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Johann Steinberger
Empathie als Kompetenz

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Forschung Psychosozial

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Johann Steinberger

Empathie als Kompetenz


Ein intersubjektives,
mentalisierungsgestütztes Pädagogikkonzept

Mit einem Vorwort von Roger Frie

Psychosozial-Verlag

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des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,
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Umschlagabbildung: Sarah Guttenberger, Diversity, 2019
Umschlaggestaltung & Innenlayout nach Entwürfen von Hanspeter Ludwig, Wetzlar
Satz: metiTec-Software, me-ti GmbH, Berlin
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ISBN 978-3-8379-2997-3 (Print)
ISBN 978-3-8379-7721-9 (E-Book-PDF)

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Inhalt

Vorwort von Roger Frie 11

Danksagung 15

I Einführung 19
1 Hochschule 22
2 Lehren 24
3 Theoretische Bezüge 27
4 Forschungsstand 30
4.1 Säuglingsbeobachtung 30
4.2 Mentalisierungskonzepte 32
5 Methodisches Vorgehen 33
5.1 Stichprobe 34
5.2 Instrumente und Material 34
5.3 Ziele der Studie 35

II Historische Wurzeln und Entwicklung der


Säuglingsbeobachtung 37
1 Die Methode der Infant Observation 40
2 Die Bedeutung der Infant Observation für die Ausbildung 41
3 Work Discussion 42
4 Beobachtungsprotokoll 47
5 Work Discussion in der Gruppe 48
6 Organisationsbeobachtung 53
7 Infant Observation in der Forschung 55
8 Infant Observation auf der Neonatologie 59
9 Kritische Gedanken zur Methode von Esther Bick 63

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Inhalt

III Einführung in Mentalisieren 67


1 Warum Mentalisierungsbasierte Pädagogik? 67
2 Der theoretische Hintergrund
von Mentalisierungsbasierter Pädagogik 68
2.1 Mentalisierung 68
2.2 Definition: Mentalisieren 71
3 Geschichte des mentalisierungsbasierten
Behandlunsgkonzeptes MBT 74
4 Psychoanalyse und Mentalisieren 75
5 Das Theory-of-Mind-Konzept und Mentalisieren 76
6 False-Belief-Test 83
7 Erklärungen für die Entwicklung der Theory of Mind 85
8 Bindung und Mentalisierung 86
9 Mentalisierung und das Strukturmodell des Selbst 91
10 Entwicklungsstufen der Mentalisierung 93
10.1 Teleologischer Akteur und Interpretation
der Realität 94
10.2 Intentionaler Akteur und intentionale Interpretation
der Realität 95
10.3 Repräsentationaler Akteur und Erkennen des Selbst und
des anderen 95
10.4 Zeitlich ausgedehnte Selbstrepräsentanz und
das In-Bezug-Setzen von implizitem und explizitem Wissen 96
10.5 Zusammenfassung 96
10.6 0. bis 9. Monat: Das Selbst als physischer und sozialer Akteur 97
10.7 9. Monat bis 2. Lebensjahr: Das Selbst als teleologischer Akteur 98
10.8 3. bis 4. Lebensjahr: Das Selbst als intentionaler Akteur 99
10.9 Ab dem 5. Lebensjahr: Das Selbst als repräsentationaler oder
mentalisierender Akteur 100
10.10 Die Theorie des soziale Biofeedbacks
nach Gergely und Watson 101
10.11 Fehlentwicklung in Mentalisierung
durch misslingende Spiegelung 102
10.12 Subdimension des Mentalisierens 105
10.13 Kritik an der Mentalisierungstheorie 106
11 Biografisches zu Peter Fonagy 109
12 Beispiele für Mentalisierungsfähigkeit
aus Alltag und Pädagogik 111

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Inhalt

IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition


in der Psychoanalyse 113
1 Die Anfänge mit Mitchell und Ghent 116
2 Die nächste Generation um Benjamin, Aron, Harris,
Bass und Davies 132
3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und der Einfluss
der Säuglingsforschung 143
4 Kritik 160
5 Conclusio 162

V Empathie – Affekt – Verstehen 165


1 Die Konstruktion bzw. Dekonstruktion der Empathie 165
2 Empathie als steuerbares Phänomen 167
3 Erste Falldiskussion 169
4 Zweite Falldiskussion 172
5 Dritte Falldiskussion 175
6 Zusammenfassung 179

VI Affektreflektive Kompetenzen –
Entwicklungslinien in der Ausbildung
von Empathie – Evaluierung 183
1 Relationale, intersubjektive Mentalisierungskompetenzen
der Pflegeperson 183
2 Zehn Kompetenzen 185
2.1 Innere Haltung, Beobachtung, Involviertheit 186
2.2 Rahmen 188
2.3 Pflegerisches Handeln 190
3 Entwicklungslinien in der Ausbildung
von Empathie 191
3.1 Novice student phase 194
3.2 Advanced student phase 199
4 Einflüsse auf die Entwicklung der StudentInnen 200
5 Evaluierung 205
5.1 Evaluation der Praxisorte 205
5.2 Evaluation der Lehre 205
5.2 Selbstevaluation 206
5.3 Dialoggesteuerte Evaluation –
Mentalisierungsbasierte Evaluation (MBE) 207

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Inhalt

5.4 Durchführung der dialogisch-mentalisierungsfördernden


Evaluation (DME) 208
5.6 Zusammenfassung 210

VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung 211


1 Affektreflektives Leiten von Trainingsgruppen 211
2 Gruppenphänomene 214
3 Beobachtung 219
4 Vorbereitung zu einer beobachtenden Haltung 224
5 Aufgaben der Gruppenleitung 226
6 Institution und Implikation 227
7 Exploration der Gefühle der StudentInnen gegenüber
dem Material 228
8 Exploration der sich in der Gruppe gegenüber dem Material
entwickelnden Gefühle 230
9 Verantwortung und Pathologie der StudentInnen
bzw. der Gruppenleitung 231
10 Die Protokolle 233
11 Beobachtungskompetenz 235
12 Ablauf eines Gruppenprozesses in einem Semester 236
13 Zusammenfassung 238

VIII ART III – Supervision in der Gruppe 241


1 Einführung 241
2 Intersubjektives Feld und Ko-Konstruktion 241
3 Anfänge der Supervision 248
4 Leitungskompetenz für ART III 251
5 Institution und Schule sowie deren Rahmenbedingungen 254
6 Empathie in der Gegenübertragungsexploration und
im bidirektionalen Feld 255
7 Die Dynamik in der Gruppe von SupervisandInnen 258
8 Die vonseiten der StudentInnen dargebrachten Szenen und
Themen und ihre Kompetenzentwicklung 259
9 Intersubjektivität – Supervision – relationales Denken 265
10 Das Eingebettetsein in einer Ausbildungsinstitution 275
11 Grenzen zwischen Supervision und Therapie
bzw. Analyse 278
12 Intersubjektivität im Gruppensetting 281

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Inhalt

13 Übergangsraum – Darstellungsraum
als intersubjektive Inszenierung 283
14 Nichtwissen – geringe Feldkompetenz der Gruppenleitung 284
15 Conclusio 284

IX Methodisches Vorgehen 287


1 Empirische Forschung zum Ausbildungsprozess 287
2 Theoretische Überlegungen zur Methodenwahl und
Abfolge der Erhebungen 289
3 Methodenauswahl 290
4 GT-Selbstbilder 291
5 Beschreibung der Testmaterialien 291
5.1 Entstehung des Gießen-Test II 291
5.2 Definition des Gießen-Test II 292
5.3 Anwendungsbereiche 292
5.4 Gütekriterien 292
5.5 Normwerte 293
5.6 Gruppendiagnostik – Analyse der Mittelwertprofile
von Kollektiven 293
6 Testdurchführung und Ablauf 293
7 Auswertung 294
7.1 Selbstbild 294
7.2 Zusammenfassung der Berechnungsergebnisse 295
7.3 Skala 1: soziale Resonanz 295
7.4 Interpretation der Ergebnisse der Skala 1 296
7.5 Skala 2: Dominanz 297
7.6 Interpretation der Ergebnisse der Skala 2 298
7.7 Skala 3: Kontrolle 299
7.8 Interpretation der Ergebnisse der Skala 3 300
7.9 Skala 4: Grundstimmung 301
7.10 Interpretation der Skala 4 302
7.11 Skala 5: Durchlässigkeit 303
7.12 Interpretation der Skala 5 304
7.13 Skala 6: soziale Potenz 305
7.14 Interpretation der Skala 6 306
7.15 Beschreibungen der Ergebnisse der Skala E und Skala M 306
7.16 Interpretation der E-Werte 307
7.17 Interpretation der M-Werte 308

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Inhalt

8 Zusammenfassung der Ergebnisse des Gießen-Tests


Selbstbild-Gruppe (GT-S) 308
8.1 Unterschiede zwischen den Ausbildungsgruppen 308
8.2 Unterschiede zu »PatientInnen-Gruppen« 309

X Auswertung der Beobachtungsprotokolle 311


1 Methode 311
2 Haltung 312
3 Dasein und Hören als Haltung 323
4 Empathie als Zusammenspiel von Haltung und
Ausstrahlung 328
5 Sensibilität – Resonanz – Komplementarität 331
6 Das Konzept des »Dritten« bzw. »the Thirdness« 341
7 Zusammenfassung 353

XI Conclusio 355
1 Die Geschichte des ART-Projektes 357
2 ART I bis III 360
3 Empathie und Enactment 361
4 Enactment und Konflikt 369
5 Enactment vonseiten der StudentInnen 370
6 Die Bedeutung von ART für das Lernen und die Lehre
von Empathie in sozialen Berufen 371
7 Forschungsergebnisse und Resümee 374
8 Ausblick auf Forschung und Ausbildung 374

Literatur 377

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Vorwort von Roger Frie

Our social fabric and well-being depend on the essential care provided by health-
care workers. As I write these words, the global population is struggling with
the effects of the coronavirus. We are in the grips of a pandemic and healthcare
workers are as susceptible to the virus and its associated anxieties as the patients
they treat. The pressures they face are enormous. Societal expectations of health-
care workers, and the responsibilities they experience, create a constant emotional
burden, even as they work to relieve the physical suffering of the individual pa-
tients under their care.
In his important new book, the psychotherapist and educator, Johann Stein-
berger, demonstrates that our emotional well-being is manifestly complex and
always exists in relationship to other people. The emotional lives of healthcare
workers, or of anyone else for that matter, can only be understood if we appreciate
the social contexts that bind us together as human beings. We are all fundamen-
tally emotional and social in nature. This basic precept raises some important
questions: How do healthcare workers relate to the humanity of their patients,
or to their own emotional experience? How might a greater emotional awareness
improve not only patient care, but also the lives of healthcare workers themselves?
And what kind of educative process can instill emotional understanding, given
the prevailing emphasis on cognitive knowledge and biomedical research?
The societal crises we face today, from pandemics and rapid climate change
to repressive and authoritarian regimes, surely provide good reason to attend to
our emotions. This book asks us to engage with our emotions and recognize how
they manifest themselves in our everyday and professional lives. But this is neither
easy nor straightforward to do. We often do not know what we are feeling, and
our current system of medical education neglects the centrality of emotional life.
Steinberger demonstrates that in order to achieve emotional awareness and pos-
sibilities for emotional regulation, we need first to understand how we interact

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Vorwort von Roger Frie

with others and the world around us. To this end, he lays out a carefully planned
and practiced program of training that teaches us to reflect on and understand
emotionality – to mentalize our emotions – and thus, to learn from and deepen
our emotional lives.
Affektresonanztraining is a thoroughly and wonderfully interdisciplinary
book. It is both scholarly and highly readable, a work that combines history and
theory, with evidence-based practice and training models that draw upon ongo-
ing qualitative and quantitative research. Above all, this book seeks to render
psychoanalytic ideas relevant for the present, and to invigorate an approach to
medical and therapeutic education that moves beyond cognition and embraces
the reality of our emotions, in all their richness and complexity.
This book is both an introduction to an essential training course in the
emotions and a vital reminder of the importance of psychoanalysis at a time
when psychotherapy is increasingly dominated by cognitive and behavioural ap-
proaches. Steinberger provides a wide-ranging and rigorous introduction to an
essential body of psychodynamic theory and practice, from mentalization to in-
tersubjectivity and relational psychoanalysis. In this sense, the book’s purpose is
twofold: to provide a new and specific emotion-focused model of education for
healthcare workers called Affektresonanztraining or ART; and to outline a con-
temporary and cutting-edge psychodynamic perspective on emotional life and
well-being.
Steinberger’s work will resonate with readers in myriad ways. As a University
Professor, teaching in the Faculties of Education and Psychiatry, and as a prac-
ticing psychoanalyst with hospital experience, Steinberger’s book brought home
for me the challenges and opportunities we face today. How do we think and
practice, be it as healthcare workers in today’s medical system, or as individual
clinicians interacting with our patients? For example, young psychiatrists are in-
creasingly educated only in the biomedical model and receive limited exposure
to therapeutic forms of patient care. The important, but often outdated psycho-
dynamic models that once held sway in psychiatry, have been overturned in favor
of psychopharmacology, a formal diagnostic process and biomedical research.
The patient, who was long defined as the one who suffers, has been increasingly
transformed into a medical object that can be measured and assessed. As a result
of these changes, today’s psychiatrists-in-training are often ill prepared to under-
stand the emotional dynamic of the healing relationship with their patients. Nor
are they prepared to understand their own emotional lives or how the emotions
shape what they perceive, understand and do with their patients.
How can today’s educative system prepare heathcare workers to appreciate

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Vorwort von Roger Frie

the empathic process or their emotional relationship with their patients? For
Steinberger, the solution to this dilemma is clear: »Es braucht eine neue Per-
spektivensetzung in der Ausbildung der nächsten Generationen, weg von der
kognitiven Bedeutung hin zur Entwicklung von seelischen Bedeutungen und
neuen Formen des psychischen Verstehens. Wir legen großen Wert auf techni-
schen Fortschritt, ein Streben nach Veränderung im kognitiven Erleben. Weniger
Bedeutung messen wir unserer psychischen Entwicklung bei […] Ein kreativer
Boden für kommende Generationen liegt in der Haltung und im psychischen
Verstehen.«
When we empathize with another person, we may relate differently to them
depending on how we perceive and understand the patient’s pain or suffering (see
Luhrmann, 2000). When psychiatrists are schooled in diagnosing and prescribing
in a biomedical setting, they learn to see their patients in terms of categories of
illness, defined by specific brain functions and psychological symptoms. But what
of their patient’s lived experience, the way that an illness is felt, or can shape the
trajectory of life? In order to understand and empathize with a patient’s lived
experience, it is necessary to move beyond categories, functions and symptoms,
to grasp the experience of suffering at the heart of their struggle. This requires a
different kind of relationship. It requires seeing the patient as a person, someone
who is more alike than different. Empathy, the ability to think, see or feel oneself
into the place of the other, plays a crucial role in this humanizing process.
The traditional medical model, with its emphasis on universalization and
objectification, tends to neglect our embeddedness in the social world. As Stein-
berger points out, the consequences are far reaching: »Unser derzeitiges Wissen-
schaftsverständnis löst sich von der Person und versucht, deren Gedanken und
Theorien zeit- und ortsunabhaengig darzustellen […].« In response, Steinberger
develops an educative model that seeks to foster awareness and appreciation of the
social and cultural contexts that shape emotional life. It is essential to understand
human experience in the contexts in which it takes place (Frie & Coburn, 2011).
This is particularly relevant for understanding emotions. Viewed from a develop-
mental lens, patterns of emotional interaction between a child and its caregivers
unfold in specific sociocultural contexts and historical trajectories and give rise to
interpersonal frameworks and implicit meanings that shape subsequent emotion-
al experiences. Viewed from a contemporary psychodynamic perspective, our
emotional lives are a central dimension of all human experience and fundamen-
tally relational and sociocultural in nature.
Steinberger’s book seeks to overcome and question the overarching contem-
porary emphasis on cognition. In the process, it teaches us how to engage with

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new and different forms of emotional awareness. Affektresonanztraining is writ-


ten to help professionals concerned with the crucial task of training tomorrow’s
healthcare workers. This book is equally relevant to practicing therapists and stu-
dents because it provides an essential guide to a growing and important body of
work on mentalization. Clear and comprehensive, reaching the expert and novice
alike, Steinberger’s careful and sensitive study is both necessary and inspiring.

Roger Frie, PhD, PsyD, R.Psych, Professor of Education,


Simon Fraser University, Affiliate Professor of Psychiatry,
University of British Columbia, Vancouver, Canada

References

Frie, R. & Coburn, W. J. (Eds.). (2011). Persons in Context: The Challenge of Individuality in The-
ory and Practice. New York: Routledge.
Luhrmann, T. M. (2000). Of Two Minds: An Anthropologist Looks at Amerian Psychiatry. New
York: Vintage.

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Danksagung

»Me tomó cuatro años pintar como Rafael, pero


me llevó toda una vida aprender a dibujar como
un niño.« – »Ich habe vier Jahre gebraucht, um
malen zu können wie Raffael – aber ein Leben
lang, um malen zu können wie ein Kind.«
Pablo Picasso
(in Fernández Mínguez, 2019, S. 161)

Beim Schreiben dieser Zeilen ist die Welt in einem zerbrechlichen Status, um-
spannt von einem Virus, der uns tief in unseren gewohnten Verstehensmustern
erschüttert. Viele der StudentInnen, denen der Leser oder die Leserin hier be-
gegnen wird, sind nun in diversen Spitalstationen, Ambulanzen und anderen
Gesundheitseinrichtungen tätig, die für unser Wohl Verantwortung übernehmen.
Einige dieser StudentInnen blicken mir im Zuge der modernen Begegnungstech-
nik mit müden Gesichtern und überarbeitet aus meinem Computerbildschirm
entgegen. Metaphern des Krieges, der Hilflosigkeit nehmen sich Raum, um mich
an all der Überforderung teilhaben zu lassen. Hier mit mir in der Begegnung
der Ruhe zu sein hinterlässt bei vielen ein Gefühl von Schuld, nicht bei den Kol-
legInnen an der »Front« zu sein. Dort herrscht ein Gefühl der Gemeinschaft
mit den KollegInnen vor, die Angst wandelt sich in Handeln um, Mut wird zum
Synonym des Aushaltens. Die Angst, als Angehörige oder Angehöriger des Ge-
sundheitsdienstes in Quarantäne geschickt zu werden, ist allgegenwärtig – in der
Wohnung, im Wohnheim für Pflegepersonal usw. eingesperrt zu sein, vom Han-
deln in die stillstehende Zeit verbannt zu werden; vom Losgelöstsein der eigenen
Bedeutung im Tun auf der Station, hineingeschleudert in das absolute Dasein
des eigenen Ichs in der Bedeutung all der Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und
Zorn, die es bestimmen. Einsamkeit gebiert unser Dasein in all seinen Facetten,
das Gegenüber in seiner Abwesenheit bestimmt seine Anwesenheit.
PatientInnen und StudentInnen sind die ProtagonistInnen dieses Buches, ihr
Eintauchen in die gemeinsame Begegnung vermittelt uns in einem sinngebenden
Prozess die Bedeutung des Seins. All das Leben der Menschen im gemeinsa-
men Tun ermöglichte das Erschaffen eines Raumes von erfüllender Identität.
Meine Dankbarkeit, mich in ihrer Mitte wiedergefunden zu haben, gilt all den
engagierten StudentInnen und deren Zugehen auf Menschen in all ihrer Entde-
ckerlust.

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Das Buch behandelt ein Projekt, das wir als eine kleine, sich immer dynamisch
verändernde Gruppe mit der neuen Form des Unterrichtes von Refelxionsräumen
im Herbst 2010 begannen. Eine Reihe von Personen beteiligte sich am Aufbau,
an der Weiterentwicklung, und ein Kern ist seit Beginn mit am Halten und Ent-
wickeln dieses Projektes engagiert.
Die Möglichkeit einer Heimat wird seit dieser langen Zeit von Hubert Streif,
Direktor der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege am Campus Penzing,
bereitgestellt, auch gegen alle Widrigkeiten verteidigt, und er ist der Verantwort-
liche, der für die Finanzierung unseres gemeinsamen Projektes Sorge trägt. Er hat
allen Beteiligten die Sicherheit vermittelt, dass sich unser Tun in einem sinnstif-
tenden pädagogischen Konzept entfalten wird.
Als Verfechterinnen unseres Projektes trugen am Beginn große Verantwortung
Ewa Zemann und Gerlinde Zöchling. Sie sprachen der kleinen unterrichtenden
Dreiergruppe Mut zu und hielten destruktive kritische Stimmen in dieser Phase
von den GruppenleiterInnen fern. Ewa Zemann behielt immer einen reflektieren-
den Blick auf den Entwicklungsprozess, entwarf einen Fragebogen und übernahm
mit Claudia Gundacker das Handling unserer gewonnenen Forschungsdaten.
Die ersten Gruppen wurden von Angelika Guttenberger und Wolfgang Sie-
berth geleitet. Ihnen gebührt der Dank für die Saat und das Hüten des ersten
Keimens unseres Tuns und dafür, dass sie auch in dieser heiklen Anfangsphase
Mut zum Experimentieren und Reflektieren gezeigt haben. Es kam zum Wechsel
der GruppenleiterInnen und Georg Totzauer mit seiner spontanen und kreati-
ven Gruppenmoderation brachte neue gestaltungsdynamische Momente ein. Der
nächste Leiterwechsel kam dann durch Claudia Gundacker, die gleichzeitig ihre
wissenschaftliche Expertise einbrachte und uns auf den Gießen-Test aufmerksam
machte. Allen vier LeiterInnen bin ich zu großer Dankbarkeit verpflichtet, die-
sem Projekt Leben eingehaucht zu haben.
Dann stieg Gerhard Schoßmeier in unsere Gruppe ein und entwickelte für
unser sechsjähriges Projekt die beiden ersten Semester mit dem Schwerpunkt der
Selbsterfahrung und brachte Gerhard Sprinzel in die Gruppe, um die Selbsterfah-
rungselemente weiterzuentwickeln. Gerhard Schoßmaiers kreativer Sprachum-
gang brachte uns die Bezeichnung Affektresonanztraining (ART) als kunstvolle
Ummalung unseres Tuns.
Fünf der GruppenleiterInnen beschritten neue Wege, sind aber unabkömm-
liche Bestandteile unseres Prozesses und spiegeln mit ihrem Kommen und Gehen
den dynamischen und fluiden Prozess wider. Seit vielen Jahren ist nun Gisela Ha-
jek ein fester Bestandteil in der Leitung und Entwicklung der Gruppen.
Für die Lektorierung des Textes und dessen Feinschliff ist Tanja Stroblmayr

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federführend, vom Psychosozial-Verlag wurde ich liebevoll von Jana Motzet


begleitet. Die Texte in eine verstehbare Sprache von wissenschaftlicher Interdis-
ziplinarität zu bringen, den intellektuellen Austausch und die Diskussion über
sprachliche Sinnbedeutungen als einen Prozess des »Verdauens« ermöglichte
mir Brit Haslinger, der ich für diese Unterstützung sehr dankbar bin.
Thomas Stephenson brachte mich dazu, über die Bedeutung relationaler
Denker im psychodynamischen Feld nachzudenken. Martin Jandl spendete in
wohlwollenden Mails seine Unterstützung. Die Zeugenschaft meines Tuns und
damit die Anerkennung meines generativen Eingebettetseins oblag Wilhelm Bu-
rian.
Roger Frie, den ich auf einem Kongress 2018 kennenlernte und dessen Buch
Not in my Family mir sehr inspirierende Erkenntnisse lieferte, schenkte mir ein
Vorwort.
Renate Steinberger zeichnet für die wunderbaren Fotografien im Buch verant-
wortlich und Sarah Guttenberger stellte ihr Bild für das Buchcover zur Verfügung.
Zu großer Dankbarkeit bin ich der Familie, aus der ich komme, in der das
Leben der Weitergabe sich entfaltet und die man sich als Arbeitsfamilie wählt,
verpflichtet.
Viele Namen von Menschen, denen ich in meiner Entwicklung zutiefst dank-
bar bin, müssten hier noch Eingang finden, die mich begleiteten, die große Kraft
an Inspiration auf mich ausübten, die an mich glaubten.

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I Einführung1

»Alle Tage wachen, fremd, flach, in verlosche-


nen Worten, im Verfall. Mich weichen Meere,
Wogen, Nacht. Dann – alles fort. Wer fällt noch
ins Ferne, lange am Echo. Verwandelt mich.«
Petra Nagenkögel (2012, S. 61)

Alle Ausbildungen in psychosozialen Feldern setzen als wesentliche Grundprämis-


se Fähigkeiten zu sozialen Kompetenzen voraus. In den letzten 20 Jahren wechselte
die Vorstellung über Bildungsqualifikation von der Vermittlung bzw. Aneignung
von »Wissen« zur Vermittlung bzw. zum Erlernen von »Kompetenzen«. Wie
aber lassen sich nun Kompetenzen, die im Leben wie im Beruf benötigt werden,
definieren? Und was bedeutet Professionalität im Bereich der Vermittlung bzw.
des Erlernens von sozialen Kompetenzen, wie sie in jedem psychosozialen Tätig-
keitsfeld erwartet werden? Grundsätzlich wird bei diesen Fragen oft mit Begriffen
gearbeitet, die wenig präzise sind: Es gehe um die Fähigkeiten, »eine tragfähige
Beziehung« herzustellen oder ein »entlastendes« Gespräch zu führen. Bei ge-
nauerem Nachfragen zeigen sich hinter solchen Begriffen ebenso viele Konstrukte
wie Befragte. Wir haben eine klare Vorstellung von der Vermittlung von »Wis-
sen« und wie wir es reproduzierbar und überprüfbar gestalten können. Explizites
Wissen ist in Form von Sprache gut vermittelbar. Dagegen werden beim Erlernen
von implizitem Wissen bzw. sozialer Kompetenz Begriffe wie »Persönlichkeit«
herangezogen und als komplexes Netz impliziter und expliziter Wahrnehmungs-,
Verstehens- und kommunikativer Handlungsmöglichkeiten definiert, aus dem
sich situativ hilfreiche Interventionen ergeben können (Buchholz, 2008). Die
Fähigkeiten von sozialer Kompetenz sind mit der Persönlichkeit der intervenie-
renden Person eng verknüpft. Kompetenz beginnt also mit der Kompetenz, genau
diese darstellen zu können bzw. sie zu definieren. Sie lässt sich zu- bzw. beschreiben
als ein Rollenverhalten, in dem ich definiert werde, oder als Erwartung, die von
anderen an mich herangetragen wird. Aber im Sinne von Wittgenstein lässt sich
diese Rollenzuschreibung von Kompetenz eben nur durch Zeigen und Vorführen

1 Viele der geschilderten Szenen wurden in dem Sinne verändert, um die Anonymität
der darin handelnden Personen und Institutionen zu wahren.

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I Einführung

eines Verhaltens erreichen, das dann vom Gegenüber als kompetentes Handeln
interpretiert wird. Der Begriff »Kompetenz« ist also nur ein höher strukturiertes,
metaphernähnliches Wort, welches erst durch Handlung und die darauf folgen-
de Außenzuschreibung beschrieben wird. Ähnlich verhält es sich auch mit der
Zuschreibung des Wortes »sozial«. Wir brauchen immer eine Handlungsebene,
die wir in ein beschreibbares Konstrukt »stecken«, das wir wiederum in Hand-
lung umsetzen bzw. als implizites, anleitendes Handlungskonstrukt verwenden
können. Auch erkenntnistheoretische Schriften beschreiben unisono, dass für die
Entwicklung von Kompetenz und Könnerschaft die Wahrnehmungs- und Ver-
arbeitungsprozesse auf einer impliziten Ebene bzw. außerhalb unseres bewussten
Erlebens elementar sind, um schwierige soziale Situationen versteh- und lösbar zu
machen. Wir geben situativ dem, was wir erkennen, eine Bedeutung. Etwas wahr-
zunehmen bedeutet immer etwas in sich aufzunehmen, wobei wir aus impliziten
Einzelinformationen in unserem Gehirn auf ein Ganzes rückschließen (Neuweg,
2004). Primär geht unser implizites Wissen, aufbauend auf unserer Vorerfahrung,
von den wahrgenommenen Einzelelementen aus, die als Affekte auftauchen und
dann in ein Bild umgewandelt werden (Krause, 2005). Es kommt zu einem Hin-
und-her-Pendeln zwischen dem Hintergrundbewusstsein und dem Fokalbewusst-
sein (Kahl-Popp, 2004, 2009, 2011, 2015). Polanyi geht von einer impliziten
Triade aus, mit der der Mensch Situationen bewältigt, indem er seine Konzentra-
tion auf sein einverleibtes Wissen und seine Erfahrungen legt (Neuweg, 2004).
Die Triade besteht aus einem Subjekt, dem Nach-innen-Hören und der gleichzei-
tig antizipierenden, imaginativen Aufgabe, die außerhalb ihrer selbst liegt. Das
bedeutet, dass wir Situationen bewältigen, indem wir uns in der Begegnung mit
anderen in einem Zustand des Nichtverstehens und des Nichtwissens belassen,
um damit eine Haltung der affinitiven Selbstorganisation einnehmen zu können.
Zusammenfassend können wir also feststellen, dass soziale Kompetenz ein An-
wendungs- und Lernprozess ist, der auf einem Wahrnehmungsprozess beruht.
Basierend auf dieser Grundüberlegung hat der Verfasser ein Ausbildungskon-
zept entwickelt, das auf der Schulung von Wahrnehmung beruht. Zur ersten
Anwendung dieses Konzepts kam es in der Ausbildung für psychiatrische Kran-
kenpflege. Diese Ausbildung umfasst sechs Semester, die in Theorie- und Pra-
xisblöcke aufgeteilt sind. Eine zentrale Forderung in der Berufsbeschreibung zur
psychiatrischen Krankenpflege bezieht sich auf die bei den Auszubildenden vor-
ausgesetzte Fähigkeit, sich mit der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen
und mit eigenen wie den Gefühlen anderer umgehen zu können.
Um diese Aspekte verstärkt in die Ausbildung zu bringen, wurde ein Konzept
entworfen, das die gesamte Ausbildungszeit von sechs Semestern umfasst. In den

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I Einführung

beiden ersten Semestern liegt der Schwerpunkt auf der Introspektion, die durch
Selbsterfahrung in Gruppen geschult wird. In diesem ersten Jahr geht es um das
Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse und um die Gefühlsreaktionen in diversen
Lebenslagen sowie die damit verknüpften eigenen Lebensnarrative. Im letzten
Ausbildungsjahr steht die Fähigkeit, Supervision zu nutzen und auch selbstrefle-
xives Verhalten gegenüber den PatientInnen und MitarbeiterInnen darzustellen,
im Mittelpunkt. Die StudentInnen sollten nun die Fähigkeit der prozeduralen
Verknüpfung von deklarativem Wissen haben.
Für das dazwischen liegende Ausbildungsjahr entwickelte der Verfasser eine
Form der »PatientInnenbeobachtung«, die vorrangig Schulung und Nutzung ei-
ner relationalen mentalisierenden inneren Haltung zum Ziel hat. In diesen beiden
Semestern geht es um die Fähigkeit zur Trennung bzw. Verknüpfung unterschied-
lichster Wahrnehmungsaspekte, die zur PatientInnenbeobachtung gebraucht wer-
den. Es geht um die Fähigkeit der Mentalisierung mit der vorgelagerten Stufe der
klaren Einschätzung einer Grenze zwischen Objekt und Subjekt in einer inter-
personalen Situation.
Das zweite Ausbildungsjahr beginnt mit einem Theorieblock, in dem vier
Unterrichtseinheiten zur Verfügung stehen, um den SchülerInnen das Konzept
und den theoretischen Hintergrund zu vermitteln und sie dann für die »Refle-
xion« in Gruppen zu je sechs Studierenden einzuteilen. Diese Gruppen suchen
sich auf der Station bzw. Ambulanz oder in anderen sozialen Einrichtungen, in
denen sie tätig sind, eine Stelle, von der aus sie die Beobachtung eines Patienten
oder einer Patientin vornehmen können.
Die Wahrnehmungsschulung basiert auf zwei Teilen: auf einem Input- und
einem Outputfaktor. In der ersten Sequenz wird die Reduktion des eigenen Enact-
ments durch eine Veränderung der inneren Haltung gegenüber äußeren Reizen
geschult. Die Studentin (oder der Student) sucht sich einen Beobachtungsort
und verhält sich passiv. Sie versucht, immer unter der Reizschwelle ihrer Umge-
bung zu bleiben, sodass sie in sich ein »Gefälle« erzeugt. Nun beginnt sie mit
ihrer Beobachtung und stellt der Situation ihr Sensorium zur Verfügung. Sie lässt
die Bilder in sich eindringen und auf ihre eigenen Erfahrungen treffen, die von ih-
ren sieben Basisemotionen (Ekman, 2010, 2011) getragen werden. Es kommt zu
einer Internalisierung der von außen auf sie zukommenden Bilder, die auf einen
inneren Nährboden fallen. Diese Bilder berühren die eigenen, inneren Bindungs-
modelle. Hierauf kommt es zu einem inneren Umwandlungsprozess.
Anschließend schreibt die Studentin ihre Beobachtung auf. Anhand dieser
Notizen lässt sich nun diskutieren, inwieweit eben diese Rückspiegelung der Situa-
tion bzw. die Externalisierung der aufgenommenen Bilder zu einer Erkennung der

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I Einführung

Interaktion der beobachteten Menschen beiträgt. Die Studentin wird auch expli-
zit dazu aufgefordert, ihre Gefühle zu den beobachteten Szenen aufzuschreiben.
Im nächsten und zweiten Segment werden diese Protokolle in der Kleingrup-
pe diskutiert. Die Reaktionen der Gruppe auf das dargebrachte Material werden
wiederum einer Reflexion unterzogen und zum Verstehen des Patienten oder
der Patientin bzw. der beobachteten Szene verwendet. Innerhalb der Gruppe
kann man nun überlegen, inwieweit unterschiedliche Reaktionen der Gruppen-
mitglieder auf die Protokolle ein differenzierteres Bild der Szene darstellen. Die
StudentInnen sollen nach diesen beiden Semestern erkennen können, ob und in
welcher Form sie ihre eigenen Bindungsmuster zur Interpretation von Situatio-
nen verwenden und wie weit es ihnen gelingt, in der Begegnung mit anderen
Menschen eine mentalisierende Situation zu schaffen. Mentalisieren bedeutet die
Fähigkeit, die eigenen Intentionen und Gefühle zu verstehen und damit eine Vor-
stellung von den Gefühlen und Intentionen des anderen zu bekommen und diese
auch mitzuteilen.
Ziel dieses dreijährigen Projektes war und ist unter anderem die Schulung von
Empathie, Metakognition, innerer Achtsamkeit und emotionaler Intelligenz als
grundlegende Fähigkeiten zur Entwicklung reflexiver Handlungskompetenz, die
wiederum zu einer Fähigkeit von Mentalisierung zusammengefasst werden kön-
nen.

1 Hochschule

Viele Menschen drängen in eine Bildungsinstitution, um einen Hochschulab-


schluss zu erreichen. Nach einer Prognose der Europäischen Kommission wird
im Jahr 2050 mindestens ein Drittel der Arbeitsplätze im hochqualifizierten Be-
reich liegen, während die gering qualifizierten Stellen auf unter 15 Prozent sinken
werden (European Commission, 2011; Al-Ani, 2013). Für den steigenden Be-
darf an Qualifizierungsmöglichkeiten werden in den kommenden Jahrzehnten
nicht genügend Studienplätze in staatlichen Universitäten zur Verfügung stehen.
Die kontinuierliche Senkung der Finanzmittel für den Bildungsbereich wird sich
auch auf die Qualität der Hochschulausbildungen auswirken (Kamenetz, 2011).
Aus diesen Zukunftsprognosen ergibt sich ein dringender Handlungsbedarf hin-
sichtlich der staatlichen Finanzierung von qualifizierten Ausbildungen und einer
entsprechenden Neustrukturierung von Inhaltsvermittlung. Derzeit gehen viele
Thesen davon aus, dass unser Bildungssystem sehr stark von wirtschaftlichen und
politischen Interessen geleitet und auf die Bedürfnisse von Nationalstaaten zuge-

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1 Hochschule

schnitten wird (Al-Ani, 2013; Kamenetz, 2011). Bildung bleibt aus dieser Sicht
immer ein geleitetes Instrument und stellt somit kein universalistisches, globales
Modell dar (Meyer & Ramirez, 2005).
In einem freieren Feld des Internets beginnen sich neue Bildungsstrukturen
herauszukristallisieren, wie zum Beispiel P2P (peer to peer) und Edupunks (Kop,
2007; Kamenetz, 2009). Modernes Lernen geht über die Fähigkeit der Selbstorga-
nisation hinaus, was wiederum eine neue Rollendefinition des oder der Lehrenden
mit sich bringt. Wissen generiert sich in einer neuen, autodynamischen Form,
wie sie durch die Möglichkeit von P2P-Strukturen dargelegt wird. Es wird in
Zukunft mehr um die Fähigkeit des oder der Lehrenden zur Organisation eines
Selbst gehen. Das bedeutet, dass seine oder ihre Aufgabe mehr darin besteht, eine
MentorInnenfunktion einzunehmen, als in der Vermittlung von kognitivem Wis-
sen. Lehrende setzen sich auch aus Peers und Edupunks zusammen. Der Begriff
»Edupunks« wurde 2008 von Jim Groom in einem Blog kreiert und bezeichnet
Menschen, die aus Eigeninteresse Wissen ewerben, ohne damit etwa auf einen
Hochschulabschluss abzuzielen. Edupunks sind Personen, die sich außerhalb von
klassischen universitären Strukturen Wissen aneignen. Als Geburtsstunde der
Edupunk-Technologie wird das Jahr 2001 bezeichnet, als das MIT anfing, kosten-
los Kurse ins Internet zu stellen (Al-Ani, 2013). »If the tools work best while the
learners are in control, it is time for tutors to relinquish some power and trust their
students to get on with the activity of blogs and wikis as disruptive technologies«,
schreibt Rita Kop (2007, S. 197f.). Die Selbstorganisation bzw. Kontrolle findet
für Rita Kop in den Peergruppen statt, was nahelegt, die Rolle der Lehrenden neu
zu überdenken. Auch Jeremy Rifkin hebt die Bedeutung des Lernens zwischen
StudentInnen hervor; »Peer to peer learning shifts the focus from the lone self to
the interdependent group. Learning ceases to be an isolated experience between an
authority figure and a student and is transformed into a community experience«
(Rifkin, 2011, S. 246). Die neuen Anforderungen an die Vermittlung von Wis-
sen werden die Schulen verändern, »lehrende« Schulen müssen zu »lernenden«
Schulen werden und durch eine interdisziplinäre Forschung zwischen Pädagogik,
Soziologie, Technik und Psychologie verbunden sein (Günther & Hüffel, 1999;
Gelernter, 2012). Die klassische Funktion eines vortragenden Professors oder ei-
ner vortragenden Professorin wird in der neuen Bildungswelt in die eines Mentors
oder einer Mentorin umgewandelt, die oder der den Fokus primär auf die Persön-
lichkeitsentwicklung und auf die praktische Anwendung des kognitiven Wissens
legt (Al-Ani, 2013; Nentwich, 2004). Gelernter geht in seinem Artikel davon aus,
dass nur die 25 bekanntesten Universitäten in Amerika und Europa überleben
werden. Die Studienrichtungen, die naturwissenschaftlich und technisch ausge-

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I Einführung

richtet sind, werden ebenfalls im klassischen Sinne bestehen bleiben. Je stärker die
Studienrichtungen auf die Vermittlung von kognitivem Wissen ausgerichtet sind,
desto mehr wird sich der Unterricht auf eine virtuelle Basis verlagern – die Stu-
dierenden lernen dann über das Internet bei den renommiertesten ForscherInnen
wie etwa NobelpreisträgerInnen (Gelernter, 2012). Wenn wir also weggehen von
den klassischen Lehr- und Lernbildern, so brauchen wir auch ein neues Design
der Begegnung: »A focus on learning activity may necessitate changes in space
planning projects, calling into question the traditional design approach that focu-
ses on the shape of the room, the efficiency of the fixed seating arrangement, the
instructor location, and so on« (Barone, 2005, S. 223).
Die Pädagogik muss Vermittlungsformen entwickeln, die so konzipiert sind,
dass in und an der Begegnung gelernt werden kann, und sie muss die entspre-
chenden Strukturen anbieten, in denen diese neuen Formen von Wahrnehmung
stattfinden können. Junge Leute müssen ihr Wissen selbst kreieren, anstatt es
passiv aufzunehmen (Barone, 2005). Michael Polanyi (1958, 1985) spricht vom
Menschen, der Erkenntnisse generiert und nicht Wissen im linearen Sinne an-
häuft (Neuweg, 2004). Universitäten, die nur Wissen vermitteln, zerstören krea-
tives Potenzial. Peter Thiel, der Gründer von Paypal, zahlte Studierenden ein
Stipendium, um sie aus den Universitäten zu holen, damit sie ihre Ideen umsetzen
und selbst Gründer werden können. Die Universität von Wisconsin startete ab
dem Herbstsemester 2013 in einigen Studiengängen kompetenzorientierte und
flexible Modelle für Studierende, mit denen sie sich als QuereinsteigerInnen be-
tätigen und sich verstärkt selbstorientiert durch das Studium bewegen können
(Rollwagen, 2013). Bildung muss Menschen dazu befähigen, sich und andere zu
verstehen und aus diesem Verständnis ein loop-reflecting learning zu kreieren, wo-
bei es keine Lernenden und Lehrenden mehr gibt bzw. man keine abgeschlossene
Bildung erreichen kann, sondern Bildung in sich nur einen permanenten Prozess
von wechselnder Einflussnahme darstellt (Glotz, 1998).

2 Lehren

»Lernen vollzieht sich jenseits der pädagogi-


schen Intention des Lehrers.«
Kahl-Popp (2007, S. 174)

Es scheint von Bedeutung zu sein, den Prozess der Vermittlung als eine Kom-
petenz zu sehen, die es ermöglicht, einen kreativen, mentalisierenden Raum für

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2 Lehren

Lernende und Lehrende zu öffnen. Der Inhalt verschiebt sich in den sekundä-
ren Fokus von Bildung. Es geht hier um die Vorstellung der »Schmiere«, die es
braucht, um ein Werk in Gang zu bringen. Aber welche »Schmiere« braucht es,
um die »Schmiere« zu vermitteln? Es deutet sich bereits in diesen Überlegun-
gen ein permanentes Überlappen von Systemen an, in denen Lernen stattfindet.
Rollen von Lehrenden und Lernenden werden dekonstruiert und verlieren an
Bedeutung, da »Wissen« einer Permanenz des Austausches unterliegt. Lehren
bedeutet eine behutsame Erschütterung von inneren Konventionen und Selbst-
gewissheiten, um eine Dekonstruktion des Denkens zu initiieren (Kahl-Popp,
2007). Dieser Prozess öffnet einen Raum für kreatives Denken, das seinerseits
Tendenzen der Erstarrung und Unproduktivität entgegenwirkt.
Der beste Schutz für Betriebe vor einem Burn-out ihrer MitarbeiterInnen
sind PraktikantInnen, die als Lehrende akzeptiert werden können und als solche
blinde Flecken in Systemen benennen. Sie stellen eine unbezahlbare Ressource in
puncto Psychohygiene für Betriebe dar (Steinberger, 2010).
Kreativität entsteht, wenn die Studierenden eine Spiegelung ihres Tuns er-
halten und erfahren, wie sich Lehren anfühlt, indem sie die Lehrenden auch als
EmpfängerInnen ihres Handelns erleben können. Die Lehrende zeigt der Ler-
nenden eine Arbeitssituation, und die Lernende zeigt der Lehrenden, was diese
Situation für sie bzw. für sie beide bedeutet. Beide zeigen im Sinne von Prangers
anthropologisch begründetem Begriff des Zeigens als menschliche »Urgebärde«
die Tätigkeit des Erziehens bzw. Lehrens. Aus dieser Perspektive geht es für die
Lehrenden darum, den Fokus auf die Verarbeitungsprozesse der Lernenden zu
lenken und im Gegenzug die eigenen Verarbeitungsprozesse den Lernenden als
Teil dieses Prozesses zur Verfügung zu stellen. Damit geht es um die Herstellung
einer gemeinsamen Abhängigkeit, die wiederum von beiden als oszillierender
Prozess respektiert wird (Prange, 2012). Sind allerdings die Lehr- oder Lerntätig-
keiten eines oder einer der beiden InteraktantInnen auf einer sadomasochistischen
Beziehungserfahrung aufgebaut, so kommt es durch Zulassen dieses Introjekti-
onsprozesses zu einer Gestaltung von ebendiesem Beziehungsmuster, und der
gemeinsame Abhängigkeitsprozess stellt sich von außen betrachtet als hierarchi-
scher Prozess dar und entspricht nicht unseren Vorstellungen von wechselseitiger
Abhängigkeit. Eine kreative Weiterentwicklung der Lernenden bzw. der Lehren-
den erfolgt durch das Bewusstwerden der Phänomene, die sich in der Begegnung
entfalten. Der kreative Prozess kann durch eine relationale mentalisierende Hal-
tung eines oder einer der beiden InteraktionspartnerInnen in Gang gebracht
werden, indem er oder sie eine Perspektive des »Als-ob-Charakters« (ebd.; Fona-
gy et al., 2004) einnimmt und in den Fokus des oder der Betrachtenden legt und

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I Einführung

somit einen Filter einbaut, um das Bild betrachten bzw. es abbilden zu können,
sodass es nicht von der Grelle der Sonne überstrahlt wird. Das heißt, die inten-
siven Gefühle der Szene werden abgefiltert bzw. reduziert, was einen Boden für
das Spiel mit der zugedachten Rolle bereitet. Dadurch entsteht die Möglichkeit,
eine Perspektive von Falsch und Richtig oder Schwarz-Weiß-Betrachtungen von
Szenen zu verlassen und somit ein Beherrschen der inneren Schuld- bzw. Sadis-
musgefühle zu erlangen. Bei einem sadomasochistischen Grundmuster kommt
es eben wieder zu der Verführung, die gewonnenen Erkenntnisse als Befriedi-
gung ebendieser Dynamik zu verwenden. Wenn die Angst der Lehrenden es ihr
nicht ermöglicht, einen kreativen Raum zu öffnen, um die Rolle der Lernenden
einnehmen zu können, so kann sie nur Inhalte und Methoden vermitteln und
Wenn-dann-Unterweisungen geben. Sie ist damit in einer sehr konkretistischen
Haltung (Kahl-Popp, 2007). Die vermeintlich Lernende lehrt dann die Lehren-
de durch ihren Widerspruch zum Beispiel, wie diese durch Mobilisieren ihrer
Ängste noch stärker auf Regeln zurückgreift, und die Lernende zügelt, sich eben
als Lernende zu verhalten und gut auf das gesprochene Wort zu achten. Das
Bedeutungsvolle an dieser Szene ist das Verschließen von Möglichkeiten, eine
mentalisierende Haltung einzunehmen; stattdessen wird nur mit Flucht reagiert,
die aus Worten besteht und Lerninhalte wie Regeln wiedergibt. Die Lernende
lernt, dass man Angst mit Flucht bzw. Unterdrückung bewältigt. Ihre Gefühle
können von der Lehrenden nicht im Sinne von Bion »contained« werden (Bion,
2001). Spannend wird die Szene, wenn wir uns noch einen Faktor von Perversion
dazu denken und es zu einer Befriedigung von sadomasochistischen Tendenzen
kommt.
Der Lehrgegenstand befindet sich innerhalb, außerhalb und zwischen Ler-
nenden und Lehrenden. Der Prozess der Entfaltung bzw. Kreativität befindet sich
in der dynamischen Gestaltung der Begegnung (Kahl-Popp, 2007). Der Begriff
des oder der Einzelnen lässt sich auch durch den der Gruppe ersetzen. Sünkel
streicht heraus, dass es ohne Veränderung der Persönlichkeit des oder der Lernen-
den keinen Unterricht geben kann (Sünkel, 2002). Da die Rollen von Lernenden
und Lehrenden nur einer konstruierten Rollenzuweisung entsprechen, kann die-
ser Gedanke dahingehend erweitert werden, dass die Kreativität eines Raumes
sich nur entfalten kann, indem sich beide in ihrer Persönlichkeit verändern.
Für Studierende stehen bei heutigen Vorlesungen zwei Fragen im Vorder-
grund. Am Beginn wird die Frage gestellt, ob es Skripte zum Herunterladen gibt,
worauf ein Drittel der Anwesenden die Vorlesung verlässt, wenn man es bejaht.
Die zweite Frage zum Lerninhalt ist, ob das Gesprochene bzw. Vorgetragene prü-
fungsrelevant ist.

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3 Theoretische Bezüge

3 Theoretische Bezüge

Der Beginn der Arbeit wird von zwei Strängen geleitet und stützt sich zum ei-
nen auf das praktische Konzept der Säuglingsbeobachtung nach Esther Bick und
zum anderen auf die theoretischen Überlegungen zum Mentalisieren, wie es von
Fonagy und KollegInnen (Fonagy et al., 2004) konzipiert wurde. Das Mentali-
sierungskonzept ist ein Teil des intersubjektiv-relationalen Denkgebäudes, wobei
im Folgenden noch genauer auf die Bedeutung und Geschichte der relationalen
Entwicklung in der Psychoanalyse eingegangen wird.
Esther Bick wurde Ende der 1940er Jahre von John Bowlby an die Tavistock
Clinic berufen, um eine kinderpsychotherapeutische Ausbildung zu installieren.
Bereits durch ihre Erfahrungen in Wien, wo sie ihre Dissertation mit der Durch-
führung von Kleinkindbeobachtungen bei Charlotte Bühler absolviert hatte,
erkannte sie den Wert des genauen Beobachtens menschlicher Interaktion. Sie
wollte den angehenden KinderpsychotherapeutInnen eine Vorstellung von non-
verbalem Verhalten und dem Erleben von Säuglingen vermitteln (Bick, 2009a;
E. Freud, 1976; Rustin, 2009).
Die 1964 publizierte Idee von Esther Bick (2009a) der Säuglingsbeobachtung
umfasst vier Grundelemente. Es werden Gruppen von vier bis fünf KandidatInnen
der kinderpsychoanalytischen Ausbildung gebildet. Diese treten vor der Geburt
mit der werdenden Mutter in Kontakt, um später deren Interaktion mit dem
Säugling zu beobachten und diese in einem weiteren Schritt zu protokollieren. Im
dritten Abschnitt werden die Protokolle anonymisiert und an alle Gruppenteil-
nehmerInnen inklusive GruppenleiterIn verteilt. Allen SeminarteilnehmerInnen
steht eine Gruppensitzung zur Besprechung ihres Protokolls zur Verfügung. Die
Gruppe reflektiert gemeinsam die vorgebrachten Beobachtungen. Als viertes Ele-
ment der Ausbildung werden von einem oder einer der Gruppenteilnehmenden
die Reflexionsgespräche wiederum protokolliert, um leichter auf die Fallgeschich-
ten zurückgreifen zu können (Datler, 2009; Lazar, 2000; Bick, 2009a).
Als Verdeutlichung der Methode folgt ein kurzer Ausschnitt eines Beobach-
tungsprotokolls von einer Kleinkindbeobachtung:

»Er dreht seinen Kopf und sieht mich an, seine großen Pupillen liegen wie ein Ma-
gnet auf mir, sie scheinen alles in sich hineinzusaugen. Seine Arme lässt er schlaff
hinunterhängen, die Finger seiner Hand umklammern ein kleines, blaues Merce-
des-A-Auto, aus dem ein kleiner Pandabär aus der Windschutzscheibe herausragt.
Sein Bauch wölbt sich hervor und stellt die äußerste Grenze seines Körpers dar. Das
Kinn hängt herab. Von der Nase bis zu seiner Oberlippe zieht sich eine Schleim-

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I Einführung

spur. Er scheint erkältet zu sein. Vorsichtig betupft er mit der Zunge seine Lippe.
Sein Blick verharrt auf mir, plötzlich dreht er sich weg. Er geht zur Wand, lehnt
sich seitlich daran und blickt wieder zu mir. Wieder dreht er seinen Kopf weg, er
drückt sich noch fester an die Wand, so, als würde er sich an sie anschmiegen«
(Protokoll 11, Steinberger/SoSe 2010, Kindergarten).

Das Protokoll wird nun in der Kleingruppe vorgelesen und von den Teilneh-
merInnen besprochen. Neben der Förderung der Fähigkeiten des Beobachtens
und des Erstellens von Protokollen geht es hier auch um die Ausbildung von psy-
chosozialen Kompetenzen wie Empathie und Sensibilitätstraining (Datler, 2009;
Lazar, 2000).
Als Kritik an dieser Form der Säuglingsbeobachtung wird angeführt, dass
der Beobachter oder die Beobachterin ein Eindringling in die Szene ist, damit
die Intimität stört und dadurch einen anderen Entwicklungsverlauf initiiert. Das
unbewusste Interesse der Mutter, Beobachtende zuzulassen, könnte auf ein pa-
thologisches Phänomen der Mutter hindeuten. Die Objektivität des Beobachters
oder der Beobachterin kann nicht gewährleistet sein, da er oder sie ja dankbar
für den Bobachtungsplatz sein muss. Die Studentin oder der Student macht die
Erfahrung, ein nicht willkommener »Gast« zu sein, und später wird es ihr oder
ihm schwerfallen, Druck von »außen« auszuhalten (Kahl-Popp, 2001).
Der zweite theoretische Grundansatz der vorliegenden Arbeit beruht auf
den Überlegungen zum Mentalisierungskonzept als entwicklungspsychologisches
Modell. Das Wort »mentalisieren« wurde bereits in den 1980er Jahren von
Pierre Marty in seinem psychosomatischen Konzept verwendet. Er bewertete
die Mentalisierung auf den drei Achsen Tiefe, Beweglichkeit und Beständigkeit
(Aisenstein, 2008). Heutzutage wird unter Mentalisierung ein Konzept des Men-
talisierens nach Fonagy et al. (1991) verstanden und damit eine Verbindung
aus bindungstheoretischen, entwicklungspsychologischen, psychodynamischen,
kognitiv-behavioralen, traumabezogenen und neurobiologischen Erkenntnissen
und der Theory of Mind (Fonagy et al., 2004).
Unter dem Konzept des Mentalisierens verstehen Fonagy und seine Mitar-
beiterInnen die Fähigkeit, sich und andere Personen als Wesen mit geistigen und
emotionalen Anteilen zu betrachten, und auf der Grundlage dieser Selbstbetrach-
tung die Reaktionen anderer Menschen verstehen und somit an deren Verhalten
partizipieren zu können. Mentalisierung ist ein Prozess, in dem der Mensch er-
kennt, dass seine Weltwahrnehmung und die Wahrnehmung anderer über den
Geist vermittelt werden und somit mental sind. Die Fähigkeit zur Mentalisie-
rung entwickelt sich in Abhängigkeit von Bindungs- und Beziehungserfahrungen

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3 Theoretische Bezüge

und hat gleichzeitig Rückwirkungen auf diese (Fonagy, 1998; Fonagy & Luyten,
2011; Fonagy &Target, 2001, 2002, 2003, 2011; Sieberth & Steinberger, 2013;
Lackinger, 2008; Dornes, 2004; Fischer-Kern & Fonagy, 2012; Bolm, 2009, 2010;
Schultz-Venrath, 2013; Allen et al., 2011; Allen, 2009).
Die Ursprünge dieses Konzepts wurden von Jeremy Holmes in dem Arti-
kel »Notes on Mentalizing – Old Hat, or new Wine?« (2005) beschrieben.
Er arbeitete vier Punkte heraus. Ein Aspekt kommt von der kognitiven Psycho-
logie mit ihrem philosophischen Konstrukt der »Theory of Mind« (Siegler et
al., 2005). Ein weiterer Punkt umfasst die Objektbeziehungstheorie mit dem
Schwerpunkt auf der Bion’schen Theorie. Aus der französischen Psychoanalyse
wird der Begriff des operativen Denkens von Pierre Marty aufgegriffen, und vom
Winnicott’schen Entwicklungskonzept wird der Überlappungsbereich zwischen
Realität und Fantasie herangezogen (Fonagy & Target, 2002; Holmes, 2005; Fi-
scher-Kern & Fonagy, 2012).
Die Originalität des Konzepts wird im Verknüpfen von unterschiedlichen,
auch kontrovers diskutierten Disziplinen gesehen. In der Entwicklungspsycholo-
gie werden die Theory of Mind, die Bindungsforschung und psychoanalytische
Erkenntnisse verbunden. Als weitere Neuerung wird die Operationalisierung der
Mentalisierungsfähigkeit durch die Reflective Functioning Scale gesehen. Sie
wird dadurch der empirischen Forschung zugeführt.
Die Mentalisierungsfähigkeit wurde als Entwicklungskonzept entworfen, das
auch Fehlentwicklungen aufweisen kann und somit zu einem Erklärungsmodell
für pathologische Entwicklungen beiträgt. Der Schwerpunkt der Überlegungen
beruht auf dem schrittweisen Erlangen von »Wissen« über die Affekte (Fonagy et
al., 2004). Als Theoriegrundlage werden dafür das mütterliche Biofeedback-Mo-
dell von Gergely und Watson und die damit verbundene Kontingenzentdeckung
herangezogen (Gergely & Watson, 2004). Als Fehlentwicklung des mütterlichen
Affektspiegelns wird ein »fremdes Selbst« betrachtet, das zu einer Borderline-
Persönlichkeitsstruktur führt (Fonagy &Target, 2002; Bateman & Fonagy, 2008).
Kernberg äußert sich immer wieder kritisch gegenüber dem Mentalisie-
rungskonzept. Es weist für ihn zwei zentrale Probleme auf: erstens auf einer
theoretischen Ebene hinsichtlich der Bedeutung von Mentalisierung und Ob-
jektbeziehungstheorie und zweitens auf einer behandlungstechnischen Ebene in
Bezug auf Interventionstechniken bei Borderline-PatientInnen.
Das Konzept des »fremden Selbst« greift für Kernberg zu kurz, da es das
komplexe Pendeln des Patienten oder der Patientin zwischen komplementärer
und konkordanter Übertragung nicht erfasst. Beim einfließenden Konzept der
»Theory of Mind« im Mentalisierungskonzept geht es um die realistische Dar-

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I Einführung

stellung des anderen und somit um die Fähigkeit, sich in den anderen einzufühlen.
Wenn diese gestört ist, wie bei schweren Persönlichkeitsstörungen, kommt es zu
einer Unfähigkeit, empathisch auf das Gegenüber zu reagieren. Diesem Konzept
widerspricht die schwere Persönlichkeitsstörung der antisozialen Persönlichkeit,
da die daran leidenden Menschen sehr wohl die Bedürfnisse anderer erkennen
können. Sie haben eindeutig eine »Theory of Mind« vom Gegenüber, können
sich aber nicht emotional auf den anderen einlassen (Kernberg, 2009).
Aus der Sicht der psychotherapeutischen Behandlung ist im Manual zur Trans-
ference-Focused Psychotherapy (TFP) (Clarkin et al., 2008) die Förderung der
Mentalisierungsfähigkeit des Patienten oder der Patientin permanent vorhanden
und widerspricht auch nicht der psychoanalytischen Deutung als Verstehens-
technik bei schweren Persönlichkeitsstörungen. Beim Mentalisierungskonzept
(MBT) wird Deutung aus der Problematik der Reaktivierung von Traumata ab-
gelehnt (Kernberg, 2011b). Das Konzept der Mentalisierung ist ein Teil des TFP-
Konzeptes und kommt im ersten Drittel der Behandlung zum Tragen (Kernberg,
persönliche Mitteilung, 2012). Es lässt sich pointiert betrachten als »alter Wein
in neuen Schläuchen« (Pritz, persönliche Mitteilung, 2013).

4 Forschungsstand

Es gibt unterschiedliche Versuche, implizites Wissen schulbar zu machen. Die-


ses Projekt geht von den Aspekten der Beobachtung und Wahrnehmung als
Grundlage für die Erlernung von sozialen Kompetenzen aus. In allen sozialen
Berufen steht das Herstellen einer emotionalen, positiv besetzten Beziehung im
Mittelpunkt. Bei diesem Projekt werden zwei grundlegende Forschungsrichtun-
gen verbunden: Erstens wird die Entwicklung der Infant Observation nach Esther
Bick beleuchtet, die bereits unterschiedliche relevante Felder berührt. Zweitens
werden die entwicklungspsychologischen Aspekte und deren Erkenntnisse aus
den Mentalisierungskonzepten herangezogen, um sie auf ihre Praxisrelevanz zu
untersuchen.

4.1 Säuglingsbeobachtung

Seit 1948 war die Säuglingsbeobachtung ein Bestandteil der Ausbildung zum
Kinderpsychotherapeuten an der Tavistock Clinic. Ab 1960 wurde sie auch Aus-
bildungsbestandteil am Institut für Psychoanalyse in London (Bick, 2009a). Aus-

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4 Forschungsstand

gehend von der Kleinkindbeobachtung in Wien ab 1936 kam es über London zu


einer weltweiten Verbreitung der Säuglings- und Kleinkindbeobachtung (Datler,
2009). Isca Salzberger-Wittenberg verbreitete das Konzept in den deutschspra-
chigen Ländern. Sie übernahm in London die Leitung als Nachfolgerin von
Esther Bicks Ausbildungsgruppe (Salzberger-Wittenberg, 2002). Über viele Jah-
re wurde diese Form der Beobachtungsmethode in Seminaren entwickelt. Die
Beobachtung wurde wöchentlich durchgeführt und dauerte eine Stunde. Die
Haltung des Studenten oder der Studentin war eine passiv-wohlwollende, damit
er oder sie die emotionale Bedeutung der sich vor ihm oder ihr abspielenden
Szene erfassen konnte. Der Student oder die StudentIn muss zum Geschehen
Distanz aufbauen und eine Position finden, in der er oder sie eine gleichschwe-
bende Aufmerksamkeit entwickeln kann. Die Betrachtenden müssen sich ihrer
Gegenübertragungsgefühle bewusst sein. Die zu beobachtenden Szenen werden
später protokollarisch festgehalten, in der Ausbildungsgruppe diskutiert und mit
den anderen Protokollen verglichen (Bick, 2009a). Für Esther Bick ist die genaue
Beobachtung ein wichtiger Bestandteil, um eine containende Haltung für die zu
beobachtende Situation anzubieten. Im Zuseher oder in der Zuseherin werden
permanent Gefühle und primitive Ängste stimuliert. Diem-Wille bezeichnet die
Säuglingsbeobachtung als »Schulung der Gefühle«. Der Beobachter oder die
Beobachterin stellt jene Person dar, die auch die in der zu beobachtenden Szene
sich entfaltenden Gefühle aufnimmt und so im Bion’schen Sinne einen Container
darstellt (Diem-Wille, 2009b, S. 68f.). Das vorrangige Ziel der Babybeobachtung
besteht darin zu lernen, wie man beobachtet. Man sollte keine Konzepte im Kopf
haben und sich der eigenen Gefühle gewahr sein. Die wichtigste innere Haltung
besteht im Nichtwissen und in der Neugier. Der zweite wichtige Punkt ist, sich als
EmpfängerIn zur Verfügung zu stellen, der oder die in seiner oder ihrer passiven
Haltung alles aufnimmt und sich nicht aktiv in das Geschehen, das ihn oder sie
umgibt, einmischt (Israel, 2007). Eine weitere Entwicklung wurde in den 1970er
Jahren von Martha Harris vorgenommen: Sie führte das sogenannte »Work-Dis-
cussion-Seminar« ein. Hier geht es um die Beobachtung bzw. Wahrnehmung
von unbewussten Phänomenen in Arbeitsprozessen und in Organisationen. Das
Work-Discussion-Seminar wird in der Tavistock Clinic und unter anderem auch
an der Klagenfurter Universität eingesetzt, um das eigene Handeln im berufli-
chen Alltag besser erkennen und verstehen zu können. Es werden unbewusste
Arbeitsprozesse bzw. die darin verborgenen Interaktionen bewusst gemacht, in-
dem die Teilnehmenden sich und die Arbeitssituation beobachten und dann in
der Gruppe das daraus entstandene Protokoll reflektieren (Steinhardt & Rei-
ter, 2009). Diese Work-Discussion ist ein wichtiges Ausbildungsmodul in der

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I Einführung

psychodynamischen Organisationsentwicklung, wie sie derzeit an der Psycho-


analytischen Akademie in Wien angeboten wird (Lazar, 2000, 2009; Datler,
2004, 2006; Messerer, 2004, 2008). Zu diesen Konzepten liegen bisher noch
keine Evaluierungsstudien vor. Ein weiterer Bereich der genannten Beobach-
tungsform erstreckt sich auf Menschen im Alters- und Pflegeheim (Trunkenpolz
et al., 2009; Datler et al., 2012). Die Säuglingsbeobachtung wurde auch auf ei-
ner neonatologischen Intensivstation angewandt, um ein besseres Verstehen von
Frühgeborenen zu ermöglichen (Israel & Reißmann, 2008). Eine Neukonzeptua-
lisierung der »Babybeobachtung« nach Esther Bick wurde auch im sogenannten
Kieler Modell vorgenommen. Hier werden die Auszubildenden nicht mehr dazu
angehalten, die Mutter-Kind-Dyade zu beobachten, sondern dazu, eine triadische
Beobachtung im Beisein des Vaters durchzuführen. Durch diese Form der Famili-
enbeobachtung sollen die Studierenden der Psychoanalyse wesentliche Elemente
der psychotherapeutischen Beziehung verstehen lernen (Kahl-Popp, 2001).

4.2 Mentalisierungskonzepte

Das Konzept des Mentalisierens wird in breiter Form nicht nur zur Behand-
lung von psychischen Erkrankungen eingesetzt, sondern auch zur Prävention
in den unterschiedlichsten Einrichtungen sowie zur Ausbildung von psychiatri-
schen AssistenzärztInnen in mentalisierungsgestützter Behandlung (Williams et
al., 2009), weiters in der Verbindung mit Psychoedukation (Haslam-Hopwood
et al., 2009; Allen et al., 2011) und auch als Technik in der Erziehungsberatung
(Sadler et al., 2009). Aus Letzterer liegen im Zuge eines Projekts »Minding the
Baby« bereits erste Erfahrungen vor. In der ersten Evaluationsphase wurden die
Auswirkungen der Intervention auf eine kleine Kohorte gemessen, woraufhin
ein klinisches Manual entwickelt wurde. Die experimentelle Langzeitstudie, an
der zwei Gruppen teilnehmen, wurde noch nicht abgeschlossen (ebd.). Weiters
wurde ein mentalisierungsgestütztes Verständnis von Gewalt mit einem sozial-
systemischen Verständnis an Schulen verglichen. An der randomisierten kontrol-
lierten Studie, die an mehreren Schulen durchgeführt wurde, beteiligten sich über
3.000 Kinder (Twemlow & Fonagy, 2009; Allen et al., 2011). Eine weitere An-
wendung von Konzepten der Mentalisierung erfolgt in der Supervision und im
Management (Schultz-Venrath, 2013; Doering, 2013). Wirksamkeitsstudien von
Mentalisierung als Behandlungskonzept wurden 1999 in London von Bateman
und Fonagy an 44 Borderline-PatientInnen durchgeführt, inklusive zweimaliger
Nachevaluierung (Bolm, 2009). Im Rahmen eines Forschungspraktikums an einer

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5 Methodisches Vorgehen

Wiener Mittelschule entstand die Bachelor-Arbeit »Mentalisierung und soziale


Kompetenz« (Böck, 2011). Unter der Betreuung von Univ.-Prof. Dr. Stephenson
wurde im Zuge einer Diplomarbeit das Thema »Die Verbindung der Psycho-
therapiemethode des Psychodramas mit dem Konzept der Mentalisierung nach
Fonagy u. a. aus einem psychoanalytisch-pädagogischen Blickwinkel« erarbeitet
(Stifter, 2012). An der Berliner IPU wurde ein Forschungsprojekt zur Erprobung
einer mentalisierungsfördernden, psychodynamisch orientierten Arbeit durchge-
führt. Von August 2012 bis Dezember 2013 wurden in einer Kindertagesstätte
unter der Leitung von Frau Prof. Christine Ludwig-Körner vier Kindergruppen
beforscht (Ludwig-Körner, 2012–2013). An der Universität Klagenfurt wurde
eine Studie zum Thema Mentalisierungsinteresse bei angehenden TherapeutIn-
nen durchgeführt (Taubner et al., 2014).

5 Methodisches Vorgehen

Die methodische Vorgehensweise ergab sich bereits aus der Möglichkeit, die dem
Verfasser zur Verfügung stehenden Schülerinnen und Schüler aus einer dreijähri-
gen Krankenpflegeausbildung mit dem Schwerpunkt Psychiatrie zu beforschen.
Durch die Tatsache, dass es sich um das Erlangen einer Berufsberechtigung im
psychiatrischen Bereich handelt, wird zum Ausbildungseintritt ein Mindestalter
von 18 Jahren vorgeschrieben, was ein methodisches Vorgehen und eine Testaus-
wahl für Erwachsene nahelegt.
Die Zusammenarbeit mit den SchülerInnen erfolgt im zweiten Ausbildungs-
jahr. Zu Beginn des Projektes wird den ProbandInnen ein Test zur Erfassung ihres
Selbstbildes vorgelegt. Anschließend erhalten sie ein Beobachtungsprotokoll und
erstellen einen Test zur Erfassung des Fremdbildes von der im Protokoll beschrie-
benen Person. Diese beiden Tests werden am Ende des zweiten Ausbildungsjahres
erneut durchgeführt, und die gewonnenen Daten werden in diesem Projekt zur
Hypothesenüberprüfung herangezogen. Als Selbst- und Fremdbeurteilungsbo-
gen wurde und wird der Gießen-Test II verwendet (Beckmann & Richter, 1972;
Beckmann et al., 2012a). Für die statistische Datenanalyse und zum Datenma-
nagement der erhobenen Items wird das SPSS 20 (Superior Performing Software
System) von IBM angewandt (Raab-Steiner & Benesch, 2012; Bühl, 2012). Der
quantitative Forschungsansatz besteht aus einer deskriptiv-statistischen und einer
inferenzstatistischen Datenanalyse.
Eine Methode aus der qualitativen Forschung, die hier zur Anwendung
kommt, ist die Objektive Hermeneutik (Oevermann, 2002). Die Protokolle wer-

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I Einführung

den sequenziert, dann einer inhaltlichen und prozessualen Bedeutungsanalyse


unterzogen und die herausgearbeiteten Interpretationen an weiteren Textsequen-
zen überprüft. Diese Daten sollen zu einer Generalisierung der Einzelsequenz-
deutungen beitragen, um wiederum auf eine mentalisierende Interpretation der
Beobachtungen der SchülerInnen rückführbar zu sein (Buchholz et al., 2011;
Kleemann et al., 2013; Flick, 1995; Oevermann, 2002).

5.1 Stichprobe

In Österreich gibt es 322.468 SchülerInnen in berufsbildenden Schulen BMUKK


Zahlenspiegel (2013). Von den neun Bundesländern mit insgesamt 67 Kran-
kenpflegeschulen gibt es in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark
und Vorarlberg insgesamt sechs Ausbildungsstätten für psychiatrische Kranken-
pflege. Die Ausbildung zu/r/m psychiatrische/n diplomierte/n Gesundheits-
und KrankenpflegerIn setzt ein Mindestalter von 18 Jahren voraus. Die Aus-
bildungsdauer umfasst drei Jahre mit der Möglichkeit eines Quereinstiegs bei
entsprechender Vorqualifikation. Dieser Quereinstieg kann im zweiten sowie
im dritten Ausbildungsjahr erfolgen und verändert damit die Alterskohorte ei-
nes Ausbildungsjahrganges. Die Mentalisierungsbasierte Pädagogik (MBP) bzw.
das Affektresonanztraining (ART II) kommt im zweiten Ausbildungsjahr über
zwei Semester zur Anwendung und umfasste im Durchschnitt 40 SchülerInnen,
davon 27 weiblich und 13 männlich. Das Projekt läuft seit 2010 und ist ein
Teilaspekt einer dreijährigen Ausbildung mit dem Schwerpunkt der Persönlich-
keitsentwicklung. Jede Studentin und jeder Student schreibt im Rahmen dieses
Projekts zehn bis zwölf Beobachtungsprotokolle, sodass insgesamt etwa 400 Pro-
tokolle pro Jahrgang archiviert werden. Aus diesen Protokollen werden dann
stichprobenartig Texte ausgewählt und einer Rekonstruktion latenter Sinnstruk-
turen unterzogen.

5.2 Instrumente und Material

Die hier verwendeten Methoden haben ihre Wurzeln in der Psychotherapiefor-


schung. Der zur Anwendung kommende Gießen-Test II hat seinen Ursprung im
Gießen-Test und wurde in den 1970er Jahren von einem Team an der Psychosoma-
tischen Universitätsklinik Gießen in mehrjähriger Arbeit entwickelt. Der Gießen-
Test stellt eines der wenigen Testverfahren im deutschsprachigen Raum dar, die

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5 Methodisches Vorgehen

für die Messung von Persönlichkeitsmerkmalen entwickelt worden sind. Er gehört


zu den psychometrischen Persönlichkeitstests und in dieser Kategorie wiederum
zu den Persönlichkeitsstrukturtests (Brähler et al., 2002). Der Test ermöglicht
dem Probanden oder der Probandin, von sich ein Selbstbild zu entwerfen. Dieser
Test ist für Erwachsene (ab 18 Jahren) und Jugendliche (ab 14 Jahren) konzipiert
und dient auch zur Durchführung einer Fremdeinschätzung. Die Fremdeinschät-
zung wird von den Studierenden anhand einer in einem Protokoll beschriebenen
Person durchgeführt. Nach der Zeitspanne von zwei Semestern wird den Stu-
dierenden wiederum der Gießen-Test II zur Selbsteinschätzung vorgelegt. Das
verwendete Protokoll wird erneut als Beschreibungsgrundlage für eine Person
herangezogen und von den Studierenden mit dem Fremdbewertungsbogen des
Gießen-Tests II bewertet. Die daraus gewonnenen Daten werden im SPSS 24
aufbereitet und einer Analyse unterzogen.
Pro Semester und Jahrgang stehen pro StudentIn fünf bis sechs Protokolle ei-
ner Patientenbeobachtung zur Verfügung. Diese Protokolle werden mithilfe der
interpretativen Sozialforschung im Sinne der Objektiven Hermeneutik aufberei-
tet. Die Objektive Hermeneutik wurde von Ulrich Oevermann entwickelt und
ist eine qualitative Datenauswertungsmethode, die zur Analyse von Interaktio-
nen herangezogen werden kann. Mithilfe der Objektiven Hermeneutik werden
anhand von einzelnen Protokollen die hinter der subjektiven Bedeutung liegen-
den objektiven Sinnstrukturen zu dechiffrieren versucht. Hier geht es um die
Sichtbarmachung der tiefer liegenden Bedeutungsebenen, die das Datenmaterial
in seiner vorliegenden Form strukturieren und damit bestimmen.

5.3 Ziele der Studie

Diese Forschung verbindet im ersten Teil verschiedene Konzepte aus den Berei-
chen Psychoanalyse, Psychotherapie, Säuglingsbeobachtung und Pädagogik und
entwirft anhand theoretischer Überlegungen ein Ausbildungsprogramm für das
Erlernen von »sozialer Kompetenz«. Soziale Kompetenz wird hier als Fähigkeit
von Reflexion und Mentalisierung verstanden. Diese Fähigkeiten sollen in einem
Persönlichkeitstest überprüft werden, sodass es möglich ist, Rückschlüsse auf die
Wirksamkeit dieser Ausbildung zu ziehen.
Der Verfasser geht von einer Verbesserung der Reflexionsfähigkeit der Schü-
lerInnen aus, wobei der Messzeitraum von acht Monaten zu kurz ist, um eine
definitive Aussage über eine Veränderung in der Persönlichkeitsstruktur der Stu-
dierenden treffen zu können.

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I Einführung

Anhand von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden soll die


Wirksamkeit der angewandten neuen pädagogischen Methode des ART nachge-
wiesen oder widerlegt werden. Ein vielversprechendes pädagogisches Vorgehen
kann so durch eine Wirksamkeitsstudie evaluiert und in seiner Weiterführung
bestärkt oder aber als nicht zielführende Form von neuer Pädagogik verändert
oder verworfen werden.

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II Historische Wurzeln
und Entwicklung
der Säuglingsbeobachtung

»I mean Negative Capability, that is, when man


is capable of being in uncertainties, mysteries,
doubts, without any irritable reaching after fact
and reason.«
John Keats (1817)

Beobachtungen von Kindern sind schon lange in der wissenschaftlichen Welt


eingebettet. In Tagebuchaufzeichnungen hielt bereits Charles Darwin die
Entwicklung seines Sohnes fest. Freud beobachtete seinen eineinhalbjähri-
gen Enkel und beschrieb seine Erkenntnisse 1920 in Jenseits des Lustprin-
zips (S. Freud, 1920g; Köhler-Weisker, 1980, S. 625; Ludwig-Körner, 2015,
S. 1163). In der Wiener psychoanalytischen Vereinigung hatte Hermine Hug-
Hellmuth die unumstrittene Sachkompetenz im Verstehen des Seelenlebens
von Kindern mit dem Schwerpunkt, deren sexuelle Regungen durch Beob-
achtungen zu erkunden. Seit 1913 nahm sie regelmäßig an den Sitzungen der
Wiener Psychoanalytischen Vereinigung teil und wird somit als erste Kinder-
analytikerin betrachtet. Berühmt wurde sie durch die Veröffentlichung eines
Tagebuchs eines jungen Mädchens, dessen Authentizität später infrage gestellt
wurde (Mühlleitner & Reichmayr 1992; Hugh-Hellmuth, 1919; Graf-Nold,
1988).
Am 1. Februar 1937 kam es auf Anregung von Anna Freud zur Gründung
einer Kinderkrippe, in der regelmäßig Beobachtungsprotokolle verfasst wurden.
Diese Beobachtungsarbeit wurde nach der Übersiedlung der Familie Freud nach
London von Anna in den Hampstead War Nurseries weitergeführt. Anna Freud
schreibt 1951 über diese Forschungsarbeit:

»Die Beobachtungsarbeit war nicht an einem vorab festgelegten Plan orientiert.


Man ahmte die Haltung des Analytikers nach, der seinen Patienten in der analy-
tischen Sitzung beobachtet, wahrte eine gleichschwebende Aufmerksamkeit und
ließ sich vom Material leiten« (A. Freud, 1951, S. 20; Köhler-Weisker, 1980,
S. 627).

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

Teilnehmende Kinderbeobachtung war seit 1948 ein fester Bestandteil in der


Ausbildung für KinderanalytikerInnen an der Hampstead Clinic (Köhler-Weis-
ker, 1980).
Parallel dazu entwickelte sich in Wien unter Charlotte Bühler ab 1923 ei-
ne systematische Form der Neugeborenenbeobachtung. An dieser Forschung
nahmen unter anderem auch Lotte Schenk-Danzinger, Hildegard Hetzer, Ilse
Hellmann, Liselotte Franke und Esther Bick teil. Esther Bick, geborene Wan-
der, reichte 1935 unter der Betreuung von Charlotte Bühler ihre Dissertation
an der Universität Wien ein. Sie trug den Titel »Gruppenbildung im zweiten
Lebensjahr« und befasste sich mit den sozialen Beziehungen zwischen Zweijäh-
rigen. Anhand ihrer Protokolle versuchte sie Rückschlüsse auf das Verhalten der
Kinder zu ziehen. Später betrachtete sie ihre Protokolle als zu technisiert und
entwickelte daraus ihre Infant Observation. In ihrer Dissertation gibt sie Proto-
kollaufzeichnungen wieder, in deren Zentrum Kleingruppen stehen. Sie wollte
die Interaktionen der Kinder erfassen:

»Gruppe 13: Karl 1;7 [Altersangabe] weint – Franz 1;5 streichelt ihn, reicht ihm
Bisquit – Karl nimmt, isst, hebt Brösel auf, gibt sie Franz, sagt: ›na‹ – Franz
lacht, macht den Mund auf – Erika 1;3 greift nach Karls Klapper – Karl schreit,
weint – Erika greift weiter an – Karl schreit laut – Franz schlägt Erika, schreit sie
laut an –. Nun folgt ein Bauspiel zwischen Karl und Franz – Erika greift wieder
Karl an – Karl schreit – Franz stürzt sich auf Erika, schreit und schlägt sie wieder«
(Wander, 1935, S. 75, zit. n. Datler, 2009, S. 44).

Esther Wander beschäftigte sich anhand dieses Protokolls mit der Frage nach der
Fähigkeit der Partizipation von Franz am Leiden von Karl. Für sie war klar, dass
sich zwischen den Jungen ein liebevoller Umgang entwickelte, was darauf schlie-
ßen lässt, dass speziell Franz eine Vorstellung von dem Innenleben Karls hat, seinen
Schmerz verstehen kann und auch dessen Verursachung, weshalb er Erika schlägt.
Ähnliche Szenen versuchte Esther Wander in anderen Protokollen heraus-
zuarbeiten, um über das wiederholte Auftreten von Interaktionen Rückschlüsse
ziehen zu können. Was sie nicht darin ausführt, ist die Bedeutung ihrer Betei-
ligung an der Situation. Denn es geht im obigen Protokoll nicht nur um drei
Kinder, sondern um vier Personen, wovon drei Kinder sind und eine Person ei-
ne etwa dreißigjährige Frau ist. Sie kann sehr klare Gedanken zum Verhalten der
Kinder entwickeln und deren gegenseitiges Einwirken auf ihre innerpsychischen
Prozesse. Mit den möglichen Ursachen bzw. Auslösern für das Verhalten der Kin-
der beschäftigt sie sich nicht (Wander, 1935, S. 40; Datler, 2009, S. 46).

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

Hier befindet sie sich noch ganz in der Tradition der infant development
research (Verhaltensbeobachtung) und vollzieht 1948 ihren Schritt zur infant
observation, wobei Esther Bick ihre Methode der Beobachtung nicht als wissen-
schaftliches Instrument konzipiert; vielmehr war sie als pädagogisches Lernin-
ventar gedacht (Lazar, 2000, S. 400).
Der dritte Schritt in der Weiterentwicklung des Verstehens von anderen wä-
re nun der Einbezug der BeobachterInnen, und zwar primär nicht als handelnde
TeilnehmerInnen im physischen Sinne, sondern in der Form eines intersubjekti-
ven Raumes, der das Verstehen erst ermöglicht.
Die Protokolle in der Dissertation von Esther Wander beziehen sich auf das
konkret Beobachtbare und bleiben einer konkretistischen Weltsicht verhaftet.
Auf das Psychische lässt sich nur indirekt zurückschließen, es ist anhand von Me-
taphern in Worte gekleidet.
Esther Bick ging 1941 nach England und folgte Ende der 1940er Jahre einer
Einladung von John Bowlby an die Tavistock Clinic, um einen kinderpsychothe-
rapeutischen Ausbildungslehrgang zu installieren. Sie begann 1941 bei Michael
Balint und setzte ihre Lehranalyse 1950 bei Melanie Klein fort, die sie dazu ani-
mierte, ihren Fokus auf die Erlebniswelt kleiner Kinder zu setzen. Sie richtete das
Infant-Observation-Seminar ein, in dessen Mittelpunkt die ein- bis zweijährigen
Kinder standen. Sie legte nun ihren Schwerpunkt der Beobachtung auf die Fra-
gestellung, wie das Kind die beobachtete Situation erlebt hat, und schrieb diesem
damit eine Intuition zu (Bick, 2009bS. 37–40; Kahl-Popp, 2001, S. 175; Datler,
2009, S. 46). In ihrem Aufsatz »Bemerkungen zur Säuglingsbeobachtung in der
psychoanalytischen Ausbildung« fasste sie ihre Technik der Infant Observation
zusammen (Bick, 2009a, S. 19–36). Ab den 1960er Jahren wurde ihre Form der
Babybeobachtung als Wahlfach in die analytische Ausbildung aufgenommen. Ei-
ner der Schüler von Esther Bick war Anton Obholzer, der in einem Interview
davon berichtet, wie intuitiv er seine Lehrerin den Kindern gegenüber erlebte
und wie uninteressiert sie am Umfeld der Kinder war. Sie interessierte sich nur für
das Innenleben der Kinder und betrachtete Erzählungen über die Familie als Ab-
schweifung von der gestellten Aufgabe. Sie war damit ganz in der Tradition ihrer
Lehrerin Melanie Klein (Obholzer, 2009, S. 215). Weitere Schülerinnen von ihr
waren Isca Salzberger-Wittenberg, Joan Symington und Jeanne Magagna. Ihre
Nachfolgerin Martha Harris war bis 1979 Ausbildungsleiterin an der Tavistock
Clinic. Unter ihr wurde unter anderem Ross A. Lazar ausgebildet.
Ab 1962 wurde am Anna-Freud-Center die »Mother-baby observation«
in die Ausbildung aufgenommen. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Mutter-
Kind-Beziehung (Ludwig-Körner, 2015, S. 1165; Diem-Wille, 2009b, S. 84). In

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

Deutschland entwickelte sich das Kieler-Modell der Familienbeobachtung in der


Ausbildung für PsychoanalytikerInnen (Kahl-Popp, 2001, S. 175–193). Die Er-
kenntnisse aus der Säuglingsbeobachtung fließen kontinuierlich in das Verstehen
der klinischen Phänomene bei sogenannten Frühstörungen im Erwachsenenalter
ein (Lichtenberg, 1990, S. 871–901).

1 Die Methode der Infant Observation

In ihren Grundzügen war die Infant Observation an die Ausbildung der Kinder-
und Jugendlichen-PsychoanalytikerInnen gebunden und umfasste einen Zeit-
raum von zwei Jahren. In einer Kleingruppe von ca. sechs Personen wird die
Herangehensweise an die Beobachtung besprochen und, wenn möglich, bereits
mit einer schwangeren Frau Kontakt aufgenommen und eine Beziehung aufge-
baut. Es soll darauf geachtet werden, keine Beobachtungen in problematischen
Familienverhältnissen durchzuführen. Die Familie sollte nicht aus dem nähe-
ren Bekanntenkreis der oder des Beobachtenden stammen. Als idealer Beginn
der Beobachtung wird der Zeitpunkt unmittelbar nach der Geburt betrachtet.
Über einen Zeitraum von zwei Jahren soll der Säugling eine Stunde pro Woche
beobachtet werden. Die Beobachtung sollte so konzipiert sein, dass sie in den
Wachphasen des Babys stattfinden kann. Sie sollte auch in ein Kontinuum von
Zeit und Ort eingebunden sein, das heißt, die Beobachtung sollte immer am
selben Tag, zur gleichen Stunde und möglichst unauffällig am selben Ort durch-
geführt werden. Der oder die Beobachtende sollte sich in einer »freischwebenden
Aufmerksamkeitshaltung« befinden und möglichst passiv und wertneutral re-
agieren (Israel, 2007; Lehner & Sengschmied, 2009, S. 120f.). Dabei sollte der
gewohnte Familienalltag so wenig wie möglich beeinflusst werden. Es gibt natür-
lich Situationen, in denen man handelnd eingreifen und seine passive Haltung
aufgeben muss:

»Ich erzähle öfters diese Geschichte von meiner Infant Observation. […] Als der
Sommer wärmer wurde und das Kind zu laufen anfing, wurden die Türen aufge-
macht. Es gab eine Tür, die ganz bis zum Boden ging, früher war da ein Balkon
gewesen […] Also wenn man diese Tür aufmachte, war da ein Abgrund über zwei
Stockwerke. Das Kind krabbelte bereits, und da sagt man sich als Beobachter: ›Ich
kann nicht einfach dasitzen und zuschauen, wie das Kind runterfällt.‹ […] Ich habe
das zur Sprache gebracht, und das hat Mrs Bick einigermaßen interessiert, aber was
man praktisch machen kann, hat sie nicht besprochen« (Obholzer, 2009, S. 215f.).

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2 Die Bedeutung der Infant Observation für die Ausbildung

Es gibt in diesem langen Zeitraum der Beobachtung kein Nichteinmischen. Hier


wird eine sehr drastische Szene dargestellt, bei der augenscheinlich ist, dass re-
agiert werden muss. Hier würde sich natürlich die Frage nach der Bedeutung
der Beobachterin oder des Beobachters für die Familie und der offenen Tür
als gemeinsam konstruierte Szene stellen. Da die baulichen Gegebenheiten eine
Realität darstellen und die beobachtende Person nur eine Stunde in der Woche
anwesend ist, könnte man auch über den Zusammenhang des unbeaufsichtigten
Kindes mit deren Dasein nachdenken und eben die Eltern mitdenken.
Während der Beobachtung werden keine Notizen gemacht. Danach konstru-
iert die Beobachterin oder der Beobachter die wahrgenommenen Bilder aus dem
Gedächtnis und schreibt sie nieder. Dieses Protokoll wird dann in der Kleingruppe
gelesen und diskutiert. Die TeilnehmerInnen versuchen nun mithilfe ihrer inneren
Bilder, Fantasien und wahrgenommenen Gefühle die Beobachtung zu verstehen
und das Unbewusste im Protokoll fassbar zu machen. Diese Gruppensitzungen
werden wiederum in Protokollen zusammengefasst, später auf einer Metaebene
wieder betrachtet, und es wird der Versuch unternommen, einen Prozessverlauf in
der Gruppe in Bezug zum dargebrachten Material darzustellen. Die Gruppensit-
zung findet einmal in der Woche statt, und in diesen 90 Minuten wird alternierend
ein Protokoll gelesen und bearbeitet. Die Gruppenzeiten zur Vorstellung eines Kin-
des sollten regelmäßig auf die TeilnehmerInnen verteilt werden. Es wird nicht jedes
Protokoll vorgelesen, da dafür die Zeit nicht reichen würde (Bick, 2009a, S. 19–36;
Lazar, 2000, S. 402; Ludwig-Körner, 2015, S. 1166f.; Kahl-Popp, 2001, S. 176).

2 Die Bedeutung der Infant Observation


für die Ausbildung

Den BeobachterInnen wird ermöglicht zu erfahren, »wie sich der rudimentäre


Ich-Kern des Säuglings mit archaischen Ängsten zu einem mehr oder weniger
stabilen Beziehungsgefüge zu seinen Eltern und Geschwistern entwickelt und dif-
ferenziert« (Diem-Wille, 2009b, S. 67). Als weiterer Punkt wird festgehalten, dass
die BeobachterInnen durch das Beobachten und Reflektieren der eigenen wahrge-
nommenen Gefühle einen »bedeutsamen Einblick« in ihre »Psyche« gewinnen
können (ebd.)b. Die Beobachtung ist eine Form des Sensibilitätstrainings und
der Empathieschulung mit dem Schwerpunkt auf Übertragungs- und Gegenüber-
tragungsphänomenen, wodurch auch die analytische Haltung geübt wird (Lazar,
2000, S. 408; Lehner & Sengschmied, 2009, S. 119; Maiello, 2015, S. 51-64).
»Die psychoanalytische Säuglingsbeobachtung wird in einem Setting angebo-

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

ten, das zwischen Laboratorium und Behandlungszimmer eine neue Dimension des
Forschens und Lernens einführt« (Diem-Wille, 2009b, S. 69). Mithilfe der Gefühle
der Beobachterin oder des Beobachters werden Hypothesen über die beobachte-
ten Interaktionen zwischen Baby und Mutter gebildet. Die oder der Beobachtende
zieht großen Nutzen aus der Beobachtung, da sie oder er die Entwicklung von
Kleinkindern erfassen und verstehen lernt. Das Gestalten von Beziehungsprozessen
in pädagogischen Berufen sollte sich als Fähigkeit im Babybeobachtungsseminar
entwickeln (Lehner & Sengschmid, 2009, S. 119; Rhode, 2009, S. 104f.).
Dieses Wissen über Entwicklung und Reflexion von eigenen Gefühlen kann
in der Behandlung von sogenannten Frühstörungen mit ihren archaischen Ab-
wehrformen wie der projektiven Identifizierung sehr hilfreich sein. Die zentrale
Schlüsselfrage im Sinne von Bion ist für Diem-Wille (2009b, S. 71): Welche
Gefühle kann die Patientin oder der Patient durch diese Mitteilung in mir
hervorrufen wollen? Diese Frage steht im Widerspruch zum Nutzen für die Be-
obachterInnen, da sie nur das Bedürfnis ihnen gegenüber verankert und der oder
dem Beobachtenden, trotz der Beachtung der eigenen Gefühle, einen Status von
Objektivität zubilligt und sie oder ihn nicht als jemanden darstellt, der mit sei-
nen Gefühlen auch Realität erschafft. Aus Bions Sicht konstruiert nur der Patient
oder die Patientin die Realität.
DieErkenntnissederSäuglingsbeobachtungflossennunstetigindieSäuglings-
und Kinderpsychotherapie ein (Hirschmüller, 2015; Israel, 2015, S. 187–202;
Norman, 2015, S. 217–244; Watillon, 2015, S. 167–186).

3 Work Discussion

Martha Harris führte unter ihre Ägide das »Work-Discussion-Seminar« in der


Tavistock Clinic ein. Sie wollte eine Gruppe ermöglichen, in der über das eigene
Erleben im Kontext des beruflichen Handelns nachgedacht werden konnte (Har-
ris & Bick, 1987, S. 259–282; Steinhard & Reiter, 2008, S. 136; Harris & Bick,
2011). Die Work Discussion ist die »systematic discussion of experience of work
with small and stable groups of professional workers« (Rustin, 2008, S. 4). Mar-
tha Harris war es auch wichtig, unterschiedliche Berufsgruppen zu einer Gruppe
zusammenzubringen – mit dem gemeinsamen Nenner des psychoanalytischen
Denkens mit dessen Grundannahme eines Unbewussten, das sich in und um uns
befindet. Studierende brachten genaue Protokolle über ihre Arbeit als Diskussi-
onsgrundlagen in die Gruppe mit. Harris bestand darauf, dass in ihren Seminaren
keine Technik gelehrt wurde. Sie wollte damit nah am Material bleiben und sich

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3 Work Discussion

ganz den beschriebenen Situationen und den damit verbundenen Gedanken wid-
men.

»The aim of the seminar is to sharpen perceptions and to enhance the exercise of
imagination, so that a richer understanding of the personality interactions described
may ensue, on the basis of evidence of motivation springing from internal uncon-
scious« (Rustin, 2008, S. 5).

Unbewusste Motivationen fließen immer von den BeobachterInnen mit ein, und
somit gibt es keine reine Beobachtung.
»The work discussion model is the epitome of the application of psychoana-
lytic ideas«(Klauber, 2008, S. xix). Diese Darstellung scheint ein wenig hoch
gegriffen, aber in die Entwicklung der »Work Discussion« fließen kontinuierlich
mehrere Entwicklungsstränge aus der Psychoanalyse ein. Die Ideen waren auch
immer in der Zeit eingebettet und schließen sich einer kreativen Entwicklung seit
den 1920er Jahren an, als die Tavistock Clinic gegründet wurde. Vier große Den-
ker der Klinik waren Bion, Bick, Balint und Bowlby. In den 1960er Jahren wurden
auch vonseiten der Gesellschaft neue Erziehungs- und Unterrichtsmethoden ge-
fordert, was einen liberalen Boden für neue Entwicklungen ermöglichte.
Aus der Gruppenarbeit von W. R. Bion zur Auswahl von Offizieren für die
Armee kamen große Anregungen und auch die Idee der »Workgroup«. Bion
beschäftige sich mit den unterschiedlichen Gruppenprozessen und beschrieb
die Form einer Gruppe, die zu gemeinsamer Arbeit befähigt sei. Michael Ba-
lint inspirierte die Entwicklung der Work Discussion mit seinen Gruppen für
MedizinerInnen, die aus dem Gedächtnis einen Fall vorstellten, zu dem die
GruppenteilnehmerInnen ihre Ideen entwickelten. Sebastian Krämer, einer der
jüngeren Forscher in Tavistock, bettet Bion und Bowlby mit ihren Ideen in der
Tradition der Quäker ein. Diese hielten aus religiösen Gründen Gruppensitzun-
gen ab, die jeweils von demjenigen initiiert wurden, der gerade vom heiligen Geist
beseelt war: Die Quäkergruppe setzte sich im Kreis zusammen und wartete, bis
eines ihrer Mitglieder zu sprechen begann (Rustin, 2008).
Die Methode der Beobachtung wurde für die Work Discussion Group von
Esther Bick übernommen und kontinuierlich weiterentwickelt. Stand bei der In-
fant Observation noch das Theoriegebäude von Melanie Klein im Vordergrund,
so wurde bei der Work Discussion das Unbewusste in den InteraktantInnen und
in Systemen zum tragenden Leitgedanken. In der Work Discussion geht es um
die Frage nach dem eigenen Handeln im Arbeitsalltag und die damit verbunde-
nen unbewussten Dynamiken. Im Fokus standen nicht mehr die Säuglinge und

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

Kleinkinder oder die Organisationen, sondern die eigene Involviertheit in den


Arbeitsprozess. Die Protokolle sollten einen Anhaltspunkt liefern, um über Ar-
beitssituationen forschend nachdenken zu können, mit dem Schwerpunkt der
unbewussten Dynamik, die in der beschriebenen Szene vorherrscht und in deren
Mittelpunkt die das Protokoll verfassende Person steht.
Der Ablauf erfolgt in einem Dreierschritt, ähnlich der Infant Observation:

»1 »TeilnehmerInnen eines Work Discussion Seminars beobachten sich selbst und


ihre Arbeitssituation,
2 verfassen ein deskriptiv-narratives Protokoll über die abgelaufenen Interaktio-
nen und Arbeitsabläufe sowie die eigenen Handlungen und Gedanken und
3 bringen dieses Protokoll in das Seminar, in dem es gelesen und besprochen
wird« (Steinhardt & Reiter, 2009, S. 138).

Die Protokolle sind in der Ich-Form verfasst und beschreiben eine frei gewähl-
te Situation eines Arbeitsablaufes. Das Protokoll sollte so genau wie möglich
die Szene beschreiben und alle Beteiligten in deskriptiv-narrativer Form wieder-
geben. Die Protokolle werden vervielfältigt und allen GruppenteilnehmerInnen
ausgehändigt. Die Verfasserin oder der Verfasser des Protokolls liest es vor, und
die GruppenteilnehmerInnen fügen ihre Fantasien und Gefühle, die durch die
Geschichte ausgelöst wurden, hinzu. Für ein Protokoll steht üblicherweise eine
Gruppensitzung von 90 Minuten zur Verfügung.
Als Beispiel soll die Beschreibung einer Szene aus dem Spital dienen, von einer
Kinderkrankenschwester angefertigt. Die Jugendliche Juliette hatte eine schwie-
rige Operation vor sich und wollte mit der Schwester am Abend davor noch einen
Film ansehen:

»Juliette [jugendliche Patientin] got up and we went to the cupboard. I asked her,
what type of movies she liked. She shrugged in answer. So I randomly picked video
titles and suggested them to her for her selection. After a few suggestions, Juliette
asked me, what I wanted to watch. I told her, that as long as it was not scary, I would
watch it with her. We finally picked about five videos and returned to her room.
Juliette chose the Rugrats to watch, and I put that in. She took her prosthetic legs
off and scratched her right leg, where there was a dressing. I asked her, if she was
OK, and she said, she was fine. We watched about 20 minutes, and then Juliette
decided, it was boring, so I changed it to a video of the Chipmunks.
Juliette asked, if she could have some fruits squash instead of plain water. She
was having gut surgery, which required, that she was not to have food for 24 hours

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3 Work Discussion

and have clear fluids till 10.30 on the morning of surgery. So I double-checked with
the nurse in charge and got her a cup of orange squash. In the time it took me to do
that, she had decided, that this movie was also boring. So we changed the video to
Andre. We watched a few minutes of it, and the door buzzed …
I returned to Juliette, who had put her supra-pubic catheter on free drainage
as her normal routine. She was scratching her arms and abdomen. I asked, if she
was OK, and she said, she was a little itchy. I suggested, that it was time to take her
medication, but she preferred to take them a little later. So we watched the movie.
Then she began a conversation.

J(uliette): Is it going to hurt, what they’ll do tomorrow?


N(urse): I don’t know much about the surgery but since it’s on your abdomen, I
think it will hurt some. But I’m sure, you’ll get some pain relief.
J: What is morphine?
N: It is a pain relief medicine which we can give in your mouth or via a cannula, and
you can push a button, when you’re in pain and receive a dose. It’s called PCA,
which you control.
J: What about going after?
N: Do you mean when you pass stool?
J: Yes
N: Well, it’s going to be a while before you do that, but I don’t know.
J: But what do you think?
N: Well, I think, it shouldn’t hurt, because I don’t think they are going to touch
anything in that area. I think it’s only going to be your stomach they touch.
J: When can I eat?
N: I think, possibly the day after your surgery.
J: What! I would have been starved for two days. That’s not happening. I’ll eat. I
don’t care, what anyone says. (At this moment I thought I should back-track
and reassure her, since I was guessing.)
N: Well, they are going to handle your bowel, which is part of your gut, and this will
affect, when you can eat.
J: But this is about pooing, not eating.
N: Well, it’s all linked from your mouth right to your anus.
J: You know, that it is a mile long. A mile long, all in there. (She pointed to her
stomach.)
N: You are right about that. How come, the person who ›consented‹ you did not
speak to you about the procedure?
J: The doctor who came, was rude and nasty.

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

N: That’s not fair on you. Listen, I’ll say at handover that the surgeon needs to speak
to you before the procedure, so that you can ask your questions. And one of us
can be with you, if it helps.
J: OK

Juliette asked me to get her lucky pyjamas. I did, then asked her to take her med-
ication, as her scratching had become more frantic. She sat up and put about eight
tablets into her mouth at once, took a drink, and swallowed them all« (Bradley,
2008).

In der nachfolgenden Work Discussion war die Gruppe sehr betroffen, und es
wurde diskutiert, wo es in dieser Geschichte einen Platz für jugendliche Ängste
geben kann. Hier geht es um den Verlust von Gliedmaßen und die Unmöglich-
keit, ein sexuelles Leben aufzubauen, bis hin zu der Möglichkeit zu sterben.
Wenn wir die Geschichte von dem Aspekt aus betrachten, was die Kranken-
schwester dazu beigetragen hat, um diesen Raum von Intersubjektivität zu öffnen,
erschließen sich uns neue Aspekte.
Beim Auswählen eines Films schließt die Schwester Themen, die Angst be-
inhalten, aus. Die Patientin entscheidet sich für eine Filmserie aus Amerika, die
das Leben von Jugendlichen und deren Sorgen behandelt, wobei das Beziehungs-
leben im Vordergrund steht. Sie macht es sich bequem, legt ihre Beinprothesen
ab und entscheidet sich dann für einen Kinderfilm, in dem jugendliche Themen
von Ablösung und Sexualität keine Rolle spielen. Juliette schwankt zwischen den
Themen des Erwachsenwerdens und Kindseins wie eine Jugendliche, die sich in
ihrem Alter mit diesen Themen auseinandersetzen muss. Sie bittet die Schwes-
ter um einen Saft, obwohl man davon ausgehen kann, dass sie bereits öfter die
Erfahrung gemacht hat, vor Operationen keine Nahrung zu sich nehmen zu dür-
fen. Sie möchte gerne etwas Verbotenes von der Schwester, die wiederum fragen
muss und ebenfalls wie ein Kind erlebt wird. Die Schwester wird hier wie eine
»Schwester«, eine Gleichaltrige erlebt. Auch im Dialog wünscht sie sich die Ge-
danken der »Schwester« und keine technische Antwort.
Juliette fragt die Schwester, ob das, was der »rude and nasty« Mann morgen
mit ihr machen werde, schmerzhaft sei. Die Schwester meint, dass sie nicht viel
davon wisse, die Patientin aber etwas gegen die Schmerzen bekommen werde. Auf
die Frage, was danach passiert, kommt die Schwester sofort auf den Stuhlgang
(stool) zu sprechen und auf eine Überwindung (pass), die damit verbunden ist
und phonetisch sehr nahe zum birth stool steht. Juliette fühlt sich auch bei dieser
Frage verstanden.

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4 Beobachtungsprotokoll

Es wird noch eine Zeit lang dauern, bis sie das tun kann, aber sie habe keine
Ahnung, meint die Schwester. Hier beharrt aber Juliette auf der Meinung der
Schwester, die meint, er wird sie dort nicht berühren, sondern nur den Bauch.
Das Gespräch kommt nun auf das Essen und sie meint, sie würde nach zwei
Tagen ohne Nahrung verhungert oder ausgehungert sein. Bei ihren vielen schwe-
ren Erkrankungen und Operationen ist ihr diese Form von Nahrungskarenz sehr
vertraut. Wir können also davon ausgehen, dass es wiederum um eine versteck-
te Sprache mit der Schwester geht. Sie möchte gerne essen und auf niemanden
hören. Hier lässt die Schwester ihren Impuls zu, mit Juliette in Berührung zu ge-
hen. Als Juliette emotionaler reagiert, schreibt die Schwester einen persönlichen
Gedanken in das Protokoll, nämlich, sie würde gerne ihren Kommentar zurück-
nehmen. Die Schwester bekommt vor der Emotionalität der Patientin Angst. Sie
reagiert mit Schuldgefühlen und möchte es ungeschehen machen. Juliette be-
kommt eine Antwort über das Behandeln ihres Darmes und der Darmflora. Sie
beharrt darauf, dass es ihr um Essen, um Haben geht und nicht um »pooing«.
Sie will nicht über ihre Defäkation sprechen. Die Schwester reagiert mit der Aus-
sage, dass sowieso alles zusammenhänge, vom Mund bis zum Anus. Sie weicht
einer Konfrontation mit der Patientin aus und reagiert so wie die Patientin den
ÄrztInnen gegenüber und stellt keine Fragen. Sie ist eben die Patientin und leiht
ihr morgen die Stimme, um den Operateur mit Fragen zu konfrontieren.
Die gemeinsame Konstruktion der Wirklichkeit war von massiver Angst be-
stimmt, Angst vor der Sexualität, vor dem Empfinden und Leben als Frau. Beide
reagierten mit einer dissoziierten Haltung gegenüber der bedrohlichen Realität.
Beide lebten ein Nicht-leben-Lassen ihrer Gefühle. Es ist ein Dialog zwischen
zwei vermutlich jungen Frauen, die sich fest aneinanderklammern und keinen
Raum öffnen, um über etwas nachdenken zu können – eine sehr bedrückende
Szene, wenn man sich noch den durch eine Meningitis zerstörten Körper von Ju-
liette ins Gedächtnis ruft, mit dem es keine normale Sexualität geben kann. Das
Berührende in dieser Begegnung ist die gemeinsame Konstruktion von Angstver-
meidung gegenüber der Sexualität und der Zerstörung des Körpers, die am Ende
mit Tabletten bewältigt werden muss.

4 Beobachtungsprotokoll

Das Beobachtungsprotokoll wird danach verfasst und ist schon ein Erkenntnis-
gewinn, da eine Abstraktion durch das Kleiden in Worte und diese wiederum zu
Papier zu bringen schon eine Metaebene des Denkens voraussetzt. Bion schreibt

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

in Lernen durch Erfahrung: »Wenn das wahrgenommene Objekt nicht entschei-


dend durch den Akt der Wahrnehmung verzerrt und beschädigt werden soll, muß
das ›subjektive Erfassen‹ seinem Wesen offensichtlich Rechnung tragen« (Eri-
ka Krejci in Bion, 1992, S. 25). Wenn wir also das Objekt als unser Gegenüber
betrachten, so müssen wir immer unsere Subjektivität mitdenken, um es nicht zu
beschädigen. Wenn wir uns nicht mitdenken können als Verfasser der Beobach-
tung, die wir ja aus unserer Subjektivität des Geistes entwickeln, können wir uns
an keine Wahrheit im Sinne eines Verständnisses annähern. Krejci berichtet wei-
ter über Bion und liefert einen Vorschlag für dieses Problem:

»Bions Vorschlag, eine Notierung für die emotionalen Erfahrungen einer Sitzung
zu entwickeln, zeigt die Andersartigkeit seiner Blickrichtung. Das Protokoll ist Teil
des ganzen Erkenntnisprozesses. Es soll den Sachverhalt wiedergeben und Werk-
zeug sein, das heißt, Hilfe für das spekulative Nachdenken des Psychoanalytikers«
(Erika Krejci in Bion, 1992, S. 25, Hervorh. i. O. unterstrichen).

Der hermeneutische Diskurs beginnt beim Schreiben des Protokolls, indem es ein
Gegenüber gibt, dem die Geschichte dargebracht wird. Bei einer eher spontan ge-
schilderten Fallgeschichte wie in den Balint-Gruppen kommt der hermeneutische
Zirkel mit der Gruppe in Gang und beeinflusst im Hier und Jetzt die Erzählung.
Im Gegensatz zur Infant Observation wird der Fokus nicht auf die Entwicklung
des Babys gelegt, sondern auf Interaktionen der das Protokoll schreibenden Per-
son und auf die sie umgebenden Begegnungen. Ihre persönliche Involviertheit
liegt im Brennpunkt der Betrachtung (Hartland-Rowe, 2005, S. 95; Steinhardt &
Reiter, 2009, S. 140). Der oder die Beobachtende kann eben am besten über seine
oder ihre Gefühle berichten und damit der beschriebenen Szene Leben einhau-
chen oder sie von einer konstruktivistischen Sichtweise auf eine mentalisierende
Denkebene heben (Fonagy et al., 2004, S. 258f.; Devereux, 1973).

5 Work Discussion in der Gruppe

Im Seminar wird das zu besprechende Protokoll in kopierter Form ausgeteilt


und der Verfasser oder die Verfasserin liest es nun vor, während die anderen Mit-
glieder mitlesen bzw. es auf sich einwirken lassen. Ein anderes Gruppenmitglied
schreibt zu der in der Gruppe stattfindenden Diskussion ebenfalls ein Protokoll.
In der Gruppe äußert dann im Sinne einer Balint-Gruppe jeder oder jede seinen
oder ihren Gedanken zum vorgelesenen Protokoll (Balint, 1957). Um das Unbe-

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5 Work Discussion in der Gruppe

wusste in dem dargebrachten Material zu erforschen, wird der Schwerpunkt der


Betrachtung auf Phänomenen wie Übertragung und Gegenübertragung gelegt
(Peters, 1977, S. 54). Das Erkennen der inneren und der äußeren Welt soll in
der Diskussionsrunde geschärft werden. Die inneren Bilder, Gefühle, Stimmun-
gen und Wahrnehmungen sollen geäußert werden. Es stehen zwei Denkzugänge
zur Verfügung: Zunächst sollen die Teilnehmenden die gesamte Geschichte auf
sich wirken lassen und ihre Gefühle dazu äußern, um sich im nächsten Schritt
Zeile für Zeile durch das Protokoll zu arbeiten. Es ist in diesem Arbeitsschritt
wichtig, »eng am Papier« zu arbeiten (Datler, 2003, S. 250). Alle Äußerungen
der GruppenteilnehmerInnen werden wiederum von dem Leiter oder der Leite-
rin zusammengefasst und in einer Metabetrachtung für den Verstehensprozess
fruchtbar gemacht. Die Reaktionen der Gruppe werden in dem Verstehensprozess
wiederum mit der Fragestellung bedacht: Was haben die Gefühle, Stimmungen,
Äußerungen in der Gruppe mit der geschilderten Geschichte zu tun? Hier wie-
derum geht es nicht nur um die Aussagen der einzelnen Mitglieder in der Gruppe,
sondern auch um die Dynamik in der Gruppe, die Neid, Einfühlsamkeit usw.
zum Ausdruck bringen kann. Die Container-Funktion im Bion’schen Sinne hat
die Bedeutung, dass die Gruppenmitglieder ihre Gefühle so unzensiert wie mög-
lich äußern und diese wiederum zum Verstehensprozess beitragen können. So
wie jeder oder jede in der Gruppe TeilnehmerIn und damit GestalterIn des Pro-
zesses ist, so ist auch jeder oder jede in seiner oder ihrer Arbeit GestalterIn und
BeeinflusserIn des Geschehens. Anhand der Gruppe, deren Mitglieder auch als
Probehandelnde in einer Laborfunktion betrachtet werden können, erhalten die
GruppenteilnehmerInnen die Möglichkeit, nun Schmiede ihres Schicksals zu
werden. Diese gemeinsam gewonnenen Erkenntnisse zwischen intellektueller Er-
arbeitung und affektivem Erleben führen zu einem Zuwachs an Empathie (Lazar,
2000, S. 408). Der Zuwachs an Handlungsgewinn ist an den Schmerz der Invol-
viertheit und somit an die eigene Verantwortung in einer Begegnung gebunden.
Im Sinne von Melanie Klein ist Entwicklung an die Fähigkeit geknüpft, über die
eigene Endlichkeit trauern zu können und somit die depressive Position zu errei-
chen. Die Gruppenleiterin oder der Gruppenleiter erarbeitet und entwickelt die
innere Haltung der Gruppe weiter, die sich in Richtung der Fähigkeit entwickelt,
sich der eigenen Fehlbarkeit immer bewusster zu werden. Marta Harris nannte
diese Haltung die »Entwicklung negativer Kapazität« (Lazar, 1986, S. 207). Die
Gruppe bietet die Möglichkeit, Gefühle, die in Bezug auf das dargebotene Mate-
rial und in Bezug auf die GruppenteilnehmerInnen aufkommen, nun in Worte zu
fassen, sie somit der Handlungsebene zu entreißen, um darüber zu einer inneren
Freiheit zu gelangen. Indem die eigene Involviertheit und die damit verbunde-

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

nen Gefühle dem Bewusstsein zugänglich sind, haben die Teilnehmenden nun
die Entscheidungsmöglichkeit zur Verfügung, sich die Gefühle zu erdenken, und
müssen sie nicht im Sinne eines Enactments handeln. Marta Harris fasste es fol-
gendermaßen zusammen: »To become more reflective than reactive« (Martha
Harris, 1977, zit. n. Steinhardt & Reiter, 2009, S. 143).
Bion hat diese Form der Entwicklung als Lernen durch Erfahrung bezeichnet.
Das Work-Discussion-Seminar sollte durch das Bewusstwerden von unbewuss-
ten Arbeitsabläufen unter Verwendung der eigenen Gefühle und der Äußerungen
der Gruppe einen affektiven Erkenntnisgewinn ermöglichen.
Im Folgenden sollen Protokollausschnitte noch einmal die unterschiedlichen
Reflexionsformen darstellen. Der Fokus liegt dabei auf der Reaktion der Gruppe
und dem möglichen Verstehen der beschriebenen Situation.
Ein Lehrer berichtet von einer Lernstunde, in der mehrere Jugendliche aus
unterschiedlichen Klassen eine Möglichkeit vorfinden zu lernen oder ihre Haus-
aufgaben zu machen. Die ausgewählten Abschnitte thematisieren das schwierige
Thema der kindlich-jugendlichen Sexualität in der Schule.

»In der Klasse angekommen, herrscht ziemliches Chaos. Die Jugendlichen tollen
herum. Im Mittelpunkt steht Ines, ein Mädchen, das übertrieben geschminkt ist
und einen extrem kurzen Rock und ein knappes T-Shirt trägt. Sie quietscht und
schreit lachend herum. Sie scheint es reichlich zu genießen, von den Burschen um-
worben zu werden. Jedoch sieht dies so aus, dass die Burschen sie belästigen, indem
sie sie begrapschen, und sie läuft dann ihnen hinterher und schlägt zurück. Ich gehe
zu ihr und bitte sie, ihren Platz aufzusuchen. Ich erkläre ihr, dass sie ja wisse, was
passiert, wenn sie nicht deutlich sagt, dass sie das nicht will. Ich könne ihr nur hel-
fen, wenn sie sich vom Verhalten der Burschen klar abgrenzt. Doch sie hört nicht
auf mich und tollt weiter herum […] Während ich noch bei der Tür stehe, läuft Ines
aus der Klasse, verfolgt von zwei Burschen, die ihr den Rock hinunterziehen wollen.
Beim Vorbeilaufen ruft sie mir zu, wann wir in den EDV-Raum gehen. Wenn sie
sich nicht sofort an die Arbeit machten, würde es Konsequenzen geben, lautet mein
verbaler Verzweiflungsakt. Ines meint bissig, ob ich in den Osterferien ausgetauscht
worden wäre und dass ich heute anders sei. Ich verstehe die Welt nicht mehr und
sage zu ihr, dass es wohl umgekehrt der Fall sei. So ein Chaos wie heute hätte es seit
Schulbeginn nicht mehr gegeben, meine ich zu ihr« (Steinhardt & Reiter, 2009,
S. 145f.).

Die Seminargruppe spricht viel von der Überforderung in dieser Situation an


und von der Problematik der vonseiten der Institution vorgegebenen Struktur.

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5 Work Discussion in der Gruppe

Erst bei genauerer Durchsicht des Protokolls beschäftigt sich die Gruppe mit
der Szene um Ines: »Als die Seminargruppe nun zu jener Stelle im Protokoll
kommt, in der es um das Verhalten von Ines geht, wird die Diskussion lebhaft.«
Hier lässt sich erkennen, wie die Gruppe sich um das emotionalste Thema des
Protokolls herumdrückt und somit auch um die Sexualität und das Begehren in
der Seminargruppe. Erst bei genauerem Durchgehen kommt es bei diesen Zeilen
zu einer affektiv aufgeladenen Stimmung in der Gruppe. Der Verfasser des Pro-
tokolls wird im Gruppenprotokoll in einer distanzierten Form in der Reflexion
vorgestellt:

»Für Herrn A. stellt sich die Situation so dar, dass Ines aufgrund ihrer aufreizenden
Kleidung von ihren männlichen Mitschülern belästigt wird, sie das jedoch nicht
wahrhaben will und es auch nicht schafft, sich dagegen zu wehren. Außerdem sei sie
nicht bereit, sich von Lehrern helfen zu lassen. Auch andere Lehrer an der Schule
wollten ihr schon helfen und hätten ihr erklärt, dass sie sich vor solchen Übergrif-
fen nur schützen könne, wenn sie sich anders kleide und sie sich von Erwachsenen
Unterstützung hole. Manche SeminarteilnehmerInnen stellten infrage, ob Ines das
Verhalten der Burschen als sexuell übergriffig erlebt oder sie genau das erreichen
will: Von jenen als erotisch und sexuell attraktiv wahrgenommen zu werden. Dies
erreicht sie über die Art der Kleidung, die auf die Burschen provozierend, für Lehrer
hingegen provokant wirkt. Ines scheint sich nicht in einer übergriffigen Situati-
on zu erleben, sondern vielmehr dieses sexuell gefärbte ›Spiel‹ mit den Burschen
zu genießen. Es entwickelt sich im Seminar ein intensives Gespräch darüber, wie
im schulischen Alltag offen zutage tretende sexuelle Neugierde von Schülern und
Schülerinnen von Lehrerinnen und Lehrern erlebt wird und wie schwer es für Er-
wachsene auszuhalten ist, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Erotik zeigen.
Hier ist nun die Situation besonders schwierig, da es für Lehrer an der Schule kaum
zu ertragen ist, in welcher provozierenden Form die Schüler ihre Erotik zur Schau
stellen. Nicht das Mädchen nimmt sich als bedrängt wahr und sucht daher Hilfe,
sondern Herr A. und auch andere Lehrer an der Schule erleben sich als hilflos und
suchen unbewusst Rat, wie sie mit Sexualität und Erotik von Schülerinnen und
Schülern, mit denen sie im Schulalltag konfrontiert werden, angemessen umgehen
können« (Steinhardt & Reiter, 2009, S. 145f.).

Herr A. wird in der Fallgeschichte als engagierter Lehrer dargestellt. Es entwi-


ckeln sich zwei narrative Stränge, wobei ein Junge namens Markus und Ines im
Vordergrund stehen. Bis auf zwei Mädchen in kurzen Sequenzen sind die ande-
ren »gesichtslos«. Für Markus erlebt sich Herr A. sehr präsent, ihn auch zur

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

Begegnung mit ihm auffordernd, wobei Markus in dieser Geschichte später mit
Aggression reagiert und sich zurückgewiesen fühlt. Ines läuft ebenfalls zum Leh-
rer A. auf den Gang, um ihm die Verfolgungsszene zu zeigen. Inwieweit die
Verführung ihm gilt, der Wunsch bestehen könnte, dass er Ines nachlaufen solle,
kann nicht erdacht werden. Die Gruppe bleibt mit ihren Reaktionen sehr auf
einer konkretistischen Ebene, auf der die Lösung des Themas der Sexualität in
der Kleidung und im Bändigen der Jungen liegt. Ines bringt die Beziehung zum
und Verführung des Lehrers in die Thematik des Erwachsenwerdens hinein. Ver-
führung, bei der auch sexuelles Begehren als Momentum zum Tragen kommt,
muss in der Schule von den Lehrpersonen abgespalten werden. Alle in der Grup-
pe wirken überrascht, dass sie die Schüler zur Mitarbeit »verführen« sollten,
aber wenn die Schüler mit Verführung im erotischen Sinne reagieren, wirken al-
le sehr mit Angst behaftet. Der gemeinsame Konsens zur weiblichen Sexualität
liegt in der Feststellung, dass sie provokant sei und nur für »unreife« Männer
provozierend. Um sich diesen Fragen in der Gruppe zu stellen und eine Hilfeleis-
tung für LehrerInnen anzubieten, muss die Reaktion des Gruppenleiters oder der
Gruppenleiterin auf die Verführung in der Seminargruppe und auf das Begehren
untereinander thematisiert werden. Darf ich den anderen verführen und inwie-
weit spielt Erotik darin eine Rolle? Die Angemessenheit des Umgangs in der Schule
erschließt sich im affektiven Erleben in der Seminargruppe, indem man hingeht.
Der Gruppe fiel es leichter, wieder auf das Thema der Aggression zu kommen
und auf die schwierigen Strukturbedingungen des Schulalltages (Steinhardt &
Reiter, 2009, S. 149). Sich als VerführerIn mitzudenken und damit einen Teil des
Raums für Jugendliche darzustellen, ist mit großer Angst verbunden. Das Sexu-
elle lässt sich erst erkennen, indem die LehrerInnen es als Sexuelles erkennen und
in Worte fassen. Eine reife Sexualität ist an Beziehung gebunden, die vorrangig in
einer Lehr-Lernbeziehung vorherrscht. Wenn SchülerInnen das Offensichtliche
thematisieren, nämlich, dass sich in jeder Beziehung auch Sexualität entwickelt,
erzeugt das große Angst. Alles bleibt in einer konkretistischen Form, in der nur
mehr Handlung als Lösung übrig bleibt und auch weiterhin ein Bruch zum realen
sexuellen Handeln besteht. Die Reaktion, alles mit Angst zu überdecken, fördert
die sexuelle Handlung, ohne dass die psychische Reife an die körperliche Reife
heranreicht.
Die Work Discussion stellt eine Reflexionsmöglichkeit dar, die sich in der
Tradition der psychoanalytischen Supervision befindet. Die Beschreibung wird
nicht dynamisch in einer Erzählung oder in einer eingefrorenen Situation ein-
gebracht, die der Schreiber oder die Schreiberin in einem Moment und der
damaligen Stimmungslage festgehalten hat. Oft ist diese Person auch beim Vor-

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6 Organisationsbeobachtung

lesen des Protokolls überrascht darüber, wenn sie dem Publikum vorliest, was sie
damals aussagen wollte. Nun beginnt sich in der Gruppe der hermeneutische Zir-
kel zu entwickeln, ausgehend von einem gezeichneten Bild, auf das ich immer
wieder zurückkommen kann, indem ich in das Protokoll sehe. Bei jedem Mal
Lesen eröffnet sich wieder ein neues Sehen, da ich ja immer wieder mit einem
anderen Wissen und einer weiteren Erkenntnis darauf blicke. Dies scheint der
grundlegende Unterschied zu einer klassischen Form von Supervision zu sein, bei
der sich Fallbeschreibungen dynamisch entwickeln und kein Rückblick möglich
ist, da man nie zweimal durch denselben Fluss gehen kann: Pánta chorei kaì ou-
dèn ménei (Gadamer, 1990).
Sehr bald kam es zu einer Erweiterung der Beobachtungsanwendungen. Es
wurden nun die verschiedensten Altersstufen mit dieser Methode beobachtet,
Kinder in Krippen, Kleinkinder und Schulkinder (Turner, Ingrisch, 2008; Zabi-
ni, 2009; Datler, 2003; Trunkenpolz et al., 2009).

6 Organisationsbeobachtung

Die Beobachtungsmethode wird nun auch in anderen Feldern als der Kinder-
beobachtung angewendet, unter Organisationsbeobachtung subsumiert und in
verschiedenen Strömungen weiterentwickelt (Lazar, 2009, S. 202; Obholzer,
2009, S. 213; Hinshelwood & Skogstadt, 2006; Rustin, 2008; Trunkenpolz et al.,
2009).
Anton Obholzer hatte an der Tavistock Clinic eine leitende Funktion inne
und hörte immer wieder die Klagen der jungen KollegInnen über die Problematik
des Arbeitsumfeldes. Diese Arbeitsbelastung veranlasste ihn, die Situation genau-
er zu betrachten und sich dem Unbewussten der Institution anzunähern. Mit Isca
Wittenberg und anderen entwickelte er in einem längeren Prozess in den 1980er
Jahren eine Form von Organisationsbeobachtung, basierend auf der Beobach-
tungstechnik der Infant Observation. Der Fokus wechselte vom Innenleben eines
Säuglings auf die Außenwelt einer Arbeitsstation. Robert D. Hinshelwood ent-
wickelt in dieser Atmosphäre des Aufbrechens der Institutionen ebenfalls einen
Zweig zur Erfassung der psychosozialen Dynamik mit speziellem Augenmerk auf
Einrichtungen im Gesundheitswesen. Er legte den Schwerpunkt mehr auf die
Beschreibung der Phänomene vom Unbewussten in Organisationen und die da-
durch entstehenden Belastungen, wählte eine andere Sprache der Erklärung und
sah sich stärker in der Forschungstradition von Menzies eingebettet (Hinshel-
wood & Skogstadt, 2006, S. 29–45; Menzies, 1974, S. 183–216). Ross A. Lazar

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

brachte die Beobachtungsmethode nach München (1979) und später nach Kla-
genfurt, um sie dort für die Erschließung von Phänomenen des Unbewussten in
Organisationen anzuwenden. Die Schwierigkeit in der Beobachtung einer Orga-
nisation, die sich zur Verfügung stellt, ist die Reduktion der Beobachtung und
somit der Reize, die auf die BeobachterInnen einströmen. Es gibt in einer Insti-
tution viel zu sehen und zu entdecken. Einen kleinen Ausschnitt zu wählen und
diesen zu beobachten, erfordert einen Perspektivwechsel im Verstehen einer Or-
ganisation (Obholzer, 2009, S. 216; Datler & Trunkenpolz, 2009, S. 244). Die
Lernziele werden von Lazar wie folgt zusammengefasst:

»1 Als Organisationsbeobachter erlebt man eine Organisation bzw. Institution


von innen in ihrem Alltag, ohne in ein definiertes Rollengefüge eingebunden zu
sein und ohne Zielvorstellungen, Aufgabenpflichten oder sonstigen Einschrän-
kungen zu unterliegen.
2 Auf diese Weise hat man Gelegenheit, das Erleben der Mitglieder der Organi-
sation wahrzunehmen.
3 Man kann eine Organisation auf der nonverbalen, unbewussten Ebene studie-
ren, wobei es hier weniger um das Unbewusste der einzelnen Mitglieder geht
als um die kollektive Gruppenkultur, die Mythen und ungeschriebenen Geset-
ze des Umgangs miteinander.
4 Auch die Geschichte der Organisation kann ein Stück verfolgt und nachvoll-
zogen werden.
5 Ähnlich wie in der Familie eines Babys kann der Organisationsbeobachter emo-
tionelle Muster im Geflecht der sich entwickelnden – sowohl formellen wie
auch informellen – Beziehungen in der beobachteten Organisation studieren«
(Lazar, 2009, S. 211).

Als Beispiel einer Organisationsbeobachtung soll im Folgenden ein kurzer Proto-


kollausschnitt der Erstbegegnung mit der Bitte um eine Beobachtungsmöglich-
keit wiedergegeben werden:

»Ich werde immer wieder aufgefordert, genau zu sagen, was ich wissen wolle,
denn ›es sei gut, eine Struktur zu haben … dann könne man genauer Antwort ge-
ben‹ […]. Und wenn ich die Organisation kennen lernen wolle, wäre es überhaupt
gut, einige konkrete Perspektiven zu haben. Ich sage, mein Zugang sei ein bisschen
anders, ich gehe da nicht so strukturiert heran, worauf Herr W. meinte: ›also chao-
tisch!?‹ […] Zum Schluss des Gesprächs (das immerhin 1 1/4 Stunden dauerte)
sagte Herr B., ich solle ihm bis Ende Jänner noch eine Mail schreiben, was ich al-

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7 Infant Observation in der Forschung

les wissen möchte. Beide Herren würden dann die richtigen Gesprächspartner für
mich finden.«

Die Beobachtung konnte in diesem Betrieb nicht durchgeführt werden. Eine


Überlegung aus intersubjektiver Sicht ist nun, inwieweit die BeobachterIn nicht
genau wusste, wie ihre Haltung in der Bobachtungssituation sein solle, und ih-
re Gefühle von innerem Chaos auf die Angst der Firma trafen. Die Antworten
wirken, als würde die BeobachterIn herumlavieren, »mein Zugang sei ein biss-
chen anders, ich gehe da nicht so strukturiert heran«. Die Grenzen beginnen,
sich aufzulösen und der Gesprächspartner versucht es mit einer Deutung »also
chaotisch!?«. Die BeobachterIn trägt keine Sprache in sich, um ihre Rolle zu de-
finieren, um ihrem Gegenüber ein Aushalten zu ermöglichen. Der Sinn erschließt
sich weder für Herrn W. noch für Herrn B. Sie sehen sich nicht als geeignete
Gesprächspartner, da sie den Wunsch der BeobachterIn nicht verstehen. Die Be-
obachterIn versucht es dann bei der Polizei und beim Militär. Beide Institutionen
verkörpern als Haltung eine strenge Struktur. Inwiefern die BeobachterIn in der
Begegnung einen Raum von gemeinsamer Unsicherheit konstruierte, lässt sich
nur sehr spekulativ beantworten. Angst wird in dieser Dreierszene durch den
Wunsch nach Struktur bewältigt, die jeder vom anderen erwartet, um in seiner
Angst containt zu werden.

7 Infant Observation in der Forschung

An der Universität Wien kommt der Methode der psychoanalytisch orientierten


Beobachtung, beruhend auf der Methode von Esther Bick, ein hoher Stellenwert
zu. Unter der Leitung von Anton Amann, Elisabeth Seidl und Wilfried Datler
kam es zu dem Forschungsprojekt »Lebensqualität im Pflegeheim« (Trunken-
polz et al., 2009, S. 330f.; Trunkenpolz, 2008).
Hier wurde die Tradition der psychoanalytischen Beobachtung wieder auf-
gegriffen und den speziellen Bedürfnissen der Beobachtungssituationen ent-
sprechend modifiziert. Die Technik der Säuglingsbeobachtung eignet sich für
Beobachtungen außerhalb des therapeutischen Settings und kann somit sehr
gut als Forschungsmethode verwendet werden (Poscheschnik, 2005). Unter der
Londoner Gruppe um Margret und Michael Rustin entstand 1995 eine For-
scherInnengruppe, die 1997 die wissenschaftliche Zeitschrift Infant Observation.
The International Journal of Infant Observation and its Applications gründete
(Trunkenpolz et al., 2009, S. 334f.). Die Gruppe um Datler begann am Institut

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

für Bildungswissenschaften der Universität Wien Forschungsmethoden zu kre-


ieren und gliederte diese schließlich in drei Abschnitte (Datler, 2009).
Der erste Abschnitt war der Präzisierung des Forschungsvorhabens gewidmet
und stellte die Überlegungen von der Erforschung des bewussten und unbewuss-
ten Zusammenspiels bzw. die Beziehungs- und Interaktionserfahrungen eines
Menschen und die Einflussnähe auf seine Innenwelt in den Mittelpunkt. Die Be-
obachtungen sollten in einem naturalistischen Setting stattfinden und über einen
länger definierten Zeitraum erfolgen. Welche Vorerfahrungen brauchen die Be-
obachterInnen, um diese im Forschungssinne durchführen zu können?
Der zweite Abschnitt ist der Durchführung der Beobachtung und der ersten
Reflexion in einer klassischen Kleingruppe nach dem Tavistock-Modell gewid-
met. Hier wird die vertraute Aus- und Weiterbildungsstruktur von Esther Bick
angewendet. Da es sich aber um ein Forschungsvorhaben handelt, werden die
BobachterInnen nicht als Lernende gesehen, sondern sollten bereits Eigenschaf-
ten wie »mental strukturiert« mitbringen (Trunkenpolz et al., 2009, S. 337).
Die BeobachterInnen sollten sich reflektiv und als das Forschungsinstrument
mentalisierend betrachten können. Sie sollten komplexe Situationen erfassen, ab-
speichern und dann wiederum transkribieren können. Diese Protokolle werden
dann in der Kleingruppe analysiert und mit Bedeutungszuschreibungen versehen.
Dabei stellen die Reaktionen der Gruppe einen zentralen Bestandteil im Verste-
hensprozess dar (Skogstadt, 2004). Hier wird nun ein neuer Arbeitsschritt für die
BeobachterInnen eingeführt. Diese sollen nun die Protokolle und Besprechungs-
notizen aus der Gruppe nochmals sichten und einen thematischen Schwerpunkt
herausarbeiten, der im Sinne der Forschungsfrage ist.
Im dritten Abschnitt wird das Material wiederum einer Analyse in einer neu
zusammengesetzten Gruppe unterzogen. Hier wird versucht, Antworten auf die
zentrale Forschungsfrage zu finden (Trunkenpolz et al., 2009, S. 336f.).
Das Forschungsprojekt wurde interdisziplinär angelegt, und es kam zu einer
Kooperation von BildungswissenschaftlerInnen, SoziologInnen und Pflegewis-
senschaftlerInnen. Sie hatten die Aufgabe, ein Konzept zur Erforschung der
Aussagefähigkeit zur Lebensqualität von Menschen mit Demenz in Pflegehei-
men zu erstellen. Auf einer Metaebene sollten Methoden entwickelt und evaluiert
werden, die unter Berücksichtigung der »Subjektivitätsperspektive« den Alltag
der Menschen erfassen konnten. Wie erleben die BewohnerInnen den Alltag in
einem Heim, welche Bedeutung haben Beziehungserfahrungen mit Angehörigen
und Pflegepersonal, und welchen Einfluss haben Organisationsstrukturen und
die darin handelnden Pflegepersonen? In zwei Heimen wurden Einzelbeobach-
tungen und Organisationsbeobachtungen im Eingangs-, im Aufenthaltsbereich

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7 Infant Observation in der Forschung

und im Schwesternstützpunkt durchgeführt. Mit dem Pflegepersonal wurden


leitfadengestützte Interviews geführt (ebd., 2009, S. 339).
Die AutorInnen legen in dem Artikel ihren Schwerpunkt auf die Diskrepanz
von sexuellem Begehren einer Heimbewohnerin, ihrer demenziellen Erkrankung
und der Verleugnung vonseiten der Institution. Es werden die Protokolle von der
Beobachterin Bog dargestellt. Hier soll noch einmal der Schwerpunkt auf das
Verstehen der Szene über die eigenen Gefühle gelegt werden:

Protokollausschnitt (2):

»Herr Hartz kommt auf mich zu. Er stellt sich sehr knapp vor mich hin und blickt
mir in mein Dekolletee. […] Er bleibt einige Zeit lang ganz still vor mir stehen und
sieht mich an. Mir ist der Abstand zwischen uns beiden zu klein, und ich gehe einen
Schritt zurück.«

Ein weiterer Protokollausschnitt (3):

»Er öffnet die Tür und lässt sie auch für mich offen. Herr Hartz geht zu seinem Bett
und streicht über das frische Leintuch. Ich bleibe im Vorraumbereich stehen und
schaue ihm zu. […] Kurz vor mir bleibt er stehen und streicht mir mit seiner rech-
ten Hand über das Kinn. Er fährt einige Male darüber und hat dabei sein herziges
Lächeln auf den Lippen. Ich fühle mich zwar nicht wohl, aber lasse es geschehen.
Ich denke die ganze Zeit darüber nach, warum er das macht.«

Die Forschungsgruppe hat diese Protokollausschnitte mit der Überschrift »Se-


xualität in der Begegnung mit der Beobachterin« bedacht. Frau Bog beschreibt
ihr Gefühl von zu viel Nähe, als sie Herrn Hartz dabei erlebt, wie er ihr in das
Dekolletee blickt. Vermutlich hat sie eine Vorstellung von dem Begehren ihrer
Brüste, das sie in dieser Situation als unangenehm erlebt. Bei der Berührung ihres
Gesichts scheint sie sich in den Gedanken zu flüchten »Warum macht er das?«,
und sie hat eine Vorstellung davon, wie sie diese Situation aushalten kann. Ver-
mutlich hat sie erstarrt dagestanden und es über sich ergehen lassen.

Es folgt ein weiterer Protokollausschnitt (4a):

»Sie [Krankenschwester] legt ihre Hände auf seine Schultern, und er umfasst mit
seinen Händen ihre Hüften. Sie nimmt ihre Hände von seinen Schultern und legt
sie auf die seinen. Da fragt Schwester Elfriede Herrn Hartz, ob sie nicht ein Busserl

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

haben könnte, und er gibt ihr eines auf die Wange. Zwei Schwestern, die daneben
stehen, lachen und klatschen.«

Die Interpretation der ForscherInnengruppe geht in die Richtung einer Demüti-


gung durch das Lachen der Schwestern. Als Beweis führt sie nun diesen Abschnitt
an:

Protokollausschnitt (4b):

»Plötzlich reißt Herr Hartz seine Arme in die Höhe und schreit sehr laut: ›Heast,
loss mi in Ruh! Bist deppat? Sakre du!‹ Die Schwestern lachen und gehen zum
Schwesternstützpunkt.«

Aus einer intersubjektiven Perspektive wäre dies der Satz, den die Beobachterin
sagen müsste. Ein gemeinsam konstruiertes Geschehen von Realität hat stattgefun-
den. Er ist nun die Beobachterin, die sich gegen die Wünsche des Patienten wehrt.
Eine Spannung liegt in den Protokollen dort, wo die Beobachterin beschreibt, wie
sie sich streicheln oder sich ins Dekolletee blicken lässt und dies alles stoisch aus-
hält. Die Beobachtung als Begegnung zwischen den beiden Personen enthält viel
Zärtlichkeit und ruft schlussendlich ein Begehren hervor. Die beschriebene Szene
mit den Schwestern, die in keiner intimen Atmosphäre stattfindet, trägt nicht in
dem Maße eine erotische Spannung in sich wie die beiden Szenen mit der Beob-
achterin. Das Begehren und die Verführung werden gemeinsam konstruiert. Sie
schreibt dem Patienten ein »herziges Lächeln« zu und entzieht damit dieser For-
mulierung jegliche sexuelle Konnotation der Begegnung, so, als wäre ihre Brust
keinem sexuellen Begehren ausgesetzt, sondern nur dazu da, Milch zu geben.
Zum Abschluss schreiben die ForscherInnen noch, wie wichtig es ist, sich »in
das Feld der dynamischen Auseinandersetzung zu begeben« (Trunkenpolz et al.,
2009, S. 347). Auseinandersetzung bedeutet eben auch, sich als Beteiligte in der
Begegnung mitdenken zu können und in dem obigen Beispiel die eigenen Wün-
sche nach Sexualität und die damit verbundenen Ängste mitzudenken. Im Sinne
von Gadamers Hermeneutik ist es auch wichtig, den Prozess in der Forschungs-
gruppe anzusehen. Was bedeutet es zum Beispiel für einen älteren Forscher, wenn
ein alter Mann sexuelle bzw. intime Wünsche an eine junge Frau hat? Diese Situa-
tion löst ja auch etwas im Forscher aus und konstruiert wiederum die Deutung
des Materials in der Gruppe (Scharff & Scharff, 2000; Scharff, 2014). Auch als
Schreiber dieser Zeilen sind die eigene Perspektive, Haltung und Sexualität mit-
zudenken, um sich einen Raum des Verstehens zu öffnen.

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8 Infant Observation auf der Neonatologie

8 Infant Observation auf der Neonatologie

Agathe Israel beschreibt die Anwendung der Infant Observation bei Frühgebo-
renen, die sich auf einer neonatologischen Intensivstation befinden. Sie sieht
den Beobachtenden als jemanden, der einen inneren Raum in sich schafft, in
dem das psychische Erleben dieser Kinder einen Platz findet, wodurch er ihnen
ein Selbst zuschreibt (Israel & Reißmann, 2008, S. 9). Da bereits jedes zehnte
Kind zu früh auf die Welt kommt, bedarf es einer genaueren Erforschung der
psychischen Entwicklung in diesem »psychosomatischen Grenzland am Ran-
de des Lebens«, wie Agathe Israel hervorhebt (ebd., S. 10). Beide AutorInnen
öffnen ein neues Gebiet zum Verständnis der psychischen Entwicklung des Men-
schen. Ihre zentrale Frage lautet, wie man sich der Erfahrungswelt frühgeborener
Kinder annähern kann. Als Zugangsansatz wählten sie die teilnehmende Säug-
lingsbeobachtung (ebd., S. 17). Die Art und Weise der Teilnahme wird nicht näher
ausgeführt und widerspricht der Anordnung, sich nicht einzumischen. Um ihr
Verstehen in Worte zu kleiden, werden sie von den Ideen der kleinianischen Schu-
le, aus der auch Esther Bick kommt, geleitet. Das Containment-Konzept von Bion
steht im Vordergrund, um die Entwicklung des Selbst zu erklären. Sie betrachten
die Zustände der Frühgeborenen als desintegriert, von rohen Seinszuständen be-
herrscht, und gehen davon aus, dass diese Zustände projiziert, introjiziert werden
und sich über den Mechanismus der projektiven Identifizierung im Containment
abspielen (ebd., S. 16).
Einmal in der Woche kommt die Beobachterin auf die Station, widmet sich
einer Szene und mischt sich in keiner Weise ein. Danach wird aus dem Wahrge-
nommenen ein Gedächtnisprotokoll angefertigt und in einer Gruppe besprochen.
Um zu verstehen, wie Theorie im Erdenken von Situationen leitet, betrach-
ten wir ein Protokoll aus dem Buch.

»Ablehnung und Mangelgeburt


Eine Mutter, bekleidet mit Basecap und forscher Sportjacke, sitzt im Lehnstuhl.
Den neugeborenen Sohn hält sie mit etwas Körperabstand auf dem Arm. Wortlos,
mit ernster Miene schaut sie das Kind an, und das Kind schaut sie an. Seine Augen
suchen regelrecht das Gesicht der Mutter ab, es ist unglaublich wach, obwohl es
erst gestern zur Welt kam. Sein Köpfchen wirkt durch einige Kratzer und Druck-
stellen und Verschrammungen wie geschlagen. Der ganze Kerl wirkt überhaupt
jämmerlich, und die Beziehung zwischen den beiden, die von Seiten der Mutter
so offensichtlich distanziert ist, wirkt auch jämmerlich. Ich bleibe eine Weile bei
ihnen stehen, stelle mich vor. Die Mutter lächelt flüchtig, sagt aber kein Wort.

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

Sie wirkt wie abgeschottet. Später erfahre ich, dass das Baby zwar termingerecht
geboren wurde, aber mit 1.800 Gramm sehr untergewichtig ist. Seine Mutter hat
bereits drei erwachsene Kinder. Vermutlich handelt es sich um einen unerwünsch-
ten Nachzügler. Die Mutter rauchte während der Schwangerschaft mindestens 20
Zigaretten täglich, was höchstwahrscheinlich zu einer Plazenta-Insuffizienz (eine
Funktionsstörung) führte. Das Kind sei im Bauch halb verhungert. Auch nach der
Geburt scheint die mütterliche Zuwendung nur mangelhaft zu sein. Als die Mutter
gegangen ist, holt die Schwester das Baby, um es mit der Flasche zu füttern. Sie hält
es im Arm, und wir schauen beide besorgt auf das Kind. Wie wird das weitergehen?
Wird sich die Mutter, vielleicht mit Hilfe ihrer erwachsenen Kinder, auf das Baby
einstellen können?
Dann wird das Baby zur Sonografie gebracht. Sein Köpfchen soll auf verdeckte
innere Schädigungen untersucht werden« (ebd., S. 85f.).

Geschildert wird eine Beobachtung, bei der die eigenen Gefühle berührt werden.
Wut auf die Mutter kommt auf, und die Überzeugung, die bessere Mutter zu sein,
stellt sich ein. Kind und Mutter wirken jämmerlich. Die Schwester und die Be-
obachterin bringen dem Kind Sorge entgegen. Spiegelt sich darin die Sorge des
Kindes oder die Vorstellung von Unterversorgung bei denjenigen, die das Kind
anblicken? Die Aggression gegenüber der Mutter wird als Sorge um das Kind
gelebt. Im Sinne von Winnicott gibt es kein Baby ohne Mutter, wobei die Distan-
ziertheit eine große Rolle spielt. Das Baby soll ohne Mutter im Protokoll gedacht
werden, und die Krankenschwester als die »bessere« Mutter. Die Distanz wird
auch durch die Zigaretten im Zusammenhang mit der Plazentainsuffizienz un-
terstrichen. Ein physisches Bild der Distanz zwischen Mutter und Baby wird
konstruiert. Das Baby muss sich allein erdenken können, die Beobachterin ist
vermutlich von ihren Gefühlen von »Jämmerlichkeit« und Unterversorgung be-
stimmt. Männer werden in dieser Situation nicht mitgedacht oder treten auf in
der Rolle von »der ganze Kerl wirkt überhaupt jämmerlich«.
Ein weiterer Schritt ist, die Szene über die Reflexion der eigenen Gefühle zu
verstehen und sich als MitgestalterIn bzw. als Ko-KonstrukteurIn der Begegnung
zu betrachten.
In einer weiteren verblüffenden Fallgeschichte wird dieser Gedanke deutlich:

»Einen Namen geben


An einem Bettchen werde ich auf ein seltsames Schild aufmerksam gemacht. Zu
lesen sind Nachname, Geburtsdatum vor 14 Tagen, das Gewicht und dann mit
nachgekritzelter Schrift der Vorname.

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8 Infant Observation auf der Neonatologie

›Aha, jetzt hat es einen Namen‹, staunt die Schwester, als sie an das Bett tritt,
›das muss ganz frisch sein!‹
Der Fotograf berichtet mir, dass er gestern bereits an dem Bettchen gewesen
sei, da habe noch kein Vorname daran gestanden. Dann hätte er die Eltern getrof-
fen, mit ihnen gesprochen und die Erlaubnis bekommen, das Kind zu fotografieren.
Vielleicht, vermutet er, sei dieses persönliche Interesse eines Dritten an ihrem Kind
für die Eltern der Anstoß gewesen, ihm endlich einen Namen zu geben« (Israel &
Reißmann, 2008, S. 86).

Hier wird berichtet, dass sich der Fotograf eine Bedeutung zuschreiben kann und
diese in eine Hypothese umwandelt. Er vermutet, dass der Wunsch, das Kind zu
fotografieren, auch den Eltern eine Bedeutung gegeben hat und diese nun dem
Kind einen Namen geben konnten. Durch das Anerkennen des Kindes bekam
auch die Elternschaft diesbezüglich eine Bedeutung. Er hat ja die Eltern gefragt,
da er das Kind als Teil von ihnen betrachtete.
Eine weitere Beschreibung eröffnet uns eine andere Welt des Partizipierens
an einer Szene, die mit »Schock« betitelt wurde.

»[…] mit mechanisch wirkenden Bewegungen zieht sie die elektrische Pumpe her-
an, legt sie an die Brust und pumpt Milch ab. … Ähnlich mechanisch spricht sie
unverwandt zu mir. Sie wagt es nicht, das Kind zu berühren, dazu ist sie jetzt noch
nicht in der Lage, […] Wir sprechen dann darüber, wie wichtig die Beziehung zu-
einander ist und wie schwer es ist, den Trennungsschock zu überwinden. … Ich
betone, dass es sehr wichtig ist, dass auch sie sich gut aufgehoben fühlt, damit ei-
ne gute Verbindung entstehen kann. […] Als uns klar wird, dass er uns dringend
auffordert, bei ihm zu bleiben, spüre ich, wie sich die Erstarrung der Mutter etwas
löst und ein Mitgefühl aufkommt. Es ist nicht zu übersehen, dass die Mutter eine
Begleitung braucht, um die Realität des plötzlichen Getrenntseins auszuhalten und
vor der Not des Kindes nicht davonzulaufen.«

Das Thema der Mechanik zieht sich durch das Protokoll wie ein roter Faden.
Technik beherrscht die Szene, die Sätze erinnern an ein Psychologielehrbuch, die
beteiligten Personen sind austauschbar, haben keine Identität. Die Mutter bleibt,
weil es sich so gehört und von der Beobachterin auch so vertreten wird. Es wird
nur mechanisch gehandelt. Gefühle rund um das Thema des Davonlaufens dürfen
nicht thematisiert werden und auch nicht die Enttäuschung über ein so defizitä-
res Kind, das nur mittels mechanischer Geräte überleben kann. Die Beobachterin
konstruiert die Szene. Beide Frauen bleiben in einer sprachlich-mechanistischen

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Welt und das Dramatische bleibt draußen. Die Dissoziation beherrscht das Sze-
nario. Die Mutter als eigenständige Person hat in dieser Begegnung keinen Platz.
Die Not wird dem Kind zugeschrieben und für die Mutter wird eine Begleitung
angedacht. All diese Gedanken fühlen sich technisch sehr richtig an, sie entbehren
aber jeder etwaigen Individualität. Die Theorie ist ein sehr wichtiger Punkt, um
eine empathische Verstehensleistung zu erbringen, nämlich, welche Vorstellung
von Baby bzw. Mutter wir in unseren Gedanken verankert haben. Empathie wird
aber nicht als individuelle Fähigkeit gesehen, sondern als gemeinsam konstru-
iertes Geschehen (Aragno, 2008; Buchholz, 2017a). Das Empathische in dieser
gemeinsamen Konstruktion von Realität liegt in der Dissoziation der dramati-
schen Gefühle, die die Mutter überschwemmen würden. Das Mechanische ist die
gemeinsame Konstruktion der Empathie, ein Verbot, über die Not und Ängste
der Mutter nachzudenken bzw. in der Not der Beobachterin zum Ausdruck zu
bringen.
Ängste scheinen auf dieser Station, wo die Grenzen zwischen Leben und Ster-
ben sehr fließend und brüchig sind, wenig Raum zu haben. In den folgenden
Protokollen werden Ängste thematisiert.

»Er atmet regelmäßig ein und aus, dabei zieht sich sein Brustkorb ganz tief im
Oberbauch ein, als müsse er mühsam einen Widerstand überwinden, nach Luft
ringen. Ich bin erschüttert, denn er scheint dem Tod näher als dem Leben. In mir
kommt Angst auf, und ich merke, dass ich seine Unruhe als Lebendigkeit verkannt
hatte« (Israel & Reißmann, 2008, S. 100).

Durch das Benennen der Angst scheint es hier nun möglich zu sein, die Unruhe
als ein Ringen mit dem Tod zu erkennen.
Die Protokolle, die vom Team um Agathe Israel hier gesammelt wurden, lösen
beim Lesen vieles an Gefühlen aus. Es sind Texte, die Berührtheit, Ängste, Trau-
matisierungen vermitteln. Es lässt sich auch gut erkennen, wie das Klinikpersonal
neben dem Abspalten der eigenen Gefühle, um Krisen auf einer Intensivstation
schnellstmöglich zu meistern, bemüht ist, den Frühchen gegenüber einfühlsam
und präsent zu sein. Beide Haltungen haben im Klinikbetrieb ihre Berechtigung,
das Nicht-Benennen bereitet einen Nährboden für Unklarheit und Konflikte.

»Gitte schreit ohne Tränen, rot im Gesicht. Aber es ist kein Schrei, der Lebendig-
keit zum Ausdruck bringt. Jetzt spuckt sie in hohem Bogen ihre Mahlzeit wieder
aus. Als ich die Schwester hole, sagt sie mit wütendem Unterton: ›Das macht sie
immer, wenn sie Langeweile hat.‹ Sie bittet mich, einen Moment am geöffneten

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9 Kritische Gedanken zur Methode von Esther Bick

Bett stehenzubleiben, da sie einen Lappen holen müsse. Wieder habe ich den Im-
puls, Gitte, die erneut schreit, aufnehmen zu wollen.

Eine weitere Woche später


[…] die Schwester spricht, legt Gitte ihren Kopf an deren Brust, ohne den Blick
von ihr zu lassen und lächelt, was die Schwester freudig aufnimmt. ›Du kannst ja
sogar lachen.‹ Vorbeieilende Kolleginnen mahnen sie, Gitte endlich in den Wagen
zu legen, sonst werde sie zu sehr verwöhnt.«

Intimität und Zärtlichkeit werden hier mit einem Verbot belegt. Gemeinsam wird
über dieses Tabu gewacht, keine Wünsche an die Kinder zu haben. Die eigenen
Gefühle, die vielleicht instinkthaft als mütterliche Gefühle betrachtet werden
können, müssen mithilfe der Gruppe unterdrückt werden. Darf ich Wünsche an
die Kinder haben und von diesen verwöhnt werden? Hier darf nur den Kindern
ein Bedürfnis zugeschrieben werden. Es wäre moralisch sehr verwerflich, Wün-
sche von eigenem Muttersein oder eigenem Defizitärem und damit verbundenen
Heilungsfantasien an die Kinder, die mit dem Tod ringen, zu richten. Braucht
es aber nicht Wünsche, die ich an den anderen richte, um ihm erst ein Selbst
zuschreiben zu können? Ohne die Fähigkeit, Wünsche zu entwickeln, kann ich
mich nicht in Abhängigkeit begeben, und es verstellt mir die Möglichkeit der
Empathie. Sich vom anderen etwas zu wünschen, bedeutet, sich dem Risiko der
Verbundenheit auszusetzen, ihm aber eben auch Bedeutung zu geben, indem mei-
ne Gefühlsregulation bzw. mein Empfinden mit dem des anderen verbunden ist.
Dem Kind wird dadurch Bedeutung zugeschrieben, die es nun auf einer emotio-
nalen Ebene spürt. Ich freue mich und bin traurig über das, das ich vom anderen
erlebe.

9 Kritische Gedanken zur Methode von Esther Bick

Die Kritik an der Säuglingsbeobachtung (Infant Observation) nimmt in den letz-


ten Jahren zu (Ludwig-Körner, 2015; Blessing, 2012; Hollman, 2010; Cardenal,
1998). Die grundsätzlich entworfene Methode der Säuglings- und Kleinkindbe-
obachtung beruht auf den Grundsätzen der gleichschwebenden Aufmerksamkeit,
wie sie als Grundpfeiler in der psychoanalytischen Behandlung betrachtet wird.
Viele BeobachterInnen kommen immer wieder in den Konflikt, entweder den
eigenen Impulsen nachzugeben und zu intervenieren, oder den Anforderungen
der Abstinenzregel gerecht zu werden (Aulbert et al., 2015; Hollmann, 2010;

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

Prat, 2013; Blessing, 2012). Ludwig-Körner schreibt, dass von einer reinen Be-
obachtung bereits Abstand genommen wird (Ludwig-Körner, 2015, S. 1163).
Hier stellt sich nun die Frage, ob es eine reine Beobachtung in dem Sinne geben
kann, dass kein Einfluss auf das zu Beobachtende ausgeübt wird. Diese Sicht-
weise schließt sich der Forschungsmaxime des letzten Jahrhunderts an, in der
davon ausgegangen wird, dass die BeobachterInnen keinen Einfluss auf das Expe-
riment nehmen. Die Säuglingsbeobachtung nach der Methode von Esther Bick
ist noch fest im traditionellen Kleid des Descarte’schen Denkens verhaftet und
weist auf die Einpersonenpsychologie hin. Einige Protokolle der Säuglingsbeob-
achtung beschreiben weit mehr den inneren Kampf der Beobachtenden, ihren
instinktiven Reaktionen Raum zu geben, als der Aufgabe nach einer neutralen
Beobachtung nachzukommen.

»At the end of the observation Stefan, twelve months and two weeks old, had not
managed to roll over, crawl, stand or walk: he could only sit. Perhaps this is the
Stefan the parents saw and that I was powerfully required to see too: my question is,
was there another Stefan around, who, with more attunement, could have been en-
couraged and helped to find his own pleasure and strength in moving?« (Somaini,
2013, S. 158).

Hier stellt Paola Somaini sich die Frage, ob es noch eine andere Sichtweise gibt
und inwieweit eine andere Haltung die Entwicklung von Stefan in andere Bahnen
geleitet hätte. Welche Haltung brachte die Beobachterin mit und nahm dadurch
auf die Ausdrucksfähigkeit von Stefan Einfluss? Die Szene wurde in der Klein-
gruppe reflektiert:

»We speculated as to whether her internal world was dominated by persecution


and danger. Perhaps she was scared of her own hostility towards Stefan and was
grateful to have me around to contain? Though it is true that she was able to put
her ambivalence into words, I had a sense that something was often on the edge of
bursting out and that perhaps her cutting off and keeping Stefan at a distance was a
defensive maneuver to keep her and baby safe« (ebd., S. 160).

Eine andere Form des Erdenkens bedeutet, auf das Unbewusste der Gruppe
zurückzugreifen und die Angst der Beobachterin vor der eigenen Feindselig-
keit gegenüber Stefan zu thematisieren, da sie Stefan auch eine Fehlentwicklung
zubilligte, wobei sich ihre Schuldgefühle in der Überlegung von Containment
Ausdruck verleihen. Würde die Beobachterin ihrem Empfinden Platz geben, dann

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9 Kritische Gedanken zur Methode von Esther Bick

müsste etwas aus ihr herausbrechen und sie bräuchte sich nicht in der Vorstel-
lung von Abstinenz in der Ferne halten. Die Ambivalenz bedeutet die Grundlage,
dem anderen bzw. der Szene eine Möglichkeit der Differenz zubilligen zu können
und somit zu mentalisieren, und eine psychische Innenwelt von Stefan entste-
hen zu lassen. Wir verstehen den anderen ja nur über uns, und Empathie findet
in uns eine Grenze, da uns unsere eigenen Gefühle durch das Interpretieren als
Verstehensleistung leiten. Es ist sehr schwer auszuhalten, einer Interaktion zuzu-
sehen, die eigenen Impulse zu unterdrücken und nicht korrigierend und helfend
einzugreifen. Freud verlangte vom Analytiker die Haltung eines Chirurgen ein-
zunehmen, der am Operationstisch steht:

»Ich kann den Kollegen nicht dringend genug empfehlen, sich während der psy-
choanalytischen Behandlung den Chirurgen zum Vorbild zu nehmen, der alle seine
Affekte und selbst sein menschliches Mitleid beiseite drängt und seinen geistigen
Kräften ein einziges Ziel setzt: Die Operation so kunstgerecht als möglich zu voll-
ziehen. Für den Psychoanalytiker wird unter den heute waltenden Umständen eine
Affektstrebung am gefährlichsten,« (S. Freud, 1912e, S. 380f.).

Inwieweit nimmt diese Haltung Einfluss auf die zu beobachtende Szene? Die un-
terdrückten Affekte der Beobachterin werden auf die Mutter projiziert, und die
Schuldgefühle werden mit der Vorstellung von Containment bewältigt, speziell
mithilfe der Gruppe, in der sich eine gemeinsame Deutung entwickelt. Dabei
lässt sich nur schwer unterscheiden, was Projektion und Empathie sind, beide
Phänomene gehen Hand in Hand. Das spürbare Containment erfolgt durch die
Gruppe, die sich sehr klar darüber ist, über die innere Welt der Mutter zu spe-
kulieren, ohne auf die eigenen Gefühle rückzuschließen, um sich eine Welt von
Verstehen über sich zu öffnen. Die psychologische Interpretation ist eher tech-
nisch und allgemein angelegt: »her internal world was dominated by persecution
and danger«. Eine Möglichkeit des Nachdenkens schließt die Vorstellung von
den Ängsten der Beobachterin mit ein, um so zu verstehen, warum die Mutter
so zurückhaltend ist. Das »Desinteresse« der Mutter ist nur über das Gefühl
von Interesse an Stefan in der Beobachterin erkennbar. Vermutlich fließt mehr
Energie in das Zurückhalten der eigenen Affekte bei der Beobachtung als in das
Verstehen der Begegnungen. Die Autorin legt ihren Fokus auf das Nichtsehen
der Mutter und die damit verbundene Unmöglichkeit, Stefan adäquat zu spie-
geln. Die Beobachterin sieht dies alles und kommt vermutlich in einen massiven
inneren Konflikt damit, nicht einzugreifen, bedenkt aber ihr Sehen und das da-
mit verbundene Spiegeln nicht mit. Hier stellt sich die Frage, wie ich jemandem

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II Historische Wurzeln und Entwicklung der Säuglingsbeobachtung

Bedeutung geben kann, wenn ich mir keine Bedeutung in der Beobachtung zu-
schreibe.
Die erste Kinderanalytikerin Hermine Hug-Hellmuth wurde am 9. Sep-
tember 1924 von ihrem 18-jährigen Neffen Rolf Hug bei einem Raubüberfall
ermordet. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis verlangte er von der Wie-
ner Psychoanalytischen Vereinigung Schmerzensgeld, da er von seiner Tante nur
als Beobachtungs- und Analyseobjekt betrachtet wurde. Ihre Schriften über die
kindliche Entwicklung stammen tatsächlich von der Beobachtung ihres Neffen.
Helene Deutsch meinte, dass Kinder nicht beobachtet, sondern geliebt werden
wollen.

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III Einführung in Mentalisieren

1 Warum Mentalisierungsbasierte Pädagogik?

In der Arbeit mit Kindern und Erwachsenen kann jeder Pädagoge viele Rück-
schlüsse darauf ziehen, inwieweit frühe Interventionen bei einem Menschen
Einfluss auf sein späteres Leben nehmen. Die Psychologie hat schon vor etwa
hundert Jahren erkannt, dass die frühen Lebensjahre die sensibelsten bzw. prä-
gendsten Phasen in unserem Leben sind. Als Psychotherapeut sah der Verfasser
die Auswirkungen unseres Handelns täglich in seiner Praxis. Auch in der Arbeit
mit PädagogInnen waren oft die Grenzen des pädagogischen Handelns erlebbar.
Der Verfasser begab sich für zwei Semester in einen Kindergarten, um ein Kind
und dessen Interaktion mit seiner Umwelt zu beobachten. In einem anderen Kin-
dergarten arbeitete er für eine kurze Zeit in der Rolle eines aktiven Pädagogen mit.
Überraschenderweise war in den eigenen Reaktionen und auch durch die Beobach-
tung von anderen KollegInnen in der Begegnung mit den Kindern zu erkennen,
dass wir alle trotz hoher Schulung in Selbsterfahrung, speziellen pädagogischen Aus-
bildungen, psychotherapeutischen Interventionstechniken usw. in unseren Tiefenre-
aktionen auf unsere eingespeicherten Erfahrungen aus der Kindheit zurückgreifen.
Mimik und Gestik werden von Faktoren bestimmt, die nicht in pädagogischen und
therapeutischen Konzepten vorhanden sind und die automatisch gesteuert werden.
Es stellt sich die Frage, inwieweit sich Verhaltensänderungen im Pädagogen und in der
Pädagogin durch die Veränderung der inneren Haltung hervorrufen lassen. Konzepte
sind flexibel, austauschbar und spiegeln unser Denken in der Zeit wider. Konzepte
bilden Erklärungsmodelle für unser Handeln, die erst im Nach-Denken Bedeutung
für uns generieren. Wenn wir in der Situation über etwas nachdenken, sind wir au-
ßerhalb der Begegnung. Spontaneität und Kreativität sind in Gegenwartsmomenten
(present moments), wie sie Daniel Stern (2004) konzipiert hat, lebbar. Da die besten
Lernleistungen an Affektivität, also an Gefühle, gebunden sind, können wir in der

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III Einführung in Mentalisieren

Begegnungssituation nicht nachdenken. Es lassen sich Erfahrungen in zukünftige


Begegnungen als Handlungsanleitung integrieren, allerdings braucht es aber dadurch
ein Vordenken, um es explizit verwenden zu können. Die Voraussetzung dafür ist ei-
ne stabile Bindung. Bindung im Sinne von Bowlby bedeutet eine emotional-affektive
Beziehung zu einer bestimmten Person, die räumlich und zeitlich Bestand hat.
Der Kern zum Verstehen der Entwicklung des Mentalisierens liegt in der Bin-
dungstheorie. Bindung stellt einen lebenswichtigen Faktor für das Kind dar (Spitz,
1957). Sie gründet sich auf das elterliche Verstehen der inneren Welt ihres Kindes.
Bindung ist die Voraussetzung zum Erlernen einer Affektregulierung und damit
verbunden mit der Aufmerksamkeitskontrolle und der Mentalisierung. Das Kind
entwickelt in einer guten Bindung (bei kongruentem, markierten Spiegeln) ein
Gefühl der Selbsturheberschaft. Um diese Entwicklung zu verstehen, ist aufzuzei-
gen, dass dieses komplexe innerpsychische Geschehen auch Schaden nehmen kann;
dementsprechend sollte bei Kindern auch erkannt werden, wo sie Defizite aufwei-
sen und wo sie verstärkte Unterstützung brauchen. Hier lässt sich auch am besten
ansetzen, um die Gefahr einer Persönlichkeitsstörung abzufangen oder zu mildern.
Durch groß angelegte Studien konnte ein Übertragen von Bindungsmustern der
Eltern auf ihre Kinder nachgewiesen werden (Fonagy et al., 1991). Es ist von großer
Bedeutung, welches Verstehen vonseiten der eigenen Eltern den jungen Eltern ent-
gegengebracht wurde und wie sie nun verstehend auf ihre Kinder eingehen können.
Ausgehend von diesen Forschungsergebnissen scheint es für die Verhinderung
von Persönlichkeitsstörungen die wichtigste Aufgabe für eine Gesellschaft zu sein,
den Fokus auf den elementarpädagogischen Bereich (Krippe/Kindergarten) zu legen.
Fonagy und sein Team postulieren, dass ein gelungener Bindungsprozess und
die Fähigkeit eines Kindes, zwischenmenschliches Verhalten im Sinne von menta-
len Zuständen zu verstehen, von entscheidender Bedeutung sind. Sie bezeichnen
eben diese Fähigkeit als Mentalisieren (reflexive Funktion). Wir brauchen sie zur
Organisation unserer inneren Strukturen und somit zur Heranbildung unseres
Selbst und der Regulation unserer Affekte.

2 Der theoretische Hintergrund


von Mentalisierungsbasierter Pädagogik

2.1 Mentalisierung

Unter Mentalisierung lässt sich ein Konzept des Mentalisierens verstehen (Fonagy,
1991) und damit eine Verbindung aus bindungstheoretischen, entwicklungspsy-

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2 Der theoretische Hintergrund von Mentalisierungsbasierter Pädagogik

chologischen, psychodynamischen, kognitiv-behavioralen, traumabezogenen und


neurobiologischen Erkenntnissen und der Theory of Mind (Fonagy et al., 2004;
Bateman & Fonagy, 2015d, 2008; Allen, 2009; Allen et al., 2011).
Um eine Idee davon zu bekommen, können wir uns vorstellen, dass wenn
wir uns in einem Zustand des Verstehens, der Empathie uns und anderen gegen-
über befinden, sich der Reichtum der inneren und äußeren Welt zu erschließen
beginnt. Es ist eine Grundfähigkeit des Menschen, sich und damit seine Um-
welt erfahrbar, erkennend und verstehend zu gestalten. Peter Fonagy spricht von
»holding mind in mind«, also Gefühle und Gedanken erdenken können. Indem
wir uns und den anderen erdenken können, ihm einen Geist bzw. eine Meinung
zuschreiben können, wird er für uns als Person gewahr. Dies ist eine der wichtigs-
ten Grundlagen für Empathie, die wiederum einen bedeutenden Bestandteil in
der Gewaltvorbeugung und auch in der Burn-out-Prophylaxe darstellt.
Für Fonagy und Bateman nimmt das Mentalisieren bedeutungsvollen Ein-
fluss auf unser Selbstverständnis und damit auf unser stabiles Selbstgefühl.
Ohne Mentalisieren gibt es keine konstruktiven sozialen Interaktionen, keine
Bezugnahme aufeinander, keine Gemeinsamkeiten und kein Gefühl von inne-
rer Sicherheit (Bateman & Fonagy, 2015a). In dem Werk »Affektregulierung,
Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst« führten Fonagy, Gergely, Ju-
rist und Target in der Verbindung von Mentalisieren und dem Bindungskonzept
eine entwicklungspsychologische Komponente ein. Mentalisierungsprozesse ha-
ben in der kindlichen Entwicklung einen elementaren Stellenwert. Gergely und
Watson lieferten mit ihren Forschungen aus der Säuglingsbeobachtung ent-
scheidende Hinweise zur Entwicklungskonzeption der Mentalisierung (Fonagy
et al., 2004; Gergely & Watson, 2004; Klöpper, 2014; Kirsch et al., 2016).
Sie postulierten auch einen Zusammenhang zwischen einer Fehlentwicklung
der sozialen Kognition (Mentalisierung) und der Psychopathologie im Er-
wachsenenalter. Damit maßen sie wiederum der Entwicklung des Menschen
und seiner Fähigkeit des Mentalisierens große Bedeutung zu. Es entwickelten
sich daraus Behandlungskonzepte (MBT – Mentalisierungsbasierte Therapie)
für unterschiedlichste Psychopathologien wie Borderline-Störungen, Depres-
sionen, antisoziale Persönlichkeitsstörung, Essstörungen, Trauma, Drogensucht,
Angststörungen, somatoforme Störungen (Fonagy, 2009; Fonagy et. al, 2004;
Bateman & Fonagy, 2008, 2015a; Skarderud & Fonagy, 2015; Philips et al.,
2015; Allen et al., 2015a; Schultz-Venrath, 2013; Staun, 2017; Bolm, 2009;
Fonagy & Bateman, 2017). Weiters kam es zu einer Spezialisierung in Settingfra-
gen, bei der das Konzept des Mentalisierens konzeptualisiert wurde, wie bei der
Einzeltherapie, Gruppentherapie, Kinderpsychotherapie, Kurzzeitpsychothera-

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III Einführung in Mentalisieren

pie, dem teilstationären Setting, ambulanten Setting und Psychodynamischen


Setting, Familientherapie, Psychodramatherapie (Schultz-Venrath & Felsberger,
2016; Bateman & Fonagy, 2015d; Karterud & Bateman, 2015; Asen & Fonagy,
2015; Zevalkink et al., 2015; Allen et al., 2015b; Bales & Bateman, 2015; Kjol-
be & Bateman, 2015; Vermote et al., 2014; Bateman & Fonagy, 2008; Krüger,
2015).
Diese Behandlungskonzepte (MBT) unterscheiden sich für Fonagy und Bate-
man im Vergleich zu anderen integrativen Psychotherapiemethoden durch einen
komplexen Bezugsrahmen, der in sich verwoben ist und ein entwicklungspsycho-
logisches Modell, ein hypothesengeneriertes Modell zu den Wirkmechanismen
der Psychotherapie enthält. Außerdem beinhalten diese Konzepte eine ausgear-
beitete Theorie zur Psychopathologie, speziell zur Borderline-Persönlichkeitsstö-
rung. Der größte Unterschied zu den anderen Psychotherapieverfahren liegt im
Fokus auf Techniken, die speziell das Mentalisieren fördern sollen. Das psycho-
pathologische Konzept geht von einer nicht-mentalisierenden Haltung in den
PatientInnen aus, welche wiederum die psychopathologischen Phänomene her-
vorruft. Im mentalisierenden Setting liegt der Fokus weder auf einer kognitiven
Umstrukturierung noch auf Deutung und der damit verbundenen Einsicht oder
auf direkter Verhaltensänderung. Die Bedeutung liegt in der Erfassung von men-
talen Prozessen, und die oben erwähnten Phänomene werden beiläufig in der
mentalisierenden Begegnung generiert. Mentalisieren ist ein sehr breit gefasstes
Konzept, das in nahezu allen Psychotherapiemethoden zum Tragen kommt, da
die Aufmerksamkeit des Mentalisierens konsequent auf der Beachtung der Ge-
danken und Gefühle der PatientInnen liegt.
Die zweite große herausragende Leistung neben derjenigen eines Behand-
lungskonzeptes in Psychotherapien liegt im entwicklungspsychologischen Kon-
strukt. Wenn das Mentalisieren zum Menschen gehört und somit einer Entwick-
lung bzw. Fehlentwicklung unterliegt, stellt sich die Frage, ob sich im Sinne der
Pädagogik und Beziehungsgestaltung auf diesen Mechanismus Einfluss nehmen
lässt. Mutter-Kind-Interaktionen und die Bedeutung der Familie rücken in die-
sen Überlegungen in den Mittelpunkt und sind für das hier vorgestellte Konzept
von großer Bedeutung.
Als dritte Komponente streichen Fonagy und Bateman die fundamentale Be-
deutung des psychischen Prozesses des Mentalisierens hervor, der alle psychischen
Störungen beeinflusst. Sie unterscheiden eine Störung der Mentalisierung, die
einer Entwicklungsstörung gleichkommt, von Zuständen, in denen Mentalisie-
rungsstörungen auftreten, wie zum Beispiel bei der Depression (Luyten et al.,
2015).

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2 Der theoretische Hintergrund von Mentalisierungsbasierter Pädagogik

2.2 Definition: Mentalisieren

Hier drei Definitionen des Mentalisierens, speziell in dem Sinne, wie es von Fo-
nagy und Bateman definiert und von zwei weiteren Autoren dargestellt wird:

»Zu mentalisieren bedeutet, eigene und fremde mentale Zustände zu beachten, zu


beobachten und zu berücksichtigen und überdies zu versuchen, eigene Handlungs-
weisen ebenso wie das Verhalten anderer Menschen mit Blick auf zugrundeliegen-
den intentionalen, inneren Zustände zu verstehen« (Bateman & Fonagy, 2015a,
S. 13).

»Mentalisieren bedeutet, äußerlich wahrnehmbares Verhalten im Zusammenhang


mit inneren, ›mentalen‹ Zuständen und Vorgängen zu erleben und zu verstehen
und umgekehrt. Bei dieser inneren Realität handelt es sich z. B. um Gefühle, Ge-
danken, Bedürfnisse, Wünsche, Begründungen, Bedeutungen und ganz persönliche
Lebenserfahrung« (Bolm, 2009, S. 29).

»Unter Mentalisierung verstehen Fonagy und seine Mitarbeiter die Fähigkeit, sich
und andere Personen als Wesen mit geistigen und emotionalen Fähigkeiten bzw.
mit einer Psyche zu betrachten, zu verstehen und Verhalten zu antizipieren. Menta-
lisierung beschreiben sie als einen Prozess, im Zuge dessen ein menschliches Wesen
erkennt, dass seine Weltwahrnehmung und die Wahrnehmung anderer über den
Geist (mind) vermittelt, das heißt, mentalisiert ist. Die Fähigkeit zur Mentalisie-
rung entwickelt sich in Abhängigkeit von Bindungs- und Beziehungserfahrungen
und hat gleichzeitig Rückwirkungen auf diese« (Lackinger, 2008, S. 318).

Auf den Punkt gebracht, ist Mentalisieren eine soziale Kognition. Diese Ko-
gnition setzt sich aus einer imaginativen mentalen Aktivität zusammen und
ermöglicht uns und den anderen, wahrzunehmen und zu interpretieren. Wir
können uns und dem anderen Bedürfnisse, Wünsche, Gefühle, Überzeugun-
gen, Ziele, Zwecksetzungen und Beweggründe zuschreiben (Bateman & Fonagy,
2015a).
Der erste Artikel, in dem sich Fonagy mit dem Verstehen von »others’ feel-
ings, others’ intentions, rules and conventions and that others have minds«
auseinandersetzte und eine Form von klinischer Behandlungsmethode entwarf,
erschien bereits Ende der 1980er Jahre (Fonagy, 1989). Die Entstehung dieses
Konzepts beruht auch auf den Auswirkungen der Sparpolitik im Sozialsystem
in England und dem Druck auf lang dauernde Therapien. Auch aufgrund der

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III Einführung in Mentalisieren

Vorgabe zu evidenzbasierter Therapie, und um Gelder für Behandlungen lu-


krieren zu können, wurden Manuale entwickelt, die Grundlagen speziell für
Outcome-Forschung darstellten (Bolm, 2015; Schultz-Venrath, 2013; Taubner,
2015). Dies führte zu einer begleitenden Erforschung und Rückspiegelung durch
wissenschaftliche Methoden und auch zu neuen Testverfahren in der Messung
der Mentalisierung (Fischer-Kern & Fonagy, 2012; Luyten et al., 2015).
Diese Punkte stellen ein Grundgerüst der Überlegungen zum Mentalisieren
dar und ziehen sich durch die Werke von Bateman, Fonagy, Allen und Target:

»1. Das Verhalten anderer Menschen unter Bezugnahme auf ihre mutmaßlichen
Gedanken, Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse zu verstehen, ist keine rein
konstitutionelle Gegebenheit sondern zu einem gewissen Grad eine Entwick-
lungserrungenschaft.
2. Der Erwerb dieser Fähigkeit beruht auf der Qualität der Bindungsbeziehun-
gen – insbesondere, wenngleich nicht ausschließlich, der frühen Bindungen,
denn diese spiegeln wider, inwieweit unser subjektives Erleben von einem an-
deren, dem wir vertrauen, angemessen gespiegelt wurde.
3. Die Qualität der Affektspiegelung beeinflusst die Entwicklung der Affektre-
gulationsprozesse und der Selbstkontrolle (einschließlich Aufmerksamkeitsme-
chanismen und willkürliche, gezielte Kontrolle) sowie die Fähigkeit zu menta-
lisieren.
4. Beeinträchtigung früher Bindungsbeziehungen und spätere Traumatisierungen
können die Mentalisierungsfähigkeit und – damit zusammenhängend – die
Entwicklung einer kohärenten Selbststruktur untergraben.
5. Die Fähigkeit zu mentalisieren, beinhaltet sowohl ›Eigenschafts-‹ als auch
›Zustands-‹aspekte, deren Qualität im Verhältnis zum emotionalen Arousal
und interpersonalen Kontext variiert.
6. Das Mentalisieren und die damit zusammenhängenden Fähigkeiten zur Affekt-
präsentation, Affektregulation und Steuerung der Aufmerksamkeit überlagern
normalerweise Formen der Subjektivität, die dem Mentalisieren in der Ent-
wicklung zeitlich vorausgehen.
7. Die Unfähigkeit zu mentalisieren, kann in Verbindung mit einer tiefgreifen-
den Desorganisation der Selbststruktur die wesentlichen Merkmale des für die
Borderline-Persönlichkeitsstörung typischen, psychischen Funktionierens er-
klären. In unseren früheren Veröffentlichungen haben wir dieses Funktionieren
in folgende Zusammenhänge gestellt:
a) Die Mentalisierungsfähigkeit bricht in emotional aufgeladenen Bezie-
hungskontexten vorübergehend zusammen.

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2 Der theoretische Hintergrund von Mentalisierungsbasierter Pädagogik

b) In solchen Situationen tauchen prämentalisierende Denkmodi wieder auf,


das heißt, das subjektive Erleben wird auf eine Weise bedroht und wahrge-
nommen, die der Entwicklung des reifen Mentalisierens vorangeht.
c) Das Individuum wird beherrscht von einem unablässigen Druck, inne-
re Zustände zu externalisieren (projektive Identifizierung); wir verste-
hen dies als Reexternalisierung desorganisierter, unerträglicher, schmerz-
voller Selbstzustände (Reexternalisierung des selbstdestruktiven fremden
Selbst)« (Bateman & Fonagy, 2015a, S. 24).

Ist es nicht der Wunsch aller PädagogInnen, Kinder/Menschen in diese inner-


psychische Stabilität zu führen? Was setzt es aber voraus, dass ich so handeln
kann? Was muss ich an Rahmenbedingungen und inneren Haltungen erlangen,
wie muss ich meinen inneren Referenzrahmen verändern, um als Pädagoge oder
Pädagogin eine Sicherheit im Mentalisieren zu erlangen?
Mentalisieren ist ein essenzieller Bestandteil unseres Selbst, unserer Vorstel-
lung von unserer Identität. Wir mentalisieren in allen unseren Bereichen des
Lebens, wenn wir klug oszillieren, können wir zwischen unserer Innen- und Au-
ßenwelt damit einen vollen Zugriff auf unsere Gefühle erhalten.
Diese Themen sind eng mit der Aufgabenstellung der Pädagogik verbun-
den:
➢ dem Kind ein Einfühlen in sich und andere ermöglichen
➢ dem Kind ein Reflektieren über die eigenen Verhaltensmuster und dieser
kognitiv-emotionalen Vorgänge ermöglichen
➢ dem Kind die Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln ermögli-
chen

Ein Beispiel eines Pädagogen aus dem Kindergartenalltag: Der Pädagoge menta-
lisiert, wenn er
➢ es dem Kind ermöglicht, sich im Kindergarten sicher zu fühlen.
➢ begreift, wie sich zum Beispiel Trennungssituationen auf ein Kind auswir-
ken können.
➢ dem Kind seine Gefühle widerspiegeln kann und sie ihm benennen kann.
➢ den Distress des Kindes, der aus dessen eigenem Erleben oder Verhalten re-
sultiert, versteht und in Worte fasst.
➢ dem Kind erklären und zeigen kann, was es mit dem Spielzeug machen
kann.
➢ dem Kind auch die Freude widerspiegeln kann, die es beim Spielen erlebt
und ihm damit klar machen kann, dass sich sein Gefühl verändern kann.

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III Einführung in Mentalisieren

3 Geschichte des mentalisierungsbasierten


Behandlunsgkonzeptes MBT

Der Entstehungsboden für Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) folgte aus


einer Notwendigkeit, die sich in lokalen kulturellen Faktoren kumuliert hat und
auch von finanziellen Gegebenheiten bestimmt war.
Psychiatrische Versorgungseinrichtungen wurden immer mehr von sogenann-
ten Borderline-PatientInnen in Anspruch genommen. Kernberg gab diesem
Krankheitsbild einen fundierten theoretischen Hintergrund, aufbauend auf der
Beschreibung von Stern (Steinberger, 2016). Die Behandlungserfolge waren noch
gering und die Prognosen für psychotherapeutische Behandlungen eher schlecht.
Im deutschsprachigen Raum entwickelte sich, international kaum beachtet, ein
Behandlungskonzept, das sich auf strukturelle Störungen bzw. »Frühstörungen«
spezialisierte. Die Psychoanalytisch-interaktionelle Methode PIM, das sogenann-
te »Göttinger Modell«, entwickelte sich bereits in den 1970er Jahren unter der
Leitung von Franz Heigl und Anneliese Heigl-Evers. Viele Behandlungsempfeh-
lungen des Göttinger Modells finden sich im MBT-Konzept wieder (Bolm, 2015).
International etablierten sich in den 1990er Jahren die Behandlungskonzepte
von Marsha Linehan, die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) und die Über-
tragungsfokussierte Therapie in der Arbeitsgruppe um Otto Kernberg (TFP)
(Steinberger, 2016). Kernberg wurde zu Beginn der MBT-Entwicklung als gro-
ßer Vordenker sehr geschätzt, entwickelte sich aber zu einem Gegner der MBT
und schrieb auch einige Artikel, um die Schwächen dieses Konzepts aufzuzeigen.
In später Literatur wird er von Fonagy und Kollegen immer weniger rezipiert
(Kernberg, 2014).
Anfang der 1990er Jahre übernahm Anthony Bateman die Leitung der psy-
chiatrischen Tagesklinik im Londoner Stadtteil Halliwick. Die Behandlungskon-
zepte, die er vorfand, bezogen sich vorwiegend auf Menschen mit Psychosen und
waren auf eine langwierige Behandlung ausgerichtet. Schwere Persönlichkeitsstö-
rungen fanden wenig Behandlungsangebote und durchliefen, wenn überhaupt,
nur ungenügende Klinikaufenthalte ohne Behandlungskonzepte (Bateman & Fo-
nagy, 2008; Bolm, 2015).
In demselben Zeitraum entwickelte sich in einer Arbeitsgruppe um Fonagy
am University College London und am Anna-Freud-Institut in London ein theo-
retisches Konzept zum Verstehen von schweren Persönlichkeitsstörungen. Sie
nannten dieses Konzept Mentalisierung (Fonagy, 1991; Fonagy & Target, 2001).
Die praktische Umsetzung des Mentalisierungskonzepts mit Anthony Bate-
man Mitte der 1990er Jahre an der Halliwick-Tagesklinik führte zu einem ersten

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4 Psychoanalyse und Mentalisieren

forschungsbegleiteten, manualisierten Behandlungskonzept auf der Basis der


Mentalisierungstheorie. Sie untermauerten ihr Konzept mit der ersten randomi-
siert-kontrollierten Studie zum MBT-Konzept. Die darin festgehaltenen Erfolgs-
zahlen führten zu weiteren Anwendungen und 2004 zur Veröffentlichung des
ersten MBT-Manuals für Borderline-PatientInnen (Bateman & Fonagy, 2008).
Das Verfahren versprach ein überschaubares, validiertes und damit kostengünsti-
ges Behandlungsverfahren, das im Zuge der massiven Sparmaßnahmen im briti-
schen Gesundheitssystem Geltung fand. Das Behandlungsverfahren wurde 2009
in die NICE-Guidelines des englischen Gesundheitssystems für die Behandlung
von Persönlichkeitsstörungen aufgenommen (Bolm, 2015).
Das MBT-Modell verbreitete sich sehr schnell, indem international renom-
mierte Universitätskliniken sich dieser Behandlungsmethode zuwandten. Im
deutschsprachigen Raum wurde das MBT-Konzept von Thomas Bolm am Kli-
nikum Christophsbad in Göppingen eingeführt. Ein weiteres Krankenhaus, in
dem sich dieses Konzept etablierte, war das evangelische Krankenhaus Bergisch
Gladbach unter der Leitung von Ulrich Schultz-Venrath. Beide entwickelten sich
zu großen Vorreitern der Behandlungsmethode im deutschsprachigen Raum und
brachten jeweils Behandlungsmanuale heraus (Bolm, 2009, 2015; Bolm et al.,
2007; Schultz-Venrath, 2013). Mit Überlegungen von Mentalisierung, Indivi-
dualisierung und Entwicklung des Selbst im pädagogischen Bereich, speziell für
Adoleszente, beschäftigte sich als Erster Heiner Hilbiger (Hirblinger, 2011).

4 Psychoanalyse und Mentalisieren

Mit der Begrifflichkeit von einer mentalen Organisation im Sinne von Mentali-
sierung beschäftigte sich der französische Analytiker Pierre Marty bereits Ende
der 1960er Jahre: »Progressive disorganization selectively impairs people whose
neurosis, if it exists, assumes the form of a character neurosis, of a poorly structured
mental organization« (Marty, 1968, S. 246; Fonagy, 2009; Sieberth & Steinber-
ger, 2013). Er beschreibt damit die Fähigkeit, psychische Repräsentanzen bilden
zu können bzw. Fantasien in sich entstehen zu lassen. Pierre Marty stellt die Men-
talisierung auf drei Achsen dar, wobei jede Repräsentanz eine Qualität an Tiefe,
Beweglichkeit und Beständigkeit aufweisen kann. Die Tiefe bezieht sich bei ihm
auf die Schichten, die eine Repräsentanz aufweisen kann. Die Beweglichkeit der
Repräsentanzen stellt für ihn ein Qualitätskriterium dar, und die Beständigkeit
drückt für ihn die Verfügbarkeit einer Repräsentanz aus (Marty, 1980; Aisen-
stein, 2008). Mentalisieren bedeutet für Marty: »Les reprèsentations psychiques

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III Einführung in Mentalisieren

constituent la base de la vie mentale de chacun de nous« (Marty, 1990, S. 8).


Wenn durch Mentalisierung keine psychische Repräsentation erfolgt, kommt es
zu einem körperlichen bzw. psychosomatischen Ausdruck, es fehlt damit das
»mentale« Leben. Die PatientInnen können die Affekte nicht in höheren Reprä-
sentanzen darstellen bzw. organisieren. Damit einhergehend zeigt sich im Denken
eine konkretistische Erfassungsweise der PatientInnen, die bei der Alexithymie als
Symptom beschrieben wird. Diese begriffliche Verwendung des Mentalisierens
verknüpft zum ersten Mal mentale Vorstellungen mit psychoanalytischen Mecha-
nismen. Marty führte damit den Begriff der »Mentalisation« in die Metaebene
des psychoanalytischen Theoriegebäudes ein (Marty, 1990; Taubner, 2015).
Der Amerikaner Elliot Jurist folgt in seinem Buch zum Thema des Menta-
lisierens dem französischen Ansatz zum Verstehen der Alexithymie, bei dem es
um die Übersetzung von Gefühlen in Sprache für die Patienten geht: »I would
characterize my approach to helping patients identify emotions in terms of men-
talization […]. Identifying emotions entails a process in which the therapist joins
the patient in naming, understanding, and tolerating his or her feelings ( Jurist,
2020, S. 22). Er begründet seine Sichtweise und deren Anwendung mit diversen
Fallvignetten aus seiner psychoanalytischen Praxis und sieht seinen Ansatz der
mentalisierenden Affektivität tief in der psychoanalytischen Theorie verankert:
»Mentalized affectivitiy is an outgrowth of mentalization theory, itself a product
of psychoanalytic theory. Our experience of emotions necessarily reflects our past
history and identity; thus, emotion regulation cannot exist as an abstract catego-
ry denuded of these factors« (ebd., S. 169).

5 Das Theory-of-Mind-Konzept und Mentalisieren

Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt sich die Entwicklungspsychologie mit der
Frage, wie wir die Vorstellung über uns als denkende Wesen generieren. Welches
System haben wir in uns zur Verfügung, damit wir mentale Zustände erschließen
können? Diese Fragestellung führte zu Forschungen, die sich als Theorien über
den Geist oder Theory of Mind (ToM) entwickelten. Durch diese kognitiven
Fähigkeiten, die als ToM oder Gedankenlesen bezeichnet werden, sind wir in der
Lage, Kooperations- und Konkurrenzsituationen vorherzusagen, sie zu interpre-
tieren und zu interagieren, indem wir Wünsche, Absichten und Überzeugungen
im Verhalten von anderen erschließen können (Gergely & Unoka, 2011; Well-
man, 1992, 2014; Taubner, 2015).
Ab dem dritten Lebensjahr lässt sich bei Kindern eine »naive Psycholo-

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5 Das Theory-of-Mind-Konzept und Mentalisieren

gie« erkennen. Diese sich entwickelnden Vorstellungen sind erste Modelle, um


das menschliche Verhalten zu verstehen. Konzepte ermöglichen Vorstellungen,
und diese wiederum verleihen uns Erkenntnisse und Sinngebung. Erfahrungen
beruhen auf der Fähigkeit, Konzepte zu generieren und damit Ordnungen zu
erschaffen. Kinder entwickeln ab der Geburt vermutlich Vorläuferformen von
Konzepten.
Die »naive Psychologie« gruppiert sich um drei psychologische Konstrukte:
Wünsche, Überzeugungen und Handlungen. Diese drei Konstrukte sind unse-
re primären Erklärungsmuster, um das Verhalten zu verstehen. Ein Beispiel: Ich
möchte gerne etwas essen (Wunsch). Dazu gehe ich zum Kühlschrank (Hand-
lung) und nehme mir etwas heraus (Überzeugung, dass er gefüllt ist). Wunsch
und Überzeugung sind nicht sichtbar und eröffnen uns nun einen psychischen
Raum des Verstehens. Sichtbar ist die Handlung, von der wir die Rückschlüsse
zum Wunsch und zur Überzeugung ziehen können.
Neuere Befunde aus der Tierforschung weisen darauf hin, dass nicht nur
der Mensch und Schimpansen auf die Fähigkeit des Erkennens von mentalen
Zuständen – »Gedankenlesen« – zurückgreifen können, sondern auch andere
Tierarten. So verfügen Ziegen und einige Vogelarten wie Krähen, Raben und
Buschhäher über ein implizites Wissen (Kabadayi & Osvath, 2017; Gergely &
Unoka, 2011; Bugnyar & Heinrich, 2005; Emery & Clayton 2004; Hare et al.,
2001; Kaminski et al., 2011). Diese Studien zeigen, dass Tiere, die in einer spezi-
fischen Konkurrenznische in sozialen Gruppen interagieren, ihren Artgenossen
mentale Zustände zuschreiben können bzw. diese Informationen auch über einen
längeren Zeitraum speichern können. Dieses Wissen ermöglicht es ihnen, Nah-
rung zu verstecken, zu überwachen oder andere in die Irre zu führen.
Der Übergang von der naiven Psychologie zu einer Theorie des Geistes er-
folgt zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr. Es kommt zur Ausbildung
von grundlegenden Einsichten über das Denken. Kinder entwickeln Vorstel-
lungen darüber, wie der Verstand und das Denken funktionieren, wie Gefühle
und Vorstellungen dazu unser Handeln beeinflussen. Harry Wellman entwickel-
te eine Theorie zur Entwicklung einer Theorie des Geistes (Wellman, 1992;
Wellman & Gelman, 1992). Er beschreibt Grundkategorien, die in Wechselbe-
ziehungen zueinander stehen und somit die Struktur für eine Theorie des Geistes
bei Vorschulkindern bilden.
Wellman geht in diesem Modell davon aus, dass Überzeugungen meist durch
Wahrnehmungen entstehen. Es gibt auch bereits ein Wissen über Grundemotio-
nen (Ekman, 2011), die aus physiologischen Zuständen bestehen und wiederum
zu Wünschen führen. Vorschulkinder erkennen auch bereits, dass Wünsche und

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III Einführung in Mentalisieren

Überzeugungen zu Handlungen führen und dass diese wiederum die Wünsche


und Überzeugungen beeinflussen bzw. verändern können.

Abbildung 1: Nach einer Idee zur Entwicklung des Geistes nach Wellman (2014,
S. 34) und Siegler et al. (2005, S. 374).

Ein wichtiger Baustein zur Entwicklung einer Theory of Mind ist die Fähigkeit,
Wünsche und Handlungen bei anderen Menschen in einen Kontext stellen zu
können. Henry M. Wellman fand heraus, dass diese Fähigkeit bei den meisten
Zweijährigen bereits vorhanden ist.

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5 Das Theory-of-Mind-Konzept und Mentalisieren

Wenn Kinder im Alter von zwei Jahren gefragt werden, ob die Person in der
erzählten Geschichte lieber mit Autos als mit Puppen spielen würde, können
Kinder auch gegen ihre Wünsche entscheiden. Das Kind würde eben lieber mit
einer Puppe spielen, aber das Kind in der Geschichte bevorzugt Autos. So können
sie dem Kind in der Geschichte den Wunsch nach Autos zuschreiben. Sie erzeu-
gen eine Differenz zwischen ihrem Wunsch und dem Wunsch des Kindes in der
Geschichte (Wellman & Woolley, 1990; Siegler et al., 2005). Das Kind trifft da-
mit eine Unterscheidung zwischen seinem eigenen Bedürfnis und dem Wunsch
des Kindes in der Geschichte. Womit die meisten Zweijährigen noch Schwie-
rigkeiten haben, ist die Vorstellung von Überzeugungen und deren Einfluss auf
unsere Vorstellungen. Wenn man Zweijährigen eine Geschichte erzählt, bei der
ein anderes Kind einen kleinen Hund auf einer Veranda vermutet, es selbst aber
weiß, dass der Hund sich in einer Garage befindet, so meint es, dass das andere
Kind den Hund nicht auf der Veranda sucht, sondern in der Garage. Den meisten
Dreijährigen gelingt bereits die Überzeugungszuschreibung, dass das Kind in der
Geschichte den Hund auf der Veranda suchen würde. Dreijährige schreiben den
Personen auch Intentionen zu, indem sie in der oben genannten Geschichte dem
Kind zum Beispiel als Handlungsmotivation den Verlust des Hundes zuschrei-
ben können. Dass der Hund ihm fehlt und es ihn bei sich haben möchte, wäre
eine mögliche Erklärung für das Suchen des Hundes (Wellman, 2014; Bartsch &
Wellman, 1995; Wellman, 1992).
Dreijährige haben bereits klare Vorstellungen von der Unterscheidung zwi-
schen greifbaren Objekten und immateriellen Phänomenen wie Geräuschen,
Schatten, Licht usw. Die meisten Dreijährigen wissen auch, wie Wünsche und
Annahmen entstehen (Wellman, 2014; Pillow, 2012). Sich und dem anderen Be-
dürfnisse zuzuschreiben bzw. die Differenz zu generieren, bedeutet ja auch, ein
Ich und Du zu kreieren.

»Adam: Want some? (to Adult).


Adult: No. I don’t want some.
Adam: OK. But I want some.

In this conversation the child, Adam, contrasts two different desires about the same
physical reality – you want some, but I don’t« (Wellman, 2014, S. 35).

Adam macht dem Erwachsenen ein Angebot einer Zuschreibung eines Wunsches.
Sein Bedürfnis wird zur Wunschzuschreibung an den Erwachsenen. Dieser lehnt
das Angebot ab, und es scheint nun für Adam eine Überwindung zu sein, sich allein

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III Einführung in Mentalisieren

zu diesem Wunsch zu bekennen. »OK« und »But« lassen uns vermuten, dass es
durch das »OK« zum Ausdruck der Abwendung vom Erwachsenen kommt, eine
Form des Alleinstehens in der Welt. Und »But« scheint auszudrücken, dass vom
Erwachsenen ein Verbot ausgesprochen wird. Viele Begegnungen in unterschiedli-
chen Kulturen beruhen darauf, dass wenn ich meinem Gast ein Essen offeriere und
er es ablehnt, ein weiteres Angebot erfolgt. Der Gastgeber greift zu, und der Gast
greift ebenfalls nach dem Essen. In diesem Höflichkeitsritual geht es um Beschä-
mung. Der Gast darf in seinem Wunsch nach Essen nicht allein gelassen werden,
weil es eine Bloßstellung seines Wunsches nach Essen bedeuten würde.

»Desire:
Adult: We’ll turn it on later.
Child (2 Years;10 Months): You turn it on later?
Adult: Yep.
Child: No. I don’t want it on later … I want it on now. You said, you will turn the
cowboys on!
Adult: I said, I’ll turn them on later« (Bartsch & Wellman, 1995, S. 83).

Hier kann klar ein Wunsch definiert werden, und er wird vom Erwachsenen ab-
gelehnt. Diese Szene scheint sich in eine Form von Macht und Ohnmacht zu
manövrieren. Es handelt sich um eine physische Welt, in der es darum geht, wer
die Macht hat, den Fernseher anzuschalten. Es lassen sich keine Beweggründe
erschließen, warum der Fernseher nicht eingeschaltet werden sollte. Das Kind
deutet die Bedeutung des Fernsehens mit dem Wort Cowboy an. Der Sinn er-
schließt sich erst, wenn man es als Machtkampf betrachtet. Der Erwachsene zeigt
in dieser kurzen Szene kein Interesse an der Bedeutung der Cowboys, die anschei-
nend im Fernsehen zu sehen sind. Die Kontrolle über den Wunsch des Kindes
wird nun vom Erwachsenen gestaltet. Das Kind bleibt vermutlich mit Zorn und
Wut zurück. Seine Bedürfnisse werden vom Erwachsenen kontrolliert, und das
Kind hat keine Vorstellung davon, warum es zu einem Nichteinschalten des Fern-
sehers kommt. Das »Yep« lässt eine Lust an der Machtausübung vermuten. Der
Erwachsene erklärt nicht seine Beweggründe, sondern genießt es, den Wunsch
des Kindes nicht zu erfüllen.

»Adult: Don’t.
Child (2;10): I want … don’t want … I don’t want it on (a Band-Aid).
Adult: Well, you gotta have it on. Leave it on.
Child: No« (ebd., S. 83).

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5 Das Theory-of-Mind-Konzept und Mentalisieren

Hier kommt es zu einer inneren Differenz zwischen dem Wunsch »I want …


don’t want«. Auch scheint es nicht primär um das Pflester zu gehen. Das Gesche-
hen verlagert sich in die Herstellung einer Differenz zwischen zwei Individuen.
Das Kind verlagert die Divergenz nach außen, indem das Wollen und Nichtwol-
len zwischen sich und dem Erwachsenen verteilt werden.

»Child (2;9): I wanna watch TV, I wanna watch TV.


Adult: You can in a little while.
Child: I wanna watch something now.
Adult: Nothing good is on until 11 o’clock. Why don’t we practice for a while?
Child: I don’t wanna tumble« (ebd., S. 87).

In dieser Szene verwandelt das Kind seinen Wunsch in eine körperliche Gefahr.
Bei einem Fernsehverbot ist die Gefahr des Fallens (»tumble«) gegeben. Die
Wunscherfüllung wird als Prävention gegen einen Sturz und die damit mögliche
Verletzung formuliert. Der Erwachsene ist nun durch das Versagen des Wunsches
beim Kind für die mögliche Verletzung durch einen Sturz verantwortlich. Das
Nein des Erwachsenen wird vom Kind auf eine körperliche Ebene verschoben.

»Belief:
Adam (3;3): Does you think have sugar … some sugar here?
Adult: I don’t have any sugar.
Adam: I think you have sugar« (ebd., 1995, S. 124).

Adam setzt sein Bedürfnis nach Zucker demjenigen des Erwachsenen gleich. Die
Vorstellung des gleichen Wunsches bzw. des identen Bedürfnisses nach Zucker
ist stärker als die durch Sprache vermittelte Realität, keinen Zucker zu haben.
In medizinisch-diagnostischem Verstehen würden wir dies als Wahn bezeichnen,
wenn wir den Gedanken weiterverfolgen und dem Kind zubilligen, dass es sich
vom Erwachsenen belogen fühlt und nicht die Wahrheit sagt.

»Child (3;10): Leslie make me angry.


Adult: Why?
Child: If she thinks something is silly. I don’t think it’s silly at all.
Adult: Oh, you had a disagreement.
Child: Uh huh. She thought her necklace was silly.
Adult: She thought it was silly?
Child: Yeah. But I didn’t think it was« (ebd., 1995, S. 122).

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III Einführung in Mentalisieren

In dieser Szene wird ein Dreieck konstruiert, die Gefühle werden über Leslie,
die nicht anwesend ist, ausgehandelt. Die Bedeutung der Halskette gerät durch
»something« in den Hintergrund. Das Kind formuliert das Gefühl von »an-
gry«, um den Erwachsenen zum Erforschen der Hintergründe aufzufordern.
Das Kind stellt sich in seinem Gefühl konträr zu Leslie und schreibt sich »silly«
als Gedanken zu. Der Erwachsene formuliert die Gefühlsbedeutung bzw. Szene,
die vom Kind als Konflikt formuliert wird, als »disagreement« mit Leslie. Bei
»I don’t think it’s silly at all«, führt das Kind es als Gedanken und nicht als
Tatsache ein, hält sich die Möglichkeit einer Differenz offen und sieht, wie sich
der Erwachsene zu »silly« emotional positioniert. Das Kind möchte vermutlich
in dieser Szene den Erwachsenen mit seinen eigenen Emotionen beeinflussen,
indem es sich so verhält, wie es vermutet, dass der Erwachsene es honorieren
würde.

»(Abe and his father are watching a TV program about snakes with a female nar-
rator.).
Abe (3;8): Ist that a poisonous snake, dad?
Adult: No.
Abe: I think, if she tells about it … I think if she says it’s a poisonous snake … you’re
gonna be wrong.
Adult: You’re right. I would be wrong. But it’s not a poisonous snake, she just said
it wasn’t.
Abe: It looks like a poisonous snake.
Adult: Yah. But it’s not« (ebd., 1995, S. 123).

Abe stellt die Erzählung der weiblichen Sprecherin zu einer möglichen Realität,
die Gefahr beinhaltet, infrage. Wenn die Sprecherin darüber spricht, so kann es
auch in der Verneinung der TV-Erzählung eine giftige Schlange bzw. eine Ge-
fahr darstellen. Indem die Schlange als nicht giftig beschrieben wird, scheint die
Möglichkeit der Gefahr erst jetzt bewusst zu werden. Könnte der Vater über Ge-
fahren schweigen oder lügen? Abe entschließt für sich den Kompromiss, dass die
Schlange aussieht, als würde von ihr Gefahr ausgehen.

»Child (3;9): Can you eat snails?


Mother: Some people eat snails, yes.
Child: Why?
Mother: Because they like them.
Child: Mommy, do you want to eat snails?

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6 False-Belief-Test

Mother: No, I don’t think I’d like eat snails?


Child: I don’t like to eat snails … People eat snails« (ebd., S. 85).

Hier holt das Kind über die Mutter einen Referenzpunkt zum Essen von Schne-
cken ein. Mithilfe der Identifikation mit der Mutter kann es nun eine Unter-
scheidung zwischen sich und anderen Menschen treffen. Das Kind kann sich zu
anderen Menschen konträr positionieren. Hätte die Mutter angegeben, dass sie
Schnecken isst, wäre ein schwer lösbarer Konflikt für das Kind entstanden. Aber
die Mutter differenziert sich bereits mit ihrer ersten Antwort von Menschen, die
Schnecken essen. Das Kind beginnt, die Überzeugung der Mutter zu teilen und
diese zu seiner eigenen zu machen. Es formuliert in seiner letzten Antwort die
klare Position der Mutter: ».don’t like to eat snails«.

6 False-Belief-Test

Gleichzeitig weist die Aufgabenstellung des »False-Belief-Test« bei den meisten


Dreijährigen noch auf eine Vorstellungsbegrenzung hin. Bei diesem Test geht es
um das Unterscheiden zwischen den Überzeugungen anderer Menschen und den
eigenen Annahmen der Kinder. Für Fonagy et al. ist der False-Belief-Test der
Lackmustest für das Mentalisieren. Der Sally-Anne-Test dient zur Überprüfung
von falschen Überzeugungen. Sally gibt den Ball in den Korb, geht hinaus, und
in dieser Zeit legt Anne den Ball in die Schachtel. Sally kommt wieder zurück,
um den Ball zu holen. Die Testfrage lautet nun, wo Sally den Ball vermutet. Erst
über Dreijährige antworten, dass Sally den Ball im Korb sucht – dort, wo sie ihn
vorher hingegeben hat.
Eine weitere Versuchsanordnung stellt der Smarties-Test dar. Dem Kind wird
eine Schachtel, auf der »Smarties« steht, gezeigt und gefragt, was es vermutet,
was der Inhalt der Schachtel sei. Es antwortet: Smarties. Das Kind blickt nun in
die Smarties-Schachtel und sieht Bleistifte. Nun wird es gefragt, was wohl eine
weitere Person glauben würde, was in dieser Schachtel sei. Unter Dreijährige ant-
worten meistens, dass eine andere Person glauben würde, dass Bleistifte in der
Schachtel sind. Fünfjährige lachen meistens über ihren Irrtum mit den Bleistiften,
und sagen, jeder würde denken, in dieser Schachtel seien Smarties. Dreijährige
antworten beim Entdecken des Irrtums, sie hätten bereits gewusst, dass Bleistifte
in der Schachtel sind.
Spannend sind die emotionalen Reaktionen der Kinder. Für die meisten dürf-
te es eine innere Spannung bedeuten, dass ihre Vorstellung nicht mit der Realität

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III Einführung in Mentalisieren

übereinstimmt. Fünfjährige bauen die Spannung mit Lachen ab und positionieren


sich mit anderen gleich, die demselben Irrtum erliegen werden. Kleinere Kinder
weichen der Spannung aus, indem sie die Realität umdeuten und sagen, sie hätten
es vorher bereits gewusst.
Diese Ergebnisse sind kulturunabhängig. Auch bei der Testung von Pygmä-
enkindern kam es zu denselben Ergebnissen. Für die AutorInnen besagt dieser
Test, dass es dreijährigen Kindern schwerfällt, ihr Wissen von den Annahmen
anderer Personen zu trennen und ihnen eine unterschiedliche Erfahrungssicht
zuzubilligen (Siegler et al., 2005).
Was bei den Überlegungen meistens nicht erwähnt wird, ist die emotiona-
le Bedeutung, die bei den Aufgaben entsteht. Das intersubjektive Geschehen in
der Testabfolge zwischen Kind und Versuchsleiterin findet in der Literatur kaum
Beachtung. Bei dem Smarties-Test gelingt es jüngeren Kinder, die Aufgabe zu
erfüllen, wenn die Versuchsleiterin eingreift und die Szene mit der Vorstellung
aufbaut, einem anderen Kind einen Streich zu spielen. Dann ist es auch für die
jüngeren Kinder leichter zu erkennen, dass andere Kinder eben nicht wissen, dass
Bleistifte in der Smarties-Schachtel sind. Die ForscherInnen vermuteten, dass die
klare Rolleneinnahme des »Betrügers«, der die Bleistifte in der Smartiesschach-
tel deponiert, es den Kindern erleichtert hat, sich vorzustellen, wie die anderen
Kinder einem Irrtum aufsitzen würden (Sullivan & Winner, 1993). Hier ist die
Differenz zum Erwachsenen aufgehoben und das Kind handelt so, wie es ihm der
Erwachsene vorgibt. Es steht nicht allein da mit seiner Welterkenntnis. Fünfjäh-
rige fantasieren sich sofort andere Kinder dazu, die ebenfalls dem Irrtum erliegen
würden, wenn sie zu der Smarties-Schachtel gefragt würden.
Bei einer anderen Form der Betrachtung stellt sich schnell heraus, dass es sich
um ein intersubjektives Geschehen handelt und die Subtilität der Szene nur in
der Begegnung mit der Versuchsleiterin verstanden werden kann.
Wodurch diese Fähigkeit entsteht, ob sie eine spezifische Fähigkeit in der Ent-
wicklung des Menschen darstellt oder Folge der Reifung allgemeiner kognitiver
Fähigkeiten bedeutet bzw. ein Zusammenspiel all dessen darstellt, ist noch nicht
geklärt (Taubner, 2015).
Die von Simon Baron-Cohen, Patrik Bolton und Alan Leslie erbrachten Da-
ten legen nahe, dass Kinder, die unter Autismus leiden, eine eingeschränkte oder
keine ToM-Fähigkeit aufweisen. Diesen Kindern wird die Fähigkeit von Em-
pathie und Partizipation an ihrer Umgebung abgesprochen (Baron-Cohen &
Bolton, 2006).
Michael Merzenich von der University of California vermutetet afgrund sei-
ner Erforschungen der Plastizität des Gehirns, dass es sich nicht um das Fehlen

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7 Erklärungen für die Entwicklung der Theory of Mind

eines Moduls für Empathie handelt, sondern dass es zu einem Ungleichgewicht


und keiner gegenseitigen Regulierung von erregenden und beruhigenden Neuro-
nen kommt. Impulsive Erregungen können nicht gehemmt werden. Es kommt
vermutlich zu einer Fehlverarbeitung von Reizen, die zur Fehlinterpretation von
emotionalen Situationen führt (Merzenich, 2013; Mottron, 2016).

7 Erklärungen für die Entwicklung der Theory of Mind

Die Daten, die in der Autismusforschung gewonnen wurden, eröffnen unter-


schiedliche Fragestellungen, können aber nicht beantworten, warum es Menschen
mit Autismus schwerfällt, die Fähigkeit des Gedankenlesens zu erlangen. Es lässt
sich nicht genau sagen, was eine Verbesserung des Mindreadings hervorrufen
könnte. Diese Fragestellungen haben diverse Kontroversen ausgelöst (Siegler et
al., 2005).
Ein Strang der Forschung geht in die Vorstellung eines eigenen Moduls für die
Theorie des Geistes (Theory-of-Mind-Modul) als spezifischem Gehirnmechanis-
mus. Bei einer normalen Entwicklung kommt dieser Mechanismus zur Entfaltung
und führt im Verlauf der ersten fünf Lebensjahre zu einem differenzierten Verste-
hen der innerpsychischen Welten von anderen Menschen (Dennett, 1987; Fodor,
1992; Leslie, 2000; Wellman, 2014). Die Problematiken bezüglich der Empathie-
fähigkeit bei autistischen Kindern werden mit der biologischen Beeinträchtigung
oder Beschädigung des Theory-of-Mind-Moduls erklärt. Der Mechanismus für
ToM wird von einigen ForscherInnen mit dem Mechanismus für Mentalisieren
gleichgestellt. Gergely und Unoka ziehen auch einige Forschungsergebnisse her-
an, um zu beweisen, dass das Bindungs- und das Mentalisierungssystem nicht
zusammenhängen. Sie stellen sich damit auch gegen eine primäre Intersubjektivi-
tät in der Entwicklung der Mentalisierung (Gergely & Unoka, 2011).
Eine weitere Denkrichtung betont die Bedeutung der Interaktion mit ande-
ren Menschen als bedeutenden Motor für die Entwicklung einer Theorie des
Geistes (Perner, 1993; Astington & Reiss, 2000; Astington & Baird, 2005). Hier
werden Befunde aus der Geschwisterforschung herangezogen, durch die gezeigt
werden kann, dass Kinder mit älteren Geschwistern besser beim False-Belief-Test
abschneiden als Kinder, die nicht so viel Interaktion erleben.
Eine dritte Gruppe von ForscherInnen legt den Fokus auf die Informati-
onsverarbeitung als entscheidende Fähigkeit für das Verstehen des Geistes an-
derer Menschen. Durch die Komplexität der Informationsverarbeitung gelingt
es dreijährigen Kindern und autistischen Menschen nicht, über das Wissen für

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III Einführung in Mentalisieren

Mindreading zu verfügen. Die Verarbeitungsfähigkeit hängt in diesem Erklä-


rungsmodell von einer kognitiven Leistung ab, die auch Widersprüchlichkeiten
enthält, von einer Denkleistung, die erst ältere Kinder leisten können (Zelazo et
al., 2003).
Vermutlich kommt allen drei Erklärungsmodellen in der Entwicklung zum
Gedankenlesen bzw. zur Mentalisierung eine Bedeutung zu. Die Gehirnreifung,
die Interaktion mit anderen Menschen und eine erhöhte Informationsverarbei-
tung scheinen nach neuesten neurobiologischen Hinweisen eine allgemeine wie
spezifische Bedeutung für die Entwicklung der ToM zu haben (Taubner, 2015;
Siegler et al., 2005).
Harry Wellman hat seine 25-jährige Forschung zur ToM wie folgt zusammen-
gefasst:

»Theory of mind (a) is rapidly acquired in the normal case, (b) is acquired in an
extended series of developmental accomplishments, (c) encompasses several basic
insights, that are acquired worldwide on a similar trajectory (but not timetable),
(d) requires considerable learning and development based on an infant set of spe-
cialized abilities to attend to and represent person, and is severely delayed in both
autism and in deaf children of hearing parents.
Not all researchers would agree with all these points, but nonetheless this list
represents an important consensus regarding theory of mind based on considerable
empirical knowledge garnered from 25 years of research effort by developmental
scientists across a range of disciplines and countries« (Wellman, 2014, S. 31).

8 Bindung und Mentalisierung

Ein wichtiger Baustein für das Mentalisierungskonzept ist die Verknüpfung mit
dem Bindungskonzept und dessen Forschungsergebnissen. Die Arbeitsgruppe
um Fonagy hat mit der Einbindung der Erkenntnisse um das Bindungskonzept
den lange währenden Konflikt zwischen Psychoanalyse und Bindungskonzept
beigelegt. Die Erkenntnisse aus der Bindungsforschung werden nun bedeutungs-
voller für die klinische Anwendung.
Das Modell der Bindung beruht auf der Vorstellung, dass ein Bindungs-In-
stinktsystem genetisch bereits in uns vorhanden ist (Bowlby, 1973; Gergely &
Unoka, 2011). Das Bindungssystem, das genetisch verankert ist, soll uns bei
Stresssituationen, wie Trennung und Bedrohungen, zum adaptiven Funktionie-
ren befähigen. Bei Kleinkindern führen negative Affekte, wie Angst, Erschöpfung

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8 Bindung und Mentalisierung

usw., zur Reaktivierung der Bindung. Sie suchen bei der Pflegeperson Schutz.
Für Bowlby besteht die Bedeutung des Bindungsinstinktes darin, dass der nicht
selbstständig lebensfähige Nachwuchs vor Gefahren beschützt und ihm somit ein
Überleben ermöglicht wird. Viele Säugetiere besitzen diesen Mechanismus, bei
dem der Nachwuchs instinktiv die Nähe zur Mutter sucht, wenn sich ein mögli-
ches Bedrohungsszenario entwickeln könnte.
Die Bindungstheorie wurde früher von den PsychoanalytikerInnen sehr stark
abgelehnt, weil sie ihnen der Psychologie zu nahe stand. Heute wird sie von Bowl-
by teilweise zu den psychoanalytischen Theorien gezählt. Sie stellt ein Bindeglied
zur allgemeinen Psychologie und ihren Herangehensweisen an das Verständnis
des Menschen dar und findet immer mehr Bedeutung für psychodynamische
Therapien. Seit den schnell anwachsenden Erkenntnissen der Säuglingsforschung
finden immer mehr Verbindungen zwischen psychologischen Daten und der kli-
nischen Anwendung der tiefenpsychologischen Schulen statt.
Bowlby begann Ende der 1940er Jahre, sein Interesse auf die Beziehung
zwischen Säugling und Mutter zu legen. Er erkannte einen Zusammenhang zwi-
schen der Qualität der Bindung zwischen Mutter und Säugling und der späteren
psychischen Disponiertheit eines Jugendlichen bzw. Erwachsenen. Bereits 1944
beschäftigte er sich mit jugendlichen Dieben und später dann mit Kindern, die
in Heimbetreuung waren. Es gelang ihm, eine Verbindung zwischen dem Verhal-
ten der devianten Jugendlichen und der fehlenden mütterlichen Zuwendung bei
Heimkindern herzustellen.
Bowlby strich die Bedeutung der Bindung heraus und beschrieb als einer
der Ersten, dass der Säugling mit einer Veranlagung zur aktiven Interaktion zur
Welt kommt. Mit diesem Gedanken betrat er biologischen Boden und unter-
suchte nun verstärkt »das Bindungsverhalten« von Kindern. Er beobachtete
auch, dass »Bezugspersonen« als sicherer Ausgangspunkt für die Erkundung
der Welt von Kindern genutzt werden, und es einen Zusammenhang zwischen
»Exploration« und »Bindung« gibt. Sein Credo für eine gesunde Entwicklung
war die sichere Bindung des Kindes an die Mutter. Wenn die Kinder keine si-
chere Bindung vorfinden, kommt es bei ihnen später zu einer partiellen oder
vollständigen Deprivation. Später stellte er eine Verbindung der Symptome zu
den Trennungsreaktionen von Kindern her. Er beschrieb die Trennungsreaktio-
nen als den Ablauf von »protest – desperation – detachment« (Bowlby, 1973).
Das Aufrechterhalten der Bindung beschrieb er als Verhalten und löste somit die
große Kontroverse mit der Psychoanalyse aus. Das Bindungsverhalten ist nicht
mehr durch das Triebmodell erklärbar.
Von den ObjektbeziehungstheoretikerInnen unterscheidet ihn der Gedanke,

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III Einführung in Mentalisieren

dass das Kind nicht die Mutter als Objekt sucht, sondern das System von der
Suche nach Nähe zur Mutter geleitet wird. Das Ziel ist die Regulierung eines kör-
perlichen Zustands, die durch Nähe erreicht wird. Das körperliche Ziel wird erst
später durch das Psychische ersetzt, sich der Mutter nahe zu fühlen.
Bedeutung für die Entwicklungspsychologie bekommt die Bindungstheorie
im Verstehen des Zusammenhangs zwischen Bindung und Exploration. Wenn ei-
ne sichere Bindung besteht, sprich die Bezugsperson in der Nähe ist, kann das
Kind neugierig auf die Welt sein (Ainsworth, 1978). Wenn die Bindungsperson
abwesend ist, wird die Exploration, das In-die-Welt-Gehen des Kindes gehemmt.
Daraus lässt sich schließen, dass eine sichere Bindung stark zur Entwicklung von
kognitiven und sozialen Fähigkeiten beiträgt. Wenn das Kind Angst hat, zieht
es sich wieder zur Mutter zurück und reduziert somit die äußeren Stimuli. Tren-
nungen rufen zwei stressreiche Situationen für das Kind hervor: erstens eine
ungeschützte Exponiertheit und zweitens die Abwesenheit einer Schutzquelle.
Durch die Abwesenheit der Bezugsperson wird das System Furcht aktiviert. Die
Verhaltenssysteme Bindung, Exploration und Furcht regulieren das Sein in der
Welt für das Kind (Ainsworth et.al., 1978; Fonagy & Target, 2011, 2003).
Im zweiten Band seiner Trilogie führte Bowlby aus, dass das Kind durch die
Anwesenheit der Bezugsperson eine Vorstellung über die Sicherheit bzw. deren
Verlässlichkeit entwickeln kann. Hier verknüpft er Bindung mit der kognitiven
Entwicklung, der Fähigkeit vertrauen zu können (Bowlby, 1973). Diese Verhal-
tenssysteme bezeichnet Bowlby als »innere Arbeitsmodelle«. Bowlby unterstrich
mit seinem Werk die reale Bedeutung der Beziehungen für die menschliche Ent-
wicklung.
Ein großer Schritt zur Weiterentwicklung der Bindungstheorie wurde von
Mary D. Salter Ainsworth geleistet. Ihre Pionierarbeit gründet sich auf die Ein-
führung des sogenannten »Strange-Situation-Test«. Hier entwickelte sie ein
Instrument zur Beobachtung der inneren Arbeitsmodelle bei Kleinkindern.
In diesem Versuch werden die Kinder mit ihrer Bezugsperson, meistens mit
der Mutter, in einen Raum mit Spielzeug geführt. Die Versuchsleiterin macht
dem Kind die Umgebung vertraut. Das Kind wird dann in einzelnen Episoden
mit sieben Situationen konfrontiert. In zwei dieser Episoden wird das Kind von
der Mutter getrennt und wieder mit ihr zusammengeführt. Dazwischen kommt
es zur Interaktion mit einer fremden Person. Diese Person widmet sich dem Kind,
wenn es allein ist, und einmal im Beisein eines Elternteils. Die Episoden dauern ca.
drei Minuten. BeobachterInnen beurteilen das Verhalten des Kindes. Aus den Be-
obachtungen ließen sich unterscheidbare Verhaltensmuster herauskristallisieren,
was einen Rückschluss auf die Qualität bzw. Sicherheit der Bindung ermöglich-

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8 Bindung und Mentalisierung

te. Später führten dann BindungsforscherInnen noch eine vierte Kategorie ein
(Siegler et al., 2005).
Die erste Bindungskategorie ist die der sicher gebundenen Kinder. Hier wa-
gen sich die Kinder nach einiger Zeit an das im Raum liegende Spielzeug und
blicken zwischenzeitlich immer wieder nach den Eltern, oder sie zeigen ihren El-
tern das gefundene Spielzeug. Wenn die Eltern das Zimmer verlassen, sind die
Kinder meistens, aber nicht immer, beunruhigt und zeigen bei der Rückkehr der
Eltern Freude und krabbeln diesen entgegen. Sie beruhigen sich durch die Anwe-
senheit der Eltern sehr schnell und beginnen erneut, den Raum zu erkunden.
In den beiden anderen Bindungskategorien beschrieb Ainsworth Kinder, die
sie als unsicher gebunden bezeichnete mit den Unterkategorien von unsicher-
ambivalent gebunden und unsicher-vermeidend gebunden. Kinder, die bereits zu
Beginn des Fremden-Tests sehr nahe bei den Eltern bleiben bzw. sich an diese
klammern und beim Zurückkommen der Eltern einen Kontakt herstellen, bei
dem sie das Trösten der Eltern ablehnen, beschrieb Ainsworth als unsicher-ambi-
valent in ihrem Bindungsverhalten. Zu der Kategorie unsicher-vermeidend zählte
sie Kinder, die eine abwehrende Reaktion auf die Eltern bei deren Rückkehr in
den Raum zeigten. Sie begrüßten die Eltern nicht und drehten sich auch von
diesen weg. ForscherInnen beobachteten außerdem Kinder, die keine nachvoll-
ziehbaren klaren Reaktionen zeigten. Sie reagierten in der Situation zum Beispiel
mit ängstlichem Lächeln und Wegschauen, oder sie schienen ruhig und zufrie-
den, um dann spontan mit Wut zu reagieren (Siegler et al., 2005).
Es lassen sich nach Ainsworth folgende Bindungskategorien unterscheiden:
➢ sicher gebunden:
➢ Kinder kommunizieren in der Trennungssituation ihren Kummer of-
fen aus,
➢ lassen sich schnell trösten und wenden sich bald ihrem Spiel wieder
zu,
➢ zeigen ausgewogene Balance zwischen Bindungsverhalten und Ex-
ploration.
➢ unsicher-vermeidend:
➢ Kinder zeigen in der Trennungssituation wenig Kummergefühle, son-
dern konzentrieren sich besonders auf ihr Spiel,
➢ beim Zurückkommen der Bindungsfigur vermeiden sie aktive Nähe,
➢ ihre Aufmerksamkeit ist größtenteils auf Kosten des Bindungsverhal-
tens auf das Explorationsverhalten gerichtet.
➢ unsicher-ambivalent:
➢ Kinder weinen in der Trennung und lassen sich schlecht beruhigen,

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III Einführung in Mentalisieren

➢ zeigen ambivalente Verhaltensweisen: Wunsch nach Nähe, anderer-


seits Kontaktwiderstand, der sich in Form von Ärger, Wut oder
passiver Verzweiflung ausdrückt,
➢ ihre Aufmerksamkeit ist größtenteils auf Kosten des Explorations-
verhaltens auf das Bindungsverhalten gerichtet.
➢ desorganisiert-desorientiert:
➢ Kinder haben während der Trennung keine Bewältigungsstrategie
und zeigen während der Wiedervereinigung unvereinbare Verhal-
tensweisen: stereotype Bewegungen, nach dem Aufsuchen von Nähe
Phasen der Starrheit (freezing) und Ausdruck der Angst gegenüber
dem Elternteil;
➢ desorganisiertes Verhalten findet man bei misshandelten und ver-
nachlässigten Kindern sowie bei Kindern, deren Eltern eigene Trau-
erprozesse noch nicht verarbeitet haben.

Eine sichere Bindung stellt für die Entwicklung der Mentalisierung eine notwen-
dige Grundlage dar. Erst auf dieser Grundlage können Kinder ihren Eltern ein
psychisches Innenleben bzw. mentale Zustände zuschreiben. Wenn das Bindungs-
system am Modus Exploration wirkt, können die Kinder auch das Innenleben
ihrer Betreuungspersonen erkunden. Sicher gebundene Kinder können ein Ver-
trauen gegenüber der Welt und anderen aufbauen und diese dann mit Neugier
erkunden. Die Interaktionen werden als erlebte Erfahrungen immer stärker im
Kind internalisiert und stehen dadurch verstärkt mental zur Verfügung. Diese
intersubjektiven Erfahrungen werden immer deutlicher mental verankert und
führen zu einer Generalisierung der Erfahrungen und damit zu einer Wiederho-
lungshaltung in der Erwartung des Kindes. Durch diese Wiederholungen und die
Fähigkeit zur Abstraktion kommt es zu einer Generalisierung, die wiederum zu
einer Organisation von intrapsychischen Strukturen führt. Diese Strukturen zei-
gen sich in den Strategien, die wir zur Befriedigung unserer Bindungsbedürfnisse
entwickelt haben. Das Mentalisierungskonzept lässt sich als ein Strukturmodell
betrachten und stellt somit ein neues Konzept zur Entwicklung des Selbst dar.
Die Mentalisierungsfähigkeit spiegelt die Entwicklungserfahrungen des Selbst
bzw. die ihm zugrunde liegende Struktur wider und damit auch das in ihm ent-
haltene Entwicklungspotenzial (Steinberger, 2019; Taubner, 2015; Fonagy et al.,
2004; Taubner et al., 2010; Grossmann et al., 2015). Fonagy et al. sehen, dass bei
einer dysfunktionalen Bindungsumwelt die Gefahr besteht, dass »dem Individu-
um entscheidende Bausteine für die Entwicklung dieser Struktur vorenthalten
bleiben« (Fonagy et al., 2004, S. 256). Die Bausteine sind die Bindungserfahrun-

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9 Mentalisierung und das Strukturmodell des Selbst

gen, die eine Struktur bilden, die wiederum die Grundlage des Selbst darstellt.
Das Selbst wird uns durch die Möglichkeit einer Urheberschaft gewahr.

9 Mentalisierung und das Strukturmodell des Selbst

Die Denktraditionen von Charakter- bzw. Persönlichkeitsstörungen beruhen auf


einer klar beschriebenen Hermeneutik, in deren Kern sich die Vorstellung einer
innerpsychischen Struktur findet. Der Begriff der Struktur stellt sich in der Lite-
ratur als ein vielschichtiges Phänomen dar, das in unterschiedlichen Disziplinen
gebraucht wird. Es leitet sich vom lateinischen Wort structura ab und bedeutet
erstens Zusammenfügung, Bau und zweitens Bauart, Struktur (Stowasser et al.,
1998, S. 484).
Freud versuchte, das psychische Chaos, das ihn umgab, in einer verstehen-
den Struktur abzubilden, um sie »sehen« zu können. Er entwickelte den Begriff
des psychischen Apparats und darauf aufbauend ein topografisches Modell, nach
dem die Grundlage des Verstehens bzw. die Anwendung einer Struktur an einen
Ort gebunden ist, einen Topos. Er versuchte, die Gesetzmäßigkeiten des psychi-
schen Erlebens, der alltäglichen Wiederholungen, der Wahrnehmungen, die uns
ständig umgeben, in eine Struktur zu binden und sie damit dem Chaos zu entrei-
ßen und einer Wiederholung zuzuführen. Freud schreibt:

»Wir nehmen an, dass das Seelenleben die Funktion eines Apparates ist, dem wir
räumliche Ausdehnung und Zusammensetzung aus mehreren Stücken zuschrei-
ben, den wir uns also ähnlich vorstellen wie ein Fernrohr, ein Mikroskop u. dgl«
(S. Freud, 1940a, S. 67).

Er legte sein Verstehen in einem größeren Kontext aus, wofür er die Metapher
des Fernrohrs heranzog, und beschrieb es in seinem metaphorischen Werk To-
tem und Tabu. Unser Verstehen bewegt sich auf einer kleinen Achse, wobei wir
ebenso in das Größere einer Struktur blicken können wie in das Kleinere. In
dem Artikel »A General Model for the Origin of Allometric Scaling Laws in
Biology« entwarfen West, Brown und Enquist ein generalisiertes Modell, um zu
verstehen, warum größere Organismen ein zu kleineren Organismen äquivalentes
Sinken des Stoffwechsels aufweisen. Die Antwort liegt in den genetischen frak-
talen Bausteinen, die sich wiederholen, sodass eben nur ein Architekturplan für
wiederkehrende Muster herangezogen werden muss, um eine komplexe Fraktali-
tät zu entwerfen (West et al., 1997, S. 122f.). Wenn wir nun eine entsprechende

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III Einführung in Mentalisieren

Entwicklung für das psychische Geschehen annehmen, wie Freud es beschrieben


hat, so spiegelt sich in all unseren Beziehungen das Grundmuster der Liebes-
erfahrungen bzw. Bindungserfahrungen zu unseren Eltern wider. Mit kleinen
Verschiebungen und Erneuerungen kommen wir auf ein Beziehungsmuster von
Selbstähnlichkeit. Anhand von dieser Selbstähnlichkeit bzw. Fraktalität entwer-
fen wir Muster von Strukturen, die sich über unsere Interaktionsmuster legen
lassen.
Das nicht direkt Sichtbare unterziehen wir einer hypothetischen Struktur, in
der wir psychisches Erleben abzubilden bzw. zu beschreiben versuchen. Es kann
auf diese Struktur nur indirekt rückgeschlossen werden (Orange, 2000, S. 543;
Doering & Hörz, 2012, S. 2). Demnach handelt es sich um Denkmodelle, die die
jeweilige Idee der kulturellen Zeitvorstellung tragen, wie zum Beispiel das Wort
Binden, Apparat oder Mikroskop und Fernrohr.
Die Psychoanalyse teilt sich in Hinblick auf den Begriff der Struktur in
drei Entwicklungsstränge auf: in einen quantitativen und in zwei qualitative
Zweige. Der quantitative Strukturbegriff versucht, das Ausmaß der Pathologie
herauszuarbeiten, und die beiden weiteren Stränge stellen eine Ausarbeitung der
Charakterpathologie und einer Neurosenstruktur dar (Doering & Hörz, 2012,
S. 2).
Für Kernberg bleibt eine Struktur stabil und weist immer wieder die glei-
chen Muster von Übertragung und Gegenübertragung auf, beruhend auf immer
wiederkehrenden Abwehrmechanismen (Kernberg, 2014, S. 130). Kernberg legt
seinem Strukturmodell ein primäres Motivationssystem zugrunde, das als Ver-
mittler zwischen biologischen, symbolischen und intrapsychischen Strukturen
agiert. Affekte führen zur Internalisierung von Objektbeziehungen, die er mit
den inneren Arbeitsmodellen von Bowlby gleichsetzt. Im prozeduralen Gedächt-
nis, das nicht bewusstseinsfähig ist, verankern sich die Affekte und bilden somit
eine entsprechende Repräsentation des Selbst und des Objekts. Als Objektbezie-
hungstheoretiker stellt er dem Selbst das Objekt als abgespeicherte Erfahrung
gegenüber (ebd., S. 137).
Das Selbst bildet sich aus den Begegnungen mit anderen, indem diese Er-
fahrungen internalisiert, abstrahiert und in mentalen Modellen verankert bzw.
strukturiert werden. Das Verständnis für das eigene Selbst entfaltet sich über die
Mentalisierungsfähigkeit, da diese einen Zugang zu den inneren gebildeten Sche-
mata darstellt (Taubner et al., 2010). Eine einfühlende und sichere Bindung stellt
die Grundlage für eine hohe Mentalisierungsfunktion dar und ermöglicht wie-
derum die Entwicklung eines integrierten Selbst, das sich in der Gewahrwerdung
einer Selbsturheberschaft abbildet.

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10 Entwicklungsstufen der Mentalisierung

10 Entwicklungsstufen der Mentalisierung

Ausgehend von der Affektregulierung, aufbauend auf der Bindungstheorie und


der Theorie des sozialen Biofeedbacks, entwickelten Fonagy und KollegInnen um
ihr Mentalisierungskonzept eine Entwicklungstheorie, die immer work in progress
ist. Herangezogen werden ausformulierte Konzepte aus den Arbeiten von Fonagy
et al. (2013) sowie Taubner (2015, 2010). Die Mentalisierungsfähigkeit entwi-
ckelt sich in einem Kontinuum von unterschiedlichen Schritten und bildet die
Voraussetzung für die Fähigkeit, über sich nachzudenken und somit seines Selbst
gewahr zu werden.
Die AutorInnen gehen von einer Veranlagung im Kind aus, die es ihm ermög-
licht, Kontingenzstrukturen zu erkennen und zu erforschen. Dies ermöglicht eine
Interaktion zwischen Mutter und Kind im Sinne von abwechselnden Rollen von
Zuhören und Vokalisieren (Gergely & Unoka, 2011). Diese Kontingenzen bilden
die Bausteine für die Entwicklung des Erlebens und ermöglichen die Vorstellung
eines Selbst. Das Gewahrwerden des Selbst erfolgt auf einer Entwicklungslinie,
die zur Vorstellung über sich und andere als UrheberIn führt (agency). Sich als
psychisches Wesen erleben zu können, erfolgt in der Entwicklungslinie eines in-
tersubjektiven Prozesses, der auf Bindungserfahrungen beruht und somit auch
eine defizitäre Entwicklung nehmen und zu psychischen Fehlentwicklungen füh-
ren kann. Die Bindung hat für Fonagy und KollegInnen die Funktion, Affekte
einer Regulierung zuzuführen. Und mit dem Übergang einer Ko-Regulierung
durch die Bezugsperson zur Selbstregulation entwickelt sich das Wahrnehmen
eines Selbstgefühls (Taubner, 2015).
Fonagy und KollegInnen fassen ihr Konzept in vier Entwicklungsstufen zu-
sammen und ordnen sie einer Zeitleiste bei (Fonagy et al., 2013, S. 53):
➢ teleologischer Akteur (6–12 Monate)
➢ Selbst und andere werden als teleologische Akteure verstanden:
➢ begreift Kausalität zwischen Handlung, Akteur und Umfeld
➢ versteht Urheberschaft ausschließlich im Sinne physischer
Handlungen und Zwänge
➢ intentionaler Akteur (12–24 Monate)
➢ Selbst und andere werden als intentionale Akteure verstanden:
➢ begreift, dass Handlungen durch vorhergehende mentale Zu-
stände (z. B. Wünsche) verursacht werden und dass Handlun-
gen zu Veränderungen in Geist und Körper führen können
➢ entwickelt Sprache für mentale Zustände und Fähigkeit, nicht
egozentrisch auf Gefühle und Wünsche bei anderen zu schließen

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III Einführung in Mentalisieren

➢ kann mentale Zustände noch nicht unabhängig von physischer


Realität repräsentieren
➢ erlebt innere Realität in manchen Momenten als weitaus zwin-
gender als äußere Realität, in anderen Momenten als belanglos
(Modus der »psychischen Äquivalenz« und des »Als-ob«
➢ repräsentationaler Akteur (3–4 Jahre)
➢ versteht Selbst und andere als repräsentationale Akteure:
➢ begreift, dass Handlungen anderer Menschen durch deren
Überzeugungen verursacht werden
➢ ist zunehmend in der Lage, Falsche-Überzeugungs-Aufgaben
zu lösen
➢ weiß, dass Menschen nicht immer fühlen, was sie zu fühlen
scheinen, und von früheren emotionalen Erfahrungen beein-
flusst werden
➢ zeitlich ausgedehnte Selbstrepräsentanz (um das 6. Lebensjahr)
➢ Fähigkeit, Erinnerungen an intentionale Aktivitäten und Erfahrun-
gen zu einer kohärenten, kausalen und zeitlichen Organisation in
Bezug zu setzen
➢ Ausbildung eines zeitlich ausgedehnten Selbst

10.1 Teleologischer Akteur und Interpretation der Realität

Das Wort »Teleologie« kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Zweck,
Ziel, Ende und Lehre. Die Teleologie ist die Lehre, dass Handlungen einem Ziel
bzw. einem Zweck unterliegen. Der Begriff bezeichnet auch die Rationalität un-
seres Handelns. Fonagy und KollegInnen verwenden ihn zur Kennzeichnung
einer Entwicklungsstufen, die sie in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres
verorten. Auf dieser Entwicklungsstufe beginnt das Kind, sich als der Urheber
von Handlungen zu erleben. Es erfährt sich als Akteur und kann nun die Kau-
salität zu seiner Umgebung wahrnehmen. Mit neun Monaten, im Laufe der
sogenannten Neun-Monats-Revolution«, betrachten die Kinder Handlungen
als Ausdruck einer zugrunde liegenden Absicht eines Urhebers. Sie können sich
jetzt als Verursacher von Handlungen verstehen und Aktionen setzen, um ein
Ziel zu verfolgen. Kinder erwarten von den Erwachsenen ein logisches Verhalten,
das sich auf einer physischen Ebene bewegt. Sie möchten etwas haben, und ihr
Blick wandert zum Erwachsenen, und sie beobachten, wie er auf ihre deutende
Hand reagiert. Sie internalisieren diese Szenen und wiederholen sie immer wie-

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10 Entwicklungsstufen der Mentalisierung

der. Sie erleben sich nun als Akteur (Fonagy et al., 2013; Fonagy et al., 2004;
Bolm, 2009, 2015).

10.2 Intentionaler Akteur und intentionale Interpretation der Realität

Der Begriff der Intentionalität bezieht sich auf die Fähigkeit des Bewusstseins,
sich auf etwas zu beziehen. Der Begriff wurde von Brentano in die Psycholo-
gie eingeführt. Er beeinflusste mit seinem Denken auch Sigmund Freud, der ein
Schüler von ihm war.
Im Laufe des zweiten Lebensjahres wird das Kind seiner Intentionalität ge-
wahr und kann nun sich und den anderen zu mentalen Zuständen in Bezug
setzen. Das Kind begreift nun, dass Handlungen, die es setzt, mentale und kör-
perliche Veränderungen bewirken können. Es kann nun auf Gegenstände zeigen
und frustriert reagieren, wenn es sie zum Beispiel nicht bekommen. Das Kind
zeigt nun eine klare Ausrichtung seiner Affektregulierung und spiegelt damit sei-
ne Beziehungserfahrungen wider. Es beginnt, eine Sprache für seine Gefühle zu
entwickeln und kann nun auch über die Wünsche von anderen sprechen, ohne
selbst in Bezug zu diesen zu stehen. Es kann mit anderen zielgerichtete Hand-
lungen absolvieren. Es gelingt aber noch nicht, die mentalen Zustände von der
physischen Welt zu trennen. Das Innen und das Außen bleiben verwoben und
können noch nicht klar voneinander unterschieden werden. Auf dieser Entwick-
lungsstufe befindet sich auch der Übergang zwischen Äquivalenzmodus und Als-
ob-Modus (Fonagy et al., 2013; Fonagy et al., 2004; Bolm, 2009, 2015).

10.3 Repräsentationaler Akteur und Erkennen des Selbst und


des anderen

Zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr beginnt sich das Verständnis dafür
zu entwickeln, dass Menschen von inneren Meinungen und Überzeugungen zu
Handlungen gebracht werden. Kinder können erst ab diesem Zeitpunkt den Fal-
sche-Überzeugung-Test bewältigen. Das Kind beginnt nun klar zu unterscheiden,
dass Menschen zum Beispiel etwas anderes fühlen als es selbst in dieser Situa-
tion fühlt. Es kann sich jetzt selbst und andere als klare Akteure verstehen. In
der Entwicklungspsychologie bedeutet das Erreichen dieser Fähigkeit eine gro-
ße Leistung. Das Kind kann nun ein empathisches Verhalten gegenüber anderen
aufbringen. Aufgrund der Vorstellung, dass Menschen ihr Verhalten durch Ge-

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III Einführung in Mentalisieren

danken und Gefühle regeln, entsteht nun ein Selbstkonzept, es entwickelt sich
also eine Vorstellung über das eigene Selbst. Das Kind kann nun auch Witze
und kleine Tricksereien machen und somit seine soziale Interaktion erweitern. Es
kann andere Menschen bewusster zur Regulation seines Selbstgefühls verwenden.
Hier können wir einen Prozess erkennen, der ein Leben lang anhält und uns zu
einem interagierenden Wesen macht. Wir können uns mit Menschen umgeben,
die unsere Interessen, unseren Humor und unsere Einstellungen teilen (Fonagy
et al., 2013; Fonagy et al., 2004; Bolm, 2009, 2015).

10.4 Zeitlich ausgedehnte Selbstrepräsentanz und


das In-Bezug-Setzen von implizitem und explizitem Wissen

Im Laufe des sechsten Lebensjahres beginnt das Kind nun, seine intentionalen
Aktivitäten als Erfahrungen abzuspeichern, um sie zeitlich verschoben in einen
kausalen Zusammenhang zu bringen. Es kann dadurch Vorannahmen und da-
mit verbunden Erwartungen entwickeln. Es entwickelt nun auch die Fähigkeit
zur zweiten Denkordnung, kann also zum Beispiel Lügen bzw. soziale Täuschun-
gen erkennen oder selbst anwenden und die damit verbundenen ambivalenten
Gefühle verstehen. Es begreift nun auch, wie Erwartungen bzw. Vorurteile das
Geschehen beeinflussen können. Diese Fähigkeiten ermöglichen dem Kind auch
einen anderen Umgang mit seinen Impulsen. Es kann diese nun über sprachlich
gebundene Äußerungen zum Ausdruck bringen und damit abführen. Dadurch
kommt es zu einem Rückgang der körperlichen Gewalt bzw. des körperlichen
Ausdrucks von Affekten. Aggressive Gefühle werden jetzt stärker als Beziehungs-
faktor in einer Kombination von Sprache und Abwendung bzw. Nicht-Sprache
ausgedrückt (Fonagy, 2008; Fonagy et al., 2013; Fonagy et al., 2004; Bolm, 2009,
2015; Juen & Fizke, 2010).

10.5 Zusammenfassung

Das kleine Kind geht davon aus, dass sein Wissen von den anderen auch gewusst
wird und dass das Wissen der anderen auch ihm selbst verfügbar ist. Erst später
entwickelt sich eine Vorstellung über die Einzigartigkeit einer Person. Die Tren-
nung der inneren von der äußeren Welt erfolgt im Laufe der Entwicklung und
ist ein prozesshaftes Geschehen. Kleine Kinder, die zu Wutausbrüchen neigen
oder unter Frustrationen leiden, drücken ihre Hilflosigkeit und Ohnmacht aus,

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10 Entwicklungsstufen der Mentalisierung

da sie die innere und die äußere Welt noch nicht trennen können und somit nicht
verstehen, warum der andere nicht so reagiert, wie es sich in ihrer inneren Welt
gerade darstellt. Sie gehen davon aus, dass andere Menschen genau wissen, was sie
möchten. Wenn ihr Selbst noch zu gering entwickelt ist, so nehmen sie die Reali-
tät des anderen als ihre eigene Realität an und somit als ihr eigenes Bedürfnis. Es
entsteht in ihnen ein fremdes Selbst.
Eine weitere Einteilung der Entwicklungslinien wurde 2010 von Svenja Taub-
ner, Tobias Nolte, Patrick Luyten und Peter Fonagy vorgenommen. Die aktuelle
Entwicklungspsychologie spricht nun von verzahnten Entwicklungslinien, die
sich gegenseitig ergänzen und beeinflussen. Jeder einzelne Entwicklungsstrang,
der sozial-emotionale, der körperliche und der kognitive, partizipieren aneinan-
der wie die Wurzeln eines Baumes. Alle Wurzeln bilden die Bausteine für die
Entwicklung hin zur Mentalisierungsfähigkeit und zu der damit verbundenen
Erkenntnis eines Selbst.
Die neueren Entwicklungslinien umfassen auch die ersten neun Lebensmo-
nate (Taubner et. al., 2010, S. 243–258; Taubner, 2015):
➢ 0. bis 9. Monat: das Selbst als physischer und sozialer Akteur
➢ 9. Monat bis 2. Lebensjahr: das Selbst als teleologischer Akteur
➢ 3. bis 4. Lebensjahr: das Selbst als intentionaler Akteur
➢ ab dem 5. Lebensjahr: das Selbst als repräsentationaler oder mentalisieren-
der Akteur

10.6 0. bis 9. Monat: Das Selbst als physischer und sozialer Akteur

Die Fähigkeit sich als physischen Akteur wahrzunehmen, verortete Daniel Stern
durch seine experimentellen Beobachtungen in den ersten drei Lebensmonaten.
Er geht davon aus, dass der Säugling durch seine physische Entität Zusammen-
hänge in der Beeinflussung seiner Umwelt wahrnimmt (D. N. Stern, 2003). Diese
Reizereignisse werden durch die komplexen Fähigkeiten des Säuglings als Kon-
tingenzerfahrungen beschrieben (Gergely & Watson, 2004).
Die Entwicklung des sozial-emotionalen Akteurs beginnt bereits pränatal in
der Interaktion mit der werdenden Mutter. Diese baut während der Schwanger-
schaft eine emotionale Beziehung zu ihrem Kind auf und wird von diesem auch
emotional beeinflusst. Sie beginnt, das Kind in sich zu erdenken und eine Vorstel-
lung von ihm und ihrer Beziehung zu entwickeln. Die Affektregulierung erfolgt
in der Regulierung von physischen Reizen wie Körperkontakt, Streicheln, Wärme
und über die emotionale Zuwendung durch die Bezugsperson. Dieses gemeinsa-

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III Einführung in Mentalisieren

me Regulieren von Affekten bzw. deren Abstimmung zwischen Mutter und Kind
führt nun zu mentalen Repräsentationsstrukturen, die wiederum die mütterlichen
Interaktionen beeinflussen und deren Ursprünglichkeit an emotionsregulieren-
dem Verhalten bei der Mutter modifizieren bzw. ersetzen. Affektspiegelung spielt
in der Mentalisierungstheorie eine zentrale Rolle, wobei die negativen Affekte
durch die Spiegelung reduziert werden, was im Sinne der Kontingenzmaximie-
rungshypothese zu psychischer Stabilität führt. Kontingenz führt beim Säugling
zu einem Lustgewinn, mit dem ebenfalls die negativen Affekte reguliert werden.
Er erlebt sich als aktiven Urheber seiner Affektsteuerung. Die Selbstzuschreibung
der Affekte und deren Beeinflussung erfolgt durch das von Gergely und Wat-
son beschriebene soziale Biofeedback (Gergely & Watson, 2004; Taubner, 2015;
Taubner et al., 2010).

10.7 9. Monat bis 2. Lebensjahr: Das Selbst als teleologischer Akteur

Die Neun-Monats-Revolution ist dadurch gekennzeichnet, dass Babys jetzt sehr


klar zwischen belebten und unbelebten Gegenständen unterscheiden können und
in diesem Alter auch beginnen, Zeigegesten zu interpretieren. Sie zeigen ein affek-
tiv-soziales Verständnis und das semantische Gedächtnis wird sichtbar (Tomasello,
2011). Das Selbst wird in dieser Entwicklungsphase von Fonagy und KollegInnen
als teleologischer Akteur benannt (Fonagy et al., 2004). Dem Säugling werden jetzt
die Fähigkeiten zur Bildung von »naiven Theorien« zugeschrieben. Im Sinne von
Kausalzusammenhängen kann das Baby nun sein Handeln beeinflussen und eine
rationale Beziehung zwischen der gesetzten Aktion und dem Zielzustand herstel-
len. Es entsteht die erste mentalistische Zuschreibung an die Bezugsperson, indem
mit Zeigegesten zum Beispiel ein Ziel erreicht werden kann. Das Handlungsfeld
erweitert sich durch die Bezugsperson. Im Kind bildet sich nun eine Kapazität
für Metarepräsentation. Durch diese neue Fähigkeit entwickelt sich das Als-ob-
Spiel. Im Modus des Als-ob-»decoupler« kann der Säugling nun die komplexen
Funktionen berechnen, die als Grundlage für das vorgetäuschte Spiel bzw. für das
Spiel generell vonnöten sind (Leslie, 1987). Indem das Spiel eine Widerspiegelung
der Realität, aber in realitas nicht die Realität ist, entwickeln sich symbolische Re-
präsentanzen von Gegenständen und Handlungen. Das Spiel muss sich explizit
von der Realität unterscheiden und braucht eine Markierung. Winnicott beschrieb
beim Säugling das Phänomen der Illusion, wobei er autoerotische Erscheinungen
wie Lutschen am Daumen und dann später folgend das Spielen mit weichen Stoff-
puppen als Übergangsobjekte zur realen Mutterbrust betrachtet. Diese besondere

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10 Entwicklungsstufen der Mentalisierung

Fähigkeit im Laufe der Entwicklung des Säuglings schreibt er der Einfühlsamkeit


der Mutter zu, die dem Säugling »damit die Illusion […] gestatte[t], dass das,
was er sich schafft, auch wirklich existiert« (Winnicott, 1969, S. 666; Winni-
cott, 1997). Winnicott beschreibt hier noch die Fragilität der Als-ob-Handlung
und damit auch die Brüchigkeit zwischen Realität und Spiel. Dieser Raum der
Brüchigkeit kann als Mentalisierungsvorläufer betrachtet werden und stellt da-
mit den Übergang zum Mentalisieren dar. Die negativen Affekte werden über die
Externalisierungsmöglichkeit abgeführt bzw. reguliert, indem sie durch einen Pro-
jektionsvorgang auf die Außenwelt projiziert werden, die nun die Als-ob-Bühne
darstellt, (Fonagy & Luyten, 2011; Fonagy & Target, 2001; Taubner, 2015).

10.8 3. bis 4. Lebensjahr: Das Selbst als intentionaler Akteur

Ab dem zweiten Lebensjahr kann das Kleinkind als intentionaler Akteur defi-
niert werden. Es hat nun die Fähigkeit, sich Gefühle zuzuschreiben, die sich über
die Außenwelt beeinflussen lassen.

»Adult: Would you like to have a cookie?


Eve (2,3): I want some cookie. Cookies, that make me happy« (Bartsch & Well-
mann, 1995, S. 114).

Das Kind kann sich Gefühle von Glücklichsein zuschreiben, also in die Zukunft
blicken und den Einfluss der physischen Welt einbeziehen. Dies ist ein Über-
gang vom teleologischen zum mentalistischen Weltbild, indem sich das Kind das
Gefühl Glück zuschreiben kann. Es befindet sich aber noch in einem dualen,
psychischen Erleben. Es kann sich in seinen Bedürfnissen noch in der psychi-
schen Äquivalenz befinden, wobei die Gedanken noch als sehr an der realen Welt
befindlich erlebt werden, und außerdem beeinflusst der Als-ob-Modus das psy-
chische Erleben des Kindes. Eigene Gedanken werden als real erlebt, und der
andere erlebt dieselben Gedanken und befindet sich damit in derselben Realität.
Eve würde davon ausgehen, dass der Erwachsene durch die Kekse ebenso glück-
lich wird wie sie. Ohne die Möglichkeit des Mentalisierens hätte er dieselben
Motive und Vorstellungen wie sie. In diesem Empfinden gestaltet sich die Welt
bei negativen Gefühlen und Fantasien für die Kinder oft als bedrohlich, und je-
der kennt ihre Gedanken, was mit großen Schuldgefühlen einhergehen kann. Im
kindlichen Spiel kommt es zur Integration des dualen Modus und es entwickelt
bzw. stabilisiert sich somit die emotionale Erfahrung und das kindliche Denken.

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III Einführung in Mentalisieren

Im Spiel erfährt das Kind die Bedeutung der Realität des Spiels und der Realität
der Außenwelt. (Fonagy et al. & 2004; Taubner, 2015).
Für Fonagy und Target ist in diesem Entwicklungsschritt die »Spiegel-Bezie-
hung« von wichtiger Bedeutung. Im Gegensatz zu den traditionellen psychoana-
lytischen Theorien liegt die Bedeutung in der Reaktion der Eltern auf die inneren
Erfahrungen des Kindes (Fonagy & Target, 2001). Dadurch erlangt das Kind
eine Symbolsprache für das innerpsychische Geschehen und entwickelt Reprä-
sentanzen zweiter Ordnung. Diese Spielerfahrungen unterstützen die kindliche
Entwicklung der Einnahme und Stabilisierung einer mentalistischen Haltung.

10.9 Ab dem 5. Lebensjahr:


Das Selbst als repräsentationaler oder mentalisierender Akteur

In diesem Entwicklungsabschnitt kommt es zur stabilen Integration des Als-ob- und


des psychischen Äquivalenzmodus. Fonagy und KollegInnen sehen das Kind in der
Erreichung dieser Entwicklungsstufe als eigenen repräsentativen Akteur. Es kann
nun sich und andere in ihren Überzeugungen erkennen und damit falsche Meinun-
gen interpretieren, da sie auf falschen Überzeugungen beruhen können. Das Kind
kann andere Meinungen und Vorstellung als different zu seiner Vorstellung der Welt
betrachten. Parallel ablaufend organisiert sich Erinnerung als autobiografisches Ge-
dächtnis. Fonagy und KollegInnen betrachten diese Kontinuität des Selbsterlebens
als eine höhergradige Mentalisierungsfunktion. Das Kind kann nun eine differen-
zierte Anpassung an das psychische Erleben vollziehen. Es kann Situationen aus
unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Das kindliche Spiel ermöglicht eine si-
chere Entwicklung zu einer stabilen Mentalisierungsfunktion, die von einer flexiblen
Form des Selbsterlebens gekennzeichnet ist. Kinder können nun anderen eine inner-
psychische Befindlichkeit zuschreiben, auf deren Basis diese Entscheidungen treffen.
Damit erlangt das Kind eine Unabhängigkeit von der unmittelbaren emo-
tionalen Reaktion des Gegenübers, es kann sich nun emotional anders dazu
positionieren und eine eigene Weltvorstellung dazu kreieren. Es kann die eigene
Realität zur Realität von anderen positionieren und damit einer Überprüfung
unterziehen. Innen und außen werden als nicht mehr identisch, aber auch nicht
mehr als so strikt getrennt wie im Als-ob-Modus erlebt. Das Kind kann nun
leichter seine Affekte, Impulse und Gefühle steuern. Die eigene Vorstellung über
sich selbst wird immer klarer und damit die Bedeutsamkeit des eigenen Lebens,
verbunden mit der Möglichkeit, ein Vertrauen in das eigene Selbst zu generieren
(Taubner, 2015; Fonagy et al., 2004; Taubner et al., 2010).

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10 Entwicklungsstufen der Mentalisierung

Abbildung 2:
Säugling (El
Shaddai Pho-
tography, Rena-
te Steinberger
2019).

10.10 Die Theorie des soziale Biofeedbacks nach Gergely und Watson

Gergely und Watson entwickelten 1996 die Theorie des sozialen Biofeedbacks durch
die mütterliche Affektspiegelung. Dieses Konzept ist die Grundlage des Konzepts
zur Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit. Sie postulieren einen genetisch ver-
ankerten Prozess des sozialen Biofeedbacks, der dazu beiträgt, dass Säuglinge für ihre
Emotionszustände sensibilisiert werden. Diese Entwicklung läuft in Form eines au-
tomatischen Prozesses von affektregulierenden Interaktionen ab und beruht auf der
»Markierung« der Affektzustände durch die mütterliche Widerspiegelung für das
Baby. Sie greifen auf das Konzept aus der klassischen Biofeedback-Theorie zurück,
in der körpereigene Zustände wie Atemmuster, Blutdruck, Puls, Sauerstoffgehalt des
Blutes, Hautwiderstand usw. als der eigenen Kontrolle entzogen und primär verbor-
gen angenommen werden. Biofeedback soll diese innerlichen Regulationsvorgänge
durch äußeres Feedback sichtbar und damit kontrollierbar machen. Diese Vorstel-
lung des Sensibilisierungsprozesses übertrugen nun Gergely und Watson auf die
affektiven Zustände des Säuglings. Sie beschrieben analog zur Biofeedbackvorstel-
lung einen Mechanismus der Kontingenzentdeckung und Kontingenzmaximierung,
der zur Sensibilisierung des Säuglings für affektive Prozesse führt.
Der Zustand des Säuglings wird durch die Bezugsperson markiert und gespie-
gelt und dadurch in der Betreuungsperson mentalisiert, das heißt aufgenommen
und als nicht ihr zugehörig dem Säugling widergespiegelt. Abgesehen von der För-
derung der Sensibilisierung für die eigenen Affektzustände im Säugling erfüllt das
soziale Biofeedback die Aufgabe, speziell die negativen Affekte einer Zustandsre-
gulierung für den Säugling zuzuführen. Weiters führt diese markierte Spiegelung,

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III Einführung in Mentalisieren

wie bereits weiter oben ausgeführt, zum Aufbau einer sekundären Repräsentanz,
die mit den primären prozeduralen Affektzuständen mit dem Baby junktimiert
wird und somit zu einer Möglichkeit von Vorstellung bzw. kognitivem Zugang zu
den Affekten und dadurch zur Bildung eines Selbst beiträgt. Weiters führt das so-
ziale Biofeedback zu einer Verallgemeinerung des Kommunikationsstiles, wie der
Babysprache, der »markierten« Affektrückspiegelung durch die Funktion der Ent-
koppelung durch die sprachliche und mimische Bildung von Repräsentationen des
erlebten Affekts des Säuglings. Durch die Bildung von Repräsentationen kommt es
zu einem Ausbleiben von realen Konsequenzen im Erleben des Säuglings.

Abbildung 3: Ein Beispiel von ei-


ner Mutter, die einen Gesichtsaus-
druck zeigt, der sich als markiert
und kongruent gegenüber dem Af-
fektausdruck des Säuglings verste-
hen lässt, eine Reaktion auf ein wei-
nendes Kind (El Shaddai Photogra-
phy, Renate Steinberger 2019).

Anhand der Fehlentwicklung dieses Mechanismus kommt es zur Bildung eines


falschen Selbst und damit zu unterschiedlichen Fehlentwicklungen der Konsti-
tuierung des Selbst. Bateman und Fonagy beschrieben diese Fehlentwicklung
anhand der Borderline-Persönlichkeitsstörung und entwarfen damit einen neuen
ätiologischen Zugang zum Verstehen dieser Pathologie (Fonagy et al., 2017).

10.11 Fehlentwicklung in Mentalisierung


durch misslingende Spiegelung

Vernachlässigung, Gewalt, schwere Krankheiten oder andere belastende Lebens-


umstände können die Interaktion mit dem Säugling im Sinne einer guten Affekt-

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10 Entwicklungsstufen der Mentalisierung

Abbildung 4: Hier fehlt die Markie-


rung des Affekts des Kindes. Es wird
ein Affektausdruck widergespiegelt,
von dem sich nicht ablesen lässt, ob
er den Ausdruck des Kindes meint
oder eine Gefühlslage in der Mutter
reflektiert (El Shaddai Photography,
Renate Steinberger 2019).

abstimmung vonseiten der Bezugsperson schwer beeinträchtigen. Es kommt zu


einer Bindungsstörung und einem misslingenden Affekt-Containment. Auf der
Basis einer misslingenden Bindung entwickelt der Säugling Abwehrmechanis-
men, die Fonagy et al. (2004) als Identifizierung mit den Abwehrmechanismen
der Betreuungsperson betrachten (Bolm, 2015; Taubner et al., 2010). Die gesam-
te Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit leidet unter dieser misslingenden
Bindung. Beruhend auf dem Konzept des sozialen Biofeedbacks, der markierten
und kongruenten Spiegelung gibt es drei mögliche Fehlentwicklungen.
1. Es fehlt die Markierung des kongruent gespiegelten Affekts.
2. Es wird die Markierung mit einem nicht kongruenten Affekt gespiegelt.
3. Es fehlt jegliche Spiegelung und damit natürlich auch die Markierung.

Ad 1: Fehlende Markierung
Bei der fehlenden Markierung »gelingt« es der Bezugsperson nicht, für das
Kind eine Unterscheidung zwischen ihren eigenen Gefühlen und den Gefühlen
des Kindes zu treffen bzw. zu markieren. Durch diese unmarkierte Affektspie-
gelung kann der Säugling seinen Affekt nicht verankern und damit auch keine
sekundäre Repräsentanz aufbauen. Das führt zu einem Defizit in der Selbstwahr-
nehmung des eigenen Affektzustands und demjenigen der Bezugsperson. Das
Kind kann nicht entscheiden, ob es sich zum Beispiel um seine eigene Angst
ist oder die Angst der Mutter handelt. Es kann durch die Nichtzuschreibung
des negativen Affekts eine Überflutung seiner Ängste erleben und damit einem

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III Einführung in Mentalisieren

kumulativen Minitrauma ausgesetzt sein. Es erfolgt kein Containing vonseiten


der Mutter (Fonagy et al., 2004; Taubner et al., 2010). Durch die fehlende bzw.
unzureichende Markierung durch die Mutter kommt es zur Entwicklung eines
fragilen Selbst, was zu einer Verwechslung des Als-ob-Modus mit der Realität
führt.
Die fehlende Markierung bei der Interaktion mit Säuglingen findet sich häu-
fig bei der Bindungsklassifikation »ambivalent-verstrickt« und damit gehäuft
bei Müttern mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (Taubner et al., 2010; Fona-
gy & Luyten, 2011).

Ad. 2: Fehlende Kongruenz


Eine fehlende Kongruenz beruht auf einer markierten Affektspiegelung, aber der
gespiegelte emotionale Ausdruck ist eine Fehlinterpretation des Affekts, den der
Säugling zeigt. Die Bezugsperson reagiert auf den Affektausdruck zum Beispiel
mit Ärger und unterliegt damit eigenen Abwehrmechanismen wie der Projekti-
on. Dieser inkongruente Affekt wird vom Säugling als tatsächlicher Ausdruck für
seinen Affekt als sekundäre Repräsentanz verankert (Fonagy et al., 2004; Taub-
ner et al., 2010). Im Säugling bildet sich als sekundäre Repräsentanz nun eine
falsche Zuordnung seines Affekts und die Folge ist eine verzerrte Selbstrepräsen-
tanz im Sinne eines »falschen Selbst«, wie es von Winnicott 1960 formuliert
wurde (Winnicott, 2017).

Abbildung 5: Hier wird dem Kind


ein anderer als der von ihm gezeig-
te Affektausdruck widergespiegelt (El
Shaddai Photography, Renate Stein-
berger 2019).

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Ad 3: Fehlende Spiegelung
Durch die fehlende Spieglung kann der Säugling keine sekundären Repräsentan-
zen seiner Affekte internalisieren und damit keine Gefühlsvorstellungen entwi-
ckeln. Der Zugang zu seinem inneren Verstehen bleibt ihm verschlossen, und er
kann keine Unterscheidung zwischen Gedachtem und der Realität entwickeln.
Das Kind bleibt in seiner psychischen Entwicklung dem Modus der psychi-
schen Äquivalenz verhaftet. Äußerlich wirken diese Kinder oft sehr ruhig, aber
innerlich kommt es zu einer massiven Ausschüttung von Stresshormonen. Die
Bezugspersonen können keine Bindung zum Kind aufbauen, reagieren meistens
mit feindseliger und hilfloser Haltung auf die kindlichen Bedürfnisse. Diese Form
des Alleinseins bewältigen die Kinder, indem sie im teleologischen Modus blei-
ben und nicht zum mentalisierenden Funktionieren übergehen. Dieses Alleinsein
bewältigen sie mit dissoziativen Reaktionen. Die innere Welt des Kindes bleibt
eine bedrohliche Vorstellung, die immer wieder dissoziiert werden muss (Fonagy
et al., 2004; Bateman & Fonagy, 2008; Taubner et al., 2010).

Abbildung 6: Hier fehlt die Spiege-


lung. Es lässt sich keine Interaktion
mit einem Kind oder anderen Perso-
nen ablesen. Das Kind wird mit die-
sem Nichtreagieren der Bezugsper-
son alleingelassen. (El Shaddai Pho-
tography, Renate Steinberger 2019).

10.12 Subdimension des Mentalisierens

Luyten et al. (2015) erarbeiten einen wichtigen Punkt, der sich auf die Unter-
scheidung zwischen der Fokussierung auf das eigene Selbst und die Hinwendung
bzw. die Bezogenheit zu anderen bezieht.

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Nach den neuesten neurologischen bildgebenden Untersuchungen zeichnet


sich ab, dass die neuronalen Netzwerke für das Erkennen des Selbst und das der
anderen identisch sind (Liebermann, 2007; Uddin et al., 2007; Taubner et al.,
2010). Hier lässt sich auf Martin Buber verweisen: »Wir werden am Du zum
Ich.« Wir können den anderen nur durch uns sehen.
Die neuesten Forschungen von Fonagy und KollegInnen heben die Bedeutung
eines allgemeinen Faktors, des p-Faktors, hervor (Caspi et al. 2014). Er liegt jeg-
licher Psychopathologie zugrunde und bezeichnet eine Beeinträchtigung, die auf
drei Faktoren zurückzuführen ist. Die Beeinträchtigung liegt in einer möglichen
positiven Betrachtung der Situation, einem damit verbundenen Unvermögen der
Neubewertung der Situation und einer Hemmung von retraumatisierenden Aus-
lösern (Fonagy et al., 2017).

10.13 Kritik an der Mentalisierungstheorie

Fonagy und KollegInnen übernehmen von Gergely und Watson die Theorie
der mütterlichen Affektspiegelung und konstruieren mithilfe vieler zusammenge-
tragener Befunde, inklusive Bindungsforschung, ein Entwicklungskonzept und
beschreiben die möglichen Fehlentwicklungen, die zu den bekannten psychi-
schen Störungen führen. Ausgehend von der Borderline-Persönlichkeitsstörung
konstruieren sie ihre eigene Vorstellung von Psychopathologie und deren Be-
handlung.
Sie gehen erstens davon aus, dass der Mensch ein angeborenes System in
sich trägt, womit er unter anderem mit den ihm zur Verfügung stehenden Ba-
sisemotionen, Freude, Ärger, Furcht, Kummer, Ekel und Überraschung, nach
Kontingenzen strebt (Ekman, 2010). Der zweite Faktor ist das spiegelnde Zur-
Verfügung-Stehen von Bezugspersonen. Trotz ihres hohen Anspruchs an ei-
nen kartesianischen Denkwechsel bleiben die AutorInnen in letzter Konsequenz
bei einem kausal definierten System, bei dem eine biologische Grundlage den
Ausgangspunkt der Entwicklung darstellt. Die Kausalmechanismen werden von
ihnen in letzter Konsequenz in ihrem Hauptwerk Affektregulierung, Mentalisie-
rung und die Entwicklung des Selbst (Fonagy et al., 2004) nicht aufgelöst. Sie
schreiben den Säuglingen als biologische Grundlage die rudimentäre Möglichkeit
einer Regulierung von Affekten durch Daumenlutschen zu (Fonagy et al., 2004,
S. 163). Das Nuckeln am Daumen wird meist als Übergangsobjekt gesehen, das
im Laufe der Entwicklung auf verschiedene Gegenstände wie Teddybären über-
tragen wird (Disler, 2017, S. 179).

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Beim sozialen Biofeedback gehen die AutorInnen davon aus, dass der Säugling
einen reflexiven Modus in sich trägt und genau bemerken kann, wenn ein Af-
fekt von der Mutter kongruent markiert wird. Die AutorInnen setzen damit den
Mechanismus voraus, der durch diesen Prozess entwickelt werden sollte. Beim
Biofeedback entdecken die ProbandInnen nicht ihren Blutdruck, sondern den
Zusammenhang zwischen psychisch-körperlichen Phänomenen, und das Gerät
zeigt ihnen dann die Korrelation zu ihrem Blutdruck an. Es ist ein Sensibilitätstrai-
ning, um die indirekten Zusammenhänge von körperlich-mentaler Befindlichkeit
und Blutdruck zu erkennen. Fonagy und KollegInnen gehen damit vom umge-
kehrten Weg des Biofeedbacks aus, indem die Mutter einen Resonanzfaktor für
die Affekte des Kindes darstellt. Das Kind erwirbt nun die Möglichkeit, eine
Vorstellung von seinen Gefühlen zu erlangen, indem die Mutter diese kongruent
markiert. Dadurch lernt der Säugling, seinen emotionalen Zustand zu erkennen
und später durch die Zurhilfenahme von Sprache auch zu benennen. Durch die
Übertreibung des gespiegelten Affekts erkennt der Säugling durch seinen Mecha-
nismus der Kontingenzmöglichkeit, dass es sich um seine Emotion handelt. Um
die Kontingenz zu erkennen, braucht das Kind eine Vorstellung von den authen-
tischen Emotionsausdrücken seiner Bezugsperson, um einen Referenzpunkt zur
Kontingenz zu haben. Um eine Repräsentanz entwickeln zu können, braucht es
die Möglichkeit einer Differenz zu den Emotionen der Mutter, die ja nicht nur
einen Schmerz markiert, sondern auch angesteckt ist von den Gefühlen ihres
Kindes und nun auch einen Schmerz über dessen mögliches Unglück hat. Wo ist
hier nun der Unterschied im Sinne der Spiegelneurone, wenn wir beobachten,
dass ein Kind sich zum Beispiel verletzt und wir den Schmerz widerspiegeln, ohne
dass es unser Schmerz ist, wobei die Spiegelneurone uns etwas anderes signalisie-
ren (Rizzolatti et. al., 2008)? Diese komplexe Unterscheidung scheint sich nur in
einer sehr reflexiven Weise darzustellen und hängt von der affektiven Stimmung
des Erdenkens ab, wie ich es indirekt rückschließe. Die AutorInnen verorten ei-
nen »Kontingenzentdeckungsalgorithmus« im Säugling, der all diese komplexen
Differenzierungen ausführt bzw. diesen Prozess zum bewussten Gewahrwerden
steuert. Ein weiterer Faktor für diesen Prozess liegt in der Lust, die sie als posi-
tives Arousal bezeichnen, über das Gewahrwerden von Kontrolle, wofür sie das
Mobile-Beispiel (Watson, 1972) heranziehen. Sie setzen damit ein veranlagtes
Bedürfnis nach Kontrolle voraus, das die »Kontingenzmaximierungsstrategie«
befeuert. Eine weitere Differenz, die sie voraussetzen, ist die Vorstellung von Zeit,
eine Vorstellung über das Wahrnehmen von Auswirkungen, auf deren Grundlage
Folgerungen gezogen werden, wie es sich im Beispiel des Mobiles darstellt. Zwi-
schen drei und fünf Monaten beginnen Säuglinge, nicht perfekte Kontingenzen

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III Einführung in Mentalisieren

zu bevorzugen. Diese Befunde aus der Säuglingsforschung ziehen als Bestätigung


heran, dass der Säugling sich nun von einem unbelebten Gegenstand unterschei-
den kann. Durch die »Kontingenzmaximierungsstrategie« möchte der Säugling
den größtmöglichen Einfluss auf seine Bezugspersonen haben (Fonagy et al.,
2004). Wenn der Säugling nicht diese Lust auf die Kontrolle entwickelt, schreiben
sie ihm ein Entwicklungsdefizit zu, welches sie mit Befunden aus der Autismus-
forschung zu belegen versuchen. Sie beschreiben diesen Mechanismus als eine
Einbahnstraße, und der Säugling muss all diese Spiegelungen aufnehmen, auch
im Sinne eines »fremden« Selbst, das heißt, die wichtigste Bezugsperson spiegelt
ihm die Gefühle nicht markiert oder kongruent wider.
Fonagy und KollegInnen gehen von einer emotionalen Selbsterkenntnis aus,
in der das erkennende Subjekt fehlt. Sie nehmen die Metapher vom Kontingenz-
system als physischem Phänomen an und beschreiben es als ein Phänomen, das
sie als Fehlentwicklung betrachten, nämlich ein System im Säugling, das diese
Repräsentanzen zur Vorstellung des eigenen Selbst generiert und sie nicht im
Prozess der eigenen Gewahrwerdung entwickelt. Als ein fremdes Selbst, das mein
Selbst generiert, wenn es mir bewusst wird, bleibt es ein Mechanismus, gedacht
als Metapher, der mich mit der Hilfe meiner Mutter psychisch erschafft.
Hier scheint die Theorie von Fonagy und KollegInnen, trotz Untermauerung
von vielen Säuglingsbeobachtungsbefunden, eine Lücke aufzuweisen. Eine wei-
tere Schwäche liegt im Absolutheitsanspruch der Theorie. Dieser widerspricht
dem Konzept, das sie zu beschreiben versuchen, nämlich Mentalisierung als Aus-
legung von unterschiedlichen Meinungen bzw. Selbsten. Sie übernehmen die
Vorstellung der IntersubjektivistInnen und stellen noch einen weiteren Abso-
lutheitsanspruch, indem sie die Intersubjektivität in ihrer Entwicklung erklären
möchten, um sie damit letztlich zu widerlegen. Die AutorInnen können die Hür-
de zwischen der Dichotomie von der Übertragung der Kognitionswissenschaften
auf die explizite Ebene des Geistes als Geisteswissenschaften nicht vollziehen und
bleiben dadurch dem kartesianischen Weltbild einer physischen Erklärung der
Entwicklung des Selbst – ebenfalls wieder eine Metapher aus der Geisteswissen-
schaft – verhaftet. Weiters wird wenig die Tradition der jüdischen Auslegung und
damit der Kern der Entwicklung als Frage beleuchtet, obwohl die Fragestellung
als solche das zentrale Element ihrer Konkretisierung bzw. Handlungsanweisung
der ausgearbeiteten Mentalisierungsbasierten Therapie darstellt (Bateman & Fo-
nagy, 2008; Aron, 2016).
Zwei große Vorhaben, die uns die AutorInnen angekündigt haben, konnten
sie nicht einlösen: die kartesianische Wende und die Erklärung der Entwicklung
der Reflexionsfunktion im Menschen.

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11 Biografisches zu Peter Fonagy

11 Biografisches zu Peter Fonagy

Der Paradigmenwechsel vom kartesianischen Dualismus der Dichotomisierung


von Leib und Seele zu einer aus der intersubjektiven und relationalen Theorie
stammenden Sichtweise legt eine Einbettung der Mentalisierungstheorie in die
Entwicklung der ErfinderInnen des Konzepts nahe. Stellvertretend dazu werden
hier einige Ideen in Bezug auf die Lebensgeschichte von Peter Fonagy entwor-
fen. Atwood und Stolorow vertreten in ihrem erstmals 1979 erschienenen Buch
Faces in a Cloud die Theorie, dass das Gedankengebäude einer jeden Theorie
tief mit der Lebensgeschichte des Erdenkers verbunden ist. Sie schreiben: »We
believe, that their most powerful source can be found in the subjective experien-
tial worlds of the personality theorists themselves« (Atwood & Stolorow, 1979,
S. 5). Sie entwickelten eine Theorie, die eine Grundlage für alle Lebenskunstlehren
(Buchholz, 2014a, S. 355) bilden sollte. Sie entwarfen einen metapsychologi-
schen Blick, der eine neue Form des Verstehens darstellen sollte. Fonagy und
KollegInnen wird immer zugesprochen, dass sie keine neue Theorie entwickelt,
sondern nur für alle Theorien einen neuen gemeinsamen Denkboden geschaffen
hätten (Taubner, 2015; Bolm, 2009, 2015; Schultz-Venrath, 2013). Fonagy et al.
behaupten, die übergeordnete Gemeinsamkeit der relevanten psychotherapeuti-
schen Schulen gefunden zu haben. Sie ordnen die intersubjektiven Schulen in ihr
Konzept ein und drehen damit die Denkrichtung um (Fonagy, 2009). Nicht die
Intersubjektivität im Sinne von psychobiografischen Daten ist das gemeinsame
Denkkonstrukt, sondern die Mentalisierung ist die alles umfassende Denkspange
(Pap, 2017; Atwood, 2017; Atwood & Stolorow, 2014).
Hier nun ein kleiner Ausflug zu den wenigen Daten, die über Peter Fongay
zu finden sind. Sein Vater Ivan, der einen großen Einfluss auf den intellektuellen
Werdegang seines Sohns hatte, wurde am 8. April 1920 geboren und verstarb am
11. April 2005. Ivan Fonagy dissertierte 1949 in Budapest an der Péter-Pázmány-
Universität mit dem Thema »Másodlagos hangsúlyváltozások a neolatin nyel-
vekben« (Sekundäre Veränderungen in den neulateinischen Sprachen). Er wurde
ein international anerkannter Linguist und ab 1950 Mitarbeiter der Akademie
der Wissenschaften in Ungarn. An der Sorbonne lehrte er von 1967 bis 1970 als
Gastprofessor. Danach wurde er Forschungsdirektor an der C. N. R. S. und zog
1971 endgültig nach Paris. 1990 wurde er von der ungarischen Akademie der
Wissenschaft zum externen Mitglied gewählt (Kiefer, 2005).
Peter Fonagy wurde am 14. August 1952 in Budapest geboren, in einer Zeit,
in der die Auswirkungen des Kriegsendes 1945 noch groß waren. Vier Jahre später
mündete die angespannte Situation in den sogenannten Ungarn-Aufstand gegen

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III Einführung in Mentalisieren

das stalinistische Regime. Es kam zu Protesten. Diese bewegte politische Zeit


wird auf die Erziehung von Peter Einfluss genommen haben.
Über seine Kindheit und andere bedeutende Einflüsse stehen leider keine
Daten zur Verfügung. Am 19. Februar 2007 wurde ihm an der Sigmund Freud
Privatuniversität der von der Gemeinde Wien gestiftete Sigmund-Freud-Preis ver-
liehen. In Gesprächen äußerte er Kritik gegenüber den konservativen Strukturen
der psychoanalytischen Ausbildung in Wien. Er studierte klinische Psychologie
am University College London, graduierte 1980 und ist nun Leiter der Abteilung
für Psychologie und Sprachwissenschaften an der UCL. Sein Interesse für Spra-
chen dürfte sein Vater geweckt haben.
Die Arbeitsschwerpunkte seines Vaters waren die präverbale Kommunikati-
on und die Beziehung zur linguistischen Evolution. Er beschäftigte sich mit der
Bedeutung von Gefühlen in der Sprache und beschrieb eine doppelte Codierung,
die im Affektiven wie im Kognitiven besteht. Er bereitete den Weg von der idea-
lisierten Laborsituation zur »natürlichen« Sprachsituation vor. So rückte er die
Bedeutung des Gesagten und dessen Motive als die möglichen Intentionen ei-
nes Gesprächs wieder in den Vordergrund und war damit der Konzeption des
therapeutischen Gespräch sehr nahe. Hier lässt sich nahtlos die Bedeutung von
der Arbeit seines Vaters für die Entwicklung der Mentalisierung erkennen. Vater
und Sohn haben auch gemeinsam über das »Täuschen« (pretend action) in der
Sprache publiziert, und hier sind bereits die Wurzeln der Mentalisierungstheorie
für die Unterscheidung der geäußerten sprachlichen Aussage und der dahinter-
steckenden Meinung bzw. Intention gelegt (Fonagy & Fonagy, 1995; Buchholz,
2014a).
Das Auffallendste an der Theorie der Mentalisierung ist das Fehlen der Kul-
tur als intentionalem Faktor. Es bleibt die Metaebene der Bindungstheorie, die
Allgemeingültigkeit hat, so, wie es sein Vater in seinen linguistischen Arbeiten
gezeigt hat. Sprache und Mentalisieren finden eine Allgemeingültigkeit abseits ei-
ner persönlichen Einflussnahme, die sich in der Kultur von Familiengeschichten
findet. In der deutschsprachigen Literatur wird immer wieder auf das britische
»Understatement« hingewiesen, wobei die Aussage, das Mentalisieren sei in der
Psychoanalyse nichts Neues, herangezogen wird. In der kulturellen Intention von
Österreich-Ungarn als gemeinsamem Raum von Sprachbedeutungen ist die In-
tention dieser Aussage in einer Vorstellung von Größe der Mentalisierungsidee
und deren Mächtigkeitsbedeutung sehr klar definiert. Im Sinne der Sprachre-
gelung in der Doppelmonarchie muss immer das Gegenteil gesagt werden, um
nicht einer Zensur zu unterliegen bzw. immer noch die Rückzugsposition in
der Argumentation zu haben, es ja doch wortwörtlich gemeint zu haben. Dieser

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12 Beispiele für Mentalisierungsfähigkeit aus Alltag und Pädagogik

Sprachkulturraum, der sich von Wien über Budapest bis Prag erstreckte, wird
zum Beispiel in Wien mit der Literatur von Nestroy verbunden, in Prag mit
der Literatur von Jaroslav Hašek (Der brave Soldat Schwejk, 1923). Beide Auto-
ren entwerfen Szenarien, in denen der Dumme über den sozial Höherstehenden
siegt, indem seine Intentionen nie klar oder genau ins Gegenteil verkehrt formu-
liert werden. Heute bezeichnen wir dies als Sarkasmus, Ironie, Doppelbödigkeit,
Süffisanz usw. So erlangt das britische »Understatement« aus unterschiedlichen
Sprachkulturverständnissen unterschiedliche Bedeutungen (Buchholz, 2014a;
Riecken, 2006).
Vor dem Hintergrund der vermutlichen Zerrissenheit der Familie, der wech-
selnden Orte und damit einer anderen Suche nach Wurzeln und Zugehörigkeit,
wie sie speziell die Psychoanalyse bieten kann, stellt die Theorie der Mentalisie-
rung eine andere Form eines gemeinsamen Überbaus dar. Sie ist als Theorie eine
Gegenbewegung zum Pluralismus, trotz gegenteiliger Behauptung, indem sie auf
einen gemeinsamen Kern hin fokussiert.
Im Sinne des griechischen aletheia (Unverborgenheit, Wahrheit) ist das Selbst,
das sich zeigt, das sich Darstellende, bereits in der Begegnung mit der Ausspra-
che des Namens, wie der ungarischen Aussprache von Fonagy und der englischen
Prononcierung. Das Selbst bekommt bereits ganz unterschiedliche Bedeutungen
in dem Sinne, dass wir viele Selbste in uns haben, und diese wiederum werden
vom Gegenüber im besten Sinne der Mentalisierung bestimmt. Die Aussprache
meines Namens konstruiert mein Selbst und damit all die zugrunde liegenden
affektiven und kognitiven Zuschreibungen. Das kartesianische Weltbild der Spal-
tung wieder einer Vereinigung zuzuführen und das sich in der psychoanalytischen
Geschichte Ausschließende von Triebtheorie und Bindungstheorie wieder einer
Vereinigung zuzuführen spiegelt ein Streben nach Ganzheit wider, das auf die
Suche nach einem einmaligen Ort hinweist. Je physischer der Ort einer Zersplit-
terung zugeführt wurde, desto mehr braucht er seine Verwirklichung im Selbst
als ungebrochenem Ort. Die eigene Zerrissenheit befähigt, mit der Zerrissenheit
von Menschen mit Borderline-Diagnose und Menschen, die im Gefängnis waren,
zu arbeiten – siehe die Arbeitsfelder von Peter Fonagy (Atwood, 2017).

12 Beispiele für Mentalisierungsfähigkeit


aus Alltag und Pädagogik

Im Folgenden sollen einige Beispiele aus verschiedenen Anwendungsbereichen


aufgeführt werden, um Mentalisieren verständlich zu machen.

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III Einführung in Mentalisieren

Mentalisieren im Alltag
➢ Wir mentalisieren, wenn wir versuchen, die Bedürfnisse und Beweggründe
eines anderen zu verstehen.
➢ Wir mentalisieren, wenn wir einen Streit schlichten und verschiedene Sicht-
weisen darstellen.
➢ Wir mentalisieren, wenn wir über uns nachdenken, wenn wir versuchen,
unsere Beweggründe zu verstehen.

Mentalisieren als Pädagoge


➢ Wir mentalisieren, wenn wir dem Kind eine sichere Umgebung bieten kön-
nen.
➢ Wir mentalisieren, wenn wir verstehen, was das Kind erlebt und fühlt.
➢ Wir mentalisieren, wenn wir dem Kind Worte für seine Gefühle geben.

Mentalisierungsentwicklung des Kindes


➢ Das Kind kann offen und mit Neugier auf seine Umwelt zugehen.
➢ Das Kind spielt Rollenspiele oder mit Handpuppen und schlüpft gerne in
verschiedene Rollen.
➢ Das Kind lernt, seine Gefühle von sich und anderen zu beschreiben.

Für Allen und KollegInnen können die markierten kontingenten Reaktionen


der Bezugspersonen auf die Kinder als Lernprozess gesehen werden. Sie se-
hen die Entwicklung der Mentalisierung, die in einem solchen Prozess erfolgt,
als das wichtigste Merkmal einer empathisch-humanen, pädagogischen Veran-
lagung. Diese ist die Grundlage für Vermittlung und Erwerb von kulturellen
Bedeutungen. Das pädagogische Lernen entwickelt sich ebenso wie Sprache in
wechselseitiger Verknüpfung mit dem Mentalisieren (Allen et al., 2011).
Im Sinne von Fonagy und KollegInnen kann man damit sagen, dass Mentali-
sieren keine neue pädagogische Richtung ist, sondern vielmehr als Grundvoraus-
setzung für alle pädagogischen Richtungen zu verstehen ist. Durch das Mentali-
sierungskonzept können keine neuen Instrumente für das schon unüberschaubare
Feld der Pädagogik angeboten werden. Die Überlegungen konzentrieren sich auf
eine grundlegende Fähigkeit, die uns zu Menschen macht (Allen, 2009). Men-
talisieren bedeutet, dem Kind einen Rahmen zu bieten, in dem es ein gesundes
Selbst herausbilden und Sicherheit darin erlangen kann, auch in schwierigen Si-
tuationen noch eine Vorstellung eines geliebten Kindes von sich selbst zu haben.
Die Erwachsenen sollten eine Haltung der Toleranz für Mehrdeutigkeit in sich
tragen, um mit unstrukturierten affektiven Situationen fertig zu werden.

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IV Die Entwicklung einer relationalen
Tradition in der Psychoanalyse

»It entails a tolerance of the fragility of those


hopes, woven together from realities and fanta-
sies, and an appreciation of ways in which, in the
rich density of contemporary life, realities of-
ten become fantasy and fantasies often become
reality.«
Stephen A. Mitchell (2003a, S. 201)

Die relationale Tradition ist von vielen unterschiedlichen Strömungen beein-


flusst und daraus erwachsen bei jeder neuen Denkerin und jedem neuen Denker
wiederum eigene Gedanken, die in andere Richtungen gleiten. Die Gebühr der
Ausformulierung des relationalen Gedankens und deren Umsetzung im psycho-
analytischen Feld obliegt den DenkerInnen aus Amerika.
Die Hauptströmung bzw. das Erwachsen einer neuen Denkrichtung ist in eine
bestimmte Form des gesellschaftlichen Umbruchs eingebettet. Neue Lebenskon-
zepte wurden klarer definiert und es kam zu einer verstärkten Feminismusdebatte,
die Queer-Bewegung eröffnete neue Denkperspektiven und in dieser neuen Form
der Infragestellung alter Ordnungen und Wertesysteme kam es auch zur Hin-
terfragung der psychoanalytischen Behandlungsperspektiven, die in Amerika
vorherrschten.
Mit der Tradition der Objektbeziehungstheorien rückt der Aspekt der Be-
ziehung verstärkt in den Denkfokus. Eine spezielle amerikanische Denkrichtung
wurde von Hartmann kreiert, indem er sich verstärkt dem »Ich« zuwandte.
Die Ich-Psychologie wurde von den eingewanderten kontinentaleuropäischen,
jüdischen PsychoanalytikerInnen vorangetrieben. In der Ich-Psychologie spiegeln
sich die Traumatisierungen dieser Generation wider, sie haben die Emotionen
und die Involviertheit aus der Psychoanalyse herausgenommen (Orange, 2018).
Die Selbstpsychologie, so wie sie von Kohut entworfen wurde, beschäftigt sich
mit der Bedeutung des Psychoanalytikers oder der Psychoanalytikerin in der
Behandlung, indem sie sich mit der Empathie vonseiten der TherapeutInnen
auseinanderstzt. Die Selbstpsychologie entwickelt sich in einer Richtung unter
derselben amerikanischen gesellschaftlichen Atmosphäre von Liberalität zu Kon-
strukten von Intersubjektivität unter den führenden Denkern Atwood, Stolorow

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

und Brandchaft. Später dazugekommen sind Donna Orange und Chris Jaenicke,
der in Berlin seine Praxis hat. Sigmund Freud beschäftigte sich bereits mit dem
Phänomen von Gegenseitigkeit und deren Bedeutung in Gemeinschaften:

»Ich habe mich einmal mit dem Phänomen beschäftigt, dass gerade benachbarte
und einander auch sonst nahe stehende Gemeinschaften sich gegenseitig befehden
und verspotten, […] Ich gab ihm den Namen ›Narzissmus der kleinen Differenzen‹,
der nicht viel zur Erklärung beiträgt. Man erkennt nun darin eine bequeme und re-
lativ harmlose Befriedigung der Aggressionsneigung, durch die den Mitgliedern der
Gemeinschaft das Zusammenhalten erleichtert wird« (S. Freud, 1930a, S. 473f ).

Die historischen Unterschiede, die bei ihrem Entstehen als unüberbrückbare


Differenzen sich entpuppten, wirken nun als subtile Unterscheidungen und in
ihren Differenzierungen als klein. Die Bedeutung der unterschiedlichen Einfluss-
faktoren auf die Entwicklungsströme wird von den AutorInnen anerkannt oder
abgelehnt, nicht beachtet und doch unterschiedlich ausgelegt und bewertet (Har-
ris, 2017).
Anhand der Auslegung von Begrifflichkeiten lassen sich die Unterschiede
herauskristallisieren. Hand in Hand mit dem Legen des Fokus auf die Objektbe-
ziehung (object relation) ging, dass auch die damit verbundenen Begriffe in den
Vordergrund rückten. Gegenübertragung als Gefühl der TherapeutInnen wurde
von Freud bereits 1910 thematisiert:

»Wir sind auf die ›Gegenübertragung‹ aufmerksam geworden, die sich beim Arzt
durch den Einfluß des Patienten auf das unbewußte Fühlen des Arztes einstellt, und
sind nicht weit davon, die Forderung zu erheben, daß der Arzt diese Gegenüber-
tragung in sich erkennen und bewältigen müsse. Wir haben, seitdem eine größere
Anzahl von Personen die Psychoanalyse üben und ihre Erfahrungen untereinander
austauschen, bemerkt, daß jeder Psychoanalytiker nur so weit kommt, als seine ei-
genen Komplexe und inneren Widerstände es gestatten und verlangen daher, daß er
seine Tätigkeit mit einer Selbstanalyse beginne, und diese, während er seine Erfah-
rungen an Kranken macht, fortlaufend vertiefe. Wer in einer solchen Selbstanalyse
nichts zustande bringt, mag sich die Fähigkeit, Kranke analytisch zu behandeln, oh-
ne weiteres absprechen« (S. Freud, 1910d, S. 108).

Dieses Grundcredo von der Bedeutung der Gefühle des »Arztes« oder der
»Ärztin« bzw. die damit verbundene Selbstanalyse werden als die großen un-
veränderbaren Säulen betrachtet. Das gemeinsame Erleben von PatientIn und

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

AnalytikerIn wurde durch den Begriff von Inszenierung oder Enactment verstärkt
beschrieben. Der metapsychologische Begriff, der sich davon ableitet, ist Inter-
subjektivität. Nimmt man hier wiederum eine Makroperspektive ein, führt sie
uns zu den Begriffen von Ko-Konstruktion und »Drittheit« (the third).
Alle diese Denkkonzepte legen ihren Fokus auf die Person der Patientin oder
des Patienten und der Analytikerin oder des Analytikers, sie stellen die Bezie-
hung von zwei Menschen in den Mittelpunkt des Interesses. Das Ausarbeiten der
Begrifflichkeiten nimmt Einfluss auf die Vorstellung von metapsychologischen
Begriffen, und diese wiederum verändern das Interesse der Betrachtungsperspek-
tiven auf die unterschiedlichen Phänomene in der Therapie. Es sind nicht die
kleinen Differenzen, die primär die Bedeutung und Veränderung kreieren, son-
dern die daraus entstehende Haltung beeinflusst das therapeutische Geschehen
und die dadurch kreierten Vorstellungen von Metaphern, um das Psychische für
uns sichtbar zu machen.
Emily A. Kuriloff und George Makari sahen im Aufkommen des relationalen
Denkens die Ablöse der Dominanz der Ich-Psychologie in Amerika. Sie führen
die Entstehung der Ich-Psychologie auf Traumatisierungen der eingewanderten
europäischen AnalytikerInnen der 1930er Jahre zurück. Diese AnalytikerInnen
zogen sich in eine kognitive wissenschaftliche Analyse zurück, um die eigenen
Emotionen der Traumatisierungen zu dissoziieren. Diese Form der Analyse bil-
det nun den Referenzpunkt für eine Gegenbewegung, in der die AnalytikerInnen
mit ihren Gefühlen und ihrer Bedeutung im Dasein nicht abgespalten sind. Der
Weg zum relationalen Denken begann nun, sich als Gegenbewegung zu etablie-
ren (Kuriloff, 2014; Makari, 2010).
Harris und Mitchell betrachten die relationale Theorie als den Beitrag für
Psychoanalyse, den sie als typisch amerikanisch betrachten. »Indeed, relational
psychoanalysis may be regarded as a distinctive contemporary American school
of psychoanalysis« (Aron, 2013, S. 19). Sie stellten ihren StudentInnen und
KollegInnen die Frage: »What’s American about American psychoanalysis?«
Sie spannten die Wurzeln zu den Arbeiten von William James (1876–1907)
und Charles Sanders Peirce (1839–1914). Beide sind Mitbegründer des phi-
losophischen Pragmatismus und ihr Einfluss auf die spezifisch amerikanische
Entwicklung der Psychoanalyse ist von großer Bedeutung, wie Mitchell und Har-
ris feststellen:

»There are a number of aspects of William James’s (1890, 1910, 1978) far-reach-
ing thought, that we might highlight in the light of the evolution of American
psychoanalysis. James distrusted but did not repudiate abstraction. He was deter-

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

mined to ground any understanding in subjective experience, the immediacy and


ongoing stream of conscious life. James sought to widen the scope of psychology
from problems of knowing to include problems of believing or ethics. Passions are
as crucial for ways of knowing as is mind. There are some familiar themes here:
an instinctive pull for indeterminacy, for multiple ways of knowing. In James, this
democratic, or perhaps more accurately egalitarian, impulse is grounded in philo-
sophy, not ideology. James (1978), writing on pragmatism, on the experience of the
self, on his theory of radical empiricism, produced an important and influential
network of ideas that feels quite familiar to relational analysts. His focus was on ex-
perience. His interest always lay in the particular instance, not the general concept.
His focus on experience – not simply of things, but of things and relations – and
his attention to a kind of hermeneutical circular relation between belief, desire, and
action must strike an American (and particularly, an interpersonal psychoanalyt-
ic) reader as deeply familiar. This approach in philosophy and critical theory was,
quite simply yet grandly, to understand the multiple intersections ( James’ term) be-
tween the individual’s knowing of objects, the public shared nature of that knowing,
and the problem of how one mind knows another. These ideas are strong anchors
for contemporary American psychoanalysis where the intrapsychic and the inter-
personal co-construct, where mind is simultaneously social, individual, public and
private. Certainly, one can read James in the light of Sullivan and interpersonal
psychoanalysis, finding themes and preoccupations that cannot simply default to
behaviorism. Because psychoanalysis, across its spectrum, insists on the centrality of
meaning making, C. S. Peirce’s (1955) theory of meaning could be seen as a back-
ground influence on perspectivalism and the contemporary preoccupations with
intersubjectivity. Peirce built a complex triadic structure distinguishing the word,
its meaning for the speaker, and its distinct but overlapping quasi-shared meaning
for the listener. This complex model of meaning as intersubjective has had powerful
influences in the academy« (Mitchell & Harris, 2004, S. 169f.).

1 Die Anfänge mit Mitchell und Ghent

Stephen A. Mitchell (1946–2000) personifiziert durch seine Person die Strömung


der relationalen Psychoanalyse und wird in der Literatur als deren Begründer ge-
nannt (Mertens, 2011; Orange, 2018).
Kurz nach dem Krieg wurde er in Manhattan geboren, Amerika war nun eine
Weltmacht geworden und von der Vorstellung geprägt, alles sei durch Technik
bewerkstelligbar. Die Raumfahrt nahm ihren Anfang, die biologischen Errungen-

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1 Die Anfänge mit Mitchell und Ghent

schaften wie Genetik wiesen neue Denkwege. Der gesellschaftliche Aufstiegsglau-


be beherrschte die Zeit, und die Vorstellung vom amerikanischen Traum war nie
so realitätsnah gewesen wie in dieser Zeit. Das Öffnen des Universitätszuganges
nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichte Amerika eine große Bildungsoffensive.
In dieser Atmosphäre einer aufgeschlossenen Bildung schloss der 24-jährige Mit-
chell 1968 sein Philosophiestudium an der renommierten Universität Yale mit
summa cum laude ab. Vier Jahre später promovierte er an der New York Univer-
sity in klinischer Psychologie. Er kam dadurch auch zur Psychoanalyse, in der
er seine Ausbildung 1977 abschloss. Im renommierten William Alanson White
Institute fungierte er als Dozent und gab ab 1985 Supervisionen. Seit 1989 war
er im Institut als Lehranalytiker tätig. Zeitgleich arbeitete er in der New York
State University als klinischer Supervisor, und im Zuge seiner Professur lehrte
er dort Psychotherapie und Psychoanalyse. In den 1990er Jahren entwickelte er
mit anderen ein Curriculum für relationale Psychoanalyse. Er gründete 1991 eine
der kreativsten und offensten Zeitschriften für Texte aus den unterschiedlichsten
Wissensgebieten, die sich mit Begegnung und Beziehung beschäftigen: Psycho-
analytic Dialogues.
Die vielfältigen Kulturveränderungen, ausgelöst durch die Demonstrationen
gegen den Vietnamkrieg, die Ära eines Martin Luther King und die Bedeutung
von Gender-Debatten prägten das Denken von Stephen Mitchell. Für den zentra-
len Punkt des offenen bzw. Mit-Denkens des anderen war durch das Wirken von
Harry Stack Sullivan am William Alanson White Institute ein Nährboden ent-
standen, der der Interpersonalität großen Raum bot (Buchholz, 2004a; Kernberg,
2011a; Fonagy, 2009). Einer seiner Lehrer, Emmanuel Ghent, prägte Mitchell in
der Vorstellung von der Zwei-Personen-Psychologie.
Es bildete sich eine Gruppe um Mitchell, deren konstruktiver Austausch ei-
nen unerschöpflichen Nährboden an Kreativität darstellte. Darunter befanden
sich so prägende Personen wie Jessica Benjamin, Lewis Aron, Adrianne Harris,
Anthony Bass, Jody Davis, Philip Bromberg, Muriel Dimen, Donnel B. Stern und
Irwin Z. Hoffmann. StudentInnen mit ihren kritischen Fragen sind ein weiterer
wichtiger Faktor zur Schärfung seiner Gedanken. Die beiden Bücher, deren er
Mitautor ist, sind als Lehrbücher konzipiert. Lehrbücher bilden für den weite-
ren Denkverlauf eine wichtige Grundlage zur klaren Formulierung der Theorien
und beinhalten im Darstellen unterschiedlicher Theorien bereits Referenzpunkte
zum Kreieren neuer Ideen. Seine frühesten Beiträge, in denen er sich mit Homo-
sexualität beschäftigte, waren von der Unzufriedenheit mit dem moralisierenden
und pathologisierenden Zugang der Psychoanalyse gekennzeichnet (Mitchell,
1981a, b).

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

Herausgefordert durch ihre StudentInnen schrieben Greenberg und Mitchell


ein Übersichtswerk über die unterschiedlichen psychoanalytischen Denkrichtun-
gen:

»The idea for this book grew out of our experiences in teaching aspects of the
historical development of psychoanalytic ideas. Both of us had taught courses orga-
nized along conventional lines – Freud, the American ›ego psychologists‹, Sullivan,
the ›British school‹ of object relations, and so on. Although this way of dividing
the material has merit – particularly in maintaining boundaries between systems
that operate on the basis of incompatible and potentially confusing fundamen-
tal assumptions—it also has limitations. We had struggled to help students grasp
something of the larger context from which various traditions of psychoanalytic
theorizing have emerged and understand the common conceptual problems for
which adherents of each tradition have fashioned unique solutions.
[…] We needed an organizing principle through which the dialectic tension
between competing theories could be understood, and we found it in the current-
ly popular concept of ›object relations‹, the general term encompassing people’s
relationships with others. These relationships are and always have been central to
the clinical practice of psychoanalysis, but assigning them a theoretical role remains
controversial« (Greenberg & Mitchell, 1983, S. viii).

In ihrem Buch Object Relations in Psychoanalytic Theory (1983) widmeten sie


sich einer Vielzahl von Objektbeziehungstheorien und verglichen die Arbeiten
von Klein, Fairbairn, Winnicott, Guntrip, Hartmann, Kohut, Jacobson, Mahler
und Kernberg. Sie stellten die Beziehungsaspekte der Objektbeziehungstheore-
tikerInnen den Trieb- und Strukturmodellen von Freud gegenüber. Der Fokus
für Greenberg und Mitchell liegt bei den ObjektbeziehungstheoretikerInnen im
Primat der Objektbeziehung. Es stellte für beide auch eine Abkehr von der Ein-
Personen-Psychologie dar, in der sich das Psychische durch die Triebtheorien
konstituiert. Ihre Infragestellung beruht auf dem Ansatz, nach der klinischen Be-
deutung der gefassten Theorie zu fragen und sie damit auch zu dekonstruieren.
Im Rahmen dieses Denkansatzes nahmen sie Begriffe wie inneres Objekt, Ob-
jektrepräsentanz, Selbstobjekt und Objektbesetzung sehr genau und versuchten,
die klinische Bedeutung für Theorien daran anzulehnen. Am Ende plädieren sie
für die klinische Bedeutung der Theorien als Qualitätsmerkmal (Greenberg &
Mitchell, 1983; Buchholz, 2004a).
Dem in diesem Buch gefassten Grundgedanken der Bedeutung der Bezie-
hung und deren Betrachtungsweise im analytischen Setting bleibt er in all seinen

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1 Die Anfänge mit Mitchell und Ghent

Werken treu. Für Mitchell blieb sein Konzept des relationalen Denkens immer in
der Tradition der Psychoanalyse eingebettet. Sein Denken stellte er nicht in Kon-
kurrenz zu den anderen Modellen, er betrachtete es als Fokusverschiebung auf die
Beziehung und deren klinische Bedeutung im Hier und Jetzt. Das war auch der
Grund, warum er sich nicht mit den klassischen Konzepten der Psychoanalyse in
Konkurrenz gesehen hat.
Seine Erfahrungen betreffend Ablehnung von neueren Gedanken und Ent-
wicklungen in der Psychoanalyse schildert er im Vorwort von Freud and beyond – a
history of modern psychoanalytic thought:

»The story is sometimes told that in the last years of his life one of the most impor-
tant innovators in post-Freudian psychoanalysis had taken to bringing a gun with
him when he presented his work at more traditional institutes. He would place it
on the lectern without comment and proceed to read his paper. Invariably someone
would ask about the gun, and he would say, in a pleasant voice, that the gun was
for use on the first person who, rather than addressing the ideas he was presenting,
asked instead whether they were ›really psychoanalysis‹« (Mitchell & Black, 2016,
S. xxiii).

Dieses Buch schrieb er mit seiner Frau, und durch die vergleichende Struktur, die
sie an den psychoanalytischen Richtungen in Hinblick auf Geschichtsverständ-
nis und kulturelle Eingebettetheit anwendeten, war es in ähnlichem Stil verfasst
wie das Buch Object Relations in Psychoanalytic Theory. Die Ideen, die darin ent-
wickelt wurden, sind dem relationalen Gedanken bezüglich der Unmöglichkeit,
mit Aussagen im Besitz von Wahrheit und der damit verbundenen Allmächtig-
keit zu sein, schon sehr nahe. Das Abbilden von unterschiedlichen Theorien lässt
bereits jeglichen Gedanken an Wahrheit in sich kollabieren und bereitet damit
implizit den Weg zu relationalen AnalytikerInnen und deren Handeln, das nun
im Zentrum der Überlegungen steht. In der Gegenüberstellung von großen Den-
kerInnen, wie es in diesem Buch erfolgt – zum Beispiel Freud, Sullivan, Klein,
Fairbairn, Winnicott, Erikson, Kohut, Kernberg, Schäfer, Lacan und Loewald –,
lässt sich aus der Perspektive des Vergleichs und des Darauf-Sehens ein Drittes
bereits generieren. Was aber wiederum alle vereint, ist die Beziehung, in der sie
sich befinden, und auch beim Vergleich sind sie untereinander in Beziehung ge-
setzt. Ob sie als konkurrierend betrachtet werden, eine Hierarchisierung erfolgt,
obliegt den AutorInnen oder den LeserInnen, die sich in der dritten Position
befinden. Denken sie wiederum ihre Position mit all ihren Affekten, Gefühlen,
Vorstellungen und kultureller Eingebundenheit, so kreieren sie bereits ein Vier-

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

tes. Der Paradigmenwechsel, den man der relationalen Psychoanalyse zuschreibt,


erfolgt, wie Mitchells Frau Margaret Black formuliert:

»He [Mitchell] encouraged the development of a paradigm shift in psychoanalytic


thinking, reflecting what he felt was already implicit but not directly formulated in
the writing of most of the authors included in this book: humans are not best un-
derstood as isolated beings motivated by and struggling with the prefigured innate
forces of sex and aggression; rather, human beings are fundamentally social, devel-
oping within, internalizing, and shaped by their relationships with important others
in their lives. These experiences find expression in the development of internal
structure and fantasy. They affect relationships in an ongoing way. Culture, gender,
race, and sexual orientation all figure into this development as well. Sex and aggres-
sion remain fundamental aspects of our experience but are not unmoored energies
on the loose, arising in a vacuum. Sensuality and frustration are intertwined with
relationships, arising in response to and deriving meaning within experience with
others. This alternative vision is referred to as ›relational psychoanalysis […]‹«
(Mitchell & Black, 2016, S. xviii).

Auch hier bleibt er mit seiner Frau der Psychoanalyse sehr nahe und nimmt
verstärkt den geschichtlichen Aspekt als Referenzrahmen auf, indem er seinen
Vergleich der Theorien stärker in eine Entwicklung einbindet und damit auch
der kulturellen Gegebenheit der Entstehung jeder Theorie ihre Bedeutung gibt.
Seine Leitgedanken werden von der Verteidigung der Psychoanalyse geformt und
dienen ihm als roter Faden im Werk dazu, immer wieder einen Referenzrahmen
zu haben. Er stellt Mythen auf, wie zum Beispiel, die Psychoanalyse sei das Werk
eines Mannes, es sei keine Veränderung in der Behandlung erfolgt, sie sei dadurch
aus der Mode gekommen, und sie habe einen esoterischen Kult der Unterwerfung
verlangt und benötige viele Jahre an Studium. Die Haltung von Mitchell und sei-
ner Frau ist bereits vorbestimmt, indem sie die Mythologie hinterfragen und zu
einer anderen Conclusio kommen möchten. Das Buch hatte 2016 wieder eine
Auflage erhalten, wurde bereits in viele Sprachen übersetzt und hat sich zu einem
wichtigen Werk in der psychoanalytischen Gemeinschaft entwickelt.
In seinem zweiten Buch bzw. seinem ersten allein verfassten Buch, Relational
Concepts in Psychoanalysis (Mitchell, 1988), verfolgt er die mit Greenberg entwi-
ckelten Ideen weiter und entfernt sich auch in der Konsequenz seines Denkens
in Richtung Beziehung von diesem. Er stellt sich die Frage, ob die unterschied-
lichen Strömungen der psychoanalytischen Schulen einen gemeinsamen Kern
haben. Passen sie noch zusammen – und wenn das so ist, in welcher Form – oder

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1 Die Anfänge mit Mitchell und Ghent

nicht, und warum nicht? Mitchell findet, dass alle Schulen in ihren Argumenta-
tionssträngen »recht haben«. Sie decken eben nur einen kleinen Ausschnitt des
komplexen Geschehens in der Behandlung ab. Auf dieser Erkenntnis beruht sei-
ne Herangehensweise in der vergleichenden Erforschung der unterschiedlichen
Theorien und Schulen um eine selektive Integration, die wiederum zum gemein-
samen Postulat der Beziehung als Behandlungs- und Begegnungsgrundlage führt.
Mitchell schreibt:

»Amid the apparent conceptual disarray in contemporary psychoanalysis are two


broad, competing perspectives, Freud’s drive theory and a cluster of theories (in-
cluding British object-relations theory, interpersonal psychoanalysis, and self psy-
chology) which derive from a set of premises that Jay Greenberg and I have termed
the relational model« (Mitchell, 1988, S. viii).

Als Grundgedanken dieses Buches als Idee für ein relationales Konzept in der Psy-
choanalyse führt er an: »This book aims at such a unification, by considering the
major domains of psychoanalytic inquiry – sexuality, early development, fantasy
and illusion, continuity and change – from an integrated relational perspective«
(ebd., S. viii f.). Anhand der Vergleiche dieser unterschiedlichen Ausrichtungen
von Schulen und Denkansätzen ist sein Argumentationsstrang immer auf die Be-
ziehung und die Bedeutung in all den unterschiedlichen Entwicklungsfunktionen
gerichtet mit dezentierter Ausrichtung auf die klinische Geschichte in den Be-
handlungsräumen. Dabei ist seine Ausrichtung ganz dem ersten Buch geschuldet:
»The most creative and influential contributions derive from what Greenberg
and I (1983) have termed the relational model, an alternative perspective which
considers relations with others, not drives, as the basic stuff of mental life«
(ebd., S. 2). Die ObjektbeziehungstheoretikerInnen liefern die Grundlage seines
kreativen Denkens. Er begann, das Destillat aus diesen Theorien zu verwenden,
entwickelte daraus eine bessere Klarheit der Formulierungen und verließ damit
die sprachlich an der Freud’schen Terminologie angelegten Konzepte, wie er es
sehr stark bei Winnicott und Loewald empfand. Am Ende seines kurzen Lebens
wendete er sich wieder verstärkt den Schriften von Loewald zu. Er war auf der
Suche nach einem Verstehen, bei dem die einzelnen beschriebenen Teile, die sich
im Behandlungsraum abspielten, zusammengedacht werden konnten. Er formu-
lierte dazu:

»We are portrayed not as a conglomeration of physically based urges, but as being
shaped by and inevitably embedded within a matrix of relationships with other

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

people, struggling both to maintain our ties to others and to differentiate ourselves
from them« (ebd., S. 3).

Als integrativen Faktor für ein gemeinsames Feld der unterschiedlichen Richtun-
gen zog er das Konzept von der Matrix heran, wobei er es speziell von Loewald
entlehnte. Hier nochmals in seinen eigenen, klaren Worten:

»I use the term ›relational matrix‹ in an effort to transcend the unfortunate ten-
dency to dichotomize concepts like interpersonal relations and ›object‹ relations,
or the interpersonal and the intrapsychic, as if a focus on either side necessarily
implies a denial or deemphasis of the other. I do not believe that interpersonal in-
teractions are merely an ›enactment‹ of a more psychologically fundamental world
of internal object relations or ›representations‹; nor do I believe that subjective ex-
perience is merely a recording of actual interpersonal transactions. The most useful
way to view psychological reality is as operating within a relational matrix which
encompasses both intrapsychic and interpersonal realms. The mind operates with
motivations concerning self-regulation as well as regulation of the relational field.
Like Escher’s Drawing Hands, the interpersonal and the intrapsychic realms cre-
ate, interpenetrate, and transform each other in a subtle and complex manner«
(Mitchell, 1988, S. 9).

In Hope and Dread (Mitchell, 1993) formulierte er seine Gedanken noch präziser
aus und versuchte nun nicht, eine neue »Psychoanalyse« zu kreieren, sondern
eine gemeinsame Beschreibung der in der Therapie auftretenden Phänomene zu
finden. Er entwickelte keine neuen spezifischen Wörter und Beschreibungen für
die Phänomene, die er verdeutlichen wollte. In seinem Vorwort betont er:

»One of the miscellaneous bits left over in my memory from as ›jargonized com-
mon sense‹. I have always tried to make the sense I could offer (common or
otherwise) as de-jargonized as possible. Because I am, in places, tracing intellectual
trends and trying to the general reader, I have separated some of the more technical
discussions from the text into endnotes« (Mitchell, 1993, S. xi).

Seine zentralen Fragen, die er in diesem Buch stellt, sind: »What does the patient
need?« und »What does the analyst know?« Mit diesen beiden Fragen ging er
nun direkt von der Metaebene in die Beziehung der beiden ProtagonistInnen im
analytischen Setting. Diese Fragen sind nur sehr individuell zu beantworten und
jenseits etwaigem metapsychologischem Verständnis, und sie fordern zur Relati-

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1 Die Anfänge mit Mitchell und Ghent

vierung von Wissen und Wahrheit heraus. Im zweiten Teil stellt er die Konzepte
des Selbst infrage und damit auch die Vorstellung von Wissen und Wahrheit, die
dieses Konzept begleitet. Im letzten Part des Buches kommt er wieder explizit
auf die Beziehung zurück und füllt diese mit den Vorstellungen von Wünschen,
Bedürfnissen und endet im gemeinsamem Aufbau von Hoffnung in der analyti-
schen Begegnung:

»The fundamental assumption in this line of thought is that the patient’s ex-
perience – the basic data of psychoanalysis, that which is to be understood or
›analyzed‹ – is fundamentally ambiguous. This is an easily misunderstood con-
cept. It does not mean that the patient’s experience is necessarily opaque or
mysterious (although at times it might be). It does mean that understanding hu-
man experience, including one’s own, is never simply a process of seeing it, grasping
it, or reading it (depending on whether one likes one’s metaphors ocular, physi-
cal, or linguistic). The elements of human experience are understood only through
a process that organizes those elements, puts them together, assigns them mean-
ing, and prioritizes them. The organization that seems most compelling may seem
quite accessible and unmysterious; it is still constructed, through an active orga-
nizing process, in the person who is doing the understanding« (Mitchell, 1993,
S. 56f.).

Empathie und Erfahrung beruhen auf der Fähigkeit, unsere innere Organisation
zu verstehen, indem wir diesen Elementen Bedeutung beimessen können, und
dadurch verstehen wir auch unsere PatientInnen. »At the heart of the resolution
of each analysis is an individually crafted or, considering the role of the analyst,
jointly coauthored movement beyond either/or solutions to the problem of jus-
tification« (ebd., S. 170). Die Analyse geht für Mitchell über jede Form des
Problemlösens hinaus, und die gemeinsame rhythmische Bewegung steht im Mit-
telpunkt des Seins.
1997 erschien Influence and Autonomy in Psychoanalysis, das 2005 vom
Psychosozial-Verlag unter dem Titel Psychoanalyse als Dialog – Einfluss und
Autonomie in der analytischen Beziehung publiziert wurde. Auch hier bleibt er
seiner Linie treu und beginnt, sich aus verschiedenen Schultraditionen mit dem
Begriff der Interaktion auseinanderzusetzen. Im sechsten Kapitel beschäftigt er
sich nun dezidiert mit den Absichten der AnalytikerInnen in der Interaktion
und macht sie verstärkt zu agierenden ProtagonistInnen in der analytischen Sit-
zung.
Durch sein genaues Hinsehen arbeitet er verschiedene Widersprüche aus den

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

Theorien heraus. Für Mitchell ist Kernberg in einer dieser Widerspruchsfallen


gefangen, indem er die Anonymität als Konzept gegenüber den PatientInnen auf-
gibt, aber am Konzept der Neutralität festhält. Er unterliegt für Mitchell dem
Trugschluss, mit dieser Haltung keinen nennenswerten Einfluss auf den thera-
peutischen Prozess zu nehmen, und dass die Person des Analytikers oder der
Analytikerin keine Wirkung auf die PatientInnen hat. Mitchell plädiert für eine
Neubewertung des Begriffe der Gegenübertragung und die Aufgabe des Neu-
tralitätskonzepts, da die AnalytikerInnen bei dieser Vorstellung im Strudel der
Gegenübertragung vom »Hochsitz […] ihrer Autorität« immer wieder herunter-
gerissen werden und sie diesen dann wieder mühsam erklettern müssen (Mitchell,
1997, S. 234). Diese Haltung mündet immer in einen Zweikampf mit den Pa-
tientInnen und trägt dadurch die aggressiven und damit Triebvorstellungen in
ihrer Konzeption. »Im Lichte dieser alternativen Sichtweise erscheint die Ge-
genübertragung in geringerem Maße als ein Sturm, aus dem man hin und wieder
auftaucht, um erneut den ›Hochsitz‹ zu besetzen, und sie gleicht eher dem
Wetter selbst (ebd., S. 234). Unsere Vorstellungen bzw. Metaphern organisieren
unsere Welt des Verstehens und generieren damit unsere Haltung den PatientIn-
nen gegenüber.
Er beschäftigt sich auch mit der Frage, wie AnalytikerInnen nun ihre Entschei-
dungen in der Interaktion mit den PatientInnen treffen. Und es ist unumgänglich,
in der Situation über die zu treffende Entscheidung nachzudenken:

»Tatsächlich folgen diese Entscheidungen einander zu schnell, als dass wir über
sie alle bewusst reflektieren könnten. Wenn ich jedoch rückblickend versuche, das
implizite, vorbewusste Wesen meiner Entscheidungen zu artikulieren, spielt sich
dabei etwas der folgenden Art ab: Scheint die Träumerei, in der ich mich im Au-
genblick befinde, in irgendeiner Beziehung zum Material des Patienten zu stehen,
oder scheint sie mich von diesem Material weiter wegzuführen? Öffnet das scharfe
und direkte Fokussieren auf Details dessen, was der Patient sagt oder auf die darin
zum Ausdruck kommende Verwirrung den Zugang zu den betroffenen Bereichen
seines Erlebens, oder habe ich das Gefühl, dass mich diese Herangehensweise in ein
obsessives Dickicht führt und mich von einer umfassenderen emotionalen Reakti-
on eher weiter entfernt?« (ebd., S. 252).

Er entwirft hier unterschiedliche Möglichkeiten, wie sich nun die TherapeutIn-


nen reflektiven Fragen zuwenden können, und er wird erkennen, dass er keine
»richtigen« Antworten finden wird. Die Antworten sind von seiner Haltung
abhängig, die wiederum von seinen Affekten, Empfindungen geleitet werden.

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1 Die Anfänge mit Mitchell und Ghent

Fühlt er sich zum Beispiel müde, so wird seine Antwort anders ausfallen als wür-
de er sich beschwingt fühlen. Es gibt auch zur eigenen Person keine »Wahrheit«,
sondern nur ein Festhalten am Moment des Generierens von Erleben. Fließt ein
neues Erleben in meinen Gedanken zu etwas Neuem, so würde ich es im Sinne
von Daniel N. Stern als Gegenwartsmoment (present moment) betrachten.
Die Frage des Konstruktivismus wirft er wieder auf, indem er sich der Frage
widmet, ob die Psyche enthüllt oder konstruiert wird. Die Vorstellung zu dieser
Fragestellung beeinflusst wiederum die Herangehensweise der AnalytikerInnen
an die Begegnung mit den PatientInnen und damit die Vorstellung über den
Wahrheitsanspruch der AnalytikerInnen und die damit verbundene Autonomie
der PatientInnen. Enthüllt sich die Seele im Sinne einer Ko-Konstruktion, die
ein gemeinsamer Prozess im dialogischen Verstehen ist, oder taucht sie durch den
Einfluss der AnalytikerInnen auf die PatientInnen in dieser auf ? Dies stellt die
zentrale Fragestellung in seinem Buch über Einfluss und Autonomie oder Influ-
ence and Autonomy in Psychoanalysis (Mitchell, 1997) dar.
Kurz vor seinem Tod erschien das Buch Relationality – From Attachment to
Intersubjectivity (Mitchell, 2000), in deutscher Übersetzung Bindung und Bezie-
hung – Auf dem Weg zu einer relationalen Psychoanalyse (Mitchell, 2003b). Hier
widmete er sich zwei großen Themenkomplexen. Im ersten Teil wendet er sich
wieder Hans Loewald zu, der für Mitchell ein zu wenig beachteter Denker war,
und im zweiten Teil erforscht er in seiner üblichen Herangehensweise die Struk-
turebenen der Psyche aus der Sicht von Bowlby und Fairbairn und filtert das
gemeinsame Intersubjektive heraus, um sich im letzten Kapitel der Intersubjekti-
vität in all ihrer Gefühlsstärke im Behandlungsraum zu stellen.
Mitchell findet bei Loewald die Vorstellung eines gemeinsamen Ursprungs,
einer uranfänglichen Dichte, in der sich das menschliche Geschehen entfaltet.
Dafür nimmt er Bezug auf die Ausdehnungsvorstellung des Kosmos nach dem Ur-
knall. Für Mitchell und Loewald besteht eine Grundmatrix, in der alles in Bezug
steht. Es stellt ein Gegenmodell zu der Vorstellung von Libido und Triebvorstel-
lung als den Menschen bestimmende Faktoren dar. Loewald war ein Schüler von
Heidegger und von dessen Philosophie bzw. von dessen Philosophieren beein-
flusst, stand aber dessen Lehren auch – wegen der Verstricktheit seines ehemaligen
Lehrers in den Nationalsozialismus – ambivalent gegenüber (Grunenberg, 2016;
Orange, 2020). Sprache ist für Heidegger »das Haus des Seins«, angelehnt an
seinen Gedanken aus dem Werk Sein und Zeit, in dem sich als Verstehen beides
braucht: Das Sein entsteht nur im Kontext zur Zeit, und die Zeit wird nur durch
das Sein begrifflich (Mitchell, 2000, S. 47). Heidegger hatte den Ruf, die alten
DenkerInnen zum Leben zu erwecken, er spricht nicht nur über die PhilosophIn-

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nen, sondern man lernt das Philosophieren. Loewald erlebt in seinen drei Jahren
bei Heidegger auch die Begegnung in realitas und hat eine Vorstellung von Spra-
che, die nur Bedeutung übermittelt, die Realität durch Bezogenheit herstellt. Im
zweiten Teil des Buches entwickelt Mitchell eine Interaktionshierarchie von vier
Stufen, die er an den Werken von Bowlby, Winnicott, Loewald und Fairbairn
abhandelt.
Sein letztes posthum erschienenes Buch war Can Love Last? (2003a). Hier
wendet er sich dem Phänomen der Liebe, der Sexualität, der Erotik und des Be-
gehrens zu. Er geht von der biologistischen Vorstellung aus, in der Triebe unser
Geschehen beherrschen. Seine Argumente greifen unsere Vorstellung von der Be-
schreibung der Liebe auf, und er folgert in seinen Gedanken zurück, dass unsere
Vorstellung über die Liebe und Sexualität unser Verhalten manifestiert und da-
mit wider unserer Sichtweise über die Liebe und Sexualität perpetuiert. Unsere
Vorstellungswelt kreiert eine romantische und eben eine Liebe des Triebgesche-
hens.

»Die traditionelle Erklärung, romantische Liebe sei deshalb so empfindlich und in-
stabil, weil Sexualität in ihrem Wesen grob und primitiv sei, ist uns viele Jahrzehnte
lang als ästhetisch und moralisch zufriedenstellend erschienen. Sie hat uns geholfen,
uns dessen, was wir an uns nicht mögen, teilweise zu entledigen, indem wir es zu
einem unerwünschten und uns von unseren tierischen Vorfahren aufgezwungenen
Erbe erklärten. Wir haben die Natur personifiziert, um in ihr jene Aspekte unseres
eigenen Erlebens lokalisieren zu können, die wir nur schwer ertragen« (Mitchell,
2004, S. 70).

Er arbeitet nicht die Bedeutung der Liebe und deren Hintergründe heraus, son-
dern nimmt uns auf die Denkreise mit, warum wir eine solche Vorstellung über
die Bedeutung der Liebe und Sexualität entwickeln. Den Liebesbegriff ordnet
er einer Dienstbarmachung der Gefühle unter – in dem Sinne, dass sie »schwer
Erträgliches« in Erträgliches umwandeln kann. Er entwirft dazu ein anderes Ver-
stehenskonzept der Liebe: »Die Sexualität des Menschen manifestiert sich in
relationalen und sprachlichen Zusammenhängen« (ebd., S. 66).
Sexualität kann sich aus Beziehung und sprachlichen Zusammenhängen ent-
wickeln und entzieht mit diesen Gedanken den Trieb seiner Leitfunktion im
Verstehen unseres sexuellen Verhaltens, Begehrens und Liebens. Begehren ist für
ihn eben kein von der Energie des Triebes geleitetes Phänomen, das sich auf
die Suche nach einem Objekt begibt, sondern entfaltet sich in einer gemeinsam
konstruierten, subjektiven Welt: »Begehren [steigt] nicht einfach aus Körperge-

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1 Die Anfänge mit Mitchell und Ghent

weben auf, sondern manifestiert sich im Kontext einer subjektiven Welt, die [wir]
konstruiert [haben]« (ebd., S. 78).
Die Bezogenheit in einer unteilbaren, gemeinsam konstruierten Welt lässt
das Begehren entfalten. Die Erotik ermöglicht uns das Leben von Sexualität und
beruht für Mitchell auf der Auffindung des anderen in seiner Differenziertheit in
uns selbst:

»Erotik, die die seltsame Schleife unserer Sexualität konstituiert, überrascht uns auf
unserer Reise in die Andersheit des anderen häufig mit uns unbekannten Aspekten
unserer selbst, und unsere Erforschung unseres eigenen Inneren, die unbeschreib-
bare Abgeschiedenheit des Selbst, überrascht uns oft mit der Gegenwart anderer«
(ebd., S. 91).

Mitchell bietet keine konkreten Antworten auf die Fragen, die er zu Beginn des
Buches aufwirft. Sein Erkenntnisgewinn, den er den LeserInnen anbietet, besteht
in der Ergründung des eigenen unterschiedlichen Empfindens, in der Sichtbar-
werdung durch das Einbetten in Bilder und Metaphern, die uns somit die Freiheit
des Erdenkens ermöglichen. Indem ich mir etwas erdenken kann, kann ich mei-
ne Haltung dazu konstruieren oder dekonstruieren. Und der Referenzrahmen
ermöglicht eine Sichtweise auf die Welt, mit der ich Entscheidungsfreiheit ge-
winnen kann. Welche Form der Beziehung, Liebe, Begehren ich leben möchte,
meine Haltung bestimmt mein Handeln.
Am Ende der Reise durch das Werk von Stephen A. Mitchell steht eine Aus-
einandersetzung mit seinem Versuch des Entwurfes einer Metapsychologie. Er
versuchte, aus dem vorhandenen Konzept ein dreidimensionales Verstehenskon-
zept zu entwickeln. Zuerst nannte er es »relationale Konflikttheorie« (Mitchell,
1988). Er entwickelte ein dreidimensionales Rahmenkonzept im Sinne einer Ma-
trix bzw. eines Aktionsplanes:
1. Selbst-Pol
2. Objekt-Pol
3. Interaktionspol

Aus all diesen Polen heraus lässt sich für Mitchell ein relationaler Ansatz entwi-
ckeln. Diese drei Dimensionen bilden die relationale Matrix. Sein Denken war
auf die Integration all dieser psychoanalytischen Konzepte ausgerichtet.
Die zweite Ausrichtung in seinem Denken bestand in der Weiterentwick-
lung einer relationalen Theorie mit der Integration und Ausgewogenheit der drei
Konzepte:

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1. Selbstdimension mit ihren Fragen nach Selbsterhaltung, Selbstregulierung,


persönlicher Identität, Selbstwertgefühl, Authentizität und Selbstkohärenz
2. Objektdimension mit ihren Fragen nach dem anderen, dem inneren Objekt,
dem wirklichen anderen, der Identifizierung und wechselseitigen Regulie-
rung
3. Interaktionsdimension mit der Frage nach dem Enactment bzw. der Insze-
nierung, nach dem zwischenmenschlichen Verhalten und danach, wer wem
was angetan hat

Er beschäftigte sich auch mit dem Erleben eigener Selbstwirksamkeit (agency),


mit unserer Fähigkeit, Beziehungsmuster aufrechtzuerhalten und dauerhaft zu
gestalten (perpetuieren) und mit der kreativen Neuerschaffung unserer eigenen
Innenwelt. Diese Themen gehören vielleicht zum Selbst-Pol oder sind einem ei-
genen Pol zuzuordnen. Diese Punkte formulierte Mitchell nicht mehr klar aus
(Aron & Harris, 2010, S. 113f.).
Die Bedeutung in Mitchells Werk entfaltet sich in einer Reise durch seine
Gedankenwelt. Für ihn war es eine große Leistung, so wenig Fachausdrücke wie
möglich in seinem Werk zu verwenden und auch keine neuen Wörter zu generie-
ren. Er wollte mit der Sprache, die zur Verfügung steht, ein dreidimensionales Bild
entwerfen und somit ein Sehen und Verstehen von Phänomenen darstellen, in
die wir relational eingebettet sind und die uns auch konstituieren. Versucht man
Konkretes herauszudestillieren, so geht einem die Bedeutung des »Unklaren«
verloren, Mitchell wollte uns durch die Verschiebung, die Austauschbarkeit, durch
Metaphern etwas sichtbar machen, das abseits unserer üblichen Vorstellungswelt
von Trieben und Dichotomie besteht. Er stellte seine Gedanken nie als Konzept
dar, was in eine Idee von »Ich muss mich dafür oder dagegen entscheiden« ge-
mündet hätte. Für ihn war es eine andere Form des Erdenkens von Phänomenen,
die sich erst in der Undeutlichkeit herauskristallisieren. Bilder verändern für ihn
Haltungen, und Haltungen generieren neue Bilder. Auch unser Denken erfolgt in
der Dimension einer Beziehung (agency), da wir immer ein Gegenüber brauchen,
das uns konstruiert oder eine Grenze der Sichtbarkeit bildet.
Ein Wegbereiter für Mitchell und ein Begleiter war sein Lehrer Emmanu-
el Ghent (1925–2003). Dieser wuchs in Montreal auf und ging dann für den
Abschluss seiner psychiatrischen Ausbildung nach New York, später erhielt er
dann eine Professur für Psychologie an der New Yorker University. Seine gro-
ße Leidenschaft waren die Musik und die Computertechnik, wobei er sich in
der elektronischen Musik sehr engagierte. Er entwickelte eine computergesteuer-
te Theaterbeleuchtung, in der er Musik, Tanz und Lichteffekte kombinierte. Die

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Welt der Klänge beflügelte auch sein Nachdenken über Resonanzräume in der
analytischen Begegnung und deren Bedeutung für das Aufspüren von verborgenen
Gefühlen (Lewis, 2003). Er war in einer Gemeinschaft, gefördert durch die Gug-
genheim Foundation, mit Nobelpreisträgern, in der gemeinsam musiziert wurde.
In sein vielseitiges Denken integrierte er auch seine Erfahrungen von Meditation
und Buddhismus. Dies spiegelt sich in seinem Artikel »Credo: The Dialectics of
One-Person and Two-Person Psychologies« (Ghent, 1989) wider. Hier kommt
er über die Frage des Glaubens zu der für ihn unausweichlichen Konsequenz der
Zwei-Personen-Psychologie. Für Ghent ist der Glaube ein zu wenig beachtetes Vor-
stellungsgebäude in der Psychoanalyse. Er versteht Theorien als Überzeugungen,
die sich hinter einer kognitiven Anerkennung verstecken. Ghent formuliert die
Bedeutung eines Glaubenssystems für das Zuhören im therapeutischen Setting:

»And the paradigm – ultimately a belief system that the analyst lives and works by
(and there is no assurance that the analyst has full conscious access to the system
under which he or she is really operating) – makes a very significant difference as
to how one hears, what one hears, how one assembles what is heard, and how one
conducts oneself in the analytic setting« (Ghent, 1989, S. 170).

Er verweist hier schon auf die Bedeutung der Haltung und deren Einfluss auf die
Interventionen, die die AnalytikerInnen setzen. Die Zwei-Personen-Psychologie
beginnt im Diskurs mit dem eigenen Glaubenssystem. Weiters formuliert er aus:

»But even more important: our patients are there to help us if only we have ears to
listen. If we can remain attuned we will discover that all is not resistance, in fact a
fair share is counter-resistance, our own difficulties with having to re-evaluate our
theories and expectations in the light of experience that we uneasily sense is not
fitting well with those theories and expectations« (Ghent, 1989, S. 170).

Hier greift er sehr konkret auf die Gedanken von Ferenczis mutueller Analyse
zurück und formuliert auch die Bedeutung der Abwehr als ein Ineinandergreifen
von Übertragung und Gegenübertragung (Ferenczi, 2013). Ghents Analysandin
war Clara Thompson, die von Ferenczi analysiert wurde und in seinen klinischen
Tagebüchern als Patientin Dm. Erwähnung findet (Demos & Harris, 2017).
Diesen Gedanken verfolgt er dann später in seinem Artikel über Masochis-
mus und Hingabe weiter. In der Überlegung eines Gegenstücks von Gefühlen,
die die TherapeutInnen einbringen, ist er bereits tief im Denken einer relationa-
len Psychoanalyse.

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Sein meist zitierter Artikel in der klinischen Welt ist »Masochism, Sub-
mission, Surrender – Masochism as a Perversion of Surrender« (Ghent, 1990).
In diesem Artikel arbeitet er die Unterscheidung von Hingabe (surrender) und
Unterwerfung (submission) heraus und stellt sie in den Kontext des Begriffs Ma-
sochismus. Hingabe betrachtet er als die Suche bzw. das Finden eines wahren,
authentischen Selbst im Gegensatz zur Unterwerfung unter ein fremdes Selbst,
das er nun als Widerstand oder als Anpassung betrachtet. Hingabe ist die Sehn-
sucht nach dem Objekt oder der Objektsuche. Unterwerfung dient der Abwehr
von Ängsten, Schuld und Schamgefühlen und zeigt sich in all ihren Abwehrfor-
men, so wie sie die Psychoanalyse beschreibt. Als Referenzpunkt greift Ghent auf
die östlichen buddhistischen Lehren zurück, in denen surrender nicht Niederlage,
sondern Transzendenz und damit Befreiung bedeutet:

»The guru [AnalytikerIn] is an illusion – an illusion which permits the disciple to


yield, surrender false self, and therein have a chance at finding himself. The process
may be thought of as allowing the disciple to re-enter the exhilarating world of tran-
sitional experiencing – wherein the guru is the transitional object. The ›ego‹, false
self, ›mind‹ wants to argue; the guru won’t argue. He knows that all engagement
at this level reinforces the strength of the ›ego‹ (false self ). Surrender in this sense
does not need a guru. The indirect object of the surrender could as well be a tree,
the sun, God […] anything or anyone, that will not impinge with its own ›ego‹.
The process is what is important« (Ghent, 1990, S. 110).

Die Hingabe braucht eben für Ghent am Ende des Weges kein Objekt, sondern
ist die Hingabe zum eigenen authentischen Selbst, das wiederum durch Hinga-
be zum Erscheinen gebracht wird. Hier entwickelt er sehr stark seine Gedanken
an den östlichen Vorstellungen von der Zielbedeutung von Meditation. In der
westlichen Welt sieht er in manchen Vorstellungen über Kunst ein ähnliches Ver-
stehen des Begriffs von surrender. Hingabe betrachtet er schlussendlich als ein
universelles bzw. angeborenes Bedürfnis, das in seiner deformativen Entwicklung
zu einem falschen Selbst führen kann. In Ghents eigenen Worten:

»The main hypothesis of this paper is that it is this passionate longing to surrender
that comes into play in at least some instances of masochism. Submission, losing
oneself in the power of the other, becoming enslaved in one or other way to the
master, is the ever available lookalike to surrender. It holds out the promise, se-
duces, excites, enslaves, and in the end, cheats the seeker-turned-victim out of his
cherished goal, offering in its place only the security of bondage and an ever am-

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1 Die Anfänge mit Mitchell und Ghent

plified sense of futility. By substituting the appearance and trappings of surrender


for the authentic experience, an agonizing, though at times temporarily exciting,
masquerade of surrender occurs: a self-negating submissive experience in which the
person is enthralled by the other. The intensity of the masochism is a living testi-
monial of the urgency with which some buried part of the personality is screaming
to be exhumed. This is not to be minimized as an expression of the longing to be
healed, although so often we bear witness to its recurring miscarriage« (Ghent,
1990, S. 112).

Als weiteren Punkt bzw. Gegensatz arbeitete er den Sadismus als Begrifflichkeit
heraus. Rückgreifend auf die Ideen von Winnicott betrachtet er es als für die
Entwicklung zum eigenen Selbst notwendig, die Mutter zu zerstören, um ihr
Überleben zu erleben. In der Analyse bedeutet das für ihn, eben die Analytikerin
oder den Analytiker zu gebrauchen und sie oder ihn sadistisch zu behandeln, um
an ihrem oder seinem Überleben das eigene Selbst entwickeln zu können. Die es-
senzielle Form der Entwicklung liegt für Ghent nicht am Objekt als starres Selbst,
sondern an dessen Gebrauch. Die Destruktivität ist das Realitätsprinzip, das die
Qualität der Äußerlichkeit erschafft. Um zur Entwicklung der Objektbenutzung
zu gelangen, braucht es ein Objekt, das eine Beziehung zumr Hingabe (surrender)
herstellen kann. Diese Form des Übergangserlebens bildet nun die Grundlage für
das kreative Erleben der Welt. Lassen wir Ghent in seinen eigenen Worten den
Absatz abschließen:

»As used in this paper, surrender implies not defeat but a quality of liberation and
›letting-go‹. I have explored the thesis that at least in some instances masochism
is the result of a distortion or perversion of a deep longing for surrender, a yearn-
ing to be known, recognized, ›penetrated‹, and often represents the miscarriage of
a wish to dismantle false self. Similarly, some instances of sadism are traceable to
the obverse of this phenomenon: A failure in the consummation of a more active
›penetrative‹ type of surrender as in object usage. Successful transition from object
relating to object usage involves an act of surrender and risk-taking on the part of
the infant (or later, patient), as well as a degree of surrender on the part of the facil-
itating caretaker, or later, analyst. To round out the conception of surrender I have
touched on related issues such as creativity and the apperception of disorganizing
meaning« (Ghent, 1990, S. 134).

Diese hier aufgeworfenen Gedanken vom Wunsch, gesehen zu werden, die Kom-
plementarität von Liebe und Hass und die Sehnsucht nach Hingabe als Bedeutung

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

für Beziehung werden von seiner Analysandin Jessica Benjamin weiter entwickelt
und zu deren Grundsäulen in ihrem Werk.
Emmanuel Ghent stellte im Umfeld des William Alanson White Institute für
viele zukünftige DenkerInnen einen wichtigen Boden für Kreativität dar und leb-
te so seine Gedanken im realen Beziehungsgeflecht zu seinen SchülerInnen und
MitstreiterInnen und nicht so sehr im eigenen Verfassen von Werken (Demos &
Harris, 2018; Bass, 2018).

2 Die nächste Generation um Benjamin, Aron, Harris,


Bass und Davies

Jessica Benjamin (*1946), eine Schülerin und Analysandin von Ghent, übernahm
eine wichtige Rolle in der Etablierung des relationalen Denkens weltweit. Ihre
jüdischen Eltern wanderten in Amerika ein und ermöglichten ihrer Tochter ein
Studium der Sozialwissenschaften bei Adorno in Frankfurt. Dieses schloss sie
1978 in New York ab und machte dann ihre psychoanalytische Ausbildung. Sie
gehörte zum engsten Kreis von ca. sieben Personen um Stephen A. Mitchell und
gehört damit zu den wichtigsten VertreterInnen der relationalen Psychoanalyse.
Durch ihr Philosophiestudium in Deutschland ist sie sehr von Hegel, Haber-
mas und später auch von Winnicott beeinflusst. Ihr Artikel »Beyond Doer and
Done to: An Intersubjective View of Thirdness« (2004a, 2018; dt. 2010: »Tue
ich oder wird mir angetan? Ein intersubjektives Triangulierungskonzept«) ist der
meist gelesene Artikel in der relationalen Psychoanalyse.
Ausgehend von Ghents Überlegungen zu Masochismus und Sadismus entwi-
ckelt sie ein Konzept, in dem sie nicht von Opfer und TäterIn spricht, sondern
beiden Positionen Handlungsfähigkeit zuschreibt und damit beiden PartnerIn-
nen Verantwortung in der Konstruktion eines moralischen Dritten zubilligt. Es
geht für sie natürlich um die Frage von aktiv und passiv, wobei sie eben der Pas-
sivität auch eine Bereitschaft dafür zuordnet. Daran knüpft sie den Gedanken
der Urheberschaft und damit, ein Subjekt im Besitz seines Selbst zu sein. Erst
über diese gemeinsame Anerkennung, die unbewusst beide AkteurInnen in sich
tragen, ist eine Veränderung möglich. Weiterführend von diesem Konzept entwi-
ckelte sie daraus die Aussage:

»[W]ie ein Individuum dazu befähigt wird, seine Wirkung und Urheberschaft in
Gang zu bringen, die Verantwortung für seine Gefühle und Handlungen zu über-
nehmen. Ein Subjekt im Besitz seines Selbst zu sein. Ein Subjekt, das sich nicht als

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2 Die nächste Generation um Benjamin, Aron, Harris, Bass und Davies

Opfer begreift und auch nicht fortwährend das Gefühl hat, dass ihm etwas angetan
wird« (Benjamin, 2004b).

Für Benjamin bedeutet das, die Identifizierung von beiden Seiten zu verleugnen,
sich nicht mehr im Besitz seiner Gefühle und Handlungen zu befinden und seine
Subjektivität zu verlieren. Ausgehend von den von Ghent aufgeworfenen Gedan-
ken von Komplementarität versucht nun Benjamin, ein intersubjektives Modell
zu entwerfen, wie sich diese Komplementarität abspielt und damit sichtbar wird
und einer Veränderung zugeführt werden kann. Sie führt eine neue Beschreibung
vom Konzept des Dritten ein, das sie anders fasst als in den Konzepten von La-
can, Green und Ogden (Coelho, 2016). Sie spricht vom »moralisch Dritten«,
das auftaucht, wenn PatientIn und AnalytikerIn anerkennen, dass sie beide für
die Situation verantwortlich sind und beide zu ihr beitragen. Wenn die Thera-
peutInnen ihr Beteiligtsein nicht anerkennen, entsteht »eine Verschmelzung aus
dem Dritten und eine unlösbare Idealvorstellung, die viele analytische Behand-
lungen in den Sumpf der Verzweiflung führt« (Benjamin, 2004b). Für Benjamin
ist dieses Dritte ein Muster oder ein Prinzip einer dynamischen Interaktion, in
der der eigene Einfluss erkannt bzw. anerkannt wird. Als moralisch betrachtet sie,
dass jede und jeder der beiden PartnerInnen sich in der Interaktion als ethisch
handelnde Person erlebt.

»The Third refers to a position constituted through holding the tension of recog-
nition between difference and sameness, taking the other to be a separate but
equivalent center of initiative and consciousness with whom nonetheless feelings
and intentions can be shared. Sharing begins in the earliest pre-verbal interactions:
the creation of alignment in intentions or resonance of feeling, a degree of symme-
try or sense of sameness even among unequal partners« (Benjamin, 2018, S. 4).

Dieses moralische Dritte wird von den TherapeutInnen dann hergestellt, wenn sie
sich auch als jemand begreifen, der den PatientInnen etwas antut und auch damit
ihre Spiegelung vonseiten der PatientInnen anerkennen. Wenn diese Anerken-
nung nicht erfolgt, kommt es zum Zusammenbruch der »Drittheit«. Benjamin
sagt auch: »Teile die guten und schlechten Dinge, wir haben beides, und dies
führt zur Entstehung des Dritten in der Therapie.« Lassen wir Benjamin nun
nochmals in ihren eigenen Sätzen zu Wort kommen:

»All patients, in individual ways, place their hopes for the therapeutic process in
us, and for each one, we must use our own subjectivity in a different way to struggle

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

through to a specific solution. But this specificity and the authenticity on which it
is based cannot be created in free fall. Analytic work conducted according to the
intersubjective view of two participating subjectivities requires a discipline based
on orientation to the structural conditions of thirdness. It is my hope, that this
clinical and developmental perspective on co-created, intersubjective thirdness can
help orient us toward responsibility and more rigorous thinking, even as our prac-
tice of psychoanalysis becomes more emotionally authentic, more spontaneous and
inventive, more compassionate and liberating to both our patients and ourselves«
(Benjamin, 2018, S. 48).

Anerkennung als Konzept ist ihr sehr wichtig, und dies kommt auch aus der
Feminismusbewegung, mit der sich Benjamin seit den 1970er Jahren auseinan-
dersetzt: »The challenge to a psychologically oriented recognition theory was
articulated by Butler Judith (1997)« (Benjamin, 2018, S. 17), eine der großen
Denkerinnen in der Gender-Debatte.
Das Baby benutzt die Mutter – das ist auch Anerkennung der Mutter im Sin-
ne von Winnicott.

»I believe, that in formal terms the same process of acknowledgement is crucial


in social and clinical dimensions of interaction. The process evolves through early
experience with accommodation, attunement, understanding into later more com-
plex forms« (ebd., S. 7).

Die Anerkennung hat für Benjamin im Sinne von Therapie die Aufgabe, den
Raum der Drittheit wiederherzustellen und damit beiden beteiligten PartnerIn-
nen ein voneinander unabhängiges Fühlen und Denken zu ermöglichen. Die
Herstellung und Zerstörung der Drittheit ist die dynamische Seite des psychothe-
rapeutischen Prozesses, ein Pendeln zwischen Dekonstruktion, Dissoziation und
Reparatur. »The essential point on which recognition theory [Anerkennungs-
theorie] focuses is the reciprocal response to each other’s minds, regardless of its
specific form – the awareness of the other as subject rather than object« (ebd.,
S. 10).
In ihrem Anerkennungskonzept verbindet sie ihre beiden Wege, das relatio-
nale Denken im klinischen Bereich vonseiten der Psychoanalyse und das soziale
gender-geleitete Denken als Relationalität zwischen Frau und Mann und ent-
wicklungspsychologisch. Sie betrachtet die Anerkennung und das Scheitern die-
ser als wichtigen Entwicklungsweg für die Regulation von Affekten (Benjamin &
Atlas, 2015). Ausgehend von ihrem Werk Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse,

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2 Die nächste Generation um Benjamin, Aron, Harris, Bass und Davies

Feminismus und das Problem der Macht (Benjamin, 1993a) verbindet sie die Ide-
en von Emmanuel Ghent – die Komplementarität zwischen Masochismus und
Sadismus – und den von der Feminismusbewegung getragenen Anerkennungs-
aspekt. In ihrem Buch Phantasie und Geschlecht (Benjamin, 1993) arbeitet sie
ihre Gedanken bezüglich der Konstruktion unserer Geschlechterrealität weiter
aus, und in Der Schatten des anderen: Intersubjektivität, Gender, Psychoanaly-
se (Benjamin, 2013) arbeitet sie an der Verknüpfung ihrer drei Hauptthemen
weiter, mit dem Schwerpunkt auf der Intersubjektivität. »So problematisch das
ursprüngliche Zusammentreffen von Psychoanalyse und Feminismus auch war,
es wird immer deutlicher, dass sich ihre Wege überschneiden« (Benjamin, 1995,
S. 17).
Jessica Benjamin gilt heute als die Frontfrau, die internationale Beachtung
findet, die somit das »Gesicht« der relationalen Psychoanalyse und Psychothe-
rapie darstellt.
Lewis Aron (*1952–2019) gehörte am William Alanson White Institute auch
zum engeren Kreis um Stephen A. Mitchell. Er hat Ferenczi in Amerika wieder
populär gemacht (Aron & Harris, 1993). Aron war der Direktor des Postdoc-
Programms der New York University für Psychotherapie und Psychoanalyse in
New York City und somit Leiter der einzigen Ausbildung in Amerika, in der Psy-
choanalyse an einer Universität gelehrt wird.
Er war der erste Präsident der IARPP (Internationale Vereinigung für Relatio-
nale Psychoanalyse und Psychotherapie) und Mitbegründer der Zeitschrift Psy-
choanalytics Dialogues: The International Journal of Relational Perspectives (1991).
Mit Adrienne Harris redigierte er die Buchserie »Relational Perspective«. Seine
beiden Hauptwerke sind A meeting of Minds: Mutuality in Psychoanalysis (Aron,
2013) und das mit Karen E. Starr verfasste Buch A Psychotherapy for the People:
Toward a Progressive Psychoanalysis (Aron, 2013) Orange, 2018).
In seinem Hauptwerk A meeting of Minds: Mutuality in Psychoanalysis be-
schäftigt sich Aron mit den verschiedenen Aspekten von Gegenseitigkeit (mu-
tuality) und stellt sie in einen klinischen Kontext, um genauer auszuformulieren,
dass sie im therapeutischen Setting einer Asymmetrie unterliegt. Gegenseitig-
keit stellt für ihn ein gemeinsames Teilen jedweder Gefühle dar, und dies führt
zum gemeinsamen Gefühlserleben. Differenz bedeutet für ihn den Mangel an
Gegenseitigkeit und bildet die Grundlage für Getrenntheit. Psychoanalyse bzw.
Psychotherapie stellen in dieser Denkkonstellation eine Dialektik zwischen die-
sen beiden Phänomenen dar. Autonomie braucht auch Getrenntheit, um wieder
Gegenseitigkeit herstellen zu können. Im Gegensatz zu Benjamin und dem Kon-
zept der Komplementarität arbeitet Aron in seinem Konzept der Gegenseitigkeit

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

und der damit verbundenen Beeinflussung die Ungleichheit der Beeinflussungs-


bedeutung heraus:

»The definition of mutuality does not include symmetry or equality. Two people
may be said to have formed a mutual admiration society, when they hold each other
in high esteem or share reciprocal mirroring and idealization. There need be no
assumption, however, of quantitative equality or functional symmetry for the term
mutual to be applied« (Aron, 2013, S. xi).

Er arbeitet sehr differenziert die unterschiedlichen Bedeutungen von Gegen-


seitigkeit im klinischen Geschehen heraus und diskutiert sie anhand gängiger
Konzepte aus der Psychoanalyse.
Auch dem Entwickeln von Konzepten stellt er ein dialogisches Konzept bei:
»Just as meaning is mutually constructed within the analytic situation, so, too,
psychoanalytic theories are coconstructed dialogically within the community
of psychoanalysts […]« (ebd., S. xii). Das Erarbeiten einer Theorie in der Ge-
meinschaft oder im Dialog mit sich selbst, das Generieren von Wissen ist ein
relationales Geschehen.
Aron führt dieses Dialogische anlehnend an die Idee von Atwood und Sto-
lorow von der Bedeutung der Subjektivität der SchreiberInnen, gewonnen aus
den eigenen Narrativen des Erlebens, aus (Atwood & Stolorow, 1979). Seine So-
zialisation durch das William Alanson White Institute und dessen Geschichte
haben Einfluss auf seine theoretischen Konzeptionen, verfeinert durch die Strö-
mungen der Postmoderne und den Feminismus, die damals vorherrschten. Im
zweiten Kapitel von A meeting of Minds: Mutuality in Psychoanalysis arbeitet er
die Unterscheidungen zwischen relationalem Denken und den anderen Ansät-
zen der Psychoanalyse heraus. In den weiteren Kapiteln widmet er sich mehr der
klinischen Praxis, deren vorherrschenden Konzepten und wie sie sich von der re-
lationalen Psychoanalyse unterscheiden (Aron, 2013).
Vernehmen wir noch Arons Worte, wie er seine Beziehung zu Mitchell da-
mals beschrieb:

»Stephen A. Mitchell has been my teacher, supervisor, mentor, colleague and friend.
While he has helped me with my writing from my first analytic paper, I am delight-
ed that he is now officially my editor. I always learn from Stephan and with his
great generosity he manages to make me feel that I am also teaching him. No one
in the field could be a better model for the practice of mutuality while maintaining
respect for the other’s autonomy« (Aron, 2013, S. xviii).

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2 Die nächste Generation um Benjamin, Aron, Harris, Bass und Davies

Für Aron und die Kerngruppe um Stephen A. Mitchell war dessen plötzlicher
Tod eine traumatische Erfahrung, die sie enger zusammenrücken, aber in dieser
Trauerzeit auch Kreativität vermissen ließ (Orange, 2018).
Adrienne Harris gehörte ebenfalls zum engeren Kreis um Mitchell. In ihrem
meistzitierten Artikel beschäftigt sie sich mit dem Phänomen des »Tomboys«,
Mädchen mit einem burschikosen Auftreten oder Aussehen. Sie wählt diesen
Referenzpunkt, um damit die gängigen Muster von Weiblichkeits- und Männ-
lichkeitsvorstellungen zu dekonstruieren. Ihre Dekonstruktion erklärt sie mit den
Modellvorstellungen von sich selbst entwickelnden Systemen und deren Selbst-
organisation aus der Chaostheorie. Sie stellt die Vorstellung von Charakter und
dessen Ausdruck, Schwankungen und Labilitätsfaktoren der Chaostheorie gegen-
über, da beide Denkvorstellungen aus einer anderen Perspektive auf eine Struktur
zurückgreifen, in der sich alles fluide bewegt. Sie leitet dann weiter zu einer Ent-
wicklungsvorstellung:

»The developmental theory I am proposing is less a rejection of existing work than


a reframing or revisioning. […] In considering a complex phenomenon like gender
to be a softly assembled system, we take up gender’s meanings within any individual
and familial system, along with its function and form within specific tasks in specif-
ic environments. Certainly gender could encompass behaviors that have conscious,
unconscious, and social interactional properties. Gender and desire would come
into their unique and particular forms only in context, context being very widely
construed. Gender and sex would be inseparable from the interpersonal fields in
which they are embedded. And gender and desire would not necessarily be linked
in preprogrammed or obvious ways« (Harris, 2000, S. 232).

Sie entkoppelt in diesem Denkansatz die Gendervorstellung von ihrer biologi-


schen und der damit angebundenen Triebvorstellung und knüpft die Entwick-
lung von Begehren, auch im Gendersinne, an individuelle, familiäre Systeme.
Geschlecht und Sexualität sind für sie in ihrer Entstehung untrennbar in zwi-
schenmenschlichen Feldern eingebunden. Sexualität hat die Aufgabe von

»express[ion] and contains multiple functions: self-regulation; interpersonal reg-


ulation; distancing or bridging; conditioning safety or potential destabilization;
courting excitement or danger or sealing it off. Forms and functions of desire
would not have an obvious or unremarkable relationship to gender. The assem-
blage of gendered experience in sexual life is contingent and emergent, not pre-
programmed. Desire and gender may be set up antagonistically or feel seamlessly

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

enmeshed and obvious. The patterns organizing and consolidating in particular


forms of desire or identification could all potentially function at conscious and un-
conscious levels.
This way of thinking would make the tomboy one among many characters
about whom we make developmental stories. She could live in her variability but
be less estranged from human functioning. One of the ideological distortions in
conventional developmental and psychoanalytic accounts is not merely that many
forms of life are declared nonnormative, but that any form of ›otherness‹ from the
central story is unfathomably other. If developmental theory is written with such
wide generality and is so attuned to multiplicity and variation, forms of life we
like to keep thickly bounded (gay – straight, boy – girl; sissy – tomboy; identifica-
tion – desire, etc.) are more alike in their process of formation while retaining the
variability of outcome« (Harris, 2000, S. 232f.).

Sie stellt in ihrem Artikel nicht die beobachteten Phänomene von Geschlechts-
spezifität infrage, sondern plädiert für eine andere Form der Beobachtung und
Beschreibung. Sie diskutiert auch die Bedeutung der geschichtlichen Entwick-
lung und deren Verbundenheit mit dem Körper als Bedeutung der Geschlechts-
konstruktion: »Also, the almost exclusive focus on the vagina as the designated
site of femininity almost inevitably makes the female body a body primed for
heterosexuality« (ebd., S. 235). Wie ich etwas betrachte, hat Auswirkung auf
mein Erleben der Realität und damit auch auf das Erleben und Leben meiner
Sexualität. Nicht cogito ergo sum ist sinngebend, sondern wie mein Körper er-
dacht wird und wie er in der Interaktion mit all seinen sozialen Komponenten
ins Er-Leben geweckt wird. Auch in Hinblick auf die Entwicklung der Sexuali-
tät plädiert sie für eine nichtlineare Betrachtungsweise und schlägt als anderes
Modell der Betrachtung die Chaostheorie vor, und somit auch den Leitge-
danken: »Same-sex and different-sex identifications and interactions assume
a single and simply categoried identity. A number of critics have argued, that
these accounts of gender development remain within an understanding of nor-
mative heterosexuality« (ebd., S. 238). Die Perspektive der Heterosexualität als
Referenzpunkt der Entwicklung sollte nicht als Fixum betrachtet werden, son-
dern Heterosexualität wäre im Sinne der Chaostheorie als fluides Phänomen zu
verstehen, das sich immer wieder selbst konstruieren muss. Ein weiterer Punkt,
den Adrienne Harris hier bereits aufgreift und den sie später weiterverfolgen
wird, ist die unbewusste Weitergabe von Traumaerfahrungen auf die nächste
Generation und deren Einfluss auf die Struktur des Geschlechts: »This pheno-
menon, the haunting of an individual by ghosts, demons, and losses transmitted

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2 Die nächste Generation um Benjamin, Aron, Harris, Bass und Davies

in some way well below the radar screens of conscious reflection, may find in
the structures of gender a particularly vivid and well-elaborated host« (ebd.,
S. 240).
Im letzten Abschnitt greift sie so nochmals die Bedeutung der Sprache und
der damit verbundenen Konstruktion von Wirklichkeit in Bezug auf Genderer-
fahrungen auf:

»It might be useful to explore not the role of language in gender experience, but the
role of speech, specifically the practice of naming or not naming one’s experience. I
think we need a more careful and complex understanding of what a category is, how
it is built, and how complex, contradictory and multiply configured the categories
used to describe gender will turn out to be« (ebd., S. 243f.).

Sie weist hier nochmals auf die Dringlichkeit hin, dass wir ein Verstehen über uns
nur in der Dekonstruktion unserer Sprachkategorien bezüglich Gender erreichen
können. Die Kategorisierung von Mädchen und Jungen entsteht über die Reprä-
sentation von Metaphern, die aus einer verkörperten Erfahrung gebildet werden
und sich als Gesamtheit des Prozesses in einer sozialen Matrix entwickeln. Mit ih-
rem Beitrag rückt Adrienne Harris die Konstruktion unserer Gendervorstellung
und der damit verbundenen Sexualität mehr in das relationale Denken und da-
mit auch stärker in eine Kulturabhängigkeit und unterstellt sie nicht mehr einer
biologischen Gegebenheit.
Ein weiterer Mitstreiter um den Kern von Mitchell ist Anthony Bass. Er
übt eine Lehrtätigkeit am Columbia University Center für psychoanalytische
Ausbildung aus. Mit Adrienne Harris leitet er als Chefredakteur die Zeitschrift
Psychoanalytic Dialogues. Er ist auch einer der Gründungsmitglieder der IARPP
(International Association for Relational Psychoanalysis and Psychotherapy).
Wie Aron ist auch er ein sehr guter Kenner des Werks Ferenczis. Er verfolgt
den Gedanken der Gegenseitigkeit in der Therapie, wie ihn Ferenczi als Erster
aufgeworfen hatte, und geht davon aus, dass eben jede Psychotherapie mutual
ist. In seinem bekanntesten Artikel »When the Frame Doesn’t Fit the Picture«
(Bass, 1999, 2007) über das Zusammenspiel von Bild und Rahmen greift er zuerst
einen klinischen Fall auf, anhand dessen er dann die grundsätzliche Thematik
des Bezahlens der Therapie und deren Bedeutung abhandelt. Nach zweijähriger
Therapie wurde erst der übliche Bezahlrahmen von PatientIn und TherapeutIn
aufgenommen, insofern, dass es am Monatsende eine Rechnung vonseiten der
TherapeutIn gibt. Es war ein langer Prozess zu dieser Einigung.
Die Bedeutung und Wirkung von Handlungen bzw. Interventionen wie zum

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

Beispiel »Selbstenthüllung« hängt immer vom Kontext des Rahmens ab. Es


kann nicht per se gesagt werden, ob »Selbstenthüllung« als Technik gut oder
schlecht ist, es kann nur in der Bezugnahme zum Rahmen entschieden werden,
ob diese Form anzuwenden ist oder nicht. Bass argumentiert auch, dass der Rah-
men keine Technik darstellt, die die Zeit überdauert, sondern ein Phänomen, das
sich an die Kultur- und Zeitverhältnisse anpassen muss.

»From another perspective, the movement from omnipotence to an appropriate


form of self-regard, for analyst and patient alike, in which both triumphs and disap-
pointments were not only possible but also necessary, was not yet theorized. Social,
cultural, and intellectual trends during the past century have contributed to the
creation of new norms and therefore different analytic goals and expectations. We
would expect that the rules and frames of analysis would shift to reflect such chang-
ing mores« (Bass, 1999, S. 250).

Jede Zeit hat andere Vorstellungen von den Verhaltensregeln in der Therapie,
wobei sich ein Zyklus zwischen der Vorstellung von mehr oder weniger Abstinenz
abzeichnet (Gysling, 2009). Der Rahmen der Analyse wird mit jeder Patientin
und jedem Patienten neu ausgehandelt, er gestaltet und verändert sich im Laufe
des Therapieprozesses. Da der Rahmen für Bass etwas tief Individuelles darstellt,
kann eine technische Vorstellung über den Rahmen nur den Prozess belasten.
Das Aushandeln ist für Bass auch ein unverzichtbares Moment der Analyse, da
es die Enactments hereinbringt und somit ein therapeutisches Umfeld geschaf-
fen werden kann. Diese unformulierten Aspekte des inneren Lebens und der
gemeinsamen Erfahrung ermöglichen das Gehen von neuen Wegen. Der Rahmen
bedeutet für Bass: »I believe, that within the surface negotiation of the frame,
deep consolidation of a wide variety of intrapsychic and intersubjective elements
are being created, worked through, and recreated, to the ultimate benefit of both
participants« (Bass, 1999, S. 264).
In seinem 2014 erschienenen Artikel »Three Pleas for a Measure of Uncer-
tainty, Reverie and Private Contemplation in the Chaotic, Interactive, Nonlinear
Dynamic Field of Interpersonal/Intersubjective Relational Psychoanalysis« wid-
met sich Bass der Fragestellung, was relationale TherapeutInnen verbindet und
handelt dies an drei Papers von Seligman, Corbett und Cooper ab. Alle drei Au-
toren konzipieren Vorstellung und Funktion eines »privaten« Raumes, der in
der Therapie entsteht. Damit versucht Bass, einer Gemeinsamkeit eines tiefen in-
dividuellen Therapieverständnisses von Unaustauschbarkeit der Beteiligten auf
die Spur zu kommen.

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Er gibt auch eine genaue Definition von seiner Vorstellung, was relational in
der Analyse bedeutet:

»In my view what is ›relational‹ about the analyst’s form of participation at any giv-
en juncture in a therapeutic process is not whether the analyst is engaging the patient
actively about something that is occurring between them, or listening contempla-
tively in deep concentrated attention, but rather the analyst’s careful attention,
whether contained or voiced at any given moment, to his or her own experience
and how that is shaping and being shaped by the patient’s way of being and relat-
ing. Recognizing one’s own role in at least partially shaping the patient’s experience
in therapy is crucial, and differs markedly from the traditional view that the cen-
tral factor in the patient’s experience of the analyst and the analytic situation is the
transference of early experience into the present by the patient in ways that eclipse
to a great extent the current reality of therapist/patient relations« (Bass, 2014b,
S. 671).

Er greift einen Gedanken von Corbett auf, um zu argumentieren, dass es auch


notwendig ist, dem Faktor Zeit einen Raum zu geben, in dem sich Kontempla-
tives entfalten kann, der wiederum die Spontaneität prägt. Enactment versteht
er auch als wichtigen Aspekt in der Therapie, der immer da ist und sich durch
Entcodierung bzw. Bewußtmachen erdenken und damit verstehen lässt. Als Ge-
genbewegung zum Enactment empfiehlt er, dass ein kontemplativer Nachdenk-
raum in der Begegnung geschaffen werden sollte, um auch Momente der Stille zu
haben. Relationales Denken ist für Bass, keinen richtigen Weg zu haben, und als
Gegensatz von vorgefassten Meinungen und Ritualen definiert, die sich vonseiten
der AnalytikerInnen breitmachen können und somit zu einer Kolonisierung der
PatientInnen oder des gemeinsamen Raumes führen. Für Bass gibt es viele unter-
schiedliche Formen der Stille, aber auch ein individuelles persönliches Zuhören
jedes Analytikers und jeder Analytikerin. Das Hören in der Analyse trägt das Pa-
radoxon in sich, sowohl hochkonzentriert als auch von Unsicherheit umgeben zu
sein. Er widerspricht auch der Vorstellung von einer »freischwebenden« Form
des Zuhörens:

»Listening is not a function that can be separated from the mind of the listener, and
so the analyst’s way of listening is never altogether ›free floating‹, ›value free‹, or
›neutral‹. It is never free from the therapist’s own unconscious contribution to the
process, and so we can never be certain how we are shaping the patient’s experience
of us in our ways of listening and participating. We can never be sure of the degree

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

to which what we are hearing when we listen to our patient is an echo of ourselves«
(Bass, 2014b, S. 674).

Die Kritik an dem Begriff »freischwebend« scheint gerechtfertigt zu sein, wenn


er als technischer Terminus mit klarer Anweisung gesehen wird und nicht als
Benennung einer Haltung, die in einem Pendelprozess angestrebt werden und
immer im Fluss sein sollte.
Zuhören im relationalen Sinne bedeutet für Bass, die Wirkung seiner eige-
nen Teilnahme als Analytiker am Geschehen zu hören, »whether that be his
contemplative, unintrusive quiet; his withdrawn persecutory silence; his engaged
responsiveness; or his intrusive, unresponsive activity« (Bass, 2014b, S. 674).
Diese Form des Zuhörens lässt die relationalen AnalytikerInnen auf die ver-
schiedensten Erfahrungsebenen achten und deren Verbindungen wahrnehmen.
Diese Form der Aufmerksamkeit beinhaltet nicht nur ein Eintauchen in die in-
nere Welt der PatientInnen und der AnalytikerInnen, sondern das Erkennen von
Abhängigkeit einer gemeinsamen Entwicklung in der Therapie.
Bass greift eine Idee von Cooper (2010) auf und kreiert ein Erklärungsmodell
für die Heterogenität in der relationalen Psychoanalyse. Dies stellt eine andere
Ordnung von Theorie dar und konzipiert sie als übergreifendes klinisches Modell
im Sinne einer Metatheorie auf einer anderen Ebene als Diskurse, wie Selbst- oder
Ich-Psychologie abgehandelt werden. Die Metapsychologie als Gedanke begreift
sich in der Vielfältigkeit der DenkerInnen im relationalen Feld und generiert da-
durch keine einheitliche Theorie, was wiederum von klassischen AnalytikerInnen
kritisiert wird.
Eine genaue und scharfe Denkerin im klinischen Feld ist Jody Messier Davies,
die ebenfalls zum engeren Kreis der New Yorker RelationalistInnen gehört. Sie
schrieb eines der in der amerkanischen Psychoanalyse meistdiskutierten Papers:
»Love in the Afternoon: A Relational Reconsideration of Desire and Dread in
the Countertransference« (Davies, 1994). Sie rückt die Bedeutung der Sexualität
weg von der ödipalen hin zur realen Bedeutung, wo sie in Relationalität auftritt
und dort spezifische Fantasien erzeugt: »[W]e have in large measure cast aside
the reality that sexuality is still an outgrowth of shirting physical sensation as
it occurs in relation to specific fantasies and interpersonal relationships« (Da-
vies, 1994, S. 159). Weiter schreibt sie, dass es unmöglich ist, diese wichtigen
Themen der Sexualität und all deren begleitende Gefühle zu reflektieren, wenn
wir sie nicht erleben und verbalisieren. »If we are to enter the clinical realm of
erotic desire, confusion and inhibition, it would seem imperative that we gain
access to this essential subtext of interpersonal relatedness as it effects both pa-

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3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und der Einfluss der Säuglingsforschung

tient and therapist« (ebd., S. 160). Wenn die TherapeutInnen Angst vor ihren
eigenen erotischen Gefühlen haben, kommt es zu einer vorzeitigen Abschottung
der erotischen Erfahrungen für die PatientInnen. Ein großer Aspekt der Selbst-
organisation geht für die PatientInnen verloren. Diese können dann nicht über
die Fähigkeit ihres erotischen Verlangens nachdenken. Das sexuelle Verlangen der
PatientInnen als gemeinsam kreiertes Unternehmen zu betrachten, ist für viele
AnalytikerInnen noch sehr schwierig zu erdenken und führt zu einem Rückzug
auf die Ein-Personen-Psychologie. Wird das Sexuelle in seiner aufkommenden
Bedeutung im therapeutischen Raum geteilt, so brauchen die PatientInnen sich
nicht für ihre Gefühle schuldig zu fühlen und bleiben dadurch nicht das überer-
regte kleine Kind. Davies meint: »I would suggest, that ultimately, though with
careful timing, the patient must come to know the analyst as subject of her own
erotic sensation and desire« (Davies, 1994, S. 162). Anhand einer Fallvignette
handelt Davies nun die Bedeutung der sexuellen Empfindungen der Therapeu-
tInnen ab und beschreibt auch sehr eloquent, warum es wichtig ist, mit diesen
Gefühlen auch explizit in der Therapie zu arbeiten. Sie deutet auch die kulturelle
Gewalt von Ethikinstitutionen an, denen sie sich in diesem Moment gedanklich
gegenüber fühlte. Die Bedeutung liegt nicht im Agieren dieser Gefühle, sondern
darin, sie als gemeinsam konstruiert zu betrachten und durch das Zulassen einer
gemeinsamen Beteiligtheit zu neuen und unerwarteten Erkenntnissen zu kom-
men.

3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und


der Einfluss der Säuglingsforschung

Einer der jüngeren Denker im Kreise der relationalen Psychoanalyse ist Ken Cor-
bett, sein Schwerpunkt liegt in der Entwicklungskonzeption von Männlichkeit
und in der Queer Theory. Er ist Assistenzprofessor an der New Yorker Uni-
versität im Postdoctoral Program in Psychoanalyse und Psychotherapie. Sein
bekanntester Artikel »Boyhood Feminity, Gender Identity Disorder, Masculine
Presuppositions and the Anxiety of Regulation« (Corbett, 2009a) handelt von
der Problematik femininer Jungen und der damit verbundenen Etikettierung der
Geschlechtsidentitätsstörung (GID). Sein erstes Buch Boyhoods. Rethinking mas-
culinities (Corbett, 2009b) behandelt ebenfalls dieses Thema. Er zieht zu Beginn
eine große Literaturauswahl über die Diagnostik und Beschreibungen von Ge-
schlechtsidentitätsstörungen heran und argumentiert, dass die Voraussetzungen
für Männlichkeit und deren Definition nie infrage gestellt werden:

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

»The claims of the binary are so powerfully culturally compelled that they are un-
thought as natural and essential. Gender is routinely conflated with anatomy, and
gender is routinely conflated with that which produces our desires and personality
traits. Male traits are linked with the desire for female traits, in keeping with the
model of heterosexual complementarity, and so it goes. Social order, it is claimed,
rests on the reproduction of this masculine-feminine gender complementarity. Boys
become boys through the reproduction of fathering, which is presumed to follow
on heterosexual desire« (Corbett, 2009a, S. 355f.).

Die Geschlechtsidentität, die innere Überzeugung bezüglich der eigenen Zuord-


nung zu einem Geschlecht, sieht Corbett nicht mehr als feste Identität eines
Menschen, sondern als chaotische Komplexität, die mehr Freiraum für Ge-
schlechtsvarianzen ermöglicht. Anhand einer Fallgeschichte argumentiert er für
einen Platz weiblicher Männlichkeit innerhalb der Männlichkeit und weiblicher
Jungen in der Entwicklung. Im gesamten Diskurs über weibliche Jungen wird
Männlichkeit als Referenzpunkt nicht infrage gestellt. Varianz wird aus einer To-
leranzperspektive in der Postmoderne zugelassen, aber es haftet ihr noch immer
ein Nimbus von »subklinisch« an. Varianz wird nicht als Vorteil in diesem Dis-
kurs betrachtet, sondern immer als am Rande stehend erlebt. Unser klinischer
Alltag wird von einer speziellen rhetorischen Diagnostik geleitet,

»that corrals feminine boys propagates and perpetuates the anxious assessment of
a boy’s identificatory bonds with his parents. Is the boy properly aligned? Has he
identified with his father? Is that identification robust and competitive? Has he
separated from his mother? Is that separation secured through the proper degree
of disidentification from that which is maternal and feminine?« (Corbett, 2009a,
S. 358).

Klinische Haltungen beeinflussen unsere Behandlungsabläufe und tragen maß-


geblich zur Normierung unserer PatientInnen bei. Als Referenzpunkt in der
Literatur für den weiblichen Mann steht eine pathologisierende Mutter, die pri-
mär als grenzüberschreitend, haltend usw. dargestellt wird, und Weiblichkeit wird
als regressiver Mangel an Trennung interpretiert.

»There is no consideration given to relational transfers that are not the result
of dominating or traumatic intromissions. There is no consideration given to the
possibility that a boy could identify with his mother, and through processes of in-
ternalization and gender mobility constitute his own feminine subjectivity. There

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3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und der Einfluss der Säuglingsforschung

is no consideration given to relational exchange or intersubjective transfers that are


founded in mutual recognition« (ebd., S. 359).

Er stellt damit die Möglichkeit auf, eine relationale Denkweise für bestimmte
Phänomene zu öffnen und damit auch eine andere Verstehensebene zu generie-
ren. Passiert das nicht, so schreibt er weiter:

»The ethical insufficiency that issues from this lack is that it leaves the therapist
inadequately prepared to address countertransference, and to recognize if counter-
resistance or counteranxiety is being repeated through normative presumption and
reactive pathologization« (ebd., S. 361).

Wer die normative Haltung nicht mitdenkt, reaktiviert die Pathologisierung der
PatientInnen. Als Beispiel zieht er die Bindungstheorie heran, in der das Ge-
schlecht und seine Entwicklung zur Bindungsstärke keine Relevanz aufweisen,
obwohl Bindung zur Mutter im Hinblick der Diskussion von »verweiblichten«
Jungen als große Bedeutung betrachtet wird. Bindungstheorien bewegen sich
immer in normativen Bahnen, und in diesem Sinne wird Geschlecht durch Rollen-
anpassung bestimmt. »The psychological discourse on feminine boys is a staging
ground for the regimented regulation of masculine expressivity« (ebd., S. 366).
Corbett wirft die spannende Frage auf, warum viele der Erklärungen für die
Entstehung von verweiblichten, femininen Jungen auf die Bindung mit der Mut-
ter zurückgeführt werden – in all ihren Varianten, von Grenzen missachtender
bis zu nicht ausreichender Bindung –, aber es keine Diskussion der Bedeutung
der Auswirkung von Bindung auf die Geschlechtsentwicklung gibt. Er stellt auch
unsere normative Sichtweise all dieser Verstehenszugänge infrage und findet aus
seiner klinischen Erfahrung keinen Zusammenhang mit den postulierten Bin-
dungs- bzw. Ablösefaktoren, die zu einer Pathologisierung der Jungen führen
sollten. Er plädiert:

»In contrast to the various prognostications regarding a feminine boy’s difficulty


in separating from the family, my clinical experience with feminine boys, especially
those who have been able to form a transforming nexus with their parents, suggests
that far more often than not separation does take place, and with the same degree
of success and failure that one notes for most everyone« (ebd., S. 368).

Eine wichtige Verbindung zwischen der Psychoanalyse, der Säuglingsforschung,


dem intersubjektiven Denken und dem relationalen Erfassen der Welt stellen die

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

Forschungen von Beatrice Beebe und Frank Lachmann dar. Einer ihrer wichtigs-
ten Artikel, verfasst mit ihrem Mitarbeiter Joseph Jaffe und erschienen in der
Zeitschrift Psychoanalytic Dialogues, beschäftigt sich mit der Grundlage für die
Entstehung von Selbst- und Objektrepräsentanzen, wobei sie eine große Anzahl
von Forschungsergebnissen heranziehen. »Mother-infant interaction structures
and presymbolic self and object representations« (Beebe et al., 1997) wird von
vielen RelationalistInnen herangezogen, um die Bedeutung der Begegnung für
die Entwicklung des Menschen in seinem Sein zu verdeutlichen. Sie führten ihr
Konzept der »dyadic systems views« in das psychoanalytische Verstehen der Ent-
wicklung des Selbst ein. Lachmann verband auch die Forschungsergebnisse mit
der Behandlung von Erwachsenen und generierte damit eine neue therapeutische
Sichtweise (Beebe & Lachmann, 2010; Lachmann, 2004; Lichtenberg, et al., 2017).
Die dyadische System-Sicht beruht auf der Grundlage, dass in der Interaktion, wie
sie speziell zwischen Mutter und Säugling beobachtet wurde, Informationen von
beiden PartnerInnen gleichzeitig gesendet und empfangen werden. Durch diese
Überlegungen ließen sie nun ein bidirektionales Feld entstehen, in dem sich beide
InteraktantInnen regulieren und destabilisieren. Die Erforschung dieser Bidirek-
tionalität ist für Beebe und Lachmann die zentrale Fragestellung der letzten 20
Jahre in der Säuglingsforschung. In ihrem Artikel (Beebe et al., 1997) durchleuchte-
ten sie alle Artikel aus der Säuglingsforschung, die auf einer dyadischen Systemsicht
beruhen und damit ein Kommunikationsmodell darstellen, das nicht auf einer
linearen Entwicklung fußt. Sie betrachten Entwicklungsvorhersagen nicht auf Ba-
sis des Kindes oder auf Basis der Umwelt, sondern in deren Zusammenspiel als
bidirektionales System, ähnlich der Idee des bipersonalen Feldes (Ferro, 2003).
Sie gehen von einem Transformationsmodell der Entwicklung aus, in dem stän-
dig kontinuierliche Transformationen und Umstrukturierungen vonstatten gehen.
Entwicklung ist in dieser Sichtweise ein permanenter Zustand von »continuous
transformations and restructurings« (Beebe et al., 1997, S. 136). In ihrem Artikel
stellen sie sich den Fragen, wie ein Interaktionsmuster dargestellt wird und auf wel-
cher Grundlage eine präsymbolische Repräsentationsdarstellung beruht.
Sie postulieren einen im Säugling primär vorhandenen, endogenen bzw. in-
trinsischen Motivationsfaktor, der die Grundlage für die Erzeugung einer Matrix
in der Interaktion darstellt. Das Kind braucht die Fähigkeit für Exploration bzw.
Neugier und die Fähigkeit, Hunger, Schmerz oder Müdigkeit zu reduzieren. Die
AutorInnen sehen darin die biologische Bereitschaft des Kindes, auf seine Um-
welt zu reagieren und dieser auch aktiv zu begegnen. Sie diskutieren viele Befunde,
um zu zeigen, dass der Säugling von der Geburt an Differenz (discriminations)
und Kontingenz erkennen kann. Die Befunde der Gedächtnis- und Affektfor-

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3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und der Einfluss der Säuglingsforschung

schung verweisen auf den Zusammenhang zwischen emotionalem Befinden eines


Kindes und seiner Erinnerungsfähigkeit: »Events occurring under conditions of
heightened negative affect may be stored but not easily retrieved« (Beebe et al.,
1997, S. 141). Es lassen sich gute Rückschlüsse zu Fragestellungen zum Thema
der Amnesie, Dissoziation und Trauma bilden.
Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung einer sozialen Interaktion des Säug-
lings ist die Grundbedingung der Wahrnehmung von Zeit, Raum, Affekt und
Erregung. In diesem Zusammenspiel kommt es bei Säuglingen nach drei Mona-
ten zur Fähigkeit von feature detection und der Bildung von Schemaformationen.
Eine Schemabildung ist dann abgeschlossen, wenn sich Kleinkinder Reizen nicht
mehr zuwenden, da sie sich an diese gewöhnt haben. »The ability to form a sche-
ma is an index of a primitive capacity to categorize and create representations,
and it predicts developmental outcomes« (ebd., S. 144f.).
Das Kind bildet nun eine Vielzahl von präsymbolischen Kategorisierungen
und folgert nun Gesetzmäßigkeit durch das Wahrnehmen von Ähnlichkeiten bei
gleichzeitig vorhandenen Unterschieden: »The capacity to abstract what is com-
mon among perceptually discriminable entities, and to generalize on the basis
of that abstraction, also makes possible a rudimentary form of representation«
(ebd., S. 145). Die Fähigkeit des Kategorisierens bildet die Grundlage für das
Konzept der RIG (representation of an interaction generalized), mit dem Dani-
el Stern die Fähigkeit der verallgemeinernden Interaktion darstellt (D. N. Stern,
2000). Durch die Generalisierung können nun Erwartungen an eine Interaktion
gestellt werden und diese Interaktionen wiederum organisieren und generalisieren
Prinzipien wie »ongoing regulations, disruption and repair« und »heightened
affective moments«. Gegen Ende des ersten Lebensjahres werden durch die er-
wartbaren Interaktionsstrukturen verallgemeinerte Prototypen gebildet. Diese
wiederum stellen die Grundlage für die symbolischen Formen von Selbst- und
Objektrepräsentanzen nach dem ersten Lebensjahr dar. Weiters folgern die Au-
torInnen: »These early interaction structures at the presymbolic level will later
constitute largely unconscious organizing structures or memory structures in the
child or adult« (Beebe et al., 1997, S. 147).
Die AutorInnen schlussfolgern nach einer Vielzahl von aufgeführten Bewei-
sen aus der Säuglingsforschung, dass die psychische Struktur oder Organisation
durch Interaktion im ersten Lebensjahr ausgebildet wird. Sie definieren diese
Struktur als »relatively persistent organized patterns or classifications of infor-
mation, or a model used in organizing information«. Diese Muster werden
wiederum durch einen aktiven Prozess von »constructing or reconstructing in-
coming information« gebildet (Beebe et al., 1997, S. 150).

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

Ein wichtiger Punkt im Artikel ist die Darstellung der Fähigkeit der wech-
selseitigen Regulation und der damit verbundenen Selbstregulation in ihrer
Bedeutung für die Organisation von Interaktionsstrukturen. Hier stellen sich für
die AutorInnen auch der Schnittpunkt und die damit vorhandene Diskussion
der Ein- versus Zwei-Personen-Psychologie dar. Beebe und Lachmann vertreten
eine Integration beider Systeme der Regulation für die Entwicklung von Selbst-
und Objektrepräsentanzen. Sander war der Erste, der ein dyadisches System als
emergente Eigenschaft der innerpsychischen Organisation betrachtete (Sander,
2009). Beatrice Beebe zeigt in einem Versuch, wie sie ein Baby in eine komplexe
Kombination von Beruhigung und Erregung und somit in einen Zustand bringt,
in dem es nicht einschläft, aber auch nicht erregt ist. Sie zeigt, wie sie in einem
Rhythmus zwischen unterschiedlichen Stimuli hin und her pendelt. Die Integra-
tion von wechselseitiger Regulation mit der Fähigkeit der Selbstregulation führt
zu einer psychischen Struktur. Sie schließt diese Gedanken mit der Conclusio:
»We are arguing for an integration of one-person and two-person psychologies«
(Beebe et al., S. 155) ab.
Ein weiterer Punkt, der die AutorInnen beschäftigte, ist die gegenseitige Be-
einflussung, die sie als bidirektional bezeichneten. In der Interaktion beeinflussen
sich beide PartnerInnen, indem sie einen gemeinsamen Rhythmus herstellen. Zur
Untersuchung dieses Phänomens wurden Verfahren aus der Zeitreihenanalyse an-
gewendet, um eine Vorhersage zukünftiger Entwicklungen machen zu können.
Diese Untersuchungen liefern eine getrennte Einschätzung des Einflusses der
Mutter auf das Kind und vice versa. Zwischen Mutter und Kind erfolgt ein kom-
plexes Wechselspiel der Gesichtsspiegelung und damit gegenseitiger Darstellung
der Affekte und der damit einhergehenden Beeinflussung. Mit einer komplexen
Messanlage konnten die AutorInnen nachweisen, dass sich diese Beeinflussung
und Spiegelungsphänomene innerhalb einer Sekunde abspielen, speziell in einer
zwölftel Sekunde.
Sie kommen zu dem Befund: »The infant’s behavior is predicted by the moth-
er’s and vice versa« (Beebe et al., S. 158). Die Reaktionszeiten von Kind und
Mutter ereignen sich fast gleichzeitig und können damit nicht durch einen Reiz-
Reaktionsmechanismus erklärt werden. Dieser fast zeitgleiche Ablauf kann nur
erfolgen, wenn die InteraktionspartnerInnen bereits an den weiteren Handlun-
gen partizipieren und sie somit vorhersagen können. Es findet eine ko-regulierte
Kommunikation statt. Bei den Ereignissen handelt es sich nicht um für das Kind
neue Phänomene, sondern um vorhersagbare Muster, auf die es adäquat reagieren
kann. Stern (D. N. Stern, 1991) definiert diese Fähigkeit der Vorhersage als eine
Erwartungshaltung eines temporal-räumlichen Schemas.

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3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und der Einfluss der Säuglingsforschung

Beebe und KollegInnen schreiben weiters über die Bedeutung der Spiegelung:

»Facial mirroring is one of the interaction structures that contribute to the presym-
bolic organization of self and object representations. To the degree that facial
mirroring interactions are positively correlated, so that the partners are changing in
the same affective direction, the baby represents the expectation of matching and
being matched« (Beebe et al., 1997, S. 160).

Kind und Mutter sind in einem gemeinsamen Spiel der Veränderung und Beein-
flussung mit der Bedeutung, sich im anderen zu sehen. Sie gehen auch davon
aus, dass das Baby den Emotionen der Mutter, die es in ihrem Gesicht wahr-
nimmt, nicht entkommen kann, wie sich anhand von EEG-Mustern belegen lässt.
Sie verweisen auf Forschungsmaterial, das zeigt, dass Mutter und Kind sich nur
in 30 Prozent der Zeit widerspiegeln, den Rest der Zeit können sie leicht über-
einstimmen. Bei einem nicht übereinstimmenden Zustand kehren Mutter und
Säugling innerhalb von zwei Sekunden wieder in einen übereinstimmenden Zu-
stand zurück. Dieses Hin- und Herbewegen erfolgt relativ schnell und wird als
interactive repair bezeichnet. Je besser diese Reparaturfunktion abläuft, desto si-
cherer lässt sich eine gute Bindung vorhersagen. Diese Reparaturfunktion ist
ein Regulationsmechanismus, der auf Gegenseitigkeit beruht. Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass unsere psychische Struktur durch Spiegelung und die lau-
fende Regulierung durch Vorhersehbarkeit auf der einen Seite entsteht und auf
der anderen Seite durch das Prinzip von Unterbrechung und Reparatur. Jeder
Kommunikation liegen Organisationsprinzipien zugrunde, die auf Timing und
Rhythmus beruhen. Abschließend schreiben Beebe und KollegInnen: »Healthy
development may be characterized by an optimum degree of stability, balancing
predictability and transformation« (Beebe et al., 1997, S. 174).
Ihre Forschungen bilden auch eine Verbindung zu den SelbstpsychologInnen
und den IntersubjektivistInnen, wobei sich Lachmann diesen zugehörig fühlt.
Ihre Arbeiten werden von vielen zitiert und bieten unterschiedlichste Erklärungs-
modelle für das Verstehen von Entwicklungsvorgängen (Orange, 2018).
Mauriel Dimen ist eine weitere prominente Vertreterin des relationalen Den-
kens, ihr 2011 erschienener Artikel »Lapsus Linguae or One-Person and Two-
Person Psychologies« beschäftigt sich mit der von ihr erlebten Grenzverletzung
vonseiten ihres ersten Analytikers. Sie beleuchtet damit ein Thema, das wenig
Raum in der analytischen Literatur einnimmt. In einer detaillierten Schilderung
nimmt sie die LeserInnen mit in ihre emotionale Welt von Sprache und Sprach-
losigkeit und die Verbundenheit und das Ausgeliefertsein als Frau bei einem

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

»mächtigen« Analytiker. Später macht sie eine zweite Analyse, in der sie sich
mit den Geschehnissen in ihrer ersten Analyse auseinandersetzt. Als Erklärung
für ihren langen Verbleib in der ersten Analyse schreibt sie: »Indeed, one prod
for staying in treatment as long as I did may have been a dissociated hope for a
repeat performance« (Dimen, 2011, S. 38). Es sind ihre Sehnsucht nach einer
Reparatur des Geschehenen und auch ihre Abhängigkeit, die durch das Autori-
tätsverhältnis in einer Therapie hervorgerufen wird. Sie betrachtet

»Dr. O’s lapse in this strange treatment, which can be deemed both a success and a
failure. His transgression issued from the mix of what he, as I perceived him, and I,
as I perceive myself, brought to it; conceptual lacunae and technique poorly used;
and dangers inherent to psychoanalysis« (ebd., S. 39).

Sie empfindet die geschehene Problematik folgendermaßen: »[M]y muteness


wed Dr. O’s silence, fashioning an analysis laced with an incestuous streak«
(ebd.). Schweigen betrachtet sie als den Nährboden für Missbrauch und den in
ihr keimenden Boden von Inzest, wie er sich in einer Analyse entfaltet (siehe
Steinberger, 2016). Sie beschreibt ihr Gefangensein in der Analyse, möglich viel-
leicht durch ihre Liebe zum Analytiker. Sie diskutiert ihre Verbundenheit im
zweiten Teil am Wunsch des Inzests, dem Durchbruch des ödipalen Wunsches.
Als Referenzpunkt nimmt sie ihre spätere Analyse, um festzuhalten:

»It may be that all those years with him laid the groundwork for my second analyst’s
success in helping me to put words to my silence. Or it may be that my second an-
alyst eventually addressed directly that which held my stubborn muteness in place,
the helpless shame I wore […]« (ebd., S. 48).

Scham ist für Dimen das Leitmotiv ihres Stummseins, keine Sprache für die
Szenerie des »Lapsus« zu haben. Sie greift auch die Bedeutung der Sehnsucht
auf, deren Wichtigkeit für unser Begehren sowie die Schwierigkeit, die sie in ih-
rer Behandlung mit Dr. O. dabei hatte: »Desire entails several paradoxes, and
it seems useful to lay them out here because they manifested so oddly and si-
lently in my treatment with Dr. O. Chief among these is desire’s ambiguous
location both between and within those who feel it« (ebd., S. 51). Sehnsucht
unterliegt einer Paradoxie, die sich für Dimen nur auflöst, wenn sie eine dualis-
tische Lösung findet: »The relational version might be, that desire emerges in
relationship but, belonging to the child alone« (ebd., S. 51). Dr. O. hat, so wie sie
ihn beschreibt, keine Sehnsucht sondern ein narzisstisches Verlangen, über junge

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3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und der Einfluss der Säuglingsforschung

Frauen zu triumphieren. Die Scham in der Sitzung ist kein relationales Produkt
in dem Sinne, dass er seine Scham nicht durchbrechen konnte, um die Szene in
sprachliche Bedeutung kleiden zu können, um auch sein Begehren verstehbar zu
machen. Der Analytiker hat die Patientin mit ihrer Scham allein gelassen und
ihr auch eine Wirkmächtigkeit damit vorenthalten (Davies, 1994). Phänomeno-
logisch schreibt sie der Analyse weniger Intersubjektivität zu, im Gegensatz dazu
diskutiert sie die Fragestellung des intersubjektiven Ödipus, indem sie postklassi-
sche Modelle heranzieht und sowohl dem Verlangen als auch der Entsagung im
ödipalen Dreieck eine Intersubjektivität zuschreibt. »Postclassical models […],
redraft the Oedipal story by construing both desire and its renunciation as inter-
subjective. Together, Oedipal adult and child forswear their mutual sexual desire,
with the former facilitating the latter’s renunciation« (Dimen, 2011, S. 56). Das
Verlangen der Eltern und dessen Bedeutung für die sexuelle Entwicklung des Kin-
des sind noch wenig erforscht. Um etwas Licht in dieses Geschehen zu bringen,
schlägt sie vor, den Ödipuskomplex heuristisch vom Inzesttabu zu trennen.
Sie schreibt weiters: »I cannot quite forgive him the damage he did«. (ebd.,
S. 65). Ihre Gefühle beschreibt sie als trotz zweiter Analyse noch tief verstrickt in
ihre erste Analyse. Sie fühlt sich verpflichtet zu sagen »the confrontation would
likely have been salutary. Still, whenever I think of having missed it, I usually
feel more relief than regret« (ebd., S. 65). Wenn sie die Verpflichtung hinter sich
lässt, liegt für sie die Bedeutung in der Anerkennung des Verpassten, so wie sie
es in der neuen ödipalen Fassung beschreibt. Die Anerkennung der Sehnsucht
und des Bedauerns führt zur Erleichterung. Sie fühlte auch keine Rache mehr, als
sich ihre Scham aufgelöst hatte. Die Aufrechterhaltung der Scham erfolgte durch
die Vorstellung eines Berufskodex von der Unantastbarkeit des Analytikers. Sie
beschreibt ihren Zwiespalt, den sie als Analytikerin und als Patientin wahrnahm
und in dem sie sich durch Regeln der analytischen Gemeinschaft gefangen fühlte.
Sie bietet eine Erklärung an: »Analysts suffering the dissociated, unforgetta-
ble abjection of having been patients may indeed find themselves inducing that
very feeling in their own patients, in order to cleanse themselves and, thus clean-
sed, to become pure and strong« (ebd., S. 73). Es ist für sie wichtig, sich als
Analytikerin immer in beiden Rollen in der Begegnung mit den PatientInnen
wahrnehmen zu können, sich als Patientin sehen zu können und in der Beschä-
mung der eigenen Sehnsucht gewahr zu werden. Sie plädiert auch für eine weitere
Entschlüsselung der erotischen Gegenübertragung, um nicht in die Falle des Ver-
bots im Sinne eines Über-Ich-Diktums zu geraten. Freud betrachtet diese Regel
als letzten Ausweg in der Gegenübertragung (S. Freud, 1915a; Slavin & Rahma-
ni, 2016). Ihrer abschließenden Empfehlung kann man sich nur anschließen:

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

»But better than exhortation would be, in my view, a redefinition of abstinence as


the pleasure one takes in another’s desire, which would afford a way to appreciate
the conflicts analysts inevitably undergo relative to patients’ – and their own – de-
sire« (ebd., S. 75).

Ihr Artikel bietet eine Reise in die eigene Verstricktheit in einer Analyse sowie in
das tiefe Eingebettetsein in Subjektivität und die Sehnsucht nach einer Lösung.
Um das relationale Denken zu verstehen, soll nun ein Perspektivwechsel vor-
genommen und eine Landschaft entworfen werden, in der sich verschiedene
Entwicklungen widerspiegeln. Ein wichtiger Denkknotenpunkt ist die Wende
zur Zwei-Personen-Psychologie, die im Zuge des dyadischen Blicks Winnicotts
angelegt und explizit von Emmanuel Ghent aufgegriffen wurde. Winnicott ent-
wickelte die Vorstellung von Übergang und setzte damit Anfangs- und Endpunkt
eines Weges voraus. Beide Endpunkte des Überganges üben Einfluss aufeinander
aus. Ghent beschrieb diesen Dualismus im Wechselspiel des Sadismus mit dem
Masochismus (Winnicott, 1997; Ghent, 1990).
Die AnalytikerInnen, die sich der Säuglingsforschung zuwendeten, erkannten
die Bedeutung der Begegnung zwischen Eltern und Kind und deren Auswir-
kungen auf die Gestaltung von Interaktionen im weiteren Leben. ForscherInnen
wie Beebe und Lachmann, Sander, Stern und die Boston Change Process Study
Group eröffneten eine ungeahnte Sichtweise auf die Entwicklung des Menschen
in einem interaktiven Geschehen.
Daniel Stern beschäftigte sich gemeinsam mit der Boston Change Process
Study Group mit dem Gegenwartsmoment und der Präsenz von nonverba-
len und präverbalen Formen der Repräsentation und deren Begegnungsformen
(D. N. Stern, 2014; Boston Change Process Study Group, 1998). Beebe und
Lachmann führten die Bedeutung der Regulierung, Unterbrechung und Repa-
ratur für die Entwicklung ein und Sander hob die Relevanz der Rhythmizität
hervor (Beebe & Lachmann, 2010; Sander, 2009).
Irwin Z. Hoffman begab sich mit Merton Gill auf die Erforschung der
»Analysis of Transference« (Gill & Hoffman, 1982), um im weiteren Verlauf sei-
ner Entwicklung bei der Zwei-Personen-Psychologie zu landen. Sein wichtigster
Artikel in der relationalen Community war »Therapeutic Passion in the Coun-
tertransference« (Hoffman, 2009), in dem er seine Gedanken weiter in Richtung
Zwei-Personen-Psychologie entwickelt. Er vertritt in seinen Denkkonzepten ei-
nen radikalen Konstruktivismus und greift in seinen Erklärungsmodellen auf den
hermeneutischen Zirkel von Gadamer zurück (Gill & Hoffman, 1982; Hoffman,
2009).

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3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und der Einfluss der Säuglingsforschung

Jessica Benjamin entwickelt ein Konzept von Komplementarität, die bereits


von einem Beziehungsgedanken ausgeht und sich nahtlos in die Zwei-Personen-
Psychologie einfügt. Sie erläutert die Pendelbewegung zwischen Bindung und
der damit verbundenen Trennung, wobei aus dem Faktor der Anerkennung eine
neue Verbundenheit entsteht. Dieses Aushandeln der Anerkennung erfolgt für
sie in einer Art von Drittheit. Sie erweitert die Zwei-Personen-Psychologie zu ei-
ner Drei-Personen-Psychologie.
Ein weiterer wichtiger Vertreter der relationalen Psychoanalyse ist Donnel
B. Stern, sein Arbeitsschwerpunkt liegt im Ausformulieren von hermeneutischen
Aspekten und der Bedeutung von Enactments. Er bewegt sich stark auf der
Ebene der Mikrosprache unformulierter Erfahrungen, die einer Entdeckung har-
ren. Ausgehend von seiner Idee der unformulierten Erfahrungen (D. B. Stern,
2015b) entwickelt er seine Gedanken weiter und spricht von Bedeutung im ana-
lytischen Prozess nonverbaler Erfahrungen, die wir zu einer inneren Akzeptanz
bringen müssen, um zu einer gesamten Vorstellung von Sinnhaftigkeit zu gelan-
gen (D. B. Stern, 2010, 2014, 2015b, 2019).
Ein wichtiger Einfluss ging vom sozialen Konstruktivismus und der Idee der
sozialen Regulierung einer Gesellschaft aus. Im europäischen Raum entwickelten
sich im sozialen Sinne die Antipsychiatrie und die Verknüpfung von Psychoanaly-
se mit den Gedanken von Wilhelm Reich und dem Einfluss des kommunistischen
Denkens, wie er in studentischen, linken Kreisen gepflegt wurde (Burian, 1972).
Die Ideen des Analytikers und Soziologen Erich Fromm hatten großen Einfluss
auf das relationale Denken in der Psychoanalyse in Amerika (Fromm, 2005,
1996). Einflüsse zur Dekonstruktion in der Gesellschaft kamen durch Louis Alt-
hussers berühmten Aufsatz »Ideologie und ideologischer Staatsapparat«, aber
auch von Slavoj Žižek, der sich mit der Dekonstruktion des Subjektes beschäf-
tigte (Althusser, 2010; Žižek, 2010). Ein wichtiges Bindeglied zwischen den
Relationalen und den IntersubjektivistInnen stellt Emmanuel Lévinas dar, der
sich von der Selbstherrlichkeit des Ich verabschiedete und eine Philosophie der
Ethik entwickelte (Lévinas, 2012). In weiterer Folge verfolgte Muriel Dimen
in ihren Arbeiten das Zusammenführen des Psychologischen mit dem Politi-
schen und den sozialen gesellschaftlichen Aspekten. Als Anthropologin war sie
im Erkennen von kulturellen, gesellschaftlichen Denkzusammenhängen ausge-
bildet und brachte in ihren Arbeiten die feministischen Denkkonstrukte über
Genderthemen ein. Sie beschäftigte sich mit Ekel, Sexualität, Privatsphäre und
Öffentlichkeit. Ihr katholischer Hintergrund war für die Denkkonstruktion von
Macht, Regulierung und die Entstehung von Sexualität von großer Bedeutung
(Dimen, 2005, 2011, 2014; Dimen-Schein, 1977). Ken Corbett verbindet in sei-

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

ner Arbeit die relationalen Traditionen mit der Geschlechterdekonstruktion aus


der Queer-Theorie (Corbett, 2009a, b). Die Infragestellung der Pathologisierung
von Geschlecht und sexuellen Unterschieden führte im Klima des Postmodernis-
mus in den 1980er Jahren zu einer Entwicklung, bei der sich ein Denkboden von
Relationalität, Queer und Antipsychiatrie herausbilden konnte. Corbett greift
auf die Ideen von Judith Butler zurück, die Queer als einen Ort der gemeinsamen
Auseinandersetzung betrachtet, der nie vollständig in Besitz genommen werden
kann (Butler, 1997). Queere Psychoanalyse dekonstruiert Geschlecht, Rasse und
Normen und stellt sie zueinander in Verbindung. Wie konstruieren wir Bezie-
hungen und die damit verbundenen Vorstellungen von Geschlecht, Rasse und
Macht im Sinne eines relationalen Denkens? (Fanon, 1981). Die Psychoanalyse
bietet für unterschiedliche Gruppen von Befreiungsbewegungen ein komplexes
Zusammen bzw. eine Ablehnung von reaktionärem Denken einer weißen Elite
(Harris, 2012).
Einen weiteren Einfluss übte die aufkommende Frauenbewegung aus, so-
dass die feministischen Psychoanalyse entstand, die zur Weiterentwicklung von
Rollenvorstellungen und deren gesellschaftlichen Auswirkungen führte. Die Re-
lationalität liegt in der Bedeutung der Konstruktion von Rollen, die sich nur
in Begegnung entfalten (Rieken et al., 2011; Chodorow, 1979, 1992). Die Wei-
terentwicklung der feministischen Psychoanalyse führt über den freudianischen
und objektbezogenen Ansatz hinaus, um die politischen Perspektiven auf die so-
ziale Gestaltung von Rollen und auch von Geschlecht infrage zu stellen. Es kam
zu einer Verbindung der sozialen Konstruktion von Weiblichkeit und der Patho-
logisierung von Homosexualität, die als Referenzrahmen für die Infragestellung
von sozialen Normen diente (Mitchell, 1981b; Dimen, 2014; Corbett, 2009b).
In den 1980er Jahren entwickelte sich aus diesen Zusammenflüssen die Queer-
Theorie, was zur transdisziplinären Verschränkung mit der Psychoanalyse führte
(Hutfless & Zach, 2017; Butler 1997; Hansbury, 2017). Diese Denkvorstellung
ermöglichte einen neuen Zugang zu Geschlecht und Rasse sowie zu deren gesell-
schaftlicher Verortung und gegenseitiger Beeinflussung. Zusammenhänge lassen
sich nur in Form des relationalen Gedankens erfassen. Die Dekonstruktion von
heterosexueller Männlichkeit brauchte seit Beginn der Psychoanalyse einen wei-
ten Weg, wobei die Dekonstruktion der Weiblichkeit im Vordergrund stand.
Heterosexuelle normative Männlichkeit kann nun auch in ihrer einschränkenden
und normierenden traumatisierenden Funktion gesehen werden (Harris, 2017;
Reis & Grossmark, 2009). Die Auswirkungen von frühzeitiger Trennung von Jun-
gen werden durch diese Arbeiten sichtbar gemacht. Durch die Dekonstruktion
von Männlichkeit lässt sich im relationalen Sinne auch die Weiblichkeit anders

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3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und der Einfluss der Säuglingsforschung

konstruieren und in Anerkennung der gemeinsamen Beeinflussung können neue


Erkenntniswege beschritten werden. Die Starre der normativen heterosexuellen
Männlichkeit wird aufgelöst und nun dynamischer in ihrer Entwicklungsbedeu-
tung betrachtet (Harris, 2004; Corbett, 2009b).
Soziale Konstrukte haben für relationale PsychoanalytikerInnen eine grund-
legende Bedeutung, da sich in all den Zusammenspielen auf der Makroebene
die Familie befindet, die eine Bedeutung für die sozialen Kategorien darstellt, in
welchen Rollen wir uns definieren, gesehen werden, und welche politischen Ka-
tegorien sich daran anschließen. Hier bildet sich eine große Überschneidung mit
dem systemischen Denken und dem Denken des Systems aus der intersubjektiven
Perspektive.
Diese zusammenführenden Entwicklungslinien stellen eine große Entwick-
lungsbereicherung für das relationale Denken dar. Viele der führenden Relationa-
listInnen arbeiten in den Feldern von Genderentwicklung, Sexualität und deren
Eingebettetheit in die Gesellschaft. Welchen Einfluss hat die Familie in all diesen
Fragestellungen von Entwicklung auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene?
Welche sozialen Kräfte wirken ein auf das individuelle sowie kollektive Leben?
Welchen Einfluss hat das letzte Jahrhundert auf all diese Entwicklungen, ange-
fangen von einer amerikanischen Kultur der Trauer, die in der Teilnahme des
Ersten Weltkrieges mündet, bis zu den großen Auswanderungswellen aus Europa,
über die paranoide Ära der McCarthy-Zeit und mit der Trauma-Kumulierung
der Zerstörungen des 11. September? Die Psychoanalyse blieb von diesen Ereig-
nissen nicht unbeeinflusst und lässt ihre Theorien auch immer aus diesem sozial-
kulturellen Kontext her deuten und verstehen (Harris, 2017).
Diese Formen des re- und dekonstruktiven Denkens führen natürlich zu einer
Infragestellung des Begriffs des Selbst. Mitchell beschäftigt sich in seinem Buch
Hope and Dread in Psychoanalysis mit dem Begriff des Selbst, indem er die Frage
stellt, ob wir ein multiples oder ein einsames, singuläres Selbst haben – und in-
wieweit wir ein falsches Selbst haben (Mitchell, 1993). Er schreibt: »[W]e can
get away from a search for presocial or extrasocial roots of the core or true self and
focus on what it means at any particular moment to be experiencing and using
oneself more or less authentically« (ebd., 93, S. 150). Authentizität als Identitäts-
frage bedeutet im relationalen Denken, sich mit wechselnden Selbstzuständen
zu beschäftigen und führt darum in der Metapsychologie zu der Vorstellung von
multiplen Selbstzuständen und den damit möglichen Verbindungen von dissozia-
tiven Prozessen. Identität und Identifikation sind in diesem Sinne ein dynamisch
fließender Prozess von unterschiedlicher Intensität und Bedeutung. Dissoziative
Phänomene führen im relationalen Denken zu einer vertikalen Spaltung und da-

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

mit zu einer Präsenz dissoziativer Prozesse in der Dyade. Die Spaltung ist kein
horizontaler Prozess, sondern ein vertikaler, dissoziativer Verlauf in bestimmten
Situationen, in denen Scham induzierende Selbstzustände ferngehalten werden
müssen (Bromberg, 2003). Jody Messler Davies und Mary Gail Frawley beschäf-
tigten sich mit den Auswirkungen von sexuellem Missbrauch und lieferten damit
einen elementaren Beitrag zum Thema der Dissoziation, deren Einfluss auf men-
tale Prozesse und die damit verbundenen psychischen Strukturen.

»Dissociation is the process of severing connections between categories of men-


tal events – between events that seem irreconcilably different, between the actual
events and their affective and emotional significance, between actual events and the
awareness of their cognitive significance, and finally, as in the case of severe trauma,
between the actual occurrence of real events and their permanent, symbolic, verbal
mental representation« (Davies & Frawley, 1994, S. 62).

Am Ende seines Lebens wendete sich Mitchell wieder Hans Loewald zu, um der
Frage nachzugehen, wie das Selbst im Kontext zu anderen entsteht. Durch sei-
nen frühen Tod war es Mitchell nicht mehr möglich, die Gedanken von Loewald
stärker zur Ausformulierung seiner Vorstellungen einer Metatheorie zu nutzen.
Die Entstehung des Selbst beginnt für Ghent im Übergangsraum, in dem er
auch all die Kreativität des Lebens verortet (Ghent, 1990). Mitchell greift auf
die relationale Matrix von Loewald zurück, die dieser als den Ort der Ur-Dichte
betrachtet und damit als ehemaliger Heidegger-Schüler an dessen Gedanken von
Sein und Zeit anschließt (Mitchell, 2003a). Aus dieser Ur-Dichte gehen für Loe-
wald die Objektzustände und die damit verbundene Subjektivität hervor. Worte
bekommen in der Begegnung, im Bei-Sein von anderen ein Leben. Sie, das Ding
der menschlichen Subjektivität und die Zustände der Objekte, erscheinen im Sin-
ne von Heidegger, indem wir Zeit haben, »jedes Ding hat seine Zeit« (Heidegger,
2018, S. 359). Loewald versuchte, zwischen den Vorstellungen seines Lehrers Hei-
degger und der Psychoanalyse eine Brücke zu schaffen. Beide Denker, Heidegger
und Freud, verwendeten den Referenzrahmen der jüdischen und der christlichen
Welt- und Seelenvorstellungen. Heidegger war, trotz aller Verstricktheit in das
Machtdenken des Nationalsozialismus, durch seine StudentInnen seinem Förde-
rer Husserl der Phänomenologie und der Auslegung sehr nahe. Freud begegnete
dem christlich-dichotimisierenden Denken in der christlichen Stadt Freiberg in
Mähren (Vitz, 1988). Loewald betrachtet die Ausgewogenheit der Kräfte von
Affektzuständen und deren sprachliche Repräsentationen als den Schlüssel für
unser dyadisches Leben (Harris, 2017). Dieser Raum, in dem sich die dyadi-

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3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und der Einfluss der Säuglingsforschung

schen Kräfte in einer Pendelbewegung dem Ausgleich verpflichtet fühlen, kommt


der Vorstellung des Übergangsraumes von Winnicott und Ghent sehr nahe. La-
planche griff den relationalen Gedanken auf, indem er sich auf die Suche nach
einer allgemeinen Theorie der Sexualentwicklung auf der Grundlage der Verfüh-
rungstheorie machte. Die Vorstellung von der Verführung zur Sexualentwicklung
des Menschen beruht bereits in einer Vorstellung von Gemeinsamkeit. Verfüh-
rung beginnt für Laplanche in der Ur-Situation, die er folgendermaßen definiert:
»Die Ur-Situation [situation originaire] ist die Konfrontation des Neugebore-
nen, des Kindes im etymologischen Sinn des Ausdrucks, das noch nicht spricht,
mit der Erwachsenenwelt« (Laplanche, 2011, S. 120). Für Laplanche ist diese
Konfrontation die krafterzeugende Begegnung, in der es zur Identitätsbildung
und zur Konstituierung der Sexualität kommt. »The central figures in this evolu-
tion of relational thinking are all people who bridge disciplines« (Harris, 2017,
S. 52).
Die Verknüpfung der Disziplinen beinhaltet als solche bereits den relationalen
Gedanken, um eine andere Form des Verstehens zu erschließen. Ein weiterer wich-
tiger Wissenszuwachs im Verstehen einer relationalen Entwicklungsperspektive
ging von den Forschungsergebnissen der SäuglingsforscherInnen aus, im Speziel-
len von Sander, Beebe, Lachmann, Stern und der Boston Change Process Study
Group (Seligman, 2003; Burian, 1998). Die Erkenntnisse aus diesen Forschungen
und klinischen Erfahrungen ergeben ein neues Bild von Entwicklungsprozessen.
Die SäuglingsforscherInnen betonen die Bedeutung des gemeinsamen Erfahren-
lernens für die Entwicklung des Menschen.
Ein weiterer wichtiger Einfluss auf unsere Vorstellung von Entwicklung und
Verbundenheit kommt aus der Neurowissenschaft, die einen Raum von Intersub-
jektivität erforscht, in dem sich unser Gefühl von Selbst und Wir-Sein manifestiert
(Gallese, 2009; Iacoboni, 2009).
Die Entwicklung der relationalen Psychoanalyse ist gekennzeichnet von der
Bedeutung des Erkenntnisgewinns aus den klinischen Prozessen, der zu Debat-
ten über relationale Techniken führte. Klinische Beobachtungen führten zu den
augenscheinlichsten Diskussionen mit den Vorstellungen der klassischen Psycho-
analyse. Mitchell und Greenberg weisen darauf hin, dass am Ende des Weges
die klinische Nutzbarkeit einer Theorie Bedeutung verleiht (Greenberg & Mit-
chell, 1983). Spezzano widmete sich in einem pointierten Artikel, »Listening and
interpreting – how relational analysts kill time between disclosures and enact-
ments« (Spezzano, 1998), dieser Debatte.
Antonino Ferro entwickelte eine radikale Feldtheorie, indem er ein biperso-
nales Feld entwarf. In Kinderanalysen konstruierte er mithilfe der Feldtheorie

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

eigene relationale Vorstellungen (Ferro, 2003). Wichtige Beiträge für das klini-
sche Feld aus dem engeren Umfeld von Mitchell kamen von Bromberg, Hoffman,
Aron, Davies, Pizer, Bass, Spezzano, Slochower und in aktueller Zeit von Knob-
lauch, Ringström, Hansbury und Pula (Harris, 2017; Hutfless & Zach, 2017).
Die klinischen Artikel stellten die AnalytikerInnen und deren damit verbun-
dene Subjektivität in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Wo befindet sich
die Schnittstelle im Einfließenlassen von subjektiven Vorstellungen der Ana-
lytikerInnen in die Behandlung und wo beginnen narzisstische Wünsche der
AnalytikerInnen, die die PatientInnen missbrauchen? Diese Fragestellungen, die
die relationalen AnalytikerInnen von Anfang an begleiten und die aktuell von
den StudentInnen gestellt werden, verändern natürlich das Machtgefälle im kli-
nischen Umfeld. Die Vorstellungen über Theorien als AnalytikerInnen, die durch
ihre Präsenz das Geschehen beeinflussen, nimmt so auf das Setting Einfluss und
generiert neue Vorstellungen über die Behandlung. Der gegenseitige Einfluss in
der Kommunikation hat durch das Konzept der projektiven Identifikation ei-
nen großen Aufschwung genommen (Steinberger, 2016). Nach der klinischen
Fragestellung der gemeinsamen Beeinflussung tauchte die Frage der »Gleichbe-
rechtigung« der gegenseitigen Beeinflussung auf. Gibt es eine Asymmetrie in der
Beeinflussung oder sind beide PartnerInnen gleichberechtigt in der Einflussnah-
me, und was macht dann den Unterschied zwischen PatientIn und AnalytikerIn
aus? Die Fragestellungen der relationalen DenkerInnen dekonstruierten die Rah-
menvorstellungen der klassischen Analyse und brachten sie zu der Frage, was
nun die Psychoanalyse sei – Anarchie, Demokratie oder Regelwerk? Aron plä-
diert für eine flexible Handhabung von Gegenseitigkeit und die Anerkennung
der Asymmetrie im Behandlungsverhältnis (Aron, 2013). Hoffman beschreibt
diese Dichotomie als das Aufrechterhalten von Spontaneität und Regeln, als ei-
ne Atmosphäre der Freiheit, als spielerischen Umgang mit Authentizität und das
Tragen von Verantwortung (Hoffman, 1998).
Einen spannenden Punkt in der klinischen Arbeit stellen die Überlegungen
zur Aushandlung von Paradoxien als Instrumentarium für Wirksamkeit in der
Therapie dar (Pizer, 1992; Bass, 2007; Slochower, 2011). »All these writers are
crafting a model of clinical process in which dynamism is its permanent condi-
tion and impasse is a collapse in negotiation and the capacity for reflection and
creativity« (Harris, 2017, S. 56).
Einen wichtigen Aspekt in der klinischen Arbeit nimmt die Selbstreflexion der
TherapeutInnen ein. Durch die relationale Sichtweise stehen die TherapeutInnen
stärker in der Betrachtung und damit auch ihr Handeln bei Grenzverletzungen
oder masochistischem Verhalten in der Therapie. Die TherapeutInnen können

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3 Neue DenkerInnen treten auf die Bühne und der Einfluss der Säuglingsforschung

nur durch eine eigene Veränderung und auch durch das Erkennen von der eige-
nen Nichtveränderung einen bewussten und damit asymmetrischen Einfluss auf
die Therapiesituation nehmen (Harris, 2009; Harris & Sinsheimer, 2008; Slavin,
1997, 2010; Slavin & Rahmani, 2016; Corbett, 2014).
In jüngster Zeit werden Phänomene wie Rasse, Rassismus und gesellschaftli-
che Klassen in den Fokus des relationalen Denkens gebracht. Neil Altman arbeitet
in der South-Bronx zu diesen Themen, wo er sich den PatientInnen, die am Ran-
de der Gesellschaft stehen, widmet (Altman, 2010). Melanie Suchet nähert sich
über ihre eigene Kindheitsgeschichte im Kontext von Apartheit in Südafrika an
das Phänomen Rasse an (Suchet, 2007; Dimen & Goldner, 2010). Lynne Lay-
ton dekonstruiert anhand klinischer Beispiele von PatientInnen aus ihrer Praxis,
wie soziale Ungerechtigkeiten, Rasse und ethnische Identitäten zu narzisstischen
Wunden führen. Sie schlägt eine neue Form der Identitätsdefinition über das
Denken vor (Layton, 2006). Sue Grand beschäftigt sich mit dem Genozid an
den amerikanischen indigenen Völkern und der Bedeutung von Beschämung und
der Schuldfrage in Hinblick auf die weiße Rasse (Grand, 2018). Philip Cushman
stellt die Frage, inwieweit eine relationale Psychoanalyse politischen Widerstand
leisten darf (Cushman, 2015).
Lewis Aron und Karen Starr widmen sich der Fragestellung, wie es dazu kam,
dass sich Psychoanalyse anders als Psychotherapie definiert, und welche Bedeu-
tung Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus bei der
Kreierung der Psychoanalyse und Psychotherapie hatten. Die beiden AutorInnen
empfinden die Entwicklung, die die Psychoanalyse ab den 1950er Jahren in Ame-
rika genommen hat, als Sackgasse, die in einem Denkansatz von Mächtigkeit,
Status und Prestige, ausgeübt von männlichen, weißen Ärzten, endete. Sie plädie-
ren für eine Rückkehr zu Freuds ursprünglicher humanistischer Sichtweise einer
Therapie für die Massen. Auch die Abkehr und Trennung der Psychoanalyse von
der Psychotherapie empfinden sie als Widerspiegelung eines elitären männlichen
Denkens, in dem die »pflegerischen« weiblichen Attribute der Psychotherapie
zugeschrieben wurden und die »Aufdeckung« zum Beispiel zur Psychoanalyse
gehörte (Aron & Starr, 2013).
Neuere Ansätze beschäftigen sich mit der generativen Weitergabe von Trau-
ma und deren Auswirkung auf das Zwischenmenschliche in der Begegnung von
Erwachsenen (Boulanger, 2002, 2014). Die Paarbeziehungen sind nun ebenfalls
stärker in den relationalen Behandlungsfokus gerückt. Virgina Goldner beschäf-
tigt sich mit beiden Faktoren in der Paaranalyse, den heilenden sowie den verlet-
zenden traumatisierenden Paarprozessen (Goldner, 2014). Ein konkretes Modell
für die Umsetzung des relationalen Denkens in der Paartherapie stellte Philip

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

A. Ringstrom vor. Er plädiert darin auf eine Aktualisierung der Selbsterfahrung


in einer intimen Beziehung, die Schulung der Fähigkeit der gegenseitigen Aner-
kennung und der Einzigartigkeit einer jeden Beziehung (Ringstrom, 2014). Bei
Kriegstraumata und der Einzigartigkeit des Übertragungserlebens in der Thera-
pie findet sich ein Zusammenhang zu den Beschreibungen der Schizophrenie von
frühen Pionieren der Psychoanalyse. Die Aufgabe der AnalytikerInnen besteht
in der jahrelangen Herausforderung der symbolischen Zerstörung der Ordnung
und der Zeit und damit, in Bereiche des Todes vorzudringen, diese zu erforschen
(Davoine & Gaudillière, 2016).
Die Bedeutung des Körpers wird durch die Beschäftigung mit der Thematik
von Transgender-Personen in den Fokus gerückt (Hansbury, 2005, 2011, 2017;
Goldner, 2011; Corbett, 2009a; Critchfield & Pula, 2015). Welchen Einfluss ein
Outing als TherapeutIn auf die PatientInnen hat und wie unsere Vorstellung von
Körper die Haltung zu Rasse, Trauma, Klassenzugehörigkeit bestimmt, ist mit
dekonstruierenden moralischen Fragen verbunden.

4 Kritik

Einer der Punkte, der von Kritikern wie Jon Mills immer wieder vorgebracht wird,
ist die ungenaue Verwendung von philosophischen Konzepten. Mitchell stellt die
Verbundenheit in das Zentrum seiner Überlegungen und stellt diese als Alternati-
ve zum gängigen Triebmodell der klassischen Psychoanalyse dar. Die Philosophie
beschäftigt sich seit 200 Jahren mit Überlegungen zur Intersubjektivität und
hat in ihren Ausformulierungen einen Wissensvorsprung vor den intersubjekti-
ven DenkerInnen der Psychoanalyse. Die Entwicklungsüberlegungen weisen in
die Richtung einer dyadischen Systemtheorie, die in einer Intersubjektivität fun-
giert (Beebe & Lachmann, 2010), und rücken damit von der Bedeutung des
Unbewussten als wissenschaftliches Zentrum der Psychoanalyse ab. »To privilege
consciousness over unconsciousness to me appears to subordinate the value of
psychoanalysis as an original contribution to understanding human experience«
(Mills, 2018b, S. 324). Das intersubjektive System muss in dieser Diktion als
eigene Entität organisiert sein und unterliegt nun einem Prozess von Eigenstän-
digkeit, in dem es keine Individualität von Denken, Affekten und Verhalten gibt.
Individualität wird zu einem Fluidum, das sich im Moment der Begegnung für
IntersubjektivistInnen verflüchtigt, oder der individuelle Geist ordnet sich dem
intersubjektiven System unter.
Die relationale Wende stützt sich weitgehend auf eine konstruktivistische Er-

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4 Kritik

kenntnistheorie, die speziell von Hoffman ausgearbeitet wurde (Hoffman, 1994).


Die Idee des sozialen Konstruktivismus, der in den Behandlungsräumen der
relationalen PsychoanalytikerInnen Einzug gehalten hat, wird von vielen unter-
schiedlichen Strömungen genutzt, vom Feminismus bis zur Mathematik. Durch
dieses große Spektrum an Denkrichtungen kam es zu keiner genauen Ausformu-
lierung des Konstruktivismus für die Psychoanalyse, geschweige denn zu einer
Ausformulierung eines einheitlichen und nachvollziehbaren Gedankengebäudes
als konsistente Denkrichtung (Mills, 2018a, 2018b). Es stellt sich die Frage,
ob es einen besser definierten Rahmen für die dialektische Arbeit im Feld der
Intersubjektivität braucht oder aber eben der Rahmen auch immer wieder dialek-
tisch betrachtet werden sollte und es damit immer wieder zu unterschiedlichsten
Auslegungen und Fehlinterpretationen kommt. Ist nun alles subjektiv und kon-
struiert oder braucht es einen Rahmen, in dem sich diese Denkform entwickelt
und damit einen Referenzrahmen hat, um sich darin prägnanter entwickeln zu
können?

»What appears is a pluralistic mosaic – perhaps even a cacophony – of differ-


ent amalgamated postmodern, hermeneutic traditions derived from constructivism,
critical theory, post-structuralism, feminist philosophy, sociology, linguistics, nar-
rative literary criticism, deconstructionism, and – believe it or not – analytic
philosophy that have shared visions and collective identifications, but with mis-
aligned projects and competing agendas. For these reasons alone, I doubt we will
ever see one coherent comparative-integrative contemporary psychoanalytic para-
digm. […] There is too much diversity, complexity, difference, particularity and
plurality to warrant such an onerous undertaking« (Mills, 2018b, S. 326f.).

Für Mills gibt es keinen Paradigmenwechsel, da durch diese Unterschiedlichkeit


der Denkweisen kein Paradigma herausdestillierbar wird und es dadurch zu kei-
nem Wandel kommen kann.
Neben der philosophisch ausgerichteten Kritik lässt sich auch eine klinische
Gegenposition formulieren. Die Ablehnung der Triebtheorie, in der das Konzept
der Aggression und des Todestriebes inklusive der Libidotheorie eingebettet ist,
führt zu großen klinischen Problemen, wenn ihr Ersatz eine Motivationstheorie
ist – Konflikte zwischen dem Selbst und den größtenteils unvermeidlichen trau-
matischen Erlebnissen mit wichtigen Bezugspersonen aus der Kindheit (Kern-
berg, 2011b). Die intrapsychische Konfliktsituation tritt in den Hintergrund und
die Vorstellung der Bindungstheorie oder Margret Mahlers Theorie von Abhän-
gigkeits- und Selbstbehauptungswünschen werden nicht mehr als eigenständiges

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IV Die Entwicklung einer relationalen Tradition in der Psychoanalyse

System im Kind beachtet. Der Konflikt verlagert sich in traumatisierende Begeg-


nungen mit anderen. Das Kind nähert sich in der intersubjektiven Welt dem
Erwachsenen ohne eigene Affekte wie Wut, Ärger, Neid, Ekel und Reizbarkeit.
Für Kernberg findet die relationale Psychoanalyse keinen Anschluss an die Neu-
rowissenschaften und da speziell an die Affektforschung. Er findet die Kritik an
Freuds Triebtheorie durch die Erkenntnisse der neuen Affektforschung und die
klinischen Belege dafür unangebracht. Die Behauptung, Freuds Psychoanalyse
sei eine Ein-Personen-Psychologie, entbehrt für Kernberg jeglicher Grundlage.
Er sieht diese als Drei-Personen-Psychologie mit dem Zusammenspiel von Über-
tragung, Gegenübertragung und der beobachtenden, reflektiven Außenposition
(Kernberg, 2011b).
Die relationalen DenkerInnen verwechseln in der Analyse die Positionen von
»neutral« und »anonym«. Eine technisch neutrale Analytikerin ist nicht oh-
ne Emotionen, Gefühle, Erinnerungen oder Fantasien, sondern sie interveniert
an dem Punkt, an dem sie ihre Gefühle mit ihren Beobachtungen in Einklang
gebracht hat. In der konstruktivistischen Sichtweise wird die Übertragung ge-
meinsam zwischen PatientIn und AnalytikerIn konstruiert. Für Kernberg geht
damit die Erforschung der unbewussten Kindheitsgeschichte der PatientInnen
verloren, da ja das Hauptaugenmerk auf den interpersonellen und interaktionellen
Erscheinungsformen der Beziehung zwischen PatientIn und TherapeutIn liegt.
Er sieht darin die Gefahr, dass unbewusste Erfahrungsinhalte in den Hintergrund
geraten und das Enactment in der Situation rationalisiert wird. Elementare Ma-
nifestationen von sadomasochistischer Sexualität und Aggression können dann
nicht mehr untersucht werden. Die AnalytikerInnen können die pathologischen
Persönlichkeitsmuster der PatientInnen nicht vollständig explorieren und damit
die Vergangenheit der PatientInnen nicht als verstehende, chronifizierte und im-
mer wiederkehrende Charakterpathologie verstehen.
Die relationale Psychoanalyse funktioniert bei relativ gesunden PatientInnen.
PatientInnen mit schwerwiegenden, unbewussten Konflikten wie einer schweren
Borderline-Pathologie oder malignem Narzissmus können nicht behandelt wer-
den (ebd.).

5 Conclusio

Die Bedeutung der relationalen Psychoanalyse und Psychotherapie liegt im Hin-


weis auf die Bedeutung der Haltung, und die Schwierigkeit eröffnet sich dann,
wenn Vorstellungen von Technik sich zum Denken ermächtigen. Diese Fragestel-

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5 Conclusio

lung führt einen wieder in die Naturwissenschaft und generiert eine Vorstellung
von Richtig und Falsch, wobei sich aber im Sinne von Heisenberg die Haltung
zu etwas verändert, sobald man hinschaut, denn Hinschauen – im Sinne von
Technik generieren – ist eine andere Form der Haltung. Damit kommt es an
dieser Schnittstelle immer zu Konflikten und Widersprüchen, da vorher die Be-
deutungshaltung der Beteiligten und deren Einfluss geklärt werden sollten. Das
Ziehen einer Grenze im Sinne eines verstehenden Erdenkens schließt immer et-
was aus und kann nur dann wieder relational eingebettet werden, wenn beide
DiskutantInnen die Haltung haben, dass sie ihre Gedanken als gemeinsames Pro-
dukt generieren und beide Mitgestalter ihrer und doch nicht ihrer Wirklichkeit
sind. Diese Form von Paradoxie lässt sich in der naturwissenschaftlichen Spra-
che nur sehr schwer fassen. Die neueren Schriften der nächsten Generation von
DenkerInnen nach Mitchell gehen weg von der Bedeutung der Haltung und
versuchen, explizit Theorien zu entwerfen, um die relationale Psychoanalyse wei-
terzuentwickeln.
Die relationale Psychoanalyse hat sich in einer liberalen Atmosphäre, durch-
zogen von einer »Aufbruchsstimmung voller Widersprüche den alten Strukturen
gegenüber« (Benjamin, 2004b), entwickelt. Jessica Benjamin warf die Frage auf,
ob eine demokratische Gesellschaft eine demokratische Psychoanalyse braucht
(Benjamin, 2004b). Ist die Anerkennung fehlbarer PsychoanalytikerInnen auch
an einen »neuen« PatientInnentypus gebunden, der dies auch akzeptiert und
schätzt, ohne den AnalytikerInnen ihre Kompetenz abstreiten zu müssen? Freud
beschäftigt sich mit der Heilungskraft der ÄrztInnen aus ihrer Autorität heraus.
Braucht eine Gesellschaft, in der eine autoritärere Form in den Institutionen und
der Erziehung gepflegt wird, andere Formen von TherapeutInnen, um sie nicht
entwerten zu müssen? Welche Gesellschaftsform braucht welche TherapeutIn-
nen?

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V Empathie – Affekt – Verstehen

»My welcome creates the possibility that the


other may welcome me into her world of loss,
confusion, devastation. The welcomer becomes
the one who may be welcomed as a lost and
wandering stranger.«
Donna M. Orange (2015, S. 50)

1 Die Konstruktion bzw. Dekonstruktion der Empathie

Empathie kommt immer mehr in den Fokus der Forschung und wird auch als
die Grundlage unseres Erfolgs betrachtet. Nicht die Maxime »struggle for exis-
tence« nach Charles Darwin, der Kampf um die Existenz, steht im Vordergrund,
sondern die Kooperation als evolutionäre Erfolgsformel wird als elementare Evo-
lutionsleistung erkannt (Nowak & Highfield, 2013). Fonagy und KollegInnen
betrachten Empathie als einen Teil ihres Mentalisierungskonzeptes. Für sie be-
deutet Empathie, sich in andere einzufühlen, um etwas über sie herauszufinden
und auch eine affektive Reaktion darauf zu setzen, zum Beispiel mitleidig oder
anteilnehmend zu reagieren. Empathisches Einfühlen in den anderen ist die halbe
Miete des Mentalisierens, in der affektiven Reaktion geht das Empathiekonzept,
wie sie es von Baron-Cohen übernommen haben, über ihr Konzept hinaus. Sie be-
trachten Empathie als etwas von der Person Ausgelagertes, das empathisch ist und
nur mit dem Zustand des Gegenübers zu tun hat. Für Fonagy und KollegInnen
ist auch eine Psychotherapie ganz im Sinne von Rogers ohne Empathie nicht vor-
stellbar (Allen et al., 2011; Rogers, 1996; Baron-Cohen, 2011). Diese Darstellung
der Empathie ist noch im Descart’schen dualistischen Denken eingebettet. Eine
Person, die Autorität für sich beansprucht, kann sich in die andere Person empa-
thisch einfühlen und weiß somit mehr über die andere Person als diese selbst. Die
Empathie befindet sich in dieser Betrachtungsweise in einer Einbahnstraße und
bedarf nur der Leistung des Subjekts, des Betreuers, der Therapeutin usw. (Mit-
chell, 2005). In diese Kategorie gehören auch die Ideen von Paul Ekman, der von
einem Erlernen des Lesens der Gefühle als kognitive Fähigkeit ausgeht. Ein popu-
läres Buch über Verführung setzt ebenfalls an dieser Form von Empathiefähigkeit
an (Ekman, 2010, 2011; Savoy, 2009). Es wirkt wie eine Anleitung für Psycho-
pathInnen oder für FBI und CIA, die von Ekman beraten und geschult wurden.

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V Empathie – Affekt – Verstehen

Empathie wird auch als intuitives Verfahren betrachtet, das aus den Komponen-
ten Emotion und Kognition besteht (Staemmler, 2009). Eine große Strömung im
Erforschen der Empathie liegt im neurowissenschaftlichen Zugang, beginnend
mit den Spiegelneuronen bis zur neuronalen Synchronisation zwischen Men-
schen. Diese neueren Befunde gehen eindeutig von einer Verbundenheit und einer
rhythmischen Synchronisation, einer körperlichen Verbundenheit (»embodied
attuned«) von zwei Individuen aus (Brisch, 2011; Rizzolatti, et al., 2008; Gallese
et al., 2007). Synchronisation basiert in der Begegnung, wie aus Untersuchun-
gen in der Psychotherapiewissenschaft hervorgeht, auf nonverbaler Koordination
zwischen PatientIn und TherapeutIn (Streeck, 2009; Ramseyer, 2008).
Empathie wird dann zur Empathie im hier diskutierten Sinne, wenn sie von
der impliziten auf die explizite Ebene gehoben wird. Empathie muss sich artiku-
lieren; meist geschieht dies durch Sprache, ob äußerer oder innerer Dialog – durch
die Fähigkeit, die Gefühle zu äußern bzw. sie in Metaphern zum Ausdruck zu
bringen.
Eine Metapher wird nicht nur als einfaches vergleichendes Konzept verwendet,
das uns einleuchtend erscheint, sondern wir nutzen unsere eigenen körperlichen
Erfahrungen, um sie als körperliche Erfahrung für andere verstehbar und sichtbar
zu machen. Eine Metapher, die einen körperlichen Ausdruck verwendet, fordert
explizit zur Identifikation und damit zur Empathie auf. Metaphern verwenden
wir, um unsere körperlichen Erfahrungen zu teilen (Slavin & Rahmani, 2016).
Metaphern scheinen im Körper und in unserem Gehirn bzw. Geist verankert
zu sein. Nach einem Vierteljahrhundert an Forschung in Linguistik und Kogni-
tionswissenschaften resümierten Lakoff und Johnson (2003):

»Metaphor is a neural phenomenon. What we have referred to as metaphorical


mappings appear to be realized physically as neural maps. They constitute the neur-
al mechanisms that naturally, and inevitably, recruits sensorimotor inference for
use in abstract thought. […] Because metaphorical maps are part of our brains, we
will think and speak metaphorically whether we want to or not. Since the mecha-
nism of metaphor is largely unconscious, we will think and speak metaphorically
whether we know it or not. Further, since our brains are embodied, our metaphors
will reflect our commonplace [bodily] experiences in the world« (Lakoff & John-
son, 2003, S. 256–257).

Unsere körperlichen Erfahrungen sind die Grundlage, um einer anderen Person


ein Einfühlen in uns zu ermöglichen, diese also »empathiefähig« zu machen.
PatientIn und TherapeutIn konstruieren gemeinsam ein »empathisch-thera-

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2 Empathie als steuerbares Phänomen

peutisches« Sprechen, in dem »Musik« ist, ein rhythmisches Verwobensein von


zwei Subjekten (Buchholz, 2014b; Steinberger, 2016). Das Beisammensein wird
durch »lokale« Projekte getragen. »Projekte« sind implizite Antworten auf die
immer mitschwingende Frage: Was tun wir hier? Was ist hier los? Projekte sind
keine Ziele, sie müssen von beiden PartnerInnen ausgehandelt werden. Sie die-
nen den Zielen, die man sich gemeinsam vornimmt (Goffman, 1978; Alder et al.,
2016).
Sprache, die wir für nicht Sichtbares wie Empathie verwenden, ist immer an
Metaphern gebunden, da es nur indirekte Rückschlüsse außerhalb unserer kon-
kretistischen Welt gibt. Metaphern beruhen auf einer Vorstellung über etwas,
und diese ist wiederum in Theorien auf einer Metaebene eingebettet. »Unsere
Beobachtungen und unsere Versuche zu verstehen, sind aber von diesen Theorien
abhängig, sodass sich aus ihnen sehr verschiedene Sichtweisen auf das herausbil-
den können, was in der analytischen Situation geschieht« (Plenker, 2015, S. 41).
Theorien füllen unsere sichtbare Welt mit Verstehen. Warum weint ein Kind?
Was hat es nun vor? Was möchte es haben? Empathie entsteht im Konsens der
Begegnung, ich lasse mich von meinem Gegenüber berühren, hebe meine Be-
rührtheit auf eine explizite Stufe und kleide sie in Sprache, die wiederum davon
abhängig ist, welche Metaphern und Vorstellungen mir als kognitive Leistung zur
Verfügung stehen.
Empathie lässt sich in den Bahnen der Narrationsanalyse als Phänomen be-
greifen, das sich als zyklisches Modell darstellen lässt. Es nimmt Resonanz als
ersten Schritt an, daran schließt sich die »ausgedrückte Empathie«, die dann
als »received empathy« im Gegenüber ihren Abschluss findet (Barrett-Lennard,
1981; Alder et al., 2016).

2 Empathie als steuerbares Phänomen

Empathie bedeutet aus einer kausal-linearen Sicht, die Intentionen anderer ver-
stehen und deuten zu können (Weiste & Peräkylä, 2014, S. 3). Diese Sichtweise
ist allerdings zu kurz gegriffen, um das Phänomen der Empathie in seiner Ge-
samtheit zu verstehen. Der Prozess von Empathie ist nicht in zwei Individuen
verankert, sondern entfaltet sich als ein gemeinsames Gestalten zwischen zwei
oder mehreren Individuen. In der Konversationsanalyse, deren Begründer Har-
vey Sacks ist, wird dies als »doing empathy« beschrieben (Buchholz, 2014b,
S. 14). Bei genauerer Betrachtung stellt sich Empathie als ein Phänomen dar, das
wir zulassen oder ausschalten können: »Empathy is not a ›thing‹ but a way of

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V Empathie – Affekt – Verstehen

interacting, of putting oneself in another’s emotional experience, a mode of ap-


prehending another person’s feelings« (Aragno, 2008, S. 714). Wie sieht dieser
Modus aus, den wir in uns tragen, um das Fühlen einer anderen Person wahrneh-
men zu können? Um Empathie zu verstehen, müssen wir sehen, was Empathie
in der Wechselwirkung zwischen zwei Personen bewirkt, schreibt Aragno (2008)
weiter. Das Gegenteil von Aggression ist für Aragno nicht die Liebe, sondern die
Empathie (Aragno, 2014, S. 16).
Für Buchholz (2014b, S. 8) ist Empathie nicht ausschließlich positiv be-
setzt – Empathie ist auch die Voraussetzung für »das Böse«. Wenn wir Empathie
als ein in Relation zur Aggression komplexeres Phänomen betrachten, so ist
Aggression im Komplex der Empathie inkludiert. Wenn die Fähigkeit der Em-
pathie entwickelt ist, ist es erst möglich, sie auch auszublenden, um Aggression
zuzulassen bzw. ein Gegenüber zu zerstören, was einen großen Unterschied zur
pathologischen Form des Fehlens von empathischem Verhalten darstellt. Hier
findet sich auch eine Erklärung für die Gewaltausübung der »ganz normalen
Männer« in Kriegssituationen (Browning, 1996). Das Ausschalten der Empa-
thie ist kein schwieriges Unterfangen, wie bereits Hannah Arendt in ihrer These
von der Banalität des Bösen feststellte. Es ist allerdings nötig, eine Abgrenzung
gegenüber Phänomenen vorzunehmen, die als Empathiestörung gelten und die
unter verschiedensten Modellen von Perversionen und schweren Persönlichkeits-
störungen subsumiert werden.
Barrett-Lennard zergliedert den Prozess der Empathie in drei Phasen: in »re-
sonation, expressed empathy and received empathy« (Barrett-Lennard, 1981,
S. 91–100). Diese Idee der Resonanz ist jener vergleichbar, die Aragno mit dem
Modus der Wahrnehmung des Gegenübers beschreibt. Resonanz stellt die Grund-
voraussetzung für einen interpersonalen Prozess dar, bei dem Empathie entstehen
kann. Wie stellt sich dieser Resonanzboden in uns zur Verfügung, und wie bildet
er sich im Laufe unserer Entwicklung aus? Grundsätzlich ist der Mensch ein blin-
des Wesen und ein Leben lang damit beschäftigt, in einer explorativen Haltung
seinem Blindsein entgegenzuwirken. Empathie bedeutet nicht primär, den an-
deren in einer interaktiven Situation zu verstehen, sondern bezeichnet vielmehr
den Prozess, sich selbst zu verstehen, dies dem anderen gegenüber zum Ausdruck
zu bringen und diesem damit umgekehrt ein Verstehen zu ermöglichen. Dieser
Prozess beinhaltet eine permanente Austarierung der eigenen inneren Realität
zur Zuschreibung einer Differenz an das Gegenüber. Das heißt, ich kann das
Gegenüber nur über mich wahrnehmen, und es ist immer eine Gratwanderung,
ob die Gefühle, die ich erlebe, nur meine innere Realität aus der Vergangenheit
darstellen, die von meiner Lebensgeschichte geprägt sind, oder ob mir die »im

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3 Erste Falldiskussion

Gegenwartsmoment« (D. N. Stern, 2014, S. 46f.) erlebten Gefühle helfen, das


Hier und Jetzt zu verstehen bzw. zu interpretieren.
In einer neuronalen Betrachtung geht es dabei um eine limbische Resonanz
zwischen zwei aufeinandertreffenden Systemen, wie sie sich zum Beispiel in der
Beziehung zwischen Mutter und Säugling mit physiologischen Parametern nach-
weisen lässt (Ham & Tronick, 2009, S. 619-632; O’Brien et al., 2013, S. 183–197).
Die Spiegelneuronen scheinen hier von großer Bedeutung zu sein. Ihnen wird
auch die Fähigkeit zugeschrieben, empathisches Empfinden auszulösen. Sie bil-
den die neurologische Grundlage für die innere Resonanz und werden in der
Inselregion und im limbischen System lokalisiert (Rizzolatti et al., 2008, S. 174f.).
Eine weitere Region bei Mutter-Kind-Untersuchungen konnte von Iacoboni und
seinem Team bei der Beobachtung von Müttern mit ihren Kindern in der Regi-
on prä- und/oder supplementär-motorischer Areale lokalisiert werden (Iacoboni,
2009, S. 139).

3 Erste Falldiskussion

Was ist der »innere Resonanzboden« aus psychologischer Sicht, und wo sind wir
blind? Oder ist es gerade unser Nichtsehen, das uns zum Verstehen einer Szene
führt? Als Diskussionsbeispiel dient eine Protokollszene einer Studentin, die sie im
Laufe ihrer PatientInnenbeobachtung aufgezeichnet hat. Das Protokoll entstammt
einem zweisemestrigen Projekt, bei dem es im Rahmen einer PatientInnenbeob-
achtung um die Schulung und Anwendung einer mentalisierenden Haltung geht
(Allen et al., 2011, S. 49f.). Ziel war und ist die Förderung von Empathie, Me-
takognition, innerer Achtsamkeit und emotionaler Intelligenz als grundlegende
Voraussetzungen für die Entwicklung reflexiver Handlungskompetenz (Steinber-
ger et al., 2013; Sieberth & Steinberger, 2013; Steinberger, 2019; Zeman 2019;
Hajek, 2019; Zöchling, 2019; Schoßmaier, 2019a). Eine der Aufgaben besteht für
die StudentInnen darin, nach einer Beobachtung ein Protokoll anzufertigen. Die-
se Protokolle werden später in einer geleiteten Gruppensitzung reflektiert:

»Als wir in den Raum hineingebeten wurden, spricht zuerst nur die Analytikerin
mit ihm. Sie spricht zwar bestimmt[,] aber sehr leise und ruhig. Herr Ö. scheint
überhaupt nicht zu reagieren. Ich spreche daraufhin mit Herrn Ö. und erkläre ihm,
was nun passiert. Dass Elektroden an seinem Kopf befestigt werden, dass er sitzen
bleiben muss, usw. Als die Analytikerin versucht, ihm eine Art Helm aufzusetzen,
wehrt er sich allerdings ausdrücklich dagegen. Will immer wieder aufstehen und

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V Empathie – Affekt – Verstehen

versteht nicht, wenn man ihm erklärt, dass es eine wichtige Untersuchung ist. […]
Als mir die Analytikerin auch noch erklärt, dass er dann noch 20 Minuten lang ru-
hig liegen bleiben hätte müssen, kann ich nur verdutzt drein schauen« (Protokoll
2011/OWS).

Die Szenen überlagern sich. Beschreibt die Studentin eine Situation mit dem Pati-
enten oder drängt eine Vorstellung der Begegnung mit den TherapeutInnen in der
Nachbesprechung an die Oberfläche? Wer vermisst nun den Kopf ? Wo beginnt
die innere Szene und wird zur äußeren – oder wird die äußere Szene zur inneren?
Wenn wir dem Protokoll weiter folgen, stoßen wir auf diesen Vermerk: »Spä-
testens jetzt wäre jedem klar, der Herrn Ö. länger als einen Tag kennt, dass dies
ein Ding der Unmöglichkeit ist. […] Von den Pflegepersonen scheint niemand
überrascht zu sein und äußern alle, dass sowieso klar war, dass es nichts wird.«
Hier spiegelt sich die Gruppensituation der StudentInnen wider, die davon aus-
gehen, dass nichts daraus wird, »in ihren Kopf zu blicken«. Es taucht hier eine
große Angst im Patienten auf, der von der Studentin beobachtet wird, und zu-
gleich deren Angst, sich mit psychischen Phänomenen in einer Gruppensitzung
zu beschäftigen. Die StudentInnen gehen von einer Lernsituation aus, in der sie
Wissen präsentiert bekommen, das dann abgefragt wird.
Das Protokoll endet mit den Sätzen: »Herr Ö. wird anschließend von einer
Ärztin, PP [Pflegeperson] und mir noch mit Medikamenten versorgt. Diesmal
intramuskulär. Bei dieser Methode scheint der Patient kooperativ zu sein.« Hier
beschreibt die Studentin klar, was ihr vertraut ist. Beim Schreiben des Protokolls
entstehen die zu beobachtenden Szenen in ihrem Kopf, die mit der Vorstel-
lung unterlegt werden, dass das Protokoll der Gruppenleiterin und der Gruppe
vorgestellt wird. Die StudentInnen in der Gruppe teilen die Angst mit der Proto-
kollschreiberin, man könnte ihnen in den Kopf sehen. Das Protokoll verweist auf
die Verbundenheit mit der Gruppe und der Gruppenleiterin. Buchholz (2014b,
S. 11) betrachtete diese Resonanzverbundenheit als ein genauso starkes Bedürf-
nis des Menschen wie sein Drang nach Triebbefriedigung. Buchholz berichtet
weiters von Befunden, die von Ham und Tronick erhoben wurden, wonach Müt-
ter und Säuglinge bei Abbruch eines gemeinsamen vergnüglichen Spiels durch
Verweigerung der mimischen, gestischen und sprachlichen Reaktion auf die Äu-
ßerungen des Kindes mit erhöhter innerer Synchronisation des Atemrhythmus,
der Herzfrequenz und des elektrischen Hautwiderstandes reagieren (Ham & Tro-
nick, 2009, S. 619–632).
Legt man diese Befunde auf unsere Gruppensituation um, so lässt sich anneh-
men, dass in den StudentInnen und in der Gruppenleiterin die physiologischen

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3 Erste Falldiskussion

Werte ansteigen, wenn die StudentInnen mit ihnen unvertrauten Aufgaben, wie
von ihren Beobachtungen und Gefühlen zu berichten, konfrontiert werden. Die
Gruppenleiterin kann nun regulativ eingreifen oder mit einer passiven Haltung
eine Situation von Dekonstruktion für die StudentInnen erzeugen, worauf eben
deren inneres limbisches System reagiert. Die Gruppe bildet vermutlich eine ge-
meinsame Resonanz und damit eine paranoide Haltung als nach außen gelagerte
Lösung und Verbundenheit gegenüber der resonanzverweigernden Haltung der
Gruppenleiterin bzw. der Mutter.
Aber warum steht diese Szenenüberlageung im Protokoll der Studentin, und
wie passiert das? »Von den Pflegepersonen scheint niemand überrascht zu sein
und äußern alle, dass sowieso klar war, dass es nichts wird.« In therapeutischen
Sitzungen entscheiden wir uns jeweils, ob wir uns in Abstinenz oder in eine
rhythmische Synchronisation mit der Patientin oder dem Patienten begeben. Pa-
tientInnen fühlen sich bei »aktiven« TherapeutInnen gut »behandelt«. Wenn
wir die biopsychischen Erkenntnisse von Edward Tronick heranziehen, wäre das
Reagieren der TherapeutInnen nicht als Resonanz zu betrachten, sondern als
Herunterregulieren der möglicherweise auftauchenden Resonanz, die sich in ge-
meinsamen Werten von Hautwiderstand, Herzfrequenz, respiratorischer Sinus-
Arrhythmie und anderen Biomarkern zeigt. Gemeinsames Spielen lässt bei Mut-
ter und Säugling die biophysischen Werte autonom reagieren und bewirkt nur
eine schwache Synchronisation. Spielunterbrechung bzw. Abstinenz lassen eine
gemeinsame Abhängigkeit der physiologischen Werte erkennen. Hier lässt sich
auch verstehen, warum die Psychoanalyse von einem Phänomen der »Identifika-
tion mit dem Aggressor« spricht (A. Freud, 1980, S. 293f.). Wenn es nicht zu
einem Herunterregulieren dieser Werte bzw. der Angst kommt, führt dies zu ei-
ner Starre, die wiederum nur mit der Identifikation des Aggressors gelöst werden
kann. »Herr Ö. wird anschließend von einer Ärztin, PP und mir noch mit Me-
dikamenten versorgt. Diesmal intramuskulär.« Hier berichtet die Studentin von
der Identifikation mit dem Aggressor, der nun in den Patienten eindringt. Sie
berichtet weiter: »Bei dieser Methode scheint der Patient kooperativ zu sein.«
Das Eindringen mit einer chemischen Substanz und damit eine Durchdringung
der körperlichen Grenze scheint der Patient zu wollen. Hier bekommen wir auch
eine Vorstellung davon, wie sich TäterIn und Opfer in einen gemeinsamen inter-
aktiven Prozess verweben.
Es lässt sich nun leicht verstehen, warum zum Beispiel Borderline-PatientIn-
nen eine Situation von Stress für die TherapeutInnen in der Sitzung erzeugen.
Die Gleichschaltung erfolgt in der gemeinsamen Stresssituation, die von den Pa-
tientInnen initiiert wird. Hier spürt das Kind die Mutter, die in ihrer Zuwendung

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V Empathie – Affekt – Verstehen

keine Autonomie im Kind erzeugen kann. Die Gefühle der Mutter überfluten das
Kind und ermöglichen ihm nicht, ein eigenes Selbst zu entwickeln. Es kommt zur
Entwicklung eines fremden Selbst im Kind (Bateman & Fonagy, 2008, S. 160f.).
Die Studentin berichtet uns weiter: »Herr Ö scheint überhaupt nicht zu re-
agieren. Ich spreche daraufhin mit Herrn Ö. und erkläre ihm, was nun passiert.
Dass Elektroden an seinem Kopf befestigt werden, dass er sitzen bleiben muss,
usw.« Hier beginnt die innere Synchronisation der biophysischen Marker zwi-
schen Studentin und Patient. Beide erleben nun Stress und die Situation wird
vermutlich innerpsychisch umkonstruiert auf die Begegnung mit der Analytike-
rin, die in der Beobachtungsbesprechungsgruppe keine äußere Resonanz zeigt
und nur wie »leblose Elektroden« ins Gehirn sehen möchte. Die Studentin
betrachtet den Patienten als aggressiv in seiner Verweigerung: »Will immer wie-
der aufstehen und versteht nicht, wenn man ihm erklärt, dass es eine wichtige
Untersuchung ist.« Der Zugriff zu ihrer eigenen Angst vor der Analytikerin ver-
schließt ihr damit den Zugang zur Angst des Patienten. Sehr hypothetisch kann
konstruiert werden, dass im Sinne von Gergely und Watson keine ausreichen-
de kongruente Spiegelung ihrer Angst als Kind erfolgt ist (Fonagy et al., 2004,
S. 188f.; Gergely & Watson, 2004, S. 159f.). Das heißt: Wenn wir auf eine Situa-
tion treffen, in der wir mit Gefühlen eines Gegenübers konfrontiert werden, die
auf einen inneren Resonanzboden der Gleichschaltung treffen, können wir keine
Fähigkeit der Distanzierung ausbilden, und somit bleibt uns die Möglichkeit der
Mentalisierung verschlossen. So kann die Studentin eine Identifikation mit dem
Patienten erzeugen, ohne die Möglichkeit, diese zu reflektieren, da sie mit ihren
eigenen Gefühlen nur »verschmelzen« kann.
Mitgefühl kann ein- oder ausgeschaltet und, wie es in vielen Berufen erwar-
tet wird, trainiert werden. Aber lässt es sich so einfach abschalten oder bedarf es
der inneren Spaltung bzw. Differenz? Lässt sich unser Resonanzkörper einfach
abstellen und können wir uns den auf uns einstürzenden Reizen entziehen?

4 Zweite Falldiskussion

Betrachten wir ein Protokoll einer Studentin, in dem es um den Abschied einer
Mutter von ihrem neugeborenen Kind geht.

»Frau X ist sehr ruhig, was mir auch schon beim Erstkontakt aufgefallen ist, da war
sie distanzierter und hat, auch wenn ich sie Verschiedenes fragte, nur sehr einsilbig
geantwortet. Ich führte das darauf zurück, dass mich Frau X noch nicht kennt und

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4 Zweite Falldiskussion

zu den anderen Pflegepersonen schon mehr Vertrauen aufgebaut hat. Daher war ich
bei dem Auftrag, Frau X zu begleiten, gemischter Gefühle, sah es aber als Chance,
näher mit ihr in Kontakt zu kommen. Zuvor war ihre Mutter samt einer Freundin
auf Besuch. Da die Familie Frau X wegen den Pflegeeltern und auch schon während
der Schwangerschaft unter Druck setzte, sind Besuche von der Familie für Frau X
immer anstrengend. Sie sagte dann auch am Weg zur Kinderstation: ›Meine Fa-
milie ist so anstrengend.‹ Auf dem Weg reden wir ein bisschen über Allgemeines,
Frau X wirkt schon traurig und den Tränen nahe. Als wir auf der Krankenstation
ankommen, sind die Mutter und die Freundin auch da. Eigentlich war geplant, dass
Frau X allein mit der Tochter sein kann. Deshalb frage ich nach einiger Zeit Frau X,
ob sie Zeit allein mit ihrer Tochter verbringen will, sie sagt ›ja‹ und ich bitte die
beiden Damen hinaus. Dann nimmt Frau X das Baby in den Arm, es schläft, ist
an ein Monitoringgerät angeschlossen. Die Kinderschwester sagt, das sei, weil es
unruhig ist und ›ihm das Kuscheln fehlt‹. Das ist logisch, aber eine entbehrliche
Aussage, finde ich. Weil das Baby schläft dann ganz ruhig auf dem Arm seiner Mut-
ter weiter, das sagt Frau X auch ein paar Mal. Sie streichelt ihre Tochter und ist sehr
liebevoll. Tränen kommen beim Abschied. Ich versuche, sie zu trösten, andererseits
zu bestärken, dass sie nun eine Entscheidung getroffen hat, die für sie und auch das
Baby eine Lösung ist, dass es eine schwierige Situation ist, aber Hilfe da ist. Frau X
fragt mich am Rückweg, ob ich Kinder habe und als ich verneine, ob ich traurig
bin darüber. Auf der Station bringe ich Frau X zurück ins Zimmer und frage, ob sie
noch reden will. Sie will jedoch allein sein und zum Stützpunkt kommen, wenn sie
ein Gespräch möchte.«

Eine Schülerin der Abteilung wird für die Aufgabe der Begleitung des Abschied-
nehmens der Patientin X von ihrem Kind ausgewählt. Dieser Satz zeigt, wie belas-
tend die Geschichte ist und wie darauf zurückgegriffen wird, einen »Schuldigen«
zu finden. Diese Szene ist nur bewältigbar, wenn es zu einer Gefühlsabspaltung
kommt – oder genauer gesagt zu einer Verweigerung von Resonanzmechanismen.
Das Mitgefühl wird nicht aus dem inneren Resonanzkörper gewonnen, sondern
kognitiv zusammengesetzt: »Ich führte das darauf zurück, dass mich Frau X noch
nicht kennt und zu den anderen Pflegepersonen schon mehr Vertrauen aufgebaut
hat.«
Die Studentin schickt die Mutter und die Freundin der Patientin weg, so als
wolle sie einen Ausgleich herstellen. Es scheint sich dabei um ein Bedürfnis der
Studentin zu handeln, das sie als das Bedürfnis der Patientin darstellt. »[F]rage
ich nach einiger Zeit Frau X, ob sie Zeit allein mit ihrer Tochter verbringen will,
sie sagt ›ja‹ und ich bitte die beiden Damen hinaus.« Die Studentin und eine

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V Empathie – Affekt – Verstehen

Kinderkrankenschwester bleiben im Raum und konterkarieren den Vorsatz, die


Patientin allein mit dem Kind Zeit verbringen zu lassen. Die Studentin erlebt
sich als nicht anwesend in der Szene, die sie beobachtet. Sie kann sich selbst nicht
mitdenken, sie ist in ihren eigenen Gedanken abwesend, so wie sie die Mutter
und Freundin der Patientin abwesend macht.
Die Kinderkrankenschwester benennt das Offensichtliche: »Die Kinder-
schwester sagt, das sei, weil es unruhig ist und ›ihm das Kuscheln fehlt‹. Das ist
logisch, aber eine entbehrliche Aussage, finde ich.« Dieses Offensichtliche wird
von der Studentin als Tabubruch wahrgenommen. Die Brüchigkeit zwischen
Denken und Handeln ist in einem Tabu gut sichtbar. Wenn es ausgesprochen
wird, unterliegt es einer Realität, die sonst nicht zum Tragen kommen würde. Der
Volksmund sagt: »Man soll es nicht verknofeln«, wenn man etwas anspricht.
Sprache macht etwas zur Realität, nämlich, dass dem Säugling die Mutter und
der Mutter ihr Kind fehlt. Da dies auch moralischen Vorstellungen zuwiderläuft,
muss eine rationale Erklärung für dieses Handeln gefunden werden: »Ich ver-
suche, sie zu trösten, andererseits zu bestärken, dass sie nun eine Entscheidung
getroffen hat, die für sie und auch das Baby eine Lösung ist, dass es eine schwierige
Situation ist, aber Hilfe da ist.« Die Betonung, dass eine Lösung gefunden wur-
de, verweist darauf, dass es nunmehr wieder eine kognitive Erklärung gibt und
kein Halten der Szene bzw. der damit verbundenen Gefühle. Hilfe wird als etwas
Abstraktes von außen herangetragen.
Das Protokoll verzeichnet noch eine erklärende Sequenz zu Beginn dieses
Ereignisses: »Ich begleite Frau X auf die Kinderstation. […] Sie hat am Montag
mit Kaiserschnitt entbunden und sich entschieden, dass das Baby zu Pflegeeltern
kommen soll, da sie schon eine Tochter hat, selbst psychisch krank und auch das
familiäre Umfeld problematisch ist.«
Hier finden wir die medizinische Begründung, warum Frau X ihr Kind nicht
behalten kann. Um das Kind zu »retten«, muss es von der Mutter weg. Durch
diese Einführung in die Beobachtung wird die moralische Absicherung klar und
dient als Rechtfertigung, für diese Entscheidung einzutreten. Ein Aspekt ist na-
türlich die hierarchische Anweisung für die Studentin. Ein weiterer Faktor, den
diese Szene aufzeigt, ist das Ausschalten der Resonanz gegenüber Frau X und den
Gefühlen, die sie beim Abschied von ihrer kleinen Tochter zeigt. Die Studentin
ärgert sich über Kinderkrankenschwester, die das Kuscheln zwischen Säugling
und Mutter anspricht. Es kommt hier zur Verantwortungsverschiebung auf die
Mutter und die Freundin von Frau X, die ebenfalls bestraft werden, indem sie aus
dem Zimmer geschickt werden mit dem klaren Verweis darauf, dass Frau X das
selbst so wollte. Dieser Widerspruch bleibt unhinterfragt stehen.

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5 Dritte Falldiskussion

Die Studentin bewältigt diese Situation, indem sie ihre Resonanz ausschaltet
und ihre Fürsorge auf einer abstrakten kognitiven Ebene anbietet. Ihr Handeln
ist im medizinischen moralischen Verständnis eingebettet. Ein weiterer Aspekt
betrifft den moralischen Anspruch, alles richtig zu machen, so wie sie es gelernt
hat. Es wird als notwendig dargestellt, so zu handeln, weil es für Frau X und das
Baby das Beste ist. Frau X. ist krank und lebt inmitten eines »problematischen
Umfeldes«, somit würde ihr Kind geschädigt werden, wenn es bei ihr bliebe. Die
moralische Vorstellung wird nicht aufgehoben, sondern der Inhalt wird verän-
dert, was nun ermöglicht, dem inneren Konflikt auszuweichen und somit einer
Handlungsstarre zu entgehen.

5 Dritte Falldiskussion

Das dritte Protokoll stammt von einer Studentin, die 40 Jahre alt war, bereits
eine akademische Ausbildung hatte und in Psychotherapie und buddhistischen
Settings Erfahrungen gemacht hatte (Protokoll, 2017/OWS).

PatientInnenbeobachtung – Protokoll 3:
»Herr L. ist seit einigen Tagen stationär im Pavillon aufgenommen. Er ist ein
hagerer, grauhaariger, grauhäutiger Mann. Seine Augen liegen tief in den Höhlen,
und sie werfen tiefviolette Schatten.« Sie beobachtet den Patienten sehr genau,
wendet sich ihm zu und beschreibt ihn genau: »Alles in allem erinnert er mich
an ›Momos graue Männer‹, nur ohne Nikotin und Hast.«
Sie entwickelt eine Metapher, um die für sie zum Ausdruck kommende Ge-
fühlslage des Mannes zu beschreiben. Durch das Buch oder den Film Momo hat
sie Gefühle, die sie damals erlebte, gebunden. Nun wird durch die innere Re-
sonanz ein Bild aus der Erinnerung generiert, das durch den Patienten berührt
wurde. »Meistens hält er seine Arme verschränkt und lehnt sich im Stuhl zurück.
Anfangs hält er sich mit den anderen PatientInnen-Kontakten sehr zurück. Er
wirkt einzelgängerisch und distanziert. Mit der Zeit findet er Zugang und öffnet
sich ein wenig.«
Man kann über ihre Beschreibung ein gutes mentales Bild des Patienten ent-
stehen lassen, sie beschreibt auch eine mögliche Veränderung des Mannes, indem
er sich »öffnet«. In diesen drei Sätzen erfolgt ein Beginn bei der konkretisti-
schen Beobachtung und die beschriebene Szene wird in den Kulturkontext der
Abteilung gesetzt. Die Kultur ist der gemeinsame sprachliche Austausch unter
den PatientInnen. Hier beteiligt er sich wenig, und hier werden die Kontakte der

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V Empathie – Affekt – Verstehen

anderen als Referenzpunkt herangezogen, um dieses Wenig erkennen zu können.


Einzelgängerisches Verhalten und Distanziertheit lassen sich nur im Beisein der
anderen beobachten. Der dritte Satz nimmt das Wort »öffnet« als Metapher der
beobachteten Veränderung. Die Studentin braucht eine Vorstellung von Einsam-
keit, um diese Beobachtung zu generieren, eine Bedeutung, von außerhalb einer
Gruppe zu sein.
»Vielleicht öffnet er sich auch nicht, sondern weicht einige Meter von sei-
nen inneren Abgründen zurück und dringt irgendwie dadurch an die Außenwelt,
damit wir ihn hören und mit ihm kommunizieren können.« Mit diesen Zeilen
führt sie nun in ihre Gedanken die eigene Subjektivität ein und bietet einen al-
ternativen Gedanken für das mögliche psychische Innenleben des Patienten. Sie
schreibt ihm ein sehr komplexes Empfinden von schmerzlichem Erleben zu, und
auch die Einsamkeit beschreibt sie mit inneren Abgründen und Außenwelt. Sie
deutet es als einen Akt der Anstrengung, mit der er Kommunikation aufbaut.
Diese Zeilen sind voller innerer Resonanz und Berührtheit.
»Ich bin nun zumindest so lange auf der Psychiatrie, um zu erkennen, dass
der Herr von Depressionen geplagt ist.« Dieser Satz ist eine innere Gegenbewe-
gung und führt zur Stabilität. Er hilft, sich gegenüber der eigenen Resonanz an
Berührtheit zu positionieren.
»Irgendwie wirkt er auf mich wie ein schwarzes Loch, alles wird reingezo-
gen, wenn man den Ereignishorizont überschreitet, gibt es kein Entkommen
mehr.« Dieser Gedanke führt wieder zurück zur eigenen inneren Resonanz. Sie
verwendet sehr starke Metaphernbilder, um den Zustand des Patienten zu be-
schreiben.
»Wie schon öfter bemerkt, fällt es mir deutlich schwerer, mit den schwarzen
Löchern und Depressiven umzugehen als mit Personen in manischen Phasen.«
Ihr Gedanke ist wieder von der inneren Gegenposition formuliert, eingekleidet
in medizinische Nosologie, und sie positioniert sich auch als jemand, der mit ma-
nischen Phasen anderer besser umgehen kann.
»Ich denke dann immer, es liegt an meiner eigenen latenten depressiven Ader,
der ewigen Furcht, selbst mal in so einen scheinbar nicht mehr enden wollenden
Zustand zu geraten.« Hier wird die eigene Resonanz in Sprache gekleidet und
damit reflektiv auf eine Metaebene gestellt. Sie kann es in Beziehung setzen mit
dem Verstehen des Patienten und der von ihr wahrgenommenen Gefahr, selbst
zu ähnlich zu sein.

»Herr L. erzählt mir, er wäre als Kind oft hier gewesen mit seinen Freunden, und
es hätte viele Wohnungen in S. gegeben. Außerdem wäre da eine Eisenbahn her-

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5 Dritte Falldiskussion

umgefahren, und wie schön es da war. Herr L. hat eine Tochter, die ihn manchmal
besucht aber selbst beruflich sehr eingespannt ist und eine Lebensgefährtin, die an-
scheinend momentan nur Kontakt per SMS und Email hält.«

Die innere Positionierung wird nun nach außen in reale Personen gelegt. Die Stu-
dentin beginnt, sich nun als die Zuhörerin in der realen Begegnung gegenüber
den nicht anwesenden Frauen zu positionieren. Die Tochter hat wenig Zeit, und
die Lebensgefährtin ist physisch überhaupt nicht präsent. Die Studentin ist in
diesem Moment in der Szene, die sie danach beschreibt. Die Bezogenheit findet
in ihren Gedanken als Prozess statt.

»Nach einigen Tagen wird auch der abgebrochen, und ich merke, wie die Augen-
höhlen immer noch tiefer werden und das dunkle Grau sich in allen Schattierungen
über diesen Menschen zieht. Meistens gibt er mir auf meine zaghaften Fragen Ant-
worten, und ich versuche, ihn irgendwie aufzubauen, ihm Mut zuzusprechen, dass
er sich Zeit geben soll jetzt und so Sätze, aber dann schweige ich lieber und lächle
ihm nur zu oder sitze bei ihm.«

Die Studentin ist dem Patienten in ihrer Schilderung ganz nahe. Ihr Schwei-
gen könnte im Sinne von Bion als »Containment« verstanden werden oder
als eine Anerkennung des Dritten durch die Hingabe. Benjamin greift auf den
Begriff des Hingebens (surrender) von Ghent zurück, um zu verdeutlichen,
dass der Dritte nicht im Festhalten, sondern eben in der Hingebung entsteht
bzw. von diesem Raum bestimmt wird (Benjamin, 2018; Ghent, 1990; Bion,
1992).

»[T]he Third is that to which we surrender, and thirdness is the intersubjective


mental space that facilitates or results from surrender. […], the term surrender refers
to a certain letting go of the self, and thus also implies the ability to take in the
other’s point of view or reality« (Benjamin, 2018, S. 23f.).

Hingabe bedeutet für Benjamin die Fähigkeit, die Perspektive des anderen einzu-
nehmen und von dessen Realität auszugehen. Wer sich hingeben kann und damit
die Realität des anderen anerkennt und seine eigene Eigenständigkeit nicht aus
dem Blick verliert, ist fähig für eine Verbindung. Sie unterscheidet auch sehr klar
zwischen Hingabe (surrender) und Unterwerfung (submission). Einen Menschen
idealisieren oder sich nachgiebig geben, um Konflikten auszuweichen, bedeutet,
sich dem anderen zu unterwerfen.

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V Empathie – Affekt – Verstehen

»Er meint nur, dass das Gedankenkarussell leider so gut wie nie aufhöre. Nach sei-
nem Tagausgang kommt er sehr müde und angestrengt zurück, die Welt da draußen
habe ihn voll überfordert, und er habe überhaupt Angst wieder in sein Haus zu-
rückzukehren und die Station zu verlassen. Hier hätte er endlich wieder schlafen
können, und er fühle sich im Grunde sehr wohl in S., es sei schön hier und ruhig.«

Wenn wir uns die Situation der Textschreiberin in unsere Gedanken holen, uns
unseren Gedanken hingeben, so beginnt Hingabe (surrender), nämlich sich den
Imaginationen hingeben zu können. Die Zärtlichkeit, die diesem Text innewohnt,
beginnt mit der Fähigkeit, Bilder in sich abzurufen. Wie entsteht nun Bezogen-
heit mit der Fähigkeit von Hingabe?
»Nach einigen Wochen gehe ich zufällig am Pavillon vorbei und sehe ihn
immer noch auf der Terrasse sitzen. Ich denke mir kurz wie schlimm, denn man
wollte ihn ja, als ich noch dort war, eigentlich schon entlassen.« Hier lässt sich
die Überlegung anschließen, wessen Bedürfnisse es sind, entlassen zu werden, die
des Patienten oder die der Studentin. Das Aushalten bzw. auch Gewahrwerden
von unterschiedlichen Bedürfnissen ist für Benjamin die Grundlage für den Mo-
ralischen Dritten (moral third). Dieser Gedanke findet sich bei Loewald in der
Idee, in der elterlichen Funktion dem Kind bzw. dem Gegenüber eine Zukunft
entwerfen zu können (Benjamin, 2018; Loewald, 1986).
Im Folgenden soll ein weiteres Beobachtungsprotokoll eines Studenten ange-
führt werden. Diese Zeilen lösen ganz andere Gefühle in den LeserInnen aus.

»Ich habe einen Klienten in seiner Wohnung beobachtet, der Kl. sitzt im Rollstuhl
und ist 56 Jahre alt. Mir wurde vorab gesagt, dass er sehr sarkastisch ist.
Beobachtung: Als ich in die Wohnung des Klienten gekommen bin, habe ich
ihn erstmal begrüßt, er hatte einen speziellen Rollstuhl. In der Krankengeschichte
des Klienten wird beschrieben, dass er an einer Paranoiden Schizophrenie leidet
und an Morbus Bechterew. Der Klient begegnet mir anfangs recht freundlich. Ich
habe versucht, mit ihm ein Gespräch anzufangen, aber was ich auch gefragt habe,
er hatte eine sarkastische Antwort parat. Als ich ihn gefragt habe, wie es ihm denn
geht, hat er gesagt: ›Wie soll es mir schon gehen, ich kann ja nicht mal gehen, ha.‹
Der Kl. hatte einen recht starren Blick und ist ohne Unterbrechung in der Woh-
nung auf- und abgefahren[,] er kam mir sehr angetrieben vor. Meine Kollegen und
ich waren gerade beschäftigt[,] um in seiner Wohnung für etwas Ordnung zu sor-
gen, als ich ihn fragte, ob ich dieses Tuch verwenden kann, um zu putzen, da sagte
er: ›Ob Sie das können, weiß ich nicht.‹ Ich habe es ignoriert, da mir mein Kollege
geraten hat, nicht auf seinen Sarkasmus zu reagieren, da er aggressiv werden könnte.

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6 Zusammenfassung

Als ich in seine Küche gekommen bin, habe ich seinen Kühlschrank begutachten
können, es war ein großer Metall-Kühlschrank, in dem unzählige Messerstiche wa-
ren und ein scharfes Messer danebengelegen ist. Ich hatte so ein Gefühl, dass ich
das lieber in den Abwasch lege, etwas später fragte meine Kollegin den Herrn, ob
wir seine Waschmaschine einschalten sollen. Der Klient wurde von einer Sekunde
auf die andere aggressiv, begann Türen zuzutreten und uns zu bedrohen, verbal, er
sagte, er schlägt uns mit der Waschmaschine, wenn wir das nochmals fragen. Dann
war er auch in der Küche, und ich war recht froh, dass ich das Messer in die Spüle
gegeben habe. Danach haben wir uns verabschiedet, und der Kl. hat sich etwas be-
ruhigt.

Fazit
Herr W. hat sehr große Schwierigkeiten, mit seiner Erkrankung zurechtzukommen,
er ist leicht reizbar und fühlt sich schnell entmündigt.«

Hier entsteht in den LeserInnen eine Betroffenheit über die Gewalt, die hier
beschrieben wird. Keine der beschriebenen Personen bekommen eine Identität
oder Beweggründe für ihr Handeln zugeschrieben. Der Student schreibt wenig
über die Angst und die massive Bedrohung, die sich in der Szene abspielen. Bei-
de Pflegepersonen stecken in dem Modus des Aushaltens, dem Wegschieben der
Angst.

6 Zusammenfassung

Empathie wird uns hier gezeigt als ein Mitschwingen mit dem, was in mir berührt
wird, es wird dann in den Kontext mit eigenen Erinnerungen gestellt, aber damit
gleichzeitig abgegrenzt von der zu beobachtenden Person, der wieder ein eigenes
Ich zugeschrieben wird, das aber nur als Verstehenshypothese gedacht wird.
Das Dritte, das entsteht, ist das eigene psychische Selbst. Indem ich mich
erdenken kann, zwischen meiner Berührtheit, die durch die Resonanz der Spie-
gelneuronen zustande kommt, und dem Eigenen an Gedanken, Fantasien, was
man der beobachteten Person zuschreiben kann, entstehen meine Gedanken über
mich. Ich werde immer klarer und differenzierter mir gegenüber, je stärker der
Dritte in mir entsteht. Die Entstehung des Dritten ist ein Prozess und spiegelt
die Bezogenheit zu mir wider. Für Benjamin ist das Dritte das Phänomen der
menschlichen Bezogenheit (Benjamin, 2004a, 2018). Sie sieht es ähnlich dem
von Winnicott beschriebenen »Übergangsraum« (Winnicott, 1989).

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V Empathie – Affekt – Verstehen

Abbildung 7: Übergangsraum – das Dritte (eigene Darstellung).

Berührtheit bedeutet, meine Gedanken über mich und über die Person bzw. die
Person oder Szene, die ich beobachte und der ich meine Bobachtung als Ich für die
Person zuschreiben kann. Bei jedem Gedanken über die andere Person entsteht
mehr Ich von mir, es gestaltet sich ein Zyklus im Sinne eines hermeneutischen
Zirkels, wie ihn Gadamer beschrieben hat.
Lässt sich Berührtheit als ein Resonanzphänomen erdenken? Einige AutorIn-
nen betrachten Resonanz als ein gerichtetes Phänomen eines passiven, räumlichen
Zustandes, der auf eine aktive Person gerichtet ist. Der nächste Schritt wird
als Synchronisierung mit dem Gegenüber betrachtet und mündet in einem ge-
meinsamen Schwingen (Breyer & Pfänder, 2017). Ed Tronick nennt dies einen
»dyadischen Bewusstseinszustand«, der sich in mehrere Teile zergliedert und
einer Struktur unterliegt bzw. diese bildet. Als bedeutender Säuglingsforscher
betrachtet er diese Mutter-Kind-Dyade als die Schaffung eines gemeinsamen Sys-
tems von Informationen, die sich aufeinander beziehen und sich immer weiter
zu einem komplexeren und kohärenteren System organisieren (Tronick, 2007).
Empathie entwickelt sich nicht durch Beobachtung, wie es die Spiegelneuronen-
theorie nahelegt, wenn wir sie als starres dualistisches System betrachten, sondern
Empathie ist eine gemeinsame existenzielle Begegnung mit einem erkenntnis-
theoretischen Gewinn. Für Kinder und auch für PatientInnen ist es nicht nur
wichtig, ob die Bezugsperson oder die TherapeutInnen alles richtig machen,
sondern wie sie es machen und ob sie an der Begegnung Freude haben. Die
BeobachterInnen sind kein Spiegel, der etwas reflektiert, es ist für alle Beteilig-
ten von elementarer Bedeutung, »richtig verstanden« worden zu sein (Schlicht,
2013). Verstehen generiert sich nur in einem gemeinsamen Begegnungsfeld, in
dem sich Erkenntnis bzw. Bedeutung entwickeln. Verbalität oder Nonverbalität
entwickeln sich im Aufeinander-bezogen-Sein – darin, eine Vorstellung von sich
und dem anderen zu haben: »It is more than just a question of epistemological

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6 Zusammenfassung

understanding, and it is the social dimension of shared being« (Buchholz et al.,


2017, S. 97). Empathie ist, wie von Gergely konzipiert, ein Phänomen, bei dem
ich berührt werde, aber immer weiß: Ich bin es eben nicht und bin es doch, und
der andere ist nur nahe dem, was ich durch mich an ausgelösten Gefühlen verste-
he.
Benjamin benennt diese Phänomene, sich gewahr zu bleiben, als die Fähigkeit,
Spannung auszuhalten, anders, als der andere zu sein und damit sich und den an-
deren in einer Eingestimmtheit wahrzunehmen. Sie verwendet dafür den Begriff
des »sittlich Dritten« (moral third) oder des »Dritten in der Gemeinschaft«
(the third in the one). Dieses »Dritte« bildet sich durch einen gemeinsamen
Rhythmus zwischen Mutter und Kind als ein Prinzip der Affektresonanz (Benja-
min, 2018). Resonanz im Sinne eines Klangkörpers, den ich zur Verfügung habe,
wird dann zum empathischen Verstehen beitragen, wenn ich seine Schwingun-
gen auf einer erkenntnistheoretischen Ebene erfassen kann, beruhend auf all den
erlebten und in mir verankerten sozialen Mikro-Begegnungen, von einer empa-
thischen Person auf resonantem Wege erlebt.
Empathie erschließt sich in der Begegnung und ist ein soziales Phänomen,
ohne dessen Beschreibung und Begegnung wir im Alltag nicht mehr auskommen.
Wir brauchen dieses Wort, um uns verständlich zu machen. Für die Forschung
scheint es zu indifferent zu sein und die zahlreichen Vorstellungen davon, wie
sich Empathie zum Beispiel strukturiert oder abbildet, erweisen sich als sehr un-
terschiedlich. Als operativer Faktor würde sich eine Dekonstruktion des Begriffs
der Empathie als nützlich erweisen und die Forschung in unterschiedliche Strän-
ge aufteilen.

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VI Affektreflektive Kompetenzen –
Entwicklungslinien
in der Ausbildung
von Empathie – Evaluierung

»Inescapable romance, inescapable choice


Of dreams, disillusion as the last illusion,
Reality as a thing seen by the mind,
Not that which is but that which is apprehended«
Wallace Stevens (Stevens & Stevens, 1990, S. 333)

1 Relationale, intersubjektive
Mentalisierungskompetenzen der Pflegeperson

In ihrer Ausbildung sollten die Studierenden einen Entwicklungsweg beschritten


haben, der ihnen ein kompetentes und selbstsicheres Handeln auf einer impliziten
Ebene in der Begegnungen mit PatientInnen vermittelt hat. Sie sollten eine psy-
chische Kompetenz herausgebildet haben, indem sie eine Vorstellung von ihrer
Selbstwirksamkeit gewonnen haben und durch die Möglichkeiten von Haltun-
gen Situationen beeinflussen und Szenen neu gestalten können.
Die Studierenden haben im Zuge des ART-Projektes einen Entwicklungsweg
zur Professionalisierung eingeschlagen, der sie durch unterschiedliche Theorie-
gebäude und das Erlernen von praktischem »Wissen« über Beobachtung und
deren Reflexion in Kleingruppen führt und sie dadurch an Handlungssicherheit
gewinnen ließ. Diese unterschiedlichen Erfahrungsebenen sollten ihnen dabei
behilflich sein, eine professionelle Identität in der Pflege bei PatientInnen zu ent-
wickeln, und sie sollten ihre spezifischen, individuellen Kompetenzen bewusster
auf einer expliziten Ebene zur Anwendung bringen.
Das Entwickeln von Kompetenzen für eine professionelle Begegnung ist an
unterschiedlichste Faktoren von kognitiven Lern- und Erkenntnisprozessen ge-
bunden und entwickelt sich gleichzeitig auf verschiedenen Erkenntniswegen, die
sich auf expliziten und impliziten Wegen abzeichnen.
Kompetenzerlangung bedeutet auch, in einer nachreflektiven Phase eine in-
dividuelle Vorstellung über ein Beziehungskonzept entwickeln zu können. Kom-
petenzerlangung ist tief an die Fähigkeit gebunden, sich in eine persönliche

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VI Affektreflektive Kompetenzen – Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie …

Entwicklung zu begeben. Kompetenz spiegelt sich in der Sicherheit wider, aus


der eigenen Haltung eine Handlungsanleitung auf impliziter Ebene ableiten zu
können, in der sich ein Spannungsverhältnis von Dekonstruktion und Neugier
widerspiegelt. Kompetenzentwicklung ist fest verzahnt mit der pädagogischen
Beziehungserfahrung, die die StudentInnen mit der Gruppenleitung, den Super-
visorInnen, den Lehrpersonen und in der Peergroup machen.
In den letzten Jahren hat die Beschäftigung mit Kompetenzen und deren De-
finitionen in unterschiedlichsten Feldern große Aufmerksamkeit erlangt, speziell
in der Arbeitswelt: »Berufliche Kompetenz ist eine Kombination von Kennt-
nissen, Fertigkeiten, Erfahrungen und Verhaltensweisen, die in einem konkreten
Kontext eingesetzt wird, und anhand ihres konkreten Einsatzes festgestellt, be-
wertet, bestätigt und weiterentwickelt werden kann« (Franke, 2001, S. 60).
Kompetent zu sein bedeutet, Zugriff auf ein komplexes Vernetzen von unter-
schiedlichen psychischen Funktionen zu haben. In einem interaktiven Geschehen
bildet sich eine Könnerschaft heraus, die den Menschen befähigt, sich in unter-
schiedlichen Arbeitsfeldern als kompetent wahrzunehmen.
Hier wird auf zwei Konzepte zurückgegriffen, in denen sich Jutta Kahl-Popp
und Herbert Will mit Kompetenzdefinitionen für die Psychoanalyse beschäftigten.
Im Zentrum von Kahl-Popps Überlegungen zur Kompetenzdefinition steht
eine dreigliedrige Struktur:
1. personale Kompetenz
2. Beziehungs- bzw. relationale Kompetenz
3. konzeptuelle Kompetenz

Die personale Kompetenz umfasst die Fähigkeit zu Empathie, das Aushalten-


Können eines Zustands von Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen und das Respek-
tieren eigener Fehler ohne Schuldgefühle. Weitere personale Kompetenz sieht
Kahl-Popp im Vertrauen auf die Wirksamkeit des eigenen Handelns und im re-
gulatorischen Umgang mit Affekt- und Konfliktspannungen.
Als relationale oder Beziehungskompetenz sieht sie die Verantwortung für
die Beziehung, eine hohe Sensibilität für kommunikatives, intuitives Handeln
sowie die Fähigkeit, die Beziehung zu reflektieren und gewonnene Erkenntnisse
daraus auch anzuwenden. Hierzu zählt auch, der Begegnung einen Sinn bzw. ein
Arbeitsbündnis geben zu können und ein Setting der Heilung bzw. des Wachs-
tums anbieten zu können.
Als konzeptuelle Kompetenz beschreibt die Autorin, eine Theorie als plausible
Erklärung für die Beschwerden der PatientInnen zu haben und ein Voranschrei-
ten in der Begegnung zu ermöglichen, das den PatientInnen hilft. Hierzu zählt

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2 Zehn Kompetenzen

auch, ein Behandlungs- bzw. ein Pflegekonzept zu haben, dem die Pflegeperson
und die PatientInnen Bedeutung beimessen können, und eine Reflexion anbie-
ten zu können, in der verschiedene Ebenen wie Persönlichkeit, Arbeitsbündnis
und Pflegekonzepte reflexiv betrachtet werden können und die den gemeinsamen
Einfluss dieser Faktoren respektieren lässt.
Kahl-Popp sieht Kompetenz aus einer kontextualistischen Sicht als ein Res-
sourcen organisierendes Konstrukt. Diese organisierende Kompetenz ermöglicht
einen Entwicklungsprozess, der für die Problemlösung benötigte Ressourcen zur
Verfügung stellt (Kahl-Popp, 2007, S. 98f.). Kompetenz erschließt sich durch ihre
Anwendung und ist in einen Prozess eingegliedert, der zur Könnerschaft in der An-
wendung von implizitem und explizitem Wissen führt (Kahl-Popp, 2009, 2011).
Kahl-Popp betrachtet ihr Kompetenzkonzept als eine allgemeinere Struktur
für Fertigkeiten, die in der Psychotherapie notwendig sind. Eine differenzierte
Aufschlüsselung von Kompetenzen für unterschiedliche Therapieschulen erfolgt
erst aus kontextualistischer Sicht heraus.
Herbert Will greift in seiner Konzeptualisierung auf die Idee von David
Tuckett zurück, der einen Bezugsrahmen von drei Perspektiven vorgeschlagen
hat. Den ersten konzipierte er als participant-observational frame, den zweiten als
conceptual frame und den dritten als interventional frame. Beobachten und Wahr-
nehmen sind wichtige Kompetenzen, die dann in einem konzeptuellen Rahmen
in Gedanken formuliert werden, die wiederum in Worte für die PatientInnen ge-
fasst werden (Tuckett, 2017, 2011).
Will verfolgt mit seiner Beschreibung von Basiskompetenzen für Analyti-
kerInnen die Absicht, einen gemeinsamen Konsens in seinem Institut zu finden,
in dem sich ihre Tätigkeit widerspiegelt. Für die Studierenden sollen diese erar-
beiteten Basiskompetenzen einen Fahrplan für ihre Ausbildung darstellen.
In der vorliegenden Arbeit wird auf die beschriebene Struktur von Tuckett und
die darin weiter ausformulierten zehn Punkten von Herbert Will zurückgegriffen
und versucht, sie im Sinne des ART-Projektes von relationalen, intersubjektiven
und mentalisierenden Kompetenzen zu definieren.

2 Zehn Kompetenzen

Innere Haltung, Beobachtung, Involviertheit


1. Kompetenz zur Beobachtung und passiver Präsenz auf der Grund-
lage einer mentalisierenden Haltung
2. Kompetenz, mit den eigenen Gefühlen zu arbeiten (explizit/implizit)

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VI Affektreflektive Kompetenzen – Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie …

3. Kompetenz zur Interaktion/Relationalität und Intersubjektivität


4. Kompetenz zum Aufbau einer hilfreichen Beziehung (Bindung)
5. Kompetenz im Umgang mit Affekten (Angst, Wut, Zorn, Begeh-
ren) und Konflikten
6. Kompetenz, einen Entwicklungsraum zu gestalten und ein Identi-
fikationsmodell zur Mentalisierung anzubieten

Rahmen
7. Kompetenz, einen Mentalisierungs-Entwicklungsprozess einzulei-
ten und zu gestalten
8. Kompetenz, das eigene und fremde Handeln in einen theoreti-
schen Kontext zu stellen (Mentalisierungskonzept – psychische
Entwicklung: teleologischer Akteur, intentionaler Akteur, reprä-
sentationaler Akteur, Selbstrepräsentanz
9. Kompetenz zur Selbstreflexion und zum Oszillieren zwischen im-
pliziter und expliziter Haltung – mentalisierende Haltung

Pflegerisches Handeln
10. Kompetenz zur förderlichen psychiatrischen, pflegerischen Inter-
vention (kongruentes Spiegeln)

2.1 Innere Haltung, Beobachtung, Involviertheit

Diese Kompetenzpunkte beschäftigen sich mit der Bezogenheit zu den Patien-


tInnen, zu den KollegInnen und den Szenen, in denen sich die Pflegeperson
befindet.
1. Kompetenz zur Beobachtung und passiver Präsenz auf der Grundlage einer
mentalisierenden Haltung: Hier geht es um die Fähigkeit, die umgebende Welt
zu beobachten, die PatientInnen zu sehen und sie auch abseits von der sichtbaren
Welt wahrzunehme; in der Bobachtung eine Form des Daseins auszustrahlen, mit
der eigenen Energie unter dem Level der Umgebung zu sein und damit sein eige-
nes Enactment besser betrachten zu können; für die PatientInnen einen Raum
für Verständnis zu öffnen, in dem sich die Pflegeperson zurücknehmen und die
Szene in einem containenden Dasein halten kann; die PatientInnen in ihren be-
wussten sprachlichen Äußerungen zu hören, sie aber auch in ihren anderen, nicht
sprachlichen Ausdrucksformen wahrzunehmen; sich entscheiden zu können, mit
welcher Haltung man den PatientInnen entgegentritt, mit der Offenheit, von ih-

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2 Zehn Kompetenzen

nen nichts zu wollen oder sie für etwas zu motivieren; aus der eigenen ruhigen
Haltung Fragen für die PatientInnen entwickeln zu können.
2. Kompetenz, mit den eigenen Gefühlen zu arbeiten (explizit/implizit): die
Fähigkeit zu haben, mit den eigenen wahrgenommen Emotionen die PatientIn-
nen zu verstehen; einen affektiven Resonanzboden zur Verfügung zu stellen und
die damit generierten Gefühle, die Szene, in ein explizites Verstehen zu heben;
Empathie für die PatientInnen zu erleben, mit der Fähigkeit, sie über die eigenen
Resonanzen zu verstehen; einen äußeren und inneren Emotionsraum zur Verfü-
gung zu haben, und damit das Gemeinsame der Szene ergründen zu können;
eine Bereitschaft für die eigenen Gefühle zu haben, um damit einen Kontakt zu
sich und den PatientInnen aufbauen zu können; eine Vorstellung eines Ich und
Du zu bekommen, sich gleichzeitig gemeinsam zu erleben und doch getrennt;
befähigt zu sein, Einsamkeit zu ertragen, um die Differenz anerkennen zu kön-
nen.
3. Kompetenz zur Interaktion/Relationalität und Intersubjektivität: die An-
erkennung einer gemeinsamen Realität, in der sich Beziehung entfaltet; die
Bedeutung der Begegnung wird gemeinsam kreiert, sodass sich die Realität in ge-
meinsam gestalteten Szenen entwickelt und dadurch erfahrbar wird; Anwendung
von Konzepten wie Enactment, Rollenübernahme, Inszenierung, Projektion, pro-
jektive Identifizierung, Spaltung, der Dritte usw. auf einer Metaebene zur eigenen
und zur Sicherheit der PatientInnen; Beziehungsaufbau auf einer »anerkennen-
den« Ebene gestalten zu können; Interaktion ist ein Raum von wechselseitiger
Bezogenheit, in dem sich die Feinheiten der Begegnung entfalten; kompetent zu
sein, um sich auf Rollenübernahmen und Enactments einzulassen; diese dabei
gewonnene Erfahrung in Sprache bringen zu können und mit den PatientInnen
darüber in einen Austausch zu kommen.
4. Kompetenz zum Aufbau einer hilfreichen Beziehung (Bindung): den Patien-
tInnen Sicherheit vermitteln zu können, ohne sie in eine zu starke Abhängigkeit
zu bringen. Freundlich und unterstützend wirken zu können, sind die wichtigsten
Faktoren zum Aufbau einer sicheren Beziehung. Die Beziehungsqualität lässt sich
über die Authentizität von Pflegeperson und PatientIn ermessen. Wir können
durch unser Zurverfügungstehen den PatientInnen ermöglichen, ihre Gefühle zu
zeigen. Wir bekommen eine Vorstellung davon, wofür uns die PatientInnen brau-
chen und gebrauchen und wie wir darauf reagieren möchten. Hier sind auch die
Fähigkeiten relevant, durch den Prozess des Beziehungsaufbaus gehen zu können
und damit eine Vorstellung von Hilflosigkeit zu haben, eine Atmosphäre von Of-
fenheit, Warmherzigkeit und Entwicklungsförderung anbieten zu können und
Humor in der Begegnung zu erleben.

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5. Kompetenz im Umgang mit Affekten (Angst, Wut, Zorn, Begehren) und Kon-
flikten: die Fähigkeit, Unklarheit, Unschärfe, Anspannung und Schambesetztes
auszuhalten. Es braucht den Boden des Enactments, um diese Gefühle entstehen
lassen zu können, um dann gemeinsam eine Vorstellung des Konflikts zu haben.
Auch das Ausagieren der Pflegeperson bedarf eines Aushaltens der dadurch mög-
lichen, entstandenen Beschämungsgefühle. Durch ein gemeinsames Halten wird
auch der Boden für die Übernahme einer gemeinsamen Verantwortung in der
Begegnung zwischen Pflegeperson und PatientIn gelegt. Relevant ist hier außer-
dem, Widersprüchlichkeiten erkennen und benennen zu können, und damit auch
konfrontative und belastende Interventionen für die PatientInnen setzen zu kön-
nen; Mut für die Wahrheit aufzubringen, und auch Fragen stellen zu können, die
sich auf Intimität beziehen; Gefühle von Wut, Zorn, Angst, Begehren in Spra-
che bringen zu können; sich Themen wie Suizidgefühlen, Selbstgefährdung und
Fremdgefährdung stellen zu können.
6. Kompetenz, einen Entwicklungsraum zu gestalten und ein Identifikationsmo-
dell zur Mentalisierung anzubieten: sich seiner Fähigkeiten und seines Charakters
bewusst zu sein und die damit verbundenen individuellen Beziehungsräume im
Team respektieren und auch artikulieren zu können. Die Erlebnisse mit den Pa-
tientInnen sind auf einer feinfühligen Ebene individuell und unaustauschbar. Es
gilt immer wieder zu einer neugierigen und nichtwissenden Haltung zurückzufin-
den und eine Vorstellung über eigene Schwächen und Verstrickungen zu haben,
sich der Begrenztheit seines eigenen Handelns bewusst zu sein.

2.2 Rahmen

Der Rahmen stellt einen Bezug zur Pflegeperson dar, in dem sie sich bewegt und
bildet damit einen Referenzrahmen für das Wahrnehmen und deren Interpretati-
on. Der konzeptuelle Bezugsrahmen wird durch das eigene Nachdenken und die
Verbindung von Theorien über das Leben und Erleben gespeist.
7. Kompetenz, einen Entwicklungsprozess der Mentalisierung einzuleiten und
zu gestalten: einen Entwicklungsprozess einzuleiten und diesen mit Hypothesen
in der Pflegeplanung darstellen zu können; Konzepte über die Pflegediagnos-
tik entwickeln und diskutieren zu können; eine lebendige Beziehung mit den
PatientInnen entstehen lassen, indem mentalisierende Fragen zum Ausdruck
gebracht werden. Die Rahmenbedingungen sollten immer veränderbar, disku-
tierbar und tief einer individuellen Entwicklung der PatientInnen verpflichtet
sein, wobei der Planungsprozess durch eine positive Entwicklungsvorstellung für

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2 Zehn Kompetenzen

die PatientInnen getragen ist. Die Pflegeplanung sollte mit evaluierbaren Theo-
rien unterlegt und somit auf einer Metaebene betrachtbar sein, ohne auf die
Individualität zu verzichten. Es ist darauf zu achten, dass immer ein Zusammen-
hang zwischen dem Erlebten mit den PatientInnen und der Pflegeindikation
vorhanden ist.
8. Kompetenz, das eigene und fremde Handeln in einen theoretischen Kon-
text zu stellen (Mentalisierungskonzept – psychische Entwicklung: teleologischer
Akteur, intentionaler Akteur, repräsentationaler Akteur, Selbstrepräsentanz, Inter-
subjektivität, Beziehung): theoretische Konzepte vonseiten der Säuglings- und
Kleinkindbeobachtung, der Mentalisierung, der Intersubjektivität und der rela-
tionalen Psychotherapie über das Hier und Jetzt der Begegnung entwickeln zu
können, um nicht durch die Begegnung mit den PatientInnen den Boden un-
ter den Füßen zu verlieren und durch die Flut der Erregung weggeschwemmt
zu werden; alternative Konzepte zu verwenden, um einen Referenzpunkt für ein
differenziertes Erstellen von eigenen Theorien und Hypothesen zu haben. Er-
fahrungen sollten mithilfe von Konzepten eine Ordnung des Nachdenkens und
der Rekapitulierbarkeit erfahren. Relevant ist zudem, Ideen über das Verhalten
und die bewussten und unbewussten Intentionen der PatientInnen erstellen zu
können; einen roten Faden durch den Behandlungs- und Pflegeverlauf der Patien-
tInnen darstellen zu können; die verwendeten Pflegetechniken evaluieren und sie
wiederum in der Pflegeplanung individualisiert für die PatientInnen weiterent-
wickeln zu können; eine Vorstellung über die eigene Wirksamkeit in der Pflege
zu erfahren.
9. Kompetenz zur Selbstreflexion und zum Oszillieren zwischen impliziter und
expliziter Haltung – mentalisierende Haltung: eine Offenheit dafür, Fehler zu
zeigen, und ein Verständnis für Fehlbarkeit zu entwickeln und dies im Team zu
entwickeln; sich und anderen KollegInnen in einer mentalisierenden, sich selbst
reflektierenden Haltung begegnen zu können; für neue Situationen und Theori-
en offen zu sein, über andere Meinungen nachdenken zu können; Hilfestellung
für KollegInnen in emotional verstrickten Situationen anbieten zu können; sich
auf konstruktive Weise und Anerkennung eines individuellen Erlebens von Si-
tuationen aus einem gemeinsamen Verstehensfeld Wissen über die PatientInnen
zu generieren; Kritik zur eigenen Verbesserung der Pflegefähigkeit annehmen
und diskutieren zu können; eine Vorstellung über die eigenen Schwächen und
Stärken zu haben. Sich einen Raum für die eigene Verletzlichkeit öffnen zu kön-
nen und diesen auch zu kommunizieren; Vorstellungen von Richtig und Falsch
beiseiteschieben zu können; die Fähigkeit zu haben, Überforderungen und Erho-
lungsphasen zu erkennen, und diesen auch Gehör zu verschaffen.

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2.3 Pflegerisches Handeln

Pflegerisches Handeln entfaltet sich anhand von Haltungen, die mit den genann-
ten Kompetenzen verbunden sind. Die Qualität des Handelns ist nur in der
geschilderten Gesamtheit versteh- und evaluierbar. Aus der Sicht der Gutach-
terInnen geschehen Interventionen auf einer impliziten Ebene und lassen sich
erst danach mit einem aufwendigen kognitiven Prozess in verstehbarer und er-
denkbarer Form darstellen.
10. Kompetenz zur förderlichen psychiatrischen, pflegerischen Intervention (kon-
gruentes Spiegeln): Die Pflegeperson sollte ein emotionales und kognitives Ver-
ständnis für die PatientInnen, die KollegInnen und die institutionsbedingten
Phänomene aufbringen. Zentral ist, Missverständnisse aufklären zu können, mög-
liche Zusammenhänge auf einer psychischen Ebene zu finden und dies in einer
für die PatientInnen verständlichen Sprache vermitteln zu können; Äußerungen
bei sich behalten zu können und damit Enactments zu unterbrechen.
➢ Pflegepersonen mentalisieren, wenn wir den PatientInnen eine sichere Um-
gebung bieten können.
➢ Pflegepersonen mentalisieren, wenn sie verstehen, was die PatientInnen er-
leben und fühlen.
➢ Pflegepersonen mentalisieren, wenn sie den PatientInnen Worte für ihre
Gefühle geben.
➢ Pflegepersonen vermitteln eine mentalisierende Haltung, wenn die Patien-
tInnen wieder Hoffnung für die Zukunft schöpfen können.
➢ Pflegepersonen mentalisieren, wenn sie Beweggründe von PatientInnen zu
verstehen versuchen.
➢ Pflegepersonen mentalisieren, wenn sie konflikthafte Szenen mit Patien-
tInnen bewältigen können.
➢ Pflegepersonen mentalisieren, wenn sie über sich und andere nachdenken,
um deren Handeln auf einer psychischen Ebene zu verstehen.

Obwohl Will im Gegensatz zur Kahl-Popp auf eine spezifische, psychoanalyti-


sche Auslegung seiner Kompetenzen pocht, lässt sich wie vorher dargestellt keine
Spezifität dafür herauslesen.
Kompetenzen bleiben in ihrer Definition für die Entwicklung von Kön-
nerschaft im Sinne von Kunstfertigkeit in der Begegnung zwischen Menschen
unkonkret, ansonsten würden sie in Richtung eines Handlungsmanuals und da-
mit von der Kunst in die Naturwissenschaft kommen, jede Spontaneität und
Individualität verlieren und weit weg von einem Leben und Erleben sein. In-

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3 Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie

dividualität und deren kompetentes Vermitteln liegen in der Spannung von


Unsicherheit und Ungewissheit, und eine Kompetenzrichtlinie würde dies al-
les in einer Erstarrung versinken lassen. Kompetenzformulierungen bieten einen
Rahmen, in dem sich Diskussionen und Haltungen entfalten können. Kompe-
tenz und Inkompetenz sind in einem Kontinuum verschränkt und bilden ein
notwendiges Konstrukt für unser Verstehen eines polarisierenden, erschließen-
den Denkens.
Das Ziel von ART ist die Förderung und Anregung von Mentalisierung bzw.
eine relationale Haltung anzubieten. In dieser Form des Nachdenkens kann nun
ein Raum zur Affektfokussierung geöffnet werden, das heißt, die Pflegeperson
fragt nach den Gefühlen in den PatientInnen oder nach den Gedanken über die
Gefühle anderer Personen. Durch die personale Kompetenz kann die Pflegeper-
son eine in »soft environment« eingebettete Kommunikation führen.

3 Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie

Welche Entwicklung sollten die StudentInnen im Zuge ihrer Ausbildung durch-


wandern? Um einen Weg dafür nachzuzeichnen, wird das Phasenmodell von
Rønnestad und Skovholt herangezogen. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der
beruflichen Entwicklung von Menschen in sozialen Berufen über deren gesamte
Lebensspanne. In der Psychotherapie gewinnt die Person des Therapeuten oder
der Therapeutin in der Erforschung immer mehr an Bedeutung, ihre Persönlich-
keit ist der entscheidende Einflussfaktor auf das Ergebnis in der Therapie.

»In sum, we define the real relationship as the personal relationship existing be-
tween two or more people as reflected in the degree to which each is genuine with
the other, and perceives and experiences the other in ways that befit the other«
(Gelso, 2009, S. 254f.).

Die Echtheit der Beziehung steht im Fokus der Bedeutung von Begegnung und
deren Veränderungskraft. Rønnestad und Skovholt griffen auf Umfragedaten
zurück, die von David Orlinsky initiiert wurden und Daten von 11.000 Psy-
chotherapeutInnen umfassten (Orlinsky et al., 2005). Sie beschreiben in ihrem
Modell einen Übergang von nichtprofessionellen zu professionellen HelferIn-
nen und unterteilen ihre Entwicklungsstufen in fünf Phasen, die die gesamte
Arbeitszeit umfassen. Die StudentInnen durchlaufen in ihrer Ausbildung die ers-
ten beiden der folgenden Phasen:

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VI Affektreflektive Kompetenzen – Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie …

1. the novice student phase


2. the advanced student phase
3. the novice professional phase
4. the experienced professional phase
5. the senior professional phase

StudentInnen, die sich für die Pflegeausbildung entscheiden, sind bereits einge-
bettet in ihrem kulturellen und sozialen Umfeld – ihre Familie, ihre FreundIn-
nen – und bringen Vorstellungen vom Pflegen und Hilfestellung-Leisten mit. Sie
sind tief verankert in ihrem kulturellen Verständnis von sich und der Welt. Die
StudentInnen sind bereits LaienhelferInnen und möchten eine Ausbildung zur
Könnerschaft durchlaufen.
Viele der StudentInnen kommen aus unterschiedlichen Kulturen, aus urba-
nen, dörflichen Sozialisationen und haben verschiedene religiöse Vorstellungen,
die große Bedeutung für die Vorstellung vom Hilfeleisten haben: »There is no
psychological experience that is not already constituted by the sociocultural con-
texts in which we find ourselves. Human beings can never stand outside their
contexts (Frie, 2015, S. 605). Diese kontextgebunde Sozialisation wird von unse-
rem kuturellen Umfeld und dem damit verbundenen geschichtlichen Verständnis
geprägt. Wir sind immer Teil unserer Familiengeschichte (Frie, 2017).
Hier werden nur einige kulturelle Unterschiede diskutiert, um auf die Be-
deutung dieser Sozialisationen zu verweisen. Die westlich-urbane Welt stellt in
diesem Ausbildungskontext auch die Vorstellungen über Krankheitsmodelle und
psychische Funktionsmodelle zur Verfügung. Diese Krankheitsmodelle gehen
verstärkt von einer Person aus, die Hilfe braucht oder sich als krank definiert.
Krankheit und Heilung werden als Problem des Einzelnen gesehen und finden
nur im Einzelindividuum statt. Diese Behandlungskonzepte werden von ca. ei-
nem Drittel der Menschheit geteilt, in den meisten Kulturen werden Krankheiten
als kollektives Phänomen gesehen. Kulturen definieren Phänomene unterschied-
lich – ob sie sie in einem System von Krankheit verorten oder sie als moralisches
oder religiöses Problem betrachten (Elsass, 2003).
Aus diesen kulturellen Unterschieden ergibt sich die Unterschiedlichkeit
des Leidens, dessen, was als Leiden definiert wird und was in einer Kultur
in Sprache gefasst und somit explizit gemacht werden kann. Kultur und de-
ren Definitionen unterliegen auch dem jeweiligen historischen Kontext. Somit
bringen unsere StudentInnen eine für die Zeit Ihres Aufwachsens spezifische
Sozialisation mit, eine wichtige »Kultur«, die in die Ausbildungssituation ein-
fließt:

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3 Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie

»Each era has a predominant configuration of the self, a particular foundational set
of beliefs of what it means to be human. Each particular configuration of the self
brings with it characteristic illnesses, local healers and local healing technologies«
(Cushmann, 1995, S. 3).

Jede Kultur bringt eine eigenständige Vorstellung von Heilung hervor. Krank-
heit und Heilung unterliegen einem gemeinsamen gesellschaftlichen Common
Sense. Diese »folk psychology« ist so stark im Individuum eingebettet, dass un-
sere StudentInnen manchmal sehr verwundert reagieren, dass sie zum Beispiel
Beobachten lernen sollen, etwas, das sie als selbstverständlich in ihrem Kompe-
tenzrepertoire verortet haben. Zuhören und Sprechen werden als »natürlich«
vorhandene Gabe betrachtet:

»We do not often question the assumptions of many of its theories, such as the
underlying ideology of self-contained individualism or the valuing of ›inner feel-
ings‹ or the unquestioned assumption, that health is produced by experiencing and
expressing these feelings« (ebd., S. 18).

Die Dekonstruktion ihres Handelns ist für die StudentInnen oft sehr ungewohnt;
Fragen zu formulieren, die ihre Vorstellungen von der Welt infrage stellen, ist be-
ängstigend. Sie halten zu Beginn sehr stark an ihren Vorstellungen vom Helfen,
an ihren kulturellen Konzepten fest und berufen sich auf ihr »Bauchgefühl«, ein
Empfinden, das ihnen gewissermaßen mitteilt, was sie zu sagen haben oder was
in der Begegnung hilfreich ist. Sie brauchen Empathie nicht zu lernen, sie fühlen
sich bereits alle empathisch und stellen auch das Konzept eines Trainings für das
Verstehen von anderen infrage.
Die hier angebotenen Ausbildungskonzepte, in denen Krankheitsvorstel-
lungen, Heilungs- und Behandlungskonzepte offeriert werden, sind tief in der
soziokulturellen Vorstellung von Individualismus eingebettet. Individualisierung
ist ein unumgänglicher Entwicklungsprozess, der nötig ist, um diese angebotenen
Lerninhalte nutzen zu können. Hier besteht eine große kulturelle Schnittstelle
zwischen Individuum und Gemeinschaft, da die Lernkonzepte und die damit
verbundenen Kompetenzen an die Konzepte von Individualisierung gebunden
und nicht an Gruppen, Kleingruppen oder Familienverbände angelehnt sind.
Identitäts- und Krankheitsvorstellungen entwickeln sich aus einem Gruppenver-
ständnis in anderen Vorstellungswelten. Vamik Volkan spricht zum Beispiel von
»tent identity« (Volkan, 1997, 2003).
Brauchen wir eine neue Form des psychischen Verständnisses von Entwick-

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VI Affektreflektive Kompetenzen – Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie …

lung, von Vorstellungen des Selbst usw., um all diesen kulturellen Differenzen
ein explizites Verständnis zu geben? Sind unsere Verallgemeinerungen nun doch
nicht so universal, wie wir es gerne hätten? Manfred Stattler arbeitet einige sehr
elementare Unterschiede des psychischen Erlebens zwischen den Kulturen von
Land und Stadt heraus und weist anhand des Beispiels von Supervisions- und
Coachingausbildungen auf die Defizite unserer Ausbildungscurricula hin (Statt-
ler, 2017, 2018).
Der »Zeitgeist« hat großen Einfluss auf Vorstellungen von Heilung; die
meisten Berufe, die sich mit Menschen beschäftigen, unterliegen dem Paradigma
des naturwissenschaftlich-medizinischen Verständnisses. Vorhersagbarkeit und
Kontrolle sind die derzeit vorherrschenden Handlungskonzepte.
Eine Frage, die hier nun aufgeworfen werden soll, ist die nach der Relevanz
von Geschlechterrollen in der Ausbildungs- und Berufssituation. Beziehungs-
berufe wie Pflegeberufe sind gesellschaftlich als weibliche Berufe konnotiert.
Inwieweit haben Konstrukte von Geschlecht Einfluss auf die Vorstellungen von
Berufen und deren Erlernen? Welchen Einfluss haben Geschlechts- und Rollen-
stereotype auf unser Verstehen von Empathie und deren Erlernbarkeit?
In dieser Darstellung geht es um die beiden ersten Phasen (die novice student
phase und die advanced student phase), die die Ausbildungszeit ausmachen und
die darin möglichen Entwicklungsschritte beschreiben. Diese beiden Phasen um-
fassen das sechssemestrige Ausbildungsprogramm von ART.

3.1 Novice student phase

Die Anfängerphase wird von uns in der Pflegeausbildung mit dem Einstieg der
StudentInnen in ihr erstes Praktikum definiert. Der Beginn und Einstieg in das
erste Praktikum und das Arbeiten mit PatientInnen stellen eine aufregende und
anspruchsvolle Phase für die Studierenden dar. Sie haben im Voraus eine Vielzahl
von Lerninformationen erhalten und sind mit dem Wissen der ersten Fachli-
teratur ausgestattet. Sie tragen nun konzeptuelles Fachwissen in sich, um sich
an ihrer Praktikumsstelle zurechtzufinden. Die StudentInnen halten sich in die-
ser Phase noch sehr stark an gelernte Fertigkeiten, die regelhaft angewendet
werden. Die meisten Studierenden fühlen sich in dieser Phase in ihrem ersten
Praktikum unsicher und ängstlich. Sehr oft tauchen Fragen auf wie: Bin ich für
diese Art von Arbeit geeignet? Habe ich die richtige Berufswahl getroffen? Be-
rufliche Selbstzweifel und Verunsicherung sind zu dieser Zeit häufige Gefühle.
Diese sind für die meisten StudentInnen ein wichtiger Entwicklungsschritt und

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3 Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie

weisen auf das Erkennen von komplexen Herausforderungen in der Pflege von
Menschen hin. Sie sind auch ein wichtiger Schritt zum Halten von divergieren-
den Gefühlen in der Begegnung mit Menschen. Leistungsdruck und unbekannte
Aufgaben erzeugen in den ersten Praktika Angst und Unsicherheit. Für dieses
Stadium ist es sehr wichtig, Erfolg in der Begegnung mit Menschen zu haben
und ein Gefühl von Wirksamkeit zu bekommen, um die Spannung der Ver-
unsicherung in der Schwebe halten zu können. Engagement und eine positive
Erwartungshaltung gegenüber dem ersten Praktikum können Erfahrungswissen
kompensieren und führen bei PatientInnen zu positiven Effekten. Überforderung
und schnelle Ermüdung in dieser Phase, in der viel Unbekanntes verarbeitet wer-
den muss, sind auch eine reale Herausforderung. Die StudentInnen verwenden
viel Energie darauf, die »richtige« Pflege zu praktizieren und die gezeigten und
erlernten Methoden anzuwenden. Vorzeigen und Nachahmung sind in dieser
Phase eine wichtiger Lernfaktor. StudentInnen suchen sich im Praktikum erfah-
rene Pflegepersonen, denen sie über die Schulter blicken können und die auch
als Rollenmodell zur Verfügung stehen. Sie versuchen, die Komplexität der Auf-
gaben zu reduzieren und verstärkt auf Techniken zurückzugreifen.
Wissen wird aus den unterschiedlichsten Quellen wie Schulwissen, Büchern,
Datenbanken, AusbildnerInnen, PraktikumsanleiterInnen, KollegInnen, Patien-
tInnen, eigenen persönlichen Erfahrungen, kulturellem Einfluss generiert und
hat Einfluss auf die Entscheidungen, die die AnfängerInnen in der Pflege treffen.
Diese Zeit wird von den StudentInnen als überwältigend erlebt, und sie fühlen
sich wie einer Strömung ausgeliefert.
Nachahmung wird als bevorzugtes Lerninstrument gewählt. Sie möchten wie
die von ihnen bewunderten LehrerInnen, KollegInnen sein und diesen nachei-
fern, mit der Gefahr, sich unrealistische Ziele zu setzen, die wiederum zu Angst
führen. Ein wichtiger Entwicklungsschritt zeigt sich in der Unterscheidung, ob
die StudentInnen die Pflege im Sinne eines Rollenspiels nachahmen oder ob
sie sich mit den LehrerInnen identifizieren und somit eine Verinnerlichung des
Gesehenen erzeugen können. Später löst sich diese Internalisierung auf, indem
die Studierenden ein Gefühl von Konkurrenz, aber auch die ProfessorInnen ein
Gefühl des Verlustes von Kompetenz zulassen können und mit dieser Haltung
den StudentInnen vermitteln, dass sie von diesen überflügelt werden und diese
den Pflegeberuf weiterentwickeln werden. ProfessorInnen sind in dieser Phase,
in der es um Grundlagenwissen geht, oft sehr pragmatisch orientiert, können
die StudentInnen hier kurzfristig hemmen, bilden aber für später einen guten
Referenzrahmen für eine Kreativität, die es ermöglicht, die Grundlagen zu de-
konstruieren.

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In der Pflege gibt es noch wenig Tradition, aus der Masse herauszutreten, ein
eigenständiges Werk in der Wissenschaft zu etablieren und damit als Identifika-
tionsfigur zur Verfügung zu stehen, was es für die StudentInnen erschwert, sich
Vorbilder abseits der aktuellen Begegnungen und Lehrkontakte zu suchen.
Die Grundlage zur Verbesserung der fachlichen Kompetenz wird durch Neu-
gier und Offenheit für Erlebnisse, durch das Interesse an Wissen und die Bereit-
schaft sich dem Lernen zu verpflichten gewonnen. Als Entwicklungshemmung
kann sich der Wunsch nach Vereinfachung zeigen; in dieser Phase ist der Wunsch
nach Regeln und Anleitungen, die Wiederholbarkeit versprechen, sehr groß. Ent-
wicklung zeigt sich auch in der Bereitschaft, die Komplexität der professionellen
Arbeit anzuerkennen und damit immer mehr auch die Spannung eines Nichtwis-
sens halten zu können. Diese Spannung befeuert aber auch die Neugier und damit
das berufliche Wachstum. StudentInnen, die sich in einer Entwicklung befinden,
sind in ihrer Bewältigung von Aufgaben aktiver, suchender und explorativer. Stu-
dierende, die ihr inneres Chaos und ihre Ängste bewältigen möchten, suchen
Sicherheit über Struktur und Wiederholbarkeit und setzen sich der Gefahr einer
Stagnation aus.
PraktikumsanleiterInnen und Vorgesetzte haben eine wichtige Aufgabe in
der Vermittlung von Ermutigung und Kritik. StudentInnen sind in dieser Phase
sehr offen für Lob und positive Bewertung ihrer Arbeit, unverdaubare Kritik
kann bei manchen zum Suchen von alternativen Arbeitskonzepten führen oder
sie zum Berufswechsel bewegen. Positive Bewertung in dieser Anfängerphase
wird als elementar betrachtet und über ein gesamtes Arbeitsleben in Erinne-
rung bleiben. Im ersten Ausbildungsjahr werden die Rückmeldungen und das
Öffnen von reflexiven Räumen von LehrerInnen, AusbildnerInnen und Super-
visorInnen am hilfreichsten erlebt. Im zweiten Jahr werden die PatientInnen
als wichtigste Lernerfahrung betrachtet und die AusbildnerInnen rücken an die
zweite Stelle.
Das soziale und kulturelle Umfeld bestimmt den Lerninhalt mit. Renom-
mierte Ausbildungsstellen fühlen sich den Themen der Zeit verpflichtet, derzeit
beherrschen kulturelle Unterschiede, Immigration, Trauma, Kriegsverarbeitung,
Sprachenvielfalt, Zukunft, Gender usw. unsere gesellschaftlichen Herausforde-
rungen.
Peers sind ein wichtiger Regulationsmechanismus in dieser Entwicklungspha-
se. Durch KlassenkameradInnen fühlen sich die meisten sehr verstanden, sie sind
gleichgestellter und können ähnliche Erlebnisse teilen. Meist sind die Rückmel-
dungen von den Peers sehr unterstützend, selten kritisch. Manche Peergruppen-
mitglieder werden sehr bewundert und dienen auch als Identifikationsfiguren.

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3 Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie

Im Austausch mit den KollegInnen kommen sensible Themen zur Sprache, die
sonst mit niemandem geteilt werden.
Die Herkunftsfamilie ist in dieser Phase noch ein wichtiger Unterstützungs-
faktor. Die neu gewonnenen psychologischen Kenntnisse fließen in die Begegnung
mit der Familie ein und ermöglichen ein neues Verstehen im Familienverband.
Durch den selbsterfahrerischen Aspekt von ART I ist der stattfindende persön-
liche Entwicklungsprozess stark verinnerlicht und primär introspektiv. In dieser
Novizenphase kommt es zu einer intensiven Psychologisierung, zur Generierung
von Bedeutung und psychischem Erleben. Es beginnen auch die Phase der Infrage-
stellung der Bilder, die zur Berufswahl führten, und der eigenen Weltsicht sowie
das Stellen von Zukunftsfragen. Diese Fragen bleiben meist unbeantwortet, ihre
Bedeutung liegt im Erschließen eines psychischen Raumes. Viele Erkenntnisse in
dieser Ausbildungsphase werden nicht auf die PatientInnen übertragen, sondern ha-
ben mehr Bedeutung für das Verstehen des eigenen Lebens. Theoretische Konzepte
werden mit eigenen Erfahrungen gefüllt oder sonst verworfen. Die StudentInnen
sind sehr mit sich selbst und dem Neugestalten ihres Erlebens beschäftigt.
Die Suche nach der professionellen Rolle im eigenen Verstehen steht im Vor-
dergrund, Konzepte werden be- und verurteilt, Hilflosigkeit in der Pflege mit
den PatientInnen beherrscht das Feld. Hier ist emotionale Unterstützung für jede
einzelne Studentin und jeden einzelnen Studenten sehr wichtig. Ausbildungsab-
brecherInnen gibt es am ehesten in dieser Phase der Entwicklung. Sich allein und
einsam zu fühlen in der eigenen Rollensuche führt oft zum Beenden der Ausbil-
dung.

»By using a few ideas from theory, students can transform the unmanageable com-
plexity of trying to understand the client’s life into a comprehensible simplicity of
concrete and specific instructions for how to act« (Rønnestad & Skovholt, 2013,
S. 65).

Sicherheit gewinnen die StudentInnen durch das Zurverfügungstellen persön-


licher Rollenmodelle vonseiten der LehrerInnen und Theorien, die sich als
komplexitätsreduzierend erweisen. Gleichzeitig sollte eine Tolerierung der Kom-
plexität in der Betreuung und Pflege von Menschen erfolgen.
Die Einstellung der StudentInnen zur Theorie wurde von Rønnestad und
Skovholt durch ihre Forschungsdaten in vier Stile unterteilt:

»1. Laissez faire refers to an attitude of not valuing theory or not being invested
in any conceptual system. For the few students with this attitude to theory,

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VI Affektreflektive Kompetenzen – Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie …

previously held notions of common sense coexist with a variety of ideas from
theory/research, clients, supervisors, peers, and one’s personal life. Some of
the students in our study claim that experience is the primary knowledge base
(practice-based knowledge). Typically, these students seem not to be highly re-
flective on the epistemological base of their practice, and we may hypothesize
that these students may typically not be strong in tasks that require high cogni-
tive complexity to be completed successfully.
2. The student with the one-dominant ›open‹ attitude to theory, which was the
one most frequently endorsed, has given priority to learning one conceptual
system, but has maintained an openness to other systems.
3. The student with the ›true believer‹ orientation has focused intensively on
learning one method and actively rejects other viewpoints. As was hypothesized
for the laissez-faire therapists, the ›true believer‹ may also not be strong in
tasks requiring high cognitive complexity.
4. The student we described as having the multiple attachment attitude to theory
is typically a serious student with many ideas, but one who gives no priority to
any one system« (Rønnestad &, Skovholt, 2013, S. 68f.).

Die Ausbildungserfahrungen zeigen, dass StudentInnen, die sich sehr locker zu


den Theorien positionieren und die Praxis als einzige Wissensvermittlung aner-
kennen, Gefahr laufen, ein eingeschränktes Entwicklungspotenzial aufzuweisen.
Wer sich ebenso der Gefahr eines Entwicklungsstillstandes aussetzen kann, zeigt
sich an den Studierenden, die sich als »true believer« herausstellen. Die sich of-
fen zeigenden StudentInnen, mit einer gewissen Skepsis gepaart, und Studierende
mit vielen Ideen und Beziehungserfahrungen zeigen gute Entwicklungsmöglich-
keiten (Rønnestad & Skovholt, 2013).
Die Sinnhaftigkeit der Krankenpflegrolle wird aus der eigenen Wirksamkeit
erlebt und hängt von der Zufriedenheit und Entwicklung der PatientInnen ab.
Die Arbeitszufriedenheit wird an die Zufriedenheit der PatientInnen gekoppelt.
Chronische Erkrankungen oder schwierige Persönlichkeitsstörungen werden da-
gegen als sehr belastend und demotivierend erlebt. Gewalterfahrungen vonseiten
der PatientInnen führen in dieser Phase häufig zum Beenden der Ausbildung.
Feedback und ressourcenorientierte Rückmeldungen sind in dieser Entwicklungs-
phase sehr wichtig und vermitteln den StudentInnen Sicherheit.
Die Entwicklungsaufgabe in dieser Phase ist dann erfüllt, wenn die Stu-
dentInnen die festgelegten Kriterien für konzeptuelles Wissen erreicht haben;
wenn sie prozessuale Kompetenzen erfüllt und mit den emotionalen Herausfor-
derungen einen bewältigbaren Umgang gefunden haben. Sie können dynamische

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3 Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie

Entscheidungen zwischen Offenheit und Abgrenzung treffen und dies bewusst


handhaben.

3.2 Advanced student phase

Diese Phase wenden wir als Erklärungsmodell für das zweite und dritte Ausbil-
dungsjahr an, in denen ART II und ART III zur Anwendung und zur Praxis-
begleitung kommen. Hier werden fünf Entwicklungsschritte definiert, die die
StudentInnen zu bewältigen haben:
➢ die in ART II vermittelten Theorien zu verstehen bzw. sich für die Gestal-
tung eines eigenen Menschenbildes zu interessieren
➢ prozedurale Kompetenz zu beherrschen, das heißt ausreichendes Können
von Fertigkeiten, und diese auch zeigen zu können
➢ stärkere Offenheit, um Informationen und Theorien auf einer Metaebene
betrachten zu können
➢ sich von unrealistischen Bildern bezüglich Pflege und Beratung verabschie-
den zu können
➢ Bewältigung der eigenen Verwirrtheit und Unsicherheit bezüglich der kom-
plexer werdenden Materie, wie sie sich in ART II darstellt

Für die beiden ersten Schritte ist das ausreichende Vorhandensein von Wissen
und Kompetenzen notwendig, auch ein Erkennen von Nichtwissen und die Be-
reitschaft, sich entsprechend weiterzubilden. Dieses Erkennen von notwendigem
Wissen bedeutet auch, die Notwendigkeit der Relevanz von Wissen zu erken-
nen und sich dieses spezifische Wissen anzueignen. Die StudentInnen zeigen
einen großen Eifer in ihrem Handeln, haben aber auch oft Angst, selbstständig
tätig zu werden, holen sich gerne eine Rückversicherung ihres Tuns durch Vorge-
setzte, LehrerInnen und PraktikumsanleiterInnen. Viele Studierende haben den
Wunsch, nicht nur alles »richtig« zu machen, sondern es auch besonders perfekt
zu erledigen. Die Spannungen in der Person nehmen zu, da das Vorhaben, alles
korrekt zu machen, zu einer Starre führen kann und sie dabei vorsichtig, ange-
spannt und wenig kreativ agiert. Es haben noch wenig »verspielte« Momente
und wenig Humor in der Begegnung mit PatientInnen Platz und die StudentIn-
nen fühlen sich in dieser Phase sehr überwacht. Es ist eine Verunsicherung zu
spüren, gepaart mit einem Prozess zur Entwicklung von Gelassenheit und der Er-
kenntnis, einen langen Weg vor sich zu haben. Die meisten fühlen sich in dieser
Ausbildungsphase noch nicht sehr kompetent. Rückmeldungen von außen haben

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VI Affektreflektive Kompetenzen – Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie …

eine große Bedeutung in der eigenen Einschätzung, welche Kompetenzen not-


wendig sind, um eine authentische Berufsrolle zu erlangen.

4 Einflüsse auf die Entwicklung der StudentInnen

Das ART-II-Projekt ist in dieser Entwicklungsphase für die StudentInnen eine


große Herausforderung. Sie haben erst begonnen, eine fragile, starre Erfahrungs-
welt für sich aufzubauen, Regeln zu kennen und zu befolgen, werden nun durch
die Beobachtungsaufgabe in ihren Arbeitsrollenvorstellungen wieder dekonstru-
iert und müssen neuerlich die Spannung der Unsicherheit in sich verdauen und
halten.
In dieser Entwicklungsphase werden als Referenzrahmen des Handelns Erfah-
rungen mit PraktikerInnen, das Qualifikationsniveau von anderen StudentInnen
und das Erleben von AnfängerInnen im Berufsfeld herangezogen. In diesem Zu-
sammenspiel werden Erfahrungen über sich und andere durch Rückmeldungen
gewonnen und evaluiert und somit das Verhalten darauf ausgerichtet. Durch posi-
tive Rückmeldungen wird Sicherheit im Tun und Handeln gewonnen. Methoden
und Techniken, die scheinbar funktionieren, werden durch positive Rückmel-
dungen verstärkt.
Später tritt das Lernen am Modell in den Hintergrund und die StudentInnen
können verstärkt Theorien infrage stellen. Sie haben ein differenzierteres Erfas-
sen von Situationen und damit ein präziseres Anwenden von Methoden gelernt.
Sie müssen nicht mehr alles glauben, was sie von erfahrenen KollegInnen gesagt
bekommen, haben vielmehr eigene Referenzpunkte an Erfahrungen gesammelt
und können sich somit unterschiedlich zu Arbeitsempfehlungen positionieren.
Sie lösen auch Angst in den erfahrenen KollegInnen aus und es wird ihnen nicht
mehr so bereitwillig etwas gezeigt. Der Wunsch, eine Interaktion mit einer Pati-
entin oder einem Patienten zu beobachten, wird nicht mehr so gerne erfüllt, sie
werden verstärkt in die Szene im Sinne eines gemeinsamen Arbeitens involviert
und somit auch für das Ergebnis verantwortlich gemacht. Die StudentInnen kön-
nen die Leistungen von KollegInnen jetzt kritischer bewerten. Sie haben klare
Vorstellungen von »falscher« und »richtiger« Pflege bzw. Beratung und be-
werten anderes Vorgehen als nicht zeitgemäß. Ihr Selbstbild ist noch fragil und
beruht auf einer Idealisierung von »perfekten« Kompetenzen.
Das ART II stellt nun verstärkt die Persönlichkeit der StudentInnen in den
Mittelpunkt des Handelns mit den PatientInnen. Die Studierenden erleben sich
selbst als den Quell des Lernens und der Bedeutung für die Entwicklung zu einer

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4 Einflüsse auf die Entwicklung der StudentInnen

professionellen Haltung und Könnerschaft. Je stärker die eigenen Charakterzü-


ge, Verletzungen, Prägungen in den Fokus des Handelns gestellt werden, desto
mehr gehen Vorbilder und der Wunsch nach einer Nachahmung verloren. Sich
einzubringen in die Begegnung mit den PatientInnen bedeutet auch die Dekon-
struktion des Lernunterrichts an sich. Die Individualität der Pflegeperson und
der PatientInnen gewinnt an Kontur. Es kommt eine Spannung von Unsicherheit
und Sicherheit zwischen die Unaustauschbarkeit des Erlebens und Verhaltens in
der Interaktion, aber auch eine Einsamkeit tritt in Erscheinung – schlussendlich
nur allein die Entscheidung im »Now Moment« zu treffen. Einige StudentIn-
nen gönnen sich in dieser Ausbildungsphase Selbsterfahrungssitzungen – der
Wunsch, mehr über sich zu erfahren, wird stärker.
ART III gewinnt großen Einfluss auf das Verhalten der StudentInnen, es
erfolgt ein Übergang von der Verunsicherung, die durch die Dekonstruktion
hervorgerufen wurde, in eine aus sich selbst heraus wachsende Sicherheit der
persönlichen Entwicklung. Die StudentInnen treten in Teams selbstsicherer auf,
können verstärkt ihren Standpunkt als Verstehensgewinn über die PatientInnen
einbringen.
Manche StudentInnen können diesen Entwicklungsschritt nicht mitgehen
und bleiben an klare technische Anweisungen gebunden. Das Psychische entfal-
tet sich für sie nicht als Welt des Verstehens und der Reflexion, sie bleiben in der
konstruktivistischen Welt und »glauben« nur das, was sie sehen. Es fällt ihnen
schwer, den PatientInnen und KollegInnen psychisch differenzierte Beweggrün-
de zuzuschreiben. Sie reagieren mit Angst in der Gruppe bei ART II und ART III
und betrachten ein Mentalisieren über Szenen als erfundene Zuschreibung: Es
kann ja alles ganz anders sein und nur das gesprochene Wort in seiner Inhaltsbe-
deutung ist relevant. Es fällt ihnen auch schwer, der Gruppenleitung zuzubilligen,
dass sie fehlbar und in ihrer Einschätzung von Situationen subjektiv ist. Diese
Enttäuschung über Vorgesetzte bei gleichzeitiger Respektierung der kompeten-
ten Haltung dieser erfahrenen PraktikerInnen erzeugt eine Spannung, die nicht
alle StudentInnen im ART-Projekt bewältigen können.
Die StudentInnen erleben eine Instabilität in ihrem Empfinden und schwan-
ken zwischen Gefühlen von Sicherheit durch ihre Sachkenntnis und einem Gefühl
von Versagen und Inkompetenz. Sie beziehen auch ihre AusbildnerInnen in dieses
Schwanken ein und pendeln zwischen »positively toned dependency to disap-
pointment and anger, a shift that can be quite uncomfortable to both parties«
(Loganbill et al., 1982, S. 18).
Die meisten StudentInnen bringen sich verstärkt mit ihren Gefühlen in der
Kleingruppe ein und überprüfen die Reaktionen der Gruppenleitung auf Au-

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VI Affektreflektive Kompetenzen – Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie …

thentizität und Lebbarkeit des von ihr vermittelten Menschenbildes. Viele fühlen
sich in dieser Ausbildungsphase Neuem gegenüber sehr offen, aber in Hinblick
auf Kritik auch sehr verletzlich. Für die Gruppenleitung stellt es eine Gratwan-
derung dar zwischen dem Wunsch der StudentInnen, dass sie ihnen gegenüber
offen, zugleich aber auch verletzlich sind und intensiv auf Kritik reagieren.
Sie werden aber gegenüber den Äußerungen von PatientInnen immer un-
abhängiger und können nun andere Bewertungen des Verstehens anlegen. Die
Vorstellungen über Enactments und deren Aussagekraft treten nun verstärkt in
den Fokus der StudentInnen. Die Reaktionen der PatientInnen sind noch ein
wichtiger Faktor für ihr Selbstverständnis und ihre daraus abgeleitete Entwick-
lung.
Peers haben in dieser Ausbildungsphase noch eine große Bedeutung, gemein-
sames Arbeiten verleiht ein großes Gefühl an Sicherheit und auch, verstanden zu
werden. Es wird noch immer sehr viel an Erlebtem bzw. gewonnenem »Materi-
al« mit den Peers geteilt und den Vorgesetzten vorenthalten. Sie beginnen aber
nun auch, sich um AnfängerInnen zu kümmern und empfinden dies für die eige-
ne Arbeit als sehr bereichernd.
Die Literatur wird von den in den Praktika erlebten Problemen bestimmt,
und der Wunsch nach schnellen Lösungen für von der Nosologie bestimmte
Denkvorstellungen ist vorhanden. Die StudentInnen möchten gerne Regeln für
Schizophrenie, Depression, Borderline usw. haben und damit ihre Verunsiche-
rung in Grenzen halten. Andererseits werden auch die Reaktionen des gesunden
Menschenverstandes hinterfragt, das Bauchgefühl als elementares Instrumenta-
rium für empathisches Reagieren wird infrage gestellt. Die Komplexität eines
professionellen, empathischen Handelns bedeutet nun doch, einen Unterschied
zu einem sympathischen, freundschaftlichen Reagieren auf die Bedürfnisse der
PatientInnen zu erkennen, Vorstellungen von Fachlichkeit bekommen immer
mehr Einfluss auf die Entscheidungswelt der StudentInnen. Es werden Phra-
sen aus der Pflegeplanung, wie »ein entlastendes« Gespräch führen oder »eine
Schulter zum Ausweinen« anzubieten, infrage gestellt. Sie beginnen über ihre
berufliche Rolle ein klareres Bild zu bekommen. Ihre früheren Formulierungen
über Motive des Einstiegs in die Ausbildung erscheinen ihnen oberflächlich,
Konzepte vom Helfen bzw. Helfenwollen werden nun differenzierter. Sie stellen
sich Fragen wie: Gibt es noch mehr als diese Konzepte vom Helfen und wenn
ja, was könnte das sein? Sie werden immer neugieriger, reagieren aber auch ver-
unsicherter auf die psychischen Phänomene, die sie umgeben. Die Komplexität
der psychischen Dynamiken, die das Leben beeinflussen, wird den StudentIn-
nen immer deutlicher, und Hilfe zu geben wird als nicht mehr so einfach erlebt,

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4 Einflüsse auf die Entwicklung der StudentInnen

wie sie es zu Beginn gedacht hätten. Gespräche zu führen, die mehr als empathi-
sches Zuhören verlangen, wie zum Beispiel über Suizidfantasien, Suchtprobleme,
psychotische Erlebnisse, Panikattacken usw., verursacht schnell eine Verunsiche-
rung. Sie balancieren in dieser Phase sehr fragil dazwischen, die PatientInnen zu
»halten«, zu containen und nicht von den eigenen Ängsten überflutet zu wer-
den.
Die StudentInnen versuchen, die Komplexität zu meistern und die Berufsrol-
le angesichts des Fachwissens überschaubar zu halten. Sie sind aber auch noch tief
in den Dynamiken der Ausbildungseinrichtung involviert, viele Entwicklungs-
themen werden an den Lehrpersonen abgearbeitet. Diese werden vonseiten der
StudentInnen bewundert oder abgelehnt und erhalten mehr Zuschreibungen als
realistische Einschätzungen von ihrem Können. Auch Fragen, wie zum Beispiel,
wo die StudentInnen in Zukunft arbeiten möchten oder welches Arbeitsfeld nun
spannend ist, tauchen auf. Durch die Dekonstruktion ihrer Vorstellungen über
ihren Beruf sind sie oft auch enttäuscht, verunsichert, können aber dieses Offen-
sein für das Suchen von neuen Wegen verwenden und darin auch experimenteller
handeln.
Die PatientInnen werden nun auch individueller erlebt, Techniken werden
nicht mehr als Absolutum verstanden und rücken in den Hintergrund. Die Lö-
sungssuche wird stärker auf die Individualität der PatientInnen ausgerichtet. Es
gibt wiederum von manchen Studierenden auch das Festhalten an klaren kli-
nischen diagnostischen Leitlinien, um Angstminderung über klar strukturierte
Aufgaben zu erreichen. Die Studierenden pendeln noch stark zwischen dem Fin-
den von individuellen Lösungen für die PatientInnen und der strukturierten
Anwendung von Manualen, die die PatientInnen wieder in den Hintergrund
rücken lassen. Die Vorstellung, allen helfen zu können, ist noch sehr stark, chroni-
sche Erkrankungen werden als sehr belastend empfunden, Hilflosigkeit gegenüber
sterbenden PatientInnen wird als traumatisierend erlebt.
Aufgaben werden mit großem Ernst erledigt, die Studierenden sind wenig
verspielt und erleben sich noch wenig authentisch in ihrem Auftreten. Vorstellun-
gen davon, alles richtig zu machen und perfekt zu sein, stehen im Vordergrund.
Die StudentInnen erleben einen Prozess, in der Begegnung mit PatientInnen
stärker involviert zu sein, und dass sie nun als Person Bedeutung erlangen und
nicht die Technik, die sie anwenden. Diese Erfahrung stärkt ihr Selbstbewusst-
sein und lässt sie auch die Erfahrung, nicht helfen zu können, besser aushalten.
Die StudentInnen lagern ihre Gefühle von Hilflosigkeit nicht mehr so stark in
andere Berufsgruppen aus und verweisen die PatientInnen nicht mehr so oft zum
Beispiel in psychotherapeutische bzw. ärztliche Hände. Mit ihrer Haltung tragen

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sie nun verstärkt zur Gesamtatmosphäre im Arbeitsfeld bei. Sie beginnen, Hilfe
für das Team auszustrahlen und diese beim Containen der gesamten Gruppe zur
Verfügung zu stellen.
Die StudentInnen bekommen ein klareres Bild davon, was wichtig und was
unwichtig ist, und können damit besser mit ihren Ressourcen haushalten. Sie
erlauben sich auch, sich nicht alles merken zu müssen, sich verstärkt auf ihr im-
plizites Wissen zu verlassen.
Die Bedeutung des Lobens vonseiten der Vorgesetzten weicht nun eher dem
Wunsch nach Anerkennung und kollegialem, gleichberechtigtem Austausch. Die
Schwankungen zwischen Sich-kompetent-Fühlen und dem Gefühl der eigenen
Inkompetenz sind noch sehr groß, der Vergleich mit den Peers zur Regulierung
der eigenen Befindlichkeit und als Referenzpunkt ist noch stark vorhanden.
Es beginnt ein langer, über Jahre andauernder Prozess, in dem die StudentIn-
nen immer stärker implizite Gefühle über ihre Bedeutung und Wirksamkeit in
der Begegnung mit den PatientInnen erleben und somit nicht mehr so abhängig
von äußeren Rückmeldungen sind. Sie gewinnen in ihrem Erleben eine Freiheit
von Selbstwirksamkeit und Entscheidungskompetenz. Die StudentInnen erleben
nun, dass sie Kontrolle aufgeben können und dadurch eine Minderung ihrer
Ängste erleben und nicht umgekehrt.
Für unsere StudentInnen beginnt nun die nächste Entwicklungsphase, in der
sie sich verstärkt mit der Berufsrolle und ihrer Arbeitswelt zu identifizieren be-
ginnen, sich aus der Abhängigkeit des Ausbildungsinstituts und von Peers lösen
und auch einer Ernüchterung standhalten, die sich in den ersten Berufsjahren
breitmacht. Sie beginnen, einen Weg zu beschreiten, der die eigene persönliche
Definition der Arbeitsrolle umfasst.
Rønnestad und Skovholt beschreiben drei Merkmale, mit denen sie profes-
sionelle PraktikerInnen definieren:

»1. That the person has acquired highly differentiated and scientifically based
conceptual frameworks that are necessary in order to understand what causes
human suffering and concerns.
2. That the person has an integrated competence in using themselves as instru-
ments, which also includes the application of a wide range of established
therapeutic procedures for helping another person.
3. That the person has sufficient background knowledge in the natural, social,
and humanistic sciences that is necessary for flexible and ethical assistance to
be provided; assistance that is contextualized and adapted to the needs of the
individual client« (Rønnestad & Skovholt, 2013, S. 47f.).

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5 Evaluierung

Die Beschreibungen des Anfängerstadiums und der fortgeschrittenen Studen-


tInnen (advanced students) beschreiben sehr gut unsere Erfahrungen mit den
Studierenden und decken sich mit den Entwicklungsschritten, die wir auch ge-
macht haben.

5 Evaluierung

5.1 Evaluation der Praxisorte

Die Evaluierung der Praxisorte liegt in der Hand der Leitung des Ausbildungsin-
stituts. An den meisten Praktikumsstellen gibt es eine Praktikumsanleiterin oder
einen Praktikumsanleiter, die oder der sich für die Einschulung, Begleitung und
Beurteilung verantwortlich fühlt. Meistens wird bei der Beurteilung der Studen-
tInnen noch die Leitung der Praktikumsstelle gefragt oder es obliegt dieser, die
Beurteilung durchzuführen. Die Leitung von ART II und III tritt primär nicht mit
den Praktikumsstellen in Kontakt, nur bei dringenden Fragen kommt es zu einem
Telefonat. Anfragen und Sorgen seitens der Praktikumsstelle werden von einer Per-
son übernommen, die im Projekt keine gruppeleitendende Funktion ausübt.

5.2 Evaluation der Lehre

Unsere Evaluierung der Lehre beruht auf den vier Bausteinen (1) Selbstevalua-
tion, (2) »konvivale« Erhebungsinstrumente, (3) dialoggesteuerte Evaluation,
constructivist evaluation und (4) mentalisierungsfördernde intersubjektive Eva-
luierung.
Qualitätssicherung spiegelt sich in einer Form von verzahnter Erkenntnis zwi-
schen Evaluation und daraus gewonnenen Fakten wider, die zu einer Entwicklung
der Lehre führen und sich somit gegenseitig beeinflussen. Wir bevorzugen ein
integratives Modell der Selbstevaluation, die auf den Erkenntnissen der Fourth
Generation Evaluation aufbaut und abgesichert ist durch die Regeln des Joint
Committee on Standards for Educational Evaluation (Guba, Lincoln, 1989; Yar-
brough et al., 2011; Riegler, 2012; Fachhochschule Nordwestschweiz, o. J.).
Die dialoggesteuerte Evaluation beruht auf der konstruktivistischen Erkennt-
nistheorie und geht davon aus, dass Erkenntnis auf der individuellen Deutung
eines und einer jeden Einzelnen beruht. Jede Deutung ist damit sehr individu-
ell und subjektiv bestimmt und kann nicht in den Kategorien »richtig« und

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VI Affektreflektive Kompetenzen – Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie …

»falsch« verstanden werden. Um eine »dialogische Evaluation« anwenden zu


können, muss eine mentalisierende Grundhaltung bestehen, die die Subjektivität
eines Gegenübers als Erkenntnis voraussetzt (Beywl et al., 2004; Bateman & Fo-
nagy, 2015a; Fonagy et al., 2004).

5.2 Selbstevaluation

Die Selbstevaluation ermöglicht nicht nur eine Kontrolle, sondern ein zeitgemä-
ßes Reagieren auf lernrelevante Themen sowie eine flexible Reaktion und damit
eine rasche Umsetzung. Somit handelt es sich hierbei nicht um eine aufgepfropf-
te Verordnung von außen, sondern um eine im Prozess verortete Entwicklung.
Durch diese Verwobenheit wird Evaluation nicht als Kontrolle oder ein von außen
kommendes Instrument betrachtet, sondern ist ein Teil der Lehre, der sich immer
wieder im Entwicklungsprozess jedes und jeder Einzelnen, der Gruppe und der
Universität rückkoppelt (Hattie, 2009; Stephenson, 2014). Durch Selbstevaluati-
on können Lehrende und Lernende sich einem gemeinsamen Erkenntnisprozess
unterziehen, der erst im Dialog Erkenntnisse fordert bzw. fördert. Dies kann nun
für beide Parteien eine Veränderung in der Begegnung im Hier und Jetzt und in der
Zukunft bedeuten und somit die Lehr- und Lernqualität fördern (Beywl, 2012).
Eine professionelle Selbstevaluation sollte sinnvolle Daten produzieren, die ei-
nen neuerlichen Prozess der Entwicklung anstoßen, die dann wiederum zeitgemäß
evaluiert werden. Somit ergibt sich ein erfolgreiches Instrument der Qualitätssi-
cherung. Die Studierenden und Lehrenden sind nicht nur Teil dieses Prozesses,
sondern sie steuern ihn auch und sind somit verantwortlich für die Qualität
der Daten bzw. Erkenntnisse, die sie dadurch gewinnen. Alle Beteiligten kön-
nen sofort den Nutzen dieser Evaluationsmethode erkennen, was einen wichtigen
Motivationsfaktor für die Durchführung bedeutet. Die Grundlagen für diese
Form der Evaluation werden durch die Evaluationskultur der Ausbildungsleitung
gelegt, die den Nährboden für eine innere Haltung aller Beteiligten aufbereitet
(Merkator & Welger, 2013). Für Beywl ist die Selbstevaluation ein Instrument,
das alle Beteiligten in die Verantwortlichkeit führt. Es sollte immer im Kontext
der Lehre bzw. der Projektveranstaltung gesehen und durchgeführt werden. Beywl
spricht bei diesen Verfahren auch von einer »konvivalen Evaluation« (Beywl et
al., 2011). Die konvivale Evaluation ist nicht nur kosten- und ressourcenschonend,
sondern sie beinhaltet durch ihre Form von »work in progress« eine sofortige
Evaluierung und damit eine Flexibilität, die sonst in keiner Methode vorhanden
ist. Die SprecherInnen können ihre Gedanken sofort durch auftretende innere

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5 Evaluierung

Impulse dem Prozess der Community anpassen und diesen somit kreativ voran-
treiben. Diese Methode der Selbstevaluation führt durch die Involviertheit aller
Beteiligten zu einer Lernsteigerung (Beywl, 2012; Stephenson, 2014).

5.3 Dialoggesteuerte Evaluation –


Mentalisierungsbasierte Evaluation (MBE)

Die Bedeutung der Methode der Mentalisierungsbasierten Evaluation (MBE)


liegt darin, dass alle Beteiligten und Evaluierenden als »Erkenntnisinstrumente«
dienen. Dies setzt voraus, dass sich alle Beteiligten einbringen und zu diesem
Prozess beitragen. Als Grundhaltung wird eine mentalisierende Entwicklungshal-
tung vorausgesetzt, das heißt, dass alle am Prozess Beteiligten sich als Menschen
mit eigenen Gedanken und Empfindungen wahrnehmen können. Diese inne-
re Haltung soll zu einer toleranten Einstellung gegenüber anderen führen. Die
Fähigkeit zur Mentalisierung entwickelt sich in Abhängigkeit von Bindungs-
und Beziehungserfahrungen, die sich in einer dialogischen Beziehung entfalten
(Steinberger et al., 2013). Die Gruppe soll die Fähigkeit der Kritikäußerung ler-
nen, aber auch bei Gehemmtheit gefördert werden. Durch dieses Lernen am
Modell der emotionalen Beteiligtheit sieht der oder die im dialogischen Prozess
Verwickelte die bewussten und unbewussten Reaktionen des Gegenübers und er-
möglicht ihm nun selbst, seine Äußerungen in einen emotionalen Kontext zu
seiner eigenen Person zu stellen. Dieser immense Lernaspekt ermöglicht den Stu-
dentInnen, nun für sich selbst die Lernerfahrung zu machen, wie sie einen Raum
für Kritik bzw. Reflexion bei ihren zukünftigen SchülerInnen aufmachen können,
sodass diese wiederum lernen, keinen »shitstorm« in der Anonymität des Inter-
nets loszulassen, da Kritik nur in einem dialogischen Feld zu einer befriedigenden
Veränderung führt. Somit steht am Ende nicht nur die inhaltliche Komponente
dieser dialogisch-mentalisierenden Evaluation, sondern auch die Erkenntnis der
eigenen Affektregulation. Die StudentInnen lernen über die Reflexion bzw. Eva-
luierung dieses Evaluierungsprozesses, wie sie in ihren zukünftigen Arbeitsfeldern
solche affektregulierenden Räume aufmachen und lenken können. In diese Form
der Evaluierung gehen unterschiedliche Erkenntnisprozesse ein, die sich zwischen
explizitem und implizitem Wissen entfalten.
Ein nicht unerheblicher Faktor ist der Kostenfaktor. Diese Form der Eva-
luation ist im Lehr- und Lernbetrieb eingebettet und wird von Lehrenden und
Studierenden in wechselseitigen Rollen durchgeführt. Evaluation bedeutet auch,
die Gruppenleitung zu lehren – also eine wechselseitige Rollenveränderung. Die

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VI Affektreflektive Kompetenzen – Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie …

dialogische mentalisierende Evaluation kann bei einzelnen kleinen ART-II-Grup-


pen bis hin zu großen Institutionsgruppen eingesetzt werden.
Am Ende des Prozesses können explizite Inhalte verschriftlicht werden und damit
in Form vorhandener Daten als Bezugspunkte dienen, auf die man sich in weiterer
Folge beziehen kann. Implizite Erkenntnisse können durch sprachliche Symbolisie-
rung auf die explizite Ebene gebracht und dadurch ebenfalls als bewusste Erkenntnis
verankert werden. Wir betrachten aber die implizite Entwicklung der Studierenden
bzw. Lehrpersonen in dieser Form des Affektregulationslernens als bedeutungsvoller.
Dieser Evaluationsprozess unterliegt einer Entwicklung. Wir gehen davon aus,
dass sich zum Beispiel zu Beginn des Studiums viele GruppenteilnehmerInnen mit
einer passiven Rolle beteiligen möchten. Die Moderationsfunktion sollten Leh-
rende übernehmen bzw. später dann höhersemestrige Studierende, denen diese
Form der dialogisch-mentalisierenden Evaluation vertraut ist. Es kann auch eine
konfrontative Funktion eines Staff-Mitglieds gegenüber dem Staff-Mitglied mit
Moderationsfunktion eingenommen werden. Hier geht es darum, den Studieren-
den ein Modell des Dialogs und die damit verbundenen emotionalen Erlebnisse
bzw. die Reaktion auf inneres affektives Erleben der DialogpartnerInnen oder
eben auch KontrahentInnen anzubieten.
Die Aufgabe liegt auch im Erkennen des Interesses der GruppenteilnehmerIn-
nen am Austausch. Die moderierende Person sollte auch die Fähigkeit haben,
sich selbst in dem Moment zu mentalisieren bzw. dadurch zu evaluieren, und
zum Beispiel einen impliziten Gruppeninhalt explizit zu machen – also zum Bei-
spiel erkennen, dass die Gruppe nur Evaluierungsgruppe »spielt« und so tut, als
würden die TeilnehmerInnen den Inhalt erörtern. Diese Fähigkeit der mentalisie-
renden Haltung wird von der Gruppenleitung erwartet. Das wiederum bedeutet,
dass der Gruppenleitung und den Studierenden Fortbildung in der dialogisch-
mentalisierenden Evaluation angeboten werden muss.
Diese Form der Evaluation ist als Gesamtprozess im Ausbildungsbetrieb inte-
griert und kann somit eine Haltung von mentalisierendem Denken fördern bzw.
fordern. Wir setzen diesen Prozess derzeit am Ende von ART II ein und entwi-
ckeln ihn ständig weiter.

5.4 Durchführung der dialogisch-mentalisierungsfördernden


Evaluation (DME)

Diese Form der Selbstevaluation wird in unterschiedlichsten Rahmen wie Open


Space, Diskussionsrunde, Workshop etc. in absehbarer Zukunft angeboten. Die

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5 Evaluierung

Handhabung dieser Evaluationsprozesse kann unterschiedlich erfolgen. Aus-


schlaggebend sind die Rahmengestaltung und die Anstoßung dieses Prozesses.
Die Initiative eines Evaluationsforums kann von den Studierenden bzw. von
den Lehrenden ausgehen. Wenn sich eine aktuelle Fragestellung für einen der im
Lehrbetrieb Beteiligten abzeichnet, kann er dieses Instrumentarium in Anspruch
nehmen. Derzeit findet dies in den ART-Gruppen statt.
Die GruppenleiterInnen achten darauf, dass mindestens am Ende eines
Ausbildungsjahres für eine ART-Veranstaltung dieses dialogisch-mentalisieren-
de Evaluationsforum durchgeführt wird. Dazu wenden sich zum Beispiel auch
die StudentInnen an die Gruppenleitung und übertragen ihr die Aufgabe zur
Installierung einer DME-Sitzung. In der Verantwortung der Gruppenleitung
steht wiederum, die Moderation selbst durchzuführen oder hierfür mithilfe der
Gruppe eine Person zu wählen. Am Ende des Einzelgruppenprozesses steht ein
Bericht/Protokoll, der/das an die Ausbildungsleitung geschickt werden kann.
Die DME ermöglicht, nicht nur bei der Wahl der Zusammenkunft zeitlich
flexibel, sondern auch flexibel in der Frage der Zeitverankerung zu sein. Es kön-
nen somit Fragen aus der Vergangenheit reflektiv bzw. bewertend gestellt werden
(summativ). Es kann sich um die Reflexion eines Istzustandes in der Gruppe
handeln, der einer Zwischenevaluation unterzogen wird (formativ). Die Frage-
stellung kann aber auch auf Zukünftiges gerichtet sein, um ein Planungsstadium
zu unterstützen (prospektiv) (Merkator & Welger, 2013).
Für die Zukunft ist eine weitere Etablierung dieser Evaluierungsmethode
angedacht. Die DME kann dann sehr flexibel auf Anlässe reagieren und be-
darfsgerecht eingerichtet werden. Je nach Anforderung kann die Gruppengröße
variieren. Der Ort und die Zeit können bedarfsorientiert ausgerichtet werden.
Die Gruppenleitung kann nach Themenschwerpunkt ausgewählt werden. Der
Ablauf der Gruppe und die verwendeten didaktischen Methoden (Beamer, Flip-
chart, Kärtchen, Impulsvortrag, Rollenspiel, Aufstellung, Skulptur usw.) können
selbstständig von der Gruppe bzw. deren InitiatorInnen gestaltet werden.
Der Prozess der DME sollte dokumentiert werden, um in der Ausbildungs-
struktur als Evaluierungsmaterial eingebunden zu werden.
Je ungeübter eine Gruppe mit dieser Methode ist, desto mehr Verantwortung
liegt bei der Person, die die Gruppe moderiert. Diese wählt eine stärkere Struktur
aus und fordert die GruppenteilnehmerInnen explizit zur Äußerung von Kritik
und Anregungen auf. Ob nonverbale Faktoren als didaktische Maßnahme ange-
wendet werden, hängt von der Gruppenleitung bzw. von der Gruppe ab. Je besser
die Gruppe in einem reflektierenden bzw. mentalisierenden Modus ist, desto we-
niger innere didaktische Struktur wird benötigt. Hier liegt der Fokus der Leitung

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VI Affektreflektive Kompetenzen – Entwicklungslinien in der Ausbildung von Empathie …

auf dem Einhalten der Zeitstruktur und in der Einbindung jedes Gruppenmit-
glieds. Wenn direkt an einer oder einem Lehrenden Kritik geübt wird, so ist
seitens der Gruppenleitung hohes mentalisierendes Geschick nötig, die inhalt-
lichen Themen vom impliziten Thema zu trennen bzw. wieder zu integrieren.
Hat die Gruppe zum Beispiel als Thema vom letzten Projekt das Phänomen Ent-
wertung/Gewalt vonseiten einer Patientin mitgebracht, so kommt es abseits der
inhaltlichen Thematik zu einer realen Neuinszenierung der Entwertung an der
Leitung, um ihre emotionale Reaktion als implizites Wissen zu verankern. Zu-
gleich wird explizites Wissen, das eingefordert wird, auf seine Funktionsfähigkeit
überprüft: Kann die das Projekt leitende Person ihr sprachlich geäußertes Wissen
auch im Erleben authentisch vertreten?

5.6 Zusammenfassung

Wir verwenden zur Evaluierung der Lehre die Selbstevaluation in Form der
dialogisch-mentalsisierungsfördernden Evaluation (DME) und haben aktuell be-
gonnen, in den Gruppen ART III anzuwenden. In Zukunft sollte die DME für
die Überprüfung der Lehre größeres Gewicht erlangen und kontinuierlich in das
Ausbildungsinstitut integriert werden. Die StudentInnen helfen uns in einem
gemeinsamen Prozess, unser ART-Projekt weiterzuentwickeln und für die kom-
menden Studierenden noch effektiver zu gestalten.
Kompetenzentwicklung, Persönlichkeitsentwicklung und Evaluierung stehen
in einem gemeinsamen Gefüge, entwickeln sich in einem kontinuierlichen Pro-
zess und sollten den StudentInnen auch vermitteln, dass sich Veränderung in jeder
Lebens- und Arbeitsphase abspielt.

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VII ART II – Beobachtung,
Didaktik und Mentalisierung

»Der Mensch wird am Du zum Ich.«


Martin Buber

1 Affektreflektives Leiten von Trainingsgruppen

Mit der Bedeutung der Schnittstelle für die Lehre von psychischen Phänomenen
wie Empathie und dem Verstehen von nicht sichtbaren Phänomenen gleichzeitig
mit den Mitteln, die gelehrt bzw. vermittelt werden sollen, kämpfen viele Ausbil-
dungen. Die seelischen Mechanismen wirken in einer Permanenz der Begegnung
und sollen doch vermittelt werden, indem sie nur durch sich selbst vermittelt
werden. Die Betrachtung von psychischer Dynamik kann nur aus der Psycho-
dynamik, die im Moment der Betrachtung vorherrscht, erfolgen. Indem ich sie
sichtbar mache, verändere ich die Dynamik, die sich in einem permanenten dy-
namischen Prozess befindet.
Die klassische Ausbildungsvorstellung der Vermittlung der Psychoanaly-
se/Psychotherapie zum Beispiel beruht auf der Trennung von Selbsterfahrung,
Technik und Supervision, wie sie durch das Eitingon-Modell bereits in den 1920er
Jahren installiert wurde. Dieses Konstrukt entspricht nicht den realen Bedingun-
gen einer Begegnung, da die Trennung dieser Teile nur einem Verstehenskonzept
entspringt und sich immer gleichzeitig in der Begegnung entfaltet. Die Sprach-
bedeutung entscheidet über die Formulierung und die Sichtweise der Situation.
Wir sind in jeder Situation psychische Wesen, die Sprache in Form von Tech-
nik brauchen, um etwas sichtbar zu machen und etwas über sich und andere in
Erfahrung zu bringen, was sich in Form von Selbst(-erfahrung) und anderen (Su-
pervision) entfaltet.
Wenn sich die Bedeutung der Trennung als Leitgedanke durchsetzt, so über-
wiegt der Gedanke der Technik in der Begegnung und legt den Fokus auf eine
naturwissenschaftliche Sicht der Vermittlung. Wenn sich die Wertigkeit auf das
psychische Dasein verlagert, fehlt die Referenz der Beschreibung der psychischen
Phänomene und damit eine Trennung bzw. die Einnahme einer Metaposition

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

zum emotionalen Erleben. Benennung bzw. eine Vorstellung von Technik friert
die zu erdenkenden Phänomene für einen Moment ein, und diese werden be-
trachtbar bzw. er-denkbar gemacht. All diese Erlebnisse von Denkmöglichkeiten
erfolgen immer eingebettet im Fluss des dynamischen, von Gefühlen und Affek-
ten begleiteten, unsichtbaren psychischen Erlebens.
Ausbildungen unterliegen immer der Gefahr, StudentInnen in ihrer Konfor-
mität im Sinne der Institution zu unterstützen und sie in eine infantile Position
zu manövrieren (Kernberg, 1996, 1998, 2014, 2016, 2017; Scharff & Scharff,
2000, 2014, 2017). Wenn sich der Fokus auf den Punkt der Selbsterfahrung ver-
lagert, ergibt sich verstärkt eine Atmosphäre der Regression, die sich wiederum in
einer Pendelbewegung zur kognitiven metapsychologischen Ebene ausgleichen
lässt. Die Flexibilität dieser Pendelbewegung zeichnet eine dynamisch arbeitende
Lerngruppe aus, der es gelingt, beide Komponenten des affektiven Lernens zu
nutzen.
Die Trennung von Selbsterfahrung bzw. Supervision im Sinne von formali-
sierter Technikbegegnung mit den PatientInnen eröffnet eine Lücke, in der sich
in jeder Begegnung zwischen Menschen ein Lern- bzw. Selbsterfahrungsfeld er-
öffnet und sich die eigene Involviertheit dadurch auch erst entfaltet. Wer nun
lehrend und lernend ist, verwischt in dieser Bedeutung und der Austausch wird
als gemeinsames Erlebnis erfahren.
»In short, affects are the engine of self and object organization, in the brain,
in the individual mind, in relationships, and in groups« (Scharff & Scharff,
2017, S. 1621). Erfahrung generieren über das eigene Selbst als Selbsterfahrung
oder Erfahrung sammeln mit bzw. durch das eigene Selbst sind der Motor zum
Aufbau einer inneren Struktur. Wir sind es, die das Handwerkszeug für die Be-
gegnung darstellen. Mitchell stellt die Frage, wie viele Selbst wir wohl haben. Er
dekonstruiert unsere Vorstellung von einem stabilen Selbst (Mitchell, 1988). Jede
Begegnung konstruiert ein eigenes Selbst, das sich als Vorstellung nur im Mo-
mentum eröffnet.
ART II umfasst ein mehrkanaliges Entwicklungssystem für die Studen-
tInnen, das auf einer Form von »Beobachtung« beruht, bei dem es um
die Schulung von Empathie im Sinne einer Entwicklung einer inneren men-
talisierenden, intersubjektiven, relationalen Haltung geht. Diese kognitive,
emotionale, interpersonelle, relationale und mentalisierende Wissensvermitt-
lung nutzt damit ein vielschichtiges System, in dem Beobachtungen diskutiert
und emotional weiterentwickelt werden. Es braucht kognitives Wissen bzw.
Theorien, um einen Referenzrahmen für Vorstellungen um und über etwas zu
haben:

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1 Affektreflektives Leiten von Trainingsgruppen

»›If you don’t have a good theory of the interaction process, you are at the mercy
of it‹, says Peter Fonagy. ›This doesn’t mean you need the ›right‹ theory, but you
need to have a firm and a good theory to hold on to. Otherwise the interpersonal
encounter with the patient is so powerful that it simply washes you away.‹« (Boyn-
ton, 2002).

Die pädagogische Vermittlung erfolgt mittels affektiver Gruppen-Lernerfahrun-


gen, die auf der Reflexion von Prozessen in der Gruppe ein Kontinuum von Er-
fahrungslernen bieten. Durch die Verbindung von Kognition und Affekt kommt
es zu neuen Lernerfahrungen, die sich emotional tiefer verankern und damit zu
neuen Erfahrungen führen.
Erfahrungen konstituieren sich durch Affekte, diese bilden eine motivationa-
le Struktur und damit den Motor zur Ausbildung einer Organisation des Selbst
bzw. des Ichs auf der Ebene des mentalen Apparates neurologischer Abläufe in
Beziehungen und in Gruppen. Beziehungserfahrungen bilden die Grundlage un-
serer inneren Struktur und beeinflussen die Funktionsweise unserer Psyche als
Organisatorin unserer Beziehungen (Scharff & Scharff, 2014, 2000).
Dieses Sammeln von Erfahrungen durch das Eingebettetsein in Beziehungen,
geleitet durch Affekte, wird zu einem gemeinsamen Strang von Verstehen verwo-
ben. Lernprozesse des Verstehens generieren Erfahrungen und unterliegen damit
ebenfalls wieder einer reflektierenden Ebene. Wie lernen wir und was erleben wir
beim Lernen?
Lernen entwickelt sich in einem intellektuellen Klima, in dem die affektiven
Resonanzen mit den kognitiven Theorien in Verbindung stehen. Konzepte wer-
den dadurch gelebt und über das eigene Erleben verstanden. Die StudentInnen
müssen die Möglichkeit haben, beschriebene Phänomen selbst an sich wahrzu-
nehmen und sie durch eine abstrahierende Theorie in eine Verallgemeinerung zu
überführen.
Durch diese Form der Wissensvermittlung rücken verstärkt unbewusste Be-
dürfnisse der TeilnehmerInnen in den Fokus des Verstehens. Lernen erfolgt primär
über einen identifikatorischen Prozess, der sich auf die Gruppenleitung und auf
andere TeilnehmerInnen in der Gruppe der Studierenden richtet. Diese sich auf
der impliziten Ebene entwickelnden Gefühle werden durch spontane Äußerun-
gen in einen Raum von Verstehen gebracht. Durch Assoziationen können die
StudentInnen erleben, wie sie am Prozess der Gruppe mitwirken und ihn dadurch
auch beeinflussen.
Die GruppenleiterInnen haben alle Gruppenerfahrung und gruppendyna-
mische Kenntnisse und sind PsychoanalytikerInnen bzw. PsychotherapeutInnen.

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

Eine Reflexionsgruppe mit den GruppenleiterInnen ermöglicht diesen, ihre Er-


fahrungen mit den StudentInnen zu teilen und zu diskutieren. Die Arbeit der
LeiterInnen bleibt nicht im Verborgenen und die GruppenleiterInnen lernen
ebenso wie die StudentInnen an den Erfahrungen durch die Gruppe.
Die Kompetenz der StudentInnen zeigt sich an der Fähigkeit, sich in der
Kleingruppe auf den affektiven Prozess einzulassen und Verstehensprozesse zu
fördern.

Abbildung 8: ART II – Gruppengröße Großgruppe 30 bis 50 Personen,


vier bis sechs Kleingruppen mit fünf bis acht TeilnehmerInnen.

2 Gruppenphänomene

Der Weg dieses Modells ermöglicht es, dem Studium von psychischen Phänome-
nen und dem Erleben als permanentem Austausch sowie einer Pädagogik eines
affektiven Lernraums und damit vielen Ausbildungskritiken gerecht zu werden
(Kernberg, 1996, 1998; Kahl-Popp, 2007).
Die Gruppe bietet einen öffentlichen Lern- und Erfahrungsraum, in dem af-
fektive Komponenten gemeinsam erforscht werden können und der auch einem
gegenseitigen Regulieren unterliegt. Die Gruppe als Öffentlichkeit schützt die
TeilnehmerInnen vor Gefühlen von Missbrauch, die sich durch Verheimlichung
zeigen (Steinberger, 2016). In der Gruppe werden unterschiedliche Perspekti-
ven entworfen und damit differente Wertvorstellungen aufgezeigt, um in einer

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2 Gruppenphänomene

Offenheit zu einer Gruppenwertvorstellung bzw. moralischen Haltung zu gelan-


gen.

»Andererseits betont […] [eine reflexive Gruppe] die Entwicklung von Intersub-
jektivität in den Teilnehmern durch Teilnahme an einer solchen […] Gruppe, die
den Fokus eben genau darauf legt. Möglicherweise ist dies sogar der eigentliche
Wirkfaktor […], denn es geht letztendlich um die Entwicklung der Mentalisierungs-
fähigkeit, die nur intersubjektiv im Rahmen einer Bindungsbeziehung erworben
werden kann. […] Erst eine ausreichend sichere Bindungsbeziehung oder, auf die
therapeutische Gruppe angewandt, ein ausreichendes Klima der Bezogenheit [con-
nectedness] erlauben Begegnungsmomente, die einen Prozess der Selbstreflexion
und das Erleben von Selbstwirksamkeit als zu perpetuierende Co-Kreation eröff-
nen« (Felsberger, 2014, S. 5f.).

Im Konzept von ART wird die Gruppe als affektiver Nährboden für das Lernen
von Empathie bzw. deren Schärfung verwendet. Die Gefühle, die in der Gruppe
von den TeilnehmerInnen erlebt werden, bilden die Basis für das kognitive Verste-
hen des dargebrachten Materials bzw. der geschilderten Szenen. Die kognitiven
Inhalte, die von der Gruppenleitung und den Gruppenmitgliedern eingebracht
werden, bilden sich als sekundäres Verstehen heraus und richten sich immer nach
den affektiven Inhalten. Dabei beteiligen sich die meisten Gruppenmitglieder
mit einem affektiv aufgeladenen Inhalt wieder am kognitiven Material.
Die Gruppe ist ein sehr wichtiger, konstituierender Faktor zur Aufrechterhal-
tung von institutioneller Zusammenarbeit. In der Gruppe bildet sich im Kleinen
oft ab, wie sich eine große Institution nach außen strukturiert. Die Gruppe spie-
gelt den kleineren Kosmos eines großen institutionellen Geschehens wider und
bildet damit die Grundlage für psychodynamisches Verstehen von Gruppenphä-
nomenen (Stadler & Kern, 2010; Yalom, 2016).

»Only learning from the group experience allows radical institution wide ques-
tioning to ensure each individual’s personally selective internalization of the object
relations way of working and analytic sensibility to group dynamics so essential for
building a healthy institution« (Scharff & Scharff, 2017, S. 1619).

Die durch Affekte gestalteten Selbst-Objektbeziehungen stellen die Grundlagen


für die psychische Struktur dar, die sich auf der unbewussten Ebene durch Phä-
nomene wie projektive Identifikation zum Ausdruck bringt, und bilden damit
die Vorlage unbewusster Kommunikation unter den GruppenteilnehmerInnen.

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

Diese unbewusste Kommunikation der TeilnehmerInnen spiegelt in den Sub-


Gruppen die affektiv aufgeladenen Themen wider. Die Angst vor dem Lernen
psychischer Verstehenskonzepte in Bezug auf die eigenen unbewussten Gefüh-
le wird von der Gruppe zum Beispiel durch »Widerstand« bzw. Enactment
zum Ausdruck gebracht. Die Prozesse in der Gruppe erwecken die Themen der
PatientInnen bzw. der Konzepte zum Leben und werden somit erlebbar. Das
Gruppenthema ins bewusste Gespräch zu heben, ist effektiver im Erkennen von
Konzepten als die intellektuelle Auseinandersetzung damit.
Die Gruppe bietet einen sicheren Raum für alle TeilnehmerInnen, sich mit
den oft belastenden Gefühlen zu konfrontieren und diese im Sinne des Verste-
hens zu äußern und als bedeutungsvoll zu erleben. Sie ist Resonanzboden für
die impliziten Gefühlswelten, die sich durch das dargebrachte Material entfalten,
und generiert als Gruppe wieder eine eigene Sicht bzw. explizite Einflussnah-
me auf die vorgelesene Beobachtung. Die StudentInnen erleben hierdurch ein
Aufgehobensein in einer Peergruppe und fühlen sich mit ihren Emotionen und
Wahrnehmungen nicht einsam. Die für die Affekte bzw. erlebten Gefühle ver-
wendeten Begriffe werden in der Gruppe zum Leben erweckt bzw. jede und jeder
Teilnehmende wandelt die Erkenntnis in eine tiefe persönliche Lernerfahrung
um. Das kognitiv präsentierte Material bzw. die diskutierten Theorien werden
nicht nur intellektuell verstanden, sondern auch auf einer emotionaleren, tieferen
Ebene des Selbst verankert.
Die Bereitschaft, in diesem Kontext eine Lernerfahrung zu verankern, hängt
von der Fähigkeit der Gruppe ab, Affekte zu containen und damit eine Span-
nung zum Lernen zu halten, aber sich nicht von den Affekten wie Angst, Wut,
Scham usw. überfluten zu lassen. Kognitives Lernen bewegt sich in einem Raum
der Aufrechterhaltung von Spannung, die in Neugier mündet, und des Schutzes
davor, von überbordenden Affekten, in einen »Fluchtmodus« getrieben zu wer-
den.
Die Peergruppe ermöglicht es, sich gegenseitig Worte zu schenken, um die
eigenen Gefühle zu formulieren und damit wahrnehmen zu können. Es entsteht
ein Gefühl von Freiheit, seinen Affekten nicht mehr so stark ausgeliefert zu sein,
seine Emotionen formulieren zu können: Sie in Worte zu abstrahieren ermög-
licht Entscheidungsgewalt über sich zu gewinnen. Es reduziert auch die Scham
mit seinen Gefühlen allein zu sein und hilft, sie am Ende eines Lernprozesses
vielmehr als Geschenk zu erleben. Denn mit meinen erlebten Gefühlen kann ich
mich und den anderen verstehen und auch bewusster erleben.
Diese Form der Lernerfahrung, von der Gruppe gehalten zu werden, ermög-
licht es den StudentInnen, eine Fähigkeit zu entwickeln, sich den PatientInnen

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2 Gruppenphänomene

gegenüber authentischer zu erleben und damit auch empathischer und verste-


hender zu reagieren. Die Studierenden können nun mehr Sicherheit für sich
generieren, indem sie die von PatientInnen an sie herangetragenen Affekte als
nicht mehr als angstauslösend im Sinne von Unaushaltbarkeit erleben. Am Ende
der Lernerfahrung durch die Gruppe steht eine Sicherheit an klinischen Fertigkei-
ten, wie man sich authentisch auf die Begegnungen mit PatientInnen einstimmt,
sodass die StudentInnen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit gewinnen. Sie erle-
ben, durch die Möglichkeit ihrer Haltung, ihrer Fähigkeit von Containment auf
die Situation mit den PatientInnen durch die Veränderung der erlebten Affekti-
vität Einfluss zu nehmen.
In der Gruppe verliert die Trennung zwischen den Modalitäten von Lernen
und Lehren an Bedeutung, sie werden als gemeinsamer Prozess der Entwicklung
betrachtet. Wissen entwickelt sich als Wachstumsprozess aller Beteiligten. Die
Gruppenleitung verändert sich in einem permanenten Austauschprozess mit der
Gruppe in ihrem eigenen Erleben. Lernen und Wachstum sind in dieser Form eine
Haltung von einem gemeinsam kreierten Prozess der Erfahrungen, tief in einem
Kontinuum verankert. Ob es sich um einen Prozess von Selbsterfahrung han-
delt, sich Neugier von einzelnen GruppenteilnehmerInnen gegenüber eigenem
neurotischem Verhalten oder Leiden entfaltet, obliegt der Gruppe – abhängig
davon, welcher Fokus und damit, welche Deutung und Rückschlüsse auf das Hier
und Jetzt gelegt werden. Die Gruppenleitung bestimmt mithilfe der Gruppe die
Konstruktion der Bedeutung gegenüber dem Erlebten und kreiert somit die ge-
meinsame Realität – ob es eine Reaktion der Gruppe, des Einzelnen, dessen Sorge
oder eine Reaktion der PatientInnen darstellt. Das Psychische entfaltet sich in
jeder Begegnung, wir bestimmen gemeinsam die Bedeutung. Freud (1915a) kon-
struierte für dieses Dilemma zum Beispiel den Begriff der Übertragungsliebe.
Die kognitiv unterlegten Strukturen werden von psychodynamischen Vor-
stellungen geleitet, die sich wiederum aus den relationalen, intersubjektiven und
Mentalisierungskonzepten und aus aktuellen Forschungsergebnissen der Säug-
lings- und Kleinkindbeobachtung speisen.
Die Kleingruppe bildet den Eckpfeiler des Erfahrungslernens. Die Gruppen-
teilnehmerInnen haben auch die Aufgabe, den Gruppenprozess zu beobachten
und ihn reflektierend in den Prozess der Gruppe wieder zurückzuführen. Sie sol-
len einen flexiblen Denkprozess zwischen Involviert-Sein und Reflexion in der
Gruppe durchlaufen und diese Erfahrungen wiederum auf einer Metaebene be-
trachten und somit Rückschlüsse auf den Gruppenverlauf treffen können.
Jede einzelne Person in der Gruppe hat die Aufgabe, in der Kleingruppe ihre
Gefühle zum dargebrachten Material zur Diskussion zu stellen, anderen dadurch

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

zu ermöglichen, davon berührt zu werden und wiederum durch ihre Äußerungen


den Verstehensprozess mit zu gestalten, dadurch sich selbst gewahr zu werden
und eine Vorstellung von Bedeutung und Selbstwirksamkeit in der Gruppe zu
entwickeln.
Die Lern- und Erfahrungsgruppe ist in einen größeren Kontext eines Ausbil-
dungsinstituts eingebettet. Durch diese enge Beziehung fließen auch die Erfah-
rungen von Lehrinhalten und affektiver Beteiligtheit in das Gruppengeschehen
ein. Sie wird sehr stark durch die Atmosphäre der Ausbildungsinstitution und
auf einer kleineren Ebene von der Haltung der Jahrgangsleiterin der Ausbildungs-
gruppen, die nicht in ART II und III involviert ist, beinflusst. Die Haltung der
Leitung und die Haltung der Lehrgangsleiterin haben großen Einfluss auf die
Gruppe und bestimmen damit, inwieweit die StudentInnen bereit sind, sich auf
diese Form des Lernens einzulassen. In unserem Ausbildungsinstitut stellt diese
Unterrichtsform einen kybernetischen Prozess dar, der dem Lernen innewohnt
und entscheidend zur zukünftigen Gestaltung der Ausbildungsrichtung beiträgt.
Zu Beginn von ART II wird mit dem gesamten Ausbildungslehrgang ge-
arbeitet. In der großen Gruppe von 30 bis 40 StudentInnen werden in einem
vierstündigen Zeitrahmen die Konzepte von Konstruktion, Dekonstruktion,
Beobachtungssituationen, relationaler Perspektive, Intersubjektivität und Men-
talisieren gestreift. Diese Konzepte werden später in der Kleingruppe von fünf bis
acht StudentInnen vertieft. Sie begleiten die GruppenteilnehmerInnen bis zum
Ende ihrer Ausbildung und sollen den Studierenden eine Sprache für die Formu-
lierung von psychischen Phänomenen anbieten.
Beim Vortrag in der Großgruppe reagieren die StudentInnen sehr oft mit
einer regen Diskussion über die für sie neuen Denkzugänge, die sich mehr der
Geisteswissenschaft annähern und dadurch einen Modus Operandi von Ausle-
gung aufweisen, sich aber sehr stark von den naturwissenschaftlich geprägten
medizinischen Fächern entfernen. Bereits diese erste Dekonstruktion in der
Großgruppe kann Verunsicherungen auslösen, aber auch Gefühle von Freiheit
im Sinne der Öffnung für neue Denkräume. Die StudentInnen werden bereits
in der Großgruppe dazu motiviert, sich mit Gedanken, Fragen und ihren Ge-
fühlen an dem Vortrag zu beteiligen. Sie lernen in dieser Sequenz auch, den
Mut zu haben, die Vortragende zu unterbrechen und einen gemeinsamen Pro-
zess zu gestalten. Dieser Prozess kann auch verstärkt von Angst begleitet werden,
die sich möglicherweise in von konkretistischen Überlegungen geleiteten Kom-
mentaren äußert. StudentInnen erleben sehr oft Gefühle von Scham, speziell in
der Vorstellung »durchschaut« bzw. »analysiert« zu werden. In dieser offenen
Begegnungsdynamik wird auch Frustration gegenüber dem Lernen, der Instituti-

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3 Beobachtung

on usw. offenbar. Lernerfahrungen aus einer schulischen Vergangenheit, die als


traumatisierend erlebt wurden, greifen nun in einer offenen Dynamik Raum.
»Allowing the direct expression of negative feelings toward faculty frees the mind
for learning from and with faculty« (Scharff & Scharff, 2017, S. 98).
In der Großgruppe gewinnen die StudentInnen durch die Verwobenheit mit
der Vortragenden eine Vorstellung von der gemeinsamen Konstruktion bzw. De-
konstruktion von Wirklichkeit. Die Moderation fordert die Gruppe durch das
Vermitteln von unterschiedlichen Zugängen zum Verstehen seelischer Phänome-
ne auf und dazu, sich vor der Identifikation mit einer »richtigen« Meinung zu
schützen. Theorien unterschiedlicher Verstehenskonzepte ermöglichen erst, Re-
ferenzpunkte zu entwickeln, und damit die Vorzüge und Schwächen des jeweiligen
Ansatzes zu offenbaren. Durch diese Denkformen verlieren die StudentInnen das
schambesetzte Gefühl, sich bei ihren Äußerungen mit den Kategorien »falsch«
und »richtig« beschäftigen zu müssen. Sie werden mutiger darin, ihre Gedanken
reflektiv zur Diskussion zu stellen.
Am Ende dieser Großgruppensequenz erhalten die StudentInnen einige ver-
schriftlichte Handlungsanweisungen für die Rahmenbedingungen der Protokolle
und eine Zeitstruktur für die Beobachtungssequenzen in den jeweiligen Praktika,
die sie absolvieren werden. Die genauere Aufarbeitung und Fragen zu den Hand-
lungsanweisungen werden in die Kleingruppen verlegt.

3 Beobachtung

Die primäre Aufgabe der Beobachtung besteht darin, den StudentInnen eine
Möglichkeit zu bieten bzw. sie darin zu fördern, ihre innere Welt zu erweitern,
um diese dadurch reicher und vielfältiger erleben zu können.
Diese neu gewonnenen inneren Welten eröffnen den Studierenden ein größe-
res Repertoire des Verständnisses von Intersubjektivität bzw. Relationalität, mit
dem sie diesbezügliche Erkenntnisprozesse weiter entwickeln können. Außerdem
lernen sie, mit der Kränkung umzugehen, dass es keine objektive Beobachtung der
Realität gibt und somit auch keine objektive Wahrheit. Vor diesem Hintergrund
gibt es keine »richtige« Beobachtung und die StudentInnen sollen gefördert
werden, an ihren Beobachtungen Interesse zu entwickeln und somit zu einem
Verständnis der Intentionen anderer zu gelangen.
Die Gruppenleitung führt die StudentInnen in einem prozesshaften Gesche-
hen in ihre gemeinsame innere Wahrnehmungswelt und lässt sie wiederum ein
subjektives Verständnis der Realität konstruieren – als gemeinsame Ko-Konstruk-

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

tion. Diese Ko-Konstruktion bezieht sich sowohl auf die innere Welt als auch auf
die äußere Welt der StudentInnen. Die Dichotomisierung der Welt ist nur ein
Konstrukt, das in der Begegnung etabliert wird. Empathie bzw. das Verstehen des
Gegenübers entwickelt sich nicht in der Suche nach einer »wahren« (naturwis-
senschaftlich begründeten) Objektivitätskriterien genügenden Realität, sondern
das Erkennen erfolgt über die Aufnahme von affektiven Reizen, von denen wir
uns berühren lassen und über deren mentale Konstruktion wir Verständnis ent-
wickeln (Hoffman, 1998). Dadurch, dass ich zunächst im Ungewissen über die
Bedeutung der in mir ausgelösten Szene bin, beginnt sich eine Möglichkeit und
Fähigkeit zum Aushalten einer Beobachtung in mir zu manifestieren. Ungewiss-
heit ist an den Affekt Angst gekoppelt und lässt uns in inneres Enactment gleiten,
was nun zu einer äußeren Handlung führen könnte (Mitchell, 2005, S. 287). Wie
weit kann ich mich einer Mikroszene stellen und diese halten, das heißt, meine
inneren Gefühle be-halten? Wie viel Enactment brauche ich, um die Beobach-
tung er-tragen zu können?
Erst durch die Fähigkeit meiner Beobachtung, eine Subjektivität beschreiben
zu können, gewähre ich den PatientInnen einen Raum von Autonomie und so-
mit eine Freiheit bzw. einen Frei-Raum, in dem Entwicklung stattfinden kann.
Die Gruppenleitung vermittelt über die eigene Subjektivitätsvorstellung, dass
ihre Interpretation des Materials und ihre dazu geäußerten Gefühle keiner im
wissenschaftlichen Sinne verstandenen Wiederholbarkeit entsprechen, sondern
im Sinne der Gadamer’schen Vorstellung von »Vor-Urteilen« getragen sind, die
wir aus unserer »Tradition« heraus erdenken. Dieses stellt den Referenzpunkt
unserer Interpretationen dar und befindet sich immer im Fluss der Veränderung
(Gadamer, 2010; Orange et al., 2001).
Die Kompetenz der StudentInnen entwickelt sich als innere Vorstellung von
der Gleichberechtigung ihrer Beobachtung mit derjenigen der Gruppenleitung
und deren Autorität. Diese innere Veränderung ist wiederum der rückführende
Nährboden für die Entwicklung der PatientInnen. Die Gruppenleitung hat ver-
schiedene Modelle bzw. einen theoretischen Bezugsrahmen zur Interpretation
ihrer Affekte und damit wiederum eine Rückschlussmöglichkeit zum Verstehen
der Implizität der PatientInnen. Die StudentInnen sollen auch lernen, dass es
verschiedene Bezugsrahmen zum Verstehen des psychischen Erlebens gibt; es
handelt sich dabei um Metaphern, wie zum Beispiel die medizinische, psychoana-
lytische (intersubjektiv, relational), systemische usw. Nosologie. Die Entwicklung
beginnt für den Menschen im Verstehen von subjektiven Zuschreibungen unse-
rer inneren Wahrnehmungswelt. Je mehr Metaphern ich für das Verstehen zur
Verfügung habe, desto mehr Raum an Verstehen kann ich mir eröffnen. Nicht

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3 Beobachtung

alles ist beliebig bzw. kann zum Verstehen unseres Selbst herangezogen werden.
Dieser Überprüfung unterziehen wir unsere kognitiven, von der Logik beherrsch-
ten Denkmuster und erkennen in einem mehrschichtigen Zusammenspiel, ob
eine Theorie für uns passt oder ob wir sie ablehnen. Hieraus kann wiederum ein
Common Sense entstehen, der wiederum kulturabhängig bzw. paradigmatisch
gebunden ist.
Die StudentInnen sollen lernen, über Theorien, die ihnen angeboten werden,
einen inneren Referenzpunkt des Verstehens zu bilden. Erst über Strukturen des
inneren Verstehens können wir unseren impliziten Reichtum aus der Tiefe des
Erlebens schöpfen. Erfahrene KlinikerInnen können ihre Theorien verändern,
auflösen und wiederum neu zusammensetzen und somit etwas Eigenes kreieren
und damit die Subjektivität des Verstehens der Implizität des Menschen nutzen.
Die Gruppenleitung lehrt die StudentInnen, dass ihre Beobachtungen Ein-
fluss auf ihr Material haben. Es gibt kein Nichtbeinflussen einer Situation. Beob-
achtung verändert diese, und speziell die Intention der StudentInnen verändert
die Beobachtung. Hierbei ist immer die Gruppe involviert, die mit beobachtet
bzw. das Material der Beobachtung beeinflusst. Jedes Gespräch über das Protokoll
verändert das Verstehen der beobachteten Szene. Jedes Hinsehen beeinflusst das
Ergebnis im Sinne von Heisenberg (Mitchell, 2005; Kunzke, 2011; Pohlmann,
2013).
Ich gestatte der Szene, in mich einzudringen, eine intime Begegnung in mir
zuzulassen. Durchlässigkeit stellt in der Bedeutung von Empathie die Fähigkeit
dar, eigene Bilder zu generieren, die die Emotionalität des Gegenübers wiederum
spiegeln. Der Blick in mich stellt sich der intersubjektiven Totalität einer zu ge-
staltenden Begegnung bzw. der Konstruktion einer gemeinsamen Realität, in der
wir uns verstanden fühlen (Mitchell, 2005).
Bei ART II geht es nicht darum, die Studierenden zu lehren, was eine »rich-
tige« Beobachtung bzw. Interpretation ist, sondern zu vermitteln, wie über die
Erweiterung des eigenen inneren Erlebens eine Vorstellung über das Geschehen
in der Beobachtung entwickelt werden kann. Die Leitungskompetenz liegt nicht
in einer hochkomplizierten Vermittlung von Theorien, um die PatientInnen zu
verstehen, sondern manifestiert sich darin, den Studierenden die Möglichkeit
zu eröffnen, über das eigene Verstehen einen Raum von Subjektivität für das
Interpretieren und die Akzeptanz der eigenen Begrenztheit zu schaffen. Die
Gruppenleitung »biete[t] eine Sicht von Wissen und Autorität […] eines Ex-
perten für gemeinschaftliche und selbstautorisierende Selbstreflexion an, für die
Entwicklung von Konstruktionen, die von Nutzen sind, um das Erleben des Pa-
tienten zu verstehen« (Mitchell, 2005, S. 289f.).

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

Das Leiten bzw. Moderieren der Ausbildungsgruppe erfolgt mittels eines


mehrdimensionalen Vermittlungsaustauschs. Die Gruppenleitung ermuntert im-
mer wieder dazu, über das Geschehen in der Gruppe eine reflektierende bzw.
mentalisierende Position einzunehmen: Warum reagiere ich mit diesen Gefüh-
len auf das vorgebrachte Material? Welche Rückschlüsse auf die Geschichte
lassen die Inhalte dieser Reflexion zu, um damit die beschriebene Situation bes-
ser verstehen zu können? Die StudentInnen lernen gezielt, mit ihren Affekten
zu arbeiten, um die Situation zu interpretieren und auch über den Prozessablauf
nachzudenken. Warum zum Beispiel reagiert die Gruppe mit diesen Affekten
auf das dargebrachte Material und wie lässt sich das wiederum auf die Situati-
on zurückbeziehen? Der Prozess stellt sich im Moment als permanenter Fluss
dar, in dem jedes Nachdenken über eine Reaktion des oder der Einzelnen und
der Gruppe wiederum eine kognitive bzw. affektive Veränderung darstellt. Zu je-
der Reaktion kommt ein anderer Gedanke, der wiederum einen Affekt berühren
kann.
Die Theorie wird primär von der Gruppenleitung eingebracht, die sich aus
Modellen der relationalen Psychoanalyse, Intersubjektivität, Work Discussion,
des Mentalisierungskonzepts, der Säuglingsforschung und der Feldtheorie zusam-
mensetzen kann. Die Gruppenleitung dekonstruiert gleichzeitig die Theorie und
weist darauf hin, dass sie auf ihrem Wissen beruht und dies wiederum relativ ist.
Wir brauchen Theorien, um dem Nichtsprachlichen eine Sprache zu geben und
damit erst einen kognitiven Zugang zu ermöglichen; sonst könnten wir keinen
Austausch darüber finden und würden von den Gefühlen, die die PatientInnen
in uns auslösen, weggeschwemmt werden (Boynton, 2002).
Die StudentInnen sollen auch verstehen, dass Theorien als eine Form von
Metapher zu betrachten sind. Sie sind Verstehensmodelle, um nicht Sichtbares in
Sichtbares zu verwandeln, und stellen keine Wahrheiten dar, sondern können nur
als Unschärfe betrachtet werden, wie es Heisenberg (2011) darstellte. Seelische
Dynamik ist nur durch Metaphern darstellbar, da es sich um Bewegung handelt,
und jede Theorie, die wir als Wahrheit betrachten, uns von der reflektiven Ebene
des Verstehens wegbringt, den Gegenstand zur Erstarrung führt und somit auch
unser Denken. Zusammengefasst bedeutet dies, dass Denkmodelle über das psy-
chische Geschehen keine Wahrheit abbilden können, da sie das, was sie erfassen
möchten, damit aussperren bzw. zerstören.
Wer sich nicht infrage stellen kann, kann nichts infrage stellen und damit
auch keine Frage formulieren, die das konkretistische Denken in eine implizite
relationale Welt überführt. Die Gruppenleitung hat als Identifikationsfigur die
Aufgabe, immer wieder sich selbst bzw. ihre Theorien infrage zu stellen und so-

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3 Beobachtung

mit dazu beizutragen, einen Raum zu eröffnen, in dem sich Kreativität entfalten
kann bzw. in dem sie die Möglichkeit des freien Gedankenspiels und Äußerns
von Gedanken bietet. Ihre Gedanken zu äußern, ohne sie einer Zensur zu unter-
werfen, ist für die StudentInnen nicht möglich. Unsere Schulkultur vermittelt
eine Haltung, die normativ »Falsches« von »Richtigem« unterscheidet. Damit
identifiziert, bedeutet das eine innere Zensur, der mein Gedanke unterliegt – ob
er »gescheit« ist, dazu passt und ich dafür Anerkennung bekomme usw. Hier ist
das Erfahrungslernen von immenser Bedeutung, das damit beginnt, eine Mög-
lichkeit für die StudentInnen zu bieten, sich mit der Leitung zu identifizieren.
Identifikation ist eine emotionale Lernerfahrung, steht vor der kognitiven Ein-
sicht und wird mit den Spiegelneuronen begründet (Geißler, 2012, S. 20).
Die GruppenleiterInnen sind keine hausinternen Personen, sondern werden
über Honorartätigkeit für diese Gruppenleitung bezahlt. Darin lässt sich eine ge-
wisse Distanz zur Ausbildungsinstitution herstellen, was wiederum die Position
der GruppenleiterInnen hinsichtlich der vorherrschenden Institutionsregeln ab-
stinenter macht.
Die Gruppenleitung unterzieht sich selbst dem Prozess der Veränderung und
Entwicklung. Sie lernt ebenso wie die StudentInnen durch Erfahrung. In re-
gelmäßigen Abständen treffen sich die GruppenleiterInnen, um aus ihrer Sicht
die Gruppenarbeit zu reflektieren. Diese Transparenz ermöglicht es auch den
GruppenleiterInnen, sich über eine Situation der Konkurrenz bzw. des Leistungs-
druckes reflektiv bewusst zu werden.
Der Beobachtungsraum eröffnet sich durch das Beobachten einer Patientin
oder eines Patienten bzw. einer Szene. Jede Form des Hinsehens beruht auf Inter-
subjektivität und damit wird der Beobachtungsraum geschaffen und gleichzeitig
beeinflusst. Meine Beobachtung gestaltet und verändert die Szene und bleibt
somit unscharf in Bezug auf Objektivität. Mentalisieren bedeutet nun, dass ich
sehen kann, was meine Mutter in mir gesehen hat bzw. wie sie mich gesehen
hat. Sich einen Raum des Sehens zu öffnen, hängt mit der Fähigkeit des In-sich-
Blickens zusammen. Das intersubjektive Beobachtungsfeld wird aus vielen Erfah-
rungswelten kreiert. Diese Welten beruhen auf der Erfahrung in der Begegnung
mit anderen Bezugspersonen. Meine Mutter sieht mich, also bin ich. Indem ich
gesehen werde, kann ich meine Mutter sehen. Bei autistischen Menschen funk-
tioniert das Sehen – und trotzdem bleiben sie blind, das nicht Sichtbare zu sehen
(Fonagy et al., 2004). Hans-Peter Dürr (2016) spricht davon, dass es keine Mate-
rie gibt, es gibt nur das Dazwischen!
Außerdem spricht er davon, dass wir nur das sehen können und als wirklich
verorten, worauf wir aufmerksam werden. Was wir als Wirklichkeit konstituieren,

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

entsteht durch das Weglassen von Unwichtigem. Allgemeine Aussagen, die wir als
gemeinsame Realität konstruieren, beruhen auf Ungenauigkeit und ermöglichen
somit ein Erstellen von allgemeinen Regeln, wie wir es in der Naturwissenschaft
sehen (Görnitz & Görnitz, 2016). Je genauer wir beobachten, desto schwieriger
wird es für uns, die Wirklichkeit in naturwissenschaftliche Gesetze zu fassen bzw.
die Wiederholbarkeit ihrer Grundstruktur zu generieren.
Die Genauigkeit der Beobachtung führt uns zur Individualität unserer Wahr-
nehmung bzw. zur Einsamkeit durch Unverbundenheit mit den Realitäten an-
derer Menschen. Der Wunsch des Menschen ist, dass die eigene Wahrnehmung
von anderen Menschen verifiziert wird. Die Wahrnehmung der Unverbunden-
heit kann uns destabilisieren und wir reagieren mit Erregung bzw. mit Angst auf
diese Erkenntnis. Wenn wir diese Instabilität des Organismus erdenken, fühlen
wir uns verrückt, zweifeln an unseren Sinnen. Wirklichkeit bzw. Realität besteht
aus Konstruktion und Beeinflussung.

4 Vorbereitung zu einer beobachtenden Haltung

In der Kleingruppe wird nun die Aufgabenstellung für die StudentInnen bespro-
chen. Welche Haltung brauche ich bzw. zu welcher Haltung möchte ich mich
entwickeln, um »sehend« zu werden?
In der ersten Kleingruppensitzung kommen Themen zum Tragen wie zum
Beispiel: Wie werde ich eine gute Beobachterin oder ein guter Beobachter? Mit
welchen Ängsten und Fantasien könnte ich konfrontiert werden? Viele Fantasien
der StudentInnen drehen sich um die Vorstellung, dass ein Notfall passiert – dür-
fen sie nun eingreifen oder »müssen« sie weiter beobachten? Wie komme ich
zu einer »haltenden«, containenden, gleichschwebenden Aufmerksamkeit? Wie
richte ich meinen Fokus weg vom Enactment und dorthin, »alles« zu beobach-
ten und »gleichwertig« zu betrachten?
Die Fragestellung nach der Hilfeleistung bzw. Verweigerung einer solchen
weist sehr stark auf die Bedürfnisse der StudentInnen hin, sich in der konkre-
tistischen Welt zu bewegen und auch dort Antworten zu erhalten. Die Grup-
penleitung kann auf die meisten Fragen keine Handlungsanweisung geben, da
sich damit die Dynamik weg vom Innenleben in eine mögliche nicht verstehba-
re Handlungswelt verlagert. Es wäre eher der Hinweis hilfreich, über den Affekt
nachzudenken, der zu dieser Frage geführt hat, um die psychische Bedeutung dar-
in zu ergründen.
Eine Haltung einzunehmen, in der meine Passivität, mein Enactment, mei-

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4 Vorbereitung zu einer beobachtenden Haltung

ne Affektanflutung unter das Erregungsniveau der Umgebung kommt, ist für


die StudentInnen eine der schwierigsten Aufgaben, die sie bei ART II zu bewäl-
tigen haben. Viele betrachten es nicht als schwierig, zu beobachten, etwas, das
sie ja permanent in ihrem Leben begleitet. Eine »teilnehmende« Beobachtung
erleben sie als Erleichterung der Aufgabe, und sich auf eine ruhige BeobachterIn-
nenposition im Raum zu begeben, fällt den meisten sehr schwer. Dies wird für
die StudentInnen erst im Erproben dieser Rolle sicht- und verstehbar. Viele be-
trachten Handeln als Tätigkeit, die sozial anerkannt ist, und Beobachten als ein
Nicht-Arbeiten. Am Beginn unseres Ausbildungsprojektes reagierten einige Sta-
tionen mit Angstfantasien auf die StudentInnen, sie äußerten Ängste, dass die
PatientInnen auf diese paranoid reagieren könnten. Diese Befürchtung hat sich
seit dem Start des Projektes im Jahre 2010 kein einziges Mal bewahrheitet. Die
Ängste liegen aufseiten der Abteilung und nicht bei den PatientInnen. Eine Sorge
vonseiten der StudentInnen ist, dass sie auf einer Praktikumsstelle seien, in der es
nichts zu beobachten gebe.
Die Schnittstelle liegt oft in der Fragestellung von »Abwehr« gegenüber der
Ausbildungssituation, in der sich nach drei Semestern viele affektiv aufgeladene
Themen angesammelt haben, und in den Ängsten, die sich durch die mögliche
Beobachtungssituation ergeben könnten.
Eine weitere Angst liegt in der Vorstellung, die Beobachtung zu Papier zu
bringen, wobei es nicht um eine »objektive«, Symptome beschreibende Beob-
achtung geht, sondern um eine phänomenologische Beobachtung mit all den
dazu erlebten Gefühlen. In manchen Gruppen wird auch viel über die Frage
»Wie schreibe ich?« gesprochen, um die StudentInnen dazu zu motivieren, Ma-
terial durch sich zu gewinnen.
Eine Haltung für die Beobachtung besteht auch in der Universalität einer
jeden Beobachtung und der damit verbundenen Sicht und dem Verstehen einer
Szene bzw. der Interaktionen, die ich wahrnehme. Es gibt damit keine falsche
bzw. richtige Beobachtung.
Entwicklungsforttschritte zeigen sich an der Veränderung, wie die StudentIn-
nen nun auf die Protokolle regieren, indem sie von konkretistischen Interpreta-
tionen zum Äußern von Gefühlen, Gedanken usw. kommen.
Je stärker ich meine Affekte in die Beschreibung verwebe, desto mehr lösen
sich meine Grenzen zwischen krank und gesund auf. Menschen werden durch die
Beobachtung individueller, aber sie kommen mir näher durch meine Gefühle, die
die Beobachtung auslöst. Da das Verstehen über mich geht, erschließt sich das
Verstehen nur über mich und führt auch zu den Ängsten von Ähnlichkeit des
Erlebens mit den PatientInnen, die ich beobachte.

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

5 Aufgaben der Gruppenleitung

Eine der Aufgaben der Gruppenleitung besteht darin, die paranoide Struktur,
die in Gruppen vorherrscht, speziell in hierarchisch geführten Krankenhäusern,
zu explorieren und somit immer auf ein kollegiales Verhältnis zwischen den
Studierenden untereinander und mit der Gruppenleitung zu achten. Um eine
Authentizität als unumgängliche Voraussetzung für den Arbeitsbeginn zu ge-
währleisten, ist der kollegiale Umgang zwischen den Lehrpersonen bzw. den
GruppenleiterInnen unbedingt einzuhalten und wiederum mit den auftreten-
den Gefühlen von Neid, Überlegenheit, Minderwertigkeit usw. reflektierend
umzugehen. Die Gruppen, die sich aus einer Großgruppe speisen, haben durch
ihre Zusammenkunft in der Klasse die Möglichkeit, zwischen den LeiterInnen
Wertungen bzw. Phänomene von Spaltung zum Ausdruck zu bringen. Die un-
terschiedlichen Anstellungs- bzw. Bezahlungsmotive bergen ebenfalls eine große
Möglichkeit für Reibungspunkte unter den LeiterInnen.
Die Gruppenleitung versucht, für die StudentInnen eine containende Hal-
tung zu generieren und diesen damit eine emotionale Vorstellung zu vermitteln,
wie sich diese anfühlt. Sie bietet der Gruppe einen Raum, in dem Gefühle
thematisiert werden können, ohne dass sie eine Überwältigung durch Scham ver-
ursachen. Die Fragen der Gruppenleitung sollten eine Verknüpfung zwischen
den Affekten der Protokollschreiberin oder des Protokollschreibers, der Gruppe
und der beschriebenen Szene herstellen. Was können wir durch die zwischen uns
erlebten Gefühle über die PatientInnen verstehen? Mit dieser inneren Haltung
von Wohlwollen den geäußerten Gedanken und Gefühlen der StudentInnen
gegenüber und der Individualisierung der erlebten Gefühle werden dichotome
Vorstellungen von »falsch« und »richtig« bedeutungslos. Jedes dargebrachte
Gefühl ist tief individuell und lässt uns trotzdem die Szene bzw. die PatientInnen
verstehen. Diese innere Haltung lässt die StudentInnen auch selbst eine Haltung
von Gewährung sich und anderen gegenüber entwickeln. Es ist eine Hingabe
(surrender), wie es von Emmanuel Ghent (1990) zum ersten Mal beschrieben
wurde.
Die Gruppenleitung fordert die StudentInnen auf, ihre Gefühle, die das Pro-
tokoll beim Vorlesen ausgelöst hat, zu äußern und darüber nachzudenken, was
diese Gefühle ihnen über die Szene berichten könnten. Das Lesen des Protokolls
ermöglicht es, viel stärker am Phänomenologischen der Szene zu bleiben, sich
Absätzen im Schriftstück immer wieder zuzuwenden und damit auch zu erleben,
dass sich meine Gedanken jedes Mal beim Hinsehen auf das Material verändern,
sich weiterentwickeln. Die Gruppenleitung animiert und strukturiert die Grup-

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6 Institution und Implikation

pe, am Material zu bleiben, darüber nachzudenken und die Assoziationen dazu


zu äußern. Sie entscheidet, wohin sich die Gruppe bewegen kann oder soll, sie
strukturiert durch das Einführen von Theorien, die speziell aus dem intersubjek-
tiven Bereich stammen, die expliziten Themen. Die Reaktion der Gruppe in ihrer
Gesamtheit wird von der Gruppenleitung ins Bewusstsein gehoben und wieder-
um auf die mögliche Bedeutung für das vorgelesene Protokoll untersucht.

6 Institution und Implikation

Die Gruppen finden im Rahmen der Ausbildung zur Psychologischen Kranken-


pflege statt und sind in den Räumlichkeiten der Ausbildungsinstitution eingebet-
tet, die wiederum einer übergeordneten institutionellen Einrichtung untersteht.
In unserem Fall handelt es sich um die Einrichtung eines Krankenhauses. Jede
Institution hat eigene strukturelle Gegebenheiten und Erwartungen an die Stu-
dentInnen bzw. an die Ausbildungsinstitution. Kernberg spricht von versteckten,
atypischen »rules and regulations« und verborgenen Themen (Kernberg, 2000,
S. 119). Da unsere StudentInnen die Beobachtungsaufgaben in unterschiedlichen
Institutionen durchführen, kam es zu unterschiedlichsten paranoiden Reaktio-
nen vonseiten der Leitungen in diesen Sozialeinrichtungen. Eines der üblichsten
Argumente, warum es den StudentInnen nicht ermöglicht werden konnte, eine
Beobachtungssituation durchzuführen, lag in der Aussage: »Diese Situation wür-
de die PatientInnen paranoid machen.« Das Paranoide der Institution kam umso
stärker zum Tragen, je abgeschlossener diese war bzw. je »verschworener« sich
das Team darstellte oder wie gespalten das Team von den StudentInnen beschrie-
ben wurde. Bei der abgeschlossenen Variante manövrierte sich das Team immer
wieder in ein Spannungsverhältnis zwischen dem Drang, etwas zu verbergen,
und Angst vor dem Aufdecken. In dieser Spannung herrscht eine Atmosphäre
von Missbrauch vor, die jede einzelne Mitarbeiterin und jeden einzelnen Mitar-
beiter in einem autoritären moralischen Konflikt im Gleichgewicht hält. Dabei
herrscht das Problem der »totalen Institution« (Goffman, 1961, S. 11) dort ver-
stärkt vor, wo keine dritte Perspektive durch PraktikantInnen, StudentInnen usw.
erdacht werden kann. Hier hört man immer wieder das Argument, dass die »Be-
treuungsintimität« gestört werden würde. Das trifft auch zu, bereitet aber einen
Nährboden für Verhältnisse, an deren Ende dann die eigene moralisch vertretene
Behandlungsinstitution bzw. -situation steht, in der die MitarbeiterInnen keinen
Schutz mehr dafür haben, korrektive Maßnahmen im eigenen Handeln umzuset-
zen.

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

Die InitiatorInnen dieses Projektes waren bei der Einführung in der Ausbil-
dungsstätte einem primär passiven Widerstand vonseiten einiger MitarbeiterIn-
nen ausgesetzt, was wiederum die StudentInnen in einen Konflikt brachte, sodass
manche dem Projekt mit Ablehnung, die über eine persönliche Motivation hin-
ausging, gegenüberstanden.
Der spannendere Aspekt liegt in der Schnittstelle, einerseits von diesem
Projekt und dessen Sinnhaftigkeit für die Gesellschaft überzeugt zu sein, und
andererseits den Widerstand in Grenzen zu halten, damit das Projekt vonsei-
ten der Praktikumsstellen nicht »abgedreht« wird und die StudentInnen zu der
Durchführung der Beobachtung motiviert bleiben. Einige Studierende führen
dadurch ihre Beobachtung quasi nebenbei durch und stehen oder sitzen irgend-
wo dabei und protokollieren diese beobachtete Szene dann später. Die Aufgabe,
sich deklariert einer Beobachtung zu stellen, würde zu viele Ängste in der In-
stitution auslösen und somit die Atmosphäre des Missbrauchs, die in diesen
Institutionen vorherrscht, auf die SchülerInnen bzw. das Projekt projizieren. Die
StudentInnen müssen eine Aufgabe eben heimlich durchführen und dann in der
Kleingruppe darüber berichten, was natürlich auch ihren Zusammenhalt einer
adoleszenten Gruppe, im Sinne von Verschworenheit, fördert. Die Gruppe lagert
diesen Konflikt auf die Gruppenleitung aus, die nun entscheiden muss, ob die
Aufgabe im Sinne der Vorgabe erfüllt wurde und das erbrachte Protokoll ausrei-
chend ist. Natürlich besteht die Möglichkeit zum Schutz des Personals für eine
Institution primär in der Heranziehung einer Außensicht, wie sie durch Prakti-
kantInnen gewährleistet wird. Und die Idee, »es wird beobachtet«, es wird also
auf eine Situation geschaut, was einen Gedanken von Reflexion einführt, entreißt
das Arbeiten einem ausschließlich auf Handlung und Enactment beruhenden,
gemeinsamen Umgang. Allein diese Denkebene in die Institution einzuführen,
ermöglicht einen großen Perspektivwechsel für diese. Alles, was erdacht wird,
birgt die Möglichkeit der Entscheidung zwischen Handeln und Nichthandeln
und muss auch nicht über eine psychosomatische »Sprache« abgeführt werden.
Es besteht dadurch eine große Chance für eine Erhöhung der Resilienz in der
Institution.

7 Exploration der Gefühle der StudentInnen


gegenüber dem Material

Je offener und kollegialer die Stimmung in der Gruppe ist, desto mehr können
die StudentInnen von ihren Gefühlen einbringen und somit mehr Tiefe zum

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7 Exploration der Gefühle der StudentInnen gegenüber dem Material

Material entwickeln. Die Gruppenleitung fragt vorsichtig nach den Fantasien,


Gefühlen, Stimmungen und Wahrnehmungen der Studierenden, die sich im Lau-
fe des Gruppengeschehens immer wieder mit ihren Gedanken einbringen und
somit auch in der Reflexion dieses Geschehens eine Vorstellung von Prozess und
Entwicklung bekommen, die sich einerseits im Material abzeichnet, sich ande-
rerseits aber auch über die Gruppe und über sie als Einzelpersonen erschließen
lassen. Die Gruppe konstruiert gemeinsam eine Realität, wobei das Material als
Basis dieses Prozesses dient, und die StudentInnen lernen, dass sich das Materi-
al jedes Mal verändert, wenn es in den Fokus der Gruppe bzw. der Einzelnen
kommt. Es kann nur dynamisch hingesehen werden bzw. die Dynamik des Hinse-
hens verändert permanent den Prozess des psychischen Verstehens des Materials.
Hier kommt es zur Schnittstelle zwischen der Dynamik und dem Ort des Mate-
rials.
Natürlich berührt diese Form des Arbeitens auch tiefer liegende Konflik-
te der StudentInnen, was wiederum ein sehr taktvolles Vorgehen vonseiten der
Gruppenleitung erfordert. Je länger die Gruppe zusammen arbeitet und sich ein
Raum für Exploration eröffnet, desto mehr werden persönliche Narrative von-
seiten der StudentInnen vorgebracht. Hier beginnt die Schnittstelle zwischen
Selbsterfahrung und der Möglichkeit des Verstehens dem Material gegenüber. Es
ist wichtig, dass die Gruppenleitung eine Verbindung zwischen den Gefühlen der
StudentInnen und dem bearbeiteten Material herstellt. Die Gruppe sollte nicht
zu einem Pool der Selbsterfahrung werden. Sie unterliegt manchmal dem regres-
siven Wunsch nach Selbsterfahrung, was den Fokus vom Beobachtungsmaterial
ablenkt und die Gruppenleitung in eine überhöhte bzw. mütterlich-väterliche
Position manövriert, womit der kollegiale Aspekt der Zusammenarbeit aufgege-
ben wird. Hier herrscht eine narzisstische Verführung gegenüber der leitenden
Person vor. Die StudentInnen sollen am Ende des Prozesses verstehen, dass sie
in sich blicken müssen, um beobachten bzw. die Beobachtung einer Interpretati-
on zuführen zu können. Das implizite Wissen wird zu einem expliziten Wissen.
Diese Umwandlung kann nur durch die StudentInnen und die Gruppe erfolgen.
Die Studierenden und die Gruppe dienen als Katalysator des Verstehens auf der
bewussten Ebene.
Die Gruppenleitung wird durch ihre Funktion einer Idealisierung ausge-
setzt, die unvermeidlich ist. Sich dessen bewusst zu sein, schützt sie vor der
Verführbarkeit dieser Situation und auch vor den damit verbundenen mögli-
chen Schuldgefühlen. Das Regressive der Gruppe zeigt sich, wenn StudentInnen
sich die Rolle der Unwissenden und der Leitung die Rolle der Wissenden zu-
schreiben, was wiederum bei der Gruppenleitung die Verführung zu einem

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

sadomasochistischen Umgang mit der Gruppe nährt. Ein Teil der Gruppe wird
sie angreifen, und ein anderer Teil der Gruppe wird sie in der Übermächtigkeits-
rolle bestärken, was eine gegenteilige Reaktion der Gruppenleitung hervorrufen
kann.
Die Gruppenleitung verhält sich korrekt gegenüber den Kritik äußernden
StudentInnen und wohlwollend und verstärkend gegenüber den sie anhimmeln-
den StudentInnen. In dieser Dynamik befindet sich die Gruppe bereits in einem
regressiven Zustand und ist mehr mit sich als mit dem Material über die Patien-
tInnen beschäftigt. Die kollegiale Haltung geht verloren, wenn den StudentInnen
das Gefühl dafür, dass sie gemeinsam mit der Gruppenleitung dafür verantwort-
lich sind, was in der Gruppe passiert bzw. nicht passiert, nicht mehr explorierbar
ist. Es muss vonseiten der Gruppenleitung immer ein Raum geöffnet sein oder
werden, um wieder reflexiv bzw. mentalisierend über das Geschehen in der Grup-
pe nachdenken zu können.
Die Gruppenleitung sollte sich als Person vermitteln können, um nicht mysti-
fiziert zu werden und um in ihrem Wissen nicht delphische Ausmaße zu erlangen.
Je orakelhafter sie mit ihrem Wissen auftritt, desto mehr fördert sie die Regres-
sion der Gruppe. Die StudentInnen werden dadurch auch in ihrem kreativen
Prozess behindert und in eine masochistische Haltung gegenüber ihren Beob-
achtungen bzw. Interpretationen gedrängt. Die Gruppenleitung muss die immer
wieder auftretende Idealisierung ihrer Person in eine kreative, wohlwollende und
kollegiale Beziehung umleiten. Hier ist es im Sinne der Mentalisierung wich-
tig, die Interpretationen und Wahrnehmungen aller GruppenteilnehmerInnen
als wichtig und bedeutungsvoll für das Material zusammenführen zu können. Die
Gruppenleitung soll die Kommunikation unter den Gruppenmitgliedern fördern
und herausfordern, um damit ihren Leitungsstatus infrage zu stellen und von der
»Guru-Funktion« entbunden zu werden, die sich in hierarchischen Institutio-
nen schnell entwickeln kann.

8 Exploration der sich in der Gruppe


gegenüber dem Material entwickelnden Gefühle

Es ist es von Bedeutung, dass die Gruppenleitung von den dynamischen Fakto-
ren, die in einer Gruppe ablaufen können, eine Vorstellung hat und sie immer
mitdenken kann. Exploriert werden zunächst die unterschiedlichen Gefühle, die
durch das dargebrachte Material ausgelöst und dann wiederum von der Grup-
penleitung in einer Denkspanne zusammengefasst werden, indem sie darüber

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9 Verantwortung und Pathologie der StudentInnen bzw. der Gruppenleitung

nachdenkt, wie diese Gefühle zusammenhängen, wo die Verbindung zur Be-


deutung des Verstehens der Szene liegt und wo die Persönlichkeitsstruktur der
StudentInnen auftaucht. Als vereinfachenden Gedanken kann man das Beispiel
der Spaltung als Denkmodell heranziehen. In der Gruppe kann sich ihre darin
beinhaltete Gegensätzlichkeit durch unterschiedliche Identifikationen der Stu-
dentInnen gut widerspiegeln und auf das Unbewusste in der Schilderung der
Beobachtungsszene zurückgeführt werden. Dieses Phänomen können wir mit
dem Theorieansatz der konkordanten bzw. komplementären Übertragung auf
das Material verstehen bzw. erdenken. Durch diese Form des affektiven Arbeitens
in der Gruppe wird durch die StudentInnen auch das eigene innere Halten von
unterschiedlichen Gefühlen gewährleistet, indem sie die verschiedenen Sicht-
weisen der GruppenteilnehmerInnen als bedeutungsvoll anerkennen können
und somit eine eigene Entwicklung zur Akzeptanz von Ambivalenzen entwi-
ckeln.
Über die Identifikation mit der leitenden Person, die einen Raum für mög-
liche Unmöglichkeiten von sich widerstrebenden Gefühlen eröffnet, lernen die
StudentInnen, sich selbst toleranter gegenüberzutreten und damit auch die Enact-
ments der PatientInnen besser zu verstehen, um eigene Handlungsweisen ent-
wickeln zu können. Durch die Veränderung der inneren Haltung gewinnen die
StudentInnen die Möglichkeit, mehr explizites Wissen in unterschiedlichen Si-
tuationen zur Verfügung zu haben, um damit eine spontane Handlung setzen
zu können. Die Gruppe birgt die Möglichkeit, die vielen Facetten einer geschil-
derten Situation zum Erleben zu erwecken und sie damit durch Dekonstruktion
der Gruppenleitung wiederum sichtbar und bewusst integrierbar zu machen. Die
Gruppenleitung sollte ebenfalls nicht aus dem Blick verlieren, wo sich die Schnitt-
stelle der Gruppe zwischen der Identifikation mit dem dargebotenen Material
und der durch die Gruppe mitgebrachten Dynamik, die sich zwischen den Stu-
dentInnen entwickelt, befindet.

9 Verantwortung und Pathologie


der StudentInnen bzw. der Gruppenleitung

Bei Lernschwierigkeiten bzw. bei Entwicklungsschwierigkeiten der Studierenden


ist es wichtig, dass die MitarbeiterInnen die Ursachen dafür ergründen. Da die
Praktikumsstellen im ART II zwei Mal gewechselt werden und es seit 2010 mit
den meisten Praktikumsstellen bereits Erfahrungen gibt, lässt deren Einfluss auf
das Entwicklungsverhalten der StudentInnen genauere Rückschlüsse zu. Inwie-

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

weit StudentInnen eine Entwicklungsproblematik aufweisen und diese durch


Ablehnung zum Ausdruck bringen, indem sie zum Beispiel die ablehnende Hal-
tung gegenüber des ART-Projektes vom Klassenvorstand oder der Stationsleitung
zum Ausdruck bringen, lässt sich über die gesamte Gruppe ergründen und durch
Außeninformation absichern. Ein weiterer Aspekt besteht in der Person der
Gruppenleitung, ihrer Haltung und ihrer Denkweise, die einen Teil des Lernpro-
blems darstellen könnten.
Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die Problematik der Entwicklungsbe-
hinderung vonseiten des oder der Studierenden ausgeht, wenn eine kognitive
Ursache oder eine Persönlichkeitsproblematik vorliegen. Die kognitive Ursache
kann auch durch eine Sprachproblematik hervorgerufen werden, wenn Deutsch
nicht die primäre Sprache ist. Das Handhaben eines differenzierten Sprachgebrau-
ches, um psychische Phänomene auf einer differenzierten Wahrnehmungsebene
zu verstehen, stellt eine bedeutende Bedingung des Reflektierens dar. Sprache und
Phänomene bedingen sich in ihrer Entfaltung bzw. Entstehung gegenseitig. Es ist
auch vonseiten des dargebotenen Materials oft schwer zu entscheiden, ob es sich
um Probleme des schriftlichen Ausdrucks handelt – wegen der Verwendung einer
Zweitsprache – oder ob eine kognitive bzw. undifferenzierte Wahrnehmungspro-
blematik vorliegt.
Eine Schwierigkeit von StudentInnen könnte sich auch durch das Vorherr-
schen einer ausgeprägten narzisstischen Problematik, durchzogen von einer Bor-
derline-Struktur, ergeben. Hier ist die oder der Studierende sehr oft begeistert
von den neuen Ideen, die aber bald einer Ernüchterung weichen und eine Ab-
wertung erfahren. Die betroffene Person kann überhaupt nichts mehr lernen,
da sie all dieses scheinbar schon weiß. Die von der Gruppenleitung geäußer-
ten Ideen werden oft nicht als Metaphern betrachtet, die das Psychische erst in
Worte kleiden können, sondern als einfache Handlungsanweisungen und simp-
le Verstehensmuster betrachtet. Hier muss wiederum von der Gruppenleitung
unterschieden werden, inwieweit es sich um eine narzisstische Problematik han-
delt, bei der den StudentInnen jegliche Form von mentaler Zuschreibung für
eine andere Person fehlt, oder inwieweit es sich um eine kognitive Einschränkung
handelt.
Bei einer Borderline-Persönlichkeitsstruktur werden durch diese Form des
Arbeitens sehr schnell Ängste in den StudentInnen hervorgerufen und sie füh-
len sich »durchschaut« oder »diagnostiziert« usw. Sie greifen dann sehr oft
die Gruppenleitung an und kritisieren ihre »Pathologisierung« der PatientInnen
oder versuchen immer wieder, sich und das dargebrachte Material der Gruppe
zwischen »normal« und »nicht normal« zu positionieren.

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10 Die Protokolle

Eine weitere Problematik tritt bei Gruppen auf, die von emotional sehr unrei-
fen StudentInnen dominiert werden. Ihre eigene unreife Identitätsentwicklung
und das damit verbundene fragile Selbst machen es für diese sehr schwierig, eige-
ne Gefühle zur Beobachtung zuzulassen bzw. diese reflexiv zu betrachten. Diese
Gruppe zeigt sich auch durch eine oft sehr verschlossene Körperhaltung: Stu-
dentInnen sitzen etwa mit angewinkelten Beinen, drehen sich vom Geschehen
weg oder halten den Blick aufs Handy gerichtet, um damit Außenkommunika-
tion zu führen. Derartige Situationen rufen immer wieder Frustration in den
GruppenleiterInnen hervor, wenn es noch sehr stark um die Entwicklung dieser
StudentInnen geht und damit die Aufgaben und Lernstellungen in den Hinter-
grund treten. Ich kann den anderen nur als eigenständige Person erkennen bzw.
in mir zulassen und damit eine klare Grenze zwischen dem Ich und dem Du zie-
hen, wenn meine Ich-Grenzen einer gewissen Entwicklungsstufe unterliegen und
mir damit eine gewisse Form an Klarheit über mein Ich vermitteln können.

10 Die Protokolle

Die StudentInnen entscheiden selbstständig über die Situation, die sie beob-
achten und dann später protokollieren. Sie lesen sie vor und färben durch ihre
Prononcierung das Protokoll in ihrem Sinne ein. Die Gruppe legt den Fokus auf
das Gesamtprotokoll, später werden dann einzelne Sequenzen besprochen und
immer wieder Rückschlüsse zwischen diesen beiden Ebenen gezogen.

Formale Kriterien
Um einen positiven Abschluss im Fach SV-PatientInnenbeobachtung zu
erreichen, sind folgende formale Kriterien zu beachten:
➢ Im Kurs muss eine Mindestanwesenheit von 80% erreicht werden.
➢ Die schriftlichen Beobachtungen müssen zu 100% erbracht wer-
den. (Sie werden in jeder Einheit besprochen, eingesammelt und
beurteilt.).
➢ Pro Einheit werden ein bis zwei Protokolle gemeinsam bespro-
chen.
➢ Die Beobachtung ist für eine Stunde anzusetzen und ist Teil der
Praxiszeit.
➢ Aufgabe der Studierenden ist es, die Station, auf der sie arbeiten,
über diese Aufgabe und die Rahmenbedingungen zu informieren.
➢ Anfahrtszeiten werden nicht als Praxiszeit gerechnet.

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

Im Rahmen des Fachs SV-PatientInnenbeobachtung sind für die Beob-


achtungsprotokolle folgende Kriterien zu beachten:
1. eine Länge von mindestens einer A4-Seite
2. computergeschrieben
3. Schriftart: Arial
4. Schriftgröße: 12
5. Zeilenabstand: 1,5
6. Seitenrand: max. 2 cm auf allen Rändern
7. Die Protokolle sollen zu Beginn folgende Informationen beinhal-
ten:
a. Name der Verfasserin, des Verfassers
b. Datum der Beobachtung
c. Ort der Beobachtung

Leitfaden – PatientInnenbeobachtung (ART-Research-Study-


Group, 2016)2
Zur positiven Absolvierung des Faches müssen für jede der sieben gemein-
samen Gruppeneinheiten pro StudentIn eine Beobachtung durchgeführt
und ein Beobachtungsprotokoll verfasst werden. Pro Gruppeneinheit
werden ein bis zwei Beobachtungsprotokolle besprochen.
Die Beobachtung selbst ist für eine Stunde (60 Minuten) anzusetzen
und Teil der Praxisstunden an der Praxisstelle. Die Beobachtung soll fol-
gende Kriterien beinhalten:
1. Während der Beobachtung hat niemand an der Station die Mög-
lichkeit, Sie für anderwärtige Tätigkeiten einzusetzen, außer, wenn
dies der Notfall erfordert. Die Station hat dafür zu sorgen, dass Sie
in diesen 60 Minuten mit Ausnahme von Notfällen konzentriert
beobachten können und nicht für andere Tätigkeiten eingesetzt
werden, auch nicht für »Nebenbeitätigkeiten«.
2. Zu beobachten ist vorrangig eine Patientin oder ein Patient in ei-
nem Umfeld Ihrer Wahl. Sollte dies nicht möglich sein, weil sich
PatientInnen an Ihrem Einsatzort entweder nicht lange genug auf-
halten oder dies den Gesundheitsprozess negativ beeinflusst (dies
ist allerdings mit der Gruppenleitung zu besprechen), können
auch sogenannte Situationsbeobachtungen durchgeführt werden.

2 Leitfaden, der den StudentInnen am Beginn des dritten Semesters ausgehändigt wird
(Forschungsgruppe OWS).

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11 Beobachtungskompetenz

Darunter ist zu verstehen, dass etwa ein Warteraum beobachtet


werden kann, ein Durchgangszimmer, die Eingangssituation, Vor-
räume usw. Jedenfalls aber Funktionsräume, die entweder von
PatientInnen oder Personal oder beiden regelmäßig genutzt wer-
den.
3. Während der Beobachtung wird nichts notiert oder protokolliert.
4. Während der Beobachtung hat der Beobachter oder die Beobach-
terin eine passive Haltung einzunehmen. In einer Beobachtung
können Sie mit der Patientin oder dem Patienten in Kontakt treten,
allerdings, und dies ist wesentlich, nicht initiativ. Wenn sie oder er
mit Ihnen sprechen möchte, ist dies möglich, aber Sie sind angehal-
ten, das Gespräch passiv zu führen, nicht gestaltend einzugreifen.
PatientInnen dürfen Sie auch nach dem Grund Ihres Daseins be-
fragen, antworten Sie ehrlich und wahrheitsgemäß, ohne jedoch zu
weit in das Thema einzutauchen.
5. Im Anschluss an jede Beobachtung ist ein Beobachtungsprotokoll
aus dem Gedächtnis zu schreiben. Es ist wesentlich, dass nicht
während der Beobachtung geschrieben wird, das Protokoll soll aus-
schließlich danach verfasst werden.
6. Die Station hat Ihnen dafür ebenfalls eine Stunde (60 Minuten) be-
reitzustellen. In dieser Stunde müssen Sie sich zurückziehen dürfen,
ebenfalls mit der Prämisse, nicht gestört zu werden. Sie sind dafür
verantwortlich, die Rahmenbedingungen dafür einzufordern, die
Station hat die Aufgabe, Ihnen dies zu ermöglichen.
7. Ihr Arbeitsauftrag lautet, sieben Beobachtungen durchzuführen
und für jede einzelne ein Beobachtungsprotokoll anzufertigen.

Wir freuen uns auf ein erfolgreiches Arbeiten mit Ihnen!


(ART-Research-Study-Group, 2012)

11 Beobachtungskompetenz

Im Laufe des gemeinsamen Arbeitens in der Gruppe sollten die StudentInnen in


der Lage sein, über die Beobachtung Hypothesen zu entwickeln, die ein plasti-
sches und integriertes Bild wiedergeben. Sie sollten auch eine Vorstellung von der
Entwicklung von Szenen erlangen und darüber, wie sie eventuell entstanden sind,
also integriertes Denken auf einer Gesamtebene entwickeln.

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

12 Ablauf eines Gruppenprozesses in einem Semester

In der ersten Kleingruppensitzung werden die Vorstellungen und Ängste in


Hinblick auf die Beobachtungsaufgabe diskutiert, ebenso die strukturellen Gege-
benheiten der Praktikumsstellen und die möglichen Reaktionen auf die Beobach-
tungen der StudentInnen. Manche Gruppe legt ihren Fokus auf das Besprechen
der möglichen Gefühle und Ängste, die sie entwickeln, und die Herausforderung
durch die Aufgabe; manche Gruppen beschäftigen sich mit den Rahmenbedin-
gungen und der Erfüllung eines »richtigen« Protokolls. Was könnte passieren,
wenn sie gefragt werden, was sie hier tun, wenn sie vonseiten der PatientInnen
in eine Szene verwickelt werden usw. Die GruppenleiterInnen versuchen zu ver-
mitteln, was es bedeuten könnte, mit seinen Reaktionen auf die Umgebung aus
einer passiven Situation heraus zu agieren und damit eine andere Sichtweise auf
das Enactment zu gewinnen. Begriffe wie Reverie und gleichschwebende Auf-
merksamkeit werden diskutiert und es wird bereits in der Kleingruppe überprüft,
inwieweit die Gruppenleitung diese Haltung vermitteln kann und authentisch ist.
Ein weiteres Thema, das sich in Gruppen oft entfaltet, ist die Angst, etwas zu
Papier zu bringen, und ob es »richtig« sei. Erfahrungen von Versagensängsten
und Schulängsten kommen hier zum Ausdruck. Das Protokollverfassen abseits
der sichtbaren Welt setzt auf dieser Stufe bereits die Kenntnis eines psychischen
Verstehens und »Innenlebens« voraus. Ich muss mich wieder an das Gesehene
erinnern, indem ich Bilder generiere und diese nun zu Papier bringe. Mit den
StudentInnen wird in dieser Phase auch über das Generieren von inneren Bildern
bzw. Szenen gesprochen. Sie lernen, sich an Details in ihren Bildern festzuhalten,
einzutauchen, zum Beispiel über den Raum, die Farben, die Kleider bis hin zur
Beschreibung von Gesichtswahrnehmungen – und das alles verbunden mit den
Gefühlen, die zu diesen Bildern hinzutreten.
Die Gruppenleitung wird mit unterschiedlichsten Gefühlen in sich selbst kon-
frontiert, Gefühlen von Destabilisierung wie: Ist die Aufgabe zu schwer für die
StudentInnen, sind sie überfordert? Aber auch Gefühle von Neugier auf die Stu-
dierenden treten auf, wenn diese sich auf die neue Form des Lernens freuen usw.
Die Gruppen reagieren mit Freude oder aber auch mit Äußerungen von Protest
auf diese Lernerfahrungen, zum Beispiel, dass alles sehr schwierig sei und sie keine
Rahmenbedingungen vorfinden würden, um in Ruhe beobachten zu können. Die
GruppenteilnehmerInnen rationalisieren ihre Ängste und stellen sie in Form von
Gegebenheiten der Praktikumsstellen dar. Andere Gruppen reagieren mit großer
Neugier auf diese Aufgabe, manche StudentInnen schreiben sehr gerne und zeigen
große Begeisterung bei diesem Projekt. Jede Gruppe reagiert als einzelner Faktor

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12 Ablauf eines Gruppenprozesses in einem Semester

sehr individuell und darin wiederum jedes eigene Mitglied sehr persönlich mit all
seinen Gefühlen. Die Gruppe wird von WortführerInnen bestimmt, manche hal-
ten sich zurück. Die Gruppenleitung greift strukturierend ein und fordert jedes
Gruppenmitglied dazu auf, die erlebten Gefühle zu äußern. Sie holt die geäußerten
Fantasien in den Bezugsrahmen von möglichen Zukunftsszenarien und weist somit
auf das Geschehen in der Gruppe als möglicher Verstehenspunkt hin, da die Realität
der Beobachtungsaufgabe noch in der Zukunft liegt. Hier führt die Gruppenleitung
eine mögliche Form von reflektiertem Nachdenken auf einer Metaebene ein.
In der zweiten Gruppensitzung wird über das Erleben der StudentInnen wäh-
rend der Aufgabenerfüllung und über die dabei erlebten Gefühle gesprochen, wie es
ihnen beim Beobachten und beim Verfassen des Protokolls gegangen ist. Eine oder
einer der Studierenden wird ermutigt, ihr oder sein Protokoll vorzulesen. Auch hier
zeigt sich eine große Bandbreite an möglichen Reaktionen – zwischen einer medi-
zinischen Beschreibung, in der sich die SchreiberInnen wenig zu ihren Gefühlen
äußern, und Schriftstücken, die sehr von den Gefühlen durchwoben sind.
In dieser Gruppenphase vertrauen die StudentInnen mehr den psychischen
Konstrukten und Theorien aus der Literatur als ihrem kollektiven Verstehen aus
der Gruppe heraus. Sie beginnen erst durch einen entstehenden Prozess, sich und
der Gruppe in ihrer Subjektivität zu vertrauen und ihren Gefühlen Bedeutung
beim Verstehen des Gegenübers beizumessen.
In den nächsten Sitzungen zeigt sich sehr oft, wie viele Bilder vonseiten der
StudentInnen aus ihrem eigenen Leben und Erleben geschildert werden und wie
stark es sie zur Äußerung ihrer persönlichen Lebensgeschichte, ihrer Schul- und
Praktikumserfahrungen drängt. Die Aufgabe der Gruppenleitung besteht darin,
diese dargebrachten Gedanken wiederum mit dem Protokoll zu verknüpfen, eine
Bedeutung für die Gruppe zu erschließen und somit durch ihre eigene Haltung
dem Erleben der Gruppe eine Richtung vorzugeben, die sich nicht in den Fo-
kus der Selbsterfahrung bewegt, sondern Elemente davon birgt, aber damit auch
aufzeigt, dass das Verstehen der PatientInnen nur über die eigenen Erfahrungen
möglich ist. Damit auch immer wieder eine Metaebene von Theoriegebäuden
einzuflechten, kann aus der relationalen, intersubjektiven oder mentalisierenden
Perspektive wiederum für die StudentInnen einen Referenzrahmen der Sichtbar-
machung ermöglichen.
Die weiteren Gruppensitzungen sind davon geleitet, immer mehr Struktur
vonseiten der Gruppenleitung aufzubrechen, immer mehr Unsicherheit Raum
zu geben und damit eine Sicherheit für die StudentInnen zu ermöglichen, sich
abseits einer »richtigen« und »falschen« Äußerung zu bewegen. So sollen sie
lernen, ihre individuellen Äußerungen zum Verstehen der PatientInnen beizutra-

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VII ART II – Beobachtung, Didaktik und Mentalisierung

gen, aber auch die in ihrer Einzigartigkeit originären Beobachtungen darzustellen,


und diesen Widerspruch zu halten: Gefühle als authentisch zu erleben, damit
auch, sich einzigartig einer Einsamkeit aussetzen zu müssen, sich doch in der
Gruppe in den Gefühlen eingebettet zu fühlen und Realität wiederum als ge-
meinsamen Prozess zu erleben. Diese Spannung von Authentizität, Einsamkeit
und Realitätserzeugung nur mit und durch den anderen zu erkennen, ist der Weg
eines Haltens von Widersprüchlichkeiten in sich.
Die beschriebenen Szenen bestimmen die Themen der Gruppe, sehr oft wird
über Ängste, Aggressionen und Hilflosigkeit nachgedacht. Die StudentInnen
sind in den hierarchischen Strukturen von Kliniken vielen Traumatisierungen
auch in der Begegnung mit Sterben und Tod ausgesetzt. Es ist ob der beschrie-
benen emotionalen Szenen nicht einfach, vonseiten der Gruppenleitung nicht
in eine Sprachlosigkeit zu verfallen. Sexualität und die oft von grenzüberschrei-
tenden Szenen handelnden Protokolle werden immer wieder sehr stark leitende
Themen in den nachfolgenden Gruppensitzungen sein.
In den Gruppensitzungen nimmt die Reflexionsfähigkeit über das eigene Er-
leben und über die Bedeutung des Gruppenerlebens zu. Die Protokolle werden
immer individueller verfasst, und die Beschreibungen von Menschen werden plas-
tischer und für die ZuhörerInnen besser vorstellbar. Szenen und Bilder entstehen
in ZuhörerInnen immer klarer und damit werden die inneren Resonanzräume
immer stärker in Schwingung gebracht.
Die Semesterabschlusssitzung ist nochmals ein Versuch, die Veränderung je-
der und jedes Einzelnen und die Veränderung der Gruppe als Prozessverlauf in
Sprache und Theorie zu fassen. Ein Ausblick auf das nächste Semester oder das
Auflösen und Auseinandergehen dieser Gruppenkonstellation und im nächsten
Semester in ART III einzusteigen bestimmen den Abschluss.
Die Gruppenmitglieder haben auch ein Verstehen dieser Form von Lernen
erfahren, bei der es keinen Anfang und kein Ende gibt, sondern nur einen Anstoß
für eine Haltungsänderung, die sich in den eigenen Lebensprozess integrieren
kann. Die StudentInnen sollen auch eine Vorstellung davon bekommen haben,
wie sie ihre eigene Person »aufs Spiel« setzen und damit Bedeutung für sich und
andere gemeinsam erschaffen.

13 Zusammenfassung

Die Aufgabe der einzelnen Studierenden besteht im Erbringen eines Protokolls


pro Gruppentreffen, ein bis vier Mal pro Semester lesen sie ihr Protokoll vor

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13 Zusammenfassung

und stellen es den anderen GruppenteilnehmerInnen für eine Diskussion zur


Verfügung. Jedes Gruppenmitglied beteiligt sich an der Diskussion über die ge-
lesene Präsentation. Die StudentInnen bringen ihre Gefühle und Assoziationen
zum Material ein, diese sind beherrscht von emotionalen, intellektuellen und
persönlichen Reaktionen. Alle Beteiligten bemühen sich mit den von ihren dar-
gebrachten Statements in ein gemeinsames Gespräch zu kommen. Die Gruppen
reflektieren auch den Metaprozess des Gruppengeschehens und dessen Entwick-
lung zum dargebrachten Material. Diese Kleingruppe nimmt in der Ausbildung
eine Sonderstellung ein, da sie die Intimität einer Peergruppe bzw. Kernfamilie
birgt. Durch diese Gruppengröße können alle erlebten Gefühle, Vorstellungen
und Kulturaspekte gemeinsam erlebt und verarbeitet werden. Die Kleingruppe
ermöglicht erst ein emotionales, geteiltes Lernen, in dem klinisches Beobach-
tungsmaterial affektiv betrachtet und erfahrbar gemacht werden kann. Sie bietet
auch den Raum, um eine Vorstellung von der eigenen Selbstwirksamkeit zu be-
kommen: Welchen Einfluss kann die einzelne Person auf die Gruppe nehmen? In
der Gruppe können Verknüpfungen zwischen »innen« und »außen« erstellt,
ein gemeinsamer, ko-kreierter Raum gestaltet, eine Vorstellung von gegenseiti-
ger Anerkennung erprobt und entwickelt werden. Es kann über den Einfluss von
Theorien auf die Gruppe und vice versa nachgedacht werden. Konzepte werden
von und durch die Gruppe gelebt und so auf einer emotionalen Ebene als Lerner-
fahrung verankert. Die Gruppe lebt die Theorien bzw. das Geschehen in ihr wird
durch die Metapher von Theoriegebäuden erdenkbar und diskutierbar gemacht
und somit auch wieder einer Veränderung unterzogen. Die Verankerung von
Konzepten auf einer tieferen, emotionaleren Ebene wird für die StudentInnen
später als haltungsbildende Erkenntnis für die Begegnung mit den PatientInnen
zur Verfügung stehen und wiederum Einfluss auf ihre Interventionen nehmen.
In den Gruppen vollzieht sich auf unterschiedlichsten Ebenen eine Lernerfah-
rung mit Fokus auf die Empathieförderung. Theorie, Reflexion und Erkenntnis
werden in einem gemeinsamen, erlebbaren Raum entwickelt.
In den Treffen mit den GruppenleiterInnen werden die Gruppenerfahrungen
und die dargebrachten Konzepte einer Evaluierung unterzogen und somit auf ihre
Anwendbarkeit überprüft. In den Gruppenbesprechungen mit den Institutslei-
terInnen und allen ART-Verantwortlichen werden auf einer strukturelleren Ebene
Nachjustierungen des Programms besprochen. Das Unterrichtsprojekt ART un-
terliegt einem Veränderungsprozess, durch den es auch einen integrativen Faktor
auf die Ausbildungsinstitution ausübt.

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

»umuntu ngumuntu ngabantu« –


»A person is a person through persons«
Bantu-Sprichwort aus Zentral- und
dem südlichen Afrika

1 Einführung

In ART III, Semester 5 und 6, geht es um die Fähigkeit, Supervision angst-


frei nutzen zu können und auch selbstreflexives Verhalten gegenüber den
PatientInnen und MitarbeiterInnen darzustellen. Die StudentInnen sollten
nun die Fähigkeit der prozeduralen Verknüpfung von deklarativem Wissen
haben.
Die Supervision ist in diesem Konzept in ein intersubjektives Feld eingebet-
tet und wird durch die Subjektivität der »drei« Beteiligten konstituiert. Die
generierte Bedeutung wird immer als kontextabhängig gesehen und wendet sich
somit gegen eine Dichotomisierung. Es kommt in der Supervision zu einer Ko-
Konstituierung des intersubjektiven Feldes, und die Interpretationen sind immer
vom gegebenen Kontext abhängig ( Jaenicke, 2014, S. 124). Die Gruppenlei-
terInnen bzw. die SupervisorInnen sehen die erarbeiteten Verstehensmomente als
gemeinsames Produkt eines kreativen Prozesses, der sich nur im Augenblick eines
Moments in dieser Form Ausdruck verleiht. Die Gruppenleitung ist sich ihres
Einflusses auf das dargebrachte Material bewusst und reflektiert sich in ihrer Hal-
tung mit bzw. ist sich wiederum des Gadamer’schen Zirkels auch ihrer eigenen
Gedanken bewusst (Gadamer, 2010). Eine große Gemeinsamkeit von Supervisi-
on und Psychoanalyse bzw. Psychotherapie liegt in der Form der asymmetrischen
Beziehung (Gambaroff, 2012).

2 Intersubjektives Feld und Ko-Konstruktion

Chris Jaenicke, der bedeutendste Vertreter der Intersubjektiven Psychoanalyse im


deutschsprachigen Raum, versteht die Supervision

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

»als ein intersubjektives Feld, das durch die Subjektivität der drei Beteiligten konsti-
tuiert wird, und wenn wir Bedeutung als kontextabhängig begreifen, dann fallen die
Dichotomien in sich zusammen. Die Ko-Konstituierung des intersubjektiven Fel-
des und die kontextabhängige Interpretation von Bedeutung gelten für den Kontext
der Supervision wie auch für den Behandlungskontext« ( Jaenicke, 2014, S. 124).

Auch hier kommt es zu der Fragestellung »treat or teach« in der Supervisi-


on. Für Jaenicke besteht der Unterschied im Beachten der Diskursebenen, die
in beiden Fällen asymmetrisch und bidirektional sind, so auch in der primä-
ren Unterscheidung zweier GesprächspartnerInnen zwischen TherapeutIn und
PatientIn. Auf der asymmetrischen Ebene versucht die Supervisorin oder der Su-
pervisor, dem Supervisanden oder der Supervisandin zu helfen, seine bzw. ihre
PatientInnen in deren subjektiven Welt zu verstehen, sich zu entfalten und in
deren Transformation zu unterstützen (ebd.; Sarnat, 1992). Die Asymmetrie zwi-
schen SupervisandIn und SupervisorIn wird durch die Aufgabendefinition und
den daraus folgenden Prozess der Supervision bestimmt. In dem Ausbildungs-
setting von ART III wird die Asymmetrie durch den schulischen Kontext noch
verstärkt. Die SupervisorInnen kommen durch ihre asymmetrische Ebene, die
sie mit der Ausbildungsinstitution haben, in ein Spannungsfeld, dessen Realität
gerne verleugnet wird, das aber sehr stark das bidirektionale Feld in der Super-
visionssitzung beeinflusst. In ART II liegt der Fokus stärker auf dem Aspekt
des Lernens vom Aufbau eines intersubjektiven Verständnisses für die Studen-
tInnen. Der Fokus verschiebt sich auf die Bewältigung und mögliche inhärente
Transformation der geschilderten Szene, wobei der Dichotomie-Gedanke, den
Studierende gerne hereinnehmen – nämlich zwischen »falsch« und »richtig«
unterscheiden zu wollen –, immer präsent sein sollte. Wird die Asymmetrie nicht
im Sinne des Ausbildungskontextes definiert, verlangen StudentInnen konkrete
Lösungsvorschläge, die sie in späteren Sitzungen als nicht zielführend schildern
und so den SupervisorInnen die Asymmetrie vermitteln, wobei diese inadäquate
Lösungen anbieten, die zu keinem »Erfolg« führen.
Der Unterschied zur Behandlung oder zum Coaching wird durch die mit-
einander zusammenhängenden Diskursebenen deutlich, wie es Chris Jaenicke
(2014) in zwei Punkten darstellt. Er fokussiert in seinen Überlegungen die vor-
handene »Ungleichheit« bzw. Unterschiedlichkeit der Rollen in der Begegnung,
die sich in einem gemeinsamen, dyadischen System auf einer bidirektionalen Ebe-
ne entfaltet:
1. Asymmetrie der Begegnung
2. bidirektionale Ebene

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2 Intersubjektives Feld und Ko-Konstruktion

Ad. 1: Der Gruppenprozess entwickelt sich gemeinsam im intersubjektiven Sinne


mit der Klarheit von Asymmetrie.

»Der […] Prozeß wird, […] gemeinsam, aber auf asymmetrische Weise entwickelt.
Einer der Beteiligten stellt sich in erster Linie als Helfer, Heiler und Forscher [Su-
pervisor] zur Verfügung. Dem anderen geht es vorrangig darum, Erleichterung für
sein emotionales Leben zu finden […] In dem Entwicklungsprozeß […] übernimmt
einer der beiden Beteiligten die Aufgabe, Orientierung zu vermitteln, während der
andere sein Erleben auf weniger schmerzvolle Weise als bislang zu organisieren und
zu reorganisieren versucht« (Orange et al., 2001, S. 19).

Supervision ist eine Form von professioneller Beziehung zwischen den Teilneh-
merInnen, wobei eine asymmetrische Rollenzuschreibung zwischen Supervisan-
dInnen und SupervisorIn vorherrscht. Die AutorInnen heben die Notwendigkeit
des Entwicklungsprozesses und die Beteiligtheit aller in der Begegnung hervor,
wobei es zu keinen gleichen Positionen in der Gruppe kommt, was sie als Asym-
metrie bezeichnen. »[…] die asymmetrische Rolle des Supervisors ist in sein
Gewahrsein der wechselseitigen Beeinflussung dreier Beteiligter eingebettet und
geht gleichzeitig aus diesem Gewahrsein hervor« ( Jaenicke, 2014, S. 127).
Asymmetrie ist hier als Haltung definiert, die auf unterschiedlichen Rollen,
die von den TeilnehmerInnen eingenommen werden, fußt. Die Asymmetrie wird
auch von der Übernahme von Verantwortung seitens der SupervisorInnen ge-
speist und ermöglicht, die Positionen der beteiligten »drei« Personen genau zu
definieren, aber auch die Möglichkeit der Beeinflussung zu integrieren, ohne dass
sich ein zu starker Widerspruch ergibt. Die Möglichkeit, die eigene Begrenztheit
in einem Dialog einzuführen und damit ein Feld der Intersubjektivität aufzuma-
chen, beruht auf der Anerkennung der Rollen von PatientIn, SupervisandIn und
SupervisorIn. Würden diese Anerkennung und deren Asymmetrie nicht mehr ge-
lingen, so müssten die Arbeitsbündnisse aufgegeben werden.
Das Ziel der Supervision ist es, einen Raum zur Entfaltung von inneren Bil-
dern aus der Arbeit zu bieten und in den dargebotenen und gemeinsam kreierten
Szenarien einen Veränderungsprozess für die SupervisandInnen anzustoßen. Der
Prozess entfaltet sich durch ein gemeinsames Erschaffen von Bildern, die durch
das jeweils vorher Gesagte kreiert werden. Die Vertrautheit der Gruppe zeigt sich
unter anderem in der Spontaneität der TeilnehmerInnen, mit der sie jeweils auf
einen Aspekt des Dargebrachten einen Einfall äußern. Je toleranter und achtsa-
mer die GruppenteilnehmerInnen sich gegenseitig ins Wort fallen können, desto
spontaner und damit kreativer entfaltet sich der gemeinsame Prozess. Je mehr

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

Angst in der Gruppe vorherrscht, desto strukturierter gestaltet sich der Ablauf,
und die Gruppenleitung fordert verstärkt zum Äußern von Gedanken auf. Je
stärker bei der Supervisorin oder dem Supervisor die Angst vorhanden ist, die
Gruppe nicht in ihren Emotionen begleiten zu können, desto mehr strukturiert
sie oder er die Gruppe.
Die SupervisandInnen sollen zu bestimmenden Subjekten ihres Denkens,
Fühlens und Handelns werden (Löwer-Hirsch, 2001). Der Prozess entwickelt
sich in der Beziehungsgestaltung, die von allen Beteiligten in der Gruppe getra-
gen wird. Die Gruppenmitglieder operieren mit ihren Gefühlen, Empfindungen
und erzeugen somit ein intersubjektives Feld. In anderen Worten lässt dieses
sich als ein Raum von Übertragung und Gegenübertragung definieren ( Jaeni-
cke, 2006, 2010, 2014). Für Beebe und Lachmann sind die intrapsychischen
und die Beziehungsvorgänge von gleicher Bedeutung bei der Generierung von
Verstehensprozessen. Sie betrachten es als interaktive Verschränkung von Selbst-
systemen, die von allen Beteiligten konstruiert werden (Beebe, 2006; Beebe &
Lachmann, 2010; Lachmann, 2003). Die sogenannten intrapsychischen Vorgän-
ge beruhen auf einem Prozess von Beziehungsvorgängen, durch die sich unsere
Gedanken kreieren. Wir können dann etwas in Beziehung setzen, wenn wir eine
Differenz bzw. Kontur entwerfen können. Auf der emotionalen Ebene ist unsere
Umgrenzung die Symbolik der Sprache, die eine Struktur und Differenz bildet
und uns somit Gedanken entfalten lässt. Denken als explizites Phänomen beruht
auf der Fähigkeit, Beziehung in uns herstellen zu können. Symbolisierung im Sin-
ne von Metaphern ermöglicht uns die Fähigkeit des Mentalisierens.
Ogden betrachtet dieses Entstandene zwischen allen Beteiligten als »das
Dritte« (»analytic third«). Die Gruppenleitung hat die Aufgabe, dem »analytic
third« eine Stimme zu verleihen. »D. h. eine Stimme, der anzuhören ist, dass
sie diese Erfahrung durchlebt hat und durch sie verändert worden ist« (Ogden,
2010, S. 38).
Das entstandene Dritte ist das Neue, das im Dialog entsteht und somit
den gemeinsamen Prozess voranbringt und einen hermeneutischen Zirkel kre-
iert. In diesen dialogischen Prozess sind die Phänomene von Übertragung und
Gegenübertragung eingebettet. Der Erkenntnisprozess entwickelt sich in einem
gemeinsamen Dialog, in dem keiner der Beteiligten den nächsten Schritt kennt.
Das Verbindende ist die Erkenntnis der gemeinsamen konstruierten Subjektivität,
in der »Wahrheit« kreiert wird. Die postmoderne Erkenntnistheorie betrachtet
die »Wahrheit« immer als kontextgebunden (Bohleber, 1999).
Die Supervision kreiert einen »supervisorischen Dritten«. Der Fokus in der
intersubjektiven Supervision liegt auf der professionellen Kompetenz der Super-

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2 Intersubjektives Feld und Ko-Konstruktion

visandInnen in der Begegnung mit den KlientInnen und MitarbeiterInnen und


der Einbettung in der Organisation. »Referenzhintergrund ist die Arbeitswelt,
die nicht familiale Arbeit in und mit Organisationen und entsprechenden Bil-
dern dazu, die in den Individuen evoziert werden« (Löwer-Hirsch, 2001, S. 54).
Die intersubjektive Wende in der Arbeit mit Gruppen geht auf das Konzept
von S. H. Foulkes zurück. Bereits in den 1950er Jahren sprach er von »transper-
sonal« und »location«. Er entwickelte die Idee von einer »Gruppenmatrix«
(Potthoff, 2015; Friedman, 2014; Schultz-Venrath & Felsberger, 2016). Die
Gruppenmatrix bildet sich durch die gemeinsamen Interaktionen in der Gruppe.

»Psychoanalytisch-konstruktivistisch arbeitende Supervisoren […] sind sich klar


darüber, daß sie ihren Supervisanden die ›Realität‹ nicht nahebringen, sondern
nur den eigenen Umgang mit der Realität in Beziehung setzen können zu dem ihrer
Supervisanden, um in einem spannenden Prozess eine gemeinsame ›Wirklichkeit‹
zu konstruieren« (Sies & West-Leuer, 2003, S. 171).

Ein wichtiger Teil der Supervision liegt darin, dass »Realität« sich im Hier
und Jetzt abspielt und im Gegenwartsmoment, so wie ihn Stern beschreibt, als
Wahrheit entfaltet. Wie sich die SupervisorInnen mit der Gruppe mit dem dar-
gebotenen Material auseinandersetzen, birgt Authentizität und das empathische
Spüren aller TeilnehmerInnen das Verstehen des Materials. Die Sprache der Super-
visorInnen ist in der Gruppenmatrix eingebettet und bleibt in ihrem mimischen
und gestischen Ausdruck auf der unbewussten bzw. impliziten Ebene. Die Super-
visorInnen können ihre Gefühle gezielt zum Lösen des Falles bzw. zur Aufhebung
von Stillstand einsetzen. Sie regen damit wieder einen Aushandlungsprozess zum
Verständnis der Szene an und verringern die Ängste in der Gruppe, die die Krea-
tivität der SupervisandInnen lähmen.

Ad. 2: Auf der bidirektionalen Ebene erleben die SupervisandInnen den Einsatz
ihrer Subjektivität dort, wo sich ihre individuellen Stärken und die Unzulänglich-
keiten beider Beteiligten verflechten und dann durchgearbeitet werden können.
In die psychoanalytische Verstehenssprache führten die Barangers in den 1960er
Jahren den Begriff bipersonal ein und entlehnten die Bedeutung aus der Phy-
sik, um ein dynamisches Feld der analytischen Situation zu beschreiben. Die
AnalytikerInnen werden im bipersonalen Feld von BeobachterInnen zu Teilneh-
merInnen. In späteren Werken ersetzen die AutorInnen den Begriff bipersonal
durch intersubjektiv (Will, 2010). Jaenicke versteht unter Bidirektionalität die
Anerkennung eines intersubjektiven Feldes. Die Bedeutung der bidirektionalen

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

Ebene liegt für Jaenicke in der »Begegnung unterschiedlich organisierter subjek-


tiver Welten« ( Jaenicke, 2014, S. 128). Auf dieser Ebene entfaltet sich alles, was
mit den SupervisandInnen und den SupervisorInnen zusammenhängt und einer
gegenseitigen Beeinflussung unterliegt (ebd.).
Der Begriff bidirektional ist aus der Telekommunikation entlehnt und be-
schreibt eine Signalübertragung, die in beide Richtungen erfolgt, oder er wird als
Begriff in der Biologie verwendet, im Sinne von: wechselseitig in zwei Richtun-
gen wirkend.

»Wenn der Analytiker anerkennt, dass reziproke Gemeinsamkeit tatsächlich bi-


direktional ist – das heißt, intersubjektivitätstheoretisch formuliert, wenn er die
intersubjektiven Felder anerkennt, in denen wir leben und die den Charakter des
analytischen Austausches determinieren – muss er es zulassen können, sich selbst
weiterzuentwickeln, und dies weckt Angst vor den möglichen Konsequenzen«
( Jaenicke, 2006, S. 27).

Für Jaenicke stellt die Begegnung von SupervisandIn und SupervisorIn eine bi-
direktionale Ebene dar, die in seiner Formulierung an die Felddefinition der
Barangers erinnert. Er arbeitet allerdings nicht klar heraus, inwieweit es ihm um
die Beeinflussung von zwei Personen geht oder inwieweit sich zwei Personen
gegenseitig oder ein Drittes im gemeinsamen Feld konstruieren (Baranger & Ba-
ranger, 2018; Benjamin, 2018; Ferro, 2003). Jaenicke schreibt auch, dass wir uns
»unserer Doppelrolle als Akteur, wie auch Produkt eins intersubjektiven Feldes
bewusst« sein sollten ( Jaenicke, 2014, S. 128).

»Der Supervisor sollte […] dem Supervisanden vermitteln, dass es nicht darum
geht, seine Subjektivität auszuklammern, sondern dass sich die idiosynkratischen
Stärken und Unzulänglichkeiten beider Beteiligter auf der bi-direktionalen Ebene
miteinander verflechten und später durchgearbeitet werden können« (ebd., S. 127).

Der Begriff lehnt sich sehr stark an ein physisches Verstehen an und wird auch
dort primär als Beschreibung von Receiver und Transmitter verwendet, um die
Datenschnittstelle als bidirektional zu beschreiben. Dies liegt ganz in der Tra-
dition von Freud, der sich zur Beschreibung seiner Vorstellungen ebenfalls der
Receiver-Metapher bediente. Der Begriff ist für das Verstehen eines psychischen
Phänomens noch nicht genau und gewinnbringend genug definiert, um ein bes-
seres Verstehen zu generieren.
Jaenicke (2014) erarbeitet einige pragmatische Richtlinien für intersubjektive

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2 Intersubjektives Feld und Ko-Konstruktion

Supervision, die hier zusammengefasst vorgestellt werden, da sie für das ART-III-
Projekt von Bedeutung sind:
1. Atmosphäre: eine Sicherheit für die StudentInnen gewährleisten, in der sie
ihren Gefühlen treu bleiben und diese auch bewusst zum Verstehen der Pa-
tientInnen einsetzen können
2. Individualität: die Anerkennung der Unverwechselbarkeit der StudentIn-
nen und ihres Erlebens
3. Anerkennung der Fehlbarkeit: Die SupervisorInnen vermitteln ihr Nicht-
wissen genauso wie ihr Wissen.
4. taktvolles Arbeiten mit der Subjektivität der SupervisandInnen: den Ein-
fluss der SupervisandInnen auf die Szene ergründen und auch die wech-
selseitige Beeinflussung zwischen SupervisandIn und SupervisorIn auf das
dargestellte Material
5. klinische Haltung (»Glaube deinen SupervisandInnen«) – »Hermeneutik
des Vertrauens«: Den SupervisandInnen soll eine fehlertolerante Haltung
vermittelt werden, damit sie ihre Versagensängste reduzieren können.
6. Empathie und Zuhören: Aus der Reaktion der PatientInnen lässt sich rück-
schließen, ob sie durch die Empathie der ZuhörerInnen ihre intersubjektive
Welt entfalten können. Empathie drückt sich auch in der Genauigkeit ei-
ner phänomenologischen Schilderung der Begegnungsszene aus.
7. Fokus weg vom Inhalt richten und Affekte für die zugrunde liegenden
Motive verwenden: die emotionale Bedeutung betrachten und damit eine
Kontextualisierung des psychischen Lebens erzeugen
8. Übertragung der PatientInnen auf die SupervisandInnen – organisierende
Aktivität der Begegnung – Übertragung auf die Gruppe: Die PatientIn-
nen/KollegInnen übertragen ihre unbewussten, affektiv gesteuerten Wahr-
nehmungen auf die SupervisandInnen. Die Übertragung organisiert in
einer Konstruktion von Nähe und Distanz die Beziehung, um das Selbst zu
stabilisieren.
9. Traum: Dieser Aspekt findet in ART III Anwendung, wenn eine Studentin
oder ein Student einen Gruppentraum erzählt und über die freie Assozia-
tion dem Gruppengeschehen Bedeutung zugeschrieben werden kann, die
sich im Traum manifestiert.
10. Setting – »Behandlung« versus »Krise«: Einen wichtigen Faktor stellt die
klare Definition der haltungsgenerierenden Antwort der SupervisorInnen
dar. Zielen ihre Antworten auf ein Verstehen der geschilderten Szene ab,
die von Langsamkeit geprägt ist, oder wird über Handlungsanweisungen in
der Gruppe diskutiert, um einen Fahrplan für wiederholt auftretende Kri-

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

sen zu haben? Diese sprachlich ungenaue Definition von »Behandlung«


und »Krise« führt zu großen Konflikten und Empfindungen von Nicht-
verstehen vonseiten der StudentInnen bzw. des behandelnden Personals in
Anstalten.

3 Anfänge der Supervision

Die Supervisionsentwicklung lässt sich in zwei unterschiedlichen Strängen dar-


stellen:
1. als eine Entwicklung aus dem sozialen Arbeitsfeld
2. als eine Entwicklung aus der psychoanalytischen Ausbildung

Ad. 1: Der Begriff des supervidere entlehnt sich der Bedeutung des Überwachens
bzw. etwas ansehen, erkennen, inspizieren, kontrollieren, nach dem Rechten sehen
(Petzold et al., 2003; Edlhaimb-Hrubec, 2004). Der Terminus der Supervision
taucht in mittelalterlichen, britischen, irischen, lateinischen Quellen auf und be-
zeichnet ebenfalls Tätigkeiten wie Aufsicht innehaben und Kontrolle ausüben.
In einem Londoner Elendsviertel gründeten um 1884 der Pfarrer Samuel
Barnett und seine Frau Henrietta eine Universitätsniederlassung, die sie »Toyn-
bee Hall« nannten – in Anlehnung an den Historiker und Nationalökonomen
Arnold Toynbee. Sie wollten »gebildete« mit »ungebildeten« Menschen zu-
sammenbringen, um die sozialen Probleme und Bedürfnisse der Bevölkerung für
gebildete Schichten verstehbar zu machen. Im Zuge dieses Vorhabens wurden mit
den StudentInnen von Toynbee Hall soziale, ökonomische und sozialpädagogi-
sche Fragen erörtert (Stattler, 2017; Belardi, 2013).
Die Geschichte der Supervision im sozialen Kontext erstreckt sich bereits über
hundert Jahre und hat ihre Ursprünge in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Die traditionelle Entwicklung von autonomen BürgerInnen und die Abstinenz
des Staates speziell in versorgenden Sicherungssystemen führten zur Etablierung
von privaten Hilfsorganisationen. Um einen gewissen Standard an Betreuung auf-
rechtzuerhalten, wurden Hilfskräfte von professionellen HelferInnen angeleitet
und überwacht. Diese »paid agents« bilden die Vorläufer der heutigen Super-
visorInnen in Amerika und gehen auf die 1878 im Staat New York gegründete
Charity Organization Society (C. O.S) zurück. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts
gab es in Amerika 78 Hilfsorganisationen (C. O.S), in denen 174 hauptamtli-
che bzw. nebenberufliche SozialarbeiterInnen angestellt waren. Diese übten eine
Anleitungs- und Kontrollfunktion über zweitausend ehrenamtliche Mitglieder

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3 Anfänge der Supervision

aus. Für diese »paid agents« wurde erstmals 1911 ein Supervisionsausbildungs-
lehrgang durchgeführt. Durch die ab 1933 stark einsetzende Emigration von
AnalytikerInnen aus Europa, die sich verstärkt im Sozial- und Fürsorgewesen en-
gagierten, kam es zu einer zunehmenden Beeinflussung durch psychologische und
psychoanalytische Verstehensmodelle. Bereits 1920 hatte Otto Rank einige Sozi-
alarbeiterInnen in Amerika in Analyse. Der Aspekt der Überwachung trat nun
immer stärker in den Hintergrund und der Fokus der Sozialarbeit richtete sich
vielmehr auf die Bedeutung der Beziehung (Stattler, 2017; Petzold et al., 2003;
Sauer, 1997).
Die Entstehung der Supervision in Österreich ist stark verknüpft mit den
aufkommenden Erkenntnissen aus der Tiefenpsychologie. Speziell im pädagogi-
schen Bereich und in der Fürsorge konnten tiefenpsychologische Erkenntnisse
gewinnbringend umgesetzt werden.
Von Ilse Arlt wurde 1912 eine Ausbildung »Vereinigte Fachkurse für Volks-
pflege« für FürsorgerInnen ins Leben gerufen. Sie entwickelte »Grundlagen
einer Fürsorgewissenschaft«, um die Professionalisierung für helfende Berufe
weiter voranzubringen und den Helfenden ein Werkzeug in die Hand zu geben.
Die staatlichen Bedingungen, die durch die sozialdemokratischen Sozialpolitiker
Ferdinand Hanusch und Julius Tandler in Wien geschaffen wurden, unterstütz-
ten alle aufkommenden Bestrebungen nach einer geregelten Fürsorgetätigkeit.
Die Entdeckungen Freuds und seiner MitstreiterInnen revolutionierten das
Verstehen der menschlichen Seele und lenkten die Aufmerksamkeit auf die Ver-
knüpfung der Entstehung neurotischen Leids mit den sozialen, kulturellen und
familiären Einflüssen.

Ad. 2: Die Psychoanalyse hat bereits vor ihrer institutionellen Entwicklung ver-
schiedene persönliche Vereinbarungen zwischen AnalytikerIn und Ausbildungs-
kandidatIn getroffen, die eine Überwachung von Analysen gewährleisten sollten.
Beim Kongress in Homburg kam es 1925 zur Installierung eines offiziellen Ausbil-
dungscurriculums, um gewisse Standards zu etablieren. Dieses umfasste folgende
Elemente:
➢ Ausbildungsanalyse
➢ theoretische, akademisch-klinische Ausbildung
➢ Kontrollanalysen unter Begleitung erfahrener AnalytikerInnen

An der Berliner Psychoanalytischen Poliklinik wurde dieses dreiteilige Modell,


das bis heute Gültigkeit hat, unter der Federführung von Max Eitingon entwi-
ckelt (Sauer, 1997; Stadler, 2017).

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

In den Richtlinien von 1933 für die Lehrtätigkeit in der Wiener psychoana-
lytischen Vereinigung heißt es unter Punkt »III. Ausbildung«:

»c) Praktische psychoanalytische Arbeit


Mindestens zwei Analysen unter Kontrolle von hierzu bestimmten Analytikern
während zweier Jahre« (Huber, 1977, S. 235).

Hier wurde das Supervisionsmodell festgeschrieben, und zwar so, wie es noch
heute von den meisten psychotherapeutischen Ausbildungen verwendet wird.
Wilhelm Hoffer, ein Mitstreiter des Psychoanalytikers Siegfried Bernfeld und
dessen Stellvertreter im 1919 gegründeten »Kinderheim Baumgarten«, führte
ab 1925 Kurse für PädagogInnen am Lehrinstitut der Wiener Vereinigung durch.
Die AbsolventInnen dieser Kurse unterzogen sich auch einer Analyse, um ein
besseres Verständnis für die Bedürfnisse der Kinder zu entwickeln (Sauer, 1997;
Mühlleitner & Reichmayr, 1992).
Nach dem Ersten Weltkrieg (1919) wurden unter der Federführung von Al-
fred Adler Erziehungsberatungsstellen gegründet, die nur zwischen 1934 und
1945 einem Verbot unterlagen, aber noch immer einen elementaren Bestand
der Wiener sozialen Versorgung darstellen. Alfred Adler erkannte bereits sehr
früh, dass Eltern, LehrerInnen und ErzieherInnen eine Anleitung für schwierige
Kinder benötigen. Er schuf eine neue Möglichkeit des Verstehens und der Hilfe.
Es

»[…] konnten die verschiedenen Berufsgruppen, die mit der Erziehung der Kinder
befasst waren, die Arbeit Alfred Adlers beobachten, selber üben und in der Gruppe
reflektieren. […] Dazu bedarf es einer besonderen Art des Lernens – ein Lernen
durch Erfahrung und durch Reflexion dieser Erfahrung sowie der Berücksichtigung
der emotionalen Betroffenheit und der Bemühung um zunehmende Bewusstheit
der subjektiven Faktoren im Interaktions- und Handlungsgeschehen. Heute wird
dieser differenzierte Lernprozeß in dem Begriff ›Supervision‹ zusammengefasst«
(Fiala, 1986, S. 35).

Supervision erfolgte auf unterschiedlichen Entwicklungswegen, nämlich auf ei-


nem sozialarbeiterischen und später einem pädagogischen, sowie auf der tiefen-
psychologischen Schiene. Selbsterfahrung und SupervisorIn waren bereits in den
Anfängen der Seelenkunde von großer Bedeutung und bereits damals ein Schnitt-
punkt zwischen »treat and teach«.

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4 Leitungskompetenz für ART III

4 Leitungskompetenz für ART III

Primär zeigt sich bei der Durchsicht der Literatur, dass der Schwerpunkt auf den
zu erlernenden Kompetenzen des SupervisandInnen liegt und wenig Auskunft
über die Befähigung der SupervisorInnen zu finden ist. Da es sich hier um ein
Ausbildungsprogramm handelt, stellt sich auch die Frage nach der Verantwortung
der SupervisorInnen und der Evaluierbarkeit der zu erbringenden Kompetenzen
vonseiten der StudentInnen. Im Mittelpunkt steht die kollegiale Begegnung mit
den StudentInnen, die immer reflexiv bewertet werden sollte im Sinne einer Eva-
luierung vonseiten der SupervisorInnen, um einen kreativen Austausch mit und
innerhalb der Gruppe zu ermöglichen. Es soll eine autoritäre Atmosphäre, wie
sie durch den Ausbildungskontext gefördert wird, immer reflexiv infrage gestellt
werden, um Gefühle von Über- und Unterlegenheit nicht als destruktive Fakto-
ren das Gruppengeschehen beherrschen zu lassen.
Eine der schwierigsten Schnittstellen für SupervisorInnen, die in einem Aus-
bildungskontext tätig sind, besteht in der Problematik, StudentInnen zu fördern
und auch kritisch in ihren Aussagen zu bewerten. Üblicherweise stehen die Be-
urteilung und damit die Verantwortung der SupervisorInnen für die Leistung der
StudentInnen nicht so stark im Fokus der SupervisorInnen – in deren Ausbil-
dung und Lehrtätigkeit. Hier herrscht in der Forschung und Literatur noch ein
großer Nachholbedarf. Diese Problematiken werden von vielen Ausbildungsver-
einen hinter Attributen wie »Abstinenz«, »analytische« Haltung usw. versteckt.
Die intersubjektive Haltung fordert die SupervisorInnen immer wieder heraus,
sich auch mit der Gruppe Gedanken über ihr gemeinsames Tun und Handeln
zu machen. Aus dieser Form des Gesprächs wird wiederum für die Supervisan-
dInnen auch klarer hervorgehen, dass die Interventionen der SupervisorInnen
sich individuell aus der vorgebrachten Geschichte entwickeln, damit auch einem
Relativismus unterliegen, keine Wahrheit im Sinne von Absolutheit darstellen
und sich somit wiederum das Autoritätsgefälle zwischen SupervisorIn und Stu-
dentInnen im Sinne von Wissen auflockert. Durch dieses Nachdenken über
das gemeinsame Generieren von Gedanken zu einer vorgebrachten Geschichte
eröffnet sich auch für die TeilnehmerInnen die Möglichkeit, den Prozess in ei-
nem solchen Geschehen wahrzunehmen und zu reflektieren. Damit erkennen
die TeilnehmerInnen die eigene Anteilnahme am Prozess und ihre damit ver-
bundene Verantwortung und können somit diesen Reflexionsprozess nicht mehr
als »göttliches« Wissen vonseiten der SupervisorInnen betrachten, sondern als
gemeinsam gestalteten Prozess begreifen, der sich wiederum auch in ihnen veran-
kern sollte.

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

Eine weitere Schnittstelle liegt in der Wahl der Worte und der damit verbun-
denen Theorien, die sich um die Beschreibung der dargebrachten Szenen und
Gefühle kreieren lassen. Welche Theorie verwenden die SupervisorInnen, um das
nicht Sichtbare in erfahrbare Bilder zu kleiden? Eine sehr differenzierte Sprache
für das psychische Geschehen bietet sich durch die Modelle der Psychoanalyse.
Hier finden sich sehr genaue und differenzierte Beschreibungen von seelischen
Phänomenen. Je stärker die SupervisorInnen den phänomenologischen Aspekt
in den Schilderungen betrachten, desto weniger Theorie brauchen sie als Meta-
phernwerkzeug, um das nicht Sichtbare in Worte zu kleiden. Auch hier herrscht
wiederum das Prinzip der gedanklichen Verschiebbarkeit vor, indem Theorien
notwendig sind, um etwas in eine sprachliche Abstraktion zu überführen, womit
sich erst die Möglichkeit eröffnet, Gedanken dazu zu entwickeln, im Sinn der
freien Assoziation zu ergänzen, zu wiederholen und beschreibbare Phänomene
zu generieren. Intuitive Antworten der StudentInnen in theoretische Konstrukte
zu integrieren, ermöglicht es diesen, sich in einer vergesellschaftlichten Wissens-
welt wiederzufinden und damit nicht mehr individuell ihrem »Bauchgefühl«
verhaftet zu sein. Theoretische Vorstellungen ermöglichen uns, die Welt in eine
Ordnung zu stellen und damit auch Wiederholbarkeit zu generieren. Verände-
rung für die StudentInnen liegt eben auch in der Möglichkeit der Verschiebung
einer Szene, die somit gedanklich flexibel gestaltet werden kann. Die Dekonstruk-
tion einer Theorie als Ausgangspunkt für die Verschiebung bzw. Dekonstruktion
setzt ein gedankliches Konstrukt von Theorie voraus. Wenn sich der Austausch
in der Lerngruppe nur intuitiv kreiert, bleibt die Individualität der Äußerungen
im Vordergrund, und jede Begegnung braucht für ihr Verständnis ein eigenes
Konstrukt bzw. Theoriegebäude. Wir würden uns damit wiederum als individu-
elle, eigenständige NomadInnen konstruieren, da Theorie in ihrer Anerkennung
sich als intersubjektives Geschehen darstellt. Kernberg erkennt an den Fallschil-
derungen seiner StudentInnen, bei wem sie in Supervision sind. Trotz intuitiver
Reaktionen der SupervisorInnen auf das Material der SupervisandInnen bleibt
eine individuelle Sichtweise der Fehlinterpretation bestehen.
Intuition stellt für ihn die Fähigkeit dar, das dargebrachte Material sehr
schnell aus unbewussten und vorbewussten Komponenten in einen theoretischen
Bezugsrahmen zu setzen (Kernberg, 2016, 2017). Diese unbewussten und vor-
bewussten Komponenten speisen sich aus der Haltung der SupervisorInnen, die
diese durch Erfahrung und Literatur in einem fluiden Modus in sich tragen. Die
SupervisandInnen sollten auch eine Vorstellung vom theoretischen Hintergrund
der SupervisorInnen vermittelt bekommen, ein Verständnis des Referenzrah-
mens besitzen, in dem die SupervisorInnen ihre Sprache generieren. Durch dieses

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4 Leitungskompetenz für ART III

Wissen erlernen die SupervisandInnen nicht nur, eine konkrete Situation zu ver-
stehen und zu bewältigen, sondern auch, wie sich aus diesen Einzelsituationen
ein allgemeinerer Rahmen herausbilden lässt, der wiederum in der konkreten Si-
tuation dekonstruiert werden kann und somit durch ein phänomenologisches
Verständnis tief individuell und unaustauschbar wird. Theorie bedeutet auch die
Möglichkeit, das Wissen der SupervisorInnen von diesen zu entkoppeln, es zu in-
tegrieren und nicht als allmächtige Eingebung einer weisen Person zu betrachten.
Die Aussagen können nun vonseiten der SupervisandInnen zu einer allgemei-
neren Theorie zurückverfolgt und erkannt werden, insofern, dass es aus dieser
Theorie auch andere Verstehenskonstrukte der geschilderten Szene geben könn-
te. Die SupervisandInnen sollten nun in der Lage sein, eigene Konstrukte zum
Verstehen des dargebrachten Materials zu entwickeln, alternative Gedanken zum
Verständnis der geschilderten Szene zu äußern. Damit verändert sich auch die
allmächtige Position der SupervisorInnen, und der Schwerpunkt der Bedeutung
liegt mehr auf dem Phänomen der Beschreibbarkeit des nicht Sichtbaren als auf
der Gültigkeit von Theorien. Damit entsteht auch keine Konkurrenz zwischen
unterschiedlichen theoretischen Modellen, die versuchen, das nicht Sichtbare in
Worte und damit in erdenkbare Strukturen zu kleiden. Der gemeinsame Nen-
ner der Theorien liegt primär in der Sichtbarmachung von nicht Sichtbarem.
Alternative Denkmodelle stellen bereits die Sichtbarmachung des davor darge-
brachten Denkmodells dar, indem sich das Phänomen der Struktur erst in der
Ab-Grenzung zeigt und damit sichtbar wird im Sinne von Martin Buber: Das Ich
wird am Du sichtbar. Diese Form der Supervision wirkt den autoritären Formen
von Theorie und Technik entgegen und fordert die SupervisandInnen auf, eige-
ne Modelle des psychischen Verstehens zu entwickeln und diese wiederum einer
Dekonstruktion zu unterziehen.
Die Verantwortung der SupervisorInnen liegt darin, sich explizit zu ihren
eigenen Theorien äußern und damit immer wieder in eine Metaposition zum
dargebrachten Material gehen zu können, was sich in der Denkstruktur als Ga-
damer’scher Zirkel darstellt. Die dargebrachten Theorien werden wiederum an
der Fallgeschichte entwickelt und verdeutlichen damit die Originalität des Falles
und dessen individuelle Unaustauschbarkeit, die sich in der kreativen Begegnung
in der Gruppe zeigt.
Die SupervisorInnen stellen auch der Gruppe ihre eigenen Gefühle als Über-
legung zur dargestellten Szene zur Verfügung. Die Haltung ist dadurch gekenn-
zeichnet, dass sie eine individuelle Gefühlsäußerung anerkennt, die sich von allen
anderen unterscheidet und damit auch keine Leitlinie im Sinne von »richtig«
oder »falsch« darstellt.

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

5 Institution und Schule sowie


deren Rahmenbedingungen

Die Supervision findet in diesem Projekt im Rahmen einer schulischen Or-


ganisation statt, die in die Struktur einer Spitalsorganisation eingebettet ist.
Krankenhäuser haben ihre eigenen Regeln, weisen spezielle strukturelle Merkma-
le auf und hegen entsprechende Erwartungen an die StudentInnen. Institutionen
dieser Größenordnung unterliegen einer straff geführten, hierarchischen Ord-
nung, in der formelle und informelle Regeln vorherrschen. Die SupervisorInnen
bewegen sich zwischen dem Schaffen eines vertrauensstiftenden Raums für die
StudentInnen, in dem diese ihre Erlebnisse, Beobachtungen, Probleme und Sor-
gen darlegen können, und der Übernahme einer Ausbildungsverpflichtung im
Sinne von definierten Zielen vonseiten der Institution, von der sie bezahlt wer-
den. Die Institution steht ihrerseits wieder unter einem Kostendruck vonseiten
des Geldgebers und den Erwartungen an die zukünftigen Pflegepersonen.
Die Transparenz dieser Verknüpfung der SupervisorInnen mit der Institution
und deren Ansprüchen an ihre Ausbildungsleistung für die StudentInnen sollte
in der Gruppe immer offen angesprochen werden können. Es wird damit Be-
zug auf die reale Situation, in der sich die Auszubildenden bewegen, genommen.
Die Verknüpfungen entwickeln sich durch den Ausbildungsprozess in kaskadi-
scher Form weiter, indem Situationen besprochen werden, in denen Personen
beschrieben werden, die auch diese Ausbildung durchlaufen haben und den Su-
pervisorInnen vielleicht bekannt sind. Es stellt keine Problematik dar, wenn eine
Atmosphäre von Individualität und Unaustauschbarkeit des dargebrachten Ma-
terials in der Gruppe vorherrscht und somit keine Denkungen von Richtig und
Falsch entstehen, womit die SupervisorInnen in eine Entscheidungsdichotomie
kämen, in der sie aufgefordert würden, sich zu einer der beteiligten Personen zu
positionieren.
Der Konflikt von StudentInnrn mit der Station zum Beispiel kann sich als
verlagerter Konflikt innerhalb der Gruppe, speziell mit den SupervisorInnen, ab-
spielen. Die SupervisandInnen möchten es als Anerkennung ihres Erlebens in
die Begegnung einbringen und die Reaktion auf ihr Problem von den Supervi-
sorInnen »gezeigt« bekommen (Slavin & Rahmani, 2016). Die Reaktion der
SupervisorInnen auf die StudentInnen und damit auf das Hier und Jetzt der
Beziehung beinhaltet einen starken Lerneffekt und vermittelt ein Gefühl von
Authentizität. Diese Form der Wissensgenerierung erfordert einen offenen, kol-
legialen Umgang in der Gruppe. Es stellen sich die Fragen, wie viel Kritik in der
hierarchischen Atmosphäre der Institution möglich ist, inwieweit die Strukturen

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Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
6 Empathie in der Gegenübertragungsexploration und im bidirektionalen Feld

der Institution infrage gestellt werden können und inwieweit die SupervisorIn-
nen vonseiten der Institution toleriert bzw. auch von der Ausbildungsinstitution
geschützt werden, wenn sie einen Raum von dieser Dimension öffnen und der
Kritik damit auch Anerkennung an einem öffentlich Ort verleihen.
In der Begegnung mit den SupervisorInnen entfalten sich unterschiedliche
Verstehensebenen: erstens die in der unmittelbaren Beziehung zwischen Supervi-
sorIn und StudentIn; zweitens die Ebene der Beziehung zwischen StudentIn und
PatientIn bzw. KollegInnen; die dritte Ebene lässt sich über die aufgearbeiteten
institutionellen Konflikte durch die entstehenden Gefühle zwischen StudentIn
und SupervisorIn verstehen. Diese Ebenen widersprechen sich nicht, wenn eine
Haltung von Individualität in der Gruppe vorherrscht und sich damit ein Raum
von Nachdenken eröffnet. Die Haltung von gemeinsamer, kreierter Realität ist
vorrangig, um über diese Phänomene nachdenken zu können.

6 Empathie in der Gegenübertragungsexploration und


im bidirektionalen Feld

Zurückgreifend auf die Aspekte aus ART II, das Arbeiten mit den eigenen Ge-
fühlen, entwickeln die StudentInnen mit der Gruppenleitung auf der Basis einer
kollegialen Atmosphäre ein bidirektionales, intersubjektives Feld sowie Ideen und
Hypothesen über die dargebrachte Szene. Im Sinne eines kaskadischen Verlaufes
werden die Gefühle des oder der Studierenden, der oder die den Fall einbringt,
auf die geschilderte Szene zurückgeführt und mithilfe der in der Gruppe erlebten
Gefühle zu einem hypothetischen Netz des Verstehens verwoben, wobei jede und
jeder der Teilnehmenden eine Haltung der Veränderung bei jedem Gedanken in
sich und somit dem Gadamer’schen (hermeneutischen) Zirkel Rechnung trägt
(Gadamer, 2010).
Eine spannende Schnittstelle ist die Erforschung derjenigen Aspekte der Stu-
dentInnen, die sie zur Reaktion der PatientInnen beitragen. Die Fragestellung
folgt immer der Haltung: Was können wir mit diesen Gefühlsreaktionen und der
Beteiligung im Geschehen über die PatientInnen verstehen? Auch die Gruppe
und die Gruppenleitung erzeugen ein bidirektionales Feld und sind für die von
den StudentInnen geäußerten Gedanken über den Fall mitverantwortlich. Der
Unterschied zwischen Selbsterfahrung und Supervision liegt in der Richtung und
Haltung der GruppenteilnehmerInnen im Stellen der Fragen. Es geht in der Su-
pervision nicht um die StudentInnen, deren mitgebrachte Elemente ihrer eigenen
Erlebnisse und deren Rückschlüsse auf die Vergangenheit. Der Fokus liegt immer

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

darauf, sich Gedanken über die Reaktion auf die PatientInnen oder auf die Per-
sonen im dargebrachten Material zu machen.
Bei einem großen Vertrauensverhältnis zwischen den Gruppenmitgliedern
kommt oft der Wunsch auf, sich ebenfalls in einen Raum des Verstehens zu
begeben, die eigenen Traumatisierungen einem »Dritten zur Anerkennung« dar-
zulegen. Hier muss die Gruppenleitung entscheiden, wie weitgehend sie diese
Angebote aufgreift und die Gruppe in einen regressiven Zustand führt. Bei trau-
matisierenden Erlebnissen mit PatientInnen wie Suizid, Gewalt, Mobbing usw.
verlangen die Gruppenmitglieder, sich diesem Geschehen zu stellen und keine
Fallgeschichte zu bearbeiten. Hier wiederum ist die Sehnsucht oft sehr groß, die
eigenen Traumatisierungen aus der Arbeitswelt darzulegen und eine Anerken-
nung durch die Gruppe zu erfahren. Die Aufgabe der Gruppenleitung besteht
nun darin, sich den Wünschen der Gruppe nach Anerkennung hinzugeben und
dabei das Realitätsprinzip einer Institution und hierarchischen Organisation mit
Verantwortungsstrukturen nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn die Gruppe
es auf der Handlungsebene erleben möchte, so wird der Supervisor oder die Su-
pervisorin oft auf der Seite der Institution positioniert und als VertreterIn und
VerursacherIn der Traumatisierung vonseiten der Organisation verortet. Manche
StudentInnen ergreifen den regressiven Boden, auf dem sich die Traumatisierung
inszeniert, und betrachten die Gruppenleitung als jemanden, die sich den Mit-
gliedern verweigert, wenn sie keine konkreten Handlungsanweisungen äußert
und auch nicht sofort im hierarchischen Gefüge der Institution persönlich inter-
veniert. Die SupervisorInnen fühlen sich dann hilflos und werden angegriffen,
wenn sie nicht handeln. Es wiederholt sich im gemeinsamen Feld das Thema der
Hilflosigkeit, was wiederum von StudentInnen sehr stark erlebt wird. Die Gruppe
bzw. einzelne Mitglieder erzeugen nun eine Situation, in der die Gruppenleitung
diese Gefühle erlebt. In solchen Begegnungen liegt eine der bedeutendsten Lern-
erfahrungen, indem nun erlebt wird, wie die SupervisorInnen darauf reagieren
und welche psychischen Komponenten sie nun zeigen. Wie reagieren sie auf die
eigenen Gefühle von Hilflosigkeit? Wie verarbeiten sie diese, ohne zu verzwei-
feln?
Die Frage ist, ob nun auch die Gruppe die Hilflosigkeit der Leiterin oder des
Leiters anerkennen und somit auch ein Eingebettetsein in hierarchische Verhält-
nisse respektieren kann. StudentInnen schildern erlebte Szenen voller Ohnmacht
und Abhängigkeit und erleben zum Beispiel die Stationsleitung als sehr mächtig.
Oft können sie Gefühle von Ohnmacht und Abhängigkeit sehr schwer Leitungs-
positionen zuschreiben. Hier besteht nun in der Supervision die Möglichkeit,
sich in die SupervisorInnen einzufühlen, deren Ohnmacht anzuerkennen und

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6 Empathie in der Gegenübertragungsexploration und im bidirektionalen Feld

sich damit nicht mehr so hilflos zu fühlen – und außerdem vielleicht auch an-
zuerkennen, dass die Hilflosigkeit der SupervisorInnen gemeinsam konstruiert
wird, indem StudentInnen eine konkrete Handlung bzw. Handlungsanleitung
vonseiten der SupervisorInnen einfordern. Manche StudentInnen bleiben in ihrer
konkretistischen Welt, können sich nicht die psychische Welt des gemeinsamen
Geschehens öffnen und darüber in einen reflektiven Raum einsteigen.
Die mentalisierenden Ebenen in dem Sinne, dem oder der anderen Gedanken,
Gefühle, Intentionen usw. zuschreiben zu können, versinken im konkretistischen
Einfordern und Handeln. Es braucht vor allem Gruppenmitglieder, die sich
haltend bzw. containend in diesem Raum des Psychischen bewegen können.
Konkrete Lösungen zu fordern, in »falsch« und »richtig«, »schwarz« und
»weiß« zu denken, kann eine starke Dynamik in Gruppen erlangen und deckt
den Raum der Reflexion zu, indem auch andere Gruppenmitglieder davon infi-
ziert werden.
Inwieweit sich auch Gefühle von Neid und damit von Zerstörung in der
Gruppe entfalten, um Kontrolle über die SupervisorInnen zu erlangen und somit
den eigenen Sehnsuchtsgefühlen und den damit verbundenen Traumatisierungen
aus der eigenen Geschichte zu entgehen, lässt sich erst durch eine kollegiale, hal-
tende Atmosphäre in Sprache kleiden. Kann die Gruppenleitung den Schmerz
bzw. die Traumatisierung der StudentInnen anerkennen, kann es nun von der
Handlungsebene zum Nachdenken über die eigenen Gefühle kommen und so-
mit zu einer Anerkennung von Gefühlen wie Neid und den damit verbundenen
Kontrollwünschen.
Eine gewisse Idealisierung der SupervisorInnen ist Teil des Gruppengesche-
hens, und sie fordern dies ja auch ein, im Sinne eines bidirektionalen Feldes, um
auch ihrer Rolle als WissensvermittlerInnen Ausdruck zu verleihen und eine An-
erkennung ihrer Kompetenz als SupervisorInnen zu bekommen.
In einer gemeinsamen Haltung, in der Wissen bzw. Erkenntnis nur gemein-
sam kreiert werden können, im Sinne einer Konstruktion bzw. Dekonstruktion
von Realität, entfaltet sich ein kreativer Raum, in dem Gefühle von Nichtwissen
und Entwertung in den Hintergrund treten. Die SupervisorInnen sollten ihre
Gedanken auch immer nachvollziehbar machen und kein orakelhaftes Wissen äu-
ßern, das von einer höheren, vermeintlich nur ihnen zugedachten Wissensquelle
stammt. Hier würden sich dann Strukturen von Glaubensgemeinschaften etablie-
ren, wie es sich speziell in psychoanalytischen Ausbildungsvereinen des Öfteren
darstellt (Kernberg, 2016). In dieser regressiven Atmosphäre neigen auch viele
StudentInnen dazu, sich den SupervisorInnen zu »unterwerfen« und Gefühle
von Entwertung zu erleben.

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

Der gemeinsame Austausch unter den StudentInnen, wie zum Beispiel in In-
tervisionsgruppen, kann für manche Studierenden einen Raum eröffnen, in dem
sie weniger von Gefühlen des Nichtwissens beherrscht werden als bei einer Grup-
penleitung, die sich wie ein Guru verhält (Kernberg, 2014, 2016, 2017).

7 Die Dynamik in der Gruppe von SupervisandInnen

Phänomene, die zur Entwicklung einer Veränderung beitragen, sind in einem


prozesshaften Geschehen verankert. Eine Gruppe verändert sich im Laufe ihres
Beisammenseins, was sich auch durch die Zunahme an Erkenntnissen und Erfah-
rungen zeigt. Die Gruppe ermöglicht es, viele Aspekte einer Szene zu beleuchten
und die dargebrachten Gedanken der TeilnehmerInnen als gemeinsam kreiertes
Material zu betrachten. In diesem intersubjektiven Raum kommen die verschie-
densten Aspekte von gruppendynamischen Phänomenen zum Tragen.
Das Zurverfügungstellen eines Resonanzraumes für die dargebrachten Ge-
fühle der GruppenteilnehmerInnen ermöglicht die Entfaltung eines Prozesses,
der nun unterschiedliche Emotionen in den TeilnehmerInnen auslösen kann.
Sie kreieren durch ihre eigene Geschichte, die einen Teil dieses Resonanzbo-
dens darstellt, individuelle Gefühle für das Material. Aus diesen Äußerungen
können nun wieder Rückschlüsse auf das Verstehen der dargebrachten Schil-
derung gezogen werden. Die Aufgabe der Gruppenleitung besteht auch darin,
diese unterschiedlichen Gefühlsstränge zu einer die PatientInnen verstehenden
Konfiguration zu konstruieren und auch gegenteilige Affekte in einem ambi-
valenten, vielschichtigen, seelischen Verstehen zu integrieren. Je wissender die
SupervisorInnen auftreten, desto stärker ziehen sie die Dynamik von Gefühlen
wie Unterlegenheit, Wut usw. auf sich und verlieren damit das dargebrachte Ma-
terial aus dem Fokus des Verstehens. Sie werden ohne diese eigene Involviertheit
keine Begegnung mit den GruppenteilnehmerInnen im Sinne eines Lerneffekts
kreieren können. Es besteht aber immer die Möglichkeit, über die gemeinsamen,
erlebten Gefühle auf einem Boden der Kollegialität nachzudenken und sich zu
überlegen, inwieweit sie Aspekte von einem selbst beinhalten und inwieweit sie
mit der Darbringung durch die KollegInnen entstanden sind. Außerdem kann
die Frage gestellt werden, was die emotionale bzw. affektive Erzählfärbung für das
Verstehen der Situation bedeutet.
Eine wichtige institutionelle Dynamik kann sich durch die Tatsache entfalten,
dass dieses Programm von mehreren GruppenleiterInnen moderiert wird und es
zu Konkurrenzgedanken kommen kann, da sich die StudentInnen über die unter-

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8 Die vonseiten der StudentInnen dargebrachten Szenen und Themen und …

schiedlichen Stile unterhalten und auch einwerfen, was eine andere Kollegin oder
ein anderer Kollege zu einer Situation gesagt hat, und dies als Widerspruch zu
einer Aussage eines anderen Gruppenleiters oder einer anderen Gruppenleiterin
erlebt werden könnte. Dabei üben natürlich auch Rivalitäten zwischen Gruppen-
leiterInnen einen großen Einfluss auf die Gruppen aus. Da diese Gefühle von
Bedeutung sind, sollten sie für die SupervisorInnen in erdenkbaren Regionen
sein, um diese immer wieder reflexiv zur Verfügung zu haben. Wenn sich in der
Gruppe eine Haltung von Intersubjektivität erkennbar etabliert, so entsteht ei-
ne kollegiale Haltung gegenüber all den Emotionen, die sich ausbreiten können.
Durch das gemeinsame Konstruieren von Wirklichkeit erleben die StudentInnen
ihre Verantwortung auch den Gefühlen der SupervisorInnen gegenüber, wenn
diese durch Konkurrenzdenken beeinflusst werden. Am Ende des Weges ihres
Lernprozesses erkennen die StudentInnen den gemeinsamen Einfluss auf das Ma-
terial, die Originalität ihrer Gedanken und Gefühle und erleben somit auch eine
Selbstwirksamkeit in ihrem Tun. Gefühle von Ohnmacht, Neid, Unterlegenheit,
Entwertung usw. treten dadurch in den Hintergrund, und sie können ein neues
Erdenken von Situationen erleben.
Die StudentInnen sollten einen eigenen integrierten Bezugsrahmen ihres Ver-
ständnisses vom psychischen Geschehen entwickeln und in sich eine Freiheit
generieren, die es ihnen ermöglicht, ihre psychischen Reaktionen in Situationen
zu erdenken und damit Handlungen reflexiv zu bewerten. Sie können sich ihrer
Begrenztheit und Wirksamkeit bewusst sein und damit eine Unabhängigkeit ih-
rer eigenen Ein- und Wertschätzung erreichen.

8 Die vonseiten der StudentInnen dargebrachten Szenen


und Themen und ihre Kompetenzentwicklung

Die StudentInnen haben die Möglichkeit, ihre Themen frei zu wählen und diese
der Gruppe vorab zu präsentieren. Die SupervisorInnen greifen das nach ih-
rer Einschätzung vorrangige Material auf, wobei sie auf traumatisierende Szenen
wie Suizid- und Gewalterfahrungen bzw. angstmachende Situationen Bedacht
nehmen. Meistens sind es die Szenen, die auch die Gruppe am meisten emotio-
nalisieren und die damit auch gut von dieser getragen werden. Je angstmachender
sich das Material darbietet, desto stärker muss es von der Gruppenleitung getra-
gen werden, und falls es zu belastend ist und zu stark vonseiten der StudentInnen
in deren eigene Lebensgeschichte kippt, kann sie eine Einzelsupervision anbie-
ten.

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

Der Schwerpunkt in ART III liegt auf den mündlichen Mitteilungen der
StudentInnen von ihren Erlebnissen auf den Stationen und diversen Prakti-
kumsstellen. Für Kernberg stellt diese Informationsquelle einen ausgezeichneten
Zugang zur Haltung der StudentInnen und den sich entfaltenden Parallelpro-
zessen in der Gruppe dar (Kernberg, 2016, S. 124). Parallelprozesse sind für
Kernberg die unbewussten Reaktionen, die sich im Prozess der Übertragung und
Gegenübertragung entfalten.
Die Bedeutung von »Genauigkeit« eines Dialogs, wie es nur durch Audio-
oder Videoaufnahmen gewährleistet werden kann, spielt in dieser Form eine un-
tergeordnete Rolle. Da jede Begegnung eigenes Material produziert und auch die
Deutungen sich jedes Mal beim Betrachten einer Videosequenz verändern, im
Sinne des Gadamer’schen Zirkels, geht auch die Vorstellung von »Wahrheit«, die
durch einen aufgezeichneten Dialog postuliert wird, verloren (Gadamer, 2010).
Der Fokus bei ART III liegt auf der Schulung der eigenen Haltung und der da-
mit verbundenen Beeinflussung einer Situation, die sich außerhalb von Worten
entwickelt. Dass Handlung Haltung beeinflusst, ist in unserer westlichen Ausbil-
dungstradition sehr stark verankert. Wir legen dadurch den Schwerpunkt auf die
Beeinflussung der Handlung durch die Haltung, die ich in bestimmten Situatio-
nen einnehme. Kompetenzen, die die Gruppenleitung zeigt, sollten sich durch
Identifikation in den StudentInnen als produktive Entwicklung zeigen.
Die Ergebnisse der Forschung zur Kompetenzentwicklung von Therapeu-
tInnen, wie sie in den letzten Jahren am Personality Disorder Institute des
Department of Psychiatry am Weill Medical Collage der Cornell University und
der Westchester Division des New York Presbyterian Hospital durchgeführt wur-
de, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Fähigkeit der SupervisorInnen besteht darin, die affektiven Themen, die
in der Gruppe vorherrschen, aufzunehmen und zubearbeiten. Dafür benötigen
sie eine Klarheit in den Formulierungen, um die Phänomene von Unklarheit
darstellen und in den gemeinsamen Diskurs bringen zu können. Außerdem müs-
sen sie Konflikte verstehen und auf unterschiedlichen Ebenen in Sprache fassen,
um damit ein Verständnis von Haltung zu erwirken. All dies sollte sich in ei-
nem flexiblen Geschehen ausbreiten, sodass die StudentInnen einen Zugang zum
Verständnis des spontanen Materials entwickeln, das sich oft nur im Moment ent-
faltet. Eine Intervention, die zu spät erfolgt, bleibt nur eine intellektuelle Übung
(Kernberg, 2016, S. 125).
Nicht die Handlungsanleitung macht die KönnerInnen aus, sondern die Fä-
higkeit, spontan und schnell reagieren zu lassen, kein Gespräch zu führen, sondern
sich vom Gespräch führen zu lassen. Der Schwerpunkt liegt darauf, sich vom

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8 Die vonseiten der StudentInnen dargebrachten Szenen und Themen und …

Hören führen zu lassen oder, noch genauer formuliert, sich durch das Gehörte,
hervorgerufen durch den Resonanzboden des Generierens des Wahrgenomme-
nen, leiten zu lassen (Gadamer, 2010; Buchholz, 2013a, 2017).
Eine wichtige Kompetenz die sich die StudentInnen aneignen sollen, sind
verbesserte emotional-kognitive Regulationsprozesse, durch die sie mehr Ent-
scheidungsfreiheit in augenscheinlich belastenden Situationen gewinnen. Durch
die Möglichkeit der Regulation affektiver Prozesse lassen sich verschiedene Po-
sitionen als Differenz für belastende Situationen erdenken, was wiederum den
affektiven Prozess regulieren hilft. Hier zeigt sich in einer anderen Forschungs-
disziplin, was Gadamer als Zirkel definiert. Gelo und Mergenthaler sprechen von
einem Therapeutic Cycles Model (TCM). Sie konnten in einer Studie nachwei-
sen, dass sich durch die Anwendung von unkonventionell-kreativen Metaphern
in der Psychotherapie die kognitiven und emotionalen Regulationsprozesse ver-
ändern (Buchholz, 2013a; Gelo & Mergenthaler, 2012).
Mit der Fähigkeit, Denkverschiebungen im Sinne von Metaphern für eine Si-
tuation anbieten zu können, haben die StudentInnen die Möglichkeit, sich von
ihren belastenden Gefühlen zu distanzieren und somit eine reflexive Verarbei-
tung zu beginnen. Je kreativer eine Metapher gewählt wird, desto individueller
erleben sich die StudentInnen durch die SupervisorInnen gesehen. Je allgemeiner
eine Verschiebung bzw. Metapher ausfällt, desto allgemeiner wird die Interventi-
on von den SupervisandInnen erlebt. Verallgemeinerungen ermöglichen ebenfalls
eine Distanzierung vonseiten der SupervisorInnen, setzen aber eine gewisse emo-
tionale Stabilität in der Situation voraus, damit sich die StudentInnen aus der
emotionalen Situation herausnehmen können mit der Fähigkeit, sich zum Beispiel
nicht im emotionalen Zentrum der PatientInnen zu befinden. Diese Phänomene
werden unter anderem mit Projektion oder Spaltung beschrieben. Je allgemeiner
ein Begriff gewählt wird, desto größer ist die Gefahr, dass die SupervisorInnen
als Wissende bzw. als Gurus erlebt werden. Die Könnerschaft der TherapeutIn-
nen liegt in dieser Schnittstelle der Verwendung von Erklärungsmodellen bzw.
Metaphern. Theorien stellen immer Metaphern von psychischen, nicht sichtba-
ren Phänomenen dar. Die SupervisorInnen müssen die StudentInnen aus ihrer
dichotomen Haltung herausführen, indem sie ihnen einen alternativen Gedan-
ken anbieten, diesen aber nicht zu weit entfernt vom Verstehen der StudentInnen
wählen, da er sonst von diesen als »über« den Dingen stehend und es sich »leicht
machend« erlebt wird. Die SupervisorInnen müssen eine Metapher anbieten und
damit auch zeigen, dass sie durch ihre Betroffenheit und gleichzeitige Anerken-
nung des Erlebens der StudentInnen »in« den Dingen stehen. Dann können die
StudentInnen die SupervisorInnen in ihrer Reaktion als »authentisch« erleben,

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

und die GruppenleiterInnen haben ihnen nun die Bewältigung dieser Situation
»gezeigt«.
Dieser Veränderungsmoment ist ein verwobenes Erleben zwischen Supervi-
sorIn und StudentIn, in dem sich die SupervisorInnen emotional berühren lassen,
die Situation mit kreieren, damit eine Anerkennung des Leidens der StudentIn-
nen erfolgt, eine Verschiebung bzw. eine Metapher für die geschilderte Situation
und damit ein Angebot für die psychische Integration der Szene für die Studen-
tIn ermöglicht wird. Fühlen sich die StudentInnen in ihrem seelischen Erleben
nicht anerkannt, werden sie die Metapher zurückweisen und sich nicht verstan-
den fühlen. Können sie die Metapher nicht als psychische Verschiebung und
Veränderung erleben, müssen sie die emotionale Beteiligung der SupervisorIn-
nen zurückweisen, und zwar oft mit den Worten: »Und was mache ich jetzt
damit?«
Buchholz hat ein Modell einer vertikalen und horizontalen Dimension für
den Prozessverlauf von Supervisionen entworfen. In der horizontalen Dimension
geht es um die Aufgabenorientierung zwischen SupervisandIn und Supervi-
sorIn. Die Begegnung zwischen diesen beiden Rollen wird durch eine bestimmte
Aufgabenstellung definiert, die sich als Gesamtaufgabe über einen bestimmten
Zeitraum beschreiben lässt, und auch von einer Aufgabenstellung, die von Stun-
de zu Stunde ausgehandelt wird.
In der zweidimensionalen Darstellung geht es für Buchholz um die Entwick-
lung der SupervisandInnen, wobei auch die SupervisorInnen eine Entwicklung
und Veränderung durchmachen. Die SupervisandInnen sollen durch die Super-
vision ein höheres Level an Können in der Begegnung mit Menschen erreichen.
Die Aufgabenstellung verändert sich mit dem Prozess der Entwicklung. Beide
Faktoren üben Einfluss aufeinander aus. Von den SupervisorInnen wird erwartet,
dass sie sich auf das jeweilige Entwicklungsniveau der SupervisandInnen einstel-
len können bzw. dieses auch erkennen können. Supervision ist ein Lernen im
und am Feld. Die Formulierungen müssen den SupervisandInnen gemäß gefasst
werden und ihnen damit eine Entwicklung ermöglichen (Buchholz, 2013a, b,
2017b).
Die Entwicklung der SupervisandInnen zeigt sich in einer differenzierter wer-
denden Reflexion beim Nachdenken über Situationen, in die sie involviert sind.
Sie sind fähig, ein kreatives Bild und Zuschreibungen im Sinne eines Erklärungs-
modells für die Intentionen und Bedürfnisse der PatientInnen oder KollegInnen
zu entwickeln. Es sollte zu einer Entwicklung und Förderung der Mentalisierungs-
fähigkeit kommen. Die SupervisandInnen sollten auch immer klarer einschätzen
können, wie sich Szenen und Menschen weiterentwickeln, welchen Einfluss sie

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8 Die vonseiten der StudentInnen dargebrachten Szenen und Themen und …

auf ihre Umwelt haben, wie einflussreich ihre Interventionen sein können und
wie weit sie jede einzelne Szene selbst verändern. Sicherheit in der Begegnung
mit Menschen liegt im Respektieren der Unsicherheit, die in jeder individuell ge-
stalteten Szene besteht, und darin, doch eine Gewissheit zu haben, intuitiv etwas
erfassen und deshalb antworten zu können. Am Ende dieses Ausbildungsweges
sollte Könnerschaft stehen – oder besser formuliert: eine Vorstellung über den
Weg, der zur Könnerschaft führt, die in jedem Alter als Entwicklung immer wie-
der neu generiert und gefunden werden muss. Rønnestad und Skovholt haben
verschiedene Befragungen zur Entwicklung von TherapeutInnen durchgeführt
und auch Neuweg hat sich mit der Kompetenzentwicklung im pädagogischen
Bereich befasst. Beide Befunde kommen auf ähnliche Entwicklungslinien zur
Kompetenzentwicklung. Es lässt sich rückschließen, dass es bei der Entwicklung
von Menschen, die im sozialen Feld arbeiten, gemeinsame Faktoren gibt (Røn-
nestad & Skovholt, 2013; Neuweg, 1999).
Entwicklungsstufenübergänge werden durch spezifische Paradoxien bewältigt
und führen zu einer neuen Haltung und damit zu einer klareren Rollendefini-
tion bzw. Identifikation des gewählten Berufes. Entwicklung beinhaltet immer
eine Erkenntnis über sich selbst und kommt damit stark an die Grenze zwischen
»teach or treat« und zu einer Schnittstelle, an der es wichtig ist, die Aufgabe
der SupervisorInnen wieder explizit zu besprechen und so den Fokus weg von
der Behandlung zu legen, obwohl dies nur ein kognitives Konstrukt, aber für die
StudentInnen sehr angstlösend und Regression verhindernd ist. Die Aufgabe de-
finiert dadurch die Haltung und Rollenverteilung in der Begegnung. Von außen
betrachtet sitzen Menschen zusammen, denen es um das Zuhören und Reden
geht. Erst die Definition führt zu klaren Regeln im Beisammensein, nicht die
Handlung (Buchholz, 2013a, b).
Die SupervisorInnen sollten sich mit der Entwicklung der SupervisandInnen
verändern. Buchholz schlägt dafür ein Drei-Level-System vor, in dem sich die Su-
pervisorInnen den SupervisandInnen gegenüber unterschiedlich verhalten bzw.
intervenieren sollten.
Auf dem ersten Level steht die Angst der SupervisandInnen vor Fehlern
und Kritik im Zentrum ihrer Entwicklung. Die SupervisorInnen sollten hier
angstlösend wirken und viel Unterstützung und Anleitung anbieten. Sie sollten
den SupervisandInnen vor allem beistehen, sie ermutigen und sich ihnen ge-
genüber weniger konfrontativ verhalten. Genaue Beobachtung und detaillierte
Wiedergabe bauen auf den Erfahrungen von ART II auf. Die SupervisorInnen
stellen die Beobachtungen in Theorien über das Psychische und ermöglichen
den SupervisandInnen eine Distanzierung von der Involviertheit in ihr Material.

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

Die StudentInnen sollten einen reflexiven Rahmen haben, in dem sie über ihre
Wirksamkeit in der Situation nachdenken können. Sie bekommen dadurch eine
Vorstellung ihrer »Selbstwirksamkeit«.
Beim Übergang zum zweiten Level reduzieren die SupervisorInnen ihre theo-
retischen und praktischen Hinweise und Anleitungen. Die Eigenständigkeit und
Originalität der StudentInnen sollten stärker an Autonomie gewinnen. Vorstel-
lungen von Prozessentwicklungen sowie psychodynamisches Verständnis sollten
in den Fokus der Reflexion rücken.
Auf Level zwei stehen bei den StudentInnen noch viele Themen im Vorder-
grund, die sich um Autonomie-Abhängigkeits-Konflikte drehen. Die Institution
und die Ausbildungssituation im Lehrinstitut stehen im Zentrum. Vorstellungen
von Können und von Versagen wechseln sich noch stark ab. Die StudentInnen
entwickeln ein immer besseres empathisches Verstehen der Situation und der
PatientInnen. Sie können bewusster ein Gefühl von Selbstwirksamkeit weiterent-
wickeln, indem sie Stimmungsschwankungen bei sich und bei anderen bewusster
regulieren. Auch entwickeln sie mehr Klarheit über das Machbare und damit über
die eigenen Grenzen des Möglichen. Sie entfalten immer mehr individualisierte
Antworten für PatientInnen und gewinnen eigene, individuelle und konzeptuelle
Vorstellungen über das psychische Geschehen, wobei sie sich immer stärker als
BeeinflusserInnen dieses Geschehens mitdenken.
Für die SupervisorInnen steht dabei die Förderung der Autonomie der Studen-
tInnen im Vordergrund der Interventionen. Sie freuen sich über die Entwicklung
der Studierenden und fokussieren stärker das Geschehen zwischen StudentIn und
SupervisorIn als gleichberechtigte KollegInnen, die keine Wahrheit über eine Si-
tuation generieren, sondern in ein reflexives Verstehen eintauchen. Sie fordern
die StudentInnen verstärkt auf, mit ihrer Unsicherheit Situationen zu bewältigen
und Vorstellungen von Gewissheit aufzugeben, indem sie mehrere unterschied-
liche Denkmodelle zur selben Situation anbieten. Die SupervisorInnen fordern
die StudentInnen auch stärker heraus, indem sie leicht provozieren und damit
die Sensibilität für die Aufmerksamkeit schärfen. Sie behandeln die Gruppenteil-
nehmerInnen immer individueller und bezeichnen ihre jeweiligen Stärken und
Schwächen als integrative Faktoren in deren Persönlichkeit und als tief individu-
elles Begegnungsinstrumentarium.
Der Übergang von Level zwei auf Level drei sollte durch die professionelle
Identität immer stärker gefördert werden. Die StudentInnen sollten eine deutli-
che Vorstellung ihres psychischen Wirkens auf einer professionellen, reflektiven
Ebene weiter schärfen. Klare Unterscheidungen sind zu fördern, damit die Stu-
dentInnen die Einflüsse ihrer Person und ihrer Lebensereignisse immer stärker

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9 Intersubjektivität – Supervision – relationales Denken

mitdenken können und somit auch ihren Einfluss bewusster erleben. Motivation
und Neugier sind verstärkt in Sprache zu fassen.
Auf dem dritten Level können die StudentInnen sich zunehmend mehr ent-
scheiden, wie sie auf eine Situation reagieren, ob sie eine gelassene oder mit Affekten
verbundene Reaktion zeigen. Sie werden in der Begegnung zunehmend flexibel,
können Entwicklungen bei sich und den PatientInnen erkennen, Prognosen über
Prozessverläufe von Personen und von Teams erdenken. Zweifel und Unsicherheit
erleben sie als Ressource in der Begegnung mit Menschen. Sie entwickeln eine
Vorstellung davon, wie sie den PatientInnen einen Raum von Nachdenken und Re-
flexion anbieten und eine hilfreiche Situation kreieren können. Die Studierenden
können verschiedenste Informationen integrativ als gewonnenes Material betrach-
ten und erlangen in ihrem eigenen psychischen Verstehen über die Verknüpftheit
mit anderen Menschen einen hohen Grad an Autonomie und gleichzeitig eine
Identitätsvorstellung (Buchholz, 2013b, 2017b; Scaife, 2013, 2014).

9 Intersubjektivität – Supervision – relationales Denken

Intersubjektivität und relationales Denken umfassen die Aspekte der »Ein-Per-


sonen-Psychologie«, in der intrapsychische Prozessforschung vorherrscht, und
der »Zwei-Personen-Psychologie«, in der der Schwerpunkt auf der Betrachtung
von Interaktionen liegt. Intersubjektivität stellt eine Integration dieser beiden
Denkrichtungen dar. Die SupervisorInnen sind in der Begegnung nie losgelöst
von ihren psychischen Realitäten und Einflüssen aus ihrer eigenen gegenwärtigen
und vergangenen Geschichte. Die Geschichten und psychischen Realitäten der
SupervisandInnen und der SupervisorInnen werden zu einer neuen psychischen
Realität verwoben. Beide erzeugen eine neue Realität durch die Übertragung, die
sie aus ihrer eigenen Lebensgeschichte mitbringen und welche gleichzeitig auch
den Resonanzboden für das Verstehen bildet. Die vorherrschende Asymmetrie in
der Begegnung ist durch die Rollen und deren Haltung dazu bestimmt (Berman,
2005, 2004; Buirski & Haglund, 2001).
Übertragung ist in dieser Definition ein Phänomen, das die Notwendigkeit
von Verstehen und Empathiefähigkeit darstellt. Wahrnehmung beruht auf dem
Resonanzboden des eigenen psychischen Verstehens und Definierens von Ge-
fühlen. Diese Fähigkeit des Verstehens entwickelt sich durch das Benennen bzw.
durch Sprache als Verschiebung durch die Anwendung von Metaphern, um nicht
der eigenen Impulsivität und der damit verbundenen Handlung ausgeliefert zu
sein. Um »objektiv« zu sein, müssen wir in unserem Verstehen tief »subjektiv«

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

sein. Ohne Beeinflussung entwickelt sich kein Verstehen und auch kein Einfluss
auf die Konstruktion von Realität.
Die SupervisandInnen werden von den PatientInnen zuerst in ihren eigenen
Aspekten berührt, sie generieren eine gemeinsame Realität durch die »Verwund-
barkeit« und eigene Lebensgeschichte, die sie mitbringen. Diese gemeinsame
Realität, die sie nun als Erfahrung teilweise rezipiert und explizit zur Verfügung
haben, bringen die SupervisandInnen als sprachlich verortetes Erleben in die Su-
pervision. Hier wiederum entsteht eine neue Realität, in der die Supervisorin
oder der Supervisor durch ihren oder seinen Resonanzboden, gebildet durch ihre
oder seine eigene Geschichte, die verwobene Geschichte von AnalysandIn und
PatientIn nun zu einer neuen Geschichte mit der zu analysierenden Person kon-
struiert. Um die PatientInnen zu »verstehen«, brauchen wir die Subjektivität
unseres eigenen Erlebens, aus dem sich Verallgemeinerungen konstruieren lassen,
die wir als »Objektivität« erleben. Jede Begegnung erzeugt originäres Erleben,
und jede Supervisorin und jeder Supervisor würde ein anderes Erleben und Ver-
stehen zu der Erzählung der einzelnen SupervisandInnen entwickeln. Die eigene
Lebensgeschichte kreiert die Realität und bestimmt das Verstehen der Realität
bzw. konstruiert diese als empathisches Verstehen durch die Resonanzfähigkeit
des Menschen.
Übertragung und Gegenübertragung sind permanente Prozesse, die sich akti-
vieren und formen lassen und einen zyklischen Verlauf darstellen. Diese Prozesse
aufmerksam zu beobachten, generiert wiederum ein neues emotionales Klima
und stellt den reflexiven Raum von supervidierender Arbeit dar. Im analytischen
Verstehen entwickelt sich ein Übergangsraum, in dem supervisorische Arbeit
stattfindet.
Aus intersubjektiver Sicht geht es nicht um die Vermeidung von Phänomenen
wie Übertragung und Gegenübertragung vonseiten der SupervisorInnen, sondern
um das explizite Erkennen dieser Aspekte und die damit verbundene Konstruk-
tion von Verstehen der Situation in einem reflektorischen Rahmen:

»That is, all therapists experience countertransference whether or not they name it
as such or devote much consideration to it in their work […] Therapists of all theo-
retical persuasions, by virtue of their humanity, have unresolved personal conflicts;
try though we might, no professional credentials or experience shield us from the
human condition« (Hayes, 2004, S. 24).

Gegenübertragung dient als Beschreibung eines Phänomens, das sich abseits aller
Theorien und Techniken in der Begegnung zwischen SupervisandIn und Super-

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visorIn abspielt. Es braucht eine Handhabe, um sich diesen Herausforderungen


zu stellen und sie auch gewinnbringend als wichtiges Verständnispotenzial nut-
zen zu können. Bei einer Befragung von 127 TherapeutInnen meinten diese,
in 80 Prozent ihrer Sitzungen würden sie Gegenübertragungsreaktionen erleben
(Buchholz, 2013b; Hayes, 2004; Hayes et al., 2011).
Technik bildet den Rahmen, in dem sich eine physische Vorstellung von der
Begegnung einbettet. Technik und metapsychologische Vorstellungen bilden ei-
nen Referenzrahmen der Verschiebung und damit der Beschreibung von nicht
Sichtbarem. Wiederholbarkeit und die Reduktion von Angst beruhen auf der Fä-
higkeit zu abstrahieren, zu verallgemeinern, Sprache im generellen Sinn für das
uns Beschäftigende zu finden.
Eine korrekte Technik zur Anwendung zu bringen, wie es bei vielen Studen-
tInnen der Wunsch ist, lässt die Bedeutung der SupervisorInnen außer Acht.
Wenn Phänomene wie Übertragung und Gegenübertragung als technische Be-
griffe in die Diskussion einfließen, können sie nicht ohne die Person gedacht
werden. Die SupervisorInnen sollten immer auch auf die Bedeutung ihrer Ge-
fühle im Verstehensprozess hinweisen. Buchholz fasst die Bedeutung der Theorie
und Technik in dem Satz »Die Theorie dient der Angstbewältigung« zusam-
men (Buchholz, 2013b, S. 147). Die Angst sollte nicht beiseite geschoben,
sondern als Verständnisvehikel für die sich entwickelnde Situation zwischen
allen Beteiligten verstanden werden. Technik ist an die Vorstellung von Theo-
rien gekoppelt und an die daraus gewonnenen Verhaltensweisen, die in Form
von Interventionen beschrieben werden. Theorien implizieren Erwartungen von
Entwicklungszielen, von Vorstellungen darüber, was richtig und was falsch ist.
Die SupervisorInnen sind vor ihrem persönlichen Hintergrund nicht nur in die
Lebensgeschichte, die sie mitbringen, involviert, sondern auch mit der darauf
aufbauenden Vorstellung von Metapsychologie in Form von kollektiven Gestal-
ten der Beziehung daran beteiligt. Auch lässt sich wieder festhalten, dass die
eigene Geschichte Einfluss auf die Vorstellung der Theorie und die daraus fol-
gende Technik hat, die wiederum das Begreifen der eigenen Lebensgeschichte
formt und deuten lässt.
Je weiter die Technik als explizites Wissen in den Hintergrund tritt, desto
stärker kommt das phänomenologische Arbeiten in den Vordergrund, ein genau-
es Bobachten, ein differenziertes Hinblicken auf die Situation, die erzählt wird
und die sich gerade im Verwobenen der Supervision entfaltet. Um mit dieser
Verwobenheit zu arbeiten, braucht es den gemeinsamen Austausch über die Ge-
fühle, die sich in der Begegnung entwickelt haben. Außerdem muss ein Raum
der Reflexion geschaffen werden, um zu verstehen, warum sich gerade diese Ge-

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

fühle bzw. die Übertragung/Gegenübertragung entwickelt haben und was man


dadurch über die PatientInnen verstehen könnte bzw. über die Begegnung, die
man mit den PatientInnen herstellt.
Küchenhoff hat sich mit der Bedeutung der Theorie für den klinischen Alltag
auseinandergesetzt. Er teilte die Theorie in vier Dimensionen auf: erstens als eine
Weltanschauung, die die TherapeutInnen bzw. SupervisorInnen vertreten, zwei-
tens als einen ideologischen Hintergrund, der auf das Leben und auf die Therapie
bzw. Supervision Einfluss nimmt, drittens als metapsychologische Vorstellung
und viertens als die vorbewusste, implizite Vorstellung, die in jeder Begegnung
vorhanden ist (Küchenhoff, 2004). Er geht damit auf die konstruktivistische Wis-
sensgewinnung ein und ebnet dem Pluralismus und dem intersubjektiven Feld den
Weg. Er widerspricht den Modellen, die auf eine »Wahrheit« hin ausgerichtet
sind. Die Wahrheitsmodelle implizieren den Ausschluss nicht so »wirksamer«
Modelle und bewegen sich ganz in der darwinistischen Denktradition, in der nur
der Stärkste überlebt und alle anderen aussterben. Pluralismus ist keine Beliebig-
keit, sondern beruht auf der Notwendigkeit, einen Referenzrahmen zu bilden,
innerhalb dessen sich Gedanken entwickeln können, sich das psychische Ver-
stehen in Gedanken zeigt, damit im Denkdiskurs Platz hat und auch Denken
darüber möglich wird. Referenzrahmen, wie sie Technik und Theorie darstellen,
sind einer Denkkonstruktion unterworfen, und somit entfernen sie sich von ei-
nem Glaubenssystem.

»If theory formation is regarded as a conscious activity that has an undercurrent


of unconscious libidinal encounter, theory itself is questioned psychoanalytically.
As this again is a theory, it can be applied against itself: the very concept of un-
conscious motives underlying theories is a theory built on unconscious motives«
(Küchenhoff, 2004, S. 11).

Um auch diese Passage einer Dekonstruktion zu unterziehen, ist das Werkzeug


der Dekonstruktion wiederum einer Theorie und Technik geschuldet. Theorien
sollten keiner Beliebigkeit unterliegen, da sie sonst die Gefahr der Oberflächlich-
keit bergen. Viele DenkerInnen haben sich der Psychoanalyse gewidmet, um in
diesem Denkrahmen verschiedene Verstehenskonzepte auszuarbeiten. Sie prägen
alle unser Verständnis des Psychischen. Aber die Entwicklung einer Glaubensvor-
stellung geht über den Paradigmenwechsel zur Dekonstruktion und wiederum
zur Konstruktion als zyklischem Verlauf von Wissensgenerierung. Psychische
Entwicklung und Freiheit spiegeln sich in der Fähigkeit zur Reflexion des eige-
nen Denkens und in Im-Leben-Involviertsein wider. Angst sucht nach Wahrheit,

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9 Intersubjektivität – Supervision – relationales Denken

nach Wiederholbarkeit im Sinne von Sicherheit und nicht von Generalisierung


und somit nach einem Referenzpunkt der Sichtbarmachung. Lear fasst dies so
zusammen: »The problem is that even if you do need psychoanalytic experience
to understand the theory, it is also true that if you don’t understand theory you
can’t really understand the experience you think you are having« (Lear, 2003,
S. 16f.).
Kantrowitz beschäftigt sich mit der Veränderung der TherapeutInnen in ei-
nem Begegnungsprozess, bei dem sich die in der Person auftauchenden Konflikte
aus deren Lebensgeschichte mit den Konflikten der PatientInnen kreuzen (simi-
lar). Inwieweit dies auch für den Prozess der Veränderung der PatientInnen von
Bedeutung ist, versucht sie anhand von Datenmaterialien herauszuarbeiten. In
der Analyse werden bei den TherapeutInnen die eigenen Konflikte wieder reak-
tiviert, und sie unterliegen damit einer ständigen Selbstkontrolle. Die Fähigkeit
der Mobilisierung der eigenen Konflikte bzw. Affekte, Gedanken, Gefühle aus
der Vergangenheit ist der Kernpunkt, um die PatientInnen zu verstehen, sie ist
die Grundlage für Empathie.

»Studying how analysts perceive changes in themselves over time allows for a lon-
gitudinal view of the impact of the analytic process on a group of people who
have devoted themselves to this process as their lifework. For most analysts this
means that the psychological issues explored in their personal treatment are not
rerepressed, as they might be following termination, but rather are kept actively alive
in their work with patients. As a result, the analyst has the continuing opportunity
to rework these issues on a potentially deeper level. Every analysis an analyst un-
dertakes is in this respect potentially a reanalysis for him- or herself« (Kantrowitz,
1997, S. 130).

Der Einfluss auf die PatientInnen erfolgt durch die Erkenntnis, die die Therapeu-
tInnen über sich gewinnen und durch die sie eine andere Haltung gegenüber den
PatientInnen entwickeln können. Sie führt dazu ein Beispiel aus einem Interview
mit einem erfahrenen Therapeuten an: »Once the analyst had this realization,
without his saying a word, the patient relaxed and said, ›You’re with me now‹«
(Kantrowitz, 1997, S. 134). Bereits die veränderte Haltung des Therapeuten
nimmt Einfluss auf die Begegnung mit dem Patienten, ohne dass es explizit in
Sprache gefasst wird.
Die Frage ist, wie AnalytikerInnen analytische Erfahrung in ihrem Arbeits-
feld verarbeiten, was wiederum die Frage nach der Bedeutung der Supervision
aufwirft. Wenn wir davon ausgehen, dass es bedeutungsvoll ist, dass die Patien-

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

tInnen eine Veränderung vonseiten der TherapeutInnen erleben, so beruht eine


wirksame Supervision darauf, dass die SupervisandInnen diesen Prozess der ge-
meinsamen Veränderung in der Supervision erleben. Die SupervisorInnen müssen
sich soweit involvieren, dass auch die SupervisandInnen ihre Veränderung als im-
plizites Lernwissen in sich verankern können.

»Although the asymmetry of the relationship means that the analyst is by definition
in a ›safer‹ position than the patient, the former, once this emotional openness is
permitted, engages in an emotional risk. Without this emotional risk, no psycho-
logical change can take place. To be truly engaged is to allow oneself to be vulnerable
to another« (Küchenhoff, 2004, S. 36f.).

Die Anerkennung einer gemeinsamen Involviertheit und die damit verbundene


Anerkennung der gemeinsamen Angst vor dem zu Entdeckenden wird durch
die Vorstellung, eine richtige Theorie, eine richtige Technik zu haben, reduziert.
Der Blick auf die Interaktion und die Verstricktheit zweier Menschen in der Be-
gegnung führt uns in die Dekonstruktion von Übertragung, Gegenübertragung,
eben unserer Theorie und Technik.
Harold F. Searles konfrontierte uns schon in den 1950er Jahren mit der
Aussage, dass die PatientInnen die TherapeutInnen ihrer AnalytikerInnen seien
(Searles, 1974). Er arbeitete auf dem Feld der Schizophrenieforschung, und wer
mit PatientInnen mit diesem Erleben gearbeitet hat, der weiß, wie dekonstruktiv
und paradigmenwechselnd diese Begegnungen sein können. In diesem Kontext
kommt zur Flucht und Angstminderung vonseiten der TherapeutInnen in Theo-
rie und Technik, die sehr schnell von den PatientInnen dekonstruiert werden, das
Konzept von Psychopharmaka (Atwood, 2017) hinzu.
Hier schließt sich wieder die Warnung von Georg Devereux von 1967 an,
der uns mahnt, auf die Bedeutung der Angst der ForscherInnen zu blicken (De-
vereux, 1973). Aber es geht nicht nur um die Angst der AnalytikerInnen bzw.
SupervisorInnen, sondern um die Anerkennung eines gemeinsam konstruierten
Erlebens dieser Gefühle und um die Anerkennung der gegenseitigen Abhängig-
keit, ohne die die Zeugenschaft im Sinne eines »Dritten« nicht funktionieren
würde (Benjamin, 2018).
»The psychoanalytic process arises in a mutual interaction between analy-
sand and analyst« (Szecsödy, 2004, S. 54). Diese Worte kommen von einem
bekannten Forscher aus dem Feld der Supervision. Er greift drei Punkte aus dem
Mentalisierungskonzept heraus, um dessen Bedeutung für die Entwicklung des
psychischen Verstehens zu verdeutlichen:

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9 Intersubjektivität – Supervision – relationales Denken

»Mentalization is important:
➢ first, it enables the individual to see people’s action as meaningful through the
attribution of thoughts and feelings, so that their actions become predictable,
which in turn reduces dependency on others.
➢ Second, it allows for recognition of the fact that someone is behaving as if
things are a particular way does not mean that things are like that.
➢ Third, without a clear representation of the mental state of the other, commu-
nication must be profoundly limited.

Finally, mentalization can help an individual to achieve deeper experiences with


others and, ultimately, a life experienced as more meaningful« (Szecsödy, 2004,
S. 58f.).

Die Beziehung steht für Szecsödy im Mittelpunkt der Veränderung in der thera-
peutischen Beziehung. Er greift auf das Mentalisierungskonzept von Fonagy et
al. zurück, um diese Veränderung in einem versteh- und erdenkbaren Konzept zu
fassen. Lernen in der Supervision gelingt am besten, wenn die De- und Rekon-
struktion der Interaktion zwischen PatientIn und SupervisandIn im Mittelpunkt
stehen, indem die Interaktion als ein System betrachtet werden kann, das wieder-
um mit Grenzen behaftet ist und in einem Rahmen fungiert (Szecsödy, 2017).
Veränderung in der Supervision passiert in einem gemeinsamen Gefüge:
»[E]s [ist] nicht ›die‹ Supervision […], nicht ›die‹ Methode, die etwas bewirkt,
sondern die besondere Kombination von Methode und Person« (Buchholz,
2013b, S. 155). Buchholz stellt auch gleich in den Gegenfokus, was es bedeu-
tet, einen Schaden in der Supervision anzurichten, und woran man ihn ermessen
kann. In Hinblick auf das gemeinsame Feld stellt sich die Frage, wie viel Schaden
die PatientInnen bzw. die SupervisandInnen den TherapeutInnen zufügen.
Das intersubjektive Feld entfaltet sich als gemeinsame Konstruktion von zwei
anwesenden Personen und einer abwesenden Person oder in einer Gruppe, in die
eine anwesende Person aufgenommen wird, die durch eine andere Person darge-
stellt wird.
Die geschilderte Person bzw. die vonseiten der StudentInnen geschilderte
Szene trägt maßgeblich zur Bildung des intersubjektiven Feldes bei, obwohl diese
geschilderte Person nicht anwesend ist. Die Szene wird durch die Verarbeitung
der ErzählerInnen wiederum verändert, so oft sie erzählt wird, im Gegensatz zu
den Protokollen in ART II. Der Prozess des Zuhörens ist einer ständigen Verän-
derung unterworfen, da er sich stetig aufs Neue manifestiert. Wir hören immer
wieder andere Elemente in einer Geschichte. Vermutlich wird sie auch beim Le-

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

sen wiederholt verändert, da die LeserInnen einen Prozess durchlaufen und sie
gegebenenfalls immer wieder anders intonieren. Die Aufmerksamkeit liegt nicht
nur auf dem Inhalt der Szene, sondern auf dem Prozess, der sich in einem stän-
digen Fluss befindet. Die Betrachtung auf der Metaebene geht immer von der
Haltung aus, dass die Realität aus einer gemeinsamen konstruierten Beeinflussung
im Sinne von Co-Creators gebildet wird. Diese Sichtweise setzt eine kritische
Selbstreflexion voraus, um das Feld als Realität in die Gedanken einbringen zu
können.
Diese reflexive Metakommunikation ermöglicht einen persönlichen Wachs-
tumsprozess der GruppenteilnehmerInnen. Wenn der Supervisionsprozess ver-
stärkt inhaltsgeleitet stattfindet, wird dieser persönliche Wachstumsprozess ge-
hemmt (Berman, 2004).
Wachstum impliziert auch das Nachdenken über Gefühle von Hemmungen,
Scham, Nichtwissen usw., die sich zwischen SupervisorIn und den StudentIn-
nen stets entwickeln. Diese werden in Supervisionen meistens verleugnet und
wegrationalisiert. Die Gefühle der SupervisandInnen haben aber einen massiven
Einfluss auf den gemeinsamen Prozess. Es ist wichtig, immer einen reflexiven
Raum für diese Gefühle zu öffnen, ohne wiederum zu starke Gefühle wie Neid,
Konkurrenz, Angst usw. zu fördern. Die negative Reaktion vonseiten der Supervi-
sorInnen beruht auf »prolonged, unrecognized transference-countertransference
disjunctions and the chronic misunderstanding that result from them« (Stolorow
et al., 2014, S. 42). Missverständnisse, die sich nicht artikulieren lassen, können
zu einer chronischen negativen Reaktion seitens der SupervisorInnen führen.
Für StudentInnen ist es auch wichtig, die Fähigkeit zu entwickeln, neue Ge-
danken zuzulassen und eine Anerkennung des Nichtwissens auch auszuhalten.
Manche StudentInnen erleben Neid auf Aussagen vonseiten der SupervisorInnen,
wobei Reaktionen wie eine masochistische Haltung Einzug halten, abgewertet
und zerstört werden muss, was von den SupervisorInnen kommt. Wenn der Pro-
zess zu einer Entwicklung der Gruppe und jeder und jedes Einzelnen gereicht,
minimieren sich auch diese archaischen Gefühle von Neid und Zerstörung, da es
zu einer gemeinsamen Anerkennung von Wissen und Nichtwissen kommt und
diese Prozesse gemeinsam stattfinden. In der Dichotomisierung kommen Gefüh-
le von Neid, Zerstörung usw. zum Tragen. Eine gute Supervision gestaltet sich
durch die gemeinsame Anerkennung von blinden Flecken, und die Rollen von
Lehrenden und Lernenden sind austauschbar und fluktuierend. Damit ein Pro-
zess stattfinden kann, bedarf es der Veränderung aller Beteiligten. Am Ende dieses
Prozesses sollten in der Gruppe KollegInnen sitzen, die sich im Sinne einer Peer-
group gegenseitig mit Gedanken und Äußerungen bereichern und beeinflussen.

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9 Intersubjektivität – Supervision – relationales Denken

Konflikte entfalten sich für die SupervisorInnen, wenn die StudentInnen


einfordern, dass ihr Schmerz in einer beruflichen Situation anerkannt wird,
und die SupervisorInnen auch die Hilflosigkeit der involvierten Person in der
geschilderten Szene anerkennen. Wenn sie nun versuchen, den Studierenden
Handlungsfreiheit gegenüber deren Abhängigkeitsgefühlen zu vermitteln und
auf das Verstehen der Gefühle des oder der anderen einsteigen, manövrieren sie
sich in die Ablehnung vonseiten der StudentInnen. Es greift jetzt eine Dynamik
der Hilflosigkeit Raum: Die SupervisorInnen sind den StudentInnen sehr nahe,
da sie sich nun auch hilflos in ihren Vorschlägen fühlen.
Im Folgenden soll ein Beispiel von Sarnat zitiert werden, um einen Entwick-
lungsweg aus dieser Dynamik aufzuzeigen:

»A supervisee’s character problems become a focus of supervisory attention. The


supervisor’s conflicts (i. e., her impatience to see her supervisee change, and her
need to assert her own competence by too-active intervention) played into the
student’s problem (i. e., submissiveness), contributing to the development of super-
visory crisis. An intense, emotional transaction occurred in the process of resolving
this supervisory crisis. The supervisor responded quasi-therapeutically when the su-
pervisee ›invited her in‹ via an expression of intense affect to the supervisor.
The supervisor’s acknowledgment of her contribution to the crisis seemed to
shift the interpersonal context to one in which the supervisee could safely and
vividly experience and process her own conflict, even in the absence of complete
confidentiality.
Had the supervisor tried to ›help‹ her with this problem, while pretending to
be the uninvolved expert, the supervisee would very likely have felt humiliated and
endangered« (Sarnat, 1992, S. 399).

Sarnat weist auf die Bedeutung der Gleichberechtigung zwischen den beteiligten
Personen hin, um die Würde der SupervisandInnen zu wahren und diese nicht
von Gefühlen wie Scham und Demütigung zu desavouieren. Würde als wichtige
Konstante in Therapien und Supervisionen, aber auch in pädagogischen Berei-
chen wird im intersubjektiven Feld meistens zu wenig reflektorisch zur Sprache
gebracht (Orlinsky, 2018).
Ein weiterer großer unbearbeiteter Bereich in der Supervision ist das Thema
der Erotik zwischen den beteiligten Personen. Dazu ein Beispiel von Berman:

»As is usual, I encouraged the supervisee to tell me of any past interactions we had
had that might influence her feeling in supervision. She brought up an interaction

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

from years back, when we had been acquainted professionally in another setting, in
which she had experienced a compliment I gave her as seductive. Our straightfor-
ward conversation about that episode turned out to be a valuable springboard for
our subsequent work on erotized transference issues, because the possible resonances
between sexual currents in analysis and supervision (e. g., the erotic atmosphere that
might evolve in supervision when the analysand’s sexual fantasies about the analyst
are discussed) became less threatening to both of us as a result of the effective work-
ing through of such themes in our own relationship« (Berman, 2004, S. 204).

Das Thema der Erotik konnte nun auch vonseiten der Supervisandin in der Su-
pervision bearbeitet werden und sie konnte viel leichter über ihre erotischen
Gefühle in der Begegnung mit dem Patienten nachdenken. Für Berman war das
eine wichtige Entwicklungssequenz als Eröffnung des Verstehensprozesses der
eigenen erotischen Thematik in ihrer Supervisionsbeziehung. Wenn diese The-
matik sich nicht als überraschendes Moment entfaltet, bleibt das Thema der
Erotik auch in der Supervision maximal als technisches Verfahren in der Diskus-
sion (D. N. Stern et al., 2012). Wenn die erotische Komponente zwischen den
StudentInnen und den SupervisorInnen in der Gruppe keinen Raum als reale Be-
gegnungssequenz findet, kann sie nur technisch ohne affektive Beteiligung der
GruppenteilnehmerInnen bearbeitet werden. Es ist eines der schwierigsten The-
men im intersubjektiven Feld der Supervision. Und auch im oben genannten
Beispiel wird der Beginn des Themas außerhalb des üblichen Rahmens verortet,
um als Supervisor nicht beschämt zu werden, der Supervisandin ein »verführeri-
sches« Kompliment gemacht zu haben. Erst die Supervisandin hat das erotische
Moment in die Supervision gebracht. Im asymmetrischen Feld, wie es Jaenicke
postuliert oder wie es von der Boston Change Process Study Group beschrieben
wird, lassen sich ein Vorangehen und ein Wechsel im Feld vonseiten des Supervi-
sors zur Supervisandin erkennen. Der Supervisor ist der Nachgehende, und die
Supervisandin geht vor und nimmt den Supervisor mit, der wiederum darauf ein-
steigt und dies für eine Erweiterung in ihrer Arbeitsbeziehung nutzen kann.
Der Supervisionsprozess ist kein Parallelprozess zum real erlebten Arbeits-
oder PatientInnenbegegnungsprozess, in dem SupervisorInnen aus einer absti-
nenten Position »richtige« Erklärungen für ein erzähltes und vergangenes Ge-
schehen liefern können. Der Veränderungsmoment findet in der Begegnung in
der Gruppe im Gegenwartsmoment statt (D. N. Stern, 2005; D. N. Stern et al.,
2012). »Contemporary supervisors attend not just to the patient being presen-
ted, or to the therapeutic dyad, but to the supervisory relationship itself as part of
the clinical/supervisory frame of reference« (Bass, 2014a, S. 540).

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10 Das Eingebettetsein in einer Ausbildungsinstitution

Unsere Haltung als SupervisorInnen ist von der Erkenntnis unserer eigenen
Grenzen bzw. Begrenztheit von subjektiven Verständnissen getragen, das heißt
davon, wie wir wahrnehmen und unser Erleben gestalten. Die Haltung trägt auch
unserem Einfluss auf die StudentInnen Rechnung und, dass diese nun auch ih-
ren Einfluss auf die PatientInnen anerkennen können. Diese Haltung drückt sich
darin aus, »dass jede angebotene Überlegung und jede Frage tentativ formuliert
werden, da wir uns der Komplexität unserer Doppelrolle als Akteur wie auch als
Produkt eines intersubjektiven Feldes bewusst sind« ( Jaenicke, 2014, S. 128).
Die Antworten der SupervisorInnen spiegeln ihre Subjektivität wider, indem
sie sie formulieren, sich in der Präsenz und Unsicherheit des Gesagten darstellen.
Die SupervisandInnen wirken oft beunruhigt durch diese Form von Antworten,
können ihren PatientInnen damit aber auch mehr Eigenständigkeit zubilligen
und ebenfalls tentative Antworten geben.

10 Das Eingebettetsein in einer Ausbildungsinstitution

Die Supervision ist im kulturellen Verständnis der Ausbildungsstätte verankert,


und deren Verständnis und Haltung beeinflussen die Gruppen in ihren Einstel-
lungen zu reflektiertem Denken. Intersubjektives Denken impliziert die Einflüsse
organisatorischer, historischer und kultureller Aspekte auf die Situation der
StudentInnen und der GruppenleiterInnen. Die Gefühle, die sich in einer Su-
pervisionsgruppe entwickeln, können immer auch im Kontext der Institution
reflektiert werden und die Atmosphäre, die sich in der Ausbildungsinstitution
etabliert, färbt immer auf die StudentInnen und GruppenleiterInnen ab (Ber-
man, 2004). Die Ausbildungsstätte stellt natürlich auch ihre Anforderungen an
die StudentInnen und an die AusbildnerInnen, die wiederum Ansprüche vonsei-
ten der Institutionen spiegeln, in denen die StudentInnen in Praktika arbeiten
und später ihrem erlernten Beruf nachgehen sollen. Diese Spannungsfelder wer-
den durch den Einfluss der politischen Agenden geleitet und beeinflusst. Viele
StudentInnen erleben dieses Spannungsfeld, indem der Ausbildung vonseiten der
Praktikumsstelle bzw. der dort tätigen Personen eine Entwertung ihres erworbe-
nen Wissens entgegengebracht wird und indem ihnen vermittelt wird, dass das,
was sie lernen, nicht der Notwendigkeit des praktischen Arbeitens entspricht und
als realitätsfern dargestellt wird.
Die GruppenleiterInnen werden von der Institution bezahlt und sollten de-
ren Wünsche bezüglich der Ausbildung der StudentInnen zumindest auf einer
impliziten Ebene erfüllen. Es stellen sich dabei die Fragen, welche moralischen

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

Werte von der Institution vorgegeben werden: Welche Ethikvorstellung ist von
den LeiterInnen zu berücksichtigen, und inwieweit ist bei problematischen Situa-
tionen vonseiten der GruppenleiterInnen die Schweigepflicht zu durchbrechen?
Was passiert, wenn eine Gruppenleiterin einen Studenten als nicht für einen so-
zialen Beruf geeignet einstuft bzw. einen Weiterbildungsvorschlag in Richtung
Selbsterfahrung einbringen möchte? Ist das Diktum der Verschwiegenheit ein
Schutz für alle TeilnehmerInnen und entbindet die SupervisorInnen von ihrer
Verantwortung für die StudentInnen gegenüber der Institution, den KollegInnen
und den PatientInnen? Praktikumsstellen bzw. PraktikumsanleiterInnen lagern
ihrerseits Themen, die die StudentInnen beschäftigen, in die Supervisionsgruppe
aus. Das wirft die Frage auf, wer in dem Gefüge nun welche Verantwortung trägt.
Viele der dargebrachten Themen vonseiten der StudentInnen sind Klagen
über die Ausbildung, und darin spiegeln sich die Hilflosigkeit der StudentInnen
und deren traditionelle Lernerfahrungen in hierarchischen Schulen wider. Per-
sönliche Entwicklungs- und Autonomiethemen werden von der Studierenden
sehr oft angesprochen, speziell in der Alterskohorte zwischen 20 und 25. Die
GruppenleiterInnen werden häufig mit der Institution gleichgestellt und in kon-
frontativer Weise für die in der Ausbildung gemachten Erfahrungen verantwort-
lich gemacht. Diese Themen gleiten sehr oft in eine unbewusste Beschäftigung
mit Autonomiebestrebungen vonseiten der Herkunftsfamilie ab. Der Raum, in
dem sich eine reflexive Haltung entwickeln könnte, setzt voraus, dass sich ein auto-
nomes Ich und dessen Anerkennung seiner individuellen Autonomieentwicklung
manifestiert haben. Meine persönliche Anerkennung setzt erst die Möglichkeit
eines reflexiven Verhaltens voraus und damit die Anerkennung von Unterschied-
lichkeit und einem Ich und Du. Würden die Aussagen der Gruppenleitung als
bereichernd und auch von ihr generiert betrachtet werden, so würde es zu einem
Aufgeben der eigenen Identität bzw. deren Instabilität kommen. Viele Themen
in der Gruppe handeln von diesem Wunsch nach Anerkennung und Identität.
Der Wunsch nach Anerkennung vonseiten der StudentInnen überlagert sehr oft
andere Themen bzw. entfaltet sich am dargebrachten Material.
Auch in diesem Spannungsfeld bewegt sich die Gruppenleitung zwischen
Selbsterfahrungselementen und Verantwortungsmomenten gegenüber der von-
seiten der StudentInnen beschriebenen Szene, und der Druck erhöht sich, wenn
die beschriebenen Szenen sich um die Ausbildungsthematik drehen. Eigenverant-
wortung auch seitens der StudentInnen zu übernehmen, bedeutet, kritisch dem
eigenen Handeln gegenüberzustehen und Diskussionen über Herausforderungen
in der eigenen Handlungssicht annehmen zu können. Schnell fühlen sich Stu-
dentInnen auch kritisiert, gekränkt und kämpfen mit Gefühlen von Entwertung.

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10 Das Eingebettetsein in einer Ausbildungsinstitution

»Effective learning, I suggest, is most enhanced by a supervisor who is openly crit-


ical but also self-critical and who is willing to explore openly the way this criticism
is experienced – reducing as much as possible any reporting to external authori-
ties, and discussing any such reporting openly within supervision« (Berman, 2004,
S. 213).

All diese Einflüsse können erheblichen Druck auf die TeilnehmerInnen der Su-
pervisionsgruppe ausüben. Vonseiten der Leitung ist es nötig, all diese Faktoren
in einem intersubjektiven Verständnis immer wieder einer eigenen Reflexion zu-
zuführen.

»The best and most creative supervision takes place when the supervisor trusts her
organizational structure to support her ability to use her voice uniquely and cre-
atively, and to encourage her supervisees to do the same. […] For the supervisor to
continue to grow and to refine her own voice as a clinician, supervisor, and com-
munity member, she must be able to rely on her organization to be a facilitating
environment that is willing to and capable of holding a tension between conformity
and deviation; between old and new; between the experimental and the tried and
true« (Frawley-O’Dea & Sarnat, 2001, S. 243).

Die SupervisorInnen brauchen vonseiten des Ausbildungsinstituts eine contai-


nende Funktion, um diese in der Gruppe für die StudentInnen wiederum zu
ermöglichen. Wenn diese Atmosphäre von der Institution nicht gehalten und
auch nicht wiederhergestellt werden kann, wenn Brüche auftreten, so leiden am
Ende die StudentInnen und ihre Handhabe in der Betreuungssituation in ihrem
beruflichen Feld.
Aber auch die Struktur einer Organisation, eines Ausbildungsinstituts wird
von Personen getragen, die in einem Fluidum von Instabilität agieren und zer-
brechlich sind.

»There is also a need for limits that protect the over-arching goals of the organi-
zation. If one joins an organization, institute, or training program, there is some
responsibility to hold, to protect, and to facilitate the voice of the organization at
the same time that one is held, protected, and facilitated« (ebd., S. 248).

Beide Autorinnen weisen auf die Verflochtenheit und die gemeinsame Verant-
wortung der Organisation und der dort Tätigen hin sowie auf die Verantwortung
vonseiten der StudentInnen. Für manche SupervisorInnen bei ART III stellt die

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

Außenposition, der sie durch Legen von Honorarnoten und keiner Anstellung
unterliegen, eine gewisse Freiheit dar, die sich im Einbringen von Theorien in die
Supervision zeigt, mit denen sich die SupervisorInnen aktuell beschäftigen und
die sie vermitteln möchten. Diese Ebenen der Verflochtenheit stellen ein diffi-
ziles Gefüge von unterschiedlichen Bedürfnissen und Wahrnehmungen dar, das
sich in Pendelbewegungen zwischen Struktur und Freiheit widerspiegelt.

11 Grenzen zwischen Supervision und Therapie


bzw. Analyse

Weitere Fragen stellen sich: Wie weit sollte die Gruppenleitung Verständnis für
die psychische Struktur der StudentInnen haben, um auch ein intersubjektives
Verständnis für die geschilderte Situation zu haben? Wie weit ist es auch von
Bedeutung, den StudentInnen zu vermitteln, dass sich in einem intersubjektiven
Feld das Verstehen nur gemeinsam entfaltet und dass jedes Verstehen der Szenen
bzw. der PatientInnen immer auch ein Verstehen für die StudentInnen über sich
selbst eröffnet? In einem relational gedachten Verständnis gibt es keine klare Li-
nie zwischen »teach and treat«.
Da StudentInnen weniger praktische Erfahrungselemente im Arbeitskontext
gesammelt haben, fallen ihnen sehr oft Beispiele aus dem eigenen familiären Hin-
tergrund ein, um die zu betrachtende Szene zu verstehen. SupervisorInnen können
leichter auf eigene Erfahrungsbeispiele aus dem Arbeitsalltag von der Begegnung
mit Menschen zurückgreifen, können aber ebenso eine Verbindung zu familiären
Erlebnissen wie zum Beispiel zu den eigenen Kindern herstellen, da diese sich
vielleicht in einer ähnlichen Lebenssituation befinden wie die StudentInnen.
»Without direct communication about personal matters, we may remain at
times in the dark as to the significance of what we observe in supervision« (Ber-
man, 2004, S. 218). Die eigene Lebensgeschichte kann ein Zugang zum Verstehen
der PatientInnen sein und sollte in der Supervision Platz haben. Das Verstehen der
PatientInnen verläuft für die StudentInnen über die eigene Geschichte. Empathie
entfaltet sich durch die Berührtheit, die die StudentInnen mitbringen. Aufgabe
der SupervisorInnen ist es, Gefühle und Assoziationen aufzunehmen und sie wie-
derum vorsichtig in den Kontext des dargestellten Falles zu bringen und nicht
in eine Selbsterfahrung zu gehen, wobei diese Elemente immer mit dabei sind.
Die SupervisorInnen übernehmen die Verantwortung der Richtung, wie mit den
dargelegten Assoziationen weitergearbeitet wird. Bleiben die Assoziationen der
StudentInnen verborgen, so schließt sich das intersubjektive Feld wieder und es

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11 Grenzen zwischen Supervision und Therapie bzw. Analyse

bleibt bei einem Wissen generierenden Nachdenken über die PatientInnen – und
dieses bleibt wiederum allein in der Betrachtung von zwei »ExpertInnen«. Der
Einfluss der SupervisandInnen auf die dargebrachte Szene bleibt verborgen, da die
SupervisorInnen ihnen den Verstehenszugriff über die eigene lebensgeschichtli-
che Vorstellung verschließen.
Die Unterscheidung zwischen Selbstanalyse und Analyse der geschilderten
Szene liegt in der bewussten Gerichtetheit durch die SupervisorInnen. Die dar-
gebrachten Assoziationen der StudentInnen werden immer wieder in den Zu-
sammenhang mit der beschriebenen Begebenheit gestellt. Die Gefühle, die die
SupervisorInnen erleben, fließen wiederum in das Verstehenskonstrukt über die
PatientInnen ein. Sie öffnen einen gemeinsamen Raum, um über die erlebten
Gefühle, die sich in der Begegnung zwischen SupervisorIn und StudentIn entfal-
ten, nachdenken zu können. Negative oder erotische Übertragungsgefühle in der
Supervision sollten als Verstehensmomente für die Fallgeschichte herangezogen
werden. Wenn die StudentInnen nun lernen, wie die SupervisorInnen mit diesen
Gefühlen arbeiten können, lernen sie in der Begegnung auch, mit diesen Gefüh-
len bei PatientInnen eine Sicherheit zu gewinnen.
Viele StudentInnen kämpfen mit Ängsten, selbst »pathologisiert« bzw.
»durchschaut« zu werden. Je abstinenter die SupervisorInnen hier sind, desto
stärker kommen diese Gefühle in der Gruppe zur Geltung. Die PatientInnen zu
verstehen bedeutet, den Blick in sich zu richten, sich mit seinen Gefühlen zu
involvieren. Dieses Verstehen generiert nun die Nähe zu den PatientInnen und
auch Ängste, ihrer »Pathologie« sehr nahe und verstehend zu sein. Diese Ängs-
te sollten immer wieder in einen reflexiven Prozess gebracht werden. Durch die
Involviertheit der SupervisorInnen und die Darlegung ihrer Empfindungen, um
Empathie zu generieren, reduzieren sie die Ängste der SupervisandInnen (Fraw-
ley-O’Dea & Sarnat, 2001; Sarnat, 1992).
Frawley-O’Dea und Sarnat berufen sich auf namhafte Stimmen der Psy-
choanalyse, um zu argumentieren: »a rigidly impenetrable boundary between
teaching and ›treating‹ in supervision is neither desirable nor truly achievable«
(Frawley-O’Dea & Sarnat, 2001, S. 159).
Diese Unterscheidung ist ein ähnliches Konstrukt und birgt dasselbe Dilem-
ma, mit dem sich bereits Freud bei der Unterscheidung zwischen Übertragungslie-
be und »echter« Liebe beschäftigt hat. Die Notwendigkeit der Unterscheidung
ist nicht der primären Trennung von Phänomenen geschuldet, sondern der Be-
herrschung von Ängsten vonseiten der StudentInnen und der SupervisorInnen
(Slavin & Rahmani, 2016).
Supervision im relationalen Sinne gedacht, bedarf der Übertragung von Su-

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

pervisandIn auf SupervisorIn und deren Gegenübertragung, um das Geschehen


mit den PatientInnen verstehen zu können.

»The analyst’s experience of the patient is central in understanding and guiding the
analytic process. Within this context, the ›teach/treat‹ dichotomy is no longer a
meaningful distinction, for ›treating‹ corresponds with illuminating the analyst’s
experience, a necessary process for ›teaching‹« (Fosshage, 1997, S. 202).

Diese Dichotomie, wie sie Fosshage so trefflich erwähnt, behindert unseren


Denkfluss, um die SupervisandInnen zu verstehen. Es ist ein angstminderndes
Denkrelikt, um noch klare Strukturen als Außenwirkung zur Verfügung zu ha-
ben. Es gibt keine Lehre, ohne sich persönlich zu involvieren.
Wenn wir von dem Paradigma ausgehen, dass sich Empathie und damit
ein Verstehen der SupervisandInnen entwickeln, wenn die SupervisorInnen in
sich blicken können, ihren Beitrag der Begegnung definieren können, so ist die
Vorstellung, die Persönlichkeit der SupervisandInnen nicht in ihr Verstehen ein-
zubeziehen, ein unhaltbares Konstrukt.
Frawley-O’Dea formuliert Folgendes zur Grenzdefinition von Therapie und
Lehren:

»How, then, does this relational model of supervision differ from analysis or
psychotherapy? The answer is – it depends. Primarily, it depends on the unique
parameters developed by each supervisory dyad as to the boundaries of relational ex-
plorations. Generally, however, the discussion of transference-countertransference
paradigms and relational derivatives of parallel process within supervision is focused
differently than in treatment. Specifically, within supervision, the overarching ob-
jective is to further the supervisee’s competence and comfort as a psychoanalytically
oriented clinician. In other words, the development of the supervisee as a clinician
is the paramount task. Although there well may be some overlap with the super-
visee’s work on growth and character analysis taking place within his treatment, this
is a secondary point of focus within the supervision. For instance, in the example
above, my supervisee and I did not spend much time discussing the possible etio-
logic antecedents of her compliance, nor did we address the particulars of this style
across relationships. Rather, our focus remained on our own relationship and its
implications for her work with her patient« (Frawley-O’Dea, 1997, S. 9).

Je klarer sich die Anerkennung der SupervisorInnen als TeilnehmerInnen in der


supervisorischen Beziehungsgestaltung definiert, desto weniger problematisch

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12 Intersubjektivität im Gruppensetting

erscheint die Grenze zwischen Lehre und Behandlung. Die SupervisorInnen un-
terliegen ebenfalls einer Veränderung durch die Begegnung mit den StudentInnen,
und nur durch die Definition der Asymmetrie lässt sich auch hier unterscheiden,
ob es sich um Veränderung im Sinne eines Verstehens und damit um einen Er-
kenntnisgewinn für die SupervisorInnen handelt. Oder lehren die StudentInnen
die Supervisorin im Sinne des Ergründens von etwas Neuem, Unaustauschba-
rem? Auch hier wird die Unterscheidung zwischen der Bedeutung von Lernen,
Lehren, Erkenntnis, Selbsterfahrung usw. ein oberflächliches Konstrukt, das sich
dekonstruieren lässt und somit die Funktion einer Angstminderung verliert.

12 Intersubjektivität im Gruppensetting

Arbeiten in und mit Gruppen inkludiert bereits ein relationales und intersubjekti-
ves Denken dahingehend, wo sich Übertragung und Gegenübertragung zwischen
den TeilnehmerInnen entwickeln und elementare Aspekte der Gruppe darstellen.
Der Gruppenanalytiker S. H. Foulkes wird auch als einer der Vordenker für den
intersubjektiven Paradigmenwechsel betrachtet, indem er Begriffe wie »transper-
sonal« und »location« ausformulierte. Eine gemeinsame Verbundenheit aller
GruppenteilnehmerInnen im Sinne einer Matrix, wie es Mitchell später von Loe-
wald übernommen hat, bezeichnete Foulkes bereits 1948 als unbewusste Ur-
Verbindung. Seine Metapher für diese Verbundenheit waren Röntgenstrahlen,
die in einer nicht sichtbaren Weise zwischen den TeilnehmerInnen hin und her
gehen.

»Group analytic conceptualization of the social unconscious preceded its time by


emphasizing such intersubjective concepts as multiplicity, mutuality, and radical
openness, long before intersubjective or relational writings were first published.
We can conceptualize the intersubjective field as a co-creation of the psyche of
the people involved in the interaction, meaning that it is not the simple result of
the people’s unconscious but is a new co-unconscious belonging to neither partici-
pants« (Weinberg, 2015, S. 195).

Haim Weinberg betrachtet das Unbewusste nicht als Phänomen eines Indivi-
duums, sondern »we are talking about creating the unconscious and acquiring
›knowledge‹ about it with the help of the other through conversation« (Wein-
berg, 2015, S. 195; 2007). Er bezeichnet dieses Unbewusste als soziales Un-
bewusstes, das gemeinsam von den Gruppenmitgliedern konstruiert wird. Jede

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

Gemeinschaft, Gruppe, Nation kreiert ein gemeinsames, soziales Unbewusstes,


das seine Bedeutung in der Reflexion über die Gruppe, über die Lerninstitution,
Praktikumsstelle usw. im Rahmen von ART III impliziert.
Die Ähnlichkeiten der gruppenanalytischen Konzepte mit dem intersubjek-
tiven, relationalen Denken entzweit sich in den Ansätzen von Neutralität und der
damit verbundenen Teilhabe der Gruppenleitung als eigene Akteurin im Grup-
pengeschehen. Die Gruppenleitung bleibt in den Konzepten in einer abstinenten,
nicht teilhabenden Position. Die Gruppenmitglieder waren in einer Gruppe im-
mer in einer Gleichberechtigung eingebettet und somit a priori immer schon in
ihrem Wesen intersubjektiv (Hirsch, 2010).
Die GruppenanalytikerInnen sehen die Gruppe als heilenden Faktor, und so-
mit fungieren ihre Mitglieder als »HeilerInnen« durch die Beziehungen, die
sie eingehen. Pathologie nach Foulkes’ Konzept kann nur durch die Beziehung
verstanden werden. »Pathologie« und »Heilung« entfalten sich in der Gruppe
durch die Beziehungen, die darin gestaltet werden.

»Die komplizierte Stellung des Gruppenleiters im Rahmen der intersubjektiven


Ansätze zur klinischen Arbeit sollte diskutiert und geübt werden, damit wir besser
verstehen, was es heißt, ein ›Leiter-in-der-Gruppe‹ zu sein, anstatt ein Therapeut,
der von seinen Patienten Abstand wahrt« (Friedman, 2015, S. 20).

Die Gruppe erfüllt für alle TeilnehmerInnen eine Holding- und Container-
Funktion, die sich in einem funktionierenden Übergangsraum als ein vielfältiger,
neu gestaltender Beziehungsfaktor erweist (Carvalho, 2010). Beate West-Leuer
(2011) definiert für die intersubjektive Supervision im Mehrpersonensetting fünf
Punkte:
1. Es gibt keine »objektive Erkenntnis«, es besteht ein vielschichtiges Be-
ziehungsgeflecht zwischen Team, SupervisorIn und KlientIn, der oder die
supervidiert wird. Beeinflusst wird dieses Geschehen durch die informellen
und formellen Regeln und die Kultur der Institution, in der die Supervision
stattfindet. Die entscheidende Erkenntnisquelle ist das »Inter-subjektive«.
2. Die Gruppe schafft durch ein spezielles Setting und Interventionen einen
Übergangsraum, in dem sich Erkenntnisse entwickeln können. Wirklich-
keit wird im intersubjektiven Spannungsfeld generiert und ist keine Rekon-
struktion der Vergangenheit.
3. Erkenntnisse werden im »Dazwischen« gewonnen, indem die Gruppe
über die manifesten Inhalte hinausgeht, sich intuitiv in der Auseinander-
setzung erprobt und neue Erkenntnisse generiert.

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13 Übergangsraum – Darstellungsraum als intersubjektive Inszenierung

4. Die SupervisorInnen sind gegenüber den Teammitgliedern in einer exter-


nen Position und automatisch in einer Fremdheit. Die Reflexion dieser
Fremdheit, dieses Befremdens erzeugt Erkenntnisse und Einsichten über
die KlientInnen und die ebenso fremden Lebenswelten der PatientInnen.
5. Ein Verständnis ist nur im Diskurs mit den Gruppenmitgliedern zu ge-
winnen, und es gibt keinen Beweis für die Richtigkeit der gewonnenen
Erkenntisse in der Supervision.

13 Übergangsraum –
Darstellungsraum als intersubjektive Inszenierung

Die Gruppe bietet einen Möglichkeitsraum für die Reinszenierung von unbe-
wussten Konflikten, die SupervisandInnen in ihrer Arbeit erleben. Konflikte
können nun durch die Übertragung auf die Gruppe ins Bewusstsein geholt und
bearbeitet werden. Die Gruppenleitung reagiert auf das dargebrachte Material
bzw. auf die Übertragung der SupervisandInnen mit einer Gegenübertragung
zweiter Ordnung. Diese Resonanzeffekte der Gruppe und der Gruppenleitung,
ausgelöst durch die szenische Funktion des Ichs bzw. durch die Spiegelneuronen,
gestalten den »Übergangsraum« als Involviertheit in die Szene. Die unbewuss-
ten Beziehungen zu KlientInnen und KollegInnen werden nun reinszeniert bzw.
modellieren den Darstellungsraum (West-Leuer, 2011).
Die Gruppenmitglieder bieten ihren Resonanzboden an und sind nun mit
dem dargebrachten Material identifiziert, und die SupervisorInnen können eine
neue Metaposition zur Gruppe einnehmen und wiederum den Prozess mit ihren
erlebten Affekten mitgestalten.

»Wird der Supervisand vom Patienten zum allmächtigen hilfreichen Objekt ge-
macht, so fühlt sich die Gruppe oft stellvertretend entweder hypomanisch, aktiv
oder voller guter Ratschläge (symmetrische Gegenübertragung) oder aber über-
fordert, gelähmt, kritisch, dem ›Studenten oder Supervisorin‹ sein Scheitern vor
Augen führend (konkordante Gegenübertragung zur berichteten Szene)« (Loh-
mer, 2017, S. 23).

Die SupervisorInnen bleiben in der Funktion des Gefühls von »Befremden«,


heben damit ihre erlebten Affekte in Sprache und entwickelt den Prozess zum
Beispiel weiter, indem sie der Überforderung und den damit verbundenen Ge-
fühlen Raum geben. Das Zurücktreten hinter das handelnde Ich, das sich in den

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VIII ART III – Supervision in der Gruppe

erlebten Affekten zeigt, auf ein beobachtendes Ich ist für Lohmer die zentrale
supervisorische Kompetenz der Gruppenleitung. Die SupervisorInnen interpre-
tieren die Reaktion der Gruppe und deren Dynamik auf einer Metaebene im
Sinne eines Verstehens des geschilderten Supervisonsfalles (ebd.).

14 Nichtwissen –
geringe Feldkompetenz der Gruppenleitung

Die SupervisorInnen sind mit unterschiedlichen Praktikumsstellen der Studen-


tInnen konfrontiert und verfügen üblicherweise über geringe Feldkompetenz in
dieser heterogenen Institutionslandschaft. Die Studierenden, die sich in der neu-
en Praktikumsstelle meistens fremd fühlen, vermitteln dieses Fremdsein und die
damit verbundenen Gefühle den SupervisorInnen. West-Leuer geht davon aus,
dass sich im Übergangsraum »Befremden« als vorrangiges Gefühl Ausdruck
verleiht. Die SupervisorInnen fühlen sich gegenüber den geschilderten Szenen
ebenso fremd wie die StudentInnen, die sich in in ihrem Praktikum in einer
Außenseiterposition befinden. Es ist dadurch auch eine leichtere Identifikation
vonseiten der StudentInnen mit den SupervisorInnen möglich, da beide sich in
einer »fremden« bzw. Metaposition gegenüber den Arbeitsstellen befinden. Ge-
genüber den KollegInnen in der Praktikumsstelle haben die StudentInnen eine
Außenseiterposition und können dadurch Sichtweisen und Fragen generieren,
die sich im Team zum Beispiel als »blinde Flecken« aufdeckend darstellen lassen.
Das Nichtwissen stellt einen großen Verstehenspool dar, in dem sich verdräng-
te, verleugnete Aspekte einer Klientin oder eines Klienten in einer verborgenen
Teamdynamik entfalten. Die Gruppenleitung führt die geäußerten Assoziationen
immer wieder auf das zu Beginn dargebrachte Material zurück und ermöglicht
wiederum assoziative Rückschlüsse. Die Fokusverschiebung auf die Ausgangssze-
ne der zu bearbeitenden Geschichte verhindert eine zu starke Regression auf die
eigene Geschichte, die damit verbundene Bedürftigkeit und die um Anerkennung
ringende eigene traumatisierende Lebensgeschichte (West-Leuer, 2007, 2011).

15 Conclusio

ART III stellt einen abschließenden Prozesspunkt einer dreistufigen Ausbildung


dar, der die StudentInnen in ihrer beruflichen Entwicklung begleiten, wachs-
tumsfördernd und unterstützend in der Findung der zukünftigen Berufsrolle

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15 Conclusio

sein sollte. Viele StudentInnen haben große Erwartungen an ihren zukünftigen


Beruf und erhoffen sich von der Ausbildung praxisunterstützende und autono-
miefördernde »Werkzeuge«. Sie durchlaufen Phasen von Ängsten, Unsicherheit,
gepaart mit Vorstellungen des Könnens und der Überlegenheit mit dem neu ge-
wonnenen Wissen. Die meisten erleben in ihren Praktikumsstellen eine gewisse
Desillusionierung in Hinblick auf die eigenen Erwartungen an den gewählten
Beruf und die Anwendbarkeit des vermittelten Wissens, sodass sich eine erhöhte
Frustration ergibt. Die Ausbildung konfrontiert die StudentInnen mit der De-
konstruktion der eigenen Vorstellungen und Erwartungen an sich und an den
Beruf, um zu einem authentischen Erleben in den zu bewerkstelligenden Ar-
beitssituationen zu kommen und damit mehr Sicherheit zu haben (Rønnestad &
Skovholt, 1997, 2013; Skovholt & Rønnestad, 1997).
Berufliches Heranreifen ist im ART-Konzept an die Verknüpfung von Beruf-
lichem und Persönlichem gebunden und führt dadurch zu einer Sicherheit des
Handelns durch das Gefühl von Authentizität. Die StudentInnen sollten sich
reflexiv mit komplexen Arbeitssituationen auseinandersetzen, sich selbst und an-
deren gegenüber akzeptierend positionieren, Mehrdeutigkeiten von Situationen
anerkennen und verschiedene Lösungen für ein und dasselbe Problem erkennen
können sowie dem Druck zum primären Handeln, um Lösungen zu generieren,
standhalten. »Dieser Druck wird in dem Slogan ›Sitz’ nicht einfach da ’rum, tu
’was!‹ zum Ausdruck gebracht« (Rønnestad & Skovholt, 1997, S. 301).
Erleben soll durch Reflexion in Erfahrung umgewandelt werden. Komplexität
sollte in ihrer Gesamtheit anerkannt und dadurch auch verarbeitet werden. Ver-
änderung, die nicht mit einem reflektierenden Prozess beleuchtet werden kann,
unterliegt der Gefahr der Pseudoentwicklung und eines Stillstands.
Die Beziehung zu den SupervisorInnen und deren Beziehungsqualitäten, ge-
tragen durch Respekt, Empathie, Authentizität, Klarheit und Offenheit, spiegeln
den entscheidenden Faktor für den Entwicklungserfolg der StudentInnen wider.
Die SupervisorInnen tragen durch ihre Beziehungskompetenz zu einem er-
heblichen Teil zur Aufrechterhaltung eines konstruktiven Gruppen- und Lern-
prozesses bei. Sie sollten eine angstmindernde Atmosphäre schaffen und auch ein
gewisses Maß an Struktur anbieten, sodass sich ein Reflexionsraum mit all seinen
Spielregeln entfalten kann. Am Ende des Weges steht ein gemeinsamer stimu-
lierender Entwicklungsprozess, der von allen an der Gruppe Teilnehmenden als
bereichernd erlebt und genossen wird.

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IX Methodisches Vorgehen

»Expressed in technical terms, he remained po-


tentially analysable. Expressed in everyday, hu-
man terms, he never quite gave up hope.«
Heinz Kohut (1984, S. 131)

1 Empirische Forschung zum Ausbildungsprozess

Die Ausgangslage von StudentInnen, die am Beginn ihrer Ausbildung stehen, wie
bei der hier beschriebenen Kohorte (Beginn des 3. Semesters), findet in der Lite-
ratur wenig Beachtung (Fiegl, 2016). Primär wird von Persönlichkeitsvariablen
ausgegangen, die bereits in den StudentInnen vorhanden sind, die in einen so-
zialen Beruf einsteigen. Einer der Ersten, die sich mit dieser Frage beschäftigten,
war Carl Rogers. Er meinte, dass Eigenschaften wie Empathie, Wärme und Kon-
gruentsein in der Ausbildung für PsychotherapeutInnen gelehrt werden müssen.
Später vertrat er die Meinung, dass diese Eigenschaften nicht gelehrt werden kön-
nen, sondern von den StudentInnen mitzubringen seien (Hill & Knox, 2013;
Fiegl, 2016; Fiegl & Sindelar, 2014; Rogers, 1957). Truax und Carkhuff vertreten
wieder die Position der Lehr- und Lernbarkeit von »helping skills« für Bera-
tung und Psychotherapie. Sie diskutieren dies anhand der Empathie, Wärme und
Echtheit, die sie als für einen BeraterInnen- und TherapeutInnenberuf bedeutend
sehen (Truax & Carkhuff, 1973).
Zu der Fragestellung, was die StudentInnen mitzubringen haben und was
sie an Fähigkeiten für den BeraterInnen- und Psychotherapieberuf erlernen kön-
nen, liegen keine evidenten Forschungsdaten vor. Es fehlen die Referenzwerte von
unterschiedlichen Ausbildungsstadien der StudentInnen, um die Frage der Aus-
gangslage bzw. der damit verbundenen Förderlage zu beantworten (Fiegl, 2016).
Pollmann beschäftigte sich in seiner Dissertation mit Zulassungskriterien in der
psychoanalytischen Ausbildung. Heimann, Reik, Balint oder Greenson gehen alle
von Fähigkeiten aus, die die StudentInnen mitzubringen haben, die bereits veran-
lagt sind und eben nicht erworben werden können (Pollmann, 1985; Fiegl, 2016).
StudentInnen kommen aber nicht als »clean slate«, wie es Ulvik und Ron-
nestad so treffend bezeichnen. Jede und jeder Auszubildende hat einen kulturellen

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IX Methodisches Vorgehen

Hintergrund, von dem sie oder er geprägt wurde (Lorenz, 1935). Die einzelnen
StudentInnen bringen Vorstellungen über Krankheits- und Helfermodelle mit
(Rønnestad & Skovholt, 2013): »Healing practices are embedded in the culture
in which the practices take place. Cultural embeddedness, or contextualization
of practices, is a fundamental principle in cultural psychology« (ebd., S. 38).
Die Kultur hat auf die StudentInnen mehr Einfluss als die Bedeutung ihrer
persönlichen Charaktermerkmale für den heilenden Beruf, was wiederum die Be-
deutung der Kultur der Ausbildungsinstitution in den Vordergrund rückt. Die
Ausbildungskultur wird von den Lernprozessen bestimmt. Zu Beginn neigt der
oder die Auszubildende zu einer Rolle der Imitation und übernimmt die von
außen diktierte, beruflich angepasste Haltung. Die Individuation tritt im Lern-
stadium in den Hintergrund (Rønnestad & Skovholt, 2013, 1997).
Für die Förderung der StudentInnen ist die Beziehung zu den AusbildnerInnen
bzw. den SupervisorInnen der entscheidende Faktor, um Erfolg als TherapeutIn
bzw. BeraterIn zu haben. Auch in der Begegnung mit den PatientInnen steht die
Beziehung im Vordergrund. Der wichtigste Faktor in einer gelingenden Psycho-
therapie ist die Beziehung (Orlinsky et al., 1994). »Das kritische Element jeder
erfolgreichen Therapie ist, glaube ich, die Fähigkeit des Therapeuten, mit der Bezie-
hung zwischen Patient und Therapeut sicher umzugehen« (Strupp, 1996, S. 1022).
Die Bedeutung der Beziehung zu den SupervisorInnen bzw. Lehrkräften ist die
Lerngrundlage für die Beziehungsqualität der StudentInnen zu den PatientInnen.
»Die Qualität einer Beziehung zwischen Supervisor und Supervisanden beeinflusst
das Lernen auf jedem Erfahrungsniveau« (Rønnestad & Skovholt, 1997, S. 301).
Die Ausbildungszufriedenheit und später die Handhabe mit den PatientInnen
wird stark von der Beziehung zu den AusbildnerInnen und der Institutionskultur
bestimmt. Die Beziehungserfahrung mit den AusbildnerInnen, eingebettet in af-
fektives Lernen, prägt die Beziehung zu den PatientInnen.
Die Möglichkeit, diese Lernerfahrung zu machen, setzt eine »hohe emotio-
nale Intelligenz« voraus, die wiederum an eine überdurchschnittliche formale
Intelligenz gebunden ist (Fischer, 2011). Auch für Tom Levold, der von einer indi-
viduellen Persönlichkeit ausgeht, ist die »TherapeutInnenpersönlichkeit« nicht
trainierbar, da sie in einem langen Prozess der Entwicklung aller persönlichen Er-
fahrungen entsteht (Levold, 2004). Die Dekonstruktion bzw. Überwindung der
Ausbildung sollte bereits sehr rasch erfolgen, damit in Begegnungen mit den Pati-
enten situativ reagiert werden kann: »Auf einer solchen frühen Ausbildungsstufe
kann dann bereits gelernt werden, wie man Ausbildung überwinden, daß man sie
überwinden muß – denn in der psychotherapeutischen Situation ist man immer
auf sich allein gestellt« (Buchholz, 1999, S. 347).

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2 Theoretische Überlegungen zur Methodenwahl und Abfolge der Erhebungen

Buchholz beschreibt das Paradox einer gelingenden Ausbildung. Das Erken-


nen der Differenz führt zu einer eigenständigen Form und auch Verankerung des
authentischen Handelns in der Begegnung. Die Bindungsforschung hat bestätigt,
dass eine sichere Bindung und damit ein Explorieren der Welt nicht an eine alles
verstehende Mutter gebunden sind. Sie vermittelt im Sinne des Mentalisierungs-
konzepts eine Differenz zu den anderen und ermöglicht somit die Entwicklung
einer subjektiven Weltsicht und eines Selbst (Fonagy et al., 2004).
Die Frage, die sich hier herauskristallisiert, ist für jede Ausbildung von Rele-
vanz: Was bringen die StudentInnen mit und worin müssen sie gefördert werden?
Die Forschungslage kann keine klare Antwort darauf geben, was für einen Sozi-
alberuf und hier im Speziellen den TherapeutInnenberuf mitzubringen ist und
was eben gelernt werden kann. Grundsätzlich werden Ausbildungsplätze nicht
nach vorgegebenen Fähigkeiten vergeben, sondern es wird aus den Fähigkeiten
der AufnahmekandidatInnen eine Rangordnung gebildet. Bei geringerer bzw.
großer Auswahl an KandidatInnen werden sich Auswahlkriterien verschieben.
Beziehungsaspekte, die mit Reflexionsfertigkeiten gleichgestellt werden, sind der
bestimmende Faktor für die Aufnahme in einen Sozialberuf.
Die Unterscheidung, was die KandidatInnen an Fähigkeiten mitbringen müs-
sen bzw. welche Charakterzüge sie haben sollten, lässt sich nur spekulativ treffen.
Was bedeuten ihr Kulturhintergrund und ihre Vorstellung von Krankheit und
Heilung? Welche Formen an notwendigen Fähigkeiten wie Empathie, Echtheit
und Einfühlung lassen sich in einer Ausbildung vermitteln oder müssen in einer
Form vorhanden sein, um sie zu entwickeln? Diese Begriffe sind dabei sehr abs-
trakt und unterliegen vielen Verstehensdeutungen. Es ist verblüffend, wie wenig
Forschungsmaterial zu diesen Fragestellungen vorhanden ist.

2 Theoretische Überlegungen zur Methodenwahl und


Abfolge der Erhebungen

Die zur Anwendung kommenden quantitativen Methoden entstanden in einem


gemeinsamen Diskussionsprozess in unserer gemeinsamen ART-Research-Study-
Group (ART-RSG). Unser erster Versuch bestand in der Zusammenstellung eines
Fragebogens, wobei wir deskriptivstatistisch vorgingen (Raab-Steiner & Benesch,
2012). Durch das Zusammenstellen eines eigenen Forschungsfragebogens ver-
zichteten wir in dieser Form auf einen international standardisierten Test und
damit auf Referenzdaten wie Normwerte. Einen Jahrgang später entschieden wir
uns für ein Verfahren, das seit Längerem in der Wissenschaftswelt etabliert ist und

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IX Methodisches Vorgehen

die Gütekriterien der Objektivität, Reliabilität und Validität eindeutig erfüllen


sollte. Eine weitere Überlegung umfasst die Idee, ein Testverfahren zu entwickeln,
in dem sich psychoanalytische Kategorien darstellen ließen bzw. Rückschlüsse
durchführen lassen konnten. Es kristallisierte sich auch die Bedeutungsverschie-
bung vom Innerpsychischen zum Interaktionsverständnis der StudentInnen für
uns heraus. Eine Kollegin, die bereits in Berlin mit dem Gießen-Test gearbeitet
hatte, leitet die Einführung dieses Tests in unserer ART-Research-Study-Group.
Die meisten Items im Gießen-Test fokussieren auf die Beziehung der ProbandIn-
nen zu ihren Mitmenschen.
Hier werden die ersten Studienergebnisse diskutiert, die Generierung und
Ausbreitung von Daten befindet sich in einem laufenden Prozess. Die hier prä-
sentierten Daten wurden in den Semestern drei und vier erhoben und beziehen
sich speziell auf das zweite Ausbildungsmodell des dreiphasigen Affektresonanz-
trainings (ART).

3 Methodenauswahl

Bei der Entscheidung für den Gießen-Test war es auch von Vorteil, ein psychodia-
gnostisches Verfahren eines Persönlichkeitstests zu wählen, der nicht primär als
individualdiagnostisches Instrument entworfen wurde. Er sollte auch einen Schwer-
punkt auf die Charakterisierung der Beziehungsaspekte der StudentInnen bieten.
Ein weiteres Auswahlkriterium für den Gießen-Test war für uns, dass dieser als
ein objektives, individualpsychologisches Instrument mit mittlerer Bandbreite und
Präzision in tiefenpsychologischen, relevanten Kategorien soziale Einstellungen
und Reaktionen abbildet und somit ein Messinstrument im Aspekt der Intersub-
jektivität darstellt. Der Test fokussiert auf die Merkmale einer Person, die sie sich
selbst (Selbstbild) und anderen Personen (Fremdbild) zuschreibt (Böker, 1999).
Bei der Interpretation der Befunde ist immer die Intersubjektivität zu beachten,
das heißt, der Gießen-Test erfragt interne und externe Merkmalszuschreibungen
von Personen, erfasst aber keine Eigenschaften, die im Sinne von Objektivität gese-
hen werden (ebd.; Beckmann et al., 2012a). Als Kritikpunkt verweist Hell (1982,
S. 41) auf die Unschärfe, die zwischen Testkonstruktion und Testmessung einerseits
und der psychodynamischen Modellvorstellung und Interpretation andererseits
besteht. Durch die nicht belegte Kongruenz von Testaussagen und intersubjek-
tiven bzw. psychodynamischen Konzeptvorstellungen sollte auf metasprachliche
Interpretationen der Testbefunde verzichtet werden (Böker, 1999; Hell, 1982).
Die hier diskutierten Befunde, die auf der Erhebung der Selbstbilder beruhen,

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5 Beschreibung der Testmaterialien

werden mit anderen Gruppendaten in Beziehung gesetzt. Bei mittlerer Präzision


verfügt der Test über einen relativ kleinen Aussagebereich. Bei den Interpretatio-
nen ist auch zu beachten, dass es sich hier um ein standardisiertes Testverfahren
und somit um einen umgrenzten Messbereich handelt (Böker, 1999; Beckmann
et al., 2012b; Ermann, 1987; Eckert & Biermann-Ratjen, 1985).

4 GT-Selbstbilder

Im ersten Teil der Untersuchung, deren Ergebnisse auch hier diskutiert werden,
wurde der Versuch unternommen, das Selbstkonzept von StudentInnen über acht
Ausbildungsjahrgänge in der psychiatrischen Krankenpflegeschule zu erfassen.
Die Datenerfassung sollte vor allem personale und interpersonale Aspekte der Be-
ziehungsvorstellungen der StudentInnen erheben. Erstens gehen wir davon aus,
dass internalisierte Objektbeziehungen einen erheblichen Anteil an der Gestal-
tung aktueller Beziehungen haben, und zweitens sollte erfasst werden, welche
Bedeutung der intersubjektive Einfluss auf das Selbstbild hat. Diese Daten stellten
wir dann in einen Gruppenkontext. Bei der Interpretation unserer Daten stehen
nicht primär die grundlegenden, psychosozialen Daten wie Geschlecht, Alter,
Dauer der Beziehung oder soziale Schicht im Vordergrund, sondern die Qualität
der Begegnungen zwischen StudentInnen untereinander und mit den Ausbild-
nerInnen. Lassen sich anhand der Gruppendaten Rückschlüsse auf die Bedeutung
der psychodynamischen Faktoren der Gruppenmitglieder und die Beziehungs-
qualität zu den AusbildnerInnen ziehen? Der Rückschluss auf die Qualität der
Beziehungen in den Gruppen und zu den AusbildnerInnen erfolgt über die Aussa-
gen zum Selbstbild. Dies wird als Determinante des Selbstwertgefühls betrachtet
und dient auch der Beurteilung der Regulierung der narzisstischen Balance in der
Gruppe. Als Beziehungsqualität wird in der Gruppenentwicklung auch die Ab-
grenzung zur Institution bzw. zu den AusbildnerInnen betrachtet.

5 Beschreibung der Testmaterialien

5.1 Entstehung des Gießen-Test II

Dieser Test wird seit 40 Jahren im klinisch-diagnostischen und im Forschungs-


setting angewendet. Er befindet sich in seiner vierten Auflage und wurde mit der
Letztauflage von 2012 leicht überarbeitet und zeitgemäßer gestaltet, wobei der

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IX Methodisches Vorgehen

Schwerpunkt der Veränderungen auf der Benutzerfreundlichkeit lag. Dieses Ma-


nual beinhaltet auch die erste gesamtdeutsche Normierung an einer Stichprobe
von ca. 5.000 repräsentativ befragten BundesbürgerInnen. In den letzten Jahren
verlagerte sich auch sein Anwendungsgebiet in Richtung sozialpsychologischer,
soziologischer und politologischer Untersuchungen. Die drei Erfinder des Gie-
ßen-Tests sind Dieter Beckmann, Elmar Brähler und Horst-Eberhard Richter.

5.2 Definition des Gießen-Test II

Der Gießen-Test II ist ein Inferenzfragebogen, der mehrere Dimensionen um-


fasst. Die ProbandInnen können ihr Selbstbild, Fremdbild bzw. ihr Idealbild
einschätzen. Die Grundüberlegungen beruhen auf psychoanalytischen und sozi-
alpsychologischen Konzepten. Der Test umfassst sechs Standardskalen: a) soziale
Resonanz (negativ sozial resonant versus positiv sozial resonant); b) Dominanz
(dominant versus gefügig); c) Kontrolle (unterkontrolliert versus zwanghaft);
d) Grundstimmung (hypomanisch versus depressiv); e) Durchlässigkeit (durch-
lässig versus retentiv); f ) soziale Potenz (sozial potent versus sozial impotent).
Mithilfe von 40 Items werden diese sechs Skalen erhoben. Diese bipolaren Items
(3 – 2 – 1 – 0 – 1 – 2 – 3) werden nach ihrer Bedeutung für die ProbandIn-
nen beurteilt und von diesen angekreuzt (Beckmann et al., 2012; Brähler, 1989;
Beckmann & Richter, 1979; Proske, 2014).

5.3 Anwendungsbereiche

Primär wurde der Test für Erwachsene konzipiert und später auf die Anwendung
für Jugendliche ausgeweitet. Er kann als Einzel- bzw. als Gruppentest durchge-
führt werden. Die häufigste Anwendung findet im klinischen Betrieb statt und
dort speziell als Diagnostikinstrument und zur Verlaufskontrolle in der Psycho-
therapie. Seit Längerem findet er bei wissenschaftlichen Fragestellungen verstärkt
Verwendung, bei sozialpsychologischen Forschungen (Beckmann et al., 2012a).

5.4 Gütekriterien

Das dem Material beigefügte Manual gibt genaue Anweisungen zur Durchfüh-
rung, Auswertung und Interpretation des standardisierten Tests und gewährleistet

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6 Testdurchführung und Ablauf

damit Objektivität. Bezüglich Reliabilität liegt die Retest-Reliabilität (Intervall


sechs Wochen) in der Standardisierungsstichprobe für die Skalen zwischen 0.65
und 0.76. Der Test ist auch inhaltlich valide. Es gibt verschiedene Untersuchun-
gen zur Konstruktvalidität (Beckmann et al., 2012b).

5.5 Normwerte

Die T-Werte, Prozentsätze, Mittelwerte und Standardabweichungen für die Items


und Skalen werden als Normwerte geführt. Durch Geschlecht und Alter ergeben
sich differenzierte Werte. Die aktuelle Normierung beruht auf einer bevölke-
rungsrepräsentativen Stichprobe aus dem Jahr 2006 und bewegt sich in einer
Altersspange von 14 bis 92 Jahren (N = 5 036) (Beckmann et al., 2012a).

5.6 Gruppendiagnostik –
Analyse der Mittelwertprofile von Kollektiven

Der Gießen-Test kann in zwei konträren Richtungen zur Gruppendiagnostik her-


angezogen werden. Erstens für die Interaktionsdiagnostik, hier liegt das Interesse
auf den Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern. Im zweiten Fall handelt
es sich um eine Gruppendiagnostik, in der zur Analyse Durchschnittsmerkmale
von Gruppen sowie alle typischen Merkmale aller Versuchspersonen im Vergleich
zu Normwerten oder im Vergleich zu anderen Gruppen bzw. Kontrollgruppen
herangezogen werden. Die hier präsentierten Daten beziehen sich auf diese Form
der Gruppendiagnostik (Scheer, 1979; Beckmann et al., 2012a).

6 Testdurchführung und Ablauf

Das Projekt läuft seit 2010, und die Durchführung des Gießen-Tests erfolgte ab dem
Jahrgang 2011 bis 2014 (Ausbildungsdauer sechs Semester). Bei den Jahrgängen
mit dem Beginn 2011 und Ende September 2014, Beginn 2012 und Ende Septem-
ber 2015 sowie Beginn 2013 und Ende September 2016 wurden die Fragebögen
für das Selbst- und Idealbild in der Unterrichtszeit der Gesamtklasse mittels Blei-
stift ausgefüllt. Der Fragebogen für die Fremdbeurteilung wurde in den laufenden
Kleingruppen durchgeführt. Zur Fremdbeurteilung wurde den StudentInnen ein
Protokoll vorgelesen, anhand dessen sie die Beurteilung durchführten. Beginnend

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IX Methodisches Vorgehen

mit dem Jahrgang März 2014/17 wurde der Test digitalisiert und auf die der Schule
zur Verfügung stehende Lernplattform gestellt. Die Instruktion für das Vorgehen
auf der Lernplattform erfolgte im Zuge der Großgruppe als Unterrichtseinheit. Für
etwaige weitere Rückfragen standen Mitglieder der ART-RSG persönlich oder per
Mail-Kontakt zur Verfügung. Die Dauer des Tests wurde mit 15 Minuten konzipiert.
Die Rücklaufquote bewegte sich zwischen 70 und 85 Prozent. Von Klasse zu Klasse
ergaben sich große Unterschiede in der Rücklaufquote. Säumige StudentInnen wur-
den per Mail im Kollektiv oder persönlich an die Abgabe erinnert. Die erhobenen
Daten wurden dann händisch und später elektronisch im SPSS 24 erfasst.

7 Auswertung

Als Grundlage für die Auswertung wurden die Standardwerte (T-Werte) für die
sechs Standardskalen und die Prozentränge (PR) für die Einstellungsskalen E
und M herangezogen. Die Rohwerte für M und E werden durch eine einfache
Auszählung generiert (M setzt sich aus der Anzahl der unentschiedenen Ankreu-
zungen zusammen (0 bzw. 4) und E aus den Extremankreuzungen von rechts und
links (3 bzw. 1 und 7). Für die Auswertung wurden Standardwerte (T-Werte) für
die sechs Standardskalen und Prozentränge (PR) für die Einstellungsskalen E und
M herangezogen.
Fehlende Werte oder Doppelankreuzungen wurden, wie im Testmanual emp-
fohlen, durch den Mittelwert im Item ersetzt (Beckmann, Brähler, Richter,
2012b). Hier einige Beispiele:
➢ laufende Nr. 79; präGTFm, zwei Fehlwerte (Items 26 und 40) durch Mittel
der übrigen Itemwerte (= 6) ersetzt, betrifft Skala 5
➢ laufende Nr. 70; präGTS, ein Fehlwert (Variable 15) durch Mittel der üb-
rigen Itemwerte (= 3,8, auf 4 gerundet) ersetzt, betrifft Skala 6
➢ laufende Nr. 81; präGTI, ein Fehlwert (Variable 30) durch Mittel der üb-
rigen Itemwerte (= 3,6, auf 4 gerundet) ersetzt, betrifft Skala 6

7.1 Selbstbild

Eine Untersuchung der Mittelwerte des Selbstbildes im Prätest wurde durch-


geführt. N = 199 und erstreckt sich auf acht Ausbildungsjahrgänge ( Jahrgän-
ge 2011/14 Sept., Jg. 2012/15 Sept., Jg. 2013/16 Sept., Jg. 2014/17 Sept.,
Jg. 2014/17 März, Jg. 2015/18 März, Jg. 2015/18, Sept., Jg. 2016/19 März).

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7 Auswertung

7.2 Zusammenfassung der Berechnungsergebnisse

Es finden sich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Klassen. Signifi-


kante sind diese bei den Klassen 1, 2 und 3 mit den nachfolgenden Klassen. Es
handelt sich bei den ersten drei Jahrgängen um die Klassen, in denen die Testung
in der Groß- bzw. in Kleingruppen unter Anwesenheit einer Betreuungsperson
durchgeführt wurde. Diese Unterschiede werden besonders in den Skalen 1, 2, 5,
6 und E deutlich.

7.3 Skala 1: soziale Resonanz

In Skala 1 geht es um die Vorstellung der eigenen Wirkung auf die Umwelt.

Tabelle 1: Skala soziale Resonanz (Beckmann et al., 2012a, S. 25).

links rechts
negativ sozial resonant (NR) positiv sozial resonant (PR)
unattraktiv, unbeliebt, missachtet, in der Arbeit kriti‐ anziehend, beliebt, geachtet, in der Arbeit geschätzt,
siert, nicht durchsetzungsfähig, an schönem Aussehen durchsetzungsfähig, an schönem Aussehen interessiert
desinteressiert

Hier werden die Items 9 (Einschätzung der Arbeit durch andere), 16 (Beliebtheit),
23 (allgemeine Bewertung durch die Umwelt) und Attraktivität zusammenge-
führt, da eine Korrelation erwartet wird. Weiters korrelieren sich durchzusetzen
und soziale Bestätigung, aber auch der Wunsch, schön auszusehen mit Attrak-
tivität und Beliebtheit. Das Hauptthema in Skala 1 umschließt die Interaktion
mit der Umwelt und, wie man sich darin erlebt, die Vorstellung, ob man gut
oder schlecht angenommen wird. Es geht um die Frage der eigenen Präsentati-
on und um das Wahrgenommenwerden. Als Charakterzüge werden hysterische
Erlebensweisen mit exhibitionistisch-voyeuristischen Komponenten angedeutet.
Rollenerwartungen werden über die zugrunde liegenden Charakterzüge gestellt.
Eine Inauthentizität wird bei hohen Werten angenommen und damit ein Rück-
schluss auf Hysterie gezogen. Der Mittelwert für unausgelesene NeurotikerInnen
wird mit T = 42 angegeben. Im Allgemeinen zeigen NeurotikerInnen eine nega-
tive Einschätzung ihrer Resonanz (Beckmann et al., 1979, 2012). Die Einschät-
zung des eigenen Selbstbildes in der sozialen Resonanz liegt bei Depressiven bei

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IX Methodisches Vorgehen

T = 29.905 und bei AlkoholikerInnen bei T = 48.190 (N = 21, Depressive; N = 21


AlkoholikerInnen) (Wolf, 1976). Die Selbsteinschätzung von Myasthenia-gravis-
pseudoparalytica-PatientInnen3 (N = 34, davon 25 weiblich, 9 männlich; Durch-
schnittsalter 36 Jahre) liegt bei T = 46.88 (Paschotta, 1976), die Selbstbild-T-
Werte bei männlichen Obdachlosen (N = 15) liegen bei T = 49.44 und bei weib-
lichen Obdachlosen (N = 15) bei T = 53.00 (Kleinschnitger & Meyer, 1977).

Abbildung 9: Skala 1 (ART-Research-Study-Group, 2016).

7.4 Interpretation der Ergebnisse der Skala 1

Wie der Skala deutlich zu entnehmen ist, befinden sich die Jahrgänge 11/14,
12/15, 13/16 in ihrem T-Wert über 50 und somit im positiv einzustufenden Be-
reich. Sie erleben sich als geschätzt, durchsetzungsfähig und in der Gemeinschaft

3 Die Myasthenia gravis ist eine durch Autoantikörper verursachte neuromuskuläre


Übertragungsstörung durch Blockierung der Acetylcholinrezeptoren an der motori-
schen Endplatte (Endplattenerkrankung). Sie führt klinisch zu einer Muskelschwäche,
weshalb die Erkrankung von manchen AutorInnen unter »Muskelerkrankungen« ab-
gehandelt wird.

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7 Auswertung

geachtet. Die anderen vier Jahrgänge befinden sich unter einem T-Wert von 35
und damit auch unter dem Mittelwert für NeurotikerInnen von 42. Diese Jahrgän-
ge empfinden sich als weniger attraktiv, als missachtet, mit weniger Fähigkeiten im
Durchsetzen von Wünschen und Bedürfnissen. Die Bedeutung der Außenwirkung
der Jahrgänge 14/17, 15/18 und 16/19 lässt sich als nicht so relevant interpre-
tieren und korreliert mit den Gruppen, die diagnostisch unter Depression und
Myasthenia gravis pseudoparalytica laufen. Die Werte der Jahrgänge 11/14, 12/15,
13/16 und 16/19 korrelieren in den Werten eines positiven Selbstbildes mit den
Gruppen der Alkoholkranken und der Obdachlosen. Depressive und Myasthenia-
gravis-pseudoparalytica-PatientInnen erleben sich als unattraktiv, missachtet und
nicht durchsetzungsfähig. Die Patientengruppen und die Obdachlosen wurden
im Gießen-Test zu einer Gruppe zusammengefügt, wobei bei den StudentInnen
die Gruppe als Klassengemeinschaft schon vorhanden war. Die Gruppendynamik
bzw. die Haltung der StudentInnen wird durch äußere Bedingungen beeinflusst
und führt wiederum in den sechs Jahrgängen zu zwei Subgruppen.
Alkoholkranke und Obdachlose erleben sich als stark involviert in ihre Um-
gebung und auch selbstbestimmt in ihrem Handeln. Es herrscht ein Gefühl vor,
die eigenen Interessen im Leben durchsetzen zu können.

7.5 Skala 2: Dominanz

Skala 2 bildet die Komplementarität zwischen dominat und gefügig ab.

Tabelle 2: Skala Dominanz (Beckmann et al., 2012a, S. 26f.).

links rechts
dominant (DO) gefügig (GE)
häufig in Auseinandersetzungen verstrickt, eigensinnig, selten in Auseinandersetzungen verstrickt, fügsam, gern
gern dominant, begabt zum Schauspielern, ungeduldig sich unterordnend, unbegabt zum Schauspielern, un‐
kompliziert in enger Kooperation, geduldig

In dieser Skala bildet sich eine Komplementarität zwischen aggressivem, domi-


nantem, eventuell sadistischem Verhalten versus unterwürfigem, ausgleichendem,
ruhigem, eventuell masochistischem Verhalten ab. Als Charakterzüge beschreiben
Beckmann, Brähler und Richter sadomasochistische Verhaltensweisen, die zwischen
Beherrschen und Beherrscht-werden-Wollen einzuordnen sind. Weiters meinen

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IX Methodisches Vorgehen

die AutorInnen, dass PatientInnen mit psychogenen Störungen eher in Richtung


Dominanz tendieren und »gesunde« sich eher als gefügig und anpassungswillig
darstellen. Der Mittelwert für PatientInnen mit psychogenen Störungen liegt bei
T = 46. Hier wird auf den Mittelwert des Manuals 2012 zurückgegriffen, da im frü-
heren Werk 1981 der Mittelwert mit T = 42 angegeben wird. Die Einschätzung ihres
Selbstbildes bei Depressiven liegt in Hinblick auf Dominanz bei T = 50.952 und
bei AlkoholikerInnen bei T = 50.952 (N = 21, Depressive; N = 21, AlkoholikerIn-
nen) (Wolf, 1976), die Selbsteinschätzung von Myasthenia-gravis-pseudoparalytica-
PatientInnen (N = 34, davon 25 weiblich, 9 männlich; Durchschnittsalter 36 Jah-
re) liegt bei T = 46.88 (Paschotta, 1976), die Selbstbild-T-Werte bei männlichen
Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) liegen bei T = 43.22 und bei weiblichen Ob-
dachlosen (N = 15, Alter 18–34) bei T = 47.17 (Kleinschnitger & Meyer, 1977).

Abbildung 10: Skala 2 (ART-Research-Study-Group, 2016).

7.6 Interpretation der Ergebnisse der Skala 2

Wie im Ergebnis der Skala 1 zeigen sich auch bei Skala 2 zwischen den ersten drei
Jahrgängen und den nachfolgenden vier Jahrgängen große Wertverschiebungen. Die
ersten drei Klassen tendieren zu einem über dem T-Wert von 46 liegenden Bereich der

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7 Auswertung

Dominanz. Die anderen vier Klassen befinden sich sehr klar unter dem Mittelwert.
Bei diesen Klassen gehen die Verschiebungen eindeutig in Richtung Gefügigkeit. Die
Klassen 4 bis 8 würden in der Interpretation der AutorInnen des Gießen-Tests als
»gesünder« als die Klassen 1 bis 3 betrachtet werden (Beckmann et al., 1979, 2012a).
Die Werte der Jahrgänge 11/14, 12/15, 13/16 und 16/19 korrelieren mit keinem
hier verwendeten Gruppenwert. Ihre Werte gehen sehr klar in Richtung gefügig.
Sie stellen sich als Gruppen sehr unterwürfig dar. Diese Werte gehen auch in Rich-
tung der Vorstellung, unkompliziert in der Zusammenarbeit und geduldig zu sein.
Im Gegensatz zu den AutorInnen des Tests wäre auch eine Interpretation in Rich-
tung einer abhängigen bzw. dependenten Gruppe im Sinne von Warren G. Bennis
möglich. Die Werte lassen sich auch so verstehen, dass sie mit der Gruppendyna-
mik zusammenhängen und eben nicht über die Einzelwerte der TeilnehmerInnen
ermittelbar sind, die bei den aus der Literatur genommenen Daten zu Gruppen
zusammengefasst wurden. Die Jahrgänge 14/17, 15/18 und 16/19 tendieren zur
Konterdependenz (Bennis, 2009; Majce-Egger, 1999; Antons-Volmerg et al., 2001).

7.7 Skala 3: Kontrolle

In Skala 3 geht es um die beiden Pole unkontrolliert versus Kontrolle und deren
Abwehrmechanismen von Es und Über-Ich.

Tabelle 3: Skala Kontrolle (Beckmann et al., 2012a, S. 27f.).

links rechts
unkontrolliert (UK) zwanghaft (ZW)
unbegabt im Umgang mit Geld, unordentlich, bequem, begabt im Umgang mit Geld, überordentlich, übereifrig,
eher pseudologisch, unstetig, fähig zum Ausgelassen eher wahrheitsfanatisch, stetig, unfähig zum Ausgelas‐
sein sen sein

Skala 3 zeigt eine geradezu lehrbuchmäßige Psychopathologie, speziell in ihrer


Linksverschiebung. Es werden auch keine Items nach dem Umgang bzw. der emotio-
nalen Bedeutung von anderen abgefragt. Die Bedeutung liegt im Intrapsychischen
als Kampf zwischen Es und Über-Ich. Die Pole spannen sich zwischen einem
triebhaften Charakter und einer Zwangsstruktur. Die Objektbeziehungen sind nur
indirekt betroffen, auch wenn die Umgebung wegen des Verhaltens oft leiden kann.
Der T-Wert liegt bei 46 im Manual von 2012, bei 43 im Buch von 1981. Bei Pa-

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IX Methodisches Vorgehen

tientInnen, bei denen eine Zwangsstruktur diagnostiziert wurde, verschiebt sich


der Wert nach rechts (T-Wert 60; Psychosomatische Universitätsklinik). Dabei
weisen die AutorInnen auch auf den kulturellen Aspekt und auf die Altersrigidität
hin. Hilfesuchende StudentInnen an einer Psychotherapeutischen Beratungsstel-
le weichen auf dieser Skala nach links ab, wobei auch hier die Altersfrage eine
große Bedeutung hat. Die Einschätzung ihres Selbstbildes bei Depressiven in der
Kontrolle liegt bei T = 50.391 und bei AlkoholikerInnen bei T = 45.381 (N = 21,
Depressive; N = 21 AlkoholikerInnen) (Wolf, 1976), die Selbsteinschätzung von
Myasthenia-gravis-pseudoparalytica-PatientInnen (N = 34, davon 25 weiblich, 9
männlich; Durchschnittsalter 36 Jahre) liegt bei T = 48.79 (Paschotta, 1972),
die Selbstbild-T-Werte bei männlichen Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) lie-
gen bei T = 41.78 und bei weiblichen Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) bei
T = 42.50 (Kleinschnitger & Meyer, 1977).

Abbildung 11: Skala 3 (ART-Research-Study-Group, 2016).

7.8 Interpretation der Ergebnisse der Skala 3

Die Klassen 1, 2, 6 und 8 bewegen sich zwischen 46 und 47 und damit sehr na-
he dem Mittel-T-Wert 46. Klasse 3 hat einen Wert von 52 und liegt damit als

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7 Auswertung

einzige Gruppe in Richtung Rechts-Skalierung. Es lässt sich eine gewisse Form


von Ordnung und Struktur in der Gruppe vermuten. Die Gruppen 4, 5 und
7 liegen bei einem Wert auf 42 und sind somit die Gruppen, die in Richtung
Nicht-Kontrolle tendieren. Diese drei Werte lassen sich auch in die von Bennis
und Shepard 1959 geprägten gruppendynamischen Faktoren einteilen: 1. De-
pendenz-Gruppe, 2. Konterdependenz-Gruppe und 3. Interdependenz-Gruppe
(Bennis & Shepard, 1956; Majce-Egger, 1999; Antons-Volmerg et al., 2001). Die
Gruppen 4, 5 und 7 liegen im selben Skalenbereich wie die Gruppe der männli-
chen und weiblichen Obdachlosen. Diese Werte lassen sich gruppendynamisch
der Konterdependenz-Phase zuschreiben. In dieser Phase werden zum Beispiel
die TrainerInnen/LehrerInnen in einer Gruppe infrage gestellt. Es wird sehr viel
über die Struktur des Lernens und der Schule debattiert.
Alle fünf Gruppen haben eine Zuschreibung der Attribute für: ausgelassen
sein, unordentlich sein und leicht Geld ausgebend. Gruppe 3 korreliert mit den
Ergebnissen der »depressiven PatientInnengruppe«, ist aber in den T-Werten
doch noch weit weg von der Gruppe mit den ZwangspatientInnen.
Die Gruppen 1, 2, 6 und 8 befinden sich in einer Skalenbreite von 2 mit den
Alkoholkranken und den Myasthenia-gravis-pseudoparalytica-PatientInnen.

7.9 Skala 4: Grundstimmung

Skala 4 bildet die Grundstimmung und deren Aggressionsorientierung ab.

Tabelle 4: Skala Grundstimmung (Beckmann et al., 2012a, S. 29).

links rechts
hypomanisch (HM) depressiv (DE)
selten bedrückt, wenig zur Selbstreflexion neigend, we‐ häufig bedrückt, stark zur Selbstreflexion neigend, sehr
nig ängstlich, kaum selbstkritisch, Ärger eher heraus‐ ängstlich, Ärger eher hineinfressend, eher abhängig
lassend, eher unabhängig

Skala 4 bildet die Tendenz der Grundstimmung ab, ob sie Richtung hypomanisch
bzw. depressiv geht. Verbunden damit ist Aggression, gedacht als Energiepoten-
zial, das nach außen gerichtet wird und damit den Antrieb verstärkt oder als sich
selbst unterdrückende Form als Depression zum Ausdruck kommt. Die rechte
Skale geht mit Selbstunsicherheit, Ängstlichkeit und Abhängigkeit einher.

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IX Methodisches Vorgehen

Die PatientInnen der Psychosomatischen Klinik Gießen erreichen einen


T-Wert in Richtung rechts von 64. Die Einschätzung ihrer Grundstimmung
bei Depressiven in der Dominanz liegt bei T = 67.714 und bei Alkoholi-
kerInnen T = 58.190 (N = 21, Depressive; N = 21 AlkoholikerInnen) (Wolf,
1976), die Selbsteinschätzung von Myasthenia-gravis-pseudoparalytica-Patien-
tInnen (N = 34, davon 25 weiblich, 9 männlich; Durchschnittsalter 36 Jahre)
liegt bei T = 57.24 (Paschotta, 1972), die Selbstbild-T-Werte bei männlichen
Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) liegen bei T = 49.67 und bei weiblichen
Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) bei T = 53.33 (Kleinschnitger & Meyer,
1977).

Abbildung 12: Skala 4 (ART-Research-Study-Group, 2016).

7.10 Interpretation der Skala 4

Alle Gruppen bewegen sich im Skalenbereich zwischen den Werten 52 und 58,5.
Wenn wir als Referenzpunkt für die Gruppen die PatientInnen der Gießener
Klinik betrachten, haben wir eine klare Verschiebung des T-Werts 64 der Klinik-
patientInnen in Richtung links. Die Werte betreffend liegen beide Messdaten für
depressive Gruppen – T = 67.7 und T = 64 – doch relativ von den anderen

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7 Auswertung

Gruppen entfernt. Der Jahrgang 15/18 liegt mit den Werten in einem Skalenbe-
reich der Gruppe mit den Alkoholkranken und der Gruppe mit den Myasthenia-
gravis-pseudoparalytica-PatientInnen. Die Jahrgänge 11/14 und 12/15 liegen im
Skalenbereich ähnlich wie die weibliche Obdachlosengruppe. Das könnte grup-
pendynamisch als Tendenz zur Konterdependenz-Phase gedeutet werden.

7.11 Skala 5: Durchlässigkeit

Skala 5 legt wieder verstärkt den Fokus auf die psychosozialen Beziehungen. Die
Dimensionsspanne umfasst links durchlässig und rechts retentiv.

Tabelle 5: Skala Durchlässigkeit (Beckmann et al., 2012a, S. 30).

links rechts
durchlässig (DU) retentiv (RE)
aufgeschlossen, anderen nahe, eher viel preisgebend, verschlossen, anderen fern, eher wenig preisgebend,
Liebesbedürfnisse offen ausdrückend, eher vertrauens‐ Liebesbedürfnisse eher zurückhaltend, eher misstrau‐
selig, in der Liebe intensiv erlebnisfähig isch, in der Liebe wenig erlebnisfähig

Abbildung 13: Skala 5 (ART-Research-Study-Group, 2016).

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IX Methodisches Vorgehen

In dieser Skala geht es um das Kontakterleben und Kontaktverhalten. Im psycho-


analytischen Sinne werden sehr frühe orale und anale Kategorien angesprochen.
Sie sind auch an die Terminologie Urvertrauen versus Urmisstrauen von Erik-
son und an Autonomie versus Scham und Zweifel angelegt. Die Skalendefinition
zielt auf die Grundlagen von Beziehungssicherheit bzw. in Richtung einer schizo-
iden, autistischen Kontaktstörung. Aus einem Gefühl, sich in der Welt zu fühlen,
entwickeln sich Offenheit, Kontaktfreudigkeit und positive Weltsicht. Bei einer
Rechtsverschiebung lässt sich eine paranoide Weltsicht vermuten, die von Rück-
zug gekennzeichnet ist. Misstrauen bestimmt die vorherrschende Stimmungslage
im Kontakt mit anderen Menschen (Erikson, 1998).
NeurotikerInnen der Psychosomatischen Universitätsklinik Gießen zeigen im
Mittel vermehrt retentive Züge (T-Wert = 58). Die Einschätzung ihres Selbst-
bildes bei Depressiven liegt in Hinblick auf die Durchlässigkeit bei T=59.524
und bei AlkoholikerInnen bei T = 55.000 (N = 21, Depressive; N = 21 Al-
koholikerInnen) (Wolf, 1976), die Selbsteinschätzung von Myasthenia-gravis-
pseudoparalytica-PatientInnen (N = 34, davon 25 weiblich, 9 männlich; Durch-
schnittsalter 36 Jahre) liegt bei T=49.18 (Paschotta, 1976), die Selbstbild-T-
Werte bei männlichen Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) liegen bei T = 44.67
und bei weiblichen Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) bei T = 53.33 (Klein-
schnitger & Meyer, 1977).

7.12 Interpretation der Skala 5

Gruppe 1 mit dem Wert 49, Gruppe 2 mit dem Wert 46 und Gruppe 3 mit
dem Wert 44 bewegen sich eher in einer gemeinsamen Gruppe und sind im
Gegensatz zu Gruppe 4 mit dem Wert 60, Gruppe 5 mit dem Wert 58, Grup-
pe 6 mit dem Wert 57, Gruppe 7 und Gruppe 8 jeweils mit dem Wert 62 links
ausgerichtet. Diese Gruppen sind in diesem Ergebnis viel aufgeschlossener und
kontaktfreudiger als die anderen Gruppen. Die Gruppen 4 bis 6 liegen den Refe-
renzwerten aus der Klinik nahe, die Gruppen 7 und 8 überschreiten die Werte
der NeurotikerInnen. Sie tendieren zu einer starken, abgeschlossenen, parano-
iden Gruppe, wie sie von Bion als Angst- und Fluchtgruppe beschrieben wird
(Bion, 2001). Die Jahrgänge 14/17, 15/18a, 15/18b und 16/19 tendieren eher
nach rechts (retentiv). Sie korrelieren mit den Gruppen der Psychosomatischen
Universitätsklinik Gießen und der Gruppe mit den depressiven PatientInnen.
Die Jahrgänge 11/14, 12/15 und 13/16 korrelieren mit den Myasthenia-gravis-
pseudoparalytica-PatientInnen und der Obdachlosengruppe. Sie beschreiben sich

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7 Auswertung

als Gruppe aufgeschlossen, anderen nahe und den anderen Vertrauen entgegen-
bringend. Aus gruppendynamischer Sicht lassen sich diese Gruppen als in der
Interdependenz-Phase befindlich betrachten. Solidarität und Harmonie stehen
im Vordergrund der Gruppenbeziehungen (Bennis, 2009; Majce-Egger, 1999;
Antons-Volmerg et al., 2001).

7.13 Skala 6: soziale Potenz

Skala 6 bezieht sich so wie Skala 5 auf die Beziehungen und den Schwerpunkt der
reiferen Entwicklung.

Tabelle 6: Skala soziale Potenz (Beckmann et al., 2012a, S. 32).

links rechts
rozial potent (PO) sozial impotent (IP)
gesellig, im heterosexuellen Kontakt unbefangen, sehr ungesellig, im heterosexuellen Kontakt befangen, we‐
hingabefähig, deutlich konkurrierend, fähig zu Dauer‐ nig hingabefähig, kaum konkurrierend, kaum fähig zu
bindung, fantasiereich Dauerbindungen, fantasiearm

Abbildung 14: Skala 6 (ART-Research-Study-Group, 2016).

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IX Methodisches Vorgehen

In Skala 5 liegt der Schwerpunkt auf der frühen Entwicklung, die sich durch orale
und anale Komponenten auszeichnet. Hier liegt nun der Fokus auf der weiteren
Entwicklung und der Beschreibung einer sozialen, potenten Person, was der Be-
schreibung von »gesund« sehr nahe kommt. Im psychoanalytischen Sinne ist es
eine starke, phallische Person, die den Ödipuskonflikt positiv bewältigt hat und
mit sich und der Umwelt sehr zufrieden ist. Auf der anderen Seite steht eine ge-
hemmte, neurotische Person, die sehr zögerlich durch das Leben geht, sich kaum
an jemanden bindet und Konfrontationen ausweicht.
Die Einschätzung ihrer sozialen Potenz bei Depressiven in der Dominanz
liegt bei T = 55.000 und bei AlkoholikerInnen bei T = 57.619 (N = 21, De-
pressive; N = 21 AlkoholikerInnen) (Wolf, 1976), die Selbsteinschätzung von
Myasthenia-gravis-pseudoparalytica-PatientInnen (N = 34, davon 25 weiblich,
9 männlich; Durchschnittsalter 36 Jahre) liegt bei 50.27 (Paschotta, 1976), die
Selbstbild-T-Werte bei männlichen Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) liegen
bei T = 44.56 und bei weiblichen Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) bei
T = 49.50 (Kleinschnitger & Meyer, 1977).

7.14 Interpretation der Skala 6

Auch hier bietet sich wieder ein ähnliches Bild wie in Skala 5 mit der Unterschei-
dung der Gruppen 1 bis 3 und der Gruppen 4 bis 8. Die Gruppen 1 bis 3 tendieren
mit den Werten nach links (Werte 45–46), während die Gruppen 4 bis 8 bei
den Werten 65 bis 66 liegen. Die Jahrgänge 14/17a, 14/17b, 15/18a, 15/18b
und 16/19 empfinden sich gegenüber allen hier herangezogenen Gruppen als
sehr sozial impotent. Hier lässt sich in Richtung Dependenz-Phase argumentie-
ren – eine große Abwehrhaltung gegenüber Angst und der damit verbundenen
Abhängigkeit. In diesen Gruppen herrscht eine große Fantasiearmut vor, was für
StudentInnengruppen ein Problem darstellt.

7.15 Beschreibungen der Ergebnisse der Skala E und Skala M

Skala E verweist auf die Extremankreuzungen. Die häufige Verwendung von


Extremankreuzungen weist auf agierendes Verhalten hin und auf wenig Selbst-
kontrolle bzw. auf impulshaftes Verhalten. Beckmann et al. führen noch ein
Ergebnis mit einer Neigung zu E-Werten an, bei depressiven PatientInnen wird E
bevorzugt (Beckmann et al., 2012a, S. 33f.).

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7 Auswertung

Abbildung 15: Skala E (ART-Research-Study-Group, 2016).

7.16 Interpretation der E-Werte

Die Gruppen 1, 4, 6, 7 und 8 bewegen sich in den Werten zwischen 50 und 60.
Gruppen 2 und 3 bewegen sich bei 66 und Gruppe 5 bei 43. Die Gruppen 2 und
3 weisen die höchsten Extremankreuzungen aus.
Die Selbstbild-E-Werte bei männlichen Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34)
liegen bei T = 50.56 und bei weiblichen Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) bei
T = 57.83 (Kleinschnitger & Meyer, 1977).
Die Skala M berücksichtigt die Mittelankreuzungen. Hohe M-Ankreuzun-
gen können auf eine emotionale Indifferenz gegenüber dem Fragebogen hin-
weisen. Dies kann durch nicht reflexives, zwanghaftes Verhalten hervorgerufen
werden oder aber auch von einer hypomanisch verleugnenden Haltung herrüh-
ren, wobei die PatientInnen für sich keinen Sinn bzw. Bedeutungslosigkeit im
Test sehen.
Die Selbstbild-M-Werte bei männlichen Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34)
liegen bei T = 42.78 und bei weiblichen Obdachlosen (N = 15, Alter 18–34) bei
T = 33.83 (Kleinschnitger & Meyer, 1977).

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IX Methodisches Vorgehen

Abbildung 16: Skala M (ART-Research-Study-Group, 2016).

7.17 Interpretation der M-Werte

Hier befinden sich die Gruppen 1, 3, 4, 6, 7 und 8 in einem Skalenbereich von


39 bis 47. Gruppe 2 zeigt einen Wert von 30 und Gruppe 5 einen Wert von 54.
Diese Werte korrelieren mit den verstreuten M-Werten der männlichen versus
weiblichen Obdachlosengruppen.

8 Zusammenfassung der Ergebnisse des Gießen-Tests


Selbstbild-Gruppe (GT-S)

8.1 Unterschiede zwischen den Ausbildungsgruppen

In den Standardskalen 1 bis 6 besteht in der Skala 1 (soziale Resonanz), in der


Skala 2 (Dominanz), in der Skala 5 (Durchlässigkeit) und in der Skala 6 (sozia-
le Potenz) doch ein signifikanter Unterschied zwischen den Jahrgängen 11/14,
12/15, 13/16 und den Jahrgängen 14/17a, 14/17b, 15/18a, 15/18b und 16/19.

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8 Zusammenfassung der Ergebnisse des Gießen-Tests Selbstbild-Gruppe (GT-S)

Die AutorInnen des Gießen-Tests geben bei der Evaluierung von Therapien
eine Rohwertverschiebung um ca. 5 bis 6 als bedeutsam an (Beckmann et al.,
2012a, S. 33). Bei Skala 1 (soziale Resonanz) liegt der Rohwert zwischen den
beiden oben erwähnten Gruppen mindestens 15 Werte auseinander. In Skala 2
(Dominanz) liegen die beiden Gruppen minimal acht Werte auseinander, in Ska-
la 5 (Durchlässigkeit) minimal sieben Werte und in Skala 6 (soziale Potenz) 20
Werte voneinander getrennt. Die Skalen 3 (Kontrolle) und 4 (Grundstimmung)
korrelieren wiederum nicht mit den oben genannten Gruppenbefunden.
Die Unterscheidung der beiden Gruppen liegt in der Verankerung in unter-
schiedlichen Schulgebäuden und der damit unterschiedlichen Gewichtung des
Lehrpersonals. Ein weiterer wichtiger Punkt ist von der Stimmung des Stamm-
ausbildungskrankenhauses getragen, in den letzten Jahren zeichnete sich immer
mehr eine Schließung des Krankenhauses ab, was einen großen Einfluss auf das
auf den Stationen arbeitende Personal hat.
Diese gewonnenen Daten legen die Bedeutung der Lehrpersonen und auch
die Bedeutung der Grundstimmung bzw. des Gemeinschaftsgefühls der Institu-
tion nahe. StudentInnen bzw. StudentInnengruppen sind intersubjektiv in den
Common Ground einer Schule und die darüber hinausführende Institution ein-
gebettet und tragen deren Stimmung bzw. Gemeinschaftsgefühl mit (Stephenson,
2014, 2017; Pap, 2017).
Der größte Abstand zwischen den beiden skizzierten Gruppen liegt in der
Skala 6 (soziale Potenz). Wenn wir diese Skala im Sinne von »Kompetenz«
auffassen und die darin beschriebenen Werte betrachten – etwa: ungesellig, im
Kontakt befangen, wenig hingabefähig, kaum konkurrierend, kaum fähig zu Dau-
erbindungen, fantasiearm –, so bleibt die Frage, welche schwierige Stimmung die
StudentInnen dieser einen Gruppe an ihrem spezifischen Ausbildungsort umgibt.

8.2 Unterschiede zu »PatientInnen-Gruppen«

Die PatientInnenwerte finden sich immer wieder in den unterschiedlichsten Jahr-


gängen wieder, einen kleinen Ausreißer bilden die depressiven Gruppendaten bei
Skala 4 (Grundstimmung). Hier scheint eine eindeutige diagnostische Relation
der Depression zu den Werten gegeben. Die Gruppe mit den depressiven Patien-
tInnen hat einen T-Wert von 67.7, und der höchste Jahrgangswert liegt bei 58.5.
Abschließend lässt sich noch festhalten, dass die Auswirkungen der Gemein-
schaft bzw. die Fähigkeit der LehrerInnen zur Intersubjektivität mehr Bedeutung
haben, als verschiedene Diagnosen diese Auswirkungen auf die Gruppen hätten.

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IX Methodisches Vorgehen

Der Einfluss auf das verstehende Erleben der Gruppe kommt vom Gegenüber,
das sich im Du der Lehrenden widerspiegelt, in den KollegInnen auf der Station;
aber auch die Gesamtbedeutung der Institution als lebender Organismus hat be-
stimmenden Einfluss.
Die Bedeutung der Ausgangssituation, welche Fähigkeiten die StudentInnen
mit in die Ausbildung bringen und welche Auswahlkriterien notwendig sind, um
für die Ausbildung eines Sozialberufs geeignet zu sein, tritt in den Hintergrund.
Nach zwei Semestern in der Ausbildung weisen die Befunde auf die große Bedeu-
tung des Umfeldes hin und sprechen gegen die Bedeutung der derzeitig gewählten
Aufnahmekriterien (Steinberger, 2019).

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X Auswertung
der Beobachtungsprotokolle

»In order to find the patient, we must look for


him within ourselves«
Bollas (1987, S. 2002)

1 Methode

Die dem Verfasser zur Verfügung stehenden Beobachtungsprotokolle von den


StudentInnen werden mithilfe der Objektiven Hermeneutik auf eine latente Sinn-
struktur hin untersucht. Diese Technik gehört zur Gruppe der interpretativen
Sozialforschung und ist in die Traditionen der qualitativen Forschung eingebettet.
Die qualitative Sozialforschung stellt eine Richtung der Sozialforschung dar,
die in den 1960er und 1980er Jahren aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen
entstanden ist (Steinberger, 2016). Der Soziologe Ulrich Oevermann entwickelte
mit seinen MitarbeiterInnen in den 1970er Jahren im Rahmen einer sozialisations-
theoretischen und familiensoziologischen Forschung die Methode der Objektiven
Hermeneutik. Der Forschungsansatz wurde von seinem Team konzeptuell weiter-
entwickelt und immer wieder modifiziert. Oevermann und seine MitarbeiterInnen
bezeichneten die Objektive Hermeneutik als »Kunstlehre«, womit sie andeuten,
dass sich die Interpretationstechnik nicht im Sinne eines kognitiven Wissens aneig-
nen lässt, sondern auf Erfahrung beruht. Die Textinterpretation ist eine methodisch
angeleitete, auf Kompetenzen beruhende Fertigkeit. Die Objektive Hermeneutik
wird zur Rekonstruktionslogik gerechnet und verfügt über grundlagentheoretische
Annahmen, forschungsleitende Prinzipien und dadurch methodisches Vorgehen
(Oevermann et al., 1979; Hug et al., 2010; Kleemann et al., 2013; Hofer, 2014).
Der Fokus dieser Technik liegt auf den latenten Sinnstrukturen, die der Inter-
pretation von implizitem Wissen sehr nahe kommen und sich einer willentlichen
Struktur entziehen. Primär bleiben diese Sinnstrukturen im Protokoll verborgen
und werden erst nachträglich konstruiert und analysiert. Der Erkenntnisgewinn
bei der Protokollauswertung liegt auf der im Kontext beschriebenen Szene, einge-
bettet in kulturelles, historisches Wissen, rekonstruierte, implizite Sinnstrukturen
und deren mögliche Generalisierung und Kategorisierung.

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

2 Haltung

Freud schreibt:

»[…] lange vor ihnen zu verweilen, und wollte sie auf meine Weise erfassen, d. h.
mir begreiflich zu machen, wodurch sie wirken. Wo ich das nicht kann, z. B. in der
Musik, bin ich fast genußunfähig. Eine rationalistische oder vielleicht analytische
Anlage sträubt sich in mir dagegen, daß ich ergriffen sein und dabei nicht wissen
solle, warum ich es bin, und was mich ergreift. […] Ich weiß, daß es sich um kein
bloß verständnismäßiges Erfassen handeln kann; es sollen die Affektlage, die psy-
chische Konstellation, welche beim Künstler die Triebkraft zur Schöpfung abgaben,
bei uns wieder hervorgerufen werden« (S. Freud, 1914b, S. 173).

Freud beschäftigt sich hier mit der Beobachtung und schreibt von einem sinnli-
chen Erfassen von Beobachtung, ohne das keine »Genußunfähigkeit« bestehe,
gekennzeichnet durch die Unmöglichkeit, das Gesehene zu erfassen und zu be-
greifen. Weiters schreibt er von der Emotion, die sich in ihm als Beobachter
breitmacht, und er möchte diese verstehen, um dem Gegenüber, dem Kunstwerk,
dem Erschaffen eine Identität geben zu können. Er muss in sich greifen, um auf
die Spur des Verstehens zu kommen, es bedarf der Fähigkeit, sich be-rühren zu
lassen, die in uns auftauchenden Gefühle zu fassen und sie dem Gegenüber zuzu-
schreiben. Ein verstandesmäßiges Erfassen beinhaltet für Freud kein Verstehen im
Sinne des emotionalen Gehalts einer Beobachtung und damit auch keine Mög-
lichkeit zu mentalisieren.
Er erkennt sehr genau, dass sich im Verstehen des Gegenübers ein dynami-
scher Prozess entwickelt, der darauf beruht, sich affektiv berühren zu lassen und
eine Haltung, die er als eine rationale, analytische Anlage betrachtet, dagegen
zu setzen, um nicht von den eigenen Gefühlen überschwemmt zu werden. Diese
Form der Haltung lässt die Affekte in Worte kleiden und ermöglicht es den Beob-
achtenden, eine Bedeutung über die konkretistische Szene hinaus zu generieren.
Freud als genauer Beobachter versucht hier, über das Heranziehen von Kör-
permetaphern die Empathie und deren Bedeutung zu beschreiben. Er entzieht
uns in seinen weiteren Gedanken wieder der Emotionalität des Geschehens und
führt uns zu der Allgemeingültigkeit seiner Triebtheorien zurück, um darauf hin-
zuweisen, dass wieder etwas in uns berührt werden muss, damit ein Gegenüber
als Geschöpf entstehen kann. Er deutet hier bereits an, dass wir nur das entstehen
lassen können, was sich in uns be-findet und durch Sprache bzw. Be-sprechung
zur Bewusstheit gelangen kann. Sprache verortet er in der rationalen analytischen

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2 Haltung

Anlage im Menschen, wobei er durch viele Theorien einen großen Sprachbeitrag


zum Verstehen bzw. zum Erfassen des Nichtsichtbaren geleistet hat.

»[…] ultimately a belief system that the analyst lives and works by (and there is no
assurance that the analyst has full conscious access to the system under which he or
she is really operating) – makes a very significant difference as to how one hears,
what one hears, how one assembles what is heard, and how one conducts oneself in
the analytic setting« (Ghent, 1989, S. 170).

In seinem wegweisenden Aufsatz »Credo« vertrat Ghent bereits die Ansicht,


dass unser Er-hören und unser Ver-halten von unserer inneren Haltung bestimmt
werden. Wir können nur das hören und sehen, was wir in uns finden und damit
auch halten bzw. be-halten können. Unsere Reaktionen auf unsere Umwelt, un-
sere Gedanken, die wir entwickeln, sind von unserer Haltung bestimmt.
Es gibt in uns einen Resonanzboden, den wir nach unseren Erfahrungen
organisiert haben und mit dem wir uns auf unsere Umwelt beziehen. »In any
individual, this schema is seen as the result of unfolding interactions between
the growing child and significant people in that child’s world. Features of, and
relationships with, these early figures come to be internalized in stable ways«
(McWilliams, 2018, S. 88). Unsere Erfahrungen bestimmen unser Sehen auf die
Gegenwart, genauer formuliert unsere affektiv in uns verankerten Beziehungs-
strukturen, unsere Zuschreibungen an die Bilder, die wir generieren, und somit
wiederum unseren Fokus auf die Reize, die auf uns einprasseln. Unser Begehren,
unsere Liebesfähigkeit sind an diese »Schemas« gebunden, und wir wählen aus
diesen Erfahrungen unsere PartnerInnen und reinszenieren vermeintliche Wie-
derholungen, die sich doch etwas anders entfalten (McWilliams, 2004).
Freud versuchte, die Haltung in die Formel »gleichmäßig schwebende Auf-
merksamkeit« zu bringen. Ogden und Bion sprachen von einer »Reverie« an
innerer Haltung, die man einnehmen solle, um die PatientInnen hören zu können.
Casement formuliert diese Haltung gegenüber den PatientInnen als emotionale
Einwirkung, durch die den PatientInnen ermöglicht werden soll, die Beteiligung
der AnalytikerInnen zu spüren (Casement, 1993, S. 1016).
Offenheit findet sich als Voraussetzung bei allen psychodynamischen Prak-
tikerInnen im analytischen Feld. Sie betrachten die aktive Hinwendung zur
Offenheit durch die Aktivität der Neugier getragen. Als zweite Voraussetzung für
Offenheit wird eine Haltung von Ehrfurcht gesehen: »It involves feeling very
small in the presence of the vast and unknowable« (McWilliams, 2018, S. 91).
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Anerkennung der uns umgebenden Kom-

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

plexität und Mehrdeutigkeiten von psychischen Phänomenen, das Halten von


ambivalenten Gefühlen und sich widersprechenden Bedürfnissen in uns und da-
mit die Anerkennung von intrapsychischen Konflikten.
Haltung setzt auch voraus, Subjektivität anzuerkennen und dieses Nichtwis-
sen auch aus-halten zu können. Und trotzdem ist diese Subjektivität unser einziges
Handwerkszeug, um uns mit dem Gesehenen identifizieren zu können.
Anhand von den folgenden Sequenzen von Protokollbeispielen aus dem ART-
Projekt wird mit verschiedenen beschriebenen Szenen auf die Frage eingegangen,
inwieweit durch unterschiedliche Haltungen eine andere Form der Wahrneh-
mung in den Protokollen sichtbar wird. Die Protokolle sind unter ähnlichen Zeit-
und Rahmenbedingungen angefertigt worden.

Protokoll a/17/PA
»[…] Als ich ins Zimmer reinkam, schlief er. Er lag alleine in einem Zwei-Bett-
Zimmer. Ich saß und beobachtete alles in seinem Zimmer. Die Heizung ist auf Stu-
fe 6 eingeschaltet, alle Fenster natürlich zu. Zimmertemperatur war für mich in
Ordnung, es war nicht so warm. Vielleicht lag es an den Fenstern, die schon alt
und nicht mehr dicht (Kastenfenster) waren. Auf seinem Nachtkästchen lagen viele
Sachen wie Gläser, Schnabelbecher, 2 Pago-Flaschen, Feuchtpapier, Nierentaschen
und ein Handy. Am Fensterbrett lagen mehrere Packungen zum Beispiel Packungen
von Stomabeuteln. Es gibt auch einen Kühlschrank im Zimmer.
Nach ca. einer halben Stunde hat der Patient seine Augen aufgemacht, kurz da-
nach wieder zu. Ca. zehn Minuten danach war er endlich munter und fragte, was
ich in seinem Zimmer machte. Ich antwortete, dass ich eine Aufgabe von der Schule
über Beobachtung bzw. Wahrnehmung bekam. ›Ach so‹, sagte er.
Weiters bat er mich, einen kleinen Müllsack zu holen, denn er möchte seinen
Stomabeutel ausleeren. Beim Ausleeren war er ganz vorsichtig, damit die Stoma-
platte nicht kaputtging. Dieser Prozess dauerte ca. sieben Minuten. Danach bat er
mich, die gebrauchten Materialien zu entsorgen.
Herr P. nahm dann die Pago-Flasche, schenkte in ein Glas ein und trank. Er bat
mich dann nochmals, ›Ressource‹-Getränk (Kaffeegeschmack) für ihn zu holen,
denn er trinkt es gerne. Ich ging dann raus, holte 2 ›Ressource‹-Packungen aus dem
Regal, gab ihm und beendete meine Aufgabe bei ihm.
Ich finde, dass Herr P. mit der Krankenhaussituation im Großen und Ganzen
gut zurechtkam.«

Die Studentin wirkt in dieser Beschreibung wenig berührt von dem, was sie sieht.
Ihre innere Haltung scheint von Angst bestimmt zu sein, alles – im Sinne des in

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2 Haltung

der Schule Gelernten – richtig zu machen. Der Patient bekommt wenig Identität
in Sinne einer psychischen Zuschreibung und bleibt fast nur in einer konkretisti-
schen Welt. Die Studentin wirkt durch die Beschreibung abwesend, funktioniert
nach gelernten Regeln, nach konkreten, gelernten Handlungsanweisungen, die sie
und ihre Umgebung mechanisch erscheinen lassen. Es eröffnet sich kein Innen-
leben, keine Möglichkeit, die Szene genauer zu erblicken, eine Differenziertheit
in die Beschreibung zu bringen, bleibt ihr verwehrt. Die Haltung der Studen-
tin könnte von der Absicht geleitet sein, im Leben zurechtzukommen und alle
ihr übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Die Beschreibung der Beobachtung ist
von einer Oberflächlichkeit getragen, die wenig Berührung zulässt, keine Neugier
nach Verstehen entwickelt. Die Studentin erscheint durch die von ihr verfasste
Beobachtung wie ein Kind, dem wenig Beachtung zuteil wurde, das wenig gese-
hen wurde und dadurch keinen Blick entwickeln konnte.
Es folgt ein weiterer Protokollauszug von einer anderen Studentin:

Protokoll d/18/PA
»Frau Z. hatte einige Tage zuvor Aufnahme. Sie wurde in Begleitung der Polizei
gebracht, da sie von ihrem derzeitigen Wohnsitz mehr oder weniger ›delogiert‹
werden musste. Frau Z. lebt seit über zehn Jahren im Wald unter einer Brücke, die
nunmehr einsturzgefährdet ist und ihr der Wohnraum daher keinerlei Sicherheit
mehr bieten kann. Die Patientin hat sich auf der Station sehr schnell eingefunden
und nimmt rasch Kontakt zu den anderen PatientenInnen auf. Auf die Frage an
meine Praxisanleiterin, wo ihre Tabletten sind, erfahre ich, dass sie keine Medikati-
on bekommt. Ich wundere mich darüber, dass ich sehr erstaunt bin, dass dies die
erste Person auf der Gerontopsychiatrie ist, die einen leeren Dispenser hat. Kurz
denke ich, wie auffallend die leere Schachtel unter all den anderen mit Psychophar-
maka vollgepackten Behältern hervorsticht, und ich frage mich, was an dieser Frau
wohl anders oder besonders ist. Vielleicht freue ich mich auch für sie, dass sie oh-
ne das Zeugs auskommt. Aber dann wiederum, warum sollte sie bei uns gelandet
sein? Sie könnte ja auch bei Freunden oder Familie unterkommen und nicht auf
der Psychiatrie? Beim Mittagessen stelle ich mich ordentlich vor und mache erste
Annäherungsversuche, um die Dame kennenzulernen. Sie wirkt freundlich, offen
und interessiert an einem Gespräch. In den folgenden Tagen unterhalten wir uns
häufiger. Frau Z. gibt an, dass sie gerne lieber im Wald sein möchte bei ihren Tieren,
die sie füttert. Sie wäre mit der Polizei gekommen, weil sie enge Kontakte zur ›Spit-
zenpolizei‹ und auch zur ›Mafia‹ hat. Sie bekäme viele Informationen, das sei aber
alles sehr geheim und vertraulich. Den Kontakt zu ihrer Familie habe sie vor eini-
gen Jahren ganz abgebrochen und will ihn auch nicht wieder aufnehmen. Frau Z.

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

meint, man könne ihr kein Blut abnehmen, denn in ihrem Körper wären Goldringe
und Schmuck, und sie hätte auch eine Villa in Wien und viel Geld, aber durch die
Zusammenarbeit mit der Spitzenpolizei kann sie jetzt noch nicht dorthin, da müs-
sen noch viele Dinge arrangiert werden vorher. Zu Beginn fällt es mir kurzfristig
schwer, das Gespräch normal weiterzuführen. Offensichtlich ist Frau Z. dann wieder
phasenweise sehr klar, sie wolle Filme drehen, moderne Adaptionen der ›Grimms
Märchen‹ mit einem gesellschaftspolitischen Bezug zu unserer Zeit. Sie habe an der
Universität Wien Philosophie studiert, aber habe vor der Diplomarbeit aufgehört.
Sie spricht auch direkt an, dass das alles etwas seltsam oder verrückt klingen muss
und dass die Leute über sie reden, sie wäre eine Art Waldfrau, die Trolle und Feen
füttert, dabei füttere sie ja nur Tiere, denn die anderen gibt es ja nicht. Ihr Körper
ist athletisch und schlank, sie gibt keine gröberen Schmerzen und Beschwerden an.
Auf die Frage, was mit ihrem Gesicht passiert sei, das bei den Augen voller Schnitt-
wunden und Narben ist, meint sie, sie steche sich regelmäßig die Haut durch und
mache ihre eigenen Behandlungen, wozu sie jedoch viel Sonne benötigt, deswegen
geht das hauptsächlich nur im Sommer, weil da am meisten und längsten Licht ist.«

Dieses Protokoll berührt einen vermutlich stärker, es beinhaltet eine Verwoben-


heit, die eine Reiseroute in das eigene Erleben anbietet. Die Studentin lässt sich
von den Bildern berühren und affiziert mit ihren Worten die LeserInnen. Sie lässt
die Bilder auf einen inneren Resonanzboden treffen, um die Patientin zu verste-
hen, sie formuliert die Gedanken aus den ihr wahrnehmbaren Erfahrungen und
konstruiert über sich ihr Gegenüber. Die Studentin vermittelt ein Halten von
Gefühlen, die sich in ihr abspielen, mit der Präferenz, der Patientin eine Positio-
nierung von Differenziertheit zu geben. Sie sucht in sich nach der Möglichkeit
des Mögens der Patientin. Die Studentin verknüpft die Szene mit einem Gedan-
ken von Einzigartigkeit, da die Patientin von anderen Personen stark abgelehnt
wird. Sie entschlüpft der gemeinsam konstruierten Einsamkeit durch die indivi-
duelle Liebe, die an der Vorstellung von Zweisamkeit konstruiert wird. Wir sind
das Liebespaar, das von der Umwelt abgelehnt wird. Einsamkeit beruht auf der
Fähigkeit, eine psychische Innenwelt widergespiegelt bekommen zu haben. Im
ersten Protokoll gibt es auch keine Einsamkeit, da dafür ein Resonanzraum mit
einer Form von Sprache notwendig ist.
Der zweite Text äußert explizit eine Vorstellung von »Annäherungsversuch«,
um Neugier zu entwickeln. Ein Spiel von Anerkennung und Ablehnung beginnt
sich zu entwickeln. Wer könnte nun wem imponieren? Der Wunsch, vom anderen
etwas zu bekommen, löst ein Gefühl von Manipulation aus. Was muss ich inves-
tieren, um etwas zu bekommen? Wenn wir lieben, weitet sich unsere Möglichkeit

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2 Haltung

zum Geliebtwerden aus. Begegnung beruht auf der Möglichkeit der eigenen Re-
sonanzbildung sowie der Möglichkeit, den Rhythmus zu bestimmen, der zu einer
Synchronisation des Spannungsfeldes der Berührtheit führt, der wir im überge-
ordneten Sinne unsere Liebesfähigkeit zuschreiben.
StudentInnen äußern immer wieder den Wunsch nach einer expliziten Be-
obachtungsanleitung, und sie sind auf der Suche nach der Absicht der ihnen
zugetragenen Aufgabe. Sie bekommen eine Aufgabe überantwortet, derer sie sich
ständig im wachen Zustand bedienen, sie nehmen die Reize ihrer Umwelt wahr
und verarbeiten sie, und das Bewusstwerden dieser Eindrücke wird als Beobach-
tung definiert, die wiederum gedeutet wird. Den StudentInnen steht frei, was
und wann sie beobachten. Diese Freiheit erscheint vielen als zu vage, um sich
der Beobachtung stellen zu können, sie absolvieren eine Tätigkeit, um diese im
Nachhinein zu Protokoll zu bringen. Die »Freiheit« zu entscheiden, was ich ver-
schriftliche oder welche Szene ich auswähle, scheint doch einige StudentInnen in
große Konflikte zu bringen. Der Referenzpunkt erschließt sich nicht durch An-
weisungen oder durch das Vorhandensein von technischer Anleitung. Es herrscht
immer die Frage vor, ob es ein falsches und ein richtiges Beobachten gibt.

»Lost among this plenitude, however, is the sense that, while each type of inter-
vention is justifiable, they derive from distinct and in some instances incompatible
theories of therapeutic action. These stances can direct clinicians to different qual-
ities of the patient or the interaction, and can require divergent clinical intents«
(Tublin, 2018, S. 67).

Betrachten wir nun diese Fülle nicht in der Beobachtung – ich muss permanent
entscheiden, was ich beobachte bzw. was mir über meine Berührtheit gelingt,
in mir entstehen zu lassen, und was damit zu formulieren möglich ist. Dieser
Prozess entfaltet sich beim Zurückdenken an diese Szene wieder; beim Nieder-
schreiben der Szene und beim erneuten Durchlesen entfalten sich andere Bilder
in mir. Alle Beobachtungen unterliegen dem hermeneutischen Zirkel nach Ga-
damer (Orange, 2004; Sassenfeld, 2015).
Tublin schreibt von der Verlorenheit in der Fülle von Gedanken, die sich
in uns generieren und die wir oft als inkompatibel zu dem empfinden, was wir
gelernt haben. Unsere Haltungen führen zu unterschiedlichen Qualitäten an In-
teraktionen und bergen damit differente klinische Absichten, was wiederum die
Frage nach der »richtigen« Qualität der Beobachtung aufwirft und der damit
verbundenen klinischen Haltung.
Damit verbunden ist die Angst vor der Beobachtung und die Beeinflussung

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

meiner Beobachtung bzw. Gedanken durch das Gefühl von Angst. Angst kann
die Beobachtung dadurch lenken, dass ich mich nicht aus der konkretistischen
Welt wage und nur das »Sichtbare« beschreibe. Damit lässt sich eine beobach-
tete Szene nicht mit Leben füllen bzw. lassen sich keine Intentionen, Gefühle,
Absichten und anderwärtige psychische Bedeutungen zuschreiben.

Auszug: Protokoll b/14/PA


»Frau K. hatte im Februar eine Subarachnoidalblutung und ist seit April bei uns
auf der Station […]
Pflegevisite bei Frau K.: Sie sitzt im Rollstuhl, an einem Tisch am Gang, ihre
beste Freundin ist zu Besuch. Wir fragen sie, ob wir uns zu ihr setzen können, um
ein paar Dinge zu besprechen. Welche Fortschritte es bis jetzt gab, wie sie sich selber
einschätzt und wie es nach ihrer Entlassung weitergehen wird? Die Stationsleitung
sitzt rechts neben ihr, sie wird die ganze Zeit über die Fragen stellen, der Patientin
gegenüber setzt sich ein Pfleger, ich und noch eine Schülerin stehen links neben
ihm. Sie bekommt Fragen zu Zeit, Ort und Person gestellt. Die Fragen scheinen
sie zu überfordern, sie schaut die Stationsleitung an, dann zur Freundin, dann zu
uns oder starrt in den Raum. Sie sucht nach Antworten, nur fragende [mit] erwar-
tungshaltende Gesichter schauen [auf die Patientin] zurück. So geht es fast mit allen
Fragen.«

Dieser Teil des Protokolls ist in der sichtbaren Welt angesiedelt; welches Vorha-
ben in der Befragung liegt, geht nicht daraus hervor. Die Szene wird dekonstruiert
und in eine konkretistische Weltsicht eingebettet. Welche innere Haltung steht
dahinter?
Haltungen werden von Konzepten und Theorien gebildet, von der Vorstel-
lung, die wir über das Menschsein in uns tragen. Sehen und dem Gesehenen
Bedeutung zuschreiben zu können, hängt mit dem eigenen Gesehen-worden-
Sein zusammen. Wenn mir Gefühle, Intentionen, Wünsche usw. zugeschrieben
wurden, so kann ich sie auch als Metaphern zu Bildern in mir generieren. Das
nicht offensichtlich Sichtbare lässt sich über Metaphern in Sprache kleiden.
Es wird in unserem klinischen Verständnis dann zu einer professionellen Hal-
tung, wenn »it is structured around a coherent theory of […] action that defines
the […] clinical intent – e. g. […] the articulation of unformulated experience«
(Tublin, 2018, S. 70). Ich kann nur etwas formulieren, was bereits als Erkenntnis
in mir vorliegt und bereits artikuliert wurde. Sich auf eine Beobachtung »einlas-
sen«, bedeutet die Fähigkeit, den gesehenen bzw. erdachten Bildern über mich
eine Bedeutung zuschreiben zu können. Weiter heißt es im Protokoll:

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2 Haltung

»Oder sie lacht, als würden wir sie nicht ernst nehmen, ihr solche Fragen zu stellen.
›Es sei doch selbstverständlich‹, und doch weiß sie keine Antwort drauf. Es scheint
ihr unangenehm zu sein. Wie beim Verhör. Mir wäre zum Weinen zumute. Alle
wissen die Antwort und dann die Gesichter, wenn es nicht die erwartete Antwort
ist, die sie hören wollen. Beschämend aber auch beängstigend. Warum fällt es nicht
ein? Ein schwarzes Loch? Oder wie fühlt es sich an? Sie tut mir leid, sie in so eine
unangenehme Situation zu bringen. Warum bringen wir sie in eine so beschämende
Situation? Sie ist so alt wie meine Mutter, als sie ihren Unfall hatte. Viele Fragen
tauchen auf ! Was ist schlimmer, wenn der Kopf nicht mehr steuerbar für einen sel-
ber ist, oder man ab dem Hals gelähmt ist? Immer wieder in peinliche Situationen
zu kommen, weil man Zahlen, Daten und Fakten vergessen hat. Die Kontrolle über
sein Gehirn zu verlieren.«

Die Studentin lässt sich von ihren Bildern, die sie den Mut hat, in sich aufsteigen
zu lassen, leiten. Sie erlebt die Situation als beschämend, die Patientin mit Fragen
zu bombardieren, diese regelrecht zu verhören, um ihr die »Selbstverständlich-
keit« des Nichtwissens zu zeigen. Sie fühlt sich nun sehr intensiv in die Patientin
ein, ausgehend von einer Vorstellung von Beschämung, um dann in ihren Gedan-
ken zur Situation der eigenen Mutter zu kommen. Sie wägt den Gedanken von
Nichtwissen bzw. Nichtkontrolle der Gehirnfunktionen ab, um eine Differenz
zwischen der Patientin und ihrer Mutter zu erzeugen.
Das Protokoll wird von unterschiedlichen Pendelbewegungen bestimmt, von
der gefühlsarmen Beschreibung zu emotional belastenden Gedanken und Erin-
nerungen an die Situation der eigenen Mutter. Sie führt dann die Patientin wieder
ein, indem sie die Frage der Lähmung ab dem Hals bzw. eines nicht steuerbaren
Kopfs aufwirft. Die Differenz zwischen der Situation der Patientin und der der
eigenen Mutter wird als Abwägung gedacht. Die Reise zum Verstehen einer Situa-
tion erfolgt über das Zulassen der eigenen Vorstellungen von erlebten Situationen
und der damit verbundenen Emotionen. Die Idee einer neutralen Beobachtung
ist ein naturwissenschaftliches Phänomen, das sich bei genauerer Betrachtung nur
als Denkkonstrukt erweist. Die Vorstellung von Neutralität ermöglicht es uns,
die Idee eines Referenzpunktes zu bilden. Ohne ein Gegenüber, also einen Refe-
renzpunkt, lässt sich keine Welt generieren bzw. würde es mich als Vorstellung
eines eigenen Selbst nicht geben.
Schlussendlich lässt sich festhalten, dass Beobachtung Haltung generiert und
Haltung Beobachtung formt. Dieses dichotome Phänomen ist Grundvorausset-
zung, um eine Vorstellung von uns und den anderen zu erzeugen. Die meisten
Metaphern, die wir verwenden, um unsere Welt zu beschreiben, kommen aus der

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

körperlichen Sprache, wobei eben Bewegung unsere Vorstellung über die Welt er-
zeugt. Vor dem Denken steht Bewegung, und Bewegung generiert Differenz, die
wiederum von unserem Gegenüber mit Worten symbolisiert wird und uns damit
eine Vor-Stellung ermöglicht. Wenn wir etwas stellen und uns jemand sagt, wir
stellen etwas, so symbolisiert diese Stellungsbewegung in uns eine Bedeutung und
ist auch mit einem Gefühl, das wir in dem Moment des Tuns erleben, gekoppelt.
Ein weiterer Protokollauszugzum Thema Haltung, Konkretismus und Angst:

Protokoll f/16/PA
»Später an jenem Tag kam dann der erste angekündigte Insult zu uns. Bereits im
Vorfeld konnte ich meine Vorstellung umsetzen und meine Rolle im jetzigen Ab-
lauf verbalisieren und mir quasi sichern. So wurde es mir zuteil zu beobachten und
eventuell fehlende Utensilien zu besorgen. Perfekt! Nah genug dran, um was mit-
zukriegen und zu erleben bei wenig Verbockungspotenzial und nicht sonderlich
großen Erwartungen an mich und meine Person.«

Der Student vermittelt seine Haltung, bevor die Patientin auf die Station gebracht
wurde, aus der Reflexion seines Rückblicks. Er schreibt sich eine Rolle zu, die
er sich sichert, die ihm Sicherheit vermittelt und seine Angst reduziert, etwas zu
»verbocken«. Die Vorstellung eines Tieres (Bock) dient zur Verbalisierung der
Furcht, beschämt zu werden dadurch, nicht richtig gehandelt zu haben. Die Idee
der Metapher Erwartung lässt die Vorstellung des Haltens von Spannung durch
Warten erkennen. Spannung, die sich Bewegung verschaffen möchte, sollte durch
Nicht-Bewegen in Warten ausgehalten und nicht als Affekt abgeführt werden.
Die Vorstellung von Be-sorgen erlebt der Student als perfekt, Bewegung wird als
Ausdruck von sich sorgen erlebt, somit als sinnstiftend verortet und als von Be-
deutung für das eigene Ich erlebt. Dieser Ausdruck generiert eine Vorstellung eines
möglicherweise positiven Gefühlsaspekts, der sich als Sinn zum Ausdruck bringt.
Was sieht jetzt unser Student mit dieser inneren Haltung?

»Als dann die Dame eintraf, sah ich sie mir auf der Trage der Rettung genau an
und spürte ein wenig Traurigkeit. Sie war eben noch mit ihrem Sohn im Kaffeehaus
gesessen und hatte sich unterhalten, als sie plötzlich nichts mehr sagen konnte und
es einsetzte. Ein schreckliches Gefühl muss das für den Sohn gewesen sein.«

Sein Sehen ist ein Blick zu ein wenig Traurigkeit, dem Bild eines Kaffeehauses, in
dem sie mit ihrem Sohn am Tisch sitzt und keine Sprache mehr hat, als es einsetz-
te. Was macht diese Sprachlosigkeit mit einer Frau und was für ein schreckliches

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2 Haltung

Gefühl … für den Sohn erzeugt sie gleichzeitig? Die erlebte Szene erzeugt eine
Sprachlosigkeit, die sich in den Zeilen manifestiert als die Vorstellung von einem
»Es«, das plötzlich einsetzt. Die Zeilen halten sich am möglichen Schreckhaften
für den Sohn der Patientin fest.
Die Gegenbewegung aus der Sprachlosigkeit führt zu den Bildern der äuße-
ren Aktion:

»Unmittelbar wurde die Dame auf die Stroke Unit gebracht, wo ihr ein Nachthemd
angezogen sowie benötigte Zugänge für eine eventuell bevorstehende Lyse gelegt
und sie für CT vorbereitet wurde. […] Man vermutet eine TEA, nachdem das CT
unauffällig gewesen war. Die Eindrücke erwiesen sich jedoch als recht spannend
und lehrreich für mich, und ich hatte eine gute Position zum ausreichend Lernen
und Beobachten.«

Die Position wird durch ich sehr gut beschrieben, es geht um so viel Sprachlosig-
keit in dieser Szene, die sich in dem Nichtfinden bzw. keine Worte zur Verfügung
zu haben kristallisiert. Das Ich wird über die Generierung von Sinn wieder in der
Szene der gestellten Beobachtungsaufgabe verortet und dieses mit dem erlebten
Ein-Druck als verformt beschrieben. Beobachtung verformt das Ich und kann es
angreifen, wenn die Gefühle nicht gehalten werden können, und das Sehen hängt
von der Generierung der eigenen Bilder ab und der damit verbundenen Be-Fähi-
gung, Sprache als Metapher zu benutzen.
Sehen ist ein komplexes Zusammenspiel von Metapher, Sprache, Erleben und
Halten-Können. Sehen drückt auf uns ein und erzeugt Haltung. Haltung ist wie-
derum der innere Referenzpunkt, um eine Bewegung zu erzeugen, die uns in der
Welt verankert und Eindrücke schafft (Lakoff & Johnson, 2014; Buchholz, 2003).
Wer spricht, muss auch akzeptieren, dass er handelt und Handeln mit er-
heblichen Lücken in der Selbstwahrnehmung verbunden ist (Greenberg, 1996;
Searle, 1974; Tublin, 2018). Sprache beginnt mit den Bildern der Resonanz, die
in einer gemeinsamen Realität konstruiert werden. Die Offenlegung bzw. »to
(play their) cards face up«, wie Renik es bereits 1999 für PsychoanalytikerInnen
postuliert hatte, »try to articulate and communicate everything that […] will
help the patient understand where the analyst thinks he or she is coming from
and plans to go« (Renik, 1995, S. 485). Die Offenheit beginnt mit der Fähig-
keit, die Eigengedanken in die Vorstellung über die erlebten Bilder zu entfalten.
Die BetrachterInnen sollten mit offenen Karten spielen und damit beginnen,
Authentizität auszustrahlen. Die persönliche Beteiligtheit beginnt nicht mit an-
deren Personen, sondern bereits mit dem Erkennen der Beteiligtheit, um das nicht

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

Sichtbare sichtbar zu machen bzw. Bedeutung und Sinn zu generieren. Vielfalt


und Kreativität entwickeln sich aus der Fähigkeit der persönlichen Beteiligtheit
über das Erkennen bzw. Zulassen von inneren Bildern, die durch den zur Verfü-
gung gestellten Resonanzboden in Formulierbares gekleidet werden. Was ich in
mir erkenne bzw. nicht erkenne, bekommt eine Realitätsbedeutung in der Begeg-
nung mit mir und mit anderen.
Wenn wir einen weiteren Gedanken von Stephen A. Mitchell, einem der Be-
gründer der relationalen Psychoanalyse, aufgreifen, können wir überlegen: Was
soll ich ausdrücken, welchen Gedanken soll ich aufgreifen und versuchen zu for-
mulieren? Mitchell beantwortet diese Frage: »Es kommt darauf an« (Mitchell,
1997). »It depends on what has transpired between these two people before and
on the meaning to this dyad of particular course of action. It depends on the […]
sense of whether an action might provide something new or repeat something
old« (Tublin, 2018, S. 81). Durch die Bilder, die sich in mir durch die Reize von
außen bilden, kann sich etwas aus meiner Geschichte verorten oder als etwas Neu-
es betrachtet werden. Es braucht beide Phänomene, um zu sehen, dass es nun bei
mir liegt zu entscheiden, welchen Sinn bzw. Erkenntnisweg ich beschreiten möch-
te. Die Konstruktion von alt und neu ist nur eine Konstruktion, da es nie möglich
ist, durch denselben Fluss zu gehen, aber es braucht das Alte als Vorstellung vom
Fluss. Die Bilder, die unser Sehen ermöglicht, werden erst in zweiter Sicht mit
Bedeutung gefüllt, aber Sehen erfolgt durch die Haltung, der wir Bedeutung bei-
messen: »it is not what the analyst does – but to an elegantly nuanced habit of
mind. […] self-reflective emotional involvment« (Tublin, 2018; Mitchell, 1997,
S. x; dt. 2005). Die Geisteshaltung und die emotionale Beteiligung ermöglichen
uns das Sehen von Inszenierungen, die sich mit uns und durch uns formen und
entfalten. »History provides not the procedures for managing that interaction,
but the constructs the analyst employs to understand it« (Tublin, 2018, S. 77).
Ein weiterer Relationalist, der sich mit diesem Phänomen der Dichotomisie-
rung auseinandergesetzt hat, war Donnel Stern. Er bezeichnete das Mitgebrachte
als das Kulturelle und das Gegenüber als das Unmittelbare (cultural and imme-
diate). Mit beiden Positionen erstellen wir Zusammenhänge und suchen damit
Sinnpositionen. Haltung beschreibt er als das philosophische Bekenntnis zur
Freiheit bei der Sinnsuche abseits jeglicher technischer Strukturierung und Re-
geln (D. B. Stern,1999, 2003, 2010, 2014, 2015a, 2015b, 2019).
Die Ko-Konstruktion, die Konzeptualisierung und das Anerkennen des Drit-
ten erfolgen durch die Bedeutung des Erlebten und werden als hermeneutischer
Zirkel konstruiert, der als Voraussetzung bereits erfolgt ist und sich nun in kaska-
discher Form entfaltet und Realität und Bedeutung entstehen lässt.

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3 Dasein und Hören als Haltung

3 Dasein und Hören als Haltung

Haltung steuert mein Zuhören und stellt die Grundlage für Begegnung dar. Hö-
ren beruht nicht nur auf dem Wahrnehmen von akustischen Signalen und deren
Verarbeitung. Hören ist ein Prozess, der Signale im affektiven Sinne verarbeitet.
Um diese Form des Hörens verstehbar zu machen, prägte Freud die Metapher der
»gleichschwebenden Aufmerksamkeit«. Reik nannte es »das Hören mit dem
dritten Ohr«, Ogden bezeichnete es als »Träumerei«, und Singer formulierte
es als das Hören mit den inneren Organen. Barsness fasste die Fähigkeit des Zu-
hörens als »conversation that is at hand« und versteht darunter ein Konzept,
das Affekte, Dissonanzen, Ungeschicklichkeit mit einbezieht und damit über
den Inhalt der Wörter hinausgeht. Diese Form des Zuhörens wird in der von
ihm durchgeführten Studie zu den relationalen Kernkompetenzen für Psycho-
therapeutInnen so beschrieben: »I look deep within myself to find my patient«;
»I ask myself, what is my body saying?«; »I wonder what is going on with
us«; »What are they repeating here with me?« Als aktive Komponente formu-
liert Barsness auch die Fähigkeit, das zu hören, was die PatientInnen durch ihre
Lebensgeschichte und die damit verbundenen Abwehrstrategien nicht mehr hö-
ren möchten, aber doch auf unterschiedlichsten Kanälen zum Ausdruck kommt
(Barsness, 2018, S. 104). Freud formulierte diese Phänomene als dem Menschen
nicht zugänglich und nannte es Unbewusstes, das aber immer da ist:

»Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, überzeugt sich, daß die Sterblichen
kein Geheimnis verbergen können. Wessen Lippen schweigen, der schwätzt mit den
Fingerspitzen; aus allen Poren dringt ihm der Verrat. Und darum ist die Aufgabe,
das verborgene Seelische bewußt zu machen, sehr wohl lösbar« (S. Freud, 1905e,
S. 240).

Das Unbewusste liegt nicht in der Tiefe, vielleicht auch nicht in Freuds großem
Wunsch, ein Archäologe zu sein, sondern spiegelt sich im Zu-hören als aktives
Momentum der Zurverfügungsstellung eines Resonanzbodens oder des eigenen
Unbewussten, um die gemeinsame Bedeutung der Begegnung zu konstruieren.
Zu-hören ist das Hören der eigenen Resonanzen und der damit begleiteten Af-
fekte, Gefühle, Reize, und diese in Sprache zu verwandeln, um wiederum eine
gemeinsame Welt zu konstruieren.

»Therefore, the relational analyst seeks to be highly attuned and self-reflective, pay-
ing a great deal of attention to what is happening within their own mind and their

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

own affective state, recognizing that what is being stirred within them is in part
a transmission of the patient’s internal and external world, yet unknown or unspo-
ken« (Barsness, 2018, S. 104).

Dasein, Zuhören und Haltung sind die Voraussetzungen, uns an der Welt zu be-
teiligen. Aus ontologischer Sicht ist es die Grundlage, um unser Sein im Seienden
zu erfassen. Für Heidegger ist es in seinen Zollikoner Seminaren eine Vorübung
des »Sehens«, »Abhebung gegen« als Notwendigkeit, eine Differenz zu erzeu-
gen, ohne die wir nicht sehen können (Heidegger, 2018, S. 166). Für Heidegger
bedarf es der Ab-hebung, um etwas zu trennen und damit sichtbar zu machen
und sie als zwei Dinge erstehen zu lassen oder ein »Gegen« zu erzeugen, um
die Differenz damit zu begründen. Die Differenz des von Barsness erwähnten
unknown und unspoken kann erst durch das Abheben in eine bzw. durch eine Me-
tapher aufgehoben werden. Und auch diese Zeilen spiegeln die Grundlage unserer
Körperlichkeit wider, indem wir Sprache über Zustände des Körpers generieren.
Heben beinhaltet gleichzeitig eine körperliche Vorstellung einer Bewegung, die
zur Differenz führt.
Pizer fasst diese Haltung, die wir in die Begegnung mitbringen, zusammen:
»As analysts or therapists, we possess a capacity for generous involvement simp-
ly by virtue of our being human, with our existence embedded in a relational
context« – mit der Bedeutung, Großzügigkeit gewähren zu können, durch das
Eingebettetsein in Beziehungen (Pizer, 2018, S. 105).
Unser Dasein kann von unterschiedlicher Bedeutung sein bzw. unterschied-
liche Bedeutung haben. Wenn wir aber gute Beziehungserfahrungen durchlebt
haben, können wir großzügig und gewährend sein, uns damit einen anderen Sinn
zuschreiben, deshalb auch eine andere Haltung ausstrahlen und dadurch anders
zuhören. Hier sind wir nun auf der Spur der körperlichen Metaphern vom dritten
Ohr, vom träumenden Zuhören und von der Fähigkeit zu halten (containen). Pi-
zer sieht diese »generosity« als therapeutisches Instrument und betrachtet es als
fürsorgliche Verbundenheit mit den PatientInnen mit der Bedeutung, dass wir
uns fragen sollten, warum uns diese Haltung manchmal verloren geht, und wel-
che Bedeutung wir damit erfassen können. Der Verlust bzw. das Ab-heben davon
ermöglicht uns, über die Differenz wiederum Sinn zu erzeugen, indem wir der
körperlichen Metapher von »etwas verlieren« eine Bedeutung beimessen kön-
nen.
Die Anerkennung des anderen ist einer der großen Züge des Lebens, und die-
se bedürfen keiner Worte, sondern mein Dasein erzeugt Anerkennung und gibt
dem anderen und mir als getrennte Wesen Bedeutung des Da-Seins. Bleibe ich

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3 Dasein und Hören als Haltung

technisch abstinent, so anerkenne ich die Getrenntheit und damit die Einsam-
keit des anderen. Bin ich da in der Verbundenheit des Haltens, dann erkenne ich
den anderen in seinem affektiven Erleben als gesamte Person an. Fasse ich Unge-
sprochenes in Worte, erweitere ich das Bewusste der Begegnung und ermögliche
meinem Gegenüber eine Erweiterung seines Selbst. Die Bedeutung des »Ich bin
bei dir, ich sehe dich« ist eine Haltung, die in der Begegnung eine Sinnlichkeit
im tieferen Sinn erzeugt und durch Sprachformulierung benannt werden kann.
Sinn generieren wir auf der körperlichen Ebene mit der Fähigkeit der Symbolisie-
rung, wie sie uns durch Sprache zur Verfügung steht. Dasein und Halten führen
zu einer Anerkennung des Gegenübers und damit zu einem sinnlichen, sinnstif-
tenden Ereignis. Pizer führt zu diesem Phänomen aus:

»Generosity is an ›innate property,‹ ›elemental‹ and ›instinctual,‹ yet I al-


so assume that, as with the expression of most genetic potentials, generosity is
contextually shaped – certainly by past developmental influence, and likely by con-
ditions of the immediate moment« (Pizer, 2018, S. 109).

Die Fähigkeit großzügig zu sein im Sinne von dem anderen Bedeutung vermitteln
zu können liegt in unserem angeborenen Bindungsverhalten, wie es von Bowl-
by und später von Answorth ausführlich beschrieben wurde. Anerkennung und
Nichtanerkennung sind in derselben Erfahrungswelt verankert. Sehen ist nicht
gleichzusetzen mit Anerkennung:

Protokoll a/17/PA
»[Die] Patientin, die ich heute beobachte, ist 66 Jahre alt und mit Unterbrechungen
seit 8 Jahren in Behandlung bezüglich Suchtproblematik und schweren Depressio-
nen mit psychotischen Inhalten. Die oben genannte Dame kam [am] Vormittag
auf die Station mit Polizei und Rettung, weil sie es zu Hause nicht mehr ausgehal-
ten hat, Streit mit langjährigem Partner bezüglich finanzieller Probleme wie auch
Beziehungsprobleme gab sie als Grund für ihre Impulsdurchbrüche an, infolgedes-
sen Alkoholeskapaden. Patientin ist verbal kaum erreichbar, schreit, schimpft, und
spuckt und droht, sich umzubringen. Diensthabender Arzt beschließt, die Dame
unterzubringen, weil sie selbst- und fremdgefährdet eingestuft wird. Die Frau P.
droht mit ihrem Anwalt, während sie fixiert wird, möchte noch ihren Gatten spre-
chen, fühlt sich von niemanden verstanden, schreit sehr laut mit den Worten ›Ich
bringe euch alle um, wenn ihr mich nicht in Ruhe lässt‹. […] Was für ein Vormittag,
so was habe ich auf der Station noch nie erlebt. Mir schießt durch den Kopf, wie
anstrengend die Arbeit sein muss für alle Beteiligten […]«

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

In dieser beschriebenen Szene gibt es viel zu sehen, sie wird von viel Körperlich-
keit beherrscht. Die Angst aller Beteiligten steht im Vordergrund.

Protokoll e/16/PA
»Herr L. ist seit einigen Tagen stationär im Pavillon aufgenommen. Er ist ein hage-
rer, grauhaariger, grauhäutiger Mann. Seine Augen liegen tief in den Höhlen, und
sie werfen tiefviolette Schatten. Alles in allem erinnert er mich an ›Momos graue
Männer‹ nur ohne Nikotin und Hast. Meistens hält er seine Arme verschränkt und
lehnt sich im Stuhl zurück. Anfangs hält er sich mit den anderen PatientInnen-Kon-
takten sehr zurück. Er wirkt einzelgängerisch und distanziert. Mit der Zeit findet
er Zugang und öffnet sich ein wenig. Vielleicht öffnet er sich auch nicht, sondern
weicht einige Meter von seinen inneren Abgründen zurück und dringt irgendwie
dadurch an die Außenwelt, damit wir ihn hören und mit ihm kommunizieren kön-
nen. Ich bin nun zumindest so lange auf der Psychiatrie, um zu erkennen, dass der
Herr von Depressionen geplagt ist. Irgendwie wirkt er auf mich wie ein schwarzes
Loch, alles wird reingezogen, wenn man den Ereignishorizont überschreitet, gibt
es kein Entkommen mehr. Wie schon öfter bemerkt, fällt es mir deutlich schwe-
rer, mit den schwarzen Löchern und Depressiven umzugehen, als mit Personen
in manischen Phasen. Ich denke dann immer, es liegt an meiner eigenen latenten,
depressiven Ader, der ewigen Furcht, selbst mal in so einen scheinbar nicht mehr
enden wollenden Zustand zu geraten. Herr L. erzählt mir, er wäre als Kind oft hier
gewesen mit seinen Freunden, und es hätte viele Wohnungen in S. gegeben. Außer-
dem wäre da eine Eisenbahn herumgefahren, und wie schön es da war. Herr L. hat
eine Tochter, die ihn manchmal besucht aber selbst beruflich sehr eingespannt ist
und eine Lebensgefährtin, die anscheinend momentan nur Kontakt per SMS und
Email hält. Nach einigen Tagen wird auch der abgebrochen, und ich merke, wie die
Augenhöhlen immer noch tiefer werden und das dunkle Grau sich in allen Schat-
tierungen über diesen Menschen zieht.«

In beiden Protokollen wird hingesehen, das erste weckt durch die körperlich
beschriebenen Szenen in den LeserInnen eine Berührtheit, die eine andere Bedeu-
tung hat als das Lesen des zweiten Protokolls. Das Halten der eigenen Angst steht
im Vordergrund der ersten Beobachtung und die Auslagerung auf die KollegIn-
nen. Es ist keine Form der Anerkennung für die Patientin als psychisches Wesen,
aber auch keine Anerkennung für den Beobachter in dieser Szene. Diese beiden
Protokolle vermitteln ein unterschiedliches Hinsehen auf Szenen und damit eine
andere Form der Möglichkeit des Haltens von Beteiligten, die Form, wohlwollend
zu sein. Sich und andere nicht anzuerkennen, führt in die Form der technischen

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3 Dasein und Hören als Haltung

Beobachtung bzw. Behandlung. Handlung kann Anerkennung vermitteln, wie


ein Beispiel von Emmanuel Ghent zeigt, in dem er in einer Sitzung seiner Patien-
tin eine Decke reicht und die dadurch anerkennen konnte, dass ihr kalt ist und
sie zittert (Ghent et al., 2018). Ein Nichtanerkennen eines Ausdrucks führt zur
Aufforderung der Aberkennung eines Gefühls bzw. dessen Ausdruck oder einer
körperlichen Abfuhr, wie wir es im ersten Protokoll in der Gewalterfahrung be-
schrieben bekommen haben. Die Patientin erfährt ihre Anerkennung durch den
starken körperlichen Ausdruck, der in einer gemeinsamen Gewaltinszenierung
gestaltet wird. Anerkennung kann in der Symbolkraft der Sprache erfolgen, die
in metaphorischem Sinne an die körperliche Erfahrung angelehnt ist oder direkt
durch Körperlichkeit in Sinn gewandelt wird. Hier scheint auch ein kulturbeding-
ter Einfluss vorzuherrschen, indem zum Beispiel bei Mädchen eine Sprachebene
bevorzugt wird und bei Jungen die körperliche Anerkennung erfolgt, indem sie
aufgefordert werden, einer Aktivität von meist sportlicher Natur nachzugehen.
Kulturelle und geschichtliche Vergleiche bewahrheiten die biologistisch begrün-
dete Unterschiedlichkeit in der Geschlechtlichkeit nicht. Jugendliche Mädchen
zum Beispiel verwenden immer stärker körperliche Ausdrucksformen für ihre Af-
fekte, die sich in den forensischen Statistiken widerzuspiegeln beginnen. Freud
entwickelt seine Ideen über den Menschen aus der zu seiner Zeit gängigen Kultur-
vorstellung von Körperlichkeit und der Verbundenheit der Unterschiedlichkeit
von Körpern, die sich in männlich und weiblich einteilen. Er entwickelt daran
viele seiner psychischen Konzeptionen, die er von der sichtbaren Unterschiedlich-
keit von Körpern entkoppelt. Nicht die Genetik scheint der Bedeutung unseres
Seins letzter Schluss zu sein, sondern die Körperlichkeit ist die Grundlage unseres
Denkens, durch die wir unsere Vorstellungen über uns und die Welt entfalten.
Harry Stack Sullivan entwickelte bereits 1953 eine interpersonale Theorie, in
der er explizit auf die Bedeutung der Reaktion durch andere zur Heranbildung
unseres Selbst hinwies. Unser Selbst konstituiert sich durch die Anerkennung un-
serer Bedürftigkeit und der damit verbundenen Bedürfnisse durch andere. Wir
erkennen uns über unsere eigenen Bedürfnisse, die durch angemessene Pflege-
maßnahmen zur Linderung unserer Not eingesetzt werden. Das Bedürfnis nach
Zärtlichkeit und die damit verbundene Spannung sind für Sullivan tief im Men-
schen verwurzelt und der Vorstellung von Bowlbys Attachment bereits sehr nahe
(Sullivan, 1983). Die Differenz und die damit einhergehende Getrenntheit zur
Sichtbarmachung von Phänomenen ist für ihn durch sein Konzept der »tension
of tenderness« gegeben. Diese Spannung zwischen dem Bedürfnis nach und dem
Geben von Zärtlichkeit verbindet Mutter und Säugling und ist die Grundlage ge-
genseitiger Anerkennung. Pizer vergleicht dies mit seinem Konzept, nach dem er

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

eine instinktive Bewegung in Richtung Zärtlichkeit annimmt, die auf einen Geist
von Großzügigkeit trifft, der damit die Anerkennung indiziert (Pizer, 2018). Der
Säuglingsforscher Trevarthen formulierte diese angeborene Suche nach dem vor-
handenen Wunsch, in einer Gemeinschaft »relational« eingebettet zu sein oder
ein »we-ness« (Wir-Sein) zu erlangen (Trevarthen, 2009).
Dieser Wunsch nach Gemeinschaft, nach Anerkennung ist für die genann-
ten AutorInnen ein Streben nach dem Beginn unserer Entstehung und somit
die Grundmotivation der Bestrebung nach unserem Entstehen. Die Entwicklung
des Selbst, uns als sinnstiftende Wesen zu generieren, erfolgt durch die Motiva-
tion einer Kreisbewegung. Unser Streben nach Anerkennung liegt im Wunsch,
die Differenz aufzuheben, die wiederum nur durch Differenz bzw. Abhebung im
Heidegger’schen Sinne zustande kommt. Haltung ist somit auch die Fähigkeit,
sich dem eigenen Ich und anderen zuwenden zu können. Unterscheidung ist ein
Prozess, der erst später stattfindet und somit ist auch die Unterscheidung zwi-
schen Trieb und Objekt erst später möglich und nicht als biologisches Phänomen
primär vorhanden. Das Problem liegt darin, dass Denken auf Differenz beruht
und auch erst später als Gedachtes ansetzen kann, da unsere Mittel des Erfassens
begrenzt sind.

4 Empathie als Zusammenspiel


von Haltung und Ausstrahlung

Die Haltung, die uns zum Halten einer Szene bringt und uns damit veranlasst,
etwas auszustrahlen, das von anderen als Wärme und Entgegenkommen erfahren
wird, mündet in der Vorstellung von Empathie. Coltart nähert sich in einem Es-
say dieser Fragestellung an:

»The people whose manners we genuinely admire and enjoy are those who, without
it being obvious, skillfully enhance our sense of significance and worth. All contact,
whether conversational or silent, is accompanied by an atmosphere of warmth and
generosity; this promotes trust and openness« (Coltart, 1992, S. 137; Hervorh.
i. O. unterstrichen).

Ausstrahlung entsteht nicht nur durch Konversation, sondern auch in der Stille
und löst im Gegenüber ein Gefühl von Bedeutung und Wert aus. Oder wir be-
kommen über uns oder die Szene eine Sinnzuschreibung, in der wir Bedeutung
und Wert erleben. Wenn wir für uns Bedeutung im Erleben erfassen, können wir

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4 Empathie als Zusammenspiel von Haltung und Ausstrahlung

wiederum vertrauen und in unserer Haltung offen sein. Die Vorstellung von Em-
pathie wird gemeinsam erschaffen und setzt eine Haltung voraus, von dem, was
ich schaffen will, wobei bereits der Prozess des Entstehens in mir verläuft. Es ist
nicht das Produkt in mir, das als Haltung Empathie entstehen lässt, sondern der
Prozess sollte sich als Haltung in mir für den anderen widerspiegeln, um sich in
einem Fluss von Permanenz im Sinne des hermeneutischen Zirkels zu manifestie-
ren.
Haltung, die sich als Empathie im Sinne von Offenheit und Vertrauen zeigt,
ist die Bereitschaft sich berühren zu lassen und strahlt damit auch eine Präsenz
des Daseins aus.

»By clinical generosity, I do not mean lax attention to the frame or sloopy guide-
lines of practice, but rather, a serious, and at times, even unsettling re-evaluation
and openness to amending any and all aspects of analytic practice in light of the
patient’s forward edge strivings« (Corpt, 2011, S. 5).

Die Bewegung der PatientInnen ist für Corpt von Bedeutung. Wo sollten die Pa-
tientInnen sich hinbewegen, wenn nur wir hier sind? Sie können sich nur in uns
bewegen, und wir sind die PatientInnen, und das Beunruhigende ist dieses Neue
und die Bewertung für beide im Prozess Beteiligten. Haltung wird oft mit der
Fähigkeit, ein Containment für die PatientInnen anzubieten, gleichgesetzt. »By
containment, I mean a welcoming of the patient’s multiplicity of states and feel-
ings held in an abiding negotiated relationship« (Pizer, 2018, S. 98).
Pizer sieht im Containig einen instabilen Prozess, der ständig als Angebot an
die PatientInnen ausgehandelt werden muss. Die aktive Aushandlung ist der Pro-
zess des Containments in dem Sinne, dass den PatientInnen ein Angebot einer
lebendigen Beziehung gemacht wird. Dies kann sich in der Kommunikation und
in der Stille ereignen, der dynamische Prozess, in dem alles eingebettet fluktuiert,
ist das Containment der Verwandlung, der Umwandlungsprozess der von Bion
beschriebenen Elemente von Beta und Alpha. Akzeptanz ist als Haltung für Pi-
zer ein bewusstes Dasein für die Gefühle der PatientInnen und für die eigenen
Gefühle, die von den PatientInnen hervorgerufen werden. Die Psychotherapeu-
tInnen halten in sich ein Ringen mit den Gefühlen der PatientInnen aufrecht,
um deren Wut, Hilflosigkeit, Angst und Furcht mit Respekt zu behandeln. Sie
zeigen damit auch ihre Bereitschaft, Schmerz, Verwirrung, Selbstzweifel usw. in
einen Prozess der gemeinsamen Verhandlung und damit Verstrickung zu stellen.
Diese Bereitschaft, die als Haltung in den Begegnungsprozess eingebracht wird,
stellt die Voraussetzung dafür dar, in einen schmerzhaften Prozess der Durchar-

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

beitung zu gehen, da sie den PatientInnen vermitteln kann, sich und ihnen nichts
zu ersparen. Die PsychotherapeutInnen signalisieren die Fähigkeit, sich an dem
gemeinsamen Prozess zu beteiligen, der vor ihnen liegt. In dieser Form der Hal-
tung bringen die TherapeutInnen zum Ausdruck, dass sie sich mit ihren Gefühlen
in die Begegnung einbringen, von diesen nicht überflutet werden, damit sie den
PatientInnen ihre Anerkennung geben können und damit sie die PatientInnen als
eigenständige Personen akzeptieren in der Anerkennung der Getrenntheit. Pizer
fasst dies mit den Worten containment, acceptance and recognation zusammen.
Diese Haltung sollte dann zum impliziten Ausdruck: »I am with you« führen
(Pizer, 2018, S. 111).
Was ist nun eine Gegenbewegung, um zur Differenz zu kommen, und wo
gibt es kein Zurückkommen zum Begegnungsort und ein Verlieren dieser Hal-
tung bzw. der PatientInnen? Die Bewegung zur Schaffung einer Szene ist, sich
dem Fühlen zu stellen. Mitgefühl zeigen ist ein aktiver Akt, der einer Bewegung
zum Fühlen gleichkommt. Es beinhaltet die komplexe Form der Zeugenschaft,
im Gegensatz dazu ZuschauerIn zu sein. Der ungarische Schriftsteller und Nobel-
preisträger Imre Kertész stellt die Zeugenschaft in den Mittelpunkt seiner Werke.
»Und er weicht nicht zurück, Zeugnis will Kertész ablegen, der Wahrheit,
die sich immer wieder entzieht, nahekommen, auch wenn er weiß, dass er sie nie
ergreifen wird« (Bielefeld, 2016). Zeugnis ablegen, im Sinne des Nobelpreisträ-
gers und Auschwitz-Überlebenden Imre Kertész, verkörpert in all seiner Tragik
ein Dasein für eine Zeugenschaft, um zu ergreifen, was ins Namenlose zu sinken
droht. Seine Texte sind voller Zeugenschaft und nicht dem Zusehen geschuldet.
Die Zeugenschaft begründet sich durch ein inneres Ringen mit dem Gestalten,
Verschmelzen der äußeren Realitäten, die sich als Wahrheiten konstruieren, de-
nen man aber nur nahekommen kann, und die somit nur Bewegung sein können.
Zeugenschaft im Sinne eines Mitgefühls ist a moving toward the feeling, wie
Pizer es zusammenfasst. Eine Bewegung, um Zeugenschaft abzulegen, bedarf der
Entstehung eines Ereignisses, dessen Zeuge ich sein kann. Wenn ich im Bemühen
meiner Zeugenschaft nur mich sehen kann, so drückt das nur das Bedürfnis und
Defizitäre meiner Suche nach Zeugenschaft aus, mein nicht bezeugtes Leben. Es
ist eine Pendelbewegung in mir, den Zeugen für den anderen zu finden. Überwäl-
tigt mich meine nicht vorhandene Zeugenschaft in mir, so bleibt mir der andere
verborgen, und der Zeuge wird ein aktiver Inszenierer seines Schmerzes. Freud
formulierte es für Ferenczi als furor sanandi, eine Suche der Zeugenschaft, die aus
den eigenen Irrwegen der Seele nicht mehr herausführt. In diesem Zusammen-
hang lässt sich auch der Wiederholungszwang gut als Suche nach Zeugenschaft
meines Lebensdramas und Traumas verstehen. Mitgefühl ist nicht nur eine Be-

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5 Sensibilität – Resonanz – Komplementarität

wegung nach vorne, sondern eine Bewegung nach innen, um nach vorne eine
Zeugenschaft und Mitgefühl zu präsentieren (Pizer, 2018, S. 111; Ferenczi et al.,
2013).
Anerkennung, so wie sie von Jessica Benjamin formuliert wird, beinhaltet
auch die Fähigkeit, den anderen zu benutzen. Nachdem Mitfühlen eine Zeugen-
schaft von aktiver Bewegung ist, brauchen wir als Referenzpunkt die Fähigkeit,
den anderen zu bezeugen. Ich brauche dich, um mich anerkennen zu können – al-
so deine Zeugenschaft. Die Pendelbewegung macht aus ZuseherInnen ZeugInnen
mit der Anerkennung der Zeugenschaft des Gegenübers. Die technische Neutra-
lität, die nur ein gedankliches Konstrukt darstellt, wäre ein Versuch, sich von der
Zeugenschaft zur Zuseherrolle zu bewegen. Da aber jede Bewegung Differenz er-
zeugt, ist es immer auch eine Zeugenschaft – auch im Sinne einer Zeugenschaft,
die verleugnet (Benjamin, 2016a, 2018). Für Poland ist sich und den anderen zu
schätzen ein einheitlicher Prozess und die Differenz nur eine Frage der Blickwin-
kel: »The capacity to appreciate the self and the capacity to appreciate the other
do not simply go hand in hand: they are the same unitary phenomenon of growth
seen from different angles« (Poland, 2016, S. 29f.).
Wachstum ist Bewegung, und den Blick darauf zu richten, zerteilt dieses Phä-
nomen und meint nur dasselbe, das wir als Selbst und den anderen betrachten.
Wir werden am Ich zum Du, und das Du erleben wir nur am Ich. Poland schreibt
weiter dazu: »In the analyst’s regard (witnessing the face of the Other); looking
and caring and separateness (interpretation) are one« (Poland, 2016, S. 32). Es
ist ein Prozess, in dem Schauen, Bezeugen, Fürsorge und Getrenntheit sich ent-
falten. Die Formulierung im Sinne der Interpretation führt zur Getrenntheit im
Sinne einer Symbolisierung durch Sprache, und der Prozess kann damit erdacht
werden. Interpretation ist nach Aron: »The principal process by which analysts
position and reposition themselves interpersonally in relation to their patients«
(Aron, 1992, S. 504). Interpretation bedeutet, sich auf etwas zu beziehen, und
dieser Bezug führt zu einer Neupositionierung, die wiederum neue Gedanken
generiert und damit die Position verändert und dynamisch hält.

5 Sensibilität – Resonanz – Komplementarität

Nach Stuart Pizer lässt sich Sensibilität als »deep listening« beschreiben und
als »a capacity for generous involvement simply by virtue of our being human,
with our existence embedded in a relational context« (Pizer, 2018, S. 105) – ein
großer philosophischer Gedanke, der in einer Vorstellung von innerer Großzü-

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

gigkeit begründet ist. Vielleicht bedeutet diese Großzügigkeit, sich und anderen
mit einer freischwebenden Haltung zu begegnen, indem ich in moralischer Sicht
versuche, mir meiner Be-wertungen bewusst zu sein. Mein kultureller Hinter-
grund, mein Sehen beeinflussen mein Verstehen der Welt und konstruieren meine
persönliche Sichtweise. Sensibilität ist eingebettet in dem Bewusstsein, dass ich
Phänomene konstruiere und sie damit erschaffe und somit tief subjektiv agiere.
Diese Erkenntnis leitet mich auf einen Weg von »generosity«, wie es Pizer zu
vermitteln versucht. Geht uns diese großzügige Beteiligung am Geschehen verlo-
ren, so wird die Beobachtung zu einem technischen Geschehen und es fehlt eine
fürsorgliche Verbundenheit mit mir und damit mit der Szene, die sich vor mir
entfaltet. Sensibilität drückt sich auch durch die Fähigkeit aus, mir und damit
der Beobachtung Bedeutung zu geben. Erst durch eine Bedeutungszuschreibung
meines Daseins wird es ermöglicht, Zeugenschaft für die Szene zu übernehmen.
Wenn ich mir keinen Sinn des Daseins geben kann, bleibe ich verborgen, obwohl
ich beobachtet werde. Sensibilität ist das »face of the nonnegotiable: contain-
ment, acceptance and recognition« (ebd., S. 107).
Sensibilität ist die angeborene Verankerung der Suche nach Bindung. Wir
sind in dieser Welt, um Gemeinschaft zu bilden und darin eingebettet zu sein. Wir
sind auf der Suche nach Verbundenheit (Trevarthan, 2009). Eine weitere Bedeu-
tung liegt im Aushalten von Spannung der Ungewissheit, damit ein Offenhalten
der Entwicklung eines Bildes und somit eine Form an möglicher Zurückhaltung
von Interpretation. Alle Bilder, die ich aufnehme, unterliegen einer ständigen
Verhandlung, sie in Beziehung zu setzen oder die Spannung von Ungewissheit zu
halten. Sensibilität ist ein inneres Ringen mit den Gefühlen, die berührt werden,
diese in sich halten zu können, damit sich und dem Gesehenen eine Zeugenschaft
geben zu können, somit die aus Reizen und Gefühlen wie Angst, Ärger, Freude
usw. gestaltete Realität anzuerkennen. Diese Anerkennung einer subjektiven Rea-
lität wird durch eine Haltung von Großzügigkeit zu den erlebten Gefühlen in
eine Weite des Erlebens verwandelt.
Beobachten und mitfühlend zu sein, ist ein »feeling with; generous involve-
ment entails a moving toward the feelings, being a witness who is not a bystander«
(Pizer, 2018, S. 111). Wer bei einer Szene nur BeobachterIn ist, kann nicht die
Bedeutung der konkretistischen Welt verlassen und betritt keinen psychischen
Raum, in dem sich Resonanzen und Rhythmen entfalten.
Der Philosoph Emmanuel Lévinas schreibt dem anderen, den wir sehen, eine
Verantwortung in seiner Darstellung zu, und so, wie sich der andere präsentiert
und die Differenz zu meiner Vorstellung über ihn, nennt er das Gesicht des ande-
ren. Dieses Gesicht kann auch jederzeit wieder zerstört werden und bringt das

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5 Sensibilität – Resonanz – Komplementarität

Seiende zum Ausdruck (Lévinas, 1993). Den anderen zu sehen ist ein rhythmi-
sches Wahrnehmen der Darstellung des anderen, meiner Resonanz und des daraus
entstehende Neuen. Im Sinne von Lévinas ist der andere nun entstanden als ein
Individuum mit Identität. Donna Oranges Resonanz auf Lévinas’ anderen: »Me
voici – me here« (Orange, 2011, S. 47) – ein inneres Dasein, um dem anderen
ein Gesicht zu geben bzw. ihm in mir Anerkennung zu geben.
Dem anderen ein Gesicht zu geben, ihn in sich tragen zu können, ist an einen
Prozess des Wachstums gebunden, der in der Bezeugung des Antlitzes des ande-
ren mündet. Und nun nochmals die Worte von Poland: »looking and caring and
seperation are one« (Poland, 2016, S. 32). Resonanz zeigt sich an der Deutung
bzw. am Erdenken des Gesehenen und ist somit der zweite Prozess des Sehens.
Durch das Erdenken des Gesehenen muss ich mich interpersonell im Sinne der
affektiven Szenen in mir immer wieder positionieren und gehe damit in einen
relationalen Prozess, der »Neues« entstehen lässt (Aron, 1992, 2018).
Sensibilität und Resonanz bedeuten, sich dem Gesehenen hingeben zu kön-
nen, sich affektiv verstricken zu lassen, Konflikte ertragen zu können und tief in
der Szene involviert zu sein.
Komplementarität ist eine Form von Resonanz und bezieht sich darauf, wie
wir auf Bilder reagieren. Das, was wir sehen, macht uns zu »prisoners of the co-
ercive projective power of each other’s vision«, und »each becomes hopelessly
defined by the other« (Davies, 2008, S. 15). Was wir sehen, beeinflusst uns, und
wir werden von diesen Bildern definiert bzw. geformt. Dieses Phänomen stellt die
Grundlage für die Intersubjektivität dar und vollzieht sich in einem rhythmischen
Zyklus gegenseitiger Beeinflussung, die sich als Komplementarität definieren lässt
(Benjamin, 2018; Sander, 2009). Die Komplementarität entfaltet sich zwischen
den Bildern, die ich sehe, und meiner Resonanz, gebildet durch all meine affek-
tiven Erfahrungen und meine Reaktion darauf, die sich als »das gemeinsame
Dritte« in einer intersubjektiven Definition darstellt. Identifikation beruht auf
dem Mechanismus der Rhythmizität, die durch die affektive Berührtheit meiner
Erfahrungen in Schwingung gebracht wird. Je stärker die affektiven Erfahrungen
zum Ausdruck kommen, desto mehr fühlt man sich gefangen, hoffnungslos aus-
geliefert und erlebt sich in einer Schleife von Wiederholungen. Je eher sich eine
Erkenntnis im Sinne des Neuen, das jeder Szene innewohnt, bildet, desto eher
lassen sich diese Gefühle in Veränderung und Erkenntnis kleiden. Ein gemeinsa-
mes Anerkennen dieser gestalteten Komplementarität ermöglicht es, eine neue
Positionierung und neue affektive Erfahrungen zu machen. Benjamin fasste die-
se Positionierung in die Anerkennung eines »moral third«. Diese Anerkennung
entlässt einen aus einer dualistischen Sichtweise, in der es nur »Only one can

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

live« geben kann (Benjamin, 2018, S. 215). Die Komplementarität wird gesucht,
um in der nächsten Bewegung zerstört zu werden. Es handelt sich um kein star-
res System, sondern um eine rhythmische Bewegung, in der man sich gefangen
fühlt. Benjamin zieht hierfür die Metapher einer Kinderwippe heran (Benjamin,
1999). Diese Komplementarität lässt sich durch gemeinsame Anerkennung auf-
lösen und damit die Möglichkeit zur Gestaltung einer Gegenseitigkeit entstehen.
Diese Anerkennung ist eine Zeugenschaft bzw. das Aufarbeiten eines Trau-
mas, das als chaotische, gewalttätige Urszene in uns waltet. »One aspect of
experiencing unconscious resonances of the primal scene is the intense conflict
concerning with whom to identify, and we often manage such conflict by rigid-
ly identifying with one actor and disidentifying with the other«, und weiters
schreibt Aron: »this oscillating function is the basis from which a person can
participate« (Aron, 2018, S. 125f.).
Diese Oszillation bzw. Rhythmizität beinhaltet auch die Fähigkeit, Positio-
nen zu wechseln, auf eine Metaebene zu gehen, Übersicht zu erlangen sowie alle
anderen in Körperlichkeit verankerten Metaphern in einer Dreiecksposition zum
Ausdruck zu bringen. Diese Bewegung ist das Öffnen eines Raumes, der oft als
Dreieck beschrieben wird, und löst damit die Dualität einer Wippe auf. Wenn
unsere Gedanken sich auf einer Wippe hin und her bewegen, fühlen wir uns ge-
fangen, erleben uns unseren Ängsten oder Aggressionen ausgeliefert. Lösen wir
diese begrenzenden Strukturen auf, so erschaffen wir einen dreickigen Raum, in
dem sich ein neue Form des Denkens und Fühlens entfalten kann: »Thinking and
feeling within the newly created triangular space allowed […] to shift from the
limiting structure of a polarizing flat line to a space with possibility and depth«
(ebd., S. 129).
Die Komplementarität lässt sich als ein Phänomen der Berührtheit und der
Reaktion auf einen inneren Resonanzboden betrachten, bildet die Voraussetzung
für die Triangulierung bzw. die Thirdness und ist immer ein prozesshaftes Ge-
schehen.
Resonanz lässt sich als ein Muster von Synchronizität und Asynchronizität
betrachten, als eine Bewegung, die sich als Welle in uns verbirgt. Erst Verschie-
bung erzeugt ein Sichtbarmachen durch die Energie, die sich entfaltet (Görnitz &
Görnitz, 2016). Dieses Phänomen wird in unterschiedlichen Konzeptionen wie
nonverbale, subsymbolische Körperfunktionen, Körpergedächtnis, prozedurales
Gedächtnis, physiologisches Gewahrwerden des Gefühls und implizites Ge-
dächtnis dargestellt. Diese Systeme werden von Wilma Bucci in der Theorie
der multiplen Codierung in drei Ebenen unterteilt: a) subsymbolisches System,
b) nonverbales symbolisches System und c) verbales symbolisches System. Dabei

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5 Sensibilität – Resonanz – Komplementarität

entspricht das subsymbolische System dem oben genannten Phänomen und ko-
ordiniert die motorischen Aktivitäten. Auch dieses System ist befähigt, sich dem
Denken zu widmen, ist aber kein bewusstes Denken im Sinne eines gedachten
Gedankens, sondern organisiert uns im Sinne einer Resonanzentfaltung, was sich
als Enactment äußert (Solano, 2010; Bucci, 2011). Resonanz bedeutet die Bereit-
stellung eines Emotionsschemas, in dessen Kern sich das subsymbolische System
organisiert:

»Emotion schemas are types of memory structures that constitute the organization
of the self in the interpersonal world. They are formed on the basis of repeated in-
teractions with caretakers and others from the beginning of life. The subsymbolic
sensory, somatic, and motoric representations and processes constitute the affective
core of the emotion schema – the source of the varieties of arousal and pleasure and
pain that constitute emotional experience. In each event of life, the processes of the
affective core will be activated in relation to the people, places, and activities that
figure in that event; thus we build memories of people and events that give us plea-
sure or pain, that activate happiness, or dread, or a wish to attack. Autobiographical
memory is built out of such events; this is the basis for the organization of the self
in the interpersonal world« (Bucci, 2011, S. 49).

Wir verknüpfen unsere inneren Muster mit der rhythmischen Bewegung der Dif-
ferenz und gestalten durch diese Bewegung etwas Neues, das wir wiederum in uns
als affektive Erfahrung verankern. Diese Bewegungen lassen sich auch als »cre-
scendos, decrescendos, pauses, accents, rhythmic patterning of both matching and
mismatching« ausdrücken (Knoblauch, 2018, S. 144). Die Sprache des Körper-
lichen entfaltet sich in einem Rhythmus außerhalb des Gedachten und lässt sich
in der Metapher von Musik und dem Improvisieren einer Jazzband darstellen.
Resonanz findet vorrangig auf der subsymbolischen Ebene statt und ist erst die
Reflexion, das ins Wort Gebrachte, ein sekundärer Prozess des Denkens. Die von
Wilma Bucci beschriebenen Emotionsschemata bilden die Grundlage für unsere
menschlichen Interaktionserfahrungen und entfalten sich als Muster, die unter-
schiedlich dynamisch sein können:

»The emotion schemas develop in an interpersonal context; the baby who laughs
and smiles and has feelings of joy can see and hear the other person also smiling
and laughing and making the corresponding sounds; the expressions of the other
becomes incorporated in the schema of joy. If the child who cries hears sympathetic
sounds and sees a particular facial expression, along with feeling a soothing touch,

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

the child’s schemas of pain or fear will develop to incorporate responses of turning
to others and expectations that others can help. If the caretaker typically responds
to the child’s cries with annoyance or withdrawal, schemas of negative expectations
and associated responses will develop« (Bucci, 2011, S. 49).

Diese Muster oder Schemata werden durch jedes Bild in uns abgerufen und er-
möglichen uns erst eine Ordnung des Gesehenen bzw. der uns umgebenden Welt.
Durch die Intensität des Ausdrucks sprechen wir von einem Enactment, können
dies dann als Gedanken formulieren und als Erinnerung verstehen. »Patterns
emerged as both a product of our capacity for thinking and representing – the
symbolic – and in our forms of relating – the sub-symbolic« (Knoblauch, 2018,
S. 151). Erinnerung ist eingebettet in die Aufmerksamkeit auf den subsymboli-
schen Fluss der Rhythmizität oder Vitalität. Ohne kategoriale Aufmerksamkeit
zu geben, entfaltet sich ein Raum von Bedeutung und Erkenntnis, der sich auf
eine emotionale Registrierung bezieht (D. B. Stern, 1999, 2016). Dieses Gewahr-
werden bezeichnen wir als Gefühle, die wir erleben und nun einer kategorialen
Bedeutung zuführen. Gefühle verknüpfen wir mit dem Erlebten, gehen damit
über eine interpersonelle Wahrnehmung hinaus und kreieren eine intersubjektive
Wahrnehmung. »This kind of attention can help link what is going on between
(the intersubjective) to what is going on within (the subjective)« (Knoblauch,
2018, S. 151). Hemmungen bzw. andere Ausdrucksformen, die wir als Patho-
logie bezeichnen, spiegeln sich in der Unmöglichkeit einer Verknüpfung dieser
Wahrnehmungen wider. Die subsymbolischen Ausdrucksversuche finden keine
Verknüpfung zu den anderen symbolischen Systemen (Bucci, 1997, 2011). Viele
relationale PsychoanalytikerInnen setzen hier mit dem Konzept der Dissoziation
an, bei der es zu einem Ausblenden einer Gefühlsregistrierung kommt. Verän-
derungen in der Rhytmizität des Nicht-Gewahrwerdens erschließen uns einen
Referenzpunkt für diese wiederholten Muster aus unserer Vergangenheit und er-
möglichen uns ein Erkennen, verknüpft mit einer neuen Gefühlserfahrung, die
für uns als Katalysator wirkt.

Auswertung von Protokollen in Bezug auf Resonanz, Komplementarität und


Sensibilität

»Beim Empfang der Tages›kunden‹, so werden die BesucherInnen des Tageszen-


trums genannt, ging es wie immer sehr hektisch zu, sodass ich den großen Mann
mit vollem, langem Haar, der sehr eingesunken an seinem Rollator zur Tür in den
Speisesaal hereinkam, gar nicht so richtig wahrnahm.«

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5 Sensibilität – Resonanz – Komplementarität

Die Studentin vermittelt in ihrer Beobachtung den Prozess des Nichtsehens, das
Verschwinden hinter dem Wort »Tages›kunden‹«, und sie beschäftigt sich mit
»richtig wahrnehmen«. Die Komplementarität zu diesem Gedanken ist nicht
die falsche Wahrnehmung, sondern ein Nichtwahrnehmen.

»Erst am frühen Nachmittag setzte ich mich an seinen Tisch dazu, er war gerade in
ein Gespräch mit einer Betreuerin versunken. Dies im wahrsten Sinne des Wortes.
Dieser Mann musste wohl an die 1,90 m groß sein, wenn er aufrecht sitzen oder
stehen würde, doch das scheint ihm nicht mehr möglich zu sein. Sein Becken wirkt,
als wäre es zu seiner linken Seite hin verschoben, und damit ist auch sein ganzer
Oberkörper im Sitzen nach rechts geneigt.«

Die Resonanz der Studentin spiegelt das Nichtsichtbare wider, »versunken« zu


sein, was sie am Körper festmacht. Das Nichtsichtbare wird am Widerspruch for-
muliert, »wohl an die 1,90m groß sein.« Hier entfaltet sich der Referenzpunkt
und die Unmöglichkeit, sich aufzurichten, wird als Gedanke formuliert.
Die Sensibilität entfaltet sich am Schmerz des Körpers.

»Was mir noch auffiel, war sein Gangbild, es war egal, ob mit oder ohne Rollator,
er ging mit sehr stark gebogenen Knien, so, als würde sein Oberkörper alleine 150
kg wiegen. Ich dachte mir, wenn er aus seinem Stuhl aufsteht, dann würde er sicher
die Beine durchstrecken, Fehlannahme, fast in der gleichen Haltung wie im Sitzen,
ergriff er seinen Rollator und ging damit weg.«

Das Sehen rückt ins Zentrum der Beobachtung. »Wenn er spricht, dann sieht er
die Betreuerin direkt an, sobald er seine Sätze beendet hat, wendet er den Blick
von ihr ab, und dieser versinkt in einer gewissen Leere.« Die Leere als Metapher
drückt aus, was in der Schülerin über die Bilder in Schwingung gebracht wird.
Sie blickt auf die Szene und erlebt ein Versinken in sich. Der nächste Gedanke
stellt eine Gegenbewegung zur Leere dar, indem sich eine Vorstellung über die
Augen, das Hinsehen entwickelt. »Seine Augen sind dunkel, fast schwarz, wirken
aber nicht lebendig, eher trüb, selbst wenn er aus seinem Leben erzählt …«. Und
hier wieder die gedankliche Bewegung zwischen der Vorstellung von Intensität
durch »schwarz« und »dunkel«, die in der Metapher von »nicht lebendig«
und »eher trüb« als eine Pendelbewegung erscheint. Zwischen diesen Bildern
gewinnen wir eine Vorstellung von Schmerz, die Komplementarität dieser Bewe-
gung lässt etwas sichtbar werden.
Die Farbe Schwarz und die Vorstellung über »lang« drücken Bewunderung

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

aus, einen liebvollen Blick auf die Beobachtung, Fürsorglichkeit, die durch Sensi-
bilität zum Ausdruck kommt.

»Was mir noch ins Auge sticht, ist, dass alles an ihm übernatürlich lang ist. Seine
Finger, seine Arme, seine Haare, und seine Beine.
Seine langen, vollen, ganz leicht krausen Haare, die zirka bis zu seiner Schulter
reichen, sind zum größten Teil schwarz, teilweise von silbernen Fäden durchzogen,
er trägt sie im leicht angedeuteten Seitenscheitel. Dieser befindet sich auf seiner
linken Kopfhälfte, und von dort entspringt nach rechts eine auffallend fast weiße
und sicher fünf cm breite Haarsträhne, die sich über seine ganze Stirn zieht, bis zu
seinem rechten Ohr.«

Der Stich ins Auge, der lange Blick auf den Patienten drücken eine Anerken-
nung seiner Leere aus, ein Sehen seines Schmerzes, der unsichtbar bleibt im
Alltagsleben des Patienten. Die Beobachtung, die Bilder in sich als Beobach-
terin aufzunehmen, sie wie einen Stich in sich eindringen zu lassen, ist die
Anerkennung des Schmerzes des Verschwindens vonseiten des Patienten. Der
innere Resonanzraum entfaltet sich durch die Rhythmizität zwischen Leere
und deren Anerkennung durch das Festhalten an der Individuation von Bildern
über das Haar des Patienten. Der Resonanzboden, der der Studentin zur Ver-
fügung steht, beruht auf der Vorstellung von Einsamkeit und Leere und der
Pendelbewegung zur Haarpracht, die stark im Gegensatz zur Haarlosigkeit der
Beobachterin steht: diese Pendelbewegung zur Anerkennung von Individualität
im und am Patienten durch den Schmerz der Leere und den Reichtum seiner
»silbernen Fäden«. Empathie ist ein gemeinsames Wachsen über diese Pendel-
bewegungen hinaus, wobei es um die Anerkennung des eigenen Schmerzes als
Differenz zum Wunsch nach dieser Haarpracht und die Vorstellung vom Älter-
werden, das sich würdevoll in der Metapher von silber ausdrückt, geht. Hier
entfaltet sich die Anerkennung zwischen der Leere als eigene Vorstellung von
Einsamkeit, als Identifikation und die Differenzierung über die Anerkennung
des Nichthabens dieser Haarpracht. »Wir sind gleich und doch verschieden«,
wäre die verkürzte Erkenntnis dieser Bewegung, aus der Starre der Nichtwahr-
nehmung – »ging es wie immer sehr hektisch zu, sodass ich den großen Mann
mit vollem, langem Haar, der sehr einge-sunken an seinem Rollator zur Tür
in den Speisesaal hereinkam, gar nicht so richtig wahrnahm« – zur Individua-
lität – »Als ich ihm nachsah, bemerkte ich erst, wie weit seine Wirbelsäule
verschoben war und dass sich im sakralen Bereich ein großer ›Buckel‹ gebil-
det hatte, der deutlich durch sein blaues, verwaschenes Sweatshirt zu erkennen

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5 Sensibilität – Resonanz – Komplementarität

war«. Der Patient bekommt durch die Beobachtung ein Selbst, in dem sich die
Individuation entfaltet.
Es folgt ein Protokoll, in dem es um das Ausschalten von Phänomenen wie
Resonanz, Sensitivität, Rhythmizität und Anerkennung geht.

»Ich sitze im Dienstzimmer. Ein Bewohner kommt herein. Er hat sich grade umge-
zogen, weil er draußen unterwegs war und es mörderisch geschüttet hat. Er fragt, ob
er die Fernbedienung für den Fernseher im Gemeinschaftsraum haben könne, weil
er gerne fernsehen würde. Der Betreuer, der mit mir im Dienstzimmer sitzt, gibt sie
ihm, darauf bedankt sich der Bewohner und fragt aber auch gleich, ob er etwas zu
knabbern haben könne. Der Betreuer verneint dies.«

Die Bilder werden nicht mit Vorstellungen verknüpft, es lässt sich keine Indi-
viduation aus den Zeilen herauslesen. Die Studentin kann sich und der Szene
keine Identität zuschreiben. Der Schmerz dieses Protokolls liegt im Blick an der
Oberfläche, die keinen Raum an Dimensionalität entfalten kann. Es ist wie ei-
ne Kinderzeichnung voller Strichmännchen. Die Studentin bleibt für sich selbst
ohne Individualität und Bedeutung im Geschehen, sie wirkt, als wäre sie nicht
vorhanden. Die Welt bleibt konkretistisch, und nur das »Sichtbare« spiegelt sich
in diesen Zeilen wider.
»Der Betreuer fragt mich, ob er mir helfen könne, er habe gerade viel ge-
schrieben und sei in Schreibelaune. Ich verneine. Wir reden noch über politische
und philosophische Themen.« Sehen und Anerkennung spiegeln sich in der Fä-
higkeit, mir und anderen Bedürfnisse zuschreiben und damit in Abhängigkeit
gehen zu können. Ich gebe dem anderen Bedeutung, wenn ich mir helfen lassen
kann, und erkenne die gemeinsame Abhängigkeit in der Begegnung damit an.
Diese beiden Protokolle stellen eine Pendelbewegung dar und spiegeln die
Dimensionalität eines Dreiecks auf der einen Seite und die Konkretheit von Ein-
dimensionalität, in der es nur eine »Wahrheit« an Beobachtung gibt, auf der
anderen Seite wider.
Ein Protokoll beginnt mit der Bobachtung einer Aufnahmesituation: »Sie
hat ganz dünne Ärmchen und Beine, ihr Lippen sind blass. Ihre dunkelblonden
Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden. […] nun sitzt sie hier mit ihren
Eltern. Sie sehen hilflos aus, wissen nicht weiter, Maria ist [isst?] seit Weihnach-
ten immer weniger.« Auch in dieser Szene geht es um das Verschwinden und die
Hilflosigkeit einer Familie. Die Resonanz beruht auf der Vorstellung von »sehen
hilflos aus« und dem damit verbundenen Schmerz, wie sich Maria auflöst.
»Wenn Essen kommt, gerät sie in Stresssituationen. Gedanken, sich selber

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

zu verletzen, treten auf. Zwei Monate ca. ritzte sich Hannah.« Hier kommt es
zu einer Gegenbewegung in der Beschreibung der Szene, Maria wird ohne Affek-
te bzw. die Vermittlung eines psychischen Geschehenes dargestellt. Die eigenen
Gefühle werden nicht in der Szene verwoben, es bleibt eine distanzierte Beschrei-
bung, um nicht von den Gefühlen überflutet zu werden. Die Hilflosigkeit, die
sich im Bild der Familie äußert, wird nun zurückgehalten und in der Beschrei-
bung als Dissoziation »gelebt«. »Ihre Stimmung beschreibt sie als ängstlich,
traurig, nicht fröhlich«, es ist die Stimmung des Mädchens und nicht mehr die
der gemeinsamen Szene wie am Beginn des Protokolls. Die Studentin nähert sich
wieder der Szene in sich an, indem sie Maria eine direkte Rede gibt: »Jetzt bin ich
ja hier, hier muss es ja funktionieren, zu Hause ging es nicht mehr.« Die Bedeu-
tung dieses Satzes liegt nun in der Resonanz der Studentin, die eine Vorstellung
vom Wechsel des Ortes und vom Funktionieren hat.
Nun wird die Beschreibung wieder voller Dreidimensionalität: »Als ihr das
Ernährungskonzept erläutert wird, wird ihre Stimme immer leiser, sie lächelt zö-
gerlich. Als es um Portionsgrößen geht, kann sie kaum ihre Tränen zurückhalten.
Ihr Blick wird trauriger, und sie starrt ins Leere. Sie beißt sich auf die Lippen,
kämpft mit den Tränen.« Maria ist nun tief in der Studentin, die eine Resonanz
zu den Tränen, Leere und Kämpfen anbietet. In den nächsten Zeilen kommt es zu
einer Gegenbewegung und auch zur Anerkennung der Individuation von Maria.

»So, wie ich Maria in den letzten Minuten des Aufnahmegesprächs wahrgenom-
men habe, so zeigt sie sich auch bei den darauffolgenden Mahlzeiten. Ein starrer
Blick beim Essen, wie angeekelt, angewidert nimmt sie ihr Essen in den Mund. Die
Kartoffel wird so lange halbiert, geviertelt und darauf rumgepikst, bis sie eine Größe
eines Reiskorns hat. Oder ein Joghurt wird hin und her geschmiert, dass die Ränder
und Finger nur so kleben, Hauptsache nicht in den Mund. Und nach dem Essen
weinen und das nach allen Mahlzeiten.«

Die Differenz bzw. Anerkennung der Hilflosigkeit ist der Zorn, der sich als Re-
sonanzboden anbietet. Die Studentin fühlt sich nun ohnmächtig der Patientin
gegenüber und setzt eine Gegenbewegung zu diesen Gefühlen, indem sie ihr Pro-
koll mit Fragen des Verstehens abschließt: »Was muss da passiert sein, dass sie
nicht essen kann? Warum fällt es ihr so schwer? Es fehlt völlig der Genuss am Es-
sen, die Lebensfreude ist verloren …«. Verlust und Kontrolle durchziehen diese
Beobachtung, und Hilflosigkeit entfaltet sich als zentrales Grundgefühl.
Die Protokolle werden in der Gruppe wieder in Bezug zu einem Resonanz-
boden gesetzt und ermöglichen ein weiteres Verstehen über die Sensitivität und

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6 Das Konzept des »Dritten« bzw. »the Thirdness«

Anerkennung durch die Gruppe. Auch hier wird wiederum über die eigene in-
dividuelle Lebensgeschichte reflektiert und auf das Material zurückgeschlossen,
um durch meine Reaktion die Szene zu verstehen und auch eine Differenziertheit
zwischen mir und dir zu erlangen.

6 Das Konzept des »Dritten« bzw. »the Thirdness«

Die Vorstellung eines Dritten in der Konstellation eines Dreiecks und deren psy-
chische Bedeutung sind mit der Idee der Ödipalität bereits sehr stark bei Freud
verankert.

»Die Situation des Ödipus-Komplexes ist die erste Station, die wir beim Knaben
mit Sicherheit erkennen. Sie ist uns leicht verständlich, weil in ihr das Kind an
demselben Objekt festhält, das es bereits in der vorhergehenden Säuglings- und
Pflegeperiode mit seiner noch nicht genitalen Libido besetzt hatte. Auch daß es
dabei den Vater als störenden Rivalen empfindet, den es beseitigen und ersetzen
möchte, leitet sich glatt aus den realen Verhältnissen ab« (S. Freud, 1925j, S. 21).

Freud verweist hier auf den Realitätscharakter in der Entwicklung der ödipalen
Dreieckssitutation und deren psychische Bedeutung von der Verarbeitung dieser
Dreieckssitutaion in der kindlichen Entwicklung. Der Ödipuskomplex stellt für
ihn einen der Kernpunkte der psychoanalytischen Lehre dar. Der Unterschied
bzw. die Differenz haben für Freud eine elementare persönlichkeitsstrukturie-
rende Kraft, ob sie in narzisstische Verarbeitung oder Verlegung usw. geht. Das
Erkennen der Differenz ist ein wichtiger Baustein für die Entwicklungsbedeu-
tung bei Freud. Anerkennung und Nicht-Anerkennung entwickeln sich für ihn
auf der Grundlage der Beobachtung des anatomischen Unterschiedes, dem er
große Bedeutung beimisst. Aus der Perspektive des kleinen Mädchens schreibt er:
»Es bemerkt den auffällig sichtbaren, groß angelegten Penis eines Bruders oder
Gespielen, erkennt ihn sofort als überlegenes Gegenstück seines eigenen, kleinen
und versteckten Organs und ist von da an dem Penisneid verfallen« (ebd., S. 23).
Seine Gedanken gehen gleich zur Vorstellung von der Interpretation des
kleinen Mädchens und nicht zur Bedeutung der Differenz und möglichen An-
erkennung dieser. Bei der Darstellung der psychischen Entwicklung sind seine
agierenden ProtagonistInnen die Kinder oder seine PatientInnen, die Wünsche
an die AnalytikerInnen haben. Die Eltern und die AnalytikerInnen werden in sei-
ner Entwicklungspsychologie sehr passiv dargestellt. Das Kind entwickelt sich an

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

den starren Vorstellungen über die Eltern und durchlebt damit unterschiedliche
Gefühlsaspekte, die es nun zu verarbeiten hat. Dem »Bruder oder Gespielen«,
der seinen Penis zeigt, wird keine psychische Bedeutung zugeschrieben, Freud
entkleidet seine psychische Entwicklungskonzeption der affektiven und intentio-
nalen Beteiligung von Personen und lässt den damit verbundenen Einfluss auf die
Szene aus.
Seine Konzeption des Psychischen beruht auch darauf, dass das Mädchen be-
reits eine Vorstellung von Haben und Nichthaben hat und Gefühle von Neid
braucht, um so eine psychische, innere Konstellation zu bilden.

»[W]enn der kleine Knabe die Genitalgegend des Mädchens zuerst erblickt, be-
nimmt er sich unschlüssig, zunächst wenig interessiert; er sieht nichts, oder er
verleugnet seine Wahrnehmung, schwächt sie ab, sucht nach Auskünften, um sie
mit seiner Erwartung in Einklang zu bringen. Erst später, wenn eine Kastrationsdro-
hung auf ihn Einfluß gewonnen hat, wird diese Beobachtung für ihn bedeutungsvoll
werden; ihre Erinnerung oder Erneuerung regt einen fürchterlichen Affektsturm in
ihm an und unterwirft ihn dem Glauben an die Wirklichkeit der bisher verlachten
Androhung. Zwei Reaktionen werden aus diesem Zusammentreffen hervorgehen,
die sich fixieren können und dann jede einzeln oder beide vereint oder zusammen
mit anderen Momenten sein Verhältnis zum Weib dauernd bestimmen werden:
Abscheu vor dem verstümmelten Geschöpf oder triumphierende Geringschätzung
desselben« (ebd, S. 23f.).

Die Kastrationsdrohung bzw. die Vorstellung von Kastration sind für Freud etwas
Unausweichliches und werden nicht mit realen Personen verknüpft. Sie werden
entweder ausgesprochen, da es sich um eine Allgemeingültigkeit handelt oder um
ein beobachtetes Ereignis, das eben nur mit dem Rückschluss des Wegnehmens,
Abschneidens usw. erdacht werden kann.
Der Text, erläutert uns Freud, ist in dem hier gedachten Sinne das Produkt
eines Dritten oder eine Ko-Konstruktion, die eines Gegenübers bedarf.

»Im Folgenden teile ich ein Ergebnis der analytischen Forschung mit, das sehr
wichtig wäre, wenn es sich als allgemein gültig erweisen ließe. Warum schiebe ich
die Veröffentlichung nicht auf, bis mir eine reichere Erfahrung diesen Nachweis,
wenn er zu erbringen ist, geliefert hat? Weil in meinen Arbeitsbedingungen eine
Veränderung eingetreten ist, deren Folgen ich nicht verleugnen kann […] [D]amals
dehnte sich die Zeit unabsehbar vor mir aus – oceans of time, wie ein liebenswürdi-
ger Dichter sagt – und das Material strömte mir so reichlich zu, daß ich mich der

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6 Das Konzept des »Dritten« bzw. »the Thirdness«

Erfahrungen kaum erwehren konnte. Auch war ich der einzige Arbeiter auf einem
neuen Gebiet, meine Zurückhaltung brachte mir keine Gefahr und anderen keinen
Schaden« (ebd., S. 20).

Seine Gedanken sind nicht mehr so reichlich wie früher, Konkurrenz scheint an
Bedeutung zu gewinnen und damit die Gefahr zu bergen, etwas zurückzuhalten
und es nicht zu veröffentlichen. Er beginnt ja auch seine Überlegungen: »Meine
und meiner Schüler Arbeiten vertreten mit stetig wachsender Entschiedenheit
die Forderung […].«
Die Forderung, an der Spitze der psychoanalytischen Gemeinschaft zu blei-
ben, deren hierarchische Strukturen aufrechtzuerhalten, bedarf einer großen
persönlichen Anstrengung und das Produzieren von elementaren Texten, um
diesen Anspruch auch untermauern zu können. Die analytischen Texte sind ja
geprägt von Vorstellungen über den Vatermord und das Emporstreben von kon-
kurrierenden Söhnen. Wenn wir nun den Text als das entstehende Dritte mit
seinen SchülerInnen betrachten, so lässt sich dieser ebenso durch die aktuelle Si-
tuation in seiner Gemeinschaft betrachten, der unter Zeitdruck entstanden und
somit auch mehr in den affektiven Momenten des Hier und Jetzt eingebettet ist.
Welchen Schaden kann Freud hier gemeint haben, der durch Zurückhaltung ein-
treten könnte? Könnten die Texte seiner SchülerInnen, die nun stärker an die
Öffentlichkeit drangen, ihn beschädigen, ihn überflügeln? Ist dieser Text nun sein
Triumph über seine SchülerInnen? Passivität, formuliert er in seinen Ausgangs-
gedanken, beinhaltet die Gefahr, ihm Schaden zuzufügen. Passiv und aktiv haben
für Freud starke Bedeutung der Beschreibung und Entwicklung der Geschlechter-
differenz. Er beginnt auch wieder mit der Metapher eines Meeres als Vorstellung
von Glück und Unendlichkeit, das sich gegen jedwede körperliche Erfahrung der
Vergänglichkeit stellt.
Sein größter Wunsch liegt in der Allgemeingültigkeit seiner Gedanken. Da-
hinter steht die Vorstellung, dass sich Bedeutung in der Wissenschaft erst durch
die Entseelung bzw. Entleibung entfaltet und keine Personen mit individuellen
Gefühlen, Bedürfnissen, Wünschen usw. beteiligt sind. Das Dritte im ödipalen
Kontext wird vielleicht getragen durch die Gefühlsbeschreibungen von Triumph,
Verstümmelung, Geringschätzung als allgemeingültige Gefühle, die sich in der
Vorstellung von Gefahr und der damit verbundenen Angst formulieren. Je zeit-
naher ein Text verfasst wird, desto weniger hermeneutische Denkzirkel hat er
durchlaufen, und er ist der gemeinsamen Konstruktion und damit dem Eingebet-
tetsein im Hier und Jetzt sehr nahe.
Die Sprache, mit der sich Freud an die Beschreibung seiner Beobachtungen

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

herantastet, scheint sehr stark einer archaischen, christlichen Metaphorik geschul-


det zu sein. Die Vorstellung von Allgemeingültigkeit unterliegt einem Streben an
die Spitze im Sinne des Himmelsstrebens, wie es in gotischen Bauwerken verkör-
pert wird (Vitz, 1988; Whitebook, 2018). Sein Denken umschließt die Form der
»jüdischen Auslegung« und die christliche Denkvorstellung nach dem Streben
zum Punkt einer Spitze, um es in eine Allmacht zu heben.
Einige zeitnahe Ausformulierungen von Konzepten des Dritten erfolgten ab
1974 von Andre Green in De la tiercèitè und darauf aufbauend von Thomas
Ogden in The analytic third (Coelho, 2017). Das Konzept des Dritten umfasst
die Vorstellung, ein Dreieck als psychischen Raum zu entwerfen, es sich als er-
scheinende Eigenschaft in der gemeinsamen Interaktion sowie als gemeinsame
Errungenschaft, die für ein reflexives Bewusstsein und Mentalisierung notwendig
ist, vorzustellen (Aron, 2018).
Der Begriff, wie er sich hier erschließen sollte, stammt aus der Feder von Jes-
sica Benjamin: »The term third is used to designate a position or principal to
mean the representation of a potential relationship that we use to break out of
the reciprocal lock of complementarity« (Benjamin, 2016b).
Der Begriff »Thirdness« baut auf der strukturellen Idee der Komplementari-
tät auf. Die Vorstellung von einer strukturellen Darstellung der Komplementarität
lässt sich am besten auf einer geraden Linie darstellen, in der beide Endpunkte
sich gegenseitig in ihrer Eindimensionalität ergänzen bzw. einander ermöglichen.
Beide sind voneinander abhängig und ergänzen sich in ihrem Handeln. Benjamin
entwickelte dafür ihr Konzept von »Doer and Done to« und kleidet deren Ab-
hängigkeitsvorstellung in das Metaphernbild einer Wippe, bei der einer oben ist
und der andere unten (Benjamin, 2018, 1993b).
Wenn diese Wippe verlassen werden kann, bildet sich die Vorstellung eines
Dritten und konzeptualisiert einen psychischen Raum, und die Dualität löst sich
auf.

»Da die kommunikative Sprache einen Dialograum erschafft, der potentiell außer-
halb der psychischen Kontrolle eines oder beider Beteiligter liegt, ist sie ein Ort der
Vermittlung, das ›DRITTE‹« (Benjamin, 2013, S. 47).

Die Dreidimensionalität eines psychischen Raumes beinhaltet viele Kombinati-


onsmöglichkeiten von Komplementarität und damit eine Vielfalt an physischem
Geschehen, das sich entwickeln kann. Keiner der beiden Beteiligten fühlt sich
in einem dreidimensionalen Raum gefangen und abhängig im Sinne einer Unter-
werfung. Die strukturelle Anordnung ist stark mitbestimmt von der Haltung, die

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6 Das Konzept des »Dritten« bzw. »the Thirdness«

ich entwickle, ob ich es als eine Mehrdimensionalität erdenken oder ob es nur ei-
nen Sieger und einen Verlierer geben kann. »Rather than following the rigid and
predictable back and forth movement of a seesaw, transference can begin to serve
as a ›strange attractor‹, allowing the emergence of surprisingly new configura-
tions and unpredictable interpersonal adjustments« (Aron, 2018, S. 129). Die
Unvorhersagbarkeit ist ein großer Grundprädiktor zur Gestaltung eines Dritten
und damit der Entwicklung von etwas Neuem.
Benjamin entwarf ein Konzept von The One in the Third and the Third in
the One (Benjamin, 2018). Mit »One in the Third« bezieht sie sich auf die
Studien von Sander und deren Rhythmizität als harmonische Einheit, die sie
als musikalische Improvisation bezeichnet. Es steht für das gemeinsame Teilen
eines Rhythmus, der sich zuerst in der Mutter-Kind-Beziehung entwickelt. »Zu-
sammenfassend können wir festhalten, daß das frühe Zwei-Körper-Erleben als
entscheidend dafür betrachtet wird, wie die Repräsentation intersubjektiv zutage
tritt« (Benjamin, 2013, S. 47). Die Repräsentation ist das gemeinsam Geschaf-
fene in »the one in the third«, und beide werden durch den gemeinsamen
Rhythmus beeinflusst, wobei beide sich als »the third in the one« befinden.
Aron bezeichnet dies als »mutual accomodation« (Aron, 2018, S. 130). Der
Rhythmus ist für Benjamin nun die Thirdness, die nur aus der Dyade entsteht,
die sie auch als moralisches Drittes oder symbolisches Drittes bezeichnet. Dieses
moralische Dritte hebt sich nun von der Oneness ab und beruht auf den Konzep-
ten der »Markierung« und »Kongruenz« von György Gergely in der Theorie
des sozialen Biofeedbacks in der Affektspiegelung (Fonagy et al., 2004). Das Spie-
geln im Sinne des kongruenten Markierens ist ein dyadisches System, das etwas
Neues zwischen Säugling und Mutter erzeugt. Beide wissen, dass die Spiegelung
nicht die Mutter ist und auch nicht der Säugling. Es entwickeln sich dadurch eine
Erkenntnis über ein eigenständiges Ich und die Vorstellung eines anderen. »The
one-in-the-third and the third-in-the-one are interconnected. Rhythmicity and
markedness go together, with the former emphasizing connectedness, and the
latter emphasizing difference; each is necessary« (Aron, 2018, S. 132). Die Idee
des Dritten (the Third) bietet die Möglichkeit, Reflexion und Symbolisierung
zu konzeptualisieren, und es wird eine Theorie über das Denken ermöglicht, die
sich von einem isolierten Geist abhebt. Das Dritte bildet sich durch das Beachten
eines inneren Prozesses, besonders der inneren Konflikte oder Unstimmigkeiten
in der Beobachtung einer Szene. Durch die eigene Reaktion wird sich ein Raum
von Thirdness in der Beobachtung öffnen und ein anderes Verständnis mit neu-
en Erkenntnissen generieren. Erst dieser psychische Raum ermöglicht reflexives
Bewusstsein und bietet eine Möglichkeit für Mentalisierung. Dieser Raum von

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

Thirdness wird in einem fluiden Prozess konstruiert, verloren, zerstört und wie-
der repariert. Intersubjektivität ist ein Prozess des Verhandelns von Unterschieden
und Zweisamkeit.
»Intersubjektiver Raum, so habe ich vorgeschlagen (Benjamin, 1988) könnte
angesehen werden als Bedingung für ein entstehendes Drittes im Dialog, etwa
wie der Tanz, der vom einzelnen Tänzer unterschieden ist, aber von ihm mitge-
staltet wird« (Benjamin, 2013, S. 47).
The Third ist keine Form von Objektivität und damit nicht frei von Wün-
schen, Verzerrungen und affektiven Mitbeteiligungen. Es ist ein fluider, dynami-
scher Prozess im Spannungsverhältnis von Komplementarität und dem Öffnen
eines psychischen Raumes, in dem sich reflexives Denken entfalten kann. »Inter-
subjectivity consists of a dialectic process of mutual recognition and breakdown
into complementarity« (Aron, 2018, S. 137).
Die Rhythmizität der Beobachtung kann in eine Sackgasse von dualistischer
Vorstellung geraten. Wenn sich eine dritte Position zu der beobachteten Szene
erdenken lässt, so gehe ich über ein binäres Gefangensein in meinen Affekten
wie zum Beispiel bei sadomasochistischem Denken hinaus. In dem symbolischen
Raum der Thirdness und Intersubjektivität liegt die Möglichkeit einer kongru-
enten Markierung im Schutz für meine Regulierung.
Durch die Anerkennung des Einflusses auf jede dynamische Interaktion aller
Beteiligten wird es zu einem moralischen Dritten. Die Moral wird durch Über-
nahme der Verantwortung der Mitgestaltung einer Szene bzw. der Gefühle aller
Beteiligten definiert. Durch diese Verantwortungsübernahme kann sich ein Ge-
fühl von Selbstwirksamkeit einstellen und somit die Position von TäterIn und
Opfer verändert werden.
Anerkennung bedeutet die Fähigkeit, eine Beobachtung zu leisten, der eine
Reflexionsfähigkeit innewohnt und in der dem anderen Subjektivität zugeschrie-
ben werden kann. Beobachtung bedeutet im Sinne eines moralische Dritten,
jedem eine eigene Realität zubilligen zu können.
Beobachten und ein neues Sehen zu entwickeln, beruht im Sinne der Dritt-
heit auf der Anerkennung der eigenen Gefühle, der Zuerkennung von Mitleid
und den anderen bei einer »objektiven« Beschreibung zu verletzen. Verletzung
in der Beobachtung entfaltet sich dann, wenn ich mir keine Gefühle zuschrei-
ben kann, meist aus Angst, von diesen überflutet zu werden. Sich Gefühle und
ein reflektiertes Verstehen zuschreiben zu können, bedeutet, die Verantwortung
für meine Bobachtung zu übernehmen und damit ein moralisches Drittes zu ge-
stalten. Wenn ich von Ängsten, Schuld- und Schamgefühlen überflutet werde,
kann ich keine Verantwortung für meine Beobachtung übernehmen und auch

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6 Das Konzept des »Dritten« bzw. »the Thirdness«

meine Gefühle nicht anerkennen. Die Anerkennung der Gefühle und die Un-
vermeidlichkeit meiner subjektiven Beobachtung führen zur Anerkennung des
Unvermeidlichen und ermöglichen eine Hingabe im Sinne von Ghents surrender
an die Beobachtung. Wenn ich meine Gefühle anerkenne, kann ich nun Verant-
wortung für meine Anteile in der Beobachtung übernehmen. Es stellt sich damit
auch ein Gefühl von Wirksamkeit und Bedeutung ein.
Erleben von Bildern eröffnet sich durch die Gestaltung einer Rhythmizität
zwischen der Bobachtung und der Reflexion meiner Gefühle und spiegelt damit
die Mutter-Kind-Interaktion, im Sinne einer Repräsentation eines gemeinsamen
Dritten in mir, wider. Die subsymbolische Kommunikation beginnt als Resonanz
und Reflexion in mir, und es geht nicht um die »objektiven« Bilder, sondern dar-
um, den Bildern eine Bedeutung zuschreiben zu können. Wir nehmen nicht die
Repräsentanten von Personen, wie unsere Mutter, in uns auf, sondern die Reprä-
sentation der Interaktion, die sich in dieser Rhythmizität entwickelt. Wenn ich
kein Erleben zu den Bildern herstellen kann, bleibe ich auf einer konkretistischen
Ebene in meiner Wahrnehmung, somit blind für psychisches Geschehen, und ich
entwickle keine Fähigkeit für Mentalisierung. Der Raum des moralischen Dritten
wird dann betreten, wenn ich meine Fehlbarkeit akzeptieren und meinem Nicht-
wissen gegenüber tolerant sein kann in der Anerkennung meiner beschämenden
Gefühle (Benjamin, 2018, 2004a).
Dissoziative Prozesse spiegeln sich auch oft in den Protokollen der Studen-
tInnen wider, wo es unmöglich ist, eigene Reflexionen und Gefühle darzulegen,
da dies sehr oft mit Scham verbunden ist. Die Beobachterin oder der Beobach-
ter zieht sich aus der Szene zurück, kann keinen reflektiven Resonanzboden zur
Verfügung stellen, da es sonst zur einer Destabilisierung kommt. Durch die Dis-
soziation erfolgt ein Rückzug, da die beobachtende Person keine Regulation von
Szenen, die sie sieht, mehr gestalten kann; sie in sich mit Gefühlen zum Leben zu
erwecken – der affektive Regulationsmechanismus – ist nicht mehr möglich, da
sich die Gefahr einer Überflutung ankündigt. Die Selbstregulation ist die Fähig-
keit, einen Rhythmus in sich stattfinden zu lassen, ohne sich selbst etwas anzutun
im Sinne von Doer and Done (Schore, 2009).
Die Dissoziation sollte erst als Mechanismus eingeführt werden, wenn es kei-
ne Bewegung mehr zurück gibt und es zu einer Starre kommt. Primär benötigen
wir eine Bewegung und eine »leichte« Dissoziation, um Differenz und nicht nur
Identifikation erzeugen zu können. Es braucht einen Rhythmus von Sehen, Zu-
lassen, Abbruch, Dissoziation und das Anerkennen der Differenz von mir und
dem anderen.
Mitgefühl, als verstehendes Momentum ist das Ergebnis dieses Prozesses und

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

ermöglicht es uns, den anderen als Individuum mit all seinen Gefühlen und Be-
dürfnissen anzuerkennen.

Auswertung der Protokolle in Hinblick auf »the Third«

»Außerdem durfte ich mit der Psychologin in der DBG: Depressions-Bewältigungs-


Gruppe mitmachen. Im Endeffekt kamen mir dort alle Personen recht ge- und über-
fordert vor. Nach den zwei Stunden haben wir als Nachbesprechung die ›Schwere‹
der Sitzungsthemen thematisiert, und ich habe die Anstalts-Skillbox geordnet. Mir
ist dabei aufgefallen, dass eine Frau trotz des Herumzupfens an ihrem Gummiband
weder gelöst noch entspannter wirkte, es wirkte eher so, als wäre auch das Gummi-
band ein weiterer lästiger Zwang und eine Qual in ihrem jetzigen Zustand.«

Das »Dritte« in der Beobachtung entfaltet sich über eine Vorstellung von »ge-
und überfordert« in der Beschreibung. Die Studentin kann einen Resonanz-
boden anbieten, in dem sie reflektieren kann, wie sie »ge- und überfordert«
ausdrückt. Sie kann auch beobachten, dass »eine Frau […] weder gelöst noch
entspannter wirkte«. Sehen bzw. Erkennen lassen sich nur durch die reflektive
Erfahrung von gelöst und entspannt entfalten. Sie deutet auch die Hilflosigkeit
aller Beteiligten bei der Auslagerung von Stimmungen und deren Bewältigung
an – eine »Anstalts-Skillbox«. Die Patientin wird als einsam und alleingelassen
erlebt. »Zwang und Qual« beherrschen die Szene und weisen auf eine Überfor-
derung des Personals und der PatientInnen in der stationären Behandlung hin.
Den anderen anerkennen ist immer ein moralischer Akt und somit ein »mor-
al Third« (Benjamin, 2018). Der andere entfaltet sich über die Wahrnehmung
meiner Gefühle und die Fähigkeit, sie dem anderen zuschreiben zu können – im-
mer davon ausgehend, dass es sich um etwas gemeinsam Kreiertes handelt.
Es folgt eine Protokollszene, in der es um körperliche Intimität geht:

»Am WC frage ich ihn, wie er den Transfer zw. Rollstuhl und WC normalerweise
macht. Schnell merke ich, dass er mir keine klaren, direkten Antworten geben kann.
Also versuche ich es mit Anweisungen, die er alle zu verstehen zeigt.
Auf die Beinstellung achten, fester Kontakt zum Boden, rechts und links an den
Haltegriffen anhalten, den Oberkörper nach vorne und aufstehen. Das ging relativ
gut, er steht sicher.
Ich fange an, die mit Urin durchnässte Hose runterzuziehen und öffne die
Inkontinenzhose. Das Urinalkondom hatte sich gelöst, und die Inkontinenzhose
wurde beim letzten WC-Gang vergessen anzulegen. Doppelter Schutz, wie furcht-

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6 Das Konzept des »Dritten« bzw. »the Thirdness«

bar unbequem muss es sein, mit so einer riesen Windel 24 Stunden um die Beine in
der Bewegung eingeschränkt zu sein, denke ich.
Mit dem linken Arm rüber zum rechten Haltegriff fassen, drehen und setzen.
Ok, das wäre geschafft.
Kaum sitzt er, gehen auch schon die ersten lauten Lüfte los. Ich glaube, um diese
unangenehme Situation für uns beide zu lindern, fängt er an zu erzählen. Über eine
Messe in S. [Ort in Österreich], später sagt mir seine Frau, dass er dort öfter von
der Arbeit aus war. Er redet, als wäre es das Normalste überhaupt, sich halt einfach
am WC zu unterhalten. Teilweise stelle ich mir vor, dass so früher die Geschäfte in
alten Bädern abliefen. Nur halt in unserer Situation so, dass ich angezogen bin und
er am WC sitzt. Irgendwie auch lustig.
Zwischenzeitlich will ich ihm einfach die Glocke in die Hand drücken und den
Ort verlassen. Doch die Angst, dass er stürzt, lässt mich die Situation weiter aushal-
ten. Also springen wir in den Gesprächen von einem Thema ins nächste. Er scheint
die Situation nicht so unangenehm zu empfinden wie ich.«

Das Bewusstwerden des Gefühls von Scham kommt hier zum Tragen und beein-
flusst das Gespräch, indem andere Themen gesucht werden. Der Patient bietet
eine Lösung für die Ablenkung des Gefühls der Scham an. Er beginnt, sich in
einer früheren Arbeitsrolle zu schildern, um sich nicht nur in dieser intimen Si-
tuation zu präsentieren.
Die Scham hat auch einen kulturellen Hintergrund, wie uns die Studentin er-
läutert. In antiken, »alten Bädern« wäre diese eine »normale« Situation, wenn
beide Personen unbekleidet wären. »Angst« ist ein Motiv, bei der Situation zu
bleiben, Sorge, der Patient könnte sich verletzen, und eine Strafe könnte die Stu-
dentin verletzen.
Die intime Situation entfaltet sich erst im gemeinsamen Dritten, das geschaf-
fen wird. Ohne Zeugenschaft gäbe es die Intimität nicht, erst dadurch wird sie
präsent und bedarf der Aushandlung eines moralischen Dritten, wer sich nun be-
schämt fühlt, und welche Bedeutung Hilflosigkeit und Angst in der Szene haben.
Die Nacktheit eines Körpers wird auch als Ohnmacht empfunden, der angezoge-
ne Körper wird als überlegen angedeutet. Der nackte Körper drückt durch seine
Vergänglichkeit eine große Verletztheit aus, ein schlecht angelegtes Kondom lässt
den Urin entweichen und wird dadurch dem Sexuellen enthoben. Der Studentin
wird nun beusst, wie Bewusstsein entsteht: »Wie oft habe ich in meinen Berufs-
jahren schon genau diese oder eine sehr ähnliche Situation gehabt. Und noch nie
so bewusst drüber nachgedacht, geschweige denn geschrieben.«
Üblicherweise werden die meisten intimen Pflegehandlungen in einem Zu-

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

stand der Dissoziation durchgeführt, als mechanische Handlung in der sichtbaren


Welt, um Gefühle von Scham, Verletzlichkeit, Sexualität, Tod und Angst von sich
fernzuhalten. Diese intime Reinigungsleistung ist eine der psychisch komplexes-
ten Begegnungsherausforderungen zwischen Menschen – eine körperliche und
sprachliche Intimität in einem asymmetrischen Verhältnis von Abhängigkeit zu
bewältigen.
Ein Protokoll zum Thema intime Pflegehandlung und Dissoziation:

»Im Konkreten begleitete ich einen Kollegen, welcher eine Inkontinenzhose wech-
selte. Als der Kollege die IKH öffnete, stieg ein eher übelriechender Uringeruch
auf, welcher stark an eingetrockneten, älteren Harn erinnerte. Offensichtlich hatte
der Kollege diesen Geruch nicht erwartet bzw. beim Betreten des Zimmers nicht
wahrgenommen. So reagierte er unverfälscht, indem der Brechreiz bei ihm ausgelöst
wurde und ein lauter ›Wäh‹-Ruf folgte. An und für sich nichts Verbotenes – im
Gegenteil: Soll und darf sein.«

Hier lässt sich einiges über die Dissoziation der Gefühle verstehen. Obwohl es
»soll und darf sein«, lässt sich wenig Vorstellung über die Gefühle der Beteiligten
erfassen. Es ist keine intime Situation, sondern eine Szene, in der der Geruch einen
Reflex auslöst, der sich ohne psychische Beteiligtheit äußert. Es bleibt eine kon-
kretistische Welt, in der sich die eigene Bedeutung einer Szene nicht erschließt,
das Selbst als Identität der Studentin nicht da sein darf. Obwohl sich die Worte
als moralisch erleichternd anbieten, indem eine sprachliche Erlaubnis mit einem
Zwiespalt geäußert wird: »An und für sich nichts Verbotenes«, bleibt ein Urteil
von Überlegenheit in der Szene. Die Studentin »borgt« sich eine Identität, in-
dem sie der anderen Pflegeperson die Erlaubnis erteilt, aber ihre Zeugenschaft
nicht einführen kann in der geschilderten Begegnung. Der Patient bleibt auch
ohne Identität und stellt in den Zeilen das Gegenüber im Verschwinden der Iden-
tität dar. Studentin und Patient haben keinen Wert an bzw. in der Szene und
bleiben in der Minderheit in ihrer Bedeutung, es entfaltet sich eine Vorstellung
über die Bedeutung davon nicht anwesend zu sein.
Das für die Studentin Wesentliche versucht sie, in den weiteren Zeilen zu er-
fassen:

»Das Wesentliche hierbei war für mich das weitere, bzw. anschließende Verhalten
des Kollegen. Es machte den Anschein, als würde er sich schämen und über seine
Reaktion ärgern – denn kaum geschehen, hatte er begonnen, sich zu rechtfertigen
sowie dabei zu erröten.

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6 Das Konzept des »Dritten« bzw. »the Thirdness«

Als ich dann mit ihm darüber sprach, konnten wir in einem Gespräch feststel-
len, dass er einfach im Affekt reagiert hatte, bevor er sich mit der Situation befassen
konnte.«

Gefühle von Ekel, Scham, Vergänglichkeit sind sehr schwer zu bewältigen und
bedürfen eines komplexen, stabilen Gefühlserlebens. Dissoziation und die Nicht-
anerkennung einer Zeugenschaft prägen diese Schilderung (Benjamin, 2018).
Pflegeleistungen werden in ihrer psychischen Komplexität meist nicht erkannt
und dadurch auch keiner Anerkennung zugeführt. Empathie beruht auf der An-
erkennung meines psychischen, komplexen Erlebens und damit die Möglichkeit
eines reflexiven Resonanzraumes für die PatientInnen bzw. für die Gestaltung der
Begegnung zu haben.

»Eine zweite Situation ergab sich wenig später bei einem anderen Kollegen. Dieser
hatte einem Patienten eine mit Stuhl verdreckte IKH ohne Handschuhe ausgezo-
gen sowie entsorgt.
Nach der abgeschlossenen Pflegehandlung konnten wir eigentlich völlig ur-
teilsfrei die Szene nachbesprechen. Ein Anliegen war es mir deshalb deswegen, weil
nicht der Ekel hier für mich eine tragende Rolle spielte sondern vielmehr seine
Einstellung zum Selbstschutz und dessen Vernachlässigbarkeit auf Grund von Faul-
heit.
Begründet hatte er sein Vorgehen mit der Argumentation ›Wennst amal Kinder
hast, stört dich des nimmer und du wirst ’as verstehen.‹ Ich wies auf die Diskrepanz
zwischen eigenem Kind und fremden Patienten hin. Es stellte sich heraus, dass jener
Kollege unabhängig von seiner Argumentation zusätzlich ein Selbstschutzdefizit in
Kauf nahm sowie in dieser Situation mit der Faulheit zurechtkam und dem, was
mit ihr einherging.«

Wie viel Wut über das Alleingelassenwerden mit all diesen durch Ekel hervor-
gerufenen Gefühlen zusammenhängt, drücken diese Zeilen aus. Der »Selbst-
schutz« ist die psychische Überlebensstrategie und die Projektion von der Frage
des Werts in die Nähe, die sich als Normalität entfaltet. Die Intellektualisierung
unterstützt die Dissoziation und damit eine Retraumatisierung aus der eigenen
Geschichte.
Protokollauszug zum Thema Zärtlichkeit und Anerkennung:

»Frau M. schaut heute sehr elegant und gepflegt aus mit ihrem pinken Lippenstift.
Ich mag Pink auf den Lippen, bei ihrem Schneewittchen-Teint, trotz Rapunzel-

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

Haar eine wahre Augenweide. Die war bestimmt mal sehr schön, und ist es immer
noch. Die kühle blonde Frau Dr. M. Die ganze Station fürchtet sie. Auch mir hat
sie gezeigt, wie der Hase läuft. Und irgendwie mag ich die Frau ganz gern.«

Diese Worte lassen eine Person in etwas Unaustauschbares gleiten, eine Aner-
kennung von Individualität, was bei den LeserInnen dieser Zeilen ein Interesse
an dieser Person weckt. Begehren entfaltet sich durch Individualität, und somit
entwickelt sich unsere Liebesfähigkeit am Wunsch der Anerkennung. Wenn wir
Liebe als gesamten Komplex von unterschiedlichen Facetten betrachten, so ist
die äußere Welt eines Körpers nur ein Teil des Begehrens, und erst die psychische
Liebe im Begehren der Unaustauschbarkeit eines Gesehenwerdens und somit die
Bedeutung, als psychisches Wesen bedacht zu werden, lässt uns lieben.

»Sie hatte beruflich anscheinend ein sehr bewegtes Leben, zuerst zum Spaß stu-
diert und dann nochmal etwas Sinnvolles, womit man auch etwas verdienen kann,
ja so hat sie es formuliert. Und dann dürfte sie da in den Männer-Riegen der Un-
ternehmungsführung sehr weit gekommen sein. Eine Art Iron Lady, so wirkt sie
und schaut ihr auch etwas ähnlich. Dieser Typ Frau kann sich in der Männerwelt
sicher gut durchsetzen und die gläserne Decke durchstoßen. Sachlich, kühl und
zweifelsohne kompetent. Zwischen ihren Allüren und Beschwerden lächelt sie ei-
nem zu, ein wirklich, wirklich aufgesetztes, berechnendes, ja man würde sagen
falsches Lächeln, aber immerhin lächelt sie mir zu und schimpft nicht nur wie
bei allen anderen Pflegepersonen. Sie bietet mir eine Süßigkeit aus der Firma ih-
res Bruders an, den ich für ihren Mann hielt. Eine kernige Krach-Kaffeebohne,
mit Schokolade umhüllt. Das Personal meint nach ihrer Entlassung, was denn das
für eine Art sei, eine Pralinenschachtel, die so gut wie leer ist, an das Personal
zu verschenken. Dabei ist es Mirabell, Mozart-Kugeln und Taler. Mich amüsiert
das, und ich denke, es ist irgendwie großzügig, oder? Vielleicht bin ich auch nur
geblendet von ihrer dermaßen gebärdenden Hofetikette, und irgendwie hat mich
diese Person angesprochen. Hinter dieser Fassade steckt viel Erfahrung und Wis-
sen, wahrscheinlich auch Einsamkeit und Enttäuschung. Wie sie wohl lebt und
was ist, wenn sie mal alle Stärke fallen lässt und einer Vertrauensperson ihr wahres
Wesen offenbart?
Eine aufrichtige Tyrannei mit guten Argumenten scheint mir sympathischer zu
sein als manche ›Spiele‹ anderer PatientInnen. Eines ihrer Nachtgewänder, so muss
man sie fast nennen, ist aus einem kräftigen, aber nicht aufdringlichem Rosé-Ton.
Die Arme und der Ausschnitt haben schöne Spitzen, ich tippe auf Palmers oder
vielleicht Triumph, es ist was Gutes jedenfalls. Wenn man viel Zeit hätte und die

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7 Zusammenfassung

Frau auch, dann könnte man schon zu ihrem Kern vordringen, sie um einen Rat fra-
gen, ihre Expertise beanspruchen, das würde ihr bestimmt imponieren. Vor ihrem
Fenster wehen die Blätter der Birken im Wind. Ein leichtes Rauschen, silbergrün,
diese Bäume sind mir schon immer lieb gewesen.«

Möchten wir nicht auch so gesehen werden? Ein Selbst bekommen, getragen von
dieser Zärtlichkeit und aufgehoben im Raum des anderen, gebettet in Bedeu-
tung? Es drückt sich auch die Verbundenheit in dem Wunsch, dem anderen zu
»imponieren«, aus – sich mit dem eigenen Wunsch nach Begehrtwerden vom
Gegenüber anerkannt zu fühlen, eine psychische Bedeutung für ihn zu erlangen
und somit aus der eigenen Selbstlosigkeit befreit zu werden. In diesem Protokoll
erschließt sich uns die Bedeutung unserer Liebesfähigkeit und der Vielgefächert-
heit des Begehrens.

7 Zusammenfassung

Hier handelt es sich explizit um Protokolle, die nach dem Beobachten geschrie-
ben worden sind. Kächele und Buchholz attestieren dieser Form der Berichte eine
»große Ungenauigkeit der Primärdaten«, wobei diese nur selektive Erinnerun-
gen und »Lügungsrückblicke« seien (Bucholz, 2013c, S. 28f.; Kächele, 2010).
Wenn Fallgeschichten als Lügen betrachtet werden, so gibt es in dieser Diktion
eine Wahrheit, die verborgen wird. Die Unzufriedenheit von Kächele liegt ver-
mutlich mehr in den niedergeschriebenen Deutungen und deren Bedeutungen
von Interpretationen. Aus einer intersubjektiven Sicht liegt auch im später nie-
dergeschriebenen Material eine Erkenntnisbedeutung im phänomenologischen
Betrachten, wenn im Augenblick des Lesens SchreiberIn und LeserIn mitgedacht
werden. Viele Fallbeschreibungen sagen mehr über die SchreiberInnen und deren
Ängste aus als über die PatientInnen, die beschrieben wurden. Das Material wird
zum Leben erweckt, wenn den SchreiberInnen Bedeutung und Identität im Ver-
stehen des Gelesenen zugebilligt werden. Es bleibt nur eine Dichotomisierung,
wenn zwischen Transkripten, Beobachtungen und Fallgeschichten eine Konkur-
renzsituation entfaltet wird.
Als Lösung aus dieser Eindimensionalität wäre ein Paradigmenwechsel in
der Betrachtung all dieser Schriftstücke vorzuschlagen, eine Haltung von Sub-
jektivität und gemeinsamer konstruierter Realität einzunehmen und somit die
Wissensgewinnung in einem zyklischen Geschehen zu verorten. Fallgeschichten,
Gutachten bleiben dann abseits von einer psychischen Bedeutung, wenn nur dem

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X Auswertung der Beobachtungsprotokolle

Inhalt Bedeutung beigemessen wird und SchreiberIn und LeserIn sich auflösen
(Atwood & Stolorow, 1979).
Intersubjektivität ist ein Prozess, der sich in Form von Resonanz, Sensitivität,
Rhythmizität, Komplementarität und Anerkennung entfaltet.

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XI Conclusio

»Werden wir uns nicht erst in den Blicken, die


ein anderer auf uns wirft, unserer selbst bewusst?
In den Blicken des Du, einer zweiten Person, die
mit mir als einer ersten Person spricht, werde ich
meiner nicht nur als eines erlebenden Subjekts
überhaupt, sondern zugleich als eines individu-
ellen Ichs bewusst. Die subjektivierenden Blicke
des Anderen haben eine individuierende Kraft.«
Jürgen Habermas (2005, S. 19)

Am Ende des Durchwanderns des Textes zeigt sich die Spannung zwischen dem
sprachlichen Erfassen von Haltung, Dynamik, Relationalität usw. und der Starre,
diese in Gedanken darzustellen. Gedanken werden durch Worte in Sprache ge-
wandelt oder in der dichotomalen Bewegeung werden Worte zu Gedanken und
unterliegen damit einer Rhythmizität: »Words also have an embodied dimension
expressed through rhythm« (Knoblauch, 2018, S. 143).
Wörter geben uns die Struktur, an der sich unsere Gedanken erschließen
lassen. Sie sind unterlegt mit unserer Stimme, mit unserer Mimik, wenn wir
sie sprachlich zum Ausdruck bringen. In jedem Ausdruck zeigen sich unsere
emotionalen Erfahrungen und lassen unsere Gegenwart und Vergangenheit inein-
anderfließen. Ohne unsere Erfahrungen könnten wir den Moment nicht erfassen,
wir hätten keine Worte, auch nicht für das Neue, das mit der Erfahrung von Er-
staunen in eine Struktur gebettet wird.
Zeitgemäßes Begegnen zwischen StudentInnen und LehrerInnen bedeutet
für beide, sich zu entwickeln und eine gegenseitige Bedeutungsgestaltung für-
einander zu empfinden. Sich gegenseitig Gestalt zu verleihen, beinhaltet die
Anerkennung von Gleichheit und Unterschiedlichkeit, eingebettet im Aushalten
von Einsamkeit dessen, was sich als Drittes zwischen uns entfaltet. Anerkennung
bedeutet, verstanden und damit gesehen zu werden, auch different zueinander zu
sein und diese Kontur ist mit der Trauer der Unterschiedlichkeit behaftet. Die
Vitalität des Lebens, die »vitality affects«, spiegeln sich in diesen Spannungs-
verhältnissen und bilden eine fluide Dimension an Beweglichkeit (D. N. Stern,
1991, S. 157). Diese Bewegung führt zu einem Ringen um Anerkennung und
kann nicht als Ziel erlebt werden, sondern als Haltung, in der sich Bewegung ent-
faltet. Anerkennung ist ein dynamischer Prozess, um mit den eigenen Emotionen

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XI Conclusio

in einem sinnvollen Kontakt mit den mir zugrunde liegenden Erfahrungen zu


bleiben, im Kontext der emotionalen Erfahrung mit den anderen.
Die StudentInnen sollen in diesem Projekt ein Gefühl für Verbundenheit
mit den PatientInnen erfahren und die darunter liegenden Strukturen erkennen.
Wenn sie diese Muster erkennen, können sie emotionale Szenen mit ihrer Ver-
gangenheit verbinden und diesem emotionalen Erleben nun Bedeutung geben.
Eine Vorstellung von Bedeutung bekommen die StudentInnen dann, wenn
sie es in der Begegnung mit den AusbildnerInnen erlebt haben, ihnen durch ein
Erleben von Wärme und Großzügigkeit ein Wachstum vermittelt wurde.

»The people whose manners we genuinely admire and enjoy are those who, without
it being obvious, skillfully enhance our sense of significance and worth. All contact,
whether conversational or silent, is accompanied by an atmosphere of warmth and
generosity; this promotes trust and openness« (Coltart, 1992, S. 137).

Diese Form von Wachstum möchten wir unseren StudentInnen anbieten, ih-
nen einen Rahmen von Offenheit und Vertrauen ermöglichen, in dem sie sich
entfalten können. Wachstum setzt voraus, dass wir Spannungen halten können,
in denen sich Möglichkeiten auftun, andere Sichtweisen zu generieren. Grup-
penleitung führt über die eigene Akzeptanz zu einem Resonanzboden, auf dem
Anerkennung des Gegenübers möglich wird und dieses nun Gestalt annehmen
kann, indem es sich nun in all der Differenziertheit anerkennen kann. Die Aner-
kennung der Differenz finden wir nur in uns selber: »In order to find the patient
(student), we must look for him within ourselves« (Bollas, 2017, S. 202).
Empathie beinhaltet ein gegenseitiges Hervorrufen von Gefühlen, und de-
ren Anerkennung führt über dieses Verstehen zur Differenz und Vorstellung von
Unaustauschbarkeit. StudentInnen und LeiterInnen befinden sich in einer gemein-
samen Welt von Verschmelzung und Anerkennung. Den anderen zu verstehen,
bedeutet, Differenz zu erzeugen und ruft ihm gegenüber Einsamkeit hervor, die
es wiederum ermöglicht, Nähe zulassen zu können, da keine Angst vor Symbiose
bzw. Verschmelzung und damit Aufgabe des Selbst vorliegt. In diesem Spannungs-
verhältnis ereignet sich in einem zirkulären Prozess Wachstum! Am Ende des
Ausbildungsweges steht für die LeiterInnen die Erkenntnis, dass Großzügigkeit be-
deutet zu verlieren, die eigene Kleinheit durch die Überflügelung der StudentInnen
zu erkennen und zu akzeptieren. Wachstum bedeutet, den Dünger zu geben und
dem Schrumpfungsprozess anheimzufallen, sich an der Entwicklung der Studie-
renden als nächste Generation zu freuen und sich selbst in der Geschichte verorten
zu können. Das psychische Wachstum der StudentInnen spiegelt die Rohheit der

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1 Die Geschichte des ART-Projektes

AusbildnerInnen wider. Ihren Zenit der Entwicklung akzeptierend werden sie von
narzisstischen Gefühlen der Grandiosität befreit. Vielleicht nehmen uns die Stu-
dierenden ein Stück des Wegs mit und ermöglichen damit ein Wachsen in den
GruppenleiterInnen durch die Anerkennung, die diese durch die jungen Menschen
erfahren. Die StudentInnen erfahren wiederum Anerkennung durch die Gruppen-
leiterInnen, indem ihnen diese die Teilhabe an den Gefühlen, die Vergänglichkeit
hervorruft, wie es der unausweichliche Prozess des Alterns darstellt, gewähren.
Wenn jede nachfolgende Generation sich psychisch differenzierter weiterent-
wickelt, so heilt ein wenig die Traumatisierung dieses Kontinents nach all den
Katastrophen des letzten Jahrhunderts.

1 Die Geschichte des ART-Projektes

Das ART-Projekt besteht seit dem Wintersemester 2010 an der Ausbildungs-


stätte für psychiatrisches Krankenpflegepersonal am Otto-Wagner-Spital. Dieses
Konzept unterliegt einem permanenten Prozess der Erprobung, der Evaluierung
und Neugestaltung. Je mehr Erfahrungen wir sammeln, desto unauffälliger wer-
den unsere Justierungen am Projekt, desto feiner fällt das Drehen an Schrauben
aus. Unsere StudentInnen entwickeln in unserem gemeinsamen Erleben dieses
Projekt, ihre Energie und Erfahrungen, die sie reflektiert einbringen, bilden das
Gerüst unseres Handelns und Seins.
Am Beginn der Reise stand der Wunsch, unseren StudentInnen eine neue
Lernerfahrung und diese in Vorstellungen von Erlernbarkeit zu vermitteln. Auf
der Suche nach einer praktischen Form der Umsetzung stieß der Verfasser auf die
Ideen von Esther Bick und deren Weg, die Beobachtung für die Ausbildung von
KinderpsychoanalytikerInnen nutzbar zu machen. Die zugrunde liegenden Denk-
konzepte kamen aus der Psychoanalyse und entwickelten sich in Richtung der
Bindungstheorie. Durch die Fragestellung der Erlernbarkeit von Empathie bot sich
das Konzept des Mentalisierens an, über das sich die Welt des relationalen Denkens
und der Intersubjektivität öffnete. Durch diese Form des Erdenkens rückte nun
die Bedeutung der Gruppenleitung in den Fokus unseres Projekts. Den Ausgangs-
punkt bildete unser Konzept von der Mentalisierungsbasierten Pädagogik, die sich
über zwei Semester spannt. In diesen beiden Semestern etablierten wir diese neue
Form von Beobachtung und Reflexion in der Ausbildung von Pflegeberufen. Bald
kam auch der Wunsch in der LeiterInnengruppe auf, dieses Projekt zu evaluieren.
Wir entwickelten einen eigenen Fragebogen, den wir später wieder verwarfen, da
wir keinen internationalen Referenzpunkt an Ergebnissen hatten, und unsere Er-

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XI Conclusio

gebnisse ließen sich damit nur schwer vergleichen. Der Gießen-Test wurde dann
als ein Test mit längerer Tradition ausgewählt, und wir konnten bei diesem auf eine
Vielzahl von Ergebnissen zurückgreifen. Als qualitatives Kriterium haben wir seit
Beginn unseres Projekts die Protokolle der StudentInnen zur Verfügung, die wir tie-
fenhermeneutisch auswerten konnten. Zu Beginn der Kleingruppensitzungen im
dritten und vierten Ausbildungssemester protokollierte eine Studentin die Grup-
pensitzungen, um eine Woche später noch einen emotionalen Bezug herstellen zu
können. Bald stellte sich für uns heraus, dass diese Metaposition der Protokollfüh-
rerInnen eine besondere Form der Außenstellung in der Kleingruppe darstellte und
es uns wichtiger war, sie »in« der Gruppe zu haben, und so gaben wir diese Rol-
le auf. Der Faktor der Zeitbegrenzung und die damit verbundenen Kosten hatten
einen Einfluss auf das Projekt. Die uns zur Verfügung stehende Ausbildungszeit
empfanden wir für einen Entwicklungsanstoß für unsere StudentInnen immer als
zu wenig. Der Wunsch, mehr gemeinsame Zeit zu verbringen, wurde von den meis-
ten StudentInnen und von den GruppenleiterInnen geteilt.
Als nächsten Schritt widmeten wir uns den ersten beiden Ausbildungsse-
mestern, in denen wir eine Selbsterfahrung bzw. Selbstwahrnehmung für unsere
StudentInnen etablieren wollten. Es sollte ein Trainingsprogramm zur Förde-
rung der Wahrnehmung von Gefühlen werden. Die Grundlage dafür bezogen
wir aus den Konzepten der Gewaltfreien Kommunikation von Marshall B. Ro-
senberg, die für unsere Ausbildungszwecke adaptiert wurden (Schoßmaier, 2018,
2019b; Zemann, 2019; Zemann et al. 2015, et al. 2017; Rosenberg, 2009). Für
Rosenberg ist die bedeutendste Anwendung der Gewaltfreien Kommunikation
die Entwicklung der Selbstempathie. Die Fürsorge für sich selbst steht am Beginn
dieses Ausbildungsprojekts.
Um diesen Aspekt der Ausbildung zu integrieren und auch das »Neue« in
unserem Konzept zu unterstreichen, einigten wir uns auf einen neuen Namen
und entschieden uns für »Affektresonanztraining« (ART).
ART III war der nächste Punkt, der ausgearbeitet wurde und sich in einer
fluiden Phase befindet. Er wird derzeit nur von einem Gruppenleiter getragen
und wird als nächster Schritt in der Ausbildung und Weitergabe für Gruppenlei-
terInnen etabliert.
Die Projektgruppe im ART besteht aus einem konstanten Kern, der wieder-
um von verschiedenen AusbildnerInnen, die ein Stück des Wegs mit uns gehen,
beeinflusst und weiterentwickelt wird. Die Leitung des Projekts ist aktuell drei-
geteilt. ART I wird autonom von derzeit zwei Mitgliedern der Forschungsgruppe
entwickelt. ART II und III werden vom Verfasser entwickelt, installiert und
gelehrt. Eine weitere Kollegin ist für die Öffentlichkeitsarbeit und die Implemen-

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1 Die Geschichte des ART-Projektes

tierung an der Ausbildungsstätte maßgeblich federführend und supervidiert die


quantitativen Forschungsmaßnahmen.
Die erste Erprobung dieser Form der Beobachtung und Selbstreflexion fand
im Rahmen von zwei Feldforschungsreisen im Zeitraum von 2009 bis 2010 in
Westpapua statt – eine teilnehmende Bobachtung in der Form, sich treiben und in
den angebotenen Rollen modellieren zu lassen und so ein Verstehen über das Hier
und Jetzt zu bekommen. Gerhard Kubik nannte diese Form der Feldforschung
»Floating« (Kubik, 1987, 2003, 2004, 2007; Reichmayer, 2013). Er griff auf die
Vorstellung der »gleichschwebenden« Aufmerksamkeit zurück, die Techniken der
Ethnopsychoanalyse als eine Form des Verstehens des »Fremden« in und um uns.
Hier verschmelzen »Techniken« der Psychoanalyse und der Ethnologie als
Form von Kultur- bzw. Gesellschaftsverständnis. In unserem Feldforschungspro-
jekt entwickelt sich die Ethnopsychoanalyse als teilnehmende Beobachtung im
relationalen Raum. Die psychoanalytischen »Techniken« wichen hier der inter-
subjektiven Vorstellung von der Konstruktion von Verstehen. Florence Weiss, die
aus der Schweiz stammende Enthnopsychoanlytikerin, entwickelt sich von der klas-
sischen Anwendung der psychoanalytischen Erklärungsmodelle, wie sie sie mit Fritz
Morgenthaler 1984 in Papua anwendete, bis zu einem relationalen Verständnis ihrer
Beschreibung in ihrem 2001 erschienenen Buch Vor dem Vulkanausbruch (Mor-
genthaler et al., 1986; Weiss, 2001). Mit Ethnopsychoanalyse durch relationales
Verständnis zu neuen Erkenntnissen zu kommen, war Ziel dieser Forschungsreisen.

Abbildung 17: Erste Forschungsreise in Westpapua und die Begegnung mit Be-
wohnern eines Lanidorfes (2009).

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XI Conclusio

Die hier gewonnenen Erkenntnisse über die Konstituierung eins Ichs, eines Ver-
ständnisses über das Selbst in der Fremde, bilden eine Entwicklungsgrundlage für
das ART-Projekt.
Zum ersten Mal einer größeren Öffentlichkeit haben wir unser Projekt in
Wien an der AHA-Konferenz »Lernen gestaltet Zukunft« (13. bis 14. April
2012) vorgestellt. Durch die Kleinkindbeobachtung entwickelten wir einen
Zweig unseres Konzeptes in die Richtung »Mentalisieren im elementarpäd-
agogischen Bereich«. Wir konzipierten einen Workshop zur Fragestellung der
Schulung von Reflexions- und Empathiefähigkeit in der Affekt- und Gewalt-
kontrolle. Später erfolgten auch auf internationaler Ebene Präsentationen und
Workshops unseres Konzeptes (Hamburg, 2013, Weimar, 2014, Berlin, 2014,
2015).
ART I wurde ab 2014 als eigenständiges Unterrichtsmodul konzipiert und
ins Ausbildungsprogramm integriert.

2 ART I bis III

Unser Affektresonanztraining hat sich zu einem dreistufigen Ausbildungskonzept


entwickelt. Im ersten Ausbildungsschritt liegt der Fokus auf Selbsterfahrung und
speziell auf dem Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse und Gefühlsreaktionen
in unterschiedlichen Lebenssituationen und der damit verbundenen Lebensnar-
rative.
ARTI(Affektresonanzorientierte,bedürfnisfokussierteSelbstempathie)greift
auf die Konzepte zur Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Marshall B. Ro-
senberg zurück und ist ein Trainingsprogramm zur Schulung von Selbstwahr-
nehmung und Selbstempathie. Die Grundlagen für die GFK stammen aus der
humanistischen Psychologie und der klientenzentrierten Gesprächstherapie nach
Carl Rogers und die Grundannahme von GFK besagt, dass Menschen, bewusst
oder unbewusst, nach der Erfüllung ihrer Bedürfnisse streben und es dadurch in
der Kommunikation zu unterschiedlichsten dynamischen Konstellationen kom-
men kann. Die Absicht, sich seiner Bedürfnisse gewahr zu werden im Sinne von
Selbstempathie, liegt dem Trainingsprogramm von ART I zugrunde. Das GFK-
Modell legt seinen Fokus auf die Gefühls- und Bedürfnisorientierung in der Kom-
munikation und fördert deren bewusste Wahrnehmung in der Begegnung (Hajek,
2019; Zöchling, 2019; Zemann, 2019; Zemann et al., 2015, 2017; Sieberth &
Steinberger, 2013; Steinberger et al., 2013; Schoßmaier, 2017, 2018, 2019a). Af-
fekte werden in Bedeutungen umgewandelt und als Bedürfnisse benannt: »Dieser

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3 Empathie und Enactment

Teil des Trainings soll den Umgang (Reaktion = Resonanz) mit den intensiven,
teils heftigen Gefühlszuständen (= Affekte) erleichtern, indem es darauf fokus-
siert, welche Bedürfnisse hinter diesen Affekten stehen« (Schoßmaier, 2017, S. 5).
Das Training in ART I beruht auf der Durchführung von unterschiedlichen
Übungen, die das »Selbst« in den Fokus der Selbstwahrnehmung stellen, wo-
bei über »Vor-Urteile« und »Bewertungen« reflektiert werden soll. Bedürfnisse
werden im Licht eines gemeinsamen Handelns und des Respekts dem anderen
gegenüber betrachtet und es wird nach Lösungen gesucht. ART sollte einen Pro-
zess anstoßen, der niemals als beendet betrachtet werden kann, sondern sich als
lebenslanger Entwicklungsprozess entfalten und auf einer tiefen individuellen
Ebene persönlichkeitsstrukturierend ablaufen sollte. In verschiedenen Übungen
wird auf das vierstufige Grundmodell des GFK von Wahrnehmung, Gefühl, Be-
dürfnis und Bitte eingegangen. Die Gruppengröße im ART I umfasst zehn bis
zwölf StudentInnen inklusive TrainerIn, die in ihrer Zusammensetzung unver-
ändert bleiben. Das Programm erstreckt sich nach einer Einführungsvorlesung
über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen und stellt die Grundlage für
die beiden nachfolgenden ART-Stufen dar. Die GruppenleiterInnen müssen eine
Ausbildung in Gewaltfreier Kommunikation nach M. Rosenberg als Leitungs-
qualifikation vorweisen und auf ein Repertoire von mindestens zehn Übungen
zurückgreifen können (Schoßmaier, 2017; 2019b).
ART II legt den Fokus auf ein gemeinsames, intersubjektives, relationales,
mentalisierendes Verstehen und Konstruieren von Wirklichkeiten als Kompe-
tenzentwicklung für Empathie.
ART III umfasst die Entwicklung der Fähigkeit zur Nutzung einer intersub-
jektiven, relationalen Supervision und selbstreflektives Verhalten gegenüber den
PatientInnen und KollegInnen darstellen zu können.

3 Empathie und Enactment

Enactment ist nicht mehr als ein Konflikt zu betrachten, der sich in der Begeg-
nung entfaltet und sich als Problem darstellt, das aufgelöst werden sollte, sondern
als ein fluides, permanentes, vorhandenes Phänomen, das sich auf unterschied-
lichsten Energieniveaus abspielt.
Enactment bzw. die Szene, die sich entfaltet, bildet die Grundlage der Em-
pathie. Sie entwickelt sich anhand der Spiegelneurone in den neuronalen Schal-
tungen, und diese können nun zu explizitem Wissen werden oder eine implizite
Reaktion hervorrufen, was sich zum Beispiel als Bindungsverhalten beschreiben

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XI Conclusio

lässt. Konflikt bedeutet in dieser Sichtweise die Notwendigkeit, eine Differenz


als Wahrnehmungsgrundlage zu schaffen. Enactments müssen in dieser Darstel-
lungsweise nicht per se unbewusst sein, sondern stellen einen Ausdruck dar, dessen
Erscheinen gedeutet werden kann. Bewusst oder unbewusst wird durch die Sinn-
zuschreibung einer Handlung bzw. eines Enactments definiert. Die Grundlage
der Sinnzuschreibung bzw. Deutung wird von der Möglichkeit bestimmt, Alter-
nativen bzw. Metaphern erdenken und damit wieder eine Unterscheidung bilden
zu können. Das Enactment bekommt in seiner Bedeutung damit eine Mehrdeu-
tigkeit und somit die Freiheit einer Entscheidungsmöglichkeit, verliert aber auch
den Absolutismus seiner Handlungskraft.
Enactment ist die Zurverfügungstellung meiner inneren Resonanz, die wie-
derum auf meinen affektiven Erfahrungen beruht. Erst mit der Möglichkeit der
Herstellung von Differenz und der damit verbundenen Anerkennung lässt sich
ein Ich kreieren. Das Hier und Jetzt schaffen wir aus der Vergangenheit und
erleben es als Gegenwart, die sich nur durch den anderen darstellt bzw. der an-
dere hat sich in mir durch meine affektiven Erfahrungen aus der Vergangenheit
abgebildet. Das Neue kreieren wir durch die emotionalen Erfahrungen in der
Vergangenheit, und jede Beziehung ist durch Ruptur und Reparation gekenn-
zeichnet, die sich gegenseitig ergänzen, um Erleben gestalten zu können. Beides
umschließt unsere Beziehungserfahrungen und ermöglicht uns erst Beziehung
und die darin inhärente Begegnung. Ruptur erzeugt Differenz zur Gestaltung
einer Vorstellung eines Ichs bzw. von Gefühlen von Identität. Diese Differenz
erleben wir als Ruptur, die sich aus unseren emotionalen Erfahrungen aus der
Vergangenheit speist und uns als ident erleben lässt. In dieser Schnittstelle von
Differenz und Ruptur erleben wir eine Vorstellung von einem Selbst als eige-
ne Person. Diese Schnittstellen beruhen auf einem permanenten Prozess der
Entwicklung von Enactments, die wir als implizite Erfahrung verorten. Die Er-
fahrungen bilden wiederum einen Resonanzboden für unser Erleben und ein
Enactment über den anderen, den wir nur als anderen wahrnehmen, wenn wir
unsere Resonanzen aus der Vergangenheit zur Verfügung stellen und etwas ge-
meinsames Neues (the Third) in der Begegnung anerkennen. Die Bewegung der
Ruptur erstellt für uns die Fähigkeit zum Erkennen durch die Differenz und er-
möglicht uns Erkenntnis. Die Boston Change Process Study Group beschreibt
diese Bewegung der Ruptur »not as the return of a dissociated memory but as
the threshold for the introduction of emergent ways of being that bring forth
new relational possibilities in the dyad« (Boston Change Process Study Group,
2013, S. 730).
Enactments sind als Störfaktor für die therapeutische Begegnung beschrieben

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3 Empathie und Enactment

worden. Hier soll für eine Umdeutung des Begriffs und eine Neuverwendung
argumentiert werden, um auch die Angst vor einem Enactment zu mildern und
die Wirkkraft darin zu erkennbar zu machen. Nicht das Enactment stellt den
Konflikt in seiner Beschreibung dar, sondern die Energie der Differenz und der
Nichtanerkennung führt zu einer Spannung, die wir als Konflikt betrachten,
durch den wir eine Belastung unseres Affekterlebens erfahren. Ist die Spannung
zwischen der Überflutung der bereitgestellten Gefühle und der Differenzerfah-
rung als Nichtanerkennung zu groß, lässt sich keine Erkenntnis daraus gewinnen
und der Affekt bleibt in der Handlungs- und Erlebensebene gefangen.
Der Begriff wurde 1983 von Theodore J. Jacobs beim IPV-Kongress in Ams-
terdam in seinem Beitrag »The analyst and the patient’s object world: Notes
on an aspect of countertransference« in der Öffentlichkeit eingebracht und in
einem weiteren Artikel expliziter ausgeführt ( Jacobs, 1983, 1986). Der Termi-
nus hat viele Wurzeln in unterschiedlichen psychoanalytischen Begriffen und
beginnt sich erst in den letzten Jahren immer eigenständiger und genauer in zwei
divergierende Richtungen herauszukristallisieren. Auf der einen Seite steht die
klinische Ausrichtung der Vermeidung eines Enactments und auf der anderen
Seite die Auffassung dessen unbedingter Notwendigkeit für eine klinische Situa-
tion. Eine weitere Entzweiung der Begriffsbedeutung liegt in der Kontroverse
um die Rolle der Analytikerin oder des Analytikers im Enactment und ihrer
oder seiner aktiven Beteiligung am Entstehen eines Enactments (Bohleber et al.,
2013).
Bohleber et al. formulierten auch aus: »Wir können leicht belegen, dass nicht
alles, was in einer Analyse geschieht, ein Enactment ist. Man könnte beispielswei-
se eine zum richtigen Zeitpunkt gegebene, angemessene und hilfreiche Deutung
als Gegenteil eines Enactments bezeichnen« (ebd., S. 1231).
Enactment stellt nach Karen Maroda die Komplexität zwischen Übertragung
und Gegenübertragung dar. Für sie bedeutet es, einen Übergangsraum zu öffnen,
in dem sich Gefühle von AnalysandIn und TherapeutIn begegnen. Im Gegensatz
zu den meisten AutorInnen betrachtet sie Enactments speziell dort, wo sie sich
als schmerzhafte Gefühle äußern, durchaus als bewusstes Erleben (Maroda, 1998,
2012, 2018).
Hirsch betrachtet Enactment als »a living out of affective experience, usually
by both parties in the analytic dyad, within the strict boundaries of the analytic
frame«. Er beschreibt das Enactment als ein »acting out« von beiden Beteiligten
in der Begegnung und als »a violation of the frame« (Hirsch, 1994, S. 172). Er
sieht es, wie die meisten AutorInnen, als eine Störung des Behandlungsprozesses,
der aber beidseitig stattfindet und nicht nur von den PatientInnen ausgeht. Die

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XI Conclusio

Unterscheidung zur projektiven Identifikation wird durch die Stimulierung von


starken unbewussten Affekten und deren Ausdruck bestimmt. Die Handlungs-
bereitschaft und die hohe Emotionalität werden dem Begriff des Enactments
zugeschrieben (Maroda, 1998).
Im Gegensatz dazu steht die Auffassung, dass das Enactment jede Form
des Ausdruckes annehmen kann, von Stille bis Handlung. Es bleibt in seiner
Ausdrucksform im Unbewussten und kann erst später in einer reflektierten
Form Geltung erlangen. Es bleibt aber als negative Konnotation des analy-
tischen Diskurses in der Diskussion (Richards et al., 1997). Die Diskussion
dreht sich in der Literatur um die Frage: Welchen Anteil am Enactment ha-
ben die Beteiligten in ihrer Begegnung, und wird Enactment somit zu einer
Verantwortungsfrage dieses noch immer negativ betrachteten Agierens in der
Beziehung?
Das Enactment ist für Maroda »motivated by the mutual stimulation of
strong affect, with both persons usually stating that they felt out of control, or at
least felt something come over them that was mysterious and powerful« (Maro-
da, 1998, S. 519). Sie betrachtet es als einen Kontrollverlust von PatientIn und
AnalytikerIn, in dem etwas »Mysteriöses« passiert. Der Verfasser argumentiert
für eine neue Formulierung dieses Enactmentsbegriffs, um ihn für ein Phänomen
zu verwenden, das primär Begegnung ausdrückt und sich als dynamisches, fluides
Ereignis beschreiben lässt.
Maroda formuliert weiter: »Enactment is an affectively driven repetition of
converging emotional scenarios from the patient’s and the analyst’s lives. It is not
merely an affectively driven set of behaviors, it is necessarily a repetition of past
events […]« (Maroda, 1998, S. 520). Ihr ist in dieser Formulierung absolut zu-
zustimmen. Wo der Verfasser nicht mit ihr d’accord geht, ist in der Zuspitzung
des Begriffs von der Wiederholung nicht verarbeiteter Emotionen, die somit im
Unbewussten verankerte Affekte darstellen.
Enactment ist nicht nur eine Wiederholung von unaufgearbeiteten Gefüh-
len aus der Vergangenheit beider Beteiligter, sondern es ist die Grundlage der
Begegnung zwischen zwei Menschen. Wir können nur von unserem Erlebten
ausgehen und das in die Begegnung einbringen. Erst das Neue, das sich als Mys-
terium entfaltet, dient wiederum zur Differenz meiner Vergangenheit und lässt
mich Neues erschaffen bzw. erfühlen. Enactment beschreibt in dieser Definiti-
on einen permanenten Prozess, der sich in jeder Begegnung entfaltet. Levenson
schreibt: »[E]nactment is a continuous and ubiquitous process, being the be-
havioral component of what is being talked about. In other words, what is being
said is simultaneously being shown« (Levenson, 2006, S. 322). Er beschreibt

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3 Empathie und Enactment

damit die Grundlage unserer Empathiefähigkeit und den Ausdruck und die
Anerkennung meines Gegenübers sowie die Vorstellung, eine eigene leibliche
Person zu sein. Die Veränderung einer therapeutischen Begegnung entfaltet sich
in diesem Prozess der Rythmizität, zwischen mich ins Spiel über die Erfahrung
meiner Vergangenheit zu bringen, mit meinem Gegenüber Neues an Realität zu
kreieren, sich von der Vergangenheit zu lösen und somit das Neue bzw. damit
mich und mein Gegenüber anzuerkennen. Wenn sich dies in eine reflektierte
Erkenntnis einbetten lässt, entfaltet sich neues und vitales Erleben. Mitchell
schreibt:

»The analyst discovers himself a co-actor in a passionate drama involving love and
hate, sexuality and murder, intrusion and abandonment, victims and executioners.
Whichever path he chooses, he falls into one of the patient’s predesigned categories
and is experienced by the patient in that way. The struggle is toward a new way
of experiencing both himself and the patient, a different way of being with the
analysand, […]« (Mitchell, 1988, S. 295).

Das Drama lässt sich nur gemeinsam darstellen und umfasst die Vitalität des
Lebens. Ob ein Weg heraus gewählt wird, liegt am »new way«, der sich nur
am neuen Erleben darstellen und sich als Vorstellung »being with« erfühlen
lässt.
Enactment stellt kein Drama aus der Tiefe dar, sondern ist die notwendige
Voraussetzung für die Herstellung einer Begegnung und entfaltet sich im Hier
und Jetzt. Das Dramatische wird durch die Wucht der Gefühle erlebt und nicht
durch die »Inszenierung« bzw. das Enactment.
»Too little enactment leads to stagnation; too much leads to premature ter-
mination, impasse, or unacceptable acting out« (Maroda, 1998, S. 521). Ohne
Enactment kommt es zu einer Stagnation und zu einem chronischen Verhalten
in der Therapie. Weiters schreibt sie: »Enactment is a dynamic, naturally occur-
ring manifestation of the transference and counter-transference merging into a
living entity, making the past alive in the present. This mix will always include
some element of re-creating the analyst’s past« (ebd., S. 530). Sie betrachtet das
Enactment als ein natürlich vorkommendes Phänomen, das zu einem Lebewesen
dazugehört. Der Verfasser stimmt ihr damit vollkommen zu, betrachtet es aber
nicht als etwas, das negativ und störend konnotiert ist, sondern als absolute Not-
wendigkeit zur Empathiefähigkeit und damit als Grundlage für die Begegnung
und die Fähigkeit zur Mentalisierung.
Die Boston Change Process Study Group hat sich ebenfalls dem Phänomen

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XI Conclusio

des Enactments genähert und eine neue Konzeptualisierung versucht. Die For-
scher stellten sich die Frage nach der Bedeutung des Enactments im dyadischen
Behandlungsprozess, der Reaktion des Therapeuten oder der Therapeutin auf
dieses Phänomen und wie die Beziehung zwischen Veränderung und Enactments
aussieht. Sie formulieren Enactment als Schwellenphänomen mit der Möglichkeit
eine neuer Beziehungserfahrung: »We understand that moment not as the return
of a dissociated memory but as the threshold for the introduction of emergent
ways of being that bring forth new relational possibilities in the dyad« (Boston
Change Process Study Group, 2013, S. 730).
Der Verfasser schließt sich dieser Vorstellung an, betrachtet aber das Enact-
ment nicht als ein Eingebettetsein in der Begegnungsdyade, sondern als Spange,
die sich darüber schließt und somit eine genauere Ausformulierung bezüglich
dessen, was sich darin abspielt, benötigt. Enactments sind nicht im Prozess ein-
gebettete Ereignisse, wie sie auch von der Boston Change Process Study Group
betrachtet werden, sondern beschreiben den Begegnungsprozess in all seinen
lauten und auch leisen Tönen in einem nichtlinearen Behandlungsprozess. Unter-
brechungen, Rupturen und Angleichen sind ein permanent auftretender, rhyth-
mischer Prozess, der sich auf unterschiedlichen impliziten und expliziten Ebenen
vollzieht. In der Literatur wird Enactment meist verwendet, wenn die Schwelle
vom impliziten zum expliziten Erleben überschritten wird.
Die Boston Change Process Study Group geht weiter davon aus, dass sich
kleine oder überschaubare umgrenzte Ereignisse als dramatische Verstärker für
Veränderungsprozesse herausstellen. Der Verfasser argumentiert dafür, dass sich
dramatische Ereignisse erst in der Überschreitung eines expliziten Erkennens er-
denken lassen und für Prozesse im Sinne von Enactments permanent in einem
fluiden Prozess nicht nur da sind, sondern sie erst ermöglichen. Es entfalten sich
nicht dissoziative Prozesse im Enactment, sondern diese sind notwendig, um
überhaupt Begegnung zu ermöglichen. Die Dissoziation ist ein notwendiges Phä-
nomen, um eine Struktur von Verschiedenheit und damit eine Vorstellung von
Getrenntheit bzw. von zwei Lebewesen erzeugen zu können. Entgleitet dieser
fluide Prozess der fragilen Regulation zwischen Ruptur/Dissoziation und Gleich-
heit und überwiegt eine Seite, so erleben wir das als dramatische Darstellung und
betrachten es als Enactment. Um eine Nähe in der Begegnung bzw. ein empathi-
sches Verstehen erleben zu können, brauchen wir unsere Vergangenheit und die
darin eingebetteten Erfahrungen und abgespeicherten Beziehungsmuster. Dann
müssen wir ein Erleben von Dissoziation gestalten, um sie in einer Ruptur zu
verorten, um eine Differenz zwischen mir und dem anderen herstellen zu kön-
nen. Die Dramatik einer Begegnung und die damit mögliche Überflutung durch

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3 Empathie und Enactment

Gefühle würde ich auf einem Energielevel verorten, der sich so stark ausprägen
kann, dass die Energie sich in einer erkennbaren Handlungsebene manifestiert
oder impulshaft hervorbricht. Die körperliche Ebene ist immer in unserer Kom-
munikation eingebettet, von mimischen, impliziten Gesten bis zu dramatischen
Handlungen (Streeck, 2009).
Im Träumen erleben wir diese Szenen von Begegnung und brauchen kein
Gegenüber, da wir es als Beziehungserfahrung in uns erleben und als mögliche
Fantasien für zukünftige Begegnungen zur Verfügung haben. Dieser Prozess fin-
det unterhalb einer Schwelle statt und wird diese durchbrochen, binden wir das
Enactment an Bilder, die durch Träume erlebt werden, oder es kommt zu einer
Diskontinuiät bzw. Ruptur, die uns erwachen läßt: »From a nonlinear dynam-
ics perspective, these exchanges may have been occurring beneath a threshold
of organizational complexity at which small quantitative increases eventuate in
qualitative discontinuities and the development of new levels« (Boston Change
Process Study Group, 2013, S. 734).
Die Forscher argumentieren hier für die quantitative Perspektive, die zur
Überschreitung einer Schwelle zum Wahrnehmbaren führt. Freud sagte dazu:
»Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör ver-
schafft hat« (S. Freud, 1927c, S. 377). Wenn wir das Hören des Leisen dem
des Dramatischen gegenüberstellen, so ist die Erkenntnis, dass es nicht gilt, Un-
bewusstes bewusst zu machen, sondern als TherapeutIn eine Feinfühligkeit zu
erlangen, die es einem ermöglicht, von der dramatischen Wahrnehmung zur fein-
fühligen Wahrnehmung zu gelangen und somit mehr Implizites in Explizites zu
verwandeln. Verwandeln wir unsere Vergangenheit nicht, so bleibt sie als Nicht-
Anerkennung im Hier und Jetzt. Je feinfühliger wir uns erleben, desto reicher
erleben wir uns in der Begegnung mit anderen Menschen, desto mehr Expli-
zites lässt sich durch die Differenz gewinnen. Die Bewegung zur Differenz ist
die Generierung von Autonomievorstellungen und Gefühlen von Identität. Vie-
le EntwicklungspsychologInnen berichten von Desorganisationen im Verhalten
des Kindes, bevor es zu Entwicklungsschüben kommt (Boston Change Process
Study Group, 2013; Brazelton, 2006). Die Desorganisation ist ein Ereignis der
Differenz und dient zur Implementierung einer selbstständig zu erfahrenden Vor-
stellung eines Könnens und somit einer Vorstellung von sich selbst und wird nun
vom Kind als Fähigkeit für sich verortet.
Enactment lässt sich als Prozess darstellen, in dem sich viele Phänomene ab-
spielen und der als elementar für unser Zusammensein zu verstehen ist oder als
eine kurze, auftauchende Sequenz in einem komplexen Mechanismus von Begeg-
nung.

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XI Conclusio

Abbildung 18: Enactment entläuft ent-


lang einer quantitativen Ausdrucksli-
nie und bezeichnet die Schwellenüber-
schreitung vom impliziten zum explizi-
ten Wahrnehmen (eigene Darstellung).

Um Empathie erleben zu können, brauchen wir den Zugriff auf viele Beziehungs-
repräsentationen, die wir in der Begegnung zur Verfügung stellen und die wir
durch Ruptur bzw. Differenz zur Unterscheidung von uns und dem anderen füh-
ren (Reis, 2010; Sander, 2009). Diese Beziehungsrepräsentationen stehen uns
nicht als explizite Erfahrung zur Verfügung, »memory takes an implicit form
that is expressed nonconsciously as an embodied tendency toward patterned ac-
tivity« (Boston Change Process Study Group, 2013, S. 738). Es handelt sich
nicht um ein mentales Phänomen, sondern repräsentiert »the dyadic history of
an individual in relation« (ebd.).
Diese impliziten Körpererinnerungen sind fluide, können sich im Sinne eines
Gadamer’schen Zirkels bei jeder Begegnung neu gestalten und unterliegen da-
durch einem zyklischen Geschehen, einer permanenten Veränderung bei »present
moments« (D. N. Stern, 2004) und den daraus möglichen Erfahrungen einer Neu-
gestaltung. Diese enaktiven Beziehungsrepräsentationen sind nicht nur maßgeblich
am Umgang mit anderen Menschen beteiligt, sondern sie stellen die Voraussetzung
dafür dar, wie ich mich und andere wahrnehme und welche Formen von Empathie

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4 Enactment und Konflikt

und daraus folgende Erlebens- bzw. Handlungsinterpretationen ich ableite. Diese


körperlich verorteten Repräsentationen bilden meinen Resonanzboden zur Inter-
pretation meiner »Welt« und deren Verortung darin. In anderen Worten: »[W]e
think dyadically and systemically about the self as an intersubjectively open system
continually in the process of forming larger and more complex systems in interac-
tion with others« (Boston Change Process Study Group, 2013, S. 739).
Die Psyche ist in sich ein inhärentes, relationales System, das heißt, sie ist im-
mer in Beziehung mit sich und anderen. Sie bildet einen permanenten Austausch
zwischen einer rhythmischen Gestaltung von Angleichen, Vergleichen und Dif-
ferenz, eingebettet in ein System von expliziter und impliziter Wahrnehmung,
aus der sich Erkenntnis entfaltet. Dissoziation im Sinne von Abspaltung, wie sie
in der relationalen Psychoanalyse konzipiert wird, beruht auf einem Phänomen
der Überflutung und des Zurückhaltens zwischen einer expliziten und einer im-
pliziten Grenze. Der Begriff der Struktur entfaltet sich auch an der Schnittstelle
zwischen implizitem und explizitem Ausdruck bzw. dessen sichtbarer Gestalt. Ex-
plizit und implizit lassen sich ebenfalls als differente Ausdrucksformen erdenken,
wobei sich Denken auf der expliziten Ebene entwickelt und körperliche Reso-
nanzen sich im Impliziten entfalten. Diese aber wiederum bringen sich in einer
Pendelbewegung zum Ausdruck und der Begriff psychische Struktur bezieht sich
auf die Affektivität bzw. Dramatik des Erlebens. Bewusstsein erlangt damit kei-
ne Bedeutung für die Veränderung einer Struktur, sondern umfasst sprachlich
die Form der Erkenntnis, die sich daraus gewinnen lässt. Veränderung generie-
ren wir durch Differenz zu alten Erfahrungen auf unterschiedlichen Ebenen,
körperlich wie mental. Auch die Beobachtungen der BindungsforscherInnen pas-
sen sich diesen Vorstellungen von Differenz und Verbundenheit gut an. Die
explorative Phase kann als Differenzphase betrachtet werden und vice versa. Das
Mentalisierungskonzept lässt sich ebenfalls gut in dieses Gesamtgefüge einord-
nen als ein Phänomen von Erkenntnisgewinnung über eine kognitive Fähigkeit
der Sinngenerierung durch die Erkenntnis von Differenziertheit und damit der
Anerkennung von unterschiedlichen »minds«.

4 Enactment und Konflikt

Viele AnalytikerInnen stellen das Enactment als eine andere Bezeichnung für
Konflikt dar, bei der der Konflikt behandelt werden muss und beiden Beteiligten
aus einer Form von Kontrolle entgleitet. Enactment wird primär als Belastung für
die AnalytikerInnen erlebt und als Überflutung eines unbewussten, bereits länger

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XI Conclusio

vorhandenen Konflikts in einer Beziehung betrachtet. Die Wurzeln des Konflikts


beruhen auf vorhandenen Unterschieden in der Beziehung. Maroda beschreibt
den Ursprung dieses Konflikts folgendermaßen: »[D]ifferences emerge due to
the asymmetry and power relations between analyst and patient; in sexual tension;
in differing values based on culture, sexual orientation, socioeconomic status, age
and gender; in integrational competition, or in some perceived slight or insensi-
tivity« (Maroda, 2018, S. 159). Mit ihr ist in der Vorstellung der Differenz als
Form des Enactments als die zweite Seite eines fluiden Systems d’accord zu gehen.
Der Konflikt entsteht aus dem Nicht-Aushalten einer Differenz zwischen beiden
Beteiligten, die mit negativen Gefühlen konnotiert wird. Es stellt sich hier die
Frage, welche Form an Grenze überschritten wurde, sodass die Differenz nicht
mehr gehalten werden kann und sie als Konflikt erscheint.
Vielleicht geht eben auch das Gegengewicht des Haltens im Sinne einer Sym-
biose und Gleichsein verloren, und die Autonomievorstellung pendelt zu stark
in eine Richtung. Der Konflikt wird unterschiedlich wahrgenommen, jeder emp-
findet einen anderen Level von Reibung als die Möglichkeit, etwas in Sprache zu
heben. Es muss auch ein Spannungslevel überschritten werden, um sich auf den
expliziten Ebenen zu erkennen zu geben. Die Vorstellung eines dualistischen Sys-
tems des sadomasochistischen Phänomens lässt sich in dieser Pendelbewegung
gut einfügen und auch die sexuelle Komponente tritt in der Form der Erregungs-
überschreitung zutage (Bader, 1993).

5 Enactment vonseiten der StudentInnen

Die Bedeutung der Berufswahl lässt sich durch unsere Vergangenheit erschließen.
Aus persönlichen Erfahrungen mit den Familienmitgliedern bringen viele Stu-
dentInnen auf der impliziten Ebene Beziehunsgregulatorien mit, die sich in der
Begegnung mit PatientInnen entfalten und somit eine mögliche Grundlage für Re-
sonanz und die damit entstehenden rhythmischen, fluiden Bewegungen darstellen.

»For many colleagues the experiences in childhood and adolescence of being an


empathic listener to parents or other family members has played a role of impor-
tance in their choice of vocation. It is not a rare occurrence for the memories of these
experiences to be evoked in the analytic situation. Then silently, outside of aware-
ness, the analyst’s usually valuable empathic responses may contain enactments of
those memories – enactments which, subtly, can alter and distort his perceptions
and understanding« ( Jacobs, 1986, S. 297).

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6 Die Bedeutung von ART für das Lernen und die Lehre von Empathie in sozialen Berufen

Menschen in Sozialberufen werden oft als empathisch erlebt, vermutlich sind sie
von ihrer Herkunftsfamilie zu einer konfliktvermeidenden Rolle bestimmt wor-
den. Personen, die in einen sozialen Beruf gehen, kennen die Regulierung von
Enactments in ihrer Familie, starke Gefühlswallungen in regulatorischem Sinne zu
bewältigen, sich vor den Emotionen anderer Familienmitglieder zu schützen, um
nicht von einem falschen Selbst in Beschlag genommen zu werden (Maroda, 2010,
2018). Die Strategien, die sie in ihren Herkunftsfamilien zur Konfliktvermeidung
angewendet haben, sind der erste Schritt zum Laienhelfer oder zur Laienhelferin.
Bei starken Emotionen in der Begegnung mit den PatientInnen werden oft diese
Ängste vor Überflutung der entstehenden Emotionen wieder reinszeniert. Helfen
bedeutet in diesem Sinne, sich den Wiederholungen der Vergangenheit und der
Heilung durch Überleben eines Konflikts zu stellen. Wir sind auf der Suche nach
der Erkenntnis unserer Vergangenheit, die wir als Veränderungspotenzial in die Be-
gegnung mit einbringen. Helfen birgt die Wiederholung unserer Erfahrungen als
Baustein, den anderen zu verstehen, auf ihn einzuwirken und doch zu erkennen, dass
wir etwas Neues kreieren. Wenn wir von PatientInnen verlassen werden, Verluster-
fahrungen wieder erleben, empfinden wir das oft als Scheitern und erleben uns in
einem Gefühl von Versagen. Helfendes Handeln ist nicht nur die Reinszenierung
unserer Vergangenheit, sondern die Aufrechterhaltung eines fluiden, dynamischen
Zustands, der sich entwickeln kann und uns zu neuen Erfahrungen mit den Pati-
entInnen führt (Klein, Bernard, Schermer, 2011; Rønnestad & Skovholt, 2013).
Der Verfasser hat hier seine Vorstellung über die Bedeutung des Begriffs
»Enactment« in die Metapher »Begreifen« eingebettet. Etwas ergreifen, in den
Mund stecken, es erfühlen, führt uns zum Verstehen eines großen Bildes, und wir
sind berührt, wenn wir uns in einem gemeinsamen Erkenntnisweg begriffen bzw.
verstanden fühlen.

6 Die Bedeutung von ART für das Lernen und die Lehre
von Empathie in sozialen Berufen

Am Ende unserer Reise steht die Befähigung, sich und anderen einen Wert beimes-
sen zu können – oder anders formuliert: sich und andere zu lieben. In der Literatur
finden sich wenige Beispiele für die Bedeutung von zärtlicher Zuneigung zu den
PatientInnen. Primär werden Faktoren wie aggressive und sexuelle Gefühle in der
Begegnung diskutiert. Wenn TherapeutInnen solche Gefühle gegenüber PatientIn-
nen empfinden, scheint es leichter zu sein, mit diesen Emotionen zu arbeiten, sie
in der Beziehung mit den PatientInnen denken zu können. Wärme, Offenheit und

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XI Conclusio

Zuneigung hingegen scheinen Gefühle zu sein, die nicht zugelassen werden dür-
fen bzw. nur marginal in der Literatur zur Diskussion gestellt werden. Archaische
Gefühle können in der Begegnung leichter von der Bedeutung einer Person dis-
soziiert werden, im Gegensatz dazu werden Gefühle von Wärme und Zuneigung
als bedrohlich erlebt und sofort mit dem Diktum einer narzisstischen Bedürf-
nisbefriedigung vonseiten des Therapeuten oder der Therapeutin gegenüber den
PatientInnen belegt. Diese Gefühle scheinen mehr zu umschließen als Aggression
und Sexualität, hier geht es um Anerkennung, dem anderen Bedeutung zuschrei-
ben zu können und auch eine Form von Zärtlichkeit zu empfinden, indem ich dem
anderen eine Resonanz zur Verfügung stelle und ihn somit in mir aufnehme.

»No one can cure another if he has not a genuine desire to help him; and no one can
have the desire to help unless he loves, in the deepest sense of the word. I certainly
do not wish to fall into psycho-analytic pseudo-evangelism« (Nacht, 1962, S. 210).

Sacha Nacht stellt der Liebe ein Gefühl gegenüber, das er als inauthentisch
betrachtet. Freud vertrat sehr vehement die Regel der Ehrlichkeit der Analyti-
kerInnen und damit einhergehend ein Gefühl von Authentizität in der Begegnung
mit ihren PatientInnen.
Authentizität fließt als Grundhaltung über die Entwicklung der PatientInnen
in ihr Leiden ein und bestimmt den Erfolg oder Misserfolg der Heilung durch
meine Haltung (Shaw, 2018; Nacht, 1962). Empathie bedeutet auch, seinem Ge-
genüber eine Beziehungserfahrung repräsentieren zu können und damit einen
Prozess der Veränderung anzuregen (Fosshage, 1992). Diese Repräsentanz setzt
Liebe und Respekt gegenüber der und dem Einzelnen und deren individueller
Entwicklung voraus (Loewald, 1986). Verstehen, beruht auf den eigenen impli-
zitem Erfahrungen eine geliebte Person zu sein: »In seeking to understand the
person before me, I assume that experiences of loving and being loved are either
figure or ground at any given point in the analytic process« (Shaw, 2018, S. 211).
Das Verstehen eines Gegenübers beginnt für Shaw mit einer Vorstellung von
dessen Liebesfähigkeit und seiner Fähigkeit, geliebt zu werden, und ist somit ent-
scheidend für ein Gefühl von Vitalität und davon, sich authentisch in seinem
Selbstwertgefühl zu erleben (Shaw, 2018; Mitchell, 1993). Die Definition der
pflegerischen, therapeutischen, analytischen Liebe abseits einer Beantwortung
von Übertragungsliebe, die als nicht »real« eingestuft wird, stellt sich als schwie-
rig heraus.
Loewald definiert die Form der Liebe, die er für die analytische Behandlung
beschreibt und die sich von einer ausnutzenden, missbrauchenden Bedürfnisbe-

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6 Die Bedeutung von ART für das Lernen und die Lehre von Empathie in sozialen Berufen

friedigung abhebt, gekennzeichnet durch den Respekt, der vorherrscht und der
beide Beteiligten leitet. Individualität entfaltet sich, um den anderen als eigen-
ständiges Wesen anzuerkennen und ihn nicht für eine narzisstische Erweiterung
des eigenen Selbst zu gebrauchen (Miller, 2008; Loewald, 1986).
»Loewald’s phrase ›love and respect‹ implies a sense of awe and reverence
for human potential« (Shaw, 2018, S. 211). Liebe bedeutet im Sinne von Loe-
wald, dem anderen und auch sich in der Begegnung ein Entwicklungspotenzial
als innere Haltung zuzutrauen, eine Fähigkeit, sich gemeinsam auf einen Verän-
derungsprozess einzulassen.
Ein weiterer wichtiger Punkt zur Definition der Liebe in der Begegnung mit
dem anderen ist die Fähigkeit, Sicherheit zu vermitteln. Eine Asymmetrie, in
der es eine Sicherheit für das Respektieren von Grenzen als eine Form von Ent-
haltsamkeit gibt, oder das Bewusstsein, der eigenen Bedürfnisse als BehandlerIn
gewahr zu sein und somit eine Haltung von unüberwindbarer Differenz auszu-
strahlen (Aron, 2016). Eine Haltung von Differenz eröffnet die Bereitschaft für
Empathie und Gefühle, die von Respekt getragen sind: »I would hope that our
predominant feelings would include respect, understanding, acceptance, empa-
thy, admiration, caring, the sincere wish for the other’s happiness and fulfillment,
and love« (Shaw, 2018, S. 212).
Sich in dieser Form von Respekt und Akzeptanz begegnen zu können, ist eine
Form von Erfahrung, die sich in der Begegnung mit anderen entfaltet und entwi-
ckelt. Erfahrungen werden als Bedeutung und sinnstiftend in uns verinnerlicht und
führen zu einer Traumatisierung oder zu einer Entwicklung. Respekt in der Begeg-
nung beruht auf der Vermittlung von Authentizität und damit der Fähigkeit einer
empathischen Einstummung: »I contend that any authentic analytic engagement
will necessarily include a fluid, oscillating, often simultaneous use of the analyst’s
capacity for empathic attunement as well as his skill in negotiating intersubjective
difference as a means of reaching mutual recognition« (Shaw, 2003, S. 274). Dif-
ferenz und darüber Unterschiede auszuhandeln, eingebettet in einem fließenden,
oszillierenden Prozess, ist für Shaw die Grundlage zur gegenseitigen Anerkennung.
Roy Barseness arbeitet in seiner Studie über relationale Kompetenzen ver-
schiedene Aspekte heraus, um diese in einer für ihn und sein Forschungsteam zur
Kernkompetenz in der relationalen psychoanalytischen Behandlung als »core
competency: love« zusammenzufassen. Er erwähnte auch, dass sich viele Studi-
enteilnehmerInnen mit dem Wort Liebe unwohl fühlen, aber ungeachtet dieser
Bedenken fand er in den Interviews von erfahrenen TherapeutInnen keine an-
dere Definition für das, was sie als essenziell für die Behandlung zum Ausdruck
bringen wollten (Barsness, 2018).

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XI Conclusio

7 Forschungsergebnisse und Resümee

Bei einer Draufsicht auf die Ergebnisse der quantitativen und der qualitativen
Forschung lässt sich auf eine Bedeutung von den Phänomenen der Haltung rück-
schließen. Das Halten, wie sich aus den quantitativen Ergebnissen ablesen lässt,
geht über die einzelne Person hinaus und manifestiert sich in den Ergebnissen
in der Unterschiedlichkeit von Ausbildungsinstitutionen und deren »Kultur«,
die dort gelebt wird. Die Bedeutung des Gemeinschaftsgefühls spiegelt sich als
zentrales Leitmotiv der Gestaltung einer psychischen Welt in den Ergebnissen
wider. Gibt es eine Community, in der sich abseits einer konkretistischen Welt-
sicht Wertschätzung für eine nicht sichtbare Welt abzeichnet, so entfaltet sich in
den StudentInnen eine Welt von psychischem, mentalisierendem Verstehen von
sich und dem anderen. Empathie und Haltung sind eng miteinander verknüpft,
entfalten sich über die einzelne Person hinaus und erlangen eine Bedeutung in
einem intersubjektiven Gefüge eine Bedeutung.
Vermutlich werden andere Einflüsse, die sich auf institutioneller bzw. gesell-
schaftlicher Ebene zum Ausdruck bringen, Einfluss auf unser Verständnis von
Reflexion, Selbstwahrnehmung und Empathie haben.
Die qualitativen Forschungsergebnisse unterstreichen auf sehr eindrückliche
Weise, wie sich Empathie, Reflexion und Haltung als bedeutungsvolle Entwick-
lungsfaktoren in uns entfalten und die Intersubjektivität sich auf diesen Phäno-
menen von innerpsychischem Geschehen, das sich nur durch Intersubjektivität
entwickelt, darstellt.
Der Interpretationsprozess der Protokolle wirft neue Fragen auf bezüglich
Erkennen von Konzepten über Haltung, Dasein, Hören, Empathie, Sensibilität,
Resonanz, Komplementarität und Thirdness.
Lassen sich Phänomene nur sehen, wenn es Worte dafür gibt? Braucht es Wor-
te, um eine Theorie des Psychischen als Metapher zu beschreiben, oder braucht
es das Sehen, um daraus eine Theorie zu formulieren?

8 Ausblick auf Forschung und Ausbildung

Die StudentInnen sollten durch das ART-Programm einen Anstoß für ihre wei-
tere Entwicklung erfahren und eine Vorstellung über ihre Beteiligtheit in der
Begegnung mit sich und anderen erhalten haben; außerdem eine Sicherheit über
ihr Tun und Handeln gewinnen, die sie zu einem Gefühl von Autonomie und
Selbstwirksamkeit führen soll. Sie sollten eine Lust an der psychischen Welt von

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8 Ausblick auf Forschung und Ausbildung

sich und anderen und einen besseren Zugang über Vorstellungen von sich selbst
entwickeln. Die Studierenden sollten tolerant gegenüber Gefühlen der Scham
und der Fehlbarkeit sein und dadurch eine Freude zur Verantwortungsübernahme
entwickeln; sich sinnvoll in Beziehung begeben und eine gemeinsame Bedeutung
über den Moment der Veränderung entwickeln können; eine Vorstellung über
ihre Liebesfähigkeit und deren Wirkung haben, sich und den anderen großzügig
gegenüber sein.
Es braucht eine neue Perspektivensetzung in der Ausbildung der nächsten
Generationen, weg von der kognitiven Bedeutung hin zur Entwicklung von
seelischen Bedeutungen und neuen Formen des psychischen Verstehens. Wir le-
gen großen Wert auf technischen Fortschritt, ein Streben nach Veränderung im
kognitiven Erleben. Weniger Bedeutung messen wir unserer psychischen Ent-
wicklung bei, bleiben bei überholten Entwicklungsmodellen. Erklärungen zu
Gewaltphänomenen, Geschlechterrollen und deren Bedeutung harren einer wei-
teren Entwicklung. Ein kreativer Boden für kommende Generationen liegt in der
Haltung und im psychischen Verstehen. Die derzeitige gesellschaftsbestimmende
Generation überflügeln, mit Generosität sich dieser Entwicklung stellen und die
eigene Demut der psychischen Rohheit akzeptieren – dann lösen wir uns von der
Kontrolle unserer nächsten Generationen, betten uns in Vergänglichem und Zu-
künftigem ein und erleben durch unser Loslassen eine Wirksamkeit des Lebens.
Das Leben entfaltet sich in einer gegenseitigen Verwiesenheit in einem intersub-
jektiven Feld über Generationen hinweg.
Der Paradigmenwechsel in der interpretativen Sozialforschung sollte sich
stärker in der Anerkennung der Bedeutung von gemeinsam kreierten For-
schungsergebnissen manifestieren. Wenn wir die SchreiberInnen von Texten
und deren Hintergrund berücksichtigen, erreichen wir ein anderes Verstehen
der Wirklichkeit und lösen somit das Descart’sche Denken in unserem wis-
senschaftlichen Selbstverständnis ab. Realitäten entfalten sich im Konstruieren
einer intersubjektiven Welt in einem anderen Selbstverständnis und führen
dadurch die SchreiberInnen als reale Personen in ihr Werk ein. Verallgemeine-
rungen beruhen auch auf dem kulturellen und psychischen Hintergrund der
SchreiberInnen. Unser derzeitiges Wissenschaftsverständnis löst sich von der
Person und versucht, deren Gedanken und Theorien zeit- und ortsunabhän-
gig darzustellen. Um einen Text im intersubjektiven Sinne zu verstehen, ist es
wichtig, sich als LeserIn und die eigene Verfasstheit mitzudenken und auch
sich als fluides Wesen zu verstehen, indem jede neue Beschäftigung mit einem
Text neue Gedanken und somit ein neues Verstehen des Textes generiert. In die-
sem Wissensschaftsverständnis gibt es keine Wahrheit, sondern eine mögliche

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XI Conclusio

Erkenntnis durch Auslegung, die eingebettet ist in Wahrnehmung und Bewusst-


sein (Müller, 1996).
Zum Abschluss noch die Worte einer Studentin, die das ART-Projekt in sei-
ner Bedeutung für die Ausbildung verdichtet zum Ausdruck bringen:

»Führe meine Sachen aus und versuche, bei den PatientInnen sehr präsent zu sein.
Nachdem ich in der Schule bei ART richtig Dampf abgelassen habe, weil ich schlicht
und ergreifend schon so urlaubsreif war, stelle ich mich ganz bewusst auf den letzten
Dienst ein und habe wirklich einen wunderschönen, sehr herzlichen und aufmerk-
samen letzten Arbeitstag. Die Stationsschwester-Stellvertretung meint, sie könne
sich mich gut vorstellen im Team und man merkt, dass ich sehr gut mit Menschen
umgehen kann. Ich denke immer noch über das ›Berührt werden‹ in der Pflege
nach, das wir in ART besprochen haben und frage mich, ob das nicht die Quintes-
senz ist. Vielleicht hatte sich so viel Wut in mir aufgestaut, da wir keine Möglichkeit
hatten, über unsere Ängste und Erfahrungen, über unsere Erlebnisse zu sprechen.
Vielleicht habe ich auch gemerkt, dass meine Batterien leer werden und ich sie auf-
laden muss, aber meine Arbeit immer noch ganz aufmerksam und wertschätzend
machen möchte, dabei ging mir beinah der Atem aus. Ich bekomme Umarmungen
und Busserl und denke mir plötzlich, vielleicht wäre die Orthopädie doch ein guter
Ort für mich, und ich gehöre doch nicht auf eine psychiatrische Station. Vielleicht
gehöre ich auch ganz woanders hin. Irgendwie ist alles im Außen gut, wenn es in-
nen gut ist. Wenn man ehrlich und authentisch mit sich und der Umwelt ist und
bleibt«

Diese Zeilen verleihen unserem Projekt Sinn, ich fühle mich davon sehr berührt
und erlebe mich eingebettet in einem Erleben von Bedeutung, spüre ein Selbst,
dessen Sinn über eine eigene Vorstellung hinausreicht. Das Bereicherndste für
mich an diesem Projekt war meine Entwicklung, die mir die StudentInnen er-
möglichten – jede Begegnung mit ihnen ist eine Reise zu mir, in der sich mir
immer Neues eröffnet und jede Begegnung, jeder Moment sich als unaustausch-
bar erweist.

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Anthony W. Bateman, Peter Fonagy (Hg.)


Handbuch Mentalisieren

Mentalisieren bezeichnet die menschliche


Fähigkeit, mentale Zustände wie Gedan-
ken und Gefühle im eigenen Selbst und
im anderen zu verstehen. Inzwischen hat
sich die Mentalisierungstheorie als ent-
wicklungspsychologisches und klinisch
erfolgreiches Konzept etabliert. Die
renommierten AutorInnen fassen das
Mentalisieren als einen grundlegenden
psychischen Prozess und erweitern seinen
Anwendungsbereich auf verschiedene
therapeutische Settings und eine Vielzahl
unterschiedlicher Störungsbilder.
Im ersten Teil des Handbuchs wird
die mentalisierungsbasierte Arbeit in der
psychodynamischen Psychotherapie de-
tailliert dargestellt. Der zweite Teil stellt
effektive Behandlungstechniken vor, die
auf die mentalisierende psychotherapeu-
2015 · 641 Seiten · Hardcover tische Bearbeitung schwerer Störungen
ISBN 978-3-8379-2283-7 zugeschnitten sind. Mit diesem Hand-
buch liegt nun die bislang umfassends-
»Mit diesem Meisterstück bieten te und systematischste Darstellung des
uns Bateman und Fonagy einen Mentalisierungskonzepts und seiner klini-
brillanten, enorm hilfreichen schen Anwendung vor.
Leitfaden[…], der schon jetzt als
Klassiker für Anfänger und erfah-
rene Praktiker gelten kann.«

Arietta Slade, Ph.D., Professorin für


Klinische Psychologie, New York

Walltorstr. 10 · 35390 Gießen · Tel. 0641-969978-18 · Fax 0641-969978-19


bestellung@psychosozial-verlag.de · www.psychosozial-verlag.de

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Psychosozial-Verlag

Svenja Taubner
Konzept Mentalisieren
Eine Einführung in Forschung und Praxis

Die Theorie des Mentalisierens gehört


zu den innovativsten wissenschaftlichen
Neuerungen der letzten Jahrzehnte und
ist Inspiration für zahlreiche Forschungs-
projekte, die unser Wissen über die Ent-
stehung und Bedeutung der menschlichen
Fähigkeit erweitert haben, mentale Zu-
stände wie Gedanken und Gefühle im ei-
genen Selbst und in anderen zu verstehen.
Als Brücke zwischen psychoanalytischer
Objektbeziehungstheorie, Bindungstheorie
und empirischer Entwicklungspsycholo-
gie hat die Theorie des Mentalisierens die
Auswirkungen früher Eltern-Kind-Inter-
aktionen detailliert beschrieben. Als Klini-
sche Theorie hat sie herausgearbeitet, dass
die Fähigkeit, andere und sich selbst in-
terpretieren zu können, einen Schüssel zu
psychischer Gesundheit darstellt und ein
2015 · 202 Seiten · Broschur maßgeblicher Faktor für Veränderungs-
ISBN 978-3-8379-2531-9 prozesse in Psychotherapien ist.
Svenja Taubner, die zu den renom-
Sich selbst, das Gegenüber, das miertesten Forscherinnen in diesem Feld
Selbst mit anderen, andere mit dem gehört, gibt eine fundierte Einführung
Selbst – Mentalisieren als multipers- in die Theorie des Mentalisierens und in
pektives Konzept ermöglicht es, sich den aktuellen Forschungsstand in Bezug
der eigenen Gefühle und der Gefüh- auf entwicklungspsychologische wie auch
le anderer bewusst zu werden, und klinische Aspekte. Dabei wird auch die Be-
stellt damit eine Schlüsselkompe- deutung des Konzepts für Psychotherapie
tenz für TherapeutInnen dar. und Prävention herausgearbeitet.

Walltorstr. 10 · 35390 Gießen · Tel. 0641-969978-18 · Fax 0641-969978-19


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