , 1 1 3 - 1 2 2 ; STEGEMANN, 2 6 - 4 4 ) -
dies ist eher unwahrscheinlich, vgl. DE VALERIO, Altes Testament, 9-16, dort Litera-
turangaben zur Debatte.

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116 David S. du Toit

Jesus beschäftigt, davon unberührt. Er übernahm das sich am Anfang des


20. Jahrhunderts infolge der religions- bzw. überlieferungsgeschichtlichen
Wende abzeichnende Paradigma mitsamt seinen historistischen Prämis-
sen. Es ist der gewaltigen Wirkung BULTMANNS ZU verdanken, daß diese
Prämissen - trotz der Krise des Historismus - bis in das 21. Jahrhundert
hinein in der neutestamentlichen Forschung nachwirken.

IV. Das Differenzkriterium auf dem Prüfstand

Das Differenzkriterium wurde seit seiner programmatischen Einführung


durch ERNST KÄSEMANN als Leitkriterium einer neuen Rückfrage nach Je-
sus angefochten. Die Kritik betraf vor allem zwei Aspekte: Zum einen
wurde moniert, daß es Jesus von seiner jüdischen Umwelt und dem aus
seiner Wirkung hervorgegangenen Christentum isoliere und somit ein
ungeschichtliches Zerrbild produziere. Zum anderen bezog sich die Kritik
auf die Unpraktikabilität des Kriteriums: Die Lückenhaftigkeit und der
höchst hypothetische Charakter unseres Bildes vom Judentum zur Zeit
Jesu und dem ältesten Christentum erlaubten nicht, die erforderliche
Aussonderung der Anschauungen Jesu aus Judentum und Christentum
zum methodischen Programm erheben zu können. Diese Kritik möchte
ich hier nicht im einzelnen wiederholen, sondern nur dort darauf zurück-
greifen, wo sie sich mit einer Kritik an geschichtstheoretischen Voraus-
setzungen des Kriteriums berührt.

1. Die Unhaltbarkeit des Differenzkriteriums bezüglich des Judentums

Die Kritik am Differenzkriterium bezüglich des Judentums hat sich in


den letzten beiden Jahrzehnten zu Recht weitgehend durchgesetzt. Es
wurde durch eine Prozedur ersetzt, in der die Differenz Jesu zum Juden-
tum nur im Rahmen seiner grundlegenden Kontinuität mit dem Judentum
eine Rolle spielt. Dabei wird vorausgesetzt, daß nur eine solche Jesus-
überlieferung, die nachweislich auf das palästinische Judentum des ersten
christlichen Jahrhunderts zurückgeführt werden kann, als historisch au-
thentisch gelten kann. Kontextuelle Kontinuität bezüglich des palästini-
schen Judentums gilt als eine notwendige, jedoch nicht ausreichende Be-
dingung, um eine Uberlieferung als historisch authentisch einzustufen.
Dieses Kriterium kontextueller Kontinuität wird dadurch ergänzt, daß
man nach dem individuellen Profil Jesu innerhalb seines jüdischen Kon-

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Der unähnliche Jesus 117

textes, d. h. nach jener besonderen Kombination kontextueller Elemente,


die Jesu Individualität zu verantworten hat, fragt127.
Zu dieser Entwicklung ist dreierlei zu bemerken: 1. Die faktische Auf-
gabe des Differenzkriteriums hinsichtlich des Judentums beruht auf der
Erkenntnis, daß Individualität als ein Produkt kontextueller Faktoren und
nicht als kontextlose Einzigartigkeit zu verstehen ist. Sie beruht also auf
der Aufgabe der hier oben beschriebenen historistischen Prämisse der
Unableitbarkeit des geschichtswirksamen Individuums. 2. Die Kategorie
der Differenz wird nicht aufgegeben, sondern der Kategorie der kontex-
tuellen Korrespondenz untergeordnet. Dadurch wird der grundlegenden
sinnstiftenden bzw. semantischen Funktion der Kategorie der Differenz
für die Geschichtsschreibung Rechnung getragen. 3. Das Kriterienmodell
wird beibehalten - kontextuelle Kontinuität wird als Maßstab angelegt,
um über die Authentizität der Einzelüberlieferungen zu befinden128.

2. Die fragwürdige Verquickung von Ideologiekritik und Quellenkritik

Dem Differenzkriterium hinsichtlich des Christentums eignet ein dop-


peltes ideologiekritisches Moment. Dieses verdankt es der Entstehung der
historischen Kritik in der Aufklärung. Es betrifft einerseits die geschicht-
liche Uberlieferung (die christliche Uberlieferung war von dogmatischen
Interessen geleitet), andererseits die wissenschaftliche Exegese (es be-
gründet die Verpflichtung, Rechenschaft über die eigene Bewertung des
historischen Werts der jeweiligen Quellen abzulegen). Dies ist ein unauf-
gebbarer Aspekt jeder Beschäftigung mit der Frage nach dem historischen
Jesus. Allerdings kam es im 19. Jahrhundert zu einer verhängnisvollen
Entwicklung, als das ideologiekritische Moment der historischen Kritik in
den Dienst der Quellenkritik gestellt wurde, indem die Differenz zum
Christentum zum Ausscheidungsprinzip erhoben wurde. Ihm fiel zu-
nächst das Johannesevangelium als historische Quelle zum Opfer, danach
die Synoptiker und - nach der Übernahme in die Formkritik - der größte
Teil der vorliterarischen Einzeltraditionen.
Das Problem dieser Entwicklung besteht zunächst darin, daß sie von
vornherein Jesu Differenz zum Christentum betont und so geradezu eine

' " T H E I S S E N / W I N T E R , K r i t e r i e n f r a g e , 1 8 3 - 9 4 , 2 0 9 - 1 2 , 2 1 5 - 1 7 . V g l . DU T O I T , E r n e u t a u f
der Suche, 109-116, zu den forschungsgeschichtlichen Zusammenhängen.
128 Vgl. die Formulierung bei THEISSEN/MERZ, Jesus, 119: „Historische Kontextplausibili-
tät haben Jesusüberlieferungen, wenn sie in den jüdischen Kontext des Wirkens Jesu
passen und innerhalb dieses Kontextes als individuelle Erscheinungen erkennbar
sind", ferner THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 194-205.

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118 David S. du Toit

Isolierung Jesu vom Christentum präjudiziert. Wo das Differenzprinzip


dahingehend angewendet wird, daß eine mögliche christliche Beeinflus-
sung als ein Aussonderungsgrund zu betrachten ist - wie dies vielfach im
Gefolge der Formulierung K Ä S E M A N N S der Fall war - , wird Jesus vollends
vom Frühchristentum isoliert129. Es ist offenkundig, daß das Aussonde-
rungsprinzip und die historistische Vorstellung geschichtsmächtiger Indi-
vidualität sich gegenseitig stützen. Ferner ist zu beachten: Je schärfer Je-
sus vom Frühchristentum isoliert wird, desto größer muß die Kreativität
der christlichen Gemeinde geschrieben werden130. So lebt die historisti-
sche Vorstellung des kreativen und produktiven Kollektivindividuums
dort latent weiter, wo das Differenzprinzip als Aussonderungsprinzip an-
gewendet wird, so daß bei der Anwendung des Differenzkriteriums hin-
sichtlich des Christentums unmerklich ein ganzer Verbund fragwürdiger
geschichtstheoretischer Postulate des Historismus wirksam ist131.

3. Die Fragwürdigkeit des Authentizitätsmodells

In der neuesten Jesusforschung zeichnet sich ein gewisser Konsens ab, das
Differenzkriterium hinsichtlich des Judentums und somit das historisti-
sche Verständnis geschichtlicher Individualität aufzugeben. Dagegen wird
das Differenzkriterium hinsichtlich des Christentums als Aussonderungs-
bzw. Authentizitätskriterium weitgehend aufrechterhalten132. Dies ist eine
Folge der Tatsache, daß die Jesusforschung unbeirrt an gewissen aus dem
Historismus übernommenen Postulaten festhält - insbesondere an der
Prämisse, der Zugang zum historischen Jesus erfolge am besten über den

129 Dagegen wurde von A n f a n g der sogenannten N e w Q u e s t an Kritik laut - vgl. KÜM-
MEL, Vierzig Jahre Jesusforschung, 28-32, 100-108; s. bes. HOOKER, Using, 570-581.
Vgl. aber schon WEINELS Einschränkung (hier oben Anm. 73).
130 Vgl. z. B. jene Darstellungen der Entstehung des frühen Christentums, die aus dem

U m f e l d des J e s u s Seminars stammen (CROSSAN; MACK). ES ist eine Besonderheit des


J e s u s Seminars, daß das Differenzkriterium in voller Schärfe gegenüber dem Chri-
stentum angewandt wird.
131 In einem Teil der neuesten Jesusforschung versucht man, die durch das Differenzkri-

terium herbeigeführte Isolierung J e s u durch die Forderung aufzufangen, daß die Ent-
stehung des frühen Christentums als Wirkungsgeschichte der Geschichte J e s u plausi-
bel gemacht werden soll; s. BECKER, Jesus, 4f.; THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage,
1 7 6 - 1 8 3 , 2 1 2 - 2 1 4 ; THEISSEN/MERZ J e s u s , 1 1 7 - 1 2 0 .
132 Vgl. DU TOIT, Erneut auf der Suche, 116. Auch das von THEISSEN/WINTER und
THEISSEN/MERZ vorgeschlagene Kriterium der Wirkungsplausibilität (bzw. Tendenz-
widrigkeit/-sprödigkeit) ist nur eine Variante der Differenzkriteriums - auch sie zielt
darauf, Einzelüberlieferungen auf ihre Authentizität hin zu prüfen und J e s u s zu- oder
abzuerkennen.

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Der unähnliche Jesus 119

Zugriff auf historisch authentisches Jesusgut, das dementsprechend aus der


frühchristlichen Uberlieferung herauszufiltern sei 133 . Es ist also geboten,
das Authentizitätsmodell auf die Validität seiner Voraussetzungen hin zu
überprüfen.

3.1 Die Fragwürdigkeit einer überlieferungsgeschichtlichen Archäologie

Wie tief die Jesusforschung noch am Ende des 20. Jahrhunderts in histori-
stische Voraussetzungen verstrickt ist, läßt sich vor allem daran ablesen,
daß sie sich eines der Archäologie vergleichbaren Verfahrens bedient -
Ziel ist es, die sekundären Schichten der Uberlieferung abzutragen, um zu
der ältesten Uberlieferungsschicht vorzustoßen, die einen unmittelbaren
Zugang zum historischen Jesus verspricht 134 . Dementsprechend ist oft
von einer Rückfrage nach Jesus die Rede 135 . Dieses Modell verdankt seinen
Ursprung der Tatsache, daß der Ubergang zu einer Untersuchung der
vorliterarischen Uberlieferung am Anfang des 20. Jahrhunderts gänzlich
im Rahmen der von der Jesusforschung des 19. Jahrhunderts vorgegebe-
nen Zwei-Quellen-Hypothese stattfand 136 .

Diese Verquickung der Frage nach dem historischen Jesus mit der Frage nach der Ent-
stehung der Evangelien bestimmte auch jene Tendenz der Jesusforschung des 20. Jahr-
hunderts, die Quellenbasis auf die synoptische Uberlieferung einzuschränken, und stand
einer Ausweitung auf die außersynoptische Uberlieferung bis zum Ende des 20. Jahr-
hunderts im Wege. Die Einsicht der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller unabhängiger
Überlieferungen begann sich erst seit den neunziger Jahren durchzusetzen"7. Wie leben-
dig jedoch die historistische Prämisse „je älter, desto zuverlässiger" noch am Ende des
20. Jahrhunderts ist, zeigt sich daran, daß gerade diejenigen, die die Relevanz außerkano-
nischer Quellen für die Jesusforschung betonen, großen Wert darauf legen, das Alter
dieser Quellen oder ihrer primären Schichten (bes. des Thomas- bzw. Petrusevangeli-

133 Vgl. die Beiträge in CHILTON/EVANS, Words; CHILTON/EVANS, Activities.


134 Vgl. auch WATSON, Quest, 156-169: "The Gospels derive from a process of accretion
in which an original image of Jesus was overlaid with all kinds of later material [...]
for the historian, the reality of Jesus is what comes to light when later accretions are
removed and the surviving 'authentic' material is restored to its 'original context'
[...]" (160). Vgl. ζ. Β. LÜHRMANN, Ursprüngliche Jesusworte, 69f., der jedoch vor-
sichtiger hinsichtlich der Unmittelbarkeit des Zugangs zum historischen Jesus urteilt.
135 Vgl. ζ. B . K E R T E L G E , Rückfrage, und HAHN, Methodologische Überlegungen, 1 1 - 7 7 .

MUSSNER, 1 1 8 - 1 4 7 , redet vom „Weg zurück zu Jesus" ( 1 2 1 Í . 1 4 0 u. ö.). Siehe auch


LENTZEN-DEIS, Kriterien, 104, der auf das gelegentlich verwendete Bild vom Zurück-
gehen zum Ursprung einer Quelle verweist.
136 SCHMITHALS, Einleitung, 234-298.

137 Vgl. DU TOIT, Erneut auf der Suche, 125f.

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120 David S. du Toit

ums) hervorzuheben 1 3 8 . Sie ist auch dort wirksam, wo mit Hilfe einer Stratifikation der
Quellen älteste Schichten als primäre Quellen ausgesondert werden, wie es z. B. im E n t -
wurf CROSSANS geschieht bzw. dort, wo eine primäre nicht-eschatologische, weisheitli-
che Schicht in Q einen direkten Zugang zum historischen Jesus verbürgen soll' 3 '.

Innerhalb dieser Rückfrageprozedur hat das Differenzkriterium die Funk-


tion, nicht-authentisches Jesusgut aus der ältesten Schicht auszusondern
und somit einen Zugriff auf die authentische Jesusüberlieferung zu er-
möglichen. Voraussetzung einer solchen Verfahrensweise ist, daß authen-
tisches, von Jesus selbst stammendes (bzw. zuverlässig über ihn berich-
tendes) Uberlieferungsgut dem Historiker einen direkten Zugang zu der
unter vielen Schichten der sekundären Uberlieferung verborgenen histori-
schen Wirklichkeit Jesu verschafft - „grundsätzlich [ . . . ] gilt es als mög-
lich, bis zum Ursprung, d. h. bis zu Jesus, zu gelangen"140.
Die Vorstellung, man könne mittels Authentizitätskriterien auf die hi-
storische Gestalt Jesu (bzw. Jesu Verkündigung) zugreifen, beruht letzt-
lich auf einem revisionsbedürftigen, dem Historismus entstammenden
Verständnis von Geschichtsforschung141. Denn das Authentizitätsmodell
wird von der optimistischen Uberzeugung getragen, man könne die histo-
rische Wirklichkeit rekonstruieren, d. h. wiedergewinnen142 - voraus-
gesetzt, man hat Zugriff auf authentische historische Uberlieferung143.
Geschichtliche Uberlieferungen und Artefakte sind jedoch Relikte ver-
gangenen Geschehens, an das sie zwar erinnern, das sie aber niemals fest-
halten und unversehrt weitergeben können. Das Vergangene ist unwider-
ruflich vergangen. Ferner eignet aller geschichtlichen Uberlieferung ein
fragmentarischer Charakter, so daß die Vergangenheit der historischen
Betrachtung nur als Fragment und niemals als Ganzes zugänglich sein
kann, wobei eine solche Betrachtung durch vielfache Brechung präfigu-

138 Als gutes Beispiel vgl. CROSSAN, Jesus, 4 2 7 - 4 3 0 .


139 Dazu DU TOIT, Erneut auf der Suche, 124f.
140 LENTZEN-DEIS, Kriterien, 104.
MI Vgl. dazu SCHRÖTER, Jesus, 1 8 - 3 4 , dort auch Literaturhinweise.
1,2 Eine Äe-konstruktion setzt voraus, die vergangene Wirklichkeit wiedergewinnen und
dann nachbilden (re-konstruieren!) zu können.
143 Man kann die weite Verbreitung dieser Vorstellung in der Jesusforschung an der Ver-
wendung bestimmter sprachlicher Ausdrücke erkennen: So fragt man danach, wie es
gelingen kann, „aus dem T e x t zurück in die Geschichte zu springen" (MUSSNER,
Methodologie, 1 2 1 ) ; man redet von einer „Rekonstruktion" (der Verkündigung) des
historischen Jesus (sogar in THEISSEN/MERZ, Jesus, 121; THEISSEN/WINTER, Kriteri-
enfrage, 1 7 6 u. ö.) bzw. sucht nach dem „wirklichen" Jesus, der hinter den T e x t e n
verborgen sei (vgl. die Verwendung des W o r t e s „wirklich" in den Titeln von PERRIN,
Was lehrte Jesus wirklich?; HERBST, Der wirkliche Jesus; LÜDEMANN, D e r große Be-
trug: und was Jesus wirklich sagte).

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Der unähnliche Jesus 121

riert ist. Eine hinter den Quellen verborgene Vergangenheit durch histori-
sche Rekonstruktion wirklichkeitsgetreu wiederauferstehen zu lassen, ist
also eine Illusion - dem Historiker bleibt nur die Möglichkeit, in reflek-
tierender Verantwortung angesichts der fragmentarischen Quellen Ge-
schichte in einem kreativen Akt zu konstruieren144.

3.2 Das ungelöste Problem der Modalitäten


der vorliterarischen Uberlieferung

Das Kriterien- bzw. Authentizitätsmodell beruht auf der Prämisse, daß


ein Teil der originalen Jesusüberlieferung die Jahrzehnte währende münd-
liche Phase des Uberlieferungsprozesses im frühen Christentum gewis-
sermaßen unbeschadet überstanden hat. Es geht also davon aus, daß ein
authentischer Kern der Uberlieferung (ipsissima verba / ipsissima vox bzw.
ipsissima intentio) zu sichern sei. Die Voraussetzung dieser Prämisse ist
nun wiederum, daß es im frühen Christentum Überlieferungsmodalitäten
gegeben haben muß, die die Unversehrtheit eines Teils der Jesusüberliefe-
rung sicherten. Damit stoßen wir auf ein für die Tragfähigkeit des Au-
thentizitätsmodell entscheidendes Problem. Spätestens seit die moderne
Mündlichkeitsforschung gezeigt hat, daß in mündlicher Uberlieferung im
Normalfall nicht mit Stabilität zu rechnen ist145 - es sei denn, es liegen
besondere Überlieferungsmodalitäten zur Sicherung der Stabilität der
Tradition vor - reicht ein bloßes Vertrauen darauf, daß ein Teil der Über-
lieferung authentisch überliefert würde, nicht mehr aus, um den Anforde-
rungen der Wissenschaftlichkeit zu genügen. Möchte man das Kriterien-
bzw. Authentizitätsmodell in der Jesusforschung aufrechterhalten, dann
ist man geradezu gezwungen, Rechenschaft über die Überlieferungsmo-
dalitäten im Frühchristentum abzulegen und die vorausgesetzte Stabilität
eines Teils der Überlieferung plausibel zu begründen.

Einen Versuch, die Frage nach den Uberlieferungsmodalitäten zu klären, haben HARALD
RIESENFELD, BIRGER GERHARDSSON und neuerdings RAINER RIESNER unternommen.
Das von ihnen vorgeschlagene Uberlieferungsmodell geht davon aus, daß die Überliefe-
rung durch von Jesus selbst eingesetzte und unterrichtete Autoritäten gesteuert worden
sei und daß die Modalitäten der rabbinischen mündlichen Uberlieferung auf die früh-
christliche Jesusüberlieferung zu übertragen seien. Dieses Modell eignet sich schon des-
wegen nicht als methodische Grundlage des Kriterienmodells und somit als Basis einer
von der Authentizitätsproblematik geleiteten Jesusforschung, weil es ein bestimmtes J e -
susbild (Jesus als Lehrer) voraussetzt, das die Jesusforschung erst zu eruieren hat.

144 SCHRÖTER, Jesus, 2 8 - 3 4 .


145 KELBER, Gospel; SILBERMAN, Orality; DEWEY, Orality.

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122 David S. du Toit

Die Vertreter des formgeschichtlichen Überlieferungsmodells hingegen verweigerten


in der Frage nach den Uberlieferungsmodalitäten des frühen Christentums konsequent
jegliche Auskunft und zogen sich auf eine vage Vorstellung von einem freien (d. h. nicht
von Autoritäten gesteuerten), anonymen Überlieferungsprozeß zurück, der von den
praktischen Interessen der Gemeinden vorangetrieben wurde. Allerdings wird dieser
Prozeß als so stabil gedacht, daß man Schichten der mündlichen Uberlieferung mit Hilfe
literarkritischer Operationen freilegen könne. Eine plausible Erklärung für diese er-
staunliche Stabilität fehlt noch immer - es ist ein dringendes Desiderat, daß sich die An-
hänger des formgeschichtlichen Modells, das ja auch sonst schwerwiegender Kritik aus-
gesetzt i s t " ' , um eine historisch und soziologisch begründete Erklärung der von ihnen
vorausgesetzten Überlieferungsmodalitäten bemühen.

Solange die offenen Fragen der Modalitäten der Uberlieferung nicht be-
friedigend geklärt sind, fehlt dem Kriterien- bzw. Authentizitätsmodell
der Jesusforschung eine tragfähige methodische Grundlage. Es ist aller-
dings zu befürchten, daß Optimismus in dieser Frage fehl am Platz wäre.
Die Komplexität mündlicher Uberlieferung gestattet voraussichtlich kei-
ne eindeutige Klärung der Modalitätenfrage.

V. Ausblick: Jesusforschung ohne Echtheitskriterien?

Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß das in der Jesusfor-


schung favorisierte heuristische Modell einer auf Authentizitäts- bzw.
Echtheitskriterien basierenden Aussonderungsprozedur einerseits zutiefst
in revisionsbedürftigen geschichtstheoretischen Voraussetzungen des
Historismus verankert ist und daß ihm andererseits in der entscheidenden
Frage der Überlieferungsmodalitäten eine tragfähige theoretische Grund-
lage fehlt. In der Jesusforschung besteht also zweifelsohne ein erheblicher
Bedarf, von der ebenso hektischen wie optimistischen Produktion immer
neuer Jesusbilder zu pausieren und sich ihrer erkenntnis- und ge-
schichtstheoretischen Grundlagen zu vergewissern. Dabei ist ernsthaft zu
erwägen, ob das Kriterienmodell als solches (auch in seinen revidierten
Fassungen) nicht überholt ist und durch einen neuen Zugang zur Frage
nach dem historischen Jesus zu ersetzen ist.
Ein solcher Zugang kann hier nicht entwickelt werden - schon die aus
der diffizilen Quellenlage resultierende Komplexität der Fragestellung
verbietet dies. An dieser Stelle sollen nur einige Bedingungen für das Ge-

146 GÜTTGEMANNS, O f f e n e Fragen; G. STANTON, Form Criticism; KELBER, The Oral and
the Written Gospel, 1-43; SCHMITHALS, Einleitung, 298-318; BERGER, Einführung;
SCHRÖTER, Erinnerung, 1-65.

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D e r unähnliche Jesus 123

lingen eines solchen Projekts skizziert werden. Zunächst ist festzuhalten,


daß die bisherigen Beobachtungen deutlich vor Augen geführt haben, daß
zum Teil überholte, zum Teil revisionsbedürftige erkenntnis- und ge-
schichtstheoretische Prämissen die Jesusforschung des 20. Jahrhunderts
bedingten. Diese zumeist latent vorhandenen Prämissen sind nachweislich
auch in der sogenannten Third, Quest wirksam147. Es ist also essentiell
wichtig, daß die Jesusforschung in einen intensiven interdisziplinären
Austausch mit der in der Geschichtswissenschaft geführten Debatte über
den Charakter historischer Erkenntnis tritt148. Ein solcher Austausch wird
dazu beitragen können, den in der Jesusforschung nach wie vor virulenten
historischen Positivismus zu beenden, und der Einsicht Bahn zu brechen,
daß es in der Erforschung des historischen Jesus nicht um eine Offenle-
gung des einen hinter den Quellen verborgenen Jesus geht, sondern dar-
um, durch rational verantwortete, kritisch reflektierende und kreativ-
konstruktive Interpretation der Quellen ein geschichtlich plausibles Bild
von Jesus zu entwerfen.
Ferner ist zu bedenken, daß die Komplexität mündlicher Uberlieferung
allen Versuchen, die vorliterarische Uberlieferung rekonstruieren zu wol-
len, eine unüberwindbare Grenze setzt. Für die Konstruktion eines Jesus-
bildes steht dem Historiker also nur die Überlieferung in den Brechungen
der vorliegenden schriftlichen Quellen zur Verfügung149. Die historiogra-
phische Herausforderung liegt also darin, eine wissenschaftlich kontrol-
lierte Methode zu entwickeln, um ein Bild vom historischen Jesus ohne
Rückgriff auf primäre, d. h. „authentische" Quellen (bzw. ohne die Illu-
sion eines solchen Rückgriffs) zu entwerfen.
Dann gilt es, die Erkenntnis der Third Quest zu berücksichtigen, daß
Individualität eine Funktion von Kontextualität ist und daß der histori-
sche Kontext Jesu deswegen eine entscheidende und unentbehrliche
Quelle ist, die darüber informiert, wer Jesus gewesen sein könnte. Damit
kommt der Erforschung der gesellschaftlichen, kulturellen, ökonomi-
schen, politischen und religiösen Situation Palästinas bzw. Galiläas des er-
sten Jahrhunderts nach Christus erhöhte Bedeutung für die Frage nach
dem historischen Jesus zu150 - sie zeichnet gewissermaßen die Karte, auf
der Jesus zu verorten ist. Zu ersten Umrissen des Bereiches innerhalb des

M7 Vgl. auch DU TOIT, Erneut auf der Suche, 1 0 7 - 1 0 9 .


,4 ' Vgl. dazu SCHRÖTER, Jesus, 6 - 6 1 ; ferner THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 2 3 3 - 2 6 8 .
M ' Dabei ist der hypothetische und damit vorläufige Charakter aller konstruierten Quel-
len, besonders der Logienquelle, nie aus den Augen zu verlieren, vgl. dazu SCHRÖTER,
Jesus, 9 0 - 1 1 7 , bes. 9 3 - 9 7 , dessen Analyse der Q - F o r s c h u n g zeigt, wie virulent ein hi-
storischer Positivismus in der derzeitigen neutestamentlichen F o r s c h u n g ist.
150 Vgl. DU TOIT, Erneut auf der Suche, 109f.

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124 David S. du Toit

Judentums, wo der Standort Jesu anzusiedeln ist, gelangt man dadurch,


daß man die spezifischen Kontinuitäten zwischen zeitgenössischem Ju-
dentum und frühem Christentum berücksichtigt. Es muß als sehr wahr-
scheinlich gelten, daß das, was dem antiken palästinischen Judentum und
dem frühen Christentum gemeinsam war, auch für Jesus charakteristisch
war151. Der historische Jesus ist also zunächst auf einer das Judentum und
das entstehende Christentum verbindenden Linie anzusiedeln.
Die Prämisse der Third Quest, daß Verbindungslinien vom historischen
Jesus zum sich von zeitgenössischen Judentum unterscheidenden frühen
Christentum hinführen müssen, d. h. daß es eine wirkungsgeschichtliche
Kontinuität zwischen Jesus und frühem Christentum gegeben haben
muß, ist weiter zu entwickeln. Dies kann gelingen, wenn man die über Je-
sus in der Tradition vorhandenen Informationen systematisch daraufhin
untersucht, welche Bedeutungspotentiale sie in einem jüdischen Kontext
gehabt hätten152. Bei Traditionen, die sich gegen jegliche Einordnung in
das Judentum sperren, ist auf christlichen, d. h. nachösterlichen Ursprung
zu schließen153. Wo allerdings ein innerjüdisches Bedeutungspotential zu
eruieren ist, ist mit einem möglichen innerjüdischen Ausgangspunkt
christlicher Tradition zu rechnen. Durch eine Auswertung der Konver-
genz der so entstandenen Verbindungslinien ließen sich die Konturen des
Bereiches auf einer Karte des palästinischen Judentums zur Zeit Jesu um-
reißen, wo Jesus seinen Standort gehabt haben könnte.

151 Dieser Ansatz läuft dem der Jesusforschung des 20. Jahrhunderts entgegen, der seit
der Entstehung des Differenzkriteriums mit einem Rückfall des Judenchristentums in
das Judentum, von dem Jesus sich getrennt haben soll, rechnet (vgl. z. B. das Zitat von
P. WERNLE bei Anm. 80, ferner die Überlegungen hier oben zu BULTMANNS Anwen-
dung des Differenzkriteriums und KÄSEMANNS Zusatzformulierung zu demselben (s.
Anm. 4). Dieser Ansatz setzt jedoch ein bestimmtes Bild der geschichtlichen Ent-
wicklung voraus, das nicht einfach vorausgesetzt werden darf, sondern historisch
plausibel zu begründen ist.
152 Die den Quellen zu entnehmenden Informationen sind also von ihrem jetzigen Sinn-

zusammenhang in der jeweiligen narrativen Welt und dem jeweiligen symbolischen


Universum zu abstrahieren und daraufhin zu überprüfen, welches Sinnpotential sie in
einem anderen symbolischen Universum (des vorchristlichen, palästinischen Juden-
tums) hätten haben können. Dieser Vorgang findet sich zum Teil schon jetzt in der
Jesusforschung, z. B. dort, wo nach dem möglichen Sinn des Menschensohnbegriffes
im Judentum gefragt wird.
153 Eine schöpferische Produktivität des frühen Christentums, die kaum Anhalt in den

vorösterlichen Gegebenheiten gehabt haben soll, wie man es sich in der Nachfolge
BULTMANNS vorstellt, ist mit Skepsis zu betrachten. Wenn Neuschöpfungen in der
Tradition vermutet werden, ist dies plausibel zu begründen.

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Der unähnliche Jesus 125

Diese Überlegungen können hier nicht weiter vertieft werden154. Sie


sollen nur dazu dienen, zu zeigen, daß ein alternativer Zugang zur Jesus-
problematik möglich ist, der einerseits die inhärenten methodischen
Schwierigkeiten des Authentizitätsmodells meidet und andererseits den
Entwicklungen der geschichtstheoretischen Debatte Rechnung trägt. Die
Praktikabilität eines solchen Zugangs ließe sich nur in der konkreten Ar-
beit an den Quellen erweisen - eine Aufgabe, der ich hoffe, mich in der
Zukunft widmen zu können.

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154 Vgl. auch SCHRÖTER, Jesus, 37-61.

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126 David S. du Toit

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"All that glisters is not gold"

In Quest of the Right Key


to unlock the way to the historical Jesus

JAMES D . G . D U N N

In Shakespeare's Merchant of Venice, the suitors for the hand of Portia


have to choose between three caskets, one of gold, one of silver, one of
lead. Only one contains the picture of Portia. The first suitor asks for
the key to the gold casket, and discovers therein only a skull, with a scroll
which begins, "All that glisters is not gold". He has been misled by out-
ward appearances, and chosen the wrong key and the wrong casket; his
suit fails. Similarly with the second suitor, who chooses, of course, the
casket of silver, only to be met with the portrait of a fool's head, and the
slogan: "Who chooseth me shall have as much as he deserves". He too
has chosen the wrong key and the wrong casket. It is the lead casket after
all which contains the likeness of the play's heroine.
The story can perhaps serve as an illustration of the "quest of the his-
torical Jesus". So many keys have been tried to unlock the way to the
historical Jesus. So many outwardly fair caskets of gold and silver have
been opened in hope of finding therein the true likeness of Jesus. And so
many attempts have been deemed a failure by succeeding generations, su-
perficially appealing, but more death's head or fool's head than historical
Jesus in outcome.
In the history of the "quest" itself the earliest key tried was that of sci-
entific criticism, where conformity to the laws of nature being newly dis-
covered was taken to be the measure of historical truth; it produced the
picture of a rationalised Jesus. D. F. STRAUSS thought that his concept of
myth was the key and produced Jesus the ideal man. The assumption of
confident, civilized, imperialist, liberal moralism produced Jesus the Vic-
torian Sunday School teacher. SCHWEITZER insisted that the key was es-
chatology, and produced the failed apocalyptist. BULTMANN denied that
there was an adequate key and settled for the kerygmatic Christ of faith.
The second questers, in reaction to BULTMANN, wrestled with the key of
double dissimilarity and found the answer in Jesus' own implied christol-
ogy, while strangely insisting that it was detached both from the Judaism

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132 James D. G. Dunn

of Jesus' day and the faith of the first Christians. Most of the third
questers have found the key in the Jewishness of Jesus, and his aim/hope
for the restoration of Israel, and have settled mostly on the picture of Je-
sus as the eschatological prophet.1 But the more the Jewishness of Jesus
is stressed, of course, the wider the gap that must be crossed in moving
from Jesus the Jew to the predominantly Gentile Christianity which soon
emerged.
Such brief characterisations, of course, run the risk of being carica-
tures. And each of the above attempts to unlock a surer way to the "his-
torical Jesus" 2 surely deserves a much fuller and more nuanced critique.
But there have been many such critiques offered over the past century,3
and there is neither scope nor sufficient reason here to undertake a fresh
analysis. Instead it will have to suffice to examine in more detail two of
the most interesting keys which have been offered in recent research,4
before proffering my own suggested key. One is the rather traditional re-
course to literary analysis of the available sources. In this case the key is
given by the isolation of an earliest stratum within the Q document, and
its correlation with the Gospel of Thomas, as providing the most immedi-
ate access to Jesus' teaching. The second is to step back from the imme-
diacy of the text and to read the text within a larger theoretical context,
what might be called "a grand narrative". There have been two impressive
examples in recent Jesus research. J. D . CROSSAN has no doubt that the
conjunction of three vectors (a rather broadly conceived cross-cultural
anthropology, Greco-Roman and Jewish history, and literary or textual

1 S A N D E R S sums up a fair consensus when he notes: "Many scholars have agreed that,
of various roles which we can identify, Jesus best fits that of 'prophet' (Jesus and Ju-
daism, 2 3 9 ) ; note also B E C K E R , Jesus of Nazareth, 2 1 2 - 2 2 6 , 2 2 7 ; the subtitles of A L -
L I S O N , Jesus of Nazareth, and E H R M A N , Jesus. Similarly M E I E R finds that his three
volumes investigating the Jesus tradition support the self-chosen portrait of Jesus as
"the Elijah-like, miracle-working, eschatological prophet" (Elijah-like Prophet 4 5 - 8 3 ) ;
and see n. 40 below.
2 I use the term "historical Jesus" here in the characteristically casual way of current Je-
sus research: that is, despite the recognition that the phrase denotes the figure of Je-
sus reconstructed by historical method, the phrase continues to be widely used in ref-
erence to the Jesus who conducted a mission in the Galilee during the years
(probably) 27-30. But I point up the dangers of the usage below.
3 See of course SCHWEITZER, Quest. Of recent treatments see e. g. ALLEN, The Human
Christ; WEAVER, Historical Jesus; WITHERINGTON, The Jesus Quest; EVANS, Life of
Jesus Research.
4 With more space to command I would have liked to include critique also of M E I E R ' S
magisterial four volume study of A Marginal Jew, in which he recognizes that "the
quest for objectivity" is an unrealistic one (1.4-6), but nevertheless pursues the ideal
of an exegete using "purely historical-critical methods" (1.197).

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"All that glisters is not gold" 133

analysis) gives him a sure way forward.5 And Ν . T . W R I G H T is equally


convinced that by reading the elements of the Jesus tradition against the
meta-narrative of Israel in exile and restoration, he has the necessary
"large hypothesis", a serious historical hypothesis, within which all the
details of the Jesus tradition find their place, a whole which illuminates
the parts most satisfactorily.' I give my reasons for suggesting that such
caskets of gold and silver yield a disappointing result. Whether the base
metal of my own offering opens up to reveal the historical Jesus or is just
another empty grasping after a will-o'-the-wisp I will have to leave others
to decide.

1. To Jesus via Q'

A strong feature of the Quest in the transition from 19th to 20th centu-
ries was the focus on Mark's Gospel as the earliest written Gospel (Mar-
kan priority). For many this invited the obvious inference that Mark pro-
vides the most direct and immediate access to "the historical Jesus". 7 In
an eerily reminiscent way, the transition from the 20th to 21st centuries
has been marked by a similar focus on the other member of the "two
document hypothesis", Q. The currently influential consensus, that not
only the content and extent of the complete document but also an earliest
stratum can be identified within Q, 8 seems to invite the equivalent infer-
ence that this earliest version of Q (Q 1 ) provides the most direct and im-
mediate access to "the historical Jesus". 9 Moreover, the fact that Q 1
seems to be similar in character to the Gospel of Thomas (wisdom, rather

5 CROSSAN, Historical Jesus xxxi-xxxii; also Birth 1 4 6 - 1 4 9 .


6 WRIGHT, Jesus e. g. 79 ("The scholar must work with a large hypothesis, and must
appeal, ultimately, to the large picture of how everything fits together as the justifica-
tion for smaller-scale decisions"), 88, 225, 245, 517, 5 7 6 - 5 7 7 ("the controlling story:
exile and restoration").
7 Illustrated by the brief outline of the life of Jesus with which HOLTZMANN ended his
1863 study of the Synoptics, and BURKITT'S Gospel History ch. 3.
8 By general consent the most persuasive analysis has been provided by KLOPPENBORG,
Formation of Q , who detects three compositional layers/strata in present Q - a pri-
mary sapiential layer, composed of six "wisdom speeches" ( Q 1 ) ; a second apocalyptic
layer, made up of five judgment speeches (Q 2 ); and a final not very substantial revi-
sion ( Q 3 ) (see e. g. 317, 243, 170). The argument is refined in KLOPPENBORG VER-
BIN, Excavating Q, chs. 2 - 3 .
9 KLOPPENBORG has always been cautious at this point (see particularly his Sayings
Gospel Q ) ; but ROBINSON has been more sanguine (e. g. Critical Edition).

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134 James D. G . Dunn

than apocalyptically oriented) is the key consideration allowing some to


argue that (the first edition of) Thomas is early,10 and that Q 1 and Tho-
mas provide a mutually confirming way in to Jesus' teaching.11 That is to
say, Jesus' own preaching must have had the same sapiential character as
Q 1 and Thomas; and his preaching of the kingdom of God cannot have
envisaged any divine intervention into history, any "apocalyptic" coming
of the kingdom.
But does this key really work? Is it a real key?
At this point I have no desire to quarrel with the large consensus that
there was a Q document. I am also impressed by the case for seeing Q as
structured round the motif of coming judgment and on the lines of Deu-
teronomistic theology;12 as also by the evidence marshalled by J O H N
K L O P P E N B O R G of interpolations into earlier material.13 I do not particu-
larly wish to dissent from the working hypothesis that Q was a carefully
structured document. What remains unclear to me, however, is what we
might call the status of the Q 1 material.14
One principal line of critique has focused on the question of genre.
K L O P P E N B O R G initially left himself somewhat vulnerable on this front by
talking of sayings appropriate to different genres, and seeming to assume,
for example, that a wisdom genre may not "permit" apocalyptic forms.15
Such an argument would fall into the same trap as the early form-critics
who postulated the concept of "pure" forms, and consequently found it
necessary to classify various of the actual Synoptic pericopes as "mixed"
forms.16 But K L O P P E N B O R G is well aware of examples of "mixed genres"

10 KOESTER, Ancient Christian Gospels 87, 134-135.


11 The basis for many of the Jesus Seminar's judgments as to the historicity of elements
within the Jesus tradition (FUNK, Five Gospels).
12 See KLOPPENBORG VERBIN, Excavating Q 118-124; he now sees the story of Lot as a

further structural element (118-121).


13 Q 6.23c; 1 0 . 1 2 , 1 3 - 1 5 ; 12.8-10 (Excavating Q 147-150).

14 KLOPPENBORG sees Q 1 as made up of six clusters of sayings: (1) 6.20b-23b, 27-35,


36-45, 46-49; (2) 9.57-60, (61-62); 10.2-11, 16, (23-24?); (3) 11.2-4, 9 - 1 3 ; (4) 12.2-
7, 11-12; (5) 12.22b-31, 33-34 (13.18-19, 2 0 - 2 1 ? ) ; (6) 13.24; 14.26-27; 17.33; 14.34-
35 (Excavating Q 146).
15 I echo KLOPPENBORG'S language (Formation 31).

" See particularly ALLISON, Jesus Tradition 4 - 7 , 41-42; KIRK, C o m p o s i t i o n 64-86:


"the question of the degree of coherence and cohesion actually present in a given text
must not be b e g g e d " (67); "mixing genres in literature often seems the rule rather
than the exception" (270). C f . also HORSLEY in HORSLEY & DRAPER, Whoever 6 9 -
75.

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"All that glisters is not gold" 135

in the literature of the period,17 and that the second stage compiler, on his
own hypothesis, evidently had no qualms in combining the different ma-
terial (genres) of Q 1 and Q 2 . 18 So critics at this point should not them-
selves make the mistake of which they accuse K L O P P E N B O R G , that is, of
assuming that the designation of a "sayings" genre as a " s a p i e n t i a l " sayings
genre would necessarily be restricted to exclusively "wisdom" sayings.19
The deficiency of such categorisation is rather, as C H R I S T O P H E R T U C K E T T
has repeatedly observed, that the range of material included by K L O P P E N -
BORG in this genre gives such a breadth of definition to "wisdom" as to
diminish its usefulness as a distinguishing category.20 The likening of Q
to a collection of Cynic chriae,21 a suggestion taken up and pushed further
by others,22 has confused the issue still further.23 And to speak of a gnos-
ticizing tendency in the sapiential genre24 is to confuse later development
with original motivation,25 and to propagate a concept of genre as having
an inherent character analogous to the genetic determinism advocated by
some contemporary biologists. All in all, the attempt to classify and de-
marcate genre types has not proved very helpful in the discussion of Q.
More to the point, is the question of redaction itself. Here we need to
remind ourselves of the methodological problems in such an analysis.26 If
we take the parallel of Mark, it has proved difficult enough to determine
redaction in Mark's case. There are, after all, no firm criteria which enable

17 KLOPPENBORG notes that Proverbs contains some prophetic motifs and that Isaiah
has absorbed sapiential elements (Formation 3 7 - 3 9 ) . See also e. g. C D and 1QS from
the DSS, or T. 12 Patr. from Jewish pseudepigrapha and Revelation from the N T .
" Cf. TUCKETT, Stratification of Q , 215-216.
" For KLOPPENBORG'S robust response to HORSLEY in particular, see Excavating Q
150-151 n. 71.
20 TUCKETT, Q particularly 345-348, 353-354; similarly HORSLEY in HORSLEY &
DRAPER, Whoever 77-78, and further 75-82. SCHRÖTER also points out that the
vagueness of "Logoi/Sayings" hardly makes it a suitable criterion to distinguish a spe-
cific genre (Erinnerung 9 5 - 9 6 ) .
21 KLOPPENBORG, Formation 306-316, 322-325; but he has repeatedly pointed out that

he is thinking in terms of form not of content.


22 Especially DOWNING, Cynics and Christian Origins ch. 5; also The Jewish Cynic Je-

sus; MACK, Lost Gospel 45-46, 114-123; VAAGE, Galilean Upstarts; also Historical
Jesus.
23 For TUCKETT'S critique see Q 368-391. See also the critiques of BETZ, Jesus and the

Cynics; ROBINSON, Taxonomy of Q ; EDDY, Jesus as Diogenes?


24 As does ROBINSON, L O G O I S O P H O N ; TUCKETT'S critique in n. 23 above includes

Robinson ( Q 3 3 7 - 3 4 3 ) .
25 Cf. LÜHRMANN'S critique of ROBINSON on this point (Redaktion 91).

26 KLOPPENBORG offers his "methodological considerations" in Formation 9 6 - 1 0 1 ; also

Excavating Q 114-118.

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136 James D. G. Dunn

modern commentators to distinguish clearly (outside the more obviously


editorial linking passages) what Mark has retained or added: for example,
regularity of word and motif in Mark tells us nothing as to whether the
word or motif occurred regularly, occasionally or not at all in Mark's
sources. 27 And if identification of redaction is difficult in a case where the
text of the document (Mark) is so firm, how much more difficult in the
case of Q whose text is always a matter of argument and hypothesis. 28
How in particular is one to distinguish redaction from (initial) compo-
sition? 2 ' If a redactor was not troubled by the presence of aporiae and
tensions in his final text, would an initial compositor of Q have felt any
different? 30 How can one both argue for the coherence and unity of Q
(as proof of its existence), and at the same time argue that internal ten-
sions indicate disunity, without the one argument throwing the other into
question? 31 Textual tensions are no clear proof of redactional layers (what
author ever succeeded in removing all tensions from his/her final product,
or attempted to do so?). 32 Clinical technique here is in danger of running
ahead of common sense. That said, I do not deny the plausibility of de-
tecting at least some redaction in the composition of Q .
My questions begin to multiply however when we turn our focus on to
Q 1 . KLOPPENBORG does not explicitly address the issue of whether Q 1
was also a document, certainly not in the way he addresses the issue of

27 Cf. particularly DSCHULNIGG, Sprache.


28 The result has been, apart from those following KLOPPENBORG, that more or less
every redactional study of Q comes up with its own compositional history; cf. e. g.
SCHULZ, Q ; SATO, Q und Prophetie; ALLISON, Jesus Tradition 8-37. It is true, how-
ever, that KLOPPENBORG'S work has given rise to a substantial consensus regarding
the redactional character of the theme of judgment against "this generation".
29 N o t e particularly TUCKETT'S criticisms at this point (Q 52-82): e. g. "Lührmann's
'Redaktion' is not so very different from the 'Sammlung' from which he would distin-
guish it" (56).
30 In KOESTER'S view the apocalyptic material "conflicts" with the emphasis of the wis-
dom and prophetic material (Ancient Christian Gospels 135). KLOPPENBORG speaks
of "aporiae created by redactional activity", or of a group of sayings "modified by the
insertion of a secondary expansion or commentary [ . . . ] " (Formation 97, 99); but that
simply begs the question, as KLOPPENBORG seems to realise (Formation 99).
31 JACOBSON, Unity, is particularly vulnerable at this point (cf. TUCKETT, Q 63-64).
32 Recent treatments of Q argue for a single compositional stage: SCHRÖTER, Erin-
nerung, particularly 216-217, 292-293, 368-369, 449-450, 468-472; KIRK, Composi-
tion of the Sayings Source: " N o warrants exist for supposing that a single one (of Q ' s
twelve speeches) formed gradually or incrementally or is a sedimentized witness to
some multi-layered archaeology of early Christianity" (269); HORSLEY in HORSLEY &
DRAPER, Whoever 23-24, 61-62, 83-93,148; HOFFMANN, Mutmaßungen über Q 286.

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"All that glisters is not gold" 137

whether Q itself was a document." All he actually demonstrates is the


plausibility of detecting clusters of sayings which have been taken over
(and redacted) at the stage of composing Q (or Q 2 ). He does not actually
demonstrate that Q 1 ever functioned as a single document or stratum in
his excavations into Q . And on closer examination it is hard to detect a
unifying theme or redactional motif which links them together (as, ar-
guably, is the case with the motif of coming judgment in Q itself). What
we seem to have, rather, is six(?) clusters of Jesus' teaching: (1) the
somewhat disparate material gathered into "the Sermon on the Plain" (Q
6.20-23, 27-49); (2) teaching on discipleship and mission (9.57-62; 10.2-
11, 16); (3) teaching on prayer (11.2-4, 9 - 1 3 ) ; (4) encouragement to
fearless confession (12.2-7, 11-12); (5) the right priorities (12.22-31, 3 3 -
34); (6) more teaching on discipleship (13.24; 14.26-27; 17.33; 14.34-35).
There is no reason, however, why this material should be taken as a single
document. 34 It looks in fact more like the sort of teaching material which
was no doubt rehearsed in the Q communities in their regular gatherings,
some individual items already grouped (different clusters) for conven-
ience and as good pedagogical practice.35 If we follow this line of reason-
ing, then the rationale for two distinct compositional layers is under-
mined, and the related hypothesis that a single document (Q 1 )
represented the sole concerns and interests of the Q people makes even
less sense.36 The evidence is fully satisfied by the alternative hypothesis of

33 H e does however assume it (Excavating Q 159, 197, 2 0 0 , 2 0 8 - 2 0 9 ) ; see also 1 5 4 - 1 5 9


on the genre of Q 1 .
34 Similarly HOFFMANN'S conclusion (Mutmaßungen über Q 2 6 6 ) . T h e considerations
adduced by KLOPPENBORG (Excavating Q 1 4 4 - 1 4 6 ; referring back to F o r m a t i o n ch.
5) hardly demonstrate "in all likelihood [ . . . ] a discrete redactional stratum". (1) A
c o m m o n structure? But t o describe the first item in each cluster as a "programmatic
saying" overstates the case. Since it is all teaching material with the character o f per-
sonal address ( " y o u " ) , it naturally evinces a "rhetoric o f persuasion", but that hardly
marks it out as distinctive. And the designation of the last item in each cluster as one
which "underscores the importance of the instructions" only applies even on KLOP-
PENBORG'S reckoning t o four of the six clusters. (2) T o describe the content as "an
interlocking set o f concerns which have to do with the legitimation of a somewhat ad-
venturesome social practice" implies a higher degree o f intention and coherence
bonding the clusters than is actually evident.
35 This hypothesis makes as good if not better sense o f the case for "complexes o f logia"
o r "collections of aphoristic sayings" behind Q , as suggested by ZELLER, Die
weisheitlichen Mahnsprüche 1 9 1 - 1 9 2 , and argued particularly by PIPER, W i s d o m in
the Q-tradition. But ZELLER also gives a firm negative answer t o the question "Eine
weisheitliche Grundschrift in der Logienquelle?".
36 T h e argument, e. g., that the absence of such concerns as purity distinctions and T o -
rah obedience indicates the limitation of the Q people's range o f interest, o r that they

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138 James D. G. Dunn

a single compositional act, when the Q author/editor pulled together


these different clusters, adapted them (the redactional interpolations),
and knitted them into the larger single collection Q (or Q 2 ). 3 7
What then of the inferences drawn from Q 1 that the earliest memories
of Jesus were only of a teacher of wisdom? Several observations are called
for, but I will briefly touch on only three here.
(1) As KLOPPENBORG has been the first to insist, the compositional
history of Q does not determine the date or origin of the material drawn
in to Q at the different stages in its composition: "tradition-history is not
convertible with literary history"; tradition brought in at a redactional
stage might be as old or older than the tradition redacted 38 Even if we
were able to distinguish later from earlier composition, it need only mean
that Q 1 brought together one strand of the Jesus tradition.
(2) This insight should be correlated with the widespread appearance
of the motif of judgment on "this generation" within the wider Synoptic
tradition and its relative absence elsewhere in the N T (Matt. 11.16/Luke
7.31; Matt. 12.41-42/Luke 11.31-32; Matt. 23.36/Luke 11.51; Mark 8.12,
38; Matt. 12.45; Luke 11.30, 50; 17.25) 39 which suggests a motif recalled as
characteristic of Jesus' teaching and included in other retellings of the Je-
sus tradition for that reason.40
(3) Despite KOESTER'S best efforts, his argument that Thomas bears
witness to an early non-apocalyptic stage in the Jesus tradition cannot es-

saw Jesus more as a sage than a prophet (KLOPPENBORG VEREIN, Excavating Q 199,
3 9 7 - 3 9 8 ) , only begins to make sense if Q 1 represented the complete range of concerns
of the Q people.
17 See further TUCKETT, Q 7 1 - 7 4 ; DOWNING, Word-processing in the Ancient World
8 5 - 9 4 . HORSLEY in HORSLEY & DRAPER, Whoever 6 2 - 6 7 , sums up his genre critique:
"The common features that supposedly characterize the sayings clusters assigned to
the different strata either fail to appear in the clusters or do not appear consistently
across the various clusters. The hypothesized layers cannot in fact be differentiated
according to the stated criteria of these features" (67).
38 See particularly KLOPPENBORG, Formation 2 4 4 - 2 4 5 ; also Sayings Gospel Q , 323
n. 70, 337; also Excavating Q 151.
39 See further my Jesus Remembered # 1 2 n. 177; also MEIER, Marginal Jew 2.209 n. 134.
40 KOESTER notes that KLOPPENBORG assigns to the secondary stage not only sayings
about the judgment of this generation and about the coming of the Son of Man, but
also the entire sections in which these sayings are embedded ( Q 3 . 7 - 9 , 1 6 - 1 7 ; 4 . 1 - 1 3 ;
12.39-59; 17.23-37; and the Q materials in Luke 7 . 1 - 3 5 and 11.14-52), and argues for
"a more explicit eschatological orientation of the earliest composition of Q " (Sayings
of Q, 145); "the image of Jesus that is accessible through the most original version of
Q is that of an eschatological prophet" (153).

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"All that glisters is not gold" 139

cape the charge of petitio principal In at least several instances it can


equally or more persuasively be argued that Thomas has de-eschato-
logized the tradition which it has drawn upon. 42
In short, the key provided by the stratification of Q 1 and the conjunc-
tion of Q 1 and the Gospel of Thomas proves something of a broken reed.
The promise it offered to open access to the historical Jesus reveals only a
Jesus whose character as a teacher of subversive wisdom has been tailored
by questionable assumptions and methodologies.

2. To Jesus by way of a grand narrative

Another key offered to unlock the way into the Jesus tradition has been
the master or meta-narrative. Indeed, some would say that without such a
grid into which to fit the data, the evidence is capable of too many diver-
gent readings. H A L V O R M O X N E S reminds us that Protestants were for a
long time attracted by the master narrative of a decline from the age of
spirit and freedom to the age of institutions and control ("early Catholi-
cism" as a negative description). 43 And the grand narrative of modernity
actually provided the key for the old Liberal questers: a non-miracle
working, moral teacher affirmed a European optimistic individualism
born of self-conscious cultural supremacy, industrial might and imperial-
istic conquest. The very idea of a grand narrative is itself a corollary of an
apocalyptic vision of history: what happens on earth as the reflection of
cosmic and epochal spiritual forces shaped in accordance with the divine
purpose. So it is hardly surprising if most of the 20th century Quest took
for granted the master narrative of Jewish apocalyptic expectation put to
it by W E I S S and SCHWEITZER. 4 4 But now that paradigm in turn has been
undermined for many, and other hermeneutical keys are being sought. 45
Those Jesus questers unwilling to align themselves wholly with postmod-
ernism's pluralism and concomitant rejection of all grand narratives still

41 KOESTER, G N O M A I D I A P H O R O I 137-139; also Ancient Christian Gospels 92-99.


In the last case, the comparison with John is similarly tendentious in claiming that
John avoided the Gnostic implications (as indicated by Thomas) of the tradition he
was using ( 1 1 5 - 1 2 3 ) .
42 See also ALLISON, Jesus of Nazareth 126-127, citing particularly G T h 35, 41 and 103,
but referring also to GTh 10,16, and 91.
43 MOXNES, Historical Jesus, 138.
44 E. g. SANDERS, Jesus and Judaism 10; ALLISON, Jesus of Nazareth 36-44.
45 See also MOXNES' critique of other "master narratives" on offer (Historical Jesus 138-
148).

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140 James D. G. Dunn

look for the grand narrative which will provide the key to resolve the rid-
dle of Jesus' kingdom preaching. The two most impressive attempts to
open the way to the historical Jesus using such a key have been those of
J O H N D O M I N I C CROSSAN a n d T O M W R I G H T .

2.1 J. D. CROSSAN. In his Birth of Christianity, in which he provides, as it


were, the footnotes lacking in his earlier Historical Jesus, CROSSAN makes
clear that he operates with a grand narrative drawn from cross-cultural
anthropology ("the Lenski-Kautsky model") - the master narrative of
"peasant society", or egalitarian peasant society,46 exploited by and resis-
tant to the ruling classes.47 On this broad template (not just peasant Ju-
daism, but peasant society as such), CROSSAN stretches some of the par-
ticularities of Galilean archaeology,48 and finds confirmation of escalating
peasant protest and turmoil at the time of Jesus in H O R S L E Y ' S thesis to
that effect.49 Together with his literary analysis by chronological stratifi-
cation,50 the result is one of the most impressive methodological tours-de-
force since STRAUSS a century and a half earlier. When Jesus' kingdom
preaching is located within this framework, CROSSAN argues that, while
the kingdom could have been understood in apocalyptic terms at the time
of Jesus, it was the sapiential kingdom which provides the best fit: "The
sapiential Kingdom looks to the present rather than the future [ . . . ] One
enters that Kingdom by wisdom or goodness, by virtue, justice, or free-
dom. It is a style of life for now rather than a hope of life for the fu-
ture".51
There are several problems with this grand narrative. (1) Although
CROSSAN protests that he does not wish simply to extrapolate from the
Mediterranean world as though it was a single cultural unit, or to general-

46 CROSSAN, Historical Jesus 2 6 3 - 2 6 4 .


47 CROSSAN, Birth 1 5 1 - 1 5 9 , 1 6 6 - 1 7 3 ; "Peasant is an interactive term for farmers who are
exploited and oppressed" (216).
48 Birth ch. 13.
49 Birth 148, 210, referring to HORSLEY & HANSON, Bandits, Prophets, and Messiahs;
see also CROSSAN, Historical Jesus chs. 7, 9 (particularly 184-185), and 10 (particu-
larly 218-219).
50 The heart of CROSSAN'S claim is that there are three major sources which can be dated
confidently to the period 3 0 - 6 0 CE: the earliest stratum of the Gospel of Thomas
dated to about 50; Q dated to the 50s, but with the earliest sapiential layer (following
KLOPPENBORG) presumably earlier; and CROSSAN'S own creation, the Cross Gospel, a
linked narrative of Jesus' crucifixion and resurrection, constructed out of the Gospel
of Peter (itself to be dated to the mid second century C E ) and postulated by CROS-
SAN as the source for the canonical passion narratives (Historical Jesus 427-429).
51 Historical Jesus 284-292 (here 292).

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"All that glisters is not gold" 141

ise too straightforwardly from the universals of peasant society, his


treatment of Judaism is very limited and his analysis of the conditions in
lower Galilee very restricted.52 But we really do need to have a clearer idea
of what Judaism meant at the time of Jesus, of its distinctives, and how it
shaped Jewish identity, in the Galilee as well. There were national and re-
ligious factors operative in Jewish society and not simply social and eco-
nomic factors, and arguably the former provided the dominant narrative
by which even Jewish peasants made sense of their lives.53 That narrative
cannot simply be fitted into a larger economic narrative, à la MARX; the
distinctives of Jewish tradition and identity actually form a counter nar-
rative, which for Jesus at least seems to have been determinative, for his
message of the kingdom not least.
(2) The half dozen episodes of protest narrated by Josephus for the pe-
riod are too easily linked into a single trajectory of escalating unrest and
violence. But with the exception of the turmoil after the death of Herod
the Great and the build up to the first revolt in 66, all we have is a few
isolated and idiosyncratic incidents, whose impact in Galilee during the
20s and early 30s was probably minimal. For the rest, and during the
ministry of Jesus, there is little indication of escalating unrest - injustice,
oppression and complaint no doubt, but the impression of a moving es-
calator of heightening protest again owes more to a larger generalisation
read into the particularities of Jesus' historical situation with too little
care for the particularities themselves.54
(3) It is rather surprising that C R O S S A N draws his illustration and
documentation for the sapiential kingdom entirely from diaspora Jewish
(Philo, Wisdom of Solomon) and Greek literature (Sentences of Sextus). 55
Quite how that demonstrates an option open to Jesus is not clear, espe-
cially as the absence of king/kingdom language in Jewish wisdom is so

52 This criticism need be tempered to only a little extent by CROSSAN'S teaming up with
the archaeologist, J. L . REED in their jointly-authored Excavating Jesus.
M See particularly the critique by FREYNE, Galilean Q u e s t i o n s : "If one were to follow
Crossan's methodology to its logical conclusion [ . . . ] it would be difficult to locate
Jesus anywhere, certainly not in Galilee" (64); and the warnings on this point by SA-
WACKI, Crossing Galilee 73-80.
54 S e e e. g . F R E Y N E , G a l i l e e c h . 6; H O R S L E Y , J e s u s c h . 4 ; R A P P A P O R T , H o w Anti-Roman
Was the Galilee?". C f . Tacitus' report that "under Tiberius (14-37 C E ) all was quiet"
(Histories 5.9). BOND notes that during the first six years of Pilate's prefecture ( 2 6 -
32), that is the period of Jesus' activity, there was no Syrian legate in residence to over-
see affairs in Palestine (Pontius Pilate 14).
55 Historical Jesus 287-291. Sentences of Sextus - "a collection of Greek wisdom say-
ings assembled by a Christian redactor probably near the end of the 2d century C E "
(F. WISSE, A B O 5.1146-1147).

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142 James D. G. Dunn

noticeable. In contrast the theme is prominent in psalms, prophets and


apocalypses. 56 All of which suggests that CROSSAN is again extrapolating
too quickly from a much wider hypothesis and pushing unjustifiably hard
for a non-apocalyptic sense for "kingdom" as the context of meaning
which would inform the hearing of Jesus' Galilean audiences.
Ironically, the grand narrative in this case is proving as illiberal and as
imperialistic as the other grand narratives which have shaped the reading
of the Jesus tradition in decades gone by.

2.2 N . T . WRIGHT is the most forthright in his assertion of the need for
the quester to work with a grand narrative.57 He criticizes his predeces-
sors for "pseudo-atomistic work on apparently isolated fragments" and
argues instead that "the real task" is that of "major hypothesis and serious
verification". 58 "The scholar must work with a large hypothesis, and must
appeal, ultimately, to the large picture of how everything fits together as
the justification for smaller-scale decisions". 5 ' In other words, verifica-
tion essentially consists in demonstrating how well individual details fit
within the framework of the larger story. The point here is that the
phrase "kingdom of God" evokes a story, which may well be present even
when the phrase is absent; and individual sayings can only be made sense
of in relation to that story. 60 Jesus and the Victory of God is a massive
exposition of Jesus on that basis, quite as impressive and enchanting as
CROSSAN'S, as one might have hoped for from two who take so seriously
the medium of story in their work.
The problems with W R I G H T ' S exposition begin with his identification
of the grand narrative. He has no doubt that "the controlling story" is
that of "exile and restoration": 61 that is, the conviction of most of Jesus'

56 See e. g. the documentations in WILLIS, Kingdom; DULING, D . C., Kingdom of God,


Kingdom of Heaven, A B D 4.49-56; MEIER, Marginal Jew 2.243-288; THEISSEN &
MERZ, Historical Jesus 246-252.
57 "Critical realism" as WRIGHT understands it "sees knowledge of particulars as taking

place within the larger framework of the story or worldview which forms the basis of
the observer's way of being in relation to the world" (New Testament 37); "simplicity
of outline, elegance in handling the details within it, the inclusion of all the parts of
the story, and the ability of the story to make sense beyond its immediate subject-
matter: these are what counts" (42); see further 98-109.
51 WRIGHT, Jesus 33; see also 51, 87-89, 133.

59 Jesus 79.

60 Jesus 224-225.

" Jesus 245, 576-577. SANDERS speaks more cautiously of "a common hope for the
restoration of Israel which could embrace a variety of themes" (Jesus and Judaism

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"All that glisters is not gold" 143

contemporaries that Israel was still in exile,62 and the preaching of Jesus to
the effect that the exile was now over. The proclamation that "the king-
dom of God is at hand" summed up "the entire narrative of Israel's new
exodus, her final return from exile".63 Here again there are three prob-
lems in particular to be considered.
(1) WRIGHT exaggerates the importance of the theme of return from
exile in Palestinian Judaism. It was certainly a feature of Jewish eschato-
logical hope, that is, for the return of the scattered outcasts of Israel to
the homeland, in accordance with the original schema of Deut. 30.64 But
there is no real evidence that those who actually were living within the land
thought of themselves as still in exile.65 Such a hypothesis hardly squares
with the amazing hymn of praise to Simon the High Priest in Sir. 50,66 or
with the confidence that the purification of altar and temple attested the
restoration of Israel's heritage (2 Macc. 2.17). And the Sadducean priests
responsible for the twice daily Tamid offering in the Temple presumably
did not think of themselves as still in exile. The hypothesis hardly fits
with the confidence of blamelessness of a Pharisee like Saul (Phil. 3.6),
and "the righteous"/"sinners" antithesis so characteristic of the Psalms of
Solomon evidently worked with a frame of reference which was not de-
pendent on the exile-restoration paradigm. The Qumran community
certainly made use of the exile-restoration motif, but in different ways: a
return from "Damascus" already accomplished ( C D 1.4-8), an exile from
Jerusalem in the wilderness (of Judea!), 67 and the threat of future exile to

124). WRIGHT also sees the expectation of Yahweh's return to Zion as integral to the
controlling story (Jesus 616-623).
62 Particularly New Testament 268-272; Jesus xvii-xviii, 126-127, 203-204.

63 Jesus 244.

64 See e. g. Isa. 49.5-6, 22-26; 56.8; Jer. 3.18; 31.10; Ezek. 34.12-16; 36.24-28; Zech. 8.7-

8; Tob. 13.5; 14.5-6; Sir. 36.11-15; 48.10; Bar. 4.37; 5.5; 2 Macc. 1.27, 29; Pss. Sol.
11.1-9; 17.31,44.
65 Writings like Daniel, Tobit and Baruch, of course, write from the perspective of those

still scattered among the nations (Dan. 9.3-19; Tob. 13.3-18; Bar. 2.11-15; 3.7-14).
Such imaginative living again (as in liturgy) through epochal events of Israel's history
- covenants with the patriarchs, passover and exodus, wilderness wanderings and en-
try into the promised land, Davidic kingdom and resilient faith under oppression, ex-
ile and return, Maccabean triumph, loss of Temple (70 CE) - should not be treated
woodenly or reduced to a single motif.
" The appeal for deliverance from oppression in Sir. 36.1-22 is of a piece with the lam-
entation Psalms (Pss. 43, 54-57, 109, 140-141, 143) and does not presuppose that the
speaker believed himself, or those who had already returned to the promised land, to
be still in exile.
67 A B E G G (Exile, 120-124) cites lQpHab 11.4-8 (the "exile" [galoth] of the Teacher of
Righteousness); 1 Q H 12.8-9 ("they drive me from my land"); 1QM 1.2-3 ("the exiles

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144 James D. G. Dunn

the wicked (repeating the pattern of Deut. 29.27-28). 68 The complexity


of the use of the exile imagery is not adequately caught by concluding
simply that the sect still considered itself in exile." The same point about
the complexity of the motif of restoration can be made with regard to Ju-
bilees70 and the "sign prophets" in Josephus (Ant. X X 97-98, 167-172)/ 1
And generally it goes beyond the evidence to deduce that those living in
the land at the time of Jesus, who attended the Temple regularly or in pil-
grimage, thought of themselves as still in exile.
(2) A consideration of the scope of Jewish expectation in second Tem-
ple Judaism strongly suggests that there was no single comprehensive
grand narrative shaping the thought of Jesus' contemporaries. Return of
the scattered outcasts to the land was certainly a prominent feature, but
did not itself constitute the grand narrative of which all other elements of
expectation were only a part. A major weakness of W R I G H T ' S "major hy-
pothesis" therefore is his assumption that "return from exile" (and Yah-
weh's return to Zion) were in effect the only "controlling stories" which
need to be considered as the framework for Jesus' kingdom preaching.
But even a hurried overview of Jewish expectation confirms that there
were various other motifs in play, motifs which cannot simply be sub-
sumed within the grand narrative of return from exile.
We may think, for example of the hope for the removal of disabilities
and defects (Isa. 29.18; 35.5-6; 42.7, 18), the imagery of a great feast (Isa.
25.6; Ezek, 39.17-20; l Q 2 8 a [ l Q s a ] 2; 1 En. 62.14), the expectation of
grievous suffering (e. g. Isa. 13.8; Dan. 7.21; 12.1-2; Amos 4), the hope
for the defeat of Satan (e. g. Isa. 24.21-22; Jub. 5.6; 10.7-11; 23.29; 1 En.

[golah] of the desert"); 4 Q 1 7 1 2.26-3.1 ("the returnees/repentant from the desert");


4 Q 1 7 7 8 - 1 0 ("exile"?); 4 Q 3 9 0 1 5-6 (the first to go up " f r o m the land of their cap-
tivity" [m'rtz shbim, an echo of Jer. 30.10; 46.27] in order to build the sanctuary, who
will not join in the evil as of the pre-exilic period); cf. references to the community in
the desert ( 1 Q S 8.13-14; 9.19-20). 4 Q 1 6 1 2.14, "when they returned from the wil-
derness of the pe[ople]s' evidently echoes Ezek. 20.35, with its conception of the wil-
derness as a purgative intermediate stage between exodus from the lands of the dias-
pora and entry into the land itself (20.33-38).
68 4 Q 1 6 9 3 - 4 4.1-4; ABEGG fills out 4 Q M M T C 2 1 b - 2 2 in the same terms (Exile 122-

123).
" As ABEGG does (Exile 120 n. 38, 121).
70 HALPERN-AMARU concludes: " f r o m the postexilic perspective of the author, restora-
tion of a lost purity, not exile and return to the Land, is the signature of the imminent
eschaton" (Exile 144).
71 EVANS is unwilling for the obvious imagery of re-enacting the conquest of the prom-

ised land (the parting of the Jordan, the collapse of city walls) to stand without
pressing the corollary that such movements must have "regarded Israel as in a state of
bondage, even exile" (Aspects of Exile 305).

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"All that glisters is not gold" 145

and the certainty of (final) judgment (e. g. Isa.


10.4, 1 1 - 1 3 ; 1 3 . 1 - 2 ; 14.5),
66.15-16; Dan. 7 . 1 0 ; Zeph. 3 . 8 ; Mai. 4 . 1 ) . The absence of a Messiah figure
in much of Israel's eschatological expectation is often noted. And where
hope of a messianic figure did feature, should we simply fit it into other
talk of a rebuilt temple,72 or of Yahweh's return to Zion? And how
should we square the very different expectations regarding the Gentiles in
regard to restored Israel (destruction, enslavement, conversion)? 73 Are
these all part of a single story? Or are they different stories, put forward
by different sectarian groups in second Temple Judaism? When the hope
actually expressed is so diverse and fragmentary, does not the production
of a single master narrative fall under the condemnation of all grand nar-
ratives, as at best a human contrivance ultimately oppressive and totali-
tarian in character?
In short, does the evidence actually justify the major hypothesis of a
single, coherent grand narrative "controlling" the range of Jewish expec-
tation at the time of Jesus? 74
(3) The most serious weakness of WRIGHT'S grand hypothesis is his
inability to demonstrate that the narrative of return from exile was a con-
trolling factor in Jesus' own teaching. It will not do simply to insert pas-
sages into the assumed narrative framework, or to read the richly diverse
traditions of Jesus' kingdom preaching through spectacles provided by
the controlling story, as though by invocation of the mantra, "end of ex-
ile", "return from exile", the interpretation of these traditions becomes
clear.75 "Serious verification" requires demonstration of at least a fair
number of plausible echoes and allusions to return from exile within the
Jesus tradition itself.
The most plausible is the parable of the prodigal son, who repents and
returns from "a far country" (Luke 15.11-24). 76 But the grand narrative
of return from exile proves inadequate to explain the second half of the
parable, where the refusal of the elder brother to accept the younger
clearly works with the different motif of contrasting pairs.77 And

72 Which SANDERS reckoned to be the focus of restoration theology (Jesus and Judaism
77-87).
73 See e. g. the survey in SANDERS, Jesus and Judaism 213-218.
74 C f . B O R G ' S criticism of S A N D E R S (using different imagery): "the lens of 'J e s u s a s
prophet of restoration eschatology' enables us to see too limited a range of data and
forces us to set aside too much data. Its explanatory power is inadequate" (Jesus 81).
75 A somewhat disturbing feature of WRIGHT'S treatment is his willingness simply to
cite texts without any supporting analysis (e. g. Jesus 166, 179-180).
76 WRIGHT, J e s u s 125-131.
77 Contrasting pairs is one of the most characteristic features of J e s u s ' parables - e. g.
shrunk/unshrunk cloth, new/old wineskins (Mark 2.21-22 pars.), two ways (Matt.

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146 James D. G. Dunn

WRIGHT hardly strengthens his case by giving a pivotal place t o the par-
able of the sower (Mark 4 . 2 - 8 pars.). 7 8 The problem is not that an allu-
sion to the idea of the returnees from exile as seed being sown (again) in
the land is farfetched. 7 9 It is rather that planting and fruitful growth are
metaphors of much more diverse application, 80 and that the parable's im-
agery of different soils and outcomes more naturally invites a different
line of thought and application from that of return from exile. Again, the
calling of twelve disciples certainly evokes thought of eschatological res-
toration or renewal of Israel (the twelve tribes), 81 but if "return-from-
exile theology" was a prominent feature of the rationale, 82 it is surprising
that so little is made of it. And the first petition of the Lord's Prayer
("May your name be sanctified"), could evoke the prophecy of Ezek.
3 6 . 2 2 - 2 8 , 8 3 though the implications of the petition are far broader than
simply the restoration of Israel to the land.
F o r the most part, however, WRIGHT is content t o read the Jesus tra-
dition through the lens of his grand narrative without further attempt at
justification. But in squeezing the diversity of Jesus' proclamation of the
kingdom into conformity with that single controlling story 8 4 he misses
much that is of central significance within that proclamation - not least
Jesus' own critique of Israel's current leadership, outreach to the " p o o r "

7.13-14/Luke 13.23-24), wise and foolish builders (Matt. 7.24-27/Luke 6.47-49), two
sons (Matt. 21.28-30), wise and foolish maidens (Matt. 25.1-13), pharisee and taxcol-
lector (Luke 18.9-14). As the corollary to his reading of the parable WRIGHT (Jesus
127) infers that the elder brother would have been identified with the Samaritans
(who objected to the return of the exiles to Judea), in complete disregard of the set-
ting indicated by Luke (the parable was addressed to Pharisees' objection to Jesus
eating with "sinners" - Luke 15.1-3).
78 WRIGHT, J e s u s 2 3 0 - 2 3 9 .
79 J e r . 2 4 . 6 ; 3 2 . 4 1 ; H o s . 2 . 2 3 ; A m o s 9 . 1 5 (cited b y WRIGHT, J e s u s 2 3 2 - 2 3 3 n . 1 2 8 ) .
80 Of the passages cited by WRIGHT, consider Jer. 31.27 and 4 Ezra 8.41; the parable
could have evoked the classic reminder of God's part in the agricultural process (Isa.
28.23-26); at one point WRIGHT himself assumes the identity of "seed" and "word",
as the (later) explanation invites (Jesus 238), but he seems unconcerned that the ex-
planation attached to the parable (which he includes with the parable itself) shows no
awareness of his own "controlling story" (Mark 4.13-20 pars).
81 SANDERS, J e s u s and J u d a i s m 9 8 - 1 0 2 .
82 WRIGHT, J e s u s 4 3 0 - 4 3 1 ; EVANS, Exile 3 1 7 - 3 1 8 . Even so, the t h o u g h t w o u l d b e o f t h e
outcasts of Israel restored to the land and reunited with those already living there, not
that the latter were still in exile.
83 WRIGHT, J e s u s 2 9 3 ; and particularly LOHFINK, J e s u s 1 5 - 1 7 .
84 For example: Jesus' welcome of the poor was a sign of return from exile (Jesus 255);
"forgiveness of sins is another way of saying 'return from exile'" (268-272); Mark 13
is "the story of the real return from exile", and the anticipated destruction of Jerusa-
lem marks the end of exile (340-343, 358-359,364).

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"All that glisters is not gold" 147

and "sinners" and concern for life to be lived in the light of the coming
kingdom. 85
In short, we can be sure that Jesus the Jew shared in his people's confi-
dence in God with regard to Israel and the future. But otherwise we
should heed postmodernism's warning against uncritical dependence on
grand narratives, against the superimposition of a unitary meta-narrative
on much more complex data.86 Here too the grand narrative seems to
lock the resulting portrayal of Jesus into a "one message fits all" pattern
rather than to unlock the rich diversity of the Jesus tradition.

3. To Jesus via a realistic appreciation of the character of the Jesus tradition

My own suggestion for a key to unlock the way to Jesus the Galilean Jew
has several strands to it. I put it forward in a sequence of theses.

(1) We must take seriously the probability that the ultimate and primary
source of the Jesus tradition is the impact made by Jesus during his mission
on those who responded to him.
We should not assume that the impact of Jesus only began with his res-
urrection, or if you prefer, from the conviction that the crucified Jesus
had been raised from the dead. Of course the tradition as we now have it
is indeed retold in the context and light of Easter faith; of that there is no
doubt. But HEINZ SCHÜRMANN in particular has long ago demonstrated
that many pericopes and motifs within the Jesus tradition have been
shaped without any noticeable influence as such from Easter faith.87
Which is to say, these pericopes and motifs had probably already received
their enduring shape before the rise of Easter faith. Which also means
that their initiating impulse must be traced to the impact made by Jesus
during his (pre-Good Friday) mission.
We should not work methodologically with any assumption that Jesus
must have been different from the Jesus of the Synoptic tradition - as
though there must have been a Jesus who made a different impact from
the one we see in the Jesus tradition, or a Jesus who made no discernible
impact. As MARTIN KAHLER long ago argued: to dispense with the Jesus

85 See my Jesus Remembered # # 1 3 - 1 4 . On the other hand, simply to deny that Jesus
made any use of the theme of the return of the exiles, as BECKER does (Jesus 129),
hardly does justice to the data evoked and issues raised by WRIGHT.
86 C f . the critique o f MARSH, T h e o l o g i c a l H i s t o r y ? 8 7 - 8 8 , 9 1 - 9 2 .
87 SCHÜRMANN, Die vorösterlichen Anfänge.

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148 James D. G. Dunn

of the (Synoptic) Gospels is to open the door to a fifth gospel of personal


prejudice and individual ideology.88 The ideal of a "historical Jesus" be-
hind the Gospels who is accessible to us by historical method, a Jesus who
is different from the Synoptic Jesus (otherwise why should we need to
look for him), falls into the trap of the old historicism or historical posi-
tivism.89 We of the 21st century can only perceive the first century Jesus
through the influence he exerted on others, through the eyes of those
who witnessed his mission. And that means in this case, through the eyes
of those who responded to him. It is the Jesus who made a difference
that we want to find, is it not? - the Jesus who left his imprint on his
time, the Jesus who transformed fishermen and toll-collectors into apos-
tles. We have that impact nowhere clearer or fuller than in the Jesus tra-
dition.
We should recognize that the impact made by Jesus on his first disci-
ples would almost certainly have at least included the formation of Jesus
tradition. For most of those who had been so decisively influenced by Je-
sus, who had found his challenge literally life-transforming, could not
have failed to speak of that impact to others who shared the new appre-
ciation of God's kingship and its consequences for their living in the here
and now. That impact-expressed-in-verbal-formulation was itself the be-
ginning of the Jesus tradition proper - as also of embryonic ritual, as the
disciple groups met together to share that tradition, no doubt regularly in
the context of the shared meals which had themselves been so character-
istic of Jesus' mission.
This does not mean that we should be looking for some "original"
form of the tradition. This was one of the false tracks taken by the early
form critics.90 The presumption is still of some pristine word or deed
which can be recovered through (and despite) the varied forms of the pre-
sent Jesus tradition. But if what we are looking for (and at) is the impact
made by Jesus, then we should expect a diversity of impact on different
individuals. And in terms of impact-expressed-in-verbal-formulation,
what we should expect to find is some kind of consensus of impact, the
tradition being formed to express an impact shared within the group and

" KAHLER, Der sogenannte historische Jesus.


89 See e. g. the discussion in JENKINS, Postmodern History Reader. CROSSAN, despite
the otherwise revolutionary character of his approach, bases his analysis of the Jesus
tradition on a surprisingly "objective" stratification of that tradition (cf. CHILDS,
Myth ch. 2); and WRIGHT'S concern to avoid "having loose ends [ . . . ] flapping around
all over the place" (Jesus 367) is surprisingly modernist in character.
90 The lesson was brought home by greater familiarity with the character of oral tradi-
tion processes; see particularly KELBER, The Oral and the Written Gospel 29, 59, 62.

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"All that glisters is not gold" 149

therefore expressing the consistency, but also from the first, the diversity
of ways in which any word or action impacted the different members of
the group.
In all this, it should be noted, we are able to take seriously the proper
emphasis in contemporary literary theory on reception, on the hearer's
response as a constitutive part of the effectively delivered message. To
quest for an abstracted "historical Jesus", conceived as some artefact to be
excavated below the lowest layer of the literary strata of tradition, is like
the quest for the author's intention, conceived as mental processes behind
the text, independent of the text, but somehow accessible through the
text. In each case we only have the tradition/text itself. And what we
really should be interested in is the impact which the tradition embodies,
the intention as embodied in the text (entextualized). That there was an
author responsible for the text's composition, we need not doubt. And
that there was a Jesus who made the impact thus "en-traditioned" we can
be even more confident of. But it is the Jesus who made just that impact
which we should be interested in. And in any case, it is only the Jesus
who made that impact that we have any realistic hope of finding in the
casket of the Jesus tradition.

(2) The character of the Jesus tradition is best understood for much if not the
most part in terms of oral tradition rather than solely in terms of literary in-
terdependence.
We should cease to allow our perspective on the Synoptic tradition to
be determined by the centuries-old Western cultural conditioning of a lit-
erary, print-dominated mind-set. Despite various, indeed repeated re-
minders that the earliest forms of the Jesus tradition must have been oral
and not yet written, the Synoptic problem has consistently been perceived
as a literary problem, of one text known to and influencing the composer
of another text. The Synoptic problem has characteristically been defined
primarily in terms of source (i. e. written source) criticism and redaction
(literary editing) criticism. Now literary dependency, the phenomenon of
intertextuality, is without serious doubt an important aspect of the whole
picture. But should the whole process of Jesus tradition, formation and
transmission, be restricted to the question of how Matthew or Luke de-
rived (contrived) their version of particular traditions from Mark or Q? -
restricted, that is, by the assumption that they could not have known that

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150 James D. G. Dunn

particular tradition in any other form or from any other source than that
provided by the text of Mark, or Q? 91
The classic two (or four) document hypothesis92 is easily demon-
strated, as almost any lecturer to first year students will agree. The degree
of close similarity between Matthew, Mark and Luke again and again
demands a hypothesis of literary interdependence. Passages like Matt.
3.7-10/Luke 3.7-9 and Matt. 11.4-11/Luke 7.22-28 are very persuasive of
the existence of a Q document, written in Greek, on which Matthew and
Luke must have been able to draw. But it is easy to pass over the equally
substantial traditional material where the Synoptic versions are very dif-
ferent, or where the agreement within pericopes is very uneven, close at
one part, distant at another. Such material has usually been ignored in
formulating solutions to the Synoptic problem. Or to be more precise,
such material has usually been considered (as problematic) after the solu-
tion has been first drawn up on the basis only of the passages where liter-
ary interdependence can be more readily discerned. How different might
the road taken have been if the more diverse/divergent material had been
allowed to influence the hypothesis-making from the start.
It is my thesis that when proper attention is given to the full range of
inter-relationships between the various strands of the Synoptic tradition it
becomes more appropriate to conceive the traditioning process of the
earliest groups/communities also or rather more in terms of oral tradition.
There is little doubt, after all, that the earliest groups/churches functioned
in a highly oral society, where levels of literacy were low,93 and where
most communication, even the reading of a Torah scroll, would have been
heard by the audience.94 Within that context it makes best sense to con-
ceptualize the earliest use of the Jesus tradition in terms of groups/com-
munities gathered to celebrate the traditions which they cherished. In a
pre-printing press, pre-radio, pre-cinema/TV age, that was how groups
and communities functioned in communal gatherings after the sun had set
and the day's work was done. At such a point the historian needs to make

" It is one of KOESTER'S principal contributions to scholarship on early Christianity to


demonstrate and argue for the likelihood that the Jesus tradition existed in oral
streams well into the second century - already in his thesis (Synoptische Über-
lieferung), but the insight has been maintained consistently in his subsequent work
until the present, repeatedly cautioning against the assumption of a purely literary and
linear development of the tradition (see e. g. his Written Gospels).
92 STREETER, Four Gospels.

93 The level of literacy in Roman Palestine has been reckoned as lower than 10%, per-

haps as low as 3% (HARRIS, Ancient Literacy; BAR-ILAN, Illiteracy in the Land of Is-
rael; HEZSER, Jewish Literacy 496-497).
M Cf. particularly ACHTEMEIER, Omne verbum sonat.

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"All that glisters is not gold" 151

a deliberate attempt to step beyond an imagination too much shaped by


the taken-for-granted amenities of modern living and to exercise a re-
sponsible historical imagination alive to the realities of such groups and
communities functioning orally. When we do so it will become more
natural to imagine the first groups of Jesus' disciples meeting together, to
recall the things Jesus had said and done which had brought them into
discipleship, to retell stories of his healings, his parables, his teaching on
various themes, for edification, for instruction, and to equip them to
answer for their faith when questioned or challenged.
Such historical re-imagining will have to include a conscious shift also
from the prevailing Western individualism, where the traditioning process
is conceived in terms of individual tradent or author, and of individual
auditor or reader, where remembering Jesus' teaching and mode of opera-
tion is conceived in terms of casual reminiscence as at a College alumni
reunion. We are talking rather of groups and communities which were
bonded as groups precisely by the shared impact made by Jesus. We are
talking rather of traditions which were important to these communities,
because just these traditions constituted their identity and gave them their
raison-d'être as a group. The traditions would not all have been of uni-
form or equal importance, of course. But oral tradition studies suggest
that the more important a tradition was for a group, the more carefully it
would be preserved and transmitted.95 The references to teachers and tra-
dition in the earliest churches, and the various allusions to Jesus tradition
in the letters of the New Testament are probably sufficient to confirm
that this a priori reasoning is on the right lines."
We should also avoid the too easy deduction that diversity of emphasis
in the retelling of the traditions is evidence of a centrifugal force pulling
the earliest disciple groups further and further from each other. The ar-
gument is the outcome of decades of interest in the distinctiveness of
each canonical Gospel (redaction criticism) and is currently much used in
reference to the Q traditions. In the latter case, the absence of a passion
narrative (in a sayings source!) and lack of suffering son of man sayings
have provoked a line of reasoning which concludes that "the Q commu-
nity" had a different theology from the cross and resurrection gospel so
familiar from the rest of the New Testament. There are several fallacies
here.
One is the fallacy that "all collections of Jesus tradition are Gospels".
It is as though the only format for Jesus tradition was "gospel", so that

,s I draw particularly, but not exclusively on the conclusions drawn by BAILEY (see par-
ticularly Jesus R e m e m b e r e d # 8 . 3 - 6 ) .
" See further m y Jesus Remembered # 8 . 1 .

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152 James D. G. Dunn

any collection of Jesus tradition has to be denoted as "Gospel", and as


"gospel" must be a different gospel from the gospel embodied in the ca-
nonical Gospels. Hence a Q Gospel/Sayings Gospel; and the Gospel of
Thomas. But there were many reasons why Jesus traditions should have
been gathered and sequenced - for teaching, for worship, for apologetic,
and so on.97 That is to say, different collections/sequencing of Jesus tra-
dition probably served different purposes.
A second fallacy in such reasoning is what may be called the "one
document per community" hypothesis. Not only must Q be conceived as
a coherent document, but behind it must also be a Q community·, and not
only so, but a community defined by that document in its beliefs and con-
cerns; and not only so, but a community restricted in its beliefs and con-
cerns to those evidenced in that document. Such reasoning is reminiscent
of nursery-age children squabbling over a nursery toy, each insisting "It's
mine!" No, the probability is much more that early Christian communi-
ties knew more than one grouping of Jesus tradition, each presumably for
different purposes and with differing emphases, but quite capable of being
held together by teachers and elders within the coherence of the group.
If the second fallacy is that of a church limited by a single collection of
Jesus tradition, a third fallacy is that of a "Gospel limited to a single
church". Since the rise of redaction criticism it has become a quite fash-
ionable assumption that each canonical Gospel was intended for the
church where it was written. So, not only does each Gospel reflect the
character of its community, but it must have been written (solely) for that
community! 98 This ignores the well attested fact that the earliest churches
saw themselves as of a piece - churches, or more explicitly "churches of
Christ" (Rom. 16.16), "the church(es) of God" (e. g. Acts 20.28; 1 Cor.
10.32; 11.16, 22; Gal. 1.13). That is, they were conscious of being part of
a larger whole. Not only so, but there are frequent indications of a net-
work of communication between various churches, as merchants and
travellers, and no doubt particularly apostles, teachers and prophets
moved among them. If Paul's letters were being circulated within his
lifetime, if both Q and Mark were so well known by both Matthew and
Luke, and if copies of John's Gospel were already circulating in Egypt
within a few decades of its composition, 9 ' then it can be safely judged to
be more than likely that individual Gospels were written with a view to

97 Cf. MOULE, Birth.


" See particularly the critique by BAUCKHAM, F o r W h o m were the Gospels W r i t t e n ? .
" A s is well known, the earliest papyrus fragment o f J o h n ' s Gospel (p 5 2 ) is usually dated
to about 125 C E .

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"All that glisters is not gold" 153

wider circulation and that in the event they were circulated more widely
than in their originating church circle.
How does this work out in terms of turning a key in the lock? My
conviction, worked out in detail in Jesus Remembered, is that the Synoptic
tradition, as we still have it, still retains much of the character of tradi-
tions told and retold orally. The Synoptic tradition through all its diver-
sity embodies a remarkably consistent and coherent picture of Jesus, the
impact made by Jesus, Jesus as he was in fact remembered in the earliest
years of nascent Christianity. Most episodes, diverse in the telling, are
recognizably the same episodes. There is a remarkable stability of theme
and core elements within the often diverse (or diverging) tendencies of
parallel traditions. It is such stabilities which both embody the initial im-
pact thus en-traditioned and attest the bonding effect of shared disciple-
ship as expressed in these traditions. It is such diversity which illustrates
the vitality of the tradition as it was rehearsed and fresh lessons drawn
from it in the diversity of early Christian communities.

(3) The characteristic and relatively distinctive features of the Jesus tradition
are most likely to embody and reflect the consistency and distinctive character
of the impact made by Jesus himself
It is methodologically unwise to attempt entry into the Jesus tradition
through a single episode or saying. The logic for many has been that if a
single foothold can be found of sufficient strength, then that can serve as
a kind of bridgehead which can be patiently expanded to take in more and
more of the territory. It is the logic of the second quest's "criteria of dis-
similarity": to find a minimal number of sayings whose "historicity" or
"authenticity" can be more or less guaranteed, and then to expand that
foothold by the criterion of coherence.100 So the attempt is undertaken to
construct great pyramids upside down, as it were, with all dependent on
the "authenticity" of a saying like Matt. 12.28/Luke 11.20 or Luke 17.20-
21. Alternatively, SANDERS thinks the episode in the Temple (symboliz-
ing its destruction) gives him a sure point of entry to the Jesus tradi-
tion.101
My own conviction, shared with others in the "third quest", is that it
would be wiser to look first at the broad picture,102 or, drawing on LEE
KECK'S term, to look for the "characteristic Jesus" rather than the dis-

100 PERRIN, Rediscovering 3 9 - 4 4 .


"" SANDERS, Jesus ch.l.
102 This is my variation of what TELFORD has categorized as the "holistic" method and

the tendency to ask "broader questions" (Major Trends 50, 52, 57).

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154 James D . G. Dunn

similar Jesus. 103 Otherwise we are liable to become quickly bogged down
and lost in a mire of details over individual disputed sayings.104 The logic
is straightforward: if a feature is characteristic within and relatively dis-
tinctive of the Jesus tradition (in comparison with other Jewish tradi-
tions), then the most obvious explanation of its presence in the Jesus tra-
dition is that it reflects the abiding impression which Jesus made on at
least many of his first followers, which first drew them into and consti-
tuted their community with other disciples, and which was celebrated
(together with the kerygmatic traditions of cross and resurrection) in the
gatherings of the first churches through the first generation of Christian-
ity·

The credibility of the method proposed can be readily illustrated in


reference to a number of much controverted issues.105 For example, it has
long been recognized that the Synoptic tradition of Jesus' preaching of
the kingdom contains a double and seemingly inconsistent temporal em-
phasis: the kingdom as near but yet to come; and the kingdom as already
in some sense present or already operative. The attempts to eliminate one
or other emphasis have never proved satisfactory. And since both empha-
ses are thoroughly rooted in the Jesus tradition (and not simply in indi-
vidual "kingdom" sayings) the most obvious conclusion to draw is that
both were characteristic of Jesus' teaching.106 However awkward that is
for the modern quester, it is much sounder methodologically to work
with such well attested (albeit awkward) facts than to work from some
modern ideal of consistency.
The case is even stronger with the "son of man" motif. Because of per-
ceived inconsistencies (in the eye of the beholder) there are still those
who argue that the motif cannot be traced back to Jesus in any form. 107
But the facts are clear: it is a phrase whose New Testament usage is lim-
ited almost entirely to the Jesus tradition; and as a phrase it occurs almost
exclusively on Jesus' own lips. Even when redactional criticism produces

103 KECK, A Future for the Historical Jesus 33.


104 In SANDERS' view, too much reliance on "careful exegesis of the sayings material'' has
led too many N T scholars into a quagmire (Jesus and Judaism 131-133, 139); though
as just noted, his own method of correlating words with deeds allows him to be sur-
prisingly confident in his own ability to reach a firm conclusion regarding what Jesus
said about the Temple (71-76). But "characteristic emphases" can be substantiated
without necessarily being able to set each saying in a particular context.
105 For what follows see the detailed discussion in my Jesus Remembered # # 1 2 , 15.7 and

16.
106 BEASLEY-MURRAY, Jesus, provides one of the most thorough of recent analyses of the

motif in Jesus' teaching.


107 It will be sufficient here simply to refer to BURKETT, The Son of Man Debate 50-56.

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"All that glisters is not gold" 155

evidence of the phrase added to the tradition (e. g. Matt. 16.28; 24.30a;
26.2), the same astonishing fact pertains: that the redaction conformed to
the consistent pattern of usage, as a phrase ("the son of man") used by Je-
sus alone. In such circumstances, it flies in the face of all credibility to
conclude other than that the phrase was remembered as a characteristic
speech usage of Jesus himself, and that its appearance in the Gospel tradi-
tion stems from and reflects his own idiom.
If these are two examples of "characteristic" features of the Jesus tra-
dition, then it is equally easy to illustrate with two "relatively distinct"
features of the Jesus tradition, which equally are best traced back to Jesus.
Neither is so controversial as the first two. One is the use of "Abba" as
relatively distinctive of Jesus' prayers. The classic statement of J. JERE-
MIAS on the subject is much criticized, but has proved nevertheless re-
markably enduring. 108 Most surprising was the fact that second questers
supported the conclusion, even though it failed the criteria of dissimilar-
ity: prayers expressive of intimate sonship are attested in Jewish tradi-
tion; and the "Abba" prayer was certainly prominent in earliest Christi-
anity (Rom. 8.15; Gal. 4.6). But the criterion so applied would be much
too blunt an instrument. "Characteristic and relatively distinctive" is a
quite sufficient and strong enough criterion. And when applied at this
point the Jesus tradition seems to come through well: a way of praying to
G o d as "Father" which seems to have been characteristic of Jesus, and
which is remembered in Pauline usage as distinctive of those who thereby
are assured that they share in Jesus' sonship.
The other example is Jesus the exorcist. There is no doubt that there
were many exorcists and healers in the ancient world, which by the crite-
rion of dissimilarity should make us suspicious of the attribution of exor-
cistic and healing activity to Jesus. But the Gospels' picture is clear
enough that such activity was characteristic of Jesus' mission; and it is
confirmed by Josephus' description of Jesus as "a doer of extraordinary
deeds (paradoxôn ergôn poiêtês)" (Ant. X V I I I 63). 109 And the "relatively
distinctive" features are easily documented: in particular, the laying on of
hands and lack of material aids; the fact that Jesus did not evoke a higher
source of power ("I adjure you by . . . " ) ; and the eschatological signifi-
cance which he saw attested in his healing ministry (Matt. 11.5/Luke 7.22;
Matt 12.27-28/Luke 11.19-20). We can be confident that Jesus was well
known as a great and successful healer and that he fully deserved the
reputation.

108 See e. g. PERRIN, Rediscovering 4 0 - 4 1 ; FITZMYER, A b b a .


109
Paradoxos has the basic sense of "contrary to expectation, incredible" (LSJ), "contrary
to opinion or exceeding expectation" (BDAG).

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156 James D. G. Dunn

Space does not permit me to develop the hypothesis further. For any
interested I may simply refer them to the fuller working out of my Jesus
Remembered volume. But sufficient has been set out above, I hope, to in-
dicate that there is another path for questers of "the historical Jesus" to
explore, and that it promises a more successful outcome than most others
being currently pursued.

In short, if I am right, we have in this three-stranded hypothesis a more


sure way to the Jesus from whom the whole sequence of discipleship, of
Jesus tradition, of gospel and church began. Or to be more precise, we
have a surer way to the life-transforming influence and effect of Jesus on
those who first heard and followed him, and through the outline of the
imprint he made we can discern the clear outline of the one who made
that imprint. For many the procedure is rather unappealing, disappoint-
ing even - like trying to find the true likeness of Jesus in the lead casket
of the Synoptic tradition. Was it not the very unappealing character of
the traditional Jesus for Western modernity which drew so many of our
predecessors in the quest towards the glittering appeal of a 19th or 20th
century Jesus? But if we are serious about finding Jesus, the Jesus who
was, the Jesus whose mission had such life-transforming effect, the Jesus
from whom it all began, and not a Jesus who we simply drape in the
clothes of our own projected hopes and ideals, then, I suggest, we are best
advised to go down the track I have indicated above.

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Von der Historizität der Evangelien

Ein Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion


um den historischen Jesus

JENS SCHRÖTER

1. Die Evangelien und der historische Jesus

Die historische Jesusforschung gehört bezüglich ihrer methodischen Vor-


aussetzungen und der hierauf basierenden Verfahren zur Geschichtswis-
senschaft: Sie analysiert die zur Verfügung stehenden historischen Mate-
rialien1 und zeichnet auf deren Grundlage Bilder der historischen Person
Jesu. Die Neuorientierung der letzten Jahre hat diesen Charakter der Je-
susforschung betont. Sie hat zwischen einem theologischen Interesse an
Jesus und der Methodik, der eine historische Konstruktion zu folgen hat,
unterschieden2. Dies stellt gegenüber früheren Phasen insofern einen
Neuansatz dar, als in diesen zumeist die theologische Dimension der
Jesusfrage im Zentrum stand3. Demgegenüber hat die Jesusforschung der
jüngsten Zeit zu Recht darauf insistiert, daß die theologische und die
historische Frage zu unterscheiden sind: Eine sich kritisch vor ihren

1 Diese können unterschiedlichen Charakter haben, je nachdem ob sie von der Vergan-
genheit unmittelbar Zeugnis geben oder aber von Menschen „zum Zweck der Erinne-
rung" geformt sind. Vgl. DROYSEN, Historik, 6 7 - 1 0 0 (dort die Unterscheidung der
Materialien in Uberreste, Denkmale und Quellen, das Zitat a. a. O . , 426). Für die Je-
susforschung sind aus der ersten Kategorie ζ. B. archäologische Zeugnisse aus Galiläa
bedeutsam, die den Lebensraum Jesu zu erschließen helfen, aus der letzteren in erster
Linie die Darstellungen der Evangelien.
2 Vgl. etwa MEIER, Present State; CROSSAN, Faces; THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage,
hier Teil III: Das Historische Plausibilitätskriterium als Korrektur des Differenzkrite-
riums, 175-232.
3 Im 19. Jahrhundert wird dies ζ. B. an dem Disput zwischen STRAUSS und WEISSE um
die dogmatische Grundlage des christlichen Glaubens deutlich, im 20. Jahrhundert vor
allem an der durch BULTMANN ausgelösten Diskussion darüber, wie eine Darstellung
von Lehre und Wirken Jesu und eine Theologie des Neuen Testaments miteinander in
Beziehung zu setzen seien. Vgl. die eingehende Erörterung der zuletzt genannten
Problematik durch LINDEMANN, Jesus.

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164 Jens Schröter

Ursprüngen verantwortende Theologie bleibt auf den Bezug zur Ge-


schichtswissenschaft verwiesen, eine historische Konstruktion der Person
Jesu hat jedoch unabhängig von der Frage, wie sich diese zur Begründung
des christlichen Glaubens verhält, zu erfolgen 4 .
Diese methodische Einordnung der Jesusfrage zeitigt zwei Konse-
quenzen, die für die gegenwärtige Diskussion gleichermaßen von Bedeu-
tung sind. Die erste Konsequenz bezieht sich auf die Beurteilung der
Evangelien als Darstellungen, die von Wirken und Geschick Jesu Zeugnis
geben 5 . In der neueren Forschung ist eine deutliche Tendenz erkennbar,
diesen den Status historischer Quellen zuzuerkennen, ihre Jesuserzählun-
gen also - über die in ihnen zweifellos zum Ausdruck kommenden Glau-
bensüberzeugungen hinaus - auch in historischer Hinsicht für relevant zu
erachten'. Dies bedeutet insofern eine Wende in der Jesusforschung, als
ihnen dieser Status längere Zeit abgesprochen wurde 7 . Das Urteil, die

4 Damit soll nicht der naiven Vorstellung einer unvoreingenommenen Interpretation


der Quellen das Wort geredet werden. Es ist vielmehr deutlich, daß jede historische
Konstruktion eine Hypothese über die Vergangenheit darstellt, die in der Wirklich-
keitswahrnehmung des Interpreten gründet und deshalb niemals mit der Vergangen-
heit identisch ist. Andererseits darf die Frage nach dem Verhältnis des christlichen
Glaubens zur historischen Person Jesu nicht die Vorgehensweise der historischen
Jesusforschung präjudizieren.
5 Gemeint sind hiermit die kanonischen und bei diesen wiederum in erster Linie die sy-
noptischen Evangelien. Damit wird die von der kritischen Forschung erarbeitete
Auffassung, daß diesen für die historische Jesusfrage Vorrang einzuräumen sei, aufge-
nommen, ohne damit dem JohEv einen Quellenwert abzusprechen. Die Frage, wie
dieser näher zu bestimmen wäre, bedürfte einer eigenen Untersuchung. Die Frage,
welche Schriften darüber hinaus für eine Jesusdarstellung heranzuziehen wären, wird
hier nicht eigens diskutiert. Angemerkt sei jedoch, daß die Bedeutung - insonderheit
der Nag-Hammadi-Schriften - für die historische Jesusforschung gegenwärtig mit-
unter überschätzt wird. Diese Schriften waren kaum an einer erinnernden Bewahrung
und Interpretation des Wirkens Jesu interessiert, sondern stellen dieses in der Regel in
Deutungsrahmen mythologischer oder philosophischer Provenienz. Dies ist zu be-
achten, wenn sie für die historische Jesusfrage herangezogen werden. Vgl. hierzu mei-
ne Rezension von M. FRANZMANN, Jesus in the Nag Hammadi Writings, Edinburgh
1996, in: OLZ 93 (1998), 666-674. Daß die in den Kanon aufgenommenen Evangelien
die frühesten narrativen Verarbeitungen des Wirkens und Geschicks Jesu darstellen
und zugleich einen historisch bewahrenden Charakter besitzen, dürfte dagegen un-
strittig sein. Sie sind deshalb - und nicht wegen ihrer späteren Kanonisierung - die
maßgeblichen Quellen für eine historische Konstruktion des Wirkens und Geschicks
Jesu.
' Vgl. EVANS, Jesus and his Contemporaries, 8-10; CHARLESWORTH, Jesus, 9-18; E L L I S ,
Synoptic Gospels, der dies in Auseinandersetzung mit den historiographischen Defi-
ziten der Formgeschichte darlegt.
7 Während die Formgeschichte davon ausging, daß in den Evangelien Traditionen ge-

sammelt worden seien, die ihre Prägung maßgeblich den Uberzeugungen und Interes-

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Von der Historizität der Evangelien 165

Evangelien seien aufgrund ihres kerygmatischen Charakters bzw. ihrer li-


terarischen Darstellung für eine historische Konstruktion der Wirksam-
keit Jesu letztlich unergiebig, vermag jedoch nicht länger zu überzeugen.
Sie werden stattdessen als Erzählungen wahrgenommen, die in vielfältiger
Weise mit den zugrundeliegenden Ereignissen von Leben und Geschick
Jesu von Nazaret verwoben sind8.
Deutlich ist freilich: Die Jesusforschung kann sich unter den Bedin-
gungen des historischen Bewußtseins nicht unkritisch auf die Evangelien
berufen. Wie alle anderen Quellen auch, sind die Evangelien vielmehr dar-
aufhin zu prüfen, wie sich in ihnen vergangene Ereignisse und deren Dar-
stellung zueinander verhalten. Dabei ist die Intention der Evangelien, das
irdische Wirken Jesu im Licht der Uberzeugung darzustellen, er sei zu-
gleich der Auferstandene und zu Gott Erhöhte, ebenso zu berücksichti-
gen wie ihr Charakter als Erzählungen über das Wirken einer historischen
Gestalt an einem konkreten Ort zu einer konkreten Zeit9. Jedes Jesusbild,
das den Bedingungen des historischen Bewußtseins genügen will, muß
sich deshalb an seinem kritischen Umgang mit den Evangelien als den
frühesten Quellen für den historischen Jesus messen lassen. Nur ein sol-
cher kritischer Umgang mit den Evangelien kann deutlich machen, inwie-
fern diese als historische Quellen auswertbar sind10.

sen der nachösterlichen Gemeinde verdankten, richtete die Redaktionsgeschichte ihr


Augenmerk vornehmlich auf Kompositionsweise und Theologie der Evangelisten.
Dieser, durch den narrative criticism dann noch einmal auf eine neue methodische
Grundlage gestellte Zugang hat wichtige Einsichten für die Interpretation der Evan-
gelien zutage gefördert. Die Frage nach deren historischer Referenz blieb dabei jedoch
weitgehend unberücksichtigt. Auf diese richtet sich die hier verfolgte Fragestellung.
8 Vgl. hierzu THEISSEN/MERZ, Jesus, 41-48. 103-116. Dort werden die „Einwände hi-

storischer Skepsis" gegen die Historizität der Evangelien zusammenfassend dargestellt


und auf ihre Stichhaltigkeit hin geprüft. Dabei wird zu Recht betont, daß die
nachösterlich-deutende Perspektive nicht prinzipiell gegen den Charakter der Evan-
gelien als historischer Quellen ins Feld zu führen, bei ihrer historischen Auswertung
gleichwohl in Rechnung zu stellen ist.
' Es sei daran erinnert, daß sich diese Einsicht bereits in einem Beitrag von PERRIN aus
dem Jahr 1966 (!) findet. Vgl. DERS., Wredestrasse, 299: "Instead of providing a helle-
nistic form, such as was provided by the myths of hellenistic religion, or a Jewish
form, such as the apocalyptic vision, Mark has chosen to express a message of the
risen Lord of his Christian experience in terms of a story about the earthly Jesus [. . .]
The synoptic tradition as a whole is, in fact, neither pure myth nor interpreted histori-
cal narrative but a remarkable mixture of these two things."
10 Dieser kritische Umgang mit den Quellen ist bei jeder Beschäftigung mit der Vergan-

genheit gefordert. Im Blick auf die Evangelien gilt dabei noch einmal besonders, daß
sie als biographische Erzählungen innerhalb der antiken Geschichtsschreibung zu be-
urteilen sind, näherhin im Rahmen von deren jüdisch-hellenistischer Ausprägung.

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Zu einer solchen Zugangsweise gehört des weiteren, daß die kulturel-


len, religiösen und sozialen Verhältnisse Palästinas - und hier noch einmal
besonders des palästinischen Judentums - eine wichtige Rolle für die
Konstruktion eines historisch plausiblen Bildes Jesu spielen. Diese sind
aus den zur Verfügung stehenden literarischen und archäologischen Mate-
rialien zu erheben. Die neuere Forschung hat deutlich gemacht, daß eine
historische Konstruktion der Person Jesu die Darstellungen der Evangeli-
en mit diesen Materialien in Beziehung zu setzen und zu einem Gesamt-
bild zu verbinden hat". Auch damit ist gegenüber früheren Phasen inso-
fern ein neuer Weg eingeschlagen, als dort der zeitgeschichtliche Kontext
Jesu - wenn überhaupt - nur am Rande in den Blick trat12.
Die zweite Konsequenz ist erkenntnistheoretischer Art. Die eingangs
genannte Besinnung auf die geschichtswissenschaftlichen Grundlagen be-
deutet, daß die Jesusforschung den Voraussetzungen und Grenzen des hi-
storischen Bewußtseins unterliegt. Eine Grundüberzeugung dieses Be-
wußtseins besagt, daß die Quellen der Vergangenheit selektive, deutende
Bilder vermitteln. Sie sind von Menschen verfaßt, die mit ihren Darstel-
lungen die Wirklichkeit, die sie erleben, interpretieren, mit diesen Inter-
pretationen bestimmte Interessen verbinden und selbst an die Grenzen
ihres Wissens und ihrer Sprache gebunden sind. Es ist deshalb eine me-
thodische Voraussetzung des historisch-kritischen Bewußtseins, die
Quellen nicht einfach mit der Wirklichkeit, auf die sie sich beziehen, zu
identifizieren, sondern kritisch daraufhin zu prüfen, was sie von der Ver-
gangenheit zu erkennen geben.
Schon aufgrund des fragmentarischen, deutenden Charakters der
Quellen kann historische Forschung also niemals eine Wiederherstellung
der Vergangenheit sein. Dies ist aber auch aus einem weiteren, ebenso auf
der Hand liegenden Grund ausgeschlossen: Historische Forschung ist
nicht nur durch die Art der Quellen, sondern auch durch die notwendig
perspektivierende Sicht des Historikers gekennzeichnet, der die Quellen
seinerseits interpretiert und mit den ihm zugänglichen historischen Mate-
rialien zu einem Bild zusammenfügt. Erst die Deutung der Überreste und
ihre Einordnung in einen vom Historiker entworfenen Zusammenhang

" Vgl. hierzu REED, Archaeology, 1-22, der einen knappen, aber instruktiven Überblick
über die archäologischen Forschungen zu Galiläa sowie deren Beitrag für die Jesusfor-
schung gibt.
12 Terminologisch kennzeichnend für die ältere Forschung ist dabei der Begriff des

„Rahmens", in den dann die „Verkündigung Jesu" gestellt wird. Völlig zu Recht be-
merkt FREYNE, Geography, 75, deshalb im Blick auf eine gegenwärtig notwendige
Orientierung der Jesusforschung: "Perhaps we are better placed today to undertake
again the quest for Jesus within a specific social and cultural world."

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Von der Historizität der Evangelien 167

haucht deshalb den Überresten vergangener Zeiten Leben ein. Vergan-


genheit ist per definitionem dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht mehr
ist. Was von ihr Zeugnis gibt, muß gedeutet werden, damit es verstanden
und für die Gegenwart bedeutsam wird. Unabhängig von dieser Interpre-
tation der Uberreste gibt es keine Geschichte, sondern nur totes Material.
Zu einer historischen „Quelle" wird ein Text deshalb erst dann, wenn er
gelesen, interpretiert und mit anderen Materialien in Beziehung gesetzt
wird. Historische Forschung stellt somit immer einen Prozeß der Inter-
aktion dar, in dem Zeugnisse der Vergangenheit mit je gegenwärtigen Er-
kenntnisbedingungen vermittelt werden. Das Ziel historischer Forschung
ist somit nicht Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern Konstruktion
von Geschichteu: Sie erstellt ein Bild der Vergangenheit, das relative Gül-
tigkeit besitzt, abhängig von den je geltenden Plausibilitäten der Wirk-
lichkeitsdeutung, determiniert durch den Kenntnisstand der Forschenden
und bestimmt durch die Sicht, die der Interpret anhand des bekannten
Materials entwirft. Aus dieser erkenntnistheoretischen Einsicht folgt, daß
ein an den Evangelien orientiertes Jesusbild nicht mit der wirklichen Per-
son, die im 1. Jahrhundert in Galiläa gewirkt hat, gleichzusetzen ist14. Eine
Konstruktion der Person Jesu ist vielmehr ein hypothetischer, falsifizier-
barer Entwurf, der die vorhandenen Quellen als Wirkungen derjenigen
Ereignisse, auf die sie sich beziehen, verständlich zu machen versucht. Ge-
rade in dieser Einsicht in den prinzipiell konstruierenden Charakter histo-

13 Anders als es L O R E N Z im Titel seiner Einführung in die Geschichtstheorie tut, ist es


deshalb auch nicht sinnvoll, von Konstruktion der Vergangenheit zu sprechen, wohl
aber von Konstruktion von Geschichte, durch welche wir uns die Vergangenheit an-
eignen. Mit dieser terminologischen Differenzierung wird die erkenntnistheoretisch
relevante Einsicht zum Ausdruck gebracht, daß Vergangenheit und Geschichte nicht
einfach miteinander identisch sind, sondern diese einen perspektivierenden, selektiven
Bezug auf jene darstellt. Vgl. hierzu jetzt die wichtigen Ausführungen von G O E R T Z ,
Unsichere Geschichte: „Im übrigen wird nicht die Vergangenheit konstruiert, als ob
es sie sonst nicht gäbe, konstruiert wird die Geschichte." (A. a. O., 37.) Im übrigen sei
bemerkt, daß hier und im Folgenden bewußt von „Konstruktion" im Gegensatz zu
„Äe-konstruktion" gesprochen wird. Letzterer Ausdruck verschleiert, was sich tat-
sächlich vollzieht, wenn wir historische Materialien auswerten und zu einer Hypo-
these über die Vergangenheit zusammensetzen. Er fällt damit hinter einen in der
Geschichtstheorie erreichten Diskussionsstand über die erkenntnistheoretischen
Prämissen historischer Hypothesen zurück und leistet deshalb in der Diskussion über
den historischen Jesus einer letztlich unfruchtbaren Debatte Vorschub. In diesem
Sinne bemerkt auch G O E R T Z (ebd.): „Wer sowohl von Konstruktion als auch von Re-
konstruktion spricht, hat sich noch nicht auf die Radikalität diese neuen Geschichts-
verständnisses eingelassen."
14 In diesem Sinne unterscheidet M E I E R zwischen "the historical Jesus" und "the real Je-
sus". Vgl. DERS., A Marginal Jew, I, 21-31.

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rischer Erkenntnis könnte somit ein wichtiges Merkmal der neuesten


Jesusforschung liegen15. Dieser Weg ist allerdings bislang noch wenig aus-
gearbeitet, was sich bei einem näheren Blick in die Beurteilung der Evan-
gelien als historischer Quellen zeigt.
Der beschriebene Zugang zur historischen Jesusfrage war in der neu-
testamentlichen Wissenschaft lange Zeit keineswegs unproblematisch.
Vielmehr läßt sich seit den Anfängen der historischen Jesusforschung bis
in neueste Publikationen hinein die Tendenz feststellen, die Evangelien als
historisch unzuverlässige Quellen zu beurteilen: In ihnen würden die
zugrundeliegenden Ereignisse durch die Intentionen sowie die Darstel-
lungsweise der Verfasser derart überformt, daß sie keinen Wert als histo-
rische Quellen beanspruchen könnten. Hieraus wurden dann Konsequen-
zen unterschiedlicher Art gezogen: Man fand sich damit ab, keine
historische Jesusdarstellung geben zu können, da die zur Verfügung ste-
henden Quellen dies nicht zuließen. Stattdessen sei man auf den in den
Evangelien bezeugten Christus verwiesen, jenseits dessen es keine Dar-
stellung der Person Jesu mit Anspruch auf Validität geben könne16. Eine
andere Konsequenz lautet: Aufgrund der historischen Unzuverlässigkeit
der Evangelien könne der historische Jesus nur hinter diesen gefunden
werden. Handle es sich bei den Evangelien um kerygmatische Erzählun-
gen, deren historische Referenz sehr gering einzustufen sei, dann treffe
man allenfalls gelegentlich auf ein authentisches Jesuswort, das jedoch
von seinem sekundären Rahmen befreit werden müsse, wenn man zu Je-
sus selbst vorstoßen wolle. Eine notwendige Folge dieses Vorgehens ist
die Reduktion des historischen Jesus auf einige für authentisch gehaltene
Worte, die dann nachträglich in einen unabhängig davon entworfenen
„Rahmen" gestellt werden17.

15 PORTER hat jüngst die Aufteilung der historisch-kritischen Jesusforschung in drei


Phasen grundsätzlich in Frage gestellt. Vgl. DERS., Criteria, 28-59. In seiner Nach-
zeichnung der Forschungsgeschichte finden sich dabei viele wichtige Beobachtungen,
die diese schematische Aufteilung ausdifferenzieren. Dennoch gibt es Merkmale, die
dazu berechtigen, die drei Etappen der liberalen Jesusforschung, der sog. „neuen Fra-
ge" und der derzeit im Gang befindlichen „dritten Frage" voneinander zu unterschei-
den. Die gegenwärtige Diskussion könnte dabei durch eine erkenntnistheoretisch
fundierte Grundlegung historischer Konstruktionen die bisherige Jesusforschung
weiterführen und dadurch einen Weg eröffnen, die Evangelien jenseits von Historis-
mus und Kerygmatheologie als historische Erzählungen zu interpretieren.
" Dies war bekanntlich die Konsequenz von KAHLER, Jesus. Ahnlich urteilten dann
BULTMANN, Verhältnis sowie in neuerer Zeit JOHNSON, Real Jesus.
17 Die schon genannte Aufteilung in einen „zeitgeschichtlichen Rahmen" und die hier-

von abgetrennte „Verkündigung J e s u " begegnet zuerst in BULTMANNS Jesusbuch, von


dem unten noch zu sprechen sein wird. Sie prägt dann Teile der gegenwärtigen Jesus-

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Beide Konsequenzen sind somit spiegelbildliche Wirkungen der Auf-


fassung, die Evangelien ließen sich nicht als historische Quellen interpre-
tieren. Damit wird jedoch deren Charakter als zugleich historisch-
bewahrender und aktualisierender Jesuserzählungen verkannt. Dieser ver-
bietet es, sie mit dem Verweis auf die in ihnen zum Ausdruck kommen-
den Uberzeugungen als historisch irrelevant zu beurteilen. Notwendig für
die historische Jesusfrage ist stattdessen eine historisch-kritische Analyse
ihrer narrativen Verarbeitungen des Wirkens und Geschicks Jesu. Um
dieses zu demonstrieren, werden im Folgenden zunächst die Einwände
gegen die Evangelien als historische Quellen in die kritische Jesusfor-
schung eingeordnet und einer genaueren Prüfung unterzogen. Der dritte
Teil wird sodann anhand einiger Konkretionen die Frage nach der Ver-
wertbarkeit der Evangelien für eine historische Konstruktion der Person
Jesu diskutieren. Am Ende steht eine knappe Zusammenfassung.

2. Zwei Einwände gegen die Verwendbarkeit der Evangelien


als historische Quellen

2.1 Das Argument der sachlichen Diskrepanz

Die Problematisierung des Charakters der Evangelien als Quellen für die
Geschichte Jesu fällt mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Je-
susforschung zusammen. Sie läßt sich auf zwei Einwände zurückführen,
die in verschiedenen Variationen begegnen. Das erste Argument läßt sich
als dasjenige der sachlichen Diskrepanz bezeichnen. Es besagt, die Deu-
tungen der Person Jesu ließen sich durch den Verweis auf von seinem
Auftreten ausgegangene Impulse nur höchst unzureichend erklären. Die-
ses habe vielmehr nur den äußeren Anstoß geliefert, sei jedoch durch die
Kategorien, die zu seiner Deutung herangezogen wurden, auf eine Weise
überlagert worden, die den historischen Ausgangspunkt undeutlich und in
seinem sachlichen Gehalt zweitrangig erscheinen lasse.
D a s Diskrepanzargument wird zum ersten Mal von DAVID FRIEDRICH
STRAUSS auf die Evangelien angewandt18. Seiner Auffassung zufolge beru-

forschung, die sich vornehmlich auf Jesu Worte stützen, den erzählerischen Rahmen
dagegen für historisch sekundär erachten. Es wird sich zeigen, daß dieses Urteil ge-
schichtsmethodologisch unhaltbar ist.
" Auf andere Weise spielt die Behauptung einer sachlichen Diskontinuität bereits bei
REIMARUS eine Rolle, der zwischen der sittlichen Botschaft Jesu und der nach seinem
T o d an deren Stelle getretenen Lehre der Apostel von einem leidenden, vom Tode

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hen die Evangelien auf Überlieferungen, die als „geschichtsartige Einklei-


dungen urchristlicher Ideen, gebildet in der absichtslos dichtenden Sage",
zu beschreiben seien 1 9 . D i e in ihnen gesammelten U b e r l i e f e r u n g e n 2 0 besä-
ß e n zwar in der P e r s o n J e s u ihren historischen A u s g a n g s p u n k t , seien je-
d o c h durch die M y t h e n als den zu ihrer D e u t u n g h e r a n g e z o g e n e n religiö-
sen Ideen auf eine W e i s e geprägt, die es u n m ö g l i c h m a c h e , historischen
K e r n u n d m y t h i s c h e D e u t u n g voneinander zu t r e n n e n . F ü r ihre I n t e r -
pretation m ü s s e deshalb ein „ m y t h i s c h e r S t a n d p u n k t " e i n g e n o m m e n w e r -
den, mit dessen H i l f e ihr Gehalt erhoben werden k ö n n e 2 1 .
STRAUSS identifiziert verschiedene derartige M y t h e n , die größtenteils
aus d e m A l t e n T e s t a m e n t s t a m m e n u n d ihr Z e n t r u m in d e m Messias-
m y t h o s besitzen. D i e s e r habe seine ideelle Grundlage in den M e s s i a s v o r -
stellungen des A l t e n T e s t a m e n t s , seinen historischen B e z u g s p u n k t indes
in d e m M e s s i a s b e w u ß t s e i n J e s u . E n t s c h e i d e n d aber ist, d a ß erst der A u f -
erstehungsglaube den entscheidenden Impuls dafür lieferte, das g e s a m t e
L e b e n J e s u in m y t h i s c h e n K a t e g o r i e n zu deuten.
Mit der mythischen Betrachtungsweise war die Frage nach der
geschichtlichen Grundlage des christlichen Glaubens in aller Schärfe

auferstehenden und vom Himmel wiederkommenden Erlöser unterscheidet. Er wen-


det dieses Argument jedoch nicht auf die Evangelisten an. Diese betrachtet er viel-
mehr als glaubwürdige Geschichtsschreiber. Bei REIMARUS findet sich deshalb eine
Unterscheidung zwischen der Darstellung Jesu in den Evangelien und der in den
Briefen der Apostel entwickelten Deutung seiner Person, die sich hierzu gerade nicht
auf die Worte und Taten Jesu berufen würden. Diese Modell besitzt in der späteren
Differenzierung zwischen der Messiasdogmatik der palästinischen und dem Kyrios-
kult der hellenistischen Urgemeinde durch BOUSSET eine gewisse Analogie. Anders als
bei STRAUSS führt das Diskrepanzargument bei REIMARUS also nicht zu einer Proble-
matisierung des historischen Wertes der Evangelien.
" STRAUSS, Leben Jesu, I, 75.
20 STRAUSS vertritt zwar die Mt-Priorität, bezüglich des Ursprungs der Evangelien ist je-

doch sein Anschluß an die Traditionshypothese HERDERS grundlegend, weil diese es


ihm ermöglicht, eine Phase anzunehmen, in welcher die Jesusüberlieferung vor ihrer
Verschriftlichung tradiert und dabei mythisch geprägt worden sei. Vgl. DERS., Leben
Jesu, I, 62-74. Damit vertritt STRAUSS ein Modell, das in der Formgeschichte wieder
auftaucht, die den historischen Wert der Evangelien mit einem analogen Erklärungs-
muster hinterfragt. Vgl. TUCKETT, Griesbach Hypothesis, bes. 32. WEISSE hat dies in
seiner Auseinandersetzung mit STRAUSS sehr genau erkannt und nicht die Griesbach-,
sondern die Traditionshypothese bekämpft (vgl. DERS., Geschichte, I, 3-137).
21 STRAUSS k n ü p f t d a b e i a n E I C H H O R N , G A B L E R , BAUER u n d DE W E T T E a n , die b e r e i t s
den Mythosbegriff zur Erklärung der biblischen Erzählungen herangezogen hatten. Er
ist sich also bewußt, daß er keineswegs der erste ist, der den mythischen Standpunkt
auf die „evangelische Geschichte" anwendet, erhebt allerdings den Anspruch, der erste
zu sein, der ihn konsequent auf die gesamte Geschichte Jesu bezieht. Vgl. DERS., Leben
Jesu, I, IV-VII. 27-51 sowie HARTLICH/SACHS, Ursprung, bes. 134-137.

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Von der Historizität der Evangelien 171

gestellt. Zwar leugnet STRAUSS nicht, daß den Evangelien tatsächlich ge-
schehene Ereignisse zugrunde liegen und auch das messianische Selbstver-
ständnis Jesu einen historischen Impuls zur Entstehung des Glaubens an
ihn geliefert habe22. Diese Anstöße reichen jedoch s. E. nicht aus, um die
Erzählungen über ihn verständlich zu machen. Hierfür bedarf es vielmehr
einerseits der Einbeziehung des - für STRAUSS in seiner Herkunft letztlich
nicht aufzuhellenden - Auferstehungsglaubens 23 , andererseits der Beach-
tung des durch diesen veranlaßten mythischen Charakters der Uberliefe-
rung. Beide Aspekte kulminieren schließlich in einer Trennung der ge-
schichtlichen von der dogmatischen Grundlage des christlichen Glaubens.
Das von STRAUSS festgehaltene Grundgerüst des Lebens Jesu 24 wird zu ei-
nem Ausgangspunkt, der die inhaltliche Gestalt der auf ihm aufbauenden
Deutungen letztlich nur unwesentlich beeinflußt. Diese sind vielmehr von
der mythischen Anschauungsweise geprägt, die die Ideen zwar ge-
schichtsartig einkleidet, jedoch selbst kein Fundament in historischen
Sachverhalten besitzt. Damit hatte STRAUSS eine Diastase zwischen dem
Wirken Jesu und dessen auf dem Auferstehungsglauben gründender Dar-
stellung behauptet, die überall dort nachwirkt, wo keine sachliche Ent-
sprechung zwischen Jesus und der Entstehung des christlichen Glaubens
gesehen wird.
STRAUSS betrachtet den Mythos also als Kategorie, mit deren Hilfe die
zufällige historische Einzelerscheinung in den Rang einer überzeitlichen
Wahrheit erhoben wird. Das unbestreitbare Verdienst, das er sich damit in
der Jesusforschung erworben hat, besteht darin, zum ersten Mal eine kon-
sequente Interpretation der Evangelien durchgeführt zu haben, die deren
Gehalt durch eine Verbindung von historischem Ereignis und deutender
Kategorie zu bestimmen sucht. Seine Auffassung führt jedoch dazu, das
konkrete Ereignis nur noch als Ausdrucksform einer überzeitlichen Idee
zu betrachten25. Die spannungsvolle Einheit von Mythos und Geschichte,
die die Evangelien kennzeichnet, wird deshalb von ihm letztlich nicht
festgehalten. Die „Schlußabhandlung" seines Werkes trägt den bezeich-

22 Leben Jesu, I, 469: » [ . . . ] daß den Gestorbenen seine Jünger als den Messias festhiel-
ten, läßt sich nicht begreifen, wenn nicht der Lebende schon durch bestimmte Erklä-
rungen diese Uberzeugung in ihnen gepflanzt hatte."
23 Leben Jesu, 2. Auflage, I, 99: Es „lag in dem, wodurch auch immer entstandenen,
Glauben an seine Auferstehung mehr als hinreichend Ueberzeugungskraft für seine
Messianität".
24 Leben Jesu, I, 72.
25 Leben Jesu, I, VII: „Den inneren Kern des christlichen Glaubens weiss der Verfasser
von seinen kritischen Untersuchungen völlig unabhängig. Christi übernatürliche Ge-
burt, seine Wunder, seine Auferstehung und Himmelfahrt, bleiben ewige Wahrheiten,
so sehr ihre Wirklichkeit als historischer Fakta angezweifelt werden mag."

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nenden Titel „Die dogmatische Bedeutung des Lebens Jesu"26. In diesem


Abschnitt wird noch einmal deutlich, daß die religiösen Ideen für STRAUSS
im Zentrum stehen, wogegen die historische Konkretion dahinter zu-
rücktritt. Trotz des unbestreitbaren Fortschritts, den die Untersuchung
von STRAUSS darstellt, bleibt somit letztlich ungeklärt, warum, die von ihm
identifizierten Mythen auf das Leben Jesu angewandt wurden. Anders ge-
sagt: Die Konstruktion von STRAUSS leidet darunter, daß sie die Mythen
nicht mit einer historischen Analyse verbindet. Der „dogmatische Gehalt
des Lebens Jesu" steht deshalb unverbunden neben dem in den Evangelien
über Jesus Erzählten, insofern nicht deutlich wird, daß die entsprechen-
den Deutungskategorien nicht einfach auf Jesus übertragen, sondern zur
Interpretation konkreter Ereignisse herangezogen wurden.
Der Entwurf von STRAUSS hatte zur Folge, daß in Abwehr seiner kriti-
schen Position in der Folgezeit intensiv nach dem historischen Wert der
Evangelien gefragt wurde. Die hierfür als methodische Grundlage erar-
beitete Zwei-Quellen-Theorie wurde in direkter Auseinandersetzung mit
STRAUSS entwickelt: CHRISTIAN HERMANN W E I S S E , dessen Untersuchung
der „evangelischen Geschichte" sich bereits im Untertitel „kritisch und
philosophisch" nennt und damit den von STRAUSS geworfenen Fehde-
handschuh aufnimmt, bestreitet dessen These von der mythischen Prä-
gung der Jesusüberlieferung, die er stattdessen auf zwei durch Augenzeu-
gen vermittelte bzw. direkt überlieferte Quellen - die im MkEv
aufbewahrten Petruserinnerungen sowie die Spruchquelle des Apostels
Matthäus - zurückführt und damit die bis heute grundlegende Theorie
zur Verhältnisbestimmung der synoptischen Evangelien formuliert. Da-
mit sollte zugleich der von STRAUSS vertretenen Annahme einer Phase, in
der die Jesusüberlieferung mündlich tradiert und dabei mythisch geprägt
worden sei, der Boden entzogen werden. W E I S S E räumt dabei der durch
historische Kritik zu erarbeitenden „evangelischen Geschichte" eine
wichtige Rolle bei der Entstehung des christlichen Glaubens ein, be-
stimmt das Verhältnis von historischer Grundlage und späterer Ausge-
staltung der Evangelien also gerade anders als STRAUSS.
Bei W E I S S E finden sich Einsichten in die Gestalt der synoptischen
Evangelien, die bis heute Bestand haben. Hierzu gehören nicht nur die
Mk-Priorität sowie die Zurückführung des gemeinsamen Nicht-Mk-
Stoffes von Mt und Lk auf eine weitere gemeinsame Quelle. Hierzu ge-
hört auch die Unterscheidung zwischen einem kritisch zu sichernden hi-
storischen Kernbestand der Jesusüberlieferung und dessen späterer my-
thischer Ausgestaltung. Hierzu gehört schließlich die - von W E I S S E noch

26 Leben Jesu, II, 686-744.

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Von der Historizität der Evangelien 173

durch Rekurs auf das Papiaszeugnis begründete - Einsicht, daß sich aus
dem MkEv nicht unmittelbar auf einen Verlauf der Wirksamkeit Jesu
schließen läßt.
Trotz dieser Erkenntnisse tendiert WEISSE in seiner Betonung eines
unmittelbaren Bezugs auf die Person Jesu dazu, diese auf andere Weise als
STRAUSS ebenfalls aus ihren konkreten geschichtlichen Bezügen zu isolie-
ren und ihr eine quasi urbildliche Bedeutung zuzuschreiben. Bleibt bei
STRAUSS das Verhältnis von historischem Ereignis und dessen Wirkung
letztlich ungelöst, weil sein Mythosbegriff auf einer Entgegensetzung von
Geschichte und Idee basiert, so ist das Gegenmodell von WEISSE, der den
christlichen Glauben im Bezug auf eine aus ihren geschichtlichen Kon-
kretionen gelöste Persönlichkeit Jesu sucht, nicht minder problematisch.
Beiden gelingt es nicht, einen Bezug zur historischen Person Jesu zu erar-
beiten, der die in den urchristlichen Entwürfen vorliegenden historischen
Erinnerungen und von seinem Wirken ausgegangenen Impulse mit deren
späterer Ausgestaltung und sachlichen Weiterführung vermittelt.
Eine der Position von STRAUSS analoge Auffassung begegnet wieder in
der Religionsgeschichtlichen Schule und ihrer in verschiedenen Ausfor-
mungen vertretenen These der nachösterlichen Entstehung der Christo-
logie. Signifikant greifbar wird diese zunächst in WILLIAM WREDES Un-
tersuchung über „Das Messiasgeheimnis in den Evangelien", die dem
Problem des messianischen Selbstbewußtseins Jesu gewidmet ist. Auf-
grund seiner Analyse vornehmlich des MkEv gelangt er zu der Auffas-
sung, die Messianität Jesu sei „jedenfalls nicht ein Gedanke Jesu, sondern
ein Gedanke der Gemeinde" 27 gewesen, der nachträglich auf seine irdische
Wirksamkeit übertragen worden sei. Dieser Gedanke sei als „theologisch"
oder „dogmatisch" zu bestimmen und nicht aus einer historischen Be-
trachtung des Lebens Jesu erwachsen.
WREDES Position läßt sich somit als Zuspitzung der bereits bei
STRAUSS anzutreffenden Sichtweise auffassen, insofern er nunmehr auch
die bei diesem noch existierende Verbindung zwischen dem Selbstbe-
wußtsein Jesu und der bei seinen Anhängern entstandenen Uberzeugung
von seiner Messianität auflöst28. Die Frage, wie es zu dieser Überzeugung

27 Messiasgeheimnis, 218.
28 Vgl. jedoch seine Äußerung in dem gerade veröffentlichten Brief an HARNACK vom
2.1.1905, in: ROLLMANN/ZAGER, 315-317, 317: „Ich bin geneigter als früher zu glau-
ben, daß Jesus sich selbst als zum Messias ausersehen betrachtet hat." Freilich fährt
WREDE dann fort: „Gewiß vereinten sich nun auch vorhandene Ideen vom Messias
leicht mit dem Eindruck der Person. Eine Verschiebung wäre das aber dennoch,
mochte sie sich auch auf die natürlichste Weise einstellen." Damit ist eine gegenüber
seiner Untersuchung zum Messiasgeheimnis wichtige Modifikation angedeutet, inso-

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174 Jens Schröter

kommen konnte, verlangt freilich dennoch nach einer historischen Erklä-


rung, die W R E D E in seinem Buch jedoch schuldig bleibt. Damit stellt sich
die - hier vorerst anzudeutende - Frage, ob W R E D E S Beitrag zur Konzep-
tion des MkEv in der Tat h i s t o r i s c h e Erklärungskraft beanspruchen kann.
Daß die verborgene Identität Jesu eine wichtige Funktion für das narrati-
ve Konzept des MkEv besitzt, ist evident2'. Eine andere Frage ist freilich,
ob dies den Schluß rechtfertigt, die Uberzeugung von der Messianität Je-
su sei eine erst nachösterlich entstandene Theorie, die keinen Anhalt an
seinem irdischen Wirken habe.
In R U D O L F BULTMANNS Ansicht über die Entstehung der Christologie
findet diese Linie einen gewissen Abschluß. In einem Aufsatz zur Chri-
stologie des Neuen Testaments wendet sich BULTMANN dezidiert gegen
die Auffassung, die neutestamentliche Christologie lasse sich auf Wirkun-
gen zurückführen, die von der Persönlichkeit Jesu ausgegangen seien.
Stattdessen verweist er - in Aufnahme von W I L H E L M BOUSSETS „Kyrios
Christos" - auf den Kyrioskult „als das eigentliche Rückgrat der christli-
chen Religion", der aus dem Menschen Jesus das Gottwesen Jesus Chri-
stus und den präexistenten Gottessohn geformt habe30.
Diese Sicht bildet dann auch die Grundlage für BULTMANNS Beurtei-
lung der Jesusüberlieferung, in der sich zwei signifikante Analogien zu
STRAUSS und W R E D E feststellen lassen31. Die erste Analogie betrifft die
Genese des synoptischen Stoffes selbst, bezüglich derer die von B U L T -
MANN aufgegriffene Kategorie des Sitzes im Leben eine wichtige Rolle
spielt. Hatte bereits K A R L LUDWIG SCHMIDT, auf den der unten noch nä-
her auszuführende zweite Einwand gegen den historischen Wert der
Evangelien zurückgeht, die Jesusüberlieferung als „kultisch", „bildhaft"

fern nun genauer danach zu fragen wäre, wie diese Verschiebung vom Selbstverständ-
nis Jesu zum Glauben an ihn vorzustellen ist. Vgl. hierzu jetzt auch HENGEL/
SCHWEMER, Anspruch, I X - X V , sowie den Hinweis von J. FREY in seinem Beitrag für
diesen Band, unten S. 301.
29 O b dies freilich im Sinne eines „Messiasgeheimnisses" zu erklären ist und WREDE hier
nicht Aspekte zu einem Konzept verbindet, die bei Mk durchaus unterschiedliche
Funktionen haben, wäre noch einmal eigens zu fragen. Vgl. dazu die knappen, aber in-
struktiven Bemerkungen von LINDEMANN, in: CONZELMANN/LINDEMANN, Arbeits-
buch, 322-324.
30 BULTMANN, C h r i s t o l o g i e , 2 5 3 .
31 Es ist aufschlußreich, daß BULTMANN seine „Geschichte der synoptischen Tradition"
ursprünglich STRAUSS widmen wollte und dies nur auf den Rat HEITMÜLLERS hin un-
terließ. Immerhin wird STRAUSS in der 1. Auflage noch als erster (vor WREDE und
WELLHAUSEN) „von den älteren Forschern" genannt, von denen er „in erster Linie für
diese Arbeit gelernt" habe. Vgl. EVANG, Rudolf Bultmann, 71 mit Anm. 53 sowie
SCHMITHALS, Johannes Weiß, 389.

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V o n der Historizität der Evangelien 175

und „übergeschichtlich" charakterisiert und dem Milieu einer unliterari-


schen Volksüberlieferung zugewiesen32, so wird bei B U L T M A N N durch den
Sitz im Leben ihre historische Entstehungssituation in Bedürfnissen der
nachösterlichen Gemeinde gesucht und damit ihres historischen Wertes
für die Konstruktion der Wirksamkeit Jesu entkleidet. Darin kann eine
Analogie zu der von STRAUSS angenommenen, in dem Messiasmythos
wurzelnden mythischen Form des Stoffes gesehen werde, denn auch hier
wird eine Umprägung des Stoffes gegenüber seiner historischen Entste-
hung angenommen.
Eine zweite Analogie besteht in der Auffassung von der theologischen
Prägung der Jesusüberlieferung. Wie bei STRAUSS spielt hierfür auch bei
B U L T M A N N der Auferstehungsglaube - bei ihm „urchristliches Kerygma"
genannt - eine entscheidende Rolle. Dieser ist nach B U L T M A N N nicht auf
dem Boden der die Jesusüberlieferung tradierenden Gemeinde entstan-
den, sondern davon unabhängig in der hellenistischen Gemeinde. Die
nachträgliche Verbindung mit der Jesusüberlieferung habe dann dazu ge-
führt, daß diese nunmehr zur Illustration des Kerygmas diente33. B U L T -
MANN sieht also keine sachliche Beziehung zwischen der nachösterlichen
Prägung des Stoffes durch die tradierende Gemeinde und seiner später
(bei Mk) erfolgten Verbindung mit dem hellenistischen Christuskerygma.
Diesbezüglich rechnet er vielmehr mit zwei voneinander unabhängigen
Entwicklungen in der palästinischen und der hellenistischen Gemeinde 34 .
Ahnlich wie bei STRAUSS und W R E D E wird somit auch bei B U L T M A N N
die sachliche Verbindung zwischen Wirken und Selbstverständnis Jesu ei-
nerseits, der Entstehung des christlichen Glaubens andererseits, proble-
matisch. Mit S T R A U S S teilt er die Auffassung von der nachösterlichen Prä-

32 SCHMIDT, Rahmen, 19: „ D i e Erzählungen aus der Geschichte Jesu sind in der ersten
Zeit von Mund zu Mund gegangen. Wenn die Christen zusammen waren, erzählten
sie einander von den Worten und Taten des Herrn, einer den anderen ablösend, einer
den anderen ergänzend. U n d wenn auch in den gottesdienstlichen Versammlungen die
Bibel der J u d e n das heilige Buch war, s o wird doch von vornherein auch all das, was
man von Jesus zu sagen wußte, eine bedeutende Rolle gespielt haben. Wir wissen über
diese D i n g e nichts Bestimmtes. Wir können uns aber solches Reden und Erzählen
über die Geschichte J e s u nicht lebendig genug vorstellen."
35 Geschichte, 370-376.
34 Geschichte, 371f., in Anschluß an WREDES Messiasgeheimnistheorie: „Jedenfalls ist es
dem Verf. [gemeint ist Mk, J. S.] mit seinen Mitteln gelungen, die Tradition in eine
bestimmte Beleuchtung zu rücken, ihr die Deutung aufzuprägen, deren sie in den
hellenistischen Gemeinden der paulinischen Sphäre bedurfte; sie mit dem christologi-
schen Kerygma dieses Christentums zu verbinden, in ihr die christlichen Mysterien
Taufe und Abendmahl zu verankern und so erstmals eine Darstellung v o m Leben Jesu
zu geben, die mit Recht als εύαγγέλιον Ίησοΰ Χ ρ ι σ τ ο ΰ bezeichnet werden konnte
Mk 1,1)."

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176 Jens Schröter

gung des Stoffes, wobei bei ihm die soziologische Kategorie des Sitzes im
Leben an die Stelle der mythischen Vorstellungen bei STRAUSS tritt. Mit
WREDE teilt er die Auffassung vom erst nachösterlich entstandenen
Glauben an die Messianität Jesu. Die Deutungskategorien, die dem Stoff
bei seiner Verbindung mit diesem Glauben aufgeprägt wurden (von
BULTMANN „dogmatische Motive" genannt), stammen s. E. aus hellenisti-
scher bzw. gnostischer Religiosität, welche die Entstehung der Christolo-
gie maßgeblich beeinflußt habe. Daß BULTMANN das mit dieser doppelten
Auflösung der sachlichen Kontinuität zwischen Jesus und der Christolo-
gie entstehende Problem durchaus gesehen hat, wird gleich noch zu zei-
gen sein.
Das Diskrepanzargument macht seinen Einfluß bis in die gegenwärtige
Jesusforschung hinein geltend. Es führt dazu, daß bei Konstruktionen der
Person Jesu der historische Wert der Evangelien mit dem Hinweis auf ih-
ren kerygmatischen Charakter von vornherein mit einem Fragezeichen
versehen wird. Dem liegt die schon bei STRAUSS anzutreffende Auffassung
zugrunde, die Stoffe der Jesusüberlieferung seien durch die in dem Aufer-
stehungsglauben gründende Uberzeugung von seiner Messianität auf eine
Weise umgeprägt worden, die eine historische Kontinuität unwahrschein-
lich mache35. Eine solche wird dann im wesentlichen - wie schon bei
BULTMANN selbst - in Jesu Worten gesehen, da diese am ehesten aus ihrer
interpretierenden Verarbeitung zurückzugewinnen seien36. Hier deutet
sich eine durchaus fragwürdige Unterscheidung zwischen der Wort- und
der Erzählüberlieferung bezüglich ihres Wertes für die historische Rück-
frage an, die schon von daher schwer nachzuvollziehen ist, als es sich auch
bei den Worten um von späteren Tradenten ausgewählte und gedeutete
Uberlieferungen handelt, die in eine historische Konstruktion nur als von
einer bestimmten Person zu bestimmten Adressaten in bestimmten Si-
tuationen gesprochene einbezogen werden können.
Dem Diskrepanzargument ist eine Berechtigung nicht generell abzu-
sprechen. Zum einen ist evident, daß die Uberzeugung von Auferstehung

35 Vgl. etwa CROSSAN, Historical Jesus, xxx: "The Gospels are neither histories nor bi-
ographies, even within the ancient tolerances for those genres. They are what they
were eventually called, Gospels or good newses [ . . . ] " . Diese Feststellung ist zum ei-
nen zu bezweifeln (die Evangelien lassen sich sehr wohl als Biographien verstehen),
sie besagt zum anderen nichts über deren Wert als historische Erzählungen, der darum
mit einer solchen Aussage auch nicht einfach beiseite geschoben werden kann.
36 Eine Fortführung dieses Ansatzes begegnet in der Konzentration auf Q und das Ev-
Thom in der neueren (vornehmlich nordamerikanischen) Jesusforschung, die hier auf
originale Jesusworte stoßen möchte und diese dem nachösterlichen Kerygma gegen-
überstellt; so etwa bei ROBINSON, der sich hierfür explizit auf BULTMANN beruft. Vgl.
DERS., Critical Edition, 34 mit Anm. 14; 45-47 mit Anm. 31.

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Von der Historizität der Evangelien 177

und Erhöhung Jesu auch die Berichte der Evangelien über sein irdisches
Wirken beeinflußt hat 37 . Berechtigt ist zum anderen der Hinweis auf die
Deutungskategorien, die auf seine Person angewandt wurden. Es ist deut-
lich, daß das Wirken Jesu - seine Berufung von Nachfolgern, seine Hei-
lungen, seine Interpretation der Thora - unter Rückgriff auf die Schrift
und messianische Erwartungen des Judentums dargestellt wurden. Dies
erfolgte freilich so, daß er dabei als Person erkennbar blieb, die in einem
konkreten zeitlichen und geographischen Raum und im Kontakt mit den
Menschen ihrer Umgebung gewirkt hat.
Das Problem des Diskrepanzargumentes ist jedoch, daß es davon aus-
geht, das Wirken des irdischen Jesus sei durch Auferstehungsglauben und
messianische Uberzeugungen auf eine Weise überlagert worden, daß hi-
storisch verwertbare Erinnerungen allenfalls durch Herauslösung aus die-
sem Deutungsrahmen zu eruieren seien38. Daß Jesu Wirken und Geschick
aus einer bestimmten Perspektive dargestellt wurden, führt jedoch kei-
neswegs mit Notwendigkeit zur Annahme eines sachlichen Bruches zwi-
schen den konkreten Ereignissen und deren späterer Deutung, weshalb
auch die viel bemühte Rede vom „Ostergraben", der zwischen der Jesus-
überlieferung und deren Deutung liege, in die Irre führt 39 . Die Evangelien
stellen die Person Jesu vielmehr gerade so dar, daß die auf ihn angewand-

37 Diese Ereignisse stellen einerseits die Voraussetzung für den Verweis auf den gegen-
wärtig zu Gott Erhöhten sowie für die Erwartung seines zukünftigen Wiederkom-
mens dar. Andererseits wird, etwa in den Leidensweissagungen oder der Darstellung
des irdischen Jesus als κύριος bei Mt und Lk, deutlich, daß bereits sein irdisches Wir-
ken im Lichte dieser Ereignisse gezeichnet wird.
38 Vgl. hierzu KELBER, Quest, 85-94, sowie seinen Beitrag in diesem Band. KELBEK zeigt
eine Linie auf, die von KAHLER über BULTMANN zu JOHNSON führt und in der der Re-
kurs auf den historischen Jesus als theologisch illegitim erwiesen und durch den Be-
zug auf den biblischen Christus ersetzt werden sollte. KELBER macht völlig zu Recht
geltend, daß in dieser Linie die Prägung durch den Osterglauben zu Unrecht gegen
den historischen Wert der Evangelien ins Feld geführt wird, da sich diese - anders als
etwa die Dialoge des Auferstandenen unter den Nag-Hammadi-Schriften - an die irdi-
sche Geschichte Jesu gebunden wissen.
39 Es sei hier noch einmal (vgl. oben Anm. 28) auf WREDES kürzlich veröffentlichten
Brief an HARNACK hingewiesen. WREDE benennt die soeben angeführten Aspekte der
Messiasidee sowie des Auferstehungsglaubens als diejenigen Bereiche, in denen sich
eine Verschiebung von Jesus zum nachösterlichen Glauben ereignet habe. In beiden
Fällen versteht er diese Verschiebung jedoch nicht als Abbruch einer Beziehung zur
historischen Person Jesu: Das Messiasbewußtsein wird bei ihm selbst verankert, die
„Auferstehungsvisionen" werden mit einem „Reflex vom Eindruck der Person Jesu"
in Zusammenhang gesehen. Die eigentliche Diskrepanz sieht WREDE dagegen zwi-
schen Jesus und Paulus, den er „nicht als Interpreten und Fortsetzer Jesu" anerkennen
kann.

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178 Jens Schröter

ten Deutungskategorien angesichts seines Wirkens und Geschicks trans-


formiert und mit neuem Inhalt gefüllt werden. Die deutenden Erzäh-
lungen sind also durch historische Erinnerungen veranlaßt und stehen
deshalb in Verbindung zu Jesu Wirken. Eine heutige Jesusdarstellung
muß diese Beziehung von Ereignis und Deutung plausibel machen und
darf nicht einen dieser Pole auflösen. Die Problematik des Diskrepanz-
argumentes sei deshalb abschließend an zwei Aspekten der Position
BULTMANNS, durch den sie in der gegenwärtigen Jesusforschung einfluß-
reich geworden ist, verdeutlicht.
Wenn BULTMANN sein Jesusbuch zum einen dezidiert auf die Darstel-
lung der Verkündigung Jesu beschränkt 4 0 dann verweist er hierzu einer-
seits auf das durch ALBERT SCHWEITZER offengelegte Scheitern der libe-
ralen Leben-Jesu-Forschung, zum anderen darauf, daß man nur über seine
Lehre auf das stoße, was Jesus selbst gewollt habe.
Der Hinweis auf SCHWEITZER ist jedoch deshalb problematisch, weil
dieser keineswegs der Auffassung BULTMANNS war, daß wir „vom Leben
und der Persönlichkeit Jesu so gut wie nichts mehr wissen können, da die
christlichen Quellen sich dafür nicht interessiert haben, außerdem sehr
fragmentarisch und von der Legende überwuchert sind, und da andere
Quellen nicht existieren." 4 1 SCHWEITZERS Kritik richtete sich vielmehr ge-
gen eine naive Angleichung der Darstellungen Jesu an die jeweilige Ge-
genwart, die dessen Fremdheit nicht wirklich ernst genommen hätten.
Daß man „so gut wie nichts mehr" von ihm wissen könne, war dagegen

40 Vgl. seine programmatische Formulierung, Jesus, 13: „Ihr [sc.: der folgenden Dar-
stellung, J. S.] Gegenstand ist also nicht das Leben oder die Persönlichkeit Jesu, son-
dern nur seine .Lehre', seine Verkündigung." Entsprechend wird dann, nach der Dar-
stellung des „zeitgeschichtlichen Rahmens", in drei Teilen „Jesu Verkündigung" unter
verschiedenen Aspekten behandelt.: „Das Kommen der Gottesherrschaft", „Der Wille
Gottes" und „Der ferne und der nahe Gott". Der Bemerkung von LINDEMANN „Dabei
ist es von Bedeutung, daß Bultmann in diesem Buch nicht lediglich die Verkündigung
Jesu darstellt, als sei Jesus lediglich als .Lehrer' zu sehen" und als Begründung auf die
einleitenden Reflexionen und das Kapitel über den zeitgeschichtlichen Rahmen ver-
weist (vgl. DERS., Einführung, 6), kann ich angesichts der soeben angeführten Ab-
sichtserklärung BULTMANNS nicht folgen.
41 BULTMANN, Jesus, 10. Nach LINDEMANN (a. a. O., 5) ist BULTMANNS Kritik an der
Frage nach dem historischen Jesus „nicht Ausfluß historischer Skepsis oder gar Kon-
sequenz eines grundsätzlichen Desinteresses an historischen Fragen". Wie aber soll
man eine Äußerung wie die soeben zitierte anders verstehen denn als historische
Skepsis? Das Problem bei BULTMANN besteht letztlich darin, daß er seiner Kritik an
der liberalen Leben-Jesu-Forschung einen Entwurf entgegensetzen will, der unabhän-
gig von den Vorläufigkeiten historischer Erkenntnis zu einer unmittelbaren Begeg-
nung mit der Vergangenheit führt und dabei die prinzipielle Relativität jedes Ge-
schichtsentwurfes zu wenig berücksichtigt.

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Von der Historizität der Evangelien 179

ganz und gar nicht SCHWEITZERS Auffassung, auch wenn er gewisse Vor-
behalte - etwa bezüglich des Lebens Jesu vor seinem öffentlichen Auf-
treten oder der Zeitdauer, die er im Gefolge des Täufers verbrachte -
formulierte 42 . Seine Kritik an der Leben-Jesu-Forschung ist insofern von
BULTMANN nicht ganz richtig aufgenommen worden: Das Argument von
SCHWEITZER läuft letztlich darauf hinaus, daß geschichtliche Erkenntnis
nicht wirklich zu Jesus und damit zum wahren Fundament des christli-
chen Glaubens vordringen könne, weil sie ihn stets für die Gegenwart zu-
rechtlege. Demgegenüber gelte es, ohne einen derartigen Umweg über
den historischen Jesus direkt zur wahren Geschichte vorzudringen 43 . Die-
se - geschichtsmethodologisch durchaus fragwürdige - Sicht SCHWEIT-
ZERS, die den nicht zu hintergehenden Zusammenhang von Quellenfor-
schung und Konstruktion der Wirklichkeit bei jeder Beschäftigung mit
der Vergangenheit unberücksichtigt läßt, findet sich in BULTMANNS -
ebenso problematischer - Vorstellung einer persönlichen Begegnung mit
der Geschichte wieder 44 . Wenn sie in gegenwärtigen Jesusdarstellungen
wieder auftaucht, dann zeigt sich darin dieselbe Problematik eines Zu-
gangs, der den „wirklichen" Jesus hinter den narrativen Verarbeitungen
seines Wirkens und Geschicks finden möchte. Die dabei zugrundeliegen-
de Diastase von Kerygma und Geschichte ist jedoch darin erkennt-
nistheoretisch defizitär, daß sie die Beziehung zwischen Ereignis und hi-

42 Vgl. hierzu das Kapitel „Die Lösung der konsequenten Eschatologie" in: SCHWEITZER,
Geschichte, 4 0 2 - 4 5 0 , wo er einen Uberblick über diejenigen Aspekte gibt, die sich
s. E. für den historischen Jesus festhalten lassen.
43 SCHWEITZER, Geschichte, 621: „Wir meinten, wir müßten unsere Zeit den Umweg
über den historischen Jesus, wie wir ihn verstanden, machen lassen, damit sie zum Je-
sus käme, der in der Gegenwart geistige Kraft ist. Der Umweg ist nun durch die wahre
Geschichte versperrt." Geschichtsmethodologisch ist das eine ganz unhaltbare Aussa-
ge. Es bleibt völlig unklar, wie man unter Verzicht auf stets relative historische Er-
kenntnis zu einer „wahren Geschichte" gelangen soll. Bei der Beschäftigung mit dem
historischen Jesus kann es - anders als SCHWEITZER meinte - nie darum gehen, der
defizitären historischen Erkenntnis den „wahren Jesus" gegenüberzustellen, sondern
stets nur darum, ein den jeweiligen Erkenntnisbedingungen genügendes, vorläufiges
Bild zu entwerfen.
44 BULTMANN, Jesus, 9: „Also zu einer Geschichts-,Betrachtung' will ich den Leser im
Grunde nicht führen, sondern zu einer höchst persönlichen Begegnung mit der Ge-
schichte." Hierzu hat bereits LOHMEYER in seiner Rezension treffend bemerkt: „Mit
anderen Worten, die Frage nach dem Gegenstande der Geschichte ist eine der schwie-
rigsten Fragen der Methodenlehre, die um so weniger mit flüchtigen Bemerkungen
über persönliche Begegnungen gelöst sind, als sie die Komplexion der Probleme, wie
sie etwa in dem Begriff des geschichtlich Gewesenen, der geschichtlichen Zeit, der
Notwendigkeit der geschichtlichen Darstellung und anderen mehr schlagwortartig
umrissen sind, gar nicht berühren" (438).

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storischer Darstellung nicht aufzuhellen vermag und die Entstehung der


Evangelien auf Deutungskategorien zurückführt, die mit der Geschichte
Jesu nicht vermittelt werden.
Nicht im Sinne S C H W E I T Z E R S ist dagegen B U L T M A N N S Beschränkung
auf die Lehre Jesu, die einen Zugang zu ihm ermöglichen soll. Die Einbe-
ziehung der in den Evangelien aufbewahrten Erinnerungen an Orte,
Nachfolger, Gegner sowie politische und soziale Konstellationen Galiläas
im 1. Jahrhundert ist vielmehr unverzichtbar, um zu einer historischen
Anschauung zu gelangen - und es gibt keinen Grund, den Evangelien in
dieser Hinsicht einen historischen Quellenwert abzusprechen. Dagegen
ist das von B U L T M A N N entworfene Jesusbild - ebenso wie die diesem An-
satz verpflichtete Konzentration auf seine Worte in Teilen der gegenwär-
tigen Jesusforschung45 - ein letztlich ungeschichtliches Unternehmen, das
in gewisser Weise an die oben skizzierte Position W E I S S E S erinnert, der
einen den historischen Konkretionen enthobenen Bezug zur Persönlich-
keit Jesu suchte46. Auch B U L T M A N N entkleidet seine Jesusdarstellung der-
artiger Konkretionen und trennt dessen „Lehre" auf durchaus fragwürdige
Weise von einem Gesamtbild seiner Person47.

45
Vgl. etwa ROBINSON, Critical Edition, der die narrativen Evangelien mit einem Ver-
weis auf SCHMIDT beiseite stellt und die historische Jesusfrage auf die s. E. älteste
Schicht von Q beschränken möchte. Diese vermutete älteste Schicht der Wortüber-
lieferung tritt hier also an die Stelle dessen, was BULTMANN als die auf Jesus zurück-
zuführende „Verkündigung" betrachtete. Diese Gleichsetzung ist schon deshalb pro-
blematisch, weil auch Q ein auf Selektion und Interpretation beruhendes Jesusbild
entwirft, das keinesfalls a priori für die historische Rückfrage in den Vordergrund zu
stellen ist.
46
Diese Problematik k o m m t auch in BULTMANNS Auffassung zum Ausdruck, daß J e s u
Gottesgedanke entgeschichtlicht" sei, ebenso wie „der unter diesem Gottesgedanken
gesehene Mensch", was bedeute: „das Verhältnis von Gott und Mensch ist den Bin-
dungen an die Weltgeschichte entnommen." Vgl. DERS. Theologie, 25. Wie kann der
Gottesgedanke Jesu als einer historischen Person seinen historischen Konkretionen
und Bedingtheiten entnommen sein?
47
LOHMEYER hat dieses Defizit des Jesusbuches von BULTMANN in seiner Rezension
deutlich benannt. Vgl. etwa a. a. O., 434: „Alle Bemerkungen über Person und Auf-
treten fallen unter den Oberbegriff des .zeitgeschichtlichen Rahmens'; so wäre also
das Werk, das die folgenden Kapitel schildern, wenn man das Gleichnis fortsetzen
darf, das nicht mehr zeitgeschichtlich bestimmte ,Bild' von bleibender Giltigkeit?
[. ..] wohl aber entsteht die Frage, ob unter einer solchen Betrachtung seine Einma-
ligkeit und Geschichtlichkeit nicht verkürzt zu werden droht." 437f.: „Was also das
Buch geben will und nur gibt, ist nichts anderes als ,das Werk'; und mit Werk ist bei
geschichtlichen Gestalten ,νοη ihrem Blickpunkt aus das gemeint, was sie eigentlich
gewollt haben' [ . . . ] man weiß nicht was das .eigentlich' bedeuten soll, man kann auch
sagen, wie Max Weber es getan hat, daß solche Gespenster wie eigentlicher Wille in
der Geschichte nicht ihr Wesen treiben. Aber nimmt man einmal das Recht dieser

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V o n der Historizität der Evangelien 181

Die eingangs genannte geschichtsmethodologische Reflexion zeigt da-


gegen, daß es ungenügend ist, eine historische Jesusdarstellung auf dessen
Worte zu konzentrieren, wie es bei BULTMANN und in Teilen der neueren
Forschung geschieht. Ein solches Vorgehen basiert auf der Prämisse, in
der Verkündigung Jesu des „Eigentlichen" seines Wirkens ansichtig zu
werden und dieses unabhängig von seinen zeitlichen Bedingtheiten in die
Gegenwart transferieren zu können. Die einseitige Bevorzugung von Q
und dem EvThom - die dabei zudem unzutreffenderweise derselben
Gattung zugewiesen werden48 - in Jesusdarstellungen wie derjenigen von
J O H N D. CROSSAN oder das methodisch völlig unhaltbare Plädoyer für die
historische Präferenz einer vermeintlich ältesten Schicht von Q bei JAMES
M. R O B I N S O N verdanken sich einer solchen, von der historischen Kon-
kretion absehenden Perspektive, die durch die Quellen nicht gedeckt
wird. Jede historische Konstruktion der Person Jesu hat sich dagegen dar-
an zu orientieren, daß seine Worte in konkreten Situationen zu konkreten
Menschen gesprochen wurden, daß sie nur einen Aspekt seiner Wirksam-
keit darstellen, neben dem andere - wie sein heilendes Wirken, die Kon-
stitution eines Kreises von Nachfolgern, die Auseinandersetzung mit
Gegnern, um nur einiges zu nennen - stehen und daß in den zur Verfü-
gung stehenden Quellen Gesamtbilder seines Wirkens und Geschicks ge-
boten werden und keine Spruchsammlungen49. Es ist keineswegs belang-

Definition an, dann fordert eben sie grundsätzlich die Einheit von Person und W e r k ;
denn es sind bestimmte Gestalten, die etwas .eigentlich gewollt haben' [ . . . ] d. h., die
Persönlichkeit ist nicht gleichgiltig, sondern in der Sache, die sie treibt, einzig wich-
tig." Mit diesen Einwendungen hat LOHMEYER zentrale Probleme der Beschränkung
auf die „Lehre" Jesu benannt, die auch in der gegenwärtigen Forschung zu bedenken
sind.
48 Das E v T h o m ist eine Spruchsammlung, die verschiedenartiges Material versammelt,
das aus unterschiedlichen Quellen - darunter auch den synoptischen Evangelien -
stammt. Q ist dagegen eine Jesusdarstellung nach Art der synoptischen Evangelien,
wenn auch in dem erkennbaren T e x t die narrativ-biographischen Züge weniger her-
vortreten. Dies kann zum Teil daran liegen, daß der T e x t nur teilweise rekonstruierbar
ist, zum Teil daran, daß Q andere Akzente setzt als M k . D a ß es sich hierbei jedoch
um eine Darstellung handelt, die - gewissermaßen in Analogie zu M k - eine Vorstufe
zu den Großevangelien von M t und Lk darstellt, ist schon deshalb evident, weil Q auf
analoge Weise wie M k beginnt. N u r so wird es auch verständlich, daß M t und Lk diese
Quelle - ebenso wie das M k E v - aufnahmen und in ihre Erzählungen integrierten.
Vgl. hierzu auch SCHRÖTER, Bedeutung.
4 ' Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß mit dem E v T h o m eine auf die Darbietung
der isolierten W o r t e und Gleichnisse konzentrierte Schrift vorliegt. Eine derartige
Sammlung ist ein Kunstprodukt, das narrative Darstellungen des Wirkens Jesu bereits
voraussetzt und diesen gegenüber einen anderen W e g einschlägt, die Bedeutung Jesu
zu explizieren. D i e T h e s e vom altertümlichen Charakter einer solchen Sammlung wird

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182 Jens Schröter

los, wo Jesus gewirkt und an welche Menschen er sich gewandt hat. Es ist
nicht gleichgültig, warum er dem MkEv zufolge in die an Galiläa angren-
zenden Gebiete gezogen ist, die galiläischen Städte Sepphoris und Tiberias
dagegen gemieden hat. Für eine historische Konstruktion ist es von ent-
scheidender Bedeutung, daß die Quellen aus dem 1. Jahrhundert seine
Wirksamkeit in einem solchen Kontext darstellen. Die Reduktion eines
Jesusbildes auf die ihrer narrativen Einbettungen entkleidete „Verkündi-
gung", die sekundär in einen „zeitgeschichtlichen Rahmen" gestellt wird,
ist deshalb ein methodisch defizitäres Verfahren, bei dem ohne eine ein-
leuchtende Begründung Aspekte seines Wirkens ausgeblendet werden, die
für eine historische Konstruktion grundlegend sind 50 .
Wenn BULTMANN, zweitens, an anderer Stelle auf den Kyrioskult der
hellenistischen Gemeinde rekurriert, um eine Diskrepanz zwischen irdi-
schem Jesus und nachösterlicher Christologie zu behaupten 51 , dann ist im

dagegen durch Beobachtungen zum sekundären Charakter des EvThom gegenüber


den synoptischen Evangelien ebenso widerlegt wie durch die Tatsache, daß mit den
Philosophenbiographien des Diogenes Laertius sowie den Apophthegmata Patrum
etwa zeitgleiche bzw. sogar spätere Parallelwerke vorliegen, bei denen der Sammlungs-
charakter ebensowenig etwas mit Altertümlichkeit zu tun hat. Vgl. hierzu auch
HEZSER, V e r w e n d u n g , 393.
50 CROSSAN hat jüngst, gemeinsam mit REED, ein Buch über archäologische Funde in
Galiläa veröffentlicht (vgl. DIES., Excavating Jesus). So sehr die Einbeziehung der Ar-
chäologie in die Jesusforschung zu begrüßen ist, wird der archäologische Befund hier
nicht mit den literarischen Zeugnissen zu einer historischen Konstruktion verknüpft,
sondern in das Bild eines "Mediterranean (!) Jewish Peasant" (so der Untertitel von
CROSSANS J e s u s b u c h ) e i n g e o r d n e t . D i e K r i t i k v o n FREYNE an CROSSANS Jesusdarstel-
lung bleibt somit trotz dieses neuen Buches bestehen: " O n e must deal with Galilee di-
rectly and not easily abandon it for a Mediterranean atopicality which Crossan's Jesus
finds more congenial." Vgl. DERS., Galilean Questions, 213. Das methodische Problem
liegt darin, daß in dem Buch von CROSSAN und REED die Interpretation von Texten in
eine direkte Analogie zu archäologischen Grabungen und deren Auswertung gestellt
wird: Kapitel 1 heißt "Layers upon Layers upon Layers" und wendet das stratigraphi-
sche Modell übereinanderliegender Schichten gleichermaßen auf Texte wie auf ar-
chäologische Funde an (a. a. O., 15-50). Auch hierzu hat FREYNE bereits vor Erschei-
nen dieses Buches das Notwendige gesagt: "I would prefer to query the very model
that is being used - stratification - that is drawn from archaeology and shows a predi-
lection for so-called hard facts. In dealing with a living and oral tradition I suspect
that it is an unhelpful, and in the end distorting model in identifying literary sources
for historical writing [ . . . ] Indeed if one were to follow Crossan's methodology to its
logical conclusion, that is, use only material from stratum one, it would be difficult to
locate Jesus anywhere in particular, certainly not in Galilee" (a. a. O., 209). Dieses
Problem bleibt weiterhin bestehen, denn es wird nicht klar, warum man die postu-
lierte älteste literarische Schicht ausgerechnet in Galiläa lokalisieren und mit den dor-
tigen archäologischen Funden in Verbindung bringen soll.
51 V g l . DERS., C h r i s t o l o g i e , 2 5 2 - 2 5 6 , s o w i e V e r h ä l t n i s , 4 4 7 - 4 5 0 .

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Von der Historizität der Evangelien 183

Blick auf den (vor) paulinischen Strang der Christologie zweifellos etwas
Zutreffendes erfaßt 52 . Auch wenn man die Grenzen hier nicht zu scharf
ziehen sollte 53 , bleibt die Beobachtung bestehen, daß für die Bekenntnis-
aussagen, auf die Paulus zurückgreift, ebenso wie für seine eigene Deu-
tung der Person Jesu, die in den Evangelien aufbewahrten Inhalte der
Verkündigung Jesu keine zentrale Rolle spielen. Eine andere Frage ist, ob
vorausgesetzt werden kann, daß diese Bekenntnistradition auch die Re-
zeption der Jesusüberlieferung maßgeblich beeinflußt hat und als sachli-
che Diskontinuität zwischen dem Wirken Jesu und der Entstehung der
Evangelien zu deuten ist. Damit steht jedoch zugleich die Frage nach dem
Verhältnis von Wirken Jesu und Entstehung des christlichen Glaubens
zur Disposition. Formuliert BULTMANN hier ein Kriterium der Diskonti-
nuität zum Christentum - Jesus sei innerhalb des Judentums zu verste-
hen, die Entstehung des Glaubens an ihn sei dagegen ein nicht aus seinem
Wirken heraus erklärbares Phänomen 54 - , so steht dem entgegen, daß sich
die Evangelien nicht einfach als nachösterliche Glaubenszeugnisse ohne
historische Referenz interpretieren lassen. Auch das Kriterium der Dis-
kontinuität zum Christentum muß deshalb durch eine Betrachtung er-
setzt werden, die die Entstehung der Evangelien aus der Anknüpfung an
Jesus heraus historisch plausibel macht 55 .

52 Am Rande sei notiert, daß in BULTMANNS Ansatz eine unaufgelöste Spannung beste-
hen bleibt. Wenn er einerseits davon spricht, daß in Jesu Verkündigung das Kerygma
bereits in nuce enthalten sei, ist nicht einsichtig, warum er andererseits eine sachliche
Kontinuität zur nachösterlichen Gestalt dieses Kerygmas bestreitet. SCHMITHALS
verweist im Nachwort zur Taschenbuchausgabe des Jesusbuches diesbezüglich darauf,
daß nach BULTMANNS Überzeugung das Kerygma „das .Einmal' des historischen Jesus
in das ,>Ein-für-allemal< verwandelt hat [ . . . ] indem es über die Verkündigung Jesu
hinaus den Glauben an den in ihm präsenten Jesus fordere (156f.). Abgesehen davon,
daß es eine durchaus plausible Möglichkeit ist, die Uberzeugung von der einzigartigen
Bedeutung seiner Person bereits mit dem historischen Jesus selbst in Verbindung zu
bringen, bleibt schwer verständlich, wie sich diese Verwandlung des Kerygmas von der
Verkündigung Jesu zum nachösterlichen Glauben damit verträgt, daß BULTMANN an
anderer Stelle explizit schreibt, daß er vom irdischen Jesus nichts wissen wolle und
dessen Anspruch „keine sachliche Einheit des Wirkens und der Verkündigung Jesu
mit dem Kerygma" beweise (Verhältnis, 458). Wenn dieser Anspruch tatsächlich hi-
storisch belanglos wäre, wäre es auch unerheblich, ob in diesem das „Kergyma in nu-
ce" zum Ausdruck kommt oder nicht.
53 Auch Paulus erwähnt die Herkunft Jesu aus dem Geschlecht Davids (Rom 1,3; vgl.
9,5; 11,26), kennt die mit den Passionsereignissen verbundene Einsetzung des Her-
renmahles (IKor 11,23) und läßt gelegentlich synoptische Tradition anklingen.
54 Ähnlich HOLMEN, Doubts.
55 Vgl. DUNN, Third Quest, 36-44.

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184 Jens Schröter

Bevor diese Frage wieder aufgegriffen wird, wenden wir uns dem
zweiten Argument zu, daß gegen die historische Auswertbarkeit der
Evangelien formuliert wurde.

2.2 Das Argument der literarischen Fiktion

Das zweite Argument, das gegen den Geschichtswert der Evangelien vor-
gebracht wurde, bezieht sich auf die Unterscheidung der literarischen von
der historischen Fragerichtung. Bereits W R E D E hatte kritisiert, daß der
„Boden des evangelischen Berichts" vorschnell verlassen werde, um ihn
für die Geschichte Jesu zu verwerten 5 '. In Aufnahme von W R E D E wendet
S C H W E I T Z E R wenig später gegen den Gebrauch der Mk-Hypothese durch
die Leben-Jesu-Theologie ein, daß ,,[d]er Stoff, mit dem man die Einzel-
erzählungen zu einem Leben-Jesu zusammenlötete [ . . .] die Temperatur-
probe nicht aus [hält]." 57 Wirksam wurde dieses Argument dann vor allem
durch die Untersuchung von K A R L L U D W I G S C H M I D T „Der Rahmen der
Geschichte Jesu" 5 8 , in welcher er zeigt, daß die Auffassung, in den synop-
tischen Evangelien (insbesondere im MkEv) spiegle sich der tatsächliche
Verlauf der öffentlichen Wirksamkeit Jesu wider, dessen Charakter ver-
fehle. Aus der Annahme, das MkEv sei das literarisch älteste, dürften
deshalb keine unmittelbaren historischen Schlußfolgerungen abgeleitet
werden. Erweise sich vielmehr auch die Darstellung des MkEv als ein
nachträglich entworfener Zusammenhang von Einzelgeschichten, so lasse
sich hieraus kein chronologischer Aufriß der Geschichte Jesu erheben.
Die hier formulierte Einsicht in den literarischen Charakter des MkEv
- und analog in denjenigen von Mt und Lk - ist in gewisser Weise durch
die Redaktionskritik aufgegriffen, vor allem aber durch die Anwendung
erzähltheoretischer Einsichten seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhun-
derts vertieft worden. Es ist unbestreitbar, daß sich der chronologische
und geographische Aufriß des Wirkens Jesu erzählerischen Konzepten
verdankt, die auf der jeweiligen Deutung dieses Wirkens beruhen und
nicht als Widerspiegelung seines tatsächlichen Verlaufs aufzufassen sind.
Damit ist deutlich, daß die narrativen Kompositionen der Evangelien
zentrale Bestandteile der jeweiligen Deutung der Person Jesu darstellen.
An dieser Stelle wäre über S C H M I D T hinauszugehen, der bei einem negati-

56 Messiasgeheimnis, 2.
57 Geschichte, 385.
58 Bei SCHMIDT findet sich eine vergleichbare Formulierung, Rahmen, 17: „Historische
und literarische Betrachtung werden überhaupt zu sehr in der F o r s c h u n g miteinander
vermengt."

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V o n der Historizität der Evangelien 185

ven Ergebnis - der Nichtverwertbarkeit der erzählerischen Konzeptionen


für die historische Rückfrage - Stehengeblieben war. Indem er jedoch die
Frage nach der Interpretation der narrativen Konzeptionen nicht eigens
stellte (was schon im Bild vom „Rahmen" für die Einzelerzählungen zum
Ausdruck kommt), stellte er der - zu Recht kritisierten - Vermischung
von literarischer und historischer Fragestellung durch die liberale Leben-
Jesu-Forschung keine wirkliche Alternative entgegen, sondern bereitete
stattdessen die Konzentration auf die „kleinen Einheiten" in der Formge-
schichte vor.
Diese Kritik an S C H M I D T bedeutet, daß die Einsicht in die Differenz
beider Fragerichtungen den historischen Wert der Evangelien nicht ein-
fach aufhebt. Dies wird schon daran erkennbar, daß sich der vermeintlich
„kultische" Charakter der Jesusgeschichten (bezeichnenderweise auch
„Perikopen" genannt) und dessen von S C H M I D T vermuteter „gottes-
dienstlicher [r] Gebrauch" weniger einer literarischen Analyse als vielmehr
eigener Erfahrung von deren kirchlicher Verwendung zu verdanken
scheint5'. Läßt man diese Prämisse dagegen beiseite, eröffnet sich ein an-
derer Blick auf das Verhältnis von erzählerischer Konzeption der Evange-
lien und zugrundeliegenden Ereignissen. Daß die Einzelerzählungen der
Jesusüberlieferung in erzählerische Konzepte integriert wurden, bedeutet
nämlich keineswegs eine Aufgabe des Bezugs zur Wirklichkeit, auf die
sich diese Konzepte beziehen60. Vielmehr setzt genau an dieser die Stelle
die Frage nach dem Verhältnis von Wirken und Geschick Jesu und dessen
späterer Darstellung in historisch erinnernden Entwürfen - allgemeiner

59 Vgl. a. a. O., 19: „Es ist möglich, daß man für den gottesdienstlichen Gebrauch derar-
tige K o m p l e x e niedergeschrieben hat, um mehrere Geschichten hintereinander vor-
zulesen. Dann wurde aber auch wieder mal nur eine Geschichte, eine Perikope darge-
boten. Dabei blieb das κ α ι bestehen, genau so wie wir heute in unseren Kirchen das
sonntägliche Evangelium verlesen und mit einem ,und' beginnen."
60 Es ist deshalb überhaupt nicht einzusehen, warum ROBINSON, Critical Edition, 31,
unter Berufung auf SCHMIDT formulieren kann: "Thus the preference for Narrative
Gospels rather than Sayings Gospels seems to be no more than a preference for an
unhistorical itinerary - a story but not history." Abgesehen davon, daß noch einmal
eigens zu fragen wäre, was die Spruchevangelien den Erzählungen in historischer Hin-
sicht eigentlich voraus haben sollen (warum sollen Sammlungen von Worten histo-
risch zutreffendere Bilder von Jesus vermitteln als Erzählungen über ihn?), scheitert
der hier zugrunde gelegte Geschichtsbegriff an der methodologisch völlig unhaltbaren
Opposition von " s t o r y " und "history" (wie soll es Geschichte anders geben als in
F o r m von Erzählungen?). Der Bezug der Evangelien auf die in ihnen verarbeiteten hi-
storischen Ereignisse wird sich auf diese Weise jedenfalls nicht erklären lassen.

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formuliert: nach dem Verhältnis von vergangener Wirklichkeit und dessen


narrativer Repräsentation - ein61.

2.3 Zusammenfassung

Mit den Argumenten der sachlichen Diskrepanz und der literarischen


Fiktion wurde der historische Wert der Evangelien durch die kritische
Forschung auf doppelte Weise bestritten. Die Thesen der mythischen
Einkleidung der Ereignisse des Lebens Jesu sowie des nachträglichen lite-
rarischen Zusammenhangs für die Einzelgeschichten ließen die histori-
sche Verbindung der Evangelien zu diesen Ereignissen problematisch
werden. Dabei läßt sich eine Linie erkennen, die bei STRAUSS beginnt, der
den historischen Wert der Evangelien als erster konsequent in Frage ge-
stellt hatte, u n d die über WREDE und SCHMIDT hin zu BULTMANN führt.
Hatte bereits STRAUSS nach der „dogmatischen Grundlage des Lebens Je-
su" gefragt, so kann dies - bei aller Verschiedenheit in der konkreten
Durchführung und inhaltlichen Füllung - durchaus in Entsprechung zur
Vorstellung des „Messiasgeheimnisses" bei WREDE gesehen werden, wel-
ches das irdische Leben Jesu nachträglich überformt habe, als auch zu
derjenigen einer kultischen Prägung der Jesusüberlieferung bei SCHMIDT,
die an die Stelle einer konkreten Anschauung des Lebens Jesu getreten sei,
und schließlich zu derjenigen eines urchristlichen Kerygmas, das nicht in
sachlicher Kontinuität zum Wirken des irdischen Jesus stehe, bei BULT-
MANN. Im Ergebnis fallen Wirksamkeit Jesu und Entstehung des christli-
chen Glaubens dabei auseinander, was zur Folge hat, daß eine Konstruk-
tion des historischen Jesus nicht mehr an den narrativen Verarbeitungen
seines Wirkens, sondern an Einzelüberlieferungen orientiert wird, die im
Blick auf ihre Authentizität bewertet und in einen unabhängig davon kon-
struierten historischen „Rahmen" gestellt werden.
Es ist gar nicht zu bestreiten, daß beide in der kritischen Jesusfor-
schung entwickelten Argumente die Einsicht in die literarische und in-
haltliche Eigenart der Evangelien auf maßgebliche Weise gefördert haben.
Sie haben im Gegenzug gegen eine naive Gleichsetzung der Evangelien
mit den tatsächlich geschehenen Ereignissen auf religiöse Uberzeugungen
und Prämissen der Wirklichkeitsdeutung aufmerksam gemacht, die diese
Jesusdarstellungen prägen. Sie haben zudem wichtige Erkenntnisse über
den literarischen Charakter der Evangelien hervorgebracht und damit die

" Vgl. THEISSEN/MERZ, Jesus, 106-108, zum historisierend-erinnernden Charakter der


Evangelien.

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Von der Historizität der Evangelien 187

Notwendigkeit, zwischen literarischer und historischer Frage zu differen-


zieren, herausgestellt. In der Evangelienforschung sind diese Ansätze
durch Form- und Redaktionskritik sowie durch den narrative criticism
weiterentwickelt worden. Keine historisch-kritische Beschäftigung mit
der Person Jesu darf hinter diese Ergebnisse zurückfallen.
Trotz der prinzipiellen Berechtigung beider Argumente ist der Bezug
der Evangelien zu den Ereignissen des Wirkens und Geschicks Jesu damit
jedoch noch nicht zureichend beschrieben. Daß das Leben Jesu mit „my-
thischen" Kategorien gedeutet wurde, beantwortet noch nicht die Frage
nach dem Verhältnis zu den Ereignissen, auf die sich diese Deutungen be-
ziehen. Ebenso ist die Kategorie des Sitzes im Leben ein durchaus unge-
eignetes Instrument, um Schlüsse im Blick auf die historische Grundlage
der Evangelien in der Geschichte Jesu zu ziehen. Möglicherweise können
gattungsanalytische Beobachtungen Aspekte der Soziologie des Urchri-
stentums erhellen. Daß sie sich gegen einen historischen Zusammenhang
zwischen der literarisch geformten Jesusüberlieferung und dem Wirken
Jesu selbst ins Feld führen ließen, ist dagegen durchaus zu bezweifeln62.
Bei B U L T M A N N ließ sich diesbezüglich insofern eine merkwürdige
Spannung konstatieren, als er einerseits an der sachlichen Entsprechung
von Verkündigung Jesu und nachösterlichem Kerygma festhält, eine der-
artige Entsprechung andererseits jedoch zugleich bestreitet. Eine ver-
gleichbare Ambivalenz ließ sich bei W R E D E feststellen, der in dem zitier-
ten Brief an A D O L F H A R N A C K gegenüber seiner eigenen strikten Ent-
gegensetzung von Wirken Jesu und nachösterlichem Glauben wichtige
Differenzierungen anbrachte. Es scheint, als ob hier der Versuch gemacht
wird, die bei STRAUSS und W E I S S E zum ersten Mal deutlich in Opposition
zueinander getretenen Positionen - der christliche Glaube gründet in den
Messiasvorstellungen sowie im Auferstehungsglauben der nachösterlichen
Gemeinde oder in der historischen Person Jesu - miteinander zu ver-
mitteln.
Eine Konsequenz dieser Beobachtungen lautet, daß es in keiner Weise
gerechtfertigt wäre, eine historische Konstruktion der Person Jesu aus-
schließlich oder vorrangig an seinen Worten auszurichten. Diese Ten-
denz, die sich seit BULTMANNS Jesusbuch konstatieren läßt und in Teilen

62 Es sei daran erinnert, daß genau an dieser Stelle DIBELIUS einen Einwand gegen
BULTMANN formulierte, indem er darauf hinwies, daß dessen analytische Methode
selbst nicht ohne ein konstruktives Moment auskomme. Vgl. DERS., Zur Formge-
schichte der Evangelien, 193-195. Dies macht darauf aufmerksam, daß der Rück-
schluß von der Jesusüberlieferung auf die dahinterliegende Geschichte keineswegs
durch die Kategorie des Sitzes im Leben auf die nachösterliche Gemeinde zu begren-
zen ist.

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der gegenwärtigen Forschung zu einer einseitigen Gewichtung von Q und


dem EvThom für die historische Rückfrage geführt hat63, ist schon von
daher nicht plausibel, als die narrativen Verarbeitungen von Wirken und
Geschick Jesu nicht einfach als für die historische Frage unerheblicher
„Rahmen" beiseite geschoben werden dürfen64. Diese Tendenz basiert zu-
dem auf einem methodisch defizitären Konzept, da sie den Zusammen-
hang von vergangener Wirklichkeit und deren nachträglicher narrativer
Repräsentation nicht reflektiert. Diesbezüglich ist jedoch geltend zu ma-
chen, daß keine Darstellung vergangener Ereignisse diese einfach wider-
spiegelt, sondern sich interpretierend auf sie bezieht. Dies wiederum be-
deutet, daß der historische Wert der Evangelien nur daran gemessen
werden kann, wie sich in ihnen Ereignis und Deutung zueinander verhal-
ten.
Ebenso gibt die Einsicht in die literarische Fiktion, die die Erzählungen
der Evangelien darstellen, noch keine Antwort auf die Frage nach deren
historischem Wert. Die Einsicht, daß das Erzählgerüst der Evangelien
nicht einfach auf die Geschichte Jesu übertragen werden kann, ist zwei-
fellos zutreffend. Daraus folgt jedoch noch nicht, daß sie ausschließlich
durch die kerygmatische Formung des Stoffes bestimmt oder ausschließ-
lich aus ihrer Entstehungszeit heraus zu verstehen seien65. Es kann viel-
mehr gar nicht zweifelhaft sein, daß in ihnen historisch auswertbare
Informationen verarbeitet wurden, die bei ihrer Interpretation zu berück-
sichtigen sind. Dies soll im Folgenden durch den Blick auf den Zusam-
menhang von vergangenem Ereignis und dessen Repräsentanz in der hi-
storischen Erzählung konkretisiert werden.

43 Damit ist über den Wert beider Dokumente für die Jesusfrage keineswegs ein negati-
ves Urteil gefällt. Allerdings kann die historische Beurteilung nicht darauf gestützt
werden, daß sie vornehmlich Worte Jesu enthalten.
M Vgl. hierzu die methodisch wichtigen Bemerkungen von FREYNE, Galilee, Jesus and
the Gospels, 5-30.
65 Auf diese Weise haben die Form- sowie die Redaktionsgeschichte die Evangelien in-
terpretiert und damit von den Ereignissen, von denen sie berichten, weitgehend ab-
gelöst. Dabei wird jedoch der Charakter dieser Schriften als historischer Erzählungen
zu wenig beachtet.

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Von der Historizität der Evangelien 189

3. Die „Repräsentanz" Jesu in der historischen Erzählung:


Das Markusevangelium als Quelle für den historischen Jesus

Nach den grundsätzlichen Bemerkungen des ersten Teils soll im Folgen-


den exemplarisch der Frage nach der Auswertbarkeit der Evangelien für
ein Bild des historischen Jesus nachgegangen werden. Wir verwenden
hierfür in Anlehnung an P A U L R I C Œ U R den Begriff der Repräsentanz, um
damit zum Ausdruck zu bringen, daß die Darstellung vergangener Ereig-
nisse in der historischen Erzählung diese - wie oben dargelegt - nicht
einfach wiederherstellt, sondern durch Selektion und Refiguration ver-
tritt^. Der Begriff der Repräsentanz erfaßt das Verhältnis zwischen Ver-
gangenheit und Erzählung somit als eines der Analogie, indem er Ge-
meinsamkeiten und Differenzen gleichermaßen beinhaltet. Damit ist ein
naives Verständnis von Referenz verabschiedet, dem zufolge sich die hi-
storische Erzählung unmittelbar auf die Vergangenheit bezieht. Mit dem
Begriff der Repräsentanz ist dagegen zum Ausdruck gebracht, daß die hi-
storische Erzählung durch die Komposition einer Fabel67 zwischen den
Ereignissen und der erzählten Geschichte vermittelt, sich somit im Modus
des „Sehens als" auf die Vergangenheit bezieht und notwendig ein fiktio-
nalisierendes Moment beinhaltet68. Diese Vertretungsfunktion erfüllen die
Evangelien im Blick auf die Person Jesu ebenso wie heutige Jesusdarstel-
lungen. Der Unterschied liegt indes darin, daß gegenwärtige Darstellun-
gen den Prämissen des historisch-kritischen Bewußtseins unterliegen,
wogegen für die Evangelien andere Erkenntnisbedingungen gelten69.
Wir konzentrieren uns für einen solchen Zugang auf das MkEv als der
ältesten narrativen Darstellung des Wirkens Jesu und hier insbesondere
auf drei Facetten, mit denen das Wirken Jesu in Galiläa und den um-
liegenden Gebieten beleuchtet wird. Ein Seitenblick wird auch auf Q als

66 RICŒUR, Zeit und Erzählung, III, 2 5 3 - 2 5 7 u.ö. Vgl. etwa 254: „Repräsentanz [ . . . ]
bedeutet nacheinander Reduktion aufs Selbe, Anerkennung von Alterität, analogisie-
rendes Erfassen."
67 Unter Fabel ist dabei - ebenfalls in Anlehnung an RICŒUR, der sich hierzu auf den
von Aristoteles in der Poetik verwandten Ausdruck μΰθος bezieht - der eine Erzäh-
lung konstituierende Handlungsablauf verstanden. Vgl. RICŒUR, Zeit und Erzählung,
I, 1 0 4 - 1 1 3 .
61 Mit Fiktionalisierung ist dabei nicht freie Erfindung gemeint, sondern die für jedes
„Intendieren der Vergangenheit" (RICŒUR, a. a. O., 295) notwendige Phantasie, die
erst einen Bezug zwischen Gegenwart und Vergangenheit ermöglicht.
69 In diesem Sinn formulieren auch THEISSEN/MERZ, Jesus, 31: „Historische Imagina-
tion schafft mit ihren Hypothesen ebenso eine ,Fiktionalitätsaura' um die Gestalt Jesu
wie die religiöse Imagination des Urchristentums. Denn hier wie dort ist eine kreative
Vorstellungskraft am Werk, entzündet durch dieselbe historische Gestalt."

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der zweiten frühen Quelle innerhalb des synoptischen Bereiches gewor-


fen. Dabei wird zum einen an die in den zurückliegenden Jahrzehnten
herausgearbeitete Einsicht der Forschung angeknüpft, daß es sich bei den
Evangelien um Erzählungen handelt, weshalb zu ihrer Interpretation er-
zähltheoretische Verfahren heranzuziehen sind70. Dieser literarische Cha-
rakter der Evangelien wurde zuerst in der Mk-Forschung erarbeitet und
dann auch auf die anderen Evangelien ausgeweitet 71 . Es handelt sich dem-
zufolge beim MkEv um eine sorgfältig komponierte Erzählung, die eine
Textwelt entwirft, innerhalb derer Wirken und Geschick Jesu angesiedelt
werden. Vorausgesetzt wird des weiteren, daß die Evangelien ihnen vor-
ausliegende Traditionen aufgreifen und mit Informationen über Personen
und Ereignisse aus der Zeit des Wirkens Jesu zu einer historischen Er-
zählung verbinden 72 . Für Q trifft beides in analoger Weise zu: Obwohl die
feststellbaren narrativen Elemente wesentlich spärlicher sind als bei Mk,
begegnet die Person Jesu auch hier innerhalb einer konkreten Zeit und ei-
nes konkreten Raumes, auch hier wird auf Traditionen und historische
Informationen zurückgegriffen, um diese Welt zu entwerfen 73 . Zusam-
mengenommen bedeuten diese Einsichten, daß eine historische Auswer-
tung der Evangelien von den hier entworfenen fiktionalen Welten auszu-
gehen und diese mit den Mitteln historisch-kritischer Forschung zu
analysieren und auf ihre historische Plausibilität hin zu befragen hat.
Betont sei noch einmal: Das Ergebnis eines solchen Verfahrens ist nicht
eine Wiederherstellung (i?e-Konstruktion) der Vergangenheit oder des

70 Für einen breiteren Überblick über Ansätze und Probleme der Integration litera-
turtheoretischer Ansätze in die neutestamentliche Wissenschaft vgl. PORTER, Literary
Approaches. Speziell zum narrative criticism vgl. bereits POWELL, Narrative Criticism,
sowie in neuerer Zeit MERENLAHTI/HAKOLA, Reconceiving Narrative Criticism.
71 Vgl. RHOADS, Narrative Criticism; die Beiträge in: HAHN, Erzähler; MÜLLER, „Wer
ist dieser?"; DORMEYER, Markusevangelium. Vgl. weiter zu Mt: KINGSBURY, Matthew;
Luz, Jesusgeschichte; zu Lk: TANNEHILL, Unity; LÖNING, Geschichtswerk. Neuere
Beiträge der Anwendung des narrative criticism auf die Evangelien finden sich in
RHOADS/SYREENI, Characterization.
72 Inwieweit zu den von Mk verarbeiteten Stoffen auch schriftliche Texte gehörten, ist
unsicher und braucht uns hier nicht weiter zu beschäftigen. Literarkritisch rekonstru-
ieren lassen sich diese Quellen jedenfalls nicht, da Mk sie sprachlich und inhaltlich in
seine Erzählung eingearbeitet hat. Daß sich von mündlichen Traditionen kein Wort-
laut erheben läßt, ist durch die Forschung zu oralen Uberlieferungsprozessen aufge-
zeigt worden, die auch in der neutestamentlichen Wissenschaft rezipiert worden sind.
Vgl. hierzu jüngst HOLLANDER, Words. Dies bedeutet, daß von der Aufnahme von
Traditionen durch Mk auszugehen ist, auch wenn die konkrete Gestalt dieser Traditio-
nen nicht mehr zugänglich ist.
73 Vgl. KLOPPENBORG, C i t y and Wasteland; JÄRVINEN, Son of Man; SCHRÖTER, Jesus,
62-89. 140-179.

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Von der Historizität der Evangelien 191

„wirklichen" Jesus hinter den Quellen, sondern eine Konstruktion, die


den Erkenntnisbedingungen sowie dem Kenntnisstand des Auslegers
unterliegt 74 . Eine derartige Konstruktion läßt sich deshalb mit RICOEUR als
„Uberkreuzung von Historie und Fiktion" beschreiben 75 : Sie erschafft die
Welt der Vergangenheit neu, indem sie die vorhandenen Materialien mit-
einander verknüpft und in eine Ordnung bringt, die sie für sich genom-
men nicht haben. Auf diese Weise eignet sie sich die Vergangenheit als
Geschichte an.

1) Die mk Erzählung beginnt mit der Schilderung des Auftretens von J o -


hannes und Jesus. Dabei fallen zunächst die unterschiedliche Lokalisie-
rung sowie die zeitliche Zuordnung beider auf: Johannes wirkt am Jordan,
Jesus gehört nach Galiläa. Die erste von Jesus berichtete Aktivität ist des-
halb das Kommen Jesu von Nazaret in Galiläa an den Jordan, um dort von
Johannes getauft zu werden (1,9), sowie seine Rückkehr nach Galiläa im
Anschluß an die Auslieferung des Johannes (1,14).
Die mk Darstellung hebt die Bedeutung diese ersten Ereignisse durch
Zitate und Anklänge an biblische Motive und Wendungen hervor: Das
Auftreten des Johannes wird durch ein Jes-Zitat eingeleitet76, der O r t sei-
nes Auftretens (ή έρημος) wird aus diesem übernommen und auf Johan-
nes als den von Gott gesandten Vorläufer Jesu angewandt 77 . Die Schilde-

74 Dieser Zugang befindet sich somit in Übereinstimmung mit GOERTZ, Unsichere Ge-
schichte. Vgl. a. a. O., 37: „Der konstruktivistische Ansatz ist als äußerste Anstren-
gung zu verstehen, der .historischen Realität' abzutrotzen, was von ihr zu erkennen
möglich ist. Ein solches historisches Konstrukt ist die Erzählung."
75 RICCEUR, Zeit und Erzählung, III, 294-311. Vgl. auch den Rekurs auf RICCEUR bei
FREYNE, Galilean Questions, 21 If.
76 Es ist bekannt, daß es sich tatsächlich um ein Mischzitat (Ex 23,20/Mal 3,1/Jes 40,3)
handelt. Nach der mk Darstellung ist es jedoch ein Zitat έν τ φ Ήσαΐςι τ φ προφήτη
(Mk 1,2).
77 Nach PESCH, Markusevangelium, 79, handelt es sich hierbei um eine „historische An-
gabe der Tradition [ . . . ] keine symbolische Einfügung mk Redaktion". Angesichts der
Kombination der bei Mt und Lk getrennt aufgeführten, auf Joh bezogenen Zitate Ex
23,20/Mal 3,1 und Jes 40,3 sowie der abweichenden Lokalisierung von Johannes in Q
in der Jordangegend, die angesichts von 1,5 (έβαπτίζοντο ύπ' αύτοϋ έν τ φ 'Ιορδάνη
ποταμψ) und 1,9 (έβαπτίστη εις τόν Ίορδάνην ΰπό Ι ω ά ν ν ο υ ) auch für Mk näher-
gelegen hätte, ist dies jedoch unwahrscheinlich: Mk schildert die Tauftätigkeit, die den
Jordan voraussetzt, dessen Erwähnung sich deshalb - ganz unabhängig von den son-
stigen geographischen Gegebenheiten - eher angeboten hätte als die Wüste. Zu Recht
bemerkt deshalb LÜHRMANN, Markusevangelium, 34f.: „Dadurch [sc.: durch die
Identifizierung des Johannes mit dem Rufer in der Wüste aus dem Jes-Zitat, J . S.]
kommt es zu der merkwürdigen Vorstellung, daß er, der zum Taufen das Wasser des
Jordan braucht, in der Wüste predigt."

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192 Jens Schröter

rung seiner Nahrung und Kleidung verstärken dies, indem sie Johannes als
Propheten zeichnen. Das Kommen Jesu wird mit den biblischen Wen-
dungen και έγένετο und έν έκείναις ταΐς ήμέραις eingeleitet, seine Taufe
wird ebenso wie seine Versuchung mit Anspielungen auf Stellen und Mo-
tive aus der Schrift geschildert.
Mk verbindet somit bereits am Anfang seiner Erzählung die histori-
schen Informationen über die unterschiedlichen Orte und Zeiten des
Wirkens Johannes und Jesu mit einer Deutung, die beider Auftreten in ei-
nem bestimmten Licht erscheinen läßt: Johannes ist als Vorläufer Jesu der
eschatologische Prophet, Jesus der Sohn Gottes. Die Erzählung erhält
damit biblisches Kolorit, welches die berichteten Ereignisse in den Hori-
zont der Geschichte Israels einrückt. Deutlich ist zugleich: Mk hat kon-
krete historische Erinnerungen an den Ort der Wirksamkeit des Johannes,
die Herkunft Jesu sowie seine Taufe durch Johannes bewahrt. Daß diese
historischen Informationen nicht nebensächlich sind, zeigt der weitere
Verlauf der Erzählung, denn die Wirksamkeit Jesu erfolgt in Anknüpfung
und Abgrenzung von derjenigen des Täufers, sie wird zudem nur aus dem
geographischen und religiösen Kontext Galiläas heraus verständlich.
Die Q-Texte bestätigen und ergänzen dieses Bild. Auch hier werden
zunächst das Auftreten des Johannes und seine Botschaft geschildert,
auch hier werden Johannes und Jesus geographisch voneinander abge-
setzt 78 . Der Anfang von Q stellt somit eine Analogie zur mk Erzählung
dar, indem hier ebenfalls eine Zuordnung von Johannes und Jesus sowie
eine Lokalisierung des Geschehens erfolgen. Diese Zuordnung ist für Q
sogar überaus bedeutsam, wie Q(Lk) 7,18-35 zeigt, wo das Verhältnis von
Johannes und Jesus noch einmal thematisiert wird. Der historische Be-
fund, daß Jesus vor dem Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit zum
Kreis des Täufers gehörte, wird in der Erinnerung an ihn bewahrt und zu
seinem Selbstverständnis, er selbst, nicht Johannes sei der entscheidende
Repräsentant der Gottesherrschaft, in Beziehung gesetzt.
Im Folgenden wird Galiläa zum Schauplatz der Handlung 79 . Der Autor
läßt dabei eine Vorstellung von den konkreten Umständen des Auftretens

78 Auch wenn der Anfang von Q nicht mehr vollständig rekonstruierbar ist, ist erkenn-
bar, daß Johannes mit der Wendung πάσα ή περίχωρος τοΰ 'Ιορδανού (Mt 3 , 5 / L k
3,3) in der Jordangegend lokalisiert wird, wogegen Jesus nach Nazaret (Mt 4 , 1 3 / L k
4,16: Ναζαρά) gehört. Dabei könnte die Bemerkung in Lk 4,16 (και ήλθεν εις
Ναζαρά) den Beginn einer Episode in Q darstellen, die vom Auftreten Jesu in Naza-
ret nach der Taufe des Johannes berichtete. Vgl. hierzu SCHRÖTER, Bedeutung.
79 Vgl. FREYNE, Galilee, Jesus and the Gospels, 3 4 - 6 8 . Die joh Darstellung weicht hier
freilich ab: J o h 3,22 zufolge tauft Jesus - nach den Anfängen in Galiläa - zeitgleich
mit Johannes „im jüdischen Land".

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Von der Historizität der Evangelien 193

Jesu erkennen: D e r See Galiläas ist ein O r t , zu dem Jesus des öfteren
kommt (1,16; 2,13; 3,7; 4,1), es gibt Synagogen in Galiläa, in denen Jesus
lehrt (1,39) 8 0 ; als O r t e kommen Kafarnaum (1,21; 2,1) sowie die Heimat-
stadt Jesu (ή πατρίδα αύτοΰ, 6,1; nach 1,9 handelt es sich dabei um N a -
zaret) in den Blick, als Personen treten die in die Nachfolge berufenen
Jünger, das Volk, die Familie Jesu sowie Pharisäer und Schriftgelehrte als
seine Gegner auf. In den mk Chrien werden dabei - anders als ζ. B. in
denjenigen von Diogenes Laertius oder des E v T h o m - viele biographische
Details bewahrt, sie werden zudem des öfteren untereinander verknüpft,
so daß eine zusammenhängende Erzählung entsteht 8 1 . Dies ist ein deutli-
ches Indiz für den historisch-erinnernden Charakter der Evangelien 82 .

80 Die Diskussion über Ursprung und Funktion der Synagogen wird gegenwärtig kon-
trovers geführt. Vgl. hierzu den (etwas schematischen) Uberblick von MCKAY, An-
cient Synagogues. In der neueren Diskussion ist die Existenz von Synagogen als reli-
giöser Institutionen und Gebäude vor 70 von KEE in einem programmatischen Artikel
von 1990 bestritten worden. KEE vertritt hier - und in späteren Artikeln - die Auffas-
sung, daß sich die Bezeichnung von Gebäuden mit dem Terminus συναγωγή erst ab
dem späten 1. bzw. frühen 2. Jahrhundert nachweisen lasse, wogegen zuvor damit
Versammlungen unterschiedlichen Charakters bezeichnet würden. In den Evangelien
werde dagegen eine spätere Entwicklung in das Galiläa des 1. Jahrhunderts zurück-
projiziert. Vgl. DERS., Transformation; DERS., Early Christianity, 3-14; DERS., Defin-
ing. Die These ist vielfach diskutiert und dabei mehrheitlich zurückgewiesen worden.
Vgl. etwa O S T E R , Supposed Anachronism, der KEES These u. a. anhand einer Inschrift
aus Berenice (vor 70) widerlegt, auf der der Terminus συναγωγή zweimal verwandt
wird und dabei einmal die Versammlung, das andere Mal das Gebäude meint (a. a. O.,
187); ATKINSON, Defining sowie STRANGE, Ancient Texts, der anhand der drei häufig
angeführten archäologischen Befunde für Synagogen vor 70 (Gamia, Masada und des
Herodiums) sowie Magdala die These KEES hinterfragt. Vgl. auch die Bestandsauf-
nahmen von FOERSTER, Ancient Synagogues; LEVINE, Nature; DERS., Synagogues;
DERS., Judaism, 139-179 sowie jetzt DERS., Ancient Synagogue, 42-159. Ergänzend sei
darauf hingewiesen, daß die Datierung der Theodotus-Inschrift in das 2. bzw. 3. Jahr-
hundert durch K E E durchaus zweifelhaft ist. Vgl. hierzu die Kritik von RIESNER,
Synagogues, 192-201 sowie die eingehende Analyse der Inschrift und Auseinander-
setzung mit K E E bei KLOPPENBORG VERBIN, Dating Theodotos.
Für die hier diskutierte Fragestellung ist aus dieser Diskussion wichtig, daß sich Mk
mit der Erwähnung von Synagogen in Galiläa keines Anachronismus schuldig macht,
sondern auf einen historisch zutreffenden Sachverhalt rekurriert. Auch damit ist wie-
derum in keiner Weise gesagt, daß die mk Erzählungen von Szenen in Synagogen des-
halb in einem naiven Sinn „historisch glaubwürdig" seien. Allerdings zeigt sich, daß
Mk historisch plausibel erzählt.
81 Zu den Chrien vgl. den informativen Beitrag von HEZSER, Verwendung.
82 Exemplarisch verwiesen sei auf die Doppelchrie über die Berufung der Brüderpaare in
Mk 1,16-20. Deutlich ist einerseits, daß die Prophetenberufung des Elisa durch Elia
aus 3Βασ 19,19-21 als Modell im Hintergrund steht. Deutlich ist auch, daß es sich um
zwei Variationen einer „idealen Szene" über Berufungen Jesu handelt, in denen jeweils

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194 Jens Schröter

Obwohl Nazaret der Heimatort Jesu ist, tritt Kafarnaum als Ort seines
Wirkens besonders hervor: Im Kontrast zu der summarischen Darstel-
lungsweise in anderen Partien wird in 1,21-34 der Verlauf eines Sabbats in
Kafarnaum geschildert, an dem Jesus zunächst in die Synagoge, anschlie-
ßend in das Haus von Simon und Andreas (1,23.29) geht und am Abend
viele Kranke und Besessene heilt (1,32-34). Kurz darauf, in 2,1, ist Jesus
wieder im Haus in Kafarnaum, in 3,1 wiederum in der dortigen Synagoge.
Kafarnaum wird somit zu demjenigen Ort, von dem aus Jesus in die um-
liegenden Orte und an den See geht und zudem er immer wieder zurück-
kehrt. In 2,1 und 9,33, vielleicht auch in 3,20 und 7,17, wird dabei an das
in 1,29 erwähnte Haus des Petrus angespielt, in dem sich Jesus offenbar
aufhält, wenn er in Kafarnaum ist 83 .

Markus verfügt hier über die historische Information, daß es ein Haus in Kafarnaum ge-
geben hat, welches die Familie des Petrus bewohnte und welches ein Ort war, an dem
Jesus lehrte und heilte. Unabhängig davon, ob man dieses Haus mit dem von den Fran-
ziskanern ausgegrabenen „ H a u s des Petrus" identifiziert 84 , ist deutlich, daß die Ausgra-
bungen von Kafarnaum einen Eindruck davon vermitteln, wie ein derartiges Wohnhaus

ein besonderer Aspekt (Menschenfischer werden, Vater verlassen) betont wird (vgl.
Mk 2,14; Q 9,57-60). Im Blick auf die historische Auswertbarkeit ist indes von Inter-
esse, daß ein konkreter Ort des Geschehens angegeben wird (ή θάλασσα της
Γαλιλαίος), die N a m e n der Berufenen sowie deren Berufe (Fischer) und Familienver-
hältnisse (Brüder, Vater) erwähnt werden, die Tätigkeit, bei der Jesus sie antrifft
(Netze auswerfen bzw. flicken) genannt wird und auch ein Detail wie die Tagelöhner
des Vaters des zweiten Brüderpaares Erwähnung findet. Es kann kein ernsthafter
Zweifel daran bestehen, daß diese Darstellungsweise nicht auf legendarische Ausge-
staltung von Worten Jesu zurückgeht, sondern auf historisch-erinnernde Bewahrung
von Personen und Umständen seiner Wirksamkeit. Erzählerisch ist von Interesse, daß
beide Szenen miteinander verknüpft werden (και προβάς ολίγον), wodurch der Ein-
druck eines geschlossenen Handlungsverlaufs entsteht.
83 In 3,20 und 7,17 ist die Lokalisierung unsicher. Die Wendung ερχεται (bzw.
είσήλθεν) είς οίκον kann auch als „er geht/ging in ein H a u s " aufgefaßt werden. Mög-
licherweise legt sich von den anderen Stellen her jedoch die Bedeutung „nach H a u s e "
(zumindest für 3,20) nahe.
14 Z w i s c h e n 1968 u n d 1 9 8 6 w u r d e n v o n C O R B O u n d LOFFREDA 19 Ausgrabungskam-
pagnen in Kafarnaum durchgeführt. Besonderes Interesse galt dabei der Synagoge aus
dem 4. Jahrhundert sowie der Insula sacra, ca. 30 m südlich der Synagoge. Die dabei
unter der oktogonalen Kirche aus dem 5. Jahrhundert zum Vorschein gekommene
Domus-Ecclesia aus dem 4. Jahrhundert wurde von den Genannten mit dem in den
Evangelien erwähnten Haus des Petrus in Zusammenhang gebracht, welches am Ende
des 1. Jahrhunderts zu einem Versammlungsort der christlichen Gemeinde umgebaut
worden sei. Vgl. LOFFREDA, Kapernaum, 50-66; DERS., Capernaum, 418f.; DERS./
TZAFERIS, C a p e r n a u m , 2 9 5 ; C O R B O , C a p e r n a u m , 8 6 7 . A n d e r s TAYLOR, Christians,
268-294.

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Von der Historizität der Evangelien 195

im 1. Jahrhundert ausgesehen hat. Damit werfen sie auch Licht auf eine Szene wie die in
Mk 2,1-12 geschilderte, in der von einem Platz vor der Tür' 5 und vom Aufgraben
(έξορύσσειν) des Daches die Rede ist". Diese Angaben lassen sich mit dem archäologi-
schen Befund insofern in Beziehung setzen, als dieser Häuser zutage gefördert hat, die
um Innenhöfe herum gebaut waren und Lehmdächer besaßen. Offensichtlich ist in 2,2
vorausgesetzt, daß nicht nur das Haus selbst, sondern auch der dazugehörige Hof über-
füllt waren, weshalb diejenigen, die den Gelähmten tragen, über eine Treppe auf das
Dach steigen und es aufgraben87.

M i t alledem ist in k e i n e r W e i s e gesagt, d a ß sich die E r e i g n i s s e in Galiläa


so z u g e t r a g e n h a b e n , wie sie v o n M k geschildert w e r d e n . E i n e d e r a r t i g e
Identifikation v o n erzählten und geschehenen Ereignissen würde zum
einen d e r E i n s i c h t in die prinzipielle D i f f e r e n z v o n T e x t u n d R e a l i t ä t
widersprechen, z u m a n d e r e n die spezifisch m k D a r s t e l l u n g s w e i s e der
W i r k s a m k e i t J e s u u n b e r ü c k s i c h t i g t lassen. M k e r z ä h l t episodisch 8 8 , s c h e -
matisierend89 und unter A u f n a h m e von Schriftzitaten und deutenden
M o t i v e n . D a b e i ist g l e i c h w o h l n i c h t z u v e r k e n n e n , d a ß die R e p r ä s e n t a t i o n
der W i r k s a m k e i t J e s u s o e r f o l g t , d a ß sie d u r c h die B e s c h r e i b u n g v o n O r -
ten, P e r s o n e n u n d k o n k r e t e n U m s t ä n d e n d e r e r z ä h l t e n H a n d l u n g e n in
einen d e u t l i c h identifizierbaren h i s t o r i s c h e n K o n t e x t gestellt wird. Bei
d i e s e m K o n t e x t h a n d e l t es sich s o m i t n i c h t u m einen s e k u n d ä r e n „ R a h -
m e n " , der für eine K o n s t r u k t i o n des h i s t o r i s c h e n J e s u s a u ß e r a c h t gelas-
sen w e r d e n k ö n n t e . E b e n s o w e n i g w ä r e es plausibel, einen z e i t g e s c h i c h t l i -
chen Kontext unabhängig von den literarischen Darstellungen des

85 Die Wendung μηδέ τά προς την {Κιραν ist als Accusativus Graecus zu interpretieren:
„ [ . . . ] nicht einmal auf dem Platz vor der Tür"; vgl. 1,33.
86 Vgl. BREYTENBACH, Mark and Galilee, bes. 80-85.
87 In Kafarnaum wurden zwei Häusertypen ausgegraben, die in die hellenistisch-römi-
sche Zeit gehören: Individualhäuser und Gemeinschaftshäuser. Das sog. „Haus des
Petrus" gehört zu letzterem Typ. Diese Häuser besaßen zwei oder drei Innenhöfe.
Der Zugang von der Straße erfolgte über einen dieser Höfe. Im Fall des „Petrushau-
ses" besaß der nördliche Hof einen östlichen Zugang, durch den man vom Cardo aus
zu dem Haus gelangte. In den Innenhöfen befanden sich Treppen, über die man auf
die Dächer der Häuser steigen konnte. Vgl. CORBO, Capernaum, 867.
88 Zum episodischen Charakter der mk Erzählung vgl. BREYTENBACH, Markusevange-
lium.
89 Bekanntlich ordnet Mk des öfteren Episoden gleichen Charakters zusammen. So wer-
den ζ. B. in 2,1-3,6 verschiedene Konfliktszenen berichtet, bei denen es nicht auf eine
chronologische Reihenfolge ankommt. In vergleichbarer Weise werden in 4,35-6,6a
verschiedene Machttaten Jesu berichtet, die eine Facette seines Auftretens beleuchten.
Es ist nicht notwendig, diese Komplexe auf vormk Sammlungen zurückzuführen. Nä-
her liegt, daß sie auf mk Gestaltung zurückgehen, die von dem Gesamtporträt Jesu,
wie es im MkEv gezeichnet wird, her konzipiert sind.

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196 Jens Schröter

Wirkens Jesu zu entwerfen 90 . Eine historische Konstruktion kann viel-


mehr nur auf einer Verbindung des aus den literarischen Verarbeitungen
des Wirkens Jesu zu erhebenden Befundes mit dem übrigen historischen
Material beruhen 91 .

2) Eine weitere Facette. Schon immer ist die Merkwürdigkeit aufgefallen,


daß die Darstellung der Wirksamkeit Jesu auf die Dörfer Galiläas be-
schränkt bleibt, wogegen die wichtigen Städte Galiläas - Sepphoris und
Tiberias - nicht in den Blick treten. Ein Erklärungsversuch dieses Phäno-
mens lautet, Jesus habe diese Städte - wobei vornehmlich an das in un-
mittelbarer Nachbarschaft zu Nazaret gelegene Sepphoris gedacht wird -
besucht, die Evangelien hätten sein dortiges Wirken jedoch übergangen,
weil es erfolglos geblieben sei92. Diese Erklärung kann nicht befriedigen.
Sie basiert auf einem argumentum e silentio, das zudem dadurch ge-
schwächt wird, daß die Erfolglosigkeit Jesu in seiner Heimatstadt (Mk
6,1-6; Mt 13,54-58; Lk 4,22-29) ebensowenig verschwiegen wird wie die
in den Weherufen gegen Chorazin, Betsaida und Kafarnaum zum Aus-
druck kommende Ablehnung.
Eine plausiblere Möglichkeit ist deshalb, die sozialen und kulturellen
Unterschiede zwischen den hellenisierten Städten und den ländlichen Ge-
bieten Galiläas als Hintergrund der auf die Dörfer gerichteten Wirksam-
keit Jesu zu betrachten 93 .

,0 Dieses Vorgehen findet sich bei CROSSAN/REED, Excavating. Ihr Bild von der Wirk-
samkeit Jesu in Galiläa ist nicht an der literarischen Darstellung der Evangelien, son-
dern an CROSSANS Stratigraphiemodell orientiert, das auch die Grundlage für die
Auswertung des archäologischen Befundes darstellt. Aus diesem postulierten ersten
Stratum lassen sich jedoch keine Hinweis auf historische Konkretionen des Wirkens
Jesu entnehmen, weshalb die Konstruktion von CROSSAN/REED auch in sehr allge-
meinen Kategorien verbleibt.
" OVERMAN formuliert in diesem Sinn völlig zu Recht: "Archaeology will not help one
to know what Jesus said or did, or what the Gospel of Mark fabricated. It will and
does help us to describe and understand the world and context into which we must
place our texts and reconstructions." Vgl. DERS., Recent Advances, 49.
92 So BÖSEN, Galiläa, 69-75. BATEY, Jesus and the Theatre, zufolge Iäßt die Verkündi-

gung Jesu Kenntnis des griechischen Theaters in Sepphoris erkennen. Dies wird je-
doch schon von daher zweifelhaft, als das Theater neueren archäologischen Untersu-
chungen zufolge frühestens aus der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts (so REED,
Archaeology, 119), möglicherweise aber auch erst vom Anfang des 2. Jahrhunderts
(so MEYERS/MEYERS, Sepphoris, 533) stammt. Anders jedoch WEISS, Sepphoris, 1325:
"early first century CE, possibly in the reign of Antipas".
93 Vgl. FREYNE, Galilee from Alexander the Great to Hadrian, 155-207; DERS., Urban-

Rural Relations; DERS., Jesus and the Urban Culture; DERS. Geography, 104-121;
THEISSEN/MERZ, J e s u s , 1 6 2 - 1 6 7 .

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Von der Historizität der Evangelien 197

Sepphoris war durch Antipas zu einer hellenistischen Stadt ausgebaut worden. Er ließ
dort ein Theater und einen Palast errichten und die Stadt in eine Unter- und eine Ober-
stadt einteilen, jeweils mit einem dazugehörigen Markt 94 . Tiberias wurde von ihm im Jahr
19 an der Stelle eines jüdischen Friedhofs gegründet' 5 , erhielt ebenfalls die Gestalt einer
hellenistischen πόλις und wurde Josephus zufolge nunmehr die Hauptstadt Galiläas 9 '.
Das Verhältnis dieser πόλεις zu den umliegenden Dörfern war - wie bei anderen antiken
Städten auch - einerseits durch Handelsbeziehungen geprägt, insofern die agrarischen
Gegenden die Lebensgrundlage einer πόλις bildeten. Andererseits besaß die πόλις die
administrative und politische Oberhoheit über die zu ihrem Territorium gehörenden
Dörfer 9 7 . Diese Beziehungen konnten zu sozialen Konflikten führen, wenn sich die
Spannungen zwischen der reichen Aristokratie in den Städten und der ärmeren Land-
bevölkerung zuspitzten. Für Galiläa unter der Herrschaft des Antipas (und auch noch
zur Zeit des jüdischen Krieges) kann eine solche gespannte Situation aufgrund verschie-
dener Indizien angenommen werden, die auf Aufstände und Widerstandsbewègungen
hindeuten".

Das von den Evangelien vermittelte Bild weist eindeutig darauf hin, daß
sich Jesus mit seiner Botschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft
der Bevölkerung in den Dörfern zuwandte, die Städte dagegen mied. Stellt
man die genannten sozialen und kulturellen Differenzen sowie die zwi-
schen Stadt und Land bestehenden politischen Spannungen in Rechnung,
so kann diese Ausrichtung als eine bewußte Entscheidung Jesu interpre-
tiert werden, sich in demjenigen Umfeld zu bewegen, aus dem er selbst
stammte und dessen Menschen er darum auch als die Adressaten seiner
Botschaft betrachtete". Dabei kann auch die Herrschaft des Antipas eine
Rolle gespielt haben, die Jesus bereits durch die Inhaftierung und Ent-

94 Zu Sepphoris vgl. SCHÜRER, History, II, 172-176; MEYERS, Roman Sepphoris;


MEYERS/MEYERS, Sepphoris; STRANGE, Sepphoris; REED, Archaeology, 108-136. Ei-
nen Uberblick über die Ausgrabungskampagnen von 1983-1989 gibt STRANGE, Six
Campaigns.
95 Josephus, Ant. 18,37f.
% Vit. 37: βουληθέντος αύτοϋ (sc. Ήρώδου) την Σεπφωριτών πόλιν τ η Τιβεριέων
ύπακούειν.
97 Vgl. etwa Josephus, Vit. 346; vgl. Bell. II 252: πόλεις συν ταΐς τοπαρχίαις. Vgl. auch
die Wendung αί κώμαι Καισαρείας της Φιλίππου in Mk 8,27.
98 Vgl. THEISSEN/MERZ, Jesus, 166f.
99 A m Rande sei vermerkt, daß dieser Befund gegen die in der Jesusforschung gelegent-
lich wieder bemühte Analogie zu den Kynikern spricht. Selbst wenn man hier Ähn-
lichkeiten (etwa im bedürfnislosen Auftreten der Wandermissionare) feststellen kann,
so ist doch das geistig-kulturelle Umfeld deutlich verschieden: Die kynische Be-
wegung ist auf die Städte konzentriert, die von Jesus initiierte Mission meidet diese
dagegen gerade - mit der (erklärbaren) Ausnahme von Jerusalem. Vgl. auch RHODES
EDDY, Jesus as Diogenes?, 463-467.

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hauptung des Täufers als Gefährdung begegnet war100. Die Annahme eines
Auftretens Jesu in Sepphoris muß deshalb als eine unwahrscheinliche hi-
storische Hypothese bezeichnet werden. Wesentlich plausibler ist dage-
gen, daß das von den Evangelien entworfene Bild einer auf die ländlichen
Gebiete konzentrierten Wirksamkeit Jesu, das sich durch soziologische
Erwägungen sowie die archäologischen Funde in Sepphoris stützen läßt,
Anhalt an den tatsächlichen Ereignissen hat.
Durch den Befund in Q wird dies wiederum unterstützt. Sepphoris
und Tiberias werden auch hier nicht erwähnt, über das in Mk Genannte
treten dagegen die Orte Chorazin und Betsaida in den Blick (Lk 10,13/
Mt 10,21). Auch bei diesen handelt es sich um Dörfer in der Nähe des ga-
liläischen Sees, die das an Mk gewonnene Bild einer Konzentration der
geographischen Perspektive auf diese Gegend bestätigen 101 . Auch diese
Beobachtung weist somit darauf hin, daß sich aus den Evangelien wichtige
historische Informationen über den geographischen und sozialen Kontext
des Auftretens Jesu entnehmen lassen. Auch hier wäre es fragwürdig,
einen solchen Kontext zu negieren oder ihn unabhängig von diesen litera-
rischen Zeugnissen zu entwerfen.

3) Eine letzte hier zu nennende Facette des mk Berichtes ist die Schilde-
rung von drei Reisen, die Jesus in die angrenzenden Gebiete - das Land
der Gerasener, die Gegend von Tyros, Sidon und die Dekapolis sowie die
Dörfer von Cäsarea Philippi - unternimmt. Diese Berichte wurden in re-
daktionsgeschichtlich ausgerichteten Deutungen als Vorzeichen der spä-
teren Heidenmission interpretiert, die Mk für seine eigene Zeit vorausset-
ze und auf diese Weise mit dem Wirken Jesu verknüpfe102. In neuerer Zeit
wurde dagegen danach gefragt, wie sich diese Berichte in historischer Per-
spektive verstehen lassen, was sie also über das Wirken Jesu selbst zu er-

100 In diesem Sinn erklären FREYNE und REED Jesu Vermeidung des Kontaktes mit
Sepphoris. Vgl. FREYNE, Galilee, Jesus and the Gospels, 139f.; REED, Archaeology,
137f.
101 Während C h o r a z i n im Gebiet des Antipas lag, gehörte Betsaida zur Tetrarchie des
Philippus und wurde von diesem in Julias umbenannt und in den Rang einer πόλις
erhoben (Josephus, A n t . X V I I I 28, vgl. Bell. II 1 6 8 ) . Dies könnte jedoch z u m einen
erst nach der Wirksamkeit Jesu geschehen sein, zum anderen dürfte es sich auch dann
nicht um eine grundlegende Veränderung des Charakters dieses O r t e s gehandelt
haben.
102 So ζ. B. LANG, „Sidon", bes. 1 5 5 - 1 5 9 , der in dem Komplex M k 7 , 2 4 - 8 , 9 das T h e m a
„Anteil der Heiden am Heil" aus drei verschiedenen Perspektiven behandelt sieht -
ohne allerdings dem Verfasser deshalb Unkenntnis der geographischen Gegebenhei-
ten zu unterstellen.

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Von der Historizität der Evangelien 199

k e n n e n g e b e n 1 0 3 . D i e s e F r a g e r i c h t u n g ist d e m M k E v deshalb a n g e m e s s e n ,
weil in d i e s e m die e r z ä h l t e Z e i t v o n der eigenen u n t e r s c h i e d e n u n d e r s t
in dieser U n t e r s c h e i d u n g v o n V e r g a n g e n h e i t und Gegenwart relevant
wird 1 0 4 .
N i m m t m a n die T e x t e aus h i s t o r i s c h e r P e r s p e k t i v e in d e n Blick, s o
stellt sich z u n ä c h s t die F r a g e n a c h der g e o g r a p h i s c h e n Plausibilität der
Reisen J e s u .

Ein erstes Problem stellt die Wendung ή χώρα των Γερασενών in 5,1 dar, denn das zur
Dekapolis gehörige Gebiet von Gerasa grenzte nicht an den See, sondern war ein be-
trächtliches Stück von diesem entfernt 105 . Textkritisch wird sich die Schwierigkeit kaum
befriedigend lösen lassen, denn die Varianten Γαδαρηνών (so auch Mt 8,28) und
Γεργεσηνών (möglicherweise handelt es sich dabei um den Ort Kurse) stellen bereits
Lösungsversuche des Problems dar. Andere Möglichkeiten bestehen deshalb darin, mit
einer geographischen Unkorrektheit seitens Mk zu rechnen oder den Ausdruck χώρα
των Γερασηνών auf die Dekapolis insgesamt zu beziehen 106 . Auffällig ist freilich, daß gar
nicht von dem zu Gerasa gehörigen Gebiet (δρια), sondern von einer χώρα der Gerase-
ner die Rede ist. Diese Bezeichnung steht somit im Gegensatz zu 7,24 (τά ορια Τύρου;
vgl. 7,31); 7,31 (τά όρια Δεκαπόλεως) sowie 8,27 (at κώμαι Καισαρείας της Φιλίπ-
που). Der Terminus χώρα wird zudem in 6,55 zur Bezeichnung der Landschaft
Γεννησαρέτ (Γεννησάρ) verwendet, die sich am Nordwestufer des gleichnamigen Sees
zwischen Tiberias und Kafarnaum erstreckt 107 . Geht man von diesem Gebrauch von
χώρα im Unterschied zu δρια aus, dann besteht eine weitere Möglichkeit darin, daß Mk
von einem Gebiet am Ostufer des Sees weiß, das im Besitz der Gerasener war, jedoch
nicht innerhalb des zu Gerasa gehörigen Gebietes lag108.

D i e g e o g r a p h i s c h e A n g a b e in M k 5,1 bleibt also s c h w i e r i g , sie s p r i c h t je-


d o c h n i c h t n o t w e n d i g gegen U n k e n n t n i s d e r t a t s ä c h l i c h e n V e r h ä l t n i s s e
seitens des V e r f a s s e r s .

103 Vgl. SCHMELLER, Jesus im Umland Galiläas.


104 SCHMELLER wendet deshalb zu Recht gegen eine rein redaktionsgeschichtliche Deu-
tung ein: „Die Vergangenheit muß m. E. für ihn [sc: Mk, J. S.] und seine Gemeinde(n)
enger mit der Gegenwart verknüpft gewesen sein als allein über die theologische Frage
der Einbeziehung von Heiden in das von Christus gebrachte Heil" (a. a. O., 53).
105 Vgl. MCRAY, Gerasenes; BIETENHARD, Dekapolis.

106 S o SCHMELLER, a. a. O . , 4 6 , in A n l e h n u n g an LÜHRMANN u n d T H E I S S E N . R i c h t i g i s t ,


daß Gerasa, wie aus 5,20 hervorgeht, für Mk der Ort ist, von dem aus sich die Kunde
vom Wirken Jesu in der ganzen Dekapolis verbreitet. Ein Problem dieser Lösung be-
steht freilich darin, daß Mk nicht einfach irgendeinen Ort der Dekapolis zur Orientie-
rung wählt, sondern die Heilung des Besessenen direkt am Ostufer des Sees lokalisiert
(5,2). Gerasa ist jedoch als generelle Bezeichnung für das Gebiet östlich des Sees an-
sonsten nicht belegt.
107 Eine Beschreibung dieser Gegend gibt Josephus, Bell. III 516-521.

108 So BREYTENBACH, Mark and Galilee, 79. Auch dies ist freilich außerhalb von Mk nicht

bezeugt und muß deshalb hypothetisch bleiben.

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200 Jens Schröter

Ein weiteres Problem stellt die in 7,31 beschriebene Reiseroute dar: Je-
sus geht aus dem Gebiet von Tyros über Sidon an den galiläischen See
άνά μέσον των ορίων Δεκαπόλεως. Es kann kein Zweifel daran beste-
hen, daß es sich hierbei nicht um die Beschreibung eines tatsächlichen
Reiseweges Jesu handelt. M k beschreibt mit dieser Route vielmehr die
nördliche Ausdehnung des Wirkens Jesu. Dies bedeutet freilich nicht
notwendig, daß es sich um eine geographische Unmöglichkeit handelt 109 .

Mit τά όρια Τύρου und Σιδών beschreibt Mk das Gebiet nordwestlich von Galiläa110.
Die Wendung άνά μέσον των ορίων Δεκαπόλεως kann „mitten im" oder „mitten ins
Gebiet der Dekapolis" bedeuten. Schwieriger wäre es dagegen, sie als Wegbeschreibung
aufzufassen, also im Sinne von „mitten durch das Gebiet der Dekapolis"111. Im ersten Fall
würde es sich um eine Lokalangabe handeln, die sich auf θάλασσα της Γαλιλαίας be-
zieht. Dies wäre in der Tat wenig sinnvoll, da der See zwar im Osten an die Dekapolis
grenzte, auf keinen Fall aber „mitten in der Dekapolis" lag. Im zweiten Fall wäre es da-

109 Von einer solchen geht SCHWEIZER aus. Zur Illustration führt er an, der Weg sei einer
Wanderung vergleichbar „von Darmstadt über Frankfurt nach Mannheim mitten
durch das Neckartal". Vgl. DERS. Markus, 82. Vermutlich weil SCHWEIZER schreibt,
man müsse sich „die Unmöglichkeit des Reiseweges an einem Beispiel der eigenen
Gegend klarmachen", wurde das Beispiel in der Ausgabe des Kommentars für die
DDR (Berlin 1981) ersetzt durch: „von Halle an der Saale nach Leipzig über Magde-
burg durchs Erzgebirge".
1,0 Vgl. Mt 15,21: τά μέρη Τύρου καίΣιδώνος.

111 So ζ. Β. LÜHRMANN, Markusevangelium, 131, obwohl er im Kommentar dann

schreibt, Jesus gehe „an den See von Galiläa zurück, wenn auch mitten in der Dekapo-
lis" (132, gemeint ist offenbar: „mitten in die Dekapolis", da diese LÜHRMANN zufolge
Schauplatz der folgenden Erzählung ist). Die von LANG rekonstruierte Reiseroute
führt Jesus ebenfalls durch das Gebiet der Dekapolis, obwohl er Mk 7,31 mit „mitten
ins Gebiet der Dekapolis" übersetzt. Auch SCHWEIZERS Illustration der mk Jesusreise
mit Beispielen aus west- und ostdeutschen Gegenden basiert auf der Übersetzung
„mitten hindurch durch das Gebiet der Dekapolis" (was nebenbei bemerkt so abwegig
nicht wäre, wie er meint). Die dabei vorausgesetzte Deutung von άνά μέσον ist je-
doch fragwürdig. Zum einen liegt es syntaktisch näher, die Lokalangabe άνά μέσον
των όρίων Δεκαπόλεως zu dem mit εις eingeleiteten Satzteil zu rechnen und nicht zu
διά Σιδώνος. Zum anderen kann die Präposition άνά zwar im Sinn von „durch/hin-
durch" gebraucht werden (etwa in der Wendung άνά χρόνον), das zusammengesetzte
Adverb άνά μέσον bezeichnet jedoch stets das/den inmitten von etwas Befindli-
che (n), ebenso wie das davon abgeleitete Adjektiv άνάμεσος. Vgl. MAYSER, Gramma-
tik, 1/3, 206; II/2, 403. Da man kaum annehmen wird, Mk wolle an dieser Stelle plötz-
lich Auskunft darüber geben, wo sich der (zuvor schon häufig erwähnte) See Galiläas
befindet (dessen Lage er dann zudem unkorrekt beschreiben würde), bleibt als
nächstliegende Möglichkeit, daß es sich um eine Angabe handelt, die das mit είς τήν
•θάλασσαν της Γαλιλαίας beschriebene Ziel der Reise Jesu näher erläutert. Dann wäre
zu übersetzen: „an den See Galiläas, (und zwar) in die Dekapolis", also an dessen
Ostufer. Eine treffendere Analogie als die bei SCHWEIZER genannten wäre darum:
„von Basel über Straßburg an den Bodensee, (und zwar) in die Schweiz".

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Von der Historizität der Evangelien 201

gegen eine Angabe des Ziels, an welches Jesus am Ende seiner Reise gelangt112. Diese
geographische Angabe ist nun nicht sonderlich problematisch. Auch wenn bereits Pli-
nius d. Ä. bemerkt, daß bezüglich der Zugehörigkeit der Städte zur Dekapolis einige Un-
sicherheiten bestehen"3, enthält die von ihm genannte Liste ausschließlich Städte östlich
des Jordans, die - abgesehen von Damaskus, das einen gewissen Sonderfall darstellt114 -
auch ein zusammenhängendes Gebiet bilden. Dazu gehörten auf jeden Fall auch diejeni-
gen Städte, deren Gebiet an das Ostufer des galiläischen Sees grenzte (nämlich Hippos
und Gadara). Daß Mk die Reise Jesu also άνά μέσον των όρίων Δεκαπόλεως enden
läßt, ist verständlich, wenn mit τά δρια Δεκαπόλεως das Gebiet östlich des Sees be-
zeichnet ist.

Die von Mk entworfene Reiseroute ist somit nicht so absurd, wie mitun-
ter angenommen. Er steckt mit den genannten Gebieten vielmehr auf
summarische Weise den geographischen Horizont der Wirksamkeit Jesu
außerhalb Galiläas ab, indem er mit Tyros und Sidon das nord-
nordwestlich gelegene Gebiet bezeichnet und Jesus sodann wieder (vgl.
5,1) in das Gebiet östlich vom See gehen läßt. Die geographischen Anga-
ben der Jesusreisen im MkEv sind somit weder Indizien für eine Un-
kenntnis des Verfassers noch lassen sie sich als exakte Reisebeschreibun-
gen verstehen. Mit ihnen werden vielmehr summarisch diejenigen Gebiete
bezeichnet, in denen Jesus außerhalb von Galiläa gewirkt hat.
Inhaltlich sollte in dieser geographischen Erweiterung des Wirkungs-
gebietes nicht zu schnell ein ausschließlich redaktionelles Interesse an der
Legitimation der Heidenmission gesehen werden. Heidenmission ist bei
Mk kein Thema der Wirksamkeit Jesu in Galiläa und den angrenzenden
Gegenden. Bei den genannten Texten handelt es sich vielmehr zunächst
einmal um ein Aufsuchen von Gebieten, die nicht zum jüdischen Kern-
land gehörten. Dabei wird niemals gesagt, daß Jesus sich mit seiner Ver-
kündigung oder seinem heilenden Wirken an Heiden wandte, sondern
nur, daß er auf heidnischem Gebiet wirkte. Die Erzählung von der syro-
phönizischen Frau in 7,24-30 bestätigt dieses Bild. Zum einen ist es die
Frau, die sich ihrerseits an Jesus wendet, zum anderen werden sowohl ihr
Ersuchen, von Jesus Hilfe für ihre Tochter zu erhalten, als auch die
schließlich erfolgende Heilung dezidiert als ein nicht vorgesehener Aus-

112 Zu Recht betont SCHMELLER, Jesus im Umland Galiläas, 47, Anm. 21, deshalb, daß
der „Bedeutungsunterschied [ . . . ] nicht unerheblich" sei, da sich die zweite Variante
„mit der historisch-geographischen Situation leichter vereinbar" lasse.
113 Hist. nat. V 16,74: Iungitur ei latere Syriae Decapolitana regio, a numero oppidorum, in
quo non omnes eadem observant...
114 Damaskus ist möglicherweise erst später (evtl. unter Nero) der Dekapolis zugewiesen

worden. Vgl. BIETENHARD, Dekapolis, 226. Anders LANG, „Sidon", 148-150, der da-
für optiert, daß Damaskus als „Vorort und Modell der anderen der Städte dieses Bun-
des von Anfang an [also seit Pompejus, J. S.] und konstitutiv dazugehörte."

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202 Jens Schröter

nahmefall geschildert, bei dem die Rangordnung zwischen den Kindern


Israels als den Adressaten von Jesu Wirken und den Heiden auch nicht
etwa programmatisch durchbrochen, sondern gerade aufrechterhalten
wird115.
Daß die Wirksamkeit Jesu in den an Galiläa angrenzenden Gebieten als
Aufsuchen der dortigen jüdischen Siedlungen zu verstehen ist, wird da-
durch bestätigt, daß sowohl für Tyros und Sidon als auch für die Deka-
polis jüdische Bevölkerungsteile nachgewiesen sind116. Ein ungehindertes
Reisen zwischen Galiläa und den umliegenden Gebieten läßt sich zudem
für die Zeit Jesu wesentlich leichter vorstellen als für diejenige der Abfas-
sung des MkEv, in der das Verhältnis zwischen diesen Gebieten durch die
Ereignisse im Vorfeld des jüdischen Krieges überaus gespannt war117.
Auch hier gibt die mk Erzählung deutlich zu erkennen, daß sie zwischen
der eigenen und der erzählten Zeit unterscheidet.

Die drei angesprochenen Facetten der mk Erzählung zeigen somit, daß


der geographische, religiöse und kulturelle Kontext, in den das Wirken Je-
su gestellt wird, für die Interpretation der mk Erzählung von entschei-
dender Bedeutung ist. Er ist darüber hinaus auch in historischer Hinsicht
eminent wichtig und nicht als sekundär geschaffener „Rahmen" ohne An-
halt an den berichteten Ereignissen zu betrachten. Die - zweifellos richti-
ge - Einsicht, daß der literarische Kontext des Wirkens Jesu ein Produkt
des Verfassers des MkEv ist, besagt, daß die Darstellung des Verlaufs der
Wirksamkeit Jesu sowie etliche Deutungen von Einzelereignissen in einer
historisch-kritischen Konstruktion nicht einfach wiederholt werden kön-

115 Die Q-Erzählung vom Hauptmann zu Kafarnaum stellt eine Analogie zu dieser Epi-
sode dar. Auch in dieser geht es um den Glauben eines Heiden, der hier zusätzlich in
Gegensatz zu demjenigen steht, den Jesus in Israel gefunden hat. Auch dabei geht es
nicht um Heidenmission, sondern um die erstaunliche Tatsache des Zutrauens, das
Nicht-Israeliten zu Jesus haben.
Josephus schildert in Bell. II 466-480 Auseinandersetzungen zwischen Juden und der
fremdstämmigen Bevölkerung der umliegenden Gebiete im Vorfeld des jüdischen
Krieges und erwähnt dabei auch die dortigen jüdischen Bevölkerungsteile. Epigra-
phisch sind Juden für Tyros auf C I J II 879 und 880 belegt, auf C I J 991 zudem
άρχισυνάγωγοι für Sidon und Tyros. Vgl. des weiteren die Hinweise bei SCHMELLER,
Jesus im Umland Galiläas, 57f. FREYNE, Archaeology and the Historical Jesus, 169f.,
weist zudem darauf hin, daß die Funde jüdischer Haushaltsgegenstände für einen re-
gen Handel zwischen dem galiläischen Kefar Hanania und den umliegenden (jüdi-
schen und nicht-jüdischen) Städten sprechen. Möglicherweise läßt sich die Erwäh-
nung von Produkten aus Kefar Hanania und Shikhin in der rabbinischen Literatur
zudem als Indiz für "halachic concerns of some of the inhabitants of these places"
(a. a. O., 170) interpretieren.
117 Hierauf verweist auch FREYNE, Jesus and the Urban Culture, 187f.

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Von der Historizität der Evangelien 203

nen. Andererseits sind in der mk Erzählung zahlreiche historische Details


über den geographischen, kulturellen und religiösen Kontext des Wirkens
Jesu verarbeitet, die ohne diesen nicht erkennbar wären118. Diese Infor-
mationen stellen somit unverzichtbare Anhaltspunkte für eine historische
Konstruktion der Person Jesu dar.
Weiter ist festzuhalten, daß die von E R N S T L O H M E Y E R vorgetragene
und danach verschiedentlich ausgebaute119 Sicht eines mit den Namen
Galiläa und Jerusalem verbundenen theologischen Deutungsmusters in-
sofern einer Modifizierung bedarf, als die historische Perspektive dabei
unterbelichtet bleibt. Mk erzählt die Geschichte Jesu als eine solche, die
sich einige Jahrzehnte zuvor zugetragen hat, er unterscheidet also bewußt
zwischen seiner eigenen und der erzählten Zeit, was für den historischen
Charakter seiner Erzählung von Bedeutung ist120. Die Orte haben nicht
nur symbolische Bedeutung, sondern lokalisieren die Wirksamkeit Jesu
dort, wo sie sich tatsächlich zugetragen hat. Dabei werden konkrete Um-
stände seines Wirkens aufgegriffen, die dann freilich transparent für die
eigene Zeit gemacht werden. Die Diastase Jerusalem - Galiläa ist darum
ebenso verkürzend wie diejenige von Juden und Heiden. Diese Dimen-
sion der mk Jesuserzählung ist zu beachten, um sie als eine historische Er-
zählung zu interpretieren.

4. Die Evangelien als historische Jesuserzählungen


und die Jesuserzählung als historische Aufgabe

Ausgangspunkt der hier angestellten Überlegungen war die Beobachtung,


daß die gegenwärtige Forschung zu Recht den historischen Charakter der
Jesusfrage herausgestellt hat. Dies führt zu einer gegenüber früheren Pha-
sen veränderten Perspektive auf die Evangelien. Wurden diese in der
historisch-kritischen Jesusforschung häufig als Glaubenszeugnisse be-
trachtet, die für eine historische Konstruktion des Wirkens Jesu allenfalls

118 Die hier vorgestellten Überlegungen haben sich am MkEv als der ältesten narrativen
Verarbeitung des Wirkens Jesu orientiert. Damit ist nicht gesagt, daß sich aus den
anderen Erzählungen nicht ebenfalls historische Erkenntnisse gewinnen ließen. Dies
wäre Gegenstand weiterer Untersuchungen.
' " V g l . LOHMEYER, Galiläa und Jerusalem; MARXSEN, Evangelist; KELBER, Gospel,
9 6 - 1 1 6 ; STRUTHERS MALBON, Galilee and Jerusalem.
120 Dies hatte ROLOFF bereits in seiner 1970 erschienen Untersuchung dargelegt. Vgl.
DERS., Kerygma. Es ist jedoch in der von der Redaktionsgeschichte geprägten Phase
weithin ungehört geblieben. Für die gegenwärtige Jesusforschung ist die Verbindung
von Erzählung und Geschichte Jesu wieder neu ins Blickfeld zu rücken.

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204 Jens Schröter

untergeordneten Wert besäßen, so tritt diese, bei DAVID FRIEDRICH


STRAUSS z u m ersten Mal begegnende und über RUDOLF BULTMANN bis in
die gegenwärtige Jesusforschung wirkende Beurteilung nunmehr in den
Hintergrund. Die Alternative liegt jedoch nicht in der Rückkehr zu einer
unreflektierten Identifizierung von Erzählung und Wirklichkeit, wie sie
für die liberale Jesusforschung des 19. Jahrhunderts kennzeichnend war.
Zentral für die gegenwärtige Jesusforschung ist vielmehr die geschichts-
methodologische Einsicht, daß jede Aneignung der Vergangenheit auf ei-
ner Verbindung von Ereignis und Erzählung beruht. Die bleibend gülti-
gen Einsichten in den fiktionalen Charakter der Evangelien, die durch
STRAUSS u n d KARL LUDWIG SCHMIDT herausgearbeitet wurden, entwer-
ten diese dann nicht als historische Jesuserzählungen. Es wird vielmehr
deutlich, daß es sich um Erzählungen handelt, die auf einer Verbindung
von historischer Erinnerung und Mythos basieren, in denen die Ereignisse
also weder völlig hinter dem deutenden Mythos verschwinden noch so
zurückzugewinnen sind, wie sie sich einst tatsächlich zugetragen haben121.
Weiterführend in der gegenwärtigen Jesusforschung ist deshalb die Ein-
sicht in den Charakter von Geschichte als Konstruktion, die auf Ge-
schichtsdarstellungen generell und auf die Evangelien als antike religiöse
Biographien, basierend auf israelitisch-jüdischen Glaubensüberzeugungen,
in spezifischer Weise zutrifft. Deren Bezug auf die zugrundeliegenden Er-
eignisse ist deshalb mit einem geschichtsmethodologisch qualifizierten
Begriff von „Erinnerung" zu erfassen, der Geschehen und deutende Kate-
gorien - konkret: die Ereignisse um die Person Jesu und religiöse Uber-
zeugungen und Erwartungen des Judentums - miteinander verbindet.
Eine Orientierung der historischen Jesusfrage an der Wortüberliefe-
rung, die dann sekundär in einen unabhängig davon konstruierten „zeitge-
schichtlichen Rahmen" gestellt wird, ist demgegenüber methodisch und
historisch unbefriedigend. Dieses, von der Formgeschichte entwickelte
„Perikopen-Modell" vernachlässigt das erzählerische Profil der Evangeli-
en, indem es den Eindruck erweckt, es ließe sich zwischen einem „Rah-
men" und einer hiervon abstrahierten „Verkündigung Jesu" unterschei-
den, wobei die in dem „Rahmen" vorkommenden Lokal- und Zeitangaben

121 THEISSEN spricht in einer dem hier vertretenen Ansatz vergleichbaren Weise von einer
Einheit von Geschichte und Mythos im Urchristentum, die nicht zugunsten einer
Seite aufgelöst werden dürfe. Vgl. DERS., Die Religion der ersten Christen, 4 7 - 7 0 . An-
ders als THEISSEN würde ich jedoch von einer Einheit von Mythos und Ereignis bzw.
Vergangenheit sprechen, da Geschichte immer schon einen Entwurf darstellt, der auf
einer solchen Verbindung beruht. In vergleichbarer Weise sprechen MOXTER von Er-
eignis und Erzählung (vgl. seinen Beitrag in diesem Band) und GOERTZ in Anlehnung
an FOUCAULT von Diskurs und Realität. Vgl. DERS., Unsichere Geschichte, 5 3 - 8 2 .

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V o n der Historizität der Evangelien 205

sekundär und historisch unergiebig seien. Die Worte Jesu stellen jedoch -
nicht anders als seine Heilungen, seine Installation eines Kreises von
Nachfolgern sein Auftreten in den Synagogen Galiläas, seine Reisen in die
angrenzenden Gebiete und seine Konflikte mit Gegnern - Bestandteile
seines Wirkens dar, das sich in einer bestimmten Zeit an bestimmten Or-
ten abgespielt hat, die in den Evangelien bewahrt wurden. Eine historische
Konstruktion hat diese deshalb ernst zu nehmen, denn sie stellen diejeni-
gen Informationen dar, auf deren Grundlage ein Bild der Person Jesu zu
erstellen ist. Auf diese Weise kann dann auch historisch plausibel gemacht
werden, wie es zur Auffassung, Jesus sei der Gesalbte Gottes, kommen
konnte, womit die seit W R E D E in der Jesusforschung gelegentlich auftau-
chende These eines „unmessianischen" Charakters des Wirkens Jesu ver-
mieden wird. Die Entstehung der Evangelien als historischer Jesuserzäh-
lungen, die auf dieser Auffassung basieren, wird so verständlich, sie
können als solche für gegenwärtige Konstruktionen des Wirkens Jesu
herangezogen werden.
Die Streiflichter des zweiten Teils haben in diesem Sinn gezeigt, daß
die mk Erzählung die Person Jesu so repräsentiert, daß dabei Vergangen-
heit aus einer bestimmten Perspektive beleuchtet wird. Es kann kein
Zweifel daran bestehen, daß diese Repräsentation nicht einfach mit der
Vergangenheit identisch ist. Dies wir schon dadurch deutlich, daß der Er-
zählverlauf von Mk selbst entworfen wurde, daß viele der berichteten Er-
eignisse im Licht atl.-jüdischer Uberlieferungen gedeutet werden, daß
schließlich auf literarische Gattungen - etwa bei den Chrien und den
Heilungserzählungen - zurückgegriffen wird, mit deren Hilfe paradigma-
tische Szenen entworfen werden. Auf der anderen Seite haben die ange-
führten Beispiele gezeigt, daß das MkEv eine historische Erzählung dar-
stellt, die auf einer Verbindung von Ereignis und Erzählung basiert. Eine
Auflösung dieser Verbindung hätte zur Folge, daß der historische Wert
der Erzählung nicht mehr wahrgenommen und diese zu einem unhistori-
schen „Mythos" erklärt würde. Eine solche Auflösung hätte auch zur Fol-
ge, daß eine Jesusdarstellung von den Quellen abgelöst würde, die nicht
mehr als historische Zeugnisse interpretiert, sondern für von diesen un-
abhängige Deutungen herangezogen würden. Stellt jedoch jede historische
Konstruktion eine Verbindung von Ereignis und Erzählung dar, auch eine
solche, die unter den Bedingungen des historisch-kritischen Bewußtseins
verfaßt wird, dann kann auch eine gegenwärtige Jesusdarstellung die nar-
rativen Repräsentationen der Person Jesu in den Evangelien nicht einfach
beiseite stellen. Sie hat sich stattdessen an diesen zu orientieren und sie
unter heutigen Erkenntnisbedingungen neu zusammenzusetzen. Das Er-
gebnis ist nicht der „wirkliche" Jesus hinter den Evangelien. Das Ergebnis

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206 Jens Schröter

ist eine historische Konstruktion, die den Anspruch erhebt, unter gegen-
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Von der Historizität der Evangelien 211

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Q and the Historical Jesus

CHRISTOPHER M . TUCKETT

In a recent essay, J O H N KLOPPENBORG V E R B I N has noted that the last


20-30 years have seen significant and important developments in two ar-
eas of study based on the synoptic gospels. One is the resurgence of in-
terest in the study of the historical Jesus, sometimes called the "third
quest"; the other is the growth of scholarly interest in the sayings source
Q, believed by many to lie behind Matthew and Luke. What is perhaps
surprising at first glance, as K L O P P E N B O R G V E R B I N also noted, is that
these two areas of study have tended to run parallel to each other but with
relatively little sustained thought or critical analysis given to the question
of how the two might or should relate to each other. 1 This situation is
now changing. Thus in two important recent essays, K L O P P E N B O R G
VERBIN himself has addressed many aspects of the question, discussing
the key methodological issues and also suggesting some ways in which
particular features of Q might bear on study of Jesus. 2 So too several of
the papers given at the 2000 Leuven Biblical Colloquium address the
broad question in different ways. 3 Others in recent years have also made
significant contributions to the discussion of some of the methodological
issues involved.4 The present essay is offered then as a small contribution
to this on-going discussion of how modern studies of Q can or should
bear on study of the historical Jesus.
In many respects the key issues have already been fully highlighted in
KLOPPENBORG'S essays, and in relation to most of the broader, meth-
odological issues I am in fundamental agreement with K L O P P E N B O R G .
On some details I would differ; but the programmatic nature of his es-
says makes it appropriate to take his work as the starting point for any

1 KLOPPENBORG VERBIN, Discursive Practices, 1 4 9 - 1 5 1 .


2 KLOPPENBORG, Sayings Gospel Q ; KLOPPENBORG VERBIN, Discursive Practices.
3 See the collected essays in LINDEMANN (ed.), Sayings Source Q .
* Cf. e. g. KoscH, Q und Jesus; H O R S L E Y , Q and Jesus; above all S C H R Ö T E R , Erinne-
rung; Markus, Q und der historische Jesus

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214 Christopher M. Tuckett

further discussion. In the present essay I therefore take his work as my


main "conversation partner".5
Perhaps the first - and to many obvious - point to make is that study
of Q is not to be identified with study of Jesus. That the two may not be
totally unrelated to each other is of course equally obvious. Certainly in
its origins, the study of Q in particular, and of the Synoptic Problem
more generally, was very closely connected with the quest for the histori-
cal Jesus.6 By isolating and identifying the earlier sources in the tradition,
many had as their aim the recovery of the historical Jesus, and moreover
thought that such recovery had been all but achieved with the results of
their source-critical analyses.7
Yet, as KLOPPENBORG has shown very clearly, study of Q within the
last 30 to 40 years has proceeded in a rather different direction. For those
persuaded that Q did exist in some shape or form,8 the dominant question
among Q scholars has been not so much "what does Q tell us about Je-
sus?", but rather "what does Q tell us about those who preserved this
body of tradition and handed it on?". In the (probably over-schematised)
history of synoptic research often proposed, the source criticism of the
19th to the early 20th centuries gave way to the form criticism of the
1920s which in turn gave way to the "redaction" criticism of the period
after World War II. And it is in the general area of (so-called) "redac-
tion"-criticism that virtually all contemporary Q studies are to be located.
Ever since the publication of D I E T E R LÜHRMANN'S Die Redaktion der Lo-
gienquelle in 1969 (but probably also going back to H. E. T Ö D T ' S 1959
study of the Son of Man tradition in the gospels),9 the focus of attention
in Q studies has been on what we might be able to say about the distinc-
tive and/or characteristic features of the Q tradition and what these might
tell us about the "group" or "community" which preserved this tradition
and handed it on. In this sense, therefore, modern Q study is exactly on a
par with so much contemporary study of the gospel of Mark which seeks
to identify and clarify particular features of the Markan presentation of
Jesus. As KLOPPENBORG says, "the 'Jesus' of Q has the same status as the

5 And if the present essay inevitably focuses on points where I have disagreed with
KLOPPENBORG, it should not disguise my deep appreciation for, and indebtedness to,
his work.
' See especially LÜHRMANN, Logienquelle, 191-192.
7 Cf. the use of Mark by HOLTZMANN, the use of Q by HARNACK or T. W . MANSON, or
of Proto-Luke by STREETER or V. TAYLOR.
8 Although I know that the existence of Q is debated by some, I assume its existence in
the rest of this essay. F o r discussion of the theory of Q's existence, see TUCKETT, Q
and the History, ch. 1; also KLOPPENBORG VERBIN, Excavating Q, ch. 1.
' LÜHRMANN, Redaktion; TÖDT, Menschensohn.

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Q and the Historical Jesus 215

'Jesus' of Mark".10 No one today in the post-Wrede situation would as-


sume without discussion that a simple equation can ipso facto be made
between Mark's Jesus and the historical Jesus." So equally one cannot
simply equate the Jesus of Q with the historical Jesus. Nor have any re-
cent comprehensive studies of Q attempted to make such a simple equa-
tion without remainder. Thus KLOPPENBORG, referring to the large num-
ber of recent Q studies of Q, says (in my view rightly)

"In these volumes there is practically nothing said about the historical Jesus. They
attend to the reconstruction of various aspects of Q and the Jesus movement; they
are neither overtly nor covertly about Jesus."12

Further, it is almost certain that, as is the case with the other evangelists,
Q has imposed at least an element of interpretation on the Jesus tradition
it has received. It does indeed seem meaningful and sensible to speak of a
"Q theology" in some shape or form. Thus a Q-editor has imposed spe-
cific ideas on to the tradition which then makes the attempt to get back
from Q to Jesus at least a genuine problem. All this means that we cannot
simply follow the approach of e. g. HARNACK in the past, or (if I have un-
derstood him correctly) J O H N M E I E R in the present, in regarding Q as an
unmixed and un-"contaminated" source of sayings for the historical Je-
sus.13 If we seek to use Q in any reconstruction of Jesus we have to take
full account of at least the possibility that Q has adapted and redacted the
tradition no less than Mark or the other evangelists, so that Q is

"a document whose editorial features must be noted and weighed before blithely
ascribing its contents to Jesus. Clearly elements of Q redaction cannot be em-
ployed in a reconstruction of the historical Jesus." 14

The second main point to make is that in study of the historical Jesus, no
one single source can or should necessarily be privileged in seeking evi-

10 KLOPPENBORG VERBIN, Discursive Practices, 161f.


" This is not to say that in many instances a case can be made for such an equation; the
point is that all are agreed that the case has to be made and argued.
12 KLOPPENBORG, Sayings Gospel Q, 324 (my stress); cf. too Discursive Practices, 161f.

He refers here to studies on Q by a very wide range of people including himself,


LÜHRMANN, HOFFMANN, SCHULZ, EDWARDS, POLAG, VAAGE, SATO, JACOBSON,
CATCHPOLE and myself.
13 KLOPPENBORG VERBIN, Discursive Practices, 155, 163f., with reference to e. g. the
claims of MEIER, Marginal Jew, 2 . 1 7 7 - 1 8 1 , that Q's theology is not discoverable, that
its alleged "community" is hypothetical and that Q is a "grab bag", to be mined for
authentic material. (Cf. too "Sayings Gospel Q", 326 n. 85.)
14 KLOPPENBORG, Sayings Gospel Q, 326.

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216 Christopher M. Tuckett

dence for Jesus. In relation to the present discussion, one must therefore
avoid the dangers of becoming too exclusively tied to Q in any quest for
the historical Jesus; further, one must not lose sight of both the provi-
sional nature of our knowledge as well as its limited extent. I am assum-
ing here that the theory of the existence of a Q source lying behind Mat-
thew and Luke is indeed well-founded (cf. η. 8 above). But any possible
further precision within such a theory, as well as the implications about
how Q should relate to other sources for Jesus which we have, are all
matters of great dispute about which there is no unanimity and about
which there must be great uncertainty.
For example, the date of Q is notoriously uncertain. All we can say for
certain is that Q must pre-date Matthew and Luke; but that will not help
us if we cannot date Matthew and/or Luke precisely. Most would argue
that Matthew and Luke are post-70 (cf. Mt 22,7; Lk 21,20). But that
hardly helps in dating Q : Q must be pre-post-70! Whether Q itself is
pre-70 is debated. 15 Equally the date of Mark is hotly debated. Further,
we do not know if Q predates Mark or vice-versa. If we wished to assign
dates to all our sources and privilege (in some sense) our earliest sources
(as is done in part for example by CROSSAN), then we cannot be sure that
Q is our earliest, let alone that it is prior to some arbitrary cut-off date."
In any case we should perhaps be wary of placing too much weight on
the dates of our literary sources per se. In one (but only one) way, such
evidence may be valuable: in relation to sources which are in a literary re-
lationship with each other, relative dates are of course significant with re-
gard to the historical value of the sources. Thus where Matthew and/or
Luke are dependent on Mark (if they are), the fact that Matthew/Luke are
later than Mark means that we cannot place much weight on Mat-
thew's/Luke's later - and probably redacted - version of the tradition
compared with Mark's. This is of course well-known and almost univer-
sally respected as a principle. Nobody today would lightly use Mt 16,28
as evidence for the use of the term Son of Man by Jesus when it seems al-
most certain that the Son of Man reference is due to Matthew's redaction
of Mk 9,1 which refers to the Kingdom of God and not to Son of Man.

15
A relatively late, i. e. post-70, date has been proposed by HOFFMANN, Q R und der
Menschensohn; also MYLLYKOSKI, Social History of Q.
" CROSSAN, Historical Jesus. Cf. CROSSAN'S well-known division of sources into strata
with a date of 60 CE as the dividing line between the earliest stratum and the next
oldest - with Q included in the earliest stratum: such confidence is simply not possi-
ble. Q may or may not be pre-60. But even if it could be established as such, it re-
mains unclear why 60 CE should be regarded as the critical dividing line. Such a di-
viding line seems somewhat arbitrary.

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Q and the Historical J e s u s 217

However, this does not apply in relation to sources that are not literarily
related to each other. Assuming that Mark and Q are independent of
each other,17 we cannot assume that one of the two is necessarily more re-
liable in historical terms than the other simply because it is earlier (if we
could determine that). Further, the point at which the evidence "comes
to light" and is attested for us 2000 years later can often be rather arbi-
trary and due to chance. In the case of Q we have to remember too that
the evidence does not "come to light" in any tangible sense for us before
the gospels of Matthew and Luke, and then only indirectly: we have no
manuscript evidence of Q ; we only have Q as used by Matthew and
Luke.18 We cannot then necessarily privilege Q above other strands of the
tradition either on the basis of its date or in terms of any alleged "early"
attestation. 19
In turn this means that we can scarcely turn our backs on other parts
of the gospel tradition simply because those parts are not in a privileged
"in-group" of sources, be they Q alone or Q and Mark. Thus when
K L O P P E N B O R G says

" F o r t y years of redactional analysis have shown that Matthew and L u k e have sig-
nificantly reworked their two written sources, M a r k and Q . It is a priori likely
that they have done similarly with M and L materials. O f course, M and L may
have preserved s o m e authentic traditions. Awareness of the methodological impli-
cations of the T w o D o c u m e n t Hypothesis has made increasingly problematic any
approach to the historical Jesus that allows the special elements of Matthew or
Luke a determinative role," 2 0

some of what he says about "M" and " L " is unquestionable. But the same
applies to Mark and Q in turn as well. All of the tradition has probably, or
potentially, been reworked and we ignore that possibility at our peril. But
conversely, so-called " M " or " L " material will have as little - or as much -
likelihood of being authentic material from Jesus as (Mark or) Q material.
Unless one works with an a priori assumption that all this material is a re-

17 This is probably the m o s t widely held view today, though with s o m e notable dis-
senters.
18 Even then we should remember that it only fully comes to light for us in the manu-

scripts of Matthew and Luke, m o s t of which date f r o m a time of 3 0 0 + years after the
time of their original writing!
" H e n c e contra CROSSAN, who regards attestation in Q as providing earlier attestation
than Mark or traditions which appear in Matthew or L u k e alone. C f . t o o FREYNE,
Galilean Q u e s t i o n s , 64: "the difficulties with claiming that only the earliest docu-
ments can serve as genuine sources in historical reconstruction have been exposed for
a long time n o w . "
20 KLOPPENBORG VERBIN, Discursive Practices, 152.

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218 Christopher M. Tuckett

dactional creation by Matthew/Luke then presumably both evangelists


have used other source/sources for (at least some of) this material. And in
terms of the date of the attestation in extant sources, such material is as
well attested as Q material is! (It first surfaces to our sight in the gospels
of Matthew and/or Luke.) Thus whilst few would quarrel with the
K L O P P E N B O R G ' S point that M or L material should not maybe have a
"determinative" role in reconstructions of the historical Jesus, it would be
equally misguided to deny that material a potential role (alongside other
material). Thus, for example, C R O S S A N ' S exclusion of this material from
his "primary" ( = chronologically earliest) stratum is highly questionable
on methodological grounds. We cannot privilege one source against an-
other simply on chronological grounds or on the basis of the accidental
"survival" of some sources but not others (bearing in mind too that Q it-
self has not "survived"!). For example, if we decide that Luke's parable of
the Good Samaritan is not a wholesale LkR creation but goes back to an
earlier source, then the parable is in one way no worse (or better) attested
in terms of the date of extant witnesses than, say, the beatitudes of Q. 2 1
Even when we confine attention to Q and ask about its value as a
source for the historical Jesus, there are still some important preliminary
questions, in part methodological ones, to be raised and, if not answered,
at least held in mind. In particular, there is the question of what exactly
we mean by "Q". 2 2 This has at least two aspects to it.
First there is the question of the extent of Q . For the most part the is-
sue of the extent of Q is relatively uncontroversial. Q is (almost) "de-
fined" as the material available to Matthew and Luke alone and, for those
who would accept the broad parameters of the Q hypothesis, few would
deny that Q contained major sections such as the preaching of John the
Baptist, the temptation narrative, the Great Sermon, the question of John
the Baptist to Jesus and Jesus' extended reply, a version of the mission
charge etc. However, there have always been (and probably always will be
- or always should be!: see below) debates about the precise limits to be
placed around Q. 2 3 In relation to one issue to be discussed later in more
detail in this paper, the question is of some importance. For example,

21 F o r further discussion of CROSSAN and a critique of his rather arbitrary appeal to


sources in some documents but not in others, see TUCKETT, Historical Jesus.
22 In almost every article, essay or other contribution I have ever written about Q , I
seem to find myself raising the question of what we mean by " Q " and pleading for
clarification!
23 However I am totally unpersuaded by the arguments of RODD, Theology of Q , that
the extent of Q is so uncertain that it is a hopeless exercise even to try to delineate a
theology of Q . See TUCKETT, Search.

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Q and the Historical Jesus 219

s h o u l d L k 1 4 , 5 (cf. M t 1 2 , 1 1 ) be r e g a r d e d as Q m a t e r i a l ? D i d Q have a
v e r s i o n o f t h e d e b a t e a b o u t t h e d o u b l e love c o m m a n d ( L k 1 0 , 2 5 - 2 8 cf.
M t 2 2 , 3 4 - 4 0 ) ? In relation t o the question of the attitude t o the Jewish law
e v i d e n c e d in Q s u c h q u e s t i o n s c o u l d be o f s o m e i m p o r t a n c e .
B o t h issues are h o w e v e r slightly c o n t r o v e r s i a l ( o r at least debated)
a m o n g Q scholars today. F o r e x a m p l e , L k 1 4 , 5 w a s r e g a r d e d as p a r t o f Q
b y t h e m e m b e r s o f t h e I n t e r n a t i o n a l Q P r o j e c t ( I Q P ) in 1 9 9 1 , b u t is e x -
cluded f r o m Q in t h e r e c e n t l y p u b l i s h e d Critical Edition of Q.2* Lk
1 0 , 2 5 - 2 8 w a s n o t i n c l u d e d in Q b y t h e I Q P in 1 9 9 5 , t h o u g h w i t h m o r e
u n c e r t a i n t y e x p r e s s e d at t h e t i m e b y HOFFMANN a n d ROBINSON; it is a l s o
e x c l u d e d f r o m Q in t h e Critical Edition ( 2 0 0 ) . Y e t the case f o r including
a v e r s i o n o f t h e s t o r y in Q has always h a d s o m e (albeit m i n o r i t y ) sup-
port.25 Similarly, it has always b e e n d i s p u t e d w h e t h e r t h e s t o r y o f t h e
b a p t i s m o f J e s u s was p a r t o f Q o r n o t . (It was excluded b y the I Q P , but
is i n c l u d e d in t h e Critical Edition [18].)
In m a n y c a s e s t h e e x c l u s i o n o r i n c l u s i o n o f o d d v e r s e s m a y n o t m a k e
that m u c h difference. H o w e v e r , in s o m e i n s t a n c e s , t h e issue c o u l d b e
critical. F o r e x a m p l e , t h e issue o f a t t i t u d e s t o t h e L a w m i g h t b e signifi-
c a n t l y a f f e c t e d b y t h e p r e s e n c e o r a b s e n c e o f L k 1 4 , 5 a n d / o r 1 0 , 2 5 - 2 8 in
Q; a n d in r e l a t i o n t o C h r i s t o l o g y , t h e i n t e r p r e t a t i o n o f t h e r e f e r e n c e s t o
J e s u s as " s o n / S o n o f G o d " in t h e t e m p t a t i o n n a r r a t i v e m i g h t b e a f f e c t e d

24 ROBINSON et al., Critical Edition, 426. - It would be a shame if the recent publication
of a volume entitled The Critical Edition of Q were felt to foreclose discussion of such
issues. This volume represents the distilled views of three of the main leaders of the
I Q P , whose results in work devoted to trying to reconstruct the wording of Q were
previously published in JBL. As such the volume represents a tremendous achieve-
ment and is immensely valuable. Yet, at the end of the day, it can do no more than
represent one view among others; and even the three main editors themselves are not
always in agreement, either with themselves or with their earlier views; equally the
volume does not always agree with the earlier decisions of the I Q P . (All the changes
are noted in NEIRYNCK, Reconstruction.) This is not intended as a criticism. The
nature of the evidence is such that there will always be disagreement between scholars;
equally it is entirely legitimate - and indeed laudable - that people should change their
minds on particular issues: is one not allowed the chance to ponder and reconsider?
All this means however that any "results" presented in a volume such as this, pur-
porting to present the contents of Q , can be at best provisional. N o r can any "re-
sults" claimed here have any special status necessarily in relation to different deci-
sions, as if the burden of proof must lie with those who take a slightly different view
of the situation. At most a volume such as this can only claim to be "A Critical Edi-
tion"!
25 See my Q and the History, 416 with other literature cited. There are a number of
agreements of Matthew and Luke against Mark which makes it at least plausible to
think of a Mark-Q overlap here.

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220 Christopher M. Tuckett

by whether or not that story follows immediately on a baptism story


where Jesus has been declared to be God's Son by G o d himself.
The second methodological issue to do with what we mean by " Q "
concerns the possible existence of "layers" or "strata" within Q . As is
well known, it has been a feature of much (but not all!) recent Q study to
argue that Q underwent a process of development with two or three
stages in that development identifiable. KLOPPENBORG'S theories in this
respect have been widely acclaimed and followed by many. 26 According
to this general theory, a first "stratum" of Q ( Q 1 ) was characterised by
"sapiential" material with little polemic evident; at a later stage, this Q 1
material was expanded by more "prophetic" material into a " Q 2 " stratum,
with the more polemical material and threats of judgement against "this
generation" and references to the violence suffered by the prophets in the
past. Finally at a " Q 3 " stage, a few later additions were made, including
the temptation narrative and perhaps some more Law-centred features
(cf. Q 11,42c; 16,17). 27
This is not the place to debate the details, or the legitimacy, of the
stratigraphical model proposed by KLOPPENBORG. Others (including
myself) have questioned many of its details. I myself would argue that it
is probably too optimistic in being able to identify so precisely the devel-
opment of Q as a literary whole. 28 Thus whilst I believe it is very likely
that individual Q traditions or sections underwent a (possibly highly
complex) history of development (e. g. Q 7,18-35), it may be less certain
whether we can correlate many such developments across several Q tradi-
tions and claim that Q itself underwent such a clear, well-defined devel-
opment. I have argued elsewhere (and am still not persuaded otherwise)
that we should reserve the siglum " Q " for the "final" form of the "text"
(bearing in mind of course that we do not have the text extant!), i. e. for
that stage in the development of the Q tradition as it was used by Mat-
thew and Luke. 2 9 In terms of the KLOPPENBORG model this might mean
that " Q " should really be seen as " Q 3 " (and not then " Q 2 " ) !

26 Cf. his (by now classic) analysis of Q : KLOPPENBORG, Formation.


17 For the latter, see KLOPPENBORG, N o m o s and Ethos.
28 See my Q and the History, 70-75; also my Stratification of Q ; also HOFFMANN,
Mutmaßungen; SCHRÖTER, Jesus, 103-117. Others have proposed rather different
models for the growth of Q : cf. JACOBSON, First Gospel; SATO, Q und Prophetie;
ALLISON, The Jesus Tradition in Q .
29 Q and the History, 75-82. (I am fully aware that this in turn may beg a number of
questions, e. g. whether Matthew and Luke had the same form of Q available to
them.)

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Q and the Historical Jesus 221

How far all this should bear (or does bear: the two are not the same!)
on study of the historical Jesus is however another issue. KLOPPENBORG
himself has argued vehemently on many occasions that stratigraphical
analyses of Q and study of the historical Jesus are not necessarily related
at all. He has himself often referred to his own formulation in his 1987
book The Formation of Q :

" T o say that the wisdom components were formative for Q and that the prophetic
judgment oracles and apophthegms describing Jesus' conflict with "this genera-
tion" are secondary is not to imply anything about the ultimate tradition-historical
provenance of any of these sayings. It is indeed possible, indeed probable, that
some of the materials from the secondary compositional phase [ = " Q 2 " ] are
dominical or at least very old, and that some of the formative elements [ = " Q 1 " ]
are, from the standpoint of authenticity or tradition-history, relatively young.
Tradition history is not convertible with literary history and it is the latter we are
treating here." 30

So too KLOPPENBORG has responded very robustly to those who have as-
sumed that his stratigraphical model can be applied to study of the histo-
rical Jesus too simplistically, as if his " Q 1 " can be equated with the his-
torical Jesus and " Q 2 " identified as later Christian redaction.31
Whether KLOPPENBORG himself has been quite true to his methodo-
logical principles is I believe slightly questionable. It is true that part of
his reasoning for distinguishing " Q 1 " material from " Q 2 " material has
been his claim that in some Q 1 sections, later "redactional" glosses can be
identified; and in this he is clearly working with (what I would call) liter-
ary-critical criteria. Certainly too he has heavily criticized (in my view
rightly) the theories of those such as S. SCHULZ who sought to delineate
layers within Q on the basis of similar content or ideas, i. e. on what I
presume is meant by "tradition-critical" criteria.32 Yet when KLOPPEN-
BORG himself seeks to expand the (relatively small) "Q 2 "-type glosses by
much larger whole discourses (e. g. the preaching of John the Baptist, or
the series of woes in Q 11), partly on the grounds of similar content, there
is a sense in which he too is working with tradition-history rather than
literary history.33

30 Formation, 244-245; cf. too Sayings Gospel Q , 322; Discursive Practices, 159; Ex-
cavating Q , 351.
31 Sayings Gospel Q , 323 (on FULLER, MEADORS, WITHERINGTON and others); Discur-
sive Practices, 161; Excavating Q , 351 etc.
32 See SCHULZ, Q ; KLOPPENBORG, Tradition and Redaction.
33 Cf. the way in which at least part of the reason for separating the different layers is on
the basis of "common/characteristic motifs" (cf. Formation of Q , 169, 240). O n this
see my Son of Man and Daniel 7, 384; see also SCHRÖTER, Jesus, 108.

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222 Christopher M. Tuckett

KLOPPENBORG'S stratigraphical model has been used by those more


explicitly interested in, and writing about, the historical Jesus. The most
notable examples in recent years are probably CROSSAN and MACK,34 to
which might also now be added J. M. ROBINSON. Thus in a recent essay
on "The Critical Edition of Q and the Study of Jesus", 35 ROBINSON virtu-
ally equates what he calls "the archaic collections of Q " (by which he
means the material broadly speaking in KLOPPENBORG'S " Q 1 " ) with the
historical Jesus without remainder:

"It is in the archaic collections embedded in Q that one can with the most assur-
ance speak of material that goes back to sayings of Jesus himself." (44).

"Any presentation of Jesus that lacks at its core these collections that comprise
the oldest core of Q is to that extent deficient." (45, his stress).

So too ROBINSON drives at times a sharp wedge between the ideas of


these collections and the (later) Q redaction (i. e. " Q 2 " ) , e. g. in relation
to the latter's stress on the threat of judgement. Thus the Q redaction

"has in fact glossed over central dimensions in the archaic collections, as to how,
in Jesus' view, one should think of God [.. .]." (39, my stress).

"One must take seriously the substantive - theological and ethical - tension be-
tween the two main layers of Q , that of the archaic clusters, and that of the final
redaction. Jesus' vision of a caring Father who is infinitely forgiving [ . . . ] may
have been lost from sight a generation later." (42f., my stress).

In all this then, a tension is seen between the outlook of Q 1 and Q 2 , and
Q 1 is equated with the historical Jesus almost tout court.
The same seems to be true in the writings of MACK. KLOPPENBORG
has sought to defend MACK, claiming that MACK'S thesis of Jesus as a
Cynic-type aphorist depends in part on theories about Q but also on
other factors (his beliefs about Mark, about kingdom sayings, about
Galilee).36 This may be true in part, but it is still the case that a significant
element within MACK'S overall argument is based on a fairly simple equa-
tion of the historical Jesus with the earliest layer in Q , and this coupled
with the negative converse that later strata in Q are deemed to be alien to

34 CROSSAN, Historical Jesus; MACK, Lost Gospel.


35 ROBINSON, Critical Edition.
36 Discursive Practices, 160.

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Q and the Historical Jesus 223

the historical Jesus. Thus he writes about the material in the earliest
stratum o f Q which he identifies:

"If we ask about the character of the speaker of this kind of material, it has its
nearest analogy in contemporary profiles of the Cynic-sage. This is as close to the
historical Jesus as Q allows us to get, but it is close enough for us to reconstruct a
beginning of the movement that is both plausible and understandable."37

"The strata he [ = KLOPPENBORG] identified in the compositional history of Q as


a document I have taken as a written record of the social history of the first follow-
ers of Jesus."38

Conversely, the division of material between " Q 1 " and " Q 2 " , with the
former containing "aphoristic wisdom" and the latter "apocalyptic pre-
diction and pronouncement of d o o m " suggests that

"aphoristic wisdom is characteristic of the earliest layer. This turns the table on
older views of Jesus as an apocalyptic preacher and brings the message of Jesus
around to another style of speech altogether."39

As with ROBINSON then, an important methodological step is taken in


seeing the earliest stratum within Q as determinative in any reconstruc-
tion of the historical Jesus. KLOPPENBORG'S own warnings here, about
the dangers of confusing tradition history and literary history, are appar-
ently being ignored, as are also all the dangers of focusing t o o closely on
one and only one strand of the gospel tradition and ignoring others (such
as Mark, M or L). 4 0
CROSSAN'S use of KLOPPENBORG'S theory is perhaps less direct.
KLOPPENBORG points out that the CROSSAN ascribes both Q 1 and Q 2 t o

37 MACK, Lost Gospel, 203. It seems clear that the "plausible and understandable" pic-
ture is being equated with the historical Jesus without too many qualms or exceptions.
38 MACK, Q and a Cynic-like Jesus, 31 (my stress). The equation seems quite explicit
here between the (alleged) early/later literary stages of Q and the early/later stages of
the (social) history of the community responsible for Q. Cf. too MARSHALL, Gospel
of Thomas, 40: "Mack uses Kloppenborg's stratigraphy and treats what Kloppenborg
designates as primary in a literary sense as also historically primary. He makes no al-
lowance for authentic Jesus sayings employed in the framing redaction."
39 MACK, Myth of Innocence, 59.
i0 It should also be noted that MACK'S own stratigraphical analysis is different from
KLOPPENBORG'S (postulating c. five, rather than three, stages) and the basis for such a
division is by no means clear: certainly the ascription of some elements to one stra-
tum rather than another is at times somewhat arbitrary and contradicts the very rea-
sons for postulating a stratigraphy (e. g. by KLOPPENBORG) in the first place. On this
see ROBINSON, Taxonomy.

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224 Christopher M. Tuckett

his earliest stratum: hence the two strata have equal pedigree in terms of
CROSSAN'S methodology. KLOPPENBORG also refers to the fact that much
more important for CROSSAN is the criterion of multiple attestation and
in this Q counts as only one vote.41 This is probably true: just as impor-
tant for CROSSAN are his theories about the Gospel of Thomas, including
his stratification theory in relation to Thomas whereby one stratum of
Thomas is dated into his earliest period; hence where Thomas and Q
overlap (material which is almost by definition of the proposed strata in
Thomas constitutes the earliest stratum of Thomas), the criterion of
multiple attestation inevitably includes these elements as primary in
CROSSAN'S "database". It may thus be CROSSAN'S theories about Thomas
and its strata which have more influence than theories about Q and its
possible strata.42 And in any case, as KLOPPENBORG points out, scholars
such as MARCUS BORG have reached similar conclusions (e. g. about a
non-eschatological Jesus) without adopting any theory of strata within
Q. 43 Nevertheless, even if the stratification model is not appealed to di-
rectly by CROSSAN, it is probably being introduced implicitly: Q material
paralleled in Thomas is given priority, but the content of Thomas (lacking
for the most part the polemical "Q 2 " material) leads inexorably to "Q 1 "
material being prioritised.44
One can therefore see that, in a number of recent studies of Jesus, the
Q 1 material is taken as the primary body of evidence. What is "later" in
literary terms within the development of the Q tradition is regarded as
secondary in terms of tradition history: hence an equation is effectively
being made between " Q " ' and the historical Jesus; " Q 2 " is regarded as
part of the secondary, post-Easter development of the Jesus tradition and
not to be ascribed to Jesus. Further, what others might regard as poten-
tially equally important primary source material, e. g. in Mark, "M" or
"L", is also sidelined.45 Such a model is clearly methodologically more

41 Discursive Practices, 160.


42 See further my Historical Jesus.
43 Discursive Practices, 161.
44 Some of the eschatological material in Q (most of it usually assigned to Q 2 in any
stratification model) is eliminated from the body of authentic material by CROSSAN
by some sleights of hand, e. g. in the definitions of the units of tradition (what CROS-
SAN calls "complexes") to be considered: see TUCKETT, Historical Jesus, 2 6 6 - 2 6 8 .
45 In the case of CROSSAN, this is in part due to his dating of what he takes to be "the"
sources: all three synoptic gospels are dated after the crucial dividing line of 60 C E
which marks the end of CROSSAN'S earliest stratum. Yet this is connected in CROS-
SAN'S work with a somewhat selective appeal to sources (e. g. Q is accepted as a
source, but no attempt is made to identify sources behind most of Mark, or the " L "
material); also the dating is rather arbitrary or uncertain (cf. above on the date of Q),

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Q and the Historical Jesus 225

than a little suspect. It ignores K L O P P E N B O R G ' S own warning that "tradi-


tion history is not convertible with literary history" (cf. above), as well as
focusing somewhat narrowly on only one part of the available evidence.
Although debates on such issues have often focused on the differences
between Q 1 and Q 2 , it should not be forgotten that K L O P P E N B O R G pro-
posed a three-fold stratification of Q and it may be that the alleged " Q 3 " is
just as significant in this context. I have noted elsewhere that Q 3 is very
often used by some Q scholars as a convenient dumping ground to get rid
of - and then forget about - awkward pieces of evidence that do not ap-
pear to fit with other parts of Q . Hence the temptation narrative, as well
as some of the "nomistic" glosses (Q 11,42c; 16,17), are assigned by
K L O P P E N B O R G to Q 3 , as is the awkward Q 12,10 by VAAGE. 4 6 Very often
too these are effectively regarded as almost posi-"redactional" and the
"real"/"true" "redactional" level is taken to be Q 2 . 4 7 This is however
somewhat questionable. If, as I argued, we take " Q " to be the "final"
form of Q , then it is the Q 3 level which should be regarded as "redac-
tional", and the Q 2 material is part of the pre-redactional material. But
either way, K L O P P E N B O R G ' S strictures about tradition history and literary
history apply as much to Q 3 as they do to Q 2 ! Dumping some awkward
pieces of evidence into Q 3 may make life easier in constructing a more
self-consistent Q 2 strand; but it says nothing about the ultimate historic-
ity of the traditions in question. To make deductions at that level we shall
have to invoke other factors and other arguments.
However, quite apart from the issue of distinguishing " Q 2 " and " Q 3 " ,
there is a more fundamental issue concerning what we mean by "redac-
tional" in relation to study of Q materials and their possible relevance for
study of Jesus. I referred earlier to K L O P P E N B O R G ' S assertion that "ele-
ments of Q redaction cannot be employed in a reconstruction of the
historical Jesus' (see above n. 14). At one level this is of course totally
unexceptional. As I have already noted myself, no one today would
lightly use a "redactional" text such as Mt 16,28 as evidence for the use of
the term Son of Man by Jesus. This Son of Man reference is due to Mat-
thew's own redactional change of Mark. If then Q has been as active as

as well as rather inconsistent in its application. (Traditions in Q are dated in relation


to Q itself, although the Q material is in fact first attested in manuscript form in the
gospels of Matthew and Luke; but any pre-Markan traditions which there might be
are dated to the time of the composition of Mark.) See TUCKETT, Historical Jesus,
262f.
46 VAAGE, S o n of M a n S a y i n g s .
47 C f . the terminology used by ROBINSON (cf. above) in talking about the "Q redaction"
when he quite clearly has in mind Q 2 , not Q 3 .

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226 Christopher M. Tuckett

Matthew in reworking the tradition, we can use Q-redactional ( = QR)


elements no more than we can use MtR or LkR elements as evidence for
Jesus.
On the other hand, the situation with Q is not quite the same as the
situation with Matthew, if only because we have neither Q nor Q's tradi-
tion extant and available for us to compare the two. With Mt 16,28 we
have Mk 9,1 to be able to put alongside, together with the theory (or as-
sumption) that Mk 9,1 is the source for Matthew's reworking. With Q
(as with Mark) we do not have such a luxury to hand. Hence it is very
much harder to identify "redactional" elements in a "text" such as Q.
This is not to say that it is impossible to make at least an educated
guess at one or two points. Indeed KLOPPENBORG'S original analysis of
Q into strata was based in part on his claims that some elements in the Q
discourses appeared to be secondary glosses on an earlier form of the tra-
dition (e. g. Q 6,23c; 11,42c). Yet this will probably yield only a relatively
small harvest. The number of instances where such glossing has taken
place, and with a sufficient degree of clumsiness and/or artificiality to
make the gloss identifiable to modern readers, is inevitably rather small.
Thus the more fruitful line of enquiry in seeking to identify the particular
concerns of Q and its "shaper(s)" or "editor(s)" has been to consider
what K L O P P E N B O R G has called its "invention" or "arrangement" of the
materials which now appear in Q. 48 By "invention" K L O P P E N B O R G ex-
plicitly rejects any notion necessarily of "fabrication" but means rather

"the strictly rhetorical sense, denoting the intellectual process or finding and ar-
ranging materials germane to the conduct of an argument and the rendering plau-
sible of a certain conclusion" 4 '.

The jargon we use can vary. For others, this might be termed "composi-
tion criticism" rather than "redaction criticism", paying attention to the
way in which the total material is now presented, almost irrespective of its
ultimate origin.
In terms of method, there is virtually nothing I would wish to quarrel
with here. Indeed it was precisely this kind of approach which I myself
tried to use in my own study of Q. 50 But this in turn does mean that it
may become much harder to use any such results about a possible Q the-
ology discussions of authenticity and/or the historical Jesus. If the proc-
ess of "invention" does not necessarily mean fabrication (or "redactional

48 Sayings Gospel Q, 326.


49 Ibid.
50 Cf. Q and the History, esp. 80.

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Q and the Historical Jesus 227

creation"), but involves "finding and arranging", then the present form of
the "text" is as likely as not to be the result of using earlier traditions
which will have as good (or as bad) a chance as any of being authentic.
Hence the fact that one particular unit or discourse in Q appears to be
thoroughly in line with Q ' s general ideological outlook (or that of " Q 2 " )
cannot mean that that whole tradition can be written off (in relation to
the question of authenticity) as a redactional creation de novo. Q may
just as well have "found" all the elements of the unit in its tradition and
written them up to form the unit as it now appears in Q so that the pres-
ent form contributes strongly to Q ' s overall perspective but does so by
using elements that may be firmly authentic. If we can identify clear
glosses that appear to be secondary additions to earlier traditions, and
which could not really exist in isolation, then a claim to inauthenticity
might be justified. But in the absence of such evidence, we cannot simply
make deductions about authenticity on the basis of Q ' s "rhetoric" or "ar-
rangement" or "invention" alone.
T o take one example of what seems to me an illegitimate appeal to such
considerations, I refer to KLOPPENBORG'S discussion of Q 22,28-30. 51
KLOPPENBORG refers (in my view rightly) to the fact that "the saying is
deeply embedded in the rhetoric of Q as a document": it is (probably)
the final saying of Q and may therefore have formed its climax; it "reca-
pitulates and extends the motif of the judgment of 'this generation'"
which is a key element of Q ; and it forms the climax of a smaller se-
quence of sayings in Q 17 and 19. KLOPPENBORG'S conclusion is then
that, in light of the strategic importance which the saying has in Q ' s over-
all arrangement, "one must offer good reasons for not thinking that Q
22,28-30 is simply a creation of Q " . Yet whilst agreeing (as I do) with all
that KLOPPENBORG says about the place of the saying within Q , one can-
not really say, on that basis alone, whether Q "found" the saying Q
22,28-30 in its tradition and used it with compositional "added value", or
whether Q invented the saying de novo. It is not the case that the saying
functions as a secondary, separable gloss on an earlier self-contained say-
ing and that it could not exist in isolation (as e. g. in Q 11,42c); rather,
the saying can (and e. g. in Luke does) stand on its own. Thus appeals to
Q ' s composition, or "invention" cannot settle questions of authenticity
quite so easily. 52

51 See his discussion in Sayings Gospel Q , 327-328.


52 The issue of the authenticity of this tradition is a complex one. See the full discussion
of VERHEYDEN, Conclusion of Q .

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228 Christopher M. Tuckett

In the second part of this essay, I consider two specific topics in relation
to study of the historical Jesus where it has been claimed that the evidence
of Q may be highly significant. In both I refer once again to the work of
KLOPPENBORG. The first concerns the Sabbath controversies in the gos-
pel tradition. Certainly the existence of these stories in the tradition have
in the past played a significant role in reconstructions of the historical Je-
sus. However, KLOPPENBORG refers to the (apparent) absence of such
stories in Q. 5 3 H e claims that, unlike some other apparent silences in Q ,
this silence may be significant, "since it is very difficult to argue that Q
knew of Sabbath controversies but disregarded them" (Sayings Gospel Q ,
333). Q does indeed know of other points of difference between Jesus
and Pharisaic practice (cf. the woes of Q 11), and lampoons the latter;
hence " Q ' s silence seems to imply that it knew nothing of Sabbath con-
troversies." (ibid.)
According to KLOPPENBORG, Q ' s silence suggests that Jesus cannot
have been involved in any programmatic critique of Sabbath observance.
He claims that the case is slightly different in relation to the issues of pu-
rity and tithing. For example in the saying on tithing (Q 11,42), the final
clause (11,42c) conflicts with the rest of the saying, but this is probably a
later addition to Q "by a 'nervous glossator' who wishes to avoid a poten-
tially antinomian interpretation of 11,42b" (Sayings Gospel Q , 334). But
in any case, in the earlier forms of the sayings on washing cups and on
tithing (11,39-41 and 11,42), there are no programmatic critiques of the
Law but (only) attempts to ridicule Pharisaic practice.

"Jesus may have made statements that touched on purity, tithing and other legal
issues - but this does not imply that he offered a programmatic critique of the
Torah or that he put himself forward as a Torah-interpreter. That is Matthew's
Jesus." 5 4

Hence

"When Q gives no evidence of knowing items that otherwise it might have been
expected to have employed, however, as in the case of Sabbath controversies, it is
very doubtful that these should be ascribed to Jesus." 5 5

KLOPPENBORG thus claims that a reference to Q would give strong sup-


port to the views of others who have questioned the historicity of this as-
pect of the tradition on other grounds.56

53 Sayings Gospel Q , 332-334.


54 Ibid., 334.
55 Ibid.

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Q and the Historical Jesus 229

More generally, KLOPPENBORG criticizes many treatments of Jesus in


the past which have focused on the issue of attitudes to the Jewish Law as
not having taken seriously enough the implications of the Synoptic Prob-
lem. He quotes approvingly a section of a paper of LÜHRMANN:

" A critical examination of Jesus literature, even the most recent, certainly arouses
the suspicion that the methodological implications of the Two Source Hypothesis
have not been taken seriously enough. Generally speaking, it is Matthew's por-
trait of Jesus that has left its impression. It is only on this basis that one can ac-
count for the fact that the issue of Jesus' understanding of the Law is a seemingly
unavoidable question for Jesus-scholarship. But the word νόμος does not even
appear in Mark, and in Q only in texts that are probably late (Q 16,16-17). It was
Matthew who first seriously raised the issue in the tradition of Jesus' sayings." 5 '

All this is however not fully persuasive. I take first the more general
point that attributing to Jesus a concern about the Law is really only a
feature of Matthew's presentation and hence does not go back earlier (to
Mark or Q , let alone the historical Jesus).
It may be the case that the Greek word νόμος itself is more character-
istic of Matthew than of Mark or Q . Nevertheless, it seems undeniable
that the issue of Torah observance was a feature of the earlier (one might
almost say the earliest) tradition. If we come at the issue from the point
of view of later traditions, adopting what one might call a wirkungs-
geschichtlich approach, it is clear that certainly some (relatively early) in-
terpreters of the tradition thought that the issue was acutely raised in the
earlier tradition. We can consider Matthew himself and his well-known
attempts to tone the apparently radical stance of Jesus in relation to the
Law in the Markan tradition (in relation to Sabbath observance, hand
washing, divorce etc.). Whether the historical Jesus was so radical may be
disputed; but it seems undeniable that Matthew read Mark in this way, or
at least thought that Mark could be read in this way, and was concerned
to "correct" the picture.
The same is true for Q . Many have argued that Q ' s "arrangement",
and perhaps even at times Q ' s creative redactional activity, shows a con-

56 In the recent debates, most notably SANDERS, Jesus, 264-269; Jewish Law, 1-96. The
theory that the Sabbath controversies are all "ideal scenes", reflecting primarily de-
bates of the early Christians rather than those of Jesus, goes back of course to BULT-
MANN, History, 48. KLOPPENBORG regards it as slightly ironic that the Q theory
lends support to SANDERS since SANDERS himself does not believe in Q !
57 KLOPPENBORG cites this passage twice (Sayings Gospel Q , 325; Discursive Practices,
153) as coming from an unpublished paper presented at the Westar Institute, 1991.
The same passage (in German of course!) now appears in LÜHRMANN, Logienquelle,
196-197.

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230 Christopher M. Tuckett

cern to alleviate and soften potentially radical statements of the earlier


tradition in relation to the Law. I have already referred to Q 11,42c. The
same might apply to Q 16,17 following (probably) in Q after 16,16. 58 The
claim in v. 17 that not the tiniest part will vanish from the Law serves to
guard against any possible implication of the saying in Q 16,16 ("the Law
and the prophets were until John") that the era of the validity of the Law
was now over.59 KLOPPENBORG attributes these to his "nervous glossa-
tor" and ascribes them to a Q 3 stage in the development of the tradition.
Whether in doing so we can then quietly ignore such sentiments in rela-
tion " Q proper" is doubtful as I have tried to show earlier. Q 3 is pre-
sumably the more recent stratum and if anything must then count as
" Q ' s " redaction if " Q " is to be seen as the "final" form of the Q tradition.
But, as with Matthew, this shows that Q too appears to have been aware
of possible implications and interpretations of its earlier tradition and was
concerned to guard against them.
By contrast, the situation in Mark seems to have been different. Mark
(much to Matthew's discomfort!) has a number of traditions which show
Jesus perhaps questioning the fundamental aspects of the Law, e. g. on
Sabbath, on food laws and on divorce.60 And wherever Mark offers a
view, Mark appears to be thoroughly endorsing such a critique. Thus
whatever the saying in Mk 7,15 may have meant in any earlier tradition (if
it existed there), Mark himself seems in no doubt: with his clarification in
7,19 he makes it unambiguously clear that, as far as he is concerned, Jesus
has called all the food laws of the O T into question.61
Whichever way we come at the evidence, it seems clear that the Jesus
tradition was seen as capable of being taken in a radically "antinomian"
way. Among the gospel writers or tradents, we thus see different atti-
tudes reflected. Matthew seems to see this as a danger to be guarded
against; Mark appears to see it as a welcome trend to be embraced. But
either way it seems clear that the tradition was regarded as potentially an-

58 It is difficult to ascribe both to later tradition, as LÜHRMANN appears to do. Rather,


v. 17 looks as if it is seeking to modify v. 16 and hence is probably added to a form of
the tradition where v. 16 was already included. (At least if they are "later", one is later
than the other!)
59 I have assumed here that Q 16,16 and 16,17 were adjacent in Q . I am aware that this
is disputed (e. g. most recently see SCHRÖTER, Erwägungen, arguing that the putting
together of the verses in Luke 16,16-18 is due to Luke.) However, the force of Q
16,17 within Q as an attempt to assert the validity of the Law does not depend on this
(cf. SCHRÖTER'S own discussion of the significance of this verse.)
60 Cf. Mk 2,27; 7,15; 10,11-12 etc. The issue of Jesus and the Law is thus not "first seri-
ously raised" only by Matthew, pece LÜHRMANN.
61 It is almost universally agreed that Mk 7,19 is due to Markan redaction.

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Q and the Historical Jesus 231

tinomian. Within the spectrum of possible responses, Q's attitude seems


clear: Q's sympathies were evidently more with Matthew than with Mark
(not altogether surprisingly since Matthew adopted Q ! ) . Q was thus con-
cerned to minimise any suggestions that Jesus may have questioned the
Law.
With this in mind, the possible selection of material in Q may be more
intelligible. Q certainly does have Jesus engaged in fierce debate with
Pharisees and "lawyers" (Q 11) over issues which may have been of par-
ticular concern to Pharisees (tithing, purity laws and eating). And in this,
as KLOPPENBORG rightly says, Q's Jesus is portrayed as ridiculing Phari-
saic practices in some respects. On the other hand, tithing and/or detailed
purity concerns on the one hand and Sabbath observance on the other
may not have been regarded as parallel phenomena. Debates about Sab-
bath legislation do not seem to appear quite as frequently in our extant
sources as other issues which Pharisees debated at great length. Yet, as
Sanders has noted, this may not be because Sabbath observance was not a
high priority for Pharisees; it may simply be that observance of Sabbath
protocol was common ground for so many Jews: hence there was no need
to engage in debate on many matters relating to this.62 By contrast, issues
about the appropriate level of purity which should be maintained, and
perhaps tithing, were questions which were more debatable - and were
debated - at the time. Thus when KLOPPENBORG runs together the issue
of the Sabbath observance and "other points of difference between Jesus
and Pharisaic practice" 63 and claims that it is difficult to believe Q "disre-
garded" the Sabbath issue, he may be ignoring the distinction between
Sabbath and say purity issues. The Jesus of Q engages with the Pharisees
in matters that are intra-Pharisaic issues, or issues of debates between
Pharisees and non-Pharisees. But possible challenges to Sabbath legisla-
tion might have been regarded as qualitatively different.
In fact, Q may not be wholly silent on the issue of Sabbath. Many
have argued that Lk 14,5 (cf. Mt 12,11) may represent a fragment of a tra-
dition which belonged to Q. 64 If it did belong to Q, Matthew certainly -
and Luke possibly - have chosen to embed the tradition in a different
story: Matthew in the (Markan) story of the man with a withered hand,
Luke in the story of the woman with the dropsy (Lk 14,1-6). As I have

62 SANDERS, Jewish Law, 1 5 - 1 6 .


63 Sayings Gospel Q , 333.
64 See my Q and the History, 414 with further literature cited. There is substantial
agreement in general terms between Matthew and Luke here. The I Q P included it in
Q with a " C " rating; however, it is now excluded from the Critical Edition of Q (see
above).

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232 Christopher M. Tuckett

argued elsewhere, the saying only makes sense as some kind of argument
to defend an apparent breach of Sabbath law.65 It is "experientially based",
rather than "halakic", 66 but this is not necessarily significant: in any case
what we have is only a torso (and we do not know if it was supplemented
by other "halakic" arguments; but in any case the distinction may be an
artificial one). The verse does show an awareness - probably within Q -
that Jesus' actions could be construed as breaching Sabbath observance,
but that arguments could be - and here are - produced to show that any
apparent breach of this nature was justifiable and justified.
With this in mind, Q's (perhaps only partial) silence may be intelligi-
ble. Against KLOPPENBORG, it is certainly not inconceivable that " Q knew
of Sabbath controversies but disregarded them" (though we must concede
that we can never really know Q's sources with such precision that we can
identify material available to, but omitted by, Q ) . In any case we know
little or nothing of Q's sources at the level of material available to Q but
which Q chose to omit.) The intra-Pharisaic debate (on e. g. purity or
tithing) may have been acceptable simply because it was recognised as an
"in-house" argument which did not necessarily challenge of the basic
"ground rules" of life under Torah. Debates about Sabbath would have
been of a different order. Q shows an awareness of the more general dan-
ger of possibly subverting the Law elsewhere: Q 11,42c; 16,17 have al-
ready been noted. The temptation narrative of Q 4,1-11 has as an im-
portant function to show that Jesus is obedient to the word of God as
revealed in the Law.67 So too, if Q contained a version of the story about
the double love command (cf. above), the inclusion of the story in Q may
show a concern by the Q editor(s) to show Jesus as in line with Torah,
appealing to the Torah as the basis of his teaching and doing so precisely
in order to counter opposition from others suspicious of him.68 That Q
might then have known of Sabbath stories and deliberately not included
them seems entirely credible and in line with what we can discern of Q's
overall strategy and concerns.
Whether we should then deduce that the historical Jesus was a radical
questioner of Sabbath and other major parts of the Torah is quite another
matter. It may well be that Jesus' attitude to the Sabbath was somewhat
ambiguous, that the tradition was not clear, and the resulting variety in
early Christian responses is in part the result of such unclarity. Further,

65 Q and the History, 415.


66 KLOPPENBORG, Sayings Gospel Q, 332. citing KOSCH, Q und Jesus, 36.
67 See TUCKETT, Temptation Narrative.
68 In Matthew and Luke, the question put to Jesus is a hostile one, unlike the situation in
Mark.

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Q and the Historical Jesus 233

any questioning of Sabbath law by Jesus may have been well within the
parameters of debates at the time about how exactly one should keep
Sabbath and what might constitute an acceptable to reason for doing
"work" on the Sabbath.69
However, it seems unjustified to deduce from Q's apparent silence that
such debates never occurred within Jesus' lifetime. If all the Sabbath de-
bates are reflections of early Christian controversies, and if none goes
back to Jesus, we have to face the problem of explaining why then Sab-
bath controversies dominate (at least parts of) the gospel tradition but are
notable by their (almost total) absence from non-gospel Christian litera-
ture in the first century (e. g. the epistles, the Didache etc.). 70 It seems
much more plausible to argue that Sabbath controversies do go back to
Jesus in some shape or form, that the early Christians reacted differently
to the tradition and that one possibility was to try to sweep the issue un-
der the metaphorical carpet. Q's relative silence (which may not have
been total, cf. Q 14,5) should therefore be interpreted with something of
a critical eye.

A second key issue in study of the historical Jesus, where KLOPPENBORG


claims that the evidence of Q may have a significant contribution, con-
cerns the question of whether Jesus expected an imminent transformation
of the cosmos. The question is of course a very important one in modern
Jesus study with, at one end of the spectrum, scholars like MARCUS BORG
arguing that none of the authentic Jesus tradition implies an imminent
end of the world, with others such as DALE ALLISON arguing for a thor-
oughgoing apocalyptic interpretation of Jesus.71
KLOPPENBORG argues that the evidence of Q what may have an im-
portant contribution to this debate. In particular he argues that "it is im-
possible to deduce from Q a coherent temporal scenario of imminent
cosmic transformation, as can be done in the case of Mark 13". 72 There

" Cf. SANDERS, Jewish Law, 23; also MARGUERAT, Jésus et la loi. Nevertheless, the tra-
dition seems to be better explained if there were apparently critical tendencies in the
tradition from the very beginning. Cf. in more general terms, SCHRÖTER, Erwägun-
gen, 458.
70 There are a few passing references in the Pauline letters, but the pressing issues there
are much more circumcision and food laws.
71 Cf. BORG, Jesus; ALLISON, Jesus of Nazareth.
72 Discursive Practices, 165; Sayings Gospel Q, 341.

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234 Christopher M. Tuckett

are announcements of judgement, 73 some of which may be authentic, but


"most, however, give no indication of how near such a judgment might
be". Thus there is "no temporal horizon for 6,37-38 and 6,47-49. The
first only indicates that judgment will occur, and the second, that non-
adherence to Jesus' words will lead to disaster". Similarly, judgment say-
ings occur in 11,19 and 12,8-9, "indicating that it is certain; but there is
no indication of its imminence". 74 Sayings such as 12,39-40; 17,26-27,
34-35 imply that judgment is "quite unpredictable [ . . . ] Such sayings
seem, if anything, to be formulated against the expectations conjured up
by Mark 13." 75
In fact, KLOPPENBORG argues, "it is only the literary and redactional
juxtaposition of these oracles with the Baptist oracle (Q 3,7-9.16-17) that
confers the impression of imminence at the level of Q redaction". 76 In
addition the imminence of the judgement motif is enhanced in 10,9-15 by
10,12 which links the announcements of the kingdom with the judgement
oracles of 10,13-15, but Q 10,12 is widely accepted as a Q R creation.
Similarly the doom oracle of 11,49-51 gains its note of imminence with
the threat of judgement against "this generation" in v. 51b, but 11,51b is
also widely regarded as a Q R addition to the oracle. "The impression of
imminent catastrophic judgment that it conveys is a function of Q ' s
framing." 77 Sayings such as 12,49 may be a Q R creation; the parable in Q
12,42-46 may be a secondary creation. 78 And the saying 13,28-29 may
imply an element of imminence with its 2nd person plural address, "but
the centre of gravity of this saying is not with the temporal aspect but
rather with the inversion of social roles", 79 contrasting those claiming
privilege on the basis of kinship with outsiders, a theme which is promi-
nent elsewhere in Q ' s rhetoric.
KLOPPENBORG concludes that Q indeed implies an imminent judge-
ment and an imminent intervention by God. But those features are con-
veyed by redactional elements. "It would be most unwise to base a conclu-
sion that Jesus embraced an imminent catastrophic judgment on elements
in Q that are either non-dominical or redactional". 80 In his earlier essay,

73 In S a y i n g s G o s p e l Q , KLOPPENBORG m e n t i o n s Q 1 0 , 1 3 - 1 5 ; 1 1 , 1 9 . 2 4 - 2 6 . 3 1 - 3 2 ; in
Discursive Practices, he adds Q 6,37-38.47-49; 10,12.50.51; 12,8.9.39-40.42-
46.49.58-59.
74 Discursive Practices, 165.
75 Ibid.
76 Sayings Gospel Q , 341; cf. Discursive Practices, 166.
77 Discursive Practices, 168.
78 Sayings Gospel Q , 341; Discursive Practices, 168.
79 Discursive Practices, 169, cf. Saying Gospel Q , 342.
80 Discursive Practices, 169.

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Q and the Historical Jesus 235

KLOPPENBORG is a little more positive. He says that in general terms one


must assume an element of continuity between Jesus and Q and hence
"the gap between Jesus and Q is probably not too great" ("Sayings Gospel
Q " , 343). Thus " Q ' s willingness to use the symbol of God's kingship to
undergird its social practice and its invocation of scenarios of judgment
(to create 'room' for that practice) no doubt suggests that both aspects
had roots in Jesus' discourse" (ibid.). He cites KOESTER to the effect that
a non-eschatological Jesus would make early Christianity, which is so es-
chatologically oriented, a "complete conundrum". 81 Nevertheless, he
claims that "a Schweitzerian Jesus reconstructed in the image of John
makes the restraint of Q (to say nothing of the Gospel of Thomas) a yet
more serious conundrum" (ibid., 343).
There is much here with which I have little quarrel. I would not dis-
pute KLOPPENBORG'S claim that e. g. Q 12,49 and 12,42-46 may not be
dominical.82 So too I agree with KLOPPENBORG (and several others) that
verses like Q 10,12 and 11,51b may well be Q R creations. On the other
hand, we should be clear what we are discussing or might be arguing or
disagreeing about. That the eschatology of Q is rather different in tone
from the eschatology of Mark, and especially of Mk 13, is undisputed and
undeniable. (How far Q ' s eschatology or "apocalyptic" is unusual in re-
lation to a broader spectrum of Jewish "eschatological" or "apocalyptic"
texts is more debatable and may depend on just what one allows as legiti-
mate "apocalyptic" material.) Yet very few today would argue that the
detailed apocalyptic timetable of e. g. Mk 13 is something that can confi-
dently be traced back to the historical Jesus. That chapter is more likely
to reflect the views and concerns of Mark, rather than of Jesus, and in
turn may be concerned as much to dampen down any apocalyptic enthu-
siasm and expectation as it is to encourage such hopes.83
Equally we have to be aware of the limited nature of the evidence we
have. KLOPPENBORG is right to refer to the fact that a number of sayings
in the tradition refer to a future judgement but do not explicitly mention
its imminence. On the other hand, we must ask whether one would ex-
pect to see such explicit references every time! N o speaker, teacher or
preacher spells out all the assumptions, presuppositions and a full state-
ment of their views on each and every occasion: at times some things can
be - and have to be - taken as read. In any case there is a sense in which

81 KOESTER, Historical Jesus, 14.


12 Whether Lk 12,49 is relevant to study of Q is another matter: there is no parallel in
Matthew and hence its presence in Q is uncertain.
83 The interpretation of the chapter is much debated; for the above, see HOOKER, Trial
and Tribulation.

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236 Christopher M. Tuckett

the threats of judgement only have a sense of relevance and urgency if it is


assumed that such judgement is imminent.
We also have to remember that no discourse - by Jesus, Q ' s Jesus, or
Mark's Jesus - takes place in a vacuum. It is certainly the case that the
threats of judgement in Q gain an (increased) note of imminence by being
set in a (literary) context of the Baptist's oracles. Yet any discourse of the
historical Jesus requires a social context to give it meaning. N o w it is
widely accepted that part of the "social", or "religious", background of Je-
sus' ministry is precisely the activity of John the Baptist. The baptism of
Jesus by John is one of the best attested events in Jesus' life;84 and what-
ever the event may have meant for Jesus' inner ruminations, it seems to
imply at the very least an agreement by Jesus with John's message and a
willingness to align himself positively with John's cause.85 Further, it is
(fairly) widely agreed that, of all the elements in the gospel tradition
about John's preaching, it is his eschatological preaching that is most
likely to be authentic. This then suggests that placing Jesus within a
context of John's eschatological preaching is not only a result of Q ' s edi-
torial activity; it is something we can, with a certain amount of confi-
dence, trace back to the historical Jesus himself.86 Q ' s literary activity is
placing the teaching of Jesus in the context of John's preaching may thus
be a reliable reflection of the context in which the teaching of Jesus
should be placed.87
Thus any note of imminence in the Jesus tradition is not necessarily
just a reflection of Q ' s redactional and literary activity. Whether we land
up with a "Schweitzerian" Jesus is another issue which there is no time or
space to discuss here. The nature and the role of eschatology, and of an
imminent futurist eschatology, within the teaching of the historical Jesus,
is obviously a topic which needs considerably more discussion and preci-
sion. Its presence in some shape or form is however certainly attested by
Q ; and even after making full allowance for the redactional and editorial
activity by Q in reworking the Jesus tradition it received, there seems lit—

84 Few have disputed the historicity of the baptism of Jesus, especially in the light of the
evident embarrassment it caused for early Christians.
85 Cf. SANDERS, Jesus, 91-95,152-156; also BECKER, Jesus of Nazareth, 49-53.
86 Unless one postulates a change of mind on the part of Jesus and distinguishes be-
tween an "early Jesus" and a "later Jesus": cf. CROSSAN, Historical Jesus, 237-238.
Such a theory is of course possible, though it opens the floodgates to all kinds of pos-
sibilities and it is then hard to know what kind of controls one could have in assessing
the evidence.
87 For a generally positive view of the authenticity of the sayings about judgement in the
synoptic tradition, see too REISER, Jesus and Judgment.

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Q and the Historical Jesus 237

tie to suggest that, in this respect, Q and Jesus were radically different
from each other.

One may also consider here a slightly more broader issue. The threats of
catastrophic judgement are all part of the " Q 2 " material (for those who
accept the stratigraphical analysis of Q on which the terminology is
based). I have earlier referred to the dangers of separating off the " Q 1 "
material from " Q 2 " and assigning only the former to the historical Jesus,
primarily in terms of methodology: such a procedure may be pressing lit-
erary-critical judgements into a tradition-critical area where they are in
danger of being inappropriate if not irrelevant.
However, in relation to the material itself, other factors may also be
relevant in this discussion. The " Q 2 " material contains much of the
"apocalyptic" and/or "prophetic" material in the tradition, where Jesus is
seen as being more polemical, attacking opponents etc. By contrast the
Jesus of " Q 1 " is more irenic, perhaps the almost playful Cynic-sage of
MACK, the Jewish Cynic peasant of CROSSAN, or the teacher of infinite
forgiveness of ROBINSON. 88
Yet, as I have sought to argue elsewhere, any attempt to reconstruct a
picture of the historical Jesus has to pass a number of critical tests. Of
course any sifting of the individual elements of the tradition has to go
through the process of considering the "criteria for authenticity" such as
dissimilarity, coherence multiple attestation etc. in some shape or form.
But any final result, any picture which claims to re-present the historical
Jesus with any degree of accuracy, has to pass a further acid test in that it
must "cohere" or "fit" with the unquestioned fact that Jesus was cruci-
fied.89 N o one has ever seriously doubted the fact of the cross. Explain-
ing it in any detail is of course notoriously problematic. But at the very
least, this brute fact has to be placed alongside any reconstruction of the
historical Jesus and some attempt made to explain how the latter could
end up crucified. And it may be a difficulty for some "Q'-based" histori-
cal Jesuses that the resulting picture is so ««polemical, and ¿«offensive,
that it becomes all the harder to envisage why such a Jesus aroused such
intense passion and hatred on the part of at least some sections of the
population that he was executed in this way. Unless one goes down the
route of saying that the cross was a complete accident of history, and that

88 Indeed it was precisely this distinction between the more overtly polemical material
and the more irenic appeals to the sensibilities of the audience that functioned as the
criterion for distinguishing strata in Q at all: cf. KLOPPENBORG, Formation, 167, 238,
and the appeals there to "projected/implied audience (s)" as distinguishing the strata.
89 TUCKETT, Sources and Methods, 136.

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238 Christopher M. Tuckett

it bore no relationship at all to Jesus' life and activity,90 then it seems one
needs an element of real polemic and offensiveness in Jesus' teaching to
explain his death (at least in very general terms). A reconstruction of Je-
sus who is too "Q'"-like is thus perhaps historically unpersuasive if only
because alongside any such Jesus one has to put the brute fact of the
cross.

In conclusion, I would propose:


(1) Study of Q and study of the historical Jesus must be recognised
and accepted as separate enterprises.
(2) Earlier traditions which can be identified within Q cannot neces-
sarily be taken as dominical without more ado; conversely, elements
which are added later in the growth of the Q tradition are not necessarily
ipso facto undominical. Equally Q , even "early Q " , does not have a mo-
nopoly of authentic tradition.
(3) The absence of (most) Sabbath stories in Q cannot necessarily be
taken as a reflection of the situation in Jesus' ministry, given Q ' s apparent
concern to tone down potentially "antinomian" tendencies in the tradi-
tion.
(4) The eschatology of Q may be valid reflection of Jesus' own teach-
ing: the literary activity of Q in placing Jesus teaching in a broader con-
text may well show important elements of continuity with Jesus.
(5) Some of the more polemical material in the tradition, placed by
many in a later stage of Q in relation to the development of Q , may be
plausibly traced back to Jesus in general terms if one is to seek to explain
the fact of Jesus' crucifixion.

Bibliography

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A L L I S O N , D . C . : Jesus of Nazareth: Millenarian Prophet, Minneapolis:
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Wilfrid Laurier University, 1997.

90 Such a move is a theoretical possibility - Jesus was executed almost by accident - but
few if any have felt comfortable with such a view.

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Q and the Historical Jesus 239

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Assessing the Historical Value
of the Apocryphal Jesus Traditions

A Critique of Conflicting Methodologies

DAVID E . A U N E

1. Introduction

Two prominent American New Testament scholars, JOHN P. MEIER and


JOHN DOMINIC CROSSAN, have both produced methodologically rigorous
and influential reconstructions of the life and teachings of Jesus. Yet
paradoxically, they take diametrically opposed views of the historical
value of Jesus traditions in the apocryphal gospels. MEIER essentially de-
nies the historical value of any apocryphal Jesus traditions, regarding
them as late, fictional, and dependent on the canonical Gospels, while
CROSSAN elevates many of them to a place of central importance and con-
siders some of them earlier than the canonical Gospels themselves and in-
dependent of them. How is it possible that two such prominent scholars
can hold such contrary views? While the relationship between the Jesus
tradition in the apocryphal gospels (particularly the Gospel of Thomas)
and the canonical Gospels has frequently been discussed in the past, the
antithetical positions of MEIER and CROSSAN on the subject indicate the
presence of deep divisions on the subject within the academy. My pur-
pose in this essay is to discuss the ideological, methodological and inter-
pretive differences between the approaches of MEIER and CROSSAN (and
their intellectual allies), particularly in their treatment of the Gospel of
Thomas, arguably the most important recent textual discovery both for
our knowledge of the transmission of Jesus traditions during the first and
second centuries CE, but also for our knowledge of some of the many
images and interpretations of Jesus which were significant for second
century Christianity.
New Testament scholarship is a complex enterprise driven by a variety
of explicit and implicit ideologies and motivations. All scholarship is pur-
sued within an ideological context, of course, whether the individual
scholar admits it or not and whether she or he is fully aware of it or not.

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244 David E. Aune

O n e of the central issues in assessing the historical value o f apocryphal


Jesus traditions is the soundness of the criteria for assessing the historic-
ity of Jesus traditions which have been formulated, critiqued and refined
during the past half century. 1 B o t h MEIER and CROSSAN have carefully
articulated their historical methodology and it is for this very reason that
their antithetical approach t o the apocryphal Jesus traditions is so striking
and methodologically challenging. The radical difference in their ap-
proach t o the potential value of apocryphal Jesus traditions suggests that
deeply held convictions are at stake for both scholars. In this essay, how-
ever, the focus will be on the explication and critique of the methodologi-
cal stance of each of these influential scholars with regard to the potential
historical value of apocryphal Jesus traditions.

2. Assessing the Methodology of John P. Meier

Three volumes of JOHN MEIER'S massive and erudite reconstruction of


the teachings and deeds of the historical Jesus, A Marginal Jew, have thus
far been published, a total of 2 , 3 0 4 pages of densely argued historical re-
constructions (not counting prefatorial material). 2 In the first volume,

1 MAJELLA FRANZMANN, Jesus in the Nag Hammadi Writings (Edinburgh: T. & T.


Clark, 1996), makes the following claim on p. 21 of her monograph: "The study in the
next chapters will be an attempt to present a description of the Jesus/es one finds in
the texts of Nag Hammadi. I see this as a valid investigation of the historical Jesus
since the texts belong to one strand of the many interpretive traditions about him."
The fact that nowhere in the book does FRANZMANN make use of any criteria for de-
termining historicity suggests that her interest is not in the historical Jesus but in a
study of the early traditions and images about him. She explicitly denies, however,
that these are two different enterprises, since "both the material about the 'real' Jesus
and the early traditions are interpretations" (p. 20). While FRANZMANN knows about
JOHN MEIER'S distinction between the "real Jesus" (unknown and unknowable) and
the "historical Jesus" (recoverable using the modern tools of scientific historical re-
search), she seems to regard the latter (if that indeed is what she means by the "real"
Jesus) as indistinguishable from her own enterprise. While her own enterprise is cer-
tainly valid, her unwillingness to distinguish between the history of faith-images of Je-
sus and the historical reconstruction of the life and teachings of Jesus is simply mud-
dleheaded.
2 JOHN P. MEIER, The Roots of the Problem and the Person, vol. 1 of A Marginal Jew:
Rethinking the Historical Jesus (ABRL; New York: Doubleday, 1991); IDEM, Mentor,
Message and Miracles, vol. 2 oí A Marginal Jew: Rethinking the Historical Jesus (ABRL;
New York: Doubleday, 1994); IDEM, Companions and Competitors, vol. 3 of A Mar-
ginal Jew: Rethinking the Historical Jesus (ABRL; New York: Doubleday, 2001). For a

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 245

MEIER includes a careful discussion of historical criteria for deciding what


comes from Jesus on the basis of greater or lesser probability, 3 and for-
mulates five primary criteria and five secondary (i. e., dubious) criteria.
The five primary criteria including the criteria of (1) embarassment, (2
discontinuity (or dissimilarity), (3) multiple attestation, (4) coherence
and (5) rejection and execution (i. e., ways of explaining the death of Je-
sus). The five secondary criteria include: (1) traces of Aramaic language
and usage, (2) awareness of the Palestinian environment, (3) vividness of
narration, (4) tendencies of the Synoptic tradition, and (5) historical pre-
sumption (i. e., the judgment that it is reasonable that a certain thing hap-
pened). In the three volumes which have thus far appeared, M E I E R uses
essentially an atomistic approach to determine the degree of probable
authenticity which ought to be assigned to each constituent unit of Jesus
traditions arranged in thematically coherent groups, e. g., kingdom say-
ings, miracles. H e avoids the kind of general characterizations of Jesus
and his ministry which have characterized a great deal of recent historical
Jesus research, e. g., Jesus the magician, Jesus the eschatological prophet,
Jesus the Galilean charismatic, and so on.
The first volume of M E I E R ' S work devotes 125 pages to the problem of
sources, the last 44 of which focus on "The Agrapha and the Apocryphal
Gospels." 4 While my main concern is with the Gospel of Thomas and par-
ticularly on the fourteen parables it contains, a few observations on
M E I E R ' S treatment of sources in the canonical New Testament as well as
on his discussion of the possible historical value of the Agrapha and the
Apocryphal Gospels is in order.
Some of the more striking features of M E I E R ' S discussion of the ca-
nonical books of the New Testament include his overly succinct discus-
sion of the Gospels and their sources, whose potential historical value is
assumed rather than addressed. Particularly in the case of Q , Special M
and Special L, a critical review of the scholarship on these reconstructed
sources together with a detailed description of M E I E R ' S own views would
have been appropriate. Readers do not know, for example, if M E I E R re-
gards Special Μ and/or Special L as coherent documents with an ascer-

succinct précis and critique of the first two volumes, see JULIAN V. HILLS, The Jewish
Genius: Jesus according to John Meier, Forum, n. s. 1 (1998), 327-347.
3 MEIER, The Roots of the Problem, 167-195.
4 MEIER, The Roots of the Problem, 41-166 contains four chapters on sources including
the canonical books of the New Testament (41-55), Josephus (56-88), "Other Pagan
and Jewish Writings" (89-111), and finally, the largest section is devoted to "The
Agrapha and the Apocryphal Gospels" (112-166).

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246 David E. Aune

tainable style, structure and vocabulary or not.5 Further, somewhat sur-


prisingly, MEIER does not think it necessary to tackle the complex prob-
lems involved in using the Fourth Gospel as an historical source, and no
mention is made of the Johannine Signs Source despite the fact that it has
been widely discussed in recent scholarship. Also striking is the absence
of any mention of the canonical agraphon preserved in Acts 20:35, a pas-
sage not mentioned in the three volumes of A Marginal Jew which have
thus far appeared.6 MEIER'S general underestimation of the continuing
vitality of oral tradition probably accounts for his failure to deal with the
not unlikely possibility that Patristic quotations of Jesus tradition have
been influenced by oral tradition as well as written texts.7 The continuing
existence of the oral transmission of Jesus traditions and the likelihood
that they continued to influence written texts is indeed a wild card in the
deck which (if admitted into play) would skew the presumption of the
more linear conception of textual transmission and development which
MEIER generally follows.
It is primarily in the chapter on the Agrapha and the Apocryphal Gos-
pels, however, that MEIER appears to have temporarily bracketed the sci-
entific historical method to which he normally adheres with great rigor.
One indication of this is the "nothing new" refrain that punctuates his
discussion of sources. He suggests, for example, that even if all eighteen
of the agrapha examined by JOACHIM JEREMIAS were authentic, "nothing
new is added to our picture" of the historical Jesus. 8 In his earlier discus-
sion of the Testimonium Flavianum of Josephus, M E I E R concluded that, if
it were accepted as historical, "nothing really new or different" is added to
the Gospel portraits of Jesus.' Finally, following a negative evaluation of
the investigation of Jesus traditions in the Apostolic Fathers by several
scholars, MEIER concludes that "even if a good deal of the material inves-
tigated by Hagner and Draper does represent independent variants of the
gospel tradition, nothing substantially new about the historical Jesus is
added to our data base." 10 A variation on this motif is found in a footnote
at the conclusion of his chapter on "The Agrapha and the Apocryphal

5 FRIEDRICH REHKOPF argues this for Special L, in Die lukanische Sonderquelle: Ihr
Umgang und Sprachgebrauch, W U N T 5 (Tübingen: Mohr-Siebeck, 1959).
6 Though the index to vol. 2 lists a reference to Acts 20:35 on p. 238, this apparently an

error; JOHN P. MEIER, Mentor, Message, and Miracles, vol. 2 of A Marginal Jew: Re-
thinking the Historical Jesus (ABRL; New York: Doubleday, 1994), 1092.
7 MEIER, The Roots of the Problem, 160-161, note 114 is an extended critique of KOES-

TER'S work on Jesus traditions in the Apostolic Fathers.


8 MEIER, The Roots of the Problem, 114 (emphasis added).

' MEIER, The Roots of the Problem, 139-140 (emphasis added).


10 MEIER, The Roots of the Problem, 161 (emphasis added).

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 247

Gospels": 1 1 After admitting the theoretical possibility that some individ-


ual, stray saying in Thomas or another apocryphal gospel might actually
come from Jesus, he concludes: "But such an isolated random datum
would make no difference in the overall picture we draw of Jesus." These
four quotes suggest that MEIER has temporarily lost sight of the value of
the criterion of multiple attestation in valuing what is "new" and "differ-
ent" in Jesus traditions. 12
MEIER'S position on the essential unity of first and second generation
Christianity on central issues (in which he rephrases views of RAYMOND
BROWN),13 is a theological argument for restricting his quest for data re-
lating to the historical Jesus within the context of the N e w Testament
canon: 14

"The radical claims usually overlook the fact that, for all the differences and even
conflicts among first-generation Christian leaders, there was a common gospel
message on which all of them agreed (cf. Paul's affirmation of a common procla-
mation by all Christian preachers in 1 C o r 15:11). Unlike the picture painted by
those who want to make some form of gnostic Christianity an equally valid
manifestation of first-generation Christian experience, the mainstream picture of
Christianity presented by documents and traditions that definitely do come from
the first and second generations are different from some of the wilder develop-
ments among certain Christians in the 2d century."

Another claim which bears closer examination is the following: 15

"There was no period when individual bits of tradition about Jesus floated about
in a Church bereft of the larger grid that the life, death, and resurrection of Jesus
provided."

These two quotations nicely illustrate the fact that the "faith-knowledge,"
which MEIER claims to have bracketed in the interest of historical re-

11 MEIER, The R o o t s of the Problem, 166.


12 MEIER, The R o o t s of the Problem, treats the criterion of discontinuity on 171-174 and
the criterion of multiple attestation on 174-175.
13 RAYMOND E . BROWN, The Gospel of Peter and Canonical Gospel Priority, N T S 33
(1987), 321-343. BROWN, however, does not speak of a " c o m m o n gospel message" as
the quote suggests; he does claim that "one may intelligently speak of lines of devel-
opment leading from the early preaching through significant N T attestations to the
sub-apostolic writings and ultimately to the church fathers - and that is what ortho-
doxy means, if, as R. H . Fuller points out, it is seen as a direction rather than as a static
datum."
14 MEIER, The R o o t s of the Problem, 118.
15 MEIER, The Roots of the Problem, 161

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248 David E. Aune

search, 16 is still in play. The term "mainstream" in the first quotation is a


value-laden term which implicitly denigrates lesser tributaries based on
theological rather than historical presuppositions. MEIER opposes those
(e. g., DOMINIC CROSSAN in the context) who hold that "forms of gnostic
Christianity [are] an equally valid manifestation of first-generation
Christian experience." However, for the historian, no form of Christian-
ity can or should be privileged over others, since historical research is in-
terested in historical truth (i. e., what really happened and what was really
said) not in ultimate truth, which is a metaphysical issue. F r o m a strictly
historical perspective, therefore, no form of Christianity is any more
"valid" than any other. The opponents reflected in the letters of Paul, in
the Johannine letters, and in the Apocalypse of John (none of whom ap-
parently count as "first-generation Christian leaders"), did not become
part of "mainstream" Christianity even though from a strictly historical
point of view, their existence was an essential part of the overall identity
of the Jesus movement in the first century. In the second quotation
MEIER argues that in the early period, Jesus traditions were always circu-
lated within "the larger grid that the life, death, and resurrection of Jesus
provided." Surely this too is a generality based, not on historical research,
but rather on "faith-knowledge," i. e., it is what MEIER believes·, not what
he (or anyone else) can demonstrate historically.
More important for the purpose of this essay, however, is MEIER'S as-
sessment of the historical potential of the N a g Hammadi material, and
specifically the Gospel of Thomas. MEIER expresses relief that it is unnec-
essary "to agonize our way through every Christian document in the N a g
Hammadi library to see whether it contains sayings or deeds of Jesus in-
dependent of the Synoptic tradition." 17 We are spared this agony because
MEIER adduces CHRISTOPHER TUCKETT'S judgment that (apart from the
Gospel of Thomas), "there is no evidence for the use of pre-Synoptic
sources (including the Q document) in the Christian N a g Hammadi ma-
terial." 18 TUCKETT does leave the door open for the possible presence of
para-Synoptic traditions in the Apocryphon of James and the Second
Apocalypse of James,™ but MEIER slams it shut before we can even get a

" MEIER, The Roots of the Problem, 30.


17 MEIER, The Roots of the Problem, 124.

18 MEIER, The Roots of the Problem, 124, referring to CHRISTOPHER TUCKETT, Nag

Hammadi and the Gospel Tradition (Edinburgh: T. & T. Clark, 1986) 149.
" TUCKET, N a g Hammadi and the Gospel Tradition, 149, n. 553. TUCKET does not refer
to the study published two years earlier: RON CAMERON, Sayings Traditions in the
Apocryphon of James, HThS 34 (Philadelphia: Fortress, 1984), which discusses Jesus
traditions in some detail.

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 249

peek inside, based on the following judgment:20 "Since both of these


works present discourses of the risen Jesus that have a clearly gnostic col-
oration, I do not think that they have anything to contribute to a quest
for the historical Jesus." This is, of course, a non sequitur, since a "gnostic
coloration" does not in and of itself mean that either these texts or the Je-
sus traditions they contain were composed by "gnostics," only that they
were embellished by "gnostics."
MEIER'S strategy for dealing with the Gospel of Thomas is to categorize
it as "gnostic" by reconstructing the gnostic myth which it supposedly
implies and in light of which it was intended to be read. Labeling Thomas
as "gnostic" is frosting on the cake for MEIER, since his basic rejection of
Thomas as a source for authentic historical Jesus traditions is based on his
conviction that Thomas is completely dependent on the canonical Gos-
pels. He has apparently reconstructed this gnostic myth (which he de-
scribes as a mixture of mysticism, asceticism, pantheism, and polytheism),
based on other gnostic Thomas literature,21 though references are made to
the Gospel of Thomas alone in the notes. For M E I E R , the redactor of the
Thomas has a basically "gnostic " intention, and the following is his re-
construction of the gnostic myth implied in Thomas (emphasis mine: the
italicized portions are not found in Thomas, the underlined portions are
exaggerations of what is found in Thomas, and the bolded portion contra-
dicts what is found in Thomas) :22

"In the gnostic myth implied in the Gospel of Thomas, the individual spirits
originally dwelt in the kingdom of light, the kingdom of the Father, who is the
first principle of 'the All' ( = the spiritual universe of divine beings). By their very
nature, these spirits were all united with and one substance with the divine. Through
some sort of primeval catastrophe, some of the spirits entered into the poverty of
this material world and are imprisoned in the fleshly garments of human bodies
[Log. 29]. This fall and imprisonment have caused them to fall asleep spiritually,
have caused them to forget their true origin in the kingdom of light·, they are like
drunkards and blind men in the realm of darkness [Log 28], The 'living' Jesus
(basically, the timeless, eternal Son, without any true incarnation in matter,
length earthly ministry to the Jewish people in general, real death, or true bodily
resurrection) comes into this world to wake these spirits up, to remind them of
their true origin and destiny, to free them from the illusion that they belong to
this material world of death.

20 MEIER, The Roots of the Problem, 153, n. 67.


21 MEIER, Roots of the Problem, 125: [The gnostic myth is] "implied in many of the
sayings of the Gospel of Thomas, but a myth that can be fully understood only by
looking at other gnostic writings from the "School of St. Thomas," such as the Hymn
of the Pearl.
22 MEIER, R o o t s of the Problem, 1 2 5 - 1 2 6 .

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250 David E. Aune

One in divine substance with those he seeks, Jesus saves them simply by revealing to
them the truth of who they are, i. e., divine beings who belong to another world.
This knowledge, pure and simple, saves these spiritual persons right now. As
soon as they realize who they are, they are immediately free from the 'garments'
of their material bodies, which they can trample underfoot [Log. 37]. Even now
they can find the treasure of true knowledge that means eternal life; even now
they can enter into the 'place' or 'rest' of the Father. Fully integrated with the di-
vine source form which they came, there is no salvation to be awaited in the future;
the Gospel of Thomas thus represents 'realized eschatology' in its most radical
form.
Indeed, it is perhaps more accurate to speak of a return to the primordial paradise
than an anticipation of a future consummation. There is no kingdom to be
awaited from above or in the future; the spiritual kingdom is already within them
and surrounding them, if only they open their inner eyes to see it [Log. 3, 113].
The material world and physical bodies are rejected as evil, and one abstains as far
as possible from things material. Sex is seen as an evil. and the female role in hear-
ing new spirits imprisoned in bodies is especially deprecated [Log. 79, 114], By as-
ceticism the spirits already triumph in principle over the body, which will be to-
tally left behind as physical death. Physical death does not spell destruction for
the initiated who have 'found the interpretation' of Jesus' sayings and who there-
fore do not experience death [Log. 1]. Physical death is simply final release from
the evil material world."

This reconstructed gnostic myth is not without problems. First, the ob-
vious error in this reconstructed myth is the claim that the Living Jesus of
Thomas was "without any true incarnation in matter," a statement contra-
dicted by Logion 2 8 (LAMBDIN): "Jesus said: Ί took my place in the midst
of the world and I appeared to them in flesh [Coptic: hn sarx\," a passage
in which neither "world" nor "flesh" has a pejorative meaning. 23 This pas-
sage is one of those extant in Greek, for P O x y 1 . 1 3 - 1 4 reads: και έν
σαρκΐ ώ φ ϋ η ν αύτοΐς, "and I appeared to them in flesh."24 Second, the
terms "imprisoned" and "imprisonment" are exaggerations, for while
parts of Thomas indeed reflect the Hellenistic view of the dualism of body
and soul in which the body is depreciated (e. g., life in the body is referred
to as dwelling in "poverty," log. 3, 2 9 ) , the relationship between soul and
body is never referred to under the metaphor of imprisonment. Similarly,
MEIER uses the term "evil" in an exaggerated way, for while the term
[i. e., the Greek loanword κακός] occurs six times in Thomas (log. 14, 45

23 RICHARD VALANTASIS, The Gospel of Thomas (London and New York: Routledge,
1997) 102.
24 HAROLD W. ATTRIDGE, The Greek Fragments, in: Nag Hammadi Codex 11,2-7, ed.

BENTLEY LAYTON, NHS 20 (2 vols.; Leiden: Brill, 1989), 1.118-119. Since the noun
and verb in this phrase have their closest parallel in 1 Tim 3:16 (δς εφανερώθη έν
σαρκί) it is not possible to insist on a Docetic meaning of φανερόω.

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 251

[five occurrences]), it is never used of the body or the material world.


Similarly, MEIER'S use of the terms "primeval catastrophe" and "fall" are
also unfortunate, since there are no corresponding expressions found in
the Greek and Coptic texts of Thomas. Third, the portions of MEIER'S
reconstruction which I have italicized above clearly represent an importa-
tion of "gnostic" theology which finds no explicit counterpart in the text
of Thomas. While many of these statements can be read into Thomas,
many of the critical passages can more easily and more readily be con-
strued in other ways.
One important problem with MEIER'S reconstructed "gnostic" myth
remains to be mentioned. The problem of defining "gnosticism" was a
major concern of scholars during the second half of the Twentieth Cen-
tury.25 Emerging from this discussion was the notion that the indispensa-
ble feature of "gnosticism" was anthropological idea of the divided self in
which the essential person was constituted by an inner self thought to
have originated in the divine world correlated with the cosmological no-
tion of a reality divided into a transcendent divine world separated from
the cosmos itself which was created by an inferior ignorant demiurge.26
While the anthropological notion is arguably present in Thomas, the sup-
portive radically dualistic cosmology is conspicuous by its absence. In
fact, while on one hand the cosmos can be regarded as worthy (logia 21,
27, 56, 80, 111), it can also be regarded as created by God (logia 12, 89).
The absence of this dualistic cosmology puts Thomas at a certain distance
on the continuum from such other "gnostic" Nag Hammadi treatises as
the Gospel of Philip and the Apocryphon ofJohn·, in many respects the view

" U G O BIANCHI (ed.), The Origins of Gnosticism: Colloquium of Messina 13-18 April
1966: Texts and Discussions, SHR 12 (Leiden: Brill, 1967; reprinted, 1970), xxvi. The
problematic terms "proto-Gnosticism" and "pre-Gnosticism" are discussed briefly on
pp. xxvii-xxviii. The definitions formulated at Messina, however, were subjected to
harsh criticism by MORTON SMITH, Review of The Origins of Gnosticism, ed. Ugo Bi-
a n c h i , J B L 8 9 ( 1 9 7 0 ) , 8 2 - 8 4 ; KURT RUDOLPH, R a n d e r s c h e i n u n g e n des J u d e n t u m s u n d
das Problem der Entstehung des Gnostizismus, Kairos 9 (1967), 105-122; MORTON
SMITH, The History of the Term Gnostikos, in: The Rediscovery of Gnosticism: Pro-
ceedings of the Conference at Yale, New Haven, Connecticut, March 28-31, 1978,
SHR 41, ed. BENTLEY LAYTON (2 vols.; Leiden: Brill, 1981), 2.796-807; KURT
RUDOLPH, 'Gnosis' and 'Gnosticism' - The Problems of their Definition and their
Relation to the Writings of the New Testament, in: The New Testament and Gnosis:
Essays in Honour of Robert McLachlan Wilson, ed. A. H . B. LOGAN and A. J. M.
WEDDERBURN ( E d i n b u r g h : T . & T . C l a r k , 1 9 8 3 ) , 2 1 - 3 7 .
26 KURT R U D O L P H , ' G n o s i s ' a n d ' G n o s t i c i s m ' , 2 9 - 3 0 ; BIRGER A . PEARSON, " I n t r o d u c -
tion," Gnosticism, Judaism, and Egyptian Christianity, ed. BIRGER A. PEARSON (Min-
neapolis: Fortress, 1990), 7 - 8 .

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252 David E. Aune

of the world reflected in much of Thomas is relatively close to that found


in the Gospel of John. 2 7
Labeling is a wonderfully effective means of effacing the historical par-
ticularities of persons and documents in the interest of eliminating messy
facts that may not easily fit existing categories. The terms "gnostic" and
"gnosticism" are fuzzy categories used to describe the religious ideologies
which characterize such texts as the Gospel of Thomas (or the Odes of
Solomon, or the Fourth Gospel), 28 since they are used in such an elastic
and unhistorical way. GRENFELL and H U N T , in the editio princeps of what
would become known as POxy 654, commented briefly on the suggestion
that Logion 5 was "clearly Gnostic," and anticipated how other scholars
would label other sayings in their newly discovered papyrus fragment:
"And if the other new logia are to be branded as 'Gnostic,' it is difficult to
see what might not be included under that convenient category." 29 Re-
cently, of course, it has become increasing evident that even terms like
"Judaism" and "Christianity" (even when their pluriform character is rec-
ognized through the plural forms "Judaisms" and "Christianities"), are
anachronistic labels not fully appropriate for the first century C E realities
they attempt to describe.30 MICHAEL WILLIAMS has recently argued at
length that the "gnostic" label not only needs rethinking, but also needs
to be recognized for the dubious category it is.31 The abstract term
"Gnosticism," an 18th century neologism, is more problematic than the la-
bels "Judaism" and "Christianity" in the first century C E .
Turning to the debated question of whether sayings of Jesus in the
Gospel of Thomas are dependent or independent of the Synoptic Gospels,
MEIER calls attention to the influential view of HELMUT KOESTER (re-
f l e c t e d i n t h e w o r k o f R O N CAMERON, STEVAN DAVIES, JAMES ROBINSON

27 ANTTI MARJANEN, IS Thomas a Gnostic Gospel?, in: Thomas at the Crossroads:


Essays on the Gospel of Thomas, ed. RISTO URO (Edinburgh: T. & T. Clark, 1998),
107-139.
28 See M I C H A E L A L L E N WILLIAMS, R e t h i n k i n g " G n o s t i c i s m " : A n A r g u m e n t f o r D i s -
mantling a Dubious Category (Princeton: Princeton University, 1996).
29 BERNARD P . G R E N F E L L a n d ARTHUR S. H U N T , Λ Ο Γ Ι Α Ι Η Σ Ο Υ : S a y i n g s o f O u r L o r d
(London: Henry Frowde, 1897), 20.
30 On "Christian," see JOHN H. ELLIOTT, 1 Peter: A New Translation with Introduction
and Commentary (AB 37B; New York: Doubleday, 2000), 789-794 on 1 Pet 2:16a ("if
anyone suffers as a Christian"); JOHN PILCH, Jews and Christians, in: The Cultural
Dictionary of the Bible (Collegeville: Liturgical Press, 1999), 98-104; IDEM, Are there
Jews and Christians in the Bible?, Hervormde Teologiese Studies 53 (1997), 1-7.
31 WILLIAMS, Rethinking "Gnosticism" (see n. 28).

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 253

and D O M I N I C CROSSAN) 32 , that the Gospel of Thomas may have been


written in the latter half of the first century C E and that it shows no de-
pendence on the Synoptic Gospels. M E I E R then musters an imposing
roster of (largely European) scholars representing the contrary view that
Thomas is in fact dependent on the Synoptics, including H. E. W. TUR-
NER, R O B E R T M . G R A N T , JEAN-MARIE SEVRIN, B E R T I L GÄRTNER, K U R T
RUDOLPH and WOLFGANG SCHRÄGE. The rhetorical purpose of orches-
trating this standoff serves as a fanfare for MEIER'S conclusion: "With all
due hesitation, I incline to the view that the Gospel of Thomas is depend-
ent on the Synoptic tradition."33
M E I E R bases this decision on five lengthy arguments,34 each of which I
will paraphrase, then follow with a brief response: (1) MEIER: Virtually
all second-century apocryphal Jesus literature was inspired, in one way or
another, by the powerful impact of the four (eventually canonical) Gos-
pels; if the Gospel of Thomas is judged dependent on the canonical Gos-
pels, it coheres well with the general development of second-century
Christian literature; otherwise, it is anomalous.
Response: M E I E R has in part created the pattern of regular dependence
on the Synoptics and John which he finds in all apocryphal Jesus literature
simply by denying the independent value of any apocryphal text, even
though in particular instances he admits that such explanations are possi-
ble.35 Similarly, he uses TUCKETT'S judgments on the dependence of most
Nag Hammadi sayings of Jesus on canonical tradition when it supports
his own position, but is unwilling to allow TUCKETT'S view that para-
Synoptic traditions in the Apocryphon of James and the Second Apocalypse
of James might be authentic.
(2) MEIER: Since the canonical Gospels both come from oral tradition
and generate oral tradition, it becomes increasingly difficult to identify
sayings of Jesus which might be independent of the Synoptics and John as
the second century progresses. The dependence of Thomas on the Syn-
optics and John can be understood in more than one way, i. e., direct de-
pendence on written texts as well as indirect dependence on institutions

32 HANS-MARTIN SCHENKE refers to "the Koester school of thought," of which he con-


siders himself a member, even though he differs on some basic issues, such as prefer-
ring the date of 140 C E for the composition of Thomas (On the Compositional His-
tory of the Gospel of Thomas, Institute for Antiquity and Christianity, Occasional
Papers, 40 [Claremont: Institute for Antiquity and Christianity, 1998], 5.
33 MEIER, The Roots of the Problem, 130.

34 MEIER, The Roots of the Problem, 130-139.

35 This is a paraphrase of MEIER'S discussion of DODD'S assessment that PEgerton 2 is

independent of the Synoptic tradition (The Roots of the Problem, 119): "I admit that
Dodd's explanation is also possible."

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influenced by them such as preaching, catechesis, citation from memory,


Gospel harmonies and creative reworking (all but Gospel harmonies
qualify as "secondary orality").
Response: Though MEIER thinks it correct that oral tradition "did not
die out the day after a canonical Gospel was published," 3 6 recognition of
this fact plays no subsequent role in his discussion whatsoever. However,
the fact that oral tradition continued to have vitality in the second century
is demonstrated in part by its putative influence on the written Gospels, a
fact demonstrated by the many additions to the hand-copied manuscripts
of the Gospels. 3 7 MEIER is correct, however, in implying that oral tradi-
tion becomes an increasingly less reliable means for transmitting histori-
cally reliable data, though there are many complex factors involved (the
length of the traditions, whether they are transmitted in poetry or prose,
whether they are transmitted by specialists or within families, etc.). 38
Oral traditions can, at any given point, be reduced to writing (a process
called "transcription" rather than "composition"), 3 9 the written versions
can then affect oral versions of the same tradition, and one can never
really know with any assurance the age of the exemplar of a given text
(such as Thomas). Further, this argument does not touch the many say-
ings in Thomas (approximately half) which have no parallels to the ca-
nonical Gospels.
(3) MEIER: The argument that the relative brevity of many sayings in
the Gospel of Thomas compared to their Synoptic counterparts means that
they are earlier and independent, maintains MEIER (correctly), is invalid.
Further, in the interest of gnostic obfuscation, the redactor of the Gospel
of Thomas removed clear and easily comprehensible elements from Syn-

36 MEIER, The R o o t s of the Problem, 131.


37 JOËL DELOBEL, The Sayings of Jesus in the Textual Tradition: Variant Readings in the
Greek Manuscripts of the Gospels, in: Logia: Les Paroles de Jésus - The Sayings of Je-
sus. Mémorial J o s e p h C o p p e n s , ed. JOËL DELOBEL, E T h L 59 (Leuven: Leuven Uni-
versity, 1982), 431-457. Distinguished a rhetorical or oral culture from a scribal cul-
ture, WALTER ONG argues that " O n l y during the last half of the second century did a
scribal culture [ . . . ] begin to dominate the transmission of early Christian literature"
(Interfaces of the Word: Studies in the Evolution of Consciousness and Culture
[Ithaca: Cornell University, 1977], 214).
3 ' ROSALIND THOMAS, Oral Tradition and Written Record in Classical Athens (Cam-
bridge: Cambridge University, 1989), 123-131, suggests that three generations is the
limit for the transmission of reliable information in extended family contexts in an-
cient Athens.
39 E. J. BARKER, HOW Oral is Oral Composition?, in: Signs of Orality: The Oral Tradi-

tion and Its Influence in the Greek and Roman World, ed. E. A . MACKAY, Mnemosyne
Suppl. 188 (Leiden: Brill), 31.

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 255

optic sayings, thus rendering them shorter. Finally, the ahistorical, atem-
poral and amaterial ideology of the redactor motivated him to drop fea-
tures contradicting these conceptions.
Response: While it is true that the shorter version of a text is not in-
variably earlier than a longer version (the contrary view was falsified by
E. P. SANDERS), it is often true that the shorter version can be shown to
be an earlier version. In effect, M E I E R uses generalities, not exegesis, to
argue that the shorter Thomas sayings are later than their longer Synoptic
counterparts because of the compositional tendencies and motivations of
the "gnostic" redactor. If the generality that the shorter text is the earlier
text is invalid, MEIER'S assertion that the "gnostic" redactor shortened
canonical texts is also invalid, unless and until each saying is analyzed in
its own terms to determine its relationship to parallel or partially parallel
texts and not dismissed out of hand as "gnostic."
(4) M E I E R maintains that it is unlikely that the very early source of the
sayings of Jesus upon which the Gospel of Thomas supposedly drew would
have contained the broad spread of sayings from first century Jesus tradi-
tion evident in the Gospel of Thomas, including Q , Special M, Special L,
Matthaean and Lucan redaction, the triple tradition and possibly the Jo-
hannine tradition; rather, it is more likely that Thomas has conflated ma-
terial from Matthew and Mark and possibly from Mark and John as well.40
MEIER points particularly to the special Matthean material ( " M " ) , ob-
serving that "some of the M passages may be Matthew's own redactional
creations."41 He lists several passages in Thomas which are arguably de-
pendent on M, and then concludes:

"In sum, only one of the passages I have listed would have to be Matthew's own
creation or reflect Matthew's redaction to prove beyond a doubt that Thomas
knows and uses Matthew's Gospel to compose his own."

MEIER then argues along the same lines for the dependence of Thomas on
special Lukan material ("L").
Response: First, the notion that Thomas used "a single very early
source" which contained material, now recognized as belonging to Q ,
Special M, Special L, Matthean and Lucan redaction, the triple tradition
and possibly the Johannine tradition, is a supposition not held by Thomas

40 The same objection to the independence of the Thomas traditions is made by KLYNE
R. SNODGRASS, The Gospel of Thomas a Secondary Gospel, SecCent 7 (1989/90),
24-25. Both SNODGRASS and MEIER, incorrectly suppose (I believe) that Thomas ex-
hibits literary dependence on the Fourth Gospel (see below).
41 MEIER, The Roots of the Problem, 135.

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256 David E. Aune

scholars, with the exception of those few who suppose that Thomas was
dependent on Tatian's Syriac Diatessaron. Second, MEIER'S assumption
42

(following R. E. BROWN) that Thomas is dependent on the Fourth Gospel


is unfounded (see below). Third, if Thomas (dated by most scholars no
later than 140 C E ) , exhibits dependence on Q, Special M, Special L, and
the triple tradition, 43 then Thomas is the earliest Christian text to do so,
and is remarkable in that respect. The next author to exhibit a similar
pattern of dependence on the Synoptics is Justin Martyr (died ca. 165
CE) who, similarly, alludes neither to distinctive Markan passages nor the
Fourth Gospel). 44 However, geographical distance is a significant factor:
Justin was active in Rome while Thomas very probably originated in Syria
(or at least in the eastern Empire). Further, while Justin shows no de-
pendence on any non-canonical gospel,45 51 of the 114 logia in Thomas
(45%) have no significant verbal parallels in the Synoptics or John. 4 6
Therefore "the broad spread of sayings" in Thomas is much broader than
MEIER suggests, and is itself an anomaly. Fourth, MEIER'S statement that
"some of the Μ passages may be Matthew's own redactional creations," is
striking because of the phrase "may be" which implies that each case of
possible dependence must be carefully investigated. Further, MEIER'S
view that a single attested instance of the dependence of Thomas on a pas-
sage which is a Matthaean creation or exhibits Matthean redactional fea-
tures proves that Thomas knew and used the Gospel of Matthew is simply
not correct. The complex origins and redactions of Thomas are such that
the dependence of a single logion on the Gospel of Matthew proves only
the dependence of that logion.

42 T. BAARDA, Early Transmission of the Words of Jesus: Thomas, Tatian and the Text of
the New Testament (Amsterdam, 1983) 49; H. J. W. DRIJVERS, Facts and Problems in
Early Syriac-Speaking Christianity, SecCent 2 (1982), 173. This position is critiqued
by W. L. PETERSEN, Tatian's Diatessaron: Its Creation, Dissemination, Significance, &
History of Scholarship (VigChr.S 25; Leiden: Brill, 1994), 298-300. The opposite
view, that the Diatessaron was dependent on Thomas, maintained by JACQUES-É. MÉ-
NARD, L'évangile selon Thomas, N H S 5 (Leiden: Brill, 1975), is extremely unlikely
( W . L . PETERSEN, D i a t e s s a r o n , 2 9 6 - 2 9 7 ) .
43 Dependence on the triple tradition is extremely difficult to prove. I do not think that
there is any clear evidence that Thomas was dependent on Mark.
44 A. J. BELLINZONI, The Sayings of Jesus in the Writings of Justin Martyr, NT.S 17
(Leiden: Brill, 1967), 139-142.
45 BELLINZONI, J u s t i n M a r t y r , 1 3 1 - 1 3 8 .
46 The logia with no verbal parallels to the canonical Gospels are the following: 2, 7, 11,
13, 15, 17, 18, 19, 22, 23, 24, 27, 28, 29, 37, 38, 42, 43, 49, 50, 51, 52, 53, 56, 58, 59, 60,
67, 71, 74, 75, 77, 8k0, 81, 82, 83, 84, 85, 87, 88, 95, 97, 98, 102, 105, 106, 108, 110, 111,
112,114.

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 257

(5) MEIER: Finally, even though Thomas "censors out" elements of


Synoptic redaction, occasionally traces of the order or theological tenden-
cies of the Synoptic Gospels survive.
Response: First of all, the proposal that the general absence of redac-
tional features are the result of a systematic elimination by the redactor of
Thomas, is not impossible, though it is very difficult to imagine. There
are, admittedly, several logia in Thomas which arguably preserve redac-
tional features of Matthew and Luke (though none from John and proba-
bly none from Mark). I will give two examples. One instance is logion
31a (87.5-6) = P O x y 1.30-32: "Jesus said, 'No prophet is acceptable in
his village,'" which is closest to Luke in the triple tradition and John
(Mark 6:4 = Matt 13:57 = Luke 4:24 = John 4:44); according to Luke
4:24: "And he said, 'Truly, I say to you, no prophet is acceptable in his
own country.'" The term δεκτός ("acceptable") is found in Luke 4:24 and
Thomas only, suggesting oral or literary dependence on this saying in
Luke.47 Another example is logion 47a (89.12-17) : "Jesus said, 'It is im-
possible for a man to mount two horses and to stretch two bows, and it is
impossible for a servant [hmhal] to serve two masters, otherwise he will
honour the one and offend the other."' While the last part of this quota-
tion has a close parallel in the double tradition (Luke 16:13 = Matt 6:24),
only Luke has οΐκέτης ("servant"), a redactional feature,48 which corre-
sponds to hmhal ("servant") in Thomas.
Second, by "order [ . . . ] of the Synoptic Gospels," MEIER is referring to
the microstructure of individual pericopes, not the macrostructure of the
Gospels themselves. As the examples in the preceding paragraph indicate,
I am not reluctant to admit that Thomas sometimes preserves redactional
features of the Synoptic Gospels, whether through oral or written de-
pendence (or some combination of the two). One of the examples which
MEIER adduces for demonstrating the dependence of Thomas on the or-
der of Synoptic pericopes is Luke 10:8-9, which he thinks can be glimpsed
in logion 14: "When you go into any land and walk about in the districts,
if they receive you, eat what they will set before you, and heal the sick
among them." MEIER is correct this portion of a rather compositionally
complex logion reflects dependence on Luke,49 because the phrase in Luke

47 JOSEPH FITZMYER, The Gospel According to Luke, A B 28, 28A (2 vols.; Garden City:
Doubleday, 1981-1985), 1.527-528.
48 JOACHIM JEREMIAS, Die Sprache des Lukasevangeliums: Redaktion und Tradition im

Nicht-Markusstoff des dritten Evangeliums, KEK Sonderband (Göttingen: Vanden-


hoeck & Ruprecht, 1980), 258.
49 JENS SCHRÖTER, Erinnerung an Jesu Worte: Studien zur Rezeption der Logienüberlie-

ferung in Markus, Q und Thomas, W M A N T 76 (Neukirchen: Neukirchener Verlag,

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258 David E. Aune

10:8b, "eat what is set before you," is probably, though not certainly, a
redactional addition to Q. 50
There is at least one memorable line in a satirical western movie "The
Life and Times of Judge Roy Bean" (1972): "Can we hang him now,
Judge, or do we need to hold a trial first?" The outcome of MEIER'S dis-
cussion of the Gospel of Thomas is about as unexpected as the results of
that fictional trial:51

"Since I think that the Synoptic-like sayings of the Gospel of Thomas are in fact
dependent on the Synoptic Gospels and that the other sayings stem from 2d-
century Christian gnosticism, the Gospel of Thomas will not be used in our quest
as an independent source for the historical Jesus."

Nevertheless, since MEIER recognizes that all scholars do not agree with
his assessment, he promises that throughout his project, he will keep an
eye on the sayings in Thomas throughout his project as a check and con-
trol on his own interpretation of the data in the canonical Gospels. He
does follow through on this promise occasionally, as a few entries in the
index under "Gospel of Thomas" indicate, though never with the rigor
that one might wish. One of the consequences of MEIER'S wholesale re-
jection of Thomas - and one of which he is fully aware - is the problem
that few parables in the Jesus tradition exist in more than one independ-
ently attested version, so that the criterion of multiple attestation cannot
be used.52

3. The Methodology of John Dominic Crossan

J O H N D O M I N I C CROSSAN is a p r o l i f i c a n d e l o q u e n t s c h o l a r w h o h a s p r o -
duced twenty books, sixteen on aspects of the life and teachings of Jesus
and related sources. His 1991 book The Historical Jesus is at once the best
known, most exciting, and yet most controversial of his books. 53 Unlike

1997), 2 3 2 - 2 3 3 ; RISTO URO, Thomas and the Oral Gospel Tradition, in: Thomas at the
Crossroads: Essays on the Gospel of Thomas, ed. RISTO URO (Edinburgh: T. & T.
Clark, 1998), 2 6 - 3 1 .
50 JAMES M . ROBINSON, P A U L HOFFMANN a n d JOHN S. KLOPPENBORG, T h e Critical
Edition of Q (Minneapolis: Fortress; Leuven: Peeters, 2000), 170-171.
51 MEIER, The Roots of the Problem, 139.
52 MEIER, Mentor, Message, and Miracles, 290.
53 JOHN DOMINIC CROSSAN, The Historical Jesus: The Life of a Mediterranean Jewish
Peasant (San Francisco: HarperSanFrancisco, 1991).

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 259

MEIER, CROSSAN is concerned to present an overall conception of Jesus


which makes sense of the many individual complexes of Jesus tradition.
For CROSSAN, Jesus was a peasant Jewish Cynic, part of an inclusive form
of Judaism, who announced the "brokerless kingdom of God," i. e., there
should be no mediator between people and God or even between individ-
ual people themselves. The macrocosmic and microcosmic emphases of
his work become obvious in a succinct eight-page discussion of his
method, really a conceptual model, which he refers to as a "triple triadic
process:" 54

"The first triad involves the reciprocal interplay of a macrocosmic level using
cross-cultural and cross-temporal social anthropology, a mesocosmic level using
Hellenistic or Greco-Roman history, and a microcosmic level using the literature
of specific sayings and doings, stories and anecdotes, confessions and interpreta-
tions concerning Jesus. All three levels, anthropological, historical and literary,
must cooperate fully and equally for an effective synthesis."

In the first level, CROSSAN makes heuristic use of a spectrum of anthro-


pological models and typologies (e. g., honor and shame; patron-client
relations). In the second level, he uses historical studies which illuminate
various religious and cultural practices and ideologies which provide a
context for the Jesus tradition. In the third level, he argues that the Jesus
tradition (which consists both of intracanonical and extracanonical Jesus
traditions), has three major layers, consciously avoiding what he considers
the pejorative language of "authentic" and "inauthentic": (1) Retention·.
the essential core of the words and deeds of Jesus, (2) Development: ap-
plying these data to new situations and problems, and (3) Creation: the
composition of new sayings and stories and the development of larger
complexes which thereby changed the contents.
The second triad focuses on the problems presented by the Jesus
tradition itself, and consists of three steps: (1) Inventory: a declaration of
all the major sources and texts, both intracanonical and extracanonical,
which will be used (there are 522 complexes in that inventory). 55 (2)
Stratification: the placement of the inventoried sources in chronological
order in four major groups: (a) 30-60 CE, (b) 60-80 CE, (c) 80-120 CE,
(d) 120-150 CE. (3) Attestation: a presentation of the stratified inventory
of sources in terms of multiplicity of independent attestation, the number

54 CROSSAN, Historical Jesus, xxviii-xxix.


55 CROSSAN, Historical Jesus, 427-450: "Appendix 1: An Inventory of the Jesus Tradi-
tion by Chronological Stratification and Independent Attestation."

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260 David E. Aune

of times a given tradition appears in sources literarily independent of each


other.
The third triad centers on the methodological manipulation of the in-
ventory which has been arranged chronologically and numbered attestion:
(1) Sequence of strata·, the focus is on the first stratum (chronologically
closest to the historical Jesus and the stratum with which C R O S S A N is
most concerned in this book), then the next strata in order, though "a
unit from the fourth stratum could be more original than one from the
first stratum." 56 (2) Hierarchy of attestation·, the emphasis on the first
stratum (where everything is considered original until argued otherwise)
is qualified by an emphasis on those complexes with the highest count
of independent attestation, for "at least two independent sources from
the primary stratum cannot have been created by either of them." 57
(3) Bracketing of singularity: the complete avoidance of units in the first
stratum which are singly attested.
Since C R O S S A N ' S inventory of 5 2 2 complexes of sources for Jesus tra-
dition is only a list of passages, it presupposes arguments for chronologi-
cal arrangement which the author does not make explicit in this book,
though he has argued for many of these conclusions in earlier studies,58
and also cites modern scholars in support of his views. Since C R O S S A N
places most emphasis on the first stratum (30-60 CE), I will list the thir-
teen sources he places in this chronological category, followed by the
eight sources in his second stratum (byway of contrast): 59

First Stratum (30-60 CE)


1. 1 Thessalonians (50 CE)
2. Galatians (52-53 CE)
3. 1 Corinthians (53-54 CE)
4. Romans (55-56 CE)
5. Gospel of Thomas I (a second stratum, Gospel of Thomas II is assigned to
60-80 CE)
6. Egerton Gospel (PEgerton 2; PKöln 255) 60

56 CROSSAN, Historical Jesus, xxxii.


57 CROSSAN, Historical Jesus, xxxii-xxxiii.
58 JOHN DOMINIC CROSSAN, Four Other Gospels: Shadows on the Contours of the

Canon (Minneapolis: Winston, 1985; IDEM, The Cross that Spoke: The Origins of the
Passion Narrative (San Francisco: Harper & Row, 1988).
59 CROSSAN, Historical Jesus, 4 2 7 - 4 3 0 .
60 While these three papyrus fragments were dated ca. 150 C E (H. I. BELL and T. C.
SKEAT, Fragments of an Unknown Gospel [London: Trustees of the British Museum,
1935], this date has been advanced to ca. 200 C E by E. G. TURNER, Greek Manuscripts
of the Ancient World (Oxford: Clarendon, 1971), 13. It has been argued by some that
this fragmentary work is earlier than both John and the Synoptics (the view of CROS-

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 261

7. Papyrus Vindobonensis Greek 2325


8. Papyrus Oxyrhynchus 1224
9. Gospel of the Hebrews, known only from seven patristic quotations (50's C E )
10. Sayings Gospel Q (50's C E )
11. Miracles Collection, now embedded in Mark and J o h n (50's C E )
12. Apocalyptic Scenario, now embedded in Didache 16 and Matthew 24
13. Cross Gospel, now embedded in the Gospel of Peter (50's C E )

Second Stratum (60-80 CE)


1. Gospel of the Egyptians, known only from six patristic citations (by the 60's
CE)
2. Secret Gospel of Mark, the first version of the Gospel of Mark (early 70's C E )
3. Gospel of Mark, the second version (end of the 70's C E )
4. Papyrus Oxyrhynchus 840 (formally more developed than debates in the
Egerton Gospel or Mark 7, so may be dated around the 80's)
5. Gospel of Thomas II
6. Dialogue Collection, now embedded in the Dialogue of the Savior, clearly dis-
tinguishable in Dial. Sav. 124.23-127.18; 131.19-132.15; 137.3-147.22 (shows a
more developed dialogue format than in the Gospel of Thomas or in the Say-
ings Gospel Q .
7. Signs Gospel of Book of Signs, now embedded within the Gospel of John
8. Colossians

T h e c o n c e p t u a l i z a t i o n o f C R O S S A N ' S m e t h o d o l o g y in t h r e e interlocking
triads is d o u b t l e s s o n e o f t h e m o s t c o m p l e x a n d e l e g a n t a t t e m p t s o f a n y
historical Jesus scholar t o articulate historical m e t h o d o l o g y . A t the same
t i m e it is s t r i k i n g h o w f r e q u e n t l y C R O S S A N ' S m e t h o d o l o g y is p a s s e d o v e r
in s i l e n c e in d i s c u s s i o n s o f c r i t e r i a u s e d t o r e c o n s t r u c t t h e w o r d s and
deeds o f Jesus.61 T h e f i r s t t r i a d , w i t h its e m p h a s i s f i r s t o n c r o s s - c u l t u r a l

SAN), while others regard it as dependent on them (JOACHIM JEREMIAS and WILHELM
SCHNEEMELCHER in N e w T e s t a m e n t A p o c r y p h a , ed. W I L H E L M SCHNEEMELCHER [rev.
ed.; 2 vols.; Louisville: Westminster John Knox, 1991], 1.96-98).
" Two recent books on the criteria for historical Jesus research virtually ignore the
method articulated by CROSSAN: BRUCE CHILTON and CRAIG A. EVANS (eds.),
Authenticating the Words of Jesus, N T T S 28,1 (Leiden: Brill, 1999), and STANLEY E.
PORTER, The Criteria for Authenticity in Historical-Jesus Research: Previous Discus-
sion and N e w Proposals, J S N T . S 191 (Sheffield: Sheffield Academic Press, 2000).
Porter claims that recent historical Jesus research is dominated by three scholars, E. P.
SANDERS, J O H N P . M E I E R a n d T O M W R I G H T . T h e o m i s s i o n o f CROSSAN'S n a m e is
striking, and the excuse given is that CROSSAN is a member of the Jesus Seminar which
the author does not want to discuss in this volume. This is an astonishing omission,
given the independence and creativity of CROSSAN'S work. N o t e the very positive as-
sessment of CROSSAN'S book in N . T . WRIGHT, Jesus and the Victory of God (Min-
neapolis: Fortress, 1996), 44. The one book on criteria for historical Jesus research
w h i c h d o e s t r e a t CROSSAN'S m e t h o d is G E R D THEISSEN a n d DAGMAR W I N T E R , D i e
Kriterienfrage in der Jesusforschung: Vom Differenzkriterium zum Plausibili-

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262 David E. Aune

and cross-temporal social anthropology, and secondly on Hellenistic and


Roman history, constitutes an implicit Plausibilitätskriterium ("criterion
of [historical] plausibility"), a method which has much in common with
M E I E R ' S "criterion of Palestinian environment" (one of the criteria he la-
bels as dubious), 62 and with T O M H O L M E N ' S recent arguments for reject-
ing "double dissimilarity" (a Jesus tradition may be authentic which does
not derive from first century Judaism or Christianity), in favor of dis-
similarity with early Christianity only.63 Indeed, one of the basic features
of the so-called Third Quest is the interpretation of Jesus within his Jew-
ish context. 64 The third part of the first triad is the inclusion of all rele-
vant Jesus traditions, whether intracanonical or extracanonical. This is
surely a reasonable historical approach to the evidence.
The second triad consists of inventory, stratification and attestation.
C R O S S A N ' S inventory of 51 major sources texts listed in four chronologi-
cal categories is a forthright way of presenting his conception of the gen-
eral character of the evidence, as is the further elaboration of 522 com-
plexes of Jesus tradition similarly arranged in four chronological strata,
and within each stratum in terms of the number of times each independ-
ent complex of Jesus tradition occurs. C R O S S A N further places a + before
complexes of tradition which in his view are originally from Jesus, a -
before complexes of tradition which are not, and an equivocal + / - before
those which cannot be decided. He categorizes each of the 522 com-
plexes of tradition using this system; it is only in the fourth stratum that
not a single one of the 34 complexes of tradition included in the inventory
is judged not to originate with Jesus. The third triad consists primarily of
value judgments added to the second triad by emphasizing the primary
evidential value of the first stratum of evidence (30-60 CE), by valuing
complexes with the highest count of independent attestation, and by the
bracketing out of Jesus traditions attested only once.
The cornerstone of C R O S S A N ' S project is his assignment of texts and
sources to the four chronological strata and his emphasis on the historical

tätskriterium, N T O A 34 (Freiburg: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck &


Ruprecht, 1997).
62 MEIER, R o o t s of the Problem, 180.

A TOM HOLMÉN, D o u b t s about Double Dissimilarity: Restructuring the Main Criterion

of J e s u s - o f - H i s t o r y Research, in: Authenticating the Words of Jesus, ed. BRUCE


CHILTON and CRAIG A. EVANS, N T T S 28,1 (Leiden: Brill, 1999), and more recently in:
Jesus and Jewish Covenant Thinking, BIS 55 (Leiden: Brill, 2001), 28-29. HOLMÉN
expresses dependent on BEN F. MEYER, The Aims of Jesus (London: S C M Press,
1979) 86.
44 BEN WITHERINGTON III, T h e Jesus Q u e s t : The Third Search for the J e w of Nazareth

(2ntl ed.; Downers Grove: InterVarsity, 1997) 14-41.

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Assessing the Historical Value o f the Apocryphal Jesus Traditions 263

value of multiple attestations of independent sources in the first stratum.


A complex of Jesus traditions belongs to the first stratum if an item oc-
curs in just one source or text in the first stratum. These basic moves,
however, are problematic for several reasons. First, given the inability of
New Testament scholars to date many early Christian texts with any pre-
cision (the leeway in dating is often several decades), the overly-precise
chronological time slots proposed by C R O S S A N (30-60, 60-80, 80-120,
120-150) are inappropriately specific. Second, the time slots are arbitrary,
which makes the evidentiary value of texts and sources placed in the
"first" stratum problematic. Why, for example, should the first stratum
end ca. 60 CE, rather than 50, 55, 65 or 70? This is a critical issue, since
texts and sources from the first stratum are regarded as qualitatively supe-
rior to those in the second stratum (not to mention the third and fourth
strata). Moreover, why should the second stratum begin in 60 C E (rather
than a decade earlier or later) and conclude with 80 C E (rather than a dec-
ade earlier or later) ? Third, the notion of "independent" sources, critical
for the validity of the criterion of multiple attestation, oversimplifies the
complex relationship between oral and written tradition, which must al-
low for various types of interaction between them during the first and
second centuries CE. For CROSSAN, multiple attestation is a black and
white issue; complexes of Jesus tradition are either "independent" or "de-
pendent," with no allowance for the observable phenomenon of the influ-
ence of oral tradition on written texts as well as the influence of written
texts on oral tradition ("secondary orality").
Perhaps the single most striking feature of C R O S S A N ' S methodology
which distinguishes it from that of almost all other historical Jesus schol-
arship is his complete disinterest in the criterion of dissimilarity.'5 In an
article which appeared in 1988, C R O S S A N comments directly on the crite-
rion of dissimilarity, after quoting B U L T M A N N and K Ä S E M A N N on the
subject: 66 "I do not really disagree with that principle in theory but have
some doubts about it in practice." These doubts are based on a frank rec-
ognition of the complex and variegated character as well as the plurality of
the early Judaisms and early Christianities of the first and second centu-

"THEISSEN and WINTER, Die Kriterienfrage in der Jesusforschung, 154: " F ü r unsere
Kriterienfrage ist wichtig, daß Crossan dezidiert auf das Differenzkriterium in allen
seinen F o r m e n als Mittel zur Rekonstruktion authentischer Jesusüberlieferung ver-
zichtet."
" J O H N DOMINIC CROSSAN, Divine Immediacy and H u m a n Immediacy: Towards a N e w
First Principle in Historical Jesus Research, Semeia 4 4 ( 1 9 8 8 ) , 123.

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264 David E. Aune

ries CE. 67 Elsewhere he has formulated what he has designated the "crite-
rion of adequacy" as an alternative first principle to the criterion of dis-
similarity: "that is original which best explains the multiplicity engen-
dered in the tradition."68 Further, the extensive application of this crite-
rion of adequacy is evident in C R O S S A N ' S earlier detailed transmission
analysis of 133 aphorisms attributed to Jesus in both the intracanonical
and extracanonical texts.69 While C R O S S A N makes no mention of the cri-
terion of adequacy in the introduction methodological discussion in The
Historical Jesus, it is clearly the driving conviction behind his emphases on
the multiplicity of independent attestation and the chronological stratifi-
cation of the individual complexes of Jesus tradition. Conclusions based
on these multiply attested complexes in the first stratum become the
"bedrock" for the analysis of later strata and single attestations.70
In The Historical Jesus, the methodological process which C R O S S A N
has used to date sources and texts in the first stratum is not (with some
minor exceptions) made explicit, nor is the methodological process where
by he judges that the 522 complexes of Jesus tradition (186 of which are
located in the first stratum) originated with Jesus, did not originate with
Jesus, or cannot be decided. Occasionally, C R O S S A N does make such
judgments explicit. The Gospel of the Egyptians, he observes, has a dia-
logue format more developed than that in the Gospel of Thomas.71 POxy
840, which belongs to the second stratum, is placed there because it "is
formally more developed than the debates in the Egerton Gospel or Mark
7, so it may be dated tentatively around the eighties (if so, it does not be-
long in the second stratum, 60-80 CE, where he has assigned it, but rather
in the third, 80-120). 7 2 Such arguments, which presuppose that composi-
tional complexity can be correlated with chronological development, have
little credibility since the work of E. P. SANDERS on the "tendencies" of
the Synoptic tradition.73

67 1 am responsible for the pluralization of "Judaism" and "Christianity" in the above


statement, but I think that CROSSAN would agree with the implications of those plural
forms.
68 CROSSAN, Divine Immediacy and Human Immediacy, 125.

" J O H N DOMINIC CROSSAN, In Fragments: The Aphorisms of Jesus (San Francisco:


Harper & Row, 1983).
70 CROSSAN, Historical Jesus, 410.

71 CROSSAN, The Historical Jesus, 429.

72 CROSSAN, T h e Historical Jesus, 430.

73 ED P. SANDERS, The Tendencies of the Synoptic Tradition, SNTSMS 9 (Cambridge:

Cambridge University, 1969). Among other things, SANDERS argues that the generali-
zation that Matthew abbreviates Mark is invalid.

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 265

CROSSAN'S inventory of sources and texts found in the first and second
strata are of particular interest. O f the thirteen sources placed in the first
stratum (30-60 CE), four are complete early Christian texts (1 Thessa-
lonians, Galatians, 1 Corinthians, and Romans), five are reconstructed
sources (Gospel of Thomas I, Sayings Gospel Q, Miracles Collection [em-
bedded in Mark and John], Apocalyptic Scenario [embedded in Did 16
and Matt 24], and the Cross Gospel [embedded] in the Gospel of Peter),
three are papyrus fragments of otherwise unknown gospels (Egerton
Gospel,74 Papyrus Vindobonensis Greek 2325, Papyrus Oxyrhynchus
1224), and the Gospel of Hebrews, known only from seven patristic cita-
tions. O f the eight sources assigned to the second stratum (60-80 CE),
two are complete early Christian texts (Mark, Colossians), several are re-
constructed sources (Gospel of Thomas II, Dialogue Collection, Signs
Gospel), and three are fragments (Gospel of the Egyptians [known only
from six patristic quotations], Secret Gospel of Mark, Papyrus Oxyrhyn-
chus 840).
In the case of the Egerton Gospel, CROSSAN has argued elsewhere that
this fragmentary gospel is earlier than Mark.75 However, his reasoning for
this view is peculiar. Rather than observe, as others have, that PEger 2,
frag. 2, lines 43-59 clearly reflects a knowledge of all three Synoptic Gos-
pels: (1) Lines 43-50 reflect Mark 12:14-15 (the double question is found
only here), (2) Lines 50-53 betray a knowledge of the saying found only
in Luke 6:46 ("Why do you call me 'Lord, Lord,' and do not do what I tell
you?"), and (3) Lines 54-59 reflects Matt 15:7-8 (similar to Mark 7:6-7,
though this includes the term "hypocrites" which is not found in PEger).
CROSSAN is impressed with the compositional structure of PEger 2, fr. 2,
lines 53-59, and for that reason gives it priority.76 However, there is no
inherent reason why the author-editor of the Egerton Gospel could not
have created a coherent pericope out of materials found in the Synoptics
and John.

74 JOHN DOMINIC CROSSAN, Four Other Gospels: Shadows on the Contours of the
Canon (Minneapolis: Winston, 1985), 65-75.
75 CROSSAN, Four Other Gospels, 86.

76 CROSSAN, Four Other Gospels, 78-86. KOESTER regards as implausible either that the

Egerton Gospel (with specific reference to the Paying Taxes to Kings pericope) is an
independent older tradition or that it is an apophthegma pieced together from sen-
tences from three different gospels, but rather is drawn from oral tradition not from
existing gospels (Ancient Christian Gospels [Philadelphia: Trinity Press International,
1990], 213-215. The second "implausible" alternative could be based on memory, sug-
gests KOESTER, but he asks whether this memory was based on written or oral gos-
pels? He prefers the second alternative, but the first is just as viable.

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266 David E. Aune

CROSSAN'S extensive utilization of the Gospel of Thomas is a distinctive


feature of his historical Jesus enterprise, fueled by the conviction that
"The collection [of sayings of Jesus in Thomas] is independent of the in-
tracanonical gospels." 77 One difficulty is that CROSSAN nowhere explains
just what he means by Gospel of Thomas I and II, except for the general
observation that one layer of Thomas was composed by the 50's CE, and a
second layer was added as early as the 60's or 70's under the aegis of the
"Thomas authority." 78 A survey of the 186 complexes of Jesus tradition
included in CROSSAN'S First Stratum (the most historically important),
reveals that of the 114 logia found in Thomas, no less than 66 are listed (in
whole or in part) as evidence for this earliest period (30-60 CE), under
the categories of multiple, triple and double independent attestation. N o
Thomas logia are listed among the 54 complexes of Jesus tradition which
have only single attestation.
At this point, before getting into more detail about the qualitative and
quantitative reasons why CROSSAN used the Thomas logia in his data base,
a brief explanation of the arrangement of Thomas is necessary. The con-
ventional division of Thomas into 114 logia is not completely satisfactory,
since many individual logia contain two, three, or even four units which
can reasonably be considered separable. There is, however, no standard
way of referring to these units. Thus when CROSSAN refers to Thomas
38:2 or 79:3, it is not always clear which precise part of each logion he has
in mind. If the components of each logion are listed separately, there are
at least 144 separate sayings of Jesus are found in Thomas (by my reck-
oning), the total number of saying-units that CROSSAN uses will exceed
by thirty the 114 conventional logia-division of Thomas.
Returning to the 66 logia which CROSSAN lists as primary evidence for
the First Stratum, it so happens that all but one79 of these 66 logia have
relatively close parallels in the Synoptics and John. This is striking when
one realizes that all or part of 64 logia in Thomas (56.14%), have no par-
allel in the Synoptics or John (using the more detailed breakdown of 144
sayings, 70 or 46.97%, have no parallel in the Synoptics or John). Where,

77 CROSSAN, The Historical Jesus, 427, referring there to the work of STEVAN L. DAVIES,
The Gospel of Thomas and Christian Wisdom (New York: Seabury, 1983), to his own
book Four Other Gospels, and especially to the dissertation of Stephan Patterson,
subsequently published as The Gospel of Thomas and Jesus (Sonoma: Polebridge,
1993).
7" CROSSAN, The Historical Jesus, 427.
7' CROSSAN, The Historical Jesus, 437, no. 37: Thomas 57, which is listed with Dial. Sav.
49-52; Dial. Sav. 84—85 (neither of which are convincing oral or literary parallels), and
Gos. Eg. 5a.

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 267

if at all, does CROSSAN use these logia which have no apparently relation-
ship to Synoptic or Johannine tradition? The answer is that 32 of the re-
maining logia are assigned to the Second Stratum (60-80 CE); nearly all
of these being logia which have no significant parallels in the Synoptics
and John. 80
This is all quite remarkable, for it means that CROSSAN'S early stratum
of Thomas (30-60 CE) consists almost exclusively of logia with canonical
parallels, while his later stratum (60-80 CE) consists almost exclusively of
logia which have no canonical parallels. CROSSAN makes no mention of
this approach to stratifying Thomas in his earlier discussion Four Other
Gospels, nor is such a stratification scheme found in any other discussion
of the composition and redaction of Thomas in Thomas scholarship (so
far as I am aware).81 Such a stratification hypothesis certainly needs
careful and convincing argumentational support before it can be used as a
tool for historical research.
A second problem, not unrelated to CROSSAN'S arbitrary stratification
proposal, is his uniform dating of virtually all Thomas logia with Synoptic
or Johannine parallels to 30-60 CE, his First Stratum. Like most other
aspects of Thomas research, of course, there is widespread disagreement
about the date when the work was composed, though it is unnecessary to
parade the various proposals before the reader. Suffice it to say that when
any scholar departs significantly from the date of composition of Thomas
which is most widely held in the academy, namely ca. 140 CE, significant
arguments need to be adduced in support of that position. In an earlier
discussion of the logia of Thomas, CROSSAN concluded that "the tradition
in Thomas is independent of the intracanonical gospels but, of course, this
working hypothesis will have to be tested in every single case to be con-
sidered."82 Well and good. However, by assigning nearly all of the Tho-
mas logia which have Synoptic or Johannine parallels (arbitrarily) to the
First Stratum, this aspect of his data base of complexes of Jesus tradition
becomes extremely tenuous. It is essentially an unlikely hypothesis which

80 The vast major of the Thomas logia assigned to the second stratum have only a single
attestation (though eight of these are judged by CROSSAN to be authentic: 25, 42, 47a,
58, 77b, 97, 98, 110), while the four listed under double attestation have only noncan-
onical parallels: # 2 0 6 : Knowing Yourself (Thomas 3:2; Dial. Sav. 3 0 ) , # 2 0 8 : Life and
Death (Thomas l l : l - 2 a ; 111:1; Dial. Sav. 5 6 - 5 7 ) , # 209: The Bridal Chamber (Thomas
75; Dial. Sav. 50b); see CROSSAN, The Historical Jesus, 444.
81 See, for example, HANS-MARTIN SCHENKE, O n the Compositional History of the
Gospel of Thomas, The Institute for Antiquity and Christianity Occasional Papers, 40
(Claremont: Institute for Antiquity and Christianity, 1998).
82 CROSSAN, F o u r O t h e r Gospels, 37.

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268 David E. Aune

is then linked to other hypotheses of varying degrees of probability,


making the whole project methodologically fragile.
A third problem with CROSSAN'S insistence on including most of the
Thomas logia with canonical parallels in his First Stratum, is that in many
instances clusters of Jesus tradition in that stratum consist primarily of
material which belongs chronologically in the periods 60-80 C E and
80-120 C E (i. e., the Second and Third Strata), but which have a foot in
the door of the First Stratum only because the Thomas logion which is
part of that Jesus tradition cluster is assigned to the First Stratum. Of the
131 complexes of Jesus tradition in the First Stratum which are indepen-
dently attested two or more times, 30 are only in that stratum because of
the Thomas logion with which they are closely parallel (of these 30, 19 are
judged to come originally from Jesus, 8 of which are parables). If the
Thomas I material which CROSSAN assigns to the 30-60 C E slot were
shifted to the 60-80 C E slot (a period earlier than most Thomas scholars
would accept), 30 complexes of Jesus tradition would have to be shifted
into the Second Stratum, thus (methodologically, at least) radically alter-
ing the corpus of material which could be considered as originating with
Jesus.
A fourth, and more general issue, has to do with the importance which
reconstructed or hypothetical texts have for CROSSAN'S enterprise. While
Q is the most widely accepted of the hypothetical sources which CROS-
SAN accepts, the stratification of Q which he accepts ( Q l , Q 2 and Q 3 ) , is
one of many recent proposals and is problematic for CROSSAN'S enter-
prise primarily because it is not defined more closely. The real problem
lies, not in the viability of a different reconstruction of the composition
and redaction of Q , but to the problem of dating. While KLOPPENBORG
VERBIN thinks that dating Q in the 50's or 60's is possible, he (and a
number of others) think that the bulk of Q was redacted before the 66-70
C E revolt, but that it was given final form after 70 CE. 83 Dating Q in the
60's and 70's, of course, would exclude Q from CROSSAN'S First Stratum
(30-60 CE), pushing it into the Second (60-80 CE), thus radically
changing the configuration of Jesus material which could quality as origi-
nal. Further, since CROSSAN includes a number of other reconstructed
texts, such as a miracle collection embedded in Mark and John and the
apocalyptic scenario embedded in Didache 16 and Matthew 24, it is
somewhat odd that he does not consider as pre-Markan the collection
of Streitgespräche in Mark 2:1-3:6, or the collection of parables in Mark

83 JOHN S. KLOPPENBORG VERBIN, Excavating Q : The History and Setting of the Sayings
Gospel (Minneapolis: Fortress, 2000), 87.

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 269

4:1-34 or Special L or Special M. All of these are controversial recon-


structions, however, and tend to lessen the persuasive power of the entire
enterprise. CROSSAN is fully aware of what he is doing, of course, and es-
sentially presents his entire data base as a complex hypothesis which read-
ers can either accept or argue for modifications. However, including any
or all of the reconstructed sources which CROSSAN has not used to this
point, would significantly alter the array of material qualifying for attri-
bution to Jesus.

4. Methodological Reflections

Both M E I E R and CROSSAN have, each in their own way, violated a rule of
criticism which I will call the "criterion of unpredictability," by which I
mean that suspicion attaches to the critical methodology of those whose
interpretive moves are excessively predictable. For example, while K L Y N E
SNODGRASS is convinced that Thomas is derived from canonical traditions,
he also maintains that Thomas doubtless contains independent traditions
not found in the canonical Gospels and perhaps parallel traditions that
were not derived from the canonical Gospels.84 For this reason, I think
that it is obvious that SNODGRASS is using critical judgment and is not in
thrall to some theological or ideological position. The same can be said
for the important recent work of JENS S C H R Ö T E R , whose analysis of the
relationship between Thomas traditions and Mark and Q is credible pre-
cisely because he sometimes judges for and other times against the de-
pendency of Thomas on Synoptic tradition. J O H N M E I E R does not come
off nearly so well, for I think that it would be incredible if a document
like Thomas, containing nearly 150 sayings of Jesus, and compiled ca. 140
CE (while oral tradition still retained some measure of vitality) did not
contain at least some happy vestiges of original historical Jesus traditions.
CROSSAN does not comport himself very well either, for it would be in-
credible if a document like Thomas did not contain at least a smidgen of
Jesus traditions which were dependent on the Synoptic Gospels. Both
scholars evaluate the historical value of the Jesus traditions in Thomas in
such a consistent way that their general approach to Thomas must be
called into question.

84 KLYNE R. SNODGRASS, The Gospel of Thomas: A Secondary Gospel, SecCent 7


(1989/90), 19.

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270 David E. Aune

The issue of whether or not Thomas is dependent or independent of


the canonical Gospels is still hotly debated and cannot be solved simply
by marshaling a roster of authorities who agree with one or another posi-
tion, and then by cavalierly dismissing the claims of those holding the op-
posite position. As RON CAMERON (an adherent of the "Koester
school") observed nearly a decade ago, "The question of the relationship
of Gos. Tbom. and the Gospels of the N T is still to be resolved."85 While
disagreement on this issue will probably continue into the indefinite fu-
ture, it must be said that at the present time, Thomas scholars (that is,
those who have made the study of the Gospel of Thomas the focus of their
professional careers), tend to agree that a substantial number of sayings in
Thomas are independent of the canonical Gospels. In this climate, then, it
is essential that whatever side a scholar takes on this issue, each saying of
Jesus preserved in Thomas be tested to determine whether it is dependent
or independent of canonical Jesus tradition. There is simply no other al-
ternative.
Despite the intense study of the Gospel of Thomas since the publication
of the Coptic text in 1959, the complex character and history of this work
has yet to be fully explored, and this further exploration is critical for un-
derstanding the character of oral and written Jesus traditions in the first
and second centuries CE. Several issues come immediately to mind which
should be high on the agenda of future research:86 (1) Dating the Redac-
tions of Thomas. While dates from the mid-first to the late second century
CE have been proposed for the composition of Thomas, the probability
that it came into existence in stages is a possibility that needs to be seri-
ously considered. CROSSAN'S bifurcation of Thomas into two strata rec-
ognizes the compositional and redactional complexity of the work, but
deals with the problem in an overly simplistic manner. (2) The Ideology
or Theology of Thomas. In the past, Thomas has been labeled "gnostic"
(MEIER'S preferred category), "encratite," or "ascetic" (CROSSAN'S choice)
"wisdom," 87 and as "mystical."88 I have already suggested above that the
"gnostic" category is problematic for the Gospel of Thomas. The "encrat-
ite" or "ascetic" characterization of Thomas is also problematic because of

85
"Thomas, Gospel of," A B D 6.537.
" See also the balanced essay by P H I L I P H . SELLEW, The Gospel of Thomas: Prospects
for Future Research, in: The N a g Hammadi Library after Fifty Years: Proceedings of
the 1 9 9 5 Society of Biblical Literature Commemoration, ed. J O H N D . T U R N E R and
A N N E M C G U I R E , N H M S 4 4 (Leiden: Brill, 1 9 9 7 ) , 3 2 7 - 3 4 6 .
87
DAVIES, The Gospel of Thomas and Christian Wisdom.
88
A P R I L D . D E C O N I C K , Seek to See Him: Ascent and Vision Mysticism in the Gospel
of Thomas, VigChr.S 33 (Leiden: Brill, 1996).

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Assessing the Historical Value of the Apocryphal Jesus Traditions 271

a number of internal tensions in the text (such as different attitudes to-


ward marriage and celibacy) which suggest the presence of several types
of ascetic traditions. 8 9 DE CONICK'S emphasis on mysticism in Thomas
appears somewhat one-sided, but has yet to provoke a response from the
academy. (3) The Interaction of Oral and Written Tradition. For New
Testament scholars, whose work is largely limited to the study of written
texts, one of the more critical issues concerns the relationship between
oral and written transmission of Jesus traditions, and the interaction be-
tween them. KLOPPENBORG VERBIN, referring specifically t o the Synop-
tic Problem, comes to the heart of the problem (which is analogous to the
even more complex problem of the relationship between Thomas and the
Synoptic tradition)

"Few critics nowadays focus much attention on the transformations and devel-
opments that doubtless occurred in the oral tradition prior to its inscription in
written documents as a means of resolving the Synoptic Problem. This is not be-
cause such knowledge would not be quite useful, but because it is simply beyond
our reach."

HELMUT KOESTER has laid out influential arguments for the viability of
oral Jesus traditions well into the second century CE. 9 1 Since the work of
PARRY and LORD on oral formulaic theory, classicists have become in-
creasing interested in the phenomenon of orality and oral tradition in the
Greek and Roman world. 9 2 N e w Testament scholars have followed suit, 93
and have begun to use insights from the modern study of orality and oral

" RISTO URO, IS Thomas an Encratite Gospel?, in: Thomas at the Crossroads: Essays on
the Gospel of Thomas, ed. RISTO U R O (Edinburgh: T . & T . C l a r k , 1 9 9 8 ) , 1 4 0 - 1 6 2 .
90 KLOPPENBORG VERBIN, Excavating Q , 5 2 - 5 5 .
91 HELMUT KOESTER, Synoptische Uberlieferung bei den apostolischen Vätern, TU 65
(Berlin: Akademie-Verlag, 1957), to be supplemented by his more recent work, An-
cient Christian Gospels: Their History and Development (Philadelphia: Trinity Press
International, 1 9 9 0 ) .
92 E. ANNE MACKAY, Signs of Orality: The Oral Tradition and Its Influence in the Greek
and Roman World, Mnemosyne Suppl. 188 (Leiden: Brill, 1999).
93 WERNER H. KELBER, The Oral and the Written Gospel: The Hermeneutics of Speak-

ing and Writing in the Synoptic Tradition, Mark, Paul, and Q (Philadelphia: Fortress,
1983; PAUL J. ACHTEMEIER, Omne Verbum Sonat: The New Testament and the Oral
E n v i r o n m e n t o f Late W e s t e r n A n t i q u i t y , J B L 109 ( 1 9 9 0 ) , 3 - 2 7 ; DAVID E . AUNE, P r o -
legomena to the Study of Oral Tradition in the Hellenistic World; IDEM, Oral Tradi-
tion and the Aphorisms of Jesus, in: Jesus and the Oral Gospel Tradition, ed. HENRY
WANSBROUGH, J S N T . S 6 4 (Sheffield: Sheffield A c a d e m i c P r e s s , 1 9 9 1 ) , 5 9 - 1 0 6 and
211-265.

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272 David E. Aune

tradition to understand the complex relationship between oral and


tradition in the formation of the Gospel of Thomas?*

94 URO, Thomas and the Oral Gospel Tradition, 8-32.

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Der historische Jesus
und der Christus der Evangelien""

J Ö R G FREY

„Ob Christus mehr als Mensch gewesen, das ist ein Problem. Daß er wah-
rer Mensch gewesen, wenn er es überhaupt gewesen; daß er nie aufgehört
hat, Mensch zu sein, das ist ausgemacht" 1 . Mit diesen Worten hat G O T T -
HOLD E P H R A I M LESSING im Jahr 1780 seine Thesenreihe über „Die Reli-
gion Christi" eröffnet und damit die spezifisch neuzeitliche Wendung der
Frage nach Jesus aufs deutlichste markiert. Hatte die traditionelle Chri-
stologie, letztlich im Anschluß an das vierte Evangelium, das Wesen und
Wirken Jesu unter dem Aspekt der Inkarnation des Logos (Joh 1,14) bzw.
der Sendung des Sohnes (Joh 3,16f.), also „von oben" her verstanden, so
erhält nun in LESSINGS These die Perspektive „von unten" die Priorität 2 .
Daß Jesus Mensch war, ist dem neuzeitlichen, historisch ansetzenden
Fragen unproblematisch. Fraglich wurde das andere, ob er mehr war als
ein .bloßer' Mensch. Fraglich wurde damit nicht nur das vere Deus der
klassischen Zwei-Naturen-Lehre, sondern letztlich auch das Christusbild
der Evangelien.

* Wesentlich erweiterte Fassung eines Vortrags, der am 7. November 2001 im Rahmen


einer Ringvorlesung der Theologischen Fakultäten der Ludwig-Maximilians-Universi-
tät München und am 12. Dezember 2001 an der Theologischen Fakultät der Georg-
August-Universität Göttingen gehalten wurde. Ich danke meinem Kollegen Jens
Schröter für sein Interesse an dem Beitrag sowie meinen studentischen Mitarbeitern
Sebastian Eisele, Daniela Inzenhofer und Dorothée König für die Mithilfe bei den
Korrekturen.
1 LESSING, R e l i g i o n , 3 5 2 (§ 1 ) .
2 Zum historischen Kontext und zur Konnotation dieser Termini s. PANNENBERG,
Grundzüge, 26-31; DERS., Theologie II, 316-336; SLENCZKA, Geschichtlichkeit,
310-315.

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274 Jörg Frey

I. Die historische Frage nach Jesus und ihre hermeneutischen Implikationen

1. Die Frage nach dem historischen Jesus als


Infragestellung der Christologie

An die zitierte These fügt LESSING weitere Unterscheidungen an, in de-


nen bereits die Entfaltung der Frage nach dem „historischen Jesus" präfi-
guriert ist: Zu unterscheiden sei zwischen der „Religion Christi" und der
„christliche [n] Religion", d. h. also zwischen dem Glauben Jesu, zu dem
wir Menschen kraft unserer eigenen Religiosität natürlichen Zugang be-
sitzen, und dem Glauben an Jesus, der Jesus zum Gegenstand der Vereh-
rung macht 3 . Für LESSING ist es „unbegreiflich", wie beide „in Christo als
einer und ebenderselben Person bestehen können" 4 . Für die ältere Tradi-
tion war es in der Regel völlig unstrittig gewesen, daß sich der irdische Je-
sus selbst so verstanden hatte, wie er nach Ostern von der christlichen
Gemeinde verkündigt wurde, nämlich als Messias und Gottessohn. Diese
Gewißheit war nun, ζ. B. in den von LESSING selbst herausgegebenen
„Fragmenten eines Ungenannten" 5 , zerbrochen: Die Intentionen Jesu -
der .Ungenannte', H E R M A N N SAMUEL REIMARUS, hatte vom „Zwecke
Jesu" gesprochen - und die seiner Jünger und späteren Nachfolger traten
auseinander. Oder in der Terminologie späterer Generationen: Der Ver-
kündiger war vom Verkündigten zu unterscheiden, die Worte Jesu von
den Lehren der Apostel', der „historische Jesus" vom Christusbild der
Evangelien bzw. der nachösterlichen Christologie.
Es zeigt sich hier an der Schwelle neuzeitlich-historischen Denkens der
enorme Plausibilitätsverlust der altkirchlichen Christologie, die für LES-
SING nicht nur „unbegreiflich" geworden, sondern nach seiner Auffassung
auch in der Schrift nicht eindeutig bezeugt ist - wobei man freilich be-
rücksichtigen muß, daß auch ein eindeutiges Schriftzeugnis für LESSING
nicht die Autorität besäße, die Vernunft von der Notwendigkeit und da-

3 LESSING, R e l i g i o n , 3 5 2 ( § 3 - 4 ) .
4 LESSING, R e l i g i o n , 3 5 3 ( § 5 ) .
5 Siehe die vollständige Ausgabe des Werks: REIMARUS, Apologie 1-2; sowie zu Jesus
insbesondere das siebte Fragment mit dem Titel „Von dem Zwecke Jesu und seiner
Jünger", vgl. die von LESSING besorgte Erstausgabe REIMARUS, Von dem Zwecke, so-
wie das klassische Referat bei SCHWEITZER, Geschichte, 56-68.
6 So REIMARUS, Von dem Zwecke § 3 (zit. nach BAUMOTTE, Frage, 13): „Ich finde gro-
ße Ursache, dasjenige, was die Apostel in ihren eignen Schriften vorbringen, von dem,
was Jesus in seinem Leben würklich selbst ausgesprochen und gelehret hat, gänzlich
abzusondern".

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 275

mit der theologischen Wahrheit einer Lehre zu überzeugen 7 . Der sprich-


wörtliche Graben ist garstig und breit, und ein Geltungsanspruch der
Tradition aufgrund übernatürlicher Autorität definitiv in Frage gestellt.
Wenn aber der .supranaturalistische' Zugang zum Wesen Jesu versperrt
ist, dann bleibt nur der Weg der historischen Nachfrage nach dem Men-
schen Jesus. Und diese ist in ihren Anfängen, bei REIMARUS oder bei JO-
HANN SALOMO SEMLER, unübersehbar geprägt von dem Streben nach
Emanzipation von der überkommenen Dogmatik. Die historische Frage
nach Jesus wird daher zunächst formuliert als Infragestellung der Chri-
stologie, und sie lebt - zumindest in manchen ihrer Vertreter - bis in
heute von diesem antidogmatischen Impetus, der freilich alles andere als
eine .undogmatische' Haltung widerspiegelt8.

2. Die Frageansätze in den verschiedenen Phasen der Jesus-Forschung

Diese theologischen und hermeneutischen Aspekte der Frage nach Jesus


sind zu reflektieren. Selbst wenn man wollte, könnte man dem hier vor-
liegenden hermeneutischen Zirkel nie völlig entrinnen. Dies zeigt sich an
der Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, deren wesentliche Phasen ich
hier nur in aller Knappheit skizzieren möchte 9 .

7 Siehe das berühmte Zitat von LESSING: „Zufällige Geschichtswahrheiten können der
Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden" (Beweis, 47).
8 Man könnte wohl eine Geschichte der neuzeitlichen Jesusforschung schreiben als Ge-
schichte der Eintragung moderner .Dogmen' und Ideale in das Bild des .historischen'
Jesus von Nazareth.
9 Die Untergliederung dieser Forschung in Phasen ist notwendigerweise schematisch
und erfolgt entsprechend der Gewichtung der einzelnen Charakteristika in unter-
schiedlicher Weise. Vgl. zu einer Gliederung in fünf Phasen THEISSEN/MERZ, Jesus,
2 2 - 3 0 („die kritischen .Anstöße' [ . . . ] durch H. S. Reimarus und D . F. Strauß", „der
Optimismus der liberalen Leben-Jesu-Forschung", „der Zusammenbruch der Leben-
Jesu-Forschung", „die .neue Frage' nach dem historischen Jesus", „the .third quest'
for the historical Jesus"); daneben den Uberblick bei PORTER, Criteria, 6 0 - 6 2 , der mit
vier Phasen rechnet ("old quest", "no quest", "new quest", "third quest"); s. auch
REUMAN, Jesus and Christology, 502. Eine andere Terminologie wählt DU TOIT, Er-
neut auf der Suche, 92f. („erste Phase der Jesusforschung" - „Bultmannphase" -
„zweite Phase", „dritte/neuere Phase"). Zur Forschung im 19. Jh. s. nach wie vor das
unübertroffene Werk von SCHWEITZER, Geschichte; vgl. auch KÜMMEL, Testament;
NEILL/WRIGHT, Interpretation; für die Zeit von 1900 bis 1950 die ausführliche
Darstellung von WEAVER, Jesus; kürzer THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 9 8 - 1 1 7 ;
LINDEMANN, Einführung, 1 - 1 4 ; für die Zeit ab ca. 1950 s. KÜMMEL, Vierzig Jahre;
THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 117-145; zur Bibliographie s. den Überblick bei
EVANS, Life, sowie PORTER, Criteria, 2 8 - 6 2 .

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276 Jörg Frey

2 . 1 D i e e r s t e n A n s t ö ß e u n d die k l a s s i s c h e L e b e n - J e s u - F o r s c h u n g :
V o n R e i m a r u s bis S c h w e i t z e r

D i e e r s t e , in s i c h vielfältig d i f f e r e n z i e r t e P h a s e d i e s e r F o r s c h u n g „von
R e i m a r u s z u W r e d e " h a t ALBERT SCHWEITZER in s e i n e r „ G e s c h i c h t e d e r
Leben-Jesu-Forschung" in u n ü b e r t r o f f e n e r W e i s e b e s c h r i e b e n u n d mit
dieser Darstellung selbst zu ihrem E n d e gebracht10. D i e s e P h a s e w a r ge-
prägt v o n der Suche nach d e m ,wirklichen' Jesus, nach den .Tatsachen'
unter ihrer d o g m a t i s c h e n U b e r m a l u n g . Bei den A u t o r e n dieser E p o c h e
z e i g t sich i m m e r w i e d e r ein aus h e u t i g e r S i c h t n a i v z u n e n n e n d e r Opti-
m i s m u s , m a n k ö n n e n o c h ein B i l d d e r P e r s ö n l i c h k e i t J e s u u n d s e l b s t sei-
n e r i n n e r e n E n t w i c k l u n g z e i c h n e n u n d - l e t z t l i c h v e r e i n n a h m e n d - als r e -
ligiöses o d e r s i t t l i c h e s Ideal in die e i g e n e G e g e n w a r t s t e l l e n .

Nachdem LESSING durch die Publikation der REIMARUS-Fragmente die Brandfackel ge-
schleudert hatte", war das Feuer der Kritik nicht mehr zu halten. Doch fehlten die me-
thodischen Grundlagen, v. a. eine kritische Analyse der Quellen, noch völlig 12 . Der An-
stoß dazu ging erst von dem nächsten epochemachenden Werk aus, dem berühmten
„Leben Jesu" des Tübinger Stiftsrepetenten DAVID FRIEDRICH STRAUSS'3. Auch er bot
noch keine methodisch durchreflektierte Quellenanalyse 14 . Ihm ging es um den Nach-
weis, daß die evangelische Geschichte im Ganzen „mythisch" 15 , d. h. als geschichtliche
Einkleidung von Ideen aus dem Alten Testament, insbesondere der jüdischen Messias-
erwartung, gestaltet sei. Mit diesem Ansatz war die Frage nach der Bedeutung der Ge-
schichtlichkeit Jesu in bislang unerhörter Schärfe gestellt.
Das Verdikt des .Mythischen' war bei STRAUSS auf alle Evangelien gemünzt, am
stärksten auf Johannes". Aber da Matthäus traditionell als das älteste Evangelium galt,

10 SCHWEITZER, Geschichte. Die erste Auflage erschien 1906 unter dem Titel: „Von
Reimarus zu Wrede".
11 So die Metapher bei SCHWEITZER, Geschichte, 58.
12 D i e rationalistischen Ausleger wie HEINRICH EBERHARD GOTTLOB PAULUS ( L e b e n
Jesu) beschränkten sich noch weithin darauf, Einzelphänomene wie die Wunder Jesu
.natürlich' zu erklären. Andere, historisch gleichermaßen problematische Teile der
Uberlieferung wie ζ. B. die Jungfrauengeburt waren für PAULUS auffälligerweise noch
nicht von Interesse (Hinweis von Prof. Dr. Hans Klein, Sibiu/Hermannstadt).
13 STRAUSS, Leben Jesu.
14 „Eine synoptische Frage existiert für ihn eigentlich nicht [ . . . ] , Strauß ist skeptischer
Eklektiker" (SCHWEITZER, Geschichte, 125).
15 Zum hier vorliegenden Mythosbegriff s. HARTLICH/SACHS, Ursprung 134-147; s.
auch BERGER, Exegese und Philosophie, 62f.
16 Im schroffen Gegensatz zu SCHLEIERMACHERS theologischer und historischer Bevor-
zugung des johanneischen Christusbildes zeigte STRAUSS, daß im vierten Evangelium
„eine den Synoptikern gegenüber fortgeschrittene Form des Mythos vorliege. Damit
hat STRAUSS als erster die Alternative .Synoptiker oder Johannes' für die Jesusfor-
schung aufgestellt, der die neutestamentliche Wissenschaft von da an nicht mehr aus-

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D e r historische Jesus und der Christus der Evangelien 277

m u ß t e der Aufweis des . m y t h i s c h e n ' Charakters auch das Vertrauen in dieses W e r k b e -


sonders nachhaltig erschüttern. E s war nicht zuletzt eine F o l g e der D i s k u s s i o n e n um das
W e r k von STRAUSS, daß sich die T h e s e der Markuspriorität und schließlich die Zwei-
quellentheorie als vorläufige L ö s u n g des Quellenproblems durchsetzen k o n n t e 1 7 . M i t
dieser neuen Sicht des synoptischen P r o b l e m s verband sich die H o f f n u n g , daß nun zu-
mindest das weniger . m y t h i s c h ' geprägte markinische W e r k z u s a m m e n mit der Logien-
quelle als Grundlage für die R e k o n s t r u k t i o n des historischen Bildes J e s u dienen k ö n n t e ,
und die A u t o r e n des späten 19. J h . s " versuchten auf dieser B a s i s " , ein Bild nicht nur des
W i r k e n s J e s u , sondern auch der Entwicklung seiner Persönlichkeit und des religiösen
und ethischen Gehalts seiner Lehre herauszuarbeiten.
A b e r auch dieser O p t i m i s m u s der R e k o n s t r u k t i o n wurde zerstört, als nämlich W I L -
LIAM WREDE 1901 mit seiner Arbeit zum „Messiasgeheimnis im Markusevangelium" 2 0
den Nachweis erbrachte, daß auch das älteste uns erhaltene Evangelium von theologi-
schen G e s i c h t s p u n k t e n aus gestaltet ist. D a m i t m u ß t e der V e r s u c h , auf der Basis der lite-
rarisch vorliegenden Q u e l l e n zu einer historisch gesicherten Biographie J e s u zu gelan-
gen, vorerst als gescheitert gelten.

Die Aporie der klassischen Leben-Jesu-Forschung wurde um 1900 von


zwei Gelehrten sehr nachdrücklich herausgestellt. Der Hallenser syste-
matische Theologe MARTIN KAHLER protestierte 1892 in seinem Vortrag
„Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Chri-
stus" gegen die verbreitete Tendenz, zwischen Jesus und der nachösterli-
chen Verkündigung eine Kluft aufzureißen. Der Titel ist Programm, denn
KAHLER setzt den Konstrukten eines .historischen Jesus' den .biblischen
Christus' des gepredigten und geglaubten Zeugnisses als den eigentlich
wirklichen gegenüber: „Der Jesus der .Leben Jesu' ist nur eine moderne

weichen k o n n t e " (KÜMMEL, T e s t a m e n t , 152; s. zum P r o b l e m auch FREY, Eschatologie


I, 3 0 - 4 2 ) .
17 Vgl. den Aufweis bei STOLDT, G e s c h i c h t e , 2 0 6 - 2 1 4 . D e r D u r c h b r u c h der Zweiquel-
lentheorie erfolgte maßgeblich durch das W e r k von HEINRICH JULIUS HOLTZMANN,
Evangelien.
18 W e s e n t l i c h e V e r t r e t e r waren z. B . RENAN, La vie de J é s u s ; HASE, G e s c h i c h t e J e s u ;
BEYSCHLAG, L e b e n J e s u ; OSKAR HOLTZMANN, Leben J e s u . A b e r : „Das ideale Leben
J e s u des ausgehenden n e u n z e h n t e n Jahrhunderts ist das ungeschriebene von Heinrich
Julius H o l t z m a n n . M a n erhält es, wenn man seinen S y n o p t i k e r k o m m e n t a r und seine
neutestamentliche T h e o l o g i e ineinanderliest." (SCHWEITZER, G e s c h i c h t e , 3 4 2 ) .
" Allerdings wurden in dieses aus M k und Q gewonnene Bild n o c h i m m e r wieder j o -
hanneische Z ü g e eingemischt, durch die der .historische' J e s u s dem liberal-theo-
logischen Sinn akzeptabler wurde (s. FREY, Eschatologie I, 37; s. auch SCHWEITZER,
G e s c h i c h t e , 2 2 6 f . (zu SCHENKEL und WEIZSÄCKER) und 2 3 7 (zu HASE).
20 WREDE, Messiasgeheimnis. D a ß WREDES wirkungsvolle T h e s e z u m .Messiasgeheim-
nis' im Markusevangelium alles andere als unproblematisch ist, wurde in der F o r -
schung aus unterschiedlichen Blickwinkeln festgestellt (vgl. aus neuerer Zeit BETZ,
Frage; RAISÄNEN, Messiasgeheimnis; FENDLER, Studien; PERRY, Exploring; HENGEL,
Messias, 1 8 - 2 7 ) . D i e Tatsache, daß das M k ein theologisch gestalteter B e r i c h t des
.Lebens J e s u ' ist, bleibt von der Kritik an WREDES T h e s e allerdings unberührt.

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278 Jörg Frey

Abart von Erzeugnissen menschlicher erfindender Kunst, nicht besser als


der verrufene dogmatische Christus der byzantinischen Christologie; sie
stehen beide gleich weit von dem wirklichen Christus" 2 1 . Damit ist er-
kannt, daß die Produkte der historischen Rekonstruktion letztlich Fik-
tionen sind, Projektionen ihrer Autoren, in denen sich nur allzu oft „der
Herren eigner Geist" spiegelt 22 . D e r „sogenannte historische Jesus", wie
ihn seine Autoren schildern, hat in dieser Form nie existiert, „der wirkli-
che, d. h. der wirksame Christus [ . . . ] ist der gepredigte Christus" 2 3 , d. h.
der geglaubte Christus, der Christus der Evangelien. Darüber hinaus be-
tont KAHLER mit Recht, daß die neutestamentlichen Evangelien nicht zu
dem Zweck verfaßt sind, Anhaltspunkte für eine Biographie Jesu im neu-
zeitlichen Sinn zu bieten. D. h. die im liberal-theologischen Interesse an-
getretene Leben-Jesu-Forschung mußte letztlich am Charakter ihrer
Quellen scheitern.
Dieses Scheitern wurde 14 Jahre später noch eindrücklicher herausge-
stellt durch ALBERT SCHWEITZER. Das eindrückliche Fazit seiner epo-
chemachenden „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" lautet: „Der Jesus
von Nazareth, der als Messias auftrat, die Sittlichkeit des Gottesreiches
verkündete, das Himmmelreich auf Erden gründete und starb, um seinem
Werke die Weihe zu geben, hat nie existiert. Sie [sie!] ist eine Gestalt, die
vom Rationalismus entworfen, vom Liberalismus belebt und von der mo-
dernen Theologie in ein geschichtliches Gewand gekleidet wurde. Dieses
Bild ist nicht von außen zerstört worden, sondern in sich selbst zusam-
mengefallen." 24 N o c h mehr als bei KAHLER wurde bei SCHWEITZER der
projektive Charakter aller Leben-Jesu-Darstellungen deutlich: D e r An-
spruch, den .wirklichen' Jesus zu präsentieren und diesem Konstrukt eine
theologische Bedeutsamkeit zuzuerkennen, war damit gründlich diskre-
ditiert - so gründlich, daß eine „neue Rückfrage nach dem historischen
Jesus", abgesehen von einigen Außenseitern, erst ein halbes Jahrhundert
später wieder einsetzen konnte.

2.2. D e r Verzicht auf die Rückfrage: Rudolf Bultmann

Dazwischen steht ein auffälliges Vakuum, eine Periode, die - jedenfalls im


deutschen Sprachraum - durch den weitgehenden Verzicht auf die histori-

21 KAHLER, Jesus, 16.


22 KAHLER, Jesus, 30: „Es ist zumeist der Herren eigner Geist, in dem Jesus sich spie-
gelt".
23 KAHLER, Jesus, 44.
24 SCHWEITZER, Geschichte, 620.

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 279

s e h e R ü c k f r a g e n a c h J e s u s g e k e n n z e i c h n e t ist 2 5 . D i e s e r v e r b i n d e t s i c h v o r
a l l e m m i t d e m N a m e n R U D O L F BULTMANNS. M a n k a n n die v o n BULT-
MANN e i n g e n o m m e n e F o r s c h u n g s p o s i t i o n 2 6 e r k l ä r e n aus d e m Z u s a m m e n -
b r u c h der liberalen T h e o l o g i e im ersten W e l t k r i e g u n d den späteren dia-
l e k t i s c h - t h e o l o g i s c h e n A u f b r ü c h e n , s o w i e a u s d e m d u r c h K A R L LUDWIG
SCHMIDT u n d MARTIN DIBELIUS f a s t g l e i c h z e i t i g b e g r ü n d e t e n formge-
s c h i c h t l i c h e n N e u a n s a t z in d e r S y n o p t i k e r f o r s c h u n g 2 7 : D e r chronologi-
s c h e R a h m e n d e r E v a n g e l i e n , a u c h des M k , w a r z e r b r o c h e n , u n d als R e s t -
bestände der ältesten T r a d i t i o n blieben n u r n o c h .kleine E i n h e i t e n ' übrig,
d e r e n B i l d u n g u n d A u s g e s t a l t u n g m a n d a n n w e i t h i n a u f das B e d ü r f n i s d e r
Gemeinde zurückführte, s o daß sich der R ü c k s c h l u ß auf J e s u eigenes
W i r k e n als i m m e r s c h w i e r i g e r , w e n n n i c h t g a r u n m ö g l i c h e r w i e s 2 8 .
D i e s e s e h r w e i t g e h e n d e h i s t o r i s c h e S k e p s i s 2 ' v e r b a n d s i c h bei B U L T -
MANN m i t e i n e r t h e o l o g i s c h e n E i n s c h ä t z u n g , in d e r J e s u A u f t r e t e n als
historischem Phänomen keine theologische Relevanz mehr zukommen
k o n n t e . A l s t h e o l o g i s c h b e d e u t s a m galt allein das K e r y g m a , die heilvolle

25 Daß der Sachverhalt komplexer ist, formuliert PORTER, Criteria, 36: "all that was
really brought to an end by Schweitzer and others was quests that remained optimistic
of writing romanticised and overly psychologized lives o f Jesus along anti-
supernatural lines (and usually in German)". A. a. O . , 47: "the rubric 'no quest' de-
scribes an abandonment in some, perhaps mostly German, circles of the agenda of
some nineteenth-century questing after Jesus, but it can hardly be used as an adequate
label for the entire period of research [ . . . ] " . Deshalb ist auch die in den 50er Jahren
einsetzende ,neue Frage' lediglich im Kontext der BULTMANN-Schule und ihrer
Kerygma-Theologie ,neu', während in der französischen oder der angelsächsischen
Forschungstradition (und bei .Außenseitern' in der deutschen Forschung) die ,alte'
Jesusforschung teilweise ungebrochen weitergeführt wurde; vgl. etwa die J e s u s -
bücher' von BURKITT, Jesus Christ; MANSON, Jesus; TAYLOR, Work; GOODSPEED,
Life; LAGRANGE, L'évangile; F.-M. BRAUN, Jésus, sowie das Werk des jüdischen Ge-
lehrten JOSEPH KLAUSNER, Jesus.
26 Zur Genese und Interpretation der Synoptiker- und Jesusdeutung BULTMANNS
s. grundlegend BAASLAND, Theologie; zu Bultmanns Jesusbuch s. jetzt SCHMITHALS,
Jesus.
27 SCHMIDT, Rahmen; DIBELIUS, Formgeschichte. Die beiden grundlegenden Werke er-
schienen 1919 fast gleichzeitig und bildeten so einen markanten Neueinsatz für die
Forschung nach dem ersten Weltkrieg. Siehe zur forschungsgeschichtlichen Einfüh-
rung weiter HAHN, Formgeschichte.
28 Zu beachten ist jedoch, daß MARTIN DIBELIUS in späteren Arbeiten (DIBELIUS, Evan-
gelienkritik; DERS., Jesus) eine historisch sehr viel weniger pessimistische Haltung
einnimmt als Bultmann.
29 Vgl. BULTMANN, Jesus, 10, mit der Meinung, „daß wir vom Leben und von der Per-
sönlichkeit Jesu so gut wie nichts mehr wissen können", im folgenden verweist BULT-
MANN auf die Darstellung ALBERT SCHWEITZERS. Zur Entwicklung der Interpretation
der Verkündigung Jesu im Werk BULTMANNS S. BAASLAND, Theologie, 4 2 3 - 4 3 2 .

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280 Jörg Frey

Verkündigung von Jesus als dem Christus, die sich in dieser Form erst in
nachösterlicher Zeit herausbildete. Die Rückfrage hinter dieses Kerygma
nach historischen Sachverhalten oder dem historischen Jesus zog hinge-
gen den Verdacht auf sich, sie strebe nach einer falschen .Objektivierung',
sie sei also ein Absicherungsversuch, den der wahre Glaube nicht benö-
tigt. Der dialektisch-theologische Ansatz verband sich hier mit dem neu-
kantianischen Erbe der Diastase von Glaube und Geschichte bzw. Ge-
schichtswissenschaft 30 in einer für die Frage nach Jesus letztlich fatalen
Weise: BULTMANN schrieb ein Jesusbuch, in dem die Person des irdischen
Jesus fast keine Rolle spielt 31 , und in seiner Theologie des Neuen Testa-
ments wird Jesu Verkündigung nur knapp unter den jüdischen „Voraus-
setzungen" abgehandelt 32 , die von dem christlichen Kerygma durch einen
Graben getrennt ist 33 . So konnte BULTMANN die von WREDE übernom-
mene skeptische Sichtweise, daß „das Leben Jesu" tatsächlich „ein unmes-
sianisches" war 34 , festhalten, aber das .Eigentliche', das Kerygma, in eine
vor jeder historischen Infragestellung geschützte Zone .retten'. Die Frage,
wie aus dem Verkündiger der Verkündigte wurde 35 , welche Beziehung also
zwischen der vorösterlichen Verkündigung Jesu und der nachösterlichen
Verkündigung von Jesus als dem Christus besteht, mußte historisch ein
Rätsel bleiben. BULTMANN selbst hat sich und anderen diese Frage verbo-
ten36, und er meinte dabei sogar, Paulus auf seiner Seite zu haben 37 . In die-

30 Zum neukantianischen Erbe s. BAASLAND, Theologie, 9 3 - 1 1 7 ; B E R G E R , Exegese und


Philosophie, 1 6 0 - 1 6 7 ( 1 6 2 ) .
31 Vgl. das Urteil von L O H M E Y E R in seiner Rezension über B U L T M A N N S Jesusbuch ( 4 3 7 )
„Es ist eines der charakteristischen Merkmale des Bultmannschen Buches von Jesus,
daß es nicht nur auf alles Biographische, sondern auch auf alle Fragen nach der .Per-
son' verzichtet [ . . . ] Es ist in gewissem Sinne ein Buch von Jesus ohne Jesus".
32 BULTMANN, Theologie, 1-33; vgl. DERS., Urchristentum 79ff., wo die Verkündigung
Jesu in den Rahmen des Judentums eingeordnet wird. B U L T M A N N S vorherrschende
Interpretation des irdischen Jesus erfolgte in der Kategorie eines jüdischen Propheten
(s. auch BAASLAND, Theologie, 430).
33 BULTMANN, Theologie, 2.
34 BULTMANN, Theologie, 33; vgl. DERS., Jesus, 11.
35 Vgl. zu dieser Frage BULTMANN, Theologie, 35ff.
36 „Man darf nicht hinter das Kerygma zurückgehen, es als Quelle benutzend, um einen
historischen Jesus zu rekonstruieren" (BULTMANN, Bedeutung, 208).
37 B U L T M A N N verwies zur Begründung auf 2Kor 5,16 und meinte, Paulus wolle den
„Christus nach dem Fleisch" nicht mehr kennen (vgl. Theologie, 238f.294 etc., DERS.,
Zur Frage, 101: „Der Χριστός κατά σάρκα geht uns nichts an". Diese philologisch
unrichtige Auffassung der Wendung γινώσκειν κατά σάρκα Χριστόν, in der κατά
σάρκα sicher adverbial aufzufassen ist (also: „Christus auf fleischliche Weise kennen"),
findet sich bereits bei B O U S S E T , Kyrios Christos, 118 (vgl. 104ff). B U L T M A N N inter-
pretiert hier aus sachlichen Gründen gegen die philologischen Befunde, wenn er be-
hauptet: „ein κατά σάρκα gekannter Christus ist eben ein Χριστός κατά σάρκα"

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D e r historische J e s u s und der Christus der Evangelien 281

sem letztlich unzutreffenden Postulat liegt die Achillesferse des systema-


tisch großartigen, aber für die historische Frage katastrophalen Entwurfs
BULTMANNS.

2.3 Die „neue Frage": Ernst Käsemann und die Folgen

Aber die Fragen ließen sich nicht auf Dauer verbieten 38 . Sie standen im
Raum, und es war 1953 zuerst ERNST KÄSEMANN, der seinem Lehrer dezi-
diert widersprach und „das Problem des historischen Jesus" 3 9 neu aufroll-
te. Diese - jedenfalls im deutschen Sprachraum - „neue Frage nach dem
historischen Jesus" 4 0 ging ebenso wie BULTMANNS Interpretation 41 von ei-
nem dezidiert theologischen Interesse aus: von der Uberzeugung, daß das
Kerygma selbst zur Frage „nach der Kontinuität des Evangeliums in der
Diskontinuität der Zeiten" 42 und damit zur historischen .Rückfrage' nach
Jesus nötigt. So stellte GERHARD EBELING fest, „der Bezug auf Jesus" sei
für die Christologie „konstitutiv": Die Christologie wäre „erledigt", wenn
man erweisen könnte, daß sie „keinen Anhalt habe am historischen Je-
sus" 43 .
Die an der „neuen Frage" interessierten Exegeten hielten aber nicht
nur an der Notwendigkeit und Legitimität, sondern auch an der Möglich-

(Theologie, 239). Siehe zur Kritik dieser Interpretation bereits MICHEL, Erkennen,
22f.; weiter BETZ, Christuserkenntnis; WOLFF, T h H K 8, 125; STUHLMACHER, T h e o -
logie I, 301; Vgl. auch EHLER, Herrschaft, 190f., der zeigt, daß 2 K o r 5,16 durch die
von BULTMANN herangetragene Fragestellung unangemessen gepreßt wird.
38 Darauf wiesen einige aus dem Kreis der BuLTMANN-Schüler explizit hin, vgl. EBELING,
J e s u s und Glaube, 68: „ E s hat sich das seltsame D o g m a verbreitet, man dürfe über die
Zeugnisse des N e u e n Testaments nicht zurückfragen nach dem historischen J e s u s .
Wer will denn das verbieten?"; vgl. auch BORNKAMM, J e s u s , 20.
39 KÄSEMANN, Problem. Z u m Kontext der Fragestellung KÄSEMANNS S. EHLER, Herr-
schaft, 161-273 (164-166).
40 Die Rede von der „neuen Frage" geht insbesondere zurück auf ROBINSON, N e w
Quest.
41 Interessanterweise kann BAASLAND, Theologie, 109, „die N e w - Q u e s t Bewegung als
eine Wiederholung der Position Bultmanns in den Jahren 1 9 2 4 - 2 6 " sehen, also etwa
z u der Zeit, als KÄSEMANN u n d BORNKAMM b e i BULTMANN s t u d i e r t e n .
42 S o bereits KÄSEMANN, Problem, 213: „ D i e Frage nach dem historischen J e s u s ist legi-
tim die Frage nach der Kontinuität des Evangeliums in der Diskontinuität der Zeiten
und in der Variation des Kerygmas. Solcher Frage haben wir uns zu stellen [ . . . ] D a s
Evangelium ist an den gebunden, der sich vor und nach O s t e r n den Seinigen als der
Herr offenbarte, indem er sie vor den nahen G o t t [ . . . ] stellte. [ . . . ] E r tat es einst
ohne jede ausweisbare Legitimation [ . . . ] und tat es doch in der Vollmacht dessen,
den das vierte Evangelium den eingeborenen Sohn nennt."
43 EBELING, Frage, 14f.

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282 Jörg Frey

keit der Rückfrage nach dem historischen Jesus fest 44 : Sie wollten zwar
nicht mehr wie die alten Liberalen ein .Persönlichkeitsbild' Jesu erheben,
aber doch die Grundzüge seiner Verkündigung herausarbeiten. Als sicher-
stes Kriterium dafür erschien ihnen das sogenannte „doppelte Unableit-
barkeitskriterium" oder „Differenzkriterium": Eine Tradition ist am ehe-
sten als authentisch jesuanisch zu klassifizieren, wenn sie - in der
klassischen Formulierung KÄSEMANNS - „aus irgendwelchen Gründen
weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrie-
ben werden kann" 45 . Mit diesem keineswegs unproblematischen, aber an-
gesichts der in der damaligen Forschungssituation vorherrschenden radi-
kalen historischen Skepsis46 allein anwendbaren Kriterium war wenigstens
die Möglichkeit gegeben, „ein kritisch gesichertes Minimum" 4 7 an Tradi-
tionen auf den irdischen Jesus zurückzuführen. Freilich mußte man sich
dessen bewußt sein, daß man mit diesem Kriterium aus methodischen und
epistemologischen Gründen nur einen kleinen Ausschnitt dessen erheben
konnte, was Jesus während seines Erdenwirkens tatsächlich gesagt und
verkündigt hatte 48 , einen „gewissen .Kernbestand'", der „als Ausgangsba-
sis" dienen konnte 49 , aber durch andere Überlegungen zu erweitern war

44 V g l . z u r A r g u m e n t a t i o n KÄSEMANNS a u s f ü h r l i c h E H L E R , H e r r s c h a f t , 2 1 9 - 2 6 2 .
45 So die grundlegende Formulierung des Kriteriums bei KÄSEMANN, Problem, 205. Auf-
schlußreich ist allerdings die Weiterführung des Satzes: „speziell dann, wenn die Ju-
denchristenheit ihr überkommenes Gut als zu kühn gemildert oder umgebogen hat"
(a. a. O . ) . Dieser Zusatz macht deutlich, daß die beiden Komponenten des Kriteriums
nicht wirklich gleichrangig nebeneinander stehen, daß für KÄSEMANN vielmehr die
Unterscheidung Jesu vom zeitgenössischen Judentum im Vordergrund steht. Eine
ausführliche Geschichte des aus zwei Komponenten (Differenz zum frühen Chri-
stentum/Differenz zum Judentum) bestehenden Kriteriums bieten THEISSEN/WIN-
TER, Kriterienfrage, 2 8 - 2 3 2 . Das Kriterium selbst ist bereits in BULTMANNS „Ge-
schichte der synoptischen Tradition" formuliert und angewandt (BULTMANN, Ge-
schichte, 222) und geht zumindest in seinen Einzelkomponenten auf die ältere liberale
Forschung zurück.
46 Siehe das Diktum bei KÄSEMANN, Problem, 203: „Nicht das Recht der Kritik, sondern
ihre Grenze ist heute zu beweisen." Die Folge ist, „daß die historische Glaubwürdig-
keit der synoptischen Tradition auf der ganzen Linie zweifelhaft geworden ist"
( a . a . O . , 205).
47 So DAHL, Jesus, 126, in seiner kritischen Rezeption des Ansatzes von KÄSEMANN.
48 Voraussetzung einer sicheren Anwendung des Unableitbarkeitskriteriums wäre eine
vollständige Kenntnis dessen, was in der jüdischen Umwelt Jesu wie in den verschie-
denen Traditionen der Urkirche insoweit vorstellbar ist, daß der begründete Verdacht
besteht, eine gegebene Tradition sei aus diesem Kontext ableitbar. Eine so vollständi-
ge Kenntnis ist freilich nicht nur angesichts der Lückenhaftigkeit der Uberlieferung,
sondern viel grundsätzlicher auch angesichts der Begrenztheit jeder historischen Er-
kenntnis nicht gegeben.
49 So HAHN, Methodologische Überlegungen, 34.

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 283

und nicht in ausgrenzender Weise gehandhabt werden durfte 50 . Aus den


mit Hilfe des Differenzkriteriums als wahrscheinlich authentisch zu er-
kennenden Logien allein ließ sich - auch in der Summe - noch kein histo-
risch plausibles Bild der Verkündigung Jesu rekonstruieren.

Oies zeigt sich angesichts des Charakters der mit diesem Kriterium für authentisch zu
erklärenden Logien. Ein Logion, für das ein solches Urteil recht sicher gefällt werden
kann, ist ζ. B. der bei Mt und Lk in ein Apophthegma eingebettete Spruch „Laß die To-
ten ihre Toten begraben!" (Q 9,60 = Mt 8,22 par Lk 9,60). Dieses kurze Wort enthält
einen skandalösen Affront gegen jede Pietätspflicht im Judentum und in der hellenisti-
schen Welt und ist als urchristliche .Gemeindebildung' durch nichts zu erklären51. Aber
es ist zugleich inhaltlich ziemlich dürftig und zunächst ohne erkennbaren Bezug zu
Kernthemen der Jesustradition. Für andere, sachlich gehaltvollere Logien, in denen sich
ein spezifischer Anspruch Jesu, eine implizite oder gar explizite Christologie, äußert,
konnte im Kontext einer radikalen historischen Skepsis der .Verdacht' einer nachösterli-
chen Bildung oder Uberformung selten völlig entkräftet werden. Deshalb konnten diese
Logien mit Hilfe des Differenzkriteriums nicht als authentisch ausgewiesen werden, und
die rigide Anwendung dieses Kriteriums geschah nicht selten in dem Anliegen, eine .un-
kritische' Identifikation der urchristlichen Jesusbilder mit dem .wahren', historischen
Jesus zu vermeiden - d. h. in einem grundlegend dogmenkritischen Interesse52. Daraus
konnte sich nur allzu schnell das umgekehrte .Dogma' entwickeln, daß der irdische Jesus
letztlich völlig .unmessianisch' aufgetreten sei53 oder - als religionsgeschichtliche Vari-

50 Eben dies geschah und geschieht in der Praxis freilich häufig, wenn die historisch
nicht als authentisch zu erweisenden Bestandteile der synoptischen Tradition in der
weiteren Erörterung als unauthentisch betrachtet wurden, d. h. dem aus epistemologi-
schen Gründen nicht auszuräumenden .Verdacht' ohne weitere sachliche Gründe
Recht gegeben wird. Zugrunde liegt hier eine generelle Skepsis gegenüber der synopti-
schen Tradition, die dann auch KÄSEMANNS Formulierung der .Beweislastregel' zu-
grundeliegt. Vgl. dazu THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 131f.
51 Siehe dazu HENGEL, Nachfolge, 6-17; Luz, EKK 1/2, 24f. Interessanterweise ist die-
ses Logion auch kaum selbständig tradierbar. Es scheint von Anfang an seinen .Rah-
men' (d. h. Q 9,59 = Mt 8,21 par Lk 9,59) mit sich getragen haben. Dies spricht auch
gegen die oft axiomatisch gehandhabte Regel, nur Logienüberlieferungen auf einen
vorösterlichen Ursprung zurückzuführen.
52 Dieses steht nach THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 68f., hinter der Komponente
.Differenzkriterium gegenüber dem Christentum'.
53 So in der Tradition von W R E D E und BULTMANN Z. B . FUCHS, Jesus, 107, mit einer tat-
sächlich dogmatisierenden Formulierung: „Das Unmessianische ist nicht bloß als hi-
storische Tatsache, sondern zuvor als Notwendigkeit in Jesu Auftreten zu verstehen."
Im Kontext der BuLTMANN-Schule wurde selbst Jesu Rede vom .Menschensohn' von
vielen Auslegern gänzlich der Gemeindetheologie zugeschrieben und dem irdischen
Jesus abgesprochen (so z.B. KÄSEMANN, Problem, 211; CONZELMANN, Jesus Chri-
s t u s , 6 3 1 ; BORNKAMM, J e s u s , 2 0 8 ; vgl. a u c h VIELHAUER, G o t t e s r e i c h ; DERS., J e s u s ;
aufgenommen bei V Ö G T L E , Gretchenfrage, 132f.). Für CONZELMANN ist Jesus dem-
entsprechend keine .messianische' Gestalt, sondern lediglich der „letzte Rufer" (op.
cit., 633), d. h. eine letztlich immer noch - wie bei BULTMANN - prophetische Gestalt.

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284 J ö r g Frey

ante dieser Position - daß seine Geschichte allenfalls als eine Geschichte „zerbrochener
Messiaserwartungen" 5 4 gewesen sein könne. Diese dogmen- und kirchenkritische Moti-
vation des Differenzkriteriums (bzw. der Komponente der Differenzierung zwischen
Jesus und dem Urchristentum) zeigt sich auch bei den Vertretern der .neuen Frage' in
hohem Maße, und die Betonung des .Bruches' zwischen Jesus und der Urkirche bzw. des
mit dem Kerygma gegebenen radikal .Neuen' führt dazu, daß das rekonstruierte Bild der
Verkündigung Jesu und v. a. seine Beziehung zur nachösterlichen Tradition historisch
ζ. T . unplausibel bleibt 5 5 .
Ein zweites Problem des Differenzkriteriums wurde weithin als noch gravierender
empfunden. Seine religionsgeschichtliche Komponente, der Aspekt der Differenz Jesu
vom zeitgenössischen Judentum, führte dazu, daß in dem Bestand der als authentisch
erhobenen Logien insbesondere diejenigen enthalten waren, die Jesu Unterscheidung
von seinem jüdischen Kontext, einzigartiges Selbstverständnis, seine Kritik am .Gesetz'
und an der jüdischen Frömmigkeit zur Sprache bringen. Hingegen ließ sich für jene Lo-
gien, die sich besser in einen jüdischen Kontext einfügen, der .Verdacht' einer Bildung in
nachösterlich-judenchristlichen Kreisen nicht streng ausschließen. Das resultierende J e -
susbild betonte dementsprechend die Einzigartigkeit Jesu im Kontrast zu seiner jüdi-
schen Umwelt und seine Radikalität seiner Verkündigung - häufig auf dem Hintergrund
eines überwiegend negativen Bildes des so genannten .Spätjudentums' 5 ' - , während die
Entwicklung der nachösterlichen Tradition dann als eine „Geschichte der Mißverständ-
nisse" 5 7 , als nomistische und partikularistische Verengung der Jesustradition verstanden
wurde. D o c h ist diese Konstruktion nicht nur in dem ihr vorausgesetzten Bild des zeit-
genössischen Judentums problematisch, sondern auch in ihrer kriterialen Anwendung
auf die Verkündigung Jesu: Sollte es historisch plausibel sein, den irdischen Jesus nur in
stetem Gegensatz zu seiner Umwelt, insbesondere seiner jüdischen Umwelt zu den-
ken 58 ? M u ß t e man nicht damit rechnen, daß der irdische Jesus vor aller möglichen .Ori-
ginalität' und .Individualität' zunächst eine Vielzahl von Vorstellungen mit seiner jüdi-
schen Umwelt teilte und daß daher Logien und Handlungsweisen, die sich von dieser
nicht durch das Differenzkriterium abheben ließen, dem irdischen Jesus mit einer hohen
Wahrscheinlichkeit zuzuschreiben sind?

Ü b e r diese letztlich dogmatischen Restriktionen hinaus wagte sich zunächst nur


ERNST KÄSEMANN in seinem berühmten Vortrag, wenn er formulierte (Problem, 2 0 6 ) :
„Die einzige Kategorie, die seinem Anspruch gerecht wird, ist völlig unabhängig da-
von, o b er sie selber benutzt oder gefordert hat oder nicht, diejenige, welche seine
Jünger ihm dann auch beigemessen haben, nämlich die des Messias."
54 BORNKAMM, Jesus, 158.

55 GERD THEISSEN hat dagegen korrigierend den Aspekt der .Wirkungsplausibilität' ein-

geführt (THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 1 7 6 - 1 8 3 . 2 1 0 - 2 1 2 . 2 4 0 - 2 5 0 ) .


56 Vgl. dazu KÄSEMANN, Problem, 2 0 6 - 2 1 3 ; s. auch STRECKER, Theologie, 3 0 6 - 3 0 9 ; zum

Jesusbild in der Monographie von BORNKAMM S. THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage,


139-144.
57 KÄSEMANN, Problem, 206.

S ' KÄSEMANN weiß um das Problem, daß man mit Hilfe seines Kriteriums „keine Klar-

heit über das erhält, was Jesus mit seiner palästinischen Umwelt und seiner späteren
Gemeinde verbunden hat", aber wichtiger doch, „wenn wir zu Gesicht bekommen,
was ihn von Gegnern und Freunden trennte" (Problem, 205f.).

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 285

Es war daher schon den Vertretern der .neuen Frage' deutlich, daß man
das Kriterium der Unableitbarkeit mit anderen, weniger sicheren, aber er-
gänzenden Kriterien verbinden mußte, wenn man zu einem historisch
plausiblen Bild der W o r t e (und des Wirkens) Jesu kommen wollte 59 . Zu
nennen sind hier v. a. das Kriterium der Kohärenz einzelner W o r t e mit ei-
nem bereits als authentisch erwiesenen Bestand 6 0 , das Kriterium der
mehrfachen Bezeugung in unabhängigen Quellenschichten 6 1 sowie Beob-
achtungen zur sprachlichen Formung oder typischen Stilmitteln und
-techniken (auf dem Hintergrund des Aramäischen) 6 2 . Gleichwohl führte
die Rückfrage nach Jesus in dieser Phase der Forschung immer noch häu-
fig zu einem eher minimalistischen Bild der Verkündigung Jesu, und der
Einwand lag nahe, ob denn die Beweislast wirklich dem obliege, der ein
Jesuswort tatsächlich auf Jesus zurückführen will, oder ob nicht zumin-
dest in gleichem Maße die Behauptung einer .Gemeindebildung' ebenso
gründlich plausibel gemacht werden müsse 63 . Programmatisch formulierte
MARTIN HENGEL: „ W e r eine .Gemeindebildung' annimmt, m u ß dann
auch O r t , Zeit und Gründe angeben" 6 4 . Die in der formgeschichtlich ge-
prägten Forschung verbreitete These, daß die Urchristenheit in großem
Stil Prophetenworte in I c h - F o r m gebildet und Jesus in den Mund gelegt
hätte 65 , ließ sich historisch nicht hinreichend belegen 66 . Sie kann deshalb

59 Siehe dazu den Überblick bei PERRIN, Was lehrte Jesus, 6-51; PORTER, Criteria,
6 3 - 1 2 3 . vgl. w e i t e r die D i s k u s s i o n bei THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage; SCRIBA,
Echtheitskriterien.
60 Siehe dazu PERRIN, Was lehrte Jesus, 37-40; PORTER, Criteria, 79-82.

" Siehe dazu PERRIN, Was lehrte Jesus, 40-42; PORTER, Criteria, 82-89. Dieses Kriteri-
um läßt sich auch auf die Uberlieferung der Taten Jesu, z. B. auf seine therapeutische
und exorzistische Tätigkeit anwenden; s. dazu THEISSEN/MERZ, Jesus, 269-275; MEI-
ER, Marginal Jew II, 619-623; FREY, Verständnis, 12f.
62 Siehe dazu grundlegend JEREMIAS, Theologie I, 19-46. Das Kriterium der semitischen

Sprachgestalt (s. dazu skeptisch PORTER, Criteria, 89-99) läßt sich vom Differenzkri-
terium unabhängig einsetzen, es kann allerdings nur Indizien für das hohe Alter einer
Tradition beisteuern, nicht jesuanische Authentizität beweisen. Erst in Verbindung
mit anderen Beobachtungen wie Häufigkeit eines Phänomens, sprachlicher Formung
etc. lassen sich weitergehende Folgerungen ziehen, wobei immer noch nicht auszu-
schließen ist, daß jesuanische Formulierungen in andere Logien .gewandert' sind (vgl.
RIESNER, Jesus, 92f.).
63 So gegen die .Beweislastregel' bei KASEMANN, Problem, 203, und anderen zunächst

KÜMMEL, Antwort, 187f., der das Diktum prägte, die Jesusüberlieferung verdiene
„kritische Sympathie"; vgl. STUHLMACHER, Theologie I, 43-45.
M HENGEL, Geschichtsschreibung, 29; ähnlich bereits DROYSEN, Historik, 99f.: „Zum

vollen Beweis der Unechtheit gehört, daß der wirkliche Ursprung des Gefälschten, die
Zeit, der Zweck der Fälschung nachgewiesen wird".
65 Dies wird nicht zuletzt von KÄSEMANN, Problem, 211 (vgl. DERS., Sätze) betont.

" Vgl. die Analyse bei AUNE, Prophecy, 233-245.

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286 Jörg Frey

auch nicht mehr - wie noch bei KÄSEMANN - zur Legitimation einer
grundlegenden Skepsis gegenüber der Jesusüberlieferung herangezogen
werden.
Der hier nur knapp skizzierte Streit zwischen .Minimalisten' und ,Ma-
ximalisten' verband sich zugleich stets mit der Frage, welche theologische
Relevanz dem Ergebnis der Rückfragt nach dem historischen Jesus bei-
gemessen wurde: Welche theologische Bedeutung und welche Relevanz
für den christlichen Glauben hat es, daß Jesus tatsächlich Heilungen voll-
bracht, daß er einen .messianischen' Selbstanspruch erhoben und seinen
Tod selbst gedeutet hat? Dabei ist häufig zu beobachten, daß historisch
.konservativere' Autoren dazu tendieren, dem so erhobenen Bild Jesu eine
stärker normative Bedeutung beizumessen 67 , während historisch skepti-
schere Autoren die theologische Bedeutung der historischen Rückfrage
eher gering ansetzen 68 . Dies zeigt erneut, daß die Frage nach Jesus trotz
der elaborierten Versuche, mit Hilfe strikter Kriterien zu einem möglichst
.objektiven' Bild des historischen Jesus zu gelangen, stets in einem her-
meneutischen Zirkel erfolgt, in dem die theologische Option der einzel-
nen Interpreten nie ganz ausgeklammert werden kann.

2.4 Die „dritte Frage" bzw. die neueste Phase der Jesusforschung

Seit dem Ende der 80er Jahre gibt es in der anglo-amerikanischen For-
schung das Diktum von einer „dritten Frage" nach Jesus, bzw. einem
„Third Quest" 69 , der seit ca. 1980 zu einer neuen Flut von Publikationen

67Dies ist deutlich erkennbar bei STUHLMACHER, Theologie I, 4 0 - 5 0 .


68Siehe die Erörterungen bei STRECKER, Theologie, 2 6 4 - 2 6 9 . Eine Ausnahme im deut-
schen Sprachraum bildet GERD LÜDEMANN, der seinem historisch sehr skeptischen
Bild Jesu zugleich eine gegen das kirchliche Dogma gewendete kritische Normativität
zuerkennen wollte (so bereits in DERS., Auferstehung, 220: „Hier, am historischen Je-
sus, wie er mir durch die Texte vorgegeben ist und durch historische Rekonstruktion
als Person begegnet, fällt also die Entscheidung des Glaubens"). Ahnliche Tendenzen
bestehen bei den im Jesus-Seminar' vereinten nordamerikanischen Forschern, die -
primär in Auseinandersetzung mit einem amerikanischen Bibelfundamentalismus -
ein neues Jesusbild "free of ecclesiastical and religious control" (FUNK, Gospels, xviii),
aber doch nicht ohne das Pathos eines gesteigerten Wahrheitsanspruchs, verbreiten
will. Dies zeigt sich schon in der Widmung der .Bibelausgabe' des Jesus-Seminar' an
Galileo Galilei, Thomas Jefferson und David Friedrich Strauß. Die alte aufklärerische
.antidogmatisch-dogmatische' Denkfigur kehrt hier in neuem Gewand wieder.
" Die Bezeichnung wurde 1987 von TOM WRIGHT in seiner Weiterführung der Ge-
schichte der neutestamentlichen Forschung von STEPHEN NEILL eingeführt: NEILL/
WRIGHT, Interpretation, 379. CHARLESWORTH, Jesus, 2, spricht von einem .Paradig-

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 287

über Jesus geführt hat. Diesem Zweig der Forschung hat sich im deut-
schen Sprachraum vor allem G E R D T H E I S S E N zugeordnet70. Und auch
wenn zwischen der .neuen' und der .neuesten' Phase der Jesusforschung
nicht immer eine klare Zäsur zu erkennen ist71, so gibt es doch eine Reihe
von Verschiebungen im Diskussionsrahmen und einzelnen Fragestellun-
gen, die hier nur in aller Kürze benannt werden können72:

a) Ein wesentliches Kennzeichen der neueren Forschung ist zunächst die


„Betonung der historischen Dimension der Jesusfrage "73: Das theologische
Interesse der Rückfrage nach Jesus, das noch bei den Vertretern der .neu-
en Frage' wie K Ä S E M A N N oder B O R N K A M M leitend war, ist zurückgetreten
und ζ. T. dezidiert ausgeklammert74. Die im Banne der Theologie B U L T -
MANNS beherrschende Diskussion, ob die historische Rückfrage nach
Jesus theologisch .erlaubt' sei oder nicht, wird vielerorts nur noch mit
Verständnislosigkeit zur Kenntnis genommen. Die Legitimität der histo-
rischen Jesusfrage ist - von wenigen Außenseitern abgesehen - nicht
mehr ernsthaft in Frage gestellt. Daß das christliche Kerygma die Rück-
bindung an den irdischen Jesus fordert, muß zur Begründung der Frage
nach dem historischen Jesus nicht mehr eigens angeführt werden. Der äl-
teren Forschung wird vorgehalten, sie hätte historische Fragen allzu sehr
mit theologischen Interessen vermischt75. Die Beobachtung ist zutreffend,
und sie erfaßt in unterschiedlicher Weise sowohl die ältere liberale Leben-

menwechsel' der Jesusforschung; vgl. auch TELFORD, Trends, 33f.57—61. Zur Kritik an
dieser Behauptung einer .epochalen' W e n d e s. PORTER, Criteria, 5 1 - 5 5 .
70 THEISSEN/MERZ, Jesus, 28f.; THEISSEN/WINTER, Die Kriterienfrage, bes. 1 7 5 - 2 3 2 ; vgl.
auch SCHRÖTER, Jesus, 8 - 1 4 .
71 So PORTER, Criteria, 5 1 : "there is a great deal of evidence that there has always been
just one multi-faceted quest for the historical Jesus"; vgl. auch DU TOIT, Emeut auf
der Suche, 108f., der meint, „daß man trotz aller Differenzen festhalten muß, [ . . . ]
daß beide Phasen auf breiter Front eine grundlegende Kontinuität aufweisen".
72 Siehe zum Überblick SCHRÖTER, Jesus, 8 - 1 3 ; THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 145—
157; DU T o r r , Erneut auf der Suche; BORG, Scholarship, 3 - 4 7 ; PORTER, Criteria, 5 1 -
55; TELFORD, Trends; EVANS, Contemporaries, 1 - 4 9 ; WITHERINGTON, Jesus Quest.
73 SCHRÖTER, J e s u s , 8 .
74 Vgl. EVANS, Contemporaries, lOf.: "Unlike the earlier quests, the Third Quest is not
driven by theological-philosophical concerns. There has been a shift away f r o m a
philosophical orientation to a historical orientation".
75 Vgl. MEIER, Marginal J e w I, 2 5 - 3 1 ; s. auch SANDERS, Jesus, 331.333f., mit dem Anlie-
gen der Befreiung von "history and exegesis f r o m the control of theology". Dabei
kann man mit THEISSEN/WINTER (Kriterienfrage, 146f.) beobachten, daß der „profan-
historische Impetus [.. .] sich bei einigen Vertretern des Third Quest mit einem
A f f e k t gegen die deutsche Theologie [verbindet] und [ . . . ] insofern zugleich eine
Emanzipation angelsächsischer Theologie gegenüber der früheren Dominanz deutsch-
sprachiger Theologie" darstellt.

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288 Jörg Frey

Jesu-Forschung als auch die Vertreter der .neuen Frage'. Demgegenüber


ist es zweifellos ein Fortschritt, wenn in der neueren internationalen F o r -
schung ein „identitätsoffener Dialog über Jesus" 7 6 unter Beteiligung von
Wissenschaftlern aus sehr verschiedenen konfessionellen und religiösen
Kontexten eingesetzt hat.

Andererseits sind auch die sehr unterschiedlichen Jesusbilder aus der Feder neuerer Au-
toren77, insbesondere die Rekonstruktionen aus dem Jesus-Seminar' und die Versuche,
in den Quellen oder eher hinter den Quellen einen unapokalyptischen bzw. uneschato-
logischen78, rein weisheitlichen79 oder kynisch-popularphilosophischen80 oder gar einen
rein politisch-religiösen81 Jesus zu .entdecken', dahingehend zu befragen, inwieweit sie
nicht auch in hohem Maße eine Widerspiegelung dessen sind, was ,der Herren eigner
Geist' sich vorzustellen vermag oder für akzeptabel hält82. Die Uberzeugung, daß der
.wirkliche' Jesus nicht von einem Ende der Welt, einem letzten Gericht oder gar von sei-
ner Wiederkunft gesprochen habe, daß er das Gottesreich nicht als eine bald einbrechen-
de, sondern als eine gegenwärtig verborgene Wirklichkeit verkündigt habe, daß er nicht
die Bibel zitiert und seinen Freunden zwar Weisheitsworte, aber keine wirkliche .Lehre'
aufgab83 - das alles fügt sich eher in die Kontext einer nachchristlich-aufgeklärten, post-
modern-toleranten Gesellschaft als in das Palästina der Zeitenwende. Was A L B E R T
SCHWEITZER einst über die Jesusbilder der liberalen Jesusforschung sagte, ließe sich an-
gesichts mancher Konstruktionen der neuesten Forschung mutatis mutandis wiederho-
len. Die Prämissen des Jesus-Seminar' haben offenbar dazu geführt, daß die Regel "Be-
ware of finding a Jesus entirely congenial to you"84 gerade nicht zur Wirkung kommen
konnte85.

76 THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 147.


77 Siehe dazu B O R G , Scholarship, 8 - 1 2 . 1 8 - 4 3 ; DU T O I T , Erneut auf der Suche, 9 3 - 1 0 6 .
78 So ζ. B. BORG, Scholarship, 47-68; DERS., Jesus.
79 So ζ. B. CROSSAN, The Historical Jesus.
80 So über CROSSAN hinaus v. a. MACK, Myth, 56; DERS., Cynic-Like Jesus; DOWNING,
Jewish Cynic Jesus.
81 So MALINA, Criteria, 42: "Jesus was interested solely in political religion."
82 Siehe die entlarvenden Bemerkungen von O T T O BETZ über die .Bibelausgabe' des J e -
sus-Seminar': „Der historische Jesus der .Five Gospels' ist [ . . . ] der Anwalt der Ar-
men und Diskriminierten, der Schrecken für die Scheinfrommen und die Reichen: das
Erbe der .Theologie der Befreiung* wird durch ihn mitverwaltet. [ . . . ] Der .rote' Jesus
dieses Buches, respektlos und rebellisch gegenüber Frommen und Reichen, dem ein-
fachen Volk verbunden, dessen vulgäre Sprache er übernahm, ist eher selbst ein vor-
bildlicher .Fellow', eine Art von geistlichem enfant terrible und troublemaker [ . . . ] In
summa: Der .historische' Jesus der .Fünf Evangelien' ist [ . . . ] vor allem ein Held un-
serer Zeit" (BETZ, ThLZ 119,989f.)
83 Vgl. den Uberblick über die kollektive Meinung des Jesus-Seminar' bei BORG, Scho-
larship, 164-168. Vgl. auch die programmatische These bei CROSSAN, Jesus, xxxi:
"Jesus left behind him thinkers not memorizers, disciples not reciters, people not
parrots."
84 So die siebte .Säule der wissenschaftlichen Weisheit' in FUNK (ed.), Five Gospels, 5.
85 BETZ, T h L Z 119, 989.

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 289

Dies zeigt, daß die Jesus-Forschung dem grundlegenden hermeneutischen


Zirkel nicht zu entrinnen vermag - am wenigsten durch das Postulat, man
wolle völlig .undogmatisch' vorgehen!

b) Der historische Ansatz fordert mit Entschiedenheit die Einbeziehung


aller Quellen, die für die präzise Beschreibung des Umfeldes Jesu in poli-
tischer, sozialer, kultureller und religiöser Hinsicht zur Verfügung stehen.
Neben den neutestamentlichen Texten sollen auch die archäologischen
Zeugnisse sowie die Zeugnisse des zeitgenössischen Judentums und die
nicht kanonisch gewordenen frühchristlichen Zeugnisse einbezogen wer-
den. Dabei bleibt der Quellenwert der einzelnen Texte und Quellen
selbstverständlich umstritten. Fraglich ist insbesondere, ob man zusätz-
lich zu den bei Markus und in Q sowie im Lukas- und Matthäus-
Sondergut überlieferten Traditionen hinter einigen außerkanonischen
Texten noch Quellen für die älteste Zeit des Urchristentums erheben
kann86.

CRAIG A. EVANS hat zutreffend beobachtet, daß die breite Heranziehung, ja z. T. Hö-
herschätzung der außerkanonischen, oft nur durch hypothetische Rekonstruktionen ge-
wonnenen .Quellen' vor allem ein amerikanisches Phänomen darstellt 87 . Es ist völlig
selbstverständlich, daß eine um historisches Verstehen bemühte Forschung nicht an den
Grenzen des Kanons enden darf, sondern möglichst alle verfügbaren Quellen kritisch in
ihr Gesamtbild einbeziehen muß, aber die Rezeption der außerkanonischen Traditionen
erfolgt gelegentlich mit einer recht unkritischen Begeisterung an den .neuen' Stoffen -
ganz im Gegensatz zur skeptischen Einschätzung der synoptischen Traditionen 88 . Im
B l i c k auf die q u e l l e n k r i t i s c h e n U r t e i l e v o n HELMUT KOESTER o d e r JOHN DOMINIC
CROSSAN h a t D W I G H T M O O D Y SMITH m i t R e c h t f e s t g e s t e l l t " t h a t w e a r e s e e i n g n o w a
willingness or propensity to credit the independence and antiquity of the apocryphal
gospels that is somewhat surprising in view of what is allowed in case of the canoni-
cals" 89 . Diese kritischen Fragen beruhen nicht nur - wie gerne unterstellt wird - auf einer
.dogmatischen Voreingenommenheit' 90 , sondern auf quellenkritischen Überlegungen.

86 Vgl. dazu EVANS, Contemporaries, 26-49.


87 EVANS, Contemporaries, 27.
88 Dies gilt sowohl für die Authentizitätsurteile des Jesus Seminar' (FUNK [ed.], The
Five Gospels) als auch für die Rekonstruktion der ältesten Traditionsschicht bei
CROSSAN, Jesus, 427-450, wo nicht nur dem koptischen Thomasevangelium, sondern
noch zahlreichen weiteren, z. T. erst quellenkritisch extrahierten Texten in extremer
Frühdatierung die historische Priorität vor den synoptischen Traditionen eingeräumt
wird.
89 SMITH, Problem, 151.
90 So der Vorwurf gegen die Verteidiger der historischen Priorität der kanonischen
Evangelien bei KOESTER, Gospels, xxx. Es läßt sich freilich beobachten, daß gerade im
einflußreichen Werk HELMUT KOESTERS - seit seinen Anfängen in der bei BULTMANN
geschriebenen Dissertation über .Synoptische Uberlieferung bei den Apostolischen

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290 Jörg Frey

Diese können hier nicht im Detail ausgeführt werden. Doch ist festzustellen, daß die
Rekonstruktionen und Datierungen, wie sie etwa bei CROSSAN vorgenommen werden,
auch in der amerikanischen Forschung und bei anderen Vertretern des .Third Quest' mit
guten Gründen auf Widerspruch stoßen".

Davon unberührt ist jedoch das Postulat, daß ein historisch plausibles
Bild des irdischen Jesus auf einer möglichst breiten Quellenbasis und im
Rahmen des sozialen und religiösen Kontextes seiner Zeit zu zeichnen ist.
Dabei kommt den Texten des zeitgenössischen Judentums 92 und den ar-
chäologischen Zeugnissen, insbesondere auch im galiläischen Raum zen-
trale Bedeutung zu.

c) Mit dem primär historischen Ansatz und aufgrund der Einbeziehung


der jüdischen Forschung 93 wurden schließlich auch die Kriterien zur
Identifikation authentischen Jesusguts neu zur Diskussion gestellt. War
für die Forschung im Anschluß an K Ä S E M A N N oder B O R N K A M M das Dif-
ferenzkriterium weithin fraglos in Geltung, so hat sich in der jüngeren
Forschung gegen dieses Kriterium breite Kritik formiert94, jedoch wurde
in der Kriterienfrage gerade kein neuer Konsens erreicht95. Die zur Gel-

Vätern' - ein systematisch reflektiertes Programm wirksam ist, das in der Kritik am
.frühkatholischen' Kanon der Kirche .Rechtgläubigkeit' dort finden will, wo „die Exi-
stenz der Glaubenden radikal geschichtlich verstanden ist", während das Gegenteil
eben dort vorliegt, wo von einem „Versagen der Entmythologisierung im Urchri-
stentum" gesprochen werden muß - ζ. B. in den .frühkatholischen Evangelien
(KOESTER, Häretiker, 71.73; vgl. auch DERS., Ein Jesus, 184ff.: „Die kanonischen
Evangelien und das rechtgläubige Bekenntnis"). Dieses theologische Programm hat
sich bei KOESTER natürlich gewandelt, aber noch 1991 formulierte er, es sei die Auf-
gabe der Bibelwissenschaft, die bestehenden Sicherheiten und Strukturen religiöser
und politischer Macht in Frage zu stellen (KOESTER, Epilogue, 475.) - das bultman-
nianische Programm ist damit ins Politische ausgeweitet. Siehe zu diesen - in der ame-
rikanischen Diskussion meist übersehenen - Wurzeln der .Harvard-Schule' auch
FREY, Eschatologie I, 367-370; zur Auseinandersetzung mit den Prämissen KOESTERS
auch SCHRÖTER, Jesus, 189-195.
" Siehe zur Kritik exemplarisch CHARLESWORTH/EVANS, Jesus in the Agrapha; MEIER,
Marginal Jew I. 112-166.
92 Vgl. dazu EVANS, Non-Christian Sources; einen breiten Überblick bietet DERS., Con-
temporaries.
93 Den Beitrag der jüdischen Forschung zur Genese des „Third Quest" beschreiben
THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 148-151.
94 Zur Kritik am Differenzkriterium bzw. zur Diskussion um seine Modifikation s.
CATCHPOLE, T r a d i t i o n H i s t o r y , 1 7 4 - 1 7 8 ; T H E I S S E N / W I N T E R , K r i t e r i e n f r a g e , 19-26.
124-145.157-166; DU T O I T , E r n e u t a u f d e r S u c h e , 1 1 4 - 1 1 6 ; vgl. a u c h BAASLAND,
Theologie, 159-161.
95 Dies zeigt das Werk von PORTER mit den von ihm eingeführten .neuen' Kriterien wie
z. B. dem Kriterium der griechischen Sprache (!), s. Criteria, 126-180; ganz andere,

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D e r historische Jesus und der Christus der Evangelien 291

tung gebrachten Kriterien sind ζ. T. lediglich Spiegel der jeweiligen Jesus-


bilder, so daß ihre argumentative Kraft nicht über jeden Zweifel erhaben
ist. Eine Reihe von Forschern hat die Frage nach Kriterien für die Her-
ausarbeitung authentischen Jesusguts überhaupt preisgegeben" - mit der
Folge, daß das Bild Jesu mit dem seiner Umwelt oder der frühen Gemein-
de verschwimmt, aber dann auch beliebig instrumentalisierbar zu werden
droht.
In seiner klassischen, durch KÄSEMANN formulierten Prägung ist das
Kriterium der doppelten Unableitbarkeit jedenfalls weithin aufgegeben
worden. Einzelne Ausleger halten die Differenz vom nachösterlichen
Christentum bereits für suffizient, während eine Differenz zum Juden-
tum nicht mehr als notwendig angesehen wird, um ein Logion als jesua-
nisch zu qualifizieren97. Dabei ergibt sich freilich die Folge, „daß Jesus
völlig vom antiken Christentum isoliert wird" 98 und die Wirkungen Jesu
im frühen Christentum historisch unerklärlich werden 99 . Doch wurde es
in der neueren Jesusforschung weithin Konsens, daß Jesus in der kontex-
tuellen Verbindung mit dem zeitgenössischen Judentum zu verstehen
ist 100 - man muß präzisieren: als galiläischer Jude innerhalb des komplexen
Gefüges des Judentums seiner Zeit.

Dabei ist vorausgesetzt, daß das palästinische J u d e n t u m der Z e i t J e s u ein vielfältig diffe-
renziertes war. D i e früher übliche, auf den späteren rabbinischen Zeugnissen basierende
Rede von einem .normativen' J u d e n t u m 1 0 1 , von dem sich lediglich einzelne . S e k t e n ' wie
ζ. B . die E s s e n e r oder eben auch Jesus und seine A n h ä n g e r wie von einer dunklen F o l i e
abheben k o n n t e n , ist durch die Erschließung neuer Quellen (wie ζ. B . der Q u m r a n -
Funde sowie archäologischer Zeugnisse) wie auch durch die differenziertere historische
Erschließung der rabbinischen Literatur als unhaltbar erkannt worden. A u c h die im A n -

vorwiegend inhaltliche, am Bild des politischen .Bauernpropheten* orientierte Kriteri-


en will ζ. B . MALINA, Criteria, 43, einführen.
96 Vgl. etwa BERGER, Kriterien.
97 S o etwa HOLMÉN, D o u b t s , der für Logien, bei denen eine solche D i f f e r e n z festzu-
stellen ist, dann eher eine Bildung durch das frühe C h r i s t e n t u m erwägt. Eine einseiti-
ge W e n d u n g des Differenzkriteriums im Sinne einer D i f f e r e n z zum C h r i s t e n t u m bei
gleichzeitiger K o n t i n u i t ä t zum J u d e n t u m zeigt sich bei CHARLESWORTH, J e s u s .
98 Vgl. DU T O I T , E r n e u t auf der Suche, 116 A n m . 106
99 Es wäre keine L ö s u n g dieses Problems, wenn dann sehr schnell .hellenistische Einflüs-
se' in der frühen K i r c h e für das verantwortlich gemacht würden, was man Jesus selbst
aufgrund der Analogielosigkeit im zeitgenössischen J u d e n t u m n i c h t m e h r zuzuschrei-
ben wagt.
100 Vgl. die T i t e l neuerer J e s u s b ü c h e r : SANDERS, J e s u s and Judaism; CHARLESWORTH, J e -
sus within Judaism; MEIER, A Marginal J e w ; CHILTON/EVANS, J e s u s in C o n t e x t .
" " D e r B e g r i f f geht auf GEORGE FOOT MOORE zurück, wo er im B l i c k auf das rabbini-
sche J u d e n t u m und zur A u s g r e n z u n g des hellenistischen J u d e n t u m s und der A p o k a -
lyptik dient, s. DERS., J u d a i s m I, 125.

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schluß an Ε. P. SANDERS verbreitete Rede von einem .Common Judaism' kann der Ge-
fahr nicht entgehen, die vielfältigen Differenzierungen und tiefgreifenden Gruppenkon-
flikte in der Spätzeit des Zweiten Tempels in unangemessener Weise einzuebnen 102 . Eine
jüdische .Orthodoxie', gegenüber der sich Jesus en bloc abheben könnte, gab es vor dem
Jahr 70 nicht. Wie sich sein Wirken und seine Botschaft in das Judentum seiner Zeit
einfügen konnte und worin er sich von einzelnen Gruppen desselben unterschied oder
gar Anstoß und Gegnerschaft provozieren konnte, muß deshalb im Blick auf die ver-
schiedenen sozialen und religiösen Gruppenbildungen im palästinischen Judentum dieser
Zeit differenziert beantwortet werden.

Im Blick auf die Kriterien für die Authentizität von Traditionen ist daher
das Kriterium der Differenz gegenüber dem Judentum nur noch „im
Rahmen einer grundlegenden Kontinuität Jesu zum Judentum" anwend-
bar103, und man kann den ,Third Quest' gerade dadurch gekennzeichnet
sehen, daß der jüdische Charakter Jesu hier in vollem Maße zum Bewußt-
sein gebracht wurde104. Ohne die Einbettung in den sprachlichen und
kulturellen Kontext des zeitgenössischen Judentums hätte Jesus von nie-
mandem verstanden werden können. Andererseits reicht der .jüdische'
Charakter einer Tradition nicht hin, um diese als spezifisch jesuanisch zu
qualifizieren. So bleibt die Frage nach dem besonderen Profil Jesu bzw.
nach Kriterien, die es ermöglichen, innerhalb des zeitgenössisch-jüdischen
Kontextes jene Elemente zu identifizieren, die nicht einfach von anderen
Personen der frühen, noch ganz judenchristlichen Gemeinde übernom-
men und in die Jesustradition eingetragen sein können, sondern mit be-
sonders hoher Wahrscheinlichkeit von Jesus selbst formuliert sein dürf-
ten. GERD THEISSEN will in seiner Umformung des Differenzkriteriums
hier von zwei Komponenten der so genannten .Kontextplausibilität' re-
den, einer .Kontextentsprechung' (nach der eine Tradition innerhalb des
jüdischen Kontextes denkmöglich sein muß) und einer .kontextuellen
Individualität', die sich im Vergleich mit anderen jüdischen Gruppen und
Gestalten oder in bestimmten sprachlichen .Besonderheitsindizien' (wie
z. B. dem .nicht-responsorischen Amen') 105 zeigt. Diese Argumente

102 Siehe dazu jetzt den Sammelband von CARSON/O'BRIEN/SEIFRID, Justification; sowie
die profunde Kritik von HENGEL/DEINES, Common Judaism.
103 DU TOIT, Erneut auf der Suche, 115.

,<M Vgl. HOLMEN, Jewishness; eine Ausnahme bildet freilich das Jesusbild bei MACK,

Myth, das eher einen unjüdischen, hellenistisch-kynischen Jesus zeichnet.


105 Siehe dazu THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 183-191.205-260. Die Kritik an diesem

Argument bei HOLMÉN, Doubts, 73f. Anm. 106, der einwendet, die Suche nach sol-
chen individuellen Zügen erfordere bereits ein apriorisches Wissen über diese, ist vor-
eilig. Natürlich erfolgt jede historische Rückfrage nach Jesus in einem hermeneuti-
schen Zirkel, dem prinzipiell nicht zu entkommen ist. Aber man kann auch durch
andere Kriterien wie das der vielfachen Bezeugung oder auch der sprachlichen For-

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 293

weisen dann zwar nicht je für sich, aber doch in der Summe mit großer
Wahrscheinlichkeit auf einen jesuanischen Ursprung einer bestimmten
Tradition.

Es bleibt abzuwarten, ob sich mit der Umstrukturierung des alten Diffe-


renzkriteriums im Sinne eines .historischen Plausibilitätskriteriums' 106 ,
bestehend aus Kontextplausibilität (im Rahmen des zeitgenössisch-jüdi-
schen Kontextes) und Wirkungsplausibilität (im Blick auf die Herausbil-
dung des frühen Christentums) eine größere Sicherheit in der Rückfrage
nach den Worten und der Wirksamkeit Jesu von Nazareth erreichen läßt.
Auch dieses Kriterium läßt der subjektiven Einschätzung noch großen
Raum, so daß zumindest an einzelnen Stellen - trotz aller Kritik - ein
modifiziertes (d. h. auf der Basis der Kontext-Verbindung gewonnenes)
.Unableitbarkeits-Argument' unverzichtbar sein wird. Dabei ist sowohl
kontextuelle Individualität gegenüber den Strömungen des zeitgenössi-
schen Judentums und als auch die Differenz bzw. .Anstößigkeit' oder
.Tendenzwidrigkeit' gegenüber den Entwicklungen der frühen Gemeinde
zu beachten107. Jedenfalls wäre es zu einseitig, im Bann des .Third Quest'
allein den jüdischen Charakter der Jesustradition herauszuarbeiten und
die Frage auszuklammern, ob und inwiefern auf dem Hintergrund dieser
Traditionen die Entwicklung des frühen Christentums und seiner Sicht
des Wirkens und der Verkündigung Jesu plausibel erklärlich sind.

3. Hermeneutische Probleme und Perspektiven

Im Rückblick auf die Forschungsgeschichte und angesichts der offenen


und nach wie vor - oder mehr denn je - disparaten Diskussionslage sollen
nun einige hermeneutische Probleme der Jesusfrage benannt und thesen-
haft reflektiert werden.

a) Das erste Problem besteht heute praktisch nicht mehr: die Frage nach
der Legitimität der historischen Rückfrage nach Jesus. Diese ist im westli-

mung bestimmte Elemente der Jesustradition als zentral herausstellen, über die dann
solche individuellen Züge bestimmt werden. Es reicht jedenfalls nicht, aus dem jüdi-
schen Charakter einer Tradition auf deren Jesuanität zu schließen!
106 THEISSEN/MERZ, Jesus, 29: „Was im jüdischen Kontext plausibel ist und die Entste-

hung des Urchristentums verständlich macht, dürfte historisch sein".


107 Vgl. etwa BECKER, Jesus, 18: „Das Kriterium bleibt weit und breit konkurrenzlos,

wenn die gezielt gesuchte Unverwechselbarkeit Jesu immer zugleich als kontextuelle
Ausprägung des Judentums und als Vorgabe mit Kontinuität zum Urchristentum ver-
standen wird".

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294 Jörg Frey

chen Kulturkreis inzwischen - von fundamentalistischen' Kreisen abge-


sehen - praktisch unstrittig. Menschen, die im historischen Paradigma zu
denken gelernt haben, stellen ihre Fragen in diesem Paradigma, und
Theologie und Kirche müssen auf solche Fragen antworten können, wenn
sie nicht als gesprächsunfähig gelten wollen. Denkverbote - seien sie von
kirchlichen Instanzen oder von einer theologischen .Orthodoxie' ausge-
sprochen - finden keine Akzeptanz mehr, sie gelten vielmehr als Indiz
intellektueller Unredlichkeit108.

b) Das zweite, viel schwerere Problem ist das der M ö g l i c h k e i t der histori-
schen Rückfrage. Hier stellt sich das Problem der Quellen und der Lei-
stungsfähigkeit der historischen Methodologie. Natürlich sind die Evan-
gelien nicht dazu verfaßt, Daten für eine historische oder biographische
Untersuchung zu liefern. Dennoch ist ihr Quellenwert nicht zu vernach-
lässigen10'. Gerade weil wir nicht nur ein einziges Evangelium haben - ein
solches hätte sich, wenn das Gedankenexperiment erlaubt ist110, durch ei-
ne .Verschwörung' aller Beteiligten noch eher .fälschen' lassen - , sondern
eine Pluralität von Texten und Traditionen, die sich in ihrer Perspektive
signifikant unterscheiden, eine Reihe voneinander literarisch unabhängi-
ger Überlieferungskomplexe, auf der Stufe der mündlichen Tradition un-
terschiedliche Textgattungen mit je eigenen Darstellungsweisen, gerade
deshalb ist an das Netz inkohärenter, verschiedenartiger Traditionen die
Frage zu stellen, ob sie sich zu einem kohärenten Bild fügen und welche
Elemente deshalb historisches Vertrauen verdienen, weil sie der übergrei-
fenden Tendenz der Quellen eher zuwiderlaufen111. Die historische
Nachfrage ist insofern m ö g l i c h .
Dem widerspricht auch nicht das seit A L B E R T SCHWEITZER immer wie-
der angeführte Argument, der Projektionsverdacht. Natürlich gab und

10i Zu bedenken ist aber, daß die im .westlichen' (europäischen und nordamerikanischen)
Kulturkreis verankerte historische Zugangsweise in anderen kulturellen Kontexten
nicht in diesem Maße verwurzelt ist, so daß dort (und unter entsprechenden kultu-
rellen Einflüssen auch in der .westlichen* Welt) auch andere Zugänge in zunehmen-
dem Maße als mehr oder weniger legitim angesehen werden können. Die Spannung
zwischen historischen und dezidiert nicht historischen Ansätzen schafft dabei neue
Problemfelder, die hier nicht erörtert werden können.
' w Siehe die Argumentation bei SCHRÖTER, Jesus, 16f., in Auseinandersetzung mit
BULTMANN und der Position von JOHNSON, Real Jesus, der die alte Argumentation
KÄHLERS gegen eine am Historismus orientierte Jesusforschung wiederaufgenommen
hat.
110 Siehe die Überlegungen bei THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 241.

So die Argumentation bei THEISSEN/WINTER, Kriterienfrage, 243-250 (mit den Teil-


aspekten der Quellenkohärenz und der Tendenzwidrigkeit).

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D e r historische Jesus und der Christus der Evangelien 295

gibt es immer wieder Jesusbilder, die nach dem Bilde oder dem intensiven
Wunsch ihrer Autoren geschaffen sind, und v. a. die Vielzahl der popu-
larisierten Bilder vom ideologisierten .arischen Jesus' der 30er und 40er
Jahre112 über den in den 60er und 70er Jahren populären Jesus als .Sozial-
revolutionär'113, die später beliebten Bilder von „Jesus als Psychothera-
peut"114 und „der erste neue Mann"115 bis hin zum „ökologischen Jesus" 116
bieten abschreckende Beispiele solch projektiv-vereinnahmender Darstel-
lungen. Aber diese Irrwege sprechen nicht grundsätzlich gegen die Mög-
lichkeit historischer Rekonstruktion. Aufzugeben ist freilich das Ideal, als
könne diese ein quasi .objektives' Bild ergeben, als könne historische For-
schung eine Wiederherstellung der Vergangenheit leisten, die der prinzi-
piellen Perspektivität historischen Erkennens enthoben wäre117. So läßt
sich L E S S I N G S Graben nicht überspringen. Die geschichtswissenschaftli-
che Diskussion ist hier nüchterner. Sie weiß, daß jede historische Rekon-
struktion stets ein deutendes, ordnendes und in diesem Sinne fiktionales
Element enthält. Historisch-rekonstruierende Darstellungen sind daher
höchstens „relativ willkürfrei"118. Daher ist eine „strikte Unterscheidung
von Geschichte und Fiktion", wie sie in der .kritischen' Absicht, den
.wahren' Jesus unter den frühkirchlichen Bildern Jesu zu .entdecken', ge-
rade nicht möglich, sie „versagt [ . . . ] an der Jesusüberlieferung (und weit
über sie hinaus)119. Eine wissenschaftliche Darstellung Jesu bietet daher
nicht die .Wirklichkeit' hinter den Texten, sondern bestenfalls „eine auf
kritischer Quellenanalyse basierende .Fiktion des Faktischen'" 120 . Dessen
muß man sich bewußt sein, wenn man die historische Rückfrage nicht
überfordern will. Wo man hingegen - wie häufig in populären Darstellun-
gen - fragt, wer Jesus .wirklich' war oder was er .wirklich' lehrte121, da

112 A n dieser dunklen Etappe der Jesusforschung wird deutlich, zu welchen Verirrungen
historische Forschung in der Lage ist. Siehe etwa GRUNDMANN, Jesus der Galiläer,
166-200 („Das Problem der völkischen Zugehörigkeit J e s u " ) ; HIRSCH, Wesen, 1 5 8 -
165 („Die A b s t a m m u n g J e s u " ) ; s. dagegen die scharfe Kritik von v. SODEN, Jesus.
113 Vgl. etwa BARTSCH, T o d ; BRANDON, Jesus; s. die Literatur und die kritische Ausein-

andersetzung bei HENGEL, Revolutionär.


1,4 WOLFF, Jesus.

115 ALT, Jesus.

ALT/ ALT, Jesus.


117 Gegen eine solche irrige Idealvorstellung argumentiert SCHRÖTER, Jesus, 18-23.

THEISSEN/MERZ, J e s u s , 31; vgl. SCHRÖTER, J e s u s , 33f.


" ' So KARRER, Jesus Christus, 181; zitiert bei SCHRÖTER, Jesus, 33f.
120 SCHRÖTER, J e s u s , 33.
121 So etwa die Titel bei BERGER, Wer war Jesus wirklich?; CROSSAN, Was J e s u s wirklich
lehrte; HERBST, Der wirkliche Jesus; LÜDEMANN/ÖZEN, Was mit J e s u s wirklich ge-
schah; OSMAN, Wer war Jesus wirklich?; LÜDEMANN, Der große Betrug und was Jesus
wirklich sagte und tat.

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296 Jörg Frey

weckt man in einer allzu großen hermeneutischen Naivität Erwartungen,


die auch die solideste historische Arbeit nicht erfüllen kann,
c) Ein drittes, zu klärendes Problem ist die Frage nach der theologischen
Relevanz der historischen Rückfrage nach Jesus. Während BULTMANN
dieser Frage keinerlei Bedeutung für den christlichen Glauben beimessen
wollte, haben andere dem Bild des historischen Jesus kriteriale Bedeutung
beigemessen in dem Sinne, daß jede spätere Glaubensäußerung an den
Worten des irdischen Jesus zu messen sei. So nicht zuletzt J O A C H I M J E -
REMIAS, der in der Rekonstruktion der sprachlichen Gestalt der Worte Je-
su Großes geleistet hat, aber in dem so erhobenen Bild letztlich „Mitte
und Maßstab aller christlichen Theologie"122 sehen wollte. Bei vielen, v. a.
populären Entwürfen wird daraus schnell der wirkungsvolle Vorwurf, alle
nach Ostern entwickelten christologischen Aussagen seien eine unge-
rechtfertigte ,Mythisierung' des .menschlichen' Jesus, dessen .wahre' In-
tentionen damit und erst recht in der Entstehung der urchristlichen Ge-
meinde und ihrer institutionellen Festigung in verhängnisvoller Weise
verfälscht worden seien. Eine solche Kritik, die in ihrer kirchen- und
dogmenkritischen Attitüde natürlich immer wieder Gehör findet, kann
sich theologisch jedenfalls nicht mehr auf ein protestantisches Schrift-
prinzip berufen, denn in ihr tritt an die Stelle der Schriftzeugnisse letzt-
lich ein hypothetisches Konstrukt, ein Jesusbild, das stets nur eines unter
vielen sein kann und das - als Resultat historischen Forschens - grund-
sätzlich immer kritisierbar und korrigierbar ist. Darauf kann - das haben
K A H L E R und BULTMANN richtig gesehen — der christliche Glaube sich
nicht gründen. Insofern kann ein Bild des ,historischen Jesus' - so unver-
zichtbar die historische Rückfrage auch ist - theologisch nicht zum ent-
scheidenden Kriterium erhoben werden.

Es wäre nicht nur angesichts der Quellen und der Möglichkeiten histori-
scher Rückfrage, sondern auch in theologischer Hinsicht unangemessen,
den .historischen Jesus' gegen den Christus des Glaubens und der
nachösterlichen Verkündigung auszuspielen. Das Urchristentum hat ja
aus gutem Grund nach Ostern nicht einfach die Verkündigung des irdi-
schen Jesus in identischer Weise fortgeführt, sondern in seiner Deutung
der Ereignisse von Karfreitag und Ostern neue Inhalte zum Ausgangs-
punkt seiner Verkündigung gemacht - Inhalte freilich, die sich selbst „ge-
deuteter Geschichte verdanken"123. Insofern wäre es in der Tat problema-
tisch, wenn man erweisen könnte, daß diese Inhalte an der Geschichte
selbst keinerlei Anhalt hätten. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn man

122 JEREMIAS, Theologie, 295. Vgl. auch DERS., Problem.


123 KREPLIN, Selbstverständnis. 72; vgl. 339-343.

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 297

nachweisen könnte, daß Jesus als geschichtliche Gestalt gar nicht existiert
hätte, oder wenn man sagen müßte, er wäre ,alt und lebenssatt' eines na-
türlichen Todes gestorben. Dann wäre die österliche Deutung seiner Ge-
stalt historisch falsifiziert. Umgekehrt ist klar, daß die nachösterliche
Deutung seiner Gestalt über die historisch rekonstruierbare Geschichte
und über das Selbstverständnis des Irdischen bzw. den aus einzelnen sei-
ner Worte erkennbaren Selbstanspruch hinausgehen kann 124 . Aber weil
sich der christliche Glaube auf eine konkrete geschichtliche Gestalt, auf
ein nach O r t und Zeit bestimmtes Geschehen zurückbezieht, deshalb ist
die historische Frage nach Jesus auch theologisch von Belang.
Zu fragen ist dabei nach der bei aller Diskontinuität wesentlichen Kon-
tinuität zwischen dem Anspruch des irdischen Jesus und der nachösterli-
chen Deutung seiner Gestalt. Denn nach einhelligem neutestamentlichen
Zeugnis ist der Verkündigte kein anderer als der Verkündiger, der Chri-
stus der Evangelien kein anderer als der irdische Jesus.125

II. Vom Sendungsanspruch Jesu zum Christusbekenntnis der Evangelien

Inwiefern also hat das, was nach Ostern von Jesus als dem Christus und
Gottessohn ausgesagt wird, Anhalt an Wirken und Geschick des irdischen
Jesus? Steht das Christusbild der Evangelien - zuletzt das des Johannes-
evangeliums - in einer zumindest .wirkungsplausiblen' Kontinuität zu Je-
su ureigenem Anspruch? Dieser Frage soll im zweiten Teil dieses Beitrags
unter historischer Perspektive nachgegangen werden.

Ich verzichte also darauf, ein Gesamtbild des Wirkens Jesu oder einen Querschnitt seiner
Verkündigung vorzuführen. Ich muß auch darauf verzichten, Daten zu begründen, die in
der Forschung weithin akzeptiert oder zumeist nur in Nuancen diskutiert werden: Daß
Jesus von Nazareth als geschichtliche Gestalt existiert hat126, daß er natürlich Jude war127

124
Siehe dazu K R E P L I N , Selbstverständnis, 72f.
125
Dabei ist natürlich zwischen dem irdischen Jesus und dem .historischen Jesus' als ei-
nem mit historischen Methoden rekonstruierten Bild des irdischen Wirkens Jesu zu
unterscheiden.
126
Dies wurde in der Vergangenheit gelegentlich radikal bestritten, so z. B. von D R E W S ,
Christusmythe I—II, vgl. DERS., Leugnung; auch in der .orthodox'-marxistischen Leh-
re, s. E N G E L S , Bruno Bauer; DERS., Geschichte; vgl. in neuerer Zeit noch K A H L , Elend,
68-81 (mit einem Bekenntnis zum Marxismus; dieses ist in der Neuausgabe von 1993
jetzt zurückgenommen); s. auch W E L L S , Jesus; DERS., Jesus Myth; zu diesen Positio-
nen s. T H E I S S E N / M E R Z , Jesus, 123f.
127
Die ideologisch motivierten Entgleisungen einiger deutscher Forscher in den 30er und
40er Jahren (s. o. Anm. 112) sind keiner Diskussion mehr würdig.

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298 Jörg Frey

- wobei seine galiläische Herkunft nach heutigem Forschungsstand eine religiöse Erzie-
hung im Kontext der Tora keineswegs ausschließt128 - , daß er wohl überwiegend ara-
mäisch sprach, aber das Hebräische sicher kannte und angesichts der Sprachsituation in
Galiläa vielleicht sogar etwas Griechisch verstand129, daß er mit der Bewegung des Täu-
fers in Verbindung stand und von diesem getauft wurde130, daß er - vermutlich wenig
später - selbständig auftrat und Gottes Herrschaft als „nahe" verkündigte131, nicht nur,
aber gerade auch den religiös und sozial Ausgegrenzten, daß er dabei auch als Therapeut
und Exorzist auftrat132 und nicht zuletzt damit Zulauf hatte und Diskussionen auslöste,
und daß er schließlich als möglicher Unruhefaktor von der Jerusalemer Lokalaristokratie
festgesetzt und unter der denunziatorischen Anklage politischer Agitation von den Rö-
mern durch Kreuzigung hingerichtet wurde. Das nächste, was dann historisch festge-
stellt werden kann, ist wenig später die Behauptung seiner Anhänger, der Gekreuzigte sei
ihnen, aber auch anderen, ihn bisher ablehnenden Personen im Glänze göttlicher Herr-
lichkeit erschienen, woraufhin sich dann die neue charismatische Bewegung schnell aus-
breitete. Was dazwischen liegt - das .Osterereignis' - ist m. E. aufgrund des Charakters
der Quellen und aus methodologischen Gründen der historischen Beschreibung entzo-
gen. Es läßt sich historisch nur von seinen Rändern her thematisieren133.

Aber ich möchte alle damit zusammenhängenden Probleme jetzt zurück-


stellen und nur fragen, wie Jesu Sendungs- oder Selbstanspruch, der sich

128 Zum religiösen Profil Galiläas s. T H E I S S E N / M E R Z , Jesus, 1 6 7 - 1 7 0 ; ausführlich


FREYNE, Galilee, 2 5 7 - 3 4 3 ; zur möglichen Bildung Jesu s. M E I E R , Marginal Jew I , 2 7 7 ;
auch RIESNER, Jesus, 2 0 6 - 2 4 5 .
129 Zum Sprachmilieu und zu dem für Jesus anzunehmenden Sprachgebrauch s. den aus-

gewogenen Uberblick bei M E I E R , Marginal Jew I , 2 5 5 - 2 6 8 ; R I E S N E R , Jesus als Lehrer,


3 8 2 - 3 9 2 ; ein stärkerer Gebrauch des Griechischen auch in der Lehre Jesu wird ver-
mutet von PORTER, Jesus and the Use of Greek; DERS., Criteria, 164-180.
130 Die Taufe Jesu darf „als historisches Grunddatum gelten" (THEISSEN/MERZ, Jesus,

193), gerade weil sie der Tendenz aller christlichen Quellen entgegenläuft und anneh-
men läßt, daß der irdische Jesus ein Tauchbad der Umkehr, zur Vergebung der Sün-
den, auf sich nahm, was - zumindest zu diesem Zeitpunkt - „auf ein Sündenbewußt-
sein Jesu schließen läßt" (THEISSEN/MERZ, loc. cit.). In späteren Texten wird eben
dieser Sachverhalt aus christologischen Gründen eher zurückgedrängt (vgl. Mt 3,14;
Joh l,32f.).
131 Die temporale Ausrichtung der Eschatologie Jesu ist nach wie vor strittig, s. zum

Uberblick DU TOIT, Erneut auf der Suche, 120-123. M. E. ist das von einigen Ausle-
gern vertretene Bild eines ,uneschatologischen' Jesus (s. etwa BORG, Scholarship, 47-
68; CROSSAN, Jesus, 265-302) heute ebenso wie im 19. Jh. ein modernes Wunschbild.
Zur .eschatologischen' Interpretation Jesu s. BECKER, Jesus, 100-275; MEIER, Margi-
nal Jew II, 237-507; SANDERS, Jesus and Judaism, 123-156; vgl. auch ALLISON, Plea;
REISER, Eschatology.
132 Zur Historizität THEISSEN/MERZ, Jesus, 269-275; MEIER, Marginal Jew II, 619-623;
FREY, Verständnis, 12f.
133 Die damit verbundenen Fragen lassen sich hier nicht weiter erörtern. Eine generelle
Abweisung der Versuche, die Auferstehung Jesu Christi von ihrem historischen
,Rand' her zu thematisieren, wie sie z. B. bei LÜDEMANN, Auferstehung, 216, vorliegt,
erscheint jedoch m. E. verfehlt.

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 299

in seinen W o r t e n und Taten zeigt, angemessen beschrieben werden kann.


Ich möchte dabei bewußt nicht von seinem - nicht wirklich faßbaren -
„Selbstbewußtsein", sondern von dem in bestimmten Logien sprachlich
faßbaren „Selbstanspruch" des irdischen Jesus sprechen 1 3 4 . Pointierter ge-
fragt: H a t der irdische Jesus ,messianische' Ansprüche erhoben?

1. Der Sendungsanspruch Jesu

1.1 Zur Frage der .Messianität' Jesu

Diese Frage geht auf die .klassische' Leben-Jesu-Forschung zurück. W ä h -


rend REIMARUS oder STRAUSS noch überzeugt waren, Jesus habe sich als
Messias gewußt und sei auch als solcher aufgetreten 135 , wurde vor allem
durch WILLIAM WREDE die These verbreitet, der irdische Jesus sei ,un-
messianisch' aufgetreten, und der Messiasglaube sei erst nach Ostern von
der Gemeinde in die Berichte v o m Wirken Jesu eingetragen worden 1 3 6 .

134 Damit ist - nach dem Urteil von HOLTZMANN, Lehrbuch I, 295 - nicht weniger als
„das Hauptproblem derneutest[amentlichen] Theologie" berührt.
135 Für REIMARUS ist gerade das Scheitern des messianischen .Programms' Jesu (im Sinne

des davidisch-politischen bzw. zelotischen Messianismus) der Grund dafür, daß die
Apostel nach seinem Tod das Konzept des Messianischen im Sinne eines anderen .Sy-
stems* umdeuten mußten, seinen Tod als Opfertod uminterpretierten, die Auferste-
hung erdichteten und die Erwartung der baldigen Gründung des Gottesreiches auf
seine noch ausstehende Parusie bezogen (vgl. SCHWEITZER, Geschichte, 65f.).
STRAUSS schreibt dem irdischen Jesus das Messiasbewußtsein und die Erwartung eines
Kommens in Herrlichkeit zu (s. STRAUSS, Leben Jesu I, 469; II, 373), freilich sei er
damit ein hochgradiger Schwärmer gewesen und mit seiner Wiederkunftsidee dem
Wahnsinn nahe (vgl. dazu SCHWEITZER, Geschichte, 127-131). Ein solcher Jesus kann
nicht mehr Ideal einer gegenwartsrelevanten religiösen Weltanschauung sein. Aus die-
sem Dilemma erklärt sich das für die ganze liberale Theologie kennzeichnende „ange-
strengte Bemühen, Jesus vor der Apokalyptik zu retten" (KOCH, Ratlos, 55; vgl.
SCHWEITZER, G e s c h i c h t e , 1 6 9 ) .
136 Siehe zu diesem forschungsgeschichtlichen Problem HENGEL, Messias, 17-34, der
darauf hinweist, daß W R E D E selbst die Frage nach der Messianität Jesu „nicht mit ei-
nem quod non, sondern mit einem non liquet abschließt" (18; s. WREDE, Messiasge-
heimnis, 207f.22lf.). Das Selbstverständms Jesu kann W R E D E gerade nicht klären. Da
es im Urchristentum eine Auffassung gegeben hätte, daß Jesus erst durch die Aufer-
stehung zum Messias geworden sei (wie WREDE, a. a. O., 214, aus Apg 2,36 er-
schließt), nimmt er an, „dass sich Jesus thatsächlich nicht für den Messias ausgegeben
hat" (a. a. O., 229). Die letztlich psychologische Frage, ob er sich als Messias wußte,
ob er gar in Ablehnung aller jüdischen Messiasvorstellungen seine Hoffnung „auf ein
anderes Ideal, höherer Ordnung" (WELLHAUSEN, Geschichte, 315; zitiert bei W R E D E ,
a. a. O., 220) richtete, referiert W R E D E skeptisch, ohne sie letztlich zu beantworten.

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300 Jörg Frey

Erst durch BULTMANN und seine Schüler hat sich die Auffassung vom
.unmessianischen' Jesus weit verbreitet 137 . Man hat sogar .hermeneutisch'
zu begründen versucht, warum Jesus, wenn er Glauben an sein W o r t fin-
den wollte, von seiner Person absehen und unmessianisch auftreten
mußte 138 . So kann man historische Probleme und Hypothesen dogmati-
sieren.

Für den forschungsgeschichtlichen .Erfolg' der These vom unmessiani-


schen Jesus sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen:
a) Zunächst ging die ältere Forschung weithin von der Annahme aus,
es hätte einen festgeprägten jüdischen Messiasbegriff 13 ', eine messianische
„Dogmatik" 1 4 0 gegeben, d. h. es hätte in breiten Volksschichten eine prä-
zise Vorstellung gegeben, wie ,der Messias' auftreten und sich verhalten
sollte - wenn er denn der Messias sei - , nämlich politisch im Sinne der
Restitution Israels und der Befreiung von der römischen Fremdherr-
schaft. Demgegenüber war und ist es weithin Konsens, daß das Auftreten
Jesu von Nazareth einem solchen Bild nicht entsprach. Jesus war kein
.zelotischer' Befreiungskämpfer 141 . Wenn man für den historischen Jesus
nicht mit einer völligen Transformation der theokratischen Messiasidee in
eine geistig-religiöse rechnen wollte 142 , dann konnte sein Auftreten und

' " S o s c h o n 1 9 1 9 / 2 0 in: BULTMANN, Frage, 166f.: „vor T o d und A u f e r s t e h u n g ist J e s u s


weder v o m V o l k n o c h von seinen J ü n g e r n als Messias [ . . . ] erkannt w o r d e n " ; vgl.
DERS., T h e o l o g i e , 2 8 : „daß das Leben und W i r k e n J e s u , gemessen am traditionellen
Messiasgedanken, kein messianisches war" (s. auch a. a. O . , 3 3 ) .
13! FUCHS, J e s u s , 107: J e s u s „ m u ß t e [ . . . ] von seiner Person absehen, wenn er G l a u b e n an
sein W o r t erwartete. E r m u ß t e .unmessianisch' auftreten. D a s U n m e s s i a n i s c h e ist
nicht b l o ß als historische T a t s a c h e , sondern zuvor als N o t w e n d i g k e i t in J e s u A u f t r e -
ten zu verstehen." Ein ähnlicher D o g m a t i s m u s liegt hinter der von DINKLER, Petrus-
bekenntnis, vertretenen T h e s e , der irdische J e s u s hätte das P e t r u s b e k e n n t n i s (Mk
8 , 2 9 ) und das in ihm vertretene Messiasverständnis durch das Satanswort ( M k 8,33)
unmittelbar zurückgewiesen.
139 Vgl. in diesem Sinne die Formulierungen bei WREDE, Messiasgeheimnis, 2 2 0 ; religi-
onsgeschichtlich differenzierter BOUSSET/GRESSMANN, Religion, 2 2 2 f f . ; s. auch den
forschungsgeschichtlichen U b e r b l i c k bei KARRER, Gesalbte, 1 2 - 4 7 .
1,,0 S o SCHÜRER, G e s c h i c h t e I I , 6 0 9 (s. den ganzen A b s c h n i t t 5 8 3 - 6 5 1 ) . D a s dort ge-
zeichnete Bild basiert in erster Linie auf einer Synthese der apokalyptischen Schriften
4Esra und 2 B a r u c h sowie z. T . rabbinischer Aussagen.
1,1 Siehe dazu HENGEL, Revolutionär, in Auseinandersetzung mit BRANDON, J e s u s , u. a.
142 Dies geschah bei WELLHAUSEN, G e s c h i c h t e , 315; kritisch dazu äußert sich WREDE,
Messiasgeheimnis, 2 2 0 ; s. e b e n s o BULTMANN, T h e o l o g i e , 2 9 f . F ü r WREDE und im A n -
schluß an ihn dann auch für BULTMANN, T h e o l o g i e , 3 2 , geschah diese U m p r ä g u n g ,
z. B. in den Leidensweissagungen, erst in nachösterlicher Zeit.

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 301

Anspruch - gemessen an dem präzise bestimmten Bild des königlich-


herrscherlichen Messias - nur als unmessianisch bezeichnet werden143.
b) Ein zweiter Faktor ist nicht zu unterschätzen: Die so bestimmte
messianische Hoffnung fügte sich in das Bild eines national-jüdischen,
partikularistischen Denkens ein. Im Blick auf Jesus war eine solche Auf-
fassung den meisten liberal geprägten Theologen nicht akzeptabel, denn
sie ließ sich mit dem verbreiteten Bild einer sittlichen Persönlichkeit nicht
vereinbaren, und es lag nur allzu nahe, daß man das Bild Jesu von solchen
Elementen (wie von allen apokalyptischen Hoffnungen) freihalten woll-
te144. Wenn man das Christentum - und an seiner Wurzel Jesus - von par-
tikularistischen und zeitgebundenen Elementen jüdischer Eschatologie
freihalten wollte, dann konnte man Jesus von den zeitgenössischen Hoff-
nungen auf die Restitution des Königtums nur abrücken145.

Gleichwohl hat WREDE die Bedeutendsten seiner Zeitgenossen, HOLTZ-


MANN und BOUSSET, aus historischen und religionsgeschichtlichen Grün-
den nicht überzeugen können146, und auch er selbst gelangte in der Frage
nach der Messianität Jesu nicht zu einem abschließenden Urteil. In einem
eben veröffentlichten Brief an HARNACK schreibt er kurz vor seinem Tod,
er sei nun „geneigter als früher zu glauben, daß Jesus sich als zum Messias
ausersehen betrachtet hat"147. Ein irgendwie gearteter ,messianischer' An-
spruch war in Anbetracht der Quellen eben nicht so einfach von der
Hand zu weisen.
Wesentlich ist zunächst die Beobachtung, daß die Bezeichnung
Χριστός im frühen Urchristentum breiteste Verwendung gefunden hat,
als Titel und bald auch als Teil des Namens Jesu. In den authentischen

1,3 So die Argumentation bei WREDE, 220. Eine ähnliche Argumentationsstruktur findet
sich wieder bei HOFIUS, Messias, 128: „Dieser Messias Israels ist der im Neuen Testa-
ment bezeugte Jesus Christus nicht." Dahinter steht freilich ein völlig anderes, primär
offenbarungstheologisches Argumentationsinteresse, nämlich die These, daß die wah-
re Würde Christi jede vorgegebene Kategorie sprengt, da er nicht ,nur' der Messias,
sondern Gott ist.
144 Siehe etwa WELLHAUSEN, Geschichte 6 , 375f.; vgl. KOCH, Ratlos, 35-37.55.57, aus-

führlich ZAGER, Begriff, passim. Vgl. zum Hintergrund dieser Position in der soge-
nannten .Spätjudentumstheorie' auch FREY, Eschatologie I, 66-68.
145 Wo man anders urteilte und den eschatologischen Charakter der Predigt Jesu akzep-

tierte, konnte der historische Jesus nicht mehr als religiöses und sittliches Ideal fun-
gieren. Die Vertreter der .konsequenten Eschatologie' konnten dem von ihnen erho-
benen historischen Bild Jesu daher keine unmittelbar systematisch-theologische
Relevanz mehr zuerkennen; s. dazu FREY, Eschatologie I, 43-47.
146 Siehe die kritischen Reaktionen von beiden bei HENGEL, Messias, 20-24.

147 Siehe den Brief vom 2. 1. 1905 in: ROLLMANN/ZAGER, Briefe, 274-322, 315-317 (Zi-

tat: 317).

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302 Jörg Frey

Paulusbriefen ist Χ ρ ι σ τ ό ς allein 2 7 0 m a l belegt; 1 0 9 m a l erscheint der


D o p p e l n a m e Ί η σ ο ΰ ς Χ ρ ι σ τ ό ς (bzw. in invertierter F o r m Χ ρ ι σ τ ό ς Ι η -
σ ο ύ ς ) , in d e m „das Appellativum Χ ρ ι σ τ ό ς z u m c o g n o m e n , d. h. zu einem
Teil des P e r s o n e n n a m e n s geworden" 1 4 8 ist. D i e bei Paulus überlieferten
urchristlichen S t e r b e f o r m e l n ( R o m 5 , 6 . 8 ; 1 4 , 1 5 ; 1 5 , 3 b etc. 1 4 9 ) zeigen, daß
die B e z e i c h n u n g s c h o n längst v o r der Abfassung der ersten Briefe als E i -
genname in G e b r a u c h war 1 5 0 , u n d n a c h d e m B e r i c h t des Lukas hat m a n in
A n t i o c h i e n s c h o n k a u m 10 J a h r e n a c h d e m T o d J e s u die A n h ä n g e r J e s u in
Ableitung v o n diesem N a m e n als Χ ρ ι σ τ ι α ν ο ί b e z e i c h n e t ( A p g 1 1 , 2 6 ) 1 5 1 .
D e r zweiteilige E i g e n n a m e geht seinerseits w o h l auf ein B e k e n n t n i s z u -
rück: Ί η σ ο ϋ ς Χ ρ ι σ τ ό ς , aramäisch ursprünglich jesu" m'sîbâ', J e s u s [ist]
der C h r i s t u s , u n d die allmähliche Verfestigung des Titels z u m E i g e n n a -
m e n hat sich wahrscheinlich s c h o n beim U b e r g a n g v o m aramäischen in
den griechischen Sprachbereich ereignet, zumal das A t t r i b u t ( ό ) Χ ρ ι σ τ ό ς
für Rezipienten, die nicht mit der semitischen Sprachtradition o d e r z u -
mindest der jüdischen Ü b e r s e t z u n g s t r a d i t i o n v e r t r a u t waren, k a u m einen
positiven Sinn tragen konnte 1 5 2 . D a s Bekenntnis m u ß daher s c h o n in der

148 HENGEL, Messias, 1; vgl. zum Ganzen auch DERS., Erwägungen; ZELLER, Transfor-
mation.
149 Vgl. auch Rom 14,9; IKor 8,11; 2Kor 5,15; IThess 5,10; Gal 2,21.

150 Das bedeutet freilich nicht, daß dem Urchristentum und Paulus der semantische

Hintergrund dieses .Namens' nicht mehr bewußt gewesen wäre. Gerade in der Ster-
beformel „schimmert die ursprüngliche titulare Bedeutung noch deutlich durch"
(HENGEL, Messias, 3). Freilich ist die Bezeichnung semantisch keineswegs so .offen',
wie KARRER, Gesalbte, 89, aus dem artikellosen Gebrauch von Χριστός in diesen
Formeln erschließen will. Seine Übersetzung der Formel „Gesalbter war er, der starb"
(a.a.O., 370) ist jedenfalls reichlich „gequält" (ZELLER, Transformation, 157). Der
prädikative Gebrauch kann nicht überzeugen, da - wie auch KARRER zugibt - vor
„Gesalbter" eben kein „ein" gesetzt werden darf (a. a. O., 370 Anm. 44). Für das
Urchristentum, das diese Formel verwendet, gibt es ja „nur einen einzigen Χριστός,
eben diesen Jesus, der gekreuzigt wurde" (HENGEL, Messias, 1). Sachlich ist das Ap-
pellativum daher sehr wohl determiniert, nämlich aus der Schrift, wie IKor 15,3b
zeigt: „Jesus starb als der aus der Schrift bekannte Messias für unsere Sünden" (ZEL-
LER, a. a. O., 158).
151 Es besteht kein zwingender Grund, an der Zuverlässigkeit, der von Lukas redaktionell

eingefügten Notiz über die Herkunft des Christennamens (als Fremdbezeichnung)


und an dem Alter dieser Tradition grundlegend zu zweifeln. Siehe dazu LÜDEMANN,
Christentum, 144; ZELLER, Transformation, 159; HENGEL, Messias, 8f. Dies bestätigt
auch die Notiz bei Sueton, Claud. 25,4, die wahrscheinlich macht, daß der Name von
Außenstehenden mit dem bekannten Sklavennamen Χρηστός verwechselt werden
konnte; vgl. auch Tacitus, Ann. XV 44,2: Chrestiani, und Josephus, Ant. X X 200, der
von Jakobus als dem „Bruder Jesu, des sogenannten Christus" spricht.
152 Vgl. BAUER/ALAND, Wörterbuch, 1768. „Außerhalb von L X X und N T und davon ab-

hängigen Schriften wird χρ[ιστός] niemals auf Personen angewandt; umgekehrt findet

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 303

frühesten aramäischen Urgemeinde wurzeln. Sollte es hier eine bloße Er-


findung sein, eine Neubildung, ohne Anhalt am Wirken Jesu selbst, das
den ersten Zeugen ja noch erinnerlich war? Eben dies wäre historisch äu-
ßerst unwahrscheinlich. Wäre der ,Messiasglaube', d. h. die Rede davon,
daß Jesus ,der Messias' sei, lediglich eine nachösterliche Bildung der frü-
hen Gemeinde, eine Eintragung in den Bericht der Wirksamkeit Jesu, oh-
ne Anhalt an seinem tatsächlichen Auftreten, dann bliebe es rätselhaft,
wie sich der Christustitel im exklusiven Bezug auf Jesus von Nazareth
dann so rapide ausbreiten konnte und wie der Glaube an Jesus als den
Christus die Uberlieferung so völlig durchdringen konnte, daß es keinen
Text mehr gibt, in dem Jesu Auftreten wirklich als ,unmessianisch' zu be-
zeichnen ist. Es gibt andererseits auch im antiken Judentum keinen wirk-
lichen Beleg für die Vorstellung, daß eine Heilsgestalt erst durch die Auf-
erweckung z u m .Messias' würde 153 . Die von WREDE und BOUSSET in
diesem Sinne ausgewertete Stelle Apg 2,36 bezeugt keine solche Vorstel-
lung154, denn hier ist ebenso wie Rom 1,4 die Rede von der Einsetzung des
Auferstandenen in seine Herrschaft, nicht von seiner ,Messianität'155.
Auch die zeitgenössischen jüdischen Traditionen könnten den abrupten
Umschlag von einem vorösterlichen, ,unmessianischen' Wirken Jesu zum
nachösterlichen Gebrauch des Christustitels nicht begründen 156 . Die
Grundlage für die nach Ostern so schnell verbreitete Titulatur muß daher
im vorösterlichen Wirken Jesu liegen. Darauf weist letztlich auch das Ge-
präge der ältesten Sterbeformeln hin, wenn es dort heißt, daß Χριστός

es sich im N T als Übersetzungswort von Μεσσίας ausschließlich personbezogen,


entweder auf die erwartete unbekannte Messiasgestalt oder auf Jesus von Nazaret als
den gekommenen Messias" (HAHN, E W N T III, 1148).
' " V g l . HENGEL, Messias, 14; COLLINS, Scepter, 204. Die Existenz einer solchen Vor-
stellung war die noch von WREDE, Messiasgeheimnis, 229, angeführte Begründung für
die These, daß Jesus keine messianischen Ansprüche erhoben haben könne (s. o.
Anm. 1 3 6 ) .
154 Gegen BOUSSET, Kyrios Christos, 3, und WREDE, Messiasgeheimnis, 214.
155 In der zweigliedrigen Formel Rom l,3f. ist der Aspekt der .Messianität' Jesu gerade in
dem Gedanken der Abstammung aus David, also im ersten Glied, zur Sprache ge-
bracht. In A p g 2,36 „zum Herrn und Christus gemacht" ist das Christusprädikat se-
mantisch eher wenig gewichtig. Die Parallele in Apg 5,31 zeigt, daß die hier vorliegen-
den Aussagen auf die Erhöhung ,zur Rechten' Gottes bezogen sind (vgl. das Zitat von
Ps 110,1 in Apg 2,34f.), die sich an dem Auferweckten ereignet (vgl. die Sequenz A p g
2,32f. und 5,30f.), aber mit Jesu Messianität nicht weiter verbunden wird (s. zu diesen
Passagen auch HENGEL, Setze dich, 127f.).
156 " H a d no messianism been present in the pre-Easter ministry, then the resurrection
would not have generated it. Jewish messianism of Jesus' day cannot account for a
shift from a pre-Easter non-messianism to a post-Easter messianism in the dominical
tradition" (EVANS, N e w Q u e s t , 183 Anm. 41).

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304 Jörg Frey

bzw. „der Christus" 1 5 7 „für uns gestorben ist" ( R o m 5,6.8; 14,15 u. a.)
„was offensichtlich im Zusammenhang mit Jesu Verurteilung steht" 1 5 8 .
Der Christus- bzw. Messiastitel ist daher in der ältesten Formeltradition
mit Jesu T o d verbunden.
Daraus ergibt sich ein zweites, grundlegendes Argument 1 5 9 : W ä r e Jesus
völlig unmessianisch aufgetreten, dann wäre zugleich fraglich, wie er -
nach dem titulus am Kreuz - als der „König der Juden", d. h. eben doch als
(vermeintlicher) Messiasprätendent, hingerichtet werden konnte. Die Re-
de vom „König der Juden" begegnet im literarisch ältesten Bericht über
Jesu Passion, bei Markus 1 6 0 , in mehreren Szenen: dem Verhör durch Pila-
tus (Mk 15,2), der Barabbas-Episode (Mk 15,9.12), der Narren-König-
Szene (Mk 15,18) und dann in der N o t i z über die Uberschrift über dem
Kreuz (Mk 15,26). Die Rede von Jesus als „König" durchzieht den marki-
nischen Kreuzigungsbericht, dabei begegnet die Bezeichnung „König der
Juden" ausschließlich im Munde von Heiden 1 6 1 . In ihrer Verspottung des
Gekreuzigten sprechen die Hohenpriester und Schriftgelehrten anschlie-
ßend v o m „König Israels" (Mk 15,32). Aber nirgendwo begegnet der Titel
im Rahmen einer Aussage von Anhängern Jesu oder gar des Evangelisten
selbst. So fehlt jede Identifikation des Autors bzw. seiner Leser mit die-
sem .König', auch ein Hinweis auf die Schrift oder die Schriftgemäßheit
des erzählten Geschehens liegt in diesen Aussagen völlig fern. Im U n t e r -

157 Die Bezeichnung kann nur im determinierten Sinne oder als Eigenname verstanden
werden (womit freilich ein mitschwingender semantischer Wert nicht ausgeschlossen
ist). Siehe oben Anm. 150 zur Auseinandersetzung mit der abweichenden Uberset-
zung von KARRER, Gesalbte, 370, die den Raum offen halten will für seine insgesamt
nicht überzeugende Herleitung des Christustitels aus dem Vorgang der Salbung des
Heiligtums. Siehe zur Kritik dieser These auch HORBURY, Messianism, 7f.; NIEBUHR,
Jesus, 344f.
158 S o HAHN, E W N T I I I , 1 1 6 5 .
159 Die beiden hier genannten Argumente werden auch bei EVANS, New Quest, 183, als
entscheidend erachtet; vgl. ebenfalls DAHL, Messianic Ideas, 3930f. Den titulus crucis
als entscheidendes Argument hat DAHL, Messias, herausgearbeitet, vgl. auch HENGEL,
Messias, 45-63).
Siehe zur Markuspassion zuletzt SCHWEMER, Passion. Die nur zum Teil überzeugen-
den Versuche, aus Markus einen literarisch älteren Passionsbericht zu rekonstruieren,
können hier nicht diskutiert werden. Keinesfalls überzeugen können die Versuche, aus
der Schnittmenge von Markus und Johannes einen ältesten Passionsbericht zu rekon-
struieren, da erstens das dabei angewandte Reduktionsverfahren methodisch höchst
fragwürdig ist und zweitens die Indizien für eine Kenntnis des Mk seitens des vierten
Evangelisten nicht zu überspielen sind (s. dazu FREY, Eschatologie I, 399; DERS., Lei-
denskampf, 90-92; ausführlich LANG, Johannes; gegen REINBOLD, Bericht. Vgl. auch
SCHWEMER, P a s s i o n , 1 4 2 A n m . 4 3 .
Außerhalb des Passionsberichts begegnet die Wendung nur noch einmal, in Mt 2,2,
wo sie ebenfalls Heiden in den Mund gelegt wird.

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 305

schied zum Christustitel liegt in der Rede von Jesus als dem „König der
Juden" gerade keine christlich-christologische Aussage vor, die Formulie-
rung des titulus läßt sich daher nicht einfach als nachträglich-dogmatische
Deutung interpretieren 162 . Der titulus bezieht das Königtum des Gekreu-
zigten vielmehr auf andere, nämlich ,die Juden', er erscheint somit als eine
ganz aus römischer Perspektive formulierte, zynisch-antijüdische Aussa-
ge, eine Diffamierung des jüdischen Volkes durch die römische Besat-
zungsmacht. Hingegen ist festzustellen, daß „.König der Juden' nirgend-
wo eine jüdische Bezeichnung des Messias" ist163. Es wäre auch „extrem
unwahrscheinlich", „daß die frühe Urgemeinde ohne Anhalt an der ge-
schichtlichen Wirklichkeit das Stichwort vom König der Juden als causa
poenae von sich aus eingeführt" hätte, „denn damit rechtfertigte sie im
Grunde das römische Vorgehen gegen Jesus als Aufrührer gegen die herr-
schende Gewalt und setzte sich dem Vorwurf aus, als Anhänger dieses
Verbrechers selbst eine Gemeinde von Aufrührern zu sein" 164 . Dies
spricht mit Nachdruck dafür, daß sich in dieser Wendung ein historisch
zutreffender Hinweis auf die causa poenae, den .offiziellen' Grund der
Verurteilung Jesu, zeigt 165 . Dieser konnte in der Ausgestaltung der marki-
nischen Passionsgeschichte später breitere Verwendung finden, weil mit
Hilfe dieses Motivs zugleich verdeutlicht werden konnte, „in welchem
tieferen theologischen Sinn Jesus tatsächlich der König Israels war"166,
freilich zeigt sich später zugleich das Bestreben, den politischen Verdacht,
der sich mit dem Königstitel verband (vgl. Lk 23,2; Joh 19,12), zu ent-
schärfen, ζ. B. indem man Pilatus Jesu Unschuld bezeugen ließ (Lk
23,14.22; Mt 27,19.23f.; Joh 18,38; 19,4.6) oder Jesu Königtum als ein
Königtum .nicht von dieser Welt' beschrieb (Joh 18,36). Die Rede von Je-
sus als „König der Juden" erweist sich somit als viel zu sperrig bzw. .ten-
denzwidrig', um als Ausdruck christlicher Gemeindetheologie zu gelten.
Die Annahme ihrer Historizität ist plausibler.

162 Gegen BULTMANN, Geschichte, 293, und viele seiner Nachfolger. Vgl. dagegen DAHL,
Messias, 159: „Die Formulierung .König der Juden' entstammt weder dem Weis-
sagungsbeweis noch der Gemeindechristologie. Den Titel .König' scheut man sich im
allgemeinen von Jesus zu gebrauchen".
163 HENGEL, Messias, 50.

144 HENGEL, Messias, 50. Das später insbesondere bei Johannes deutliche Bemühen, das

Königtum Jesu .unpolitisch' zu fassen (Joh 18,36), zeigt, wie problematisch der Kö-
nigstitel für die frühe Christenheit war.
165 S o a u c h BECKER, J e s u s , 4 3 5 - 4 3 7 ; H E N G E L , M e s s i a s , 4 9 - 6 3 .
166 BECKER, Jesus, 436.

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Dagegen läßt sich auch nicht der Befund anführen, daß sich für solche
tituli bislang keine schlagenden Parallelen nachweisen ließen 1 ' 7 . Dies
spricht sogar eher dafür, daß sich in der markinischen Uberlieferung eine
historische Erinnerung erhalten hat168. Wenn Jesus aber von den römi-
schen Machthabern - wohl wider besseres Wissen - als Königsprätendent
hingerichtet wurde, dann dürfte die Frage seiner Messianität im Hinter-
grund des Pilatusprozesses tatsächlich eine ausschlaggebende Rolle ge-
spielt haben169. Allerdings: „Von sich aus kann Pilatus nicht auf diese
causa poenae gekommen sein, wenn man Jesus nicht zu einem aktiven po-
litischen Revolutionär im Stil der Zeloten machen will" 170 . So spricht vie-
les dafür, daß sich in diesem Titel die Anklage widerspiegelt, mit der Jesus
von seinen jerusalemischen Gegnern an Pilatus überstellt wurde - eine
Anklage, die aufgrund ihrer politischen Brisanz mit großer Wahrschein-
lichkeit zur Verurteilung führen mußte. Wie aber hätte Jesus unter einer
solchen Anklage verurteilt werden können, wenn sein Auftreten völlig
.unmessianisch' gewesen wäre?
Nun ist es allerdings weithin Konsens, daß der irdische Jesus während
seines öffentlichen Wirkens den Messiastitel nicht für sich beansprucht
hat. Die wenigen Stellen, an denen sich der Titel in der synoptischen Tra-
dition im Munde Jesu findet, „sind Ausnahmen" 171 . Ein expliziter und un-
verhüllter Anspruch auf den Titel findet sich erst im Johannesevangelium,
wo Jesus auf die Aussage der Samaritanerin „Ich weiß, daß der Messias
kommen wird", antwortet: „Ich bin's, der mit dir redet" (Joh 4,25f.; vgl.
1,41). Doch hier liegt ein sehr viel späteres Stadium der Traditionsent-
wicklung vor. Der einzige .Titel', dessen Gebrauch sich für den irdischen
Jesus mit guten Gründen behaupten läßt, ist der Rätselbegriff des ,Men-
schensohns', dessen griechische Übertragung ó υιός τοϋ άνθρώπου, mit
einer Ausnahme (Apg 7,56) nur in den vier Evangelien und nur im Munde
Jesu begegnet und auffälligerweise gerade nicht mit der sprachlichen Ge-
stalt von Dan 7,13 (LXX) übereinstimmt 172 . Den Begriff des .Messias'

167 KUHN, K r e u z e s s t r a f e , 7 3 3 - 7 3 5 ; vgl. i m m e r h i n die bei EGGER, C r u c i f i x u s , 1 9 6 A n m .


246, genannten Belege.
168 So mit Recht BECKER, Jesus, 435f., der hinzufügt: „Das gilt gerade auch, wenn man
den Inhalt der Inschrift bedenkt". Vgl. auch EGGER, Crucifixus, 195-200.
So auch MERKLEIN, Auferweckung, 230.
170 SCH-WEMER, P a s s i o n , 1 5 1 .
171 THEISSEN/MERZ, J e s u s , 4 6 7 .
172 Dies spricht entschieden gegen die Annahme, daß auch diese Bezeichnung erst in
nachösterlicher Zeit .geschaffen' worden sei. Vgl. HENGEL, Messias, 65-69; zur Dis-
kussion um Hintergrund und Gebrauch des Menschensohntitels ist immer noch
grundlegend COLPE, ThWNT VIII, 403-481. Eine knappe Zusammenfassung der

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D e r historische Jesus und der Christus der Evangelien 307

scheint Jesus zumindest während seines öffentlichen Wirkens nicht für


sich selbst beansprucht zu haben. Freilich gibt es einige Passagen, in de-
nen dieses Attribut an ihn herangetragen wird, und anhand derer sich die
Frage erhebt, wie sich Jesus zur Messiasfrage verhalten hat: insbesondere
das Petrusbekenntnis Mk 8,29 und dann die Frage des Hohenpriesters im
Prozeß in Mk 14,61 f. Mit beiden Texten verbinden sich zahlreiche Pro-
bleme, die an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden können, aber sie
dürften doch zeigen, daß die durch Jesu Wirksamkeit ausgelöste Frage
nach seiner Identität und Sendung von seinen Zeitgenossen nicht allein
mit .prophetischen' (Mk 6,4), sondern auch mit .messianischen' Katego-
rien beantwortet werden konnte. Nach dem markinischen Bericht hat Je-
sus diese Bezeichnung auch nicht zurückgewiesen173. Und zumindest in
der Prozeßszene ist es historisch m. E. durchaus plausibel, wenn auch
heftig umstritten, daß Jesus die Frage des Hohenpriesters mit einem Be-
kenntnis zu seiner Sendung und einem Drohwort beantwortet hat174. Der
Vorwurf der βλασφημία (Mk 14,64) 175 und das Todesurteil, das dann auf-
grund der .politisch' gemünzten Anklage von der römischen Besatzungs-
macht vollstreckt wurde, erklären sich auf diesem Hintergrund historisch
am ehesten 176 .
In anderen Perikopen werden die Fragen nach Jesu Identität und
Vollmacht ohne den .Messias'-Begriff gestellt. So in der Anfrage des in-
haftierten Täufers (Q 7,19): „Bist du der Kommende, oder sollen wir auf
einen anderen warten?", und der Antwort Jesu „Geht und berichtet J o -
hannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen

komplexen neueren Diskussion zu diesem Terminus findet sich bei SCHRÖTER, Erin-
nerung, 4 5 1 - 4 5 5 .
173 Die Zurückweisung des Petrus als „Satan" in Mk 8,33b gilt im K o n t e x t dem Versuch
des Petrus, den W e g Jesu ins Leiden zu verhindern. Jede andere .Rekonstruktion' (wie
ζ. B. die von DINKLER, Petrusbekenntnis, als ursprünglich angesehene unmittelbare
Korrelation von Petrusbekenntnis und Satanswort) entbehrt der Textgrundlage.
174 Siehe zur möglichen Historizität grundlegend PESCH, H T h K I I / 2 , 4 3 6 - 4 3 9 . 4 4 2 f . , so-
wie jetzt die ausführliche Analyse von BOCK, Blasphemy, 2 0 9 - 2 3 8 ; vgl. auch SCHWE-
MER, Passion, 1 4 9 - 1 5 1 , und HENGEL, Setze dich, 163, der einschränkend formuliert:
„ O b Jesus in dieser oder ähnlicher Weise selbst zu den Volksführern gesprochen hat,
läßt sich natürlich nicht mehr beweisen, er scheint sie aber zumindest durch den H i n -
weis auf seine .messianisch-richterliche' Vollmacht so provoziert zu haben, daß sie ihn
als messianischen Prätendenten an Pilatus auslieferten."
175 Siehe dazu ausführlich BOCK, Blasphemy, 1 9 7 - 2 0 9 , z u m Hintergrund a. a. O . , 3 0 - 1 1 2 .
176 KREPLIN, Selbstverständnis, 322, meint, daß „die Annahme, dass Jesus sich im V e r h ö r
vor dem Hohepriester zu seinem Messiasanspruch bekannt habe, den U m s c h w u n g
von der bewussten Zurückhaltung Jesu, sein Selbstverständnis zu thematisieren, zur
sehr schnell nach O s t e r n schon fertig geprägten christologischen Titulatur historisch
plausibler m a c h e n " könne.

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308 Jörg Frey

umher, Aussätzige werden rein und Taube hören, T o t e werden erweckt,


und Armen wird eine gute Botschaft verkündigt. U n d selig ist, wer an mir
nicht Anstoß nimmt" (Q 7,22f.). Hier findet sich zwar nicht der Messias-
begriff, aber die Frage des Täufers nach dem .Kommenden' scheint sach-
lich auf das gleiche, nämlich auf das in Verbindung mit einer .messiani-
schen' Gestalt erwartete Heil bezogen zu sein 177 . Die Antwort, die auf
Jesu Taten verweist, nimmt ein Cluster jesajanischer Aussagen auf. Dies
enthält zwar keine der .klassischen' messianischen Aussagen, aber doch
Texte wie Jes 35,5f. und 61,lf. (vgl. Jes 29,18 und 26,19f.), die von der
kommenden Heilszeit und den erwarteten Heilstaten Gottes redeten und
die im zeitgenössischen Judentum - wie die Funde von Qumran 1 7 8 oder
auch die Targumim 1 7 9 zeigen - .messianisch' interpretiert, d. h. mit der
.messianischen Zeit' und kommenden .messianischen' Heilsgestalten ver-
bunden wurden.
In diesem Zusammenhang ist wesentlich, daß wir heute im Gegensatz
zur älteren Forschung religionsgeschichtlich nicht mehr mit einer fixier-
ten .Messiasdogmatik' rechnen können. Es gab nach dem überwiegenden
Konsens der Forschung im Judentum zur Zeit Jesu keinen festgeprägten
.Messiasbegriff', sondern eine größere Zahl von Heilserwartungen, die
relativ variabel waren und vielfältig miteinander verbunden werden konn-

177 Vgl. HAHN, Hoheitstitel, 393: „Kommend ist alles, was mit der Heilszeit in Verbin-
dung steht." Im Munde des Täufers wäre ein Bezug auf den .Boten' Mal 3.1 nahelie-
gend. In Dan 7,13 (Theodotion) ist έρχόμενος mit dem Menschensohn verbunden.
178 Die unmittelbare Parallele zur Täuferanfrage ist der vieldiskutierte Text 4 Q 5 2 1 2 II

1-14, der die gleichen jesajanischen Stellen aufnimmt und - wie Q 7,22 - auch von der
Auferweckung der Toten als einem Teil des endzeitlichen Heilshandelns Gottes
spricht. Der in Zeile 1 in Anlehnung an Jes 61,1 erwähnte .Gesalbte' (oder - was phi-
lologisch auch möglich ist - .die Gesalbten'; vgl. NIEBUHR, Psalm, der die Aussage auf
das Priestertum der Endzeit beziehen will; BECKER, Gesalbten, denkt eher an die Pro-
pheten) wird in Verbindung mit dem Geschehen in der Heilszeit gebracht. Dabei ist -
nach anfänglich heftigen Diskussionen - inzwischen klar, daß es sich in diesem Text
nicht um die .Werke des Messias', sondern um die Werke Gottes in der .messiani-
schen' Heilszeit handelt, der als Subjekt in Zeile 5 explizit genannt wird und auch in
der folgenden Aufzählung der Heilstaten vorauszusetzen ist. Siehe zu diesem aus-
führlich ZIMMERMANN, Texte, 343-388. Ein zweiter, schon länger bekannter Text, der
Jes 61,lf. in Bezug auf eine endzeitliche Heilsgestalt rezipiert, ist l l Q M e l c h (dazu
eingehend ZIMMERMANN, a. a. O., 389-412).
179 Das Jesajatargum führt das erläuternde tn'sîhâ' zwar nicht bei Jes 35,5f. und 61,lf.,

aber bei Jes 9,5; 11,1.6; 42,2 und 52,13 ein und führt damit diese und weitere thema-
tisch verbundene Texte einer Zusammenschau unter dem Aspekt der messianischen
Verheißung zu. Siehe zu den Targumim EVANS, Contemporaries, 155-181; weiter PÉ-
REZ FERNÁNDEZ, Tradiciones.

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 309

ten180. Unter diesen war die - ebenfalls vielfältig ausgestaltete - königliche


Gesalbtenkonzeption wohl die am weitesten verbreitete, vielleicht allge-
mein bekannte 181 . Doch auch zu dieser .klassischen' Messiaskonzeption
kann das Resumée der neuesten monographischen Untersuchung nur
feststellen: „Die [ . . . ] Flexibilität im Gebrauch der Gesalbtentradition in
den beiden Jahrhunderten um die Zeitenwende fördert ein Spektrum an
messianischen Erwartungen, das vom ganz irdischen Gesalbten der PsSal
und mancher Qumran-Texte bis zur himmlischen Gesalbten-
Menschensohn-Gestalt der Apokalyptik reicht; endzeitlicher König, Prie-
ster und Prophet können als gesalbte Gestalten bezeichnet werden" 182 . Es
waren vor allem die Textfunde in der Bibliothek von Qumran, die die
Quellenbasis in bezug auf die messianischen Erwartungen um die Zeiten-
wende entscheidend verbreitert haben. Diese Bibliothek enthält bekannt-
lich nicht nur Kompositionen einer jüdischen ,Sondergruppe', sondern
darüber hinaus ein breites Spektrum der literarischen Produktion aus dem
palästinischen Judentum vom 3 . J h . v.Chr. bis zum 1.Jh. n.Chr. Die
Analyse der nun vollständig edierten Texte hat gezeigt, daß zwischen den
unterschiedlichen hier vertretenen Konzeptionen eschatologischer Er-
wartung keine strikten Gegensätze bestehen und daß gerade in der pro-
duktiven Weiterdeutung überkommener Motive unterschiedliche Aspekte
betont und miteinander verbunden werden können 183 . So empfiehlt sich
auch für die Untersuchung der messianischen oder eschatologischen
Hoffnungen im Neuen Testament methodisch „nicht die Isolierung be-
grifflich fixierter Traditionslinien und Trägergruppen, sondern die Erhel-
lung des Prozesses produktiver Interpretation ererbter vielfältiger Uber-
lieferung im Lichte neuer Erfahrung" 184 . Das differenzierte Phänomen der
,messianischen' Vorstellungen wird jedenfalls nicht hinreichend erfaßt,
wenn man die Rede vom .Messianischen' terminologisch streng auf jene
Texte einschränkt, in denen eine der .klassischen' Messiasaussagen des
Alten Testaments aufgenommen und der so bestimmte „endzeitliche

180 Siehe zum Überblick LICHTENBERGER, Expectations; CHARLESWORTH, Messianology;


OEGEMA, Gesalbte; zu Q u m r a n den Uberblick von ABEGG/EVANS, Passages; GARCÍA
MARTÍNEZ, Erwartungen; weiter EVANS, Contemporaries, 8 3 - 1 5 4 (sowie a. a. O . , 5 3 -
82, zu anderen .Messianic Claimants'); KNIBB, Eschatology; COLLINS, N a t u r e ; aus-
führlich DERS., Scepter; ZIMMERMANN, Texte.
1,1 So SCHREIBER, Gesalbter, 5 4 1 .
182 SCHREIBER, Gesalbter, 5 4 1 .
183 Siehe die Zusammenfassung bei ZIMMERMANN, Texte, 478f.; vgl. auch GARCÍA MAR-
TÍNEZ, Erwartungen, 2 0 8 .
184 So NIEBUHR, Jesus, 3 4 5 .

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310 Jörg Frey

Heilskönig Israels" 185 im Blick ist. An dieser Definition gemessen, bliebe


nur festzustellen, daß der irdische Jesus nicht ,der Messias' gewesen sein
kann186. Aber dann bliebe die breite Anwendung des Messiastitels auf ihn
in der frühen urchristlichen Tradition historisch rätselhaft. Weiterführen-
der erscheint es deshalb, die Kategorie des .Messianischen' in einem wei-
teren, den frühjüdischen Quellen angemessenen Sinn zu fassen187, sie bei
aller nachweisbaren Vielfalt auch in ihren Konvergenzen wahrzunehmen
und ihre Bedeutung sowohl für das antike Judentum als auch für die Ent-
stehung der frühen Christologie nicht zu gering zu veranschlagen188.
Die Verbindung und Vernetzung unterschiedlicher ,messianischer'
Motive und Traditionen beginnt schon in spätalttestamentlicher Zeit,
nämlich im Prozeß der Redaktion und Sammlung der Bücher des werden-
den alttestamentlichen Kanons, in der interpretierenden Relecture der
Texte durch die Ubersetzer der L X X (wie auch später der Targumisten)
und natürlich in der Komposition von Texten wie ζ. B. l l Q M e l c h oder
4Q521 und anderer Schriften der Bibliothek von Qumran 189 . Man wird
auch die schwache Bezeugung messianischer Vorstellungen in einigen
Pseudepigraphen nicht im Sinne eines .Messias-Schweigens' deuten dür-
fen, wenn etwa gleichzeitig mit der Entstehung dieser Schriften die inten-
sive Fortschreibung messianischer Erwartungen in anderen Texten erfolgt
ist 1 ' 0 . Die kaum erläuterte Rede vom .Messias' in Dan 9,25f. legt zumin-
dest nahe, daß der Terminus ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. ohne Erklä-
rungen verständlich war. Dies spricht gegen die Annahme, daß die mit
diesem Begriff verbundenen Konzeptionen als völlig inkohärent angese-

185 Diese terminologische Festlegung wird vorab bei HOFIUS, Jesus, 104, getroffen. Die
weiteren Folgerungen im Blick auf die .Inkomparabilität' des neutestamentlichen Je-
susbildes ergeben sich aus diesem Ansatz, ohne daß dadurch historisch größere Plausi-
bilität erreicht würde.
186 So HOFIUS, Jesus, 128.
187 Siehe dazu COLLINS, Scepter, 1 1 - 1 4 .
188 Gegenüber der Tendenz in der neueren alttestamentlichen Wissenschaft, die .messia-
nischen' Motive entweder unter den Stichworten .Königsideologie' oder .Apokalyp-
tik' abzuhandeln und dann einen Ausfall messianischer Vorstellungen festzustellen,
kann HORBURY (Messianism, 6) zusammenfassend formulieren: "Messianism grew up
in Old Testament times; the Old Testament books, especially in their edited and col-
lected form, offered what were understood in the post-exilic age and later as a series
of messianic prophecies; and this series formed the heart of a coherent set of expecta-
tions which profoundly influenced ancient Judaism and early Christianity".
1 8 ' Siehe dazu HORBURY, Messianism, 2 5 - 3 1 .

1,0 Dies geschieht bei COLLINS, Scepter, 3 1 - 3 4 . Vgl. dagegen HORBURY, Messianism, 37,
sowie den ausführlichen Aufweis der Verbreitung messianischer Erwartungen in der
Zeit des Zweiten Tempels a. a. O.. 3 6 - 6 3 . HORBURY erfaßt noch wesentlich mehr
Quellen als SCHREIBER, Gesalbtenvorstellungen, 145ff.

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D e r historische Jesus und der Christus der Evangelien 311

hen worden wären" 1 . Die Variationsbreite ist freilich groß: Neben der
klassischen Erwartung des siegreichen Messiaskönigs, die nicht zuletzt
durch ihre liturgische Rezeption in der 14. Benediktion des Achtzehn-
Bitten-Gebetes von großer Bedeutung war192, steht die Hoffnung auf den
(königlichen) Messias als einen geisterfüllten Lehrer (so PsSal 17,32-
44 193 ). In apokalyptischen Traditionen (4Esra 13) verbindet sich die Mes-
sias-Vorstellung mit der des danielischen .Menschensohns' 194 oder mit der
Vorstellung des endzeitlichen Richters (so in den Bilderreden lHen 3 7 -
71). Neben der Erwartung des herrscherlich-königlichen Messias stand
(zumindest in bestimmten Kreisen) die Hoffnung auf einen endzeitlichen
Hohenpriester oder einen Propheten nach dem Bilde Moses (vgl. Dtn
18,15). Die Qumran-Texte reden - freilich nur zum Teil - von zwei ne-
beneinander auftretenden .Messiassen', einem priesterlichen und einem
politisch-militärischen ( C D X I X 3 3 - X X l 1 9 5 ), die sich ihrerseits noch mit
,dem Propheten' verbinden konnten (1QS I X 10f.). Auch die unter Ex-
egeten verbreitete Uberzeugung, daß ,der Messias' stets als eine rein ir-
disch-menschliche Gestalt verstanden worden sei, setzt offenbar eine fal-
sche Alternative voraus. Sie erweist sich als unzutreffend für Texte, in
denen sich die Vorstellung von der Rettung durch Gott selbst oder göttli-
che Hypostasen oder durch Engelmächte mit dem Gedanken an messiani-
sche Mittler verbindet196. Ein derartiger Anklang findet sich ζ. B. im
LXX-Psalter, wenn es etwa ψ 109,3 über den Messias heißt προ
εωσφόρου έξεγέννησά σε, „vor dem Morgenstern habe ich Dich ge-
zeugt", so daß der messianische König hier zum einen als präexistentes

" ' Vgl. HORBURY, Messianism, 8f.


" 2 Siehe dazu SCHREIBER, Gesalbter, 3 9 1 - 3 9 4 .
" 3 Vgl. dazu SCHREIBER, Gesalbter, 176ff.; SCHWEMER, Christus, 189f.
194 In 4 E s r a 13 ist nicht nur v o n einem .Menschen' die Rede, sondern ein klarer Anklang
an den .Menschensohn' Dan 7,13f. gegeben (s. SCHREIBER, Gesalbtenvorstellungen,
3 5 4 ; COLLINS, Scepter, 1 8 3 ) , Diese Verknüpfung zeigt, daß man in der neutestament-
lichen Tradition wohl zwischen dem Gebrauch der Titel Messias und Menschensohn
unterscheiden muß, aber eine so starke Trennung zwischen den beiden Bezeichnun-
gen, wie sie in der älteren Forschung (vgl. noch HAHN, Hoheitstitel) vorgenommen
wurde, erscheint angesichts der vielfältigen Verknüpfungen unterschiedlicher Motive
in den frühjüdischen Quellen nicht mehr angebracht (dazu HENGEL, Messias, 36f.).
Ein weiteres Zeugnis der Verknüpfung von Messias- und Menschensohn-Motiven
sind zumindest die Bilderreden l H e n 3 7 - 7 1 , in denen die .Menschensohn'-Gestalt,
der .Erwählte', zugleich als Gottes .Gesalbter' ( l H e n 4 8 , 1 0 ; 5 2 , 4 ) und .Gerechter'
(53,6) Die Bezeichnungen der einen .messianischen' Gestalt fließen zusammen.
1,5 Vgl. weiter T e s t j o s 19,4; zum Hintergrund Sach 4,4.
ut " j j j g messiah is widely, not just exceptionally, depicted with emphasis on his super-
human and spiritual aspect" (HORBURY, Messianism, 1 0 7 ) .

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312 Jörg Frey

und zum anderen als .astrales', engelähnliches Wesen erscheint 1 9 7 . Diese


Vorstellung konnte sich mit Dan 7,13 verbinden 198 ; sie klingt wieder an in
den Bilderreden ( l H e n 48,3). Betrachtet man diese Vielfalt .messiani-
scher' Vorstellungen im Judentum um die Zeitenwende und v. a. die A n -
sätze einer Verbindung .messianischer' Gestalten mit Präexistenz- und
Erhöhungstraditionen sowie angelologischen Motiven dann ist der Gra-
ben zwischen der jüdischen Messianologie und der frühchristlichen Chri-
stologie bei weitem nicht so tief, wie dies in der exegetischen Diskussion
- oft aus dogmatischen Gründen - betont wurde.
In Anbetracht der hier nur angedeuteten Variationsbreite .messiani-
scher' Vorstellungen läßt sich historisch eher nachvollziehen, daß Jesu
Wirksamkeit - die ja einer unmittelbar politischen Herrschererwartung in
keiner Weise entsprach - dennoch bei seinen Zeitgenossen Deutungen in
.messianischen' Kategorien provozierte. Diese wurden an ihn herangetra-
gen und von ihm wohl nicht einfach abgelehnt 19 '. Historisch ist es daher
durchaus plausibel, in Äußerungen wie der Antwort an den Täufer eine
zumindest sachlich zutreffende Wiedergabe dessen zu finden, wie der ir-
dische Jesus - ohne den Messiasbegriff explizit zu gebrauchen - auf die
Deutungen seiner Zeitgenossen reagiert hat. Zeichenhandlungen wie die
.Erschaffung' (vgl. Mk 3,14) des Kreises der Zwölf als Repräsentanten des
eschatologischen Gottesvolks 2 0 0 , sowie schließlich der Einzug in Jerusa-

197 Vgl. dazu SCHAPER, Eschatology, lOlf.; HORBURY, Messianism, 96, der im Blick auf
weitere Stellen aus der LXX feststellt "that the messianic king was envisaged, vari-
ously yet consistently, as an angel-like spirit waiting to appear and be embodied". Be-
lege für die faktische Interpretation von ψ 109,3 in diesen Kategorien finden sich etwa
bei Justin, Dial. 45,4 (wo die Stelle mit ψ 71,5 verbunden und als Beleg für die Präexi-
stenz Christi gewertet wird) und Tertullian, Adv. Praxean 7 (in Verknüpfung mit Spr
8). Siehe dazu SCHAPER, a. a. O., 172f., ausführlich PARENTE, ΠΡΟ ΠΟΙΟΥ.
1,8 Vgl. die Wiedergabe von Dan 7,9-14 in der LXX, s. dazu SCHAPER, a. a. O., 170f.

" ' Die alte These von DINKLER (Petrusbekenntnis; erneuert jetzt bei LÜDEMANN, Jesus,
80-82), daß Jesus das Bekenntnis des Petrus unmittelbar mit dem „Weiche von mir
Satan!" beantwortet habe, verdankt sich eher Marburger Dogmatik als historischer
Argumentation. Hätte der irdische Jesus .messianische' Vorstellungen gleich welcher
Art so brüsk abgewiesen, dann wäre es völlig unverständlich, wie der Christustitel
schon in den frühesten vorpaulinischen Bekenntnissen so intensiv aufgenommen wer-
den konnte.
200 Siehe dazu BECKER, Jesus, 32-34. Die These einer erst nachösterlichen Konstitution

des Zwölferkreises wäre völlig unplausibel. Zumindest die Rede von Judas als ,einem
der Zwölf' würde sich dann nicht mehr erklären lassen, vgl. jetzt die ausgewogene Ar-
gumentation bei MEIER, Marginal Jew III, 128-147. Im Blick auf das Logion Mt 19,28
par. Lk 22,28-30 und die Perikope über die Zebedaiden Mk 10,35-40 meint EVANS,
Contemporaries, 454, sogar "that Jesus did anticipate setting up a messianic admini-
stration that would displace the religious establishment of Jerusalem".

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 313

lem z u m P a s s a f e s t 2 0 1 u n d die . T e m p e l r e i n i g u n g ' 2 0 2 k o n n t e n d e r a r t i g e E r -


w a r t u n g e n bei seinen A n h ä n g e r n n o c h v e r s t ä r k e n u n d b e i m jerusalemi-
schen Establishment verständliche Befürchtungen erwecken. A u f diesem
H i n t e r g r u n d ist es h i s t o r i s c h a m e h e s t e n erklärbar, d a ß er schließlich u n -
ter der - f a l s c h e n - B e s c h u l d i g u n g p o l i t i s c h e r A n s p r ü c h e an die r ö m i -
s c h e n M a c h t h a b e r überstellt u n d v o n diesen z u r A b s c h r e c k u n g als „ K ö n i g
der J u d e n " g e k r e u z i g t w u r d e . D a s Messiasprädikat hat d a h e r m e h r A n h a l t
an der G e s c h i c h t e J e s u u n d an s e i n e m T o d , als in d e r n e u t e s t a m e n t l i c h e n
W i s s e n s c h a f t häufig z u g e s t a n d e n w u r d e .

1.2. D e r Vollmachtsanspruch Jesu

F r a g t m a n , w o r a n diese E r w a r t u n g e n in J e s u W i r k e n a n k n ü p f e n k o n n t e n ,
dann w i r d m a n z u n ä c h s t auf J e s u exorzistisches und heilendes Wirken ver-
weisen, das ja a u c h in d e r A n t w o r t an den T ä u f e r anklingt. D a n e b e n s t e h t
seine R e d e v o n d e r Gottesherrschaft, die n i c h t n u r n a h e b e v o r s t e h t , s o n -
d e r n in u n d m i t s e i n e m W i r k e n bereits b e g o n n e n hat. B e i d e sind v e r -
k n ü p f t in e i n e m L o g i o n , das m i t g r o ß e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t z u m a u t h e n -
t i s c h e n K e r n b e s t a n d der W o r t e J e s u z u zählen ist 2 0 3 ( L k 1 1 , 2 0 [par. M t

201 Auch wenn die Erzählung Mk 11,1-11 theologisch übermalt ist, lassen sich doch so-
wohl eine .messianische' Huldigung durch die Festpilger (auf dem Hintergrund der
zuvor erzählten Heilungen) als der Eselsritt (mit seiner Zeichenhaftigkeit) schwerlich
als nachösterliche Bildung erklären. Vgl. dazu PESCH, Markusevangelium II, 187f.
202 Dazu s. ausführlich ÂDNA, Stellung, der die Tempelaktion Jesu als das entscheidende
Bindeglied „zwischen dem unrevolutionären Wirken Jesu einerseits und seinem von
römischer Hand vollstreckten Verbrechertod am Kreuz" herausarbeitet, insofern erst
diese Aktion die Hohenpriester dazu bewogen haben kann, „gezielt auf Jesu Hin-
richtung hinzuwirken" (326). Zur historischen Rekonstruktion a. a. O., 328-333, zur
Deutung der Tempelaktion als messianische Zeichenhandlung a . a . O . , 381ff. Vgl.
auch EVANS, Contemporaries, 319-380.
203 So schon BULTMANN, Geschichte, 174, und nach wie vor die Mehrzahl der Interpre-
t e n , z . B . SATO, Q , 1 3 3 ; M E R K E L , G o t t e s h e r r s c h a f t , 1 4 2 ; D A V I E S / A L L I S O N , M a t t h e w
II, 339 ("one of the assured results of modern criticism"), anders jetzt allerdings SAN-
DERS, Jesus, 133-141, und RÄISÄNEN, Exorcisms, 24f., der unter Berufung auf KLOP-
PENBORG, Formation, 124f., argumentiert, das Logion sei nicht von seinem Kontext in
Q 11,19 abzutrennen und stelle zusammen mit V. 19 eine Erweiterung des Textkom-
plexes Q l l , 1 4 f . l 7 f . dar. Doch ist diese Argumentation nicht zwingend (s. z. B. die
abweichende Erklärung bei SATO, Q, 132-134). Überhaupt lassen sich die unter-
schiedlichen Thesen einer mehrstufigen .Entwicklung' der Logientraditionen „am Q -
Material nicht aufweisen" (SCHRÖTER, Jesus, 116f.; vgl. DERS., Erinnerung, 276); sie
sind in der Regel von externen Kriterien bzw. vorgängigen Auffassungen zur theolo-
giegeschichtlichen Entwicklung des Urchristentums bestimmt. Der hermeneutische
Zirkel ist auch hier nicht zu umgehen.

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314 Jörg Frey

12,28]): „Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann
ist die Gottesherrschaft schon zu euch gekommen". Es gibt kaum ein an-
deres Logion, „das auf so eindrückliche [ . . . ] Weise Jesu Vollmacht und
die Gottesherrschaft verbindet" 204 . Es steht im Rahmen der Logienquelle
in der Auseinandersetzung um Jesu exorzistisches Wirken, das selbst von
seinen Gegnern nicht bestritten wird, aber auf eine dämonische Ursache,
auf „Beelzebul" zurückgeführt wird. Jesu Wort schließt das Streitgespräch
ab und greift dabei zurück auf den Kampf Moses mit den Zauberern des
Pharao. Dabei wird festgehalten, daß, was in Jesu Wirken geschieht, „mit
dem Finger Gottes" geschieht - die spätere Uberlieferung hat dies dann
abgemildert: „mit dem Geist Gottes" (Mt 12,28), das spricht für das Alter
und die .Tendenzwidrigkeit' der hier vorliegenden Formulierung. Deshalb
wird man dieses Logion auch dann, wenn es sich nicht sehr leicht aus sei-
nem gegebenen Kontext herauslösen läßt 205 , nicht nur für eine .redaktio-
nelle' Stufe der Logienquelle in Anspruch nehmen dürfen. Es weist viel-
mehr auf ein herausragendes Vollmachtsbewußtsein zurück, das sich in
dieser Form auch in Kreisen urchristlicher Propheten oder .Charismati-
ker' nicht belegen läßt und das sich auch nicht bruchlos in eine .redaktio-
nell' als Gerichtsansage an Israel206 verstandene Logienquelle fügt. Des-
halb ist es m. E. nach wie vor plausibler, die beiden Verse Q l l , 1 9 f . nicht
auf eine evtl. gar späte Schicht der Logienquelle zurückzuführen, sondern
zumindest V. 20 und vermutlich auch V. 19 auf eine frühere Situation,
und dabei am ehesten auf Jesus selbst, auf dessen Exorzismen die Logien
verweisen207. Immerhin verfügt das autoritative „Ich" dieses Logions über
den .Finger Gottes'; damit wird in subtiler Anspielung an die Schrift 208 der
Anspruch erhoben, daß in Jesu exorzistischem Wirken Gott selbst befrei-
end und damit zum Heil der Menschen am Werk ist und sich somit die
Gottesherrschaft zeichenhaft - aber keineswegs .nur' symbolisch - mani-
festiert. Signifikant ist dabei die Verknüpfung zwischen dem exorzisti-
schen Wirken Jesu und der Gottesherrschaft, die in diesem Logion gerade
nicht ausschließlich als zukünftige Größe verstanden wird, sondern sich

204 HENGEL, Finger, 87.


205 Dies ist für RÄISÄNEN, Exorcisms, 3 3 . das entscheidende A r g u m e n t für die Inauthen-
tizität. Siehe zu den Problemen auch SCHRÖTER, Erinnerung, 2 5 7 - 2 6 1 .
206 So die nach KLOPPENBORG, Formation, 1 0 2 - 1 7 0 , letzte Stufe (vor der Anfügung der
Versuchungsgeschichte, s. a. a. O . , 2 4 6 - 2 6 2 ) .
207 Siehe jetzt die gründliche Argumentation bei LABAHN, Exorzismen, 6 1 8 - 6 2 6 ; vgl.
auch MEIER, Marginal J e w I I , 4 1 3 - 4 2 3 , der sogar eine mögliche aramäische U r f o r m
vorschlägt (a. a. O . , 422f.).
208 Z u dieser s. HENGEL, Finger, sowie LABAHN, Exorzismen, 6 2 6 - 6 3 1 .

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 315

in den E x o r z i s m e n J e s u „bis in die G e g e n w a r t hinein a u s d e h n t " , ja „in


s e i n e m R e d e n u n d W i r k e n p r ä s e n t " ist, „ d y n a m i s c h R a u m g r e i f t " 2 0 9 .
I n a n a l o g e r W e i s e k o m m t dieser A n s p r u c h a u c h in d e r A n t w o r t an den
T ä u f e r z u r S p r a c h e , w o es heißt: „Blinde sehen, L a h m e g e h e n [ . . . ] , d e n
A r m e n w i r d das E v a n g e l i u m g e p r e d i g t " . Bis z u dieser A u s s a g e s c h l i e ß t
sich die A n t w o r t n o c h g a n z an jesajanische W e n d u n g e n a n ; der f o l g e n d e
Satz „selig, w e r n i c h t A n s t o ß n i m m t an m i r " ( Q 7 , 2 2 f . ) g e h t j e d o c h weit
d a r ü b e r hinaus 2 1 0 . D i e P h ä n o m e n e , in d e n e n sich die G o t t e s h e r r s c h a f t zei-
c h e n h a f t ä u ß e r t , w e r d e n in der A n t w o r t an den T ä u f e r in ä h n l i c h e r W e i s e
wie in Q 1 1 , 2 0 b e n a n n t , d o c h i m a b s c h l i e ß e n d e n M a k a r i s m u s n o c h e n g e r
u n d u n m i t t e l b a r e r an die P e r s o n J e s u g e b u n d e n , s o d a ß sich m i t der Stel-
lung z u i h m z u g l e i c h die Stellung z u m G o t t e s h e i l e n t s c h e i d e t .

Die Forschung war hier immer wieder versucht, eine nachösterliche christologische Aus-
sage zu vermuten. Doch zeigt die Geschichte der Interpretation, wie schwer es fällt, für
das Gespräch „einen überzeugenden nachösterlichen Sitz im Leben [ . . . ] zu finden" 2 ".
Hält man fest, daß der Verweis auf die bei Jesaja verheißenen und in frühjüdischen Tex-
ten wie 4Q521 weitergeführten endzeitlichen Heilstaten Gottes noch ganz im jüdischen
Rahmen bleibt und im Übrigen auf die für den Täufer durchaus passende (aber keine
spezifische .Messianiologie' implizierende) Frage nach dem .Kommenden' (vgl. Mt 3,11
par.) bezogen ist, dann läßt sich das Gespräch durchaus im vorösterlichen Kontext ver-
stehen 212 . Das ganze Gespräch enthält keine explizite Christologie, erst recht keine Ap-
plikation einer vorgegebenen Messianologie auf Jesus 213 . Es bringt nichts anderes zur
Sprache als den auch in Q 11,20 belegten Anspruch, daß sich in Jesu Taten, seinen Hei-
lungen und Exorzismen, das für die kommende Heilszeit erwartete Heil schon jetzt
Bahn bricht. Mit der andeutenden Aufnahme der jesajanischen Verheißungen identifi-
ziert sich Jesus indirekt, aber doch erkennbar mit dem prophetischen, gesalbten Verkün-

209 So die Interpretation bei LABAHN, Exorzismen, 632.


210 Man darf diesen Makarismus nicht einfach als „unprophetisch" (SATO, Q , 261) von
Jesus abrücken. BOVON, Lukas I, 370, wertet ihn als Prophetenspruch, der wegen sei-
ner „explizite [n] Christologie" - vermutlich im Unterschied zum Täufergespräch
bzw. der Antwort Jesu mit ihrer bloßen Anspielung an die Schrift - sekundär sei. Al-
lerdings liegt auch in V. 23 keine wirklich explizite Christologie vor, und „die Schwie-
rigkeiten, einen überzeugenden Sitz im Leben für ein von der Gemeinde gebildetes
Apophthegma zu finden, sprechen [ . . . ] gegen Gemeindebildung" (Luz, Matthäus II,
166).
211 Luz, E K K 1/2, 166. Dies gilt auch gegenüber den Versuchen von ZELLER, Kommen-

tar, 3 9 f . , u n d K L O P P E N B O R G , F o r m a t i o n , 1 0 7 .
212 Vgl. Luz, a. a. O.; MEADORS, Jesus, 162-168. In diesem Kontext würde sich σκανδα-
λίζειν in Q 7,23 noch präzise auf die Frage des Täufers an seinen ehemaligen .Schüler'
beziehen; s. dazu MEIER, Marginal Jew II, 202 Anm. 13.
213 So auch POLAG, Christologie, 38: „Der gesamte Wortlaut scheint unbeeinflußt von
späterer christologischer Terminologie", vgl. ebenso MEIER, Marginal Jew II, 400f.

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316 Jörg Frey

diger des Heils aus Jes 6 1 , I f . - ein Bezug, der auch in anderen W o r t e n Jesu wie z. B. den
ältesten Seligpreisungen Jesu M t 5 , 3 - 5 eine wesentliche Rolle zu spielen scheint 2 1 4 .

Dieser Sendungsanspruch geht jedoch weit über die Kategorie eines


schlichten Weisheitslehrers oder Rabbi, eines Propheten oder auch eines
.letzten Rufers' 215 hinaus. Der letzte Rufer „ist nach einhelligem Zeugnis
des Neuen Testaments nicht Jesus, sondern Johannes der Täufer" 216 .
Schon er ist ja nach Jesu Worten „mehr als ein Prophet" (Lk 11,9), näm-
lich der am Ende erwartete ,Bote' (Mal 3,1) bzw. der wiedergekommene
Elia, der vor dem „großen und schrecklichen Tag des Gerichts" zur letz-
ten Umkehr mahnte (Mal 3,23), und man kann vermuten, daß dies dem
Selbstverständnis des Johannes durchaus nahekam217. Wäre Jesus ebenfalls
nichts anderes als ein .letzter Rufer' gewesen, was hätte ihn dann noch
vom .Täufer unterschieden? Aber Logien wie das Wort vom Satanssturz
(Lk 10,18) oder das Exorzismuswort (Q 11,20) zeigen, daß Jesus seine
Gegenwart noch in anderen Kategorien als der bloßen Erwartung des En-
des, des Gerichts oder des Kommens Gottes beschrieb, und das Wort
vom .Finger Gottes' macht deutlich, daß dieses Verständnis der eigenen
Gegenwart wesentlich mit den in Jesu Wirken vollbrachten Heilungen
und Exorzismen verbunden war, andererseits von ihm selbst zugleich mit
dem zentralen Gegenstand seiner Verkündigung, der βασιλεία Gottes, in
Verbindung gebracht wurde. Dabei ist zu erkennen, daß sich das Theolo-
gumenon der βασιλεία τοΰ ·θεοΰ in Jesu Verkündigung trotz seines ein-
deutig eschatologischen Charakters 218 mit einem eigentümlichen Gegen-
wartsbewußtsein verband, in dem der spezifische Sendungsanspruch Jesu
gründet.

214 Vgl. dazu DAVIES/ALLISON, Matthew 1 , 4 3 6 - 4 3 9 .


215 So die Charakterisierung des Selbstverständnisses Jesu bei CONZELMANN, Jesus Chri-
stus, 6 3 3 .
216 HENGEL, Messias, 32.
217 Vgl. dazu FREY, Bedeutung, 1 6 4 - 1 7 7 . Der Täufer trat im prophetischen Habitus
(Speise, Kleidung) in der W ü s t e auf, am Jordan, vermutlich in der Region, w o man
glaubte, daß einst Elia hinweggenommen wurde ( 2 K ö n 2 , 1 1 ) und w o man nach Mal
3 , 2 3 die Wiederkehr des Propheten erwarten konnte. D o r t bot er seine Bußtaufe als
Initiationsritus für die Zugehörigkeit zum endzeitlich gereinigten Israel an - dem sich
Jesus unterzogen hat. A u c h die für die Täuferperikopen im N e u e n Testament zentrale
Stelle Jes 4 0 , 3 ist in Mal 3,1 aufgenommen.
218 Dieser läßt sich m. E. nur um den Preis der Vergewaltigung der T e x t e leugnen. D a ß
Exegeten dort, w o es um die Person Jesu geht - sowohl in der alten liberalen Theolo-
gie als auch in der neuesten, v. a. nordamerikanischen Diskussion ζ. B. des J e s u s -
Seminar' - , zu solchen gewaltsamen Operationen bereit sind, läßt zumindest erken-
nen, welche identitätstiftende Bedeutung der Gestalt Jesu bis heute z u k o m m t .

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 317

Was in seinem eigenen Wirken geschah, beschrieb er mit Worten wie


„mehr als Jona" (Mt 12,41), und „mehr als Salomo" (Mt 12,42 par Lk
11,31). Diese komparativen Aussagen begegnen in einem „von Semitis-
men durchsetzte [n] Doppellogion", das „so wenig eine ,Gemeindebil-
dung' ist wie das sachlich verwandte Drohwort gegen Chorazin, Bethsaida
und Kapernaum" 219 . In diesen Worten ist weder vom .Erhöhten' noch von
seinem Leiden die Rede, und es wäre anzunehmen, daß „ein unbekannter
Gemeindeprophet „dieses unscharfe ,siehe, hier ist mehr als' christolo-
gisch exakter definiert" hätte 220 . Aber sowohl das „hier" als auch das
„mehr" bleiben rätselhaft, und die christologischen Implikationen der
Aussage bleiben dunkel. Es geht offenbar nicht um den direkten Ver-
gleich zwischen Jesus und Jona oder Jesus und Salomo - eine solche Ge-
genüberstellung wäre leicht als nachösterliche Aussage zu erkennen221 - ,
sondern darum, daß die Größe der hier entborgenen Weisheit und damit
zugleich die Dringlichkeit der Umkehr nach Jesu Urteil die Höhepunkte
der israelitischen Heilsgeschichte überstiegen. Damit ist auch hier - wie
im Wort vom .Finger Gottes' und der Antwort an den Täufer - eine „exi-
stentielle und aktualisierende Rezeption" 222 der Schrift gegeben, die als
solche m. E. dem irdischen Jesus nicht abgesprochen werden kann. Was in
seinem Wirken geschah, das konnte er selbst offenbar nur im Rückbezug
auf biblische Heilsaussagen und damit zugleich als ein Erfüllungsgesche-
hen erfassen.
Daß er .der Messias' sei, hat Jesus in seiner öffentlichen Verkündigung,
soweit wir sie rekonstruieren können, wohl nicht beansprucht, und viel-
leicht hat er die Frage nach seiner Messianität erst im Prozeß gegenüber
dem Hohenpriester bejaht (Mk 14,61f.) 223 . Aber auch mit der Kategorie
des Messianischen - so variabel und offen man diese auch verstehen mag -
läßt sich Jesu Wirken kaum hinreichend erfassen. In seiner auch gegen-
über .Mose' kritischen Auslegung der Tora (die sich z. B. in den ersten

2" HENGEL, Lehrer, 86; vgl. auch THEISSEN/MERZ, Jesus, 243; a. a. O., 320: „Die Kon-
frontation skeptischer Zeitgenossen mit dem biblischen Beispiel .frommer Heiden' in
Verbindung mit dem eschatologischen Bewußtsein, daß die Gegenwart Salomo und
Jona übertrifft, ist ein für Jesus typischer Schriftgebrauch".
220 HENGEL, Lehrer, 86. Anders z . B . SATO, Q , 151, der mit einer sekundären Bildung

rechnet, allerdings zugesteht: „Definitiv gegen die Echtheit spricht nichts" (a. a. O . ) .
Vgl. die gründliche Argumentation bei DAVIES/ALLISON, Matthew II, 357. Alle
πλεΐον-Worte im Munde Jesu haben den Komparativ im Neutrum und bleiben ei-
gentümlich rätselhaft (s. MUSSNER, Wege, 72).
221 „Die christliche Gemeinde hätte sehr wahrscheinlich formuliert: .mehr als Salomon
(bzw. Jonas) ist Jesus . . . " ' (so MUSSNER, Wege, 71).
222 So LABAHN, Exorzismen, 630, zu Q 11,20.
223 Siehe KREPLIN, Selbstverständnis, 322.

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318 Jörg Frey

beiden Antithesen Mt 5,21f.27f. äußert 224 ) und noch mehr im unmittelba-


ren Zuspruch der Vergebung von Sünden (Mk 2,1—12) 225 hat er für sich
eine Kompetenz beansprucht, die alle vorgegebenen Kategorien zu spren-
gen scheint. Sie läßt sich nur durch die indirekte Aussage umschreiben,
daß in Jesu Wirken Gott selbst eschatologisch handelte und daß eben
deshalb der Stellung zu seiner Botschaft und seiner Person schlechthin
entscheidendes Gewicht zukam. Dieser Anspruch spiegelt sich besonders
deutlich in dem doppelt überlieferten Logion Q 12,8f. (par. Mk 8,38):
„Amen, ich sage euch: Jeder, der sich zu mir vor den Menschen bekennt,
zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln Gottes beken-
nen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, wird vor den Engeln
verleugnet werden" 226 . Diese „apokalyptisch-weisheitliche Belehrung" 227
ist verständlicherweise heftig umstritten 228 , kann aber aufgrund ihrer
Sprachgestalt, vor allem der verhüllenden Rede von den „Engeln Got-
tes" 229 nicht einfach als nachösterliche christologisch-eschatologische
Aussage gewertet werden 230 . Auch wenn man offen lassen mag, ob Jesus
sich hier selbst mit dem kommenden Menschensohn identifiziert oder ob
er sein eigenes Wirken lediglich engstens mit dem Wirken dieser escha-

224 Auf die Probleme dieser Texte kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Sicher
scheint mir, daß die Antithese hier gegen die Schrift selbst und nicht nur gegen ein-
zelne Auslegungstraditionen gerichtet ist. Eine wirkliche Parallele zu dieser Form liegt
im antiken Judentum nicht vor, auch nicht in der in die Ich-Form Gottes gebotenen
.Uberbietung' der Tora in der Tempelrolle ( l l Q T e m p ) . Auch wenn sich im zeitge-
nössischen Judentum zu einzelnen der Weisungen Jesu Sachparallelen finden lassen,
bleibt doch die apodiktische Form, die das „Ich" Jesu dem göttlichen Schriftwort ent-
gegenstellt, ein Zeichen eines außerordentlichen Sendungsanspruchs.
225 Das in dieser Perikope eingebettete Streitgespräch V. 5b-10 braucht nicht notwendi-

gerweise sekundär zu sein. Die beliebte Ausscheidung dieser Passage (grundlegend


BULTMANN, Geschichte, 13), die in der neutestamentlichen Wissenschaft oft gerade
als „exercitium der Quellenscheidung" dient (MUSSNER, Jesus, 103), dürfte sich viel-
mehr dem verbreiteten Vor-Urteil verdanken, daß ein in rein menschlichen Katego-
rien und im Rahmen des zeitgenössischen Judentums verstandener Jesus selbst nicht
in der hier beschriebenen Weise gehandelt haben könne. Zur Kohärenz s. MUSSNER,
a. a. O., 104f.; HOFIUS, Zuspruch; zur Sache auch SUNG, Vergebung, 208ff.
226 Zur Ursprünglichkeit der Lesart „Menschensohn" in Q (nach Lk 12,8) gegenüber

dem „Ich" bei Mt 10,32 s. zuletzt TUCKETT, Q 12,8 Once Again; auch SCHRÖTER,
Erinnerung, 3 6 2 - 3 6 5 .
227 So BECKER, Jesus, 261.
228 Vgl. einen Überblick über die Diskussion bei VÖGTLE, Gretchenfrage, 22ff.
229 Anders Mt 10,33 und Mk 8,38.

230 Vgl. zur Authentizität BECKER, Jesus, 261-267; DAVIES/ALLISON, Matthew II, 214f.

Die bei VÖGTLE, Gretchenfrage, vorgetragene radikale Lösung, alle Menschensohn-


worte dem irdischen Jesus abzusprechen, kann angesichts der breiten Bezeugung die-
ses Titels in Mk und in der Q-Tradition nicht überzeugen.

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 319

tologischen Gestalt verbindet, so wird doch in diesem Spruch nicht weni-


ger ausgesagt, als daß die letzte richterliche Entscheidung über das
eschatologische Heil der Menschen an deren irdisches Bekenntnis zu Je-
sus gebunden ist. In diesem Sinne ist das Logion eines der wichtigsten In-
dizien für eine Kontinuität zwischen der Predigt Jesu und der Verkündi-
gung der nachösterlichen Gemeinde.
Der unerhörte Sendungsanspruch Jesu hat nicht erst in der neuzeitli-
chen Exegese, sondern schon bei seinen Zeitgenossen gespaltene Reaktio-
nen ausgelöst: Seine Anhänger blieben weithin unverständig, seine Ange-
hörigen distanziert. Man warf ihm Manie (Mk 3,21), Magie (Mk 3,22) und
schließlich Blasphemie vor (Mk 2,7; 14,64) und überstellte ihn zuletzt
dem Statthalter mit der politisch brisanten Anklage, er sei ein Königsprä-
tendent. Jesus mußte freilich spätestens seit dem Tod seines .Mentors',
des Täufers, damit rechnen, daß auch seinem Wirken ein gewaltsames En-
de gesetzt werden könnte, dennoch scheint er den Zug nach Jerusalem
zum Passafest angetreten und dort mit der Zeichenhandlung der Tempel-
reinigung die Oberen zusätzlich provoziert zu haben. So wird man auch
seinen Tod als .König der Juden' nicht unter Absehung von seinem ,mes-
sianischen' Sendungsanspruch verstehen dürfen.

2. Erkenntnisgrund und Entfaltung des nachösterlichen


Christuszeugnisses

Wenn dieses Bild des Sendungsanspruchs Jesu auch nur in Grundzügen


zutrifft, dann läßt sich das nachösterliche Bekenntnis, die neutestamentli-
che Christologie historisch und theologisch nur auf der Basis des voll-
mächtigen Wirkens Jesu und seines Sendungsanspruchs verstehen. Wo
man dieses - aus welchen Gründen auch immer - ausblendet und in der
Darstellung der Christologie bzw. Theologie des Neuen Testaments erst
mit dem nachösterlichen ,Kerygma' einsetzt, da bleibt dieses ,Kerygma'
historisch und theologisch letztlich ein Rätsel. Hier ist RUDOLF BULT-
MANN und seinen Schülern klar zu widersprechen: Der irdische Jesus ge-
hört historisch an den Anfang der neutestamentlichen Theologie und
auch der Geschichte des Urchristentums 231 . Er ist dabei nicht im Kontrast
zum Judentum, sondern innerhalb seiner jüdischen Umwelt zu verstehen
- aber sein Bild wird durch diese Einordnung nicht nivelliert, vielmehr

231 Vgl. in diesem Sinne auch NIEBUHR, Wirken, 13ff., mit der beherzigenswerten Über-
legung, daß die theologisch kriteriale Funktion dabei nicht einem Rekonstrukt des
.historischen Jesus', sondern dem gedeuteten Christusgeschehen zukommen soll, auf
das sich alle neutestamentlichen Schriften zurückbeziehen.

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320 Jörg Frey

kann gerade das Besondere und Unerhörte seines Anspruches in diesem


Horizont historisch Profil gewinnen.
Die Geschichte Jesu wäre zu Ende, die Erinnerung an sein Wirken
langsam versandet, wenn nicht kurz nach seinem Kreuzestod die Kunde
erschollen wäre, er sei seinen ehemaligen Anhängern und dann auch ein-
stigen Skeptikern in neuer Lebendigkeit erschienen. Erst aufgrund dieser,
historisch nur schwer zugänglicher Widerfahrnisse läßt sich begreifen,
daß nun, nach Ostern, alles, auch der Tod Jesu als Verbrechertod am
Kreuz, in neuer Perspektive gedeutet werden konnte. Von dieser Zeit an
muß für die weiterhin verkündigte Botschaft mit einer Duplizität von
.Erkenntnisgründen' gerechnet werden: Als solche fungierten einerseits
natürlich weiterhin die Verkündigung und das Wirken des irdischen Jesus
(an das sich die ersten nachösterlichen Zeugen natürlich noch erinnerten),
andererseits aber auch die „gedeuteten Erfahrungen von Tod und Aufer-
weckung Jesu" 232 . Dies bedeutete eine fundamentale Veränderung gegen-
über der vorösterlichen Zeit, in der ja einzelne aus dem Kreis der Jünger
Jesu zumindest zeitweise in die Verkündigung der Botschaft des Irdischen
einbezogen worden waren. Diese Veränderung betrifft die Grundlage und
die Inhalte ihrer Erkenntnis und ihrer Botschaft: „Waren die Jünger vor
Ostern auf die Gotteserkenntnis Jesu angewiesen, hatten sie nun eine ei-
gene unmittelbare Einsicht in Gottes eschatologisches Handeln" 233 . Zielte
Jesu Wirken zuvor auf die Aufrichtung der endzeitlichen Gottesherr-
schaft, so konnte dieses Handeln nun - durch Gottes schöpferische Tat -
als bekräftigt, und gleichzeitig als der Anfang einer sich weiter durchset-
zenden Endvollendung gelten234. So konnte Jesu vorösterliche Wirksam-
keit, die durch sie vermittelte Gotteserkenntnis und die in ihrem Rahmen
praktizierte Jüngerschaft als durch Gottes eigenes Wirken bekräftigt an-
gesehen werden. Die neue, österliche Erfahrung setzte deshalb ihrerseits
einen neuen Impuls zur 'Verkündigung, aber auch zur Neuinterpretation
des Geschehenen im Lichte der Schrift und im Bewußtsein des endzeitlich
gegebenen Geistes frei. Jesus von Nazareth konnte, ja mußte nun selbst
zum Gegenstand der Verkündigung von Gottes Handeln werden - und
damit zugleich zum Gegenstand des Glaubens. Dies impliziert, daß die
Bedeutung Jesu nun auch in neuer Weise begrifflich gefaßt wurde, daß
seine Funktion und Würde in neuen .Titeln' beschrieben und verkündigt
werden mußte. Darin liegt gewiß eine Verschiebung gegenüber der Ver-
kündigung des irdischen Jesus, aber - wenn man vom Sendungsanspruch
des Irdischen ausgeht - kein sachlicher Gegensatz.

232 So die These von KREPLIN, Selbstverständnis, 342.


" 3 KREPLIN, Selbstverständnis, 342.
Vgl. dazu BECKER, Jesus, 443.

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D e r historische Jesus und der Christus der Evangelien 321

Aus einer weithin .impliziten' wird nun eine .explizite' Christologie.


Auf der Basis des skizzierten Selbstanspruchs Jesu führt von der Erinne-
rung an den Irdischen und den hinzukommenden gedeuteten Erfahrun-
gen von Karfreitag und Ostern ein durchaus konsequenter Weg zur Ent-
faltung der neutestamentlichen Christologie, zur Rede von Jesus als
„Sohn Gottes", wie sie bei Markus den Rahmen bildet, ja letztlich bis zu
den christologischen Spitzenaussagen des Johannesevangeliums, demzu-
folge Jesus in wesenhafter Einheit mit dem Vater (Joh 10,30) 235 , d. h. kein
anderer als „Gott" ist (Joh 1,1.18; 20,28). Die denkerische und sprachliche
Entfaltung des frühchristlichen Christusbekenntnisses kann hier nur noch
in wenigen Linien angedeutet werden.
Zunächst ist zu beobachten, daß die entscheidenden Schritte der Aus-
bildung der Christologie erstaunlich schnell vollzogen wurden. Bis zur
Abfassung der ersten schriftlichen Quellen, der paulinischen Briefe, wa-
ren die wesentlichen Schritte bereits vollzogen236, wie aus den .vorpaulini-
schen' Bekenntnissen wie ζ. B. Rom l,3f.; IKor 8,6 oder Hymnen wie
Phil 2,6-11 zu erkennen ist. Das bedeutet, daß die Herausbildung des
Christusbekenntnisses nicht in erster Linie auf die Übertragung von
.fremden' Elementen pagan-hellenistischer Religiosität auf die Gestalt Je-
su von Nazareth zurückzuführen ist, sondern auf eine zunächst ganz in-
nerjüdische Entwicklung, die auf der Erinnerung an Jesu Wirken und Ge-
schick, der Deutung der Osterereignisse und der daran anschließenden
Rezeption weiterer Schriftaussagen basiert. So sehr die Herausbildung ei-
ner .hohen' Christologie später zu Konflikten führte und möglicherweise
zu der verhängnisvollen Trennung der Wege zwischen der Synagoge und
der neuen .messianischen' Bewegung beitrug, so wenig darf man doch die
Ausbildung der urchristlichen Christologie als einen Akt der Hellenisie-
rung oder gar Paganisierung des Urchristentums und damit einer .Verfäl-
schung' der ursprünglichen palästinisch-jüdischen Tradition verstehen237.
Die Rede von Jesus als κύριος und die entsprechende Anrufung (ζ. B. im
Maranatha-Ruf IKor 16,22) ergab sich als Wiedergabe der vermutlich
schon gegenüber dem irdischen Jesus gebräuchlichen aramäischen Anrede
mârê'/mârêh238 und ermöglichte schließlich die Übertragung zahlreicher
alttestamentlicher Aussagen über J H W H (bzw. nach der L X X den κύ-

235 Siehe dazu FREY, Eschatologie III, 3 4 8 - 3 5 1 .


236 Siehe dazu HENGEL, Christologie, 45f.
237 Siehe dazu HORBURY, Messianism, 1 1 2 - 1 1 9 .
238 Siehe dazu FITZMYER, Background; DERS., Kyrios; zum Hintergrund der Terminologie
und ihrer Verwendung in Syrien und Palästina s. auch HENGEL/SCHWEMER, Paulus
1 9 4 - 1 9 9 . A . a. O . , 199: „Die Übertragung des J H W H - N a m e n s mit seinem Qere
.Adonaj'-Kyrios war dann nur ein letzter konsequenter, ja notwendiger Schritt".

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322 Jörg Frey

ριος) auf den Erhöhten. Die Rede von Jesus als .Messias' bzw. .Christos'
scheint durch Jesu Wirksamkeit und spätestens durch seinen T o d als ,Kö-
nig der Juden' nahegelegen zu haben. Engstens verbunden mit dem Mes-
siastitel ist schließlich die Rede vom .Sohn Gottes', in der das einzigartige
Verhältnis Jesu zu Gott als seinem Vater Ausdruck finden konnte. Ihr
Bezug auf .messianische' Gestalten war in biblischen Texten wie 2Sam 7
und Ps 2 vorbereitet 239 . Zur weiteren Deutung der Osterereignisse konn-
ten jüdische Erhöhungs-Traditionen beitragen 240 , wobei insbesondere Ps
110,1 zentrale Bedeutung zugekommen sein dürfte 241 , denn hier wurde die
Frage „nach dem gegenwärtigen .Ort' des .von den Toten Erweckten' und
seiner Funktion eindeutig und unüberbietbar beantwortet [ . . . ] D e r Men-
schensohn-Messias Jesus war zur Rechten Gottes .eingesetzt'" 242 . Diese
enge Verbindung von Messianität und Gottessohnsschaft zeigt sich schon
in dem frühen, palästinisch-jüdischen Bekenntnis in R o m l,3f., das Jesus
nach seiner irdischen Herkunft als „Sohn Davids" - man könnte sagen als
,messias designatus' — charakterisiert, und dann unter Verweis auf das
Ostergeschehen von seiner Einsetzung als „Sohn Gottes in Macht"
spricht. Dabei sagt dieser Text gerade nicht, „daß der ganz gewöhnliche
Mensch Jesus erst durch die Auferstehung zum Sohn Gottes" geworden
wäre, sondern „der aus dem Geschlecht Davids stammende (gekreuzigte)
Messias Jesus ist seit der Auferstehung als Sohn Gottes in Macht [ . . . ]
von Gott eingesetzt" 243 .
In anderen, ebenfalls bereits vorpaulinischen Texten wurden in hymni-
scher Form und vornehmlich in Aufnahme weisheitlicher Motive Aussa-
gen gewagt, die weiter ausgriffen und den Grund des erfahrenen Heils
nicht allein im Wort und Wirken Jesu, sondern weitergehend in seiner
Sendung durch Gott, in seinem Ratschluß, letztlich im Sein vor Welt und
Zeit verankerten. So konnten auch die Motive der Präexistenz und der
Schöpfungsmittlerschaft Christi, die etwa im Philipper- oder im Kolos-
serhymnus begegnen, auf dem Hintergrund jüdischer Traditionen über
die Weisheit (Spr 8; Sir 24 etc.), die ja auch in der Verkündigung Jesu be-
reits eine gewisse Rolle gespielt hatten, ausgestaltet werden 244 . Das Theo-
logumenon von der Schöpfungsmittlerschaft findet sich bereits in dem

23 ' Siehe dazu ausführlich HENGEL, Sohn Gottes.


240 Vgl. HENGEL, Setze dich, 1 6 5 - 1 8 5 , sowie HORBURY, Messianism, 124f., der ein allzu
sehr vernachlässigtes Bindeglied in den angelologischen Zügen jüdischer Messiasbilder
sieht.
241 Dazu s. HENGEL, Setze dich, 185ff.
242 HENGEL, Setze dich, 190f.
243 So HENGEL/SCHWEMER, Paulus, 168f.
244 Siehe dazu SCHIMANOWSKI, Weisheit, bes. 305ff.

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Der historische Jesus und der Christus der Evangelien 323

vorpaulinischen Bekenntnis IKor 8,6: „Durch ihn" - den Kyrios - „ist al-
les und wir durch ihn".
Man könnte natürlich - wie die alte liberale Theologie - in dieser weit
ausgreifenden, spekulativ anmutenden Denkbewegung eine Verfälschung
des .schlichten' Evangeliums Jesu sehen. Aber auch diese Traditionsent-
wicklung hat ihre theologische ratio, die ihrerseits im Wirken Jesu und
seinem Selbstanspruch gründet: Wenn das Heil, das Jesus den Sündern
zugesprochen hat, nicht nur eine Episode, ein (unter Umständen wieder
revidierbares) Zwischenspiel sein sollte, sondern definitiv und eschatolo-
gisch gültig, dann lag es nahe, über die Begründung dieses Heils und zu-
gleich des Heilsbringers, Jesus Christus, im vorzeitlichen Sein der Weis-
heit oder des Logos Gottes, ja letztlich in Gott selbst und seinem
liebenden Willen nachzudenken. In diesem Horizont konnte, ja mußte
schließlich von Jesus das ausgesagt werden, was dann in der Tat gegen-
über dem jüdischen Bekenntnis als systemsprengend oder gar .blasphe-
misch' erscheinen konnte: θεός ήν ό λόγος (Joh 1,1) bzw. - nach dem jo-
hanneischen Thomasbekenntnis - als Anrede: „Mein Herr und mein
Gott!"(Joh 20,28). Diese Aussage scheint auf den ersten Blick außeror-
dentlich weit von der Reich-Gottes-Predigt Jesu entfernt zu sein oder gar
in schroffem Gegensatz zur ,Theozentrik' derselben zu stehen, aber sie
liegt letztlich in der Konsequenz eines christologisch-soteriologischen
Denkwegs, der seinen Anfang beim Sendungsanspruch des irdischen Jesus
und den Geschehnissen von Karfreitag und Ostern nahm und - auch in
den johanneischen Spitzenaussagen - bleibend auf diesen Ausgangspunkt,
die konkrete Person Jesu von Nazareth, bezogen ist.

III. Schluß

Kommen wir zurück zur Frage LESSINGS: Besteht zwischen dem Glauben
Jesu und dem Glauben an ihn ein unüberwindlicher Graben? Haben die
Apostel, hat die Kirche den ursprünglichen Jesus verfälscht? Diese Frage
stellt sich natürlich in einem anderen Licht, wenn man nicht - aus wel-
chen Gründen auch immer - von einem völlig .unmessianischen* Auftre-
ten Jesu ausgehen kann, sondern bereits im Blick auf sein irdisches Wir-
ken historisch einen Sendungsanspruch wahrnehmen muß, der die
gängigen Kategorien des Rabbi, des Propheten, des Charismatikers oder
des Weisheitslehrers sprengt. Natürlich besteht zwischen der Predigt des
Irdischen und dem Christusbild späterer Epochen eine tiefgreifende Dif-
ferenz, und auf der Stufe der neu testamentlichen Sprachentwicklung, in
der Sprache des Johannesevangeliums, in der Jesus letztlich sich selbst
verkündigt, wird diese Transformation besonders augenfällig. Aber gerade

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324 Jörg Frey

wenn man den irdischen Jesus und das frühe Christentum historisch im
Horizont des zeitgenössischen Judentums zu verstehen versucht, dann
wird auch erkennbar, wie es in der Tradition zu einer solchen Entwick-
lung kommen konnte und welcher ratio diese folgt. Die Entwicklung der
urchristlichen Christologie läßt sich verstehen als ein immenser theologi-
scher Sprachgewinn, der sich wesentlich aus den Traditionen des antiken
Judentums speist und auf einer doppelten Grundlage beruht: der gedeu-
teten Ostererfahrung und der Erinnerung an das Wirken und das Ge-
schick Jesu von Nazareth.

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Jesus und der Nomos
aus der Sicht des entstehenden Christentums

Zum Jesus-Bild im ersten Jahrhundert n. Chr.


und zu unserem Jesus-Bild

HERMUT LOHR

I.

In dem Brief, den der syrische Philosoph Mara bar Sarapion vielleicht
noch im letzten Viertel des ersten Jahrhunderts1 aus römischer Gefangen-
schaft an seinen Sohn Sarapion richtet, schreibt er über die fortdauernde
Bedeutung dreier bedeutender Persönlichkeiten der Vergangenheit:

„Sokrates ist nicht tot, wegen Piaton, noch Pythagoras, wegen des Bildes der
Hera, noch der weise König, wegen der neuen Gesetze, die er gegeben hat." 2

Mit dem „weisen König" ist ohne Zweifel Jesus Christus gemeint; der
Brief des Mara bar Sarapion ist damit vielleicht das älteste pagane Zeugnis
von Jesus. Aus der Sicht des Philosophen sind das Bleibende an Jesus die
von ihm erlassenen neuen Gesetze; Jesus erscheint als neuer Gesetzgeber.
Uns, die wir von Paulus gelernt haben, daß Christus das Ende des Geset-
zes ist zur Gerechtigkeit „für jeden, der glaubt" (Rom 10,4), ist die Vor-
stellung von Jesus als neuem Gesetzgeber vielleicht ungewohnt oder an-
stößig. Aber sie fand auch im frühen Christentum durchaus Widerhall.
Die Wendung vom „Gesetz Christi" in Gal 6,2 ist hierfür ein erstes, wenn
auch nicht ganz eindeutiges Indiz. Paulus spielt hier mit dem Begriff des
Gesetzes. Gemeint ist vermutlich die christliche Interpretation des Geset-

1 Zur Frage der Datierung vgl. SCHULTHESS, Brief, 3 7 6 - 3 8 0 , ferner THEISSEN/MERZ,


Jesus, 85 mit Anmerkungen; CURETON, Spicilegium X I V f . (2. Hälfte 2 . J h . ) .
2 ato ΝΊΚΓΠ NDjsn *7inD o-nair® SK S K I pròs ·?ηη ota-imo rrn SK
DOT ΚΓΠΠ Nom: *?ηη KDOttî (CURETON, Spicilegium 4 6 ; syrischer T e x t
von mir um der besseren Lesbarkeit willen in hebräische Lettern umgesetzt).

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338 Hermut Lohr

zes Israels, der Tora 3 , die sich in der Zusammenfassung durch das Liebes-
gebot ausdrückt. Die Rede vom έννομος Χρίστου in IKor 9,21 weist in
eine ähnliche Richtung.
Von Jesus als neuem Gesetzgeber reden dann deutlich christliche
Quellen des zweiten Jahrhunderts. So spricht Barn 2,6 ausdrücklich vom
„neuen Gesetz unseres Herrn Jesus Christus", das ohne Opferbestim-
mungen auskomme. Im achten Gleichnis des „Hirten des Hermas", ist
das Gesetz Gottes mit dem Sohn Gottes identifiziert, der „bis an die En-
den der Erde verkündigt wird" (Herrn, sim. 8,3 [69,2] ). Auch der Dialog
des Justin mit dem Juden Trypho führt Jesus als neuen Gesetzgeber ein
(Dial. 12,3) bzw. Jesus wird mit dem neuen Gesetz selbst identifiziert
(Dial. 11,2)\ Das allen diesen Quellen gemeinsame Wissen um die Pro-
blematik der Beziehung Christi zur Tora hindert sie nicht daran, Jesus in
einer positiven Beziehung zu Gesetzgebung und Gesetz zu sehen. Die
neue Botschaft ist in dieser Perspektive also keine Botschaft der Gesetzlo-
sigkeit!5
So sehr man sich für die paulinische Theologie und ihre vordergründig
eindeutige These von einer Abschaffung des Gesetzes durch Christus ei-
nerseits, andererseits für die Stellung des historischen Jesus zum jüdi-
schen Gesetz interessiert hat, so selten hat man bisher versucht, die ver-
schiedenen frühchristlichen Jesus-Bilder, welche durch die Beschreibung
seines Verhältnisse zur Tora geprägt werden, wahrzunehmen, zu verglei-
chen und mögliche Entwicklungslinien aufzuzeigen 6 . Dabei liegt diese
Aufgabe denkbar nahe. Denn der Rückblick auf circa 200 Jahre kritischer
Jesus-Forschung hat uns gelehrt, welche unterschiedlichen Jesus-Bilder je
nach den unterschiedlichen theologischen Interessen gezeichnet wurden

3
Seit der Septuaginta übersetzt νόμος den Begriff ΠΤίΠ. Diese Entsprechung bildet
auch die Grundlage für das neutestamentliche Verständnis von νόμος, ohne daß damit
andere, zu oft übersehene semantische Einflüsse ausgeschlossen wären. Im vorliegen-
den Beitrag wird ν ό μ ο ς mit „Gesetz" übersetzt. Zur semantischen Breite des hebräi-
schen Lexems vgl. CRÜSEMANN, Tora, 7f.; zur Identifikation mit dem Pentateuch ebd.
348f. Zur Bedeutung von ΓΠ1Π in den hebräischen Texten aus Qumran vgl. GARCÍA
LÓPEZ, ThWAT V i l i , 635-637; zur LXX ebd. 634.
4
Dial. 43,1 nennt Christus das „ewige Gesetz".
5
Ausführlich über das Thema „neues Gesetz" im zweiten Jahrhundert unterrichtet
KÜHNEWEG, Gesetz, vgl. 279-310 zu etwaigen neutestamentlichen Wurzeln der Aus-
sage.
6
Eine Differenzierung zwischen der redaktionellen Haltung zum Gesetz und dem Bild
Jesu versucht für die synoptische Tradition HÜBNER, Gesetz. BANKS, Jesus, ist zwar
primär am historischen Jesus und seiner Haltung zum Gesetz interessiert, bietet aber -
zusammenfassend S. 246-253 - das synoptische Material auch in redaktionskritischer
Perspektive dar. TAEGER, Unterschied, 23-35, skizziert die Bedeutung von Mk 7,15 in
den unterschiedlichen Stadien der Uberlieferung.

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Jesus und die Tora aus der Sicht des entstehenden Christentums 339

und wie verschieden dabei auch die Stellung Jesu zur Tora bestimmt wur-
de. Um zwei Beispiele zu nennen: Während eine Darstellung, die Jesus
konsequent als Juden versteht und in die Glaubensgeschichte einzuord-
nen versucht, eine differenzierte Stellungnahme zum Thema „Jesus und
die Tora" hervorbringt 7 , ist ein wissenschaftliches Jesus-Bild, das Jesus als
bäuerlichen (wenn auch natürlich jüdischen) Kyniker zeichnet, an seiner
Position zur Tora Israels wenig interessiert8. So bedeutet die gewählte
Themenstellung nichts anderes, als die an der Analyse der Forschungsge-
schichte gewonnene Frage zurückzulenken auf die ersten christlichen
Quellen selbst. Die Wirkung des historischen Jesus, seine Erfassung in
den ersten literarischen Jesus-Bildern wird zum Korrektiv gegenüber einer
Rückfrage nach dem historischen Jesus, welche die Wirkungs- und Re-
zeptionsgeschichte unter hermeneutischem Aspekt als störend betrach-
ten. Der Versuch, einen historischen Jesus trotz aller Kontextualisierung
doch wieder „hinter" den Quellen zu greifen, ist zum Scheitern verurteilt.

II.

Eingangs wurde Rom 10,4 zitiert, das Wort, mit dem Paulus den Nomos
und Christus einander gegenüberstellt. Der Apostel ist bei der Formulie-
rung nicht an der Darstellung einer inhaltlichen Stellungnahme des histo-
rischen Jesus zum Gesetz interessiert. Vielmehr geht es um eine rechtfer-
tigungstheologische Aussage. Vergleichbar ist die Formulierung von Gal
3,24: Das Gesetz war unser Zuchtmeister bis zu Christus. Die Zeit dieses
Zuchtmeisters ist mit dem rechtfertigenden Glauben vorüber 9 . In Rom
5,12ff. werden die Zeit des Gesetzes und die Zeit Christi zu Epochen ei-
ner Geschichte von Heil und Unheil, die den ersten wie den letzten Adam
umfaßt. Um Erinnerungen an den historischen Jesus und ihre Wirkung
geht es dabei gar nicht.
Mehr Aufschluß in dieser Hinsicht könnte man von Passagen erhoffen,
in welchen Paulus auf halachische Probleme seiner Gemeinden eingeht
und dabei auf die Autorität des irdischen Jesus zurückgreift. Doch wo
dies geschieht, in der Frage der Ehescheidung in IKor 7,10 sowie in der-

7 Vgl. z. B. die Darstellung von SANDERS, Jesus, 2 4 5 - 2 6 9 . 3 9 6 - 4 0 1 . Gegen die Interpreta-


tion des Judentums zur Zeit Jesu durch SANDERS protestiert NEUSNER, Law.
8 So ist die Stellung Jesu zur Tora in der großen Darstellung von CROSSAN, Jesus, kein
eigenes Thema. Etwa so umstrittene wie zentrale Aussagen wie Mt 5 , 1 7 - 2 0 oder Mk
7,15 kommen ausweislich des Stellenregisters nicht vor.
9 Vgl. auch Phil 3,9.

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340 Hermut Lohr

jenigen des Unterhalts der umherreisenden Apostel in IKor 9,14, nimmt


Paulus überraschenderweise keinerlei Bezug auf die Tora Israels. In der
Frage der Ehescheidung bleibt damit unerwähnt, daß die Tora eindeutige
Anweisungen gab. Und auch ein eventueller Konflikt zwischen der Wei-
sung Jesu und derjenigen der Tora wird bei Paulus nicht thematisiert.
Könnte man vielleicht noch annehmen, der Apostel habe um die histori-
schen Zusammenhänge nicht gewußt, so ist ihm als ehemaligem Pharisäer
der sachliche Widerspruch zwischen der Torabestimmung und der Wei-
sung Jesu gewiß nicht verborgen geblieben. Die Weisung Jesu ist in den
Augen des Apostels keine grundsätzliche Aussage zur Geltung der Tora,
und sie begründet auch nicht die von Paulus vertretene christologisch-
soteriologische Position.
Die deutlichste Aussage zum Verhältnis des irdischen Jesus zur Tora
bei Paulus findet sich in Gal 4,4f.:

„Als aber die Erfüllung der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, von einer Frau
geboren, unter das Gesetz getan, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz
waren." 10

Zu erkennen ist auch hier die soteriologische Perspektive: Die Befreiung


der Gläubigen vom Gesetz macht es nötig, daß der Erlöser sich dem Ge-
setz unterwirft. Aber natürlich ist die Aussage auch von historischem In-
teresse; in der Sicht des Paulus ist die irdische Existenz Jesu eine Existenz
unter dem Gesetz gewesen. Das meint: Jesus war dem Gesetz gehorsam.
Paulus hat um eine grundsätzliche Kritik Jesu an der Tora entweder nicht
gewußt oder sie für sein Jesus-Bild nicht gebraucht. Was auch immer
Paulus von den halachischen Diskussionen Jesu mit Anhängern und Geg-
nern gewußt haben mag, es wird bei ihm nicht im Sinne einer fundamen-
talen Gesetzeskritik rezipiert.11
Unter den Aussagen der Quelle Q zum Verhältnis Jesu zum Nomos
scheint als programmatisches Wort der „Stürmerspruch" hervorzuragen,
der in Lk 16,16 und Mt ll,12f. in zwei voneinander deutlich abweichen-
den Fassungen überliefert wird. Vermutlich ist in der ersten Hälfte der
Aussage die lukanische, in der zweiten Hälfte hingegen die matthäische
Version näher zum ursprünglichen Wortlaut in Q 1 2 . In beiden Versionen

10 δτε δέ ήλθεν τό πλήρωμα τοϋ χρόνου, έξαπέστειλεν ό θεός τον υ'ιόν αΰτοϋ,
γενόμενον έκ γυναικός, γενόμενον ΰπό νόμον, ίνα τούς υπό νόμον έξαγοράση, ϊνα
τήν υίοθεσίαν άπολάβωμεν.
11 In ähnlicher Weise wie Gal 4,4f. will DAUTZENBERG, Gesetzeskritik, 5 2 - 5 4 , auch ROM
15,8 (Christus als διάκονος περιτομής) interpretieren.
12 Vgl. die Rekonstruktion bei ROBINSON/HOFFMANN/KLOPPENBORG, Edition of Q ,
464f.

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Jesus und die Tora aus der Sicht des entstehenden Christentums 341

wird eine deutliche Epochenteilung vorgenommen; die Zeit bis zu Johan-


nes dem Täufer ist die Zeit von „Gesetz und Propheten"13, danach ist die
Zeit der Gottesherrschaft bzw. ihrer Verkündigung. Der mt Wortlaut ver-
steht Gesetz und Propheten als insgesamt prophetisch, d. h. ankündigend
und voraussagend. Bei Lk wird dies zwar nicht ausgesprochen, dürfte aber
ebenfalls impliziert sein. Jedenfalls Justin in seiner Aufnahme des Spru-
ches hat die lukanische Formulierung so verstanden. In Dial. 51,3 ant-
wortet er nämlich auf Trypho:

„Daß aber in eurem Volk kein Prophet mehr sein wird und daß man erkennt, daß
der neue Bund, von dem vormals verkündigt wurde, er werde von Gott angeord-
net werden, seinerzeit schon gekommen ist - das heißt, daß er selbst der Christus
ist - , hat er so ausgedrückt: ,Das Gesetz und die Propheten sind bis zu Johannes
dem Täufer"'. 14

Man darf in den Stürmerspruch also nicht die paulinische Aussage vom
Ende der Tora einlesen, es geht um die durch Tora und Propheten, d. h.
durch die heilige Schrift, bezeichnete Zeit der Ankündigung und Erwar-
tung. Eine Stellungnahme Jesu zur Tora nach ihrem vorschreibenden
Charakter ist daher aus dem oft zu dieser Thematik herangezogenen
Stürmerspruch nicht zu gewinnen15.
Eine ähnlich grundsätzliche Aussage findet sich bei Lk direkt im An-
schluß an den Stürmerspruch in 16,17:

„Es ist leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß ein Häkchen vom
Gesetz fällt.""

13
Die Wendung begegnet im Neuen Testament sonst in Rom 3,21; Mt 5,17; 7,12; Apg
13,15; 24,14; 28,23 und in Joh 1,45. In der Septuaginta findet sich die Zusammenstel-
lung in 2Makk 15,9 und 4Makk 18,10 (vgl. Lk 24,27.44). In allen diesen Passagen ist
die Wendung eindeutig auf die aus Gesetz und Propheten bestehenden Schrift zu be-
ziehen. Der Versuch von B E R G E R , Gesetzesauslegung, 209-227, diese Deutung zu wi-
derlegen, hat mich nicht überzeugt. BERGERS Argumentation geht nicht von dem
Nächstliegenden aus, nämlich den tatsächlichen Vorkommen der Wendung samt ihrem
Kontext.
14
είρήκει δέ περί τοΰ μηκέτι γενήσεσθαι èv τω γένει ύμών προφήτην καί περί τοΰ
έπιγνώναι ότι ή πάλαι κηρυσσομένη υπό τοΰ θεοΰ καινή διαθήκη διαταχθήσεσθαι
ήδη τότε παρήν, τοΰτ' εστίν αυτός ών ό Χριστός, οΰτως· Ό νόμος καί οί προψή-
ται μέχρι 'Ιωάννου τον βαπτιστοϋ ( G O O D S P E E D 1 5 1 = M A R C O V I C H , I T S 4 7 , 1 5 4 ) .
15
So kann man auch nicht mit H Ü B N E R , Gesetz, 212, sagen, in Lk 16,16 liege ein Q-Wort
vom Ende des Gesetzes vor.
" εύκοπώτερον δέ έστιν τον ούρανόν καί τήν γήν παρελθεϊν ή τοΰ νόμου μίαν
κεραίαν πεσεΐν.

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342 Hermut Lohr

Dieses W o r t klingt nun wie eine grundsätzliche Stellungnahme Jesu auch


zu den Forderungen der Tora, welche gleichsam diesen Aon überdauern
werden. In M t 5,18 lautet das Wort etwas anders 17 :

„Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, werden nicht ein Jota und
ein Häkchen vom Gesetz vergehen, bis alles geschieht.""

Wieder scheint die Formulierung die prophetische Dimension des Geset-


zes zu implizieren, die Tora wird durch Geschehen erfüllt 19 . Zudem ist
viel deutlicher als in der lk Fassung ein temporal-eschatologischer Akzent
gesetzt, was bei Lk Vergleich ist, ist bei Mt Zeitansage 20 .
Die Zusammenstellung dieser zwei Sprüche sowie des folgenden Ver-
ses 18 könnte schon in Q stattgefunden haben. Vielleicht war das Stich-
wort „Gesetz" das verbindende Element 21 .
Das W o r t zur Ehescheidung in Lk 16,18 ist aus der Sicht des Mannes
formuliert: Seine Ehefrau zu entlassen und eine andere zu heiraten be-
deutet ebenso Ehebruch wie eine Entlassene zu heiraten. Ist hiernach
Ehebruch von Seiten des Mannes sowohl in Bezug auf die eigene wie die
fremde Ehe möglich, so nach Mt 5,32 (diff. 19,9) nur in Hinsicht auf die
fremde Ehe, was dem Verständnis von Ehebruch in der Tora mehr ent-
spricht. Widersprechen beide Formen des Wortes auch der Tora-
Bestimmung zur Ehescheidung in D t n 24,Iff., so scheint ein solcher
Widerspruch in der Q-Fassung - anders als bei Mt, wo das W o r t in einer
der Antithesen erscheint - nicht eigens kenntlich gemacht zu sein. D a ß
hier ein sachlicher Widerspruch vorhanden war, dürfte dem A u t o r natür-
lich nicht entgangen sein. Es kam ihm aber offenbar nicht darauf an, im
Zusammenhang dieser praktischen Weisung Jesu das Problem der Gel-
tung der Tora insgesamt aufzuwerfen.

17
Vielleicht schöpften die beiden Evangelisten aus verschiedenen Q-Vorlagen. Weiter
zurückgehende Rekonstruktionen der Traditionsgeschichte des Logions sind m. E.
nicht möglich.
18
άμήν γάρ λέγω ύμϊν εως αν παρέλθη ό ουρανός και ή γη, ιώτα εν η μια κεραία ού
μή παρέλθη άπό τοϋ νόμου, εως αν πάντα γένηται.
" Die Argumente gegen eine solche Deutung bei Luz, Matthäus, 237, haben mich nicht
überzeugt. Gegen Luz halte ich eine heilsgeschichtliche Deutung auch von V. 17 für
möglich. Freilich ist zuzugestehen, daß eine erhebliche Spannung zwischen den Zeit-
ansagen von V. 17 und 18 bestehen bleibt. V. 17 ist christologisch konzentriert, V. 18
nicht.
20
Umstritten ist, ob das Mt-Wort die Erwartung einer tora-losen Endzeit impliziert oder
ob gesagt sein soll, die Tora werde nie vergehen; vgl. Luz, Matthäus, 237. Zu Recht
spricht MERKLEIN, Botschaft, 103 Anm. 49, von der „Vorstellung von der apokalypti-
schen Begrenzung der Mosetora in Q".
21
So etwa KOSCH, Tora, 429.

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Jesus und die Tora aus der Sicht des entstehenden Christentums 343

Vergleichbares gilt für das Wort zum Sabbat in Lk 14,5 par. Mt 12,1 lf.,
dessen Zugehörigkeit zu Q allerdings umstritten ist. Während jedoch das
Wort zur Ehescheidung direkt, wenn auch nicht ausdrücklich, einer Tora-
Bestimmung widerspricht, wird die Sabbat-Norm durch dieses Wort nicht
grundsätzlich in Frage gestellt. Es geht vielmehr um die Halacha22, die
praktische Auslegung und Anwendung der grundsätzlich anerkannten
Norm der Heiligkeit des Sabbats. Wieder werden jedoch dabei die Tora
insgesamt und ihre Gültigkeit nicht eigens zum Thema.
So ist nach der Darstellung von Q das Verhältnis Jesu zur Tora zwar in
Fragen alltäglicher Praxis durch Freiheit und Interpretationsvollmacht be-
stimmt, wobei die entsprechenden Textabschnitte das Woher dieser
Vollmacht aber nicht thematisieren. Jesus tritt hier vielleicht als Weis-
heitslehrer auf. Eine grundsätzliche Ablehnung des Gesetzes ist damit je-
doch eindeutig nicht verbunden.
Zu erwähnen ist zuletzt noch das Wort zur Verzehntung in Mt 23,23
par. Lk 11,42. Der Verzehntung der geringsten agrarischen Produkte
wird, so Mt, das „Schwerere des Gesetzes", Recht, Barmherzigkeit und
Glaube, nach Lk Recht und Liebe Gottes, gegenübergestellt. Allerdings
hebt das Wort die Verzehntungspflicht nicht auf, vielmehr wird betont,
beides sei zu tun. Erkennbar ist aber doch eine Gewichtung innerhalb der
Tora.23
Die Stellungnahmen Jesu zu den Themen Sabbat und Ehescheidung
erfahren auch im Mk-Evangelium eine spezifische Ausformung.
Mk 2,23-3,6 erzählen zwei Sabbatkonflikte, in denen Jesus mit den
Pharisäern konfrontiert wird. Darauf, daß vor allem die erste der beiden
Perikopen zu einer vormarkinischen Sammlung gehört haben könnte, sei
hingewiesen24. Die Haltung Jesu wird jeweils in einem Spitzensatz zum
Ausdruck gebracht. 2,27f. formuliert:

22 Zum Verhältnis von Tora und Halacha im Judentum des Zweiten Tempels vgl. MÜL-
LER, Beobachtungen.
23 Nicht in den Zusammenhang der Frage nach dem Verhältnis Jesu zur Tora gehört

m. E. die Perikope über die Nachfolge in Lk 9,57-62 par. Mt 8,19-22. Zwar hat HEN-
GEL, Nachfolge, 9-17 (vgl. auch SANDERS, Jesus, 252-255), darin recht, daß in dem
Wort Jesu eine erhebliche Provokation gegen Pietät und Sitte vorliegt. Daß hier jedoch
mit dem Gebot der Elternehrung zugleich die Autorität der Tora insgesamt angegrif-
fen ist, scheint mir in dem Text nicht akzentuiert zu sein. Vgl. BOCKMUEHL, Let the
Dead, 23-48.
24 Vgl. KUHN, S a m m l u n g e n , 5 3 - 9 8 .

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344 Hermut Lohr

„Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des
Sabbats willen. So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat".25

U n d Mk 3,4 fragt rhetorisch:

„Soll man am Sabbat Gutes tun oder Böses tun, Leben erhalten oder töten?"26

In dem ersten Wort werden eine indirekt auf den Schöpfungsbericht re-
kurrierende Argumentation und eine christologische Aussage miteinander
verbunden. Die Frage im Kontext der zweiten Perikope spitzt das Pro-
blem zu in einer Weise, die über die durch die geschilderte Situation gege-
bene Problemstellung so weit hinausgeht, daß man vermutet hat, hinter
dem Wort Jesu stehe das Wissen um den Sabbatdiskurs in der Makkabäer-
zeit, in der zum ersten Mal von Quellen bezeugt die Frage gestellt wurde,
ob bewaffneter Kampf am Sabbat erlaubt sei27. In beiden Worten steht
nicht die Gültigkeit des Sabbats an sich in Frage, durch das Wort und
Handeln wird aber eine neue Sabbathalacha gesetzt.
Ausführlich wird in Mk 10,2-12 die Frage der Ehescheidung erörtert,
im Rahmen eines Streitgespräches Jesu mit den Pharisäern. U n d dabei
wird die Tora ausdrücklich, und zwar nach V. 3 zunächst von Jesus, als
Autorität angerufen. Indem Jesus dann jedoch die Motivation der Tora-
Erlaubnis zur Scheidung aufdeckt, wird diese in ein Spannungsverhältnis
zum ursprünglichen Schöpferwillen Gottes gebracht. Dabei zitiert Jesus
wörtlich aus dem Schöpfungsbericht, und zwar in V. 7 Gen 2,24 nach der
Septuaginta 28 . Man könnte also annehmen, hier werde Tora gegen Tora
ausgespielt. Besser spricht man jedoch davon, daß hier zwischen zwei
Konzepten von Tora unterschieden wird; Tora als Schrift und als Vor-
schrift treten auseinander. Denn die Argumentation läuft ja nicht darauf
hinaus, die Tora durch ihre innere Widersprüchlichkeit zu desavouieren
oder gar aufzuheben. Vielmehr ist die zugrundeliegende Unterscheidung
diejenige zwischen ursprünglichem Schöpferwillen für alle Menschen, der
in den Erzählungen der heiligen Schrift von der Schöpfung aufbewahrt
und überliefert wird, und der von Mose (nicht Gott!) in der Tora gegebe-
nen Weisung für Israel „wegen ihrer Herzenshärtigkeit". Die Gesetz-
gebung des Mose konstatiert also nicht den universalen Schöpferwillen

25
τό σάββατον διά τον ανθρωπον έγένετο και ούχ ό άνθρωπος διά τό σάββατον·
ώστε κύριος έστιν ό υιός τοΰ ανθρώπου και του σαββάτου.
26
εξεστιν τοις σάββασιν άγαθόν ποιησαι η κακοποιήσαι, ψυχήν σωσαι ή άποκτεΐναι;
27
Vgl. lMakk 2,29-41. Zur Frage der Kriegsführung am Sabbat vgl. den Überblick bei
DOERING, S c h a b b a t , 5 3 7 - 5 6 5 .
28
GNILKA, Markus, 73, zeigt, daß die von Mk gestaltete jesuanische Argumentation nur
ausgehend vom griechischen Genesis-Text funktioniert.

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Jesus und die Tora aus der Sicht des entstehenden Christentums 345

Gottes, drückt nicht den Ursinn und die Urordnung, vielleicht sogar das
Schöpfungsideal der Welt aus, sondern trifft realistische Regelungen für
den Alltag des Volkes Israel. Jedenfalls an diesem einen Punkt ist die
Tora nicht einfach Ausdruck des Schöpferwillens, sie ist nicht ungebeug-
ter Gotteswille ohne die Erfahrung mit dem Volk und seiner Unvoll-
kommenheit. Die Tora ist keine präexistente Urordnung, sondern zu
bestimmter Zeit an bestimmte Adressaten zu vorschreibendem Zweck
gegeben. Entspricht dies nicht genau den ursprünglichen Aussagen des
Pentateuch und wehrt einer Art Tora-Metaphysik, deren Ansätze im Ju-
dentum des Zweiten Tempels hier und da zu greifen sind? Jesus bleibt
nach der Darstellung des Mk nicht bei diesem Konstatieren des status quo
stehen, vielmehr wird schon in der aus dem Schöpfungsbericht gezogenen
Schlußfolgerung, dann auch in der Jüngerbelehrung in V. 10-12 der
Schöpferwillen zum Ausdruck gebracht und als Regel auch für den Alltag
interpretiert. Übrigens formuliert V. 11 f. das Scheidungsverbot für Mann
und Frau, das Logion setzt anders als die wohl ältere Q-Fassung voraus,
daß auch die Frau die rechtliche Möglichkeit zur Scheidung hatte 29 . Durch
diese Wendung wird defacto die zitierte Bestimmung der vorschreibenden
Mose-Tora außer Kraft gesetzt, zugleich aber die Intention des im
Schöpfungsbericht ausgedrückten Schöpferwillens für Mann und Frau in
eine Regel ausformuliert. Was Jesus damit angreift, ist im Kern nicht die
Tora, sondern die „Herzenshärtigkeit", derentwegen die vorschreibende
Tora des Mose erlassen wurde. Es ist, so ist impliziert, den Adressaten
möglich, diesen Zustand der Herzenshärtigkeit zu verlassen und so das
Zusammenleben von Mann und Frau entsprechend der eigentlichen Ab-
sicht Gottes zu gestalten.
Als Diskussionen um das richtige Verständnis der Tora sind die Peri-
kopen von der Auferstehung der Toten und der Frage nach dem ersten
Gebot in Mk 12,18-34 gestaltet. Debattenpartner Jesu sind Sadduzäer
bzw. ein Schriftgelehrter. In der Frage nach der Totenauferstehung wird
Jesus als der bessere Kenner der Schrift dargestellt. Es sind die Sadduzäer,
die sich auf das Tora-Gebot der Leviratsehe beziehen und ausdrücklich
auf Mose berufen, um den Glauben an die Auferstehung der Toten ad
absurdum zu führen. Jesus tadelt unter anderem auch ihre mangelnde
Schriftkenntnis (Mk 12,24):

29 Dies galt im Judentum nur ausnahmsweise. Vgl. BROOTEN, Frauen; DIES., Debatte;
SCHWEIZER, Scheidungsrecht. Ist die Formulierung also ein Hinweis auf heidenchrist-
liche Adressaten?

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346 Hermut Lohr

„Irrt ihr nicht deswegen, weil ihr weder die Schriften noch die Kraft Gottes
kennt?" 3 0

Es folgt ein Zitat aus dem Buch Exodus, das Gott als den Gott der Le-
benden und nicht der Toten eben aus „den Schriften" beweisen soll. Die
Leser dieser Perikope werden Zeugen eines theologischen Konfliktes, der
mit Hilfe von Tora-Zitaten bestritten wird. Jesus weicht hier nicht einfach
auf ein anderes Feld aus - der Hinweis auf die Kraft Gottes ist nur zu-
sätzliches Argument - , sondern er erweist sich der sadduzäischen Argu-
mentation als überlegen. Dabei wird die von der Tora gegebene Regelung
weder kritisiert noch in ihrer Gültigkeit in Frage gestellt.
Als Gespräch, nicht als Streit mit einem Schriftgelehrten ist die Peri-
kope von der Frage nach dem ersten Gebot gestaltet31. Dem Schriftge-
lehrten und seiner wohl ernsthaft gemeinten Frage antwortet Jesus mit
Zitaten aus der Schrift, dem Pentateuch, nämlich mit Dtn 6,4f. und Lev
19,18. Er erhält vom Schriftgelehrten auch sogleich die Bestätigung, recht
geantwortet zu haben. Schriftgelehrter und Jesus teilen hiernach die
Uberzeugung, daß Differenzierungen innerhalb der Tora möglich sind. Es
ist der Schriftgelehrte, nicht Jesus, der das Doppelgebot der Liebe gegen-
über den Brandopfern und Opfern (und damit implizit gegenüber den
entsprechenden Torabestimmungen) aufwertet.
Auch in der Perikope vom reichen Jüngling (Mk 10,17-27) zitiert Jesus
die Tora, hier die zweite Tafel der Zehn Gebote. Ihre Geltung wird von
seinem Gesprächspartner und ihm anerkannt. Doch ist die Pointe dieses
Zitierens nicht darin zu sehen, Jesus als besonders gesetzeskundig darzu-
stellen. Vielmehr werden die Gebote als allgemein bekannt eingeführt
(vgl. V. 19: τάς έντολάς οιδας). Die Geltung der Toragebote wird nicht
eingeschränkt oder aufgehoben, aber doch überholt durch die Nachfolge-
forderung an den jungen Mann. Wer auch die Zehn Gebote erfüllt, dem
„fehlt" dennoch etwas, nämlich der Besitzverzicht um der Nachfolge wil-
len. Zwar soll hier gewiß keine Aussage über die Unvollständigkeit der
Tora getroffen werden, aber immerhin ist das torakonforme Ethos nicht
ausreichend, um den Reichen für die Nachfolge Jesu bzw. das ewige Le-
ben zu qualifizieren. Spürbar ist, daß die Forderung Jesu radikaler ist als
das Gebot der Tora.
Eine besonders deutliche Darstellung des Verhältnisses Jesu zur Tora
hat man in der Perikope über Rein und Unrein Mk 7,1-23 gesehen. Be-
kannt ist der Kommentar E R N S T KÄSEMANNS ZU V. 15: „ . . . wer bestrei-

30 ού διά τοΰτο πλανάσθε μη είδότες τάς γραφάς μηδέ την δύναμιν τοΰ θεού;
31 Zur Frage, ob in M t und Lk neben Mk hier auch Q als Quelle benutzen, vgl. ENNULAT,
Minor Agreements, 2 7 8 - 2 8 7 .

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Jesus und die Tora aus der Sicht des entstehenden Christentums 347

tet, daß Unreinheit von außen auf den Menschen eindringt, trifft die Vor-
aussetzungen und den Wortlaut der Thora und die Autorität des Mose
selbst" 32 . Eine traditionskritische Untersuchung kann nachweisen, daß die
mk Komposition Vorstufen hatte, in denen zumal der Erzählerkommen-
tar V. 19b (καθαρίζων πάντα τά βρώματα) noch nicht auftauchte. Vor-
stellbar ist, daß eine ursprünglichere Tradition über eine Stellungnahme
Jesu zu halachischen Problemen, speziell zur Frage des Händewaschens
vor dem Essen zur Herstellung ritueller Reinheit, von Mk ausgeweitet
wurde zu einer grundsätzlichen Stellungnahme Jesu zur Speisenfrage ins-
gesamt. Damit ist der Tora an einem wichtigen Punkt direkt widerspro-
chen. Zugleich sind damit, ohne daß dies terminologisch ausgedrückt
werden müßte, rituelle Bestimmungen, welche die Unterscheidung von
Rein und Unrein propagieren, gegenüber ethischen Mahnungen abge-
wertet. Von hier aus hätte der Weg zu einer totalen Ablehnung der Tora
offen gestanden. Sie ist aber bei Mk nicht vollzogen, es wird jedoch eine
deutliche Unterscheidung zwischen verschiedenen Gruppen von Tora-
geboten getroffen.
Für das Bild, welches der erste Evangelist von der Beziehung Jesu zur
Tora zeichnet, sind zunächst markante Veränderungen von Bedeutung,
welche er an von Mk und Q übernommenen Texten vornimmt. Hier seien
nur die auffälligsten erwähnt.
In der Perikope über Rein oder Unrein wird das Problem durch Mt
15,20 deutlich auf das Händewaschen beschränkt; die generalisierende
Bemerkung Mk 7,19 wird bei Mt ausgelassen. Die Zufügungen, die Mt zur
Szene vom Ahrenausraufen am Sabbat vornimmt, sowohl als Erzähler-
bemerkung wie die erzählten Worte Jesu, laufen darauf hinaus, für das
Verhalten Jesu eine festere Grundlage in der Tora zu finden: Einerseits
wird in 12,1 gesagt, die Jünger hätten Hunger gehabt - der Bruch des
Sabbats geschieht also aus existentieller Not heraus. Und zum anderen
verweist nach V. 5 Jesus auf das Verhalten der Priester, die im Tempel
durch den Vollzug des Opfers den Sabbat entheiligen. In die Heilungs-
geschichte von der verdorrten Hand wird das Q-Wort Lk 14,5 integriert,
das für die allgemeine Akzeptanz des sabbatlichen Verhaltens Jesu zielt,
ohne besondere Autorität zu beanspruchen, d. h. ohne eine Christologie
zu implizieren. Und in das Q-Wort über die Ehescheidung wird die soge-
nannte Unzuchtsklausel eingefügt, welche die Scheidung in einem beson-
deren Fall doch ermöglicht und so die Weisung Jesu näher an die Tora-
Bestimmungen heranrückt.

32 KÄSEMANN, P r o b l e m , 2 0 7 .

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348 Hermut Lohr

Für das matthäische Jesus-Bild sind sodann die Antithesen der Berg-
predigt von besonderer Wichtigkeit. In ihnen wird ein Wort der Tora,
versehen mit der Einleitung „ihr habt gehört, daß gesagt ist" oder „ihr
habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist" wörtlich zitiert33. Entgegenge-
stellt wird dann jeweils eine Aussage Jesu, eingeleitet durch die Wendung
„ich aber sage euch". Wort der Tora und Wort Jesu treten antithetisch
auseinander. Deutet so die Struktur der Abschnitte auf eine Entgegenset-
zung von Torawort und Jesuswort, sieht es also so aus, als hebe das Wort
Jesu die jeweilige Torabestimmung auf, so ist doch genauer nach dem
Verhältnis der jeweils antithetischen Teile zu fragen. Dabei wird deutlich,
daß in der ersten, zweiten und vierten Antithese, den primären Antithe-
sen, die zum mt Sondergut gehören, kein aufhebender Gegensatz zwi-
schen Tora und Weisung Jesu formuliert wird. So erfährt das Tötungsver-
bot in der ersten Antithese gleichsam eine Intensivierung und Vertiefung
dadurch, daß einerseits schon der Zorn gegenüber dem Mitbruder, nicht
erst das Töten, als des Gerichtes schuldig bezeichnet wird, andererseits
die Weisung zur Versöhnung mit dem Bruder vor dem Opfergang gege-
ben wird. Das Ehebruchsverbot des Dekalogs wird vertieft durch den Be-
zug auf das Begehren der anderen Frau, das Verbot des falschen Eides
wird radikalisiert zum Verbot des Eides überhaupt. In diesen Fällen kann
von einer Radikalisierung und Verinnerlichung der zitierten Torabestim-
mungen gesprochen werden34. Im Falle der dritten, fünften und sechsten
Antithese, die im inhaltlichen Kern, wenn auch nicht der antithetischen
Form nach, aus Q stammen, wird daraus jedoch ein direkter Widerspruch:
Die Torabestimmungen zum Scheidebrief werden abgelehnt, die Talio
wird völlig verworfen, das Gebot der Nächstenliebe und des Feindeshas-
ses wird durch das Gebot der Feindesliebe nicht nur überholt, sondern
der Text formuliert hier ganz bewußt einen direkten Widerspruch. Ob Je-
sus insgesamt in der Bergpredigt oder gar im ganzen Mt als Antitypos zu
Mose gezeichnet ist, kann hier offenbleiben. Deutlich ist jedenfalls, daß
die Antithesen der Bergpredigt Jesus als Proklamator des Gotteswillens
teilweise in Radikalisierung und Verinnerlichung, teilweise im direkten
Widerspruch zur Tora charakterisieren. Jesus, der Sohn Davids (Mt 1,1)
der Hirte Israels (2,6), der Sohn Gottes (3,17), tritt in Souveränität und
eigener Vollmacht (7,29) der Tora gegenüber. Einen Widerspruch zwi-
schen der ersten und der zweiten Gruppe der Antithesen, zwischen Tora-

33 N u r im Falle von Mt 5,33 ist eine Identifizierung mit einem tatsächlich existierenden
Wort aus dem Pentateuch nicht möglich. Es war jedoch die Uberzeugung des helleni-
stischen Judentums, daß das Eidverbot Bestandteil der Tora war; vgl. BETZ, Sermon,
263-265.
34 In dieselbe Richtung weist die Rede von den βαρύτερα τοϋ νόμου in Mt 23,23.

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Jesus und die Tora aus der Sicht des entstehenden Christentums 349

Radikalisierung und punktueller Tora-Negierung, scheint der Evangelist


dabei jedoch nicht empfunden zu haben. Auch signalisieren die Antithe-
sen keine generelle Wendung gegen Israel als Volk der Tora. Wie mit der
Tora, so wird auch mit der Verkündigung Jesu vom Berge dem Volk der
Gotteswillen in Weisungsform gegeben.
Vorangestellt ist den Antithesen eine gleichsam programmatische Er-
klärung zur Tora im Munde Jesu, die das uns schon aus Q bekannte Wort
Lk 16,17 aufnimmt und erweitert. Deutlich ist, daß in Mt 5,17 und 18
dem Gesetz ein prophetisch-ankündigender Sinn gegeben wird. Nach
V. 17 ist Jesus zur Erfüllung von Gesetz und Propheten gekommen; nach
V. 18 wird das Gesetz nicht vergehen, „bis alles geschieht" (nicht etwa:
bis alles erfüllt wird!). V. 19 bekräftigt dann jedoch die Gültigkeit auch
der „geringsten Gebote", d. h. hier ist eindeutig der vorschreibend-
ethische Aspekt im Vordergrund. Doch sind mit den έντολαί vermutlich
schon die ab V. 21 formulierten Gebote Jesu gemeint35. Die Rede von den
Geboten Jesu, dann ganz bewußt im Unterschied zur Tora, ist hier nur
angedeutet, wird aber bei Joh (siehe sogleich) klar formuliert. Der Weg
zur Vorstellung von Jesus als neuem Gesetzgeber ist schon geebnet.
Aus dem lukanischen Doppelwerk seien nur wenige knappe Eindrücke
mitgeteilt. Nach Lk 2,46 sitzt der zwölfjährige Jesus im Tempel inmitten
der Lehrer, hört ihnen zu und fragt sie. Daß es sich um Gesetzeslehrer
handelt und daß die verhandelten Fragen Probleme der Tora gewesen sein
dürften, kann man vermuten. Akzentuiert wird dies in der Perikope frei-
lich nicht. Dem Anfang entspricht das Ende. Nach Lk 24,27 legt der Auf-
erstandene den Emmaus-Jüngern die Schrift aus. Aus Q übernimmt Lk
den Stürmerspruch und das - bei ihm enteschatologisierte - Wort von der
Geltung des Gesetzes. Auch die implizit der Tora widersprechenden
Worte von der Ehescheidung und der Ablehnung der Talio werden aufge-
nommen. Dagegen werden die markinischen Perikopen von reinen und
unreinen Speisen3' und von der Ehescheidung nicht rezipiert.
Im lukanischen Sondergut werden in Lk 13,10-17 und in 14,1-5 zwei
Sabbatkonflikte anläßlich von Heilungen dargestellt. In beiden Erzählun-
gen läuft die Argumentation Jesu zugunsten seines Handelns darauf hin-
aus, Analogien im sonst (offenbar auch für seine Gegner) üblichen Ver-
halten am Sabbat zu finden. Das schon besprochene Q-Wort Lk 14,5 wird
integriert. Weder stellt Jesus hierbei die Sabbatnorm in Frage, noch rückt
er seine Vollmacht zur Auslegung des Sabbatgebotes in den Mittelpunkt.

35 Das „Gebieten" Jesu wird an prominenter Stelle in Mt 28,20 wieder aufgenommen.


36 Das Problem reiner und unreiner Speisen wird von Lk aus der Jesus-Zeit in diejenige
der Apostel verlagert, vgl. Apg 10. Allerdings kann sich das Fehlen von Mk 7,iff. auch
durch eine unvollständige literarische Vorlage erklären.

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350 Hermut Lohr

Über die Tora hinausgehend und auf die ganze, zwei- oder dreigeteilte
Schrift bezogen sind schließlich die Aussagen in Lk 24,44 und Apg 28,23:
Die Schrift, darin auch die Tora, kündigte Jesus an, ist also insgesamt pro-
phetisch verstanden.
Charakteristisch für das Bild, das Joh vom Verhältnis Jesu zur Tora
zeichnet, ist, daß im Munde Jesu stets von „eurem" bzw. „ihrem Gesetz"
die Rede ist, gemeint ist das Gesetz der Juden, das, so Joh 1,17 und 8,5,
von Mose gegeben wurde. Dabei nimmt Jesus das Zeugnis des Gesetzes
durchweg positiv in Anspruch. In 8,17 beruft er sich auf die in der Tora
festgelegte Anzahl von Zeugen, um von der Wahrheit seines Zeugnisses
zu überzeugen. In 10,34 versucht Jesus seine Selbstbezeichnung als Got-
tessohn aus dem Gesetz bzw. der Schrift zu begründen; tatsächlich zitiert
er Ps 82,6. In 15,25 schließlich wird das Zeugnis des Gesetzes gegen den
Haß der Welt angerufen; das Zeugnis des Gesetzes wird als erfüllt ange-
sehen. Wiederum wird aus den Psalmen zitiert. Der Begriff des νόμος ist
hier offenbar auf die ganze heilige Schrift ausgeweitet. Die aus der synop-
tischen Tradition bekannten halachischen Fragen spielen nur in Joh 5,9ff.
eine Rolle; hier geht es um eine Heilung am Sabbat. Allerdings wird kein
ausdrückliches Wort Jesu zur Sabbatnorm überliefert. Allein sein Han-
deln spricht, stellt die überlieferte Norm in Frage und bringt ihm die Kri-
tik „der Juden", wie Joh pauschal sagt, ein. Explizit wird in diesem
Zusammenhang der νόμος aber nicht erwähnt. In 13,34; 14,15.21 und
15,10.12 begegnet sodann die Rede von der neuen έντολή oder den
έντολαί Jesu, die material gefüllt ist durch das Liebesgebot. Ohne daß das
Verhältnis von Gesetz und neuem Gebot in Joh ausdrücklich erörtert
würde, kann man feststellen, daß mit diesem neuen Gebot eine neue ethi-
sche Richtschnur gegeben ist, die zwar der Tora inhaltlich nicht wider-
spricht, sie aber als explizite Norm ablöst. Die Liebe ist nicht mehr wie in
der synoptischen Tradition und bei Paulus die Erfüllung der Tora. Die
Tora ist (nur noch) die Tora der Juden, das (neue) Gebot gilt den Anhän-
gern und Freunden Jesu. Die Rede von Jesus als neuem Gesetzgeber ist
hier bereits deutlich zu greifen.

III.

Die Neuentdeckung und Neubewertung des Judentums auch in der neu-


testamentlichen Exegese, die seit dem zweiten Weltkrieg und verstärkt
seit dem 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu beobachten sind, hat unter

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Jesus und die Tora aus der Sicht des entstehenden Christentums 351

anderem auch zu einer neuen Wahrnehmung der Tora und ihrer positiven
Bedeutung beigetragen, sowohl im Judentum des Zweiten Tempels 37 als
auch im entstehenden Christentum. Gerade die protestantische Exegese
und Theologie mußte in diesem Zusammenhang lernen, die Diskurskon-
stellationen des ersten Jahrhunderts n. Chr. unabhängig von späteren, et-
wa durch die Reformation geprägten theologischen Weichenstellungen
und auch Vorurteilen wahrzunehmen. Anders als in früheren Generatio-
nen wurde es so möglich, positive frühchristliche Aussagen über das Ge-
setz bewußt aufzunehmen und in das Bild frühchristlicher Theologie zu
integrieren. In der Konsequenz wurde eine differenzierte Beschreibung
des Verhältnisses jüdischer und christlicher Theologien notwendig, und
ebenso ein neue Reflexion auf die offenbarungstheologische und ethische
Bedeutsamkeit des Gesetzes.
In diesem Horizont war nach dem Verhältnis des irdischen Jesus zur
Tora bzw. zum νόμος zu fragen, das sich verschiedenen frühchristlichen
Autoren ergab. Einer generellen Ablehnung des Nomos durch Jesus
begegneten wir dabei nirgends. Allerdings werden schon in den ältesten
erhaltenen Quellen Aussagen Jesu überliefert, die einzelnen wichtigen
Regelungen der Tora sachlich direkt widersprechen. Daß Jesus dabei nir-
gends Äußerungen zugeschrieben werden, die sich mit Tora-Bestimmun-
gen für den Tempelkult auseinandersetzen, bleibt ein auffälliger Befund.
Gestreift werden Probleme der Kultpraxis allenfalls in Mk 7,11. Indirekt
normative Funktion hat der Kult in Mt 12,5. Der Anspruch Jesu, abgese-
hen vom Wortlaut der Tora den Gotteswillen zum Ausdruck zu bringen,
wird so abgebildet. Im Mk-Evangelium scheint Jesus anläßlich der Frage
reiner und unreiner Speisen nicht mehr weit von einer grundsätzlichen
Abrogation der Tora entfernt zu sein, doch wird dieser Zug des Bildes Je-
su bei Mt und Lk nicht weiterentwickelt. Daß Jesus der Tora Israels in
Souveränität gegenübertritt, ist schon bei Mk ausgesagt und wird in späte-
ren Quellen weiter überliefert. Dabei bewirkt die Rede von den Geboten
(so Mt) bzw. dem neuen Gebot, das Jesus gibt (Joh), eine zunehmende
Distanzierung von der Tora als Offenbarungsautorität, wenn auch durch
das Liebesgebot materialiter eine Verbindung zwischen Ethik der Tora
und Ethik Jesu gewahrt bleibt. Wenn Jesus zunehmend deutlicher als neu-
er Gesetzgeber gemalt wird, so wird damit zunehmend die Offenbarungs-

37 Wieweit die Tora das organisierende Prinzip des Judentums bzw. der Judentümer der
Zeit war, ist bekanntlich umstritten. Mit den Stichworten „Land", „Tempel" und
„Bund" sind andere Konkretionen und theologische Konzepte benannt, deren Stellen-
wert für das Judentum des Zweiten Tempels wie auch im Jesus-Bild der ersten Chri-
sten vergleichend zu untersuchen wäre. Die Frage nach Jesu Verhältnis zum Judentum
kann also nicht allein anhand seines Tora-Verständnisses geklärt werden.

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352 Hermut Lohr

autorität der Tora und die Offenbarungswürde Israels in Frage gestellt.


Übernommen aus der jüdischen Mutterreligion ist aber die Fassung des
göttlichen Willens in Gebot bzw. Gesetz, oder noch grundlegender for-
muliert: Mit Israel glaubt das Christentum mehrheitlich daran, daß Got-
tes Gnade auch und gerade darin besteht, seinen Willen für das Handeln
des Menschen zu offenbaren.
Natürlich provozieren die so nuancierten verschiedenen Jesus-Bilder
des ersten Jahrhunderts zuletzt doch die Frage, wie der historische Jesus
zur Tora Israels stand - eine Frage, die wir eben wegen der erforderlichen
Blickschärfung für die Quellenaussagen selbst zunächst zurückgestellt
haben. Argumentiert man mit der Plausibilität historischer Wirkungen 38 ,
so ist davon auszugehen, daß die frühchristliche Tradition historisch im
Recht ist, die Jesus keine grundsätzliche Ablehnung der Tora zuschreiben
mochte. Daß Christus das Ende des Gesetzes ist, ist eine Aussage, die erst
von Kreuz und Auferstehung her möglich ist. Allerdings kann der Ver-
such, die Ostererfahrung einzutragen in das Bild des historischen Jesus,
zu einer Distanzierung von der Offenbarungsautorität der Tora führen.
Daß Jesus nicht nur einzelnen Bestimmungen der Tora widersprach, son-
dern ihr insgesamt mit eigener Vollmacht und Souveränität gegenübertrat,
ist eine frühe christologische Aussage. Sie übersetzt ins Grundsätzliche,
was der historische Jesus im Konkreten versucht haben dürfte. Sie macht
explizit, was das kurze Auftreten Jesu im Galiläa und Judäa der zwanziger
Jahre des ersten Jahrhunderts für seine Anhänger impliziert haben wird.39

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38 Das Kriterium der „historischen Wirkungsplausibilität" findet sich begründet bei


THEISSEN/MERZ, Jesus, 118f.
39 KRAUS, Bedeutung, versucht das Auftreten des historischen Jesus und sein Verhältnis
zur Tora im Lichte von Dtn 1 8 , 1 5 - 1 8 zu interpretieren. Auf die sich aus der These von
KRAUS wie den vorstehenden Ausführungen ergebende Frage nach Jesus als Gesetz-
geber im frühjüdischen Kontext (besonders im Vergleich zum Lehrer der Gerechtig-
keit) werde ich andernorts eingehen.

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Jesus und die Tora aus der Sicht des entstehenden Christentums 353

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354 Hermut Lohr

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„Gericht" und „Heil"
bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer

Semantische und pragmatische Beobachtungen

MICHAEL WOLTER

Auch für die Frage nach dem historischen Jesus gilt, was HANS-JÜRGEN
GOERTZ von der Geschichtswissenschaft im allgemeinen gesagt hat: Sie
„hat keinen Gegenstand, sondern nur Probleme" 1 . In bezug auf die Ge-
schichtswissenschaft hat diese Feststellung ihren Grund darin, daß wir zu
den sog. historischen Tatsachen keinen unmittelbaren Zugang haben,
sondern immer nur einen solchen, der durch unsere eigene, vorauslaufen-
de Konstruktion von Zusammenhängen und Bedeutungen vermittelt ist.
Für unsere Rückfrage nach dem historischen Jesus verschärft sich dieses
Problem noch einmal dadurch, daß der Zugang zum Gegenstand unserer
Untersuchung durch Quellen - die Evangelien - vermittelt ist, die eben-
falls nichts anderes sind als Konstruktionen von geschichtlicher Wirklich-
keit. U n d dementsprechend hat auch der geschichtstheoretische Diskurs
der letzten Jahre mit Recht herausgestellt, daß es keine Geschichtsschrei-
bung ohne Fiktion gibt und daß jede Rekonstruktion vergangener Ereig-
nisse immer auch Konstruktion ist. 2
Verantwortlich für diesen Sachverhalt sind unter anderem die wissen-
schaftssprachlichen Begriffe, mit deren Hilfe wir unsere Quellen inter-
pretieren. Diese Begriffe stellen bereits eine vorweggenommene Inter-
pretation dar, denn die semantische Bestimmtheit, die ihrer Verwendung
als analytische Kategorien zugrundeliegt, fungiert gewissermaßen als Fil-
ter, und zwar sowohl für unsere Wahrnehmung als auch für die Darstel-
lung des Textbefundes. Die Begriffe erhalten ihre Bedeutung im Wege der
Zuschreibung, und dieser Vorgang determiniert darum auch ihre Ord-
nungsfunktion: Sie geben die Kriterien vor, mit deren Hilfe Gemeinsam-
keiten und Unterschiede festgestellt werden. Sie stellen Zusammenhänge

1 GOERTZ, Umgang, 95.


2 Vgl. dazu allgemein die Aufsatzsammlung von WHITE, Auch Klio dichtet, sowie mit
Bezug auf die Frage nach dem historischen Jesus SCHRÖTER, Frage.

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356 Michael Wolter

her und ziehen dabei gleichzeitig Grenzen. Mit der Wahl der Kategorien,
die wir für die Interpretation verwenden, und mit der Bedeutung, die wir
ihnen zuschreiben, schaffen wir Sinnstrukturen, die unserer Wahrneh-
mung und Beschreibung der sogenannten Fakten immer schon voraus-
gehen. Daraus folgt, daß Begriffe Wirklichkeit nicht abbilden, sondern sie
allererst herstellen, denn als sprachliche Zeichen haben sie keine andere
Funktion, als jenen aus Bedeutungen zusammengesetzten Sinnzusam-
menhang zu konstruieren, den wir „Wirklichkeit" zu nennen gewohnt
sind.
Selbstverständlich ist auch der historische Jesus, wie er in der wissen-
schaftlichen Jesusforschung dargestellt wird, nichts anderes als eine solche
Konstruktion. Ihr Sinngefüge ist durch ein Inventar von interpretations-
sprachlichen Kategorien strukturiert, zu denen auch das Begriffspaar „Ge-
richt und Heil" bzw. „Heil und Gericht" gehört.3 Die unausgesprochen
vorausgesetzte Bedeutungszuschreibung, auf der seine wissenschaftliche
Verwendung in diesem Zusammenhang basiert, besteht darin, daß dieses
Begriffspaar als antithetischer Dualismus verstanden wird. Diese semanti-
sche Binnenstruktur fungiert als Parameter, mit dessen Hilfe das Profil
der eschatologischen Verkündigung Jesu beschrieben wird.4 Darüber hin-
aus geht mit der Verwendung dieses Begriffspaares als analytische Katego-
rie einher, daß sich mit ihm eine bestimmte Annahme in bezug auf seinen
pragmatischen Gebrauch verbindet.
Im folgenden sollen zunächst der Gebrauch des Gegenübers von
„Gericht" und „Heil" innerhalb der Jesusforschung und der ihm zugrun-
deliegenden semantischen und pragmatischen Voraussetzungen proble-
matisiert werden. Im Anschluß daran soll ein Weg skizziert werden, der
vielleicht zu einem differenzierteren Verständnis der jesuanischen Ge-
richtsaussagen hinführen kann.

3 Vgl. bereits WEISS, Predigt, 113. - Dies hält sich bis in die neueren Jesusbücher hinein
durch; vgl. z. B. BORNKAMM, Jesus von Nazareth, 85; GNILKA, Jesus von Nazaret,
157; BECKER, Jesus von Nazaret, 59; THEISSEN/MERZ, Der historische Jesus, 241ff.;
HOPPE, J e s u s , 35.
4 In diesem Sinne kann J. WEISS das Gegenüber von „Gericht" und „Heil" durch die
semantische Antithese von „Gericht und Reichserrichtung" ersetzen (Predigt, '1892,
36 = 2 1900, 112); „Heil" und „Reich Gottes" gehören zusammen (ebd., '1892, 39 =
2 1900, 115), während „das Gericht [ . . . ] hauptsächlich in dem Ausschluss aus dem

Reiche Gottes [besteht]" (ebd., 2 1900, 112; in der 1. Aufl. 1892 hieß es an dieser Stelle
noch: „der empfindlichste Teil der Strafe ist der Ausschluss aus dem Reiche Gottes"
[37])·

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 357

I. Hinführung

Der Weg zum historischen Jesus führt über Johannes den Täufer. Die
meisten neueren Jesusbücher stellen ihrer Darstellung des Auftretens und
der Verkündigung Jesu darum auch eine Darstellung des Auftretens und
der Verkündigung Johannes des Täufers voran. Dies hat seinen guten
Grund darin, daß die Taufe Jesu durch Johannes (Mk 1,9) als das chro-
nologisch erste der in den Jesusgeschichten der Evangelien berichteten
Ereignisse gelten kann, deren Historizität außer Frage steht. Daraus läßt
sich erschließen, daß Jesus zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens
die prophetische Verkündigung des Täufers kennengelernt hat5, daß er
sich von ihrem Inhalt überzeugen ließ und daß er wie andere Juden auch
sich nach Ablegung eines Sündenbekenntnisses 6 dem als „Taufe der
Umkehr zur Vergebung der Sünden" (βάπτισμα μετανοίας εις αφεσιν
αμαρτιών, Mk 1,4 par. Lk 3,3) gedeuteten Tauchritus im Jordan unter-
zogen hat.
Ebenso können wir aufgrund der Berichte in den Evangelien aber auch
mit einiger Sicherheit sagen, daß Jesus einige Zeit danach eigene Wege zu
gehen begann, die sich von denen seines Täufers deutlich unterschieden:
Jesus wirkte anders als Johannes nicht in der „Wüste" (Mk 1,4 parr.), d. h.
in unbewohnten Gebieten, sondern im galiläischen Kulturland, also dort,
wo die Menschen lebten, und er zog dann nach Jerusalem. Er teilte nicht
die Nahrungsaskese des Johannes (vgl. Mk 1,6b par. Mt 3,4b; Lk 7,33f.
par. Mt ll,18f.; s. auch Mk 2,18 parr.), und er übernahm auch nicht den
Kleidungscode des Täufers (vgl. Mk 1,6a par. Mt 3,4a). Anders als Johan-
nes trat Jesus den Menschen als charismatischer Heiler und Exorzist ge-
genüber, als Weisheits- und Gesetzeslehrer, als Erzähler von Gleichnissen
über die Landwirtschaft, über Gott und über die Menschen, und er fiel
vor allem auch dadurch auf, daß er geradezu programmatisch Gemein-
schaft mit religiös und sozial Marginalisierten praktizierte (vgl. Mt 11,19b
par. Lk 7,34b: τελωνών φίλος και άμαρτωλών).
Nicht so eindeutig zu beantworten ist demgegenüber die Frage nach
dem Verhältnis der Verkündigung Jesu zu derjenigen des Täufers. Die
Hauptverantwortung für diese Schwierigkeit trägt in erster Linie natürlich
die Quellenlage mit den bekannten methodischen Problemen und Apo-

5 Wie es dazu kam, wissen wir nicht.


6 Vgl. M k 1,5 (έξομολογούμενοι τάς άμαρτίας αύτών). D a ß es sich hierbei um einen
historisch plausiblen Bestandteil des gesamten Ritus gehandelt hat, dem sich auch J e -
sus nicht verweigert haben dürfte, erhellt aus dem traditionsgeschichtlich aufweisba-
ren Zusammenhang von Sündenbekenntnis und Sündenvergebung; vgl. nur l K ö n
8,33f.35f. = I C h r 6,24f.26f.; Ps 32,5. Vgl. auch MERKLEIN, Umkehrpredigt, 115.

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358 Michael Wolter

rien der historischen Rückfrage. Hinzu kommt dabei noch, daß uns die
Evangelien über den Täufer sehr viel weniger erzählen als über Jesus.
Wenn wir nun davon ausgehen - und es gibt gute Gründe, dies zu tun - ,
daß Worte und Taten bei Johannes wie bei Jesus jeweils ein in sich kohä-
rentes Sinngefüge bildeten, müssen wir auch nach der theologischen
Grundorientierung fragen, die den oben beschriebenen Differenzen zwi-
schen den beiden ihren Richtungssinn gegeben hat. Etwas konkreter for-
muliert: Gibt es so etwas wie eine Basisdifferenz zwischen Johannes und
Jesus, die allen anderen Unterschieden vorausgeht und zu der sich alle an-
deren Unterschiede wie Ableitungen verhalten? Es liegt auf der Hand,
daß aus den eingangs beschriebenen Gründen die entscheidende Weichen-
stellung für die Beantwortung dieser Frage in der Wahl der Kategorie
liegt, an deren Semantik sich die Beantwortung dieser Fragen orientiert.
Und genau an dieser Stelle kommt wieder das Gegenüber von „Gericht"
und „Heil" ins Spiel, denn ein Blick in die einschlägige Literatur läßt so-
fort erkennen, daß es eben dieses Begriffspaar ist, dem die Funktion des
Paradigmas zugeschrieben wird, das der Darstellung des Unterschieds
zwischen Johannes und Jesus zugrundegelegt wird.7
Wir können dieser Frage freilich nicht nachgehen, ohne dabei in Rech-
nung zu stellen, daß es keine Diskontinuität ohne Kontinuität gibt. Wir
können also nicht Differenzen trennscharf beschreiben, ohne daß wir
auch nach Gemeinsamkeiten fragen. In bezug auf das Verhältnis von Jo-
hannes und Jesus ergibt sich die Nötigung dazu vor allem natürlich dar-
aus, daß davon auszugehen ist, daß Jesus mindestens bis zum Beginn sei-
nes eigenen öffentlichen Auftretens das Wirklichkeitsverständnis des
Täufers geteilt hat, denn sonst hätte er sich nicht der von Johannes pro-
pagierten Umkehrtaufe unterzogen. Hinzu kommt aber auch noch ein
weiterer Aspekt: Weil Johannes und Jesus ihre Sozialisation in ein und
demselben kulturellen Kontext erfahren haben, können wir bei beiden
auch ein über weite Strecken gemeinsames kulturelles Grundwissen bzw.
eine gemeinsame „enzyklopädische Kompetenz"8 voraussetzen. Ohne de-
ren Berücksichtigung können wir weder den einen noch den anderen ver-
stehen, und darum ist auch die Beschreibung des beiden gemeinsamen
kulturellen Wissens unerläßlich, wenn wir die Unterschiede zwischen ih-
nen darstellen wollen.

7 Vgl. vor allem Abschnitt II.2.


8 E c o , Lector in fabula, 94ff.

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.Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 359

II. Kurze Zusammenfassung des Diskussionsstandes

In der Jesus-Literatur des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts hat sich in
bezug auf die Frage nach dem Verhältnis von „Gericht" und „Heil" bei Je-
sus insofern eine Veränderung vollzogen, als zunehmend auch der „Ge-
richtsprediger" Jesus entdeckt und theologisch ernst genommen wird.
Eindrucksvoller Beleg dafür ist das Erscheinen von gleich drei deutsch-
sprachigen Monographien zur Gerichtsverkündigung Jesu in den 90er
Jahren des 20. Jahrhunderts 9 , nachdem dieses Thema jahrzehntelang nur
am Rande Beachtung gefunden hatte. Auch in den Jesusbüchern wird in
den letzten Jahren zunehmend dazu übergegangen, die „Gerichtsaus-
sagen", die „Gerichtspredigt" oder die „Gerichtsverkündigung" Jesu in
einem eigenen Kapitel zu behandeln, das der Darstellung von Jesu
„Heilspredigt" 10 vorangestellt wird.11 Damit stellt sich sofort aber auch die
Frage nach dem Verhältnis der Verkündigung Jesu zu derjenigen des
Täufers in neuer Weise: Insofern es nämlich gerade die Ankündigung des
unmittelbar bevorstehenden Gerichts war, die als Zentrum der Botschaft
des Täufers galt, mußte von der neugewonnenen Einsicht in das Gewicht
der Gerichtsaussagen innerhalb der Verkündigung Jesu das Erfordernis
einer präziseren Beschreibung des Verhältnisses von Kontinuität und
Diskontinuität zwischen beiden ausgehen. - Ein Blick in die Literatur zu
unserem Thema zeigt nun, daß diesem Erfordernis durchaus Rechnung
getragen wird. Gleichzeitig ist aber auch nicht zu übersehen, daß die Be-
schreibung der Gemeinsamkeiten sehr viel deutlicher und konsenshafter
greifbar ist als die Beschreibung der Differenzen.

1. In wenigen Sätzen zusammenfassen lassen sich diejenigen Merkmale, in


denen man eine Kontinuität zwischen Johannes und Jesus wahrnehmen zu
können meint:
• Johannes wie Jesus teilten die Uberzeugung, daß „ganz Israel [ . . . ] , wie
es sich vorfindet, [ . . . ] dem Gericht verfallen ist" 12 bzw. daß es „in ei-
nem ausweglosen Negatiwerhältnis zu seinem Gott" steht13. Als Bele-
ge dafür werden vor allem Lk 13,1-5 und Jesu Worte gegen „dieses Ge-

9 Vgl. REISER, Gerichtspredigt; ZAGER, Gottesherrschaft; RINIKER, Gerichtsverkündi-


gung.
10 THEISSEN/MERZ, Jesus , 246

" Vgl. z. B. MERKLEIN, Botschaft, 33ff.; BECKER, Jesus von Nazaret, 58ff.; THEISSEN/
MERZ, Jesus, 241ff.; anders GNILKA, Jesus von Nazaret.
12 MERKLEIN, Botschaft, 34; s. auch BECKER, Jesus von Nazaret, 61; THEISSEN/MERZ,
Jesus, 245.
13 BECKER, Jesus von Nazaret, 64.

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360 Michael W o l t e r

schlecht" (Lk 11,29-32 par. Mt 12,39-42) angeführt, aber auch die


Gleichnisse vom törichten Kornbauern (Lk 12,16-20) und vom klugen
Verwalter (Lk 16,l-8a).
• Beide hätten die Erwählung Israels als suspendiert angesehen: „Israels
Gottesverhältnis [ . . . ] ist so kaputt, daß [ . . . ] Israels Erwählung ver-
braucht ist" 14 ; dementsprechend seien auch „ein Rückgriff und eine Be-
rufung auf ein früheres Erwählungshandeln ausgeschlossen" 15 .
• Bei beiden gehe die Scheidung zwischen Heil und Unheil „mitten
durch Israel selbst" hindurch.16
• Beide hätten mit der unmittelbaren Nähe des kommenden Gerichts ge-
rechnet, wodurch die Gegenwart zur eschatologischen Entscheidungs-
zeit werde.17
• Beide hätten darum eine Umkehr als „Distanz vom Bisherigen" ver-
langt.18

2. Demgegenüber fällt es sehr viel schwerer, die Beschreibung der Dis-


kontinuität zwischen Johannes und Jesus ähnlich kompakt zu referieren.
Dies hat seinen Grund nicht darin, daß die Interpretation der einschlägi-
gen Texte kontrovers diskutiert wird. Verantwortlich dafür ist vielmehr
die Unschärfe der Begriffe, mit deren Hilfe die Differenz beschrieben
wird, und die Uneindeutigkeit des Gesamtbildes. Als charakteristisch für
letzteres kann die Formulierung von R. HOPPE gelten, die den derzeitigen
Diskussionsstand sicher am konzisesten wiedergeben dürfte: „Entgegen
verbreiteter Vorstellung ist Johannes nicht nur der Gerichtsprediger und
Jesus nicht nur der Heilsprediger". 1 ' Als Unterschied zwischen beiden gilt
demnach die unterschiedliche Gewichtung der Rede von Gericht und Heil.
In diesem Sinne ist dann die Rede von einer „eindeutigen Heilsprä-
ponderanz in der Verkündigung Jesu" 20 oder davon, daß der „Akzent" 21
bei Jesus auf der Heilsseite liegt, daß das Heilsangebot der Gerichtsdro-
hung „vorgeordnet" ist22 und die Gerichtsverkündigung dementsprechend

14 BECKER, ebd., 9 2 .
15 MERKLEIN, Botschaft, 3 5 .
16 REISER, Gerichtspredigt, 3 0 4 ; vgl. auch BECKER, Jesus von Nazaret, 70ff.; WOLF, Ge-
richt, 49.
17 Vgl. REISER, Gerichtspredigt, 304f.; BECKER, Jesus von N a z a r e t , 61; THEISSEN/MERZ,
Jesus, 2 4 3 .
18 MERKLEIN, Umkehrpredigt, 118; vgl. auch REISER, Gerichtspredigt, 3 0 5 ; BECKER, J e -
sus von Nazaret, 63; THEISSEN/MERZ, Jesus, 2 4 3 .
19 HOPPE, Jesus, 3 5 (Hervorhebungen im Original).
20 BECKER, Johannes der Täufer, 8 5 . 1 0 0 .
21 ZAGER, Gottesherrschaft, 3 1 6 .
22 BECKER, Johannes der Täufer, 100; vgl. auch WOLF, Gericht, 49.

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.Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 361

„zurücktritt"23, daß bei Jesus das Heil in den „Vordergrund"24 gestellt


wird, daß Jesus „die Gerichtspredigt des Täufers" zwar „fort [setzt] [ . . . ] ,
aber stärker das mit der βασιλεία-Predigt verbundene Heilsangebot (auch
an die Sünder) betont zu haben [scheint] " 25 oder daß das Heil bei Jesus
anders als bei Johannes „das Primäre"26 ist. Dementsprechend gilt die Ge-
richtsankündigung bei Jesus „als die negative Kehrseite seiner positiven
Praxis und Verkündigung"27. Es werde denen angedroht, „die das Heils-
angebot nicht annehmen"28. In diesem Sinne heißt es bei H. M E R K L E I N ,
daß das Gericht Gottes bei Jesus „als Konsequenz des abgelehnten Heils,
nicht aber als Voraussetzung und Ermöglichung des Heils [erscheint]"29,
während M. R E I S E R das Gericht als „die unumgängliche Voraussetzung
für das endgültige Heil des Reiches Gottes" 30 bestimmt. H. M E R K L E I N
kann unter Zustimmung von J. B E C K E R die Differenz dann auch so be-
schreiben, daß der Täufer „das Gericht apodiktisch angesagt" und die
Heilsperspektive „nur indirekt artikuliert" hätte, während für Jesus „die
apodiktische Heilszusage" charakteristisch sei sowie „Umkehr und Ge-
richt im konditionalen Verhältnis [stehen]"31. Diese Sicht der Dinge wird
von M. R E I S E R mit dem Hinweis darauf kritisiert, daß sie zum einen ein
semantisch deviantes Begriffsverständnis voraussetze und zum anderen
auch inhaltlich falsch sei, „denn für Jesus wie für den Täufer kommt bei-
des, Gericht und Heil, unbedingt".32 Große Aussicht auf Konsensfähigkeit
dürfte wohl auch R E I S E R S metaphorische Beschreibung der Differenz ha-
ben: „Gericht und Heil sind zwei Seiten einer Medaille. Der Täufer hält
dem Volk die Gerichtsseite vor, Jesus die Heilsseite; aber beide wissen,

23 WOLF, Gericht, 48.


24 REISER, Gerichtspredigt, 306.
25 THEISSEN/MERZ, Jesus, 194.
26 GNILKA, Jesus von Nazaret, 157.
27 RINIKER, Gerichtsverkündigung, 459.
28 MERKLEIN, Gericht und Heil, 66; s. auch GNILKA, Jesus von Nazaret, 157: „Das Ge-
richt ist der Verlust des Heiles, der sich daraus ergibt, daß das Heil nicht angenom-
men, die Botschaft nicht akzeptiert und abgelehnt wird. Es ist die gleichsam nicht be-
absichtigte Konsequenz des Heiles für den Fall der Verweigerung des Menschen";
BECKER, Jesus von Nazaret, 73ff.; THEISSEN/MERZ, Jesus, 250f.; RINIKER, Gerichts-
verkündigung, 459.
29 MERKLEIN, Gericht und Heil, 67.
30 REISER, Gerichtspredigt, 307; s. auch ZAGER, Gottesherrschaft, 316: „das bereits an-
hebende und sich in einem zukünftigen endgültigen Akt ereignende Endgericht" war
für Jesus „die notwendige Voraussetzung des Reiches Gottes".
31 MERKLEIN, Botschaft, 36.35f.; s. auch DERS., Gottesherrschaft, 147; DERS., Gericht
und Heil, 66f.; vgl. dazu BECKER, Jesus von Nazaret, 65.
32 REISER, Gerichtspredigt, 306 (Hervorhebung im Original).

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362 Michael Wolter

was auf der anderen Seite ist, und machen auch keinen Hehl daraus"35.
Dementsprechend werde die geforderte Umkehr bei Johannes „allein
durch die Furcht vor dem Gericht motiviert", während „Jesus zuerst die
Hoffnung auf das endgültige Heil [weckt] ". 34

3. Wenn wir uns zunächst die Beschreibungen der Diskontinuität näher


anschauen, wird sofort erkennbar, was zu der unübersehbaren Diffusität
des Gesamtbildes geführt hat: Sie basiert zunächst darauf, daß das Be-
griffspaar „Gericht und Heil" als analytische Leitkategorie für die Be-
schreibung der Unterschiede zwischen Johannes und Jesus fungiert, wo-
bei vorausgesetzt wird, daß seine beiden Elemente, „Gericht" und „Heil"
also, in semantischer Opposition zueinander stehen. Da es nun aber die
Quellen verwehren, das Gegenüber dieser beiden Begriffe einfachhin auf
das Gegenüber von Johannes und Jesus zu projizieren, sieht man sich ge-
nötigt, nicht nur das Ineinander dieser semantischen Opposition auf bei-
den Seiten plausibel zu machen, sondern mit ihrer Hilfe auch noch die
Unterschiede zwischen Johannes und Jesus aufzuzeigen. Das Ergebnis die-
ser Doppelfunktion des Begriffspaars „Gericht und Heil" läßt sich anhand
des vorstehenden Uberblicks studieren: Die Beschreibung des Unter-
schieds zwischen Johannes dem Täufer und Jesus reduziert sich auf bloße
Gewichtsangaben, und der Unterschied selbst wird dadurch relativ. Im
Vordergrund stehen dementsprechend Kategorien wie „Akzent", „Vor-
dergrund/Hintergrund", „Vorderseite/Rückseite", „Zentrum/Rand" oder
„Präponderanz" bzw. „Prävalenz". Beide, Johannes nicht anders als Jesus,
verkündigen demnach im Grunde genommen dasselbe: der eine etwas
mehr von diesem und etwas weniger von jenem, der andere etwas weniger
von diesem und etwas mehr von jenem.35
Was unter dem Strich übrig bleibt, sind darum auch keine inhaltlichen
Differenzen, sondern lediglich ein unterschiedlicher Gestus im Spiel mit
den bekannten Leitaffekten des rhetorischen Genus deliberativum, der
Furcht (metus) und der Hoffnung (spes) u : Dadurch, daß Johannes das
„Gericht" in den Vordergrund stelle, mobilisiere er den Affekt der
Furcht, während Jesus mit seiner Betonung des „Heils" den Affekt der

31 REISER, Gerichtspredigt, 307.


34 REISER, e b d . , 3 0 6 .
35 Ausdruck dieser Verlegenheit ist auch J. BECKERS anachronistischer Rückgriff auf
Kategorien aus der Theologie Martin Luthers: „das opus proprium des Gottes Jesu
[ist] die Güte und Liebe und das Richten nur das opus alienum"; hierin liege „der fun-
damentale Unterschied zum Täufer" (Johannes der Täufer, 97).
36 V g l . LAUSBERG, H a n d b u c h , § § 2 2 9 . 2 3 7 .

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 363

H o f f n u n g evoziere. 3 7 Schon der gesunde Menschenverstand sagt uns, daß


hier etwas nicht stimmen kann, denn de facto ist das Ergebnis immer das-
selbe: N i c h t anders als bei Jesus entscheidet auch bei Johannes einzig und
allein die Annahme oder Ablehnung der Verkündigung über die eschati-
sche Zuweisung von Heil und Unheil, und insofern ist auch der Kritik
von M . REISER an der von H . MERKLEIN eingebrachten Unterscheidung
von „apodiktisch" und „bedingt" bzw. „konditional" 3 8 unbedingt Recht zu
geben. Aber auch REISERS eigene, auf den rhetorischen G e s t u s bezogene
Unterscheidung zwischen Jesus und Johannes 3 ' wird durch die Texte wi-
derlegt, denn in L k 13,1-5 begründet Jesus seine U m k e h r f o r d e r u n g ganz
eindeutig mit dem Hinweis auf das drohende Unheil, das den Verweige-
rern der U m k e h r droht, und damit mobilisiert er natürlich nichts anderes
als den A f f e k t der Furcht. 4 0
E s ist offensichtlich, daß die analytischen Kategorien nicht recht z u m
Textbefund passen, denn es will offensichtlich nicht gelingen, mit Hilfe
der semantischen O p p o s i t i o n von „Gericht" und „ H e i l " Gemeinsamkei-
ten und Unterschiede zwischen Johannes dem Täufer und J e s u s mit hin-
reichender Präzision zu bestimmen. Verantwortlich dafür ist vor allem -
und das ist nun meine erste These - , daß dem Begriff „Gericht" eine Se-
mantik zugeschrieben wird, die von einer anachronistischen interpretatio
Christiana bestimmt ist und wenig bis gar nichts mit der Gerichtserwar-
tung J e s u und J o h a n n e s des Täufers zu tun hat. Anders gesagt: D i e vor-
stehend skizzierte Verwendung des Begriffspaars „Gericht und H e i l " als
analytische Kategorien zur Beschreibung des Unterschieds zwischen
Johannes und J e s u s basiert auf der Unterstellung, daß unsere eigene kul-
turelle Enzyklopädie (konkret: das, was wir heute unter „Gericht" verste-
hen) mit der kulturellen Enzyklopädie J e s u und des Täufers überein-
stimmt. E s läßt sich jedoch leicht zeigen, daß es sich hierbei um eine
unzutreffende petitio principii handelt, die wir überwinden müssen, um
präzise sagen zu können, was Johannes und J e s u s miteinander verbindet
und was sie voneinander trennt. Einen ersten, wenn auch noch inkonse-
quenten Schritt in diese Richtung hat bereits H . MERKLEIN in seinem
A u f s a t z über „die heilsame Funktion des Gerichts bei Johannes, Jesus und
Paulus" getan 41 , über den ich im folgenden aber noch deutlich hinausge-
hen möchte.

37 So in der Tat expressis verbis REISER, Gerichtspredigt, 306 (s. o. bei Anm. 34).
38 Siehe oben bei Anm. 31 und 32.
39 Siehe oben bei Anm. 33 und 34.
40 Vgl. auch BECKER, Johannes der Täufer, 89: „Die Umkehr wird hier nicht motiviert
durch das neu verkündigte Heil, sondern durch das unmittelbar drohende Gericht".
41 MERKLEIN, Gericht und Heil.

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364 Michael Wolter

Die Diffusität des entworfenen Bildes von Kontinuität und Diskonti-


nuität zwischen Johannes und Jesus hat ihren Grund aber auch darin, daß
auch die Pragmatik der Rede von „Gericht" und „Heil" bei Johannes und
Jesus bisher unterbestimmt geblieben ist: Weithin unberücksichtigt bleibt
vor allem die Frage nach der Adressatenorientierung und dem Hörer-
bezug 42 der Gerichtsaussagen, obwohl sie es sind, die allererst darüber
entscheiden, in welcher Weise das semantische Potential der Gerichts-
aussagen zur Geltung gebracht und gedeutet wird. Ebensowenig findet
Beachtung, daß im Zusammenhang der Frage nach der Adressatenorien-
tierung gegebenenfalls zwischen zwei verschiedenen Adressaten unter-
schieden werden kann: den im Text genannten, aber gleichwohl nur fikti-
ven Adressaten und den intendierten Adressaten 43 , und dementsprechend
wird auch nicht darüber reflektiert, ob es denn wirklich immer nur die
„ U m k e h r " ist, auf die hin die Rede von „Gericht" und „Heil" jeweils aus-
gerichtet ist.

III. Gerichtssemantik: Das Johannes und Jesus gemeinsame


kulturelle Grundwissen

1. Ein Aspekt des Gerichtsverständnisses, das die im vorangegangenen


Abschnitt skizzierten exegetischen Wahrnehmungen der Gerichtsaussa-
gen Jesu und Johannes des Täufers bestimmt, läßt sich mit Hilfe eines
Zitats auf den Punkt bringen: „Sie ist gerichtet!" sagt Mephistopheles am
Ende des ersten Teils von Goethes Faust über Gretchen, um Faust von ihr
loszureißen (4611). „Ist gerettet!" ruft es daraufhin vom Himmel zurück
(4612). - Dieses Gegenüber von „richten" und „retten" ist innerhalb der
christlichen Frömmigkeits- und Theologiegeschichte zu einer der beiden
Weisen geworden, in denen von Gottes Gericht gesprochen wird, und sie
leitet auch - wie wir gesehen haben - die Interpretation der einschlägigen
neutestamentlichen Texte. Unter „Gericht" wird in diesem Sinne ein
„Handeln G o t t e s " verstanden, „das sich vielfältig als Leben beeinträchti-
gend oder auch gänzlich entziehend oder vernichtend erfahren läßt und
das so auch in Erwartungen oder Befürchtungen für die irdische und jen-
seitige Zukunft bewertet wird" 44 . - Als zweites Designat wird diesem Be-

42 Vgl. dazu unten Anm. 68.


43 Siehe dazu unten Abschnitt IV. 1.3.
44 BRANDENBURGER, Gerichtskonzeptionen, 291; s. auch AMELUNG, Art. Gericht Got-
tes, 492,43-45: „Der Begriff ist Instrument zur Deutung persönlicher oder gemein-

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 365

griff die vor allem in paränetischen Argumentationszusammenhängen an-


gesiedelte Vorstellung eines Verfahrens zugeschrieben, das vor dem
Richterthron Gottes stattfindet und in dem die menschlichen Taten be-
urteilt werden. Dieses Verfahren endet mit einer Entscheidung über Heil
und Unheil, und es hat bis zu dieser Entscheidung einen offenen Ausgang.
Wenn wir aufgrund dieses Gerichtsverständnisses die Gerichtsaussagen
Jesu und des Täufers in den Blick nehmen, verfehlt unsere Interpretation
ihren Gegenstand, und zwar aus zwei Gründen:
- zum einen, weil sie „Gericht und „Heil" als Gegensatz versteht und da-
mit „Gericht" semantisch mit „Unheil" gleichsetzt,
- und zum anderen, weil sie die Vorstellung eines allererst der Urteils-
findung dienenden Gerichtsverfahrens mit offenem Ausgang, die sich im
Judentum und im Christentum erst später herausgebildet hat 45 , in die Zeit
Jesu und des Täufers zurückprojiziert.
Es ist nun nicht so furchtbar kompliziert, demgegenüber das Jesus und
Johannes gemeinsame eschatologische Grundwissen in bezug auf die Ge-
richtserwartung zu skizzieren. Dieses Vorhaben läßt sich auch in diesem
Rahmen realisieren, weil es trotz der Vielfalt von individuellen Gerichts-
konzeptionen und -Vorstellungen im frühen Judentum ein Substrat von
Gemeinsamkeiten gibt, das sich dank der intensiven Forschung der letz-
ten Zeit auf diesem Gebiet leicht zusammenfassen läßt.46

schaftlicher negativer Erfahrungen" (Hervorhebung von mir). Zur Kritik an dieser


Sicht vgl. K. MÜLLER, Gott als Richter, 25f.
45 Vgl. REISER, Gerichtspredigt, 145.
46 Vgl. zum Folgenden außer VOLZ, Eschatologie, 272ff., vor allem die neueren Unter-
suchungen von REISER, Gerichtspredigt, Iff.; BRANDENBURGER, Gerichtskonzeptio-
nen, 307ff.; K. MÜLLER, Gott als Richter, 30ff.; ZAGER, Gottesherrschaft, 53ff.

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366 Michael Wolter

2. Unterscheiden lassen sich zwei Gerichtstypen: 4 7


2.1. Das sog. Vernichtungsgericht (die Verwendung der Metapher „Ge-
richt" ist in diesem Zusammenhang eigentlich irreführend) 4 8 : E s handelt
sich hierbei um ein eschatisches Vernichtungshandeln Gottes an seinen
und seines Volkes Feinden, das unter Anknüpfung an die alten Jahwe-
Kriegs-Traditionen beschrieben werden kann. Als Beispiele angeführt
werden können Sach 14; AssMos 1 0 , 1 - 1 0 ; 1 Q M 1 2 , 3 - 1 6 oder - wegen
seiner N ä h e zu Lk 3,7 par. Mt 3,7 vielleicht nicht ganz uninteressant -
äthHen 9 0 , 3 - 5 4 9 :

„Und nun sage ich euch Menschenkindern: όργή μεγάλη gegen euch und eure
Söhne! Dieser Zorn wird nicht von euch ablassen bis zur Zeit der Niedermetze-
lung eurer Kinder. Und verderben werden die von euch Geliebten und sterben die
von euch Geehrten aus jedem Land [...], denn es gibt für sie von jetzt an keinen
Fluchtweg wegen der όργή, ήν ώργίσθη ΰμΐν der König der Ewigkeiten. Denkt
nicht, daß ihr diesem (ταΰτα) entfliehen werdet."

Ausgerichtet ist dieses „Gericht" ursprünglich am Gegenüber von Israel


und den Heiden und dann später am Gegenüber von Sündern und Ge-
rechten innerhalb Israels. Es wird so vollzogen, daß von ihm immer nur
die Heiden bzw. die Sünder betroffen sind, nie hingegen das Gottesvolk
selbst bzw. die Gruppe der Gerechten und F r o m m e n . W e n n dieser Ge-
richtstyp beschrieben wird, so wendet er sich immer nur gegen die empi-
risch identifizierbaren „Anderen", niemals gegen die Gruppe, der derjeni-
ge angehört, der von ihm spricht. Im Gegenteil: Israel resp. die Gruppe
der F r o m m e n und Gerechten bzw. die Gruppe derjenigen, die dieses Ge-

47 Vgl. zum Folgenden vor allem K. M Ü L L E R , Gott als Richter, 38ff. - E. BRANDENBUR-
GER (Gerichtskonzeptionen, 306ff.), der als erster den Versuch einer Unterscheidung
zwischen „Grundtypen und Funktionen von Gerichtskonzeptionen" (ebd., 306)
machte, meinte vier Gerichtstypen voneinander unterscheiden zu können: „das Erlö-
sungs- oder Heilsgericht", „das Vernichtungsgericht", „das Rechtsverfahren vor dem
Richterthron" und „das universale Weltgericht". Demgegenüber hat M Ü L L E R (Gott
als Richter, 40f.) mit Recht darauf hingewiesen, daß das „Erlösungs- oder Heils-
gericht" kein eigener Gerichtstyp ist, sondern als ein integraler Bestandteil des sog.
„Vernichtungsgerichts" gelten kann. Ebensowenig ist auch das „universale Welt-
gericht" ein eigener Gerichtstyp: Mt 25,31-46 ζ. B., wo BRANDENBURGER diesen
Gerichtstyp beschrieben sieht (Gerichtskonzeptionen, 314), schildert in geradezu
idealtypischer Weise ein forensisches Verfahren vor dem Thron des Richters. B R A N -
DENBURGER kommt zu seinem Katalog, weil er inkommensurable Paradigmen mitein-
ander verquickt. Wenn man methodisch konsequent ausschließlich nach dem Gesche-
hensablauf fragt, in dem die Texte Gottes eschatisches Gerichtshandeln Gestalt
gewinnen sehen, lassen sich lediglich zwei Gerichtstypen unterscheiden.
48 Siehe auch K. MÜLLER, Gott als Richter, 33.
49 Text bei BLACK, Apocalypsis Henochi Graece, 37.

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 367

rieht beschreiben, sehnen sich nach diesem Gericht, weil es ihnen nichts
als Rettung und Befreiung von Unterdrückung und Verfolgung bringt.
Wichtig ist noch: Dieses Vernichtungshandeln Gottes ist integraler Be-
standteil der Erwartung der universalen Durchsetzung von Gottes Kö-
nigsherrschaft, die zu einer heilvollen Restitution seiner SchöpfungsOrd-
nung führen wird. Konstitutiv für beides ist vor allem das Element der
Theophanie.

2.2. Das forensisch ausgerichtete Verfahren vor dem Thron des Richters, wie
es z. B. in äthHen 62 geschildert wird: Dieses Verfahren dient jedoch
weder der Urteilsfindung noch hat es einen offenen Ausgang. Sein Zweck
ist vielmehr ausschließlich die Zuweisung von Heil und Unheil, deren
Verteilung schon vorher feststeht.50 Auch dieser Gerichtstyp ist gruppen-
orientiert: Entweder müssen nur die Sünder vor ihm erscheinen, damit
sie ihre Verurteilung, d. h. die Zuweisung von eschatischem Unheil,
entgegennehmen, oder - wenn denn auch die Gerechten vor dem Thron
des Richters auftreten - , dann tun sie dies ebenfalls nur als Gruppe und
ausschließlich zu dem Zweck, das eschatische Heil zugesprochen zu be-
kommen.

3. Beiden Gerichtstypen ist gemeinsam, daß Gottes Gerichtshandeln im-


mer als integraler Bestandteil seines Heilshandelns verstanden wird. Dieser
Heilscharakter des Gerichts kommt vor allem darin zum Ausdruck, daß
es über die Feinde Gottes und seines Volkes sowie über die Sünder und
Frevler Unheil und Vernichtung bringt. Es ist darum unmöglich, beides
auseinander zu dividieren, und aus diesem Grunde ist es auch nicht sach-
gemäß, wenn immer wieder gesagt wird, „Gericht" und „Heil" seien „zwei
Seiten" von Gottes eschatischem Handeln51 - etwa die dunkle und die
helle Seite oder Vorder- und Rückseite. Gericht und Heil stehen vielmehr
immer auf ein und derselben Seite: Die Vernichtung und Verurteilung der
Sünder, das Unheil, das Gottes Gericht über die Frevler und Gottlosen
bringt, ist vor allem aber auch darum nichts anderes als ein Heilsgesche-
hen, weil es die Verlorenheit des Heilsvolkes und der Gerechten in Heil
transformiert. Der Richter handelt als Retter und umgekehrt; das Richten
und das Retten Gottes sind „Korrelate" ein und desselben Handelns

50 Vgl. auch REISER, Gerichtspredigt, 147: „Niemals hat das Gericht den Charakter einer
Untersuchung, um Sünder und Gerechte zu bestimmen; ihre Sonderung ist immer
schon vorausgesetzt.
51 So z. B. GNILKA, Jesus von Nazaret, 157; THEISSEN/MERZ, Jesus, 2 4 1 ; ZAGER, G o t -
tesherrschaft, 105.

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368 Michael Wolter

Gottes. 52 Das Gericht ist darum auch nicht lediglich die „Voraussetzung"
des Heils oder ein „notwendiger Schritt auf dem Weg zum Heil" 53 , son-
dern es ist der Vorgang, mit dem Gott seine heilvolle Schöpfungsordnung
eschatisch aufrichtet und sie gegen alles ihr Entgegenstehende durchsetzt:
Gottes GmcAishandeln ist Hez/shandeln.

4. Übertragen wir diese Ergebnisse nun auf Johannes und Jesus, kann
man sagen, daß Johannes offenbar mit dem erstgenannten Gerichtstyp,
d. h. mit dem sog. „Vernichtungsgericht" rechnete, obwohl angesichts
der Kargheit der Textüberlieferung (als Quellen stehen ja lediglich Lk
3,7-9.16-17 par. Mt 3,7-12 zur Verfügung) gegenüber vorschnellen Ur-
teilen Vorsicht geboten sein sollte. Gleichwohl darf man aber wohl die
Rede von der μέλλουσα οργή (Lk 3,7 par. Mt 3,7) und den Rückgriff auf
die Feuer-Metapher (Lk 3,9.16.17 par. Mt 3,10.11.12) als zuverlässige In-
dizien dafür nehmen, daß bei Johannes dieser Gerichtstyp zumindest im
Vordergrund stand.54 Für Jesus sind demgegenüber beide Gerichtstypen
belegt: Lk 13,1-5 und 17,26-30 scheinen die Erwartung eines Vernich-
tungsgerichts vorauszusetzen, während ζ. B. in Lk l l , 3 1 f . par. Mt 12,41f.
eindeutig die Situation eines forensischen Gerichts vor dem Thron des
Richters vor Augen steht.
Diese Differenz - wenn es sie denn überhaupt gegeben haben sollte -
ist jedoch nur von nachgeordneter Bedeutung, denn in bezug auf den pro-
positionalen Gehalt der Gerichtserwartungen von Johannes und Jesus läßt
sich kein Unterschied ausmachen. Beide stehen in ungebrochener Konti-
nuität zum gerichtseschatologischen Grundwissen ihres kulturellen Kon-
textes, und diese Ubereinstimmung reicht völlig aus, um das Profil ihrer
beider Gerichtserwartungen zu beschreiben: Gott wird in Kürze mit Hilfe
eines endgültigen Gerichtshandelns seine universale Heilsordnung auf
Erden durchsetzen. Dieses Gericht hat keinen offenen Ausgang, sondern
es wird eine Zuweisung von Heil und Unheil vornehmen, über deren
Verteilung bereits in der Gegenwart entschieden wird. Kriterium für diese
Verteilung - und auch in dieser Hinsicht gibt es zwischen dem Täufer und
Jesus keinen Unterschied in der Geüchtskonzeption - ist die Reaktion auf
die jeweilige Verkündigung: Wer sie annimmt, wird auf der Heilsseite zu
stehen kommen, wer das nicht tut, auf der Unheilsseite. 55

52 JANOWSKI, Art. Gericht Gottes, 733; s. auch ASSMANN/JANOWSKI/WELKER, Richten


und Retten; WEISER, Gerichtsgleichnisse, 68.
53 So MERKLEIN, Gericht und Heil, 64.
54 Vgl. auch BRANDENBURGER, Gerichtskonzeptionen, 3 1 2 ; DERS., Art. Gericht Gottes,
469,14ff.
55 Vgl. zu dieser Differenzierung gleich im folgenden.

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.Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 369

Wenn wir Jesus und Johannes von ihrem kulturellen Kontext und dem
in ihm in Geltung stehenden überindividuellen gerichtseschatologischen
Grundwissen her in den Blick nehmen, erweist es sich darum als viel zu
oberflächlich geurteilt, wenn ihrer beider Ankündigungen des andringen-
den Gerichts Gottes - sei es nun in Gestalt eines Vernichtungsgerichts
oder in Gestalt eines forensischen Verfahrens - schon als solche einfach-
e n mit der Ankündigung von Unheil gleichgesetzt werden. Aus diesem
Grunde fällt auch die undifferenzierte Rede vom „dunklen Gerichtspredi-
gerjesus" 5 ' hinter die in den letzten Jahren neu gewonnene Einsicht in die
Einbettung Jesu in das Judentum seiner Zeit57 zurück, denn sie verdankt
sich eher den überkommenen christlichen Sprachgewohnheiten als einer
traditionsgeschichtlich differenzierten Wahrnehmung frühjüdischer Ge-
richtserwartungen.

Damit ist freilich noch nicht alles gesagt, denn in der vorstehenden Dar-
stellung haben wir lediglich eine systematisierende Außenperspektive be-
zogen und das gemeinsame gerichtseschatologische Grundwissen Johan-
nes des Täufers und Jesu gewissermaßen ausschließlich sub specie Dei in
den Blick genommen. Die Nötigung zu einer Differenzierung ergibt sich,
wenn wir ihre Gerichtsaussagen vor dem Hintergrund ihrer jüdischen
Umwelt sub specie hominum in den Blick nehmen. Dies findet seine leicht
nachvollziehbare Begründung darin, daß mit Gottes weltordnendem Ge-
richtshandeln für die von ihm betroffenen Menschen ein unterschiedliches
Geschick einhergeht: Den einen wird Heil und Rettung zugewiesen, den
anderen - und auch dies ist Bestandteil von Gottes eschatischem Heils-
handeln - Vernichtung und Unheil. Sub specie hominum ist darum ent-
scheidend, wer auf welcher Seite zu stehen kommt.
Darüber hinaus ergibt sich diese Nötigung aber auch daraus, daß wir
bisher lediglich nach dem für Johannes und Jesus vorauszusetzenden
gerichtseschatologischen Grundwissen gefragt haben. Dabei ist unberück-
sichtigt geblieben, daß die sprachliche Realisierung solchen Wissens im-
mer auch ein Kommunikationsgeschehen ist und daß überindividuelle
GerichtsVorstellungen und die situationsbezogene aktuelle Rede von ihnen
voneinander zu unterscheiden sind. Das soll nun nachgeholt werden.

56 So U . L u z in seinem Geleitwort zur Untersuchung von CH. RINIKER (Gerichtsver-


kündigung, 7).
57 Vgl. dazu z. B. VERMES, Jesus der Jude; CHARLESWORTH, Jesus within Judaism; SAN-
DERS, Jesus and Judaism.

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370 Michael Wolter

IV. Gerichtspragmatik: Die Funktion der Rede vom Gericht

Die Gericht saus sagen bei Johannes und Jesus werden in der Regel immer
nur auf ihren propositionalen Gehalt hin befragt. Dies hat seinen Grund
darin, daß sie immer nur als an die Öffentlichkeit gerichtete Mitteilungen
eschatologischer Erwartungen interpretiert werden. Die Einordnung in
diesen Kontext hat zur Folge, daß die Gerichtsaussagen als Bestandteile
einer protreptischen Rhetorik aufgefaßt werden, deren Intention sich dar-
auf richtet, die jeweiligen Adressaten in ihrer Existenzorientierung zu
verunsichern und zu destabilisieren.58 Ein Indiz dafür ist die verbreitete
Rede von der „Gerichtspredigt", der „Gerichtsbotschaft" oder der „Ge-
richtsVerkündigung" Jesu und des Täufers.
Diese Wahrnehmung ist freilich noch zu oberflächlich, denn sie läßt
das pragmatische Potential, das dem Reden vom Gericht Gottes inne-
wohnen kann, weithin unbeachtet. Ansätze für eine Interpretation, die die
pragmatische Tiefenstruktur der Gerichtsaussagen demgegenüber sehr
viel sachgerechter zu Geltung bringt, finden sich bereits bei E. BRAN-
DENBURGER59: Er betont völlig zu Recht, daß für das Verständnis von
„Gerichtskonzeptionen" „entscheidend ist [ . . . ] , wie und wozu sie ange-
wendet werden und was [ . . . ] sie „im Rahmen jeweils unterschiedlicher,
theologisch anders wahrzunehmender typischer Situationen und Funk-
tionen prägt". 60 Dies führt ihn dann zu einer Unterscheidung zwischen
einem ,,prophetisch-eschatologische[n]" und einem „apokalyptische [n]
Gerichtsverständnis" 61 . Letzteres habe „die Funktion, die Religionsge-
meinschaft angesichts tiefer Krisenlagen zum Durchstehen der über-
kommenen Gottesverehrung zu stabilisieren".62 Demgegenüber seien die
prophetischen Gerichtskonzeptionen „von der Wahrnehmung verfehlten,
nichtigen Existierens [geleitet]"; in ihnen würden darum „Mensch und
Welt und deren konkreter Wandel vor Gott kritisch in Frage gestellt".63
In dem einen Fall hat die Rede vom Gericht demnach vergewissernde
Funktion, in dem anderen Fall dient sie der Verunsicherung. Auch wenn

5' Erkennbar wird dies an der durchgängigen Verknüpfung der Gerichtsaussagen Jesu
und des Täufers mit der Umkehrforderung. Im Blick sind damit auch diejenigen In-
terpretationen der jesuanischen Gerichtsankündigung, die „Gericht" als Unheilsfolge
der Ablehnung des Heils verstehen (s. oben bei Anm. 27-29): Ihnen wird eine Prag-
matik unterstellt, die auf die „Umkehr" von der Abweisung der Heilsverkündigung
Jesu abzielt; vgl. z. B. MERKLEIN, Umkehrpredigt, 122.
59 Gerichtskonzeptionen, 32Iff.

40 Ebd., 329.

61 Ebd., 321.

62 Ebd., 332.

63 Ebd.

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 371

BRANDENBURGERS Terminologie partiell irreführend ist - statt von


„GerichtsVerständnis" oder „Gerichtskonzeptionen" wäre besser von
„Gerichtsrede" zu sprechen, weil „Gerichtsverständnis" und „Gerichts-
konzeptionen" in beiden Fällen dieselben sind und nur ihr Gebrauch un-
terschiedlich ist - , hat er doch den Weg zu einer wichtigen Differenzie-
rung gewiesen, die eigentlich banal ist, jedoch in der Literatur zu unserem
Thema eine erstaunlich geringe Rolle spielt: daß nämlich die Adressaten-
und Hörerorientierung64 derjenige Parameter ist, der allererst über den
Sinn und die Funktion von Gerichtsaussagen entscheidet. Anders gesagt:
Für die Frage, welche Erwartung dem Gericht Gottes entgegengebracht
wird, ist nicht die Vorstellung von Gottes Gerichtshandeln entscheidend,
sondern die Rede von ihm, weil von ein und denselben Gerichtsvorstel-
lungen je nach Kommunikationssituation und Adressatenorientierung in
funktionaler Hinsicht ein ganz unterschiedlicher, ja völlig gegensätzlicher
Gebrauch gemacht werden kann. Hierbei spielt der gegen Ende des vor-
angegangenen Abschnitts angesprochene doppelte Ausgang von Gottes
zukünftigem Gerichtshandeln, der sub specie hominum in den Blick
kommt65, unmittelbar in die Gegenwart hinüber, denn als Adressaten der
Rede vom Gericht können sowohl diejenigen fungieren, die nach der
Uberzeugung des Autors der Gerichtsrede Heil erwarten dürfen (sie wer-
den dementsprechend ihrer gegenwärtigen Existenzorientierung verge-
wissert und zur Standhaftigkeit ermahnt), als auch diejenigen, denen Un-
heil droht (sie werden ob ihrer Existenzweise kritisiert und zur Umkehr
aufgefordert).
In diesem Sinne wurde dann auch längst gesehen, daß die Gerichtsaus-
sagen in der apokalyptischen Literatur in der Tat nichts anderes als Heils-
aussagen sind, weil die intendierte Adressatenschaft der Apokalypsen
nämlich aus der Gruppe der Frommen und Gerechten besteht, denen die
Gewißheit vermittelt werden soll, daß Gott ihr gegenwärtiges Unheils-
geschick mit Hilfe der Vernichtung der Sünder und Frevler im Endgericht
in Heil verwandeln wird.66 Dementsprechend sollen die apokalyptischen
Gerichtsankündigungen von ihren intendierten Adressaten nicht als
Drohworte, sondern als Worte der Verheißung und der Vergewisserung
gelesen werden. Es verwundert darum auch nicht, daß den massiven
Gerichtsankündigungen zu Beginn des Wächterbuches (äthHen 1-36) als
Rezeptionsanweisung für die Leser die Uberschrift „Das Segenswort
Henochs, wie er die Auserwählten und Gerechten segnete, die am Tage

64 Zur Unterscheidung von „Adressaten" und „Hörern" s. u. Anm. 68.


65 Siehe oben S. 369.
66 Vgl. z. B. BRANDENBURGER, Gerichtskonzeptionen, 324f.; COLLINS, Apocalyptic
Imagination, 3if.

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372 Michael Wolter

der Bedrängnis dasein werden, damit alle Bösen und Frevler vertilgt wer-
den" vorangestellt wird (äthHen 1,1). 6 7
Die Übertragung dieser situationsbezogenen und pragmatischen Diffe-
renzierung der Gerichtsaussagen auf die Johannes- und die Jesusüberliefe-
rung stellt uns jedoch vor erhebliche, wenn nicht unüberwindbare Schwie-
rigkeiten. Dies hat seinen einfachen Grund darin, daß wir die synoptische
Wort-Uberlieferung nur in einem narrativen Aggregatzustand vorliegen
haben und wir darum in keinem einzigen Fall mit Sicherheit sagen kön-
nen, ob die in den Evangelien erzählten Adressaten und/oder H ö r e r der
Gerichtsworte Jesu und des Täufers mit den jeweiligen histonschen Adres-
saten und/oder H ö r e r n identisch sind. 68 F ü r eine Fragestellung, die die
pragmatische Funktion der Gerichtsaussagen von ihrer Adressatenorien-
tierung her ermitteln will, ist das einerseits natürlich fatal. Andererseits
nötigt uns diese Ungewißheit aber auch dazu, in jedem Einzelfall immer
auch eine Gegenprobe durchzuführen und danach zu fragen, ob auch eine
andere als die erzählte Adressatenorientierung möglich ist. Kann diese

67 Übers. UHLIG, Henochbuch, z. St.; in der griechischen Fassung lautet die Über-
schrift: λόγος ευλογίας Ένώχ, καθώς εύλόγησεν έκλεκτούς δικαίους οϊτινες
έσονται εις ήμέραν ανάγκης έξάραι πάντας τούς εχθρούς, και σωθήσονται
δίκαιοι.
68 Daß zwischen „Adressaten" und „Hörern" zu unterscheiden ist, wissen wir aus der
Rezeptionsforschung (vgl. ζ. B. LINK, Rezeptionsforschung, 16ff.): Unter „Adressa-
ten" verstehe ich hier diejenige produktionshermeneutische Größe, die der Autor ei-
nes Textes als intendierte Hörer oder Leser voraussetzt. Die Begriffe „Hörer" oder
„Leser" sollen im folgenden ausschließlich den sog. realen Hörern oder Lesern vorbe-
halten bleiben, d. h. solchen Menschen, die den Text tatsächlich hören bzw. lesen und
rezeptionshermeneutisch deuten, ob sie nun zu den „Adressaten" gehörten oder
nicht. Innerhalb der erzählten Welt wird eine solche Unterscheidung ζ. B. in Lk 16
vorgenommen: Als „Adressaten" des Gleichnisses vom klugen Verwalter und seiner
Deutung (V. 1 b—13) nennt Lukas die Jünger (V. la); als „Hörer" in dem beschriebe-
nen Sinne führt er dann auch die Pharisäer in die Erzählung ein (V. 14). Im Blick auf
die besprochene Welt wäre hier noch einmal zu unterscheiden zwischen den erzählten
Adressaten (d. h. den Jüngern), den intendierten Adressaten (d. h. denjenigen Chris-
ten, von denen Lukas sein Evangelium gelesen wissen wollte), den erzählten Hörem
(d. h. die Pharisäer) und den realen Lesern oder Hörern (d. h. denjenigen Menschen,
die die Jüngerunterweisung bis auf den heutigen Tag tatsächlich lesen oder hören);
zur Unterscheidung von „erzählter" und „besprochener" Welt vgl. WEINRICH, Tem-
pus. - Auf der historischen Ebene ist eine solche Unterscheidung im Einzelfall exege-
tisch natürlich unkontrollierbar; wir können lediglich postulieren, daß es möglich bis
wahrscheinlich ist, daß ζ. B. an die Öffentlichkeit .adressierte' Worte Jesu und des
Täufers auch von ihren jeweiligen Anhängern .gehört' wurden und daß diese das Ge-
hörte mit einer durchaus anderen pragmatischen Deutung versahen als die „Adressa-
ten". - Noch einmal eine andere Frage ist die Unterscheidung zwischen den fiktiven
und den intendierten Adressaten (s. dazu unten Abschnitt IV. 1.3).

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 373

Frage bejaht werden, muß sich daran sofort die Frage nach den Konse-
quenzen für die Pragmatik des jeweiligen Gerichtswortes anschließen.

Als Beispiel für die Leserlenkung, die die Quellen der synoptischen Uberlieferung mit
Hilfe der Adressatenorientierung vornehmen, lassen sich die unterschiedlichen Fassun-
gen der Beschreibung des Unterschieds zwischen Johannes dem Täufer und dem kom-
menden ισχυρότερος in M k 1,8 diff. Lk 3,16 par. Mt 3,11 anführen. Es gibt zwei Diffe-
renzen, auf die es in diesem Zusammenhang ankommt, weil sie miteinander
korrespondieren:
(a) Johannes spricht von seiner eigenen Tauftätigkeit bei Markus im Aorist (έγώ
έβάπτισα υμάς ϋδατι, 1,8a), während die bei Lukas und Matthäus überlieferte Q -
Fassung das Präsens verwendet (έγώ μέν υμάς βαπτίζω έν ΰδατι, Lk 3,16b par. Mt
3,11a) 6 '.
(b) Nach Mk 1,8b tauft „der Stärkere" nur „mit heiligem Geist" (έν πνεύματι άγίφ),
bei Lukas und Matthäus „mit heiligem Geist und Feuer" (έν πνεύματι άγίω και πυρί).
In der neueren Literatur wird der Aorist bei Markus einmütig als redaktionelle Ände-
rung erklärt, während umstritten ist, ob die Formulierung έν πνεύματι άγίω και (α) von
Matthäus und Lukas aus M k 1,8b in die Q-Fassung des Logions eingetragen wurde, die
dementsprechend nur davon gesprochen habe, daß der „Stärkere" έν πυρί taufen wird70,
ob (ß) die Verknüpfung von „(heiligem) Geist und Feuer" durch Q vorgenommen wur-
de, während Johannes selbst nur von der Feuertaufe gesprochen habe", oder ob (γ) be-
reits Johannes selbst angekündigt habe, daß „der Stärkere" „mit (heiligem) Geist und
Feuer" taufen wird 72 . 73
In der Diskussion keine Rolle spielt erstaunlicherweise die Frage nach den Adressa-
ten dieses Wortes: Auf wen verweist das Pronomen ΰμάς in Mk l,8a.b und in Q 3,16b.e
innerhalb des jeweiligen Kontextes? Wen lassen die beiden Erzähler den Täufer mit die-
ser Proform anreden? D e r Unterschied ist nicht zu übersehen:"
Markus stellt in 1,5 das Wirken des Täufers als eine Erfolgsgeschichte dar, indem er
mit Hilfe zweier durativer Imperfekte (έξεπορεύετο und έβαπτίζοντο) die positive Re-
sonanz beschreibt, die Johannes zuteil wurde: „Das ganze Land Judäa und alle Jerusale-

" εις μετάνοιαν in M t 3,11 ist mit großer Wahrscheinlichkeit redaktionelle Ergänzung
durch den Evangelisten.
70 So z. B. MANSON, Sayings, 40f.; SCHULZ, Q , 368; HOFFMANN, Studien, 30f.
71 So z. Β. v. DOBBELER, Gericht, 49ff.; ERNST, Johannes der Täufer, 53f.; FLEDDER-
MANN, Mark and Q , 35 sowie jetzt auch The Critical Edition of Q , 14f.
72 So z. B. DUNN, Spirit-and-Fire Baptism, mit einem ausführlichen Referat älterer Posi-
tionen; LANG, Erwägungen, 466ff.; BÖCHER, Johannes der Täufer, 71; WEBB, John the
Baptizer and Prophet, 272ff.; ZAGER, Gottesherrschaft, 13lf. - Mit Recht nicht
durchgesetzt hat sich die Interpretation von πνεΰμα als „Sturm" oder „Wind" (so
z. B. SAHLIN, Studien, 50ff.; SCHWEIZER, Art. πνεΰμα κτλ., 396f.; BEST, Spirit-
Baptism; zur Kritik vgl. REISER, Gerichtspredigt, 156).
73 Noch einmal anders LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 107ff., der die bereits früher
vertretene Auffassung erneuert, derzufolge der historische Täufer „nur" von einer
Geisttaufe durch den kommenden Stärkeren gesprochen habe (vgl. auch ebd., 101 mit
Anm. 54 [S. 413]).
74 Vgl. auch schon SATO, Q und Prophetie, 127.

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374 Michael Wolter

mer kamen heraus zu ihm und ließen sich von ihm im Jordanfluß taufen, wobei sie ihre
Sünden bekannten". Sie sind es, d. h. diejenigen, die sich der „Taufe der Umkehr zur
Vergebung der Sünden" (V. 4) unterzogen haben, die Markus damit zu den mit ύμάς in
V. 8 Angesprochenen macht. Dadurch bekommt nicht nur der Aorist έβάπτισα seinen
guten Sinn75, sondern auch die Ankündigung, daß der „Stärkere" eben sie „mit heiligem
Geist" taufen wird: Markus macht die Ankündigung des Täufers damit zu einem Verhei-
ßungswort an die von ihm Getauften, das diese ihres zukünftigen Heils vergewissern
will, und er bringt damit zum Ausdruck, daß die Uberbietung der Wassertaufe des Täu-
fers durch die Geisttaufe des „Stärkeren" nicht als Ablösung zu verstehen ist, sondern
Kontinuität impliziert.76
Demgegenüber setzt die Logienquelle eine ganz andere Konstellation voraus:77 Sie be-
steht aus dem Gegenüber von Johannes und Angehörigen einer noch unentschiedenen
Öffentlichkeit, die Umkehr und Taufe noch nicht absolviert haben und darum noch da-
zu gebracht werden müssen (vgl. Q 3,8: ποιήσατε ου ν καρπόν άξιον της μετανοίας) 78 .
Ihre Bezeichnung als γεννήματα έχιόνών (Q 3,7b) läßt deutlich erkennen, daß sie sich
noch in einer Situation befinden, in der ihnen - wenn sie sie nicht ändern - künftige
Vernichtung droht. Darüber hinaus steckt auch in der rhetorischen Frage τίς ύπέδειξεν
φυγείν άπό της μελλούσης όργής (V. 7) und in der Bestreitung des Nutzens ihrer
Abrahamskindschaft (Q 3,8b-d) ein propositionaler Gehalt, der die Adressaten der Rede
des Täufers in eindeutiger Weise qualifiziert: Ihnen wird eine Daseinsgewißheit zuge-
schrieben, der Gott die Basis entzogen hat und die darum als völlig unbegründet entlarvt
werden kann. Auf diese Adressaten referiert das zweifache υμάς in Q 3,16b.e, und das
hat mehrere Konsequenzen: Zunächst kann aufgrund der semantischen und pragmati-
schen Kohärenz der gesamten Rede zuverlässig davon ausgegangen werden, daß in Q
3,16e nur von einer Feuertaufe gesprochen wurde und die Geisttaufe durch Matthäus
und Lukas aus Mk 1,8 übernommen wurde. Darüber hinaus läßt sich aber auch die be-
sondere Akzentuierung verständlich machen, mit der das Präsens βαπτίζω die Selbstaus-
sage des Täufers in 3,16b versieht: Es charakterisiert die Eigenart der Taufe des Johannes

75 In der Regel wird angenommen, Markus wolle mit Hilfe des Aorists den Täufer zum
Ausdruck bringen lassen, daß seine Wassertaufe „ihre Gültigkeit verloren hat" (ZA-
GER, Gottesherrschaft, 129; s. auch v. DOBBELER, Gericht, 53). Diese Interpretation
geht jedoch mit Sicherheit am Aussagewillen des Textes vorbei, denn in der erzählten
Welt ist der Täufer, als er diese Worte spricht, ja noch aktiv; Jesus ist noch gar nicht
auf dem Plan und muß sogar erst selbst noch von Johannes getauft werden. Darüber
hinaus scheitert diese Deutung allein schon an der Ankündigung ε ρ χ ε τ α ι . . . οπίσω
μου (Mk 1,7), die das Kommen des ισχυρότερος als einen Vorgang kennzeichnet, der
vom Standpunkt des erzählten Sprechers aus gesehen noch in der Zukunft liegt.
76 Man kann darum auch nicht sagen, daß Markus einen „Gegensatz" von Wasser- und
Geisttaufe konstruiert (so z. B. KLOSTERMANN, Markusevangelium, 7; s. auch HOFF-
MANN, Studien, 21).
77 In Mt 3,7 sind die „Pharisäer und Sadduzäer" als Adressaten der Rede des Täufers si-
cher redaktionell; ob δχλοις (Lk 3,7a) in Q stand, ist unsicher. Nicht zu Q gehörten
auch die sog. „Standespredigt" (Lk 3,10-14) und die Exposition des Vergleichs zwi-
schen Johannes und dem ισχυρότερος (Lk 3,15-16a), bei der es sich um eine redak-
tionelle Uberleitung handeln dürfte.
78 Der Plural καρπούς άξιους (Lk 3,8) wird lukanisch sein und auf die Forderungen der
Standespredigt vorausweisen.

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 375

im Gegenüber zur Eigenart der Taufe des „Stärkeren" und hat die Funktion, die Was-
sertaufe als eine Alternative zur Feuertaufe darzustellen und damit unter den von der
Vernichtung Bedrohten für sie zu werben: Die Wassertaufe eröffnet die Möglichkeit,
dem Unheilsgeschick der Feuertaufe 7 ' zu entgehen. 80

Anhand von drei weiteren Beispielen soll zunächst die Eindeutigkeit bis-
heriger Interpretationen von Gerichtsaussagen problematisiert werden
(mehr nicht!). In einem zweiten Schritt will ich dann versuchen, mit Hilfe
einer Typologie potentieller kommunikativer Konstellationen Parameter
für eine adressaten- und hörerorientierte Interpretation der jesuanischen
Gerichtsaussagen zu gewinnen.

1. Nehmen wir zunächst drei exemplarische Problematisierungen vor:

1.1. Als erstes Beispiel sei noch einmal die Q-Fassung der in Lk 3,7-9.16-
17par. Mt 3,7-12 überlieferten sog. „Gerichtspredigt" Johannes des Täufers
in den Blick genommen. Sie wird in der Regel so interpretiert, als hätte sie
ein und denselben Adressatenkreis, nämlich die in V. 7 als γεννήματα
έχιδνων angesprochene Zuhörerschaft, die Johannes vom Feuergericht
bedroht sieht und der er seine Taufe im Jordan als Möglichkeit anbietet,
dem andringenden Unheil zu entgehen. So hat sich das ganz offensicht-
lich auch schon die Redaktion der Logienquelle vorgestellt, weil es im
Text kein Indiz für einen Adressatenwechsel gibt. Auch in unseren deut-

7 ' Eigentlich ist die Verwendung der Begriffe „taufen" und „Taufe" im Vorstehenden
sowie in der Diskussion um das Selbstverständnis Johannes des „Wäschers" oder des
„Eintauchers" (so müßten wir eigentlich übersetzen) generell anachronistisch, weil sie
die mit dem christlichen Taufritual verbundene Semantik in die Zeit des Johannes zu-
rückprojiziert. Die geläufige Übersetzung verdeckt, daß βάπτω, βαπτίζω für „eintau-
chen" oder „waschen" steht und darum nicht mit den am Begriff „taufen" etc. haften-
den Konnotationen aufgeladen werden darf (vgl. z. B. Josephus, Bell. I 437; Vita 15;
zur Bezeichnung von rituellen Reinigungen z. B. 2Kön 5,14; Jdt 12,7). Die Formulie-
rung βαπτίζειν έν πυρί ist insofern nicht mehr als eine metaphorische Analogie-
bildung zu dem, was Johannes tut: Wie er jetzt in Wasser taucht, wird der kommende
Stärkere in Feuer tauchen. Nicht vergessen werden sollte auch, daß der Begriff
βαπτιστής in der gesamten außerchristlichen griechischen Literatur nur noch bei
Josephus, Ant. X V I I I 116 belegt ist - und hier ebenfalls unseren Johannes bezeichnet
(Johannes ό επικαλούμενος βαπτιστής).
80 Zur Korrelation von Wasser und Feuer als Reinigungsmittel (die Zerstörungsfunktion
des Feuers darf von diesem Gebrauch nicht getrennt werden!) vgl. z. B. Num 31,23:
„ [ . . . ] alles, was Feuer verträgt, sollt ihr durchs Feuer gehen lassen, so wird es rein;
[ . . . ] aber alles, was Feuer nicht verträgt, sollt ihr durchs Wasser gehen lassen"; s. auch
Plutarch, Mor. 263e: τό πυρ καθαιρεί και τό ΰ δ ω ρ άγνίζει.

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376 Michael Wolter

sehen Bibelübersetzungen steht durchweg „Die Bußpredigt des Täufers" 81


o. ä. über diesem Textzusammenhang. - Nun hat jedoch die Q-Forschung
längst plausibel machen können, daß wir hier nicht einen zusammenhän-
genden Redetext vorliegen haben (von einer „Predigt" 82 ganz zu schwei-
gen - an dieser Formulierung sieht man im übrigen auch, welches Kom-
munikationsmodell die Textinterpretation unterschwellig leitet), sondern
eine kleine Sammlung von Einzellogien, deren Herkunft und Situations-
bezug im einzelnen offen ist.83 Damit wird aber auch die Annahme frag-
lich, alle diese Logien hätten ursprünglich ein und denselben Adressaten-
und Hörerkreis gehabt84, denn sie setzt die literarische Fiktion ungeprüft
mit der historischen Situation gleich.
Nun sind in der Regel unsere Möglichkeiten, die jeweiligen historischen
Adressaten und Hörer zuverlässig zu identifizieren, zwar ausgesprochen
begrenzt, sie sind aber nicht von vornherein ausgeschlossen. In diesem
Sinne können wir z. B. mit einiger Sicherheit davon ausgehen, daß die hi-
storischen Adressaten der in Q 3,7-8 überlieferten Drohworte aus den
oben genannten Gründen 85 jüdische Männer und Frauen waren, die der
Aufforderung zur Umkehrtaufe noch nicht Folge geleistet hatten. Denk-
bar bis wahrscheinlich ist aber ebenfalls, daß zu den historischen Hörem
dieser Worte neben der Gruppe der Adressaten auch Menschen gehörten,
die die Umkehrtaufe bereits absolviert hatten und zu Anhängern Johan-
nes des Täufers geworden waren, d. h. eben jener Kreis, der uns in Mk 1,8
als literarische Adressaten begegnet 86 . Es ist ohne weiteres vorstellbar, daß
ein solcher Jüngerkreis 87 sich auch nach der Taufe weiterhin in der Umge-
bung des Täufers aufhielt und damit zu Hörern seiner prophetischen
Verkündigung wurde. 88
Wenn wir nun die Adressatenfrage auch in bezug auf die anderen Ein-
zellogien stellen und dabei jeweils eine diese beiden Gruppen - zum einen

81 So z. B. auch noch in der Revision der Übersetzung Martin Luthers von 1984 als
Überschrift zu Mt 3 , 1 - 1 2 .
82 S o z . B . HOFFMANN, S t u d i e n , 1 5 ; v . DOBBELER, G e r i c h t , 6 0 ; REISER, G e r i c h t s p r e d i g t ,
154.
83 Vgl. z. B. KLOPPENBORG, Formation, 102ff.: Mindestens zwei Einheiten seien zu un-
terscheiden: Q 3 , 7 - 9 als "threat of imminent judgment and a call to repentance" und
Q 3 , 1 6 - 1 7 als "apocalyptic prediction concerning a figure who will effect both fiery
judgment and salvation of the elect" (102f.); SATO, Q und Prophetie. 209ff.; WEBB,
John the Baptizer and Prophet, 263.
84 V g l . ζ . Β . v . DOBBELER, G e r i c h t , 64FF.
85 Siehe oben S. 374.
86 Siehe oben S. 373f.
87 Zu seiner Phänomenologie vgl. BACKHAUS, „Jüngerkreise", 326ff.
88 Vgl. dazu die Überlegungen bei WEBB, John the Baptizer and Prophet, 263.

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 377

bereits getaufte Täuferjünger, zum anderen die Öffentlichkeit vor Um-


kehr und Taufe - als Adressaten einsetzen, läßt sich mindestens für das
Bildwort vom Worfeln und dem unterschiedlichen Geschick von Stroh
und Weizen (Q 3,17)89 auch eine andere als die gemeinhin angenommene
Ausrichtung postulieren: Das Bild setzt voraus, daß der nicht erwähnte
Vorgang des Dreschens, der das Korn vom Rest des Getreides trennt, be-
reits erfolgt ist und daß die Adressaten und Hörer dies aufgrund ihrer
kulturellen Enzyklopädie auch wissen. Ihnen wird damit in bezug auf den
zeitlichen Ablauf der Vorgänge, den das Bild in ihrer Imagination aufruft,
eine Position zwischen Dreschen und Worfeln zugewiesen. Ubertragen
auf den Kontext, in dem das Bild sprachlich realisiert wird, verschränken
sich bildspendender und bildempfangender Bereich in der Weise, daß der
Vorgang des Dreschens metaphorisch auf die Johannestaufe und die mit
ihr einhergehende Scheidung unter den Menschen verweist und auf sie
zurückblickt. Was noch aussteht, ist lediglich die eschatische Sanktionie-
rung dieser Scheidung durch die Zuweisung von Heil an die Getauften
und Unheil an die Nichtgetauften.90 Diese Perspektive erlaubt es, Q 3,17
auch als ein Wort zu verstehen, das der Täufer an diejenigen gerichtet hat,
die Umkehr und Taufe bereits hinter sich haben. Es liegt auf der Hand,
daß es dadurch sofort eine ganz andere Ausrichtung bekäme: Es wäre in
diesem Fall als stabilisierendes Trostwort an die Angehörigen des Täufer-
kreises konzipiert, das ihnen als Anhänger eines sozial marginalisierten
und stigmatisierten Propheten die beruhigende Vergewisserung vermit-
teln will, daß die eschatische Sanktionierung ihrer Entscheidung für die
Umkehrtaufe unmittelbar bevorsteht. Ihnen wird in Kürze das Heil zu-
gewiesen, während diejenigen, die sich dem Aufruf des Täufers versagt
haben, „in unauslöschlichem Feuer" verbrannt werden.
Zur Vermeidung von möglichen Mißverständnissen sei noch einmal
betont: Sicherheit ist natürlich nicht zu gewinnen, weder zur einen Seite
hin, aber auch nicht zur anderen. Es ging mir an dieser Stelle lediglich um
die Problematisierung allzu selbstverständlich gewordener exegetischer
Scheingewißheiten, und ich wollte ein Bewußtsein dafür wecken, daß mit
einem sehr viel differenzierteren pragmatischen Potential von Gerichts-
aussagen zu rechnen ist, als in der Regel angenommen wird.

1.2. Als zweites Beispiel kann das Doppelwort über das Auftreten der Köni-
gin des Südens und der Niniviten im Jüngsten Gericht (Lk 11,31-32 par. Mt
12,41-42) fungieren. Es wurde zwar schon in der Logienquelle als sog.

" Nicht die Spreu wird verbrannt, sondern das Stroh (vgl. REISER, Gerichtspredigt,
165)!
90 Vgl. auch WEBB, Activity.

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378 Michael W o l t e r

„Kommentarwort"91 mit dem Wort von der Zeichenforderung „dieses Ge-


schlechts" und dem Zeichen des Jona verknüpft, doch existierte es ur-
sprünglich ebenfalls selbständig.52 Mit Recht gilt dieses Wort, das von
Matthäus und Lukas zwar in unterschiedlicher Reihenfolge, jedoch nahe-
zu wortgleich überliefert wird, fast durchweg als authentische Jesusüber-
lieferung.'3 Dieses Wort reagiert zweifellos auf die weitgehende Ableh-
nung, die Jesus in Israel erfahren hatte. Vor diesem Hintergrund sieht
man es in der Regel als „Drohwort"94 an, dem die pragmatische Funktion
zugeschrieben wird, Israel mit Hilfe eines „letzten, dringlichen Ap-
pell [s]"95 doch noch zur Umkehr zu führen.96 Als Adressaten werden dabei
die Angehörigen „dieses Geschlechts" vorausgesetzt, von denen hier ge-
sagt wird, daß die Königin des Südens und die Niniviten gegen sie im
Endgericht als Belastungszeugen auftreten werden. Als Hörer sind aus
den oben angeführten Gründen97 auch Jünger vorauszusetzen (wer sollte
dieses Wort sonst überliefert haben)? Die exegetische Redlichkeit nötigt
uns freilich dazu, noch einen Schritt weiterzugehen, denn die Annahme,
daß die erzählten Konstellationen (zufolge Mt 12,38 sind Schriftgelehrten
und Pharisäer die Adressaten, zufolge Lk 11,29 offensichtlich Menschen
aus den οχλοι)98 àie faktische Konstellation im Kontext des Wirkens Jesu
abbilden, ist nichts als eine petitio principii. Sie verdeckt nämlich, daß wir
über die pragmatische Situation, der sich dieses Jesuswort verdankt, nicht
das Geringste wissen. Mit nicht geringerem methodischen Recht können
wir darum auch den Kreis der Jünger Jesu als Adressaten dieses Wortes
postulieren, und dann erhält es sofort eine völlig andere Pragmatik: Es
läßt sich dann im Sinne von E. B R A N D E N B U R G E R S „apokalyptischem" Ge-
richtsverständnis99 als ein stabilisierendes Trostwort verstehen, dem die
Intention zukam, die von der weitgehenden Ablehnung Jesu ausgehende

91 Vgl. WANKE, „Bezugs- und K o m m e n t a r w o r t e " , 56ff.


92 Vgl. L u z , Evangelium nach Matthäus II, 2 7 5 .
93 Vgl. dazu die Darstellung mit dem Referat der Gegenpositionen bei RINIKER, Ge-
richtsverkündigung, 296ff. - U m s o unverständlicher ist, daß ZAGER auf eine Einbe-
ziehung dieses Textes in seine Untersuchung ohne jede Begründung verzichtet.
94 Vgl. BULTMANN, Geschichte, 118; L u z , Evangelium nach Matthäus II, 2 7 5 .
95 L u z , ebd.
96 Vgl. REISER, Gerichtspredigt, 2 0 6 ; RINIKER, Gerichtsverkündigung, 2 9 5 . 3 0 0 . Demge-
genüber stellt J. BECKER diese W o r t e n den W e h e - W o r t e n über die galiläischen Städte
in Lk 1 0 , 1 3 - 1 5 par. M t 1 1 , 2 1 - 2 3 an die Seite, in denen er Jesus „eine A r t abschließen-
de Beurteilung" aussprechen sieht (Jesus von Nazaret, 8 2 ) .
97 Siehe oben S. 3 7 6 .
" Beide Evangelisten fingieren damit jeweils dieselben Adressaten wie für die Drohrede
Johannes des Täufers in M t 3,7 bzw. Lk 3 , 7 (s. o. S. 3 7 4 ) .
99 Siehe oben S. 3 7 0 .

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 379

Irritation und Verunsicherung unter seinen Anhängern aufzufangen. Jesus


vermittelte den Jüngern mit diesem Wort die Gewißheit, daß „diese Ge-
neration", die auf seine Verkündigung mehrheitlich anders reagiert hat als
sie, der sicheren Verurteilung im Gericht entgegengeht, und bestätigte
damit nicht nur deren eigene Entscheidung/¿¿r ihn, sondern motivierte sie
auch zum Durchhalten ihrer Heilsorientierung. Zugunsten einer solchen
Interpretation ließe sich darüber hinaus auch die verschiedentlich beob-
achtete Konvergenz dieses Wortes mit der in Lk 10,23-24 par. Mt 13,16-
17 überlieferten Seligpreisung anführen.100 Sie gilt in beiden literarischen
Zusammenhängen den Jüngern (sie!), was jedoch z . B . M . R E I S E R und
J. BECKER nicht daran hindert, als historische Adressaten die jüdische Öf-
fentlichkeit zu postulieren101.

1.3. Das dritte Beispiel, die Wehe-Worte gegen Chorazin und Bethsaida (Lk
10,13-14 par. Mt 11,21-22), läßt die Problematik noch deutlicher hervor-
treten. Trotz ihres performativen Charakters haben sie gewissermaßen
zwei Adressaten, einen fiktiven Adressaten und einen intendierten Adres-
saten, und zwischen beiden ist sorgfältig zu unterscheiden. Illustrieren
läßt sich diese Differenz mit Hilfe der Wehe-Worte, die sich in den letz-
ten Kapiteln des äthiopischen Henochbuches 102 und in den Sibyllinischen
Orakeln103 reichlich finden: Sie richten sich stets (in äthHen) gegen Frev-
ler, Ausbeuter, Gewalttäter und andere Sünder sowie (in OrSib) vor allem
gegen die Bewohner fremder Städte und Länder, und sie reden diese je-
weils auch direkt an. Von diesen fiktiven Adressaten der Wehe-Worte
wird nun aber gerade nicht erwartet, daß sie sie auch lesen, denn für sie
wurden die Schriften, in denen die Wehe-Worte stehen, eben gerade nicht
geschrieben. Als Leser der gesamten Schrift, und damit als intendierte
Adressaten104 der in ihr enthaltenen Wehe-Worte sind vielmehr die Ange-
hörigen derjenigen Gruppe anzusehen, der auch der Verfasser der Schrift
und Autor der Wehe-Worte angehört und die den fiktiven Adressaten der
Wehe-Worte feindlich gegenübersteht. Die Wehe-Worte sind insofern
Bestandteil eines gruppeninternen Kommunikationsgeschehens, und ihre

100 In der Critical Edition wird als Q-Fassung rekonstruiert: „Selig die Augen, die sehen,
was ihr seht . . . Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wünschten zu se-
hen, was ihr seht, und sahen es nicht, und zu hören, was ihr hört, und hörten es nicht"
(196-199).
101 Vgl. BECKER, Jesus von Nazaret, 82; REISER, Gerichtspredigt, 202f.

102 Vgl. äthHen 94,6-8; 95,4-7; 96,4-8; 97,7-8; 9 8 , 9 f . l l - 1 5 ; 9 9 , 1 - 2 . 1 1 - 1 5 ; 100,7-9.

103 Vgl. OrSib III 303.319.323.480.492.504.508.512; IV 143; V 126.168.289.290.317.434;

VII 22.118; VIII 95; X I 33.64.106.183.204.285.


"M Siehe dazu oben Anm. 68.

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380 Michael W o l t e r

Frontstellung gegen die gemeinsamen Gegner gibt ihnen die pragmatische


Funktion, die Kohäsion innerhalb dieser Gruppe zu stärken.
Nichts anderes gilt auch für die Wehe-Worte gegen Chorazin und
Bethsaida (hinzunehmen ließe sich auch noch das Wort gegen Kapernaum
Lk 10,15 par. Mt 11,23): Weil diese Worte überliefert wurden, können wir
voraussetzen, daß sie im Beisein von Anhängern Jesu gesprochen wurden,
die darum aber nicht nur als ihre „realen", sondern auch als „intendierte
Hörer" gelten können 105 und damit in die Position der Adressaten einrük-
ken. Auch diese Wehe-Worte lassen sich mithin als Bestandteil eines
gruppeninternen Kommunikationsgeschehens verstehen, und dadurch
wird es möglich, ihnen dieselbe, auf Vergewisserung und Stabilisierung
der eigenen Anhänger ausgerichtete Pragmatik zuzuschreiben wie den an-
deren Gerichtsworten. 106

1.4. Wenn wir eine kurze Zwischenbilanz ziehen, tritt das Dilemma klar
zutage: Es reicht bei weitem nicht aus, lediglich nach dem Vorstellungs-
gehalt der Gerichtsvorstellungen, Gerichtskonzeptionen und Gerichtser-
wartungen zu fragen. Es ist vielmehr unerläßlich, die Gerichtsaussagen
Johannes des Täufers und Jesu auch im Blick auf ihre Adressatenorientie-
rung zu interpretieren und nach ihrer Pragmatik zu fragen, denn allererst
die Rede vom Gericht entscheidet über Sinn und Funktion der jeweils
mitgeteilten Gerichtskonzeption. Angesichts des Zustandes, in dem die
synoptische Uberlieferung auf uns gekommen ist, vervielfachen sich da-
mit aber auch die Probleme, die sich der historischen Rückfrage entgegen-
stellen. Die Adressaten der jesuanischen Gerichtsaussagen ermitteln zu
wollen, was für die Frage nach deren Pragmatik ja unerläßlich ist, dürfte
sich in den meisten Fällen als gänzlich undurchführbar erweisen. Aus der

105 Vgl. ebd.


lc6 V g l . bereits MÄRZ, Verständnis 148, in bezug auf die Intention dieser Gerichtsworte
innerhalb der Logienquelle. - Ahnliches läßt sich von einem bei Theophilus, Autolyc.
II 3 6 erhaltenen Stück aus den Sibyllinischen Orakeln sagen: D e r Abschnitt beginnt
mit einer Unheilsankündigung gegen diejenigen, die sich der Verehrung „des wahren
und ewigen G o t t e s " verweigert haben und stattdessen „falsche und nichtige G ö t t e r "
anbeten. D e r T e x t fährt dann fort: „ U n d doch wollt ihr nicht erwachen und k o m m e n
zu weis'rer Gesinnung, wollt nicht erkennen den König, den G o t t , der alles erschauet.
Deshalb wird euch die Glut des verzehrenden Feuers erfassen, und in loderndem F e u -
er in Ewigkeit werdet täglich ihr brennen [ . . . ] Aber den treuen Verehrern des wahren
und ewigen G o t t e s wird z u m Erbe das Leben, und ewiglich werden sie wohnen im Pa-
radies [ . . . ] " (Ubers. GAUGER, Sibyllinische Weissagungen, 6 5 ) . - Als intendierte
Adressaten dieses Textes dürften diejenigen anzusehen sein, von deren eschatischem
Heil am E n d e in der 3. Person die Rede ist, während die angeredete Gruppe
(2. Person) in ihm lediglich als fiktiver Adressat präsent ist.

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 381

Gleichnisforschung sind die diesbezüglichen Schwierigkeiten hinlänglich


bekannt107 - gleichzeitig aber auch die Bedeutung und die Unverzichtbar-
keit einer solchen Fragestellung.
Ich möchte darum den umgekehrten Weg beschreiten und nicht von
den Einzeltexten, sondern von einer Typologie der pragmatischen Situa-
tionen ausgehen, denen Gerichtsaussagen zugeordnet werden können. Sie
lassen sich ohne Mühe ermitteln, wenn wir die einzelnen kommunikativen
Konstellationen, in die die synoptischen Erzähler Johannes den Täufer
und Jesus hineinstellen, zu Typen zusammenfassen. Ein solches Vorgehen
hat auch den methodischen Vorteil einer gegen Null gehenden Hypothe-
tizität, denn historische Zweifel, die immer zurückbleiben, wenn wir Ein-
zeltexte einer bestimmten Situation zuordnen, lassen sich bei der Arbeit
mit typischen Konstellationen so gut wie ganz ausschließen.

2. Auf dieser Grundlage können wir drei pragmatische Situationen, denen


sich die Gerichtsaussagen Johannes des Täufers und Jesu potentiell zu-
ordnen lassen, idealtypisch voneinander unterscheiden:

2.1. Johannes/Jesus und die noch indifferente Öffentlichkeit: Auf diese Kon-
stellation bezogen ist die protreptische Rede, die die Adressaten zu einer
Entscheidung mit „Schwellenfunktion"108 auffordert. Ihr Kennzeichen ist
das Stichwort „Umkehr". Dem Verweis auf das bevorstehende Gericht
kommt die Funktion zu, die Adressaten in ihrer augenblicklichen Exi-
stenzorientierung zu verunsichern, und dementsprechend wird mit den
Unheilsfolgen gedroht, die bei der Verweigerung der Umkehr eintreten.109
Aus der Johannesüberlieferung läßt sich Mt 3,7-10 par. Lk 3,7-9 dieser
Konstellation zuordnen, und aus der Jesusüberlieferung gilt Entsprechen-
des für Lk 13,1-5. Hier wie dort ist die Eindeutigkeit dieser Adressa-
tenorientierung und der mit ihr einhergehenden Pragmatik der Gerichts-
ankündigung dadurch sichergestellt, daß das den jeweiligen Adressaten
auf Grund ihrer gegenwärtigen Verfaßtheit unausweichlich drohende Un-
heilsgeschick als noch vermeidbar dargestellt wird (Q 3,7f.: „Schlangen-

107 Wie wir aus Lk 12,41 wissen, hatte bereits der lukanische Petrus an dieser Stelle die-
selben Probleme wie die modernen Gleichnisinterpreten.
108 Ich orientiere mich hier an der Terminologie von K. BERGER, der unter den Begriff
der „protreptische [n] Mahnrede" alles faßt, „was die grundsätzliche Wahl des [ . . . ]
Weges zum Thema macht" (Formgeschichte, 217f.).
109 Diese Funktion der Rede vom Gericht entspricht dem, was E. BRANDENBURGER unter
den Begriff des „prophetisch-eschatologische[n] Gerichtsverständnis [ses]" gefaßt hat
(Gerichtskonzeptionen, 321); s. o. S. 370 (auch zur Kritik an BRANDENBURGERS Ter-
minologie).

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382 Michael Wolter

brut, wer hat euch weisgemacht, daß ihr dem kommenden Zorn entflie-
hen werdet? Bringt Frucht, die der Umkehr entspricht!"; Lk 13,3.5:
„Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr alle genauso umkommen!"). Auch
die in Mt 5,25-26 par. Lk 12,58-59 überlieferte metaphorische Warnung
vor der drohenden, aber noch vermeidbaren Verurteilung, die dasselbe ar-
gumentative Gefälle aufweist, ließe sich dieser Konstellation zuweisen. 110

2.2. Jobannes/Jesus und ihr jeweiliger Jüngerkreis (gemeint sind damit die-
jenigen, die der an die Öffentlichkeit adressierten protreptischen Auffor-
derung nachgekommen sind). Innerhalb dieser Konstellation ist zwischen
zwei pragmatischen Orientierungen von Gerichtsaussagen zu unterschei-
den:

a) Gerichtsworte können auf die zurückliegende Entscheidung und die


mit ihr einhergehende Differenzierung bezogen werden, und sie lassen
sich dann in pragmatischer Hinsicht als stabilisierende Heils- und Trost-
worte für die eigenen Anhänger verständlich machen: Angesichts der
weitgehenden Erfolglosigkeit Johannes des Täufers und Jesu stellen sie
das definitive Unheilsgeschick derer fest, die die protreptische Rede ab-
gewiesen haben und der Umkehrforderung nicht nachgekommen sind. Sie
vermögen dadurch die Marginalisierungserfahrung ihrer Jünger zu kom-
pensieren und die mit ihr einhergehende Verunsicherung abzubauen, in-
dem sie diesen die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestätigen und sie zum
Durchhalten ihrer neugewonnenen Heilsorientierung motivieren. Dieses
funktionale Potential kann solchen Gerichtsaussagen vor allem auch dann
zuwachsen, wenn sie dem Unheilsgeschick der Außenstehenden das
Heilsgeschick der eigenen Gruppe gegenüberstellen. Eine Vergewisse-
rungsfunktion, die in einer solchen pragmatischen Situation plausibel ist,
läßt sich darum vor allem solchen Gerichtsaussagen zuschreiben, wie sie
in Mt 3,12 par. Lk 3,17 n i ; Mt 7,13-14 par. Lk 13,24; Mt 8,11-12 par. Lk
13,28-29; Mt 12,41-42 par. Lk ll,31-32 1 1 2 (vielleicht auch Lk 12,49)
überliefert sind.

Darüber hinaus bekommt vor allem auch der rätselhafte Doppelvergleich der gegenwär-
tigen Situation mit den Tagen Noahs und Lots in Lk 17,26-30 (par. Mt 24,37-39) 1 1 3 ei-
nen plausiblen Sinn, wenn wir ihn auf diese Konstellation beziehen.

110 Vgl. die plausible Interpretation bei REISER, Gerichtspredigt, 270ff.


111 Siehe dazu oben S. 376f.
" 2 Siehe dazu oben S. 377f.
113 Zur überlieferungsgeschichtlichen Rekonstruktion vgl. BECKER, Jesus von Nazaret,

258ff.; RINIKER, Gerichtsverkündigung, 143ff. - Zum traditionsgeschichtlichen Hin-

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 383

J . BECKER und CH. RINIKER interpretieren dieses Logion als Bestandteil der sich an
die jüdische Ö f f e n t l i c h k e i t wendenden Verkündigung Jesu"' 1 , mit deren Pragmatik es
sich jedoch kaum in Einklang bringen läßt: W e d e r die M e n s c h e n zur Zeit und mit A u s -
nahme N o a h s n o c h die B e w o h n e r Sodoms hatten jemals eine C h a n c e , ihrer Vernichtung
zu entgehen. Sie sind darum gänzlich ungeeignet, um als Beispiele innerhalb einer p r o t -
reptischen Rede fungieren zu können, die ihren Adressaten einen Ausweg aus der k o m -
menden Katastrophe eröffnen will. Das Fehlen jeder Rettungsmöglichkeit aus dem
kommenden U n h e i l , das sich aus der Semantik der beiden Beispiele ergibt, machte es in
diesem pragmatischen K o n t e x t darum völlig funktionslos. RINIKER stellt darum auch mit
R e c h t die Frage, „ob ein solches W o r t seinen Zweck, wachzurütteln im H i n b l i c k auf die
kommende Krise, überhaupt erfüllen konnte" 1 1 5 .
Diese P r o b l e m e lassen sich hingegen sofort beseitigen, wenn wir den Jüngerkreis als
Adressaten voraussetzen. W i r können das Logion dann nämlich mühelos als stabilisie-
rendes T r o s t w o r t verständlich machen, das die Jünger der Richtigkeit ihrer Entscheidung
für Jesus vergewissern will. Aus den beiden Beispielen dürften vor allen Dingen zwei
Elemente für die J ü n g e r plausibel gewesen sein: zum einen die Tatsache, daß in beiden
Fällen die R e t t u n g einiger weniger mit der Vernichtung aller anderen einhergeht, und
zum anderen die auffällige Beschreibung der noachitischen M e n s c h h e i t und der B e w o h -
ner S o d o m s in V . 27a.28b. Abgestellt ist gerade nicht auf ihre Sündhaftigkeit (obwohl sie
natürlich im Hintergrund vorausgesetzt ist, denn nur sie erklärt, warum es in beiden
Fällen zur Vernichtung k o m m t ) , sondern auf die Regelhaftigkeit der elementaren Le-
bensvollzüge. 1 1 ' Derartige Verrichtungen, die als solche aufgrund ihrer unspektakulären
Alltäglichkeit eigentlich nicht bemerkenswert wären, werden hier in den Vordergrund
gestellt, um den J ü n g e r n die Möglichkeit zu eröffnen, die Mehrheitsgesellschaft in ihrer
Imagination mit der noachitischen Menschheit und den Bewohnern S o d o m s gleichzuset-
zen: V o n den M e n s c h e n der beiden biblischen Beispiele wird genau das gesagt, was die
Jünger auch in ihrer eigenen U m w e l t sehen: daß die M e n s c h e n essen, trinken, heiraten,
verheiraten, kaufen, verkaufen, pflanzen und bauen - und zwar gänzlich unbeeindruckt
von der Verkündigung Jesu. In beiden Hinsichten unterscheiden sie sich charakteristisch
von der marginalisierten und sozial entwurzelten Existenzweise des Jüngerkreises, die
für einen Schatz im A c k e r bzw. für eine kostbare Perle - für die Gottesherrschaft also -

tergrund der Verbindung von Sintflut und Untergang S o d o m s vgl. LÜHRMANN, R e -


daktion, 7 5 - 8 3 ; DERS., N o a h und Lot; SCHLOSSER, Les jours de N o è et le Lot.
114 Vgl. BECKER, Jesus von Nazaret, 2 6 0 ; RINIKER, Gerichtsverkündigung, 154ff.; vgl.
auch REISER, Gerichtspredigt, 309.
115 RINIKER, ebd., 157. Als „Ruf zur Besinnung und U m k e h r " (REISER, Gerichtspredigt,
3 0 9 ) läßt es sich jedenfalls nicht verstehen.
116 Bisweilen wird mehr oder weniger unter der Hand ein ethischer V o r w u r f in diese B e -
schreibung eingelesen (vgl. z. B. SCHNACKENBURG, Abschnitt, 2 3 2 f . : „wer [ . . . ] nur an
sich selbst denkt und sein Leben genießen will, fällt dem Verderben anheim"; RINI-
KER, Gerichtsverkündigung, 156: „eine kritische [ironische?] Beschreibung der Befan-
genheit im Alltagsleben"). Damit ist jedoch der Sinn der Beschreibung um Längen
verfehlt. Völlig zu R e c h t sieht BECKER demgegenüber hier „die nicht abgewertete
Normalität des Lebens dieser Leute" in den Vordergrund gestellt (Jesus von Nazaret,
260).

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384 Michael Wolter

alles andere aufgegeben haben (vgl. Mt 13,44.45-46).117 Indem Jesus dieses Verhalten, in
dem sich die Ablehnung seiner Verkündigung dokumentiert, zu Merkmalen der Sintflut-
generation und der Bewohner Sodoms macht, liest er deren Geschick in die Geschichte
seiner Zeitgenossen ein: Er entwertet damit nicht nur die Normalität des alltäglichen Le-
bens der Außenstehenden, sondern gibt seinen Jüngern auch ein Modell an die Hand,
mit dessen Hilfe sie die Story derer, die Jesu Umkehrruf nicht gefolgt sind, fortschreiben
können. Dadurch wird ihnen ihre eigene Entscheidung für Jesus bestätigt, und die At-
traktivität dieser Deutung ihrer historischen Erfahrung besteht sicher nicht zuletzt auch
darin, daß auch die Jünger sich in den beiden Stories, die Jesus aus ihrem kulturellen
Wissen abruft, unterbringen können: in dem Geschick Noahs und Lots, die gerettet
wurden, während alle anderen umkamen.

b) Formgeschichtlich davon unterscheiden lassen sich Gerichtsworte, die


innerhalb von postkonversionalen Mahnredenm Verwendung finden. Die
Intention dieser Gattung besteht darin, die Adressaten der paränetischen
Weisung zur Beibehaltung ihrer neugewonnenen Existenzorientierung
anzuhalten.119 Dabei kann es z. B. um die Warnung vor der Abwendung
von der Gruppe gehen, wofür man z. B. die in Mk 9,43-48 erhaltene Tra-
dition (mit überlieferungsgeschichtlich vielleicht eigenständiger Parallele
in Mt 5,29-30) 120 als Beispiel anführen könnte.121 Auch Mt 10,28 par. Lk
12,4-5 ergibt im Kontext dieser Konstellation einen guten Sinn, und das-
selbe gilt natürlich auch für Mt 10,32-33 par. Lk 12,8-9.
Oder es geht darum, ein bestimmtes Gruppenethos einzuschärfen. Ge-
richtsaussagen bzw. Aussagen über eschatisches Heil und Unheil be-
schreiben in diesem Zusammenhang die Folgen eines bestimmten Han-
delns im Sinne des Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Während in der
Täuferüberlieferung derartige Gerichtsworte fehlen, läßt sich aus der Je-
susüberlieferung als schönes Beispiel das Gleichnis vom Schalksknecht
(Mt 18,23-35) anführen: Mit seiner gerichtsparänetisch bewehrten Auf-
forderung zur Weitergabe der durch Gott empfangenen Vergebung fügt
es sich viel ungezwungener in den pragmatischen Kontext der Anhän-
gerunterweisung ein als in den Zusammenhang der auf Umkehr abzielen-
den öffentlichen Verkündigung Jesu. Wenn Matthäus dieses Gleichnis zu

117
Vgl. dazu THEISSEN, „Wir haben alles verlassen"; DERS., Einordnung, bes. S. 27f.;
SCHMELLER, Brechungen, 68ff.
118
Begriff nach BERGER, Formgeschichte, 130ff.
119
Vgl. auch BRANDENBURGER, Art. Gericht, 472,51ff.
120
R I N I K E R führt Mt 5,29f. auf Q zurück und hält die hier belegte Struktur des Einzel-
wortes für älter, während er annimmt, daß in Mk 9,43ff. die ursprüngliche Reihenfolge
bewahrt ist (Gerichtsverkündigung, 176ff.). Andere sind anderer Meinung (z. B. ZEL-
LER, Mahnsprüche, 74). N o n liquet.
121
Ich folge hier ZELLER, Mahnsprüche, 76: „Die Sprüche wollen verhindern, daß der
Hörer [ . . . ] durch die Einzelsünde [ . . . ] wieder aus der Heilssphäre herausfällt".

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 385

einem Bestandteil der Gemeindeinstruktion Jesu macht, so gibt er damit


zu erkennen, daß er es viel besser verstanden hat als die meisten seiner
Exegeten. Als apotreptisches Gegenstück dazu kann vielleicht die Auf-
forderung zum reziproken Verzicht aufs Richten/Verurteilen (erhalten in
Mt 7,1-2 par. Lk 6,37-38) verstanden werden.122

c) Die Wehe-Worte gegen Chorazin und Bethsaida (Lk 10,13-14 par. Mt


11,21-22) 123 machen es erforderlich, auch noch eine dritte Konstellation
in den Blick zu nehmen: das Verhältnis zwischen Johannes/Jesus und den
definitiven Verweigerern der Umkehr. Tatsächlich gibt es diese Konstella-
tion aber nicht wirklich. Verständlich machen läßt sich dies durch eine
Erinnerung an unsere Unterscheidung zwischen den fiktiven Adressaten,
den intendierten Adressaten und den Hörern eines Wortes124: Es steht
außer Frage, daß die Bewohner dieser beiden Städte die textinternen
Adressaten der Wehe-Worte sind. Wenn sie auch deren intendierte Adres-
saten und/oder Hörer sind, ändert sich sofort die pragmatische Situation,
denn in diesem Fall hätten die Worte die Funktion, sie doch noch zur
Umkehr aufzufordern, bzw. sie würden sie als eine solche Aufforderung
wahrnehmen; die Bewohner der beiden Städte würden damit wieder zu
der unter (a) beschriebenen indifferenten Öffentlichkeit, denn sie hätten
die Möglichkeit, der Aufforderung doch noch nachzukommen oder sie
erneut abzulehnen. Wenn sie hingegen weder das eine noch das andere
sind, gibt es auch keine Interaktion mit ihnen mehr. - Mit Hilfe dieser
hypothetischen Annahme können wir aber so etwas wie eine Gegenprobe
vornehmen: Sie läßt nämlich erkennen, daß die Wehe-Worte gegen Cho-
razin und Bethsaida in der Tat lediglich Worte über diese beiden Städte
sind. Ihre Bewohner sind nicht mehr als die fiktiven Adressaten dieser
beiden Worte, denn sie konstatieren den definitiven Abbruch der Kom-
munikation; die intendierten Adressaten müssen wir darum anderswo su-
chen, und das heißt nach Lage der Dinge: bei ihren realen Hörern, dem
Jüngerkreis.

122 Vgl. auch BECKER, Jesus von Nazaret, 309.


123 Siehe dazu oben S. 379f.
124 Siehe dazu oben S. 379.

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386 Michael Wolter

V. Fazit

Mit dem Vorstehenden wollte und konnte ich keine Neuinterpretation


aller jesuanischen Gerichtsaussagen liefern. Das ist, wie wir gesehen ha-
ben, heutzutage sowieso nur noch in monographischem Rahmen möglich.
Es ging mir lediglich darum, zunächst deutlich zu machen, daß die ver-
breitete semantische Antithese von „Gericht" und „Heil" der frühjüdi-
schen Gerichtserwartung nicht gerecht wird, weil Gottes Gerichtshandeln
immer ein Heilshandeln ist, insofern es eine Zuweisung von Heil und
Unheil an die Menschen vornimmt, die Gottes Gerechtigkeit gemäß ist.
Und darum ist natürlich auch die durch das Gericht erfolgende Zuwei-
sung von Unheil an die Sünder und Feinde Gottes und an die Unterdrük-
ker des Gottesvolkes ein Heilsgeschehen.
Diese Verlagerung der Unterscheidung macht zwei weitere Differen-
zierungen erforderlich: Zum einen reicht es nicht aus, nur nach den Ge-
richtsvorstellungen und Gerichtskonzeptionen zu fragen. Von entschei-
dender Bedeutung ist vielmehr die Frage nach der Rede vom Gericht, nach
ihrer Funktion und ihrer Pragmatik, d. h. nach dem Gebrauch der Ge-
richtsvorstellungen. Hierbei reicht es zum anderen bei weitem nicht aus,
einfach immer nur mit der jüdischen Öffentlichkeit als einzigem Adres-
saten von Jesu Gerichtsaussagen zu rechnen. Die Frage nach der Adres-
satenorientierung der einschlägigen Texte muß vielmehr in jedem Einzel-
fall immer wieder neu gestellt werden. Daß unsere Quellen uns dabei
häufig bis in der Regel im Stich lassen werden, leidet keinen Zweifel. Das
dispensiert uns aber nicht von der Verpflichtung zum Fragen.

Eine andere Frage ist aber immer noch offen: Wenn es nicht das Paradig-
ma von Gericht und Heil ist, an dem sich der Unterschied von Jesus und
Johannes festmachen läßt, was ist es dann? Denn daß es einen Unter-
schied gibt, steht außer Frage - er ist an den eingangs beschriebenen
Merkmalen, die das Auftreten und die Verkündigung Johannes des Täu-
fers und Jesu voneinander unterscheiden, deutlich zu erkennen. Die Frage
ist darum wiederaufzunehmen: Was gibt diesen Einzeldifferenzen des
Auftretens und der Verkündigung ihren Richtungssinn? Oder: gibt es so
etwas wie eine Grunddifferenz zwischen Johannes und Jesus, die allen
Einzeldifferenzen zugrundeliegt und sie zusammenhält?
Die Antwort ist einfach: Der Unterschied zwischen Johannes und Je-
sus ist Jesus. Es ist nichts anderes als das Auftreten Jesu selbst und die
theologische Qualifikation dieses Auftretens, die den entscheidenden
Unterschied zwischen ihm und seiner Verkündigung sowie dem Täufer
und dessen Verkündigung markieren und an denen sich alle anderen Teil-
differenzen ausrichten.

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„Gericht" und „Heil" bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer 387

Dies gilt zunächst in einem ganz äußerlichen Sinne: Mit seinem eige-
nen Auftreten bestreitet Jesus die Ankündigung des Täufers, daß nach
ihm nur noch der Feuerrichter kommt, denn erst kommt er noch, Jesus.
Gegen seinen eigenen Anspruch wird Johannes damit vom letzten zum
vorletzten Boten Gottes. 125 Darüber hinaus wird aber auch die Verkündi-
gung des Täufers und vor allen Dingen auch seine Taufe im Jordan theo-
logisch depotenziert: Jesu Selbstverständnis macht es gänzlich bedeu-
tungslos, ob man sich der von Johannes propagierten Umkehrtaufe
unterzogen hat oder nicht, denn über die Zuweisung von Heil und Unheil
im Gericht entscheidet jetzt einzig und allein, wie man sich zur Verkündi-
gung/es» verhält.
Es wäre nun aber ein Mißverständnis, wenn man annehmen wollte, daß
Jesus selbst nunmehr diese Rolle des letzten Propheten vor dem Gericht
für sich beansprucht hätte, denn die Differenz gegenüber der Verkündi-
gung des Täufers geht noch sehr viel weiter: Sie findet ihr theologisches
Zentrum darin, daß Jesus sein eigenes Auftreten als integralen Bestandteil
der machtvollen Durchsetzung der Königsherrschaft Gottes auf Erden
ansah, daß also das Israel verheißene eschatische Heil Gottes in seinem
Wirken bereits punktuell erfahrbar ist und durch ihn als den authentischen
Repräsentanten Gottes verbindlich ausgelegt wird. Das spezifische Profil
der jesuanischen Verkündigung besteht also nicht lediglich in der Gewiß-
heit, daß das erwartete Heil der Königsherrschaft Gottes bereits in der
Gegenwart zugänglich ist, sondern darin, daß es in seinem Wirken zu-
gänglich ist. Diese Extension der Rede von der Gottesherrschaft, die vor
allem in Lk 11,20 par. Mt 12,28 („Wenn ich mit dem Finger/mit dem
Geist Gottes die Dämonen austreibe, ist das Reich Gottes auf euch herab-
gekommen") greifbar wird, steht in einer offenkundigen Spannung mit
den Intensionen der frühjüdischen Reich-Gottes-Erwartung: Hier ist es
zum einen allein Gott selbst, von dessen Eingreifen die Durchsetzung
seiner königlichen Herrschaft erhofft wurde, und zum anderen wurde er-
wartet, daß sich dieses Eingreifen immer in einem universalen Maßstab
vollzog und mit kosmischen Begleiterscheinungen einherging.126 Hinter
dieser Erwartung mußte der Anspruch Jesu, daß sich das Kommen der
Gottesherrschaft in ein paar Heilungen und Exorzismen ereignete, hoff-
nungslos zurückbleiben. - Erkennbar wird diese Deutung, die Jesus sei-
nem Wirken gibt, darüber hinaus auch in Lk 7,22 par. Mt 11,5 („Blinde
sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote werden
auferweckt, den Armen wird gefrohbotschaftet") : Jesus aktualisiert hier

125 Vgl. BACKHAUS, „Jüngerkreise", 106.


126 Vgl. dazu ausführlicher: WOLTER, „Was heisset nu Gottes reich?"; WELKER/WOLTER,
Unscheinbarkeit, 103ff.

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388 Michael Wolter

eine Reihe von Jesaja-Texten Qes 26,19; 29,18; 35,5f.; 61,1) und deutet
sein eigenes Wirken als Erfüllung der dort ausgesprochenen Verheißun-
gen. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß
die alttestamentlichen Praetexte stets Gottes eschatisches Heilshandeln an
seinem Volk beschreiben bzw. als Metaphern für die durch Gott herbei-
geführte Transformation von Israels Unheil in Heil fungieren. Dement-
sprechend liegt die theologische Pointe dieses Wortes darin, daß Jesus mit
ihm den Anspruch erhebt, an der Stelle Gottes zu handeln: Was Israel
aufgrund der prophetischen Verheißungen von Gott erwartete, wird ihm
durch Jesus zugänglich gemacht. - O b wir den Ursprung dieses Selbstver-
ständnisses in der in Lk 10,18 angesprochenen Vision vom Satanssturz zu
sehen haben127 oder in der Erfahrung, daß die Dämonen weichen und die
Kranken gesund werden, wenn Jesus kommt 128 , kann offen bleiben.
Mit dem Vorstehenden ist freilich nicht gesagt, daß Jesus die Gottes-
herrschaft als eine rein präsentische Größe ansah, denn was auch für ihn
als noch ausstehend gelten mußte, war - das läßt sich aufgrund der über-
kommenen jüdischen Reich-Gottes-Erwartung erschließen 12 ' - ihre
universale Durchsetzung durch Gott selbst: durch die herrscherliche Er-
scheinung seiner Heiligkeit im Jerusalemer Tempel mit all ihren kosmi-
schen Begleiterscheinungen und Folgen.
Die Erwartung, daß dieses Geschehen unmittelbar bevorstand, führte
Jesus vermutlich nach Jerusalem 130 und veranlaßte ihn zu der in Mk 11,15-
16 beschriebenen sog. „Tempelreinigung". Bestandteil der Erwartung Jesu
war aber auch, daß Gott das Heil seiner universalen Herrschaft mit Hilfe
eines umfassenden Gerichts weltweit durchsetzen und dabei eine gerechte
Verteilung von Heil und Unheil vornehmen wird, die sich einzig und
allein daran orientiert, wie die Menschen sich seinem eigenen Anspruch
gegenüber verhalten hatten.

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128 So z. B. HOLLENBACH, Conversion; STEGEMANN, Essener, 323ff.
129 Vgl. WOLTER, „Was h e i s s e t . . . ? " , 8ff.; WELKER/WOLTER, Unscheinbarkeit, 104ff.
130 Vgl. dazu den Beitrag von U . L u z in diesem Band (S. 4 0 9 - 4 2 7 ) .

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Lexikalische und rhetorische Eigentümlichkeiten
der ältesten Jesustradition

PETR POKORNY

1. Fragestellung und Methode

1.1 Im Unterschied zu der vor allem positivistisch konzipierten Historio-


graphie des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist sich die
neuere F o r s c h u n g seit MARTIN HEIDEGGER und HANS-GEORG GADAMER
ihrer Voreingenommenheit bewußt, die schon in der Wahl des For-
schungsfeldes und in dem Vorverständnis besteht, mit dem wir das Ob-
jekt der Forschung - in diesem Fall die betreffenden Texte - untersuchen.
Da die neutestamentlichen Texte kanonische Lesung der christlichen
Kirche sind, die die Weltgeschichte mitgeprägt hat, muß sich jeder (auch
der nichtchristliche) Forscher dessen bewußt sein, daß sein Interesse am
historischen Jesus durch jene Tradition beeinflußt ist. Doch müssen wir
gleich hinzufügen: für die Hoffnung der Christen ist Jesus vor allem als
der präsente „Herr" bedeutend, der die aktuelle Verbindung mit Gott
vermittelt. Als irdischer Jesus hat er für den christlichen Glauben zwar
sehr früh, aber doch erst im Rahmen einer sekundären Bewegung Bedeu-
tung gewonnen, nämlich als derjenige, der die innerlich erfahrene Präsenz
des Christus vor frommer Mißdeutung schützen soll.1
Die Erinnerung (άνάμνησις) gehörte schon zur ältesten kultischen
Tradition (Herrenmahl), die zur Orientierung des Glaubens im Leben ge-
dient hat (vgl. IKor 11,23-25 und der Kontext). Später sollte der Bezug
auf den irdischen Jesus zur Unterscheidung zwischen „wahrer Lehre" und
Ketzerei helfen ( l j o h 4,1-3; 2Joh 7; vgl. Did 11,8). Wenn wir diese Auf-
gabe mit Hilfe der gegenwärtigen Geschichtsforschung als dem modernen
Mittel der Erinnerung nachvollziehen, ist es ein integrierendes Unter-
nehmen: ein säkulares und gleichzeitig theologisches, ein religionskriti-
sches und gleichzeitig ein frommes, was ihm eine besondere Tragweite
verleiht.

1 E. KÄSEMANN, Sackgassen im Streit um den historischen Jesus, zuletzt in: DERS., Ex-
egetische Versuche und Besinnungen II, Göttingen 1965 (2. Aufl.), 3 1 - 6 8 , dort 67.

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394 Petr P o k o r n y

1.2 Da uns Jesus von Nazareth nur durch Texte zugänglich ist, müssen
wir die Texte und Textbereiche bestimmen, die beim Suchen der authenti-
schen, vorösterlichen Züge Vorrang haben, weil sie nicht von anderen uns
bekannten Texten abhängig sind, und weil ihr Umfang die Entdeckung
des Typischen erlaubt. Es handelt sich vor allem um das Markusevangeli-
um (Mk), die Logienquelle (Q), das Sondergut des Matthäus (SMt), das
Sondergut des Lukas (SLk), um die paulinischen Briefe (Paulus) und um
das Thomasevangelium (EvThom), eventuell auch um die Oxyrhynchos-
Papyri 840 und 1224, um Papyrus Egerton 2 und ähnliche Texte.
Methodisch gilt es, daß wir die in mehreren von diesen Bereichen vor-
kommenden Phänomene, die in den sonstigen zeitgenössischen Texten
weniger auffällig hervortreten, näher untersuchen müssen, weil es wahr-
scheinlich ist, daß sie direkt oder indirekt mit dem Auftreten Jesu zu-
sammenhängen. Da es sich fast in allen Fällen, die wir als solche definie-
ren werden, um Innovation bekannter Traditionen oder Vorstellungen
handelt, kann gesagt werden, daß die voneinander unabhängige Bezeu-
gung der Ausgangspunkt für die Bestimmung der ältesten Schicht der Je-
sustradition ist, wobei die Frequenz und Kongruenz sekundäre Kriterien
repräsentieren, die uns erlauben, zu diesem methodischen Kern weitere
Phänomene zuzuordnen.2

1.3 Im Unterschied zu den umfassenden Untersuchungen zum Thema des


irdischen Jesus ist das Feld meines Beitrags viel enger. Das Problem der
Passionsgeschichte, die Analyse der prophetischen Symbolhandlungen Je-
su, seine Beziehung zu Johannes dem Täufer, sein Selbstverständnis, Jesus
bei Paulus, Jesus und das Gesetz - alle diese großen Themen der Jesusfor-
schung, die sachlich Vorrang haben und von denen jedes auf seine spezifi-
sche Weise methodisch bearbeitet werden muß, möchte ich durch meine
Überlegungen, die einige auffällige lexikalische und vor allem rhetorische
Züge der betreffenden Texte untersuchen, nur ergänzen.

2 Das Unähnlichkeitskriterium, das ERNST KÄSEMANN formuliert und später NORMAN


PERRIN verteidigt hat, ist als einseitige Methode kritisiert worden, die Jesus v o n seiner
U m w e l t isoliert. E s handelt sich allerdings um den methodischen Ausgangspunkt,
nicht um ein ausschließliches Kriterium. Daß etwas für Jesus typisch war, schließt
nicht aus, daß er auch Anderes, aus älteren Quellen schon Bekanntes gesagt hat; siehe
auch F . HAHN, Methodologische Überlegungen zur Rückfrage nach Jesus, in: K . KER-
TELGE ( H g . ) , Rückfrage nach Jesus, Freiburg 1974, 1 1 - 7 7 . Z u r neueren diesbezügli-
chen Debatte s. J . P. MEIER, A Marginal J e w : Rethinking the Historical Jesus I—II
( A n B R L ) , N e w Y o r k - L o n d o n 1991. 1994, bes. II, Kap. 18.

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Lexikalische und rhetorische Eigentümlichkeiten der ältesten Jesustradition 395

Hermeneutisch handelt es sich um ein Vorgehen, das zwei Seiten hat:


Auf der einen Seite ist da die Tendenz, die geschichtlich einmalige Gestalt
Jesu zu erreichen, deren Bedeutung durch die Kirche von ihrem Anfang
bis heute bezeugt wird. Auf der anderen Seite handelt es sich um die me-
thodische Untersuchung einer Tradition, welche zwar mit der Person Jesu
anfängt, aber gleichzeitig wiederholt auftauchende Spuren in der Ge-
schichte hinterläßt und zur Entdeckung einiger Tiefenstrukturen des Da-
seins führt, die nur in Konfrontation mit Jesus sichtbar sind. Theologisch
gesagt, handelt es sich auch um die Wiederentdeckung einiger durch die
menschliche Entfremdung (Sünde) vergessener Dimensionen der Schöp-
fung.

1.4 Da es nicht möglich ist, die älteste aramäische Schicht der Reden Jesu
zu rekonstruieren, oder evtl. die Textsegmente zu identifizieren, die sein
eigenes Griechisch widerspiegeln, müssen wir uns auf diejenigen Zeichen
konzentrieren, die auch in der Ubersetzung und eventueller redaktioneller
Bearbeitung spürbar sind und mindestens indirekt von theologischer Be-
deutung sein könnten.

2. Die Einzelbeobachtungen

2.1 Das Reich Gottes - der Begriff


und die mit ihm verbundenen Wendungen

Alle uns zur Verfügung stehenden ältesten Texte bezeugen oder setzen
voraus, daß Jesus das Reich Gottes (βασιλεία τοΰ θεοΰ) verkündigt hat.3
Vom Gottesreich ist in verschiedenen Untergattungen und rhetorischen
Modalitäten die Rede, wie in den Gleichnissen, Seligpreisungen oder dem
Gebet (Vaterunser). Da schon Paulus die Perspektive des Reiches Gottes
als etwas Bekanntes vorausgesetzt hat (IKor 6,9; Gal 5,21; vgl. Eph 5,5;
Jak 2,5) und da er gleichzeitig versucht hat, die Reich-Gottes-Verkündi-
gung neu zu interpretieren (Rom 14,17) und vor Mißdeutung zu schützen
(IKor 4,6-12), ist es kaum möglich, die Bedeutung der Reich-Gottes-
Verkündigung in der Jesus tradition zu überschätzen.
Wenn auch die Vorstellung von der Regierung Jahwes schon im Alten
Testament bekannt ist (Gott herrscht als Schöpfer - ζ. B. Ps 145,11-13; er

3 Bei Matthäus βασιλεία των ουρανών - offensichtlich eine Neufassung (Interpretati-


on?) der älteren Reich-Gottes-Verkündigung.

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396 Petr Pokorny

ist auch der eschatologische König, der Gerechtigkeit bringt - z. B. Jes


24,23; OrSib III 47-50; das Reich wird erscheinen, ebd. III 767), ist es
nicht möglich, die stabile Wortverkoppelung „Reich Gottes" 4 für einen
schon vor Christus bekannten Terminus zu halten.5 Diesen hat offen-
sichtlich Jesus selbst geprägt. Als nächste Parallele müssen wir den Aus-
druck „sein Reich . . . " aus dem Kaddisch-Gebet 6 betrachten. Dann wäre
das Vaterunser eine bewußte Innovation des Kaddisch-Gebets, die, wie
ein einfacher Vergleich zeigen kann, die apokalyptische Vorstellung vom
Reich Gottes als dem neuen Äon aus dem Kaddisch-Gebet zwar nicht
aufhebt, aber um neue Dimensionen bereichert. Für uns ist jetzt vor allem
bedeutend, daß in den verschiedenen Bereichen und Gestalten der jesua-
nischen Tradition das „Reich Gottes" als ein schon fest geprägter Begriff
vorkommt. 7

2.1.1 Die Nähe des Reiches

Der Jesus tradition können wir auch entnehmen, daß die Rede vom Reich
Gottes mit spezifischen Wendungen und mindestens einer weiteren para-
doxen Vorstellung verbunden war.
Erstens hören wir mehrmals, daß das Reich Gottes „nahe gekommen"
ist (έγγίζειν, έγγύς είναι, das hebr. Äquivalent wären etwa die Derivate
der Wurzel 3 i p ) : Mk l,15par. (Mk); Mt 10,7par. ( Q ) ; Lk 10,11 (SLk?).
Es ist wahrscheinlich, daß dieselben oder ähnlichen semitischen Rede-
wendungen Jesu, die mit seiner Verkündigung des Reiches Gottes ver-
bunden waren, auch durch zwei weitere Aussagen übersetzt und interpre-
tiert sind. Es handelt sich um die Aussage, wonach das Reich Gottes die
Zeitgenossen Jesu „erreicht hat" (εφΦασεν, Mt 12,28par. [Q]), und um
das Wort aus Lk 17,21b (Lk Redaktion), wonach das Reich Gottes „unter
euch" (έντός υμών - d. h. den Hörern Jesu) ist, und zwar offensichtlich
in der Gestalt Jesu. Dies kann schon eine nachösterliche Bearbeitung der
Jesustradition sein, die allerdings die Tragweite und die gleichzeitige Poly-

4 Im Alten Testament praktisch ohne Parallele, nur Weish 10,10.


5 In der Jesusüberlieferung ist dagegen fast konsequent v o m „Reich G o t t e s " (bzw.
„Reich des H i m m e l s " bei Matthäus) die Rede (Ausnahmen z. B. M t 4 , 2 3 ; 2 3 , 1 3 ) . Die
Belege s. bei J. H . CHARLESWORTH, The Historical Jesus in Light of Writings C o n -
temporaneous with Him, A N R W 11,25,1 (1982), 4 5 1 - 4 7 6 .
6 G. DALMAN, Die W o r t e Jesu, Leipzig 1898, 305.
7 Monographisch haben das Material zur Reich-Gottes-Verkündigung J. GRAY, The
Biblical Doctrine of the Reign of God, Edinburgh 1979, und H . MERKLEIN, Jesu B o t -
schaft von der Gottesherrschaft (SBS 111), Stuttgart 1983, bearbeitet.

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Lexikalische und rhetorische Eigentümlichkeiten der ältesten Jesustradition 397

semie der Aussagen über die Nähe des Reiches Gottes nur bestätigt. Das
Reich ist eine gegenständliche (mythische) Größe, die erst in der Zukunft
geoffenbart wird, aber gleichzeitig ist sie in der Verkündigung (und nach
Ostern auch in der Gestalt) Jesu präsent, sie ist der Horizont menschli-
cher Hoffnung, so daß es schon in der Gegenwart „wirkt".

2.1.2 Das Eingehen in das Reich

Die zweite Wendung ist das „Eingehen" (είσέρχεσθαι, είσπορεύεσθαι)


in das Reich Gottes: Mk 9,47; 10,15.23 (Mk); Mt 23,13 (Q); Mt 5,20;
7,21; 21,31 (προάγειν εις) (SMt). Das Reich Gottes wird hier aus der
Sicht der Adressaten der Seligpreisungen gesehen. Es handelt sich um eine
Wendung, die in der Tradition des Exodus und der Landnahme ihre Par-
allele hat (Übernahme des Landes der Verheißung: Jos 19,49.51, in L X X
πορεύεσΦαι - έμβατεύειν). Es handelt sich um ein Gegenüber der Aus-
sage über das Kommen des Reiches.

2.1.3 Das Geschlecht ohne König

In der außerkanonischen Literatur kommt mehrmals die Wendung „das


Geschlecht ohne König" vor. Sie bezeichnet das eschatologische Ge-
schlecht der Erlösten: Hippolyt, Ref. V 8,2 (Naassenische Predigt); Berol.
gnost. 3, 108,13 (Sophia Jesu Christi); N H C II/5, 125,2.6; 127,10-15
(UW). Einem ähnlichem Motiv begegnen wir in N H C II/7, 145,14-15
(LibThom) ( „ . . . werden regieren"); V/4, 56,4f. (2ApkJak) ( „ . . . werden
Könige sein"); V/5, 82,19f. (ApkAd); und nach Offb 3,21 sagt der aufer-
standene Christus denjenigen, die seine Stimme gehört haben, auch, daß
sie mit ihm auf dem Thron sitzen werden.
Es handelt sich um Belege, die außerhalb der ältesten Schicht liegen
und in doketisch oder ausdrücklich gnostisch geprägten Schriften vor-
kommen. Doch müssen wir sie ernst nehmen, weil sie im breiten Spek-
trum der Texte belegt sind, und weil es sich um ein Motiv handelt, das
weder doketisch noch typisch gnostisch ist. Diese Beobachtung wird
noch durch eine indirekte Parallele unterstützt, die in der Logienquelle als
Jesuswort überliefert wird: „Ich will euch das Reich zueignen, wie mir's
mein Vater zugeeignet hat, daß ihr essen und trinken sollt an meinem
Tisch in meinem Reich und sitzen auf Thronen und richten die zwölf
Stämme Israels" Lk 22,29-30; Mt 19,28. Ein paulinischer Beleg solcher
Vorstellung ist in IKor 4,8: „ . . . ohne uns seid ihr zur Königsherrschaft
gelangt! Ja, träfe es nur zu . .., damit auch wir mit euch herrschen kön-

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398 Petr Pokorny

nen!" Eine Gruppe in der korinthischen Gemeinde hat die Verheißung Je-
su „Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer!" (Lk 6,20b: Mt
5,3 [Q]) offensichtlich als durch ihren Glauben schon erfüllt betrachtet.
Paulus polemisiert dagegen, aber die Art der Polemik, deren Gegenstand
beiden Seiten gut bekannt ist, spricht dafür, daß die Verbindung des
Reich-Gottes-Begriffs mit dieser sozial umwälzenden Vorstellung schon
mit den alten jesuanischen Traditionen zusammenhängt.

2.2 Glaube - Kleingläubigkeit

Auf die mögliche theologische Bedeutung einer auffälligen lexikalischen


Eigentümlichkeit der ältesten Jesus tradition hat GERHARD EBELING auf-
merksam gemacht: In der synoptischen Tradition tauchen die Ausdrücke
„Glaube" und „glauben" auffällig oft in den Worten Jesu auf, ζ. B. in Lk
17,6 (Q) oder Mk ll,22-23par. (Mk). 8 Da für die Kirche eher der Glaube
„an Jesus" bezeichnend ist, müssen wir diese Beobachtung in unserem
Zusammenhang besonders ernst nehmen. Jesus hat demnach offensicht-
lich Derivate des Wortstammes benutzt, von denen er sogar einen
neuen Ausdruck gebildet hat, und zwar „kleingläubig" oder „Kleingläu-
bigkeit", der bei der Ubersetzung ins Griechische, ähnlich wie die Anrede
„Abba", Widerstand geleistet hat. In diesem Fall haben es die ersten hel-
lenistischen Christen durch ein neu gebildetes griechisches Wort über-
setzt: όλιγόπιστος, όλιγοπιστία (Lk 12,28par. [Q]; Mt 8,26; vgl. Mk 4,40
[Mk] ; Mt 14,31 [SMt]; 16,8 [?]).
Oft scheint der Glaube in diesem Kontext ein einfacher Volksglaube
bzw. ein Wunderglaube zu sein (ζ. B. Mk 2,4-5parr. [Mk]), aber wenn wir
einige deutlich nicht nachösterliche Aussagen über den Antipol des Glau-
bens analysieren, sehen wir, daß es sich um eine tiefere Auffassung han-
delt. Der Glaube ist der Gegensatz zum Zweifel (Mk 11,23c - διακρίνε-
σΦαι [Mk]) und vor allem zum Sorgen (μεριμνάν - Lk 12,22-28par.
[Q]), der Konzentrierung auf das tägliche Beschaffen.' Als der positive

8 G. EBELING, Jesus und Glaube, zuletzt in: DERS., Wort und Glaube, Tübingen 2 1962,
2 0 3 - 2 5 4 , bes. 232f.; vgl. D. LÜHRMANN, Glaube im frühen Christentum, Gütersloh
1976, 23.
' Mit Vorbehalt kann dies durch Hinweis auf MARTIN HEIDEGGER aktualisiert werden.
Wie bei jedem Vergleich der Phänomene, die aus verschiedenen Zeiten kommen, kann
es sich nur um eine Analogie einzelner Dimensionen innerhalb der sonst unvergleich-
baren Weltprojekte handeln. Nur seine Definition der „Sorge als das Sein des Daseins"
(Sein und Zeit I, Halle + 1935, 180ff.) ist der Auffassung der Sorge in der Jesustradition
ähnlich. Vor allem ist bei ihm der Tod fester Punkt des Daseins und demzufolge auch

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Lexikalische und rhetorische Eigentümlichkeiten der ältesten Jesustradition 399

Gegensatz der Kleingläubigkeit, also als ein Zeichen des Glaubens wird
das „Suchen" des Reiches bezeichnet. Das Reich Gottes wird also zum
Fluchtpunkt des Daseins. Es ist nicht nötig, das Reich Gottes zu bauen,
es kann gefunden werden, und der Glaube soll in diesem Zusammenhang
offensichtlich die Voraussetzung des Suchens sein - das Vertrauen, daß
das Gesuchte zu finden ist, wenn es auch nicht gegenständlich vorhanden
ist. Der Wunderglaube kann in dieser Sicht als das Ernst-Nehmen der
Macht (δύναμις) Gottes als des Schöpfers und Erlösers positiv interpre-
tiert werden.
Daß das „Amen" als Einleitung einer Aussage Jesu (ζ. B. Mt 21,31b
[SMt] ; Mk 14,25 [Mk]; Mt 24,47par. [Q]) aus ältester Tradition stammt 10
und mit der eben beschriebenen Anwendung des Begriffs „Glaube" zu-
sammenhängen kann, ist nicht ausgeschlossen. Es kann allerdings nicht
als Beleg des messianischen Bewußtseins interpretiert werden."

2.3 Die metaphorische Deutung der Grundmetapher

Nach den lexikalisch und grammatisch definierbaren Beobachtungen


kommen wir zu den rhetorischen. Falls wir den Begriff „Reich Gottes"
für eine unersetzliche Metapher halten, wie sie PAUL RICOEUR und EBER-
HARD JÜNGEL definiert haben12, müssen wir mit diesem Begriff entspre-
chend arbeiten. Es handelt sich also um eine Metapher, die mehr als nur
Zierat ist und etwas Neues ausdrückt, was in der Sprache noch nicht ko-
diert ist oder nicht kodiert werden kann, weil es sich um eine nicht allge-
mein zugängliche, sondern nur bezeugte Wirklichkeit handelt.

des Denkens, während die jesuanische Überlieferung das Denken über den Menschen
auf einen anderen Grund stellt.
10 So J. JEREMIAS, Kennzeichen der ipsissima vox Jesu, zuletzt in DERS., Abba, Göttingen
1966, 1 4 5 - 1 5 2 .
11 Siehe K. BERGER, Zur Geschichte der Einleitungsformel „Amen, ich sage euch", Z N W
63 (1972), 1 7 7 - 2 0 9 .
12 E. JÜNGEL/P. RICCEUR, Metapher (BEvTh), München 1974.

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400 Petr Pokorny

2.3.1 Gleichnisse des Reiches

Solche Metaphern können zwar ihrer Funktion nach analysiert werden,


aber ihre wirkliche Deutung ist nur durch weitere, sachlich gewählte Me-
taphern möglich. 13 Dieser modernen Theorie entspricht wörtlich das Vor-
gehen Jesu, wie sie die älteste synoptische Tradition wiedergibt: Was
Reich Gottes bedeutet, erklärt Jesus durch Gleichnisse als neue, erwei-
terte Metaphern. In den Gleichnissen aus Mk 4parr. wird es sogar aus-
drücklich gesagt: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch
. . . " (Mk 4,26; vgl. 4,30). 14 Der Begriff „Reich Gottes" ist die Grund-
metapher, die alle Gleichnisse zusammenhält, das Schlüsselwort, das die
einzelnen Szenen der Gleichnisse zu einer einzigen neuen Welt macht.
Schon diese Beobachtung bedeutet, daß Jesus mit den vorgegebenen Be-
griffen und Erwartungen nicht zufrieden war und seine Sendung mit neu
formulierter Vision verband.

2.3.2 Unerwartete Adressaten

Eine ähnliche Rolle wie die Metaphern spielen die unerwarteten Aussagen,
in denen das Reich Gottes einer Gruppe zugesagt wird, die in der gän-
gigen Vorstellung zu den Unbedeutenden, Verlierern oder zu den
„schlechten" Menschen gehören, einfach zu denen, von welchen man das
Mitregieren nie erwarten würde: den Kindern (Mk 10,15parr. [Mk]), den
Armen (Demütigen) (Lk 6,20par.; Mt 5,4 [Q]), den Sündern (Mt 21,31
[SMt]), allen Gläubigen (s. o. 2.1.3). Als Gipfel solcher Aussagen kann
das Wort von den Fremden betrachtet werden, die aus aller Welt kom-
men, um im Reiche Gottes mit Abraham zu essen, wobei die „Söhne des
Reiches" hinausgestoßen werden (Mt 8,ll-12par. [Q]). Dadurch wird die
in der jüdischen Bibel bezeugte Vorstellung von der Regierung Gottes
relativiert, denn die hat man sich israelzentrisch als Unterordnung der
Heiden vorgestellt (ζ. B. Mi 4,1-5; Sach 8,20-23). 1 5
Es handelt sich um schockierende Aussagen, die durch unerwartete
Verbindungen ähnlich wie die Metaphern wirken und wie die Metaphern
Keimzellen eines alternativen Weltprojekts darstellen.

13 E. JÜNGEL, ebd. 117ff.; P. RICCEUR, Biblical Hermeneutics, in: Semeia N r . 4 (1975),


2 9 - 1 4 8 , hier Paragraph 3.
14 N . PERRIN, Jesus and the Language of the Kingdom, Philadelphia (PA) 1976, Kap.
II,A und ΙΙ,Β,Ι.
15 M. WOLTER, Reich Gottes bei Lukas, N T S 41 (1955), 5 4 1 - 5 6 3 , hier 546ff.

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Lexikalische und rhetorische Eigentümlichkeiten der ältesten Jesustradition 401

2.3.3 Amoralische Gleichnisse

Anderer Art sind die sog. amoralischen Gleichnisse, die bei Jesus aus-
drücklich oder indirekt der Verkündigung des Reiches Gottes dienen.16
Zum Beispiel das Gleichnis vom Schatz im Acker (Mt 13,44 [SMt]), den
ein Mensch erreicht hat, indem er das Feld gekauft hat, ohne dem frühe-
ren Inhaber von dem Schatz zu sagen (anders nach EvThom Log. 109).
Auffälliger ist die moralische Verkehrtheit des Verwalters, der seines
Herrn Besitz verschleudert hatte und sich dann durch Bestechung der
Schuldner retten wollte (Lk 16,1-8 [SLk]). In der Fassung des Gleichnis-
ses von den bösen Winzern (Pächtern) nach EvThom Log. 65 wird die aus
Mk 12,l-12par. bekannte Erzählung ohne die Aussage über die Bestra-
fung der Bösen überliefert. Die amoralischen Gleichnisse gipfeln in dem
Gleichnis vom Attentäter aus dem Thomasevangelium, der zu Hause trai-
nieren mußte, bevor er den mächtigen Mann getötet hat (EvThom Log.
98). Auch das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden hat ursprünglich
zu dieser Art gehört (Lk 19,ll-27par. [Q?]), denn Geschäft und Zinsen-
nehmen war für die orthodoxen Juden Sünde (Sir 26,29-27,2). 1 7 Das Pro-
blem ist, daß alle jene schlechte Menschen den Hörern/Lesern zum Vor-
bild dienen sollen. Offensichtlich nicht in ihrer Verkehrtheit, sondern in
der Konsequenz ihres Handelns. 18

2.4 Intensivierungen

Die Intensivierung, die als eine ihrer Dimensionen zu jeder Metapher ge-
hört, spielt auch in anderen Zusammenhängen eine bedeutende Rolle.

2.4.1 Anrede in der 2. Person

Die Seligpreisungen des Reiches Gottes sind in der lukanischen Feldrede


in zweiter Person formuliert (Lk 6,20b-23 [Q]; EvThom Log. 54. 68),
was für die Makarismen weniger typisch ist als die 3. Person (ζ. B. Ps

16 Zum Problem T. SCHRAMM/K. LÖWENSTEIN, Unmoralische Helden. Anstößige


Gleichnisse Jesu, Göttingen 1986, bes. 148ff.
17 Siehe bes. CH. KAHLER, Jesu Gleichnisse als Poesie und Therapie ( W U N T 78), Tübin-
gen 1995, 180FF.
18 Die anderen von T. SCHRAMM und K. LÖWENSTEIN (Anm. 16) angegebenen Funktio-
nen solcher Gleichnisse in den Traditionen über Jesus (153ff.) spielen eher eine sekun-
däre Rolle.

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402 Petr Pokorny

1,1 ff)· Da die parallelen Seligpreisungen aus Mt 5 schon deutliche Spuren


liturgischer Bearbeitung aufweisen, müssen wir die lukanische Fassung für
ursprünglicher oder mindestens für die älteste Jesusüberlieferung typi-
scher halten. Sie sind als direkte Anrede der Hörer gestaltet, die sie zur
Antwort auffordert.

2.4.2 A b b a - V a t e r

„Abba", als die intensivierte aramäische Anrede Gottes, hat offensichtlich


zum Vaterunser-Gebet gehört, das in der ältesten Tradition gut belegt ist
(Mt 6,9; Lk 11,2 [Q?]; Did 8,2). Sie taucht in der Gethsemane-Perikope
(Mk 14,36parr.) auf und ist unabhängig davon als Anspielung auf das Ge-
bet des Herrn auch bei Paulus belegt (Rom 8,15; Gal 4,6), wobei in beiden
Fällen betont wird, daß es sich um ein Privileg handelt, das den Christen
der Heilige Geist vermittelt: Als adoptierte Kinder Gottes haben sie im
Gebet direkten Zugang zu Gott, dem Schöpfer, als zu dem Vater. Als
Kinder des Königs sind sie Erben des Reiches. Das ist die Logik der Ver-
bindung.
Oft hat man Abba als eine vertrauliche Anrede betrachtet. Denn in ei-
nem der wenigen zeitgenössischen Belegen (Taan 23a Baraita) kommt sie
im Munde der Kinder vor.19 Es wird jedoch nicht betont, daß die Kinder
Gott vertraulich nennen, sondern daß sie nicht fähig sind, zwischen der
Autorität des patriarchalen pater familiae und der Schöpfungsmacht Got-
tes zu unterscheiden. Das abba ist also keine vertrauliche Anrede. Diese
würde man ins Griechische nicht mit πάτερ bzw. πατήρ, sondern mit
πάππα (von πάππας) übersetzen. Die Verdoppelung ist also eher ein
semitischer Ausdruck der Intensität, in diesem Fall der Intensität der Be-
ziehung und der Abhängigkeit. 20

2.4.3 Hyperbeln

Ein auffälliges Phänomen sind die Übertretungen (Hyperbeln), die für


die jesuanische Uberlieferung bezeichnend sind. Die hyperbolischen Zu-
spitzungen sind für die ganze semitische Rhetorik bezeichnend, aber in
der ältesten Tradition über Jesus sind sie besonders konzentriert, so daß

" M i t R. Chanin ha-nechba (Ende des 1. Jh.s v. Chr.) verbunden; s. J. JEREMIAS, Abba,
zuletzt in: DERS., a. a. O. (Anm. 10) 15-80, hier 60.
20 Dies erwägt als Möglichkeit auch J. JEREMIAS, Abba, zuletzt in: DERS., a. a. O . (Anm.

10), 56-67.

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Lexikalische und rhetorische Eigentümlichkeiten der ältesten Jesustradition 403

sie wirklich in die Augen stechen. Es handelt sich vor allem um die radi-
kalen Ratschläge wie „Wer dich auf die rechte Backe schlägt, dem biete
auch die andere dar . . ." (Lk 6,29par. [Q] ; vgl. Mt 5,41 [SMt]). „Und
wenn dich deine Hand zur Sünde verführt (σκανδαλίζειν), so haue sie ab
. . . Und wenn dich dein Auge zur Sünde verführt, so reiß es aus" (Mk
9,43.47 [Mk]). „Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr hin-
durchgeht, als daß ein Reicher in das Reich Gottes kommt" (Mk
10,25parr. [Mk]). „Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr
sagen zu diesem Berge: ,Heb dich dorthin!', so wird er sich heben" (Mt
17,20par. [ Q ] ; M k ll,22-23par.) „Liebet eure Feinde . . . " (Lk 6,27par.
[ Q ] ; Pap. Oxyrh. 1224; Did 1,3) 21 Das sind nur einige Beispiele jenes
Phänomens, das durch die kirchliche symbolische Deutung weniger deut-
lich geworden ist.

2.4.4 Sokratische Gegenfragen

Die Gegenfragen Jesu sind bekannt: „Wessen Bild und Aufschrift ist
das?" fragt Jesus die Pharisäer und Herodianer, die ihm die Frage nach der
Steuerpflicht gestellt haben (Mk 12,16parr.; vgl. Pap. Egerton, fr. 2').22
Ähnlich reagiert er auf die Frage des reichen „Jünglings": „Was nennst du
mich gut?" (Mk 10,18parr.). „Wer ist meine Mutter und meine Brüder?"
ist seine Reaktion, wenn ihn die Verwandten rufen (Mk 3,33parr.). „Ich
will euch auch eine Frage stellen . . . Die Taufe des Johannes - war sie vom
Himmel oder von den Menschen?" antwortet er auf die Vollmachtsfrage
(Mk ll,29parr.). „Was steht im Gesetz geschrieben?" antwortet er auf die
Frage des Gesetzeslehrers nach Lk 10,26. „Wer von diesen drei scheint
der Nächste geworden zu sein dem, der unter die Räuber fiel?" faßt er
seine Antwort auf die Frage nach dem Nächsten zusammen (Lk 10,36
[SLk]). „Ihr habt den Anfang entdeckt und schon sucht ihr das Ende?"
(EvThom Log. 18), „Versteht ihr nicht . . . wer ich bin?" (EvThom Log.
43) usw. sind die Gegenfragen, die im Thomasevangelium vorkommen.
Solche Beispiele können erweitert werden. Die Gegenfragen sind für
mehrere Denker, Traditionen und Gattungen (politische Reden, Diatri-
ben) bezeichnend. Es ist also nur zu notieren, daß sie auch Jesus benutzen
konnte. Die Funktion der Gegenfragen ist, ähnlich wie bei der Anrede in
der 2. Person, den Fragenden aus der Rolle des Beobachters herauszu-

21 Paulus versucht in Rom 12,21, es neu zu interpretieren.


22 Es fehlt in der Fassung aus EvThom Log. 100.

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404 Petr Pokorny

locken. In der literarischen Bearbeitung werden sie zur Anrede des Lesers.
Er erfährt dadurch Jesus als sein Gegenüber, dem er verantwortlich ist.

2.5 Sprichwörter

In den synoptischen Evangelien gibt es mehrere Sprichwörter und sprich-


wörtliche Metaphern, sowohl jüdische (ζ. B. „Es ist dem Jünger genug,
daß er wie sein Meister werde und der Sklave wie sein Herr" - Mt 10,25a
[Q?]; vgl. Lk 6,40) als auch griechische (ζ. B. „Auf den Fels säen"23: „Ei-
niges fiel auf felsigen Boden . . . " - Mk 4,5parr.). 24 So etwas kommt in
mehreren antiken 25 Reden (bes. Diatriben) und Texten vor. Das in unse-
rem Zusammenhang Interessante ist, daß unter ihnen zwei auffällige
Gruppen hervortreten: (a) Die eine Gruppe ist offensichtlich mit den
amoralischen Gleichnissen verwandt, von denen wir schon gesprochen
haben („Wer hat, dem wird gegeben. Wer aber nicht hat, dem wird ge-
nommen werden, was er hat" - Mk 4,25parr. [Mk]; Lk 19,26par. [Q]) 2 6
oder „So fruchtlos wie ein wilder Olivenbaum" 27 ; „ . . . und er sah einen
Feigenbaum . . . und fand nichts daran als Blätter . . . " - Mt 21,19); (b) die
andere hat als Zusammenfassung der ganzen Sendung Jesu gedient, wie
„Wer sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren; und wer es ver-
lieren wird, der wird es gewinnen" (Lk 17,33par. [Q]; Mk 8,35parr.
[Mk]). 28
Im Vergleich mit den Sprichwörtern, die Paulus benutzt (ζ. B.
„Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten" - IKor 15,33b), sind es rätsel-
hafte Sprüche, die im Kontext neue Bedeutung gewinnen. So war ζ. B. das
Sprichwort „Sorget nicht um den morgigen Tag" (Mt 6,34a) ein Hinweis

23 E. L. v. LEUTSCH/F. G. SCHNEIDEWIN (Hgg.), Corpus Paroemiographorum Grae-


corum I-II (1839), Hildesheim 1965 (Nachdruck), II, 48.
24 Das Problem mit der Identifizierung der Sprichwörter ist, daß es für die jüdischen nur
ein begrenztes Vergleichsmaterial gibt (überraschend Vieles notiert [H. L. STRACK/] P.
BILLERBECK, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, München
1922ff., ζ. Β. I, 660f.), bei den griechischen ist es wiederum manchmal schwer zu ent-
scheiden, ob es ein Zitat aus den Klassikern oder ein Sprichwort ist, denn die Klassiker
zitieren auch längst bekannte Gnomen und Sprichwörter; s. E. L. v. LEUTSCH/F. G.
SCHNEIDEWIN, a. a. O. (Anm. 23). Darüber hinaus gibt es Sprichwörter, die man in
beiden Kulturen voraussetzen kann.
25 Z. T. auch in den modernen.
26 Ursprünglich ein Gleichnis von der Ungerechtigkeit der Welt, in der der Reiche rei-
cher und der Arme ärmer wird.
27 E . L . v . LEUTSCH/F. G . SCHNEIDEWIN, a. a. O . ( A n m . 2 3 ) 1 , 2 0 6 .
28 P. POKORNY, Jesus in the Eyes of His Followers, Ν. Richland Hills, TX, 1998, 50f.

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Lexikalische und rhetorische Eigentümlichkeiten der ältesten Jesustradition 405

auf die Sterblichkeit des Menschen 29 , aber im Kontext der Rede Jesu
„Vom Sorgen" (Mt 6,25-34par. [Q]) drückt es das Vertrauen, mit dem
der Jünger Jesu das Kommen des Reiches erwarten und deswegen von der
Sorge frei sein kann, die den Horizont seines ganzen Lebens bestimmt. 30

3. Vorläufige Schlußfolgerungen

Es ist ganz deutlich, daß wir nur einen Ausschnitt aus den rhetorischen
Eigentümlichkeiten der ältesten jesuanischen Tradition erwähnt haben.
Schon jetzt vermuten wir weitere solche Phänomene, und andere wird
man ohne Zweifel noch entdecken. Doch bietet das eben Erwähnte schon
Material genug, um daraus einige Folgerungen zu ziehen, die unser Bild
Jesu bereichern.
Der erste Komplex der Beobachtungen, die alle mit dem Begriff „Reich
Gottes" zusammenhängen (2.1), kann zunächst ganz allgemein als Unter-
stützung der durch inhaltliche (theologische) Analyse gewonnenen
Schlußfolgerung dienen, wonach Jesus die vorgegebenen jüdischen
eschatologischen Erwartungen seiner Zeit tief umgestaltet (innoviert) hat.
Die Verschiebungen sind deutlich sichtbar: Es war vor allem die Relativie-
rung des israelzentrischen Bildes der Hoffnung, das mit einigen imperia-
len Zügen verbunden war. Statt dessen tritt die unmittelbare Beziehung
zu Gott als Vater hervor (2.4.2), sowie das gläubige Vertrauen (2.2), das
sich auf verschiedene Weisen konkretisieren kann. Eine Tendenz zu Per-
sonalisierung und Universalisierung der Hoffnung ist kaum zu verkennen.
Dies hoben in den letzten zwei Jahrzehnten besonders diejenigen For-
scher hervor, welche Jesus als einen jüdischen Wanderphilosophen kyni-
scher Art verstehen. Sie haben mit Recht vor mechanischen Rekonstruk-
tion der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu aus der jüdischen Apokalyptik
gewarnt. Dafür sprechen auch die Worte, welche das Reich Gottes uner-
warteten Adressaten zuschreiben, samt der Auflösung der monarchischen
Struktur, was auch Paulus in seiner Interpretation anerkennt (IKor
15,28). Und doch enthüllen die eben gemachten Beobachtungen die
kynische These als eine einseitige Deutung des Befundes. 31 In den meta-

29 Spr 27,1; Sir 10,10; 1 1 , 1 8 - 1 9 ; vgl. H. D. BETZ, The Sermon on the Mount (Herme-
neia), Minneapolis, M N 1995, ζ. St.
30 Übrigens handelt es sich um eine auffällige sachliche Analogie der paulinischen

Rechtfertigungslehre.
31 Eine philosophische (konkret: kynische) Einstellung Jesu setzt als den Rahmen des

Reich-Gottes Begriffs vor allem J. D. CROSSAN, The Historical Jesus, San Francisco

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406 Petr P o k o r n y

phorischen Aussagen vom Kommen des Reiches ist die präsentische Di-
mension deutlich von der zukünftigen, eschatologischen unterschieden,
die nicht verschwindet und als eine umfassende räumliche Größe darge-
stellt wird. Daß sie metaphorisch ausgedrückt ist, weil sie die gängige Er-
fahrung transzendiert, bedeutet noch nicht, daß es sich um eine hypothe-
tische Größe handelt. Ihre Ankunft sollte die Gestalt einer sichtbaren und
überindividuellen Änderung haben (Ernte, Uberfall, Entdeckung, Ende
des bisherigen Zustandes usw.). Die Personalisierung und konkrete Dar-
stellung „im Fragment" des Alltags 32 löst jenen kosmisch eschatologi-
schen Rahmen nicht auf, sondern beraubt ihn seiner Fatalität. Sie setzt
ihn allerdings voraus. 33
Die Rolle der amoralischen Gleichnisse und rätselhafter Sprichwörter
paßt zu dieser Beobachtung. In den amoralischen Gleichnissen wird die
Folgerichtigkeit und Erfindungskraft der „schlechten Menschen" zum
Vorbild für die „Kinder des Reiches", damit sie in den guten Sachen, d. h.
in den Sachen des Reiches Gottes, ähnlich folgerichtig sind. Dies kann
nur unter einer Bedingung authentisch wirken: Die Macht, der die Jünger
Jesu dienen, ist stärker als die Macht des Bösen. Das stimmt mit den Aus-
sagen über Jesus als den Stärkeren überein, der den Starken, d. h. den
Teufel bändigen kann (Mk 3,27parr. [Mk]). Wenn also die Leute des Ver-
lierers in ihrem Dienst so konsequent sind, umso mehr sollen es die An-
hänger des Repräsentanten des einzigen Gottes sein, der als der endzeitli-
che Richter allen Mächten überlegen ist. Ohne eine solche Voraussetzung

1991 (deutsch: München 1 9 9 5 [2. Aufl.], 553ff.) voraus, wonach deren apokalyptische
Züge entweder von Johannes dem Täufer abhängen oder nachösterlich sind (ähnlich
F . G . DOWNING, Cynics and the Christian Origins, Edinburgh 1 9 9 2 ) ; B . L . MACK,
" T h e Lost Gospel". T h e B o o k o f Q and the Christian Origins, L o n d o n 1 9 9 4 ) . Vgl. die
Diskussion in J B L 115 ( 1 9 9 6 ) - 117 ( 1 9 9 8 ) : P. R . EDDY, Jesus as Diogenes? Reflec-
tions on the C y n i c Jesus Thesis (115, 4 4 9 - 4 6 9 - kritisch); D . SELLEY, Jesus and the
Cynics Revisited (116, 7 0 4 - 7 1 2 ) und F . G. DOWNING, Deeper Reflections on the
Jewish C y n i c Jesus (117, 9 7 - 1 0 4 - Apologien der kynischen These). Z u r Kritik der
kynischen These siehe auch: M. EBNER, Jesus - ein Weisheitslehrer? (Herders bibli-
sche Studien 15), Freiburg 1998, Kap. 3.2, und J. SCHRÖTER, Erinnerung an Jesu W o r -
te. Studien zur Rezeption der Logienüberlieferung in Markus, Q und Thomas
( W M A N T 7 6 ) , Neukirchen 1997, bes. 482ff. Z u r Diskussion um dieses Problem s.
M. LABAHN/A. SCHMIDT ( H g g . ) , Jesus, Mark and Q (JSNT.S 2 1 4 ) , Sheffield 2 0 0 1 .
32 So richtig M . EBNER, a. a. O . (Anm. 3 0 ) , Kap. 3.3.
33 Außer ALBERT SCHWEITZER und der nachfolgenden deutschen F o r s c h u n g des 2 0 . Jh.s
behaupten die apokalyptisch-eschatologische Auffassung des Reiches G o t t e s bei Jesus
mehrere englisch schreibende F o r s c h e r wie J. P. MEIER, a. a. O . ( A n m . 2), Bd. II,
237ff. Alle diejenigen, die den eschatologischen Charakter der Verkündigung Jesu re-
lativieren, müssen ihre Beziehung zu der eschatologischen Verkündigung des Täufers
und der eschatologischen Verkündigung der Urkirche erklären.

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Lexikalische und rhetorische Eigentümlichkeiten der ältesten Jesustradition 407

würden die amoralischen Gleichnisse nicht positiv funktionieren können.


Auch die rätselhaften Sprichwörter, wie ζ. B. das „Wer hat, dem wird ge-
geben" setzten dies Paradigma voraus: Die Macht des Reiches Gottes, auf
welche im neutestamentlichen Zusammenhang solche Aussagen bezogen
werden, hat allein Zukunft. Wer an ihr nicht teilnimmt, der wird verlieren.
Diejenigen, denen die Bösen als Vorbild der Konsequenz - allerdings
unter umgekehrten Vorzeichen - dienen, sind nicht nur die direkten Jün-
ger Jesu, sondern alle diejenigen, die im Reiche Gottes ihre Hoffnung ha-
ben: die Armen, Kranken, Frauen, Kinder, Fremde und andere unterpri-
vilegierte Menschen. 34 Diese radikal neue, alternative Sicht der Welt ent-
spricht den prophetischen Symbolhandlungen Jesu, die ähnlich provozie-
rend und unerwartet waren: So etwa die Einsetzung der Zwölf Jünger als
Kern des erneuerten Volkes Gottes, der Einzug nach Jerusalem auf dem
Esel, der damals schon kein Kampftier war; die Tempelreinigung als Rela-
tivierung der damaligen Frömmigkeit (wahrscheinlich der eigentliche
Anlaß zur Verhaftung Jesu) - das alles sind paradoxe Handlungen, die nur
im Rahmen des Bewußtseins verständlich sind, wonach das Reich Gottes
eine reale Kraft ist, die der Kraft des Bösen überlegen ist (d. i. das jesuani-
sche Evangelium) und in dem Konflikt, der quer durch die Geschichte
geht, die Zukunft hat. In diesem Konflikt kann man nicht neutral sein,
deswegen wird der Hörer direkt angeredet. Daß die als Reich Gottes oder
als Ewigkeit bezeichnete neue Wirklichkeit die Umkehr der bisherigen
Ordnungen bedeutet, drücken nicht nur die paradoxen Gleichnisse und
Verbindungen aus (2.3.2), sondern auch die prophetischen Ubertreibun-
gen Jesu (2.4.3). Daß dies auch heute soziale und politische Konsequen-
zen hat, ist kaum zu leugnen. Nicht unmittelbar in der Parteipolitik, son-
dern primär in der Existenz der Kirche als eines alternativen Raumes in-
nerhalb der Gesellschaft.
Es war ein mythisches Weltbild, das interpretiert werden muß. Dazu
ist allerdings die eben angedeutete Rekonstruktion seiner ursprünglichen
Funktion nötig. Wieweit dabei die Naherwartung entscheidend war, kann
nur eine umfassende theologische Reflexion bestimmen, jedenfalls hat Je-
sus (a) seine sichtbare Rechtfertigung von Gott in der Zukunft erwartet
(Ostern ist also mehr als ein Ausdruck seiner irdischen Bedeutsamkeit, es
ist vor allem als Antwort auf seine Hoffnung zu betrachten) 35 , aber (b)
die zeitliche Bestimmung der Nähe des Reiches Gottes hat er doch sicht-
bar relativiert.

34 E. RAU, Jesus - Freund von Zöllnern und Sündern, Stuttgart u. a. 2001, 14lff.
35 Dies verkennt die amerikanische Jesusforschung, ein neueres Beispiel ist M. J. BORG,
Jesus and Eschatology: A Reassessment, in: J. H . CHARLESWORTH/W. P. WEAVER
(Hgg.), Images of Jesus Today, Valley Forge, PA, 1995, 4 2 - 6 7 .

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408 Petr Pokorny

Zuletzt noch eine kurze Bemerkung zu dem Problem der zusammen-


fassenden Sprichwörter und Gnomen - einem Problem mit großer Trag-
weite. Sie sollen die Geschichte Jesu in einen umfassenden Rahmen set-
zen. Die Tendenz, sein Werk nicht nur im Kontext Israels, sondern auch
als Erfüllung des in der allgemeinen Weisheit Enthaltenen zu legitimieren,
hat offensichtlich zum Selbstverständnis Jesu gehört. Daß er sich mit
Hilfe einiger Sprichwörter mit seinem Schicksal, besonders mit der To-
desgefahr auseinandergesetzt hat, kann als sehr wahrscheinlich betrachtet
werden. Das Sprichwort (bzw. die Gnome) „Wer sein Leben zu erhalten
sucht, der wird es verlieren; und wer es verlieren wird, der wird es gewin-
nen" (Lk 17,33parr.) 36 , das ursprünglich aus dem militärischem Bereich
stammt (etwa: Aus der Schlacht zu fliehen, ist gefährlicher als zu kämpfen
- Xenophon, Anabasis III 1,43; vgl. Kyropädie III 3,45) 37 und das nach
Ostern zu einer paränetischen Gestalt der Pistis-Formel vom Tod und der
Auferstehung Jesu (IKor 15,3b—5) geworden ist, kann ursprünglich auch
solche Funktion gehabt haben. Wenn es so ist, dann bedeutet es, daß
Jesus ein einmaliges Sendungsbewußtsein hatte, wobei der Ablauf der Er-
eignisse ihn vor neue Entscheidungen gestellt hat. Wie schwer sie waren,
verrät nicht nur die Gethsemane-Tradition (Mk 14,32-42parr.) mit den
Spuren, die sie auch außerhalb der synoptischen Tradition hinterließ (Joh
18,1; 12,27-33; Hebr 5,7-9), sondern auch die Sprichwörter von „Kein
Prophet ist ohne Ehre außer in seinem Vaterland" (Mk 6,4par.) bis zu
dem eben besprochenen Wort aus Lk 17,33parr.
Hermeneutisch sind solche generalisierenden Aussagen von besonderer
Bedeutung. Sie deuten an, daß das Einmalige in der Geschichte Jesu, das
besonders die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert neu entdeckt
hat, gerade deswegen so bedeutend ist, weil es sich um einen einmaligen
Schlüssel zum Geheimnis des Daseins handelt, theologisch um eine Ent-
hüllung der Absicht Gottes, in der schon die ganze Welt (die Schöpfung)
entstanden ist und die das Einmalige transzendiert.

36 Siehe oben Anm. 28.


37 W. A. BEARDSLEE, Saving One's Life by Losing it, J AAR 47 (1979), 57-72.

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Warum zog Jesus nach Jerusalem?
ULRICH LUZ

1. Fragestellung und Forschungsgeschichte

Warum zog Jesus nach Jerusalem? Das ist eine von der Forschung immer
und immer wieder gestellte Frage. Sie ließ sich einigermaßen deutlich
beantworten, solange man - wie im 19. Jahrhundert - davon ausging, daß
die synoptischen Evangelien den Aufriß des Lebens Jesu im großen und
ganzen zuverlässig wiedergeben. Auf dieser Annahme basierten die gro-
ß e n A n t w o r t e n d e s 19. J a h r h u n d e r t s : F ü r H E I N R I C H JULIUS HOLTZMANN
ist der Leidensgedanke bei Jesus nicht eine logische Konsequenz seines
Messiasverständnisses - d. h. der Tod Jesu war für ihn nicht mehr der von
Anfang an feststehende Entschluß des Gottessohns, nach Gottes Willen
für die Errettung der Menschen zu sterben. Vielmehr ist für den Histori-
ker HOLTZMANN dieser Entschluß allmählich gereift: „Die Perspektive auf
Untergang konnte sich erst auftun, als die Dinge sich mit der Zeit dahin
zugespitzt hatten, daß er entweder den Mißerfolg [ . . . ] anerkennen [ . . . ]
oder aber alle Konsequenzen einer solchen Fortsetzung des begonnenen
Werkes, jetzt auch unter feindlich dareinschauenden Himmelszeichen, auf
sich nehmen mußte"1. Hätte Jesus seinen Mißerfolg anerkannt, so hätte
das seinen inneren Zusammenbruch bedeutet. Ihm blieb also nur das
Zweite übrig, wenn er Gott treu bleiben wollte. Ausdruck dieses Ent-
schlusses Jesu ist für HOLTZMANN Mk 8,27-33, der Haupteinschnitt in
der ältesten Jesusgeschichte, derjenigen nach Markus. Jesus zog also nach
Jerusalem, um „in der Aufopferung seines Lebens" seiner Aufgabe, den
Menschen Messias, Heiland, Retter zu werden, treu zu bleiben2. Die
Antwort seines Schülers ALBERT SCHWEITZER auf dieselbe Frage basiert
auf dem Aufriß des Matthäusevangeliums: Jesus schickt seine Jünger in
Israel zur Verkündigung aus. Inhalt ihrer Verkündigung, welche die
Aussendungsrede Mt 10 wiedergibt, ist die Ankündigung des Leidens der

' H . J . HOLTZMANN, Lehrbuch der neutestamentlichen Theologie I, Tübingen 2 1911,


354.
2 HOLTZMANN a. a. O . 363.

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410 Ulrich Luz

vormessianische Drangsal, welche dem Kommen des Gottesreichs vor-


ausgeht (vgl. Mt 10,23!). Jesus macht nun aber die Erfahrung, daß diese
Drangsal nicht kommt und das Reich Gottes ausbleibt. Er begreift durch
seine Lektüre der Bibel, vor allem Deuterojesajas, daß Gott sein „Reich
herauf [führt] ohne allgemeine Enddrangsal". Jesus, der sich zur Herr-
schaft in Herrlichkeit bestimmt wußte, begreift, daß er die Enddrangsale
an sich selbst vollziehen muß, indem er Sühne leistet. So war die Reise
nach Jerusalem für ihn „der Todeszug zum Sieg" 3 . Jesus zog also nach Je-
rusalem, nicht, um dort zu wirken, sondern „einzig um dort zu sterben" 4 .
Vor allem die Formgeschichte hat den Möglichkeiten, unsere Frage
aufgrund des Aufrisses der Evangelien zu beantworten, ein Ende gesetzt.
Im ganzen hat sich die These durchgesetzt, daß die synoptischen Texte
Einzelüberlieferungen sind und daß ihre Anordnung in den Evangelien
weitgehend unabhängig von einem allfälligen Sitz in der Biographie Jesu
erfolgte. Die vorevangelischen zusammenhängenden Passionserzählungen
beginnen in Jerusalem, mit dem Einzug in die Stadt oder mit dem Todes-
beschluß 5 . Sie beantworten also die Frage gerade nicht, warum Jesus dahin
zog. Außerdem sind alle Passionsgeschichten durch und durch von Anlie-
gen nachösterlicher Jesusfrömmigkeit geprägt und interessieren sich für
die neuzeitliche Frage nach den Motiven Jesu nicht. Nur dies stand wei-
terhin fest, daß die Reise Jesu nach Jerusalem am Ende seiner Wirksam-
keit etwas Entscheidendes war. „Sie ist das einzige uns erkennbare Zei-
chen einer Entwicklung in der Geschichte Jesu" 6 .
E C K H A R D R A U hat in seinem Jesusbuch aufgrund seiner Untersuchun-
gen zu Jesus und den Pharisäern eine „Neuaufnahme der Frage nach dem
Leben Jesu" gefordert 7 . Er vermutet im Anschluß z. B . an F R A N Z M U S S -
NER8, ATHANASIUS P O L A G 9 , MARIUS REISER10 u n d CHRISTIAN RINIKER11,

3 A . SCHWEITZER, Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis ( 1 9 0 1 ) , in: DERS., Gesam-


melte Werke V, Zürich o. J. ( 1 9 7 4 ) , 3 2 7 - 3 4 0 , Zitate 3 3 5 . 3 3 6 .
4 A. SCHWEITZER, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen ' 1 9 5 1 , 4 3 7 ; vgl.
DERS., Reich Gottes und Christentum, München 1995 (Werke aus dem Nachlaß), 1 3 9 -
147.
5 Die Thesen von R . BULTMANN, Die Geschichte der synoptischen Tradition ( F R L A N T
2 9 ) , Göttingen 2 1 9 3 1 , 3 0 1 f (nach ihm beginnt die alte zusammenhängende Passionsge-
schichte erst mit der Verhaftung Jesu), und von R. PESCH, Das Markusevangelium II,
( H T h K I I / 2 ) , Freiburg u. a. 1977, 1 - 2 7 (nach ihm beginnt die vormk Passionsge-
schichte bereits mit Mk 8,27), haben sich in der Forschung nicht durchgesetzt.
' M. DIBELIUS, Jesus (Sammlung Göschen 1130), Berlin 2 1 9 4 9 , 55.
7 E . RAU, Jesus - Freund von Zöllnern und Sündern, Stuttgart 2 0 0 0 , 159.
8 F. MUSSNER, Gab es eine „galiläische Krise"?, in: P. HOFFMANN U. a. (Hrsg.), Orien-
tierung an Jesus. Zur Theologie der Synoptiker (FS J. SCHMID), Freiburg u. a. 1973,
238-252.

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Warum zog Jesus nach Jerusalem? 411

daß es in der Verkündigung Jesu eine Entwicklung gegeben habe: Zahlrei-


che Gerichtsworte Jesu setzen eine Ablehnung seiner Botschaft voraus
(Q 7,31-35; 10,13-15; ll,29f.31f.49-51; 13,28f.34f) 1 2 . Hinzu kommen
auch Worte, welche von Feindschaft, Spaltungen und Martyrium sprechen
(Z. B. Q 12,2—5.6f.8f; 14,26f; 17,33; Mt 10,23?). RAU rechnet auch die
meisten Weherufe in Lk 11 / / Mt 23 zu dieser Gruppe. Diese Worte sind
so zahlreich, daß sie aufgrund des Kohärenzkriteriums durchaus jesua-
nisch sein können, und sie setzen zugleich eine Zuspitzung der Auseinan-
dersetzung in Israel voraus, wie sie zu Beginn des Wirkens Jesu noch
nicht denkbar war. Ich teile diese These.
In vielen Jesusbüchern des 20. Jahrhunderts findet sich die vage F o r -
mulierung, daß Jesus nach Jerusalem gezogen sei, um eine Entscheidung
zu suchen. „Jesu Weg nach Jerusalem [hatte] vor allem den Sinn [ . . . ] , das
Volk hier in der heiligen Stadt [ . . . ] in letzter Stunde zur Entscheidung zu
rufen". Jesus hat in Jerusalem und im Tempel „die letzte Entscheidung ge-
sucht". So sagt es GÜNTHER BORNKAMM13. Aber was „die letzte Entschei-
dung" bedeutet, bleibt bei ihm im Halbdunkel. - „Ist Jesus [ . . . ] nach J e -
rusalem gezogen im Bewußtsein seines ihn dort erwartenden Todes?"
Auch die Antwort, die JÜRGEN ROLOFF in seinem neuen Jesusbüchlein
auf diese „endlos diskutierte Frage" gibt, bleibt vage: Mit „einiger Zuver-
sicht" kann er nur sagen: „Jesus ist nicht mit dem Vorsatz nach Jerusalem
gezogen, dort zu sterben, oder gar, sein Leben dort zu opfern". Ist ihm
diese Antwort zu nahe bei derjenigen, welche später die nachösterlichen
Gemeinden gegeben haben? Auf der anderen Seite aber sei Jesus sich si-
cher dessen bewußt gewesen, „daß er mit dem Gang nach Jerusalem ein
hohes Risiko einging" 14 . Warum aber ist er dieses Risiko eingegangen?
ROLOFF beantwortet die Frage nicht. - JÜRGEN BECKER spricht in seinem
eindrucksvollen Jesusbuch mehrfach von der „Veranlassung", welche J e -
sus selbst für seine Hinrichtung gegeben habe 15 . Jesus habe „recht eigen-
willig die Kunst [praktiziert], sich alle frühjüdischen Gruppen zu Geg-
nern zu machen", und reichlich „Zündstoff zum Ärgern" geboten 16 . Aber
die Frage nach Jesu Absicht klammert er aus.

' A. POLAG, Die Christologie der Logienquelle (WMANT 45), Neukirchen-Vluyn 1977,
bes. 195f.
10 M. REISER, Die Gerichtspredigt Jesu (NTA 23), Münster 1990.

11 C. RINIKER, Die Gerichtsverkündigung Jesu (EHS 23/653), Frankfurt a. M. u. a. 1999.

12 RAU a. a. O . 159.
13 G. BORNKAMM, Jesus von Nazareth, Stuttgart 1956 (Urban-Bücher 19), 142f.

14 J. ROLOFF, Jesus, München 2000,105f.

15 J. BECKER, Jesus von Nazaret, Berlin 1996, 401; vgl. 407.

" B E C K E R a. a. O . 4 1 1 .

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412 Ulrich Luz

Sie möchte ich hier stellen und damit eine Frage des 19. Jahrhunderts
wiederaufnehmen. Ich frage dabei nicht nur nach der Absicht von Jesu
Verhalten in Jerusalem, sondern auch, warum er dahin gegangen ist. Vor-
aussetzung dieser Frage ist ein grundsätzliches Zutrauen in die synopti-
sche Überlieferung, nach der das hauptsächliche Wirkungsgebiet Jesu
Galiläa und nicht Jerusalem war17. Ich werde in meiner Antwort nicht ori-
ginell sein. Mein eigener Antwortversuch wird sich in Richtung auf den-
jenigen ALBERT SCHWEITZERS hin bewegen, auch wenn ich nicht so weit
komme wie er. Nicht nur seine philosophische Grundthesen, sondern
auch manche seiner historischen Hypothesen scheinen mir nach wie vor
aktuell zu sein. Ein wichtiger Baustein für meine Hypothese wird dabei
ein Text sein, den ALBERT SCHWEITZER fast völlig übersehen hat, nämlich
Lk 12,49f; aber auch hier wird vieles hypothetisch bleiben.

2. Jerusalem - ein für einen Propheten gefährlicher Ort

2.1 Eine erste Überlegung gilt der damaligen politischen Situation in der
Prokuratur Judcia. G E R D T H E I S S E N charakterisiert die Anfangszeit der
römischen Prokuratur in Judäa nach der Niederschlagung des Aufstandes
von 6 n. Chr. und vor dem Konflikt unter Caligula als eine „vergleichs-
weise friedliche Zeit" und als Zeit einer Verlagerung der akuten Konflikte
auf eine „symbolpolitische Ebene18. Der Friede war relativ; er war gleich-
sam der Zustand eines Konflikts in Latenz. Die lange währende Prokura-
tur des Pilatus zeigt das deutlich: Bereits sein Amtsantritt begann mit
dem Konflikt um die Standarten mit den Kaiserbildern (Josephus, Ant.
XVIII 55-59). Der Versuch des Pilatus, die Wasserleitung für Jerusalem
mit Geldern des Tempelschatzes zu finanzieren, führte nach Josephus zu
vielen jüdischen Todesopfern (Ant. X V I I I 60-62). Lukas berichtet von
einem Gemetzel unter galiläischen Pilgern zu dieser Zeit - offensichtlich
in Jerusalem (Lk 13,1). Markus erzählt von einer στάσις kurz vor der

17Nach dem JohEv stellt sich die Frage, warum Jesus nach Jerusalem gegangen ist, na-
türlich nicht, weil er immer schon dort wirkte. Das JohEv, das einige wenige Jesus-
traditionen auswählt (vgl. 20,30), bevorzugt ganz bewußt Jerusalemer Traditionen und
verrät auch dadurch seinen spezifischen Jerusalemer „Blickpunkt". Wenn es richtig ist,
daß Jesu hauptsächliches Wirkungsgebiet Galiläa war, kann die Frage, ob Jesus wäh-
rend seines öffentlichen Wirkens nur einmal nach Jerusalem zog, oder ob er dies
mehrmals tat und nur das letzte Mal seine Reise dorthin mit dem Gedanken an seinen
eigenen Tod verband, offen bleiben.
" G. THEISSEN, Jesus und die symbolpolitischen Konflikte seiner Zeit. Sozialgeschicht-
liche Aspekte der Jesusforschung, EvTh 57 (1997), 3 7 8 - 4 0 0 , dort 396.

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Warum zog Jesus nach Jerusalem? 413

Verhaftung Jesu (Mk 15,7). Judäa, seit 6 n. Chr. geographischer Schwer-


punkt zelotischer Aktivitäten, war offenbar ein latentes Unruhegebiet.
PETER EGGER hat einleuchtend gezeigt, daß die jüdischen Notabein in
und außerhalb Jerusalems zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung
verpflichtet waren - die Besatzungsmacht griff erst ein, wenn die Situa-
tion gefährlich wurde (Josephus, Bell. II 419), und dann mit äußerster
Brutalität19. Den Hohenpriestern und der Aristokratie war nach der Ab-
setzung des Archelaos die προστασία τοϋ έθνους anvertraut (Ant. X X
251). Ihre Aufgabe und Pflicht bestand darin, den Römern Leute, die ge-
gen die Ordnung verstießen, auszuliefern, auch wenn sie das nicht gern
taten. Das zeigen ζ. B. die von Josephus berichteten Unruhen unter
Florus (Bell. II 301f), aber auch das Schicksal des Propheten Jesus ben
Ananias (Bell. VI 302f) und andere Vorkommnisse (z. B. Bell. II 418; VII
412-416). Bei jeder möglichen στάσις haben sie nicht nur aus eigenem
Interesse, wie meist betont wird, versucht, die Situation in den Griff zu
kriegen, sondern weil dies ihre Pflicht war, ähnlich wie die aller Stadtre-
gierungen und Dorfvorsteher im ganzen Reich. Ihre Machtmittel waren
dabei im ganzen Reich begrenzt: Wir hören von einzelnen Amtsträgern
wie den Eirenarchen, von städtischen Nachtwächtern20, aber nicht von In-
stitutionen, die der neuzeitlichen Polizei entsprechen. "Preserving order
in the cities was generally left to the local authorities"21. Aus Jerusalem
kennen wir die Existenz einer Tempelpolizei22, aber wir wissen leider
nichts über ihre allfälligen Funktionen außerhalb des Tempels. Josephus
berichtet fast nur von persönlichen Interventionen der Stadtoberen in
brenzligen Situationen. Aus den von ihm berichteten Vorfällen, die fast
alle in Jerusalem stattfanden, kann man schließen, daß die Situation dort
im ganzen erheblich delikater war als in Samarien oder Galiläa, nicht nur
darum, weil während der großen Pilgerfeste große Volksmengen in die
Stadt kamen, sondern auch deshalb, weil Judäa unter direkter römischer
Herrschaft stand und weil Jerusalem und der Tempel für die Juden als
heilige Orte eine hohe symbolische Bedeutung besaßen.
Als Fazit ergibt sich für mich: Jesus müßte blind gewesen sein, wenn er
alles dies nicht gewußt und bedacht hätte. Es ist dabei nicht nötig, anzu-
nehmen, daß besondere jüdische Feinde aus besonderen Gründen gegen
Jesus eingestellt waren. Man braucht gar nicht zu fragen, aus welchen
Gründen welche jüdischen Führer was gegen Jesus gehabt haben könnten.

" P. EGGER, „Crucifixus sub Pontio Pilato" ( N T A 32), Münster 1 9 9 7 , 1 0 0 - 1 4 7 .


20 W. NIPPEL, Public Order in Ancient Rome, Cambridge 1 9 9 5 , 1 0 2 - 1 0 6 .
21 NIPPEL a. a. O. 103.

22 E. SCHÜRER/G. VERMES, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ

II, Edinburgh 1979, 2 8 4 - 2 8 7 .

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414 Ulrich Luz

Die bloße Tatsache, daß er Prophet war und Anhänger im Volk besaß,
genügte völlig, um ihn in Jerusalem zu einem potentiellen Sicherheitsrisi-
ko zu machen. Die spätere nachösterliche Uberlieferung spricht vor allem
in den Worten vom leidenden und auferstehenden Menschensohn von
Jesu Einsicht in Gottes Plan mit ihm, vom göttlichen δει (Mk 8,31; vgl.
9,31; 10,33; 14,21.41; Mt 26,2). Ich denke, es genüge, anzunehmen, daß
Jesus nicht realitätsblind war und bewußt das tat, was er wollte, resp. was
er als seinen Auftrag erkannte, um ihn erkennen zu lassen, wie gefährlich
das Auftreten eines Propheten in Jerusalem sein konnte 23 .

2.2 Damit komme ich zu einem zweiten Punkt, der Rolle und dem
Schicksal von Propheten. Jesus wurde vom Volk als Prophet wahrgenom-
men und verstand sich selbst wohl auch als Prophet bzw. als eine die bi-
blischen Propheten überbietende Gestalt. Ich möchte hier zunächst ein-
mal darauf hinweisen, wie oft im 1. Jahrhundert symbolische Aktionen
von Propheten Anlaß zu Interventionen mit dem Ziel, Ruhe und Ord-
nung aufrecht zu erhalten, gewesen sind. Fast immer waren dabei die Ak-
tionen von Propheten an heilige Orte gebunden, ζ. B. an den Tempel, den
Ölberg oder den Berg Garizim. Ich erinnere an die wenige Jahre nach Jesu
Tod stattfindende Aktion eines samaritanischen Propheten, der dem Volk
auf dem Garizim die heiligen Geräte des Mose zu zeigen versprach (Jose-
phus, Ant. X V I I I 85-87), eine symbolische Zeichenhandlung. Diese Ak-
tion entwickelte sich rasch - aber offensichtlich von den Veranstaltern
nicht beabsichtigt (Ant. X V I I I 88) - zu einer antirömischen Aktion einer
bewaffneten Volksmenge. Pilatus griff militärisch ein und ließ nach Nie-
derschlagung des Aufstandes nicht nur den Propheten, sondern auch die
κορυφαιότατοι und δυνατώτατοι unter den Aufständischen, d. h. seine
wichtigsten Anhänger, hinrichten. Er schätzte offenbar die Situation als
viel gefährlicher ein als im Fall Jesus und griff entsprechend sehr hart
durch. Deswegen wurde er von Vitellius zur Rechenschaftsablage nach
Rom geschickt. Die Analogie ist interessant, denn sie zeigt, wie leicht
durchaus gewaltlos und friedlich gemeinte symbolische Handlungen von
Propheten aus dem Ruder laufen konnten.

" Hübsch formuliert P. WERNLE, Jesus, Tübingen 1916, 343f: „Rings um ihn herum soll
sich das N e t z seiner Feinde enger und enger zusammengezogen haben, er aber hätte
von allem nichts gemerkt und wäre harmlos seinen Häschern in die Falle gegangen?
Sein ganzes Lebenswerk wäre Schritt für Schritt zusammengebrochen, ohne daß er ge-
ahnt hätte, was für ihn persönlich daraus folgern mußte? Nein, wer so wie Jesus [ . . . ]
allen Illusionen über die Menschen fremd war [ . . . ] , wird im Gegenteil das Heranna-
hen der Katastrophe eher zu früh als zu spät erkannt haben und wird manchen seiner
Gegner mit seinen Leidensgedanken zuvorgekommen sein".

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W a r u m zog Jesus nach Jerusalem? 415

Ich erinnere sodann an eine ganze Reihe von Unheilspropheten, die


fast alle hingerichtet wurden: an die pharisäischen Propheten, die sich ge-
gen Herodes wandten (Ant. X V I I 43-45), an Theudas, der den Jor-
dandurchzug wiederholen wollte und vom Prokurator Fadus mitsamt
vielen seiner Anhänger brutal getötet wurde (Ant. X X 97-99), an den
ägyptischen Propheten, der vom Olberg aus die Mauern Jerusalems ein-
stürzen lassen wollte und dadurch ein sofortiges Einschreiten der Jerusa-
lemer Kohorte provozierte (Ant. X X 169-173). Das erste nachchristliche
Jahrhundert kann geradezu als Höhepunkt des Auftretens von Propheten
bezeichnet werden. Da solche prophetischen Gestalten in der Regel aus
der Unterschicht oder aus Gruppen stammten, die fern von der politi-
schen Macht waren24, mußten sie in den Augen der Oberschicht fast not-
wendigerweise als potentiell subversiv gelten. Daß nach späterer rabbini-
scher Lehre nicht nur die Zeit der Propheten auf die Zeit der
Schriftpropheten beschränkt wurde (TSot 13,2), sondern darüber hinaus
der legitime Inhalt der prophetischen Botschaft auf das eingeschränkt
wurde, was in der Torah des „Archipropheten" Mose zu lesen ist (bMeg
14a), hat nicht nur religiöse, sondern auch politische Implikationen.
Kurz, es gab manche Gründe für die politischen Machthaber und unter
römischer Provinzialverwaltung auch für die mit der Wahrung von Ruhe
und Ordnung beauftragten jüdischen Aristokraten, das Auftreten von
Propheten oder gar das Entstehen prophetischer Bewegungen mit beson-
derer Sorgfalt zu beobachten. Die potentielle Gefahr, daß sie außer Kon-
trolle gerieten und dadurch zur Gefahr wurden, war sehr groß.

2.3 Auch Jesus, der in die prophetische Tradition Israels hineingehört,


muß die Verbindung zwischen seiner prophetischen Aufgabe, der Stadt
Jerusalem und einem möglichen Martyrium bewußt gewesen sein. Es geht
mir hier nicht um die Frage, ob Jesus von der deuteronomistischen Pro-
phetenmordtradition geprägte Äußerungen zu seinem Tod gemacht hat,
d. h. seinen eigenen Tod als Prophetentod gedeutet hat25. Hier bin ich

24 Das gilt für die Essener, bei denen es besonders viele Propheten gab (Josephus, Bell.
II 159). Prophetie wurde dort wohl schulmäßig - durch Schriftauslegung und Traum-
deutung - gelernt. A u c h die Apokalyptiker können in gewissem Sinn als „Propheten
im Verborgenen" verstanden werden. Die Pharisäer waren damals in der Opposition.
Johannes der Täufer stammte aus der priesterlichen Unterschicht und z o g aus Jerusa-
lem weg an den Jordan. D e r Ägypter ist ein τις, von dem nicht einmal der N a m e be-
kannt ist. Jesus ben Ananias ist ein ungebildeter Mann v o m Lande (Josephus, Bell.
VI 3 0 0 ) .
25 Skeptisch sind zu R e c h t Ο . H . STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der P r o -
pheten ( W M A N T 2 3 ) , Neukirchen-Vluyn 1967, 2 8 4 - 2 8 9 ; A . VÖGTLE, Todesankündi-

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416 Ulrich Luz

eher skeptisch; höchstens das Winzergleichnis (Mk 12,1-9) könnte in sei-


nem Kern auf Jesus zurückgehen. Aber ganz unabhängig von der deute-
ronomistischen Prophetenmordtradition und ihrer Zuspitzung auf die
Stadt Jerusalem muß ihm bekannt gewesen sein, daß manche Propheten
in Jerusalem umgekommen sind26. Mehr als die Möglichkeit, daß ein Pro-
phet in Jerusalem das Martyrium erleiden könnte, ergibt sich aufgrund der
biblischen und jüdischen Traditionen, die Jesus bekannt gewesen sein
dürften, allerdings nicht. Man kann also aufgrund des geschichtlichen
Traditionswissens nicht sagen, daß „es nicht angeht, daß ein Prophet au-
ßerhalb Jerusalems umkomme" (Lk 13,33), sondern nur, daß manche
Propheten in Jerusalem gestorben sind27.

2.4 Jesus ist bei seiner Wirksamkeit in Galiläa nicht nur auf Zustimmung,
sondern auch auf Widerstand gestoßen. Zeugnis dieses Widerstandes ge-
genüber seinem Wirken geben vor allem die Gerichtsworte, welche Jesus
an Kollektive gerichtet hat: an die galiläischen Städte Betsaida, Chorazin
und Kafarnaum (Q 10,13-15), an „diese Generation" (Q l l , 3 1 f , vgl.
7,33f), an Israel (Q 13,28f), an Jerusalem (Q 13,34f). Auch wenn ich nicht
bei allen diesen Worten zu einem positiven Echtheitsurteil komme 28 , so
erlaubt doch der Gesamtbefund die Anwendung des Kohärenzkriteriums.
Einige dieser Worte verstehen die Gerichtsdrohung als Folge der Ableh-
nung des Wirkens oder der Verkündigung Jesu ( Q 10,13-15 [Wunder!];
Q l l , 3 1 f [Verkündigung!]). Das paßt zum Befund, der sich aus manchen
Gleichnissen ergibt, z. B. aus Lk 14,16-24; Mt 18,23-34; Mt 25,1-13. Ich
rechne also wie ALBERT SCHWEITZER und viele Jesusbiographen des
19. Jahrhunderts mit „zwei kontrastierenden Epochen" 29 in der Wirksam-
keit Jesu, wobei der sog. „galiläische Frühling" keineswegs nur eine Zeit
des Erfolges Jesu gewesen sein braucht. Im Unterschied zu all denjenigen
Forschern, welche mit einer sekundären Verstärkung der Gerichtsverkün-
digung erst im Laufe des Entstehungs- und Wachstumsprozesses der

gung und Todesverständnis Jesu, in: K. KERTELGE (Hrsg.), Der Tod Jesu ( Q D 74),
Freiburg u. a. 1976, 5 9 - 6 1 .
26 Jer 2 6 , 2 0 - 2 3 ; 2 C h r 2 4 , 2 0 - 2 2 ; vgl. Jer 3 8 , 4 - 6 ; 2Kön 21,16; Josephus, Ant. X 38; Martjes

5,1-14; VitProph 1,9; 23,1.


27 V g l . STECK a. a. O . 2 5 1 f .
28 Skeptisch bin ich bei Q 13,34f; vgl. U . Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1 8 -
25) (EKK 1/3), Zürich/Düsseldorf und Neukirchen-Vluyn 1997, 379f. Nicht ausge-
schlossen scheint mir die jesuanische Herkunft von Q 10,13-15; vgl. DERS., Das Evan-
gelium nach Matthäus (Mt 8 - 1 7 ) (EKK 1/2), Düsseldorf u. Neukirchen-Vluyn 3 1999,
192. Wahrscheinlich scheint mir die Herkunft von Jesus bei Q l l , 3 1 f und Q 13,28f.
29 A. SCHWEITZER, Messianitäts- und Leidensgeheimnis (o. Anm. 2) 208.

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Warum zog Jesus nach Jerusalem? 417

Logienquelle Q rechnen30, denke ich, daß ein sehr großer Teil der Ge-
richtslogien Jesus nicht abgesprochen werden kann31. Bei ihm selbst hat
also wohl eine Verschärfung der - von Johannes dem Täufer übernomme-
nen - Gerichtsverkündigung stattgefunden. Die Plazierung eines Logions
innerhalb der Komposition der Logienquelle, die für KLOPPENBORG ent-
scheidend ist, sagt m. E. grundsätzlich nichts über seine Entstehungszeit
aus.

2.5 In Jesu Verkündigung gibt es eine Reihe von Logien, welche mit Ver-
folgungen rechnen und die Jünger auch auf solche vorbereiten. Auch hier
macht es wiederum das Kohärenzkriterium unmöglich, sie insgesamt Je-
sus abzusprechen. Einige dieser Logien setzen zwar nachösterliche Ver-
hältnisse voraus und sind wohl Gemeindebildungen (Q 6,22f; Q 12,1 lf;
Q 11,49-51; Q 12,51-53; Mkl3,9.11f). Andere gehen aber wahrscheinlich
auf Jesus zurück (Q 12,8f; Q 12,4f; Q 12,6f; Q 14,27; Q 17,33). Das Kri-
terium der Wirkungsplausibilität spricht dafür, daß sich die Gemeinde
aufgrund von bereits vorhandenen jesuanischen Verfolgungslogien zur
Bildung von zusätzlichen solchen Logien anregen ließ. Sie sind vor allem
in der matthäischen Aussendungsrede gesammelt und gehen zum größe-
ren Teil, aber nicht ausschließlich, auf Q zurück. Q 12,8f, das Wort vom
Bekennen und Verleugnen Jesu, ist eines der am sichersten auf Jesus zu-
rückgehenden Menschensohnworte. Es legt nicht fest, bei welcher Gele-
genheit man sich vor den Menschen zu Jesus bekennen muß. Die Hö-
rer/innen werden aber in erster Linie an gerichtliche Verhöre gedacht
haben; diese Deutung von όμολογεΐν und άπαρνεΐσΦαι legt sich vom
Gegenüber zum Weltgericht vor den Engeln des Himmels her nahe.
Q 14,27, das Wort vom Kreuztragen, knüpft wohl an den römischen
Brauch an, daß die Verurteilten ihr Kreuz selber zur Hinrichtungsstätte
tragen müssen. Am Anfang seines Weges zum Martyrium nimmt der
Verurteilte sein Kreuz auf sich; das Logion versteht Jüngerschaft also als
Weg zur Hinrichtung 32 . Dafür, daß dieses Logion wirklich auf Jesus zu-
rückgeht, spricht vieles, ζ. B. seine dreifache Bezeugung und seine semiti-
sche Färbung33. Seine exklusive Formulierung („wer nicht sein Kreuz auf

30 So vor allem J. KLOPPENBORG, The Formation of Q, Philadelphia 1987.


31 Wichtig ist hier vor allem das Buch von RINIKER (o. Anm. 11), dessen positiven Echt-
heitsurteilen ich in der Mehrzahl der Fälle zustimme.
32 Eine übertragene Bedeutung von „Kreuz" ( = Leiden) ist vor Jesu Tod im Griechischen
und Semitischen nicht zu belegen; vgl. U . L u z a. a. O. (Mt 8 - 1 7 ) , 143.
33 Das ερχεσθαι οπίσω weist auf semitischen Sprachhintergrund, da es keine direkte se-
mitische Entsprechung zu ακολουθέω gibt; vgl. G. DALMAN, Jesus - Jeschua, Leipzig

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418 Ulrich Luz

sich nimmt [...]> kann nicht mein Jünger sein") spricht für Herkunft von
Jesus; sie paßt nämlich nicht ins spätere Urchristentum, wo Kreuzigungen
von Jüngern eine seltene Ausnahme gewesen sind. Die markinische Fas-
sung (Mk 8,34) zeigt, wie das Wort an die Situation der nachösterlichen
Gemeinde angepaßt wurde. Für Herkunft von Jesus spricht auch die
nicht-christologische Formulierung: Es geht nicht darum, Jesu Kreuz auf
sich zu nehmen. Für sie spricht schließlich die wirkungsgeschichtlich
plausible Möglichkeit, die existenzielle Deutung des Kreuzes bei Paulus
(z. B. Gal 6,14) von Jesus her zu verstehen. Das Logion macht also das
Martyrium - oder mindestens die Bereitschaft dazu - zur Bedingung der
Jüngerschaft. So deuten jedenfalls die Logienquelle und Markus, die es
mit dem Wort vom „Leben gewinnen / Leben verlieren" verbinden (Q
17,33; vgl. Mt 10,39; Mk 8,35). Ist das richtig und geht das Logion wirk-
lich auf Jesus zurück, so hat Jesus auch für sich selbst mit der Möglich-
keit, ja mit der Wahrscheinlichkeit der Kreuzigung gerechnet. Diese
Möglichkeit ist keineswegs undenkbar, denn die Kreuzigung war im da-
maligen Palästina die häufigste Hinrichtungsweise. Es ist verständlich,
daß diese Schlußfolgerung viele Exegeten davor zurückschrecken ließ, das
Logion für echt zu halten; nicht nur JÜRGEN BECKER, sondern auch der in
Echtheitsfragen sonst recht positiv urteilende GERD THEISSEN übergeht
es mit Schweigen.
Die übrigen Logien, die ich vorher nannte, stützen aber diesen Schluß:
Die Logien Q 12,4-7 scheinen vorauszusetzen, daß die Jünger getötet
werden könnten, und sprechen ihnen Mut zu. Irgend eine christologische
Implikation enthalten sie nicht; gerade darum sind sie echtheitsverdäch-
tig. Q 17,33, das Wort vom Leben gewinnen und verlieren, verliert ohne
das Martyrium als möglichen Hintergrund jeden konkreten Haftpunkt im
Leben. Q 12,8f ist fast nur verstehbar, wenn es sich auf eine gegenwärtig
mögliche gerichtliche Situation bezieht. Das Wort vom Kreuztragen steht
also keineswegs isoliert, sondern wird durch das Kohärenzkriterium ge-
stützt.
Alle Logien sind für mich am leichtesten verständlich, wenn Jesus in
der Schlußphase seines Wirkens mit der Möglichkeit seiner eigenen Hin-
richtung und auch mit der Möglichkeit der Hinrichtung seiner Jünger
ernsthaft gerechnet hat. Wie FRANZ MUSSNER und andere rechne auch ich
mit so etwas wie einer „galiläischen Krise" 34 . Als Fazit ergibt sich für

1922, 172. Vgl. weiter M. BLACK, Die Muttersprache Jesu ( B W A N T 115), Stuttgart
u. a. 1982, 195f.
34 Vgl. MUSSNER O. Anra. 8. Anders als er meint L. OBERLINNER, Todeserwartung und
Todesgewißheit Jesu (SBB 10), Stuttgart 1980, 112-135, bes. 134f, daß Jesu Todesge-

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Warum zog Jesus nach Jerusalem? 419

mich, daß Jesus bei seiner Jerusalemreise die Lebensgefahr, in die er sich
begab, klar gewesen sein muß. Er muß sie bewußt in Kauf genommen ha-
ben. Damit gewinnt die Frage „Warum ging Jesus nach Jerusalem?" eine
neue Brisanz. Sie lautet jetzt: Hat er seine Hinrichtung nicht nur in Kauf
genommen, sondern sogar gewollt? Die Möglichkeit, daß er nach Jerusa-
lem zog, um dort zu sterben, ist ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

3. Jesu Verhalten in Jerusalem

Im folgenden Argumentationsgang möchte ich Jesu Verhalten weiter


verfolgen. Ich konzentriere mich auf Jerusalem. Zur Debatte stehen:
1. der Einzug in die Stadt; 2. die Tempelreinigung; 3. Jesu Verhalten da-
nach.

3.1 Der Einzug nach Jerusalem. Der Forschungstand läßt sich kurz dahin
zusammenfassen, daß nach der Meinung der meisten Jesu triumphaler
Einzug in Jerusalem zwar in den evangelischen Erzählungen überhöht,
aber kaum „ganz erfunden" sein dürfte 35 . Es spielt dabei keine große Rol-
le, wer Jesus zujubelte, und wir wissen natürlich auch nicht, was Jesus
selbst angesichts dieser messianischen Ovation dachte. Wichtig ist nur,
daß Jesus sich dieser Ovation offenbar nicht entzogen, sondern mitge-
spielt hat. Darin steckt natürlich eine Provokation. Ob im Trubel der Pil-
gerscharen vor dem Passahfest diese Provokation von vielen bemerkt
wurde, ist eine andere Frage.

3.2 Keine Frage ist dies beim nächsten Vorfall, der Austreibung der
Geldwechsler und Verkäufer aus dem Tempelvorhof. Wiederum frage ich
nur, ob dieser Vorfall im Leben Jesu wirklich stattgefunden hat. Mich in-
teressiert also nicht die Absicht, welche Jesus allenfalls mit dieser pro-
phetischen Zeichenhandlung verbunden hat. Da ich der Meinung bin, daß
Jesus von den jüdischen Behörden einfach deshalb dem Statthalter über-
stellt wurde, weil er eine Gefahr für Ruhe und Ordnung darstellte und
daß dies ganz unabhängig davon, was sie oder einzelne jüdische Gruppen

wißheit durch die Ereignisse in Jerusalem, d. h. durch die Feindschaft der jüdischen
Führer nach dem Vorfall im Tempel, entstanden sei.
"ROLOFF, Jesus (o. Anm. 14) 107; vgl. E. P. SANDERS, The Historical Figure of Jesus,
London 1993, 250; G. THEISSEN/A. MERZ, Der historische Jesus, Göttingen 1996, 170.

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420 Ulrich Luz

gegen seine Verkündigung gehabt haben könnten, ihre Pflicht war36, ist
die Frage nach Jesu Absicht verhältnismäßig irrelevant. Die letzte mir be-
kannte prominente Bestreitung der Historizität der Austreibung ist dieje-
nige von JÜRGEN BECKER. Seine Argumente gegen die Historizität der
Szene sind im wesentlichen zwei: 1. Sie setze voraus, daß Jesus die Rein-
heit und Heiligkeit der inneren Tempelbezirke auf den Vorhof ausweite,
was nicht zum Gesamtbild Jesu passe. 2. Der Text spreche vom „Heraus-
werfen der Verkäufer und Käufer im Tempel"; dies sei unvorstellbar, denn
die Tempelpolizei oder die römische Garnison auf der Antonia hätte so-
fort eingegriffen; die Historizität der Szene sei nur so zu retten, daß man
sie zu einem marginalen Vorfall mache oder zu einer prophetischen Sym-
bolhandlung minimiere37. Ich halte beide Argumente für nicht stichhaltig:
Das zweite Argument beißt sich in den Schwanz: Man kann genau so gut
umgekehrt argumentieren, daß die Austreibung nur eine symbolische Zei-
chenhandlung gewesen sein könne, die relativ verborgen blieb, gerade weil
die Tempelpolizei nicht einschritt und weil sich die Jünger daran nicht
aktiv beteiligt haben dürften. Dafür spricht ja immerhin, daß sie später
nicht zusammen mit Jesus verhaftet wurden. Der sehr knappe Bericht Mk
11,15 sagt nur, daß Jesus „angefangen habe", die Verkäufer wegzutreiben;
er setzt keineswegs voraus, daß Jesus den ganzen, mehrere Hektaren gro-
ßen Tempelvorhof gesäubert habe. Das erste Argument setzt eine be-
stimmte Deutung der Tempelreinigung voraus und bedenkt andere Deu-
tungsmöglichkeiten gar nicht, z. B. eine Deutung der Symbolhandlung als
sozialkritischer Protest gegen die wirtschaftliche Macht der Tempel-
aristokratie, die vom Handel im Tempelvorhof profitierte 38 , oder ihre
Verbindung mit dem Logion Mk 14,58, das die Zerstörung des Tempels
ansagt39. Es reduziert überdies den Gedanken der Heiligkeit des Tempels
auf seine Reinheit. Mk 11,16 könnte aber dafür sprechen, daß es Jesus
nicht um die Reinheit, sehr wohl aber um die Heiligkeit des Tempels
ging40. Für die Historizität dieser Episode sprechen ihre gute Veranke-

36 Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 2 6 - 2 8 ) (EKK 1/4), Düsseldorf u.
Neukirchen-Vluyn 2002, 201 f.
37 BECKER (O. Anm. 15) 407-410.

38 So z. B. J. JEREMIAS, Neutestamentliche Theologie, Gütersloh 1971, 145; H . D. BETZ,

Jesus and the Purity of the Temple (Mk 11,15-18). A Comparative Religion Approach,
J B L 116 (1997), 4 5 5 - 4 7 2 , bes. 461Í.465-467.
39 So z. B. E. P. SANDERS, Jesus and Judaism, Philadelphia 1985, 6 1 - 7 2 ; THEISSEN/MERZ,

Der historische Jesus (o. Anm. 35), 380f; J. GNILKA, Jesus von Nazaret (HThK.S 3),
Freiburg u. a. 1990, 279f.
40 Die Echtheit ist allerdings unsicher. - Auch beim Ehescheidungsverbot ging es Jesus

vermutlich um die Heiligkeit der Ehe und um Gottes gültigen Willen, nicht um die

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Warum zog Jesus nach Jerusalem? 421

rung in der vormarkinischen Passionsgeschichte und die Möglichkeit ihrer


Verbindung mit der Vollmachtsfrage (Mk ll,27ff) und der Ankündigung
der Tempelzerstörung (Mk 14,58 u. a.). Außerdem ist es schwierig, sich
ein plausibles Motiv für eine nachösterliche Entstehung dieses kurzen Be-
richtes vorzustellen; auch die Evangelisten hatten ihre Probleme mit der
Deutung dieser Episode. Mit den neueren Untersuchungen von JÜRGEN
SAUER 41 , HANS D I E T E R BETZ 4 2 , JOSTEIN ADNA 4 3 u n d K U R T PÄSLER 4 4 g e h e
ich davon aus, daß diesem Bericht ein historischer Kern zugrundeliegt.

3.3 Ich lasse es offen, in welcher Form Jesus seine Ankündigung der Zer-
störung des Tempels, die ich ebenfalls für historisch halte45, gemacht hat.
JÜRGEN BECKER weist darauf hin, daß eine solche in guter prophetischer
Tradition stehende Äußerung (vgl. Jer 26,9.18; äthHen 90,28f etc.) „kein
Anlaß wäre, Jesus zu töten" 46 . Das Verfahren gegen Jesus ben Ananias
(Josephus, Bell. VI 300-306) weist auf das Gegenteil. Der Grund für Jesu
Hinrichtung war ja kein juristischer, sondern ein politisch-taktischer: Es
macht einen großen Unterschied, wo man eine prophetische Äußerung
tut, ob in einem halb im Untergrund zirkulierenden Traktat oder öffent-
lich, im Tempel oder in der Stadt, zum Zeitpunkt eines Pilgerfestes, nach
einer kleineren στάσις.

Ich fasse zusammen·. Jesus hat sich in Jerusalem sehr auffällig benommen.
Er hat sich um das offenkundige Risiko, das er dadurch einging, über-
haupt nicht gekümmert. Spätestens nach seiner Zeichenhandlung im
Tempel wäre es höchste Zeit gewesen, sich aus der Stadt abzusetzen und
unterzutauchen. Jesus hat das nicht getan. Er hat also in der Tat seinen
möglichen Tod bewußt in Kauf genommen oder ihn sogar gewollt. Dann
aber muß man die Frage stellen, welchen Sinn er in ihm gesehen haben
könnte.

damit verbundenen Reinheitsvorschriften. Diese spielen erst in der vormt Unzucht-


klausel eine Rolle.
4 1 J. SAUER, Rückkehr und Vollendung des Heils, Regensburg 1991, 445-459.

42 BETZ a. a. O . 4 5 9 .
43 J . ADNA, J e s u S t e l l u n g z u m T e m p e l ( W U N T 2 / 1 1 9 ) , T ü b i n g e n 2 0 0 0 , 3 0 0 - 3 3 3 .
44 K. PAESLER, Das Tempelwort Jesu (FRLANT 184), Göttingen 1999, 240-245.
45 Anders BECKER (o. Anm. 15) 405f. Für die Historizität: THEISSEN/MERZ a. a. O. 380f.
PAESLER a. a. O. 256-261 rechnet damit, daß Mk 13,2, nicht aber Mk 14,58 auf Jesus
zurückgeführt werden könne.
46 BECKER (O. A n m . 1 5 ) 4 0 4 .

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422 Ulrich Luz

4. Der Sinn von Jesu Tod

Was hat Jesus selber mit seinem T o d für einen Sinn verbunden? Sehe ich
recht, so sind es nur zwei Texte, die uns möglicherweise in dieser Frage
Hinweise geben könnten 47 , nämlich Lk 12,49f und die Einsetzungsworte
zum Abendmahl Mk 14,22-25.

4.1 Das Logion Lk 12,49f ist eines der schwierigsten in der ganzen synop-
tischen Tradition. Relativ große Einigkeit herrscht darüber, daß V. 49
sehr alt ist, wobei hier offen bleiben kann, ob er aus Q stammt oder nicht.
Der auch vom Thomasevangelium überlieferte Vers 48 enthält verschiedene
Semitismen 4 '. „Feuer" ist eine offene Metapher; biblisch und jüdisch ge-
prägte Hörer/innen werden sie aber fast sicher negativ und ohne weitere
das Verständnis lenkende Hinweise im Text auf das göttliche Gerichts-
feuer gedeutet haben 50 . Auch die Verbindung mit βαλεΐν επί την γην
spricht für diese Deutung 51 . Jesus ist also gesandt, um das Feuer des gött-
lichen Gerichts auf die Erde zu bringen. Diese Aussage ist nicht so über-
raschend, wie sie klingt: Sie entspricht dem, was Johannes der Täufer von
dem nach ihm kommenden Feuerrichter sagt, der größer ist als er ( Q
3 , 1 6 ) . Mit ζ. B. JÜRGEN BECKER 52 m ö c h t e ich den „Stärkeren" auf den
Menschensohn deuten. Hat Jesus sich selber für denjenigen gehalten, der
einst als Menschensohn inthronisiert werden wird und jetzt inkognito auf

47 Lk 13,32 ist zwar jesuanisch, aber das Verbum τελειοΰμαι bezeichnet vermutlich nicht
mehr als den von Gott gesetzten Abschluß seines Wirkens. Mk 12,1-9 - die Authenti-
zität ist unsicher - knüpft Jesus an die deuteronomistische Prophetenmordtradition
an, die durch die Metapher des „Sohns" gegenüber den „Sklaven" überhöht wird. Die
Parabel könnte deutlich machen, daß Jesus in seinem eigenen Wirken eine Fortsetzung
und zugleich Überhöhung des Wirkens der biblischen Propheten sieht (vgl. Q 11,32),
sagt aber nichts über einen möglichen Sinn des Todes Jesu.
48 EvThom Log. 10.

4 ' Der deutlichste ist τί θέλω (V. 49). P. WOLF, Liegt in den Logien von der Todestaufe

(Mk 10,38f; Lk 12,49f) eine Spur des Todesverständnisses Jesu vor? Diss. Freiburg
1 9 7 3 , 1 2 6 - 1 4 1 , weist ferner auf θέλειν έν und βάπτισμα βαπτισθηναι.
50 Ubersicht über die Assoziationsmöglichkeiten bei F. BOVON, Das Evangelium nach

Lukas (Lk 9,51-14,35), Zürich/Düsseldorf u. Neukirchen-Vluyn 1996 ( E K K I I I / 2 ) ,


349f. In der „Enzyklopädie" der jüdisch geprägten Rezipient/innen des Wortes domi-
niert eindeutig der Gedanke an das Gericht; vgl. G . DELLING, Βάπτισμα βαπτισθη-
ναι, in: DERS., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum, Ge-
sammelte Aufsätze 1950-1968, Göttingen 1970, 236-256, dort 247-249; D . ALLISON,
The End of the Ages has Come, Philadelphia 1985,124f.
51 Vgl. Gen 19,24; 2Kön 1,10-24; Josephus, Ant. I 98; O f f b 16 passim (Ausgießen der

Zornschalen auf die Erde).


52 BECKER (O. A n m . 1 5 ) 5 4 - 5 6 .

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Warum zog Jesus nach Jerusalem? 423

der Erde lebt (was mir am wahrscheinlichsten zu sein scheint), so steht Lk


12,49 in nahezu perfekter Kontinuität zur Aussage Johannes des Täufers.
Jesus hätte sich dann nicht nur als denjenigen verstanden, der das Gottes-
reich inauguriert, sondern auch als Inaugurator seiner „Kehrseite", des
Gerichts.
Sehr viel größer werden die Schwierigkeiten, wenn wir uns V. 50 zu-
wenden. Das Verhältnis beider Verse zueinander ist das eines weiterfüh-
renden, bzw. sogar antithetischen (δέ) Parallelismus. Dieser braucht aber
nicht ursprünglich zu sein. C L A U S P E T E R M Ä R Z hat darauf hingewiesen,
daß V. 50 weniger semitisch formuliert ist als V. 49 und sprachlich im
ganzen lukanischer Diktion gut entspricht". Er hält Lk 12,50 für eine lu-
kanische Erweiterung von V. 49, welche grundlegende Textabschnitte und
Motive aus dem ausgelassenen Markusstück Mk 10,35-45, nämlich das
Wort an die Zebedaiden vom Todeskelch und der Todestaufe Mk 10,38,
vorwegnehme 54 . Trotz möglicher Lukanismen in V. 50 halte ich dies nicht
für wahrscheinlich: Lukas läßt zwar öfters Texte rückschauend weg, wenn
sie in einer anderen von ihm benutzten Quelle früher vorkamen 55 , aber es
ist selten seine Gepflogenheit, einzelne weggelassene Verse textlich vari-
iert an einer beliebigen anderen Stelle seines Evangeliums wieder einzufü-
gen56. Es ist auch nicht sein Brauch, Parallelismen zu vermehren oder neu
zu schaffen. Dazu kommt, daß V. 50 zwischen V. 49 und V. 51-53 im lu-
kanischen Kontext schlecht paßt: Liest man V. 49 im lukanischen Kontext
von V. 51-53 her, so ist beim „Feuer" am ehesten an das Feuer der Evan-
geliumsverkündigung, bzw. das Feuer des heiligen Geistes zu denken 57 .
V. 50 müßte als ein Hinweis auf Getsemani 58 und den Tod Jesu gedeutet

53
Als Lukanismen werden genannt: εχω + Inf., συνέχω, εως ότου und τελέω. Aller-
dings ist absolut gebrauchtes συνέχω nicht lk. Das an sich geläufige (aber nicht spezi-
fisch lk!) πώς kommt nur noch Lk 18,24 in einem Ausruf vor. εχω + Inf. wird bei Lk
nicht im Sinn einer Notwendigkeit gebraucht - dafür braucht Lk normalerweise δει.
54
C. P. MÄRZ, „Feuer auf die Erde zu werfen, bin ich gekommen . . . " , in: DERS., „ . . .
laßt eure Lampen brennen!" (EThS 20), Leipzig 1991, 10-12; vgl. ähnlich schon
H . KÖSTER, Art. συνέχω, ThWNT VII, 1964, 883.
55
Vgl. H . SCHÜRMANN, Sprachliche Reminiszenzen an abgeänderte oder ausgelassene
Bestandteile der Redequelle im Lukas- und Matthäusevangelium, in: DERS., Traditions-
geschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien (KBANT), Düssel-
dorf 1968, dort 113f; DERS., Die Dublettenvermeidungen im Lukasevangelium, ebd.
279-289. Vorausschauende Dublettenvermeidung kennt Lukas nach SCHÜRMANN
a. a. O. 288f nicht. Mk 10,42-45//Lk 22,24-27 ist aber ein Gegenbeispiel dazu.
" Vgl. immerhin Lk 17,33.
57
M i t F. BOVON, D a s E v a n g e l i u m n a c h Lukas (Lk 9 , 5 1 - 1 4 , 3 5 ) ( E K K I I I / 2 ) , Z ü r i c h /
Düsseldorf u. Neukirchen-Vluyn 1996, 352.
51
Dann wäre auch das Stichwort ποτήριον zu erwarten, das zugleich eine deutliche Re-
miniszenz zu Mk 10,38 und einen Vorverweis auf Lk 22,42 hergestellt hätte.

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424 Ulrich Luz

werden, was zwischen V. 49 und V. 51-53 im lukanischen Kontext ziem-


lich unpassend wäre. Ich rechne also damit, daß Lk 12,50 bereits Be-
standteil der lk Quelle war, also von Q oder Q 1 *. Lk hat später Mk 10,38f
weggelassen, weil er eine Dublette vermeiden wollte.
Ist der Parallelismus zwischen V. 49 und V. 50 ursprünglich - dagegen
spricht a priori nichts - so kann der Vers ebenso wie V. 49 auf Jesus zu-
rückgehen. Geht er aber wirklich auf Jesus zurück? Uber ein „vielleicht"
kommen wir nicht hinaus. Gegenüber dem Kelchwort Mk 10,38 wirkt Lk
12,50 eher ursprünglich, weil Mk 10,38 unabhängig von seinem apo-
phthegmatischen Kontext nicht tradierbar ist. Daß Jesus sein kommen-
des Leiden „zusetzt", klingt anders als das bestimmte δει der nachöster-
lichen Leidensankündigungen des Menschensohns; aber ein zwingender
Echtheitshinweis ist auch das nicht, denn es könnte die Erinnerung an
Getsemani im Hintergrund stehen. Nach dem Kriterium wirkungsge-
schichtlicher Plausibilität spricht für das Wort, daß die paulinischen Aus-
sagen von einer Taufe „auf den Tod Jesu" (Rom 6,3; vgl. Kol 2,12) auf
dem Hintergrund von Lk 12,50 gut verständlich werden - aber auch das
ist nicht zwingend. Wir müssen also bei einem „vielleicht" stehen bleiben.
Was ist mit dem „Untertauchen" gemeint, das Jesus bevorsteht? Es
gibt drei Möglichkeiten: a) Man könnte ganz allgemein an das Gericht
denken, etwa an die Feuer- und Wasserflut.59 b) Jesus könnte in 12,49f im
besonderen das Gerichtsbild Johannes des Täufers von der Feuertaufe
aufnehmen.60 Dagegen spricht aber, daß das „Feuer" und das „Untertau-
chen" deutlich unterschieden werden: In V. 49 bringt Jesus aktiv das Ge-
richtsfeuer, in V. 50 dagegen erleidet er ein Untertauchen, c) Oder ist an
die dem Gericht unmittelbar vorausgehenden messianischen Wehen zu
denken?61 Abgesehen davon, daß die Vorstellung messianischer Wehen
damals keineswegs allgemein verbreitet war, deutet das Jesuslogion durch
nichts an, daß das „Untertauchen" dem „Feuer" vorausgehen könnte.
Man muß also wahrscheinlich bei βάπτισμα von einem allgemeinen
Sprachgebrauch ausgehen: In biblischer Sprache ist die Wasserflut eine

59 So J. JEREMIAS, Die Gleichnisse Jesu, Göttingen '1977, 163f. Pointiert und mit vielen
Belegen wird diese Interpretation von S. LEGASSE vertreten: L'épisode des fils de
Zébédée, NTS 20 (1973/74), 161-177, dort bes. 166-169.
60 So vor allem WOLF (o. Anm. 49) 217-225.231-237. Falls sich Jesus in Lk 12,50 auf die
Täuferankündigung zurückbezieht, dann wäre dies aber nur so möglich, daß er dessen
Hoffnung auf das Kommen des „Feuertäufers" ganz bewußt umbiegt und zu einer ihn
selbst betreffenden Leidenserfahrung macht.
61 D. ALLISON (O. Anm. 50) 127 versteht "the eschatological tribulation" als "the begin-
ning of God's judgement": Auf alle, auch auf Jesus, komme das Feuer und die Flut.
Gegen diese Interpretation spricht aber die markant unterschiedliche Stimmungslage
von V. 49 und V. 50.

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Warum zog Jesus nach Jerusalem? 425

Metapher für Bedrängnis und Leiden62. Eine große Bedrängnis Jesu - daß
der Tod gemeint ist, ergibt sich aus dem bildlichen Sprachgebrauch kei-
neswegs zwingend - steht in einem Zusammenhang mit Jesu Auftrag, das
Feuergericht auf die Welt zu bringen. GERHARD DELLING, in dessen
Umkreis ich mich mit meiner Interpretation bewege, nannte das Feuer
„ein Gerichtsgeschehen, in das Jesus selbst einbezogen ist" 63 . Mehr als
dies können wir nicht sagen, ohne unerlaubt zu spekulieren.
ALBERT SCHWEITZER deutete den Tod Jesu als Sühnetod: Jesus habe
stellvertretend für seine Jünger die Drangsale der messianischen Wehen
auf sich genommen und gehofft, so das Reich Gottes heraufzuführen. Lk
12,50 gibt weder einen klaren Deutungshinweis auf die messianischen
Wehen noch einen solchen auf den Sühnetod, ohne daß allerdings solche
Deutungen ausgeschlossen werden könnten. Die einzige Stelle, die hier
möglicherweise weiterhilft, sind die Einsetzungsworte zum Abendmahl.

4.2 Hat Jesus bei seiner letzten Mahlzeit gegenüber seinen Jüngern seinen
Tod als Sühnetod oder Stellvertretungstod gedeutet? Leider kann ich hier
so wenig Gewißheiten vermitteln wie die meisten anderen. Wie heute vie-
le, gehe ich eher von den beiden unsymmetrischen Worten IKor 11,23-25
als von den streng parallelen Deuteworten Mk 14,22-24 als ältester Fas-
sung der Deuteworte aus. Das m. E. stärkste Argument für den jesuani-
schen Ursprung der Deuteworte ist dasjenige von HEINZ SCHÜRMANN:
Er weist beim Becherwort darauf hin, daß bei jüdischen Mahlzeiten der
Einzelbecher üblich ist und daß der in den Mahlberichten eindeutig vor-
ausgesetzte eine Becher, der unter den Jüngern kreist, ein so eigentüm-
licher Ritus sei, daß er gedeutet werden müsse.64 Obwohl seither darauf
hingewiesen wurde, daß es auch einzelne jüdische Belege für einen ge-
meinsamen Becher und vor allem für das Uberbringen eines Bechers an
Abwesende gebe65, behält das Argument sein Gewicht: Üblich ist der
Gemeinschaftsbecher auf gar keinen Fall. Man mußte ihn also deuten.
Natürlich kommt diesem Postulat nur eine Wahrscheinlichkeit zu. Die
zusätzliche Hypothese, daß die überlieferte Deutung zugleich die ur-

62 2Sam 22,5; Ps 32,6; 42,8; 69,2f; 124,4f. Das Wort βάπτισμα kommt allerdings nicht
vor.
63 DELLING (O. A n m . 5 0 ) 2 5 0 .
64 H . SCHÜRMANN, J e s u u r e i g e n e r T o d , F r e i b u r g u. a. 2 1976, 79-90; vgl. a u c h DERS.,
Gottes Reich - Jesu Geschick, Freiburg u. a. 1983, 213-222. Besonders deutlich ist die
konstitutive Funktion des einen Bechers in IKor 10,16 akzentuiert.
" Belege bei J. GNILKA, Wie urteilte Jesus über seinen Tod?, in: KERTELGE (o. Anm. 25)
40f.

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426 Ulrich Luz

sprüngliche sei, ist auch nur eine wahrscheinliche Annahme, wenn auch
bei weitem die einfachste.
Man kann die These SCHÜRMANNS durch drei zusätzliche Überlegun-
gen verstärken: 1. So weit wir sehen können, haben sämtliche urchristli-
chen Gemeinden ein Herrenmahl gefeiert (auch die johanneische!). Diese
Mahlzeit hatte für sie eine so konstitutive Bedeutung, daß sie wahrschein-
lich überall ähnlich gefeiert wurde, also auch z. B. von der judenchristli-
chen Matthäusgemeinde nicht als jährlich gefeierte Passaherinnerung. Das
läßt sich am leichtesten erklären, wenn die Herrenmahlsüberlieferungen
auf Jesus zurückgehen. 2. Eines der schwierigsten Probleme des Urchri-
stentums besteht darin, zu erklären, warum im Frühchristentum offen-
sichtlich früh und vermutlich überall" die Taufe auf den Namen Jesu aus-
geübt wurde, obwohl Jesus selber wohl nicht taufte. Die Johannestaufe,
welche auf die Sündenvergebung zielte, wurde als Taufe auf den Namen
Jesu wieder aufgenommen. Das ist m. E. nur verständlich, wenn man an-
nimmt, daß „Jesus" für seine nachösterlichen Anhängerinnen und Anhän-
ger von Anfang an mit der Vergebung der Sünden verbunden wurde.
Nicht erst nachösterliche kerygmatische Bekenntnisaussagen, sondern
m. E. bereits das Faktum der Taufe auf den Namen Jesu setzt wahr-
scheinlich die Deutung des Todes Jesu als Sühnetod voraus. Das ist wie-
derum am leichtesten verständlich, wenn sie auf Jesus selbst zurückgeht.
3. Darüber hinaus erinnere ich nochmals an das Postulat der Wirkungs-
plausibilität: Die Uberzeugung von der sühnenden Kraft des Todes Jesu
ist im Frühchristentum so weit verbreitet, daß die These, sie sei erst
nachösterlich irgendwo entstanden und habe sich dann sehr schnell und
überall durchgesetzt, doch einige Verlegenheit bereitet. Daß hier ein Erbe
Jesu vorliegt, ist die einfachste Erklärung.

Ich sagte zu Beginn, daß ich in die Nähe ALBERT SCHWEITZERS kommen
würde. Dies stimmt nur bedingt. Es stimmt insofern, als ich denke, daß
keine einzige der grundlegenden Thesen ALBERT SCHWEITZERS zum Gang
Jesu nach Jerusalem und zu seinem Todesverständnis sich wirklich falsifi-
zieren läßt. Ihm bleibt jedenfalls das Verdienst, daß er erkannt hat, daß
bereits Jesu letzter Reise nach Jerusalem eine bestimmte Absicht zugrun-

" Die Vermutung von K. BERGER, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen/


Basel 2 1995, 127f, daß im Frühchristentum nicht überall getauft wurde, weil die direkte
Anteilgabe an Jesu pneumatischer Vollmacht die Wassertaufe ersetze (z. B. bei MK und
Mt [vgl. 28,16-20!]), kann ich nicht nachvollziehen. Dasselbe gilt für seine Feststel-
lung, daß es „mehrere Taufen im frühen Christentum" gegeben habe (a. a. O. 139).
Hier wird eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten der Taufe mit einer Vielzahl von
Taufen verwechselt.

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Warum zog Jesus nach Jerusalem? 427

de gelegen haben muß, die wahrscheinlich mit seinem durchaus vorher-


sehbaren Tod in Verbindung stand. Ihm bleibt das Verdienst, eine Frage
gestellt zu haben, welche viele Forscher nach ihm beiseite schoben. Aber
manche Elemente seiner Antwort erweisen sich im Lichte der Texte als
kühne Konstruktion: Es ist denkbar, aber wirklich höchstens denkbar,
daß Jesus seinen Tod in den Zusammenhang der endzeitlichen Drangsale
gestellt hat. Es ist denkbar, aber mit Mk 4,26-29 nur schwer verbindbar,
daß er durch ihn das Kommen des Gottesreichs beschleunigen oder gar
herbeiführen wollte. Es ist denkbar, aber für mich nur mit Mühe denkbar,
daß Jesus durch seinen eigenen Tod stellvertretend seinen Jüngern das
Erleiden der endzeitlichen Drangsale ersparen wollte; das Logion vom
Kreuztragen, Q 14,27, spricht jedenfalls nicht gerade für diese These, und
in Mk 14,24 weist das „für viele" wohl auf eine Stellvertretung für ganz
Israel, nicht nur für die Jünger.
So hat sich die Frage nach dem Sinn, den Jesus mit seinem für ihn mehr
als vorhersehbaren Tod verbunden hat, zwar als eine historisch sehr be-
rechtigte Frage erwiesen. Wenn für die Jesusanhänger später der Tod Jesu
zu einem Kernpunkt ihres Glaubens wurde, so haben sie nicht einfach
nach Ostern die Geschichte Jesu auf den Kopf gestellt. Sie ist aber nur an-
satzweise beantwortbar, und diese Einsicht mag uns daran erinnern, wie
sehr historische Hypothesen eigene Konstruktionsversuche sind. Und das
gilt natürlich auch für meine.

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas

Erwägungen zum Verhältnis von Bekenntnis und historischer


Erkenntnis in der neutestamentlichen Christologie*

A N D R E A S LINDEMANN

Zu den eindrücklichsten Entwicklungen in der neutestamentlichen Wis-


senschaft am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts gehört das
neu erwachte Interesse an der historischen Frage nach Jesus von Naza-
reth. Das vergangene Jahrhundert hatte begonnen mit A L B E R T S C H W E I T -
ZERS „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" 1 , in der die Einsicht vermit-
telt wurde, daß die Darstellungen des Lebens Jesu - wie wissenschaftlich
auch immer sie angelegt sein mochten - stets Spiegel der eigenen Vor-
stellungen der betreffenden Autoren waren, was nicht zuletzt natürlich
auch für SCHWEITZERS eigenes Jesusbild galt. Dieses Ergebnis trug mit
dazu bei, daß in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein relatives Des-
interesse an der historischen Jesusfrage überwog, aus theologischen wie
auch aus historischen Gründen. Zum einen war vor allem die Dialektische
Theologie davon überzeugt, daß es falsch sei, den Glauben historisch
sichern zu wollen; zum andern setzte sich weithin die Annahme durch,
daß die kritisch arbeitende historische Forschung bei der Frage nach Jesus
gar nicht zu einem methodisch gesicherten Ziel gelangen könne. 2
In den fünfziger Jahren warf E R N S T KÄSEMANN dann die „neue Frage"
nach dem historischen Jesus auf, mit der Begründung, der Glaube bzw.
die Christologie dürfe nicht in der Luft hängen. 3 Damit verband sich die
nicht nur methodische, sondern auch inhaltliche Tendenz, Jesus von sei-
ner Zeit und seiner religiösen und kulturellen Umwelt abzugrenzen 4 - üb-

* Uberarbeitete Fassung eines am 6. Januar 2001 bei der Evangelischen Forschungsaka-


demie in Berlin gehaltenen Vortrags.
1 SCHWEITZER, Von Reimarus zu Wrede, 1906, seit der 2. Auflage 1 9 1 3 unter dem oben

genannten Titel.
1 Vgl. SCHMIDT, Jesus Christus, 116: Uber Jesus können „nicht Aussagen gemacht wer-

den wie über andere Persönlichkeiten der Geschichte".


3 KÄSEMANN, P r o b l e m , 1 8 9 u . ö .
4 Vgl. KÄSEMANN, Problem, 205f.

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430 Andreas Lindemann

rigens einer der Streitpunkte zwischen KÄSEMANN und RUDOLF BULT-


MANN, da letzterer nachdrücklich betonte, daß Jesus Jude gewesen sei und
nur von daher angemessen verstanden werden könne. 5 Im Rückblick auf
die in den fünfziger und sechziger Jahren zum Teil sehr hitzig geführte
Debatte fällt übrigens auf, daß KÄSEMANN zwar vehement eine historische
Jesusforschung forderte, selber aber dazu keinen eigenen größeren Beitrag
lieferte. Die am nachhaltigsten wirkenden deutschsprachigen Jesusdar-
s t e l l u n g e n w u r d e n v o n GÜNTHER BORNKAMM 6 u n d v o n HANS C O N Z E L -
MANN7 verfaßt.
Seit den 1980/90er Jahren spricht man vom „Third quest", d. h. es gibt
die sozusagen „neueste" Frage nach Jesus. 8 Nun liegt alles Gewicht dar-
auf, daß Jesus als Jude im Kontext des Judentums seiner Zeit verstanden
wird; eine der Konsequenzen ist, daß die neueren Jesusbücher zum Teil
wieder sehr umfangreich geworden sind, freilich weniger dank der Ent-
deckung neuer Quellen, sondern vor allem deshalb, weil die Darstellung
der Umwelt Jesu, also die Darstellung Galiläas und generell des Juden-
tums im 1. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung, aber auch Vergleiche
mit der philosophischen Bewegung des Kynismus breiten Raum einneh-
men.' Deutlich in den Hintergrund getreten ist hingegen das einst ange-
sichts der damals „neuen Frage" nach dem historischen Jesus noch sehr
intensiv diskutierte Problem des Verhältnisses der aus der Jesusforschung
zu gewinnenden historischen Einsichten zu dem Inhalt des christlichen
Bekenntnisses. 10 Dieses Bekenntnis setzt den historischen Jesus natürlich

S BULTMANN, Verhältnis, 449. Es werde, „ - besonders nachdrücklich von Käsemann -


bestritten, daß man Jesus dem Judentum zurechnen darf, da er doch die Grenzen der
jüdischen Religion entscheidend durchbrochen habe"; dazu sei zu sagen, „daß er nur
als Jude das Judentum radikal überwinden konnte". Es sei dann „ein Wortstreit", ob
man Jesus als Juden bezeichne oder nicht; „jedenfalls kann man ihn nicht einen Chri-
sten nennen. Als historische Gestalt steht er innerhalb des Judentums". KÄSEMANN,
Sackgassen, 48 antwortete darauf, es gehe „nicht darum, ob er ein Jude oder ein Christ
unter anderen war, sondern darum, daß dieser Jude nach dem gemeinsamen Zeugnis
der Christenheit Anfänger und Vollender des Glaubens, Urbild des Gehorsams, der
neue Adam und als solcher nicht die Voraussetzung, sondern die Mitte des Neuen Te-
stamentes ist" (Hervorhebung im Orig.); inwiefern es sich bei diesen Feststellungen
um Aussagen über den „historischen" Jesus handelt, ist nicht deutlich.
6 BORNKAMM, Jesus.
7 CONZELMANN, Art. Jesus Christus.
8 Vgl. dazu DU TOIT, Erneut auf der Suche. Zur Methodologie vgl. SCHRÖTER, Frage.
9 Eine gewisse Rolle spielt auch die stärkere Berücksichtigung der nicht-kanonischen
Evangelienüberlieferung, der im Blick auf die historische Frage nach Jesus des öfteren
größerer historischer Wert beigemessen wird.
10 Das war ja die von BULTMANN (s. Anm. 5) im Gespräch mit seinen Schülern disku-
tierte Problematik.

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J e s u s als der C h r i s t u s bei Paulus und L u k a s 431

voraus; es bezieht sich aber nicht auf ihn, sondern es hat seinen Aus-
gangspunkt bei der Rede von der Auferweckung Jesu durch Gott. Der
damit verbundenen theologischen Fragestellung wenden sich die folgen-
den Überlegungen zu, nicht aus systematischer, sondern aus historisch-
exegetischer Perspektive.
Am Anfang (I.) stehen einige sehr knappe Anmerkungen zur histori-
schen Frage nach Jesus, wie sie sich mir darstellt. Dann wird (II.) nach
dem neutestamentlichen Befund hinsichtlich des Verhältnisses der Be-
kenntnisaussagen über den auferweckten Jesus zum „historischen Jesus"
gefragt, und zwar mit einigen Beobachtungen zunächst zu einem paulini-
schen Text (Rom 10,9) und sodann zum lukanischen Doppelwerk, ausge-
hend von der Pfingstpredigt des Petrus (Apg 2,14-36). Abschließend soll
(III.) das Verhältnis von Bekenntnis und Historie in der neutestamentli-
chen Christologie in den Blick genommen werden. Das Stichwort „Erwä-
gungen" im Untertitel des Beitrags deutet an, daß abschließende Fest-
stellungen nicht erwartet werden dürfen.

I. Die historische Frage nach Jesus

Die folgende Skizze zu Jesu Leben und Verkündigung soll kein eigener
Beitrag zur historischen Frage nach Jesus sein11; sie soll nur deutlich ma-
chen, daß die in Teil II folgenden Erwägungen zu Paulus und zu Lukas
nichts mit einer prinzipiellen Skepsis im Blick auf den „historischen Je-
sus" zu tun haben.
Eine Biographie Jesu, also ein wissenschaftlich verantwortetes Buch
mit dem Titel „Das Leben Jesu", kann nicht geschrieben werden - dafür
reicht die Quellenlage nicht aus, und zwar vor allem deshalb nicht, weil
die Evangelisten an einer wirklich biographischen Darstellung der Person
Jesu nicht interessiert waren. Für Mk gilt das uneingeschränkt, kaum
anders auch für Mt. Nur Lk deutet an, daß seine διήγησις των
πεπληροφορημένων έν ήμΐν πραγμάτων auch dem Maßstab einer histo-
riographischen Darstellung entsprechen soll (Lk 1,1-3). 12 Auf historisch
einigermaßen sicherem Boden bewegen wir uns im Blick auf Jesu Leben
erst bei seiner Taufe durch Johannes. Der Täufer sprach von einem nahen
eschatologischen Gericht, und er rief die Menschen angesichts dieses Ge-
richts zur Buße; dies verband er laut Mk 1,4 mit der Zusage der Sünden-

" Daher wird auch auf eine D e b a t t e mit der F o r s c h u n g verzichtet. D i e nach m e i n e m
Urteil derzeit beste m e t h o d i s c h kontrollierte Darstellung bietet BECKER, J e s u s .
12 L k 1,4 zeigt dann freilich, welchem eigentlichen Z w e c k das W e r k dient.

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432 Andreas Lindemann

Vergebung, die in der Taufe den Menschen zugesprochen wurde.13 Jesus


ließ sich also offensichtlich taufen zur Vergebung seiner Sünden. 14 Eine
„Schülerschaft" Jesu im Verhältnis zu Johannes ist aus der Tatsache der
Taufe aber nicht abzuleiten - schon deshalb nicht, weil sich ja nach M k
1,5 sehr viele Menschen taufen ließen, ohne daß man diese alle als „Schü-
ler" des Täufers ansehen dürfte. 15 O b Jesus im unmittelbaren Zusammen-
hang seiner Taufe oder auch später ein explizites „Berufungserlebnis"
hatte, läßt sich nicht sagen16; die Versuchungs geschieh te oder auch das
Logion „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz" (Lk 10,18)
könnten in diese Richtung weisen, doch keine der beiden Uberlieferungen
läßt sich zweifelsfrei als historisch authentisch erweisen. 17
Jesus hat von Gott gepredigt und vom nahen Kommen des Gottesrei-
ches. 18 Eine symbolische Handlung wie die Taufe hat er nicht vollzogen;
aber er sammelte um sich eine offenbar nicht ganz kleine Schar von An-
hängern. Sollte es dabei tatsächlich einen Kreis von zwölf Jüngern gegeben
haben, so wäre damit vermutlich eine symbolische Absicht verbunden
gewesen: „Die Zwölf" hätten vermutlich die Stämme Israels repräsentie-
ren sollen, wobei allerdings offen bliebe, ob damit ein eschatologisches
Neues Israel gemeint war oder eher ein restituiertes geschichtliches Israel.
Die Historizität eines vorösterlichen Zwölferkreises läßt sich allerdings
mit guten Gründen bezweifeln." Als wahrscheinlich kann hingegen gel-
ten, daß unter denen, die Jesus begleiteten, sich auch Frauen befanden,
obwohl es eine entsprechende Berufungserzählung nicht gibt und in den

13 Vgl. ERNST, Johannes, 337: „An der Tatsächlichkeit der Taufe Jesu durch Johannes be-
steht [ . . . ] kein begründeter Zweifel."
14 Mk sieht darin offensichtlich kein Problem; Mt hält immerhin an der mk Formulie-

rung fest, daß die Täuflinge έξομολογούμενοι τάς αμαρτίας αυτών waren (3,6), aber
vor allem der von ihm redaktionell geschaffene kurze Dialog zwischen dem Täufer und
Jesus (3,14f.) zeigt die deutlich veränderte Perspektive (vgl. ERNST, Johannes, 1 6 2 -
164).
15 Vgl. BACKHAUS, „Jüngerkreise", kommt zu dem Ergebnis: Jesus gehörte „dem .nar-
rower circle' der Johannesjünger mit einem denkbar hohen Wahrscheinlichkeitsgrad
nicht an" (110); vgl. 9 6 - 1 1 2 .
16 Vgl. dazu VÖGTLE, Herkunft, 7 9 - 8 7 .

17 BECKER, Jesus, 1 3 1 - 1 3 3 hält Lk 10,18 für authentisch, sieht darin aber nicht den Hin-

weis auf eine Jesus widerfahrene Vision, sondern meint, die Aussage sei „besser als
Urteil Jesu angesichts seiner Wundertaten zu begreifen" (132f.), analog dem Logion in
Lk 1 1 , 2 0 / M t 12,28.
18 V g l . LINDEMANN, H e r r s c h a f t .
" Ein Indiz für diese Vermutung ist die unmittelbar im Anschluß an Petrus folgende
Nennung der δώδεκα als Empfänger der Erscheinung des Auferstandenen ( I K o r
15,4). Als nachösterliche Größe stehen „die Zwölf" sicher für den Gedanken eines
„wahren Israel", vergleichbar etwa der Qumran-Gemeinde.

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 433

Namenslisten kein Frauenname begegnet; doch die Notiz in Mk 15,40f.,


auch wenn sie mit hoher Wahrscheinlichkeit redaktionell ist, läßt jeden-
falls erkennen, daß Mk eine Begleitung Jesu auch durch Frauen voraus-
setzt (vgl. Lk 8,1-3).
O b die Gruppe um den vorösterlichen Jesus wirklich von der Haltung
bestimmt war, die etwas pauschal als „Wanderradikalismus" bezeichnet
wird, ist zumindest fraglich; die in Mk 10,28-30 hervorgehobene Besitzlo-
sigkeit der Jünger braucht keineswegs ein Ideal, sondern könnte sehr
wohl Ausdruck einer Notlage gewesen sein. Im übrigen ist es ja keines-
wegs zwingend, aus der Uberlieferung „radikaler" Aussagen auch eine
entsprechende Praxis der Tradenten abzuleiten; die Evangelien selber zei-
gen, daß beides durchaus nicht übereinstimmen muß, denn das in Mk
10,28-30 gezeichnete Bild wird kaum der gemeindlichen Realität im Um-
feld des Mk entsprochen haben. In der neueren Jesusforschung wird viel-
fach, vor allem im Blick auf die Logienquelle Q, ein möglicher „Kynis-
mus" der Jesusgruppe vermutet, weniger unter dem Gesichtspunkt der
Denkinhalte, wohl aber im Blick auf den gesellschaftlichen Status der
Gruppenmitglieder. Es darf aber nicht übersehen werden, daß Jesus der
Uberlieferung zufolge nicht nur mit „Zöllnern und Sündern" Kontakt
hatte, sondern auch mit Schriftgelehrten und Pharisäern.
Jesus machte die Nähe des Gottesreiches für die Menschen erfahrbar in
seinen Dämonenaustreibungen; auf diesen Zusammenhang deutet jeden-
falls das in der Logienquelle überlieferte Wort hin: „Wenn ich mit dem
Finger/Geist Gottes die Dämonen austreibe, ist das Gottesreich zu euch
gelangt" (Lk 11,20/Mt 12,28); es wird mit einer gewissen Wahrschein-
lichkeit auf Jesus selber zurückgehen. Woran genau wir zu denken haben,
wenn in den Texten der Jesusüberlieferung von „Dämonen" bzw. bei Mk
vor allem von „unreinen Geistern" die Rede ist, läßt sich schwer sagen;
jedenfalls kann man es angesichts der Uberlieferung für wahrscheinlich
halten, daß Jesus auf dem Gebiet der Heilung psychischer und vielleicht
auch körperlicher Krankheiten über besondere Fähigkeiten verfügte - al-
lerdings ist das nicht mehr als eine historisch wahrscheinliche Vermutung.
Aus seiner Gottesreichsverkündigung leitet Jesus eine entsprechende
Lebenspraxis ab: Weil Gottes kommende Herrschaft und damit Gott
selbst „nahe" ist, kann es so etwas geben wie eine Neuinterpretation der
biblischen Tora. So erhält die Auslegung des Sabbatgebots einen gegen-
über dem bis dahin als gültig Anerkannten veränderten Akzent: „Der
Sabbat für den Menschen geschaffen und nicht der Mensch für den Sab-
bat", sagt Jesus im Zusammenhang der Debatte mit den Pharisäern über
das Ährenraufen der Jünger (Mk 2,27); die Tatsache, daß Mt und Lk bei
der Übernahme der Perikope Mk 2,23-28 ausgerechnet dieses Logion
weggelassen haben, spricht eher für dessen vorösterlichen Charakter als

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434 Andreas Lindemann

für nachträgliche Gemeindebildung. Eine ähnliche Haltung Jesu ergibt


sich wohl auch aus seiner Deutung der Reinheitsgeböte: Wenn nach Mk
7,15 „nichts was in den Menschen hineingeht, ihn verunreinigt", dann
wird damit behauptet, daß die kultische Unterscheidung zwischen „rein"
und „unrein" zumindest keine unhinterfragbare Gültigkeit besitzt. Wenn
allerdings der Evangelist erläuternd hinzufügt, damit habe Jesus „alle Spei-
sen für rein erklärt" (V. 19), dann dürfte er vermutlich über das hinausge-
hen, was Jesus selber für richtig gehalten hat.
In bestimmtem Umfang scheint Jesus inhaltlich neue Normen gesetzt
zu haben. Zu nennen ist beispielsweise das ausdrückliche Gebot der Fein-
desliebe (Mt 5,44), das jedenfalls so pointiert in der uns bekannten älteren
jüdischen Überlieferung nicht belegt ist.20 Charakteristisch scheint Jesu
Hinwendung zu den „Zöllnern und Sündern" gewesen zu sein; das Q -
Logion über Jesus als „Fresser und Weinsäufer" (Lk 7,33-35/Mt ll,18f.)
überliefert erkennbar eine Außenwahrnehmung des entsprechenden Ver-
haltens Jesu. Diese und ähnliche Aussagen, wenn sie denn historisch tat-
sächlich zuverlässig überliefert sein sollten, bedeuten selbstverständlich
nicht, daß Jesus das Judentum verlassen hätte; vielmehr waren solche
Aussagen und Einstellungen im Rahmen des antiken Judentums sehr wohl
möglich. Aber hier wird insgesamt doch ein Profil erkennbar, das Jesus als
- modern gesprochen - „wenig angepaßt" erscheinen läßt.
Über Jesu Einstellung zu politischen Fragen läßt sich wenig sagen.
Kritische Äußerungen Jesu über seinen Landesherrn Herodes Antipas
sind nicht überliefert. Zwar gibt es ein Wort Jesu, in dem Herodes als
„Fuchs" bezeichnet wird (Lk 13,32); aber dezidierte Kritik, wie sie Johan-
nes der Täufer geübt hat und für die er dann gefangengesetzt und ermor-
det wurde, kennen wir aus dem Munde Jesu nicht. 21
Auch für die Annahme, daß sich Jesus in seiner Verkündigung aus-
drücklich gegen die römische Herrschaft gewandt hat, gibt es keine text-
lichen Indizien; vermutlich ging der in Judäa amtierende Präfekt Pontius
Pilatus also nicht aus eigenem Antrieb gegen Jesus vor. Es fällt aber auf,
daß in der Passionsüberlieferung mehrfach von Jesus als von einem „Kö-
nig" gesprochen wird; diese Bezeichnung begegnet erstmals völlig unver-
mittelt in Mk 15,2 in einer entsprechenden Frage des Pilatus22, während
ein solcher Aspekt in der vorangegangenen Überlieferung der Verkün-

20 Vgl. dazu LÜHRMANN, Liebet eure Feinde.


21 ERNST, Johannes, 315, vergleicht das Jesuswort aus Lk 13,32, das im Zusammenhang
der durch „einige der Pharisäer" ausgesprochenen Warnung vor einer Tötungsabsicht
des Herodes (Lk 13,31) überliefert ist, mit der „Königsschelte" des Täufers.
22 In Lk 23,2f. ist diese Frage erzählerisch besser vorbereitet durch den vorangestellten
Vorwurf der Ankläger, Jesus habe von sich gesagt, χριστός und βασιλεύς zu sein.

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 435

digung Jesu gänzlich gefehlt hatte. Möglicherweise haben Jesu Ankläger


seine Rede von der kommenden „Königsherrschaft" Gottes bewußt dahin
(fehl) gedeutet, er selber beanspruche, in dieser kommenden βασιλεία
der König zu sein. Aus römischer Sicht mußte Jesus damit als eine in
höchstem Maße gefährliche Person erscheinen; tatsächlich spricht Jesu
Kreuzestod für eine ausdrückliche römische Entscheidung, aber eine Be-
teiligung des Synedriums oder einzelner Angehöriger dieses Gremiums
muß als historisch überaus wahrscheinlich gelten.
Das Jesus-Buch des im Jahre 2000 verstorbenen jüdischen Wissen-
schaftlers DAVID FLUSSER endet programmatisch mit dem Satz „Und
Jesus verschied".23 Tatsächlich wird das Geschehen nach Jesu Tod, also
das „Osterereignis", als ein allein dem Glauben zugängliches Handeln
Gottes verstanden, nicht als ein mit den Mitteln historischer Forschung
zu erfassendes Faktum. Daß jemand gesagt hat: „Gott hat Jesus von den
Toten auferweckt", ist natürlich eine historische Tatsache, wer immer die-
sen Satz zuerst ausgesprochen haben mag; aber es handelt sich bei diesem
Satz nicht um die Mitteilung einer historischen Tatsache, sondern um ein
vom Glauben ausgesprochenes Bekenntnis zum Handeln Gottes an dem
Gekreuzigten.

II. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus im Neuen Testament

Wie kommt dieses Bekenntnis zustande? In welchem Verhältnis steht es


zur Geschichte? Dies ist nicht erst eine neuzeitliche Fragestellung, son-
dern die urchristlichen Autoren selber kennen diese Problematik. Das soll
anhand von zwei neutestamentlichen Texten aufgewiesen werden.

1. Das Bekenntnis zu Jesus als dem κύριος bei Paulus

„Wenn du mit deinem Munde bekennst: ,Herr (κύριος) ist Jesus', und
(wenn du) in deinem Herzen glaubst: ,Gott hat ihn auferweckt von den
Toten' (ήγειρεν έκ νεκρών), wirst du gerettet werden." Mit zwei offen-
sichtlich formelhaften Aussagen beschreibt Paulus in Rom 10,9 die Vor-
aussetzung für die Teilhabe eines Menschen am Heil, für seine eschatolo-
gische Rettung (σωΰηστ]). Paulus hatte unmittelbar zuvor (Rom 10,6b-
8a) Dtn 30,12-14 zitiert, in der Fassung der LXX: „Sprich nicht in deinem

23
FLUSSER, Jesus, 133.

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436 Andreas Lindemann

Herzen ,Wer wird in den Himmel hinaufsteigen?' oder ,Wer wird in die
Unterwelt hinabsteigen?' Nahe ist dein Wort, in deinem Munde und in
deinem Herzen." Das dem Mund und dem Herzen „nahe" Wort ist in
dem biblischen Text die Tora, das Gesetz, in der Sprache der L X X : der
νόμος. Paulus aber hatte soeben in Rom 10,4 hinsichtlich der Gerechtig-
keit einen Gegensatz zwischen Jesus Christus und dem νόμος behauptet,
und zwar als Erläuterung für seine These vom Widerspruch zwischen der
eigenen Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit Gottes: „Christus ist des
Gesetzes Ende (τέλος νόμου) für jeden Glaubenden (παντί τφ πιστεύ-
οντι)." 2 '' Daran anknüpfend erklärt er nun in 10,5.6-8, der Gegensatz zwi-
schen den beiden Formen der Gerechtigkeit sei schon im Gesetz selber zu
finden; denn Mose schreibe in Lev 18,5 hinsichtlich der „Gesetzesgerech-
tigkeit" (V. 5a: δικαιοσύνη έκ νόμου), daß sie in das Tun führe, in Dtn
30,12-14 hingegen spreche die „Glaubensgerechtigkeit" (ή έκ πίστεως
δικαιοσύνη), wobei das von ihr dem Hörer zugesprochene „nahe Wort"
das von „uns" verkündigte ρήμα της πίστεως sei.25 Anknüpfend an das
κηρύσσομεν von V. 8 führt Paulus nun in V. 9 als Inhalt des Bekennens
(όμολογεΐν) die Aussage ,Herr ist Jesus' an und als Inhalt des Glaubens
(πιστεύειν) die von einem Handeln Gottes sprechende Aussage, Gott
habe ihn - Jesus - von den Toten auferweckt. Was ist damit gemeint?
Die beiden Worte κύριος und Ίησοϋς bilden einen Nominalsatz, in
dem ein Titel (κύριος) und ein Name (Ίησοϋς) miteinander verbunden
sind; dabei gilt die jeweilige inhaltliche Bedeutung der beiden Worte
offenbar als bekannt. Die formgeschichtliche Einordnung der Aussage
κύριος Ίησοϋς ist nicht ganz deutlich; da dieselbe Wendung auch in IKor
12,3 und ähnlich in Phil 2,11 begegnet, liegt vermutlich eine feste Formel
vor. Paulus verknüpft die Aussage „Herr ist Jesus" mit dem Verb όμο-
λογεΐν, das üblicherweise mit „bekennen" übersetzt wird; nach K Ä S E -
MANN handelt es sich allerdings nicht um eine Bekenntnisformel, sondern
eher um eine im Gottesdienst ausgesprochene Akklamation, „die freilich
das Moment des Bekenntnishaften einschließt". 26
Verbindet sich der Titel κύριος, der im Rahmen religiöser Sprache u. a.
auch als Gottesprädikat dienen kann, mit dem Namen einer bestimmten
Person, so wird damit eine Exklusivaussage über diese Person gemacht.

24 Die Debatte, o b τέλος νόμου „Ende" oder aber „Ziel des G e s e t z e s " meint, braucht
hier nicht expliziert zu werden; da in 10,3 ein Gegensatz konstatiert wird, kann die in
10,4 ausgeführte Erläuterung (γάρ) jedenfalls nicht den Sinn haben, diesen Gegensatz
sogleich wieder zu beseitigen.
25 Näheres dazu bei LINDEMANN, Gerechtigkeit.
26 KÄSEMANN, R ö m e r , 2 8 1 . όμολογεΐν könne hier geradezu mit „proklamieren" übersetzt
werden.

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 437

Die Aussage κύριος Ίησοϋς meint also: „Herr ist Jesus, und niemand
sonst". Dabei ist zumindest im Kontext des jüdischen Christentums klar,
daß κύριος hier nicht als ein Gottesprädikat aufzufassen ist - unabhängig
von der Frage, ob die L X X für den hebräischen Gottesnamen den griechi-
schen Begriff κύριος verwendet hat oder nicht; denn Jesus nimmt im
christlichen Glauben nicht die Stelle Gottes ein. Wohl aber tritt Jesus in
einer unvergleichlichen und endgültigen Weise an die Seite Gottes - bis
hin zu der in IKor 8,6 vorliegenden Verbindung der biblischen Rede von
dem einen Gott (εις Φεος) mit der Rede von dem einen Herrn Jesus (εις
κύριος Ίησοϋς). 2 7 Der κύριος-Titel bezieht sich nicht auf die Vergangen-
heit Jesu, sondern er bezeichnet Jesu gegenwärtige Rolle bzw. Funktion:
Jesus ist (jetzt) der Herr (und also nichts anderes28) ; und zugleich gilt: Es
ist eben dieser Jesus (und also niemand sonst), von dem gesagt wird, daß
er „der Herr" ist.29 Zumindest Paulus selber hat dieses Herr-Sein Jesu in
einem umfassenden Sinn verstanden; das wird deutlich in Rom 10,12, wo
Jesus ausdrücklich κύριος πάντων genannt wird. „Alle" - das sind Juden
und Heiden, da Paulus behauptet, die bisher bestehende und als funda-
mental wahrgenommene Unterscheidung von Jude und Nichtjude sei auf-
gehoben (ού γάρ έστιν διαστολή).
Welche Bedeutung besitzt nun aber in der Aussage κύριος Ίησοϋς der
Name Jesus? Klar ist jedenfalls, daß der Name eine reale, historische Per-
son bezeichnet; man braucht nicht über die Möglichkeit zu spekulieren, es
könne sich um eine mythische Gestalt handeln oder der Name „Jesus" be-
zeichne ein bloßes religiöses Konstrukt. Die Historizität Jesu ist in der
Antike nie bestritten worden; vielmehr war sowohl den Anhängern wie
auch den Gegnern der Aussage κύριος Ίησοΰς bewußt, daß Jesus eine
historische Person gewesen war, und zwar eine Person der jüngsten Ver-
gangenheit. Welches historische Wissen sich mit dem Namen „Jesus"
jeweils verband, können wir im einzelnen allerdings nicht sagen; das gilt
sowohl im Blick auf Paulus selber wie auch im Blick auf die Urheber der
von ihm in Rom 10,9 zitierten Formel, und es gilt nicht zuletzt auch im
Blick auf die römischen Adressaten seines Briefes.
Die Annahme, daß Paulus über den „historischen Jesus" nicht nur
nichts gewußt habe, sondern daß er über ihn geradezu nichts habe wissen
wollen, ist wenig wahrscheinlich; aus 2Kor 5,16 ( . . . εί και έγνώκαμεν

" V g l . dazu KLUMBIES, Rede, 1 4 8 - 1 5 3 ; LINDEMANN, Erster Korinther, 1 8 8 - 1 9 3 . Etwas


anders HOFIUS, „Einer ist Gott".
28 Das bedeutet natürlich nicht, daß Jesus kein anderer Hoheitstitel beigelegt werden
kann; aber ein solcher darf nicht im Widerspruch stehen zum κύριος-Titel.
29 Das Gegenüber des einen κύριος zu anderen („vielen") möglichen κύριοι wird deutlich
in IKor 8,5f. expliziert.

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438 Andreas Lindemann

κ α τ ά σ ά ρ κ α Χ ρ ι σ τ ό ν , ά λ λ ά νϋν ούκέτι γινώσκομεν) läßt sich eine sol-


che Vermutung jedenfalls nicht ableiten. 30 Die in I K o r 11,23b—25 zitierte
Fassung der Abendmahlsworte mit ihrer ausdrücklichen zeitlichen Ein-
ordnung des geschilderten Geschehens („in der N a c h t , in der er verra-
ten/ausgeliefert wurde") setzt das Wissen um einen größeren „biographi-
schen" Rahmen voraus; und das in I K o r 15,3b—5 im Wortlaut zitierte
εύαγγέλιον spricht von Kephas und den „Zwölf" als von bekannten Per-
sonen. Es sollte andererseits allerdings auch nicht behauptet werden,
Paulus habe sich etwa im Rahmen seines zweiwöchigen Aufenthalts in J e -
rusalem (Gal 1,18) bei Petrus eingehend über Leben und Verkündigung
des irdischen Jesus informiert 31 , und er habe von dem so erworbenen Wis-
sen in seiner uns nicht zugänglichen Missionspredigt auch intensiv Ge-
brauch gemacht. 3 2 Entscheidend ist: Der N a m e „Jesus" ist im Rahmen der
Aussage κύριος Ί η σ ο ϋ ς keine Chiffre, sondern er bezeichnet eine histo-
rische Person; die Aussage κύριος Ί η σ ο ΰ ς bezieht sich dabei aber nicht
auf die Vergangenheit dieser Person, d. h. sie spricht nicht davon, wer die-
ser Jesus historisch betrachtet gewesen war, sondern sie sagt, wer Jesus
gegenwärtig ist.
N u n ist aber Jesus gegenwärtig nicht unmittelbar zugänglich; die Aus-
sage, daß er jetzt der H e r r ist, bedarf mithin einer zusätzlichen Explika-

30 Vgl. BULTMANN, Zweiter Korinther, 155-158. 156: „Der Χριστός κατά σάρκα ist
Christus in seiner weltlichen Vorfindlichkeit, vor Tod und Auferstehung. Als solcher
soll er nicht mehr in den Blick gefaßt werden (bzw. wenn man κατά σάρκα zu
έγνώκαμεν ziehen will [ . . . ] : in der Weise der σάρξ soll man ihn nicht mehr in dpn
Blick fassen, was auf das gleiche hinauskommt)." FURNISH, II Corinthians, 331,
schließt sich der These von J. L. MARTYN an, der Gegensatz zu κατά σάρκα sei im
sachlichen Kontext des 2Kor ein Kennen Jesu κατά σταυρόν, entsprechend der Aus-
sage in IKor 2,2.
31 So aber beispielsweise HENGEL/SCHWEMER, Paulus, 232f.: „Im Mittelpunkt der Ge-

spräche wird - ca. sechs Jahre nach dem Todespassa - vor allem Jesus gestanden haben,
d. h. der irdische und gekreuzigte, auferstandene und erhöhte, der jetzt verkündigte
und der kommende Herr."
32 HENGEL polemisiert gegen CONZELMANNS Hinweis, Paulus habe in Gal 1,18 vom In-

halt der Gespräche nicht berichtet, „weil er anscheinend für seine eigene Theologie
nicht substantiell war" (CONZELMANN, Geschichte, 67); damit verkenne CONZELMANN
„den Sinn des Berichts von Gal 1,15-24 völlig", da Paulus „nirgendwo ein ausführlicher
Berichterstatter biographischer Details" sei (HENGEL/SCHWEMER, Paulus, 231). Es
geht nicht um das Fehlen biographischer Details, sondern darum, daß Paulus vom sach-
lichen Ertrag des Besuchs bei Petrus nichts berichtet. Sollte Paulus durch Petrus tat-
sächlich eingehend über Jesu Leben und Verkündigung informiert worden sein, so wä-
re das praktisch vollständige Fehlen entsprechender Hinweise in den uns erhaltenen
Briefen um so auffälliger. Anders STUHLMACHER, Theologie I, 222: In der Theologie
des Paulus werden „die wesentlichen Intentionen des Werkes und der Lehre Jesu auf-
gegriffen und von Ostern her begrifflich durchdacht".

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 439

tion. Eine solche Näherbestimmung wird offensichtlich in der zweiten


Aussage von Rom 10,9 gegeben. Dort wird als Inhalt des πιστεύειν έν τη
καρδίςι der Satz zitiert: „Gott hat ihn, d. h. Jesus, auferweckt von den
Toten." Was meinen diejenigen, die diesen Satz aussprechen?
Die Aussage „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt" setzt voraus,
daß man zum einen weiß, wer dieser Jesus ist; man muß aber auch wissen,
von welchem Gott gesprochen wird. Uber Jesus wird in dem in Rom
10,9b zitierten Satz gesagt, daß er als historische Person nicht mehr am
Leben ist; die Aussage ήγειρεν έκ νεκρών setzt den Tod Jesu voraus. Zu-
gleich ist klar, daß das ήγειρεν nicht eine Rückkehr Jesu ins irdische Le-
ben meint. Diejenigen, die glauben, daß Gott Jesus auferweckt habe έκ
νεκρών, sagen jedenfalls nicht, sie hätten Kenntnis von einem ungewöhn-
lichen historischen Ereignis erhalten und hielten nun diese Nachricht
wider alle Erfahrung „für wahr". Sie sagen nicht, daß ein am Kreuz gestor-
bener und ordnungsgemäß bestatteter Mensch überraschend wiederbelebt
worden sei. Der Satz „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt" sagt et-
was fundamental anderes aus als die formal vergleichbaren Sätze, die da-
von sprechen, der verstorbene Sohn der Witwe von Sarepta sei durch ein
Wunder des Propheten Elia „wieder lebendig" geworden (lKön 17,22 33 )
oder Jesus habe den Lazarus „von den Toten auferweckt" (Joh 12,l 3 4 ).
Während die Auferweckungserzählungen selbstverständlich voraussetzen,
daß der Auferweckte in ein zeitlich begrenztes, irdisches Leben zurück-
kehrt, verbindet sich das Reden von Gottes Handeln an dem toten Jesus
(ό θεός αύτόν ήγειρεν έκ νεκρών) unmittelbar mit der Vorstellung, daß
der aus der Macht des Todes befreite Jesus von Gott „erhöht" wurde.
Im Zusammenhang der Aussage κύριος Ίησοΰς besagt der Satz „Gott hat
Jesus von den Toten auferweckt" also, daß Gott diesem Jesus einen neuen
„Status" gewährt hat35; und da dieser Satz ausdrücklich als Inhalt des
Glaubens (πιστεύειν) bezeichnet wird, besagt er zugleich, daß durch die-
ses Handeln Gottes die Beziehung der Menschen zu Gott eine grund-
sätzlich neue Qualität erhalten hat.36 Insofern kann man sagen, daß sich
die beiden von Paulus in Rom 10,9 zitierten Aussagen gegenseitig inter-
pretieren.
Diejenigen, die den Satz ô θεός αυτόν ήγειρεν έκ νεκρών aussprechen
und ebenso diejenigen, die ihn hören, wissen offensichtlich, wer mit ό
θεός gemeint ist. Die älteste Osteraussage lautet ja nicht „Jesus ist aufer-

33 l K ö n 17,22: "ΊΤ1 la-ip - 1 ??? "^».¡T^a?.. L X X : άνεβόησεν.


34 Joh 12,1: Λάζαρον, δν ήγειρεν έκ νεκρών Ίησοΰς.
"Vgl. Phil2,9-11.
36 In l K o r 15,20 versteht Paulus Jesu Auferweckung explizit als Vorwegnähme der all-
gemeinen Auferstehung der Toten. Vgl. dazu LINDEMANN, Auferstehung.

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440 Andreas Lindemann

standen"; sie spricht vielmehr von Gott, der an Jesus gehandelt hat.37 Da-
bei ist zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber doch wohl vorausgesetzt, daß
von dem Gott gesprochen ist, zu dem Jesus in einer besonderen Bezie-
hung gestanden hatte. Es ist also von dem „Gott Jesu" die Rede 38 , und das
bedeutet: Es ist der Gott Israels, von dem der Glaube an die Auferwek-
kung Jesu spricht. 39 Hinter dem Begriff ó "θεός steht also die biblische
Tradition, die Geschichte der Selbstoffenbarung des Gottes Israels. Ein
besonderes Wissen vom spezifischen Inhalt der Gottesverkündigung Jesu
muß sich mit der Aussage „Gott hat ihn von den Toten auferweckt" gar
nicht unbedingt verbinden; wohl aber kann es als wahrscheinlich gelten,
daß das Wissen vom gewaltsamen Tod Jesu von Anfang an darin enthalten
war, auch wenn zumal in den formelhaften Aussagen ein expliziter Hin-
weis auf das Kreuz meist fehlt. Jesu Sterben selber wird dabei zunächst
offenbar noch nicht gedeutet, weder in den Kategorien der Sühne noch als
Stellvertretung; der Tod wird zunächst nur verstanden als das Ende des
irdischen Weges Jesu. 40 Jesus war tot gewesen; seine Auferweckung be-
deutete seine endgültige Befreiung aus der Macht des Todes.
Paulus formuliert in Rom 10,9 zwei Bedingungssätze: „Wenn du be-
kennst . . . und (wenn du) glaubst" (εάν όμολογήσης . . . και πιστεύσης) ;
als gemeinsamer Hauptsatz folgt dann die Ansage der Rettung im escha-
tologischen Endgericht (σωθηση). Was Paulus meint, verdeutlicht er in
V. 10, indem er das verheißene Ziel mit zwei Begriffen bezeichnet - Ge-
rechtigkeit (δικαιοσύνη) und Heil, Rettung (σωτηρία). Man wird zwi-
schen diesen beiden Begriffen nicht scharf unterscheiden müssen, als sei
womöglich die Gerechtigkeit strikt dem „glauben mit dem Herzen"
(καρδίςι πιστεύεσθαι), das Heil dagegen dem „bekennen mit dem Mun-
de" (στόματι όμολογεισθαι) zuzuweisen. Paulus kommt es darauf an,
den soteriologischen Charakter der glaubenden Aneignung der Wahrheit
der Bekenntnis- und Glaubensaussage zu betonen. 41 Gegenstand des
Glaubens und des Bekennens ist nicht ein Wissen von geschichtlichen
Fakten; es geht vielmehr um die sich im Glauben vollziehende Annahme
der Botschaft „Herr ist Jesus", die ihrerseits Geltung besitzt, weil „Gott
ihn von den Toten auferweckt" hat. Nicht eine Tatsache wird mitgeteilt,
die man zur Kenntnis nehmen, die man aber auch ignorieren kann; son-
dern eine Botschaft wird verkündigt, die von denen, die sie hören, entwe-

37 Vgl. KLUMBIES, Rede, 1 1 1 - 1 2 3 .


38 Vgl. BECKER, Gottesbild.
39 Vgl. LINDEMANN, Jesus.
40 Die unterschiedlichen Deutungen des Todes Jesu resultieren aus dem Glauben an seine
Auferweckung, nicht umgekehrt.
41 Vgl. KLUMBIES, Rede, 2 3 9 .

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 441

der im Glauben angenommen oder aber verworfen wird, im „Ungehor-


sam" gegenüber dem Wort, wie Paulus in Rom 10,14-16 formuliert/ 2
Für den Gedankengang des Paulus in Rom 10 ist also klar: Der Glaube
bezieht sich auf die gehörte Botschaft, er ist die Antwort der Hörenden
auf diese Botschaft. Dabei trägt die verkündigte Botschaft ihre Wahrheit
in sich selbst, d. h. es gibt nichts, woraußin die Aussagen „Herr ist Jesus"
und „Gott hat ihn von den Toten auferweckt" als womöglich plausibel, als
im objektiven Sinn „glaubwürdig" akzeptiert werden könnten. Man kann
natürlich einwenden, daß sich die paulinische Missionspredigt doch nicht
auf solche formelhaften Aussagen wie die in Rom 10,9a und Rom 10,9b
zitierten beschränkt haben könne; vielmehr müsse Paulus doch den
Adressaten seiner Verkündigung, Juden wie Nichtjuden, plausibel zu ma-
chen versucht haben, warum es sich lohnt, der Christusbotschaft den
Glauben nicht zu verweigern. Das mag durchaus richtig sein, auch wenn
wir den Inhalt der paulinischen Missionsverkündigung im einzelnen ja
nicht kennen. Aber die das Bekenntnis und den Glauben zusammenfas-
send aussprechenden Formeln enthalten jedenfalls keine Versuche einer
Plausibilisierung: Es wird weder gesagt, Jesu Auferweckung durch Gott
könne etwa aufgrund des irdischen Lebens Jesu als gleichsam „berechtigt"
angesehen werden43, noch wird der Versuch gemacht, die Verheißung der
„Gerechtigkeit" bzw. der „Rettung" etwa durch die Behauptung zu un-
termauern, daß die Glaubenden in moralischer oder in anderer Hinsicht
erkennbar „besser" leben als andere Menschen. Die Zusage „Du wirst ge-
rettet werden" (σωτ^ήση) ist für den einzelnen Glaubenden eine Verhei-
ßung, die ihre Wahrheit allein in sich selber trägt.

2. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus bei Lukas

Wenn als zweites neutestamentliches Beispiel für unsere Fragestellung ein


Text aus dem lukanischen Doppelwerk gewählt wird, so geschieht das
nicht deshalb, weil ich in Lukas womöglich den großen theologischen
Antipoden des Paulus sehe.'14 Schon gar nicht bin ich der Auffassung, die
paulinische Theologie sei die „richtige", die lukanische dagegen sei
„falsch". Wohl aber läßt sich bei Lukas im Blick auf unser Thema eine

42 Daher ist die Feststellung so wichtig, daß das Wort von allen und überall gehört wer-
den kann.
43 Eine derartige Tendenz läßt sich eher dem „Lied" in Phil 2,6-11 entnehmen: Er (sc.

Jesus) war „gehorsam bis zum Tode", und „<¿trum hat ihn Gott erhöht" (V. 9).
44 Dies war zum Teil die Perspektive in der Forschung der 1950er und 1960er Jahre; vgl.

den freilich etwas einseitigen kritischen Bericht bei KÜMMEL, Lukas.

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442 Andreas Lindemann

deutlich andere Perspektive erkennen als bei Paulus; es lohnt sich deshalb,
einen Vergleich zwischen diesen beiden theologischen Positionen vorzu-
nehmen.
Lukas bietet im ersten Teil seines Werkes, im Evangelium, zumindest
in Ansätzen so etwas wie eine historiographisch akzentuierte Biographie
Jesu; im zweiten Teil, der Apostelgeschichte, zeichnet er dann ein eben-
falls durchaus historiographisches Bild der Geschichte der urchristlichen
Verkündigung. Die Frage, inwieweit diese Darstellungen jeweils als histo-
risch zuverlässig anzusehen sind, besitzt für den hier erörterten Zu-
sammenhang kaum Bedeutung. Wohl aber ist zu fragen, wie sich die im
lukanischen Doppelwerk dargestellte „Historie" und das von Lukas ent-
worfene Bild der Glaubensverkündigung zueinander verhalten. Grund-
sätzlich ist zu beachten, daß sich Lukas, anders als Paulus, offensichtlich
nicht unmittelbar an bestimmte Adressaten wendet45; aber er schildert mit
seinen literarischen Mitteln Situationen, deren Höhepunkt adressatenbezo-
gene Reden bilden.
In Apg 2,14-36 bietet Lukas die erste öffentliche Missionsrede der im
Entstehen begriffenen christlichen Gemeinde, die Pfingstpredigt des
Petrus. Diese Predigt geht, wie die Reden in der Apg generell, im wesent-
lichen auf Lukas selber zurück46; die formgeschichtliche Frage, ob und in
welchem Umfang dabei auch ältere Tradition verarbeitet worden sein
könnte, bleibt im folgenden unberücksichtigt.47
Die Pfingstpredigt ist durch die drei unterschiedlichen Anreden an die
Adressaten (V. 14: άνδρες Ιουδαίοι κτλ., V. 22: άνδρες Ίσραηλίται,
V. 29: άνδρες αδελφοί) deutlich in drei Abschnitte gegliedert: In 2,14-21
gibt Petrus seinen Jerusalemer Hörern eine Erklärung der Phänomene des
zuvor in 2,1-4 geschilderten und dann in 2,5-13 von den Anwesenden be-
reits unterschiedlich gedeuteten Pfingstwunders; in 2,22-28 spricht er
vom Geschick des irdischen Jesus; in 2,29-36 folgt das Zeugnis von der
Auferweckung Jesu. Der Eingangsszene 2,1-13 entspricht der Schluß
2,37-41, in dem die Reaktion auf das Gehörte beschrieben wird.

45Die Widmung an Theophilos (Lk 1,1-4; Apg 1,1) widerspricht dem nicht; Theophilos
ist nicht in gleicher Weise Adressat von L k / A p g wie die römischen Christen die
Adressaten des Rom sind.
Vgl. die knappen Hinweise bei CONZELMANN, Apostelgeschichte, 9f. Zur Analyse der
Reden im einzelnen s. SOARDS, Speeches.
" Die Stephanusrede dürfte von Lukas im wesentlichen aus einer Quelle (des Stepha-
nuskreises?) übernommen worden sein.

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 443

Der lukanische Petrus beginnt seine Predigt damit, daß er nach der fei-
erlichen Einleitung 48 zunächst ausdrücklich den Trunkenheitsverdacht zu-
rückweist (V.15); es handele sich bei dem Geschehen im Gegenteil um die
Erfüllung jener prophetischen Verheißung, mit der Gott angekündigt ha-
be: „Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch" (V. 16-21). 4 9 Erst
nach dieser Einleitung spricht Petrus im zweiten Teil der Predigt von „Je-
sus, dem Nazoräer" (V. 22a); dabei erklärt er ausdrücklich, daß die von
ihm angesprochenen Menschen (άνδρες Ίσραηλίται) „wissen", wer die-
ser Jesus gewesen war: Ein Mann, von Gott beglaubigt ε'ις υμάς durch
Machttaten und durch Zeichen und Wunder (V. 22fin: καθώς αυτοί
οιδατε). 50 Aber sie, die jetzt angeredeten Jerusalemer, hatten ihn, der ent-
sprechend dem Willen und der πρόγνωσις Gottes dahingegeben wurde,
durch die Hand der Gesetzlosen (ans Kreuz) „angeheftet" und also um-
gebracht (V. 23). 51 Gott jedoch bewirkte seine Auferstehung (άνέστη-
σεν), indem er „die Wehen des Todes" löste (V. 24a) 52 , dem Tod also die
Möglichkeit nahm, Jesus in seinem Machtbereich festzuhalten (V. 24b).
Auch für dieses Geschehen führt Petrus einen Schriftbeweis an; es ent-
spreche einer Verheißung des Psalmsängers David: „Du wirst nicht zuge-
ben, daß dein Heiliger die Verwesung sieht" (V. 2 7 ) . "
Im Anschluß an dieses Zitat beginnt der dritte Teil der Predigt. Petrus
betont unter Hinweis auf das „bis heute" bekannte Grab Davids in Jeru-
salem, dieser könne in dem Psalm nicht von sich selber gesprochen haben
(V. 29) ; vielmehr habe er als Prophet von der Auferstehung Jesu gewußt
und davon gesprochen (V. 30f.). Zur näheren Ausführung dessen nimmt

48 Vgl. PLÜMACHER, Lukas, 41f., der auf die zahlreichen Septuagintismen verweist, die
sich nicht erst in der Redeeröffnung (V. 14b) finden, sondern schon in der Schilderung
des Auftretens des Petrus (V. 14a).
49 Zitiert wird der LXX-Text von Joel 3,1-5, allerdings mit einigen Abweichungen; vgl.
d a z u BARRETT, A c t s , 1 3 6 - 1 3 9 .
50 Vgl. dazu KORN, Geschichte, 234-236. Auf die Wunder Jesu wird in der Apg nur hier
in 2,22 sowie in 10,38 verwiesen (vgl. a. a. O., 233-241). Ob Lukas von V. 22 an einer
anderen Quelle folgt, wie BARRETT, Acts, 129, aus dem "abrupt change marked by a
fresh address to the listeners" schließt, kann hier offen bleiben.
51 Zur dialektischen Spannung zwischen dem von Gott beschlossenen Plan und der
gleichwohl bestehenden Verantwortung der Menschen s. CONZELMANN, Mitte, 141—
144; BARRETT, Acts, 142; ferner SQUIRES, Plan.
52 Die rätselhafte Wendung λύσας τάς ώδΐνας τοΰ θανάτου wird meist auf eine
Fehlübersetzung der L X X zurückgeführt (BARRETT, Acts, 143, unter Hinweis auf
Ps 17,6; 114,3: Statt Strick, sei San, Wehe, gelesen worden). PLÜMACHER,
Lukas, 42, meint, es liege liturgische Sprache vor, keine direkte Übernahme aus einem
LXX-Text.
" I n 2,25-28 wird Ps 15,8-11 L X X zitiert (zu den Differenzen vgl. BARRETT, Acts,
144-146).

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444 Andreas Lindemann

die Rede in V. 32 die Aussage von V. 24 wieder auf: Gott hat an diesem
Jesus die Auferstehung bewirkt 54 , und dafür, so sagt Petrus, sind „wir alle
Zeugen" (πάντες ήμεΐς εσμεν μάρτυρες). Jesus, so heißt es weiter, ist zur
Rechten Gottes erhöht worden (V. 33). 55 Dies entspreche abermals einer
Verheißung Davids, die anschließend in V. 34b-35 zitiert wird,
nämlich Ps 109,1 LXX. 5 6 Die Predigt schließt in V. 36 mit dem Hinweis,
„das ganze Haus Israel" solle „mit Sicherheit wissen" (άσφάλως ουν
γινωσκέτω πάς οίκος Ισραήλ), daß Gott „ihn" zum Herrn (κύριος) und
zum Messias (χριστός) gemacht hat, „diesen Jesus, den ihr gekreuzigt
habt".
Die Nähe der die Pfingstpredigt abschließenden Wendung zu den bei-
den von Paulus in Rom 10,9 zitierten Formeln ist deutlich; auffällig ist
insbesondere, daß die hier ausgesprochene Vorstellung, Gott habe Jesus
zum κύριος und zum χριστός „gemacht", der lukanischen Christologie,
wie sie etwa in der Botschaft der Engel in der Weihnachtsgeschichte
sichtbar wird (Lk 2,11), nicht entspricht. 57 Es kommt jetzt aber nicht auf
eine formgeschichtliche oder traditionsgeschichtliche Analyse der von
Lukas hier dem Petrus in den Mund gelegten Worte an, sondern zu fragen
ist nach der Interpretation dieser Aussagen im Rahmen des lukanischen
Doppelwerkes: Wie sollen die in der erzählten Textwelt angeredeten Hö-
rerinnen und Hörer der Pfingstrede, also „die Jerusalemer", die Aussage
des Petrus über Jesus als den „Herrn" und als den „Messias" verstehen?
Und wie sollen die von Lukas implizierten Leser des Textes Apg 2,14-36
- also letztlich wir - diese Pfingstpredigt aufnehmen?
Gegenstand des als eine fortlaufende Erzählung gestalteten lukanischen
Werkes 58 sind die Geschichte der Geburt, des Lebens und des Sterbens Je-
su sowie Jesu Auferweckung und die darauf folgende Geschichte der Kir-
che. Wenn der lukanische Petrus in seiner Pfingstpredigt von den Wun-
dertaten spricht, durch die Gott den Menschen Jesus von Nazareth
„beglaubigt" habe (V. 22-24), dann ist dabei vorausgesetzt, daß die auf
der Ebene der Erzählung dies hörenden Jerusalemer wissen, worauf sich
Petrus im einzelnen bezieht; ebenso wissen dies auch die Leserinnen und

54 Die Parallelität ist betont: 2,24: ov ό θεός άνέστησεν - 2,32: τοΰτον τόν Ίησοΰν
άνέστησεν ό θεός.
55 In diesem Zusammenhang ist nochmals von der Geistausgießung die Rede.
56 Das Zitat wird ähnlich wie zuvor im Fall von Ps 16,8-11 mit dem Hinweis verbunden,
David sei nicht selbst in den Himmel hinaufgestiegen (V. 34a); das folgt für den luka-
nischen Petrus offensichtlich aus dem Wortlaut der Ps-Stelle, in der ja „der Herr"
(κύριος) zu „meinem Herrn" (τψ κυρίω μου) spricht.
57 In Lk 2,11 ist bereits das neugeborene Kind χριστός κύριος und als solcher σωτήρ.
58 Vgl. die Beiträge in dem Sammelband von VERHEYDEN, Unity.

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 445

Leser des Textes: Jesus hat Dämonen ausgetrieben und Kranke geheilt; er
hat Behinderte von ihren Behinderungen befreit und sogar Tote wieder
zum Leben erweckt. 59 Wenn in diesem Zusammenhang dann ausdrücklich
darauf hingewiesen wird, daß Jesus diese Wunder in aller Öffentlichkeit
getan hat, dann entspricht das dem vorausgesetzten „Wissen" der Adres-
saten (έν μέσω υμών καθώς αυτοί οιδατε). Die Jerusalemer Hörer der
Petrusrede in der erzählten Welt des Textes können von ihrer eigenen
Erfahrung her die Aussagen des Petrus über das Leben Jesu unmittelbar
bestätigen. Es spielt dabei keine Rolle, daß Jesus die genannten Machter-
weise nicht in Jerusalem, sondern in Galiläa bzw. auf dem Weg von Gali-
läa nach Jerusalem vollbracht hatte; der lukanische Petrus kann vielmehr
ohne weiteres davon ausgehen, daß niemand unter seinen Hörern Anlaß
hat, die Richtigkeit des von ihm über Jesus Gesagten zu bezweifeln. Und
für die Leser der Apostelgeschichte genügt ja ein Blick in das Evangelium.
Die Jerusalemer Adressaten der Rede wissen auch, daß der von Petrus
gegen sie erhobene Vorwurf, sie hätten Jesus διά χειρός άνομων umbrin-
gen lassen, berechtigt ist. Anders als bei Mk (15,11-13) war nach der lu-
kanischen Passionsdarstellung das Volk nicht durch die Hohenpriester
dazu aufgewiegelt worden, von Pilatus die Begnadigung des Barabbas und
die Kreuzigung Jesu zu verlangen60; vielmehr hatte die Volksmenge von
sich aus Pilatus dazu aufgefordert, Jesus hinzurichten und Barabbas frei-
zulassen, nachdem zuvor Pilatus ausdrücklich Jesu Schuldlosigkeit festge-
stellt hatte (Lk 23,13-16.18)." Was Petrus also in Apg 2,22f. über das Le-
ben und über das Todesgeschick Jesu sagt, entspricht präzise dem zuvor
im Evangelium von ihm Berichteten; der „historische" Wahrheitsgehalt ist
also auf der Ebene des lukanischen Werkes ohne weiteres überprüfbar.
Welchen Wahrheitsgehalt hat dann aber die in Apg 2,24 folgende Aus-
sage, Gott habe die Auferstehung Jesu bewirkt? Für die Leser der lukani-
schen Erzählung ist die Antwort klar: Jesus war den Jüngern erschienen
und hatte seine Auferstehung insbesondere durch das Essen einer Fisch-
mahlzeit unter Beweis gestellt (Lk 24,36-43). Unmittelbar zuvor war von
dem Weg zweier Jünger nach Emmaus erzählt worden (24,13-35): Die

59 Die Begrifflichkeit ist freilich eine andere: Im Lk wird lediglich das Stichwort δύναμις
im Blick auf Jesu Taten gebraucht (4,36; 5,17; vgl. 10,13); σημεΐον begegnet dagegen
nur im Kontext der (zurückgewiesenen) Zeichenforderung, τέρας begegnet gar nicht.
Von σημεία και τέρατα (oder auch umgekehrt) ist dann freilich in der Apg sehr oft
die Rede.
60 In Mk 15,11 heißt es: οί δέ άρχιερεΐς άνέσεισαν τον οχλον ϊνα μάλλον τον
Βαραββάν άπολύση αίιτοΐς, woraufhin dann die Volksmenge auf die entsprechende
Frage des Pilatus antwortet: σταύρωσον αυτόν (V. 13).
" Nach Lk 23,20.22 unternimmt Pilatus zwei weitere vergebliche Versuche, Jesus frei-
zulassen.

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446 Andreas Lindemann

beiden waren dem auferstandenen Jesus begegnet, der ihnen anhand der
Heiligen Schriften verdeutlichte, daß das Leidensgeschick des χριστός
dem entsprach, was „angefangen bei Mose und allen Propheten" über ihn
geschrieben stand (24,27); die Leser wissen allerdings auch, daß die bei-
den Jünger Jesus dann erst an der Geste des Brotbrechens erkannt hatten
(V. 30f.), d. h. die Auslegung der Schrift hatte sie zuvor noch nicht er-
kennen lassen, daß ihnen der Auferstandene selber begegnet war. Davor
hatte Lukas bereits von der Auffindung des leeren Grabes durch die Frau-
en erzählt und von der durch zwei Männer übermittelten Auferstehungs-
botschaft (24,1-8), die von den Frauen sogleich an „die Elf" bzw. die
απόστολοι weitergegeben worden war (24,9-12). Aber gerade in diesem
Zusammenhang war deutlich geworden, daß der Evangelist das leere Grab
offenbar nicht als eine „faktische" Bestätigung der zuvor von Jesus selber
mehrfach ausgesprochenen Leidens- und Auferstehungsankündigungen
(Lk 9,22/9,44f./l 8,31-34) verstanden wissen will; denn zwar erinnern die
άνδρες in dem leeren Grab (24,4) die Frauen an diese Ankündigungen
(24,7f.), und die Frauen teilen dies den απόστολοι mit (24,9f.); doch die-
se halten das für leeres Geschwätz und glauben den Frauen nicht (24,11:
ήπίστουν αύταΐς). Petrus sieht dann zwar das leere Grab; aber er ist über
das Geschehen nur „verwundert" (άπήλθεν προς έαυτόν θαυμάζων τό
γεγονός). 62 Zweifellos ist das leere Grab für Lukas eine Realität; aber
trotz der ausdrücklichen Erinnerung an Jesu eigene Worte vermag es bei
niemandem den Glauben an die Auferweckung Jesu auszulösen, d. h. es
kommt dieser Realität im Zusammenhang der Rede von der Auferstehung
Jesu offensichtlich keinerlei Gewicht zu.
Daran ändert sich nun auch in der Pfingstpredigt nichts. Im Anschluß
an das Zitat von Ps 16,8-11 in Apg 2,25-28 verweist Petrus zwar auf das
Grab Davids, das έν ύμΐν ist „bis auf diesen Tag" (V. 29), und er betont,
daraus sei zu folgern, daß die Verheißung, der „Heilige" Gottes werde die
διαφθορά nicht „sehen", keinesfalls David selber gelten könne; aber das
Grab Jesu wird von Petrus mit keinem Wort erwähnt, obwohl es doch im
Kontext der Apostelgeschichte gar kein Problem gewesen wäre, wenn
Lukas den Petrus vom leeren Grab Jesu als von einem objektiv wahr-
nehmbaren Faktum hätte sprechen lassen. Warum erwähnt der lukanische
Petrus Jesu (leeres) Grab nicht? Den erst spät aus offensichtlich apologe-
tischen Gründen eingeführten und dann „widerlegten" Vorwurf, die Jün-
ger Jesu hätten dessen Leichnam aus dem Grab entfernt (Mt 27,62-66;
28,11-15), kennt Lukas offenbar noch nicht; dieser Vorwurf wird jeden-

62 In 24,41 steht θ α υ μ ά ζ ε ι ν parallel zu άπιστεΐν, d. h. Petrus ist in 24,12 zwar „erstaunt"


über das leere Grab, weist ihm aber offensichtlich keinerlei positive Bedeutung zu.

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 447

falls nicht der Grund dafür sein, daß Petrus die Erwähnung des (leeren)
Grabes Jesu vermeidet." Die Unauffindbarkeit des Leichnams Jesu ist
für Lukas offensichtlich kein Mittel, den Glauben an Jesu Auferweckung
auszulösen oder ihn auch nur zu sichern. Wenn also Petrus in der
Pfingstpredigt ausdrücklich auf das Davidsgrab verweist, ein Hinweis auf
das (leere) Grab Jesu aber fehlt, so zeigt dies unmißverständlich, daß Lu-
kas sowohl auf der Ebene der erzählten Welt wie auch im Gegenüber zu
seinen impliziten Lesern deutlich machen will, daß das - als solches von
ihm gewiß nicht bezweifelte - Faktum des leeren Grabes für den Glauben
an Jesu Auferweckung bedeutungslos ist.
Die beiden Emmaus-Jünger hatten Jesus an der Geste des Brot-
brechens erkannt (Lk 24,30f.), also daran, daß der ihnen bis dahin un-
bekannte Begleiter die Mahlgemeinschaft mit ihnen wieder aufnahm.
Dennoch ist das erste auf der Textebene des lukanischen Doppelwerkes
ausgesprochene Auferstehungszeugnis nicht der Bericht der Emmaus-
Jünger über diese Erfahrung; es ist vielmehr die am Ende der Emmaus-
Erzählung (Lk 24,34) ausgerechnet diesen beiden Jüngern gegenüber von
den „Elf samt den Ihren" formelhaft ausgesprochene Botschaft, daß Jesus
„tatsächlich auferweckt" worden und dem Simon erschienen sei (όντως
ήγέρφη ó κύριος και ώφϋη Σίμωνι, vgl. l K o r 15,3b—5). Doch selbst die-
ses Zeugnis gilt am Ende nicht als ein wirklicher Beweis; denn als der
Auferstandene den Jüngern erscheint, halten diese ihn für ein Gespenst
(πνεΰμα). Erst Jesu Essen in Gegenwart der Jünger läßt diese seine Auf-
erstehung zweifelsfrei erkennen (Lk 24,36-43). M Aber - und darauf
kommt es nun entscheidend an - an diesen Beleg für Jesu Auferstehung
wird in der Pfingstpredigt nicht angeknüpft: In Apg 2,24 nennt Petrus für
seine Aussage öv ό θεός άνέστησεν überhaupt keinen „Beleg"; bei der
Wiederholung jenes Satzes (2,32) läßt Lukas den Petrus zwar sagen, daß
„wir alle" „Zeugen" für die Auferstehung Jesu seien, doch dabei wird der
Status der Apostel als μάρτυρες den Hörern gegenüber nicht näher expli-
ziert. Und für die abschließende entscheidende Aussage, daß Gott den
auferweckten und erhöhten Jesus zum „Herrn" und zum „Messias" ge-
macht hat (2,36), nennt der lukanische Petrus ebenfalls keinen „Beleg" -
es sei denn das in V. 34b.35 zitierte Schriftwort Ps 110,1, dessen „richtige"
Auslegung indirekt darauf zurückgeht, daß sowohl die Emmaus-Jünger
wie auch die in Jerusalem versammelten Apostel die angemessenen Ausle-

" Auch wäre es Lukas ja prinzipiell möglich gewesen, einen Bericht etwa des Inhalts zu
verfassen, Menschen aus Jerusalem hätten mit eigenen Augen das leere Grab gesehen
oder es gebe - wie dann im Petrusevangelium erzählt - unmittelbare „neutrale" Zeugen
des Auferstehungsgeschehens.
64 Darauf folgt dann der lukanische Missionsbefehl, V. 4 4 - 4 9 .

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448 Andreas Lindemann

gungskriterien aus Jesu eigenem Mund erfahren hatten. „Zeugen" des


Auferweckungshandelns Gottes an Jesus sind die Apostel jedenfalls nicht
deshalb, weil sie Tatsachen „bezeugen" können, die sie als (Augen-) Zeu-
gen früher einmal wahrgenommen haben; vielmehr sind sie μάρτυρες, in-
sofern sie gegenwärtig Zeugnis ablegen. In der an Cornelius und die Sei-
nen gerichteten Rede des Petrus in Caesarea (10,34-43) wird dann zwar
ausdrücklich auch vom συνεσίΚειν und vom συμπίνειν der Jünger mit Je-
sus μετά τό άναστήναι αυτόν έκ νεκρών gesprochen; aber dieser Hin-
weis auf Lk 24,41-49 scheint primär mit der vorausgesetzten Szenerie in
Verbindung zu stehen (Apg 10,9-16), man sieht jedenfalls nicht, warum
gerade hier und nur hier ein „Beweis" für Jesu Auferstehung nötig gewe-
sen sein sollte.

3. Ein Zwischenergebnis

Wie verhalten sich die beiden Formeln in Rom 10,9 zur Pfingstpredigt in
Apg 2,14-36? In Rom 10,9 und auch im Kontext jener Stelle findet sich
keinerlei Versuch einer Plausibilisierung des Auferstehungszeugnisses; bei
Lukas dagegen gibt es immerhin Ansätze für eine narrativ vorgetragene
Argumentation zugunsten der Wahrheit des Auferstehungsglaubens, in-
sofern Petrus an die Erfahrungen seiner Hörer mit dem irdischen Jesus
anknüpft bzw. insofern Lukas seine Leser an die von ihm bis dahin er-
zählten Geschehnisse erinnert und in diesen Rahmen das Auferstehungs-
zeugnis einträgt. Aber auch Lukas liefert keinen „objektiven" Beweis für
das Auferstehungszeugnis, obwohl ihm ein solcher Beweis doch sehr
leicht möglich gewesen wäre - beispielsweise dadurch, daß er in Apg 2
nicht von der Ausgießung des Geistes, sondern von einer Erscheinung des
Auferstandenen vor den in Jerusalem versammelten Menschen erzählt
hätte.65 In seiner Predigt erinnert der lukanische Petrus an die den Hörern

65 Die in I K o r 15,6 erwähnte Erscheinung vor den „mehr als fünfhundert Brüdern" steht
mit der Pfingstszene von Apg 2 in keinem Zusammenhang; entsprechende Überlegun-
gen gehen an beiden Textaussagen vorbei, denn in Apg begegnet die Zahl fünfhundert
nicht, und es ist auch nicht von einer Erscheinung Jesu die Rede, während umgekehrt
die Uberlieferung in IKor 15,6 nicht vom πνεΰμα spricht. LÜDEMANN, Christentum
49, hält es allerdings „zumindest für möglich, daß die Erscheinung vor 500 Brüdern
mit der Tradition hinter Apg 2 , 1 - 4 genetisch zusammenhängt", wobei dann „freilich
traditionsgeschichtliche Zwischenglieder anzunehmen" seien; sein Verweis auf „die
Verbindung von Christophanie und Geistverleihung" in Joh 20,21f. trägt für die An-
nahme eines „genetischen" Zusammenhangs von Apg 2 mit der Tradition in IKor 15,6
allerdings nichts aus. Die in IKor 15,6 überlieferte Notiz zeigt immerhin, daß es je-
denfalls Tradition gab, die von einer „Massenerscheinung" des Auferstandenen be-

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 449

bekannten Machttaten Jesu; aber diese Erinnerung soll nicht etwa die
Plausibilität des Auferstehungsglaubens erweisen, sondern sie dient dazu,
das Übermaß des von den Adressaten begangenen Frevels zu unterstrei-
chen. Für die Verkündigung sowohl des Paulus wie auch des Lukas gilt,
daß Gottes österliches Handeln an Jesus, von dem sie sprechen, im Be-
kenntnis wahr ist; für beide gehört die Auferweckung Jesu nicht auf die
Ebene einer Faktenwirklichkeit, von der auch ohne den Glauben an Got-
tes Handeln hätte gesprochen werden können.
Der Vergleich zwischen Rom 10,9 und Apg 2,14-36 ist im Zusammen-
hang unserer Fragestellung vor allem auch deshalb instruktiv, weil beide
Texte recht unterschiedlich zu datieren sind: Die beiden von Paulus im
Römerbrief verwendeten Formeln dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit
schon in den beiden ersten Jahrzehnten des im Entstehen begriffenen
Christentums geprägt worden sein; die Petrusrede ist verglichen damit
relativ „spät" entstanden, doch läßt sie erkennen, wie sich Lukas die Ur-
sprungssituation der österlichen Verkündigung gedacht hat - und diese
Reflexion braucht von den tatsächlichen Gegebenheiten gar nicht allzu
weit entfernt gewesen zu sein. Beide, Paulus wie der lukanische Petrus,
setzen die Historizität des irdischen Jesus selbstverständlich voraus. Aber
auch der Petrus von Apg 2, der im Unterschied zu Paulus und zu den von
diesem in Rom 10,9 zitierten Formeln explizit an „historische" Daten des
Lebens Jesu erinnert, sieht darin keinen Beleg für die Wahrheit der Mes-
sianität Jesu oder für die Wahrheit der Osterbotschaft. Im Gegenteil,
Petrus betont gerade, daß Jesus - ungeachtet der von ihm vollbrachten
„Machttaten" - gerade von denen, die diese Machttaten erlebt hatten,
getötet worden war.
Man kann fragen, ob es im Neuen Testament Texte gibt, die die „Er-
kenntnisstruktur" der Christologie möglicherweise deutlicher zum Aus-
druck bringen, als dies in den hier diskutierten Texten Rom 10,9 und Apg
2 der Fall ist. Aber solche Texte gibt es tatsächlich nicht; denn alle
Schriften des Neuen Testaments setzen den Glauben, also das Bekenntnis
zu Jesus als dem Christus, bereits voraus, ohne daß wir etwas über den
Weg erführen, der von einer bestimmten gewonnenen „Erkenntnis" her
zu dem Bekenntnis hingeführt hätte. Zwar sagt Paulus gelegentlich etwas
über die ihm zuteilgewordene Erkenntnis, daß er den Herrn „gesehen"
habe bzw. daß Christus als der Auferstandene nicht nur dem Petrus und
anderen, sondern auch ihm selber erschienen sei"; der Glaube an die

richtete; ob Lukas diese oder ähnliche Tradition gekannt hat, läßt sich natürlich nicht
sagen.
" Paulus ist der einzige, von dem wir ein solches Zeugnis kennen; vgl. IKor 9,1; 15,8f.; in
Gal l , 1 5 f . ist dies formuliert mit den Worten, es habe Gott gefallen, „an (oder: in) mir"

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Wahrheit des Bekenntnisses wird von Paulus also durchaus auf ein von
außen kommendes Widerfahrnis zurückgeführt. Aber zweierlei muß so-
fort hinzugefügt werden: Paulus gibt zum einen keine Beschreibung des-
sen, was er den Korinthern gegenüber als ein „Sehen" des Auferstandenen
und den Galatern gegenüber als das auf Jesus bezogene Offenbarungs-
handeln Gottes έν έμοί bezeichnet.67 Und zum andern meint Paulus nicht,
daß die ihm zuteil gewordene Form der Erkenntnis des Gotteshandelns
an Jesus der allgemein übliche (oder gar der verbindliche) Weg der Ver-
mittlung und Annahme der Glaubensbotschaft sei. Paulus versteht das
„Sehen" des Auferstandenen unmittelbar als die Einsetzung in die aposto-
lische Aufgabe; er scheint sogar davon überzeugt gewesen zu sein, daß die
ihm zuteilgewordene Erscheinung der Abschluß der Selbstoffenbarungen
Jesu gewesen sei (IKor 15,9) und es keine Fortsetzung geben werde.
Glaube ist für Paulus nicht die Antwort des Menschen auf ein ihm von
außen zuteil werdendes, womöglich als übernatürlich, wenn auch als
„real" anzusehendes Widerfahrnis; Glaube ist für Paulus vielmehr die Fol-
ge der „gehörten Verkündigung" (άκοή), die ihrerseits „durch das Wort
Christi" entsteht (Rom 10,17). Die Christuspredigt ist dementsprechend
nicht eine „Erkenntnis", aus der dann als Antwort das „Bekenntnis" folgt;
sondern Erkenntnis und Bekenntnis bilden eine Einheit.

III. Zum historischen und theologischen Problem


neutestamentlicher Chnstologie

Gegen die hier vorgetragenen Überlegungen könnte eingewandt werden,


daß es doch möglich sein müsse, die Entstehung des Glaubens an Jesus als
den Christus auch historisch irgendwie plausibel zu machen - etwa von der
Annahme her, bereits der irdische Jesus selber habe sich als die dem Volk
Israel das Heil bringende Person gesehen und entsprechende Taten voll-
bracht. In diesem Falle könnte die Anerkennung der Würde Jesu als des
Herrn (κύριος) oder als des Messias (χριστός) auf einen von Jesus selbst
erhobenen und durch Taten bewiesenen Anspruch zurückgeführt werden;

(έν έμοί) seinen Sohn zu offenbaren, „damit ich ihn unter den Völkern verkündige";
vgl. dazu VOUGA, Galater, 33-35; ferner LINDEMANN, Paulus.
67 Es ist in diesem Zusammenhang nur darauf hinzuweisen, daß Lukas in der Apg das
„Damaskuserlebnis" des Paulus dreimal auf sehr unterschiedliche Weise schildert, wo-
bei in keinem Fall von einem Sehen des Auferstandenen die Rede ist, sondern stets
vom Hören.

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 451

d e r h i s t o r i s c h e J e s u s s e l b e r w ä r e d a n n d e r u n m i t t e l b a r e R e a l g r u n d f ü r eine
freilich e r s t n a c h O s t e r n n ä h e r e x p l i z i e r t e C h r i s t o l o g i e .
D i e T h e s e , J e s u s h a b e ein „ m e s s i a n i s c h e s S e l b s t b e w u ß t s e i n " gehabt,
w i r d in d e r F o r s c h u n g n i c h t s e l t e n v e r t r e t e n . 6 8 E i n e d i f f e r e n z i e r t e P o s i -
t i o n v e r t r e t e n G E R D THEISSEN u n d ANNETTE M E R Z : Z w a r h a b e J e s u s
n i c h t d e n M e s s i a s t i t e l b e a n s p r u c h t , a b e r es sei a n g e s i c h t s d e r i m V o l k
lebendigen messianischen H o f f n u n g e n „historisch wahrscheinlich", daß
J e s u s m i t i h n e n „ k o n f r o n t i e r t " w u r d e . 6 9 F ü r die „ G e s c h i c h t l i c h k e i t " e i n e r
solchen K o n f r o n t a t i o n spreche, „daß ganz verschiedene Kreise entspre-
chende Erwartungen oder Befürchtungen äußern", und zwar sowohl A n -
h ä n g e r w i e a u c h G e g n e r J e s u ; dabei seien U n t e r s c h i e d e i m B l i c k a u f G a l i -
läa u n d J u d ä a f e s t z u s t e l l e n . „ I n Galiläa ist das P e t r u s b e k e n n t n i s lokalisiert
(Mk 8,27-30), das n i c h t in d e r Ö f f e n t l i c h k e i t g e s c h i e h t . A u f das Be-
k e n n t n i s k ö n n t e u r s p r ü n g l i c h das S a t a n s w o r t g e f o l g t s e i n " , d o c h sei dies
d a n n „ k e i n e Z u r ü c k w e i s u n g des M e s s i a s t i t e l s , s o n d e r n K r i t i k d e r m i t i h m
verbundenen Gesinnung".70 Die Uberlieferung könne so verstanden wer-
d e n : „ V e r b i n d e t s i c h m i t d e m M e s s i a s t i t e l eine G o t t e n t s p r e c h e n d e Ge-
s i n n u n g , s o ist e r a k z e p t a b e l - s o n s t n i c h t . " 7 1 I n J u d ä a sei d a n n „die M e s -

" Vgl. etwa STUHLMACHER, Theologie I, 117, der unter Verweis auf Mk 8,27-33 und Mk
14,61 f. zu dem Ergebnis kommt, Jesus habe sich „mit dem vom Täufer angekündigten
.Kommenden' in ganz eigenständiger Art und Weise identifiziert und sich selbst als
den messianischen Menschensohn angesehen", womit er freilich „nicht nur eine U m -
prägung der frühjüdischen Erwartung des davidischen Messias vollzogen, sondern auch
dem frühjüdischen Bild vom Menschensohn entscheidend neue Züge aufgeprägt" habe.
Anders ROLOFF, Jesus Christus 466f.: Jesus habe den Titel „Christus" „wegen dessen
davidsmessianologisch-polit. Festlegung schwerlich auf sich angewandt", doch habe er
wahrscheinlich die Bezeichnung „Menschensohn" für sich gebraucht, „die zwar eine
eindeutige eschatologische Konnotation (Dan 7) hatte, aber keine titulare Festlegung
implizierte".
" THEISSEN/MERZ, Jesus, 467.
70 Die These, daß das Satanswort Mk 8,33 die ursprüngliche Reaktion Jesu auf das Mes-

siasbekenntnis des Petrus gewesen sei, wurde bereits von DINKLER, Petrusbekenntnis,
vertreten. Zur Analyse von Mk 8,27-33 vgl. LÜHRMANN, Markusevangelium, 144; bei
V. 33b könne es sich durchaus um ein authentisches Jesuswort handeln, das ursprüng-
lich aber nicht auf Petrus bezogen sein mußte (der Name wird nicht genannt). Das
Wort wiederholt „in seiner positiven Aufforderung nur 1,17 (δεΰτε οπίσω μου), die
Berufung des Petrus und seines Bruders"; im jetzigen Kontext liegt der Ton „auf der
Qualifizierung des Petrus als ,Satan' gegenüber seiner eigentlichen Funktion, Jesus
nachzufolgen".
71 A. a. O . 468. Anders DINKLER, Petrusbekenntnis, 310f.: „Die ursprüngliche Tradition

bezeugt die Verbindung des Petrus-Bekenntnisses von Jesus als dem künftigen Messias
mit einer expliziten Antwort Jesu, nämlich dem Satanswort. Demnach hat Jesus die
Rolle eines Messias abgelehnt und mit der Zurückweisung dieser Rolle und des Titels
der Urgemeinde die Suche nach einem adäquaten Titel auferlegt."

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siasthematik öffentlich diskutiert" worden: „Bartimäus begrüßt Jesus als


.Davidssohn' in Jericho", und „die Festpilger in Jerusalem erwarten die
.Herrschaft Davids'" (Mk 11,9f.). Die Frage, ob es sich hier um im histo-
rischen Sinne zuverlässige Überlieferung handelt, wird von THEISSEN/
MERZ in diesem Zusammenhang nicht diskutiert.72
Das in Q überlieferte Logion, die Jünger würden einst auf Thronen sit-
zen und die zwölf Stämme Israels richten (Lk 22,28-30/Mt 19,28), zeige,
„daß Jesus messianische Erwartungen wohl aufgriff, nicht aber im Sinne
eines Messiastitels bejahte"; die in PsSal 17,26 dem Messias zugewiesene
Aufgabe, „das Volk (aus der Zerstreuung) zu sammeln und seine (zwölf)
Stämme zu richten"73, werde in dem Q-Logion „von den Zwölfen auf die
Jünger übertragen": „Sie werden einmal auf Thronen sitzen und die zwölf
Stämme Israels richten. Sie bilden ein messianisches Kollektiv. Jesus ver-
hielt sich gegenüber dem .Messiastitel' so spröde, nicht weil er ihn ab-
lehnte, sondern weil er mehr als ein Messias war." Jesus habe anderen den
Status und die Würde eines Messias gegeben: „Er prägte die auf eine Ein-
zelperson gerichtete Messiaserwartung im Sinne eines .Gruppenmes-
sianismus' um. Einfache Menschen, so habe es Jesus vielmehr gesehen,
„sollten als Repräsentanten der zwölf Stämme herrschen - im Sinne einer
repräsentativen Volksherrschaft." 74 Aber das Q-Logion impliziert nicht
eine kollektive „Messianität" der Jünger Jesu; und als Basis für die These
einer sonst nicht zu belegenden Annahme eines expliziten „Gruppenmes-
sianismus" reicht es ohnehin nicht aus - ganz abgesehen davon, daß auch
hier die historische Authentizität nicht allzu selbstverständlich vermutet
werden sollte.75

72 Als Argument wird auf zeitgeschichtliche Parallelen verwiesen. „Entscheidend" sei:


„Vom königlichen Messias wurde erwartet, daß er in seiner Stadt Jerusalem die Herr-
schaft ergreift. Das erklärt, warum mit dem Kommen Jesu nach Jerusalem diese Er-
wartung intensiviert in Erscheinung tritt." „Erklärt" wird damit aber nur die Darstel-
lung im Einzugsbericht der Passionsüberlieferung; die Annahme der Historizität wird
damit nicht belegt.
73 In PsSal 17,21 bittet der Beter Gott darum, daß er angesichts der gegenwärtigen Ge-

setzlosigkeit „den König, den Sohn Davids" aufrichten möge, der dann die gesetzlosen
Völker und die Sünder vernichten wird (17,24f.). Es heißt dann weiter in 17,26: και
συνάξει λαόν αγιον ου άφηγήσεται έν δικαιοσύνη και κρίνει φυλάς λαοΰ
ήγιασμένου ΰπό κυρίου θ ε ο ΰ αύτοϋ („und er wird versammeln ein heiliges Volk, das
er führen wird in Gerechtigkeit, und er wird richten die Stämme des Volks, das gehei-
ligt ist vom Herrn, seinem G o t t " (Übers. HOLM-NIELSEN, J S H R Z I V / 2 , 1 0 2 .
74 THEISSEN/MERZ, Jesus, 469, unter Verweis auf THEISSEN, Gruppenmessianismus.

75 Zur Annahme der Authentizität des Logions neigen DAVIES/ALLISON, Matthew, 58;

für eine detaillierte Analyse und Interpretation s. VERHEYDEN, Conclusion. VERHEY-


DEN nimmt an, daß es sich eher um ein in der Q - G r u p p e entstandenes als um ein au-
thentisches Jesus-Logion handelt; es reflektiere den Mißerfolg der Mission unter Ju-

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 453

Aber auch wenn es sich als möglich erweisen sollte, ein von Jesus selber
akzeptiertes Verständnis von „Messianität" wahrscheinlich zu machen,
und selbst wenn gezeigt werden könnte, daß er dies durch Taten zu be-
kräftigen vermochte, wäre damit für die Frage der historischen Basis der
nachösterlichen Christologie wenig gewonnen. Zum einen könnte Jesus
seinen Anspruch zu Unrecht erhoben haben; die Wundertaten wären
dann nicht von Gott, sondern vom Teufel her erklärbar, wie es in der
vermutlich bei Mk und in der Logienquelle Q überlieferten Beelzebul-
Perikope ja ausdrücklich reflektiert wird (vgl. Mk 3,23ff. bzw. Lk
ll,15ff./Mt 12,24ff. Q). 7 6 Ohnehin fand Jesus bei seinen Zeitgenossen ja
keineswegs nur Zustimmung, d. h. sein Auftreten kann nicht so gewesen
sein, daß sich der Rückschluß auf eine „messianische" Würde unmittelbar
nahelegen mußte; auch wenn Jesus sich selber als Messias gesehen haben
und dies von seinen Anhängern akzeptiert worden sein sollte, so wäre sein
Tod am Kreuz zweifellos als die definitive Widerlegung dieses Anspruchs
gedeutet worden. Entscheidend ist aber, daß das urchristliche Bekenntnis
sich gar nicht darauf berufen hat, daß der Glaube an Jesu Messianität die
Bestätigung eines von ihm selber erhobenen Anspruchs sei; das bedeutet,
daß sich ein vorösterlicher Glaube an Jesus als den Messias historisch
nicht nachweisen läßt. 77
Man kann es für historisch wahrscheinlich halten, daß das älteste Be-
kenntnis der (Jerusalemer) Urgemeinde in der Bezeichnung Jesu als des
κύριος vorliegt; darauf verweist jedenfalls der das eschatologische Kom-
men des erhöhten Jesus erbittende, in aramäischer Sprache formulierte
Ruf maranatha („unser Herr, komm!"). Dieser Ruf ist im Neuen Testa-
ment zwar nur in IKor 16,22 belegt und außerhalb des Neuen Testaments
lediglich im Zusammenhang der Mahlliturgie der Didache (Did 10,6);
aber die Tatsache, daß in zwei griechischsprachigen Texten das aramäische
maranatha unübersetzt begegnet, spricht jedenfalls dafür, daß dieser Ruf

den. "It is possible that in certain circles already at an early date disappointment about
the Jewish mission may have become so acute that it produced the kind o f saying such
as the one in Q 2 2 , 2 8 . 3 0 b which combines threats t o the opponents with a perspective
of hope for the faithful" (a. a. O., 7 1 8 ) .
76 Z u r Q - F a s s u n g der Beelzebul-Kontroverse s. PIPER, Jesus, 3 2 8 - 3 4 0 .
77 Ohnehin gilt, daß historische Aussagen stets auf Vermutungen angewiesen bleiben,
daß sie also nur einen jeweils von der Quellenlage abhängigen mehr oder weniger gro-
ßen Grad an Wahrscheinlichkeit haben; im Fall der Jesusüberlieferung besitzen wir
überhaupt keine direkten Quellen. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus aber
spricht nicht von Wahrscheinlichkeit und auch nicht von Vermutungen, sondern es
spricht von einer Wahrheit, die jenseits überprüfbarer historischer oder empirischer
Realität liegt.

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seinen Ursprung in einer einflußreichen semitischsprachigen Tradition


hat, und das ist ein starkes Indiz für einen Jerusalemer Ursprung. 78
Die Anrufung Jesu als des "IQ/κύριος durch die Angehörigen der
nachösterlichen Jesusgruppe in Jerusalem kann durchaus im Zusammen-
hang stehen mit den geschichtlichen Erfahrungen, die diese Menschen mit
dem vorösterlichen Jesus gemacht hatten: Im Zentrum der Botschaft Jesu
stand die Rede von der nahen Gottesherrschaft; Jesus hatte diese Nähe
sichtbar gemacht in seinen Siegen über die Dämonen (Lk 11,20/Mt 12,28
Q ) , d. h. er hatte sich gegenüber den gottfeindlichen Mächten bereits als
„der Herr" erwiesen, ohne daß er dabei einen entsprechenden „Hoheits-
titel" (κύριος bzw. ~ΙΏ) für sich beansprucht haben müßte. Jesu Tod am
Kreuz konnte angesichts dessen nur als sein Scheitern gedeutet werden -
und dies sowohl in den Augen seiner Anhänger wie auch natürlich in de-
nen seiner Kritiker. Zwar hätte theoretisch eine Möglichkeit bestanden, in
dem auf Befehl der römischen Verwaltung Hingerichteten einen Märtyrer
zu sehen; aber es gibt kein Indiz dafür, daß eine solche „politische" Deu-
tung des Todes Jesu jemals vorgenommen worden wäre. Wie Jesu Gegner
dessen Tod verstanden haben, wissen wir nicht. 79 Aus der Gruppe derer
hingegen, die Jesus nachgefolgt waren, wurde nach seinem Tode das Be-
kenntnis laut, daß der Gekreuzigte nicht im Tode geblieben sei, sondern
daß Gott ihn auferweckt und zum „Herrn" (κύριος bzw. aramäisch IQ)
erhöht habe80; als solcher wurde er nun angerufen, sei es in der Erwartung
seines Kommens bei der Parusie, sei es mit der Bitte um sein Kommen zur
Mahlfeier der Gemeinde.
Die Frage, aus welcher Veranlassung heraus solches Sprechen geschah,
läßt sich nicht beantworten - nicht etwa aufgrund einer vielleicht über-
triebenen Skepsis gegenüber den Quellen, sondern einfach deshalb, weil
die Quellen den entsprechenden Zugang zur historischen Ursprungssi-
tuation des Glaubens nicht gewähren. Es gibt im Zusammenhang mit
„Ostern" keinerlei Selbstzeugnisse; überliefert werden allein erzählende
Texte bzw. knappe Formeln, die von den ersten Trägern des Auferste-
hungszeugnisses durchweg in der 3. Person sprechen. Christus bzw. „der
Herr" „ist auferweckt worden und dem Kephas/Simon erschienen", heißt
es in IKor 15,5 bzw. in Lk 24,34; eine entsprechende Selbstaussage des

71 In Offb 22,20 scheint die griechische Wiedergabe des maranatha vorzuliegen: ερχου
κύριε Ίησοΰ.
79 Möglicherweise läßt sich aus Gal 3,13 ableiten, daß es eine explizite Deutung des T o -
des Jesu als „Fluchtod" gegeben hat. Vgl. SÄNGER, „Verflucht".
80 Dabei hat Ps 110,1 vermutlich schon sehr bald eine hermeneutisch wichtige Rolle ge-
spielt; der Erhöhungsgedanke wird aber nicht aus Ps 110 abgeleitet, sondern im Ge-
genteil dort „wiedergefunden" worden sein.

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 455

Petrus begegnet nirgends.81 Die in der 1. Person formulierte Aussage der


im Johannesevangelium als Empfängerin der Ersterscheinung Jesu ge-
nannten Maria Magdalena (20,18: έθεώρακα τον κύριον) begegnet in-
nerhalb eines Erzähltextes und braucht keineswegs auf eine authentische
Selbstaussage der Maria zurückzugehen.
Es würde allerdings auch gar nichts nützen, wenn wir ein historisch
unbestreitbar authentisches Selbstzeugnis des Petrus oder der Maria Mag-
dalena über die ihnen widerfahrene Erscheinung des Auferstandenen be-
säßen. Denn wir wären ja auch in diesem Fall genötigt, den Wahrheitsge-
halt des betreffenden Selbstzeugnisses zu prüfen - und vor dieser Aufgabe
müßten wir scheitern. Denn ein als Selbstaussage des Petrus überlieferter
Satz, etwa des Wortlauts: „Mir ist der am Kreuz gestorbene und ord-
nungsgemäß bestattete Jesus als der lebendige Herr begegnet" bzw. „er ist
mir erschienen", besäße keinen größeren Wahrheitsgehalt als die tatsäch-
lich überlieferte Aussage, daß der Gekreuzigte als der auferstandene Herr
dem Petrus erschienen ist. In beiden Fällen könnte die Aussage Folge ei-
ner mehr oder weniger kranken Phantasie sein oder auf der Fehldeutung
eines subjektiven Erlebnisses beruhen.
WILLI MARXSEN hat im Blick auf den Satz „Gott hat Jesus von den
Toten auferweckt" die Frage gestellt, wie jemand dazu gekommen sei,
„diesen Satz zu formulieren". 82 Seine Antwort lautet, mit diesem Satz ha-
be jemand die Frage beantwortet, warum die Gruppe, die sich um Jesus
gesammelt hatte, nach seinem Tod immer noch bzw. wieder als Gruppe
von Jesus-Anhängern existierte: „Interpretiert werden soll mit diesem
Satz das Ingangsetzen des Lebens dieser Gruppe." 83 „Von den Erfahrun-
gen aus, die diese Gruppe beim Leben der .Sache Jesu' machte", konnte
gesagt werden, Jesus wirke immer noch; und das wurde dann „mit Hilfe
einer damals vertrauten Vorstellung und mit den Sprachmitteln dieser
Vorstellung" ausgedrückt.84 Derjenige, der den Satz „Gott hat Jesus von
den Toten auferweckt" formuliert habe, interpretierte also nicht „das .Er-
eignis' Auferstehung Jesu", sondern interpretiert wurde „der durch Jesus

" Nicht einmal im Zweiten Petrusbrief oder in dem das Auferstehungsgeschehen relativ
detailliert schildernden Petrusevangelium wird die Mitteilung von der Erscheinung des
Auferstandenen dem Petrus in den Mund gelegt.
*2 MARXSEN, Ethik, 159. Das Buch enthält ungeachtet des Titels weit mehr als eine Dar-
stellung der neutestamentlichen Ethik.
13 „Während seines irdischen Wirkens hatte Jesus das Leben dieser Gruppe in Gang ge-

setzt. Man hatte erfahren: Nur unter seinem Einfluß und in der Gemeinschaft mit ihm
konnte dieses Leben gelingen und war es gelungen. Da es sich aber bei der von Petrus
gesammelten Gruppe um das Leben derselben .Sache' handelte, war - und blieb Jesus
der, der das Leben dieser Sache auslöste" (a. a. O., 160; Hervorhebung im Original).
84 Ebenda.

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ausgelöste Glaube, den dieser Mensch nach dem T o d e Jesu in der G e -


meinschaft der Jesus-Anhänger lebt". 85
In den 1990er Jahren entzündete sich eine heftige D i s k u s s i o n über die
Thesen G E R D L Ü D E M A N N S zur Auferstehung Jesu. 86 D i e Auseinanderset-
zungen, die v o n ihren A n f ä n g e n her durchaus hätten sinnvoll verlaufen
können, litten darunter, daß sich viele der Kritiker L Ü D E M A N N S auf die
v o n ihm fixierte Frage einließen, ob die Auferstehung Jesu denn nun ein
„historisches Faktum" gewesen sei oder nicht 87 , w o b e i erstaunlicherweise
vor allem auch der Frage der Historizität des leeren Grabes ein erhebli-
ches Gewicht z u g e m e s s e n wurde. 88 D a ß diese Frage i m Blick auf die
Wahrheit des Glaubens an die Auferweckung Jesu bedeutungslos ist,
zeigte dann I N G O L F U . D A L F E R T H : D a s christliche Zeugnis lautete nicht,
„daß Jesus in dieses Leben zurückgekommen ist und sein Leichnam wie-
derbelebt wurde, sondern daß er in G o t t e s Leben auferweckt und zur
Rechten G o t t e s erhöht wurde". 89 Dabei ist klar, daß das Bekenntnis zur
A u f e r w e c k u n g Jesu diese Auferweckung als ein d e m Bekenntnis voraus-
liegendes, also unverfügbar bleibendes Geschehen begreift, nicht als das

85
A. a. O., 161 (Hervorhebung im Original).
86
L Ü D E M A N N , Auferstehung. Vgl. zu diesem Buch meine Rezension in: WzM 46, 1994,
503-513. Die später verfaßten weiteren Beiträge L Ü D E M A N N S zur Thematik bieten
sachlich nichts Wesentliches.
87
L Ü D E M A N N , Auferstehung, 216, behauptete, es stehe fest, daß „der Leichnam Jesu
nicht wiederbelebt wurde"; man könne aber „aus der Tatsache, daß die urchristliche
Religion früher einmal mit dem Glauben an die Wiederbelebung des Leichnams Jesu
verbunden war", nicht folgern, daß auch heute an diesem Glauben festzuhalten sei
(216 Anm. 691). Darauf, daß das Urchristentum die Auferweckung Jesu nicht als Wie-
derbelebung seines Leichnams verstanden hat, wurde oben bereits hingewiesen.
88
Vgl. insbesondere P A N N E N B E R G , Auferstehung, vor allem 3 2 4 - 3 2 8 . Differenzierter
R I N G L E B E N , Wahrhaft auferstanden, 1 0 6 - 1 1 1 .
89
D A L F E R T H , Grab, 396. Dieses Bekenntnis wäre „nur dann prinzipiell unvereinbar mit
einem vollen Grab" - D A L F E R T H folgt hier der Begrifflichkeit L Ü D E M A N N S - „wenn die
Identität des Auferweckten so am irdischen Leib Jesu hinge, daß Jesus nicht bei und
mit Gott leben könnte, wenn sein Leib im Grab [...] verwest wäre. Doch genau das ist
die christliche Hoffnung: daß kein Glaubender, der stirbt und verwest, dadurch ausge-
schlossen ist, in, durch und mit Gott zu leben". Aus IKor 15,20 folgert D A L F E R T H , der
auferweckte Christus könne nicht als „Erstling der Entschlafenen" bekannt werden,
„wenn er nicht genau so tot gewesen wäre wie die übrigen Entschlafenen - und das
schließt die Verwesung des Leibes faktisch ein"; andernfalls könne von Jesus nicht be-
kannt werden, „daß er unseren Tod gestorben ist und tot war wie wir" (396f.). Schon
M A R X S E N , Ethik, 162, hatte geschrieben: „Der als Bezeichnung eines .Ereignisses' ver-
standene Satz: Jesus ist auferstanden', ist als solcher (ganz wörtlich) nichts-sagend.
Außer der Konstatierung eines geschehenen Faktums hat er keinen Inhalt. Die Kon-
statierung des Faktums provoziert aber sofort Fragen, und zwar eben nach diesem
Inhalt."

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 457

Ergebnis menschlichen Nachdenkens über den „Sinn" des Todes Jesu. 90


Dies spricht der Glaube gerade dadurch aus, daß er vom Handeln Gottes
redet, nicht von einer dem Menschen zuteil gewordenen „Erkenntnis", die
sich womöglich auf eine historische „Tatsache" bezieht.
Bei dem in diesem Beitrag diskutierten Thema geht es weder um die
mögliche Historizität der Messianität Jesu noch gar um die Historizität
der Auferweckung; es geht vielmehr um die Frage, welcher sachliche In-
halt sich im Neuen Testament und insofern überhaupt in der christlichen
Theologie mit der bekennenden Rede von Jesus als dem Christus und der
Glaubensaussage „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt" verbindet.
Zunächst eine negative Abgrenzung: Es wäre falsch, wollte man die
Antwort auf die Frage nach dem Inhalt des Osterbekenntnisses mit einer
ethischen Engführung verbinden oder eine „objektive" Plausibilität für die
Wahrheit des Glaubens finden wollen; denn weder folgt aus dem Be-
kenntnis zu Jesus als dem κύριος eine verglichen mit anderen Glau-
bensaussagen höherwertige Moral oder Ethik, noch leben Menschen bes-
ser oder gar gesünder, die sich zu Jesus als dem Herrn bekennen. Schon
gar nicht kann die Wahrheit dieses Bekenntnisses daran gemessen werden,
ob die Glaubenden sich als fähig erweisen, durch ihr Handeln und durch
ihr Leben nach außen hin diese Wahrheit „objektiv" unter Beweis zu stel-
len. Jeder Versuch, die Forderung N I E T Z S C H E S ZU erfüllen, daß die
Christen „erlöster" aussehen müßten 91 , wäre zum Scheitern verurteilt und
im Grunde verwerflich.
Was aber bedeutet das Bekenntnis κύριος Ίησοΰς im Urchristentum
nun positiv? Es bedeutet im Christentum der Antike und nicht anders
auch heute die Zurückweisung einer göttlichen Verehrung der Welt; es
zieht nach sich die bewußte Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf
(Rom 1,25); und es bedeutet damit die Relativierung jeglicher Herr-
schaftsansprüche menschlicher oder dämonischer Mächte gleich welcher
Art. Für das Urchristentum im Kontext der zeitgenössischen antiken Re-
ligiosität bedeutete dieses Bekenntnis insbesondere die Entgötterung der
Welt, und es war damit zugleich der fundamentale Widerspruch gegen je-
de Selbstvergottung des Menschen. So hat es Paulus in IKor 8,6 formu-
liert: „Es gibt zwar tatsächlich viele Götter und viele Herren, aber ,für
uns* ist ein Gott, der Vater, von dem alles ist und wir zu ihm, und ein

,0 In der Emmaus-Erzählung Lk 2 4 , 1 3 - 3 5 wird dies dadurch exemplarisch verdeutlicht,


daß es der auferweckte Christus selber ist, der den Jüngern das Verständnis der Schrift
hinsichtlich Leiden und Auferstehen vermittelt.
" F. NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra II. Von den Priestern. KSA IV, Berlin/New
Y o r k 1980, 118: „Bessere Lieder müßten sie mir singen, daß ich an ihren Erlöser glau-
ben lerne: erlöster müßten mir seine Jünger aussehen!"

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458 Andreas Lindemann

Herr Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn." Vor allem
enthält das Bekenntnis die Einsicht, daß nicht derjenige Gott ist, der sich
in der sieghaften Durchsetzung eines religiösen oder auch moralischen
Anspruchs offenbart, verbunden womöglich mit der Verwirklichung eines
solchen Anspruchs durch den Menschen. Das Bekenntnis, daß der von
Gott auferweckte Gekreuzigte der κύριος ist, bedeutet vielmehr, daß
Gott sich dem Menschen in seiner Schwäche zuwendet, daß Gott sich
offenbart im sichtbaren Scheitern eines Lebens. Gerade daraus resultiert
das Vertrauen und die Hoffnung auf eine dieses Scheitern transzendieren-
de heilvolle Zukunft. Das ist der eigentliche Sinn des von Paulus und von
Lukas gleichermaßen zitierten, wenn auch von ihnen theologisch unter-
schiedlich reflektierten Bekenntnissatzes, daß Gott Jesus von den Toten
auferweckt und zum Christus gemacht hat.

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SÄNGER, D . : „Verflucht ist jeder, der am Holze hängt" (Gal 3,13b). Zur
Rezeption einer frühen antichristlichen Polemik, ZNW 85 (1994),
279-285.
SCHMIDT, K. L.: Art. Jesus Christus, RGG 2 III (1929), 110-151.
SCHRÖTER, J.: Die Frage nach dem historischen Jesus und der Charakter
historischer Erkenntnis, in: DERS., Jesus und die Anfänge der Chri-
stologie. Methodologische und exegetische Studien zu den Ur-

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Jesus als der Christus bei Paulus und Lukas 461

Sprüngen des christlichen Glaubens (BThSt 47), Neukirchen-Vluyn


2001, 6-36.
SCHWEITZER, Α.: Von Reimarus zu Wrede, Tübingen 1906; seit der
2. Auflage 1913 unter dem Titel: Geschichte der Leben-Jesu-
Forschung, zuletzt: U T B 1302, '1984.
SOARDS, M. L.: The Speeches in Acts. Their Content, Context, and Con-
cerns, Louisville, KY, 1994.
SQUIRES, J. T.: The Plan of God in Luke-Acts (SNTSMS 76), Cambridge
1993.
STUHLMACHER, P.: Biblische Theologie des Neuen Testaments. Band I.
Grundlegung. Von Jesus zu Paulus, Göttingen 1992.
THEISSEN, G.: Gruppenmessianismus. Überlegungen zum Ursprung der
Kirche im Jüngerkreis Jesu, J B T h 7 (1992), 101-123.
THEISSEN, G./A. MERZ: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen
1996.
VERHEYDEN, J.: The Unity of Luke-Acts (BEThL 142), Leuven 1999.
VERHEYDEN, J.: The Conclusion of Q . Eschatology in Q 22,28-30, in: A.
LINDEMANN (Hg.), The Sayings Source Q and the Historical Jesus
(BEThL 158), Leuven 2001, 695-718.
VÖGTLE, Α.: Herkunft und ursprünglicher Sinn der Taufperikope Mk
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geschichte. Neutestamentliche Beiträge, Freiburg/Basel/Wien 1985,
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VOUGA, F.: An die Galater ( H N T 10), Tübingen 1997.

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Autorenverzeichnis

Dr. David E. Aune, Professor of New Testament & Christian Origins,


University of Notre Dame; e-mail: david.aune.l@nd.edu

Dr. Ralph Brucker, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Neues Testament


am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg;
e-mail: Ralph.Brucker@t-online.de

Dr. David S. du Toit, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Neues Testa-


ment an der Kirchlichen Hochschule Bethel, Bielefeld; e-mail:
dsdutoit@surf2000.de

Professor James D. G. Dunn, Lightfoot Professor of Divinity, University


of Durham, UK; e-mail: j.d.g.dunn@durham.ac.uk

Dr. Jörg Frey, Professor für Neues Testament an der Evangelisch-theo-


logischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München;
e-mail: j.frey@evtheol.uni-muenchen.de

Dr. Werner H. Kelber, Isla Carroll Turner & Percy E. Turner Professor
of Biblical Studies und Director of the Center for the Study
of Cultures an der Rice University, Houston, Texas; e-mail:
kelber@rice.edu

Dr. Andreas Lindemann, Professor für Neues Testament an der Kirch-


lichen Hochschule Bethel, Bielefeld; e-mail: Lindemann.Bethel@
t-online.de

Dr. Hermut Lohr, Privatdozent für Neues Testament an der Evangelisch-


Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Uni-
versität Bonn; e-mail: Loehr@uni-bonn.de

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464 Autorenverzeichnis

Dr. Ulrich Luz, Professor für Neues Testament am Institut für


Bibelwissenschaft an der Christkatholischen und Evangelisch-
theologischen Fakultät der Universität Bern, Schweiz; e-mail:
ulrich.luz@theol.unibe.ch

Dr. Michael Moxter, Professor für Systematische Theologie am Fach-


bereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg; e-mail:
Michael.Moxter@theologie.uni-hamburg.de

Dr. Dr. Petr Pokorny, Professor (em.) für Neues Testament und Direktor
des Biblischen Instituts an der Theologischen Fakultät der Karls-
universität in Prag; e-mail: pokorny@etf.cuni.cz

Dr. Jens Schröter, Professor für Neues Testament am Fachbereich


Evangelische Theologie der Universität Hamburg; e-mail:
Jens.Schroeter@theologie.uni-hamburg.de

Professor Christopher Tuckett, Professor of New Testament Studies, Uni-


versity of Oxford; e-mail: christopher.tuckett@theology.ox.ac.uk

Dr. Michael Wolter, Professor für Neues Testament an der Evangelisch-


Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms "Uni-
versität Bonn; e-mail: wolter@uni-bonn.de

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Register

Stellenregister
(in Auswahl)

Bibelstellen

Altes Testament

Genesis 109[110],1 322, 444, 447, 45480


2,24 344 109[110],3 31 lf

Levitikus Jesaja
18,5 436 35,5f 308
19,18 346 61, lf 308, 315f

Deuteronomium Ezechiel
6,4f 346 36,22-28 146
24,Iff 342
29,27f 144 Maleachi
30 143 3,1.23 316
30,12-14 435f
Daniel
1. Könige 7,13 306, 312
17,22 439 9,25f 310

Psalmen Jesus Sirach


15 [16],8-11 443, 446 50 143

Neues Testament

Matthäusevangelium 5,17ff 349


3,7-12 368,375ff, 381 5,18 341f
3.11 373 5,32 342
3.12 382 5,44 434
5,3 398 6,9 402

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466 Register

6,34a 404 2,23-3,6 343


7.13Í 382 2,27 343, 433
8,1 If 382, 400 3,4 344
10,7par. 396 3,21f 319
10,21 198 3,23ff 453
10,23 409f 3,27parr. 406
10,25a 404 3,33parr. 403
10,28 384 4parr. 400
12,32f 384 4,2-8parr. 146
11,5 387f 4,5parr. 404
ll,12f 340f 4,25parr. 404
11,18f 434 4,26.30 400
11,19b 357 4,26-29 427
ll,21f 379f, 385 5,1 199
12,1.5 347 5,41 403
12,1 If 343 6,1 193
12,24ff 453 6,l-6parr. 196
12,28 313f, 387, 396, 433, 454 6,4par. 408
12,39-42 359f 7,1-23 346f
12,41f 317, 368, 377ff, 382 7,15.19 434
13,16f 379 7,24-30 201f
13,44 401 7,31 200f
15,20 347 8,27-30 451
17,20 403 8,27-33 409
18,23-35 384f 8,29 307
19,28 397, 452 8,31; 9,31; 10,33; 14,21.41 414
21,19 404 8,35parr. 404
23,23 343 9,43-48 384
24,37-39 382ff 9,43.47 403
27,62-66 446 10,2-12 344f
28,11-15 446 10,17-27 346
10,18parr. 403
Markusevangelium 10,25parr. 403
1,4 357, 431f 10,28-30 433
1,5 432 10,38f 423f
1,8 373 11,9f 452
1,9 191, 193 ll,15f 388, 420f
1,14 191 ll,22f 403
l,15par. 396 1 l,27ff 421
1,21-34 194 ll,29parr. 403
2,1-12 195 12,16parr. 403
2,7 319 12,Iff 401,416

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Register 467

12,18-34 345f 12,4f 384


13 235 12,8f 384
14,22-25 422, 425ff 12,49f 422ff
14,36parr. 402 13,1 412
14,58 420f 13,1-5 359, 368, 38lf
14,6lff 307,317,319 13,10-17 349
15,2 434 13,24 382
15,2-32 304 13,28f 382
15,7 412f 13,32 434
15,11-13 445 13,33 416
15,40f 433 14,1-5 349
17,20 403 14,5 343
15,11-24 145
Lukasevangelium 16,1-8 401
(s. auch Q ) 16,16 340f
1,1-3 431 16,17 341f
2,11 444 16,18 342
2,46 349 17,21b 396
3,7-9.16-17 368, 375ff, 381 17,26-30 368, 382ff
3,16 373 17,33parr. 404, 408
3,17 382 19,11-2 7par. 401
6,20b(-23) 398, 401 19,26par. 404
6,27par. 403 22,28-30 452
6,29par. 403 22,29-30 397
6,46 265 23,13-16.18 445
7,22 387f 24,1-8 446
7,33-35 434 24,9-12 446
7,34b 357 24,13-35 445ff
8,1-3 433 24,27 349
10,11 396 24,34 454
10,13f 198, 379f, 385 24,36-43 445ff
10,18 316, 388, 432 24,44 350
10,23f 379
10,26 403 Johannesevar Lgelium
10,36 403 1,1 321,323
11,2 402 1,14 273
11,9 316 1,17; 8,5 350
ll,15ff 453 3,16f 273
11,20 313f, 433, 454, 387 4,25f 306
11,29-32 359f 5,9ff 350
ll,31f 368, 377ff, 382 8,17 350
11,42 343 10,30 321

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468 Register

10,34 349 1. Korintherbrief


12,1 439 4,8 397
13,34; 14,15.21; 15,10.12 350 7,10 339
15,25 349f 9,14 339f
20,18 455 8,6 321, 323, 437, 457f
20,28 321, 323 9,21 338
11,23-25 393, 425, 438
Apostelgeschichte 12,3 436
2,14-36 441ff 15,3b—5 408, 438, 447, 454
2,36 303 15,33b 404
10,34-43 448 16,22 321, 453
11,26 302
28,23 350 2. Korintherbrief
5,16 28037, 43 7f
Römerbrief 6,2 76
l,3f 321f
1,4 303 Galaterbrief
5,6.8 304 1,18 438
5,12ff 339 3,24 339
6,3 424 4,4f 340
8,15 155, 402 4,6 155, 402
10,4 337, 339, 436 6,2 337
10,5.6-8 435f
10,9 435ff, 448f Philipperbrief
10,12 437 2,6-11 321, 44143
10,17 450 2,11 436
14,15 304 3,6 143

Außerkanonische Evangelien

Q (Logienquelle) 11,3 lf 416


(s. auch Lukasevangelium) 11,42 228
3,7f 374, 381f 12,4-7 418
3,16 374f, 422 12,8f 318f, 417f
3,17 377 12,42-46 234f
7,18-35 192 12,49 234f
7,19.22f 307f, 315 13,28f 416
9,60 283 13,34f 416
10,13-15 416 14,27 417f, 427
ll,19f 314ff 16,16-17 229f

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Register 469

17,33 417f Log. 54.68 401


22,28-30 227 Log. 65 401
Log. 98 401
Thomasevangelium Log. 109 401
Log. 14 257
Log. 18 403 Papyrus Egerton 2
Log. 28 250 fr. Τ 403
Log. 31a 257 265
Log. 43 403 fr. 2, 43-59
Log. 47a 257 403
Pap. Oxyrh. 1224

Sonstige (außerkanonische) Literatur

äthiopischer Henoch Didache


1,1 371f 1,3 403
48,3 312 8,2 402
90,3-5 366 10,6 453

Psalmen Salomos Barnabasbrief


17,26 452 2,6 338

Josephus Hirt des Hermas


Ant. XVII 43-45 415 sim. 8,3 [69,2] 338
Ant. XVIII 55ff 412
Ant. XVIII 63 155 Justin der Märtyrer
Ant. XVIII 85ff 414 Dial. 11,2; 12,3 338
Ant. X X 97-98.167-172 144 Dial. 51,3 341
Ant. X X 169-173 415
Ant. X X 251 413
Bell. II 301Í.418 413 Mara bar Sarapion
Bell. VI 300-306 421 Brief an Sarapion 337
Bell. VI 302f 413
Bell. VII 412-416 413

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470 Register

Autoren
(in Auswahl)

Adna, Jostein 421 Dalman, Gustaf 106


Allison, Dale 233 Danto, Arthur C. 73
Arendt, Hannah 82 De Conick, April D. 271
Assmann, Jan 5672, 59, 67 Delling, Gerhard 425
Aune, David E. 9f Dibelius, Martin 279
Droysen, Johann Gustav 1
Baldensperger, Wilhelm 106 du Toit, David 4f
Barth, Karl 27f Duhm, Bernhard 110
Baur, Ferdinand Christian 97f Dunn, James D. G. 5ff
Becker j ü r g e n 92, 361, 379, 383,
411,418, 420ff Ebeling, Gerhard 281,398
Berger, Klaus 42666 Egger, Peter 413
Betz, Hans Dieter 421 Eichhorn, Albert 102f
Blumenberg, Hans 70, 77f Evans, Craig Α. 289
Borg, Marcus 24, 224, 233
Bornkamm, Günther 287, 290, Flusser, David 435
411,430 Franzmann, Majella 164s, 2441
Bousset, Wilhelm 106,112,174, Frei, Hans 2110
301,303 Freud, Sigmund 86
Brandenburger, Egon 36647, Frey, Jörg lOf, 14
370f, 378 Freyne, Sean 16612, 18250
Brown, Peter 15, 173, 43ff
Brown, Raymond E. 247, 256 Gadamer, Hans-Georg 84, 393
Bultmann, Rudolf 4, 5, 7, Gerhardsson, Birger 121
27f, 61f, 74ff, 105, 113ff, 131, Giesecke, Michael 55
174ff, 186f, 204, 263, 278ff, Goertz, Hans-Jürgen 16713, 355
296, 300, 319, 430 Goethe, Johann Wolfgang von
Bynum, Caroline Walker 43, 45 8137, 364
Grenfell, Bernard P. 252
Cameron, Ron 252, 270
Cassirer, Ernst 8344 Habermas, Jürgen 83f
Conzelmann, Hans 89f, 430 Harnack, Adolf (von) 106, 17328,
Crossan, John Dominic 3, 6, 9f, 187,215, 301
24, 37-58, 60f, 90, 120, 131, Hegel, Georg Friedrich Wilhelm
140ff, 181, 216, 218, 222ff, 110
237, 243f, 248, 253, 258ff, Heidegger, Martin 62, 75f, 393,
269f, 289f 398'
Heinrichs, Wolfgang E, 112
Dalferth, Ingolf U. 456 Heitmüller, Wilhelm 5, 105

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Register 471

Hengel, Martin 285 Lübbe, Hermann 82


Herder, Johann Gottfried 108 Lüdemann, Gerd 456
Hoffmann, Paul 219 Lührmann, Dieter 214, 229
Holmén, Tom 262 Luther, Martin 18f,21, 28, 49
Holtzmann, Heinrich Julius 99f, Luz, Ulrich 13
301, 409
Hoppe, Rudolf 360 Maclntyre, Alasdair 79
Horsley, Richard A. 140 Mack, Burton L. 8, 24f, 222, 237
Hunt, Arthur S. 252 März, Claus Peter 423
Marx, Karl 141
Jeremias, Joachim 246, 296 Marxsen, Willi 455f
Johnson, Luke Timothy 2, 24, Meier, John P. 9f, 215, 244ff,
28ff, 37, 46, 50, 60ff 269f
Jonas, Hans 75 Merklein, Helmut 361, 363
Jüngel, Eberhard 13, 399f Merz, Annette 90, 1658, 186",
189", 45lf
Kähler, Martin 2, 5, 25ff, 50, 62, Moxnes, Halvor 139
101, 147, 277f, 296 Moxter, Michael 3, 7, 8 6 "
Käsemann, Ernst 4, 88, 89f, 116, Müller, Karlheinz 3 6647
118, 263, 281ff, 287, 290f, 346, Murrmann-Kahl, Michael 10784ff
429f Mußner, Franz 410,418
Kant, Immanuel 71, 79
Keck, Leander Ε. 153 Nietzsche, Friedrich 696, 457
Kee, Howard Clark 19380 Nussbaum, Martha 15
Kelber, Werner E. 2f, 17738
Kloppenborg (Verbin), John S. O'Leary, Joseph Stephen 15
8f, 134ff, 213ff, 268, 271, 417 Olson, David 19
Koester, Helmut 138, 150", Ong, Walter J. 5470
235, 252f, 26576, 271, 289
Kümmel, Werner Georg 90 Päsler, Kurt 421
Paget, James Carlton 90
Lentzen-Deis, Fritzleo 9218 Pauck, Wilhelm 19'
Lessing, Gotthold Ephraim 10, Perrin, Norman 165'
96f, 273ff, 295, 323 Pokorny, Petr 12f
Lévinas, Emmanuel 4, 86 Polag, Athanasius 410
Liebeschütz, Hans 11098if Porter, Stanley E. 9218, 2 7925
Lindemann, Andreas 14
Lohr, Hermut llf Rad, Gerhard von 70
Lohmeyer, Ernst 17944, 18047, Rau, Eckhard 68f, 410f
203, 28031 Reimarus, Hermann Samuel 5,
Lorenz, Chris 167 n 10, 96f, 16918, 274ff, 299
Lubac, Henri de 17 Reiser, Marius 361ff, 379, 410

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472 Register

Renan, Ernest 25 Strauß, David Friedrich 7, 97f,


Ricoeur, Paul 4, 7, 13, 35, 69, 131, 169ff, 186f, 204, 276f, 299
79ff, 189,191, 399f
Riesenfeld, Harald 121 Theißen, Gerd 90, 9116f, 10472,
Riesner, Rainer 121 118 , 165 , 186", 1896', 287,
132 8

Riniker, Christian 383, 410 292, 412, 418, 451f


Robinson, James M. 8, 18045, Tillich, Paul 27f
60
181,185 , 219, 222f, 237, 252 Tödt, Heinz Eduard 214
Roloff, Jürgen 411 Tracy, David 15,60
Tuckett, Christopher 8f, 135,
Sanders, E. P. 24f, 153, 154 I0 \ 248, 253
255, 264, 292
Sauer, Jürgen 421 Vaage, Leif E. 225
Schillebeeckx, Edward 24 Vatke, Wilhelm 110
Schleiermacher, Friedrich Daniel
Ernst 61,110 Weber, Ferdinand 112
Schmidt, Karl Ludwig 7, 174f, Weinel, Heinrich 104ff, 114f
184f, 186, 204,279 Weiß, Johannes 106,139, 3564
Schröter, Jens 7f, 16, 59, 61f, Weiße, Christian Hermann 172f,
8857, 123U8f, 269 180, 187
Schürer, Emil 112 Wellhausenjulius 101, 106,
Schürmann, Heinz 147, 425f 109ff
Schüssler Fiorenza, Elisabeth 24f Wernle, Paul 106, 109f, 41423
Schulz, Siegfried 221 White, Hayden 15,25
Schweitzer, Albert 13, 25, 68f, Williams, Michael Allen 252
131, 106, 139, 178ff, 276, 278, Winter, Dagmar 9116ff, 10472,
288, 294, 409f, 412, 416, 425ff, 118132, 28775
429 Wittgenstein, Ludwig 72f
Semler, Johann Salomo 275 Wolter, Michael 12
Shakespeare, William 131 Wrede, William 3, 5, 7, 69f, 88,
Smalley, Beryl 18 101, 173ff, 184, 186f, 205, 277,
Smith, Dwight Moody 289 280, 299, 301,303
Smith, Morton 24 Wright, N . T(om) 6, 133, 142ff,
Snodgrass, Klyne R. 269 286"
Stierle, Karlheinz 71 Wyschogrod, Edith 15, 49f

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Heruntergeladen am | 27.10.15 18:18

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