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Buch 1 – SEUCHENGARTEN

Ein ›Hallowed Knights‹-Roman


Josh Reynolds

Buch 2 – SPEER DER SCHATTEN


Ein ›Die Acht Wehklagen‹-Roman
Josh Reynolds

Buch 3 – DIE SCHICKSALSFAHRT DES EISENDRACHEN


C L Werner

Buch 4 – DIE SEELENKRIEGE


Josh Reynolds

Buch 5 – DER SILBERSPLITTER


Ein ›Callis & Toll‹-Roman
Nick Horth

Buch 6 – SHADESPIRE: DIE GESPIEGELTE STADT


Josh Reynolds
Buch 7 – DAS VERGIFTETE HERZ
C L Werner

Buch 8 – FÜRSTEN DES TODES


Josh Reynolds & David Annandale

Buch 9 – DIE SCHWARZE PYRAMIDE


Ein ›Hallowed Knights‹-Roman
Josh Reynolds

Buch 10 – NEFERATA: DAS KNOCHENREICH


David Annandale
Buch 11 – GOTREK: IM REICH DER UNBEGRABENEN
Darius Hinks
INHALT

Titelbild
Verfügbare Titel
Titelseite
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Epilog
Über den Autor
Ein Auszug aus ›Die Acht Wehklagen: Speer der Schatten‹
Eine Publikation von Black Library
E-Book-Lizenzvertrag
Die Acht Reiche entstanden aus dem Mahlstrom einer zerstörten Welt, als das
Formlose und das Göttliche sich zu einer Explosion neuen Lebens vereinten.

Fremdartige neue Welten tauchten am Firmament auf, jede davon die Heimat
von Göttern und Sterblichen. Der erhabenste dieser Götter war Sigmar. Über
unzählige Jahre strahlte sein Licht auf diese Welten und tauchte sie in
Herrlichkeit und Pracht, während er sein Reich errichtete. Seine Stärke war wie
die Macht des Donners, seine Weisheit grenzenlos. Sterbliche und unsterbliche
Wesen knieten gemeinsam vor seinem Thron. Gewaltige Imperien entstanden
und eine Zeitlang wurden Niedertracht und Verrat vertrieben. Sigmar forderte
Erde und Himmel als sein Eigen und herrschte über ein Zeitalter der Mythen.

Doch die Grausamkeit der Welt ist beharrlich. Wie es vorhergesagt wurde,
zerbrach das große Bündnis zwischen Göttern und Sterblichen von innen
heraus. Mythen und Legenden fielen ins Chaos. Finsternis legte sich über die
Reiche. Folter, Sklaverei und Angst traten an die Stelle einstiger Pracht. Sigmar
wandte sich von den Königreichen der Sterblichen ab, denn ihr Schicksal
erfüllte ihn mit Groll. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Überreste jener
Welt, die er vor so langer Zeit verloren hatte. Er grübelte über ihrem
verschmorten Kern und suchte nach einem Zeichen der Hoffnung. Dort, in der
tiefen Dunkelheit seines Zorns, erblickte er etwas Glorreiches. Er sah eine
Waffe, die im Himmel geschmiedet werden sollte. Ein Fanal, das hell genug
strahlte, um die endlose Nacht zu durchdringen. Eine Armee, geschaffen aus
allem, was er verloren hatte.

Ein ganzes Zeitalter lang arbeiteten Sigmars Handwerker und waren bestrebt,
die Macht der Sterne für ihre Zwecke zu nutzen. Als Sigmars Werk vor der
Vollendung stand, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Acht Reiche
und sah, dass die Herrschaft des Chaos beinahe ungebrochen war. Die Stunde
der Vergeltung war gekommen. Mit blitzverhangener Stirn erhob er sich von
seinem Thron und entfesselte seine Schöpfungen.

Das Zeitalter Sigmars hatte begonnen.


KAPITEL EINS

Die Gesichtszüge des Hexers kräuselten sich. Seine Lippen zogen wie in hohnlächelnder
Totenstarre zurück, sodass die geschwärzten Zahnstümpfe dahinter sichtbar wurden. Durch
die Augen, die zwischen gedunsenen Hautfalten dick hervorquollen, schien seine Fratze fast
krötengleich. Doch im Gegensatz zur umgebenden Haut besaßen Khorams amphibienhafte
Augen keinerlei Anzeichen von Weichheit, nur ein raubtierhaft gieriger Hunger lag in der Art,
wie sie gleichermaßen nach innen wie nach außen schauten.
Möglichkeiten und Potenzialitäten, die Verzweigungen und Windungen von Unheil und
Schicksal, die Schatten von Zukünften, die noch nicht erschaffen waren. Bilder glorreicher
Siege und Visionen vernichtender Desaster, an- und abschwellend, alle traten sie hervor und
verrannen wie der ewig rieselnde Sand der Zeit. Das Kommen und Gehen der Weissagungen
war gnadenlos und unerbittlich. Die mental Schwachen wurden verschlungen und verzehrt
von der harten Anstrengung, einer Sturzflut an Omen und Vorzeichen kraft ihres Blickes
Weissagungen zu entreißen; sie fielen in ihrem Streben, solche Einblicke in weltliche
Begrifflichkeiten zu fassen, rettungslos dem Wahnsinn anheim. Die im Geiste Schwachen
verloren sich in der kosmischen Weite des Unendlichen, ihr Fleisch und ihre Seele wurden
gänzlich ausgelöscht, da sie sich der zyklopenhaften Unermesslichkeit ergaben, in der
Vergangenheit und Zukunft auf einen einzigen Moment zusammengedrängt wurden, welcher
jeder sterblichen Vorstellung von Zeit Hohn sprach. Doch die Menschlichkeit war das erste
und geringste Opfer gewesen, das Khoram für die schwarzen Künste gebracht hatte.
Der Hexer war ein hochgewachsener Mann, aber sein Körper war entstellt von den
vielfältigen Segnungen, die sein schrecklicher Gott ihm auferlegt hatte. Derart unbändig
mutiert war er, dass Gewänder und Rüstung sich ihm absonderlich um seine Gestalt legten
und bogen. Die Seite seines Halses war von einem abscheulichen, gefiederten Geschwulst
dick angeschwollen und drängte seinen Kopf in eine Neigung zur anderen Schulter hin. In
einer seiner Hände, der am wenigsten missgestalteten seiner Extremitäten, hielt er einen
langen Stab. Die andere Hand, die in lang gezogenen, knochenlosen Fingergliedern endete,
winkte nach der faustgroßen Glaskugel, die seinen Kopf umschwebte. Auf sein Zeichen hin
kam die Kugel geradewegs vor seinen Augen zum Halt.
Der Wind bauschte seine Robe auf und raufte die Federn der Geschwulst an seinem Hals.
Das Biest, auf dem er stand, erschauderte, verlagerte leicht seine Masse, um seine Flugbahn
am dunklen Himmel hoch über den trostlosen Hügeln der Schattenöde anzupassen. Die Stiefel
des Hexers wurden von haarigen, aus dem Rücken der Kreatur hervorsprießenden Tentakeln
umschlossen und so mit dessen eigener Substanz verschmolzen. Der abgeflachte,
rochengleiche Dämon konnte sich so wenig von seinem Reiter trennen, wie es ihm möglich
gewesen wäre, eines seiner eigenen Organe auszustoßen. Seine körperliche Form war von
Khoram absorbiert worden und existierte nur noch als eine Verlängerung seiner eigenen. Es
würde ihn durch den Himmel Chamons tragen, bis es schließlich von ihm freigegeben würde
und seine physische Form sich dann zu Dunst auflöste. Es würde sich immer wieder irgendein
Dämon finden, der bereit war, in die Reiche der Sterblichen zu wechseln, wenn der Hexer
dessen bedurfte.
Khorams wurmartige Finger griffen nach der glitzernden Sphäre und umfassten sie. Kleine
Dampfschwaden stiegen dort empor, wo die kobaltfarbene Haut die gläserne Oberfläche
berührte. Selbst Fleisch, das bereits durch die Segnungen des Mächtigen Tzeentch verwandelt
worden war, war nicht vor der zersetzenden Berührung des Fehlens von Zeit gefeit.
»Gewaltig ist deine Macht, o Sphäre des Zobras«, zischte Khoram dem funkelnden Ball zu.
»Du bist Stoff gewordenes Orakel. Du bist Weissagung, der physische Form verliehen
wurde.« Er fühlte, wie die Hitze in seinen Fingern allmählich nachließ. Der Hexer dachte an
den großen Seher, der diese Sphäre erschaffen hatte. »Zobras hat vieles geopfert, damit du ins
Dasein trittst«, raunte er der Reliquie zu. »Auf der Höhe seiner Kraft befahl er Dämonen, dich
aus der Essenz von Zeit und Traum zu schmieden. Du bist der Höhepunkt seiner Magie.«
Zwar glitt diese Schmeichelei leicht über Khorams Zunge, doch hinterließ sie in seinem
Mund einen bitteren Geschmack. Durch erschöpfende Riten und obszöne Zeremonien war
diese Sphäre an seine Seele gebunden worden, sodass sie ihn wie ein gefangener Stern
umkreiste. Dieser Sphäre einfach nur zu gebieten reichte jedoch niemals aus. Sie musste auch
ständig beschwichtigt werden. Zobras hatte den freien Willen dieses Artefakts ignoriert, und
so hatte es ihn am Ende verraten, als die Armeen des Chaos seine Theokratie vernichtet
hatten. Der Untergang des Propheten war eine Warnung, eine Erinnerung daran, dass man sich
gegenüber den Dunklen Göttern in Demut zu üben habe.
»Enthülle mir den Pfad der Dinge, die kommen sollen«, gebot Khoram dem Orb.
Er starrte in die Tiefen der Sphäre, spähte hinab in ihre tausenden Facetten. Jede davon trug
ihre eigene Geschichte, ihre eigene Interpretation davon, wie die Zukunft sich entfalten würde.
Der Versuch, sich auf alle davon zu konzentrieren, wäre sinnlos, ein Bestreben, das schon
geringere Hexer in den Wahnsinn getrieben hatte. Khoram jedoch hatte von seinem Gott die
eine Segnung empfangen, die den Unterschied ausmachte.
»Dort! Dort!« Die Worte erklangen von dem gefiederten Geschwulst an Khorams Hals. Ein
winziges Gesicht lugte aus der Mitte der Federn hervor, Trauben schwarzer Augen fixierten
die Schichten der Kugel. »Dort!«, wiederholte der Homunkulus.
Khoram wandte seine Aufmerksamkeit von jenen Bildern ab, die sein parasitärer Dämon
verworfen hatte. Er verließ sich ganz darauf, dass die Führung der Kreatur ihn zu den
ergiebigsten Visionen hinlenken würde. Als ein wahrer Kenner der Lüge erschnupperte der
Trugling unfehlbar die Wahrheit für seinen Herrn.
Die Augen des Hexers glühten auf, als sein Familiar seine Aufmerksamkeit auf das Bild
zog, das sich in einer der Facetten entfaltete. In dem Augenblick, in dem er sich auf das Bild
konzentrierte und sein Geist die sich dort entfaltende Szene aufnahm, veränderten sich die
umgebenden Facetten. Jetzt stellten sie eine neue Reihe von Zukünften dar, von
Möglichkeiten, die von der ursprünglichen Vorhersage abwichen. Erneut fühlte Khoram, wie
der Trugling ihn zu der wahrhaftigsten Prophezeiung führte. Er sammelte all seine
Entschlossenheit und riss den Blick von der Kugel fort. Es war nicht weise, mit einem
einzigen Blick zu weit schauen zu wollen. Darin lag der Pfad zur Besessenheit und der
Wahnsinn der Unendlichkeit.
Von der Sphäre abgewandt, ließ Khoram seinen Blick über den wolkenverhangenen
Himmel gleiten. Hässliche, orange-glitzernde Nebelschwaden durchtobten die Atmosphäre,
hochgeschleudert von den Wäldern aus Argkiefern, welche die Hügel tief unten überzogen.
Summende Schwärme aus Fleckschnaken wurden von diesen orangen Schwaden angezogen
und labten sich gierig an den schimmernden Stäubchen geronnenen Pflanzensafts. Jene, die
sich allzu eifrig daran vollfraßen, wurden vom Gewicht ihres Mahles niedergezogen und
stürzten auf die Hänge unter ihnen hinab, wo ihre Kadaver dann jene Bäume düngten, die
ihren Sturz doch erst hervorgerufen hatten. Hier wurde man Zeuge des ewigen Stroms des
Wandlers der Wege, vom Wohltäter zum Ausbeuter, vom Raubtier zum Opfer. Die Rolle, die
man in dem einen Moment noch spielte, war nichts als eine Maske, die nur allzu schnell
hinweggerissen werden konnte, sei es durch Vorsatz und Berechnung oder eine pure Laune
des Schicksals.
Khorams linke Hand schloss sich fester um den verdrehten Runenstab. Mit einem Blick
herab auf den Dämon, auf dem er stand, trieb der Hexer das spitze Heft des Geräts in die
vernarbten Furchen, die rund um den Vordersaum der Kreatur verliefen. Das scheibenförmige
Ungetüm fauchte verärgert auf, als der Sporn nach ihm stieß. Wurmartige Ranken versuchten,
sich von der Unterseite des Dämonenkörpers nach oben zu winden, doch sie waren zu kurz,
um dem Sterblichen auf ihrem Rücken irgendeinen Schaden zufügen zu können. Die Kreatur
fauchte erneut auf und das Beben ihrer Verärgerung ließ ihr Fleisch erzittern und pflanzte sich
bis zu Khorams Füßen hin fort. Der kreisförmige Dämon schwebte aufwärts, raste hinauf in
die Höhen, in die sein Herr ihn gelenkt hatte.
Der donnernde Lärm einer Schlacht brach über den Hexer herein. Der Himmel unter ihm
war von Kampf erfüllt. Wilde Krieger, die in saphir- und malachitfarbene Kilts gehüllt waren,
sausten auf dämonischen Reittieren durch die Luft, die Khorams eigenem glichen. Feurige
Streitwagen, von noch größeren Dämonen gezogen, stoben auf wildem Kurs durch die
Atmosphäre und zogen dabei Rauch- und Feuerschwaden hinter sich her. Vogelgesichtige
Halbmenschen glitten durch das Getümmel, getragen von kreischenden Dämonen, und
verschossen Pfeile mit Bögen, die aus den Sehnen von Garganten geschnitten waren.
Die Heerschar aus Menschen und Monstern umkreiste in wilden Bahnen ein Knäuel
fantastischer Gefährte. Gewaltige Schiffe sausten über die Schattenöde hinweg, getragen von
Metallkuppeln, die über ihren Decks hingen. Von Bug bis zum Heck strotzte jedes dieser
Schiffe von einer Vielzahl von Waffen, die es gegen seine Peiniger einsetzte. Strahlen
goldenen Lichts schossen auf die maskierten Krieger zu, durchschlugen ihr Fleisch, wenn sie
sich, kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, zu Kugeln verdichteten. Harpunen wurden von auf den
Decks angebrachten, zylindrischen Werfern in den Himmel geschleudert und durchbohrten
heulende Tiermenschen, ließen sie stürzen und vom Kiel herabbaumeln, bis schließlich die an
den Speeren angebrachten Ketten wieder eingezogen wurden.
Von den Decks herab, aus den gepanzerten Körben, die an den Kuppeln und an den Flanken
des Rumpfes befestigt waren, leistete die Mannschaft der Himmelsschiffe selbst
entschlossenen Widerstand. Pistolen spien ihre Geschosse geradewegs in die Gesichter der
Angreifer und größere, kurzläufige Waffen stießen Feuerstöße aus, welche die Flügel der
Tiermenschen in Fetzen rissen und die Haut der Dämonen versengten. Äxte und Piken kamen
auf tödliche Weise zum Einsatz, hackten durch die schnabelbewehrten Gesichter der
monströsen Chaosdiener oder pflückten Krieger vom Rücken ihrer Reittiere und ließen sie tief
hinab zur weit entfernten Erde stürzen.
»Wie wenig ist der Sturm doch unserer Feinde Element«, sann Khoram vor sich hin, und der
Trugling schnatterte sein beifälliges Gelächter hinaus. Die Mannschaften der Himmelsschiffe
unterschieden sich stark von ihren erbittert kämpfenden Feinden. Sie waren kleiner und
stämmiger, breiter und solider gebaut. Die meisten von ihnen trugen klobige Rüstungen aus
schweren Metallplatten, und ihre Gesichter steckten in Helmen mit grimmigen Masken und
goldenen Bärten. »Die Anmut und Gewandtheit der Himmelsgeborenen geht ihnen ab.
Rohlinge aus Stein und Fels, die danach trachten, mit ihren kindischen Erfindungen den Sturm
zu erobern.«
Der Hexer schüttelte den Kopf. »Die Duardin sind eine streitlüsterne Brut von
Störenfrieden. Wie eigentümlich ihr Glaube auch sein mag, so bedarf es doch unweigerlich
stets größter Anstrengungen, sie wieder loszuwerden. Größerer Anstrengungen als manche
aufzubieten bereit sind.«
Als der Gedanke in ihm aufstieg, spähte Khoram erneut in die Tiefen des Orbs. Die Facetten
glitzerten auf Geheiß seines Geists auf und zeigten eine neue Reihe von Bildern. Jede dieser
Facetten stellte den gleichen Chaos-Krieger dar, der auf dem Rücken einer Dämonenscheibe
stand. Grausig war er anzusehen, seine groteske Rüstung tropfte noch immer vom Opferblut,
mit dem er vor der Schlacht gesalbt worden war. Abgehackte und in Wachs getauchte Finger
waren seiner Halsberge wie grauenhafte Kerzen aufgesetzt. Hinter den von diesen
glimmenden Fingern aufsteigenden Rauchschleiern war sein gehörnter Helm nur als eine vage
Andeutung von Form und Bewegung zu erkennen. Lediglich die neun Augen, die aus einem
Wust von über die Helmoberfläche verteilten Visieren hervorstarrten, schufen darin einen
Hauch von Klarheit und durchbohrten den Rauch wie zornige Glutfunken.
»Tamuzz ist heute wieder in besonders grimmiger Laune«, erklärte Khoram seinem
Homunkulus.
Während er noch den Kriegsherrn betrachtete, stieß plötzlich einer der gepanzerten Duardin,
der den Bug eines der Schiffe verteidigte, einen Spieß nach dessen dämonischem Reittier und
schlitzte seine fleckige Haut auf. Tamuzz ließ die Feuerklinge seine Gleve zermalmend auf
den Kopf des Duardin niederschmettern. Noch während die verzauberte Klinge sich durch
Helm und Schädelknochen biss, trieb Tamuzz seine Attacke voran, unerbittlich, bis er den
Feind vom Scheitel bis zum Zapf gespalten hatte.
»So viele Gefolgsleute in diesem Kampf zu verlieren, muss ihn erzürnt haben«, stellte
Khoram fest. »Denn trotz all der Segnungen, die der Mächtige Tzeentch auf sein Haupt
geladen hat, wähnt Tamuzz doch noch immer Macht in alten, ausgedienten Vorstellungen von
sterblicher Herrschaft und Unterwerfung.«
In den Facetten der Sphäre sah er, wie Tamuzz seine Gleve frei riss und den Körper des
erschlagenen Duardin über den Rand des Schiffes schleuderte. Der Kriegsherr suchte nach
einem neuen Feind, doch noch währenddessen schickte Khoram einen magischen Fühler aus,
der durch den Körper der Kugel fuhr und in Tamuzz’ Geist eindrang. »Komm zu mir«, zischte
Khoram und sein Homunkulus wiederholte die Worte mit schmierigem Kichern. »Komm zu
mir.« Er achtete darauf, seiner Beschwörung mehr den Ton einer Anregung als einem Befehl
zu verleihen. Eine allzu unverhohlene Berührung würde nur Tamuzz’ Widerstand anstacheln
und Khoram wusste aus vergangener Erfahrung, dass der Kriegsherr wohl stark genug war,
seiner Magie zu widerstehen, wenn er sich nur ihres Einflusses bewusst war. »Setz ihm den
Gedanken in den Kopf, lass Tamuzz glauben, dass er seinem eigenen Willen entspringt, dann
gibt es kaum etwas, was er nicht tun wird«, prahlte Khoram gegenüber seinem Trugling. Der
dämonische Parasit winselte und erinnerte so seinen Herrn daran, dass diese Prahlerei nicht
ganz der Wahrheit entsprach.
Der dunkle Schemen des Kriegsherrn sauste aus dem Schlachtgetümmel heraus. Der
verletzte Dämon, der ihn trug, zog einen dünnen Streif aus Körpersäften hinter sich her und
färbte die Luft hinter ihm mit einer ölig schmierigen Spur.
»Meine Sklaven gehen unter, Fluchkämpe«, zischte Tamuzz Khoram an, als dieser auf den
Hexer zuschwebte.
»Der Mächtige Tzeentch fordert seinen Tribut«, erwiderte Khoram. »Der Wandler schenkt
keinem Sklaven seine Huld …«
Tamuzz schüttelte die gewaltige Gleve, die er trug, und arkane Energien ballten sich in
ihrem Inneren und ließen ein Glitzern von Kräften entlang der Klinge auffunkeln. »Verschone
mich mit deiner Philosophie. Du hast mir Himmelsschiffe versprochen. Dann bezwinge sie.«
Khoram neigte seinen Kopf zur Seite, blickte an Tamuzz vorbei und beobachtete die
Schlacht über die Schulter des Kriegsherrn. Er sah einen der Jünger des Kriegsherrn vom
Rücken seines dämonischen Flugtiers stürzen, als ein Duardin ihm ins Gesicht schoss. »Sie
werden fallen«, sagte Khoram. »Aber sie werden fallen, wenn es einem höheren Ziel
gedeihlich ist. Dem Ziel, nach dem wir beide streben.«
Das Feuer arkaner Energien schwand aus der Gleve des Kriegsherrn. Die schwelenden
Augen verloren ihren Glanz, und fast schien es, als würden sie den verhüllenden Rauch enger
um sich ziehen. »Ich habe es nicht vergessen«, erwiderte Tamuzz.
»Dann lasst uns tun, was von uns verlangt wird«, sagte Khoram. Er gestikulierte mit
schlangenhaften Fingern fort zum Horizont. »Wir müssen sie noch weiter weg von der
Schattenöde treiben. Zum nächsten Tal. Dort wird sie ihr Untergang erwarten.« Der Hexer
nickte dem ihn umkreisenden Orb zu. »So lautet die Prophezeiung, die uns leitet.«
»Ich werde noch mehr Krieger verlieren«, wandte Tamuzz ein und ein harter,
widerspenstiger Ton stahl sich erneut in seine Stimme.
»Doch so viel mehr wirst du gewinnen, ruhmreicher Tamuzz», beharrte Khoram. »Durch
mich wirst du zur rechten Seite der Macht stehen.«

Grokmund Wodinssin sah von mittschiffs aus dem Auf- und Abwogen des
Schlachtgetümmels zu. Die Goldfüllungen seiner Zähne fühlten sich an, als würden Blitze sie
durchströmen – ein Gefühl, das jedes Mal auf irgendein sich anbahnendes Desaster hindeutete.
Das letzte Mal hatte er dieses unangenehme Kribbeln in seinen Zähnen verspürt, als Lodrik
Kodraksimm ihn zu einem Trinkwettbewerb herausgefordert hatte und er dabei seinen Anteil
an einer höchst profitablen Fahrt verspielt hatte.
Was er jetzt verspürte, war viel schlimmer. Grokmund hatte den Eindruck, dass, wenn er
seine Zähne zusammenbiss, die Funken nur so herausfliegen würden, so stark war die
Empfindung. War der Grund dafür eine größere Gefahr oder dass er diesmal mehr zu verlieren
hatte? Er blickte auf das Deck zu seinen Füßen hinab und stellte sich das Kästchen vor, das
darunter in seiner Kabine verstaut war. Die Tests des Äther-Khymikers hatten allesamt darauf
hingedeutet, dass dieser Fund sie so reich machen würde, dass er das Vermögen von Barak-
Urbaz hundertfach vermehren würde. Wenn Grokmund recht hatte, würde dieses
Unternehmen mehr als Reichtum bedeuten – es würde ihm Ruhm und Ehre einbringen. Die
mächtigsten Duardin der Himmelsfeste würden sie mit Ehre bedenken.
Grokmund duckte sich, als ein dämonenberittener Kultjünger über das Deck der
Sturmbrecher hinwegflog. Als der muskelbepackte Mensch über ihn hinweg sauste, ließ dieser
einen schweren Streitkolben auf den Äther-Khymiker niedergehen. Die Keule schlug am
Helm des Duardins Funken, richtete aber weiter keinen großen Schaden an. Als der Feind
davonrauschen wollte, wurde er von hinten vom Schuss eines Grundstok-Donnerschützen
erwischt. Der Kultjünger sank über seinem scheibenförmigen Dämon zusammen und wurde
davongetragen, als die Kreatur weiterflog.
Grokmund erhob sich langsam, erschüttert davon, wie knapp er der Attacke entgangen war.
Mutierte Tierbrut umschwirrte die Schiffe von Admiral Thorkis Flotte wie Wahnflosslerjunge
in einem Schwarm von Sonnenkiemlern. Die Kharadron-Verteidiger schickten Salve um Salve
gegen die Chaoskrieger los, holten einige davon vom Himmel, aber es blieben immer noch
viel zu viele übrig, die den Angriff mit Macht vorantreiben konnten. Indem sie aus dem
Schatten der Rumpfunterseiten von Fregatten und Geschützbooten emporsausten, aus der
Höhe herabstießen, um die großen Endrinen aufzureißen, welche die Schiffe in der Luft
hielten, forderten die aus dem Hinterhalt auf sie eindringenden Angreifer einen langsamen,
aber stetigen Tribut in den Reihen der Kharadron. Leblose Endrinflieger trieben von der Flotte
fort, während die kleinen Äther-Endrinen, die sie auf den Rücken geschnallt hatten, sie weiter
in der Luft hielten, bis der letzte Funken Treibstoff verbraucht war und sie zur Erde
herabsinken würden. Einige der Himmelswarte, die sich mit Seilen an den Fregatten vertäut
hatten, baumelten jetzt mit beschädigten Äther-Endrinen an den Seiten der Schiffe herab, und
ihre Körper klapperten unablässig gegen die eisengepanzerten Rümpfe.
»Auf diese Art wirst du deinen Kopf verlieren«, wies Admiral Thorki Grokmund zurecht,
als er ihm auf die Füße half. Gehüllt in eine schwere äthergeriebene Rüstung war Thorki leicht
in der Lage, Grokmund mit einer einzigen Hand hochzuheben, während er mit der anderen
eine Salvenpistole auf die Angreifer richtete. Er schoss einem der Tiermenschen, der rasend
schnell auf die Endrin des Panzerschiffs zusauste, eine Kugel direkt ins schnabelbewehrte
Gesicht. Die schlimm verstümmelte Kreatur ließ ihren Bogen los und griff sich in die
grausigen Trümmer ihres Gesichts, bevor sie dann in der Ferne verschwand.
»Ich muss meine Pflicht erfüllen«, erwiderte Grokmund Thorki. »Alles, was jetzt zählt, ist,
den Fund zu beschützen.«
Thorki schüttelte den Kopf. »Wir brauchen dich, damit wir unseren Anspruch geltend
machen und uns die vollen Rechte an dem Fund sichern können.« Trotz ihrer magnetisierten
Stiefel fühlten beide Duardin das Deck unter sich erbeben, als die auf dem Rumpf befestigten
Ätherkarabiner die Angreifer mit einer vernichtenden Salve überzogen. Um sie herum
feuerten Grundstok-Donnerschützen wild mit Gewehren und Mörsern auf die Chaosjünger
und versuchten so, die Angreifer davon abzuhalten, in Schwärmen über die Decks der
Panzerschiffe herzufallen.
Grokmund blieb, wo er war. »Wenn das Schiff fällt, kommt es dazu ohnehin nicht mehr«,
sagte er. »Ich ziehe es vor, kämpfend zu sterben, statt mich irgendwo unter Deck zu
verkriechen.«
Thorki musste ihm da widerwillig recht geben. »Wenn du dich hier umbringen lässt, werden
mir meine Geldgeber den Bart abschneiden«, schnauzte er. Der Admiral schnellte herum und
bellte den Kanonieren hoch oben im Vorderkastell seine Befehle zu. Er deutete mit der Pistole
auf eine Horde vogelgesichtiger Tierbrut, die von Steuerbord auf das Schiff zuflog. »Udri!
Hol sie vom Himmel!«
Auf Thorkis Befehl hin ließen die Kanoniere ihre große Repetierkanone herumschwingen,
die auf dem Dach des Vorderkastells angebracht war. Das gesamte Schiff erzitterte, als die
Waffe Feuer spie. Das Zentrum der angreifenden Horde flog geradewegs in den Feuerstoß
hinein und wurde förmlich in Fetzen geschossen, sodass Dämonen und Tiermenschen
gleichermaßen aus dem Himmel in die Tiefe herabstürzten. Arkanauten eilten zu den
Schandecks und nahmen sich der zerfleischten Überlebenden mit ihren Pistolen an.
»Wir siegen!«, schrie Grokmund. Doch schon im nächsten Moment spürte er, wie eine
verzehrende Hitze sein Gesicht traf. Die Visionen von Ruhm verdampften, als ein Stoß
Hexenfeuers auf die Seite des Schiffes einprasselte und den Arkanauten zum Verhängnis
wurde, die sich gerade der verwundeten Tiermenschen annahmen. Hinter den Flammen raste
ein finsterer, von geifernden Dämonen gezogener Streitwagen heran. Auf diesem Streitwagen,
scheinbar aus seiner Plattform hervorwachsend, sah man ein widerliches schwammartiges
Ding mit Stummelarmen, die Strahlen orangefarbenen Feuers verschossen. Ein Arkanaut, der
an Grokmund vorbei spurten wollte, wurde von den Flammen erfasst, und schlug wild um
sich, als das dämonische Feuer ihn umschlang und gierig an seiner Rüstung fraß. Ein weiterer
Arkanaut versuchte seinem Kameraden dabei zu helfen, die Flammen zu ersticken, doch das
Feuer sprang nur umso brünstiger auf seinen Panzerhandschuh über, der brodelte und zischte,
als das Metall zu schmelzen begann.
Grokmund eilte zu dem betroffenen Arkanauten, und bedeutete Thorki zurückzubleiben.
»Halte alle anderen fern«, warnte er den Admiral.
Noch während er sich dem flammenumhüllten Duardin näherte, setzte Grokmund seinen
Anatomisator ein und entzog der unmittelbaren Umgebung die Luft. Zwar hatte das
Dämonenfeuer wenig mit natürlichem Feuer gemein, doch auch so konnte es dem sich
entfaltenden Vakuum nicht widersetzen. Binnen eines Herzschlags erloschen die grässlichen
Flammen. Der Arkanaut, dessen Panzerhandschuh betroffen war, torkelte, verwirrt von der
Wirkung des Anatomisators, umher. Von seinem Kameraden dagegen blieb kaum mehr übrig
als ein verkohlter Fleck auf den Deckplanken.
Der verletzte Duardin riss sich den übel zugerichteten Panzerhandschuh von der Faust und
streckte die Finger durch, um sicherzugehen, dass er damit noch immer seine Waffe halten
konnte, bevor er dann erneut seine Pistole ergriff. »Hohen Profit, Meister Grokmund«,
bedankte er sich mit von der Atemmaske an seinem Helm verzerrter Stimme beim Äther-
Khymisten. Seine Augen verengten sich, als er zum Himmel emporblickte. »Ich würde das
Zehnfache meines Gewichts in Gold zahlen, um diesen mörderischen Abschaum in
Reichweite meiner Waffe zu bekommen.«
»Lass mich sehen, wo er hin ist«, sagte Grokmund. Die zusätzliche Anordnung von Linsen
an seinem Helm ermöglichte es ihm, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Das widerliche
Muster von Flecken, Placken und Schrunden, die den Strunk der schwammartigen, Feuer
versprühenden Kreatur zeichneten, war charakteristisch genug, um sie jederzeit
wiederzuerkennen. Grokmund sah, wie sie auf eine der Fregatten herabstürzte. Erneut ließ sie
dabei ihre dämonischen Flammen auf die Decks niedergehen und die Mannschaft
davonstieben. Die bereits arg geplagte Fregatte konnte dem Monster wenig entgegensetzen, so
sehr war die Mannschaft von den fortgesetzten Angriffen schon dezimiert worden. Doch der
Streitwagen beließ es bei einer einzigen Attacke. Er blieb nicht zurück, um aus seinem Angriff
weiteren Vorteil zu ziehen oder seinem Feind den Vernichtungsschlag zu versetzen.
Stattdessen raste er schon auf ein weiteres Geschützboot zu und dann auf eine weitere
Fregatte.
Ein Verdacht keimte in Grokmunds Eingeweiden auf. Rasch wandte er sich Thorki zu.
»Dieser Chaosabschaum führt etwas im Schilde«, erklärte er. Sorgsam nahm er sich einen
weiteren der Angreifer vor, einen vogelgesichtigen Tiermenschen, der glitzernde Pfeile auf die
Himmelsschiffe losließ. Er sah zu, wie er an einer der Fregatten vorbeiflog, sich dann
wegduckte, um die Sturmbrecher anzugreifen. Ein Pfeil pfiff an ihrer gepanzerten Hülle
entlang, dann schnellte die Kreatur schon wieder fort und suchte sich ein neues Ziel.
»Sie treiben ihren Angriff nicht mit Nachdruck voran«, erklärte Grokmund Thorki. Rasch
deutete er auf die beinah mannschaftslose Fregatte. »Wenn sie einen Vorteil erkämpfen,
setzen sie nicht nach und nutzen ihn nicht aus.«
»Die Himmelsteufel mögen ihre Knochen fressen«, grollte Thorki. Er hob ein Fernglas an
die Augen und erkannte schnell, dass die Angreifer mehr Koordination an den Tag legten, als
man ihnen eigentlich zutrauen sollte. »Die folgen irgendeinem größeren Plan. Die wollen uns
absichtlich zermürben.«
Ein schrecklicher Kriegsruf ließ die beiden Duardin herumfahren. Grokmund wich zurück,
als ein halb nackter Kultjünger auf einer Dämonenscheibe auf ihn herabstürzte. Der Mann
hieb mit einer krummen Klinge nach ihm und ihre gezackte Schneide biss in den blau-grünen
Stahl, der seine Schulter bedeckte. Die Wucht des Schlags ließ Grokmund einen Schritt
zurücktaumeln. Bevor der maskierte Mensch aber erneut zustoßen konnte, hob er seinen
Atmosphären-Anatomisator und drückte die Auslöser-Rune. Diesmal, anstatt die Luft
fortzuziehen, spie das Gerät eine Fahne bösartigen Gases aus. Der Kultjünger hob seinen
schweren Schild, um den Stoß giftigen Äthers abzuwehren, doch die Dünste waberten über
dessen Ränder hinweg. Der Mann schrie schrill auf, als das Gas ihm das Gesicht verätzte. Von
Schmerzen zerrissen stürzte er von seinem dämonischen Flugtier auf das eisengepanzerte
Deck. Die Dämonenscheibe flog davon und scherte sich offensichtlich wenig um das
Schicksal seines früheren Reiters.
Thorki feuerte seine Salvenpistole auf einen weiteren Kultjünger ab und hinderte ihn so
daran, seinem getroffenen Kumpan zu Hilfe zu eilen. Kugeln durchsiebten das dämonische
Reittier, als sein Herr es heftig hochzog, damit es statt seiner die Schüsse abbekam. Dann
sprang der Mann auch schon herab und hackte mit seiner krummen Klinge nach dem Admiral.
Grokmund folgte dem von ihm zu Boden gebrachten Feind. Er zog den schweren Hammer
aus seinem Werkzeuggürtel und drang auf den gestürzten Kultjünger ein. Der Mann griff sich
ins Gesicht und kämpfte darum, die schnabelförmige Maske herunterzubekommen. Kaum
hatte er sich von ihr befreit, da sah er auch schon Grokmunds Hammer auf sein Gesicht
niedergehen. Die zerschmetternde Wucht warf den Mann auf das Deck zurück und ein
Gemenge aus Hirn und Knochen tropfte vom Hammer des Duardin herab. Unter Grokmunds
erschrockenem Blick zuckte und wand sich der Körper, während seine Umrisse schrumpelten
und schrumpften. Der Krieger, den er niedergestreckt hatte, war von kräftiger Statur gewesen,
für einen Menschen in hervorragender Verfassung. Doch die Leiche zu seinen Füßen glich
einem alten Mann, faltig und verbraucht. Nur die verzweigte Tätowierung auf seiner Brust
ließ noch erkennen, dass es sich in der Tat um den gleichen Gegner handelte. Grokmund legte
seinen Daumen auf das Antlitz der stählernen Hülle, die er trug und drückte ihn dort gegen die
Stirn des verehrten Vorfahren, nach dessen Bild es geformt war. Solch widerwärtige Hexerei
konnte selbst einen Äther-Khymiker verstören.
Als Grokmund sich von seinem gefallenen Feind abwandte, war Thorki gerade dabei, seinen
eigenen Gegner zu erledigen. Der Panzerhandschuh des Admirals hatte sich um den Hals des
Kultjüngers geschlossen. Mit einem brutalen Zusammenballen seiner Faust zerquetschte
Thorki dem Mann die Kehle. Den zuckenden Körper warf er aufs Deck und drehte sich um.
»Es scheint, als wären sie ihrer Strategie müde geworden, so wie wir es vermuteten«, sagte
Thorki. Der Admiral rannte auf das Vorderkastell zu und rief Udri und den Kanonieren
Befehle zu. »Feuert dorthin, wo sie sich zusammenballen! Brecht ihren Angriffswillen!«
Der Mann, der Grokmund und Thorki angegriffen hatte, war nicht allein gewesen. Sie waren
Teil einer neuen Angriffswelle des Feindes, einer allgemein zunehmenden Wildheit. Der
Feind trieb nun seine Angriffe voran, nutzte erworbene Vorteile und gab sich nicht länger
damit zufrieden, sie mit Nadelstichen zu malträtieren; er hatte seine bisherige Taktik des
Zuschlagens und Zurückziehens nun aufgegeben. Geschützboote gingen mit ihrer gesamten
Mannschaft unter. Blutegelartige Dämonen saugten sich an ihren Endrinen fest und
beeinträchtigten ihre Funktionsfähigkeit, indem sie Treibstoffleitungen und Tanks bersten und
Strahlen und Güsse von Äther in die Atmosphäre spritzen ließen. Endrinflieger wurden von
den Pfeilen der Tiermenschen getroffen und wieder und wieder von den scharfen Geschossen
durchbohrt. Der Bug einer der Fregatten verwandelte sich in eine Feuersbrunst, als drei der
Streitwagen ihre Angriffe auf sie konzentrierten und die schwammartigen Dämonenreiter
einen Stoß ihrer gespenstischen Energien nach dem anderen auf das Schiff losließen.
Grokmund wehrte den Angriff eines weiteren Tiermenschen ab. Als die Kreatur sich
zurückzog, gelang es ihm, einen der seilähnlichen Fühler seines Scheibenreittiers zu
zerschmettern. Er konnte die Endrinisten, die versuchten, die Angreifer von den Tanks der
Endrinen hoch über dem Deck des Panzerschiffes fernzuhalten, über sich im Gestänge und
dem Tauwerk des Panzerschiffs hocken sehen. Sie wirbelten dort umher und griffen mit ihren
Nietenpistolen und Sägeklingen an, setzten im Kampf um das Schiff jene Werkzeuge ein, die
sie sonst zu dessen Reparatur benutzten.
Der Kapitän des Panzerschiffes tat gleichfalls sein Bestes, um das Schiff zu verteidigen. Seit
der Angriff begonnen hatte, war die Sturmbrecher im Versuch, vor ihren Feinden
davonzuziehen, zu Höchstgeschwindigkeit angetrieben worden. Ein unheimlicher Gegenwind
hatte ihnen entgegengeweht und ihre Bemühungen zu entkommen abgebremst. Da Grokmund
nun in der Art, wie sie angegriffen wurden, Methode erkannt hatte, machte er sich natürlich zu
dieser störrischen Brise so seine eigenen Gedanken. Die Flotte hatte sich in ihrem Versuch,
den Angreifern zu entkommen, in Richtung des geringsten Widerstandes gewandt.
Bis gerade noch hatten sich die Sklaven des Chaos genau damit zufriedengegeben, der
Flotte so gut es ging zuzusetzen. Doch nun trieben sie ihren Angriff mit rückhaltlos bösartiger
Wut voran. Warum nur, fragte Grokmund sich, wenn nicht der Grund für ihre Zurückhaltung
jetzt gerade weggefallen war? Genau wie der Wind, so hatte auch der Feind versucht, sie zu
lenken, sie an einen Punkt zu bringen, an dem er die Kharadron haben wollte. Das
ekelerregende Bild von Reißfledermäusen, die ihre Beute in die wartenden Fänge ihrer
Brutkolonien trieben, erfüllte seinen Geist.
Grokmund wandte sich vom Kampfgetümmel ab, das die Backbordseite des Panzerschiffs
umwogte und eilte auf das Vorderkastell zu, um Thorki vor der Gefahr, in der sie schwebten,
zu warnen. »Sie treiben uns auf einen Ort zu, wo sie uns abschlachten wollen!«, rief er dem
Admiral zu.
Thorki erklomm gerade die Leiter zum Vorderkastell, als er Grokmunds Ruf hörte. Er
blickte zurück und Verblüffung stand in seinen Augen.
»Sie versuchen, uns in eine Falle zu treiben«, erklärte Grokmund. »Darum treiben sie jetzt
auch ihren Angriff mit mehr Druck voran!«
»Wir können ihnen entkommen«, führte Thorki an. »Das ist die beste Methode, um unsere
Verluste klein zu halten.«
Grokmund schüttelte den Kopf und schwenkte seine Faust in der Luft. »Verstehst du nicht?
Dieser höllische Wind wurde durch Hexerei beschworen! Er treibt uns dorthin, wo sie uns
haben wollen. Ihr Angriff hat nur den Zweck, uns zu zwingen, auf diesem Kurs zu bleiben.«
Thorki hielt in seinem Aufstieg inne. »Die einzige andere Möglichkeit wäre, durch sie
hindurch zu brechen. Aber das würde einen hohen Preis fordern.«
»Riskiere etwas, um den Rest zu retten«, riet Grokmund. »Der Versuch, alle zu retten,
könnte die ganze Flotte in den Untergang treiben.«
Thorki drehte den Kopf, ließ den Blick über all die umkämpften Schiffe seiner Flotte
gleiten. »Wir haben bereits zu viel verloren«, sagte er in einem beinah anklagenden Ton.
»Wenn meine Schatulle nicht zurück nach Barak-Urbaz gelangt, waren ihre Tode ohnehin
umsonst«, fuhr ihn Grokmund an. Er musste Thorki dazu bringen, dass er das volle Ausmaß
der Gefahr erkannte. Nur der Admiral besaß die Autorität, die Flotte zu befehligen und die
Kursumkehr anzuordnen, bevor es zu spät war.
Bevor Grokmund aber seinen Standpunkt noch weiter vorantreiben konnte, schoss eine
grässliche Gestalt auf das Vorderkastell herab – ein hünenhafter Mann, der eine Rüstung und
einen großen Helm trug, auf dem gewundene Hörner prangten und dessen Gesicht von einem
dunklen Rauchschleier verborgen war. Der fliegende Dämon, den er ritt, schloss seine Kiefer
um Udris Kopf, der gerade eine Repetierkanone lud. Noch während der Oberste Kanonier
starb, hieb der Reiter des Dämons mit seiner flammenden Gleve zu und ihre rot glühende
Schneide scherte glatt durch Rüstung und Knochen und ließ einen weiteren Kanonier
verstümmelt zu seinen Füßen niedersinken.
Admiral Thorki schoss die Leiter hoch und stürmte auf den Chaos-Schlächter zu. Seine
Salvenpistole bellte auf und ließ sengende Stöße aus Äthergeschossen auf seinen Feind
einprasseln. Arkane Runen schossen grell aus dem Schild des barbarischen Widersachers
hervor, jedes der Bannsiegel umschloss eines der Geschosse und löschte es gänzlich aus. Die
Gleve des Kriegsherrn fing den Aufwärtsschwung von Thorkis gewaltigem Hammer ab, als
dieser in den Angriff ging.
»Thorki!«, schrie Grokmund, als er nach der Leiter sprang. Doch bevor er noch dem
General helfen konnte, wurde er selbst von einem eigenen Kontrahenten bedrängt. Ein
grässlich mutierter Mann erschien plötzlich zwischen ihm und der Leiter. Gehüllt in eine
Rüstung, die anscheinend aus geschmolzenem Saphir und zermahlenem Malachit gegossen
worden war, überragte der Mensch den Duardin um Kopfeslänge. Ein obszönes Geschwulst
wölbte sich aus seinem Hals hervor, aufgedunsen und mit Federn bedeckt. Der Kopf dieser
Geschwulst lehnte gegen den glatten Helm, der den seines Wirtes bedeckte.
»Nur ein Narr beschleunigt seinen eigenen Untergang«, verkündete der Mann.
Grokmund schien es, als hörte er die Worte nicht mit seinen Ohren, sondern eher, als
würden sie ihm direkt ins Gehirn gerammt.
»Ein jegliches Ding hat seine Reifezeit. Selbst der Tod.« Der Hexer erhob den knorrigen
Stab, den er mit sich führte. Ein Gewirr von Talismanen und Amuletten, die an den
juwelenbesetzten Kopf des Stabes gekettet waren, klapperte wild umher, als er ihre Kraft rief
und sammelte.
Grokmund hob seinen Anatomisator in der Absicht, den Hexer in zersetzenden Äther
einzuhüllen, bevor er seine Magie entfesseln konnte. Er vertraute den eindämmenden
Fähigkeiten seiner eigenen äthergetriebenen Ausrüstung, um die Bannkräfte, die der Hexer
gegen ihn entfesseln mochte, zumindest einigermaßen zurückzudrängen. Doch damit hatte er
erneut die Fähigkeit und Gerissenheit seines Gegners unterschätzt. Nicht gegen den Äther-
Khymiker hatte der Hexer seine Magie gerichtet, sondern gegen das Deck unter seinen Füßen.
Eine funkelnde Spirale flackernder Blitze flutete den Boden, wogte und wallte in monströsem
Überschwang, während es in Holz und Eisen sickerte und es durchdrang.
Der wilde Strudel aus Energie fraß sich knisternd und flackernd durch die Planken hindurch.
Noch bevor Grokmund reagieren konnte, öffnete sich plötzlich bebend das Deck unter ihm,
klaffte weit auf wie ein gieriges Maul. Wie ein herabfallender Stein stürzte er jäh in das
nachtdunkle Innere des Schiffes.
Das letzte Bild, das er von dem Kampf wahrnahm, war der Hexer und sein Parasit, die aus
der Höhe auf ihn herabstarrten.

Khoram wandte sich von dem stürzenden Äther-Khymiker ab und blickte hoch zum
Vorderkastell. Tamuzz befand sich noch immer im Zweikampf mit dem Duardin-
Kommandanten. Beiden Anführern hatten sich in diesem Duell einige ihrer Gefolgsleute
angeschlossen. Tamuzz wurde von einem Paar Tzaangors und einem maskierten Akolythen
unterstützt, während der Duardin die Überreste der Geschützbesatzung und ein anderes, mit
einer Pike bewaffnetes Besatzungsmitglied auf seiner Seite hatte.
Die restliche Mannschaft des Panzerschiffes wehrte den Angriff von Tamuzz’ Gefolge ab.
Gruppen von Akolythen umkreisten das Schiff, schleuderten den Duardin sengende Stöße
arkaner Energien entgegen. Währenddessen ließen Tzaangors Pfeile auf die gepanzerte Flanke
und die befestigten Kuppeln niederprasseln, wo Wachen noch immer auf die Kriegshorde
feuerten. Einer der der dämonischen Kreischer, die Khoram herbeigerufen hatte, um sie bei
ihrem Angriff zu unterstützen, wurde ausgelöscht, als die Feuerstöße der Duardinwaffen
seinen Körper in Fetzen rissen und nur eine verderbte Schlammpfütze zurückließen. Ein
brennender Streitwagen geriet ins Trudeln, da die auf dem Rumpf montierten Kanonen Salve
um Salve auf ihn einprasseln ließen. Der Feuerdämon, der auf dem Streitwagen stand, ging
plötzlich in einen Feuerball auf, dem sowohl er als auch das gespenstische Gefährt zum Opfer
fielen.
Khoram ließ seinen Blick über das Terrain unter ihm schweifen. Sie waren viele
Reisestunden von den Hügeln der Schattenöde abgekommen und in ein Land sich windender
Schluchten und schartiger Gipfel eingedrungen. Er konnte die schwarzen Schlünde von
Höhlen erkennen und auch die Knochen urzeitlicher Ungetüme, die aus dem Fels
hervorragten, und deren Steinklauen sich nach dem Himmel reckten. Seltsame Muster von
Farben und Schatten breiteten sich wellenförmig auf dem Boden aus, wo Schlingkraut auf der
Suche nach Wasser für seine Wurzeln daher kroch. Die Aufmerksamkeit des Hexers wurde
von einer der tieferen Schluchten angezogen, einem schwarzen Riss, der sich durch die
Landschaft zog.
»Dort«, verkündete Khoram. »Dies ist der Ort.« Der Homunkulus wisperte ihm ins Ohr und
bestätigte seinen Entschluss. »Es ist genug. Wir haben die Kharadron dorthin geführt, wo sie
zu unseren Zwecken sein sollten.« Ein kaltes, starres Grinsen breitete sich auf seinem
mutierten Gesicht aus. »Es ist an der Zeit, dass Tamuzz seinen Angriff abbricht.« Dem
Kriegsherrn würde das nicht gefallen, doch er sollte genug Intelligenz besitzen, den Druck der
Notwendigkeit zu erkennen, wenn man ihn ihm klar vor Augen stellte.
Der Hexer hob seinen Stab. Ein Strom lästerlicher Äußerungen floss zischend zwischen
seinen Lippen hervor. Auf dem Vorderkastell gab es eine strahlende Explosion, blendete die
Kämpfer beider Seiten und brachte sie dazu, von ihren Gegnern abzulassen. Während sie noch
geblendet waren, wandte Khoram einen weiteren Zauber auf die Dämonenscheibe an, die den
Kriegsherrn trug. Die Kreatur verließ rasch den Ort des Kampfes und wirbelte mit ihrem
Herrn durch die Luft.
Khoram befahl seinem eigenen dämonischen Reittier, sich Tamuzz anzuschließen. Als er
den Kriegsherrn erreichte, hatte dieser sein Augenlicht wiedererlangt und war bereit, sich
erneut in den Kampf zu stürzen.
»Es ist genug«, verkündete ihm Khoram. »Die Duardin sind da, wo wir sie haben wollen.«
Tamuzz deutete mit seiner Gleve in Richtung des Vorderkastells und des gerüsteten
Admirals, der gerade mit den Kriegern, die noch gegen ihn standen, kurzen Prozess machte.
»Sie können uns nicht besiegen«, sagte Tamuzz. »Ich werde sie dem Mächtigen Tzeentch zum
Opfer bringen. Ihr letzter Atemzug wird dem Wandler gehören.« Er sah Khoram an, und ein
verächtliches Lachen drang durch den Rauchschleier. »Sie werden für ihren Trotz bezahlen.«
»Das werden sie«, versicherte ihm Khoram. »Aber auf eine Art, die uns besser dient. Du
solltest nicht zulassen, dass der Triumph in einer einzigen Schlacht deinem Blick auf das
Ganze eines größeren Krieges im Wege steht.« Der Hexer wies mit einem Tentakelfinger auf
die kreisende Sphäre des Zobras. »Große Gunst wird dir zuteil, wenn du siegreich bist. Aber
wenn du versagst, wird es keine Gnade geben.«
»Wenn wir versagen«, warnte Tamuzz den Hexer. Aber Khoram hatte trotzdem deutlich
gemacht, was er meinte. Der Kriegsherr verzog finster das Gesicht in Richtung des
Panzerschiffs unter ihnen. Er riss das Elfenbeinhorn aus seinem Gürtel und hob es zu seinem
rauchverhüllten Gesicht. Dreimal ließ er es aufheulen, ein Befehl, den alle in seiner
Kriegsschar verstanden und dem sie eiligst Folge leisten würden. Die Krieger, die gerade in
ein Gefecht mit den Duardin verwickelt waren, lösten sich hastig daraus, ungeachtet der
Blößen, die sie sich durch ihren schnellen Rückzug auch geben mochten. Die Kreischer und
Dämonenstreitwagen lösten sich langsam auf, da die Zauber, die sie in Chamon in einer
materiellen Form hielten, aufgehoben wurden.
Ein großer Jubel erhob sich von den umkämpften Kharadronschiffen, ein laut
triumphierendes Siegesgeschrei. Die Duardin glaubten, sie hätten den Angriff abgewehrt und
ihre Feinde in die Flucht geschlagen.
Da seine Dämonenscheibe jetzt vom Zauberbann des Hexers befreit war, trieb Tamuzz sein
Reittier zurück in Richtung der Schattenöde an. »Kümmere dich um sie, und zwar schnell«,
rief Tamuzz dem Hexer hinterher. »Lass keinen am Leben.«
Khoram lächelte über den letzten Befehl des Kriegsherrn. »Nein«, flüsterte er seinem
Homunkulus zu. »Nicht alle. Die Sphäre hat mir gezeigt, dass sich ein größeres Potenzial
daraus ergibt, wenn einer von ihnen überlebt.« Er starrte dem davoneilenden Kriegsherrn
hinterher. »Er kennt meinen Plan«, meinte der Hexer. »In seinem Zorn hat Tamuzz aber diese
Einzelheit vergessen.«
Der Trugling zirpte in Erwiderung und bestätigte Khorams Verdacht. »Er denkt, er könnte
mich dazu verleiten, meine eigene Taktik zu verderben. Tamuzz hegt seine Zweifel. Er sorgt
sich stärker um den Preis des Versagens als um die Belohnung im Falle des Erfolgs. Er hofft,
sich einen Sündenbock zu schaffen, der sein eigenes Versagen entschuldigen könnte. Solch
erbärmlicher Verrat könnte den Mächtigen Tzeentch hinreichend amüsieren, sodass er ihm
vielleicht seine Fehler verzeiht.«
Khoram gefiel die eifrige Zustimmung des Homunkulus zu seiner letzten Feststellung ganz
und gar nicht. Das war etwas, was der Hexer sorgfältig im Auge behalten sollte. Welche
gemeinsamen Bündnisse er auch mit Tamuzz teilen mochte, so verfolgten sie dennoch jeder
für sich ihre eigenen ehrgeizigen Bestrebungen. Ruhm war eine Sache, die sich nicht so leicht
teilen ließ.
Der Hexer war bald allein am Himmel, da der Rest der Kriegsschar sich in die Schattenöde
zurückgezogen oder sich wieder ins Reich des Chaos aufgelöst hatte. Nur die Duardin waren
zurückgeblieben. Die Duardin und das Geschöpf, das ihnen während des ganzen Kampfes
schon über ihnen gefolgt war. Khoram zog aus der Skavenhauttasche, die seine arkanen
Utensilien enthielt, einen Spiegelsplitter hervor, ein Bruchstück des legendären Irrgartens der
Reflexionen. Als er hineinblickte, sah er nicht sein eigenes Bild, sondern das eines reptilischen
Wesens, das auf ledrigen Schwingen durch die Wolken dahinflog. Er hielt seinen Arm hoch,
damit der Trugling mit scharfen Fängen an seinem Handgelenk knabbern konnte. Eine kleine
Blutspur rann aus dem zerrissenen Fleisch. Er entzog dem Trugling seinen Arm, hielt ihn über
den Spiegel und ließ einen einzigen Tropfen auf das Glas perlen. Augenblicklich verschwand
das Bild des fliegenden Reptils.

Thorki beobachtete, wie die Chaoshorden durch den Himmel flohen. Um ihn herum hob seine
Mannschaft zu jubeln an. Bald genug würden sie an die Kameraden zurückdenken, die sie
verloren hatten, und den Schaden, den ihre Schiffe davongetragen hatten. Doch jetzt war der
Moment des Sieges.
»Ladet die Kanone nach!«, befahl Thorki den überlebenden Kanonieren. Kurz fiel sein
Blick auf den kopflosen Körper von Udri. Es war ein unehrenhafter Tod für einen Duardin,
besonders einen Veteranen unzähliger Schlachten, wie es sein Erster Kanonier gewesen war.
Der Admiral trat zur Reling des Vorderkastells und bellte den Arkanauten auf dem Deck
darunter seine Befehle zu. »Macht eure Waffen bereit! Das könnte ein Trick sein! Haltet die
Augen offen! Seid wachsam!«
Thorki sah sich nach Grokmund um. Er hatte den Äther-Khymiker während des
Kampfgetümmels aus den Augen verloren. Sein Magen drehte sich bei dem Gedanken um,
dass Grokmund unter den Opfern sein könnte. Thorki sprang aus dem Vorderkastell herab und
begann die Toten zu untersuchen. Er traf dabei auf den Quartiermeister des Schiffes, Frekrin.
»Hast du Grokmund gesehen?«, wollte er von ihm wissen.
»Nein, Admiral«, erwiderte Frekrin.
Thorki kam ein Gedanke. »Schau in seiner Kabine nach. Finde seine Kiste.« Wenn
Grokmund nicht von den Angreifern über Bord geworfen worden war, dann war er vielleicht
nach unten gegangen, um nach ihrem Fund zu schauen. Der Quartiermeister eilte unter Deck,
um seinem Befehl nachzukommen.
»Über uns! Über uns!« Panikerfüllte Schreie hallten von der Beobachtungskuppel hoch an
der Endrin herab. Die Rufe wurden von den verbliebenen Endrinfliegern aufgegriffen, als
diese ihre Blicke aufwärts wandten.
»Ihr Götter tief unten«, betete Thorki, als er zum Himmel emporstarrte.
Wie ein sich sammelnder Nebel erschien ein gewaltiger Umriss am Himmel über der Flotte
der Kharadron. Seine Ausmaße waren gigantisch, sogar doppelt so groß wie selbst die
Sturmbrecher. Ein riesiges Reptil mit Schuppen schimmernden Blaus und dunklen Grüns und
gewaltigen Schwingen, die sich von seinen breiten Schultern erstreckten und sich ein dutzend
Meter in jede Richtung spannten. Vier massive Beine hatte es an seine blasse Unterseite
gefaltet, jedes davon in sichelgleichen Klauen endend. Ein schlangenartiger Schwanz wand
sich hinter ihm dahin und wurde von einer Ansammlung schwarzer Stacheln gekrönt. Entlang
seines Rückens, gleich einer Phalanx von Speerträgern, zogen sich doppelte Reihen langer
Dornen, zwischen denen sich straffe transparente Membranen spannten. Der Kopf der Bestie
war lang gezogen, sprang zu einer reißzahnbewehrten Schnauze vor und prall schillernde
Facettenaugen quollen am Rand ihres gehörnten Schädels hervor. Dieser Kopf wurde von
einem langen, sehnigen Hals gehalten, der sich in der Mitte seiner Länge gabelte. Dort spross
ein zweiter dicker Stumpf hervor, an dem ein zweiter, kleinerer Kopf saß.
»Drache!«, brüllte Thorki, und das Wort fuhr das Deck entlang wie ein Eissplitter. Er
wandte sich zur Salvenkanone um. »Nachladen! Nachladen!« Die erschöpften Kanoniere
versuchten sofort fieberhaft, die gleiche Dringlichkeit, die in der Stimme des Admirals lag,
auch in ihr Handeln fließen zu lassen.
Alarmrufe erhoben sich von jedem der Schiffe, Befehle wurden durch die Sprachrohre
gebrüllt, verlangten nach mehr Geschwindigkeit und schnelleren Manövern. Ein
Bombardement aus allen Rohren traf das fliegende Reptil, Lanzen von Ätherstößen aus
Gewehrläufen, die wirkungslos auf die dicken Schuppen einprasselten. Schwerere Waffen
versuchten, das Monster ins Visier zu bekommen, während die Schiffe, auf denen sie
angebracht waren, versuchten, sich in neue Positionen zu manövrieren. Eine Harpune flog zu
dem Wurm hoch und durchschlug die Membrane seines Flügels. Die Kanone eines
Grundstok-Geschützbootes donnerte und jagte der Bestie eine Salve vor den Bauch.
Mit einem donnernden Aufkreischen der Verärgerung warf sich der Drache abwärts. Seine
Klaue schmetterte auf das Geschützboot herab, das nach seinem Bauch gefeuert hatte,
durchschnitt glatt dessen Endrin und verwandelte das Gefährt in bloße Trümmer. Das
zerdrückte, verbogene Schiff stürzte zur Erde herab und zog eine Spur von Rauch und
glitzerndem Äther aus dem Riss in seinem Rumpf hinter sich her.
Thorki kletterte eilends die Leiter hoch und half der Mannschaft dabei, die Salvenkanone
erneut zu laden. »Zielt auf den Bauch«, wies er die Kanoniere an.
Eilig zielten sie auf den niederstürzenden Drachen und feuerten. Der Beschuss prasselte auf
die Wurmschuppen ein, jedoch nicht so wirkungslos wie die Salve des Geschützbootes. Der
Drache heulte auf vor Schmerz, und Rauch und Blut rann aus den Narben, welche die Kanone
wie Pockennarben auf dem Wurm hinterlassen hatte. Mit zornigem Zischen stürzte sich das
Reptil auf das Panzerschiff.
Die Donnerhunde und Arkanauten auf den Decks feuerten ihre Geschütze auf die Bestie ab,
die auf ihr Schiff zuraste. Endrinisten lösten die Kabel, die sie am Panzerschiff festhielten und
erhoben sich zum Angriff auf die Bestie. Bohrkanonen und Himmelsharpunen bombardierten
die schuppige Haut, konnten aber den Sturzflug des Reptils nicht verlangsamen. Ein wildes
Zucken des Drachenschwanzes ließ zwei Geschützboote haltlos durch den Himmel trudeln, da
ihre Äther-Endrinen von der Wucht des Treffers geborsten waren. Ein drittes wurde von der
Klaue des Monsters zerquetscht und das Wrack wurde wie ein verdrehtes Geschoss in
Richtung des Panzerschiffs geschleudert.
»Schneller! Schneller!«, brüllte Thorki die die Salvenkanonen nachladenden Kanoniere an.
Mit jeder Sekunde wurden mehr aus seiner Mannschaft von der Bestie hinweg geschlachtet.
Jeder Moment konnte ihnen allen die endgültige Vernichtung bringen. Er wandte den Kopf
und blickte das riesige echsenhafte Untier an. Was er sah, entsprach seinen schlimmsten
Befürchtungen.
Ein glühendes Feuer baute sich im hinteren Teil des Drachenmaules auf. Beide Köpfe
starrten in bösartiger Gier auf die Sturmbrecher herab. Mit ohrenbetäubendem Tosen ließ der
Feuerwurm seine Flammen auf das Schiff niedergehen. Die Endrin, welche das Panzerschiff
in der Luft hielt, erbebte, Schläuche und Rohre platzten, als die ungeheure Hitze darüber
hinwegspülte und der Posten in der Kuppel verkochte in seiner eigenen Rüstung. Die
Flammen glitten über das Deck, schmolzen Panzerung und Befestigungen, verdampften Kabel
und Taue. Die Arkanauten, die der Flammenstoß erwischte, wurden augenblicklich gekocht,
und nichts als schmieriger Rußflecken blieb von ihnen auf dem Deck zurück. Ein paar
überlebende Endrinflieger zielten und feuerten eine Reihe von Vergeltungsschüssen auf das
Ungetüm ab.
Der Drache brüllte laut auf und das Zornesdröhnen seines Schreis lief wie Donner den
Himmel entlang. Sein Sturzflug ließ ihn auf die Endrin niederschmettern. Klauen, die gegen
die Hitze seines eigenen Feuers unempfindlich waren, umschlossen eng das wuchtige Gerät
und gruben sich in dessen eiserne Haut. Er schwang seinen Kopf herum, als Thorki gegen ihn
die Salvenkanone in Anschlag brachte.
»Wir werden die Endrin treffen!«, protestierte einer der Kanoniere, als er sah, was Thorki
vorhatte.
»Wir werden aber auch den Drachen treffen«, entgegnete Thorki. Sie hatten keine andere
Wahl. Wenn sie zögerten, würde das Reptil sie ohnehin in die Tiefe schleudern. Aber wenn sie
die Bestie mit sich in den Untergang rissen, dann konnten sie so wenigstens den Rest der
Flotte retten.
Das Zögern der Kanoniere dauerte nicht lange, doch das war lang genug für ihren Feind.
Fauchend sprang der Drache von seinem Sitz auf der ramponierten Endrin herab und stürzte
sich auf das Vorderkastell. Die Salvenkanone wurde unter seinem gewaltigen Gewicht
zerschmettert. Thorki schrie unter Schmerzen auf, als das Gewicht der Bestie auf ihn
herabdrückte, ihn unter seinen riesigen Klauen niederhielt. Beinah anmutig kam der
Hauptkopf des Drachen in einem Bogen herab und schnappte sich einen der Kanoniere. Voller
Neid biss der zweite Kopf nach den baumelnden Beinen und zerrte an seinem Happen der
Beute, bis es den todgeweihten Kanonier schließlich in zwei Teile zerriss.
Schüsse von den anderen Schiffen der Flotte ließen den Drachen sich von seinem grausigen
Mahl abwenden. Eine erneute Welle des Schmerzes durchschoss Thorki, als sich das Reptil in
die Luft erhob und das enorme Gewicht sich von ihm löste. Die schwere Rüstung, die er trug,
bot kaum Schutz vor der ungeheuren Gewalt des Drachen. Statt unter seiner Masse zu
zerplatzen, war er zerquetscht worden, seine Rippen gesplittert, die Knochen geborsten. Blut
rann aus seinem zerschlagenen Körper und umgab ihn in einer sich stetig erweiternden Pfütze.
Alles, was er tun konnte, war, die Augen offen zu halten und dem Sog des Grabes Widerstand
zu leisten, während die Wärme aus seinem Körper wich.
Thorki konnte erkennen, wie einige der überlebenden Endrinflieger verzweifelt versuchten,
zu der Endrin hochzuklettern, um ein wenig des angerichteten Schadens zu reparieren. Noch
während sie Trümmer zu einer primitiven Leiter auftürmten, platzte einer der beschädigten
Tanks und spie einen Strom von Äthergas aus. Thorki hörte ihre Schreckensschreie, während
die verzweifelte Lage des Panzerschiffs offenbar wurde. Das Schiff machte einen heftigen
Satz und den zerbrochenen Admiral warf es ein Deck tiefer.
Thorki landete in einem heftigen Aufprall, ein Klumpen zerbrochener und brechender
Glieder. Er fühlte, wie jemand nach ihm griff, schaffte es, seinen Kopf so weit zu drehen, dass
er Frekrin sehen konnte, der versuchte, ihn mit einer Hand fortzuzerren, während seine andere
Grokmunds Kiste umfasste. Der Anblick des wertvollen Fundes des Äther-Khymikers verlieh
Thorkis Leiden eine letzte bittere Note.
»Zu spät«, sagte Thorki zu Frekrin. »Alles ist verloren.«
Doch Frekrin fuhr ungerührt in seinem Versuch fort, Thorki wegzuziehen. »Es gibt noch
eine Chance, Admiral. Wenn wir …«
Was immer der Quartiermeister auch im Sinn hatte, blieb unausgesprochen. Der schwer
mitgenommene Panzerkreuzer machte einen erneuten Ruck, was weitere Verzweiflungsrufe
aus der überlebenden Mannschaft aufsteigen ließ. Frekrin riss es von den Beinen und selbst
seine magnetischen Stiefel konnten ihm keinen Halt mehr geben. Thorki sah, wie er quer über
das Deck und in ein Loch in den Planken nahe des Vorderkastells geschleudert wurde. In dem
einen Augenblick war er da, dann war er verschwunden.
Ähnlich wie Thorkis Schiff, sann der Admiral. Die Bemühungen, die Endrin zu retten,
waren sinnlos. Das Ende war nun unausweichlich. »Alles ist verloren«, wiederholte Thorki. Er
fühlte, wie die Gruft sich um ihn schloss und der Puls in seinen Adern stockte.
Ein letzter Ausruf des Schreckens seiner Mannschaft erreichte Thorkis Ohren.
Der Auftrieb des Schiffes versagte und die Sturmbrecher fiel wie ein Stein in das Tal tief
unter ihnen.

Khoram sah der Zerstörung des Panzerschiffs mit tiefer Befriedigung zu. Es war, als würde er
einen Samen pflanzen. Ein Same, aus dem noch große Dinge wachsen würden.
Der Hexer warf einen Blick zurück auf den tobenden Drachen, der durch den Himmel
pflügte und die Überlebenden der Flotte jagte. Eine Fregatte, die seine erste Attacke
überstanden hatte, stürzte jetzt als verdrehtes, zerfetztes Wrack erdwärts. Die anderen würden
ihr bald folgen. Khoram kümmerte ihr Untergang wenig. Alles, was für ihn zählte, war, dass
das Panzerschiff genau da war, wo er es brauchte. Im Tal, das die Sphäre des Zobras ihm
gezeigt hatte.
Dieses Feld würde bald eine äußerst ertragreiche Frucht hervorbringen.
KAPITEL ZWEI

Das Leuchtfeuer loderte und wogte von dem felsigen Gipfel empor, eine sich windende
Schlange aus Flammen und Rauch, die sich in den von Zwielicht verhangenen Himmel erhob.
Knochentotems umgaben den Holzhaufen, verstümmelte Skelette gigantischer Bestien und
untergegangener Feinde. Sie waren so lange mit Tauen aus getrockneten Sehnen
zusammengebunden worden, bis sie zu großen Säulen verschmolzen, auf denen die Schädel
gefallener Häuptlinge thronten.
Hoch über dem Leuchtfeuer segelten drei wuchtige Gefährte durch den Himmel. Das Größte
der drei flog vor seinen Begleitern her, neigte sich in seinem Anflug und näherte sich
allmählich dem Gipfel. Mächtige, in ihren Bug geprägte Runen wiesen sie in förmlichem
Duardin als Ang Drak aus, obwohl jene, die auf ihr segelten, sie bei einem vertrauteren Namen
nannten – Eisendrache.
Kapitän Brokrin Ullissonn kannte dieses Panzerschiff besser als seine eigene Haut. Nahe
dem Bug, dort wo er stand, konnte er jedes kleinste Zittern spüren, das durch den Rumpf des
Schiffes lief, er spürte es wie den Herzschlag eines lebendigen Wesens. Er kannte den
Eisendrachen gut genug, um zu wissen, wann sie gesund war und wann krank, sogar bevor die
Endristen das herausfanden. Das Schiff war Teil von ihm und er war Teil des Schiffes.
Durch das Ätherfernglas, das er vor sein Auge hielt, konnte Brokrin jede Einzelheit der
archaischen Anordnung rund um das Leuchtfeuer erkennen. Da war eine feine Puderschicht
von Schnee, welche die Totems überzog, ein Zeichen, dass sie dort vor dem letzten Schneefall
aufgestellt worden waren, was bedeutete, dass sie dort zumindest seit vier Tagen standen.
Unter den blonden Zöpfen seines Bartes lächelte der Duardin. Er ließ sich nicht so leicht von
den Totems und den Bannern täuschen.
»Die Chuitsek mögen gute Jäger sein, aber sie sind auch gerissene Händler«, sagte er. »All
diese Trophäen, die sie um das Leuchtfeuer aufgestellt haben, sind lediglich eine
Werbemaßnahme. Sie sagen uns, warum wir heruntergehen und mit ihnen handeln sollten.«
Brokrin nahm das Glas vom Auge und schob die Bronzeröhre wieder zu einem abgeflachten
Oval zusammen.
»Was denkst du, wie viele andere Kharadron haben dieses Leuchtfeuer schon vor uns
gesehen?«
Die Frage kam von Mortrimm, dem barschen, alten Äthernavigator, der schon so lange den
Himmel befuhr, dass er noch unter dem Kommando von Brokrins Vater zahlreiche Reisen
unternommen hatte. Es lag ein feiner Hauch des Tadels in dem Ton, in dem er sprach, eine
zarte Erinnerung daran, dass es nicht weise war, einen Profit auszugeben, der dann doch nicht
da sein mochte.
»Andere Händler aus Barak-Zilfin.« Brokrin schüttelte den Kopf. »Wir haben die
Himmelsfeste spät verlassen, und diese Route ist unter den Gilden wohlbekannt.« Seine Hand
ballte sich zur Faust.
»Einfach nur Pech«, sagte Mortrimm. Er bedauerte schon die Reaktion, die er bei Brokrin
hervorgerufen hatte. »Das passiert jedem mal. Besser ein paar Tage hinterherhängen, als die
Winde mit einer lecken Endrin zu reiten.«
»Pech«, wiederholte Brokrin. »Davon kriegt der Eisendrache mehr als genug ab. Wenn uns
das Glück noch mehr verlässt, dann werden wir noch erleben, dass die Schiffe anderer Festen
auch auf unseren Handelsrouten wildern.«
Mortrimm deutete mit dem Finger zum Horizont, wo man bereits den ersten Stern am sich
verdunkelnden Himmel glitzern sehen konnte. »Die Sternbilder des Frühlings«, verkündete er.
»Die ertragreichste Zeit, um die Chuitsek zu besuchen, ist nach dem ersten Tauwetter, wenn
sie begierig darauf sind, jene Felle und Häute loszuwerden, die sie während des Winters
warmgehalten haben. Nomaden mögen es nicht, zwischen den Jahreszeiten allzu viel mit sich
herumzuschleppen.«
»Die anderen Festen handeln mit anderen Stämmen«, meinte Brokrin zu dem graubärtigen
Navigator. »Sie werden wissen, dass jetzt die Zeit für Geschäfte ist. Wenn irgendjemand
unseren Schiffen an den Treffpunkten zuvorgekommen ist, dann können wir nichts anderes
erwarten als das, was sie zurückgelassen haben. Was immer sie für zu schäbig hielten, es nach
Barak-Zilfin zurückzubringen.«
Mortrimm runzelte die Stirn wegen Brokrins Stimmung. »Und das rechnest du dann als
einen weiteren Beweis für unser Pech an«, warf er ihm herausfordernd zu. »Ein Kapitän
braucht zumindest ein kleines bisschen Selbstvertrauen, um erfolgreich zu sein. Wenn du das
nicht aufbringst, dann hättest du uns auch all die Zeit und Mühe sparen und zu Hause bleiben
können.«
Die schroffe Zurechtweisung reichte aus, um Brokrin in Harnisch zu bringen, genauso wie
Mortrimm es erwartet hatte. Von tief in seinen Eingeweiden erhob sich ein Grollen der
Verärgerung und rollte durch seine stattliche Gestalt. »Bei Grungnis Zwanzig Blitzen, ich
werde dieses Pech, das mir schon so viele Sommer an den Stiefeln klebt, bezwingen! Ein
Debakel nach dem anderen, das an den Profiten meiner Unternehmungen nagt. Ich war
gezwungen, Stücke meines eigenen Anteils abzugeben, um die Geldgeber in Barak-Zilfin zu
besänftigen! Der Lohesturm, der beinah den Eisendrachen vom Himmel gebrannt hätte und
das Ar-Bier im Frachtraum überkochen und schlecht werden ließ. Die Horde von Grobi-
Piraten, die dem Eisendrachen so zugesetzt haben, dass wir den Zephir-Fund erst erreichten,
als der größte Teil seiner reichen Äthergold-Adern längst im Bauch der Tanker aus Barak-
Mhornar war.«
»Du vergisst den Glimmersturm, der jedes unserer Navigationsinstrumente so verpfuscht
hat, dass nicht einmal ich mir noch irgendeinen Reim auf unsere Position machen konnte«,
warf Mortrimm ein. »Wir haben Wochen an Treibstoff verbrannt, bevor wir wieder zu den
Handelsrouten zurückgefunden haben.«
»Das war eine fast so kostspielige Reparatur, wie der Befall mit Krätzmuscheln, die sich auf
die Panzerplatten gesetzt hatten, als wir aus Dwimmerpracht zurückkamen«, sagte Brokrin.
»Wir mussten Barak-Nar wegen einer Überholung anlaufen, und das hat uns am Ende einen
Achtel-Anteil des Feenstaubs gekostet, den wir geladen hatten.«
Brokrin schüttelte den Kopf und spürte einen bitteren Geschmack in seinem Mund. Der
letzte Vorfall wurmte ihn ganz besonders. Sich in eine fremde Himmelsfeste schleppen zu
müssen, war schon erniedrigend genug, ohne dass man auch noch Barak-Nar um einen
Gefallen anflehen musste. Da war einfach zu viel zwischen ihm und dem vom Glück
begünstigten Goldjüngelchen Brokk Grungsson; zu oft hatte sich sein Pfad mit dem des
opportunistischen Magnaten gekreuzt, als dass er ihm oder seinem vermaledeiten
Himmelshafen gegenüber irgendwelche herzlichen Gefühle hätte hegen können. Wenn
Brokrin vom Pech verfolgt war, dann musste sein Rivale mit einem Glücksstein in der Hand
geboren worden sein. Brokk war ihm bei der Bergungsaktion am Trawler Grollstachel nach
dessen verheerenden Zusammentreffen mit einem Harkraken zuvorgekommen. Bei der
Unterzeichnung der Handelsverträge mit den Arwatti-Derwischen um die die reichen
Lapislazuli-Vorkommen, die sie aus dem Wüstensand holten, war er wieder der Erste
gewesen. Er war es gewesen, der die Grimmhold-Ader entdeckt hatte, während Brokrin damit
beschäftigt gewesen war, einer Schatzkarte hinterherzujagen, die nicht die Tierhaut wert war,
auf die man sie gezeichnet hatte.
Brokrin schlug voller Erbitterung seine Faust auf die Eisenreling, zu wütend, um bei dem
Blitz des Schmerzes, der daraufhin seinen Unterarm durchfuhr, auch nur zusammenzuzucken.
»Pech, Pech, überall Pech!«, knurrte er. »Ich komme mir vor, als hinge da ein Bussard über
meiner Schulter, der mir auf Schritt und Tritt den Weg verdunkelt.« Er lachte auf, doch das
war ein freudloser Laut. »Schau mich doch an«, sagte er zu Mortrimm. »Selbst etwas so
Harmloses wie ein Handel mit den Chuitsek lässt mich schon in den Kategorien eines Fiaskos
denken. Vielleicht ist ja an dem, was sie hinter meinem Rücken flüstern, doch mehr dran als
nur missgünstige Hetze. Vielleicht gibt es wirklich einen Fluch.«
Einen Moment war Mortrimm still, nahm Brokrins Worte in sich auf. Als er dann sprach,
war seine Stimme ernst. »Wenn es einen Fluch gibt – und ich sage nicht, dass es einen gibt –
dann ist es an dir, ihn zu brechen.« Er tippte sich an die Schläfe. »Und das fängt hier oben
an.«
Das stetige Stapfen schwerer Stiefel brachte Brokrin dazu, sich nach der Treppe hinter ihm
umzuschauen. Seine Mannschaft kannte inzwischen seine Stimmungen; es gab nur wenige,
die ihn störten, wenn er hier oben am Bug war, allein mit seinen Gedanken. Einer davon war
Mortrimm. Ein anderer war Drumark, ein Duardin, der Taktgefühl selbst dann nicht erkannt
hätte, wenn es zwölf Meter groß gewesen und das derbste und unflätigste Trinklied gesungen
hätte, das man jemals in Barak-Zilfin gehört hatte.
Der schwarzbärtige Sergeant der Donnerschützen kam die Treppen mit der stampfenden
Anmut eines betrunkenen Ogors herauf, und der Geruch von schalem Bier und Äthermunition
wehten ihm weithin voraus. Obwohl der Sergeant das genau gleiche Äußere wie seine
Soldaten zur Schau trug, so war seins doch einem stetigen Verfall unterworfen, der umso mehr
voranschritt, ja länger sie aus dem Hafen fort waren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er gerade die
Halbzeit der Verlotterung erreicht, mit fleckiger Kleidung, verdreckter, mit Spritzern übersäter
Rüstung, zerzausten, verfilzten Haaren und einem Bart, den er durch eine Reihe von Perlen
geflochten hatte, sodass er ihn nicht kämmen musste. Da war ein Schmierölfleck an der Seite
seiner knolligen Nase, der beinah wie eine schmutzige Träne aussah.
Drumark nickte Brokrin zu, während er zur Reling schlenderte, und grüßte Mortrimm mit
halbherzigem Winken. Brokrins verärgertes Grummeln, als er zur Seite rückte, um ihm Platz
zu machen, schien Drumark daran zu erinnern, dass es noch etwas wie Höflichkeit gab. Er
deutete einen hastigen, wenn auch nicht gänzlich schlampigen Salut an, bevor er sich dann
dem weiten Ausblick von Hügeln und Tälern zuwandte, den das Panzerschiff überflog.
»Die Menschlinge scheinen ja mächtig auf Handel aus zu sein«, bemerkte er und wies mit
dem Daumen auf das ferne Leuchtfeuer. Drumark setzte schon zu weiteren Ausführungen an,
aber die Worte gingen in einem kehligen Rülpsen unter.
»Die Chuitsek«, sagte Brokrin. »Ich habe gesehen, dass sie ihre Totems rund ums Feuer
aufgebaut haben.«
Drumark nickte. »Das ist doch gut, oder? Wäre ziemlich mies, wenn das nur einer von den
Hungerleider-Stämmen wäre, die sich hier rumtreiben. Zumindest haben die Chuitsek
meistens anständiges Zeug zu bieten. Bei denen sollten wir einen vernünftigen Schnitt
machen.«
»Die Chuitsek haben immer gute Pelze«, stimmte Mortrimm zu.
»Wenn nicht jemand anders zuerst hier war«, erinnerte Brokrin sie.
Ein schnaubendes Lachen brach aus dem schwarzen Bart hervor. Drumark hakte einen
Finger in den Gürtel und lehnte sich gegen die Reling zurück. »Wie meine Mutter immer
sagte, Himmelshaie jagen nicht jeden Tag. Das wird sich schon alles wieder drehen.« Er
deutete erneut auf das Leuchtfeuer. »Sie müssen was zu verkaufen haben, sonst würden sie
wohl kaum Zeichen geben.«
Mortrimm nickte. »Genau das Gleiche habe ich gerade versucht, dem Kapitän zu
erklären …«
Aber so einfach war Brokrin nicht aus seiner brütenden Stimmung herauszureißen. »Könnte
genauso gut sein, dass sie uns einfach nur nach unten rufen, um zu erfahren, ob wir
irgendwelche Herden entdeckt haben oder um zu fragen, ob wir nicht ein gutes Wort für sie
bei den Himmelsgöttern einlegen können.«
Drumark lachte erneut. »Solange sie nicht von uns erwarten, dass wir ihnen auch ihre
Antwort übermitteln. Ist schwierig, ein ernstes Gesicht zu bewahren, wenn man Skaggi dabei
zuhört, wie er ein ganzes Fuder Lügen auf einmal loslässt. Wenn seine Zunge noch eine Spur
glatter wäre, dann würde sie sich selbstständig aus seinem Mund herausschlängeln und
versuchen, selber ihre eigenen Geschäfte zu machen.«
Die verächtlichen Bemerkungen des Sergeants über den Logistikator Skaggi ließ sogar
Brokrin schmunzeln. Er schlug Drumark mit der Hand auf die Schulter. »Was würdest du
drauf wetten, dass die Menschlinge genug haben, dass sich die Reise gelohnt hat? Genug, um
es zwischen uns und den anderen Schiffen der Flotte aufzuteilen?«
Drumark hielt die Hand vor den Mund und versuchte ein weiteres Rülpsen zu unterdrücken.
»Ich wette nie. Dieses ganze Gewette und Gespiele ist einfach eine zu riskante Sache.« Sein
Blick glitt zu den wenigen Fregatten, die sich an den Kurs des Panzerschiffs geheftet hatten.
Brokrin folgte dem Blick des Sergeants und beobachtete, wie die Fregatten auf das
Leuchtfeuer reagierten. Es war eine inoffizielle und zwanglose Flotte, einfach nur ein
Arrangement zum gegenseitigen Schutz und entstanden aus reiner Zweckmäßigkeit. »Die
anderen Kapitäne wissen von dem angeblichen Unglücksfluch, der auf dem Eisendrachen
liegen soll. Der einzige Grund, dass sie mir folgen, ist, dass ihr eigenes Unternehmen nicht so
lief wie geplant.« Er sah Mortrimm an. »Wahrscheinlich denken sie sich, ihr eigenes Glück
kann gar nicht schlimmer werden.«
»Der Eisendrache ist ein gutes Schiff«, verkündete Mortrimm. »Sie hat uns beide durch
einige Bredouillen gebracht, und wir stehen immer noch auf ihren Planken.«
Stirnrunzelnd blickte Brokrin über das Deck. »Zu viele neue Gesichter. Die meisten
Arkanauten sind erst seit ein paar Reisen bei mir. Gotramm und seine Truppe sind nur mit mir
losgezogen, weil kein anderes Schiff noch freie Kojen hatte.«
Drumark schnaubte bei dieser Bemerkung. »Gotramm ist ein kleines Jüngelchen. Kommt
frisch von der Akademie und will jetzt schnell ein Vermögen machen. Ist sich so verdammt
sicher, dass sein Erfolg unausweichlich ist.« Er deutete auf Mortrimm. »Egal, was dieser alte
Sternengucker hier sagt, ich ziehe eine ordentliche Prise guten, realistischen Pessimismus dem
blinden Optimismus mangelnder Erfahrung vor.«
»Gotramm fehlt der Blick fürs Ganze«, stimmte Brokrin zu. »Wenn er also auf dieser Fahrt
keinen Gewinn macht, dann wird er wahrscheinlich dem Unglücksfluch dafür die Schuld
geben. Noch einer, der diese Geschichte verbreitet. Der dann jedem von Ghazuls Fluch
erzählt.« Er wandte sich ab, und fasste das Heck ins Auge.
Brokrins Blick blieb an der großen Himmelsharpune hängen, die dort am Deck verschraubt
war. In mancher Weise war sie ein Symbol dessen, was er als seinen Niedergang betrachtete.
Er hatte eine stattliche Summe für die Waffe ausgegeben – eine der besten ihrer Art, die von
der Vereinigung der Harpuniere entwickelt worden war. Der Speer, der von den Ätherwerfern
geschleudert wurde, hatte eine so scharfe Obsidianspitze, dass die Harpuniere, wenn sie mit
ihm umgingen, Handschuhe tragen mussten, die mit Diamantstaub bedeckt waren. Der
dreieckige Kopf war entworfen worden, um sich wirkungsvoller an einem Ziel festzubeißen
als eine normale Harpune, sodass sie eine Wunde hinterließ, die sich nicht schloss, wenn es
dem Opfer gelingen sollte, sich davon freizureißen. Die Ketten, die an jeder Himmelsharpune
befestigt waren, waren aus Klagestahl geschmiedet, den die Grabräuber der Zaaraki aus den
versunkenen Städten der Sümpfe von Journ ausgegraben hatten. Er war so stark, dass selbst
ein Wahnflossler sie nicht durchbeißen konnte.
Ghazuls Fluch wurde die Himmelsharpune genannt, denn genau das war der ihr bestimmte
Zweck. Jenem Untier zum Fluch zu werden, das Brokrins Glück gewendet hatte. Es zu
vernichten. Jedem Schiff stand einfach nur ein bestimmtes Quantum an Glück zur Verfügung
und diesem Monster zu entkommen, hatte die Vorräte des Eisendrachen jäh aufgebraucht. Ihr
Kapitän war davon überzeugt, dass der einzige Weg, den Fluch zu brechen, darin bestand, ihn
gegen das Monster selbst zu wenden, ihm selber zum Fluch zu werden und jene Bestie zu
töten, welche die Weisen von Isomir den Großen Schreckensreißer des Nordens nannten.
»Da ist so was wie’n Hauch des Wahnsinns an dir, Käpt’n«, meinte Drumark, der bemerkte,
worauf Brokrin starrte. »Jeder andere wäre dankbar gewesen, einem Vieh wie Ghazul mit
heiler Haut zu entkommen. Aber du suchst auch noch nach diesem vermaledeiten Ding.«
»Ich hoffe vielleicht, dass ich auf es stoße, aber ich suche es nicht«, erwiderte Brokrin und
schüttelte den Kopf. »Aber ich werde verdammt noch mal bereit sein, wenn es wieder meinen
Weg kreuzt.«
Mortrimm schwenkte seine Hand in Richtung der Harpunenbesatzung. »Erzähl das nicht
Arrik und seinen Jungs. Die haben nicht bloß wegen der Anteile angeheuert. Die zählen
darauf, diesem Monster eins zu verpassen.«
»Alles andere, was sich auch nur irgendwie in die Luft erheben könnte, haben sie ja schon
erlegt«, stimmte Brokrin zu.
Er musterte Arrik genauer, da dieser gerade eine seiner halbtägigen Inspektionen von
Ghazuls Fluch unternahm. Der Helm des Duardin war so gestaltet, dass er einem fauchenden
Hund glich, das Maul zur linken Seite geöffnet, sodass sein Gesicht dort entblößt war und sein
Bart ihm über die Brust herabfloss. Die rechte Seite jedoch war geschlossen und verbarg eine
Unzahl grotesker Narben. Selbst Arriks Gefolgsleute wussten nicht, was es gewesen war, das
ihren Anführer derart verstümmelt hatte. Es war ein Thema, das er stets ignorierte. Selbst
Drumark im tiefsten, rüdesten Suff war es nicht gelungen, ihn so weit zu provozieren, als dass
er damit herausgerückt hätte, was ihm zugestoßen war.
Aber eins wusste Brokrin gewiss von Arrik. Der Jäger war nicht an Bord des Panzerschiffs,
weil er einfach nur darauf hoffte, dass sie irgendwann zufällig einmal auf Ghazul stoßen
würden. Nein, er erwartete es. Er glaubte, dass das Monster sein Mal an dem Schiff
hinterlassen hatte und es damit für sich beansprucht hatte. Irgendwann, irgendwo würde die
Bestie den Eisendrachen finden und den unterbrochenen Kampf beenden. Das war Arriks
feste Überzeugung.
Brokrin beschloss, dass er dieses kleine Detail lieber nicht mit seiner Mannschaft teilen
wollte. Sie murrten ohnehin schon genug über diesen Unglücksfluch.
Drumark allerdings beschwerte sich über etwas ganz anderes. Der Krieger wandte sich ab,
um zu dem Leuchtfeuer herabzublicken. Schneeflecken sammelten sich in den Schatten der
grauen Felsbrocken, die über die Ebene unter dem Gipfel verstreut waren. Ein paar Gruppen
knorriger Bäume reckten sich aus der rostbraunen Erde hervor. Sie konnten die Tierhautzelte
der Chuitsek erkennen, die sich um die Bäume drängten, die kleinen Kochfeuer und die Rudel
riesiger Hunde, die der Stamm zum Transport seiner Habseligkeiten benutzte. Jenseits der
Zelte erhob sich eine hölzerne Palisade, in der die Nomaden ihre großen Pferdeherden hielten,
die ihnen jene Mobilität verliehen, die Ebenen auf der Jagd nach dem reichsten Wild zu
durchstreifen. »Was meinst du, die werden uns doch hoffentlich nicht wieder nötigen, ihren
fetttriefenden Chai zu trinken, oder? Bei Grungnis Amboss, ich schwöre dir, ich habe letztes
Mal von diesem Gebräu Hämorrhoiden gekriegt.«
Brokrin warf dem Sergeant einen düsteren Blick zu. »Ist eine religiöse Sache. Eine
Methode, um ihnen zu beweisen, dass wir nicht mit Dämonen im Bunde stehen. Sie glauben,
dass das Getränk jeden vergiftet, der unreine Absichten hegt.«
»Ich hätte da ein paar unreine Absichten bezüglich des Sadisten, der dieses Zeug braut«,
grunzte Drumark. Plötzlich wandte er sich um, sah den Kapitän an und ein helles Glitzern lag
dabei in seinen Augen. »Was ist, wenn wir sie einfach bombardieren, bis sie überzeugt sind,
dass wir Freunde sind? Würde uns ’ne Menge Zeit sparen.«
»Und wie soll ich die Kosten der Bomben gegenüber Skaggi rechtfertigen?«, meinte
Brokrin lachend.
Drumarks Augen blitzten amüsiert auf. »Einfach. Lass einfach den bärtigen Deppen einen
Schluck von ihrem Chai trinken.«

Primitive mit Ocker und Blut beschmierte Banner aus Tierhäuten hingen von den Totems
herab, welche das Lager der Nomaden umringten. Simple Bildglyphen beschrieben die Saga
eines jeden Anführers und die Geschicke des Stammes in der Zeit seiner Führerschaft,
fellbehangene Jäger, die vorstürmten, um Mastodons und Garganten zu erschlagen, tapfere
Krieger, die gegen plündernde Orrukhorden und Blutjäger Krieg führten. Ein beständiges
Zeugnis der Stärke und des Ruhms des Chuitsek-Stammes.
Die Häuptlinge der Chuitsek sammelten sich in einem Kreis um Brokrins Abordnung. Was
Menschen anging, waren diese Nomaden ein zähes Volk, von kraftvoller Statur, breitschultrig
und mit kupferfarbener Haut. Die Älteren trugen farbenfrohe Tätowierungen, die an ihre
jeweiligen Verdienste gegenüber dem Stamm erinnerten. Die jüngeren Krieger waren mit
gefiederten Mänteln herausgeputzt und hatten einzelne geflochtene Strähnen, die ihnen über
die Seite ihres Gesichts herabhingen. Männer wie Frauen trugen die Krieger eine
Bronzeklinge, die in einer an den Kilt geknüpften Schlinge hing und nur die wohlhabendsten
unter ihnen hatten Waffen aus kaltem Eisen oder Stahl in ihren Gürteln stecken.
Nur der maskierte Schamane und seine Helfer blieben stehen, während der Häuptling und
seine Krieger auf dem Boden um die Duardin-Besucher herum Platz nahmen. Der Priester
geschmückt mit dem Fell eines Eiswolfes, streifte zwischen der versammelten Gemeinde
umher und murmelte einen rituellen Singsang vor sich hin, der die Aufmerksamkeit boshafter
Geister von ihnen ablenken sollte. Seine Helfer trugen große Tontöpfe, aus denen der Dampf
des heißen Chai darin aufstieg. Brokrin bemerkte mit einem Anflug schwarzen Humors, dass
Drumark der Erste der Duardin war, von dem die Chuitsek erwarteten, dass er dem Gebräu
zusprechen würde.
Die Größe des Eisendrachen – und die daraus folgenden Betriebskosten – gaben Brokrin
den Vorrang unter den Kapitänen. Dies war sowohl eine schwere Verantwortung als auch eine
große Ehre. »Merkwürdig, wie dieselbe Sache sowohl Privileg als auch Bürde sein kann«,
bemerkte er zu Mortrimm.
Der Navigator nickte und nahm einen Schale Chai von einem der Nomaden entgegen.
»Verhandlungen mit dem Stamm gehören zu den Pflichten eines Expeditionsleiters. Nichts
gäbe einem Menschling ein größerer Anreiz, wirklich hart zu handeln, als wenn er unter
seinen Kunden einen Mangel an Solidarität spüren würde.«
»Gefeiert, wenn ich einen gesunden Profit ergattere, wüst beschimpft, wenn nicht«, sagte
Brokrin. Er schenkte Mortrimm einen harten Blick. »Damit könnte ich klarkommen, wenn ich
nicht genau wüsste, was ein schlechter Handel bedeuten würde. So mancher würde es als
weiteren Beweis sehen, dass über mir und meinem Schiff ein Fluch hängt.« Er hob die Augen
und blickte himmelwärts zu den Fregatten hin. »Ich kann förmlich spüren, wie sie mich durch
ihre Ferngläser beobachten.«
»Könnte sein, dass du noch für ihre Wachsamkeit dankbar sein wirst«, meinte Mortrimm.
»Die Chuitsek kommen mir etwas angespannt vor. Wir haben in der Vergangenheit immer
wieder mit ihnen Handel getrieben, und ich habe sie noch nie so unruhig und gereizt erlebt.«
Er stieß Brokrin an und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die nervösen Blicke, die einige der
Nomaden in ihre Richtung warfen. Als die Menschen aber spürten, dass die Duardin ihre
Blicke bemerkt hatten, wandten sie sofort hastig ihre Augen ab.
»Irgendwas geht hier vor«, stimmte Brokrin zu. »Glaub nicht, dass wir die Einzigen sind,
die was bemerken. Hab gesehen, dass Drumark seine Pistole zurechtgerückt hat, damit er sie
leichter mit beiden Händen ziehen kann. Gotramm starrt ihren Hochhäuptling Kero schon die
ganze Zeit so durchdringend an, dass ich mich wundere, dass ihm noch nicht die Augen
rausgefallen sind.« Ein grimmiges Lachen erhob sich aus der Tiefe seiner Brust. »Und du
fummelst seit unserer Landung mit dem Balance-Bolzen des Äthermessers herum, und jetzt
sag mir nicht, das wäre einfach so unschuldig, wie du’s aussehen lassen willst. Das Ding gibt,
wenn’s sein muss, eine ordentliche Keule ab.«
Mortrimm legte den langen Metallstab ab. »Ein schlechter Wind ist besser als gar keiner«,
sagte er. »Aber nur, wenn er dich in einen besseren Teil des Himmels trägt.«
Brokrin strich sich durch den Bart und sann über den alten Sinnspruch nach. »Ich hasse es,
wenn du was Philosophisches zitierst. Denksportaufgaben für Duardin, die nichts Besseres zu
tun haben.«
»Du würdest es also vorziehen, wenn ich arbeitsamer wäre?«, fragte Mortrimm. »Mich so
manisch auf meine Pflichten konzentriere wie Skaggi sich auf die seinen?«
Von dem Dutzend Duardin, die den Eisendrachen verlassen hatten, schien allein Skaggi
völlig ungerührt. Der Logistikator war ausschließlich auf seine Arbeit konzentriert,
untersuchte die Felle und Häute, welche die Nomaden in den Kreis geschafft hatten, und
überschlug mit den Abakusringen an seinem linken Handschuh ihren Wert und rechnete ihn
gegen die Aufstellung der Ausgaben auf, die er mit den Ringen an seinem rechten Handschuh
durchführte.
»Skaggi würde nicht mal drauf achten, dass sein Bart in Flammen steht, wenn er glauben
würde, dass ihn das auch nur eine Kupfermünze kostet«, meinte Brokrin.
Mortrimm war da anderer Meinung. »Skaggi ist sich sehr wohl der Anspannung bewusst,
nur lässt sich seine tiefverwurzelte Habgier davon nicht erschüttern. Wenn es um Geld geht,
dann ist sein Hirn ein Motor mit nur einem Kolben.«
Skaggi klappte die kleine Lupe an seinem silbernen Stirnreif hoch, nachdem er das Fell
eines Schneelöwen zu Ende untersucht hatte. Er wandte sich mit ernster Miene zu Brokrin um.
Selbst in fröhlichster Laune hatte der Logistikator den Gesichtsausdruck eines beutelustigen
Geiers. Jetzt sah er absolut ausgehungert aus. Er warf dem Häuptling, der das Fell
angeschleppt hatte, einen Seitenblick zu und war die Freundlichkeit selbst, als er es dem
Stammesangehörigen zurückgab. »Auf ein Wort, Käpt’n«, meinte Skaggi.
»Nichts Gutes, nicht wahr?«, murmelte Brokrin, als der Logistikator zur Besprechung
nähertrat.
Skaggi bemühte sich, leise zu sprechen. Sie bedienten sich im Umgang mit den
Menschenstämmen eines Jargons, den man Schacherwelsch nannte, obwohl ein paar der
Nomaden doch schon schlau genug waren, ein paar Brocken der Duardinsprache
aufzuschnappen. Genug, als dass er Vorsicht walten ließ, als er mit dem Kapitän sprach.
»Drittklassiges Zeugs«, verkündete er. »Nichts, was ich bisher gesehen habe, scheint der
Mühe wert. Das letzte Fell war mit Schauermilben verseucht. Das Entlausen wird auch den
größten Teil der Farbe rausholen, und dann sieht es nur noch wie ein schlecht gebleichtes
Hirschfell aus. Alles, was mir bisher unter die Augen gekommen ist, ist Ausschuss.« Er zog
die Stirn in Falten, da er wusste, dass Brokrin das, was er da zu sagen hatte, nicht sonderlich
schätzen würde. »Irgendjemand muss schon vorher hier gewesen sein und all das gute Zeug
mitgenommen haben.«
Ein Gefühl der Übelkeit macht sich in Brokrins Eingeweiden breit. Er blickte zu den
rauchenden Überresten des Leuchtfeuers hinüber. »Aber warum haben sie sich dann die Mühe
gemacht, das Feuer anzuzünden?«, spie er hervor.
Das Gemurmel, das durch die Reihen der gesammelten Häuptlinge lief, sagte ihm, dass den
Chuitsek seine Erbitterung nicht entgangen war. Aber ob sie irgendwelchen Anstoß nehmen
mochten, war ihm im Moment vollkommen egal.
»Kein Elfenbein, keine Beinschnitzerei, keine Edelsteine, kein Felsbullenöl«, meinte
Skaggi. »Nur eine Handvoll Felle, von denen ich nicht glaube, dass sie irgendjemand haben
will.« Der Logistikator zog die Handschuhe aus, die er bei der Untersuchung der Felle benutzt
hatte, und warf sie zu Boden. »Das bringt uns nicht mal den Grog wieder ein, ganz zu
schweigen von all unseren anderen Ausgaben. Das wird ein übles Erwachen, wenn wir wieder
in den Hafen einlaufen und die Jungs sehen, was ihre Anteile ihnen einbringen.« Der Ton der
Beunruhigung, der in Skaggis Stimme lag, war nur allzu verständlich. Nach dem Kapitän war
es schließlich der Logistikator der Fahrt, den man für schlechte Einkünfte verantwortlich
machen würde.
Brokrin allerdings beschäftigten unmittelbarere Fragen. Er wandte sich an Mortrimm.
»Wenn die Chuitsek doch schon ihre besten Waren verkauft haben, warum haben sie dann das
Leuchtfeuer angezündet?«
»Als wir das erste Mal mit ihnen zusammengetroffen sind, bekamen sie eine Demonstration
der Stärke unserer Artillerie zu sehen«, sagte Mortrimm. »Eine Kriegshorde der Orruk haben
wir zu einem bloßen Schmutzfleck am Boden zusammengebombt. Die Nomaden sind nicht
solche Narren, als dass sie uns absichtlich provozieren würden.«
»Was haben sie dann vor?«, fragte sich Brokrin. »Was steckt dahinter?«
Ein Blick zu Häuptling Kero zeigte ihm die Unruhe, die in dessen Miene lag. Er behielt
seine eigenen Leute genauso aufmerksam im Auge wie die Duardin. Brokrin gewann den
Eindruck, dass Kero darauf wartete, dass einer von ihnen etwas tat, irgendeinen Zug machte,
der Ärger bringen würde. All die Feilscherei um zerlumpte Felle war nur ein Vorspiel, eine
Hinhaltetaktik, bis einer der Stammesangehörigen schließlich den Mumm aufbrachte, den
Duardin zu sagen, was sie wirklich wollten.
Brokrin beschloss, dass es Zeit war, die Sache voranzutreiben. Er trat von den anderen
Duardin fort und blickte Kero direkt an. »Kein Geschäft«, sprach er den Häuptling an. »Felle
schlecht. Kein Handel.« Selbst in Schacherwelsch wirkte diese Aussage barsch und schroff,
wie die Art von unhöflicher Direktheit, die man eigentlich von Drumark erwarten durfte, die
aber kaum dem Kapitän des Schiffes angemessen war. Brokrin sah Kero weiter an und wartete
auf eine Reaktion.
Kero hob die Hand. »Warte, Wolkenwanderer«, bat er. Er zeigte auf einige
Stammesangehörige. Sie entrollten Mastodonhäute und enthüllten eine Reihe metallischer
Objekte, welche die Machart der Duardin zeigten. Ein paar Ausrufe der Verblüffung entfuhren
den anwesenden Kharadron. Sie spürten, dass es bei der Art, wie die Nomaden an solche
Objekte gekommen waren, nicht mit rechten Dingen zugegangen sein konnten. Vorwürfe des
Diebstahls oder schlimmerem erhoben sich vonseiten Drumarks und ein paar anderer.
»Lasst den Käpt’n das regeln«, riet Mortrimm der Mannschaft.
Brokrin wandte sich an seine Leute, um das wütende Knurren zu beschwichtigen, das rasch
der ersten Überraschung folgte. Er konnte diese Gefühle verstehen. Sein eigenes Blut kochte,
als er auf das Sammelsurium von Gegenständen niederblickte, das die Chuitsek ihnen da
darboten. Der eingedellte Helm eines Arkanauten. Die Schutzbrille eines Endrinisten. Ventile
eines Ätherdruckanzeigers. Metallbesohlte Stiefel, viel zu weit und zu kurz für menschliche
Füße. Eine Ansammlung ganz verschiedener Dinge, aber alle trugen sie eindeutig das Gepräge
duardinischer Fabrikation.
»Frag sie, wie sie drangekommen sind«, befahl Brokrin Skaggi. Der Schacherwelsch-Jargon
reichte nicht aus, um dies befriedigend zu klären, und der Logistikator war der Einzige der
Mannschaft, der Kenntnisse der Chuitsek-Sprache besaß. »Sag ihnen, sie sollen alles
herbringen – selbst die Teile, die sie für sich selbst behalten wollten.«
Während sich Skaggi an Kero wandte, unterzogen die anderen die Duardinstücke einer
näheren Begutachtung. Endrinmeister Horgarr wies auf einen Schraubenschlüssel hin, dem
eine Herstellerrune in die Seite geprägt war. »Barak-Urbaz«, stellte Brokrin fest. Als die
Chuitsek noch weitere Teile aus ihren Zelten brachten, wurde rasch klar, dass alle diese Dinge
aus diesem Himmelshafen stammten.
Drumark hielt die Hand schussbereit an seiner Pistole. »Haben wohl den letzten Haufen
überfallen, der gekommen ist, um mit ihnen zu handeln«, knurrte er und funkelte die
Nomaden finster an. »Wenn sie denken, sie können jetzt mir ans Leder gehen, dann sollten sie
sich das lieber noch einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen!«
»Jetzt beruhige dich erst mal«, sagte Mortrimm. »Sie sehen nicht so aus, als wären sie scharf
auf einen Kampf.« Der Navigator wies mit der Hand auf die Stammesleute. Die Wahrheit
dieser Worte war selbst für jene Duardin offenkundig, die erst wenig Erfahrung mit Menschen
gemacht hatten. Die Chuitsek zeigten keinerlei Zeichen von Aggression; wenn überhaupt, so
deutete ihre Reaktion eher auf das Gegenteil hin. Viele von ihnen zeigten sich beschämt,
wandten die Augen ab und wichen den Blicken der Duardin aus. Das war ein merkwürdiger
Anblick für ein Volk, das sich als stolze Krieger sah.
»Lasst uns abwarten und hören, was Skaggi herausgefunden hat«, riet Brokrin. Er fühlte
sich noch immer innerlich ergrimmt, aber er war neugierig genug, um sich so weit
zurückzuhalten, dass er seinem Ärger nicht vorzeitig Luft machte. Hier lag ein Rätsel vor, und
er wollte es lösen, bevor er irgendwelche nachher unumkehrbaren Entscheidungen traf.
Warum sollten die Chuitsek ihren zukünftigen Handel mit den Kharadron aufs Spiel setzen,
indem sie ihnen Dinge anboten, die sie von anderen Duardin gestohlen hatten?
Skaggi redete eine ganze Weile mit Kero, und sowohl der Logistikator als auch der
Häuptling machten weit ausholenden Gesten, während der eine dem anderen seine jeweiligen
Positionen darzulegen versuchte. Schließlich wandte sich Skaggi um und winkte Brokrin zu
der Unterredung hinzu.
»Komm mit und bleib wachsam«, meinte Brokrin zu Gotramm. Er glaubte zwar nicht, dass
die Chuitsek irgendeinen Verrat im Sinn hatten, doch wenn dem so wäre, dann waren die
Duardin nicht die Einzigen, die in der Lage waren, ihre Feinde dadurch in Verwirrung zu
stürzen, dass sie zuallererst ihre Anführer ausschalteten.
Kero neigte den Kopf und faltete seine Arme vor der Brust, als Brokrin auf ihn zuschritt.
»Der große Oberhäuptling der Chuitsek der Eisweiten, Kero Bärenesser, heißt dich
willkommen, oh mächtiger Wolkenvater. Möge deine Hütte mit vielen Söhnen und deine
Hängematte mit vielen Weibern gefüllt sein.«
Brokrin schüttelte den Kopf, da er von dem, was Kero gesagt hatte, nicht mehr als den
Ausdruck ›Wolkenvater‹ verstehen konnte. Er hob die Handfläche, um Keros
Ehrfurchtsbezeugungen zu unterbrechen und wandte sich Skaggi zu.
»Vor drei Tagen hat er mit der Flotte aus Barak-Nar Handel getrieben«, erklärte der
Logistikator, ohne sich um die verdrießliche Miene zu kümmern, die sich auf Brokrins Zügen
breitmachte. »Sie haben ihnen all ihre wertvollen Güter verkauft. Muss ein ziemlich mieser
Logistikator gewesen sein, denn er hat ihnen einen weit besseren Preis gemacht, als ich das
jemals getan hätte.«
Brokrin winkte gegenüber Skaggis Eitelkeiten ab. »Das ist jetzt unwichtig. Ich will wissen,
wie sie an das ganze Zeug aus Barak-Urbaz kamen.«
»Darauf wollte ich gleich kommen«, sagte Skaggi, verärgert vom Einwurf seines Kapitäns.
Er deutete auf einen jungen Krieger, der hinter Kero saß. »Kurz nachdem der Stamm mit
Barak-Nar Handel getrieben hatte, kehrte eine von Keros Sohn Djangas angeführte
Jagdgesellschaft mit den Dingen zurück, die ihr euch gerade angesehen habt. Darum haben sie
ihr Leuchtfeuer wieder entzündet. Sie wollten das alles den Duardin zurückgeben. Sie hofften,
dass wir durch diese Geste freundlich gestimmt und ihnen im Gegenzug Geschenke anbieten
würden, aber als wir dann erst einmal hier waren, machten sie sich Sorgen, dass wir
stattdessen ihnen die Schuld gäben.«
Der junge Soldfahrer Gotramm trat vor. »Woher haben sie das?«, fragte er mit finsterem
Blick auf Djangas. Anders als die restlichen Nomaden wandte der Sohn des Häuptlings seinen
Blick nicht ab. Der Jäger glaubte offenkundig, dass es nichts gab, für das er sich schuldig
fühlen müsste.
»Da ist ein Tal, ein paar Tagesritte von hier entfernt, das man Schlangenschlund nennt«,
antwortete Skaggi. »Djangas und seine Leute sind zum Jagen dorthin gegangen. Stattdessen
fanden sie das Wrack eines Himmelsschiffs. Sie suchten nach Überlebenden …«
»Darauf möcht’ ich wetten«, stieß Gotramm spöttisch hervor, ohne den Blick von Djangas
zu lassen.
Brokrin brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen und drängte Skaggi, fortzufahren.
»Als sie niemanden mehr am Leben fanden, fingen sie an, das Wrack zu plündern«, meinte
Skaggi. »Waffen, Rüstungen, alles, was ihnen ins Auge fiel. Sie dachten sich, sie behalten die
besten Stücke für sich und nutzen den Rest, um sich unsere Dankbarkeit zu sichern.«
»Wirf keiner Tragödie den Zehnten hinterher«, sprach Gotramm. Er sah zu Brokrin hinüber.
»Der Kodex der Kharadron ist in diesem Punkt eindeutig.«
Brokrin wägte seine Worte gut ab, bevor er dem jungen Soldfahrer antwortete. »Für diese
Klausel gibt es guten Grund. Bezahl einen Schurken und du ermutigst ihn nur weiter. Du
machst damit alle Kharadron zum Ziel für Beutegeier, Geiselnehmer«, er ließ seinen Blick
über die Häuptlinge, besonders aber Kero, gleiten, bevor er die letzte Verfehlung zu der Liste
hinzufügte, »und Wrackräuber.«
»Kein Wrack. Fund«, entgegnete Djangas trotzig, zeigte damit, dass er das letzte Wort
verstanden hatte und eine Antwort in gebrochenem Duardin geben konnte. Der Krieger griff
an seinen Hals und riss die Kette ab, die er trug. »Nehmen«, sagte er, und warf es Brokrin vor
die Füße. Der Kapitän sah, dass der Schmuck aus feinen Golddrähten gefertigt war, die Art,
wie sie das Gyroskop eines Panzerschiffs enthalten mochte.
»Es wäre verrückt oder dumm, uns so etwas zu zeigen, wenn sie schuldig wären«, erklärte
Skaggi. »Es wäre ein Eingeständnis ihrer Schuld.« Ein listiger Ausdruck erschien in seinen
Augen, während er sich die Situation durch den Kopf gehen ließ. »Aber der Bartling hat recht,
was den Kodex betrifft. Wir können ihnen keine großen Geschenke geben, wenn auch nur der
Verdacht besteht, dass sie sich etwas Anstößigem schuldig gemacht haben. Vielleicht ein
Zwanzigstel von dem, was das Zeug wert ist. Das könnte die Wogen glätten, ohne sie weiter
zu ermutigen.«
Gotramm schnaubte verächtlich über Skaggis nachgiebige Art. »Du sorgst dich nur darum,
dass die Chuitsek zukünftig nicht mehr mit dir handeln wollen.«
»Und das ist auch ein wichtiger Punkt«, sagte Brokrin zu Gotramm. »Du bohrst kein Loch
in einen Krug, aus dem du trinken möchtest. Der Handel mit den Nomaden öffnet unserer
Himmelsfeste neue Märkte und bringt uns allen Silber in die Taschen.« Er hob die Halskette
auf, die Djangas weggeworfen hatte und ließ den Strang durch seine rauen Finger gleiten.
»Trotzdem müssen wir wissen, ob die Chuitsek sich uns gegenüber schuldig gemacht haben.«
Skaggi grinste den Kapitän an. »Das Bergegut trägt samt und sonders das Zeichen von
Barak-Urbaz. Ihr Unglück ist unser Vorteil. Müssen wir uns wirklich noch groß darum
scheren, was hier wirklich vorgefallen ist?«
Mortrimm funkelte den Logistikator mit den scharfen Zügen an. »Der Kodex unterscheidet
nicht zwischen der eigenen Sippe und der einer anderen Himmelsfeste. Ein Angriff gegen den
einen ist ein Angriff auf uns alle. Und wenn es um irgendeine miese Schlange von einem
Äthergold-Wilderer aus Barak-Mhornar ginge, wenn jemand denkt, er kann die Kharadron
bestehlen, dann gibst du ihm seinen eigenen Bart zu fressen.«
Skaggi hob entschuldigend seine Hände und behielt dabei besorgt die sie beobachtenden
Chuitsek im Blick. »Ich verstehe das und stimme dem auch zu, aber wir müssen hier
pragmatisch handeln. Das alles ist etwas heikel. Dies sind schlichte Leute, die leicht beleidigt
sind. Wir müssen ihnen einfach ein Zeichen unserer Dankbarkeit geben, oder sie nehmen es
persönlich und das nächste Mal zünden sie dann kein Leuchtfeuer mehr an.« Er war so
taktvoll, nicht zu erwähnen, dass der Stamm dann seine Waren an eine andere Flotte
verkaufen könnte.
Brokrin bedeutete Gotramm mit einer Geste zu schweigen, als der dazu ansetzte, Skaggis
Vorschlag zu kontern. Wie auch der Logistikator nahm der Kapitän die Stimmung der
Menschen in sich auf, die allgemeine Atmosphäre, die von denen im Kreis ausging. Er hatte
den Eindruck von Schuldgefühl, aber da war auch ein Hauch von Erwartung und sogar
Hoffnung. Skaggi hatte recht. Sie konnten es sich nicht leisten, den Stamm vollkommen zu
brüskieren. Aber andererseits konnten die Duardin auch nicht dulden, etwaigen Mord auch
noch zu belohnen. Wie unwahrscheinlich diese Möglichkeit auch immer sein mochte, er
konnte sie nicht gänzlich von der Hand weisen.
»Sag ihnen, wir nehmen all ihr Bergegut«, beschloss Brokrin. »Sie werden dafür mit dem
Viertelwert entlohnt.« Er hob die Hand, um sofort den Protest niederzukämpfen, den er in
Skaggis Kehle aufsteigen sah. »Viertelwert, sag das ihnen«, wiederholte er. »Sie brauchen
eine großzügige Belohnung, auf die sie sich zukünftig freuen können, denn jetzt werden sie
nichts bekommen.«
Ein verblüffter Ausdruck zeigte sich auf Gotramms Gesicht. »Was ist dein Plan?«, fragte er.
»Wir schauen uns das Wrack selbst an«, erklärte Brokrin. »Überzeugen uns davon, dass die
Menschlinge mit ehrlichen Mitteln an das Bergegut gekommen sind. Wenn ich davon
überzeugt bin, dann weiß ich, dass wir dem Kodex Genüge getan haben.«
Skaggi schüttelte den Kopf. »Der Kodex spricht sich auch deutlich gegen verschwendete
Mühen aus«, grummelte er. »Wir können das alles für weit weniger als den Viertelwert
abschließen.«
»Du gehst das vom falschen Ende her an«, schalt Brokrin den Logistikator. »Was denkst du,
wie viel Bergegut ein paar Jäger nach Hause bringen können? Und wie viel mehr sie wohl
zurücklassen mussten?«
Brokrins Überlegung stachelten Skaggis Bedenken nur umso mehr an. »Ich werde es ihnen
sagen«, meinte er. »Sie werden uns den Weg zu dem Tal verraten …«
»Nein«, unterbrach ihn Brokrin. »Wir wollen keine Wegbeschreibungen. Wir wollen einen
Führer.« Er nickte Kero zu. »Sag ihm, wir wollen jemanden, der uns zu dem Wrack
zurückführen kann.« Er hielt einen Moment inne, da der Zorn erneut in ihm hochkochte.
Wenn es einen Hinweis auf Verrat gab, wenn herauskam, dass der Stamm verantwortlich war,
dann gab es einen Menschling, den er dort bei sich haben wollte. Derjenige, der behauptet
hatte, die Tragödie gefunden zu haben. Brokrin deutete auf den fraglichen Krieger, und
erwiderte den finsteren Gesichtsausdruck, den Djangas zu Schau stellte mit gleicher Münze.
»Ich will, dass dieser Menschling bei uns ist, wenn wir von hier aufbrechen.«
Skaggi zögerte. »Das könnte Ärger mit den Häuptlingen bedeuten«, mahnte er. »Wir
könnten einen der anderen Jäger mitnehmen, wenn du denkst, dass wir einen Führer
brauchen.«
»Ich will Djangas«, beharrte Brokrin. »Wenn sie falsches Spiel mit uns getrieben haben,
dann sollen die Menschen wissen, wie Konsequenzen aussehen. Kero kann sich jetzt gegen
uns stellen oder uns seinen Sohn als Geisel überlassen. Das ist meine Forderung.«
KAPITEL DREI

Der Eisendrache und seine Begleiter schwebten über den felsübersäten Ebenen dahin. Flecken
von Vegetation zeigten sich dort, wo es das Tauwetter dem derben Dorngras ermöglicht hatte,
seine ersten Triebe emporschießen zu lassen. Noch ein paar Wochen und die Ebenen würden
weit weniger öde erscheinen, sondern von einer Decke zarten Grüns überzogen sein, das die
Mammutherden aus ihren Winterzufluchten lockte. In Erwartung der zurückkehrenden Herden
hatten die Chuitsek auch ihr Lager nur wenige Reisestunden entfernt aufgeschlagen. Nahe
genug, um die Tiere zu jagen, aber doch nicht so nahe, dass ihr Lager von den mächtigen
Kolossen niedergetrampelt werden könnte.
Bei der Reise vom Lager aus hatte man bisher eine Entfernung, für welche die Nomaden
normalerweise Tage zu Fuß gebraucht hätten, in lediglich ein paar Stunden zurückgelegt. Das
hatte den Duardin etwas Zeit gegeben, ihr Temperament zu zügeln, Mortrimms Bitte um Ruhe
und Skaggis Warnung vor vorschnellem Handeln wirklich in sich aufzunehmen. Aber
hauptsächlich waren es Brokrins ernste Versicherungen, die ihren Teil dazu beigetragen
hatten, ihre Bedenken zu beschwichtigen. Wenn etwas Unredliches geschehen war, dann
konnte man sich auf den Kapitän verlassen, die entsprechenden Mittel zu ergreifen und alles
zum Rechten zu führen.
Gotramm knabberte an einer Ecke Steinbrot-Keks herum und schmatzte genießerisch nach
jedem Bissen mit den Lippen. Er war zwar kein allzu großer Freund der schweren, groben
Kekse, die einen Großteil der Arkanautenrationen ausmachten, doch in letzter Zeit hatte er
eine neue Vorliebe für sie entwickelt. Djangas mangelte es an der Konstitution für
Duardinkost – sein Versuch vom Steinbrot abzubeißen, hatte ihn einen gesplitterten Zahn und
eine geplatzte Lippe gekostet. Um überhaupt etwas davon zu sich nehmen zu können, war der
Nomade darauf verfallen, die Kekse so lange in Bier einzulegen, bis sie zu einem teigigen
Matsch wurden. Gotramm fragte sich, warum der Stammesangehörige so wenig seiner
eigenen Nahrung mit auf die Fahrt genommen hatte. Vielleicht hegten die Chuitsek vor den
Kharadron solch eine abergläubische Ehrfurcht, dass sie glaubten, eine Fahrt auf einem
Himmelsschiff wäre vorbei, bevor es Zeit zum Abendessen war.
Der Stammesangehörige mochte vielleicht mit den Kharadron verglichen primitiv sein, doch
war er nicht so einfältig, dass er nicht verstand, was Gotramm da eigentlich tat. Er runzelte die
Stirn über den Arkanauten und wandte sich ab, um über den Rand des Schiffes auf die Ebenen
tief unten zu starren. Gotramm schnaubte amüsiert und knabberte erneut an seinem Keks.
Die Befremdung war gegenseitig – Gotramm fand es vollkommen gerechtfertigt, den
Nomaden zu piesacken. Djangas war abwechselnd frustrierend argwöhnisch und enervierend
halsstarrig. Er war noch nie auf einem Himmelsschiff gewesen. Es hatte sogar, trotz seiner
Angeberei, einigen Zuredens bedurft, ihn überhaupt dazu zu bringen, das Himmelsschiff zu
betreten, als erst einmal die Zeit gekommen war, das Lager der Chuitsek zu verlassen. Sein
Stamm betrachtete die Kharadron mit einer gewissen Ehrfurcht, und Gotramm vermutete, dass
sie, jenseits der Schnelligkeit ihrer Schiffe, alle möglichen abergläubischen Vorstellungen mit
den Duardin verknüpften. Jedenfalls war Djangas ein kalkweißes, zitterndes Wrack, als das
Panzerschiff sich in die Lüfte erhob.
Unglücklicherweise war der Mann aber nicht so geblieben. Widerwillig musste Gotramm
den Schneid des Nomaden bewundern. Statt sich unter Deck zu verkriechen, überwand
Djangas‘ Neugier die Furcht. Zunächst noch scheu, später dann schon mutiger, schritt der
junge Mann von einem Ende des Decks zum anderen und starrte staunend auf das Land herab,
das sie überflogen. Der Nomade hatte natürlich keine Himmelsfahrerbeine, und jede holprige
Stelle ungnädigen Äthers, jedes Schwanken in den Luftströmungen ließ ihn umherstolpern
und mühsam um Gleichgewicht ringen. Er wurde furchtbar wütend, als Mortrimm versuchte,
ihm eine Leine anzulegen, damit er nicht über die Seite fiel. Skaggi hatte ihnen den Zorn des
Mannes erklärt – er hatte das Gefühl gehabt, der Duardin wollte ihn anleinen wie einen Hund.
Horgarr hatte es geschafft, dem Menschling ein Paar magnetisierter Schuhe passend zu
machen, nachdem er Djangas erst einmal davon überzeugt hatte, dass er die brauchen würde.
Danach hatte Brokrin Gotramm zum Kindermädchen für ihren Passagier ernannt, das dafür
sorgen sollte, dass er nicht in Schwierigkeiten geriet.
»Bartloser Pferdekuschler«, fluchte Gotramm, während er zusah, wie Djangas sich über die
Reling lehnte. Er schlenderte hinüber und zog den Krieger zurück. »Du wirst noch
drüberfallen und an den Bergen zerschellen«, sagte er dem Nomaden und achtete darauf, seine
Stimme ruhig und gelassen zu halten.
Djangas verstand seine Worte nicht, bekam nur den Tonfall mit. Gotramm hätte den Mann
einen ekelhaften Grobi-Dieb nennen können, und der Jäger hätte dazu nur genickt.
»Vielleicht sollte ich dich über die Schiffswand stoßen«, sagte Gotramm. »Würde dir das
gefallen, du glotzender Idiot?« Zur Antwort nickte Djangas nur. Dann formte er seine Hand
wie zu einer Schale und hob sie dann zum Gesicht, murmelte etwas in Chuitsek, was
Gotramm nicht verstand, aber dessen Bedeutung er erraten konnte. Die Verärgerung des
Soldfahrers wuchs. »Noch mehr Grog?«, platzte er heraus. Sie hatten zwar noch einiges in
ihren Lagerräumen, aber für einen Duardin, weit weg von zuhause, war die Furcht, dass der
Vorrat zur Neige gehen könnte, ständig präsent. »Du hast ja kaum den letzten Krug, den ich
dir gab, bei dir behalten können.« Entweder verstand der Nomade ihn nicht oder ihm waren
seine Worte egal, denn er machte noch immer die entsprechende Handbewegung fürs Trinken.
»Wirst du deines Freundes langsam müde?« Die hämische Bemerkung wurde von einem
lauten Rülpsen unterstrichen. Gotramm blickte sich um und sah Drumark auf sich zu
schlurfen. Der Arkanaut fühlte, wie sein Ärger wuchs. Sie hatten schon Drumark, der sein
Bestes tat, den Grogvorrat zu dezimieren, sie brauchten wahrhaftig keinen Menschen, der ihn
noch zusätzlich aufbrauchte.
»Hast du nichts Besseres zu tun?«, erwiderte Gotramm. »Deine Musketenschützen drillen?
Ein Bad nehmen?«
Drumark hob einen Arm und versuchte dabei, nichts von dem Bier in dem Bronzekrug zu
verschütten, den er bei sich trug. Sein Gesicht zog sich in Falten, als er darunter schnüffelte.
Er blickte zu Gotramm zurück und schüttelte den Kopf. »Nein, alles bestens.« Er sah an dem
Arkanauten vorbei und grinste Djangas an. Der Nomade deutete auf den Krug, den er hielt,
und machte die gleiche Geste für Trinken. »Er wirkt durstig«, kommentierte Drumark das und
nahm einen Schluck von seinem Bier. »Du solltest was dagegen machen.«
»Ich nehme von einem Menschling keine Befehle entgegen«, verkündete Gotramm.
Der Ausdruck übertriebener Verwunderung zeigte sich in Drumarks Gesicht, sodass seine
Augenbrauen schon drohten, ihm den Helm vom Kopf zu schieben. Zu spät erkannte
Gotramm, dass er dem Grundstok-Sergeant in die Falle gegangen war. »Oh, das wusste ich
nicht«, sagte er mit vorgetäuschter Verblüffung. »Das hatte Skaggi aber anders gesagt …«
Gotramm schaute zu Djangas hinüber. Die Gesten des Nomaden nahmen eine fordernde,
fast gebieterische Art an. Der Arkanaut sprach Drumark durch zusammengebissene Zähne an.
»Was hat Skaggi gesagt?«
Gotramm hob die Hand zum Aufschub der Frage, während er einen weiteren Schluck nahm.
»Nun ja, Skaggi sagte etwas davon, dass er dafür sorgen würde, dass du dich um den
Menschling kümmerst. Dafür sorgen, dass er nicht über Bord fällt oder sich in dem ganzen
Zeug hier verheddert. Er dachte, dass du verlässlich genug für diese Aufgabe wärst. Natürlich
musste er diese Idee dem Menschling verkaufen.«
Gotramms Bart sträubte sich. »Was hat er dem Menschen erzählt?«
»Nichts Besonderes«, meinte Drumark lässig. »Nur wie du dich um ihn kümmern würdest.
Nicht als Leibwächter – ein großer, starker Krieger wie dieser Menschling könnte das als
beleidigend empfinden. Nein, Skaggi meinte, du wärst eher so was wie ein Diener. Der sich
um die Bedürfnisse des Menschlings kümmert, so was in der Art. Er ist schließlich eine
wichtige Persönlichkeit, dieser Menschling. Sohn von Häuptling Kero und so. Tja, dem
Stamm müssen so an die zweihundert Pferde gehören. Das ist bei denen so ziemlich das
Höchste an Adel.« Drumark lachte und deutet mit dem Daumen in Richtung Djangas. »Er
wirkt übrigens immer noch durstig.«
»Skaggi«, zischte Gotramm. »Dieser knickrige, kupfermünzenspalterische Raffzahn.« Es
ging ihm äußerst gegen den Strich, von dem Logistikator benutzt worden zu sein. Nicht dass
Skaggi ihn etwa direkt belogen hätte, er hatte es lediglich als angeraten betrachtet, ihm nur
ganz bestimmte Einzelheiten mitzuteilen. Das war etwas, worin Skaggi äußerst gewandt war:
den Geist des Kodex möglichst weit zu dehnen, aber dennoch seinen Regeln stets treu zu
bleiben. »Ich reiß ihm den Bart Haar für Haar aus.«
Drumark fuhr sich mit der Hand durch den eigenen Bart und nickte mitfühlend. »Du tätest
besser daran, den Hundsfott zu einem Würfelspiel zu verführen. Sein Ehrgefühl ist zu
schlüpfrig, als dass man ihn daran verletzen könnte. Die einzige Art, ihm wehzutun, ist, ihm
das Geld aus den Taschen zu ziehen.« Er fing an zu lachen, hörte dann aber abrupt auf. Seine
Aufmerksamkeit hatte sich erneut Djangas zugewandt. Der Nomade verlangte nicht länger
nach etwas zu trinken. Er stand an der Reling und deutet aufgeregt auf den Horizont.
Der Duardin konnte einen dunklen Riss erkennen, der durch den Gebirgszug lief, auf den sie
seit einigen Stunden schon zuhielten. Der Spalt war so scharf abgegrenzt, dass es schien, als
hätte ihn ein vorzeitliches Ungetüm mit einer Axt aus dem Berg herausgehackt. Tiefe Schatten
füllten die Kluft, ein schwarzes Band, das sich zwischen den schneebedeckten Gipfeln
hindurchwand.
»Schau«, verkündete Djangas in Schacherwelsch und deutete auf den Riss. »Da.
Himmelsleute.«
»Tja, sieht aus, als wären wir da«, witzelte Drumark. »Das muss wohl der sogenannte
Schlangenschlund sein. Wo diese Kerle das Schiff gefunden haben wollen.«
Gotramm packte Drumark am Arm und lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Boden unter
ihnen. Dort glitzerte etwas im Sonnenlicht. Etwas Großes, Metallenes. »Was immer er auch
gefunden hat, es gibt mehr davon«, sagte der Arkanaut in grimmigem Ton. Ein Gefühl der
Kälte durchfuhr ihn. Er wünschte, er hätte ein Fernglas, um sich Sicherheit zu verschaffen,
aber was da unter ihnen war, sah ganz nach einem Trümmerfeld aus, wenn auch viel größer
als die, die man ihm an der Akademie beschrieben hatte.
»Jemand hat das Ende seiner Reise erreicht«, bemerkte Drumark mit düsterer Stimme. Er
hatte genug Abstürze aus erster Hand gesehen, um ihre Spuren zu erkennen.
Ein Wirbel von Geschäftigkeit ergriff den Eisendrachen. Himmelswarte lösten ihre Leinen
und leiteten mit ihren Endrinen einen langsamen Abstieg ein. Mortrimm und Horgarr spähten
mit ihren Ferngläsern vom Achterkastell aus abwärts. Brokrin befahl dem Endrinraum, die
Geschwindigkeit zu verringern. Leuchtsignale blitzten von den das Panzerschiff begleitenden
Fregatten herüber.
Gotramm funkelte Djangas düster an, da sein Verdacht, die Nomaden könnten das Schiff
absichtlich zum Absturz gebracht haben, erneut aufkeimte. Dieser Argwohn war auch die
Wurzel seiner Feindseligkeit gegen den Menschling: dass er sich fast sicher war, dass Djangas
an einem Mord beteiligt war. Hier gab es viele Hügel, auf denen der Stamm ein trügerisches
Signalfeuer hätte anzünden können und viele Berge, gegen die das Schiff hätte prallen
können.
Drumark widersprach dem Argwohn des Soldfahrers. »Das wäscht ihn von jedem Verdacht
rein«, sagte er und nickte Djangas zu. »Das sind zu viele Trümmer für ein einziges Schiff, und
es gibt keinen Admiral in allen Himmelsfesten, der so dumm wäre, eine ganze Flotte einem
falschen Leuchtfeuer zum Opfer fallenzulassen. Was auch immer hier geschehen ist, es muss
etwas anderes gewesen sein.«
Die Worte des Sergeants konnten Gotramm keineswegs beruhigen, sondern gaben nur
Anlass zu neuen Befürchtungen. Was immer auch solche Verheerungen anrichten konnte,
mochte sich noch immer in der Nähe befinden. Er warf Brokrin einen Blick zu und dachte an
das gigantische Monster, das des Kapitäns alte Flotte vernichtet hatte.
Aber es gab da noch etwas anderes, über das man sich Sorgen machen musste. Trotz der
Trümmer dort unten, deutete Djangas weiterhin auf das von Schatten durchzogene Tal. »Da
Himmelsleute. Himmelsleute, da!«
Gotramms Blick folgte dem Finger des Jägers. So groß dieses Trümmerfeld auch sein
mochte, konnte es sein, dass in diesem Tal noch mehr zu finden war?

»Meister Vorki, übernimm das Steuer.« Brokrin trat beiseite, und sein erster Maat trat an die
Stelle am großen Steuerrad des Eisendrachen. Wie jedes Mal schlang Vorki einen Arm um
das Rad und nahm einen großen Schluck aus der Feldflasche, die er bei sich trug. Er spuckte
etwas des schwärzlichen Schnapses in seine Handfläche, wechselte dann die Hände und tat
das Gleiche mit der anderen. Dann warf er den Kopf zurück und gurgelte mit dem, was im
Mund zurückgeblieben war und schluckte es dann in einem herunter.
Dieses geräuschvolle Ritual hatte Brokrin schon viele Male beobachtet. Er war sich nicht
sicher, ob er Vorki die Geschichte von der alten Familientradition abkaufen sollte. Dem
Kapitän kam es eher so vor, als sei das alles nur ein billiges Theater mit nur einem einzigen
Ziel: zu demonstrieren, dass, bei all dem ganzen Zinnober, der mit seiner Übernahme des
Steuerrads einherging, Vorki ein solcher Meister seines Fachs war, dass der Eisendrache nicht
einmal das kleinste Zittern zeigte, sobald er sich einmal am Steuerrad befand.
»Warum einer, der mit einem Schiff so gut umgehen kann wie du, nicht versucht ein eigenes
Kommando zu bekommen, verstehe ich nicht«, meinte Brokrin.
Vorki zuckte die Achseln. »Zum Kapitänsein gehört mehr, als ein Schiff steuern zu
können«, antwortete er.
»Aber es hat einen großen Vorteil«, sagte Brokrin. »Es ist eine gute Gelegenheit zum
Aufstieg, wenn deine Fahrt Barak-Zilfin genug Reichtum bringt.«
Der Maat nickte. »Das mag sein, Käpt’n, aber ich hab genug von dem gesehen, was deine
Arbeit sonst noch verlangt. Und ich weiß nicht, ob mir die Bürde der Verantwortung
besonders gefallen würde. Zu wissen, dass jede Entscheidung auf meinen Schultern ruht. Zu
wissen, dass jede dieser Entscheidungen auf mich geht und ich mit ihr leben muss. Wüsste
nicht, ob ich das tragen könnte. Dem Wissen, das der Erfolg gefeiert wird, steht die
Gewissheit gegenüber, dass du für dein Versagen zur Verantwortung gezogen wirst.« Er warf
Brokrin einen verlegenen Blick zu. »Nicht böse gemeint, Käpt’n.«
»Habe ich so nicht aufgefasst«, beruhigte Brokrin ihn. »Mit Versagen lässt es sich für einen
Kapitän schwer leben, und es hilft da auch nicht besonders, dass unser Volk ein langes
Gedächtnis hat.« Er fuhr sich mit der Hand durch den Bart und sann über die Art nach, wie
sich sein eigenes Glück doch durch die Begegnung mit Ghazul gewendet hatte. »Ein sehr
langes Gedächtnis. Manchmal vermisse ich die einfachen Zeiten, als ich noch ein Matrose
war, der einfach nur Befehle ausführte, statt welche zu geben.«
Als er die Brücke verließ, schaute Brokrin zurück zum Achterkastell und zu der gewaltigen
Himmelsharpune, die dort stand. Arrik und seine Leute hatten rund um Ghazuls Fluch
Aufstellung bezogen, und jeder der Harpuniere starrte auf den Horizont und suchte den
Himmel mit einem bunten Sammelsurium von Ätherfeldstechern und Ferngläsern ab. Die
Obsidianspitze der Lanze funkelte an der Spitze des Geschützlaufes und schwere Ketten
häuften sich darunter auf dem Deck. Zwischen den Harpunieren war keinerlei Scherzen zu
hören. Jeder der Duardin war so eifrig und aufmerksam in seine Aufgabe vertieft, dass er nicht
zuließ, dass selbst das kleinste Bisschen ihn davon ablenken mochte.
Brokrins Handflächen juckten, als er daran dachte, was sie da gefunden hatten. Er zog die
schweren Handschuhe aus, die er trug, und rieb seine Hände gegen die Knie, um das Gefühl
zu vertreiben. Es fiel ihm schwer, einfach so nüchtern über die Zerstörung eines Dutzends
Kharadronschiffe nachzudenken, selbst wenn sie aus einer anderen Himmelsfeste stammten.
Vom Feuer gezeichnet, verdreht und geborsten noch bevor sie auf dem Boden aufschlugen –
das Schicksal, dem die unglücklichen Duardin anheimgefallen waren, war nichts, was man
leichten Herzens überdachte. Nur eine große, gewaltige Macht hätte den Geschützbooten und
Fregatten derart verheerend zusetzen können. Jeder auf dem Eisendrachen und den Fregatten,
die mit ihr segelten, war sich darüber im Klaren, was Brokrin in der Vergangenheit
zugestoßen war. Selbst jene, die nicht daran glaubten, wussten von dem Unglücksfluch, der
über Brokrins Schiff hängen sollte und fragten sich, ob dieser Fluch vielleicht den
Eisendrachen am Ende wieder zu Ghazul zurückgeführt hatte.
»Ein grimmiges Geschäft, Käpt’n.« Der alte Mortrimm schloss sich Brokrin bei seinem
Gang über das Deck an. Der Navigator legte eine schwankende Gangart an den Tag und die
Ätherstütze an seinem Bein protestierte bei jedem Schritt. Er hatte Glück gehabt, dass er
überhaupt sein Bein behalten hatte – eine Erinnerung an das letzte Mal, als der Eisendrache
den Weg Ghazuls gekreuzt hatte. Dennoch war es nicht die Möglichkeit, dass sie erneut auf
diese Bestie treffen könnten, die den ehrwürdigen Duardin plagte. »In den Frachträumen der
Dron-Duraz türmen sich die Toten.«
Brokrin schüttelte den Kopf. Das Trümmerfeld, das sie gefunden hatten, war ein
erschütternder Anblick. Die Mannschaft der Fregatten hatte ihren Teil dazu beigetragen, die
Körper der toten Duardin zu bergen und an Bord zu schaffen. »Unsere Verwandten aus Barak-
Urbaz hat es übel getroffen«, stimmte er zu. »Ich bin dankbar, dass Kapitän Kjnell sie an Bord
seiner Fregatte genommen hat.« Er wandte sich um und blickte zurück über das Trümmerfeld.
»Wir wissen nicht einmal, was sie da getroffen hat. Es wäre schön, wenn wir Barak-Urbaz
sagen könnten, wogegen sie ihren Groll richten könnten.«
Mortrimm nahm den steinernen Pfeifenkopf und ein Tonröhrchen aus seinem Gürtel.
Nachdem er das angenagte Ende des Rohrs abgebrochen hatte, schraubte er die Teile
zusammen und stopfte nach und nach das getrocknete Kraut in den Kopf. »Arrik und seine
Jungs scheinen sich da ziemlich sicher zu sein«, bemerkte er.
»Sie lassen zu, dass ihr Eifer ihnen die Sinne trübt«, sagte Brokrin. »Sie wünschen sich, dass
das, was die Flotte getroffen hat, Ghazul war.«
Mortrimm hob eine Augenbraue, während er einen langen Zug aus seiner Pfeife nahm.
»Und du nicht?«
Die Miene des Kapitäns verdüsterte sich. »Nichts würde mir mehr gefallen«, gab er zu,
»aber etwas zu wollen, macht es nicht zur Tatsache. Diese Schiffe wurden nicht einfach vom
Himmel gefegt, sie wurden verbrannt und zerrissen. Das ist kaum die Art von Angriff, die
man von Ghazul erwarten kann.« Brokrin zeigte auf eine zernarbte Stelle des Decks, wo ein
großer Reißzahn seine Spuren hinterlassen hatte.
»Was oder wer hat sie dann vom Himmel geholt?«, fragte Mortrimm.
Brokrin wurde einen Moment nachdenklich. Dann zeigte er in Richtung Bug, wo Djangas
stand. »Keros Sohn war genauso überrascht wie wir, als er auf die Schiffe traf. Er behauptet,
dass das Wrack, das seine Jäger gefunden haben, ein ganzes Stück weiter oben liegt.« Er
blinzelte gegen die Sonne, und schaute dann zurück über das Terrain, das sie bereits
durchkämmt hatten. »Wir sind jetzt eine Stunde von den Wracks fort, müssten uns also
allmählich dem nähern, welches die Nomaden ursprünglich gefunden haben. Djangas meinte
auch, dass es viel größer als die Geschützboote und Fregatten war.« Er stampfte mit dem Fuß
auf das Deck. »Eher wie unser Schiff.«
»Ein Panzerschiff also«, überlegte Mortrimm. Er nahm einen weiteren Zug aus seiner Pfeife
und stieß einen grauen Rauchring aus, der rasch vom Wind davongetragen wurde. »Möglich.
Vielleicht das Flaggschiff derer, die wir schon gefunden haben. Die Markierungen auf den
Sachen, die die Chuitsek geborgen haben, stammen aus Barak-Urbaz.« Der Navigator tippte
mit dem Stiel seiner Pfeife gegen Brokrins Schulter. »Wenn dieses Panzerschiff aus der
gleichen Flotte stammt, dann heißt das, dass die Menschlinge nicht für ihren Absturz
verantwortlich sein können.«
»Vielleicht«, räumte Brokrin ein. »Auf jeden Fall werden wir das bald genug herausfinden.
Da ist das Tal, von dem Djangas gesprochen hatte. Der Schlangenschlund.«

Es brauchte einiges an Geschick, um das Schiff durch die engen Schluchten des
Schlangenschlunds zu steuern. Unberechenbare Winde peitschten auf den Eisendrachen ein,
als diese versuchte, durch die Kluft zu manövrieren. Sie drohten das Schiff gegen die
zerklüfteten Wände zu werfen, die sich zu beiden Seiten jäh auftürmten. Einmal zerriss sogar
das mahlende Aufkreischen gequälten Metalls die Luft, als die gewaltige Endrin den Rand der
Schlucht streifte.
Schließlich ließ Djangas aufgeregte Schreie hören. Die magnetisierten Stiefel, die er trug,
schränkten die Bewegungsfreiheit des Menschen auf hektisches Deuten und Winken ein,
dennoch war es klar genug, auf was sich sein Geschrei bezog. Die Kharadron hatten die
Absturzstelle des Wracks erreicht, das die Chuitsek geplündert hatten.
Durch sein Fernglas konnte Brokrin gerade eben die charakteristischen Farben des Schiffes
ausmachen, die es als aus Barak-Urbaz stammend kennzeichneten. Djangas hatte Recht
gehabt. Es war viel größer als die Schiffe, die sie zuvor gefunden hatten. Es war ein
Panzerschiff von leicht älterer Bauart als der Eisendrache, wenn auch nicht von so weit
zurückliegendem Baujahr, dass es mit zwei Endrinen, um es in der Luft zu halten, ausgestattet
gewesen wäre. Er konnte die Mündungen von Gaskarabinern sehen, die unter dem Bug
angebracht waren, die verdrehte Masse einer Repetierkanone, die gegen das Achterkastell
gesackt war. Der gesamte Rumpf wies hässliche Brandspuren auf, merkwürdige Flecken, wo
die eisernen Panzerplatten scheinbar eher verrostet als geschmolzen waren.
Es war die gedrungene Masse der Endrin selbst, die Brokrins Aufmerksamkeit auf sich zog.
Sie war zerschmettert und zerrissen, auf eine Art und Weise aufgerissen, dass man
unwillkürlich an gewaltige Klauen denken musste. Vielleicht nicht der verhasste Ghazul, doch
vielleicht eine Kreatur aus derselben Höllenbrut.
»Keine Lebenszeichen, Käpt’n«, verkündete Mortrimm, als er das Wrack durch ein langes,
bronzenes Fernrohr absuchte, das eine Unzahl von Linsen und Ätherlupen aufwies. »Wenn es
Überlebende gegeben hätte, dann hätten die Menschlinge sie bestimmt gefunden, als sie hier
waren.«
Ein finsterer Gedanke. Einer, der auf seine Art schlimmer war, als wenn die Nomaden
absichtlich das Panzerschiff zum Absturz gebracht hätten. Brokrin stellte sich vor, wie die
Jäger die Trümmer durchkämmten und dabei die verwundeten Überlebenden erledigten. »Wir
gehen runter und sehen es uns an«, beschloss Brokrin. »Das müssen wir sowieso, um den
Schiffsbrief und die Leichen zu bergen und nach Barak-Urbaz zurückzuschicken.«
»Hältst du das für klug?« Die Frage kam von dem Logistikator mit den scharfgeschnittenen
Zügen, Skaggi. »Dieses Tal ist tückisch. Wir könnten selbst abstürzen, und welchen Profit
sollen wir dann nach Barak-Zilfin zurückbringen?«
Skaggis Widerstreben ließ Mortrimm das Gesicht verziehen. Er nahm einen tiefen Atemzug
und blies dem Logistikator eine dicke Wolke Pfeifenrauch ins Gesicht. »Der Kodex äußerst
sich eindeutig über unsere Pflichten. Die Zerstörung eines jeden Kharadronschiffes muss
untersucht und eine Warnung an alle Himmelsfesten ausgegeben werden.«
Skaggi verzog seinerseits das Gesicht. »Der Kodex besagt ebenfalls, dass solche Pflichten
vernachlässigt werden dürfen, wenn das betroffene Kharadronschiff von einer anderen Sippe
ist und ihnen nachzukommen eine unangemessene Gefährdung des Finderschiffes bedeuten
würde. Wenn dies ein Schiff aus Barak-Zilfin wäre, dann wären wir durch unsere Pflicht
gebunden. Aber wie es steht, haben wir da etwas Handlungsfreiheit.« Er sah zurück zu
Brokrin. »Ich muss dazu raten, dass wir umdrehen. Ich sollte auch darauf hinweisen, dass
dadurch, dass ich diesen Ratschlag ausgesprochen habe, ich von der Verantwortung für alles,
was darauf noch folgen könnte, entbunden bin.«
Brokrin kaute auf seinem Bart herum und ließ die Erwiderung, die ihm auf der Zunge lag,
unausgesprochen. Schließlich bot er Skaggi einen Kompromiss an. »Wir werden den
Fregatten Signale geben. Sie haben bereits die anderen Wracks untersucht. Nun sind wir an
der Reihe. Sag ihnen, dass sie zurückbleiben sollen, während wir landen, um das Wrack zu
untersuchen. Im Falle, dass der Eisendrache einem Unglück anheimfällt, bleibt dadurch der
Rest der Flotte verschont.«
Diese Entscheidung konnte weder Skaggi voll befriedigen, noch konnte sie Mortrimm
beschwichtigen, der es hasste, dem Logistikator in irgendeinem Punkt zuzustimmen. Jedoch
stellte keiner der beiden Duardin Brokrins Entscheidung infrage. Schließlich war in
Abwesenheit eines Admirals das Wort des Kapitäns auf seinem Schiff immer noch Gesetz.

Der Boden des Schlangenschlunds war ein zerklüftetes Gewirr aus spindeldürren steinernen
Speerspitzen. Es war ebenso sehr diese Ähnlichkeit mit Schlangenzähnen als auch der sich
windende Verlauf des Tales, der die Chuitsek veranlasst hatte, ihm diesen Namen zu geben.
Viele dieser steinernen »Zähne« waren durch den heftigen Absturz des Schiffes zerbrochen
und ihre Spitzen inmitten ihrer unbeschädigten Nachbarn verstreut worden. Hässliche
Klumpen lumineszierenden Mooses sprossen aus den abgetrennten Spitzen empor und nährten
sich anscheinend von den Mineralien, die ihre inneren Schichten durchzogen. Hier und da
durchbrach eine einsame Zinnoberader die Oberfläche und schlängelte sich durch den
Irrgarten schwarzen Gesteins.
Der Eisendrache stieg zu einem Punkt etwas oberhalb des Wracks ab. Die mitgenommenen
Runen, die sich über den Rumpf des Schiffs zogen, kennzeichneten es als Sturmbrecher. Nach
der Art zu schließen, wie ihre Unterseite betroffen war, schien es, als wäre sie beinahe in
gerader Bahn abgestürzt. Ein in Mitleidenschaft gezogener Auftrieb konnte für so etwas
verantwortlich sein, ein schrittweiser Ausfall der großen Endrin, sodass das Schiff sich nicht
einfach nur genau senkrecht in den Boden pflügte. Nach dem Absturz war das Panzerschiff
leicht zu einer Seite weggesackt, sodass ihre Decks entschieden Schlagseite hatten. Von dem,
was man von Bord des Eisendrachen aus erkennen konnte, gab es keine Lebenszeichen. Nicht
einmal Leichen waren zu sehen.
Trossen wurden über die Seite geworfen, und Brokrin führte einen Landetrupp hinunter zu
den zerborstenen Decks des niedergegangenen Panzerschiffs. Er wählte Gotramm und seine
Arkanauten für diesen Auftrag aus und ließ Drumarks Donnerschützen zurück, damit sie ihnen
mit ihren Waffen aus der günstigen erhöhten Position des schwebenden Himmelsschiffs
Deckung geben konnten. Er war überrascht, zu sehen, wie Djangas sich die schweren Stiefel
auszog, die Horgarr ihm gegeben hatte und dann die Seile herabkletterte, um sich ihnen
anzuschließen. Kurz nach dem Abstieg des Jägers folgte ihm Skaggi. Jeder Gedanke daran,
dass der Logistikator, sich darum kümmern wollte, als Übersetzer für den Nomaden
aufzutreten, wurde rasch im Keim erstickt. Er schenkte dem Wrack einen kurzen Blick, um
sich zu orientieren, und setzte sich dann in Richtung der Kapitänskajüte in Bewegung, in dem
sich gewiss der Schiffsbrief finden würde. Der Kharadron-Kodex machte sehr deutlich, dass
solche Dokumente an die Himmelsfeste zurückgegeben werden mussten, der sie gehörten.
Nicht so deutlich ließ er sich dagegen darüber aus, was das Lesen ihres Inhalts betraf und den
Nutzen, den man daraus ziehen mochte. Mehr als einmal hatte Brokrin sagen gehört, dass
Skaggi in der Lage wäre, eine Goldfüllung im Maul eines Wahnflosslers ausfindig zu machen.
Da die Decks durch die Bahn des Absturzes in scharfem Winkel geneigt waren, gaben sie
den Duardin nur fragwürdigen Halt. Durch ihre Magnetstiefel konnten sie zwar
weiterschlurfen, aber sie kamen auch nur langsam voran. Djangas dagegen war in der Lage,
von Halt zu Halt zu springen und sich so gleich einer krabbelnden Spinne vorwärts zu
bewegen. Zuweilen hielt der Jäger an, um sie auf das eine oder andere hinzuweisen und
Bemerkungen über die Ausrüstungsgegenstände zu machen, welche die Nomaden geborgen
hatten. Brokrin verstand genug Schacherwelsch um die Worte »nehmen« und »finden« zu
erkennen, die öfter in den kurzen Ausbrüchen des Menschen vorkamen.
»Ich würde meine Koteletten dafür geben, zu verstehen, was der da von sich gibt«,
grummelte Gotramm, als Djangas auf die offene Luke wies, die in einen der Frachträume
führte. Die Höhlung war dunkel, ihr Inneres nur schwer erkennbar. Er bemerkte, dass Djangas
einen langen Bronzedolch gezogen hatte und den Frachtraum mit mehr als nur Argwohn
betrachtete, so, als könnte er irgendeine Gefahr enthalten.
»Mir geht es da ähnlich«, sagte Brokrin.
»Soll ich Skaggi zurückholen?«, fragte Gotramm. Er gestikulierte mit der Hand zum Wrack.
»Er sollte umgänglicher gestimmt sein, jetzt wo hier nichts darauf hindeutet, dass die
Menschlinge den Absturz verursacht haben und keinerlei Handelsbeziehungen mehr gefährdet
sind.«
Brokrin beobachtete weiterhin Djangas. »Irgendetwas beunruhigt den Menschen«, erklärte
er. »Aber da gibt es etwas, was mich noch mehr beunruhigt.« Er sah Gotramm mit hartem
Blick an. »Wo ist die Mannschaft? Wenn sie alle gestorben sind, sollten wir doch überall ihre
Leichen verstreut finden. Wenn sie überlebt haben, würden sie dann nicht Posten aufstellen,
um ihr Schiff zu bewachen?«
»Was denkst du dann, was mit ihnen geschehen ist?«, fragte Gotramm.
Bevor Brokrin jedoch antworten konnte, erklang ein verängstigter Schrei unter Deck.
Gotramm wandte sich in die Richtung der Kapitänskajüte, wohin Skaggi verschwunden war.
Der Schrei wiederholte sich ein zweites Mal, begleitet von einem heftigen metallischen
Krachen.
Die Pistole in der Hand, stürzte Gotramm auf eine kurze Treppenflucht zu, die zu der Kajüte
hinabführte. Brokrin folgte dem jungen Soldfahrer dichtauf, mit den restlichen Arkanauten auf
den Fersen der Offiziere. Sich die Stufen hinabzwängend, wandte sich Gotramm gerade der
Tür der Kapitänskajüte zu, als ein weiterer Schrei ertönte. Sein Ansturm gegen die halb
geöffnete Tür wurde vom Winkel, in dem das Schiff lag, begünstigt, sodass die Schwerkraft
seine Wucht, mit der er in Richtung der Schreie stürmte, noch verstärkte. Mit einem
malmenden Ächzen rammte sein gepanzerter Körper gegen die Tür, ließ sie weit nach innen
aufprallen und beförderte Gotramm in den Raum.
Die Kabine bot ein Bild der Verwüstung, alle Möbel waren in einem chaotischen Haufen
gegen die gegenüberliegende Wand geworfen worden. Zwischen den Trümmern eines Tisches
und eines Bettes, eines Schrankes und einer Himmelstruhe, konnte Gotramm das Aufblitzen
fleischloser Knochen erkennen. Eine bleiche Gestalt kauerte auf dem Schrank und versuchte
dessen eisenbesetzte Türen aufzustemmen. Beim Geräusch von Gotramms gewaltsamem
Eindringen in die Kajüte hob das Ding seinen Kopf und enthüllte ein monströses Gesicht mit
roten Augen und einem Mund, der von einer Unzahl scharfer Reißzähne verzerrt war.
Das Geschöpf knurrte Gotramm an, wurde dann aber zurückgeworfen, als die Pistole des
Söldners ihm eine Kugel in die Brust hämmerte. Bevor er erneut schießen konnte, sprang die
Bestie ihn an. Sie warf sich über die Trümmermasse und schleuderte den Soldfahrer gegen die
Wand. Eine gefährliche Klaue schlug nach ihm und kratzte über seinen Brustpanzer. Der
überweite Mund schnappte nach seinem Gesicht und der Aasgeruch des Atems ließ ihn
würgen.
»Wirf es ab!«, schrie Brokrin von der Tür her. Der Kapitän hatte seine Salvenpistole auf die
Kreatur gerichtet, fürchtete aber sowohl Freund als auch Feind zu treffen.
Gotramm bemühte sich, seine Beine hoch und unter das Monster zu bringen, obwohl ihm
das durch die magnetisierten Stiefel, die versuchten, seine Füße zum Boden zu ziehen, nicht
gerade leicht gemacht wurde, aber schließlich schaffte er es doch. Mit einer wahnwitzigen
Kraftanstrengung brach er den Griff der Kreatur und schleuderte sie auf den Haufen von
Möbeln zurück. Das Ding krachte in den Schreibtisch und einer seiner langen Arme prallte
schmerzhaft gegen die harte Steinholzplatte. Es schrie schmerzerfüllt auf und wollte Gotramm
erneut anspringen.
Donner grollte durch die Kajüte, als Brokrin auf das springende Monster feuerte. Bleiches,
leichenhaftes Fleisch wurde von dem Verderben bringenden Kugelhagel zerrissen. Widerlich
stinkendes Blut spritzte aus seinen Wunden, klatschte gegen Wände und Decke, als er
zurückgeworfen wurde. Erneut krachte der Körper des Wesens gegen den schweren Tisch,
aber als es dieses Mal zu Boden sackte, machte es keine Anstrengung mehr aufzustehen. Seine
Fänge schnappten nach den geschnitzten Tischbeinen, während das Leben aus seinem
zerfleischten Körper rann.
»Ich hätte mich schon selbst darum kümmern können«, grummelte Gotramm, als er sich
wieder vom Boden hochstemmte.
»Zweifellos«, sagte Brokrin und lud seine rauchende Salvenpistole nach. »Aber dieses
hübsche Ding, dass du da im Hafen hast, mag dich vielleicht doch etwas mehr, wenn dir nicht
das halbe Gesicht weggebissen ist.«
Gotramm quittierte diese Stichelei mit einer Grimasse und näherte sich vorsichtig der toten
Kreatur.
Es war ein abscheuliches Wesen, nur Haut und Knochen, Klauen und Fänge. Der Kopf war
klein im Verhältnis zum ausgemergelten Körper, seine klauenbewehrten Hände dagegen riesig
im Vergleich zu den dünnen Ärmchen. Der Gestank, der von der Kreatur ausging, war der von
verrottetem Aas und offene Gräbern. Gotramm trat zu und brach den Griff der Zähne um die
Tischbeine. Der Kopf baumelte auf gebrochenem Hals zurück und enthüllte einen um die
Kehle gelegten Lederkragen mit goldenen Nieten.
»Was für ein seltsamer Geschmack für so ein widerliches Biest,« sagte Brokrin, als er
hinzutrat, um die Kreatur näher zu untersuchen. Einige der Arkanauten standen in der Tür
aufmerksam Wache, wobei ihre Aufmerksamkeit zwischen der Kajüte und den anderen
Räumen hin- und herschwankte.
Gotramm nickte. Mit einem Zeh drehte er das Ding auf den Rücken. Ausgestreckt daliegend
stach die Länge seiner Glieder und die Ausgezehrtheit seines Körpers nur umso mehr hervor.
Dennoch haftete der ganzen Gestalt eine schreckliche Ähnlichkeit an.
»Das … könnte irgendwann mal ein Menschling gewesen sein«, sagte Brokrin. »Der Kragen
ist vielleicht ein Andenken an die Zeit, wo es noch nicht ganz so … verderbt war.« Er griff
hinab und nahm den Kragen näher in Augenschein. Kaum sichtbar im schwachen Licht, das
durch das Bullauge der Kajüte drang, erkannte man einige Buchstaben einer menschlichen
Schrift, die in das Leder gestickt worden waren. Es war eine alte Schrift, die er flüchtig kannte
und die Buchstaben ergaben das Wort »König«.
Die Türen des Schranks knarrten plötzlich. Gleichzeitig schnellten Brokrin und Gotramm
von dem toten Monster fort und brachten ihre Pistolen in Richtung des schweren Schrankes in
Anschlag. Eine verängstigte Stimme rief ihnen zu, nicht zu schießen.
»Ich bin’s! Ich bin’s!«, schrie Skaggi, als er sich aus dem Schrank schälte. Der Logistikator
ließ einen raschen Blick über die Kajüte gleiten und lächelte, als er das tote Monster auf dem
Boden liegen sah. »Ihr habt es getötet!«, jubelte er, trat herüber und spuckte auf den Kadaver
hinab. »Das wird dich lehren, sich einen Duardin als Imbiss nehmen zu wollen!«
Gotramm verdrehte die Augen über Skaggis verspäteten Ausbruch von Tollkühnheit. Er
packte den Logistikator bei der Schulter und drehte ihn zu sich hin. »Was ist hier passiert?«,
wollte er wissen.
Skaggi entging keineswegs die Irritation in der Stimme des Soldfahrers. Er brauchte
allerdings einen Moment, um sich wieder zu fassen, sich die Holzsplitter aus dem Bart zu
streifen und die Kleidung zu glätten, die von den Klauen des Monsters zerrissen worden war.
Als er sprach, richtete er seine Worte insbesondere an Brokrin und nicht an Gotramm. »Ich
habe mir gerade die Kajüte angesehen, um den Schiffsbrief zu finden, als dieser … dieser
schleichende Albtraum mich von hinten ansprang. Er hat mir eins mit einem alten Knochen
verpasst. Alles, was ich tun konnte, war, in diesen Schrank zu stolpern und mich darin
einzuschließen.« Er sah von Brokrin zu Gotramm und runzelte die Stirn, als er die Skepsis in
ihren Augen entdeckte. Wütend zog er seine Kappe ab und ließ sie seinen Hinterkopf sehen,
wo das Ding ihn getroffen hatte.
Der Logistikator wurde sogar noch zorniger, als er eine zerknüllte Masse von Kupferblättern
hochhielt. »Das ist alles, was vom Schiffsbrief noch übrig ist«, fluchte er. »Dieses Ding muss
seinen Umschlag und die Bindung weggenagt haben und hat dann versucht, die Seiten zu
zerkauen! Das reicht nicht aus, als dass ein Runenkundiger irgendwas daraus ableiten könnte.«
Während Skaggis Ausbruch wandte Gotramm sich um, um die aufgetürmten Trümmer
näher zu betrachten. Zögerlich nahm er einen der Knochen weg, die zwischen den Möbeln
verstreut lagen. Sein Gesicht zog sich vor Abscheu in Falten. »Das sieht nach einem
Duardinknochen aus«, sagte er. »Und irgendwas hat darauf herumgekaut.«
Brokrin sah mit wütendem Blick auf das Monster herab. Es mochte vielleicht nicht das
Panzerschiff zum Absturz gebracht haben, aber es hatte sicherlich genug getan, eine
Grollschuld auf sich zu laden. »Skaggi, nimm dem Ding den Kragen ab. Wenn wir Barak-
Urbaz nicht beweisen können, was ihre Schiffe hat abstürzen lassen, dann können wir ihnen
zumindest sagen, was ihre Toten gefressen hat.«
Skaggi zog ein langes Messer aus dem Gürtel. Mit weit ausgestrecktem Arm begann er, an
dem Kragen zu sägen. Der Logistikator versuchte, seiner widerlichen Arbeit einen guten
Aspekt abzugewinnen. »Das würde zumindest die fehlende Mannschaft erklären«, meinte er.
»Das heißt, die Chuitsek waren ehrlich zu uns. Wir können Djangas zu Kero zurückbringen
und alles ist wieder wie vorher.« Er schien es vorzuziehen, den Umstand zu ignorieren, dass
der Stamm vorher mit anderen Kharadron gehandelt hatte.
Die Erwähnung des Nomaden brachte Gotramm dazu, zur Tür zurückzublicken. »Wo ist der
Menschling?«, fragte er die Arkanauten im Korridor. Die schüttelten nur den Kopf. »Wer hat
ihn bewacht?« Keiner der Duardin konnte das beantworten. Als sie nach unten gestürmt
waren, um Skaggis Schreien nachzugehen, hatte keiner mehr an den Jäger gedacht.
»Findet ihn«, befahl Brokrin, doch während er noch sprach, erklang von oben über ihren
Köpfen ein Warnschrei.
»Djangas«, erklärte Skaggi überflüssigerweise. »Er schreit irgendetwas über
›Schakalleute‹«, fügte er zur Übersetzung der Rufe hinzu.
Gotramm warf dem toten Monster und dem angenagten Knochen in seiner Hand einen Blick
zu. »Hoch aufs Deck! Sofort!« Er trieb die Arkanauten vor ihm die Treppen wieder hoch.
Hinter sich konnte er hören, wie Skaggi etwas zu der Inschrift auf dem Kragen anmerkte.
»König«, witzelte er. »So nennen die Menschlinge manchmal ihre Hunde.«
KAPITEL VIER

Als sie aus dem Inneren der Sturmbrecher wieder herauskamen, fanden Brokrin und seine
Truppe eine unheimliche Szene vor. Djangas hockte hoch oben auf der Spitze der
zerschlagenen und geborstenen Endrin und hielt sich an ihrer zersprungenen Hülle fest,
während er mit der anderen Hand mit seinem Messer nach der monströsen Menge hieb, die
ihn umschwärmte. Sie ähnelten der Kreatur, die Skaggi dort unten überfallen hatte, und sie
krabbelten über das geborstene Schiff wie eine Horde von Spinnen. Wortloses Geheul und
hungriges Jammern erhob sich von den Ghulen, während sie den eingeschlossenen Nomaden
umkreisten. Während die Duardin noch zusahen, kamen weitere Aasjäger aus einer offenen
Luke mittschiffs angesprungen und schlossen sich dem Rest des grausigen Rudels an.
»Gebt eine Salve! Feuer!«, brüllte Drumark von dem über ihnen schwebenden Eisendrachen
herab. Auf seinen Befehl hin ließen seine Donnerschützen ein Sperrfeuer auf die sich aus der
Luke drängenden, beutelüsternen Ghule niedergehen. Kugeln prasselten auf die dürren
Unholde ein und warfen sie in die Dunkelheit zurück.
Die Djangas umkreisenden Ghule schnellten herum, als die Duardin auf das Deck stürmten.
Einige von ihnen griffen heulend vor rasender Wut die Arkanauten an. Das Rattern von
Pistolen erhob sich aus den Reihen derer, die sie zur Beute erkoren hatten, als Gotramms
Soldfahrer Schuss um Schuss auf den rasenden Mob abfeuerten. Die vordersten der Ghule
fielen, ihre ausgehungerten Gestalten von den Ätherwaffen zerrissen. Jene jedoch, die
nachdrängten, legten rasende Schläue an den Tag. An ihren gefallenen Genossen
vorbeispringend, benutzten sie die Deckung der Deckaufbauten und die wuchtigen Maschinen,
welche die Endrin befeuert hatten als Ausgangspunkte, von denen aus sie sich auf die Duardin
warfen.
»Äxte und Eisen!«, ließ Brokrin den alten Schlachtruf Barak-Zilfins ertönen. Seine
Salvenpistole grollte und erwischte einen der monströsen Aasjäger, als er ihn von der Ecke
des Deckshauses aus ansprang. Der Schuss brach einen der Arme, doch das beutelüsterne
Vieh griff weiter an, schlug mit seiner verbliebenen Klaue nach ihm und versuchte ihn mit
reißenden Fängen zu beißen. Ein Schwung seiner Axt schlitzte jedoch die Flanke der Bestie
auf und spaltete sie von der Hüfte bis zum Rippenbogen. Der Ghul spuckte Blut, als er von
ihm abfiel und brach in einem verdrehten Haufen auf dem Deck zusammen.
Augenblicklich wurde Brokrin von einem zweiten Ghul bedrängt. Dieser stürzte sich vom
anderen Ende der zerschmetterten Endrin auf ihn. Der mächtige Sprung der Bestie ließ sie wie
einen herabstürzenden Meteor auf ihn niedergehen. Bevor sie jedoch landen und ihn mit
seinem Gewicht zu Fall bringen konnte, ging Brokrin in die Hocke, hob erneut seine Pistole
und jagte die Ladung eines der unbenutzten Läufe in sie hinein. Der Feuerstoß erwischte den
Ghul genau im Sturz auf ihn, traf ihn voll in die Brust und schmetterte seinen Körper in die
ramponierte Endrin, bevor er davon herabglitt und in Richtung des Talgrundes stürzte.
Weitere der räuberischen Aasfresser stürmten auf Brokrin ein. Ein weiterer Schuss aus der
Salvenpistole erledigte einen Dritten, seine Axt spaltete den Schädel eines Vierten, aber die
Flut der Monster schien kein Ende zu nehmen. Überall um ihn herum waren Gotramm und die
Arkanauten in ein tödliches Handgemenge mit ihren Feinden verwickelt und konnten ihrem
Kapitän nicht beistehen. Obwohl von oben her noch immer Schüsse ertönten, so klang es jetzt
doch vereinzelter und bedachtsamer. Das brodelnde Kampfgetümmel ließ einen leicht die
Positionen von Freund und Feind verwechseln, sodass Drumark offenbar keinen breit
angelegten Beschuss mehr riskieren wollte. Das Beste, was er mit seiner Unterstützung
bewirken konnte, war wohl, das Vorpreschen der Ghule aus dem Frachtraum einzudämmen.
»Bei allen Geldsäcken der Gilden, ihr werdet nicht an meinen Knochen nagen!«, fluchte
Brokrin, als die Ghule auf ihn einstürzten. Er zerschmetterte den Kiefer eines Aasfressers mit
dem nietenbesetzten Schaft seiner Axt und versetzte dann seinem taumelnden Feind einen
üblen Tritt in die Rippen, der ihn endgültig wegtaumeln ließ. Ein weiteres Monster schnappte
nach seinem ausgestreckten Arm, packte ihn in schraubstockgleichem Griff, während seine
Reißzähen nach der eisernen Armschiene schnappten, die seinen Unterarm schützte. »Ich
sagte, du wirst dich nicht an meinen Knochen laben«, knurrte er und schmetterte dem
Aasfresser den schweren Knauf seiner Pistole wie eine Keule an den Kopf. Blut strömte aus
der aufgeplatzten Haut. Das spitze Ohr an der Seite seines Schädels war nur noch eine blutige
Masse, doch noch immer setzte der Ghul seinen verzweifelten Angriff fort. Brokrin bemerkte,
dass ein anderer Aasfresser sich an dem, der ihn angriff, vorbeidrücken wollte, um ihn von der
Flanke zu bedrängen. Sollte er sich nicht schnell von dem ersten Ghul lösen können, würde er
nichts tun können, um den zweiten abzuwehren.
Bevor der Ghul aber Brokrin zusetzen konnte, wurde dieser selbst angegriffen. Mit einem
Kriegsgeheul auf den Lippen trieb Djangas sein Messer tief in die Brust der Kreatur, drehte
dann die Klinge mit einem kräftigen Ruck, um die Wunde zu vergrößern, bevor er sie
herausriss. Der Ghul hieb mit seinen Klauen nach ihm, doch der Jäger hatte schon seine
Position verändert, duckte sich hinter dem Rücken des Aasfressers weg und fuhr ihm mit dem
Messer über die Kehle. Ein letztes kehliges Zischen und das Monster sank auf das Deck.
Der Beistand des Nomaden gab Brokrin die Zeit, die er brauchte. Die hämmernden Hiebe
seiner Pistole gegen den Kopf bläuten dem Hirn des Ghuls schließlich doch ein Empfinden
von Schmerz ein. Er gab es auf, die Armschiene durchbeißen zu wollen, und versuchte
stattdessen, dem Griff des Duardin zu entkommen. In dem Moment, wo der Druck der Kiefer
auf seinen Arm nachließ, hieb er der Kreatur den Knauf der Pistole in den Bauch. Würgend
warf sich der Ghul weg und wimmerte dabei wie ein geprügelter Hund. Brokrin blieb kein
Grund mehr, das Monster weiter zu verfolgen. Denn als es sich von ihm abwandte, sah es sich
einer neuen Gefahr gegenüber. Ein Schuss ertönte von dem über ihnen schwebenden
Eisendrachen und das Monster brach mit halb zu Brei zerschossenem Schädel zusammen.
Nur wenige der Aasfresser waren jetzt noch übrig. In der Zange des Feuers von oben und
den Bemühungen von Gotramms Arkanauten, war das rasende Kampfgewühl gehörig
dezimiert worden. Die Bestien versuchten nicht länger, aus dem Schiffsinneren
heraufzuklettern, da sie gegen den Beschuss durch Drumarks Schützen nicht bestehen
konnten. Doch selbst da das Geschick sich zu wenden begann, trat ein neuer erschwerender
Faktor in die Auseinandersetzung ein.
Eine Reihe heftiger Erschütterungen, Stöße und Rumpeln kam aus dem Schiffsinnern. Ein
Teil der Eisenplatten bog sich aufwärts, wurde von der massiven von unten dagegen
eindrängenden Wucht aus ihrer Position gerissen. Ein erneuter gewaltiger Schlag ließ das
Deck erzittern, die Platte wurde aus ihrer Verankerung getrieben und ein klaffendes Loch
öffnete sich.
»Was ist das jetzt wieder für eine Teufelei?«, fluchte Gotramm. »Hoch zum Achterkastell«,
warnte er seine Arkanauten, während er seine Pistole nachlud.
»Bleibt wachsam«, fügte Brokrin hinzu. »Vielleicht ist das nur ein Trick, um uns
abzulenken.«
Bevor die Duardin sich auf eine höher gelegene Position zurückziehen konnten, spie ihnen
das aufgebrochene Loch eine frische Horde von Ghulen entgegen. Brokrin wollte schon die
Monster zurückschlagen, doch da taumelte er jäh zurück. Das Deck bebte erneut. Eine zweite
und eine dritte Deckplatte wellte sich aufwärts und vergrößerte die zunächst enge Höhlung zu
einem weiten Schlund.
Aus diesem Schlund kroch eine albtraumhafte Gestalt.
»Beim Barte meiner Vorfahren«, stieß Gotramm vor Schrecken beim Anblick des
kriechenden Dings keuchend hervor. Sein Schock fand in den Reihen der Arkanauten seinen
Widerhall, als diese eilends vor dieser grotesken Ausgeburt der Hölle zurückwichen.
Brokrin konnte dieses Gefühl des Abscheus teilen. Die Ghule waren ihm wegen ihrer
entstellten Ähnlichkeit mit Menschen widerwärtig erschienen. Aber in dem schweren,
ungeschlachten Monster, das jetzt dort hervorkroch, fand sich kaum mehr als ein Echo einer
solchen Ähnlichkeit. Es war ganz und gar eine Bestie; eine monströse Gestalt, die mit
räudigem, schwarzen Fell bedeckt war, außer an Händen, Füßen und im Gesicht, wo die Haut
dunkel und ledrig war. Die Füße waren gebogen und die Zehen klauenbewehrt. Das Gesicht
war zu einer breiten Schnauze nach vorn gestülpt und scharfe Reißzähne ragten über ihre
straffen Lippen hinaus, eine platte Nase mit bebenden Nüstern und kleinen runden Augen, die
tief in den Höhlen saßen. Die Hände waren bloße Stumpen, die am Ende langer, ledriger
Schwingen saßen. Ganz entgegen der tierhaften Gestalt war dieses Ding in ein Hemd aus
feinster Seide mit kunstvollem Rüschenkragen gehüllt, Juwelen funkelten an seinen langen
fledermausähnlichen Ohren, und um seine Hüften war eine Samtschärpe geschlungen.
Das riesige Fledermausungeheuer benutzte seine Fingerklauen, um sich aus der Tiefe des
Wracks emporzuziehen. Es blinzelte wütend in den Himmel, als wäre ihm selbst das spärliche
Sonnenlicht zuwider, dass seinen Weg in den Schlangenschlund fand. Die Nase der Kreatur
kräuselte sich, als sie den Geruch des Kampfes in sich aufsog. Einen Moment lang starrte sie
Gotramm und die anderen Soldfahrer an, die sich dem neuerlichen Ansturm der Ghule
entgegenstellten, dann wandte es sich jäh um und fixierte Brokrin mit einem Blick aus roten
Augen.
Das tierhafte Gesicht verzog sich zum schrecklichen Spottbild eines Lächelns. Das Monster
brachte seine klauenbewehrte Schwinge in einer Bewegung nach vorn, die in Brokrins Augen
der eines Duellisten glich, der seinem Gegner einen herausfordernden Salut entbot.
Das unmenschliche Grauen stürzte sich auf Brokrin. Mit einer Geschwindigkeit, die seiner
gewaltigen Größe Hohn sprach, prallte das Monster in ihn hinein und warf ihn zurück. Er
taumelte gegen die Seite des Deckaufbaus und der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen.
Eine der Fingerklauen der Bestie hakte sich unter den Rand seines Helms und schob ihn zur
Seite. Er konnte das kalte, ranzige Ausatmen der Bestie auf seinem Gesicht fühlen, als es sich
zu ihm hin beugte. Eine lange Wolfszunge leckte sich über glitzernde Reißzähne, während der
Hunger in den runden, dunklen Augen der Bestie wuchs.
»Helft dem Kapitän!«, erscholl Drumarks Stimme vom über dem Wrack schwebenden
Panzerschiff. Schüsse prasselten über das Deck, im Versuch die Fledermausbestie zu
provozieren oder sie in das Schiffsinnere zurückzutreiben. Für direkteres Feuer waren die
beiden Kämpfenden zu nah beieinander.
»Helft Käpt’n Brokrin«, griff Gotramm den Schrei des Sergeants auf. Er verdoppelte seine
Anstrengungen, die Reihen der Ghule zu durchbrechen, aber es gab zu viele der Aasfresser,
als dass man ihnen so leicht hätte beikommen können.
Brokrin stand allein gegen seinen Feind.
Duardineisen biss ins Fleisch des Monsters und entlockte ihm einen Schmerzensschrei.
Zwar von seinem Gegner zurückgeworfen, so hatte Brokrin doch noch immer seine Axt im
festen Griff behalten. Jetzt trieb er sie in den Bauch der Bestie und zog die Klinge in sägender
Bewegung von einer Seite zur anderen. Die Schnitte waren oberflächlich aber schmerzhaft
genug, um die Fledermausbestie in ihrem Angriff innehalten zu lassen. Einen Moment lang
wankte ihre erstaunliche Kraft, was Brokrin die Blöße bot, die er brauchte.
Der schwere Stiefel des Kapitäns schmetterte mit zufriedenstellend knochenbrechender
Wucht auf den Fuß des Monsters herab. Die Bestie wirbelte durch die ihr neu zugefügten
Verletzung zurück und indem sie das tat, öffnete sie sich für eine verheerendere Attacke. Da
das Monster nun nicht mehr direkt auf ihn eindrang, war Brokrin in der Lage, mehr zu tun, als
nur seine Axt über dessen Körper zu ziehen. Er schwang seinen Arm zurück und wirbelte die
Waffe in einem mächtigen, kraftvollen Bogen. Die Axt schlug tief in den Körper der Kreatur,
hackte durch Fleisch und Knochen und zerteilte Rippen in ihrem blutigen Abwärtsschwung.
Das schmerzerfüllte Heulen von zuvor schwoll zu einem schrillen Kreischen an. Die unter
Brokrins Helm gehakte Klaue zuckte zurück, riss das Rüststück mit sich und schleuderte ihn
vorwärts. Brokrin krachte mit dem Gesicht voran auf das Deck, rollte aber schnell auf den
Rücken. Das Fledermausbiest stieß schon wieder auf ihn nieder, das Maul weit aufgerissen
und Mordlust loderte in seinen Augen auf. Brokrins Axt traf das Monster in vollem Angriff,
biss sich in dessen Schulter, während es versuchte, ihn auf das Deck zu schmettern.
»Himmelsleute sehen! Chuitsek tapfer!«
Durch ihren Kampf mit den Duardin hatten die Ghule Djangas weitgehend aus den Augen
verloren, und so war er in der Lage gewesen, von seinem Zufluchtsort herabzusteigen. Er war
danach noch immer von den Aasfressern unbehelligt geblieben und es hatte ihm freigestanden,
zu fliehen oder zu kämpfen. Er jedoch hatte sich entschieden, zu kämpfen und so den
Kharadron seinen Mut zu beweisen.
Der Kriegsschrei seines Stammes begleitete Djangas, als der Jäger Brokrin zu Hilfe eilte.
Während der Kapitän seine Axt tiefer in die Schulter der Bestie trieb, sprang der Nomade auf
deren bepelzten Rücken und stach ihr das Messer in die räudige Haut. Ein stockender Ausfluss
brodelte aus den Wunden hervor, ein Gruftsud aus Verwesung und Auflösung. Die
Fledermausbestie kreischte erneut auf, schlug wild in einem rasenden Aufzucken um sich, das
teils dem Schmerz, teils der Wut entsprang. Djangas stürzte hintenüber, als die Kreatur sich
aufbäumte und ihn von ihrem Rücken warf. Brokrin schlitterte, von der Klaue der Kreatur
getroffen, quer über das Deck.
Er rutschte sich drehend auf das Loch zu, das die Fledermauskreatur geschaffen hatte, nicht
in der Lage, den Schwung des eigenen Falls zu bremsen. Er packte nach der weggebogenen
Deckplatte, die über das Loch ragte, doch seine Hand glitt ab. Im nächsten Moment stürzte er
in das Dunkel des Schiffsinneren und nur ein verzweifelter Schwung seiner Axt konnte ihn
aus seiner Not retten. Sie hakte sich am Rand des Loches fest und Brokrin baumelte dort über
der Leere und starrte hinab in das Grauen einer Gruft.
In dem Licht, das durch die Löcher im Deck darüber sickerte, konnte Brokrin erkennen,
dass der Frachtraum der Sturmbrecher genauso ein Trümmerhaufen war wie die Kajüte des
Kapitäns. Ob von dem Absturz aus der Verankerung gerissen oder von den Aasfressern
geplündert, alles, was nicht am Boden befestigt war, war umhergeworfen worden. Fässer und
Tonnen lagen dort zerschmettert, Kisten und Truhen lagen in zersplitterten Trümmern.
Vorratssäcke waren zerrissen und beiseite geschmissen worden, ein Morast aus Bier und Grog
war an einer Seite des Frachtraums zu einem Tümpel zusammengelaufen. Als seine Augen
sich auf die Düsternis einstellten, wurde seine Aufmerksamkeit von den Knochen angezogen,
die überall in den Trümmern verstreut lagen, Knochen zernarbt und zerbissen von nagenden
Fängen, Knochen zerbrochen von Klauen, die nach dem Mark graben wollten. Hier war die
Gruft der Mannschaft des Panzerschiffes.
Ein tierisches Knurren war Brokrin die einzige Warnung. Ein paar Ghule waren hier unten
zurückgeblieben. Sie entdeckten den Duardin-Kapitän, der hilflos über ihren Köpfen hing,
krabbelten aus der Dunkelheit heraus und sprangen nach ihm. Seine umhertaumelnden Füße
traten aus, ein Stiefel traf einen Ghul ins Gesicht, als der nach ihm sprang. Der Aufprall von
Stiefel gegen Fleisch ließ einen Stoß durch Brokrins Körper gehen, gerade genug, um den
Griff um seine Axt zu verlagern. Die Klinge rutschte nur ein wenig und verlor dann den
unsicheren Halt am Rand. Brokrin schrie auf, als er fiel und stürzte hinab in das grausige
Düster.
Der Duardin schlug auf den Boden des Frachtraums auf und ließ eine Welle verschütteten
Grogs hoch in die Luft spritzen. Brokrin fand die Wucht seines Falls vom Körper des
Aasfressers gebremst, den er mit seinem Tritt erwischt hatte. Der Körper des Ghuls war im
Fall unter ihm gewesen, sein Gewicht mitsamt der Rüstung brach im Aufprall dessen
Wirbelsäule. Ein weiterer der lauernden Aasfresser sprang ihn an, aber ein Rückhandhieb
seiner Axt schleuderte diesen davon, sodass er, die Hände auf die Überreste seines Gesichts
gepresst, heulend davonkrabbelte.
Brokrin wollte sich hochstemmen, als das schwache Licht, das in den Frachtraum drang,
plötzlich verdeckt wurde. Er blickte auf und sah das Fledermausvieh mit glühenden Augen
vom Deck auf ihn herabstarren. Eine seiner Schwingen schoss vor und schleuderte ein großes
Etwas geradewegs auf ihn zu. Er war gerade noch in der Lage, sich zur Seite zu rollen, als der
übel zugerichtete Körper Djangas’ auf dem Frachtraumboden aufschlug. Offensichtlich war
der Jäger schon gestorben, bevor die Bestie ihn herabwarf, denn niemand hätte die gewaltige
Bisswunde überleben können, die den halben Hals des Menschlings weggerissen hatte.
Brokrin funkelte die mörderische Bestie an, sein Daumen klopfte gegen den Schaft der Axt.
»Worauf wartest du denn noch, du leichenleckender Köter? Komm her, wenn dir der Sinn auf
Nachtisch steht. Komm her und versuch’s nur!«
Das pelzige Monster sprang vom Rand des Loches ab und seine Schwingen entfalteten sich,
als es auf Brokrin zustürzte. Der Kapitän ließ seine Axt durch den Morast aus Alkohol
peitschen, in dem er stand, sodass die brennende Gischt geradewegs der herabsegelnden
Schreckensgestalt in die Augen spritzte. Die Kreatur schoss mit heftigen Aufflattern zurück
und krachte in die Überreste der Frachtraumdecke. Der jähe Aufprall seines Kopfes ließ das
Biest erneut abwärtssausen.
Brokrins Axt war bereit. In tödlichem Schwung blitzte sie auf und die Klinge fuhr durch die
fledermausgleichen Schwingen, durchtrennte den Armknochen, sodass das verstümmelte
Glied nur noch an der ledrigen Flugmembran herabbaumelte. Der Flug des Monsters wurde zu
einem schlingernden, rollenden Sturz. Es krachte auf den stark geneigten Boden des
Frachtraums und zerschmetterte dabei etliche Fässer unter der Wucht seines Falls.
Der Duardin-Kapitän stürmte der verstümmelten Kreatur hinterher und die Flamme der
Vergeltung tobte in seinem Herzen. Vergeltung nicht nur für die geschändete Mannschaft der
Sturmbrecher, sondern auch für den Menschlingsjäger, der von dem Unhold dahingeschlachtet
worden war. Welche Grollschuld das Monster auch Barak-Urbaz schulden mochte, Brokrin
hatte eine eigene Schuld mit diesem Vieh zu begleichen.
Gnadenlos sauste seine Axt nieder, als das Fledermausvieh sich erheben wollte und
durchhackte glatt den Knochen seines Beins. Das Monster fiel auf die Seite und
ohrenbetäubende Schreie dröhnten nun aus seinem blutverschmierten Maul hervor. Indem er
sein Bein gebrochen hatte, hatte Brokrin nun beide Glieder der linken Seite unbrauchbar
gemacht. Die Bestie war auf ein frustriertes Zappeln und Umherschlagen beschränkt, als es
nun versuchte, sich herumzuwerfen und dem Duardin entgegenzutreten.
Mit malmenden Stiefelschritten über das gebrochene Bein stieg Brokrin auf den Rücken des
Monsters, und stieß es in den Morast aus Bier nieder, der den Boden bedeckte. Er nahm seine
Axt in beide Hände und starrte der Bestie ins Gesicht, als sie ihren Kopf zu ihm hinwandte.
Die Kreatur starrte mit einem Hass zurück, der das Maß überstieg, zu dem ein Tier imstande
war.
»Wenn du in die Grauen Hallen eingehst, dann sag ihnen, es war Brokrin Ullissonn, der dich
dorthin sandte«, knurrte der Duardin, als er seine Axt mit Wucht auf den Schädel der Bestie
niederfahren ließ. Das Monster zappelte unter dem Schlag, Leichensäfte spritzten aus der
Wunde hoch. Brokrin grunzte angewidert und setzte mit der Axt zu einem neuen Schlag an.
Wieder und wieder hackte er auf den Kopf des Monsters ein, bis schließlich das, was unter
seinen Füßen war, still und stumm wurde.
Brokrin hob die Hand, um sich den kränklichen Lebenssaft der Kreatur vom Gesicht zu
wischen, und sah dabei zu Djangas’ Leiche hinüber. Schon waren die Aasfresser aus dem
Frachtraum über sie hergefallen, rissen mit ihren Klauen an dem Nomaden herum, stopften
sich sein Fleisch in die reißzahnstarrenden Mäuler. Der Kapitän stieß ein Aufheulen der
Empörung aus. Er zog seine Axt aus dem zerhackten Schädel des Fledermausviehs und schritt
auf die Ghule zu.
Geschützdonner dröhnte aus dem Loch in der Decke zu ihm herab. Die Aasfresser wurden
beiseite gefegt, als ein Kugelhagel auf sie herabprasselte und sie zurück in den
Trümmerhaufen stürzen ließ. Als Brokrin vorwärts stürmte, erklang ein letzter Schuss, rasch
gefolgt von der zornigen Stimme Gotramms.
»Feuer einstellen, Jungs! Das ist der Kapitän!«
Gotramm stand am Rand des Loches, eine Hand packte den Arm eines anderen Arkanauten
und zwang dessen Gewehrlauf nach oben. Gotramms Gesicht war zerschunden, sein Bart mit
Blut verklebt, doch als er Brokrin ins Licht treten sah, machte sich ein breites Lächeln auf
seinem Gesicht breit.
»Wir dachten, du seist erledigt«, rief Gotramm herunter. »Skaggi sah, wie dieses riesige
Vieh dir in den Frachtraum gefolgt ist.«
»Das war sein letzter Fehler«, erwiderte Brokrin. »Irgendwelche Verluste auf unserer
Seite?«
Gotramm schüttelte den Kopf. »Ein paar Kratzer und Wunden. Aber nichts davon ernsthaft
genug, dass einer einen zusätzlichen Invaliden-Anteil aus dem Ertrag der Fahrt für sich
beanspruchen könnte.« Eine peinliche Stille folgte dem Scherz des Soldfahrers, eine
Erinnerung daran, dass die Fahrt ihnen bisher noch keinerlei Ertrag eingebracht hatte. »Ich
habe Djangas nicht gesehen«, meinte Gotramm. »Er muss sich während des Kampfs aus dem
Staub gemacht haben. Ist mittlerweile wahrscheinlich schon auf halbem Weg zurück zu
seinem Stamm. Was soll’s. Ich war sowieso müde, immer ein Auge auf ihn haben zu
müssen.«
Brokrin schüttelte den Kopf. »Niemand muss mehr ein Auge auf ihn haben«, sagte er und
deutete auf den Körper des Nomaden. »Aber niemand soll sagen, dass er vor einem Kampf
davongelaufen sei. Das ist etwas, was niemand ihm nehmen kann. Er half mir, das Monster zu
bekämpfen, und verschaffte mir einen Vorteil, als ich ihn am nötigsten brauchte.«
Gotramm schüttelte den Kopf. »Ich habe dem Menschen wohl unrecht getan«, gab er zu.
»Ich dachte, er wäre ein Dieb ohne Mut und Ehre.« Sein Ton war ernst, als er auf den Körper
des Nomaden hinabblickte. »Ich nehme zurück, was ich zu ihm gesagt habe und auch die
hässlichen Gedanken, die mir die Worte auf die Zunge gelegt haben. Er verdiente meinen
Spott nicht.«
»Eine wahrhaft gelernte Lektion ist immer am härtesten zu tragen«, sprach Brokrin zu
Gotramm. »Beurteile jemanden nach den Qualitäten, die er dir zeigt, nicht nach denen, die du
nur zu sehen glaubst.«
Der Soldfahrer berührte mit der Hand den Lauf seiner Pistole, eine alte Geste des Respekts
gegenüber einem gefallenen Kampfgefährten. »Eine wahrhaft gelernte Lektion«, griff er
Brokrins Worte auf. Er wandte seine Augen wieder dem Kapitän zu. »Siehst du einen Weg
aus diesem Loch hoch?«
Brokrin nahm die Zunderlampe von seinem Gürtel und zündete sie an. Vorsichtig drehte er
sich um und ließ das Licht über den verwüsteten Frachtraum gleiten. »Ich sehe weder Leiter
noch Treppe«, rief er Gotramm zu. »Die Schakalleute müssen die Balken benutzt haben, um
zum Deck hochzuklettern.«
»Wir holen ein paar Seile und schaffen dich da raus«, versprach Gotramm. Er trat zurück
und fing an, seinen Arkanauten Befehle zuzurufen.
Brokrin schenkte den Arkanauten, die sich beeilten, die Vorbereitungen zu seiner Befreiung
zu treffen, nur einen Moment seiner Aufmerksamkeit. Denn die war ganz auf den dunklen
Frachtraum um ihn gerichtet. Ein unbehagliches Kribbeln lief sein Rückgrat hinab, das Gefühl
einer lauernden Bedrohung. Immer wieder wandte er sich zu dem toten Fledermausvieh um,
beobachtete aufmerksam den Kadaver, wachsam nach dem kleinsten Zeichen einer Bewegung
suchend.
Ein Haufen zerbrochener Kisten bewegte sich, sodass einige von ihnen abstürzten. Brokrin
fuhr herum, beide Hände fest um seine Axt geschlossen. Er wünschte, Gotramm würde seine
Salvenpistole finden und sie zu ihm hinunterwerfen. Er war nicht daran interessiert, so einfach
ins Dunkel zu marschieren, um herauszufinden, was sich da bei den Kisten bewegte.
»Wer ist da?«, rief Brokrin. Es waren nur seine strapazierten Nerven, die ihn überhaupt
sprechen ließen. Eine Antwort erwartete er eigentlich nicht. Umso größer war sein Schock, als
er eine erhielt, fast so groß wie beim ersten Anblick des auf das Deck kriechenden
Fledermausviehs.
»Hier.« Die Antwort kam schwach, war kaum mehr als ein Flüstern. Zuerst dachte Brokrin,
es wäre seine Einbildung. Dann wiederholte sie sich, diesmal allerdings noch leiser.
Jede Furcht vor der Dunkelheit war wie weggeblasen. Brokrin eilte auf die Quelle des
Lautes zu und begann Kisten von dem Stapel wegzuzerren. Es war eine Stimme. Eine Stimme,
die schwach und verletzt klang.
Was allerdings noch wichtiger war, es war die Stimme eines Duardin.

Gotramm half seinen Arkanauten, den fast besinnungslosen Duardin hoch auf das Deck zu
hieven. Er winkte seine Soldfahrertruppe zurück, als er bei dem schlaff hingestreckten Körper
niederkniete, um ihn Lebenszeichen zu untersuchen. »Werft ein Seil runter zum Käpt’n«,
befahl er ihnen. »Ich will nicht, dass er da unten länger als nötig bleibt.«
Gotramm griff hinab zum Handgelenk des Duardin und tastete nach einem Puls. Er fand
einen, schwach aber gleichmäßig.
»Glaubst du, er kommt durch?«, fragte Skaggi, der herüberkam, um selbst zu sehen, wie es
dem Überlebenden ging.
»Wie er der Aufmerksamkeit dieser Fleischfresser entgangen ist, ist mir schleierhaft«,
meinte Gotramm. »Er muss ziemlich lange da unten gewesen sein.« Der Soldfahrer schüttelte
den Kopf. »Wenn er bis jetzt solches Glück gehabt hat, dann wäre es grausam vom Schicksal,
ihn jetzt im Stich zu lassen.«
»Die Gaben der Götter«, sagte Skaggi in beinah gereiztem Ton.
Gotramm fuhr den Logistikator an, angewidert von dem Gedanken, der ihm da gekommen
war. Ein Überlebender würde den Verdienst an allem mindern, was der Eisendrache bergen
konnte. »Es ist bemerkenswert, dass der Käpt’n ihn überhaupt rufen gehört hat. Ein paar
Minuten noch und wir hätten Brokrin aus dem Frachtraum herausgezogen. Dann wäre
niemand mehr da gewesen, der ihn hätte hören können.«
Skaggi verzog wegen des feindseligen Tons in Gotramms Stimme das Gesicht. »Ich wollte
nichts Anstößiges damit sagen«, meinte er. »Ich dachte nur daran, wie das Glück dieses Kerls
das Unglück des Kapitäns ist. Diese bemerkenswerten Zufälle werden sicher den Klatsch über
Ghazuls Fluch und solchen Mist an den Docks nur weiter anheizen.« Sein Gesicht wurde zu
einer Maske reinster Unschuld. »Ich habe schließlich nur an den Ruf des Eisendrachen
gedacht.«
Gotramm schnaubte. Er kaufte ihm das keinen Moment lang ab. Skaggi dachte an Profit und
nichts Anderes. Trotzdem wollte er dem nicht weiter nachgehen. Als er den Blick von dem
Logistikator abwandte, sah er, wie Brokrin aus dem Frachtraum gezogen wurde.
»Werft eine Schlinge hier runter«, rief Brokrin seiner Mannschaft zu, die vom Deck des
Eisendrachen herabsah. Gotramm sah Horgarr nicken und davoneilen, um dem Befehl
nachzukommen.
»Wir sollten den armen Kerl an Bord schaffen, damit ihn Lodri so schnell wie möglich
versorgen kann«, meinte Gotramm zu Brokrin.
»Lodri ist nicht gerade der größte Heiler«, protestierte Skaggi. »Er ist zu neun Teilen
Kanoniersgehilfe. Ich seh’ nicht, wie das seine Chancen allzu sehr verbessern sollte.«
Gotramm machte eine Grimasse in Richtung des Logistikators. »Bis der Kapitän was
anderes sagt, werden wir’s trotzdem versuchen.« Er blickte auf dessen Reaktion wartend
wieder zu Brokrin.
»Ich weiß nicht, wie lange er da unten ohne Nahrung und Wasser begraben lag«, sagte
Brokrin. »Aber was immer auch Lodri für ihn tun kann, soll er auch bekommen.«
Die Erwähnung von Nahrung und Getränken gab ihm eine Idee. Gotramm griff an seinen
Gürtel und zog eine Feldflasche mit Donnerbock hervor. Er hob den Kopf des Überlebenden
an und öffnete seine Lippen, um einige Tropfen des feurigen Trunks in seine Kehle rinnen zu
lassen. Der Duardin hustete, aber ein Hauch von Farbe überzog bereits seine blasse Haut.
Brokrin beobachtete ihn und wartete ab, ob das Getränk bei dem Überlebenden noch weitere
Lebensgeister wecken würde, doch der blieb in seiner todesgleichen Starre. »Es gibt so viele
Dinge, die ich ihn gerne fragen würde«, seufzte er.
»Welche Geschichte er auch immer darüber zu erzählen hat, was ihm und dem Schiff
zugestoßen ist, wir werden wohl noch darauf warten müssen«, sagte Gotramm. Er wandte den
Kopf und blickte zum dunklen Rachen des Frachtraums zurück. »Was ist mit dem Rest der
Mannschaft?«
»Wir sammeln ihre Knochen ein, sodass wir sie nach Barak-Urbaz zurückschicken können«,
sagte Brokrin. »Das ist das Mindeste, was wir für sie tun können.«
»Ich will nicht mal in der Nähe Barak-Urbaz’ sein, wenn sie diese Ladung bekommen«,
kommentierte Skaggi. Der Kapitän bedachte den Logistikator mit einem säuerlichen Blick.
»Es mag vielleicht sein, dass in einem solchen Geschäft wenig Profit liegt«, sagte Brokrin
zu ihm, »aber du kannst sicher sein, dass sie jede Gelegenheit, ihren Toten die Ehre zu
erweisen, zu schätzen wissen werden.«
Skaggi hielt den Kragen des Ghuls hoch, der Brokrin angegriffen hatte und schüttelte ihn,
während er ihm antwortete. »Sie werden Rache wollen und nicht allzu viel Vernunft dabei an
den Tag legen, wem sie die Schuld geben. Ihnen die Knochen zu geben, wird ihnen kaum
ausreichen.« Er blickte zu dem Harnisch hinüber, der vom Deck des Eisendrachen
herabgelassen wurde und den Soldfahrern, die den besinnungslosen Überlebenden daran
festzurrten. »Wenn er überlebt, dann könnte ich vielleicht irgendetwas für uns herausholen.
Wenn er jemand Wichtiges ist, dann kriegen wir vielleicht noch eine Belohnung für ihn, die
die Reise doch noch lohnend macht.«
Gotramm funkelte den Logistikator wütend an. »Wir sind keine Aasgeier, die umherfliegen,
um aus dem Unglück anderer Profit zu schlagen.«
»Wir täten gut dran, irgendwas zu finden, woran wir uns nähren können«, gab Skaggi
zurück. »Vielleicht hast du Djangas vergessen. Als wir ihn an Bord nahmen, haben wir für ihn
die Verantwortung übernommen. Jetzt, wo der Menschling tot ist, werden wir Kero ein
Wergeld zahlen müssen. Da er der Sohn eines Häuptlings war, könnte es sein, dass sie als
Wiedergutmachung das Dreifache seines Gewichts in Stahl verlangen.«
Gotramm nickte. »Wir werden es bezahlen«, sagte er in ernstem Ton.
»Natürlich werden wir das«, sagte Skaggi. »Denn die Ausführungen des Kodex lassen
keinen Zweifel daran, dass wir nicht nur für den Menschling verantwortlich sind, sondern
auch für das Handelsabkommen mit den Chuitsek. Wenn sie zu Feinden werden, dann wird
jeder Duardin unserer Flotte den Preis dafür bezahlen, und zwar in Form von entgangenen
zukünftigen Profiten aus diesem Abkommen.« Der Logistikator bat Gotramm ein finsteres
Gesicht dar. »Das Einzige, was wir uns fragen müssen, ist, wie wir das bezahlen sollen, da
diese Reise noch nicht mal genug Profit abgeworfen hat, dass wir Proviant, Treibstoff und
Munition bezahlen können.«
Gotramm stotterte in seinen Bart hinein, da er sich nicht in der Lage sah, irgendein
Argument anzuführen, dass die legitimen Einwürfe Skaggis hätte entkräften können. Sie
mussten Kero auszahlen, und so wie es aussah, war keinesfalls sicher, dass sie das konnten.
»Wir finden schon eine Lösung«, verkündete Brokrin. »Die Kharadron kommen ihren
Verpflichtungen nach. Nur ein Narr häuft auf eine Schuld auch noch zusätzliche Zinsen auf.«
Thurik, Gotramms Leutnant, zog ihn mit einem Klopfen auf die Schulter von der
Unterredung fort. »Er ist bereit«, berichtete der rotbärtige Arkanaut und nickte zum Harnisch
hin. Der Überlebende war vertäut wie eine Aufstiegsfest-Gans, verschnürt mit einer Unzahl
von Bändern und Schnallen. Eine Gefahr, dass er irgendwie herausrutschen könnte, während
man ihn in die Luft hievte, schien da nicht mehr zu bestehen. Gotramm hob die Hand zum
Signal an die Mannschaft des Eisendrachen, ihn jetzt hochzuziehen, als er plötzlich innehielt.
Er dachte an Brokrins Gefühl der Verantwortung gegenüber Djangas, eine Verpflichtung, die
er persönlich genommen hatte. Wenn Brokrin gegenüber einem Menschling ein solches
Pflichtgefühl verspüren konnte, dann war doch Gotramm einem Mit-Duardin sicherlich mehr
schuldig.
Er ging zu dem Überlebenden hinüber und unterzog die Befestigungen einer gewissenhaften
Untersuchung, versicherte sich, dass alles festgezurrt und keine der Schnüre ausgeleiert war.
Dann zog er einmal kräftig an dem Seil, um dessen Festigkeit zu prüfen. Befriedigt hob er die
Hand, um das Signal zu geben.
Doch da bekam Gotramm einen Schreck. Schwache Finger griffen nach seinem Bein.
Schwache Worte drangen an sein Ohr. Er blickte hinab und sah, dass der Überlebende einen
schwachen Schimmer von Bewusstsein zeigte. Seine Augen waren weit offen und erfüllt von
einer Art verzweifelter Angst. Was verständlich war, wenn er glaubte, er läge noch immer
unter den Trümmern, umgeben von Aasfressern, doch die Worte des Duardin zeigten, dass er
sich seiner Rettung bewusst war.
»Nehmt mich nicht ohne die Kiste mit«, keuchte der Überlebende, die Augen flehentlich auf
Gotramm gerichtet. Sein Griff um das Bein des Soldfahrers verstärkte sich. »Meine Schatulle.
Im Frachtraum. Meine Schatulle.«
Gotramm legte dem Duardin beruhigend die Hand auf die Brust. »Ich hole sie«, versicherte
er ihm. »Aber du musst dich jetzt erst einmal ausruhen.«
Aber den Überlebenden konnte das keineswegs besänftigen. Sein Griff wurde noch fester,
seine Stimme noch verzweifelter. »Meine Schatulle. Lass nicht meine Schatulle zurück!« Die
Anstrengung des Sprechens ließ ein abgehacktes Husten seinen ganzen Körper erschüttern. Er
sackte in seine Schnüre zurück. Thurik trat herbei und lockerte sanft den Griff um Gotramms
Bein. Im nächsten Moment zog die Mannschaft des Eisendrachen ihn vom Wrack hoch.
»Es gibt doch etwas, wofür man den Göttern danken muss«, meinte Brokrin, während er
beobachtete, wie der Überlebende nach oben gezogen wurde. »Er ist zumindest am Leben.«
Skaggi schüttelte den Kopf. »Was sollte dieser Unsinn mit der Schatulle?«
Gotramm zuckte die Schultern. »Irgendwas, was er da unten im Frachtraum verloren hat.
Zumindest hat er das gesagt. Schien jedenfalls für ihn wichtig zu sein.«
»So, wie es dort unten aussieht, wäre das Einzige, was mir an diesem Frachtraum wichtig
wäre, möglichst schnell rauszukommen«, sagte Skaggi. Er sah zu Brokrin hinüber. »Wie du
gesagt hast, er lebt. Aber sein Hirn ist zu Käse geworden.« Er tippte sich seitlich an den Kopf
und verdrehte die Augen. Der Logistikator sah zu Gotramm zurück und stellte fest, dass dieser
auf den Frachtraum zuschritt. »Du gehst doch wohl nicht da runter?«, höhnte er.
Gotramm zeigte Skaggi ein grimmiges Lächeln. »Ich habe es ihm versprochen«, erklärte er.
»Wir haben doch Zeit dazu, Kapitän?«, fragte er Brokrin.
»Wir müssen noch die Knochen der Mannschaft und Djangas hochschaffen«, sagte Brokrin.
»Da bleibt kaum Zeit, nach etwas Anderem zu schauen. Ich habe da unten auch nichts von
einer Schatulle entdeckt, als ich die Knochen durchsucht habe.«
»Da unten ist nichts!«, stöhnte Skaggi und zog an seinem Bart.
»Dann werde ich ihm das sagen«, erwiderte Gotramm. »Nachdem ich dort selbst
nachgesehen habe.«
Gotramm ließ seinen Worten Taten folgen. Er packte das Seil, das noch immer in den
Frachtraum hinunterhing, und ließ sich in die wartende Dunkelheit hinabgleiten. Als seine
Füße in das verschüttete Bier platschten, das den Boden bedeckte, griff er zum Gürtel und
warf den Auslöser an, der aus der Seite seiner Zunderlampe ragte. Der Mechanismus erwachte
zum Leben und warf durch seine Kristallgitter einen hellen Schein über die Umgebung. Mit
dessen Hilfe suchte sich Gotramm nach und nach einen Weg durch die Trümmer.
Obwohl er das niemals vor Skaggi zugegeben hätte, hegte Gotramm genauso große Zweifel
an der Existenz der Schatulle des Überlebenden wie der Logistikator. Dennoch hatte er sein
Wort gegeben und das wollte er nach seinem besten Vermögen halten. Über sich konnte er
hören, wie seine Kameraden ihren Rückzug vom Wrack fortsetzten. Er wusste, dass ihm nicht
viel Zeit blieb und wenn er seiner Aufgabe gerecht werden wollte, musste er strategisch
vorgehen.
Brokrin hatte bereits den Frachtraum abgesucht, hatte hier beim Versuch, die Knochen der
Mannschaft zu bergen, alles auseinandergerissen. Die Knochen lagen in einem säuberlichen
Haufen neben Djangas’ Körper aufgeschichtet. Gotramm konnte keine weiteren Knochen
herumliegen sehen, was ihm zeigte, dass der Kapitän bei seiner Suche tatsächlich gründlich
gewesen war. Das bedeutete, sollte die Schatulle real und hier zu finden sein, würde sie sich
an irgendeinem abseitigen Ort befinden, den er nicht in seine Suche eingeschlossen hatte.
Gotramm betrachtete die leblose Masse der Fledermausbestie. Das war eigentlich ein Ort,
dem man am meisten auswich. Mit einer Hand auf dem Griff seiner Pistole untersuchte er
gründlich den Kadaver und ließ den wachsamen Blick über Boden und Wände in seiner Nähe
gleiten. Jeder Moment, den er sich in der Nähe dieses Dings aufhielt, ließ seinen Bart jucken.
Sogar im Tod strahlte das Monster eine bösartige Atmosphäre aus.
Seine Untersuchung brachte kein Ergebnis. Rückwärtsgehend trat er von dem Kadaver
zurück, da er sich dabei zu unbehaglich fühlte, diesem Vieh den Rücken zuzuwenden. Dann
ging er auf eine Stelle zu, wo die meisten menschenähnlichen Fleischfresser gefallen waren.
Anders als ihr grausiger Anführer waren die Ghule ausgezehrt genug, dass Gotramm sie
wegschieben konnte und so stieß er ihre blutigen Überreste beiseite, dass sie abwärtsrollten
und quer über das Fledermausvieh klatschten. Er schaute sich den Boden, wo die Kannibalen
gelegen hatten, gründlich an, aber abgesehen von einem Fingerknochen, der Brokrin auf
seiner Suche entgangen war, fand er nichts.
Gotramm seufzte und schüttelte den Kopf. Er kam sich wie ein Trottel vor. Die
offensichtlichste Stelle war nicht an der Decke oder unter toten Monstern. Es war die Stelle,
wo Brokrin den Überlebenden gefunden hatte. Es war unwahrscheinlich, dass Brokrin dieser
Stelle bei seiner Suche nach Knochen allzu viel Beachtung geschenkt hatte, da die
Fleischfresser sich offensichtlich nicht um sie gekümmert hatten.
Er schalt sich selbst, dass er nicht viel früher daran gedacht und sich so das zweifelhafte
Vergnügen, die Fleischfresser durch die Gegend zu treten, hätte ersparen können. Er schritt
dorthin, wo der Kistenhaufen gewesen war. Die meisten davon waren beiseite geworfen
worden, als Brokrin den Überlebenden dort herausgeholt hatte, aber da waren noch immer ein
paar Stapel, die er durchsuchen konnte.
Er war noch nicht allzu lange damit beschäftigt, als Gotramm plötzlich innehielt und sich
unruhig umsah. Irgendein Geräusch, irgendeine Art von Warnung hatte an den Rändern seines
Bewusstseins gezupft und ihn sich von seiner Arbeit abwenden lassen. Er schwenkte das Licht
über den Frachtraum. Die Strahlen wurden von den Pfützen des Bieres reflektiert und warfen
dunkle Schatten über monströse Leichen und zerschmetterte Trümmer.
Gotramm kaute an seinem Schnurrbart und schalt sich diesmal, dass er sich von seiner
Fantasie narren ließ. Das Geräusch, das er gehört hatte, musste von der Mannschaft stammen,
die das Schiff verließ. Eine weitere Mahnung, dass er nicht mehr allzu lang hatte, um seine
Suche abzuschließen. Verbissen kehrte der Arkanaut zu seiner Arbeit zurück, verschob Kiste
um Kiste auf der Suche nach irgendetwas, das wie eine Schatulle aussah.
Erneut zerrte das seltsame Gefühl an seinen Nerven. Gotramm hielt erneut inne und sah sich
um. Das unruhige Gefühl war jetzt ausgeprägter, es reizte ihn und ließ seinen Puls schneller
gehen. Es bedurfte einer bewussten Anstrengung, um sich wieder seiner Arbeit zuzuwenden,
noch einmal alle Nischen und Ecken zu durchsuchen. Als er das schließlich tat, fiel das Licht
seiner Zunderlampe auf ein kleines metallisches Objekt von etwa dreißig Zentimeter Länge
und etwa halber Breite mit einem Schloss an seinem Deckel und vier plumpen Füßen, die aus
seinem Sockel ragten. Der Überlebende war also doch nicht verrückt geworden. Es gab
tatsächlich eine Schatulle und das hier musste sie sein.
Doch genau in dem Moment, in dem Gotramm das Kästchen an sich brachte, hallte ein
lautes Platschen durch den Frachtraum. Der Soldfahrer wirbelte herum und riss die Pistole aus
dem Halfter. Die Zunderlampe an seinem Gürtel ergoss ihr Licht über eine grausige,
bestialische Gestalt.
Das Fledermausvieh lebte.
Es warf sich auf Gotramm, griff mit einer seiner klauenbewehrten Schwingen nach ihm. Als
er vor ihm zurückwich, sah der Arkanaut auch den Grund für die Wiedererweckung der
Kreatur. Ihr Fell war voller Flecken vom Blut und den Körpersäften der Ghule, die er auf sie
geworfen hatte. Jetzt sah er, wie diese dunklen Flecken vor seinen Augen schrumpften und in
den grotesken Körper des Monsters gesogen wurden. Dieses Geschöpf war von vampirischer
Natur und vom Blut seiner eigenen Horden wiederbelebt worden. Nun suchte es nach
frischeren Vorräten, die seine Wiederherstellung beschleunigen sollten. Etwas, um damit die
Knochen des zerbrochenen Beins wieder zu richten, das es über den Boden nachzog und um
das Fleisch seiner zerfetzten Schwinge wieder zu heilen, die jetzt schlaff an seinen Flanken
herabbaumelte.
Gotramm blickte auf die Pistole in seiner Hand und dachte daran, wie viel Schaden Brokrin
der Bestie hatte zufügen müssen, um sie zum ersten Mal zu fällen. Die Waffe fühlte sich
plötzlich erbärmlich an, unbedeutend, angesichts der Bedrohung, der er sich gegenübersah.
Kurz dachte er darüber nach, seinen Gefährten eine Warnung zuzurufen, aber das mochte nur
die Aufmerksamkeit des Vampirs auf sie richten und es in wütender Raserei auf das Deck
stürmen lassen, bevor sie zur Verteidigung bereit waren. Er sah an dem Monster vorbei, dahin,
wo noch immer das Seil in den Frachtraum herabbaumelte. Wenn er nur an der Kreatur
vorbeikommen und das Seil erreichen könnte …
Gotramm erinnerte sich daran, was Brokrin über die Abneigung der Bestie gegen Licht
gesagt hatte und beschloss aus dieser Schwäche Nutzen zu ziehen. Die Schatulle unter einen
Arm geklemmt, riss er die Zunderlampe vom Gürtel und warf sie auf die Fledermausbestie. Er
hatte beabsichtigt, das Vieh einfach nur zu blenden, doch als die Lampe darauf zuflog, schlug
das Monster sie mit einem Zucken seiner Klaue beiseite. Die Lampe zerschellte an der Wand
und ließ einen Funkenregen auf die Pfützen und Tümpel von ausgelaufenem Bier und Grog
niedergehen. Blaue Flammen flackerten im Frachtraum hoch, als der Alkohol sich schlagartig
entzündete.
Das Fledermausvieh schreckte in Todesangst zurück und kreischte die emporschlagenden
Flammen an. Gotramm nutzte diese Ablenkung und sprang an ihm vorbei, stürzte auf das Seil
zu. Er erwischte es und begann sich hochzuziehen, als das Monster auf ihn zustürmte. Er
konnte dessen kranken Atem auf seinem Gesicht fühlen, während er umherschwang und ihm
den Lauf seiner Pistole gegen die Brust drückte.
Selbst das Donnern der Pistole wurde von dem gepeinigten Aufheulen verschlungen, das
das Vieh ausstieß. Die Kugeln, die sein verfaultes Fleisch durchschlugen, hatten wenig
Schaden angerichtet. Es war das Aufblitzen des Mündungsfeuers, das ihm schwereres Leid
zufügte. Denn bevor es vom Blut der Ghule wiederbelebt worden war, hatte der Kadaver des
Viehs in dem Tümpel aus Alkohol gelegen. Jetzt war sein bierdurchtränktes Fell von den
Flammen aus Gotramms Pistole entzündet worden. Im Zeitraum nur weniger Herzschläge
verwandelte das Monster sich in eine kreischende Feuerlohe, die in blinden Todesqualen wild
um sich schlug, bis sie schließlich in die lodernden Tümpel zu ihren Füßen stolperte.
Mehr brauchte Gotramm nicht zu sehen. Er hangelte sich am Seil empor. An der Öffnung
des Loches wurde er von Brokrin und Thurik erwartet, denen blanke Verwirrung in die
Gesichter geschrieben stand. Die Geräusche des Kampfes und das Brüllen der Flammen hatten
sie zurückeilen lassen. Stolz reichte Gotramm Brokrin die Schatulle und ließ sich dann von
Thurin auf das Deck helfen.
»Es gab eine Schatulle«, sagte Gotramm lächelnd. »Skaggi schuldet dem alten Vogel eine
Entschuldigung.«
Brokrin schaute das Kästchen an, doch seine Aufmerksamkeit wandte sich rasch den
Flammen unten in der Frachtbucht zu. »Was ist da unten passiert?«, wollte er wissen.
Gotramm hatte die Erzählung von Brokrins Kampf mit dem Fledermausvieh mit Ehrfurcht
erfüllt. Jetzt, fand er, war es an ihm, mit Lob überhäuft zu werden. »Dein geflügelter Freund
von vorhin ist zu einer zweiten Runde angetreten«, erzählte er Brokrin. Ein grimmiges
Lächeln machte sich auf seinen Zügen breit. »Mit mir ist es ihm auch nicht besser ergangen
als mit dir.«
Brokrin schüttelte den Kopf. »Erzähl mir davon, wenn wir hier weg sind. Ein zerstörtes
Panzerschiff, in dessen Bauch ein Feuer wütet, ist nicht gerade der richtige Ort für
Geschichten großer Taten. Ein armseliges Grab für Duardin, aber das einzige, das ihre
Knochen jetzt finden werden. Ich hoffe nur, egal welchen Göttern die Chuitsek auch huldigen
mögen, dass sie Djangas im Rauch wiederfinden, der sich aus diesem Wrack erhebt.«
Die Erinnerung an die verlorenen Toten nahm Gotramm den Wind aus den Segeln. Sein
Lächeln gerann zu einer gequälten Grimasse. Er konnte im Kampf fast jede Wunde erdulden,
doch eine Verletzung seiner Ehre war ihm untragbar. Stumm folgte er Brokrin und Thurik zur
Leiter, die der Eisendrache zu ihnen heruntergeworfen hatte. Obwohl weniger verzweifelt, so
war doch der Aufstieg zum Schiff für ihn schwerer als seine Flucht aus dem brennenden
Frachtraum.

Als sie den Fuß auf das Deck des Eisendrachen setzten, erhob sich Aufregung unter der
Mannschaft. Drumark deutete zu dem Wrack unter ihnen hinab. Gotramm wandte sich gerade
noch rechtzeitig um, um eine schwere Gestalt zu erkennen, die sich aus dem Frachtraum
herausstemmte. Es war unmöglich, irgendwelche Einzelheiten zu erkennen, denn das Wesen
war vollständig in Flammen gehüllt, doch Gotramm wusste, dies musste das Monster sein, auf
das er geschossen hatte. Wie eine lebende Fackel torkelte das Ding ein paar Augenblicke
umher und heulte in schrecklicher Qual. Dann richtete es sich auf und sein ohrenbetäubendes
Kreischen durchbohrte die Luft und ließ die Duardin die Hände auf die Ohren pressen. Im
nächsten Augenblick brach die Bestie zusammen und was immer es auch für eine ungeheure
und welch widernatürliche Lebenskraft ihr auch immer bis zuletzt verblieben war, erlosch
schließlich.
Dieses letzte Aufkreischen schien von fern zum Eisendrachen zurückgeworfen zu werden,
doch dann erkannte Gotramm, dass es nicht ganz dasselbe war, so wie bei einer Melodie, die
auf einem anderen Instrument gespielt wird. Dieses Instrument, so wurde ihm klar, war ein
Horn. Jemand beantwortete das Todeskreischen des Monsters.
»Nach Süden!«, rief Mortrimm. »Bei Grungni, es muss Hunderte von ihnen geben!« Der
Navigator stand in der Nähe des Bugs und sah durch das Fernglas in die Richtung, aus der das
Horn erklungen war. Bald war jedes Okular, jeder Fernstecher auf dem Schiff dorthin
gerichtet und die Mannschaft murmelte ihre eigenen Anrufungen und Flüche beim Anblick
dessen, was Mortrimm dort entdeckt hatte.
Gotramm borgte sich ein Fernglas von Horgarr aus und sah eine Unzahl jener
ausgemergelten, buckligen Aasfresser, die sie auf dem Wrack bekämpft hatten, in großen
Sätzen aus den Höhlen und Grotten herausstürmen und zwischen den Felsen
hindurchkrabbeln. Weitere grausige Untiere folgten ihnen, Monster vom gleichen Schlag wie
die Kannibalen, doch größer und wesentlich muskulöser. Ein paar der fledermausähnlichen
Bestien konnte man ebenfalls von Fels zu Fels springen oder ihre ledrigen Schwingen für
kurze Gleitflüge zwischen den Felszacken benutzen sehen. Als das Horn erneut erklang,
bemerkte Gotramm einen bleichen Aasfresser in den Lumpen einer Jägertracht. In seiner Nähe
beobachtete ein bizarr verdrehter und bösartig aussehender Unhold die aufgepeitschte
Kannibalenhorde, während seine gewaltigen Finger den verrotteten Aufputz entlangfuhren,
der an seiner grausigen Gestalt herabhing.
Skaggi setzte das Fernglas ab, durch das er gestarrt hatte. Der Logistikator schauderte. »Als
ob der Herr dieses Landes seine Jagdgesellschaft anführt.« Er schauderte erneut sichtbar und
starrte auf den Kragen an seinem Gürtel. Und in der nächsten Sekunde warf er das Ding aufs
Deck. Er hatte eine ziemlich klare Vorstellung davon, was dieser Herr als Jagdhunde benutzte.
»Es liegt kein Profit darin, diese Biester zu bekämpfen«, rief Brokrin seiner Mannschaft zu.
»Das bringt nur weitere Verluste an Material und Zeit. Wenn es notwendig sein sollte und der
Überlebende in der Lage ist, zu uns zu sprechen, können wir immer noch zurückkommen und
sie in ihren Löchern ausbomben, um wohlmögliche Grollschuld gegenüber ihnen zu
begleichen.«
Skaggi nahm die Entscheidung des Kapitäns mit sichtbarer Erleichterung auf, und sein
scharfgeschnittenes Gesicht schien zum ersten Mal etwas wie Freude zu zeigen. Gotramm
erging es da ähnlich. Es war nicht seine Art, einem Kampf auszuweichen, aber er hatte auch
nicht die geringste Neigung, den Tumult, den sie auf dem Schiff erlebt hatten, noch einmal in
größerem Maßstab zu wiederholen,
Der letzte Blick, den Gotramm auf die Fleischfresser erhaschte, zeigte ihm eine wimmelnde
Masse verschwommener Gestalten, die über das gesamte Wrack kroch und hoch hinauf zum
Eisendrachen heulte, als diese sich erhob, um sich den Fregatten über dem Schlangenschlund
anzuschließen.
KAPITEL FÜNF

Über den uralten Höhen der Schattenweite erhob sich eine gewaltige Felsnadel in den
Himmel. Diese Zinne war keine Formation, die einem Aufruhr der Erde oder der Erosion
geschuldet war, sondern sie war von urzeitlicher Zauberei und Hexenkraft geschaffen worden.
Geformt aus schwärzester Magie bohrte sich dieser schartige Gipfel Hunderte von Metern in
die Luft, dessen zerklüftete Hänge sich zu einer funkelnden Spirale wanden. Er war ein
Überbleibsel des langen Zeitalters der Dunkelheit, als die Klauen des Chaos das Reich von
Chamon ihrer Herrschaft unterworfen hatten. Damals war dieser Berg aus der Erde als ein
Bollwerk des Bösen heraufbeschworen worden. »Der Saphirpalast« wurde er von jenen
genannt, die mit den arkanen Künsten vertraut waren, den Jüngern jener weltlichen
Hexenkraft, die allein sterblichen Augen die Macht verlieh, seine gewaltige Masse
wahrzunehmen oder in seinen verruchten Hallen zu weilen.
Nahe des Gipfels der Bastion, tief hineingegraben in seine schwärzesten Abgründe, befand
sich das höhlenartige innere Heiligtum, das durch den Lauf der Jahrhunderte bereits den
ruchlosesten aller Hexenmeister Zuflucht geboten hatte. Und jener Tradition folgte dieses
diabolische Schlupfloch weiterhin getreu.
In den neun Ecken der gewaltigen Höhle schwebten riesige Kohlebecken, die dieses
Allerheiligste mit einem unheimlichen Schein überzogen, der sich flackernd auf den in den
Boden gezogenen arkanen Bannsiegeln widerspiegelte. Genau in der Mitte neun
konzentrischer Ringe, umgeben von neun aus Leichenwachs gezogenen schwarzen Kerzen,
stand eine missgestaltete, in eine schwarze Robe gehüllte Erscheinung.
Khoram zog den schwarzen Ärmel seiner Robe zurück und drückte die Schneide eines
Messers gegen seinen mutierten Arm. Während sein Homunkulus ihm ängstlich ins Ohr
schnatterte, schnitt der Hexer sich langsam in die Haut. Schicht um Schicht teilte sich das
ölige Fleisch und ließ eine durchscheinende Substanz hervortreten, die eher dämonischem
Sekret als sterblichem Blut glich. Er knirschte mit den Zähnen, presste die Augen fest
zusammen vor Schmerz, der ihm durch die Nervenfasern fuhr.
»Schmerz?« Fast fauchte Khoram seinem Homunkulus dieses Wort entgegen. »Was ist der
Schmerz des Fleisches gegen den rasenden Zwang, der durch meinen Geist heult? Jeder
meiner Gedanken wendet sich nur einer einzigen Idee zu.«
Der Trugling zirpte warnend, und sein Schnabel schmiegte sich gegen den Hals des
Zauberers. »Nein«, entgegnete ihm Khoram, »es gibt keinen Grund zur Furcht. Allein die
Idee, dass meinem Ziele Widerstand geboten würde, ist schon undenkbar. Es gibt Dinge, die
zu gefährlich sind, um sie zu verstehen. Es genügt, einfach nur zu gehorchen.«
Die Wunde in seinem Arm pochte. Elektrische Stöße durchfuhren seinen Körper. Khoram
öffnete seine Augen und starrte auf die Wunde, als er unter dem Brodeln das Aufkeimen einer
neuen Empfindung verspürte. Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit, sein ganzes Wesen auf
diese heftige Schwingung, stachelte sie mit seinem eigenen Willen an, gab ihr dadurch
Nahrung. Langsam bahnte sich etwas seinen Weg durch Sehnen- und Nervenbündel, durch die
Blutgefäße und die Festigkeit von Fleisch und Fett. Zentimeter um Zentimeter stemmte es sich
aus dem Fleisch frei, aus dem der Arm des Hexers bestand, bis Khoram es zuletzt direkt
anschauen konnte.
Der blutige Unrat seiner gewaltsamen Ankunft tropfte hinfort, abgestoßen von dem Objekt,
das aus der Oberfläche von Khorams Arm emporgestiegen war. Das Licht der Kohlebecken
spiegelte sich auf der glatt funkelnden Hülle des Dings wider und warf einen Regenbogen von
Farben und Schatten auf die Steindecke. Ein unheimlicher klingelnder Ton begleitete jedes
einzelne Lichtband, das von der spiegelglatten Oberfläche zurückgeworfen wurde.
Zwar hatte Khoram diesen Klang bereits zuvor gehört, aber er konnte sich niemals wirklich
darauf vorbereiten. Das Geräusch glich dem von zerbrechendem Glas, denn das, was in seinen
Arm eingebettet war, ähnelte tatsächlich Glas; es war ein Spiegelsplitter, der von Zaubern
durchdrungen war, die die Sphäre des Zobras wie ein Kinderspielzeug erscheinen ließen. Eine
derartige Kostbarkeit stellte es dar, dass es für den Hexer nicht genug war, es am Leibe zu
tragen, nein, er musste es in seinem Leib tragen. Es war ein Bruchstück der Realität selbst, ein
Fenster zwischen den Reichen, das ihm die direkte Zweisprache mit seinem dämonischen
Patron ermöglichte. Solange er diesen Splitter besaß, gab es keinen Rivalen, der es ihm in der
Meisterschaft schwarzer Künste gleichtun könnte.
Der Splitter glitzerte Khoram an und schien in einem matten Puls zu glühen. Dieser war
nicht gerade eine Manifestation von Licht, sondern eher von Macht, jenen üblen Energien, die
von der Verbindung Chamons mit dem Reich des Chaos selbst entfesselt wurden. Khoram
wagte es nicht, seinen Blick von dem Spiegel abzuwenden, doch kannte er bereits aus früheren
Erfahrungen die Art von Veränderung, die diese Energien an dem ihn umgebenden Raum
bewirkten. Fester Stein wurde zu porösem Dunst, stumpfes Granit explodierte in einer
flirrenden Palette farbigen Fells, wimmelnde Insekten, die sich zu ungeschlachten
Gräuelgestalten vergrößerten, nur, um im nächsten Moment wieder zu einem den Boden
überziehenden Schleim zu werden. Es gab Schutzzauber und Bannsiegel, die diese Energien
eindämmen und auf diese Kaverne beschränken sollten, in welche Khoram sie gerufen hatte.
Es ging nicht an, sie durch den gesamten Saphirpalast wüten zu lassen, damit sie womöglich
Tamuzz’ Festung in eine Rußsäule oder einen irrwitzigen Dschungel aus Lotusblüten
verwandelten.
Als das Glühen zu seinem Gesicht hinaufströmte, verspürte Khoram die Präsenz seines
Schutzherren. Der Großdämon kommunizierte nicht in Worten mit ihm, nicht einmal in
Gedanken. Die Verbindung zwischen sterblichem Akolyth und dämonischem Herrn war von
ursprünglicherer Natur, tiefer und erhabener als ein schlichter Austausch von Ideen und
Konzepten. Die Absichten des Dämons prägten sich direkt Khorams Gedächtnis ein und
formten in diesem Prozess sein Bewusstsein um. Der Hexer erfuhr nicht, was von ihm
erwartet wurde, sondern er fühlte, dass er schon immer diese Ziele gekannt hatte. Manchmal
entdeckte er sogar, dass er bereits entsprechend gehandelt hatte, um diese neuen-alten Befehle
auszuführen. Das ließ ihn sich fragen, ob sein Gönner nicht mittels der Gedanken des Hexers
durch den Schleier der Zeit zurückgriff, um seine Pläne in Gang zu setzen, noch bevor er sie
seinem Diener enthüllt hatte.
Khoram verspürte Zorn, als das Dämonenglühen ihn überflutete. Tamuzz, prägte die
Präsenz in dem Heiligen Glas ihm den Namen ein. Der Kriegsherr ist störrisch. Ein
Günstling des Wandlers und dennoch starr und stur in seinem Vorgehen. Er verweigert
sich einem raffinierteren Vorgehen aus Furcht davor, seine Stellung einzubüßen.
»Er ist verbittert, Meister«, sprach Khoram mit Blick in das Heilige Glas. »Er büßte viele
seiner Anhänger beim Angriff auf das Kharadronschiff ein.«
Man muss Bauernopfer bringen, um große Ziele zu erreichen. Tamuzz verlangt es nach
Vergeltung. Er ist von der Vorstellung versucht, die zweite Flotte von Himmelsschiffen zu
erbeuten.
Khoram fühlte, dass etwas wie Panik an ihm nagte. Was Tamuzz vorhatte, würde den Plan
gefährden, den er so sorgfältig geschmiedet hatte, indem er die Sphäre des Zobras konsultiert
hatte. Das Heilige Glas prägte ihm deutlich ein, was sein Schicksal wäre, würden die Pläne
vereitelt.
»Ich kann mich nicht gegen Tamuzz wenden«, flehte Khoram. »Er ist ein Günstling des
Mächtigen Tzeentch und trägt das heiligste Mal des Wandlers.«
Ein verhängnisvolles Dilemma. Furcht, die sich zur Wahrheit gestalten mag, oder
sicherer Untergang. Die Wege des Wandlers sind mannigfaltig und nicht jedes Tabu ist
unantastbar.
Khoram schauderte, als sich diese Konzepte durch sein Hirn bohrten. In den dargelegten
Ideen lag sowohl Verheißung als auch Bedrohung. Der Pfad entlang des Grates zwischen
Vernichtung und Wahrheit mochte schmal wie eine Nadel und scharf wie ein Klinge sein.
»Ich werde nicht zulassen, dass Tamuzz eingreift«, schwor Khoram.
Warum hast du ihn dann nicht schon gestoppt? Tamuzz mischt sich doch bereits ein.
Sieh!
Ohne bewussten Willen wandte Khoram seine Augen der sich um seinen Kopf drehenden
Kugel zu. In ihren Facetten konnte er das Panzerschiff der Kharadron erkennen, das den
einzigen Überlebenden der Sturmbrecher an Bord genommen hatte. In dem Bild konnte er
sehen, wie sich ihm Tamuzz’ Krieger näherten, die auf den Rücken von Dämonen durch den
Himmel zogen. Bald würde der Kriegsherr seine Gefolgsleute zum Angriff führen.
Warum hast du Tamuzz nicht aufgehalten?
Khoram starrte in das Heilige Glas. »Unter der Obhut der Duardin wird sich der
Überlebende erholen«, sagte er. »Aber werden sie seiner Geschichte glauben? Es ist eine
taktische Entscheidung, Tamuzz zu erlauben, das Himmelsschiff anzugreifen. Wenn der
Überlebende also von Kampf spricht, dann wird es etwas geben, was seine Worte belegt.
Wenn die Duardin ihm glauben, was den Angriff betrifft, dann werden sie auch das
hinnehmen, was er ihnen von dem Schatz erzählt …«
Ein düsteres Glühen ging von dem Heiligen Glas aus, das Khoram seinen Zorn aufprägte.
Der Plan wird für Tamuzz nicht genügen. Er wird nicht nachlassen. Er wird sich
geradewegs auf alles stürzen, was ihm als leichte Beute erscheint. Er wird deine Strategien
von Angriff und Rückzug ignorieren. Er denkt eher in Begriffen des Zwanges als der
Manipulation. Er würde die Kharadronschiffe erobern und die von ihm Gefangenen dann
dazu zwingen, das zu tun, was sie tun sollen.
Khoram teilte den Ärger seines Patrons. Die direkte Vorgehensweise, die Tamuzz
bevorzugte, war zu gewagt. Die subtile List, die sein Herr verfolgte, war hier der bessere Kurs.
»Ich kann mich nicht gegen Tamuzz wenden«, sagte der Hexer. »Das Mal, das er trägt, ist
für meine Magie unerlässlich. Seine schiere Präsenz fokussiert das Auge von Tzeentch auf den
Saphirpalast und erlaubt es mir, die arkanen Winde des Wandlers zu beherrschen.« Khorams
Gesicht kräuselte sich zu einem grässlichen Lächeln. »Ich werde ihn daran hindern, dass er
unsere Pläne vereitelt, ohne die Macht aufzugeben, die er uns verschafft. Er ist noch immer für
unsere Zwecke nützlich.«
Bring ihn unter Kontrolle. Du weißt, was auf dem Spiel steht, wenn du mir gegenüber
versagst.
Das Glühen erlosch. Khoram schrie auf, als das Heilige Glas sich zurück unter seine Haut
wand. Das zerrissene Fleisch legte sich selbst wieder zusammen, versiegelte sich, sodass nicht
einmal eine Narbe zurückblieb. Dieser Prozess war sogar noch qualvoller als das Hervortreten
des Spiegels. Der Zauberer lag keuchend auf dem Boden, Schweiß rann ihm von der Brust,
während seinem Trugling Federn ausfielen.
Er wusste, was von ihm erwartet wurde. Wie er das bewerkstelligen sollte, war allerdings
die Frage. Mit Mühe erhob Khoram sich vom Boden und schaffte es, die Sphäre zu sich zu
rufen. Die Finger seiner mutierten Hand wanden sich augenblicklich wie Schlingen um sie, als
diese ihren kreisenden Orbit verließ. Er knurrte seinen dämonischen Parasiten an und weckte
den Trugling aus seiner erschöpften Starre.
»Ich muss verhindern, dass Tamuzz zu weit geht«, sagte Khoram dem Homunkulus. »Er
gefährdet die Pläne, die ich in Gang gesetzt habe.« Er starrte in die Kugel. »Führe mich zu der
Prophezeiung, die mir den besten Weg zeigt, Tamuzz zu zügeln. Dann weiß ich, wie ich
handeln muss.«
Während Khoram beobachtete, wie die Bilder über die Facetten der Kugel flackerten,
kämpfte er das Gefühl der Dringlichkeit nieder, das an ihm nagte. Hexerei war kein Geschäft,
dem man in Hast nachging. Die Duardin würden sich einfach alleine verteidigen müssen, bis
Khoram bereit war zu handeln.

Gotramm blickte auf den genesenden Duardin hinab, der nun in Horgarrs Kajüte ruhte. Der
Endrinmeister hatte sie dem besinnungslosen Überlebenden mit der Begründung überlassen,
dass sie der geeignetste Ort für ihn wäre. Die Wände von Horgarrs Raum waren doppelt so
breit, um die Geräusche des Schiffs zu dämpfen. So konnte er sich besser konzentrieren, wenn
er über die Mechanik des Eisendrachen sann und wie man sie am besten reparieren und ihre
Leistung verbessern konnte. Die Stille würde auch dem verwundeten Duardin helfen, sich
schneller zu erholen.
Obwohl es im Moment gar nicht so aussah, als sei der Überlebende in einem besseren
Zustand als unten im Wrack. Nachdem er Gotramm so verzweifelt angefleht hatte, die
Schatulle zu holen, war der Duardin erneut in absolutes Schweigen verfallen. Als er dann an
Bord gebracht wurde, war er vollkommen besinnungslos gewesen. Er hatte nicht einmal
reagiert, als Drumark beim Versuch, ihn aus seinem Harnisch zu befreien, in seinem
Ungeschick das Knie des Überlebenden gegen das Schandeck gestoßen hatte.
Lodri versorgte die Wunden des Überlebenden, rieb sie mit einem groggetränkten Tuch ab
und zog mit einer Pinzette Splitter aus dem Fleisch des Duardin. Eigentlich war es keine
Pinzette, sondern einfach nur eine sehr kleine Greifzange, mit der man normalerweise
Verschmutzungen aus den Steuerventilen der Äther-Endrin herausholte; sie auch als
chirurgisches Instrument zu verwenden, entsprach nicht ihrem ursprünglichen Zweck. Aber
schließlich war Lodri auch ein Kanoniersgehilfe, der zusätzlich den Posten des Heilers
ausfüllte. Der echte Knochenrichter hatte das Schiff vor zwei Fahrten verlassen, nachdem er
sich über den Fluch und den sich daraus ergebenden mangelnden Profit beschwert hatte.
Obwohl er wie die Pest nach Kordit stank und ungefähr so freundlich wie ein hungriger Geier
war, verstand Lodri doch genug von der Kunst eines Heilers, um zu verhindern, dass die
gelegentlichen Schnitte und Brüche sich zu etwas Schlimmeren und Kräftezehrenderem
entwickelten.
»Bier für ihn und Grog für mich«, meinte Lodri, als er die Pinzette niederlegte und nach
zwei Flaschen griff. Er zog die Tonstopfen heraus und ließ sie von ihren
Befestigungsschnüren baumeln, dann drückte er eine davon dem Überlebenden an den Mund,
während er sich gleichzeitig aus der anderen Schluck um Schluck die Gurgel herabrinnen ließ.
Es schüttelte Lodri gehörig, als der Alkohol in seinen Magen hinabfloss. Die Reaktion des
Patienten war weniger dramatisch und bestand größtenteils daraus, dass seine Wangen und
Stirn nach etwa einer Minute etwas Farbe bekamen.
»Wird er sich erholen?«, fragte Gotramm. Er fühlte dem Überlebenden gegenüber eine
seltsame Verpflichtung, seit er den Frachtraum nach dessen Schatulle durchsucht hatte. Es war
schwer zu beschreiben, geschweige denn zu begreifen. Es war ja nicht so, dass der Duardin
Teil seiner Soldfahrertruppe oder auch nur ein Angehöriger der Mannschaft des Eisendrachen
gewesen wäre, aber dennoch fühlte er eine tief greifende Verantwortung ihm gegenüber.
Irgendwie war er wichtig, auf eine Art, die Gotramm nicht wirklich ergründen konnte.
Lodri wandte den Kopf um und schenkte Gotramm einen ernsten Blick. Langsam drückte er
die Stopfen mit seinen Daumen wieder in die Flaschen zurück. »Ich tue alles, was ich kann«,
erklärte er und ließ dann ein kaltes Lächeln seinen Bart verziehen. »Na ja, vielleicht nicht
alles. Ich könnte einen der Gaskarabiner herschaffen und ihn erschießen.« Bei diesen Worten
drückte er beide Stopfen mit einem lauten Plopp-Geräusch vollends in den Flaschenhals
zurück.
Gotramm fuhr bei dem unerwarteten Laut zusammen. Lodri gluckste in sich hinein und
wandte sich wieder dem verwundeten Duardin zu. »Kümmere dich um deine Arbeit, ich
kümmere mich um meine.«
Gotramm wandte sich ab, um die Kajüte zu verlassen. Dabei wurden seine Augen zu der
Schatulle hingezogen. Brokrin hatte angeordnet, dass sie hierhergebracht wurde, sodass der
Überlebende sie bei seinem Erwachen sehen konnte. Der Kapitän hoffte, dass der Anblick des
Dings den Duardin erleichtern würde. Außerdem wollte er es aus Skaggis Reichweite halten.
Denn seit der Logistikator von der Schatulle erfahren hatte, bedrängte er Brokrin, sie zu
öffnen, sodass sie sich ihren Anteil von was immer an Schätzen darin sein mochte, nehmen
konnten. Dabei zitierte er zahlreiche Klauseln des Kodex, die dazu ermutigten, jeglichen Akt
der Wohltätigkeit während einer Fahrt mit einer Ausgleichszahlung vergelten zu lassen.
Die gleiche Neugier trieb allerdings auch Gotramm um. Er hatte das Gefühl, dass sein
eigenes Interesse an dem Kästchen gerechtfertigt wäre. Er hatte schließlich Leib und Leben
riskiert, um es zu bergen. Warum sollte es ihm nicht erlaubt sein, auch als Erster einen Blick
hineinzuwerfen? Als er gerade seine Hand danach ausstreckte, erklang ein lautes Husten
hinter ihm. Der Soldfahrer fuhr herum und sah Lodri, der ihn mit finsterem Blick anstarrte.
»Du lässt gefälligst die Hände davon«, warnte ihn Lodri. Er deutet auf das sperrige Schloss,
das sich aus der Vorderseite der Schatulle wölbte. »Siebenundvierzig Runen sind in dieses
Schloss eingeprägt. Drück sie in der falschen Reihenfolge, und wer weiß, was passiert? Es
sticht dir vielleicht eine vergiftete Nadel in den Finger oder öffnet sich wie ein Metallmaul
und beißt dir gleich das ganze Teil ab. Oder vielleicht fliegt es dir nur um die Ohren. Was
auch immer passiert, der Käpt’n wird von mir erwarten, dass ich dich wieder zusammenflicke
und ich habe schon genug Ärger damit an der Kappe, dass ich unserem Findelkind hier wieder
Leben einhauchen soll.« Er machte eine Geste, als wollte er Gotramm zur Tür
herausscheuchen. »Du wirst schon sehen, was drin ist, wenn er aufwacht. Und wenn er’s nicht
tut, dann liegt es beim Käpt’n, was mit dem Ding zu tun ist.«
Gotramm nickte. »Bring ihn wieder auf die Beine, Lodri. Es ist etwas Wertvolles in dieser
Schatulle und ich will vor Skaggi wissen, was es ist.«
Ein entrüsteter Blick stahl sich auf Lodris Gesicht. »Ich lass dich nicht daran
herumfummeln, warum sollte ich es bei Skaggi anders halten?«
Eine letzte Stichelei warf der Arkanaut Lodri noch zu, als er aus der Kajüte trat. »Ganz
einfach«, sagte er. »Skaggi wird dir wahrscheinlich Geld dafür anbieten.« Gotramm lachte
über seine eigene Bemerkung in sich hinein, während der Heiler ihm knurrend eine Reihe von
Flüchen hinterherschickte.
Die gute Laune des Soldfahrers verflog, als der Eisendrache einen jähen Satz tat. Hätte er
nicht seine Magnetstiefel getragen, dann hätte ihn die heftige Bewegung glatt zu Boden
geworfen. So stieß er nur gegen die Wand, und sein Kopf krachte gegen die Platten. Während
er sich noch das angeschlagene Ohr rieb, wurde das Schiff ein weiteres Mal umhergeworfen.
Dieses Mal stützte er sich rechtzeitig mit den Händen ab und vermied so eine schmerzhafte
Begegnung mit der gegenüberliegenden Wand. Von oben her konnte er Getrampel von über
das Deck eilenden Füßen und die Rufe von Stimmen hören.
Am anderen Ende des Ganges tauchte plötzlich Thurik auf. Der Krieger hielt auf den Stufen
inne, als er Gotramm sah. »Du wirst auf Deck gebraucht«, rief Thurik. »Das Schiff wird
angegriffen.«

Wie ein Schwarm zorniger Bienen kamen die Angreifer zwischen den Bergen hervorgestoben,
stiegen in einem wildwütigen Schwall aus den dichten Argkieferwäldern empor. Fast noch
bevor der Ausguck auf der Endrin des Panzerschiffs sie erspähen konnte, waren die Feinde
auch schon in Angriffsreichweite. Brokrin bellte eine Warnung in das neben dem Steuerrad
angebrachte Sprachhorn, das seine Stimme verstärkt über das ganze Schiff schallen ließ.
»Alle Mann auf Gefechtsstation«, befahl Brokrin. »Angreifer von backbord!« Er ließ das
Horn wieder in die Halterung zurückgleiten. »Gib Signal an die Fregatten!«, rief er Mortrimm
auf dem Achterkastell zu.
Brokrin sah seinen alten Freund zur Reling humpeln und ein langes Rohr aus seinem Gürtel
nehmen. Er schob das Gerät auseinander und hatte bald einen langen Zylinder mit einer
Vielzahl von Linsen und Filtern in seiner Hand. Er richtete das Zephiroskop auf die Fregatten
und mit einer Reihe von Blitzen in einem gemeinsamen Code gab er die Warnung weiter.
Die Angreifer kamen näher. Seltsame Kugeln blendenden Lichts wurden auf das
Panzerschiff geschleudert, zischten und brodelten in arkaner Macht auf, als sie auf die
Metallpanzerung trafen. Pfeile mit Spitzen aus glühendem Kristall durchschnitten knisternd
die Luft und zerplatzten zu Feuerbällen, als sie auf das Schandeck herabprasselten. Brokrin
beobachtete, wie ein hochwallender Flammenstrom über dem Bug emporschoss. Das
geisterhafte blaue Feuer wurde ihnen von einer pilzförmigen Abscheulichkeit
entgegengeschleudert, die auf einem unheimlichen Streitwagen aus gefrorenem Rauch hockte,
der von einem Paar riesiger, flunderartiger Scheusale gezogen wurde.
»Drumark!«, schrie Brokrin in das Sprachhorn. »Hol diesen Dämonenwagen aus der Luft,
bevor er noch das ganze Schiff kocht!«
Brokrins Warnruf ließ die Donnerschützen zu den Schandecks eilen. Die
dämonengezogenen Streitwagen waren bereits wieder davongeschossen, aber Drumarks
Krieger hatten auch ohne sie keinen Mangel an Feinden. Gewehrfeuer bellte den
anstürmenden Chaoskriegern entgegen, erwiderte ihre magischen Angriffe mit einem
tödlichen Hagel. Brokrin sah, wie die Wucht einer Kugel ein vogelgesichtiges Monster von
seinem scheibenförmigen Reittier riss und sein Körper im Sturz zur Erde wild um sich schlug.
Ein weiterer Angreifer, ein maskierter Mann in silbernen Roben, klammerte sich verzweifelt
an die Oberfläche seines eigenen Reittiers, als das schwer getroffene Ding durchzuhängen und
in der Luft wegzusacken begann. Ein schrilles Aufkreischen ertönte, als die Scheibe sich nicht
länger halten konnte und Reittier und Reiter gemeinsam auf den Boden zu sausten.
Während er den Maskierten in seinem Sturz beobachtete, entdeckte Brokrin eine weitere
Gefahr für seine Mannschaft. Ein flunderförmiger Dämon schoss aus der Tiefe hoch und über
den Rand des Schiffes hinaus, benutzte das Gefährt selbst als Deckung gegen dessen
Verteidiger. In einem Bogen zog er wie ein aus dem Wasser schießender Wal über den
Eisendrachen hinweg und kam dann im Sturzflug wieder herab.
»Drumark!«, brüllte Brokrin, wusste aber schon, dass seine Warnung zu spät kommen
würde. Aber das Glück war dem Sergeant gewogen, denn es war der Schütze, der neben ihm
stand, der von dem Dämon getroffen wurde. Der dem Untergang geweihte Duardin stieß einen
dünnen Schrei aus, als das gewaltige Maul im Bauch des Dämons sich um ihn schloss. Ein
übelkeitserregendes Knirschen von Knochen ließ seine Schreie verstummen.
»Drumark!«, rief Brokrin erneut, doch der Sergeant war zu ergrimmt, um ihn zu hören. Statt
vor dem Dämon zurückzuweichen, presste Drumark den Lauf seines Deckfegers gegen dessen
ledrige Haut. Als er den Abzug betätigte, wurde die gesamte Vorderseite des Monstrums zu
Fetzen zerrissen und seine Umgebung mit einem Regen blutiger Klumpen und stinkender
Körperflüssigkeiten bespritzt. Der Dämon machte noch einen schwachen Versuch, sich wieder
zu erheben, obwohl der größte Teil seiner Vorderhälfte weggerissen worden war. Drumark
packte das blutig zerfetzte Ding, riss es zurück aufs Deck und trieb ihm den Kolben seiner
Waffe in den Leib. Der Sergeant traktierte die Bestie weiter mit Schlägen und Hieben, bis
deren sturer Widerstand schließlich erstarb und sie still dalag.
»Käpt’n!«, rief ihm Horgarr vom Sockel der Endrin zu. »Da kommen noch mehr von
steuerbord!«
Brokrin sah drei Männer in grotesk geschnitzten Masken, die ihre dämonischen Scheiben
über die Mitte des Schiffs dahintrieben und dabei ihre Reittiere als Plattformen nutzten, von
denen aus sie Klingen blitzender Energie und Peitschen prasselnder Blitze auf die Duardin
niedergehen ließen. Ihr kurzes Wüten wurde jäh beendet, als Gotramm auf das Deck
herausgerannt kam. Ein Schuss aus seiner Pistole warf einen der Kultjünger von seinem
Reittier, schleuderte ihn in den nächsten hinein, sodass beide Männer auf das Deck stürzten.
Der Feind, den Gotramm getroffen hatte, lag bewegungslos da, doch der andere taumelte auf
die Füße. Er hatte gerade den bronzenen Streitkolben aus seinem Gürtel gezogen, da wurde er
auch schon von der Seite von einer Himmelspike getroffen, die ihn durchbohrte wie einen
Fisch. Mit einem mächtigen Ruck hob der Arkanaut, der ihn aufgespießt hatte, den Kultjünger
hoch in die Luft und schleuderte ihn von der Spitze seiner Waffe über die Seite des
Panzerschiffs hinweg in die Tiefe.
»Mein Schiff willst du angreifen?«, knurrte Brokrin, als der dritte Kultjünger versuchte zu
entkommen. Er lehnte sich aus dem Steuerstand und zielte mit seiner Salvenpistole auf den
Mann, als der an ihm vorbeizog. Die Flugbahn des Feindes perfekt einschätzend schickte der
Kapitän dem Chaosanbeter eine Kugel in den Rücken. Der Kultjünger heulte vor Schmerz auf,
sank dann nach vorn und fiel von seinem fliegenden Reittier.
Ein Flackern von Energien versengte den Windschutz, der den Steuerstand umgab. Der
Geruch von brodelndem Eisen und verbranntem Holz erfüllte Brokrins Nase, als er sich
umwandte und nach seinem Feind suchte. Rasch zu seiner Linken wegziehend sah er einen
gerüsteten Krieger, der auf dem Rücken einer fleischigen fliegenden Scheibe stand und dessen
Kopf einer Rauchwolke umwehte. Aus diesem trübschwarzen Dunst funkelte ihn eine Traube
von Augen an. Der Krieger blickte auf Brokrin hinab und ließ sein unheimliches Raubtier im
Sturzflug auf den Kapitän herabschießen.
Brokrin zielte mit seiner Salvenpistole nach dem herabstürzenden Feind, feuerte zwei seiner
Läufe ab. Beide Schüsse schienen sich aufzulösen, bevor sie die verzierte Rüstung des Feindes
treffen konnten. Der Chaoskrieger kam näher, das Schwert bereit. Bevor er allerdings seinen
Sturzflug beenden konnte, schoss er plötzlich zur Seite. Ein riesiger Speer flog an dem
Kriegsherren vorbei und zog eine schwere Kette hinter sich her. Er schoss empor und bohrte
sich in den unheimlichen Dämonenstreitwagen, als dieser gerade zu einem weiteren Angriff
ansetzte. Die Himmelsharpune pflügte durch den flammensprühenden Reiter und rief einen
Ausbruch widernatürlichen blauen Lichts hervor, der sowohl Streitwagen als auch die ihn
ziehenden Kreaturen nach und nach verschlang. Nur die Himmelsharpune selbst blieb von
dieser Zerstörung verschont und stürzte weg, als sich ihr Nest aus Dämonenfleisch auflöste.
Arrik und seine Truppe beeilten sich, das Geschoss schnell wieder in Ghazuls Fluch zurück zu
zurren.
Vor Wut brüllend, zog der gerüstete Krieger sein Reittier zu einem weiteren Angriff herum
und sauste durch das Kampfgetümmel, das zwischen Arkanauten und einer Horde
vogelgesichtiger Tierbrut ausgebrochen war. Erneut flog er auf Brokrin zu, achtete nicht
weiter auf die Kugeln, die seine Rüstung und den arkanen Schild, der ihn schützte, streiften.
Da war pulsierendes Licht in der Hand des Kriegsherren, irgendein zauberisches Objekt, das
er mit seiner Faust umklammert hielt. Als er heranstürzte, schleuderte er das glühende Ding in
Richtung Steuerstand. Das Geschoss segelte über den Rand des Windschutzes hinweg und
sauste auf den Kapitän zu. Dabei wurde sein rosafarbenes Licht blendend hell, wurde größer
und füllte schließlich den gesamten Steuerstand. Als es seine größte Ausdehnung erreicht
hatte, brach das Licht zu einer festen Masse zusammen. Eine Masse, die sich in einem
reißenden Taumel aus Tentakeln und Fängen auf Brokrin stürzte.
»Beim Blut der Ahnen«, fluchte Brokrin, als er seine Pistole in die widerwärtige rosa
Monstrosität entleerte. Die Schüsse rissen Fleischfetzen aus seiner klumpigen Erscheinung
und zerschmetterten die klauenbewehrten Glieder, die sich in sein Gesicht krallen wollten.
Das von Reißzähnen starrende Maul öffnete sich zu einem schmerzerfüllten Heulen, als die
Salvenpistole es in Fetzen riss. Die Schüsse warfen es zurück. Es prallte gegen die Innenwand
und schlitterte in einer Flut glitzernder Flüssigkeiten den Boden entlang.
»Wo ist jetzt dieser feige Hexer hin?« Brokrin wirbelte nach dem Mann Ausschau haltend,
der den Dämonen auf ihn losgelassen hatte, herum und bemerkte ein blaues Glühen hinter
sich. Der Kadaver des pinken Monsters löste sich auf, doch dabei leuchtete ein Paar blauer
Lichter in der Zersetzung auf. Blaue Lichter, die sich, wie schon das pinke Leuchten, bis zum
Äußersten ausdehnten und plötzlich zu einer festen Masse kollabierten. Bald hatten sich die
Lichter in zwei missgestaltete Schreckenswesen verwandelt, die jenem glichen, das sie
hervorgebracht hatte. Es lag für Brokrin auch wenig Trost darin, dass sie kleiner als der sie
gebärende Schrecken waren. Denn seine Pistole war leer.
»Ja, sicher«, knurrte er. »So ist das fair.« Die Dämonen kicherten einander an, als sie auf
Brokrin lossprangen. Er hatte nur noch Zeit, seine Axt aus dem Gürtel zu ziehen und wild
nach den Dingern auszuschlagen. Sein erster Hieb traf das eine mitten im Sprung, und es
stürzte auf das Deck. Er trat mit dem Stiefel darauf, um es am Boden festzuhalten, während er
die Axt frei riss, um damit seinen Kumpanen abzuwehren.
Während er sich den verbliebenen Dämon vom Leibe hielt, fühlte Brokrin, wie sich die
Masse unter seinem Stiefel allmählich auflöste. Dieses Mal war es ein scharlachroter Glanz,
der ihm dabei ins Auge stach und ihn herab auf die sich windende Masse unter seinem Stiefel
blicken ließ. Was von dem blauen Dämon noch übrig war, löste sich rasch auf. Aus den
verpuffenden Überresten bildete sich ein paar winziger Dämonen aus dem roten Licht heraus.
Bösartig vor sich hinschnatternd, sprangen die faustgroßen Kobolde Brokrin an, scharrten und
kratzten an seiner Rüstung herum und versuchten, seine Finger vom Griff der Axt weg zu
zwingen.
Brokrin kämpfte hart darum, die roten Monster abzuschütteln. Er schaffte es nur knapp, sich
wegzuducken, als der blaue Albtraum ihn ansprang. Er bekam dessen aufgequollenen Körper
unter das Steuerrad und benutzte es, um die Kreatur dort einzuzwängen. Brokrin stemmte
seinen Körper gegen das Rad, was das Panzerschiff in eine scharfe Wende gehen ließ, aber
auch gleichzeitig einen mörderischen Druck auf das, was der Kopf des Monsters sein mochte,
ausübte. Unter einem solchen Druck platzte ein Schädel, wie der Dämon ihn sein eigen
nannte, auf und barst in einem Schwall stinkender Sekrete und blauen Lichts.
Doch erneut erhoben sich dort, wo Brokrin gerade einen einzelnen Dämon erschlagen hatte,
nur weitere aus der Masse des Leichnams. Seine eigenen Siege gegen diese Bestien führten
dazu, dass er von einer Übermacht überwältigt wurde.

Chaoskrieger fluteten über die Decks des Panzerschiffs und verwickelten die Duardin in
erbitterte Kämpfe. Doch Tamuzz schenkte den Bemühungen der bärtigen Krieger, sich gegen
die Angriffe seiner Anhänger zu verteidigen, nur die allergeringste Aufmerksamkeit. Er würde
einige von ihnen brauchen, um das Schiff zu führen, nachdem er es erobert hatte, aber er
brauchte sie nicht alle. Wenn sein Kult einige von ihnen töten konnte, dann mochte das
gegenüber dem Rest ein nützliches Exempel statuieren.
Tamuzz war stärker an der Bedrängnis des Duardin-Kapitäns im Steuerstand interessiert.
»Ja, du Narr, versuch nur, meine Dämonen niederzustrecken, und werde zur Belohnung für
deine Mühen von ihrer Überzahl überwältigt«, lachte er hämisch in sich hinein, während er
dabei zusah, wie die Schwefelhorrors über den Kapitän hinwegkrabbelten. Die Dämonen
lösten die Schnallen seiner Rüstung, bissen ihm in die Arme und zerkratzten sein Gesicht. Der
Schwung, den das Panzerschiffs aufgenommen hatte, kam ins Wanken, während das Gefährt
von Seite zu Seite schlingerte, da sein bedrängter Kapitän in seinem Ringen das Steuerrad hin
und her wuchtete.
»Ich brauche ein paar deiner Mannschaft«, lachte Tamuzz, »aber dich brauche ich nicht.
Dein Schiff wird schon bald genug einen neuen Kapitän haben.«
Tamuzz wirbelte herum, als eine neue Bedrohung sich erhob. Das Husten der Gas-Karabiner
verkündete, dass die kleineren Kharadronschiffe sich in den Kampf warfen. Aus der
Nachmittagssonne herabstürzend, eilten die Fregatten ihrem umkämpften Flaggschiff zu Hilfe.
Ein Tzaangor bellte in Todespein auf, als er von Geschützfeuer getroffen, von seinem Reittier
gerissen wurde und sein Körper durch die Luft davontaumelte. Die reiterlose Kreatur wirbelte
weiter durch den Himmel, richtungslos und ohne Ziel. Dem Dämon fehlte es an der
Motivation, als Einzelwesen zu handeln. Ein Zauberer von Khorams Fähigkeiten wäre
notwendig, um ihm eine solche Führung zuzuweisen.
Der Gedanke an Khoram ließ ein boshaftes Glitzern in den Augen des Kriegsherrn
aufflackern. Für den Schattenfeldzug des Hexers, der aus einer einzigen Kette verdeckter
Manipulationen bestand, konnte er wenig Gefallen aufbringen. Alles beruhte darauf, dass die
Duardin genauso reagierten, dass es Tamuzz’ Kult nutzte. Doch dabei konnte zu viel schief
gehen, so viel blieb dem bloßen Zufall überlassen. Die Sphäre des Zobras mochte Khoram die
günstigsten Vorgehensweisen gezeigt haben, um die Ereignisse zu lenken, aber Tamuzz würde
Vorsicht walten lassen und sich nur bis zu einem bestimmten Punkt auf die Prophezeiungen
verlassen. Schließlich hatte die Kugel auch dem Theokraten keinen Weg enthüllt, wie er sein
kleines Imperium dem Zugriff des Chaos hätte entziehen können. Und genauso wenig konnte
man sicher sein, dass das Artefakt sich nicht Khoram gegenüber ähnlich wankelmütig
verhalten würde.
Erneuter Duardin-Beschuss wurde zwei weiteren Tiermenschen zum Verhängnis. Den
Fregatten würden bald die Ziele ausgehen, da Tamuzz’ Gefolgsleute näher an das Panzerschiff
heranflogen und das große Schiff als Deckung gegen die kleineren benutzten. Die Duardin
wären dann gezwungen, ihr Feuer einzustellen, aus Furcht sowohl Feind als auch Freund zu
treffen. Auf kürzere Distanz würden sie vielleicht solche Schüsse riskieren, aber wenn sie so
nahe herangingen, gerieten sie in die Reichweite der tzeentchischen Kriegshorde.
Das war die Art, wie Tamuzz vorzog zu arbeiten; direkter Druck und Kontrolle seiner
Opfer. Allzu viel Feinheiten, zu viel Verlass auf Tricks und Kniffe, stellten eine Fallgrube dar,
der schon so mancher Plan zum Opfer gefallen war. Die Kunstfertigkeit und Gerissenheit
derer, die dem Wandler dienten, war wohlbekannt, doch manchmal konnten sie sich auch als
zweischneidiges Schwert erweisen. Ein Plan konnte auswuchern und so kompliziert werden,
dass man inmitten eines Knäuels überflüssiger Intrigen das Ziel vollkommen aus den Augen
verlor. Absicherungen gegen Tausende von unwahrscheinlichen Möglichkeiten konnten für
einen Plan einen derartigen Ballast bedeuten, dass er sich nur noch im Schneckentempo
vorwärtsbewegte und von seiner eigenen Untätigkeit erdrückt wurde.
Tamuzz würde nicht zulassen, dass so etwas geschah, nicht, wenn so viel von ihm erwartet
wurde. Er würde mehr tun, als nur die Entscheidungen der Duardin zu beeinflussen. Er würde
ihre Schiffe erobern und ihnen seinen Willen aufzwingen. Dann gab es keine Unwägbarkeiten
mehr, keinen Zweifel daran, wie die Kharadron wohl handeln mochten. Sie würden von
Tamuzz ihre Befehle erhalten und von seinem Willen gelenkt werden. Wenn ein anderer Kult
des Wandlers davon erfuhr, dann war das eine Herausforderung, der man sich beizeiten stellen
würde.
Such nicht nach nutzlosen Herausforderungen. Die Stimme hallte in Tamuzz’ Geist wider
und er erkannte sie als die von Khoram.
Die geistige Beschwörung war eindringlich, beharrlich, lenkte Tamuzz so sehr ab, dass er
sein Reittier vom Kampfort wegsteuerte, damit er sich genauer auf den Hexer konzentrieren
konnte. Khoram würde erfahren, wer hier die Oberhand hatte.
»Du vergisst, wer hier Herr und wer Diener ist«, fuhr Tamuzz auf. »Du bist es, der mir
untersteht.«
Und wir unterstehen beide noch größeren Mächten, warnte ihn Khoram. Mächten, die ein
Versagen nicht verzeihen werden. Halte dich zurück, Krieger. Zügele die Macht deines
Angriffs. Halte dich an unseren Plan.
Tamuzz schüttelte den Kopf. »Wir sind dabei zu gewinnen. Auch mit all deinen Vorzeichen
im Kopf bist du doch wohl in der Lage, zu erkennen, dass wir gewinnen? Wir können jetzt, in
diesem Moment, den Sieg über diese Duardin erringen.«
Das ist nicht der Weg, der uns gezeigt wurde, erwiderte Khoram.
»Was braucht es all deine komplizierten Listen?«, spie Tamuzz hervor. »Wenn erst einmal
das Himmelsschiff erobert ist, dann haben wir ihre Geschütze, die unsere eigenen arkanen
Waffen verstärken werden, sollte ein Konkurrent es sich einfallen lassen, uns unseren Sieg
rauben zu wollen.«
Meine Strategie ist ein sicherer Weg, widersprach ihm Khoram. Lass die Duardin aus
eigenem Antrieb handeln.
»Du unterschätzt die Möglichkeiten der Foltermethoden, in denen ich Meister bin«, sagte
Tamuzz. »Führe mich nicht in Versuchung, dir eine Kostprobe davon zu geben, wie
überzeugend sie sein können.«
Und du vergisst die Mächte, die mir unterstehen, erwiderte Khoram.
Plötzlich schrie einer der Kultjünger in der Nähe jäh auf. Tamuzz schaute zu ihm hin und
sah, wie der Mann kreischend abwärts stürzte. Dann heulte ein weiterer seiner maskierten
Akolythen verzweifelt auf und griff wild in die leere Luft, während er seinem Untergang
entgegengeschleudert wurde. Anders als bei dem ersten Krieger, sah Tamuzz hier den Grund
seines Absturzes. Die Dämonenscheibe, auf der er flog, war plötzlich verblasst, hatte sich in
einem Ausbruch arkaner Energien aus der stofflichen Wirklichkeit zurückgezogen.
Es war meine Magie, die diese Dämonen heraufbeschworen hat, um deine Kultkrieger zu
tragen, warnte ihn Khoram. Was ich heraufbeschwöre, kann ich genauso leicht auch wieder
auflösen.
»Nur noch ein wenig, dann sind sie unser«, beharrte Tamuzz. Khoram musste doch
verstehen, musste doch begreifen, wie nahe der Sieg war. Der Hexer ging nicht auf ihn ein.
Seine Antwort war lediglich das Zerplatzen eines weiteren Dämons unter den Füßen seines
Reiters.
Jetzt war es an dem Kriegsherrn, ihm zuzureden und zu flehen. Tamuzz erkannte klar die
Verwirrung, welche die plötzliche Auflösung der Dämonen über seine Gefolgsleute gebracht
hatte. Bald würde ihre Entschlossenheit brechen und dann würde ihm der Sieg durch die
Finger rinnen. Schon jetzt konnte er sehen, dass der Druck auf die Duardin nachließ, was
ihnen den Raum gab, ihre Kräfte zu sammeln. Der Kapitän im Steuerstand hatte es sogar
geschafft, sich der höllischen Albtraumkreaturen zu entledigen, die ihn bedrängt hatten, da die
Kobolde schließlich so klein geworden waren, dass bei ihrer Auflösung nicht genügend
Energie übrig blieb, um sie in noch kleinere Monstrositäten zu verwandeln.
Doch seine Bitten und Beschwörungen fruchteten nicht. Eine weitere Scheibe glitt aus dem
Sein und überantwortete ihren Reiter dem Untergang.
Dieser Angriff hat sein Ziel bereits erreicht, verkündete Khoram. Befiehl deinen Anhängern
sich zurückzuziehen, solange du noch welche zu befehligen hast.
»Nun gut«, lenkte Tamuzz ein. Er brachte sein gebogenes Horn an den rauchverschleierten
Mund und blies einen Ton, der seine Gefolgsleute aus dem Kampfgetümmel zurückrufen
würde. Es wohnte diesem Ruf ein bitterer Unterton inne, der dem schlechten Geschmack
entsprang, den er in seinem Mund fühlte. »Ich werde diese Schmach nicht vergessen«,
versicherte er dem Hexer.
Der Jubel der Duardin, als die Kultkrieger sich zurückzogen, war wie ein Peitschenschlag
für Tamuzz Ohren. Er sah zu, wie sie der Kriegsschar des Chaos letzte Schüsse
hinterherschickten und ein paar Nachzügler vom Himmel holten. Unflätige Beleidigungen und
verächtliche Gesten folgten dem Kult, als dieser aus der Reichweite der Kharadron-Geschütze
floh. Es war ein schmachvoller Anblick und einer, den Tamuzz niemals verzeihen würde.
»Für diese Demütigung wirst du bezahlen«, schwor Tamuzz. »Doch die Vergeltung wird
nicht rasch kommen. Sie kommt später. Sie wird kommen, wenn du denkst, dass dir der Sieg
sicher ist. Dann wirst du wissen, wie es sich anfühlt, um seinen Triumph gebracht zu werden.«
Tamuzz gab sich keine Mühe, seine Absichten vor Khoram zu verbergen. Sollte er doch in
seinen Orb starren und versuchen, die Dinge in andere Richtungen zu lenken. Tamuzz wusste,
dass es eine Person gab, die nicht direkt in den Prophezeiungen der Kugel erschien, dessen
Schicksal nur aus dem seiner Anhänger herausgelesen werden konnte. Er war diese Person,
der eine, der vom Mächtigen Tzeentch die Segnung erfahren hatte, vom Gewebe des
Schicksals befreit zu sein, die Macht zu besitzen, sein eigenes Geschick von Augenblick zu
Augenblick selbst zu lenken.
Mochte der Hexer doch darüber nachdenken, entschied Tamuzz, als er einen letzten
hasserfüllten Blick auf die Schiffe der Kharadron warf. Sollte Khoram doch versuchen, den
Zorn des Schicksalsmeisters in seine arkanen Kalkulationen einzubeziehen. Sollte der Hexer
doch versuchen, den genauen Moment vorherzusehen, an dem seine Nützlichkeit ihr Ende
erreicht hatte.
KAPITEL SECHS

Die in der Kajüte des Kapitäns versammelten Offiziere des Eisendrachen konzentrierten ihre
Aufmerksamkeit ganz auf die Liste der Schäden, die von Horgarr und Vorki aufgestellt
worden war. Neben jedem Punkt hatte Horgarr eine Schätzung gelistet, wie viel Ersatz oder
die Reparatur kosten würde, sowie eine Bemerkung dazu, ob die Reparatur unbedingt
notwendig war oder nicht. Brokrin hörte dem Katalog der Verletzungen zu, die seinem Schiff
zugefügt worden waren und addierte im Geist die entsprechenden Summen. Weitere
Ausgaben auf einer Reise, die bisher keine erwähnenswerten Resultate gebracht hatte.
Es gab jedoch einige Verluste, bei denen man keine Abhilfe schaffen konnte. Als Horgarr
zum Ende der Liste kam, wies Brokrin dem Endrinmeister, sie ihm hinüberzureichen. Er
hustete, um seine Kehle freizubekommen, dann streiften seine Augen über die letzten Punkte
der Aufstellung. Er sah von dem Blatt hoch und ließ seinen Blick über die versammelten
Duardin schweifen.
»In die Obhut unserer Ahnen empfehlen wir die Namen und Ehre unserer gefallenen
Kameraden.« Er streckte die Hand aus und ergriff die silberne Kette, die neben seinem Stuhl
von der Decke herabhing. Diese Verbindung lief direkt zu der Bronzeglocke, die an der Seite
des Vorderkastells hing. An besseren Tagen wurde sie angeschlagen, um den Abschluss eines
Handels oder erfolgreicher Geschäftsverhandlungen zu verkünden. Diese Glocke hatte
allerdings auch noch eine weitere Aufgabe und dieser traurigen Pflicht musste sie jetzt
nachkommen. »Wir benennen Ragniff Modrinsnev und rufen Groll gegen den Bogenschützen
der Tierbrut aus, der ihm einem Pfeil ins Auge schoss.«
Während er die gefallenen Duardin benannte, zog Brokrin jeweils die Kette zur Seite. Vom
Deck über ihnen her erscholl ein klagender Ton, da der Klöppel der Glocke von einem
Trauertuch verhüllt war, sodass ihr Läuten eine angemessen düstere Note bekam. »Wir
benennen Fulgri Gronssson und rufen Groll gegen den Schöpfer des Hexenfeuers aus, das ihn
verschlang. Wir benennen Ulfirr Falkennase und erklären ihn gegenüber der Dämonenbestie,
die ihn tötete, durch Sergeant Drumark Raufwanst als gerächt. Möge der Geist seines Mörders
auf ewig durch die Götter verdammt sein.«
Die Offiziere, die ihm lauschten, nahmen ihre Bärte in die linke Hand und fuhren mit den
Fingern ihre Länge entlang, wobei jeder Duardin flüsternd seiner Hoffnung Ausdruck verlieh,
dass ihre gefallenen Kameraden als würdig in die Gemeinschaft ihrer Ahnen aufgenommen
würden.
»Wir hatten Glück«, erklärte Brokrin, als er geendet hatte. »Dieser Chaosabschaum muss
erwartet haben, dass die Don-Duraz und die Grom-Makar uns im Stich lassen und fliehen
würden. Als die Fregatten umdrehten, um uns beizustehen, hat das diesen Abschaum
vertrieben. Sonst wäre der Schaden noch viel schlimmer gewesen.«
»Viel schlimmer«, unterstrich Horgarr. Der Endrinmeister warf den anderen Offizieren
einen grimmigen Blick zu. »Dieses Hexenfeuer, das sie benutzten und diese explodierenden
Pfeile … Die Spuren, die sie zurückgelassen haben, gleichen allzu sehr denen, die wir auf den
zerstörten Himmelsschiffen aus Barak-Urbaz gefunden haben, als dass dies purer Zufall sein
könnte.«
Drumark trat von der Wand weg, an der er gelehnt hatte und schenkte Horgarr einen
tadelnden Blick. »Bei allem Respekt gegenüber dem Grau in deinem Bart«, sprach er zu dem
Endrinmeister, »aber ich kann nicht glauben, dass dieser Pöbel eine ganze Flotte zum Absturz
bringen könnte. Sie mögen zwar aus Barak-Urbaz stammen, aber es sind noch immer
Kharadron.«
»Wie hätten sie die Endrinen und Schiffshüllen derart beschädigen können, wie wir diese
Schiffe vorgefunden haben?«, fragte sich Gotramm. »Einige davon sahen aus, als hätte man
sie beinah auseinandergerissen. Als hätten sie einen Zusammenstoß mit …« Er hielt inne,
bevor der Name Ghazul über seine Zunge kam, aber nicht rechtzeitig genug, als dass nicht
jedem in der Kajüte klar geworden wäre, was er meinte.
»Sie müssen die Hilfe irgendeiner großen Bestie gehabt haben«, erklärte Arrik, und die
Erregung klang deutlich in seiner Stimme wider. »Als sie die Flotte angegriffen haben,
müssen sie sie in das Territorium eines gewaltigen Monsters getrieben haben. Irgendetwas,
das groß genug war, um eine Fregatte zu zerquetschen, als sei sie bloß ein Spatz.« Er sah zu
Brokrin hinüber und ein hoffnungsvoller Ausdruck lag in seinem Blick. »Wahrscheinlich ist
es das, was sie auch mit uns tun wollten. Das Vieh könnte sich hier irgendwo in der Nähe
verstecken.«
»Umso mehr Grund, die Maschinen auf voller Kraft laufen zu lassen«, bemerkte Skaggi.
Der Logistikator warf Arrik einen säuerlichen Blick zu. »Die Geldgeber der Expedition
erwarten einen Gewinn auf ihre Investitionen. Ich glaube nicht, dass eine Trophäe, die man
sich an die Wand hängen kann, sie allzu sehr beeindrucken dürfte, wenn sie für das, was sie
hereingesteckt haben, nichts herausbekommen.« Er wandte sich Brokrin zu. »Die Liste von
Ausgaben, die Horgarr da aufgestellt hat, würde, selbst wenn wir die Schäden
vernachlässigen, die nur oberflächlich sind …«
»Ja«, seufzte Brokrin, »und dazu müssen wir noch das Wergeld für Keros Sohn
hinzurechnen. Und die Entschädigung für die Mannschaftsmitglieder, die wir verloren haben,
gegenüber ihren Klans. Ich bin mir absolut im Klaren darüber, wie inzwischen die Chancen
aussehen, auf dieser Fahrt noch irgendeinen Profit zu machen.«
Skaggi warf seinem Kapitän über den Tisch hinweg einen heimtückischen Blick zu. »Und
was willst du dann in dieser Sache unternehmen? Das ist so ziemlich deine letzte Chance,
weißt du. Wenn diese Fahrt wieder zu einem Debakel wird, dann wirst du niemanden mehr
finden, der noch einmal auf dich setzt.« Er stampfte mit dem Fuß auf dem Boden auf. »Dann
musst du diesen Pott verkaufen, um deine Schulden zu bezahlen, und es gibt wohl niemanden,
der verrückt genug wäre, ein Schiff zu kaufen, auf dem ein Fluch liegt. Du wirst sie
auseinandernehmen und als Schrott verkaufen müssen.«
»Das reicht jetzt«, knurrte Mortrimm den Logistikator an. »Jeder kann mal eine Pechsträhne
haben. Es gibt in sämtlichen Himmelsfesten keinen Admiral, der nicht auch seinen Anteil an
Fehlschlägen erlebt hätte.«
»Aber wie viele davon hatten einen Drachenhort an Fehlschlägen einzustecken?«, höhnte
Skaggi. »Und wo du von Anteil sprichst, was denkst du wohl, was wir aus alldem
herausschlagen können? Genug, dass du dir eine neue Schiene für dein Hinkebein kaufen
könntest? Genug, dass Drumark weiter sein Hirn in Alkohol einlegen könnte? Genug, um
Gotramms kleine Metze zu bezahlen?«
Gotramms Wangen glühten regelrecht rot auf. Er machte einen Schritt auf Skaggi zu, packte
ihn bei der Schulter und drückte ihn in seinen Stuhl nieder. »Mortrimm sagte, dass es reicht
und er hatte recht.«
Skaggi wand sich im Griff des Arkanauten. Als Gotramm den Druck verstärkte, wimmerte
er vor Schmerz. »Nur zu, bring mich zum Schweigen. Aber das ändert nichts an der Tatsache,
dass wir alle das gleiche denken.« Er zeigte auf Brokrin. »Du und dieses Schiff haben einen
Unglücksfluch auf sich gezogen und es ist nicht recht, dass du erwartest, dass der Rest von uns
darunter leiden soll.«
Brokrin streckte seine Hände auf dem Tisch aus, lehnte sich nach vorn und starrte Skaggi
tief in die Augen. »Und was ist dein Rat?« Er wusste bereits, was der Logistikator sagen
würde, aber er wollte, dass die anderen es hörten und wussten, wohinter Skaggi wirklich her
war.
»Diese Schatulle«, sagte Skaggi und klopfte mit dem Finger gegen den Tisch. »Nun ja,
keiner von uns hier weiß, was da drinnen ist.« Er grinste zu Gotramm hoch, als wollte er damit
andeuten, dass diese Feststellung vielleicht nicht ganz so richtig war. Sein Blick glitt weiter zu
den anderen Duardin. »Aus der Tatsache, wie verzweifelt der Überlebende darauf aus war, sie
zu finden, können wir darauf schließen, wie wertvoll ihr Inhalt sein mag.«
»Die Kiste gehört ihm«, sagte Brokrin. Er war die gleiche Zurechtweisung, die Skaggi mehr
als ein dutzend Mal von ihm gehört hatte. Er glaubte nicht, dass sie diesmal mehr Erfolg
zeigen würde als zuvor. »Wir sind keine Piraten. Wir stehlen nicht von anderen Kharadron.«
Skaggi stürzte sich auf diese Aussage wie ein Mäusegeier auf ein Stück Aas. »Tja, aber wir
würden doch nichts stehlen, Käpt’n.« Mit selbstgefälliger Miene klopfte er mit dem Finger
wie zur Verstärkung seines Arguments auf die Tischplatte. »Es gibt eine Klausel im Kodex,
die besagt, dass jeder Duardin, der nicht Mitglied der Gemeinschaft ist und der aus
Bedingungen gerettet wird, die sein weiteres Überleben unmöglich erscheinen lassen, all
seinen Anspruch auf Anteile an den weiteren Unternehmungserträgen besagter Gemeinschaft
verwirkt hat.«
»Die Schatulle gehört ihm«, sagte Gotramm.
»Tut sie das?«, fragte Skaggi. »Er hatte sie nicht bei sich, als man ihn aus dem Frachtraum
hochbrachte. Es gibt da nur Fetzen zusammenhanglosen Gestammels, die ihn überhaupt damit
in Verbindung bringen können.«
»Ohne ihn wüssten wir nicht, dass es sie überhaupt gibt«, bemerkte Gotramm.
Skaggi nickte. »Dieser Punkt steht auch gewiss nicht zur Debatte«, sagte er. »Was ich
infrage stelle, ist die Annahme, dass die Schatulle sein höchsteigener Besitz ist und nicht der
der Sturmbrecher. Was heißt, etwas, das der Gemeinschaft des Schiffs gehörte.«
»Und das daher unter die Regeln des Bergerechts fällt.« Drumark kratzte seinen Bart. »Der
Geizknochen könnte da recht haben. Die Schatulle könnte rechtmäßiges Bergegut darstellen.
Ich will damit nicht sagen, dass wir den armen Kerl komplett ausschließen sollten, aber es
könnte sein, dass wir das Recht haben, was immer in der Kiste ist, unter uns aufzuteilen.«
Von der Tür her erklang ein lautes Husten. Alle Duardin wandten die Blicke, um zu sehen,
wie Lodri seinen Kopf zur Tür hereinstreckte. »Ihr solltet vielleicht den Rest dieser
Unterhaltung verschieben«, verkündete er. »Der betreffende Kerl ist soeben aufgewacht.« Er
sah Brokrin an. »Er hat gebeten, dich zu sehen, Käpt’n. Und das sehr hartnäckig. Ich konnte
ihn nicht zur Ruhe bringen, bis ich versprochen hatte, dich zu holen.«
Brokrin erhob sich vom Tisch. »Nun, wenn er denn so hartnäckig darauf besteht, dann
wollen wir ihn doch nicht warten lassen. Es gibt da mehr als nur ein paar Fragen, auf die ich
selbst gern eine Antwort wüsste.«
Grokmund saß neben der Koje und nippte an dem Becher Starkbier, den der Heiler Lodri ihm
gegeben hatte. Seine Augen waren starr auf die Schatulle auf der anderen Seite des Raums
gerichtet. Er machte keine Anstalten, nach ihr zu greifen, sondern war erleichtert, sie einfach
nur dort zu wissen. Als sich die Kajütentür öffnete und Lodri eine Gruppe von Duardin in den
engen Raum hereinführte, neigte er respektvoll den Kopf.
Lodri deutete auf den blondbärtigen Duardin mit dem ernsten Aussehen. »Das ist Kapitän
Brokrin«, sagte er als Vorstellung.
»Man sagte mir, du wärst derjenige, der mich gefunden hat«, wandte sich Grokmund an
Brokrin. »Ich bin Grokmund.« Er klopfte mit der Hand gegen seine Brust. »Ehemals von der
Sturmbrecher.«
»Kannst du uns sagen, was geschehen ist?«, fragte Brokrin.
Grokmund blieb einen Moment stumm, wandte den Blick ab und starrte auf den Boden.
Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn. Bevor er zum Sprechen anhob, nahm er einen
weiteren Schluck von dem Starkbier und ließ die Wärme durch sich hindurchfluten. »Ich
vermag nicht zu sagen, wie viele Tage und Nächte ich in dem Frachtraum gefangen war. Es ist
ein Vergnügen, einfach nur wieder die Stimmen anderer Duardin zu hören.«
Das war eine schlichte Untertreibung. Grokmund genoss jedes einzelne Wort, dass man zu
ihm sprach, als würde er einem Orchester der Skaldengilde lauschen. »Ich habe mich danach
verzehrt, einen anderen Kharadron zu hören.« Er erschauderte, und seine Finger schlossen
sich fester um den Krug mit Starkbier, dass seine Knöchel weiß wurden. »Alles, was ich hörte,
als ich da unten war, war das Klackern der Reißzähne, wenn sie Fleisch zerrissen, das
Knacken der Knochen und das tierische Knurren der Ghule, die sich um ihr Fressen stritten.«
Grokmund hob den Becher und leerte ihn bis zum Grund. Der Wärme des Bieres konnte kaum
gegen die Kälte ankommen, die jene Erinnerungen mit sich brachten.
»Ich habe dabei zugehört, wie sie meine Schiffsgefährten fraßen«, erklärte Grokmund in
Brokrins Augen blickend. »Ihr kannibalischer Heißhunger war das Einzige, was ich Nacht für
Nacht hören konnte.«
Ein Duardin, der viel jünger als Brokrin war, trat vor und nickte Grokmund mitfühlend zu.
»Ich bin hinunter in den Frachtraum gegangen, um deine Kiste zu holen«, sagte er. »Ich habe
mit eigenen Augen gesehen, was dort unten passiert ist. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es
war, so etwas zu durchleben.«
Grokmund schaffte es, den jungen Duardin anzulächeln. »Wem schulde ich Dank, dass er
meine Schatulle gerettet hat?«, fragte er und legte schützend die Hand auf die kleine Kiste.
»Sein Name ist Gotramm, meiner ist Skaggi«, unterbrach ihn ein weiterer Duardin und
schob sich an den anderen vorbei, stand dann direkt zwischen Grokmund und seiner Schatulle.
»Dieses Schiff ist der Eisendrache, auf Handelsfahrt für Barak-Zilfin.« Er konnte sich
offenbar kaum zurückhalten, seinen Blick von Grokmund zu der Schatulle gleiten zu lassen.
»Wir erfuhren von eurem Unglück durch einen Stamm Menschlingsnomaden, die sich Beute
aus eurem Schiff geholt hatten.« Ein dünnes Lächeln krauste die Lippen des Logistikators.
»Die Suche nach euch hat uns einiges Ungemach bereitet und den Gewinn, den wir durch die
Stämme erzielen wollten, erheblich gefährdet. Wenn andere Klans als Erste mit dem
Stamm –«
Brokrin unterbrach ihn rüde. »Über finanzielle Belange können wir später reden«, sagte er.
»Jetzt ist es zunächst mal die Sicherheit meiner eigenen Schiffe, die mich am meisten
interessiert.«
Grokmund glaubte zu sehen, dass dabei fast ein gequälter Ausdruck in die Augen des
Kapitäns trat. »Von dem, was wir gefunden haben, sah es so aus, als wäre deine Flotte von
einer gewaltigen Bestie vernichtet worden.«
Diese Aussage verwunderte Grokmund. »Ich habe keine einzige gewaltige Bestie gesehen,
aber dafür eine Menge kleinerer. Die dreckigen Sklaven des Chaos in all ihren abscheulichen
Formen.« Er streckte seinen leeren Becher aus, damit ihn Lodri wieder mit Starkbier auffüllen
könnte. Er nahm einen Schluck und lehnte sich zurück, versuchte seine Gedanken zu ordnen.
»Sie schienen uns von überall her gleichzeitig anzugreifen. Ohne Vorwarnung. Irgendeine
Hexerei muss sie wohl vor unseren Ausguckposten verborgen haben, bis sie dann zum Angriff
bereit waren.« Er klopfte sich mit der Hand gegen den Kopf und versuchte so, die Verwirrung
aus seinen Gedanken zu vertreiben.
»Einige waren Menschlinge … Bösartig aussehende Männer, die verrückte Masken trugen.
Andere waren gehörnte Unholde mit Gesichtern von Vögeln und Tieren.« Grokmund
schüttelte den Kopf. »Und dann … dann waren da noch andere Wesen bei ihnen. Grässliche
Dinger, die durch die Luft flogen, wie ein Fisch durchs Meer schwamm. Da war Feuer… aber
nicht von einer reinen Flamme. Dämonenfeuer, und sie nutzten es, um unsere Flotte zu
verbrennen.« Grokmund beugte sich vor, erinnerte sich an eine Einzelheit, die er vergessen
hatte zu erwähnen. »Sie flogen auf diesen Dingern. Wie große Schilde aus Fleisch mit
Mündern an der Unterseite. Sie sprangen durch die Wolken wie flache Steine über einen
Teich.«
»Das hört sich ganz nach dem Chaosabschaum an, der uns angegriffen hat«, sagte Gotramm
zu Brokrin.
Grokmund warf dem jungen Duardin einen scharfen Blick zu. »Sie wurden von einem
missgestalteten Menschen angeführt, mit einer Art gefiedertem Kropf, der aus seinem Hals
hervortrat. Es war… er war es, der mich in den Frachtraum hat stürzen lassen.« Wieder schlug
sich Grokmund an die Seite seines Kopfes. »Ich … ich weiß nicht mehr, wie das passierte, ich
weiß nur noch, dass ich Admiral Thorki zu Hilfe eilen wollte, der mit einem ihrer Kämpen
rang, als dieser Kerl mich angriff …«
»Du hast das Ende des Kampfes also nicht miterlebt?«, fragte ein grauhaariger Duardin mit
dem Aussehen eines Harpuniers. »Dann können wir nicht wissen, was deinem Schiff den Rest
gegeben hat. Die Spuren, die wir auf der Sturmbrecher fanden, die wir auf vielen der Schiffe
fanden, deuten auf eine gewaltige Bestie hin.«
»Ein solches Riesentier habe ich nicht gesehen«, sagte Grokmund. »So viel kann ich sicher
sagen. Wenn solch ein Monster angegriffen hat, dann war das, als ich schon im Frachtraum
war. Ob es jetzt mit dem Chaospack unter einer Decke steckte oder etwas war, das sie von
ihrer Beute vertrieben hat, kann ich nicht sagen.«
Skaggi legte eine Hand auf den Deckel der Schatulle. »Hast du irgendeine Ahnung, warum
diese Banditen ausgerechnet deine Flotte angegriffen haben?«, fragte er mit leiser Andeutung
in seinem Ton. »Irgendein Schatz, von dem sie erfahren haben und für sich selbst haben
wollten?«
Grokmund beschied den Logistikator mit einem harten Blick, sah dann die anderen Duardin
an. Die Verwirrung, die durch den Versuch, sich zu erinnern, hervorgerufen worden war,
verwandelte sich in Wut. »Das ist es also, warum ihr mich gerettet habt. Ihr wollt euch die
Frachträume mit Schätzen vollmachen?« Ein angewidertes Lachen entrang sich seiner Kehle.
»›Es ist wenig Platz für Nächstenliebe in einer engen Börse‹«, zitierte er das alte Sprichwort.
»Wenn wir so knauserig wären, dann hätten wir dich auf dem Wrack zurückgelassen«, sagte
Gotramm. »Wir hätten diese Schatulle aufgebrochen, ohne darauf zu warten, ob du dich
wieder erholen würdest.«
»Aber wie du schon sagtest«, wandte Skaggi ein, »eine dünne Börse kann sich kaum
Nächstenliebe leisten.« Er wandte sich an Brokrin. »Stimmt’s nicht, Käpt’n?«
Brokrin schüttelte den Kopf. »Der Geist des Kodex ist ebenso bedeutsam wie sein
Wortlaut«, erklärte er. »Ich will keinen Gewinn aus deinem Unglück ziehen, Grokmund, egal,
wie legal so ein Anspruch auch immer sein mag.«
»Die Kiste muss noch nicht mal ihm gehören«, sagte Skaggi. Er funkelte Grokmund an.
»Wem gehört diese Schatulle? Ist sie dein Eigentum oder gehört sie deinem Schiff?« Er
klopfte mit dem Finger auf den Deckel. »Was ist hier drin, das so kostbar ist, dass du einen
deiner Retter zurück in ein ghulverseuchtes Loch geschickt hast, um es zurückzuholen?«
Grokmunds Wut wuchs mit jedem Wort, das Skaggi ihm entgegenwarf. Es veränderte
seinen Griff um den Becher, bereit dem Logistikator die Nase zu brechen, sollte er es darauf
anlegen, ihn weiter derart zu bedrängen. »Sie gehört mir«, sagte er. »Admiral Thorki hat sie
meiner Obhut übergeben. Was da drin ist, gehört ebenfalls mir.«
Skaggi wich zurück, streckte seine Hand in Gotramms Richtung aus. »Fühlst du dich denen,
die dich gerettet haben, denn gar nicht verpflichtet? Spürst du nicht die geringste Neigung,
dein Glück mit denen zu teilen, die ihr Leben riskierten, um es zu finden?«
Die Worte des Logistikators waren noch immer feindselig, aber den Weg, den er mit ihnen
bereitet hatte, gab Grokmund die Gelegenheit, zunächst einmal Atem zu holen. Er ließ sich
zurücksinken, verspürte einen Anflug von Scham. »Ich … ich schulde euch etwas«, sagte er.
»Lasst mich nachdenken. Gebt mir etwas Zeit.«
Ein selbstgefälliges Grinsen lag auf Skaggis Gesicht. Vielleicht hätte er auch weiter
gedrängt, aber bevor er seine Tirade wiederaufnehmen konnte, zog ihn Brokrin zurück.
»Genug«, befahl er dem Logistikator. »Jetzt ist nicht die Zeit, ihn mit Fragen zu löchern. Er
hat schließlich genug durchgemacht.«
Brokrin drehte sich fort und wandte sich an seine Offiziere. »Legt euch stets Rechenschaft
ab, was die Ehre eurer Taten betrifft. Man kann seine Ehre verkaufen«, sagte er, »doch alles
Gold Chamons kann sie nicht wieder zurückkaufen.«
Die Worte hatte einen ernüchternden Effekt auf jene, die sich gerade für Skaggi Standpunkt
erwärmen wollten. Sie nahmen sich den Tadel zu Herzen und wandten die Augen von
Grokmund und seiner Kiste ab. Grokmund schien es, als wäre Skaggi der Einzige, der von
Brokrins Worten ungerührt blieb. Es lag ein verächtlicher Ausdruck im Gesicht des
Logistikators.
Grokmund lehnte sich in die Koje zurück und nahm einen gemächlichen Schluck von dem
Bier. Er ging in seinem Geist die Situation von allen Seiten her durch, der Vernichtung seiner
Sippengefährten und wo die Dinge von dort wohl hinführen mochten. Es bedurfte einiger
Überlegung, um zu der Entscheidung zu gelangen, für die er sich schließlich entschied, doch
sie war, so fühlte er, die einzig mögliche. Selbst wenn die Offiziere des Eisendrachen ihr Spiel
mit ihm trieben, Brokrin sein Mitgefühl nur vortäuschte, während Skaggi versuchte, ihm mit
purer, plumper Gier abzulenken, so konnte er doch aus diesen Duardin einigen Nutzen ziehen.
»Reicht mir die Schatulle«, meinte Grokmund jäh zu Gotramm. Widerstrebend trat Skaggi
beiseite, als der Arkanaut das Kästchen an sich nahm und es ihm reichte. Während seine
Finger über das Runenschloss glitten, erklärte sich Grokmund gegenüber Brokrin. »Ich war
der Äther-Khymiker der Sturmbrecher«, sagte er. »Meine Pflichten schlossen die Bewertung
der Mineralien ein, die wir aus den Wolkeneinlagerungen und Himmelsadern gewannen. Ich
weiß nicht, wie viel ich euch ohne meine entsprechende Ausrüstung zeigen kann, aber
vielleicht doch genug, um euch klarzumachen, wie wertvoll diese Kiste und ihr Inhalt sind.«
In kurzer Zeit hatte Grokmund das Schloss geöffnet. Der Deckel der Schatulle klappte
zurück, als automatisch eine verborgene Feder aus ihrer Verankerung sprang. Drinnen war
eine Masse dunklen Stoffs. Grokmund entfernte sie und enthüllte eine Schicht weicher Wolle,
die eng in die Schatulle gepackt war. Behutsam entfernte er auch diese. Die Duardin, die ihm
zusahen, waren offensichtlich davon beeindruckt, wie fein und dünn jede Lage war, von ihrer
Beschaffenheit fast wie Gaze. Deutlich hörbar sog Skaggi in seiner Überraschung die Luft ein,
als er sah, dass das, was unter der letzten Lage war, weniger eine Schicht als ein Haufen
Röhrchen war, die alle einzeln umhüllt waren.
Grokmund hielt inne und musterte die Gesichter seiner Retter. »Was ich euch jetzt zeige, ist
etwas, was kein Lebender je gesehen hat. Nur meine Mannschaft wusste davon. Nun teile ich
dieses Geheimnis mit euch und vertraue darauf, dass ihr es sorgfältig hüten werdet.« Er zog
die Wolle von einem Röhrchen fort und enthüllte eine feine gläserne Kanüle. Obwohl es hohl
war, war das Röhrchen doch nicht leer, denn in seinem Innern sah man einen wirbelnden
Dunst, einen feinen Hauch mit goldenem Glanz.
»Äthergold«, sprach einer der ihm zusehenden Duardin den Namen des Röhrcheninhalts
aus. Äthergold war für die Kharadron die wertvollste Substanz in allen Reichen, denn sie
stellte das Lebensblut ihrer Technologie dar, die Kraft, die hinter ihren erstaunlichen
Himmelsschiffen und Himmelsfestungen steckte. So kostbar es auch war, so war sein Wert
doch nicht so hoch, dass ein paar Phiolen in Grokmunds Schatulle die bisherigen Ausgaben
einer langen Fahrt decken würden. Zumindest, so dachte Grokmund bei sich, wenn es sich um
die übliche Qualität dieses Erzes handeln würde.
Skaggi schüttelte den Kopf. »All der Ärger nur für ein bisschen Äthergold, gerade genug,
um damit unsere Flotte wieder aufzutanken«, sagte er zu Brokrin. Er zeigte auf Gotramm. »Du
musst ja mächtig froh sein, dass du für die Schachtel dieses Trottels riskiert hast, dass man dir
das Fleisch von den Knochen nagt, was? Schatz! Für das, was da drin ist, würde ich nicht mal
einen betrunkenen Grok erdrosseln!«
Grokmund hörte der Tirade des Logistikators mit wachsendem Ärger zu. Er nahm eine der
Phiolen und klopfte damit gegen Skaggis falkengleiche Nase. »Schau dir das besser gründlich
an, bevor du anfängst hier loszugackern«, fuhr er ihn an. »Mal sehen, ob du so schlau bist, wie
du glaubst.«
Skaggi krümmte sich von der Phiole weg, während seine Augen sich vor Schrecken
geweitet auf das zerbrechliche Ding und seinen zersetzenden Inhalt richteten. »Ich folge doch
nicht den Launen eines Irren«, knurrte Skaggi. »Ich habe schon genug Äthergold in meinem
Leben gesehen, um zu wissen, wie das aussieht.«
»Tatsächlich?«, höhnte Grokmund. Er wandte sich um und hielt Brokrin die Phiole
entgegen. »Vielleicht möchtest du einmal genauer hinsehen. Schau, ob deine Augen schärfer
sind als die des Kupferfuchsers.«
Brokrin nahm die Phiole. Grokmund verschränkte die Arme über der Brust, lehnte sich
zurück und wartete darauf, dass der Kapitän seine Untersuchung abschloss. Er sah, wie
Brokrin dem Röhrchen einen gleichgültigen Blick schenkte, es ins Licht hielt, hierhin und
dorthin drehte. Grokmund lächelte, als er sah, wie Brokrin verwundert die Stirn runzelte. Er
hielt die Phiole näher an seine Augen, und seine Musterung war nun alles andere als
gleichgültig. Das Interesse des Kapitäns griff schnell auf seine Offiziere über. Selbst Skaggi
beobachtete ihn angespannt.
»Es hat einen ungewöhnlichen Glanz«, sagte Brokrin schließlich. »Wie nichts, was ich
jemals gesehen habe.« Er wog die Phiole in der Hand und schenkte ihr einen abschätzenden
Blick. »Wenn unsere Verwandten in Barak-Urbaz nicht einen intensiveren
Glasgewinnungsprozess nutzen als wir, dann würde ich sagen, dass dieses Äthergold auch
schwerer zu sein scheint.«
»Das ist es«, erklärte Grokmund. Er warf sich in die Brust, als er verkündete: »Dies ist die
feinste Äthergoldqualität, die ich in zweihundert Jahren des Schürfens und der Veredelung
jemals gesehen habe. Es ist so rein, so hervorragend, dass es fast nicht zu glauben ist. Wir
habe seinen Wert auf das Zwanzig- bis Fünfzigfache einer durchschnittlichen Destillation
ausgelotet. Zusätzlich ist es aber auch leichter zu ernten, es springt fast von selbst in die
Schleppnetze.« Er deutete mit dem Finger in Richtung der Phiole, die Brokrin hielt. »Und ich
sage euch noch was, es ist leichter zu veredeln. Nun, man könnte diesen Stoff mit einem
Drittel des Aufwands zu Barren verarbeiten.«
Brokrin schüttelte den Kopf. »Na ja, das ist ein ungewöhnlicher Fund, zugegeben«, meinte
er. »Aber der Rest …« Er gab Grokmund die Phiole zurück.
Grokmund schnalzte enttäuscht mit der Zunge. »Du bist zu skeptisch, Käpt’n. Das sind
keine Märchen, die ich dir da erzähle, sondern Grungnis höchst eigene Wahrheit. Wir haben
aufwendige Tests dieses Stoffes auf der Sturmbrecher durchgeführt. Admiral Thorki war auf
schnellstem Weg zurück zur Feste, um eine ganze Ernteflotte zu holen, damit wir schnell den
Fund abgraben, bevor jemand anders ihn findet oder ein plötzlicher Sturm ihn
auseinandertreibt.«
»Und das erklärt somit, warum du uns den Fund gezeigt hast«, sagte Brokrin. »Du machst
dir Sorgen, den ganzen Fund zu verlieren, und willst mit unseren Schiffen eine Art Handel
abschließen.« Er warf seinen Offizieren einen kurzen Blick zu. »Wir haben nicht annähernd
die Bewaffnung der Flotte, die du verloren hast und nicht halbwegs das Ladevolumen eines
Trawlers.«
»Du würdest nicht viel transportieren müssen, damit diese Fahrt dir Reichtümer jenseits
aller Vorstellungskraft einbringen würde«, sagte Grokmund. Ein Aufflackern von Panik stieg
jetzt in ihm hoch. Er war sich sicher gewesen, dass die Aussicht auf Reichtum die Mannschaft
des Eisendrachen dazu bringen würde, ihm zu helfen. Sie mochten seine einzige Chance
darstellen, die Ader abzuernten, bevor jemand anders sie fand. Jemand, der dann den Ruhm
für sich beanspruchte, von dem Grokmund wusste, dass er nur ihm zustand.
»Ich vermute, es gibt einen Grund, warum dein Admiral seine Schiffe nicht mit dem Zeug
vollgeladen hat«, meinte ein alter Duardin mit einer Schiene um sein Bein und zeigte auf die
Phiole. »Wenn es so stark ist, wie du sagst, dann kann ich mir vorstellen, dass einfach den
Frachtraum eines Panzerschiffs damit zu füllen, nicht gerade die beste Idee ist. Wäre, als
würde man auf einer Bombe fliegen.«
Skaggi unterbrach ihn, indem er überraschenderweise Grokmund beisprang. »Wir sollten
nicht allzu voreilig die Idee in den Wind schlagen, es uns erst einmal anzusehen«, sagte er.
»Wir könnten zumindest diese Probe austesten. Mal sehen, wie viel sie eigentlich wert ist.
Wie viel Geld wir uns da durch die Lappen gehen lassen.« Der Logistikator war schamlos
genug, seine eigene Vorstellung von der Qualität des Stoffes von noch vor ein paar Minuten
einfach so zu ignorieren.
»Die Ausrüstung dazu hätten wir, Käpt’n«, verkündete ein Duardin mit der schmutzigen
Gesichtsfarbe eines Endrinisten. »Ich könnte es sogar ein bisschen veredeln. Mal sehen, ob
das so schnell und leicht geht, wie er behauptet.« Er trat zu Grokmund und streckte die Hand
aus. »Ich bin Horgarr, Endrinmeister des Eisendrachen. Wenn es dir nichts ausmacht, kann
ich den Stoff austesten. Ich werde auch versuchen, so wenig wie möglich davon zu
verbrauchen.«
Grokmund legte Horgarr die Phiole auf die Hand. »Benutz davon, was immer du brauchst«,
sagte er. »Wenn du siehst, dass ich recht habe, dann ist diese Investition es wert.« Er nickte
Brokrin zu. »Wenn du einmal weißt, was du hier gewinnen kannst, wirst du dir das mit den
Risiken noch einmal überlegen.«

Es war spät am nächsten Tag, als die Offiziere des Panzerschiffs sich erneut in Brokrins
Kajüte versammelten, jeder von ihnen neugierig darauf, was Horgarr herausgefunden hatte.
Grokmund stellte eine siegesbewusste Miene zur Schau.
Der Endrinmeister trug schwere Bleihandschuhe und eine mit schweren Eisenplatten
abgeschirmte Schürze, als er zum Tisch trat und ein schweres Bronzekästchen darauf abstellte.
Er öffnete die Klammern und ließ die Seiten herunterklappen, sodass sie die Früchte seiner
Arbeit enthüllten. In Inneren des Kästchens ruhte ein etwas über einen Zentimeter langer
Splitter extrem dunklen Goldes. Drumark stieß ein beeindrucktes Pfeifen aus, aber auch die
anderen Duardin waren nicht weniger aufgeregt. Alle Augen waren auf den kleinen Barren
geheftet, den Horgarr aus Grokmunds Probe destilliert hatte.
»Die Tests zeigen, dass es reiner ist als alles, was ich jemals gesehen habe«, erklärte
Horgarr. »Vielleicht würde euch ein erfahrener Prospektor da etwas anderes sagen, aber
soweit ich das beurteilen kann, ist dies das reichste Erz, das jemals ein Kharadron gefunden
hat.« Er wandte sich um und verbeugte sich vor Grokmund. »Es ist all das, was du behauptet
hast. Ich habe einen Span davon genommen, nicht dicker als mein Fingernagel, mit dem ich
den Auftrieb meiner Äther-Endrin auf volle Kraft bringen konnte. Ich musste sogar einiges an
Energie ablassen, damit ich es überhaupt unter Kontrolle halten konnte.« Er hob seine Finger,
drückte sie wie eine Zange zusammen, um anzudeuten, wie winzig die Menge war, über die
sie hier redeten. »Nicht größer als das«, betonte er.
Skaggi beugte sich über den Tisch und starrte das Äthergold mit schierer, unverwandter
Faszination an. »Wie würdest du seinen Wert einschätzen?«
Horgarr deutete auf den winzigen Barren. »Das bisschen da ist allein schon genug wert, um
Kero auszuzahlen und noch etwas zurückzubehalten«, erklärte er. »Und das auch nur, wenn
wir Drumark die Verhandlungen führen lassen und nicht einen ausgekochteren
Verhandlungspartner wie dich.« Die Bemerkung ließ einige der Duardin laut auflachen.
Brokrin lehnte sich in seinem Stuhl zurück und strich mit einer Hand über seinen Bart. Er
sah zu Grokmund hinüber. Er konnte die Lage des Äther-Khymikers gut verstehen. Er
erkannte dies als seine einzige Chance, Anrecht an seinem Fund anzumelden, die einzige
Chance, dass der Tod seiner Sippenangehörigen nicht umsonst gewesen wäre.
»Dein Glück hat sich geändert, Käpt’n«, sagte Gotramm, was ein Lächeln auf die Gesichter
aller um ihn herum brachte.
Brokrin jedoch lächelte nicht. Er mochte solche Reden von Glück oder Flüchen ganz und
gar nicht, er hatte allzu lange in ihrem Schatten gelebt. Wie pessimistisch seine Befürchtungen
auch gewesen sein mochten, seit sie Ghazul entkommen waren, hatten sie sich unausweichlich
als begründet erwiesen. Im Moment war es nicht die Verheißung von Reichtum, die in seinen
Gedanken die Oberhand hatte, sondern eher das Gespenst des Verhängnisses. Er deutete auf
Horgarr. »Deiner Schätzung nach … wie flüchtig ist dieses Erz? Wenn nur ein Span davon
ausreicht, um eine Äther-Endrin über den Rand ihrer Kapazität hinaus anzutreiben, von was
für einer Art von Potenzial reden wir hier?«
»Du könntest deiner gesamten Himmelsfeste einen Energieüberschuss einbringen«,
versprach Grokmund. »Und das nur mit dem, was du mit diesem Schiff transportieren
kannst.«
»Um den Profit will ich gar keinen Aufstand machen«, sagte Brokrin. »Ich mache mir eher
Sorgen um die Gefahren des Transports. Der Eisendrache ist kein Tanker. Er ist nicht dazu
gemacht, dass man seinen Bauch mit rohem Äthergold auffüllt.«
Skaggi gelang es, seinen Blick von dem Barren wegzureißen und Brokrin ungläubig
anzustarren. »Du hörst dich an wie ein altes Weib!«, höhnte der. »Ängstigst dich wegen
Schatten –«
»Nicht ganz«, berichtigte Horgarr den Logistikator. »Veredelt ist das Erz ziemlich sicher,
aber als Gas ist es äußerst ätzend. Nichts, womit ein Tanker nicht fertig wird, aber wenn du
eine hohe Konzentration unten in unseren Frachtraum schaffst, dann wäre das eine heikle
Sache.« Er warf Brokrin einen entschuldigenden Blick zu. »Ich will damit nicht sagen, dass es
das Risiko nicht wert wäre, Käpt’n.«
»Wir können es zur Abstimmung stellen«, schlug Gotramm vor. Diese Idee wurde von
Skaggi eifrig unterstützt und genoss die Zustimmung der meisten Offiziere.
»Es gibt keine Abstimmung«, entschied Brokrin. »Ich habe das Kommando. Die
Verantwortung für die Sicherheit dieses Schiffes und dafür, es nach Barak-Zilfin
zurückzubringen, liegt bei mir.«
»Du hast aber auch eine Verantwortung dafür, dass diese Fahrt Profit bringt«, warf Skaggi
ein.
Brokrin hob die Hand, um jedes weitere Gerede in die Richtung, die Skaggi gerade
gewiesen hatte, im Keim zu ersticken. »Meine Entscheidung ist gefasst.« Er sah zu Grokmund
hinüber. »Wir setzen dich in Barak-Zilfin ab. Dort können wir eine angemessen ausgerüstete
Expedition zusammenstellen, um den Fund zu sichern, den du entdeckt hast. Davon
ausgehend, dass du Bedingungen zustimmst, wonach die Anteile zwischen unseren beiden
Himmelsfesten aufgeteilt werden.«
Grokmund hatte die zufriedene Miene eingebüßt, die er anfangs zur Schau getragen hatte.
Jetzt erschien er so schwach und gebrochen, wie zu dem Zeitpunkt, als man ihn aus dem
Frachtraum der Sturmbrecher heraufgeschafft hatte. »Stellt Bedingungen auf, wie immer ihr
wollt«, murmelte er. »Deine Vorsicht könnte dafür sorgen, dass wir am Ende nur leere Luft
aufteilen. Jede Stunde, die wir zaudern, gibt jemand anderem die Gelegenheit, über diese Ader
zu stolpern.«
»Du kannst das nicht auf deine Schultern laden, Brokrin«, sagte Gotramm. »Du hast zwei
weitere Schiffe in deiner Flotte. Zwei weitere Kapitäne, die die Dinge nicht so«, er zögerte,
widerstrebend, das Wort zu benutzen, das ihm auf der Zunge lag, »… ängstlich wie du sehen.«
Seine Wortwahl rief einen gequälten Ausdruck auf Brokrins Zügen hervor. »Wenn es das
ist, was ihr alle denkt, dann lasst uns doch die anderen Kapitäne fragen, was sie davon halten.«
Er erhob sich aus seinem Stuhl und winkte die Offiziere mit seinen Armen aus der Kajüte.
»Holen wir uns eine Antwort, so oder so. Aber denkt bloß nicht, dass ich zulasse, dass die
Risiken fahrlässig heruntergespielt werden.«
Gotramm sträubte sich beim Unmutsausbruch des Kapitäns, denn seine Schuldgefühle, den
Kapitän verletzt zu haben, bestärkten ihn nur in seinem eigenen Entschluss, sich ihm
entgegenzustellen. »Denk bloß nicht, dass wir es zulassen, dass der mögliche Gewinn, den wir
einfahren können, einfach so beiseite gewischt wird«, warnte er.
Brokrin blieb hinter den anderen Duardin zurück, um die Lampe zu löschen, bevor er den
anderen auf Deck folgte. Als er sich abwandte, zog ein Glitzern im Dunkel seine
Aufmerksamkeit an. Einen Moment lang hatte er den Eindruck eines Glühens um den Barren
herum, fast als würde er auf die Dunkelheit reagieren, die sich auf seine Umgebung legte.
Einen Moment lang beobachtete er den Barren weiter, aber das Glühen kehrte nicht zurück. Er
tat den Eindruck als ein Resultat seiner Erschöpfung ab und machte sich auf den Weg hoch
aufs Deck.

Die neun Ecken der schwarzen Höhle vibrierten vom Klang eines dissonanten Liedes. Eine
beinah vorweltliche Melodie, destilliert aus den verschollenen Träumen des Aelfengeschlechts
und zu einer zitternden Kakofonie neu geschmiedet. Ein kupfernes Sistrum und ein Menit aus
Obsidianperlen erschufen diese unheimliche Musik, während die Worte durch Khorams
zischende Stimme hervorgebracht wurden. Der widerwärtige Trugling, der sich aus dem Hals
des Hexers vorwölbte, stimmte in den Refrain mit ein.
Geisterhafte Lichtblitze wurden pulsierend vom Stein hoch über ihnen zurückgeworfen. Die
schleichenden Dämmergeister der Schattenöde wurden von den aufflammenden Lichtern
unwiderstehlich angezogen; sie ahnten nicht, dass das Ritual ihre geisterhafte Substanz
aussaugte, sie in die fleischlosen Schädel leitete, welche den äußersten der Kreise säumten, die
Khoram auf den Boden gezeichnet hatte. Die kabbalistischen Symbole innerhalb des Kreises
schimmerten auf, als die Dämmergeister verzehrt wurden und ihre Energie die dunkle Magie
des Hexers nährte.
Tief in den himmelsstrebenden Zinnen des Saphirpalastes stellte Khorams Allerheiligstes
eine Domäne dar, welche die Bosheit ihres Herrn widerspiegelte. In Nischen, die in die
Wände eingelassen waren, ruhten abscheuliche Apparaturen. Eine dieser Höhlungen
beherbergte große Becken und Urnen, in denen grässliche Pflanzen auf widernatürliche
Nährböden gediehen und deren Blätter schwer von ekelerregenden Früchten und giftigen
Nesseln waren. Eine andere Nische war eine Leichenkammer voller mumifizierter Überreste
und vertrockneter Hüllen, die einem Bestiarium von sowohl menschlichen als auch tierischen
Wesen entstammten. Und eine weitere Nische bot die sadistische Umsetzung des Traums
eines Folterers dar, wobei Häutungstische und mit Dornen und Stacheln versehene
Lebendsärge nur die mildesten der zur Schau gestellten Grauen darstellten. Eine andere
Nische barg eine Sammlung von Seherspiegeln und Weissagungssteinen, geringere Brüder
von Zobras’ Sphäre. Ein Ort gehörte ganz den Schriftrollen und Folianten, einem riesigen
Band – dem berüchtigten Maleficara –, der an ein eisernes Lesepult angekettet war, damit das
lebendige Buch daran gehindert würde, den Hexer zu verschlingen, um dessen Wissen seinen
gottlosen Seiten hinzuzufügen.
Khoram hob triumphierend die Arme, als die sich aufladenden Schädel einer nach dem
anderen erloschen, zerbrachen und zu Staub zerfielen, als sie die Grenzen ihrer vampirischen
Zaubermächte erreichten.
»Jetzt«, verkündete er dem Homunkulus. »Jetzt sind wir bereit. Jetzt können wir beginnen.«
Sistrum und Menit legte er im rechten Winkel zueinander nieder, trat dann fort und begann
weitere arkane Utensilien aus einer glasierten Porzellanurne hervorzuholen. Während er seine
hexerischen Instrumente um sich sammelte, durchbrach das Geräusch von Schritten den
letzten Widerhall des Aelfenlieds. Khoram wirbelte herum und wirkte hastig Schutzzauber,
die ihn vor der gestohlenen Substanz der Dämmergeister bewahren mochten, sollte das Ritual
unterbrochen werden. Mit wütendem Blick wandte er sich der Quelle der störenden Geräusche
zu.
Unter den Akolythen aus Tamuzz‘ Kult gab es nur wenige, die unverschämt genug gewesen
wären, Khorams Allerheiligstes zu betreten. Selbst die Verlockung verbotener Geheimnisse
reichte nicht aus, die Kultjünger zu solchen Überschreitungen zu reizen. Zu viele von ihnen
hatten den schuppenüberzogenen, geistlosen Haufen mutierten Fleisches gesehen, der einst
Magister Yondo gewesen war, bevor der Aspirant versucht hatte, die Schutzzauber um
Khorams Höhle zu durchbrechen und das lästerliche Maleficara zu rauben.
»Wer wagt es, ewige Verdammnis auf sich herabzurufen, indem er meine Riten stört?«,
fauchte Khoram. Noch während er die Worte aussprach, hätte er sie am liebsten wieder auf
seine Zunge zurückgerufen. Er hätte wissen sollen, wer eine derartige Dreistigkeit an den Tag
legte. Der einzige Sterbliche im Saphirpalast, der durch die Gunst des Mächtigen Tzeentch
gegen die vielfältigen Aspekte der Magie geschützt wurde.
Tamuzz genoss die Segnungen des weisen Tzeentch in einer Art, welche die von Khorams
überstieg. Es war Tamuzz’ Gleve, die das verderbte Leben aus der Gestalt der Yondo-Brut
herausschnitt und die groteske Transformation des Magisters beendete. Die gleichen
Schutzzauber, welche die magischen Schilde des Magisters zerbrochen hatten, versagten
darin, dem Kriegsherrn Schaden anzutun. Zaubersprüche, welche die Knochen eines
Garganten in Schleim verwandeln sollten, konnten die Zauberbanne nicht durchdringen, die in
Tamuzz’ Chaos-Rüstung gewoben waren.
Die Wut des Kriegsherrn war fast greifbar, der Verdacht des Verrats so deutlich sichtbar wie
die feurige Gleve in seiner Hand.
»Ich hätte sie haben können, wenn du dich nicht eingemischt hättest«, knurrte Tamuzz den
Hexer an. »Die Schiffe wären mein gewesen. Die Mannschaften wären mein gewesen. Keine
Zweifel mehr an ihren Zielen, sondern klar in unseren Dienst gezwungen, wie jeder andere
Sklave.«
Khoram griff nach dem gefiederten Maul seines Truglings, um den Parasiten zu beruhigen.
Tamuzz war schon aufbrausend genug, ohne dass der Homunkulus ihm auch noch sagte, dass
seine Worte Lügen seien. Da würde es schon mehr Taktgefühl erfordern, den Kriegsherrn von
den Sichtweisen abzubringen, die er als seine Wahrheit auserkoren hatte.
»Du stehst zu hoch in Lord Tzeentchs Diensten, als dass du nicht auffallen würdest«, sagte
Khoram. »Wo immer deine Hand sich ausstreckt, gibt es solche, die es beobachten. Feinde,
die dich aufhalten wollen. Aasgeier und Räuber, die von dir stehlen wollen. Rivalen, die sofort
den Ruhm an sich reißen wollen, den du errungen hast.« Er hob seinen Finger und zeigte auf
die Sphäre des Zobras. »Die Prophezeiungen sind günstig. Dein Dienst an deinem Herrn wird
dir große Macht bringen. Es gibt viele, die dir deine ruhmreiche Zukunft neiden.«
»So wie du, Fluchkämpe?«, fragte Tamuzz. »Hast du deshalb die Dämonen aus deinem
Bann entlassen, als ich sie brauchte?«
»Du hättest die Schlacht gewonnen«, sagte Khoram. »Daran besteht kein Zweifel. Aber
hätte dich der Sieg in der Schlacht nicht den Krieg gekostet? Das ist es, wovor mich die
Vision in der Sphäre gewarnt hat. Ich musste so handeln, wie ich es tat.« Er streckte seine
Tentakelfinger aus und deutete auf den Kreidekreis, der auf den Boden der Höhlenkammer
gezeichnet war. »Wie du mich so oft belehrt hast, sind unsere Schicksale verbunden. Wenn
der eine gedeiht, dann tun wir es beide. Wenn einer vom uns fällt, dann sind wir beide
verdammt.«
Tamuzz’ Augen glitzerten bedrohlich hinter dem Rauchschleier, der von den auf seiner
Rüstung angebrachten Fingerkerzen aufstieg. »Willst du mich erneut deiner Loyalität
versichern oder drohst du mir, damit ich dich nicht so bestrafe, wie du es verdienst?« Tamuzz
überschritt die Grenze des Beschwörungskreises, in vollkommener Geringschätzung der
Magie, die von ihm ausging. Wie die Schutzbanne, die in die Felswände geritzt waren, so
konnte auch die Abschirmung des Kreises sein Eindringen nicht verhindern. Schleierwehen
der Dämmergeistersubstanz krallten nach ihm, nur um von seiner stark verzierten Rüstung
aufgesogen zu werden.
»Nichts von beidem tue ich, Lord Tamuzz«, erklärte Khoram. »Ich tu nur das, was mir
geraten erscheint, um dir zu helfen … und dem Herrn zu dienen.«
»Kein bisschen für Khoram?«, höhnte Tamuzz. Er funkelte den Hexer wütend an. »Das
kaufe ich dir nicht ab. Du willst mich benutzen. Und das ist ein wahrhaft gefährliches Spiel.«
Khoram blinzelte nicht einmal, als er Tamuzz ansah. »Es gibt keine Magie, die ohne ihre
Gefahren ist. Wer sich eines Hexers bedient, sollte sich dessen stets bewusst sein.« Er wies auf
die andere Seite des Raumes. »Deine Rüstung stört meine Beschwörung. Ich kann diese
Anrufung nicht zu Ende führen, wenn du weiter in dem Kreis bist.« Er schüttelte den Kopf.
»Oder du ziehst es vor, dass ich nichts tue, um die Duardin dorthin zu lenken, wohin wir sie
haben wollen. Wenn du natürlich lieber alles den Launen des Schicksals überlässt …«
Tamuzz funkelte ihn einen weiteren Augenblick düster an, drehte sich dann auf dem Fuße
um und schritt aus dem Kreis heraus. »Intrigen innerhalb von Intrigen, Pläne innerhalb von
Plänen«, rief er Khoram zu, während er davonging. »Eines Tages wirst du dich im Netz deines
eigenen Ränkespinnens verfangen, und ich werde nicht mal die Hand heben, um dich daraus
freizuschneiden.«

Khoram wartete, bis der Kriegsherr die Höhle verlassen hatte, bevor er das unterbrochene
Ritual wiederaufnahm. Er brauchte Tamuzz zur Herstellung einer Verbindung zwischen den
Reichen der Sterblichen und den labyrinthischen Korridoren von Tzeentchs Macht. Bald aber
würde Khoram über einen unmittelbareren Kanal verfügen, um sich der Macht seines Gottes
zu bedienen. Dann würde Tamuzz schon erfahren, wo sein Platz war. Dann würde kein
Zweifel bleiben, wer hier der Herr und wer der Diener war.
Der Hexer zügelte seine Wut und ließ die Gedanken an Tamuzz in die Schatten seines
Unterbewusstseins zurückstürzen. In diese mentalen Unterwelten schickte er auch seine
eigenen ehrgeizigen Pläne, seine vielfältigen Ränke und Intrigen, seinen für die Duardin
vorgesehenen Weg und wie dieser seinen Absichten dienen würde. Er warf das dämonische
Gestammel seines Parasiten in eine Zelle des Schweigens, löschte jede Ablenkung aus, die
seine Konzentration von dem ablenken konnte, was vor ihm lag.
Die Schriftrolle, die er aus der Urne nahm, breitete er nun auf dem Boden zu seinen Füßen
aus. Die Buchstaben, die in Blut darauf geschrieben standen, waren so alt, dass es beinah das
Vorstellungsvermögen überstieg. Die Weisheit, die sie enthielten, war sogar noch älter.
Namen, die schon vergessen gewesen waren, als die Reiche aus der Leere Form angenommen
hatten, brannten sich in seinen Blick. Seine Zunge bewegte sich in ungewohnten Rhythmen
und sein Mund formte unaussprechliche Laute. Schneller und immer schneller tropfte die
Beschwörung in die Luft, wurde mit jedem Atemzug schwerer und greifbarer.
Als die Anrufung ihren Höhepunkt erreichte, wandte Khoram sich ein weiteres Mal zu der
Urne um. Indem er seine Tentakelhand hineintauchte, zog er aus ihren Tiefen ein rosafarbenes
und klagendes Ding hervor. Mit einer jähen Geste warf er es zu Boden. Betäubt lag es noch
auf dem Rücken, da stach er ihm auch schon ein Athame mit Knochengriff ins Herz. Bald war
das Messer schlüpfrig vom Blut, dem Herzblut seines Opfers. So hob er es hoch zu dem
Parasiten, der sich aus seinem Hals wölbte. Mit einer raschen Bewegung aus dem Handgelenk
spritzte er die Blutstropfen über das Gesicht des Homunkulus.
Das dahingeschlachtete Opfer lag blutend gerade am Rande des Kreises, sein Lebenssaft
glänzte im Licht der Hexenfeuersphären. Khoram erwartete, dass sich die Manifestation dort
zeigte, dass sie sich aus der toten Hülle erheben würde. Stattdessen erfasste ein schreckliches
und langandauerndes Husten den Hexer, schüttelte seinen Körper wie in Krämpfen hin und
her. Der Trugling schloss sich den Zuckungen an, heulte auf, als auch er zu husten begann.
Statt aus dem Körper des Opfers aufzusteigen, erhob sich das widerwärtige Ding, das Khoram
beschworen hatte, aus dem Trugling. Der Homunkulus hustete und hustete, bis er schließlich
aus seinen Tiefen die dunkle Magie, die ihn zu ersticken drohte, ausgespien hatte.
Das Ding klatschte auf den Boden, ein fingerlanger Fleck schleimiger Schwärze. Einen
Moment lang blieb er reglos, dann begann er sich zu bewegen, schlängelte sich von einer Seite
zur anderen wie ein dunkler Wurm. Während es sich bewegte, erhob es sich langsam,
schwebte in die Luft. Khoram hustete nicht länger, sondern verstärkte die vorzeitliche
Beschwörung. Nicht länger waren die arkanen Silben eine Anrufung. Jetzt formten sie sich zu
Befehlen.
»Erhebe dich«, fauchte Khoram das wurmartige Ding an. »Bei den tausend Schrecken der
Geisternacht und den zehntausend Flüchen von Arnizipal beschwöre ich dich! Sei gebunden
an meinen Willen! Sei Sklave meiner Bestrebungen!« Er warf seine Hand aufwärts, ein
Fingertentakel zeigte hoch zur Decke. »Geh! Suche die Duardin! Suche jene auf, die
gleichermaßen Sklaven meiner Bestrebungen werden müssen!«
Wie ein Pfeil schoss das schwarze Ding empor und bohrte sich in die Decke. Staub und
Gesteinbrocken regneten in den Bannkreis herab, als das Ding sich einen Weg aus dem
Allerheiligsten herausbohrte. Mit seinem geistigen Auge konnte Khoram sehen, wie es aus
dem Gipfel des Berges herausschoss. Er beobachtete es, wie es in die Luft schwebte, sich mit
jedem Herzschlag ausdehnte, mit jeder Sekunde anwuchs. Wie es riesig und zornig und
bösartig wurde wie eine Gewitterwolke.
»Töte, was du musst«, befahl der Hexer dem Ding. »Verschone nur, wem ich erlaube zu
überleben!«
Ein weiterer geisterhafter Befehl und Khoram entließ die gigantische Masse, die über den
Himmel davonrollte, um das ihr bestimmte Opfer aufzusuchen.
KAPITEL SIEBEN

Durch sein Fernglas beobachtete Brokrin, wie der Ornithopter sich vom Deck der Grom-
Makar erhob und auf den Eisendrachen zuflog. Gedrungen, von seiner Gestalt beinah wie ein
Block, schien er schon zum Fliegen überhaupt zu schwerfällig, erst recht für die schnellen,
blitzartigen Manöver, die charakteristisch für seine Fortbewegungsweise waren. Seine Art zu
Fliegen erinnerte an ein riesiges Insekt, das durch die Luft schwirrte, mal hierhin wippte, bald
dorthin tänzelte, und das alles mit einer fast verächtlichen Leichtigkeit.
Seinen Auftrieb erhielt er von einem Paar kleiner Endrinen, die an seinen beiden Flanken
angebracht waren, seine Richtung von einem riesigen Propeller, der über seiner Mitte,
unmittelbar über dem Steuerstand, hing, und auf den gewünschten Kurs brachte ihn ein großes
Stahlruder, das an seinem schlanken Hinterteil saß. Der Ornithopter war nur wenig größer als
ein Grundstok-Geschützboot. Dieses Gefährt war nicht gerade fürs Gefecht vorgesehen, denn
es besaß nur einen Satz Gaskarabiner auf jeder Seite der Kabine, die sowohl Frachtraum als
auch Pilotenkanzel darstellte. Seine wahre Funktion bestand darin, der Grom-Makar als
Aufklärer zu dienen und die Bedingungen zu untersuchen, welche die Fregatte erwarteten und
so dem größeren Schiff die Gefahr widriger Umstände beim Transport von Gütern und
Personen zu ersparen. Kapitän Olgerd hatte eine ansehnliche Summe für das Gerät
ausgegeben, war unsagbar stolz darauf und wurde nicht müde zu betonen, dass eines Tages
jedes Schiff von ernst zu nehmender Größe innerhalb der Himmelsflotten der Kharadron so
etwas einsetzen würde.
Im Moment kamen Brokrin die Eigenschaften von Olgerds Spielzeug ganz gewiss zupass.
Er hatte der Grom-Makar signalisiert und gebeten, dass der Ornithopter die Kapitäne beider
Fregatten zu einer Konferenz auf den Eisendrachen bringen sollte. Er wusste, dass die von
ihm gesendete Botschaft irritierend knapp und vage war, doch das Letzte, was er wollte, war,
dass irgendein aufmerksames Besatzungsmitglied auch nur ungefähr Wind davon bekam, was
hier vor sich ging. Er hatte schon genug Schwierigkeiten durch die Aufregung, die Grokmund
auf seinem eigenen Schiff hervorgerufen hatte; er konnte es jetzt wahrhaftig nicht gebrauchen,
dass diese auch auf die anderen Schiffe übergriff. Olgerd und Kjnell hatten ein Recht darauf,
zu erfahren, was vor sich ging. Ob sie diese Informationen mit ihrer Mannschaft teilten, blieb
ihnen überlassen.
»Sie werden bald hier sein«, erklärte Mortrimm. »Ich würde ihn das niemals hören lassen,
aber an diesem Apparat, den Olgerd da gekauft hat, dürfte tatsächlich was dran sein.«
Brokrin wandte sich um und lehnte sich gegen das Schandeck. Er ließ seine Blicke über das
Deck wandern und sah den Duardin zu, die von ihren Offizieren auf Trab gehalten wurden.
Ihm entgingen die häufigen Blicke nicht, welche ihm die Mannschaftsmitglieder zuwarfen,
konnte fast das Flüstern hören, das zwischen ihnen hin und her ging. Irgendjemand hatte
geredet. Auf dem Schiff hatte sich das Gerücht von Grokmunds Schatz verbreitet. Er wusste,
dass es weder Horgarr noch Vorki gewesen war, und auch Drumark schloss er einigermaßen
sicher aus. Gotramm war jung und leidenschaftlich, aber er kam Brokrin keineswegs so
närrisch vor, dass er so etwas gegenüber seinen Arkanauten herausschwadronieren würde.
Lodri? Es war schon außergewöhnlich genug, dass der Kanoniersgehilfe überhaupt aufs Deck
hinauskam; wenn er dabei auch noch nüchtern war, dann war das wahrhaft bemerkenswert.
Nein, als die Hauptverdächtigen mussten Skaggi und Grokmund selbst gelten, und wenn es
zwischen den beiden zu entscheiden galt, dann würde er sein Geld auf den Logistikator setzen.
Skaggi hatte vielleicht das finanzielle Gespür eines kriminellen Genies, aber die Moral einer
verhungernden Ratte. Wenn er einen Weg sah, wie er die Dinge in die ihm genehme Richtung
steuern konnte, dann würde Skaggi handeln, noch bevor jemand das Wort »Eidbrecher«
aussprechen konnte.
Brokrin schaute finster drein, als er Skaggi in der Nähe des Bugs entdeckte. Der
Logistikator beobachtete, wie der Ornithopter auf die Dron-Duraz zuschwirrte.
»Es ist eine verlockende Gelegenheit«, sagte Mortrimm. Er streckte sich und drehte die
Hüfte im Versuch, sich den Rücken einzurenken. »Wäre ich jünger und närrischer, als ich es
bin, dann würde ich das Wagnis eingehen.« Er lächelte und zwinkerte Brokrin zu. »Leider
habe ich in meinem Leben genug gesehen, um zu wissen, dass großes Gerede und große Ideen
alleine nicht ausreichen, um Tatsachen zu schaffen. Wenn du nicht umsichtig bist, kann dein
Einsatz schon in dem Moment, wo du ihn machst, verloren sein.«
»Das ist eine Lektion, die einige der Bartlinge noch lernen müssen«, sagte Brokrin und
nickte in Gotramms Richtung.
»Lass uns hoffen, dass sie dazu lange genug im Spiel bleiben«, erwiderte Mortrimm.
»Manchmal, wenn du hoch spielst und verlierst, bleibt am Ende nicht genug übrig, um noch
einmal neu anzufangen.«
Brokrin wandte sich um und zeigte auf den Ornithopter, der gerade die Dron-Duraz verließ.
»Darum sicherst du, wenn du klug bist, besser deine Einsätze ab. Wenn wir diese Konferenz
am Boden abhalten würden, käme vielleicht jemand auf die Idee, unsere Kräfte aufzuteilen.
Jeder, der bereit ist, Grokmunds Spiel anzunehmen, auf die eine Seite und alle anderen sollen
allein weiterziehen.« Seine Hand ballte sich zur Faust. »Aber ich habe den Eisendrachen nicht
durch die Schlacht mit Ghazul gebracht, nur um am Ende als ihr Kommandant abgewählt zu
werden. Wir werden alle schön hier oben halten, in den Wolken, vielleicht kommt dann auch
keiner auf irgendwelche dummen Gedanken.«
»Wirf Skaggi in die Brigg«, riet Mortrimm, »dann breiten sich die dummen Gedanken auch
nicht aus.« Der Vorschlag war zwar in scherzhaftem Ton gemacht worden, aber im Blick des
alten Navigators lag wenig Humor.
»Das würde die Dinge nur unnötig forcieren«, sagte Brokrin. »Jeden zwingen, für eine Seite
Stellung zu beziehen, wenn sie eigentlich noch unentschieden sind. Nein, ich kann Skaggi
nicht in die Brigg sperren.« Er grinste und lachte gleich darauf laut auf. »Vielleicht über Bord
schmeißen, aber nicht einsperren.«
Mortrimm seufzte und lehnte sich auf das Schandeck. »Auch keine schlechte Idee, Käpt’n.
Wenn Skaggi überhaupt Familie haben sollte, dann sind sie dir ewig zu Dank verpflichtet,
wenn du ihnen die kleine Ratte vom Hals schaffst.«
»Genug. Reden wir nicht länger darüber«, warnte Brokrin. »Versuchung untergräbt nur die
Moral.«

Die Kapitäne der Fregatten saßen zu beiden Seiten Brokrins, während Grokmund ihnen den
Vorschlag unterbreitete. Dies war ein Treffen in einem kleineren Kreis als bei der vorherigen
Besprechung. Neben den drei Kapitänen und dem Äther-Khymiker waren nur noch Skaggi,
Horgarr und Mortrimm in Brokrins Kajüte anwesend.
Grokmund fasste seinen Plan für die Offiziere aus Barak-Zilfin zusammen. »Der Fund
verbleibt im Besitz von Barak-Urbaz«, sagte er. »Diese Tatsache ist nicht verhandelbar. Um
die Interessen meiner Himmelsfeste zu wahren, wird ein Viertel-Anteil an allem, was wir an
Äthergold aus der Ader gewinnen, Barak-Urbaz zugeschrieben. Damit verbleiben die
restlichen drei Viertel, um unter euch, euren Mannschaften und euren Geldgebern aufgeteilt zu
werden.«
Kapitän Kjnell deutete auf den winzigen Barren, den Horgarr aus Grokmund Probe
destilliert hatte. »Eine beträchtliche Summe«, erklärte er, »wenn das Erz so reichhaltig ist, wie
der Test vermuten lässt.«
Kapitän Olgerd kratzte an dem Stahlstück, das seine leere linke Augenhöhle verdeckte. Es
war eine Eigenart von ihm, dass das fehlende Auge immer gerade dann zu jucken schien,
wenn er in Gedanken vertieft war. »Du sagst, du bist gegen den Plan«, meinte er zu Brokrin,
»und doch stimmst du zu, dass der Fund so reichhaltig sein könnte, wie Grokmund behauptet.
Das kommt mir doch ziemlich widersprüchlich vor.«
»Nicht, wenn du die anderen Faktoren in Erwägung ziehst«, erklärte Mortrimm. »Die
flüchtige Natur dieses Erzes –«
»Jedes Schiff, das seinen Hafen verlässt, riskiert die eine oder andere Katastrophe«,
grummelte Skaggi. Er deutete auf Grokmund als Beispiel. »Die gesamte Barak-Urbaz-
Expedition ging bis auf einen einzigen Mann verloren. Es waren keine bis oben hin mit
wertvollem Äthergold gefüllten Frachträume nötig, um sie zu vernichten. Aber vernichtet
wurden sie trotzdem. Ja, es gibt ein Risiko, aber ihr müsst auch an den Lohn denken, den wir
dabei gewinnen können.«
Kjnell schüttelte den Kopf. »Ich mag Gold lieber, als für mich vielleicht gesund ist«, sagte
er, »aber selbst ich fühle mich unwohl bei dem Gedanken, ein Schiff in eine fliegende Bombe
zu verwandeln.«
Olgerd klatschte in die Hände und ein breites Lächeln zerrte an seinem Bart. »Dafür gibt es
doch eine leichte Lösung. Wir laden alles Äthergold in ein einziges Schiff und statten es nur
mit einer Rumpfmannschaft aus. Die anderen geben ihm aus sicherer Entfernung
Geleitschutz.« Er sah sowohl Kjnell als auch Brokrin nacheinander an. »Natürlich sollte der,
der sein Schiff für so eine Aufgabe zur Verfügung stellt, auch eine zusätzliche Vergütung
dafür erhalten.«
»Es gibt mehr als genug, um all unsere Frachträume zu füllen«, erinnerte Grokmund sie.
»Es wäre die Krone der Narrheit, so viel Reichtum zurückzulassen.«
»Du versprichst da eine ganze Menge«, stellte Kjnell fest, »aber ich habe bisher immer noch
nicht gehört, wo diese Ader, auf die du gestoßen bist, überhaupt zu finden ist. Alles, was wir
haben, ist deine Behauptung, dass sie so groß ist, wie du sagst.«
»Er will nur einen Viertel-Anteil«, sagte Olgerd. »Wenn sie nicht wirklich groß wäre, würde
er sich keine Sorgen um einen schlechten Schnitt machen.«
Brokrin unterzog Grokmund einer gründlichen Musterung. »Es könnte sein, dass unser
Freund mehr am Ruhm als am Reichtum interessiert ist.« Er wies mit der Hand zu der
veredelten Probe. »Der Entdecker einer neuen Sorte Äthergold würde von seinem Klan und
der Gilde auf Höchste gepriesen, nicht wahr?«
Skaggis Augen glitzerten auf, als er sich auf diesen Gedanken stürzte. »Der Kodex trifft
Vorsorge für eine Entschädigung«, sagte er mit Blick auf Grokmund, wobei er jedoch sorgsam
darauf achtete, dass auch alle anderen seine Worte hörten. »Nicht nur für die Rettung von der
Sturmbrecher, sondern auch für die Ausgaben, welche die Reise zu diesem Fundort
betreffen.« Der Logistikator lächelte und nickte jedem der Kapitäne zu. »Das Risiko für die
Schiffe und ihre Mannschaften könnte, unter Einbezug all unserer bisherigen Informationen,
als sicher anzunehmende Gefahr eingeschätzt werden, die allein schon zu einer Entschädigung
berechtigt. All das käme natürlich in Abzug von den Anteilen, die du für Barak-Urbaz
beanspruchst.«
Brokrin konnte nur in sprachlosem Staunen vor so viel kaltblütiger Methodik, wie Skaggi
sie hier einsetzte, um stetig Grokmunds Anteil zu dezimieren, den Kopf schütteln.
Schuldausgleich, Gebühren, Abgaben, Zinseszins, das komplette Register finanzieller
Taschenspielertricks bot er auf, um systematisch den Barak-Urbaz zugeschriebenen Teil zu
schmälern. Im Verhältnis zu dieser Minderung wuchs der Lohn an, der unter den Schiffen aus
Barak-Zilfin aufgeteilt würde. Und im Zuge dessen wurde Grokmunds Haltung immer
entmutigter. Ob aus Furcht über den Verlust des Fundes, sollten sie nicht schnell handeln oder
ob bei ihm das Verlangen nach Ruhm über Gier die Oberhand gewann, jedenfalls wirkte der
Äther-Khymiker, als sei er bereit, jede Bedingung zu akzeptieren, die die kleine Flotte seinem
Ziel verschrieb.
Es sah so aus, als sei Skaggi drauf und dran, die anderen Kapitäne auf seine Seite zu ziehen,
als Horgarr eingriff. Der Endrinmeister hielt einen winzigen Span Äthergold zwischen den
ihnen entgegengestreckten Fingern. »Bevor ihr alldem zustimmt, solltet ihr wissen, worauf ihr
euch da einlasst«, verkündete er. Die anderen Duardin mussten blinzeln, um den kleinen Punkt
aus Äthergold überhaupt zu sehen, als Horgarr ihn auf dem Tisch ablegte. »Käpt’n, wenn du
bitte diesen Barren nehmen würdest.« Er wartete, während Brokrin den Barren und das
Kästchen wieder an sich nahm, und bedeutete dann den anderen, vom Tisch Abstand zu
nehmen. Als diese zurückgewichen waren, nahm Horgarr einen kleinen Hammer von seinem
Gürtel. Er streckte das Werkzeug auf Armeslänge von sich und ließ es dann auf den winzigen
Span niedergehen.
Ein ohrenbetäubendes Donnern durchfuhr die Kajüte, begleitet von einem sengendem
Lichtblitz. Es war, als hätte jemand eine Salvenkanone direkt im Raum abgefeuert. Als die
Duardin die Punkte, die ihnen vor Augen tanzten, weggeblinzelt hatten, starrten sie alle
verblüfft auf die Trümmer von Brokrins Tisch. Robustes Stahlholz hatte sich geschwärzt und
gebogen, ein tiefer Krater klaffte beinah durch die ganze Dicke der Platte hindurch. Der
abgetrennte Schaft von Horgarrs Hammer lag auf dem Boden, und Rauch stieg von dem Ende
auf, wo sich einmal der Kopf befunden hatte. Der Endrinmeister selbst hielt sich den Arm und
versuchte die explosive Wucht weg zu massieren, die ihm schmerzhaft bis in die Knochen
gefahren war.
»Ihr habt gesehen, wie wenig es dazu gebraucht hat«, sagte Horgarr zu den anderen. »Denkt
daran, dass dies veredeltes Erz war, das stabiler ist als das rohe Gas, das wir in unsere
Frachträume laden würden.«
Skaggi stotterte Einwände hervor, um Olgerd und Kjnell erneut auf seine Seite zu bringen.
Grokmund versuchte ihn dabei zu unterstützen, doch bald wurde klar, dass ihre
Beschwörungen auf taube Ohren trafen. Welches Gewicht ihre Argumente auch immer haben
mochten, Horgarrs Vorführung konnten sie nicht widerlegen.
Einen Moment später öffnete sich die Kajütentür und ein ernst dreiblickender Gotramm
starrte auf den zerstörten Tisch. »Wir haben eine Explosion gehört«, sagte er zu Brokrin.
Brokrin blickte die anderen Kapitäne an. »Nur eine kleine Lektion, was Risikoeinschätzung
betrifft«, meinte er. »Ich denke, das wäre jetzt geklärt.«
Gotramm verstand nicht, aber ein Blick zu Skaggi und Grokmund reichte, damit er sich
denken konnte, was dies für eine Lektion war und wie sie die Meinungen beeinflusst hatte. Es
hatte keinen Zweck, jetzt zu argumentieren. Brokrin hatte sie überlistet. Rasch sah er vom
Kapitän weg und wandte sich Olgerd zu. »Wenn es Risiken sind, die dich am meisten
interessieren, solltest du besser mal mit deinem Piloten sprechen. Wir haben am Horizont
einen Sturm gesichtet. Nähert sich schnell. Er sagt, wenn der Ornithopter nicht bald aufbricht,
hängt ihr für seine Dauer hier auf dem Eisendrachen fest.«
Während die anderen Kapitäne sich verabschiedeten und eilends Gotramm an Deck folgten,
schien es Brokrin, als machten sie sich weniger Sorgen um den Sturm selbst, als darüber,
wozu sie das Verweilen auf dem Eisendrachen verleiten könnte. Das klare Urteilsvermögen,
das inzwischen bei ihnen eingekehrt war, mochte sich schnell wieder Skaggis gerissener
Überzeugungskraft beugen, wenn man dem Logistikator auch nur die geringste Gelegenheit
dazu bot. In der Tat schienen sich ihre Schritte zu beschleunigen, als Skaggi und Grokmund
sich ihnen anschlossen.
Brokrin wartete, bis sie alle fort waren, bevor er zu Horgarr trat, um ihm zu danken. »Du
kannst jetzt damit angeben, dass du Skaggi bei Verhandlungen übertrumpft hast«, gratulierte
er dem Endrinmeister.
Horgarr fuhr fort, sich den Arm zu reiben. »Ich hatte nicht geplant, dass es so stark sein
würde«, gab er zu. »Skaggi könnte jetzt vielleicht noch einmal überdenken, wie viel
Grokmunds Erz wert ist. Er könnte dabei sogar auf eine Zahl kommen, die groß genug wäre,
mich in Versuchung zu führen.«
»Du hast zu viel Zeit damit zugebracht, dieses alte Mädchen wieder zusammenzuflicken, als
dass du sie in tausend Stücke sprengen würdest«, sagte Mortrimm. »Ein Handwerker sollte
vor seiner eigenen Arbeit etwas mehr Respekt haben.«
»Und ein Navigator sollte klug genug sein, seinen Kurs zu bestimmen«, meinte Brokrin zu
dem alten Duardin. Er klopfte Mortrimm auf die Schulter. »Der eine Sturm hätte sich für den
Moment gelegt. Und jetzt lasst uns sehen, was wir wegen dem tun können, der gerade
ausbricht.«

Als die Kapitäne der Fregatten zum Eisendrachen herübergeflogen waren, hatte sich der
Himmel beinah klar gezeigt, nur gesprenkelt von weißen Wolkentupfen. Nach Brokrins
Schätzung konnte die Besprechung höchstens eine Stunde gedauert haben und seit Gotramm
den Sturm gemeldet hatte, konnten nur wenige Minuten vergangen sein. Dennoch erblickte
Brokrin, als er an Deck kletterte, um die anderen Kapitäne zu verabschieden, einen Himmel,
der schwarz vor Sturmwolken war. Die Mittagsonne war vollständig vom Himmel gelöscht,
verborgen hinter einem alles verhängenden Schleier urgewaltiger Zornesmächte.
Schwärzer, bösartiger als jeder Sturm, den er je gesehen hatte, brausten die wütenden
Wolkenbänke rasend schnell auf Brokrins kleine Flotte zu. Die Besatzungen hatten gerade
einmal begonnen, ihre Schiffe auf die kommende Sturzflut vorzubereiten. Olgerd und Kjnell
schafften es gerade noch rechtzeitig, vor dem Regenguss in ihre Ornithopter zu klettern.
Schmutziger Regen klatschte auf die Decks des Eisendrachen nieder, als das kleine Fluggerät
aufstieg und auf die Nächste der beiden Fregatten zuschoss.
Brokrin rümpfte die Nase über den Gestank der schlammigen Tropfen. Das ölige Wasser
roch wie Hundesabber, vielleicht mit einem Quäntchen alten Abfalls, um dem ganzen eine
stechende Note zu verleihen. Der ölige Glanz, der ihm anhaftete, wirkte, als würde er nach
dem Verdunsten eine schaumige Kruste zurücklassen. Er verdrehte die Augen. Seine
Mannschaft würde schon verärgert genug sein, wenn er Grokmunds Angebot ausschlug; er
konnte sich gut vorstellen, dass sich ihre Laune nicht verbessern würde, wenn sie hinterher
noch die Decks schrubben musste.
Zuerst dachte er, es wäre nur seine Einbildung, dieser vage Eindruck einer wallenden
Bewegung, die Brokrins Aufmerksamkeit auf sich zog. Dann, als er seinen Blick auf die
dunklen Wolken konzentrierte, die rings um die kleine Flotte wogten, schoss ihm ein eiskalter
Schauer durch den Körper. Es war keine Einbildung. Da war etwas, irgendetwas in dem
wütenden Sturm. Es erschien ihm lang und schlank, fast wie eine Schlange vom Umriss her
und schien sich auf eine seltsame Art seitwärts fortzubewegen, die es immer wieder in den
Wolken auftauchen und dann wieder verschwinden ließ.
»Olafsson! Schick den Fregatten eine Botschaft!«, brüllte Brokrin, als er zum Vorderkastell
hochstürmte. »Signalisier ihnen, dass da irgendwas in diesem Sturm ist!«
Der Ruf des Kapitäns hatte Arrik und seine Truppe augenblicklich in Alarmbereitschaft
versetzt. Der Harpunier stand an Ghazuls Fluch, seine Augen suchten den Sturm nach den
ersten Zeichen eines Ziels ab. Als altgediente Jäger war sofort in ihren Reihen eine Diskussion
darüber ausgebrochen, auf was sie da immer wieder einen kurzen, vagen Eindruck erhaschten.
»Könnte ein Harkraken sein«, meinte Arrik zu Brokrin, als er zu ihm hintrat. »Manchmal
lauern sie in Sturmwolken wie diesen da, rollen mit ihnen dahin und schnappen sich alles, was
die Böen nicht vom Himmel fegen.«
Brokrin erhaschte ein weiteres Aufblitzen von Bewegung, das luftige Dahinkriechen einer
grotesken Form. Er hatte schon Harkraken gesehen und in seiner Zeit als Maat schon einige
Male ihre Angriffe mit abgewehrt. Was immer das dort auch war, es benahm sich nicht wie
ein Harkraken und es bewegte sich auch nicht so.
Blitze von den Fregatten bestätigten, dass sie Olafssons Signale erhalten hatten. Brokrin
konnte schwach erkennen, wie die Mannschaften ihre Waffen auf den Decks vorbereiteten.
Himmelspiken und Enteräxte waren erkennbar, ein klares Zeichen dafür, dass Arrik nicht der
Einzige war, der an Harkraken dachte. Brokrin warf einen Blick auf seine eigenen Decks, wo
Gotramm und Drumark ihre Truppen bereitmachten. Die Himmelswarte befestigten schwere
Ketten an ihren Gürteln, sodass weniger Gefahr bestand, dass sie vom Schiff weggerissen
würden, sollte sich das Tentakel eines Harkraken um sie wickeln. Da sie größeren Freiraum
brauchten, konnten Horgarrs Endrinisten sich lediglich mit Tauen anleinen, die zwar Schutz
vor starken Böen boten, aber wenig ausrichteten, wenn es um ein hungriges Raubtier ging.
»Olgerd! Bleib, wo du bist, verdammt!« Dieser Ausbruch kam von Mortrimm. Als Brokrin
zum Navigator blickte, zeigte dieser auf die Dron-Duraz. Den Kapitän ergriff das gleiche
Gefühl besorgten Unwillens, als er zusah, wie der Ornithopter sich vom Deck der Fregatte
erhob und auf die Grom-Makar zuflog. Das kleine Fluggerät wurde von den turbulenten
Winden heftig hin und hergeworfen und sackte gefährlich ab, als es sich auf sein Ziel zu
kämpfte.
Dann, als der Ornithopter erneut hochkam, schlug das Ding im Sturm zu. Aus den
brodelnden Wolken rollte sich ein dickes Tentakel aus, schlang sich im binnen eines
Wimpernschlags peitschengleich um den Ornithopter. Das Heulen des Windes überdeckte das
Kreischen sich biegenden Metalls, das Grollen des Donners dämpfte die Schreie der
todgeweihten Duardin. Die schwarze Masse des Tentakels schlang sich enger um den Rumpf
des Fluggeräts, verbog seine Hülle und drückte die Kabine ein. Brokrin konnte das Aufblitzen
der Gaskarabiner sehen, wie sie aus nächster Nähe in die mörderischen Windungen feuerten.
Das Ding zeigte kein Anzeichen einer Verletzung, verstärkte nur seinen Griff und
zerquetschte das Fluggerät. Der Propeller über dem Rumpf löste sich und taumelte auf seinem
Mast davon. Der Rest des Wracks wurde emporgezogen, im Griff des dunklen Tentakels
hinein in den Sturm, bis es sich schließlich hinter den Wolkenschleiern der Sicht entzog.
Die Fregatten eröffneten das Feuer auf das monströse Ding. Kanonen und kleinere
Geschütze schossen aus allen Rohren auf die Bestie, ein zerrissenes Prasseln von Schüssen
und Mündungsblitzen, die jedoch zu spät kamen, um den Ornithopter zu retten und zu wenig
waren, um das entschwundene Fluggerät zu rächen.
Die Duardin auf dem Eisendrachen trugen zum allgemeinen Beschuss bei, zielten mit ihren
Waffen auf die immer wieder aufblitzenden Zeichen von Bewegung, das vage Wogen und
Schlängeln, das man durch den schweren Mantel schwarzer Wolken ausmachen konnte. Ganz
in der Nähe hörte er Arrik, der seine Jäger ermahnte, wachsam zu bleiben, ruhig abzuwarten
und ihre Himmelsharpune nur abzuschießen, wenn sie ein klares Ziel vor Augen hatten. Es
würde nicht ausreichen, einfach nur einen einzelnen Tentakel zu harpunieren. Die Jäger
mussten, wenn sie die Bestie fangen wollten, schon die zentrale Masse treffen, zu der diese
Tentakel gehörten.
Jetzt, da sie mitten im Sturm waren, schossen weitere Tentakel auf die Flotte herab. Zu
Brokrins Entsetzen schien es, als kämen die Tentakel nicht einfach hinter den Wolken hervor,
sondern vielmehr, als bezögen sie ihre Substanz aus ihnen. Schwärzer noch als die Dunkelheit,
die den Himmel erfüllte, zuckten die Tentakel nieder und prasselten auf die Dron-Duraz ein.
Ein gewaltiger Fangarm schlang sich um das Heck der Fregatte, ließ ihr Ruder bersten und
ihren Flug zum Stillstand kommen. Einmal im festen Griff der Bestie, wurde die Fregatte von
einem Wust weiterer Tentakel bedrängt. Besatzungsmitglieder schrien laut auf, als sie auf das
Deck geschmettert oder in die Luft geschleudert wurden. Deckplatten bogen sich und barsten
unter den ungebärdigen Schlägen, sodass Balken und Streben der inneren Struktur des
angegriffenen Schiffs sichtbar wurden.
Weitere Fangarme regneten herab, ungeachtet des wildwütigen Feuers, das die Grom-Makar
und der Eisendrache auf sie einprasseln ließen. Eine dunkle Masse der Vernichtung
überschüttete die Dron-Duraz, drosch vom Bug bis zum Heck auf sie ein, spottete geradezu
ihrer verzweifelten Bemühungen, sich zu befreien. Tentakel ringelten sich über die
geborstenen Platten, wanden sich um die Balken und Querträger darunter. Einige der Balken
barsten, wurden aus ihren Verstrebungen und durch das Deck emporgerissen, bevor sie in den
unheimlichen Wolken verschwanden. Andere hielten der Belastung stand und dienten dem
rasenden Grauen als Anker, auf den es seine Kräfte ausrichten konnte. Brokrin erwartete, dass
ihr monströser Gegner jeden Moment aus dem Sturm hervorbrechen würde, heruntergezogen
vom enormen Gewicht der Fregatte. Arriks Harpuniere machten sich schon für diesen Fall
bereit und brüllten laut ihre Schwüre hervor, ihr Schwesterschiff zu rächen.
Unglaublicherweise aber begannen die Fangarme die Fregatte aufwärts zu ziehen. Sie
krängte zu einer Seite, als die Tentakel sie am Bug ergriffen und herumzogen. Trümmer und
Besatzung, die ihren Halt verlor, stürzten aus dem immer stärker krängenden Schiff herab, als
das gigantische Monstrum seine peitschengleichen Fangarme einholte und das Schiff in
scharfem Winkel aufwärts zog.
»Da, direkt da drüber, wo es die Dron-Duraz gepackt hat!«, schrie Arrik und stachelte seine
Harpuniere zum Angriff. Ghazuls Fluch grollte auf wie ein wütender Hund, als er seine
obsidianbestückte Harpune auf sein Opfer schleuderte. Die schwere Kette entrollte sich hinter
dem davonstürzenden Speer, Glied um Glied spulte sie sich von dem Panzerschiff fort.
Brokrin stöhnte enttäuscht auf, als die Himmelsharpune lediglich durch dunkle Wolken
schnitt, die sich über der Dron-Duraz ballten. Da war keine monströse Masse, die hinter der
Schwärze hing und die man mit einer Lanze durchbohren, auf ihrer mit Widerhaken
versehenen Spitze aufspießen und mit der dahinter sich entrollenden Kette einfangen konnte.
Die Himmelsharpune flog einfach immer nur weiter, folgte ihrer Bahn durch den Sturm, bis
ihre Wucht sich verbrauchte und sie schließlich wieder abwärts fiel. Arrik fluchte aus voller
Brust und sprang seiner Truppe bei, die bereits hastig die Winde in Gang setzte, um die Kette
wieder einzuziehen und mit ihr die an ihrem Ende befestigte Harpune.
Brokrin überließ die Kanoniere ihrer Arbeit. Er wandte sich von der Reling ab und eilte auf
den Steuerstand zu, um Vorki abzulösen. Er brüllte durch das Sprachrohr Befehle zu den
Äther-Maschinisten im Maschinenraum hinab und bellte den Endrinisten Anweisungen zu. Er
wollte das letzte Quäntchen an Geschwindigkeit aus dem Eisendrachen herausholen, während
er sie wenden und in Richtung der angegriffenen Fregatte davonschießen ließ.
Eine Rettung, nicht eine Rachemission, das war es, was Brokrin wollte, als er das
Panzerschiff herummanövrierte. Kjnell und seine verbliebene Mannschaft lagen in erbittertem
Gefecht mit den sie attackierenden Fangarmen, hackten wild mit jeder erreichbaren Waffe auf
den schwarzen Knäuel aus Tentakeln ein. Salven aus den auf dem Rumpf der Grom-Makar
angebrachten Ätherkarabinern gruben sich einen Pfad durch die wabernde Flut. Brokrin sah,
wie einer der Tentakel vom Sperrfeuer zerrissen wurde und ein Stück seiner bebenden Masse
auf das Deck seiner Beute herabkrachte. Ohne Verbindung zu seiner Hauptmasse erhob sich
der abgetrennte Tentakel aus eigener Kraft auf eine widerwärtige, beharrliche Weise. Wie eine
riesige Python brach das schwarze Grauen über Kjnells Mannschaft herein, wütete unter
ihnen, zermalmte und zerquetschte in ihrer schlangenhaften Raserei, was ihr in den Weg kam.
Ein schweres, ächzendes Beben ging durch die Dron-Duraz und kündigte das traurige Ende
der Fregatte an. Ihr Rückgrat war von den mörderischen Tentakeln gebrochen worden, ihr
Kiel selbst bis zur Unkenntlichkeit verdreht. Da ihr Zusammenhalt zerstört war, begann sie
nun schnell auseinanderzubrechen und ließ einen makabren Regen von Trümmer und
schreienden Duardin hinter sich zurück. Weitere Tentakel glitten aus den Wolken herab,
griffen nach den stürzenden Trümmern, packten Stahl und Holz mit der gleichen Boshaftigkeit
wie Fleisch und Knochen. Einige der Fangarme spalteten sich in einzelne Verästelungen auf,
als sie das Wrack umschlangen und wanden sich um verschiedene Ziele und Opfer.
Noch während die Tentakel die letzten Überreste der Dron-Duraz auseinanderrissen, stießen
noch mehr von ihnen herab, um die Grom-Makar zu attackieren. Warnrufe erhoben sich aus
Brokrins Mannschaft, als einige der schwarzen Fangarme auch nach dem Eisendrachen
griffen. Unbegreiflich in seiner Ausdehnung, von einer obszön wildwütigen Gier besessen,
schien sich der wolkenverhüllte Albtraum nicht damit zufriedengeben zu wollen, sich ein
einziges Opfer zu holen, sondern zog nun auch gegen den Rest der Flotte in die Schlacht.
»Es ist in den Wolken!«, hörte Brokrin Vorki schreien, als sein erster Maat seine Pistole in
die gewaltige Masse aus Tentakeln über ihnen leerschoss. Er wandte seinen Blick aufwärts
und sah, wie die Schüsse in die wimmelnde Masse einschlugen und einen Regen stinkenden
Sekrets durch die Luft spritzen ließen. Er sah dabei aber auch, wie hilflos eine solch schwache
Attacke gegen diesen titanischen Feind doch war. Innerhalb eines Augenblicks schlossen sich
die Einschusslöcher von selbst wieder, erstickten die Blutung und ließen das Glied genauso
intakt und machtvoll wie vorher zurück. Schwarzer Nebel umwaberte die Wunde, drang darin
ein und stärkte die Substanz des Fangarms an dieser Stelle.
Gab ihm Gestalt!
Der vage Eindruck, den Brokrin zuvor gehabt und den er als unmöglich verworfen hatte,
erwies sich nun als schreckliche Realität. Kein Wunder, dass Arriks Harpuniere nicht in der
Lage gewesen waren, die Hauptmasse dieses Dings zu treffen. Denn da war nichts, was man
treffen konnte. Dieses Monstrum lauerte nicht in den Wolken, so wie es die Harkraken zu tun
pflegten. Es war die Wolken, es war der Sturm selbst! Die Tentakel waren lediglich eine
Manifestation seines elementaren Zorns, die sich aus Nebel und Dunst formten und die
Festigkeit mächtiger Gliedmaßen erlangten. So, wie Äthergold aus Himmelsadern gewonnen
wurde, verdichtete das Monster sich aus dem wütenden Sturm, konzentrierte mehr und mehr
seines Wesens zu mordwütig festem Stoff.
»Lasst keinen Enterer an Bord!«, rief Gotramm seinen Arkanauten zu, als das wimmelnde
Chaos aus Tentakeln und Fangarmen nach dem Panzerschiff ausschlug. Es schien angesichts
einer solchen Situation und zu diesem Zeitpunkt ein geradezu absurder Befehl zu sein, aber
ihre Vertrautheit mit dieser Order brachte die Soldfahrer dazu, unverzüglich zu reagieren.
Sofort griffen die Routinen und in Trainingsgängen und endlosem Drill eingeübten Muster
und sie gingen mit Pike und Axt zu Werke. Drumarks Schützen schickten zu ihrer
Unterstützung einen Geschosshagel empor, ließen einen Strom stetigen Beschusses auf die
zappelnden Glieder einprasseln.
»Noch mal! Feuer!«, befahl Arrik seiner Truppe. Ghazuls Fluch schleuderte seine scharfe
Lanze auf tödlicher Bahn empor. Diesmal versuchten die Kanoniere nicht, auf eine
unsichtbare Masse in den Wolken zu zielen, sondern nahmen stattdessen eine Stelle ins Visier,
wo eine wirre Masse von Tentakel aus dem Sturm hervorquoll. Die mit Runen versehene
Spitze pflügte durch die Wurzeln der Tentakel, trennten etwa ein Dutzend der widerwärtigen
Glieder ab und ließ sie in die Tiefe stürzen. Der gesamte Sturm schien vor wütender Erregung
zu kochen und zu brodeln.
Im gleichen Augenblick, da die Kharadron schließlich imstande schienen, dem
Sturmalbtraum endlich einen entscheidenden Schaden zuzufügen, forderte die Bestie auch
ihrerseits einen schweren Tribut. Ein Wald aus Schlingarmen umstrickte die Grom-Makar,
schlang sich in wimmelnder Masse um ihre Hülle. Die auf dem Vorderkastell angebrachte
Kanone grollte in zornigem Trotz auf und riss einen der Schlingarme in einer Flut von
Körpersäften weg, doch selbst solch geballte Macht reichte nicht aus, um den Griff des Dings
zu brechen. Rasch und mit beinah unglaublicher Wildheit schlossen sich die
schlingpflanzengleichen Fangarme um ihr Opfer. Schreie und Geschützdonner erfüllten die
Luft, als die Besatzung versuchte, ihre Fregatte zu retten, doch es genügte nicht, um der
zermalmenden Umarmung des Monstrums zu entkommen. Knirschend und ächzend wurde die
Grom-Makar im schlangengleichen Griff ihres Feindes zu Trümmern zerdrückt.
Der Eisendrache kämpfte weiter. Doch nun kämpfte er alleine.

»Verflucht sei deine dreckige Haut!«, brüllte Gotramm in einem Ausbruch des Zorns und trieb
mit einem gewaltigen Hieb das Blatt seiner Axt über einen nach ihm tastenden Fangarm.
Schmieriges Sekret, so ekelhaft und faulig wie der stinkende Regen, spritzte ihm über das
Gesicht, als er seine Axt wieder und wieder niedergehen ließ. Er hob seinen Kopf und rief
seinen Arkanauten zu: »Zwei Schiffe hat sich das Monster geholt! Ein drittes wird es nicht
kriegen! Nicht, solange ich noch kämpfen kann!«
Gotramms Schrei stachelte seine Arkanauten an, sich wild und mit voller Kraft in den
Angriff zu werfen. Die Soldfahrer kämpften im Zentrum eines triefenden, wimmelnden
Morasts dunkler Schlingarme. Aus der Entfernung waren die Tentakel glatt und gleichförmig
erschienen, doch aus der Nähe trat ihre Scheußlichkeit noch stärker hervor. Mäuler klafften
entlang ihres Verlaufs auf und schnappten wieder zu, ihre Flanken starrten von zappelnden,
bebenden Fühlern. Fleckige Kugeln saßen auf gummiartigen Augenstängeln und musterten die
Duardin mit monströsem Blick. Weniger klar definierte Strukturen sprossen aus dem
schwarzen Fleisch hervor und ließen an hervorstehende Knochen und verknöcherte
Geschwulste denken, die aus dem Fleisch hervorplatzen wollten. Adern brodelten an die
Oberfläche und pulsierten durch das sirupartige Sekret, von dem sie durchflossen wurden.
Dicke Stränge von Sehnen und Muskeln kräuselten sich unter einer obszönen Kraft, welche
die Fühler in peitschenden Bewegungen über das Deck trieb.
Dies war also das abscheuliche Grauen, das sich den Eisendrachen zum Opfer nehmen
wollte! Oft schon hatte Gotramm sich gefragt, wie dieses verfluchte Schiff am Ende
untergehen mochte. Er hatte sich immer vorgestellt, das Ghazuls Klauen ihm das Ende
bringen würden. Entweder das oder eine Abrissbirne, wenn Brokrins frustrierte Geldgeber sie
schließlich als Schrott verkaufen würden. Niemals hätte er sich solch ein bizarres Finale
vorgestellt – auseinandergerissen von einem lebenden Sturm. Dunkel fragte er sich, ob seine
geliebte Helga jemals die Kunde von seinem Tod erreichen würde, wie lange sie wohl um ihn
trauern würde, bis für sie schließlich das Leben weiterginge. Würde sie überhaupt erfahren,
warum er niemals zurückgekommen war, oder würde sie denken, er hätte sein Glück
anderswo gemacht?
Ein Bündel Fühler schlug nach Gotramm aus, streifte über seinen Helm und griff ihm ins
Gesicht. Der Soldfahrer heulte vor Wut auf und hackte nach dem Tentakel, der die Fühler
trug. Abgetrennte Fühler und ein Augenstängel fielen auf das Deck und wanden sich in ihrem
eigenen Blut. Gotramm stieß seine schweren Stiefel nieder, stampfte auf diesem
missgestalteten Leben herum, das versuchte, sich zappelnd davon zu schlängeln. Überall auf
dem Deck wiederholte sich diese Szene; Arkanauten und Besatzung hackten wild nach den
Tentakeln und versuchten dann, die abgetrennten Gliedern totzutrampeln, bevor sie sich
davonwinden konnten.
»Salve bereit machen! Feuer!« Drumarks Schrei hallte über den Lärm der Schlacht hinweg,
wurde dann vom Donner seiner Schützen verschlungen. Die Grundstok-Donnerschützen
zerfetzten mit ihren Kugeln die tauähnlichen Schlingarme, ließen sie in einem Regen aus
schleimigem Blut und zermalmtem Fleisch auseinanderplatzen.
Weitere Tentakel wimmelten aus dem Sturm herab, tasteten und scharrten über die Endrin,
wanden sich um den Bug und um das Heck. Trotz der Bluternte, die unter seinen Gliedern
eingefahren wurde, trotz all der Ausweichmanöver, die Brokrin vollführte, schien das
gigantische Monstrum immer noch entschlossen, den Eisendrachen zu verschlingen.
Dann erblickte Gotramm plötzlich Horgarr, der auf Ghazuls Fluch zueilte. Der
Endrinmeister trug ein kleines kastenähnliches Objekt fest gegen die Brust gedrückt. Er sagte
etwas zu Arrik und im nächsten Moment banden zwei Duardin das Ding an die aus Obsidian
gefertigte Spitze der Harpune.
Als diesmal die Lanze hoch in das Sturmmonstrum geschleudert wurde, beschrieb sie eine
träge, fast schon lethargische Bahn. Arriks Jäger hatten die Ladung, die den Speer aus ihrem
Lauf herausschleuderte, reduziert und ihre Geschwindigkeit noch weiter verringert, indem sie
Veränderungen an der Kette, die diese mit dem Schiff verband, vorgenommen hatten. Sie
versuchten, das Monster zu ködern, es zu reizen, sich dieses doch so langsam bewegende
Häppchen zu schnappen. Gotramm konnte ihre Strategie zwar nachvollziehen aber sich nicht
vorstellen, was sie damit bezwecken wollten.
Er erhielt seine Antwort, als die schwarzen Tentakel sich um die Harpune wanden und sie in
ihrem zermalmenden Griff hielten. Eine beinah apokalyptische Explosion zerriss die Luft, und
ihr Aufbrüllen löschte gänzlich das Grollen des Sturms aus. Gotramm musste an die heftige
Detonation denken, welche die Kapitänskajüte erschüttert hatte. Dies hier glich jenem Lärm,
nur war es tausendfach verstärkt. Der Eisendrache wurde durch die Explosion von einer Seite
auf die andere geschleudert und Endrinisten sowie Himmelswarte wirbelten wild an ihren
Vertäuungen umher, während das Schiff um sein Gleichgewicht kämpfte.
Der gigantischen Explosion folgte nur Stille. Gotramm konnte erkennen, dass die
Detonation mehr bewirkt hatte, als die Tentakel zu vernichten, welche die Himmelsharpune
umschlungen hatten. Der Sturm selbst hatte eine schwere Narbe davongetragen. Ein riesiger
Schwaden war ausgelöscht worden, sodass man dort auf den offenen Himmel blicken konnte.
Der Rest des Sturms bestand nur noch aus zerrissenen, versprengten Fetzen; er war von der
Macht des Angriffs der Duardin gespalten worden. Wo blauer Himmel durchschien, machte es
den Eindruck, als würden sich die schwarzen Wolken verärgert winden. Einen Augenblick
wollten sie sich erneut zusammenziehen, sich auf dieselbe Art ballen, wie sie auch ihre
Tentakel ausgeformt hatten. Dann, mit leisem Erzittern, schien das, was den Sturm belebt
hatte, sich zu besinnen und sich zu beugen. Die schwarzen Wolken zerstreuten sich.
Jubel erklang überall an Bord des Eisendrachen, als die Fangarme dem Muster der Wolken
folgten, die sei hervorgebracht hatten. Die Tentakel wurden starr, jede Bewegung verebbte,
während sie sich allmählich auflösten. Festigkeit wurde zu einem rauchigen, nebelhaften
Stoff. Dann war da nichts mehr als nur ein übler Dunst, ein widerlicher Pesthauch, der von
den warmen Sonnenstrahlen weggebrannt wurde.
Einen Moment lang feierten die Duardin ihren Sieg über das Monstrum. Dann wurde ihre
Stimmung düster. Sie blickten zurück und sahen ihre gefallenen Gefährten. Jedes Haupt neigte
sich in stummem Respekt vor den Kameraden, die sie auf den zerstörten Fregatten verloren
hatten.
Gotramm ballte seine Hände zu Fäusten. »Euer Opfer soll nicht umsonst gewesen sein«,
schwor er und ließ seine Hand bei diesem Eid die Länge seines Bartes herabgleiten. Ein Eid
an die Toten.
KAPITEL ACHT

Von niemandem gesehen, von niemandem gehört, kroch der schlanke Finger aus Dunkelheit
von Schatten zu Schatten, huschte durch Frachträume und Korridore des Panzerschiffs, kroch
unter Türen hindurch und durchstreifte Kajüten. Seine Sinne waren begrenzt, doch sein
Bewusstsein war ausgeprägt und weitaus schärfer und klarer, als es als Teil eines kolossalen
Ganzen gewesen war. Eine Intelligenz, die größer als er selbst war, durchfloss ihn und gab
ihm Ziel und Motivation. Er stahl sich von Schatten zu Schatten, verharrte immer dann, wenn
ein Mannschaftsmitglied des Panzerschiffs vorbeikam. Er nutzte seinen biegsamen, schon fast
formlosen Körper, um sich durch die engsten Ritzen zu zwängen. Sein schlangenhaftes Wesen
wand sich um Balken, kletterte an ihnen mit raschen, schlangenhaften Bewegungen empor
und auf ihnen entlang, warf seine feinen Windungen aus, um neuen Halt zu erlangen, bevor es
den Rest seiner Masse hinter sich herzog. Ein rundes Auge schwankte stets am Ende einer
klumpigen, hornähnlichen Ausstülpung über seiner schlangenähnlichen Gestalt auf und ab.
Der abgetrennte Augenstängel der Sturmbestie hatte sich nicht mit den anderen Teilen
aufgelöst, die von der Gesamtmasse des Monstrums abgetrennt worden waren. Ein
machtvoller Zauber hielt es aufrecht, verlieh ihm Lebenskraft, sodass es weiterhin seinen
Dienst versehen konnte. Alles, was der Überrest sah, wurde als Wahrnehmung zu seinem
Herrn zurückgeleitet, gelangte in den Geist des Hexers, als hätte er es mit eigenen Augen
gesehen. Der gleiche Geist speiste auch dem Überbleibsel seinen Willen ein, zwang ihm
Befehle auf, denen dieser Überrest des großen Ganzen selbst dann nicht hätte widerstehen
können, wenn es eines solchen Gedankens fähig gewesen wäre.
Der scheußliche Spion fuhr mit seiner stummen Untersuchung des Eisendrachen fort, bis er
schließlich zur Kapitänskajüte kam. Als das fleckige Auge von einem Deckenbalken
herabblickte, sah es zwei Duardin im Disput miteinander. Der Ganglienknoten, der seine
Muskeln kontrollierte schenkte den bärtigen Gestalten keine große Aufmerksamkeit. Selbst
die schwache Erinnerung, dass es solche Wesen gewesen waren, die es in der vorherigen
Schlacht angegriffen und von einem größeren Tentakel abgehackt hatten, war schon für das
Überbleibsel nicht aufrechtzuerhalten. Es war allein der es leitende Hexer, der ihm diese
Informationen eingab, zu größerer Vorsicht anhielt und es sich in den Schatten
zusammenschlängeln ließ.
Es war Khoram, der die Aufmerksamkeit des Überbleibsels auf die beiden Duardin
hinlenkte, Khoram, der einen davon als den Kapitän des Panzerschiffs identifizierte. Und es
war auch Khoram, der das Auge des Überrests benutzte, um, während sie miteinander
diskutierten, scharf die Lippen des Kapitäns und des anderen Duardin zu beobachten. Für
jemanden, der die Sprachen von Dämonen gemeistert hatte, barg keine sterbliche Sprache ein
Geheimnis, das er nicht entschlüsseln konnte.

Skaggi ging in der Kajüte hin und her und seine Finger gruben sich mit anwachsender
Verärgerung immer stärker in seinen Bart. In seinen Augen glitzerte eine Art mürrische
Bosheit, hässlich und anmaßend. Er deutet mit zitterndem Finger auf Brokrin, fuhr den
Kapitän an, als sei dieser ein bloßer Kadett daheim auf der Akademie.
»Wie kannst du nur ignorieren, wie die Situation sich in geradezu monströsem Maße
verändert hat?«, herrschte Skaggi ihn an. »Vorher wäre es reiner Pragmatismus gewesen, aus
Grokmunds Angebot einen Vorteil zu ziehen. Jetzt ist es lebensnotwendig! Der Verlust der
Fregatten, das Wergeld, das die Familien ihrer Besatzungen verlangen können, das sind
Kosten, die die Karriere eines jeden Offiziers auf diesem Schiff ruinieren werden! Das sind
Schulden, die bis in die dritte Generation weitergereicht werden, angenommen wir können
einen günstigen Zinssatz aushandeln. Unsere Geldgeber werden schwerste Verluste
davontragen und das alles könnte genau das letzte Argument sein, damit die Finanzgilden
endlich auch das ganze Gewäsch von einem Fluch ernst nehmen, das auf den Docks umgeht,
der über dir und dem Schiff hängen soll.« Er zwirbelte heftig und erbittert an seinem Bart,
sodass einige der Haare in seiner Hand zurückblieben. »Es geht nicht länger um eine
Entscheidung«, erklärte er. »Wir müssen Grokmunds Angebot annehmen. Die Äthergoldader,
die er entdeckt hat, ist die letzte Chance, die wir noch haben, aus diesem Debakel mit etwas
anderem als Schulden herauszukommen, die einen Ogor schier erdrosseln würden.«
»Das sagtest du bereits«, erwiderte Brokrin mit einer Stimme fest und hart wie ein Berg.
Wer den Kapitän gut kannte, wusste auch, dass wenn seine Stimme so steinern klang, sein
Temperament beinahe überkochte. »Und du hast deinen Standpunkt sehr klar dargelegt. Es
besteht keinerlei Notwendigkeit, das wieder und wieder zu tun.«
»Doch, die besteht sehr wohl«, entgegnete Skaggi. Er kannte Brokrins Stimmungen, doch
sein eigener Grimm war inzwischen zu weit angeschwollen, um nun nachzulassen. »Man
muss es dir wieder und wieder klarmachen, bis endlich ein Fünkchen Einsicht den Weg in
deinen dicken, harten Schädel findet. Es geht nicht mehr um eine Entscheidung. Wir müssen
das tun. Es ist lebensnotwendig. Die einzige Chance, die wir noch haben, aus –«
Brokrin schnitt ihm mit einer scharfen Handbewegung das Wort ab. »Die einzige Chance,
dieses Schiff in alle Winde Chamons zu sprengen!« Er schüttelte die Faust in Richtung des
schwarzen Kraters, der seinen Tisch verunzierte. »Hast du vergessen, was nur eine Winzigkeit
von Grokmunds Schatz angerichtet hat?«
Skaggi funkelte Brokrin düster an. »Und hast du vergessen, dass Horgarr den letztem Rest
der Probe aufgebraucht hat, als er damit dieses …«, er machte eine hilflose Geste mit der
Hand, »was immer dieses Ding auch war, bekämpft hat?«
»Wäre es vielleicht besser gewesen, wenn es dieses ganze Schiff entzweigerissen hätte,
genauso wie die Fregatten?«, schrie Brokrin zurück.
»Mach dich nicht lächerlich«, entgegnete Skaggi. »Wir hatten Glück, dass Horgarr den
Verstand besaß, es richtig einzusetzen. Aber es wäre klug von ihm gewesen, wenn er
zumindest einen kleinen Splitter davon übrig gelassen hätte. Selbst wenn wir uns jetzt
überlegen sollten, zurück nach Barak-Zilfin zu fliegen, um jemanden für diesen Fund zu
interessieren, gibt es nicht mal mehr einen Beweis dafür. Keinerlei Sicherheit, die wir den
Geldgebern zur Verfügung stellen könnten. Alles, was wir haben, sind Grokmunds
Geschichten und unsere eigenen Behauptungen.« Seine Augen verengten sich, und er
schwenkte den Zeigefinger in Brokrins Richtung. »Die Behauptungen einer vollkommen
abgebrannten Mannschaft, wie ich hinzufügen möchte. Bei Investitionen geht es vor allem um
das Auftreten; daran hängt es, ob irgendwas Bestand hat und überzeugen kann oder nicht. Was
meinst du, wie überzeugend sehen wir wohl aus, wenn wir mit leeren Frachträumen, ohne
Flotte und einer stattlichen Schuld gegenüber wilden Menschlingen in den Hafen
zurückkehren?«
»Wir sind nicht dafür ausgerüstet, um Grokmunds Fund zu transportieren«, versuchte
Brokrin es aufs Neue zu erklären. »Als gasförmiges Erz wird es noch gefährlicher sein als der
winzige Barren, den Horgarr daraus destilliert hat.«
»Es gibt keinen Gewinn ohne Risiko«, meinte Skaggi. Er hob die Augenbraue und schenkte
Brokrin einen argwöhnischen Blick. »Hast du Angst, das Schiff zu verlieren? Bei des
Schwarzen knochigem Bart, das werden sie dir sowieso wegnehmen! Was für einen
Unterschied macht es da, ob sie beim Versuch in die Luft fliegt, einen Schatz von
unschätzbarem Wert nach Barak-Zilfin heimzubringen oder ob es von einem Schrotthändler
auseinandergenommen wird, um deine Schulden zu bezahlen? Schulden, die bei Weitem das
übersteigen, was du für den Kahn an Schrottwert bekommst, wie ich hinzufügen möchte.«
»Du scheinst zu vergessen, dass, wir alle dabei draufgehen, falls der Eisendrache beim
Transport des Äthergolds in die Luft fliegt.« Brokrin legte seine Hand auf die Wand,
streichelte sie, fast als würde es sich um ein lebendiges Wesen handeln. »Wenn wir sie an
einen Schrottplatz verlieren, dann geht sie da alleine hin.«
»Sie wird dich mit sich nehmen«, warnte Skaggi. »Dein Ruf wird dann ruiniert sein.
Weniger wert als Schrott. Niemand wird dir jemals wieder trauen.« Skaggi runzelte die Stirn,
als er sah, dass seine Worte keine Wirkung hatten. »Die Zukunft eines jeden steht auf dem
Spiel, Käpt’n. Wie die Dinge liegen, solltest du die Frage zur Abstimmung stellen.«
Brokrin blitzte den Logistikator zornig an. »Es ist immer noch mein Schiff und ich bin noch
immer sein Kapitän. Es wird keinerlei Abstimmung geben. Und es wird auch keine weiteren
Diskussionen in dieser Sache geben.«
Skaggi wandte sich um und verließ die Kajüte. Seine letzten Worte wurden mit einem
wütenden Zischen hervorgestoßen, zu leise, als dass Brokrin sie hören konnte. »Dann werden
wir das auch nicht mehr diskutieren.«

Unter emsigem Einsatz von Nadel und Faden besserte Gotramm die Risse in seinem
Untergewand aus, flickte die Löcher und Schnitte, die durch den Angriff der Tentakel des
Himmelsschreckens entstanden waren. Er hatte Glück gehabt, dass keiner der ausschlagenden
Fangarme einen schwerwiegenderen Treffer hatte landen können. Thuriks Schulterplatte wies
eine Delle auf, die die Rüstung beinahe geradewegs durch die Schulter des Arkanauten
getrieben hatte. Ein anderer seiner Soldfahrer hatte ein gebrochenes Bein davongetragen, als
ein abgetrennter Tentakel in seinen Todeszuckungen gegen ihn gepeitscht war.
»Was du mir da verkaufen willst, nehme ich dir nicht ab«, erklärte Gotramm und machte
sich nicht einmal die Mühe, von seiner Arbeit aufzublicken.
Solange die Frachträume leer waren, standen diese Bereiche der Mannschaft des
Eisendrachen als Quartiere zur Verfügung. Wenn sich die Frachträume allmählich mit Waren
füllten, würden sie in immer stärker vollgepackte Abteile verlegt werden. Es war nicht einmal
unüblich, dass auf einer besonders ertragreichen Fahrt, die Mannschaft auf den Decks schlafen
musste oder in Hängematten, die man über die Seite des Rumpfes herabhängen ließ. Gotramm
hatte schon Geschichten über die Goldadler gehört, in denen das Schiff nach dem Vaterberg-
Fund so mit Äthergold überladen gewesen war, dass man die Schiffsküche auf eine schnell
zusammengezimmerte Plattform auf dem Vorderkastell verlegt hatte.
Der Laderaum, in dem sich Gotramms Arkanauten einquartiert hatten, war der größte und
mittschiffs genau unter der gewaltigen Endrin und ihren mächtigen Äthermotoren gelegen.
Die Größe erlaubte es den Soldfahrern, hier auch die Äther-Endrinen der Himmelswarte
unterzubringen, was ihnen einen schnelleren Zugang als durch die Rüstkammer des Schiffes
bot. Es war aber nicht dieser Faktor gewesen, der den Mittschiffs-Frachtraum zur Unterkunft
seiner Wahl gemacht hatte, sondern eher die größere Festigkeit dieses Teils des Rumpfes. Hier
waren die Balken verstärkt, damit sie besser die Last der Endrin tragen konnten, was dies zum
zähesten und widerstandsfähigsten Teil des Schiffes machte. Wenn der Eisendrache vom
Himmel geholt wurde, war dieser Bereich derjenige, der wohl am ehesten den Sturz
überstehen würde. Er erinnerte sich daran, dass es auch die Mitte der Sturmbrecher gewesen
war, wo Grokmund in zwar üblem Zustand, aber immerhin lebendig gefunden worden war.
Selbst am frühesten Punkt ihrer Fahrt, als sie gerade erst im Aufbruch begriffen waren, hatte
Gotramm bereits Vorbehalte gehabt. All das Gerede über Ghazuls Fluch und den
Unglücksbann, der angeblich über Brokrin schweben sollte, hatten seinen Entschluss lediglich
noch bestärkt, wenn auch nur unterbewusst. Er hatte nicht nur auf eine mögliche Katastrophe
vorbereitet sein wollen. Ein Teil von ihm hatte sie sogar erwartet. Trotz seiner zur Schau
gestellten Unbekümmertheit und Gleichgültigkeit war dieser Teil von ihm dennoch sehr daran
interessiert, was Skaggi zu sagen hatte.
Der Logistikator lehnte gegen einen der Balken und sein Fuß trat müßig nach einer leeren
Hängematte, setzte sie langsam in Bewegung, hin und zurück. »Wenn du einen Preis zahlen
wirst, dann dafür, dass du mir nicht zugehört hast«, sagte Skaggi. »Es sind nicht meine Finger,
die in deiner Börse graben und deinen Anteil auf null verringern. Ich bin derjenige, der
lediglich versucht, zu helfen.«
»Der Einzige, dem du helfen willst, bist du selbst«, knurrte Thurik. Er zog die Scheibe
Fleisch ab, die der sich gegen seine verletzte Schulter gedrückt hatte und verzog beim Anblick
der lilafarbenen Verfärbung seiner Haut das Gesicht. Außer dem Duardin mit dem
gebrochenen Bein war Thurik der Einzige mit Gotramm im Frachtraum verbliebene
Arkanaut – die einer privaten Besprechung am nächsten kommende Situation, auf die sich der
Soldfahrer einlassen wollte.
Skaggi warf Thurik einen vernichtenden Blick zu. »Selbst, wenn dem so wäre«, sagte er in
scharfem Ton, »würde ich, indem ich mir helfe, auch allen anderen helfen.« Er schwenkte den
Finger in die allgemeine Richtung der Offizierskajüten. »Auch Kapitän Brokrin, wenn er nur
seine Augen öffnen würde.«
»Ich mag dich nicht besonders«, sagte Gotramm und legte endlich seine Näharbeit beiseite.
»Da ist so was Verschlagenes an dir, Skaggi. Du gehst leichtfertig mit deiner Ehre und deinem
Wort um. Wenn jemand in der Halle deiner Ahnen nachgraben würde, dann wäre ich nicht
überrascht, wenn sie dort, bevor sie durch sind, auch ein paar Grobi finden würden.«
Diese Beleidigung entlockte dem Arkanauten mit dem gebrochenen Bein ein geschocktes
Keuchen. Thuriks Augen weiteten sich beunruhigt und seine Hand fuhr zum Messer, das in
seinem Stiefel steckte. Beide erwarteten, dass Skaggi sich auf Gotramm stürzen würde, um die
Beleidigung seiner Ahnen entweder mit Faust oder Klinge zu ahnden. Gotramm jedoch blieb
entspannt. Er erwartete nicht, dass Skaggi auf seinen Köder ansprang. Der Logistikator
gehörte nicht zu dieser Sorte Duardin.
Was Skaggi aber tat, war, dass er aufhörte, nach der Hängematte zu treten. Er drückte sich
von der Wand ab und warf Gotramm einen beleidigten Blick zu. »Wie schnell wir doch bereit
sind, mit Dreck nach einem Logistikator zu werfen. Wir nennen sie ehrlos und Eidbrecher,
Schwindler und Dieb, Spitzbuben und Ganoven. Keine Beleidigung ist zu gemein für sie.
Parasiten sind sie, die jedem Unternehmen das Blut aussaugen, sich satt fressen am Schweiß
und Heldenmut, der Entschlossenheit aufrechter Duardin. Sie sind nicht besser als Grobi mit
Bart, Aasgeier, die sich die Bäuche mit allem vollstopfen, was sie nur ergattern können. Sie
lügen, sie betrügen, und sie stehlen.« Er wandte sich um und funkelte Thurik finster an. »Sie
sind nur um des eigenen Profits willen dabei. Darum versuchen sie auch ständig, die besten
Geschäfte und Verträge herauszuschinden, darum wollen sie immer das ideale Gleichgewicht
zwischen Ausgaben und Gewinnen ermitteln. Natürlich können sie keinerlei Ehrgefühl
empfinden, keinen Sinn für Pflicht und Verpflichtungen haben, wenn sie versuchen die
Anteile der Duardin zu erhöhen, mit denen sie reisen. Jene, die zu ehrbar sind, sich dazu
herabzulassen, einen Logistikator ›Kamerad‹ zu nennen. Nein, alles was wir tun, ist Nehmen,
verschwenden nie einen Gedanken daran, wie wir unserem Klan oder unserer Himmelsfeste
helfen können. Alles, worum es uns geht, ist, ein paar mehr Münzen für unseren Anteil zu
erschwindeln.«
Skaggi wandte sich wieder Gotramm zu. »Wenn du mir zuhörst, dann ist es mir verdammt
noch mal egal, wie du mich nennst oder was du von mir hältst. Glaub mir nur das eine – wenn
wir nichts tun, dann werden wir alle zu gleichen Anteilen Teilhaber einer Katastrophe.«
Gotramm fühlte die Wirkung von Skaggis Ansprache, nicht so sehr, dass ihm der
Logistikator dadurch sympathischer geworden wäre, allerdings doch genug, dass er gewillt
war, ihm weiter zuzuhören. Er nickte langsam. »Ich traue dir nicht«, erklärte er, ließ die Worte
betonen, was er für Skaggi empfand, damit es darüber keine Illusionen zwischen ihnen gab.
»Ich würde lieber neben einem luftkranken Ogor sitzen, als dass ich mit dir einen Krug Bier
teilen wollte. Aber sag, was du zu sagen hast und ich werde dir zuhören. Wenn ich dir unrecht
getan habe, dann schulde ich dir zumindest das.«
»Dann hör zu«, sagte Skaggi. Er warf den anderen Arkanauten einen Seitenblick zu. »Und
ihr spitzt ebenfalls die Ohren, denn ich werde das nur einmal sagen. Es ist kein Geheimnis,
dass diese Fahrt immer mehr zu einer Katastrophe geraten ist. Dies ist auch gar keine Frage
von Schuld, sondern schlicht ein Ausdruck der Tatsachen. Mit dem Verlust der Fregatten und
ihrer Besatzungen kann nur ein Fund von unglaublichem Umfang diese Expedition noch
retten. Und diese Möglichkeit hat sich uns dargeboten. Das Äthergold, das Grokmund
gefunden hat, ist derart wertvoll, dass es uns aus diesem ganzen Debakel herausholen kann.
Wir können unseren Verpflichtungen gegen jedermann nachkommen und immer noch genug
Profit dabei machen, dass wir alle mit stolz erhobenen Köpfen daraus hervorgehen können.«
»Kapitän Brokrin sieht das anders«, widersprach Gotramm. »Er sagt, das Äthergold ist zu
flüchtig, um es mit dem Eisendrachen zu transportieren. Es würde einen speziell ausgerüsteten
Tanker brauchen, um damit –«
Skaggi schnitt ihm das Wort ab. »Und wo sollen wir so ein Schiff finden? Zuhause in
Barak-Zilfin? Und wenn wir wieder den Hafen anlaufen, welche Garantie haben wir, dass
Grokmund weiterhin mit uns zusammenarbeiten wird? Es gibt im Kodex der Kharadron so
viele Schlupflöcher, die er nutzen kann, um einer solchen Schuld wie der seinen gegenüber
dem Eisendrachen zu entrinnen. Ein wenig Schläue von seiner Seite und wir wären aus der
ganzen Sache ausgeschlossen. Wir ständen mit all unseren Unkosten da, ohne irgendeinen
Anspruch auf den Gewinn zu haben.
Derzeit ist Grokmund gezwungen, mit uns gemeinsame Sache zu machen. Wir sind die
einzige Chance, die er hat«, erklärte Skaggi. »Er hat eine Heidenangst, dass der Fund verloren
geht, wenn er nicht schnell abgeerntet wird. Derzeit ist ihm der Ruhm wichtiger als
Reichtümer, dass seine Name als der des Entdeckers dieses neuen Erzes in die Geschichte
eingeht. Gebt ihm etwas Zeit, darüber nachzudenken, ganz besonders, wenn ihm dabei besser
ausgerüstete Schiffe zur Verfügung stehen und er könnte vielleicht die Dinge etwas klarer und
nüchterner sehen. Umso mehr Grund für ihn, mit jemand anderem zu verhandeln, statt sich an
sein Übereinkommen mit uns zu halten.«
»Brokrin will sein Schiff nicht riskieren«, beharrte Gotramm.
»Vielleicht glaubt er ja an den Fluch«, sagte Skaggi. »Vielleicht ist es aber auch so, dass
dieser Fluch Wirklichkeit wird, weil er an ihn glaubt.« Er hob die Hand in einer
entschuldigenden Geste. »Versteht mich nicht falsch, ich weiß, dass die Bürde des Kapitäns
keine leichte ist, aber ihr werdet mir doch sicher zustimmen, dass er ein paar ziemlich
schlechte Entscheidungen getroffen hat. Entscheidungen, die die Dinge nur verschlimmert,
nicht verbessert haben. Ein leichtsinniger Kapitän kann seine Mannschaft in Gefahr bringen,
aber das Gleiche gilt für einen Kapitän, der zu zögerlich ist.«
»Der Käpt’n ist kein Feigling«, knurrte Thurik.
Skaggi schüttelte den Kopf. »Kein Feigling, aber übervorsichtig. Brokrin erwartet stets das
Schlimmste, daher ist er blind für das Beste. Wenn es darum geht, sich Grokmunds Fund zu
holen, sieht er nur die Gefahren. Er weigert sich, die Möglichkeiten zu sehen, die sich
eröffnen, wenn man diese Gelegenheit wahrnimmt.«
»Der Käpt’n fällt keine Entscheidung leichtfertig«, sagte Gotramm, dem allmählich die
Geduld ausging. »Das alles hat er bereits gegeneinander abgewogen, bevor er dir sagte, du –«
»Hat er das?«, warf ihm Skaggi herausfordernd zu. »Hat er tatsächlich alles abgewogen?
Hat er tatsächlich darüber nachgedacht, was für Schulden diese Fahrt uns aufgehalst hat und
wie sich das auf seine Offiziere niederschlagen wird? Als Hauptmann der Soldfahrer sollten
dir drei Anteile am Profit der Expedition zustehen. Das macht dich auch verantwortlich für
drei Anteile seiner Verbindlichkeiten. Was glaubst du, wie lange du brauchen wirst, um das
abzubezahlen? Mal angenommen, dass irgendein Schiff dich anheuert, was denkst du, wie
viele Fahrten es wohl brauchen würde, bis du wieder da angekommen bist, wo du warst, bevor
du den Hafen zu dieser … Schicksalsfahrt verlassen hast?« Ein hässliches Grinsen verzog das
Gesicht des Logistikators, als er der Auseinandersetzung eine noch persönlichere Note
aufdrückte. »Helga ist ein hübsches Mädchen. Ich bin mir sicher, dass sie viele Verehrer hat,
die um ihre Hand anhalten. Wie lange wird sie wohl auf dich warten wollen? Wie lange wird
es dauern, bis sie einem der Burschen Gehör schenkt, die nicht bis zum Hals in Schulden und
Verpflichtungen stecken?«
Gotramms Gesicht war gerötet, als er auf Skaggi zuschritt. Er hielt dem Logistikator seine
geballte Faust unter die Nase. »Raus hier«, warnte er ihn. »Verschwinde, bevor ich mir die
Hand an deinem Gesicht breche.«
Skaggi deutete eine knappe Verbeugung an und eilte aus dem Frachtraum. Noch während er
sich zurückzog, kroch ein verschlagenes Grinsen über sein Gesicht. Gotramm hatte mehr zu
verlieren als irgendein anderer. Er war weniger bereit, die Verluste auf sich zu nehmen, die
Brokrins Entscheidung ihnen allen aufzwingen würde. Er war das schwächste Glied. Selbst
seine Feindseligkeit gegenüber Skaggi arbeitete zugunsten des Logistikators. Denn wenn die
Zeit kam, die Sache zu forcieren, würde es die Mannschaft umso mehr beeindrucken, dass ein
Gegner seine Seite einnahm, als wenn ein Freund einfach seine Forderungen nachplapperte.
Alles was jetzt noch fehlte, dachte Skaggi, war der richtige Moment, der das Fass zum
Überlaufen brachte.

»Hör zu, ich sag ja nicht, dass der Käpt’n unrecht hat. Er ist nur etwas übervorsichtig.« Fast
flüsterte Skaggi die Worte in Drumarks Ohr. Der Sergeant antwortete mit einem Rülpsen, das
man keineswegs verhalten nennen konnte. Bierspritzer befleckten das Gewand des
Logistikators und zwangen ihn einen Schritt zurückzutreten, während er sich den Unflat
wegwischte.
»Man sollte nicht in Windrichtung stehen«, erteilte Drumark einen verspäteten Rat. Er fuhr
mit seinem Handschuh durch den Bart und wischte sich den gesammelten Schaum an der
Hose ab. Er nahm einen weiteren kräftigen Schluck aus der Flasche, bevor er sie leer über die
Seite des Schiffes hinauswarf. Er spähte über das Schandeck und sah ihr hinterher, wie sie
abwärts stürzte und schließlich aus der Sicht verschwand. »Ist eine gute Übung fürs Auge«,
erklärte er Skaggi. »Hilft die Fernsicht zu stärken. Und ist weniger ekelhaft, als an einer
Mohrrübe rum zu knabbern.« Der Sergeant dämpfte seine Stimme auf einen ähnlichen Ton
herab, wie Skaggi ihn ihm gegenüber benutzt hatte. »Wie auch immer. Du hast gerade
irgendwas meuterndes über den Käpt’n gesagt, und ich habe nur mit halbem Ohr zugehört.
Würdest du es bitte noch mal wiederholen.«
Skaggi knirschte mit den Zähnen und funkelte den Sergeanten an. »Ich bin sicher, du findest
das genauso witzig, wenn du bei der Hälfte der Kreditgeber in Barak-Zilfin verschuldet bist.
Würde gerne sehen, wie du damit umgehst.«
Drumark lächelte und schmatzte mit den Lippen. »Sie können nichts von der Bierration
abzwacken«, meinte er. »Steht ganz genau in den Artikeln des Kodex.«
»Und was ist mit deinem Anteil?«, zischte Skaggi. »Ist dir der egal?«
»Ich würde ihn doch nur für noch mehr Bier ausgeben«, meinte Drumark achselzuckend. Er
klopfte Skaggi mit der Hand auf den Arm, sodass der Logistikator beinah das Gleichgewicht
verlor. »Du solltest dich mehr an den einfachen Dingen erfreuen. Sorgt auf lange Sicht dafür,
dass du dir weniger Sorgen machst.«
Skaggi wollte gerade antworten, doch Drumark drückte ihm seinen Finger auf die Lippen
und brachte den Logistikator so zum Schweigen. Der Sergeant sah den anderen Duardin nicht
an, sondern hatte seinen Blick über Skaggis linke Schulter erhoben. »Das ist nicht die richtige
Jahreszeit für Gänse«, murmelte er, während er zu den Punkten hinüberblinzelte, die er am
Himmel entdeckt hatte.
Skaggi wand sich aus Drumarks Griff und prustete wütend, um den Geschmack vom Finger
des Sergeants auf seinen Lippen loszuwerden. »Du grotschändender …«
Drumark schenkte Skaggis Tirade nicht die geringste Aufmerksamkeit. Er beobachtete seine
Sichtung am Himmel und wurde mit jedem Herzschlag unruhiger. Es war schwierig, eine
Entfernung abzuschätzen, ohne einen Größenvergleich zu haben. Was er da sah, konnten
kleinere Flugtiere sein, die dem Panzerschiff ziemlich nah waren, es konnte sich aber auch um
etwas weit Größeres handeln, das sehr weit von ihnen entfernt war. Während er die Augen
weiterhin auf den Schwarm gerichtet hielt, rief er zum Ausguck an der Kuppel der Endrin
hinauf: »Steuerbord, vierzig Grad! Da fliegt irgendwas rum!«
Der Ausguck brauchte einen Moment, um sein Fernglas in die Richtung scharf zu stellen,
die Drumark ihm gewiesen hatte und noch etwas länger, bis er die Objekte fand, die der
Sergeant entdeckt hatte. Vom Deck aus konnte der Sergeant die plötzliche Erregung des
Postens beobachten, als das Fernglas die fliegenden Punkte näher an seinen Blick heranholte.
Sie waren ein ganzes Stück weiter weg als ein Schwarm von Gänsen und weitaus monströser.
»Chimären!«, hallte der Schrei des Ausgucks auf das Deck herab. Wer ein Fernrohr oder
einen Ätherfeldstecher hatte, richtete seine Gerätschaft auf die Richtung, in die er deutete, um
sich selbst von dem Ausmaß der Bedrohung zu überzeugen. Rasch wurden Befehle
ausgegeben. Brokrins Stimme bellte Arriks Harpunieren Anweisungen zu, während diese
Ghazuls Fluch in Bereitschaft brachten. Gotramm ließ seine Arkanauten mittschiffs antreten,
ein jeder Soldfahrer überprüfte gewissenhaft den Zunder seiner Pistolen und die Bereitschaft
von Axt und Himmelspike. Himmelswarte und Endrinisten drängten mit ihren klobigen Äther-
Endrinen aus den Unterdecks hervor und jeder Duardin half dem Kameraden neben sich, die
Gerätschaften an den Geschirren zu befestigen, die kreuz und quer ihre Körper umspannten.
Horgarr und Mortrimm nahmen nahe des Steuerstands ihre Posten ein, wobei sowohl
Endrinmeister als auch Navigator mit den Werkzeugen ihrer jeweiligen Berufe bewaffnet
waren.
Drumark rief nach seinen Musketenschützen und zog die Grundstok-Truppe an die Flanken
von Gotramms Arkanauten. Die Schützen brachten ebenfalls ihre Waffen in Bereitschaft und
legten auf die sich schnell nähernden Bestien an. »Macht jeden Schuss zu einem Treffer«,
befahl Drumark seinen Schützen. »Zielt auf Augen und Kehle, die verletzlichen Stellen, an
denen eine Kugel größeren Schaden anrichtet. Trefft sie da, wo es wehtut, denn so sicher wie
der Bart eines Madengräbers Läuse hat, wenn ihr sie nur streift, macht ihr sie nur richtig
wütend.«
Der Schwarm kam stetig näher. Drumark gab sich nicht die Mühe, bereits seinen Deckfeger
zu erheben. Das Geschütz war zwar äußerst wirksam, jedoch nur auf geringe Entfernung. Er
würde warten müssen, bis die Chimären genau bei dem Schiff waren, bevor er endlich feuern
konnte. Unter seinen Schützen gab es Waffen, die zwar weniger Durchschlagskraft besaßen,
die aber über weitere Distanz treffen konnten. Ätherflinten und Grundstok-Mörser würden
zunächst das Feuer auf die fliegenden Monster eröffnen, während Drumarks Deckfeger und
die Ätherkanonen seiner Truppe sich vorerst zurückhalten würden. Der Sergeant ließ ein
grimmiges Lachen hören. Schlimme Dinge ereilten jene, die warteten, wenn sie eine Schar
von Grundstok-Schützen angriffen.
»Macht die Mine fertig!«, schallte Horgarrs Stimme. Am Bug des Schiffes entfernte ein
Trupp eine schwere Donnerschlag-Luftmine aus ihrer Verankerung, befestigte eine kleine
Endrin an ihrem Rumpf und machte sich bereit, sie dem Feind entgegenzuschicken. Der
Eisendrache hatte nur ein paar der gewaltigen Luftbomben an Bord und sie waren zu tödlich,
als dass man sie nahe beieinander lagern konnte. Es würde Horgarr einige Zeit kosten, um
eine zweite aus den Teilen in der Rüstkammer des Schiffes zusammenbauen zu lassen. Die
Waffe, die gerade aus ihren Befestigungen auf dem Deck gelöst wurde, war die einzige, die in
einsatzbereitem Zustand war.
Als er Horgarrs Stimme hörte, wandte Drumark den Kopf und suchte das Schiff nach
Mortrimm ab. Der Navigator besaß viele Apparaturen, die helfen konnten, den Eisendrachen
in die günstigsten von Chamons Luftströmungen zu bringen und das Schiff wie einen
Magnetstein in die ihnen nützlichsten Winde zu ziehen. Die Vielseitigste davon war das
prunkvolle Zephiroskop. Die Blitze, die man benutzt hatte, um der nun verlorenen Fregatte
Signale zu senden, konnten auch auf stärkere Einstellungen kalibriert werden, dass sie enorme
Kräfte aus der Thermik zogen. Diese bändigten sie dann zu einem wütenden Sturm, dessen
ungebärdige Wucht dann genau auf jene Position gerichtet werden konnte, die der Navigator
bestimmte. Drumark konnte Mortrimm am Zephiroskop herumwerkeln sehen, wie er zum
Himmel aufblickte und die sich annähernden Chimären beobachtete. Er wartete auf den
perfekten Moment, um die Winde auf diesen monströsen Schwarm loszulassen.
»Sie kommen also wieder.« Die Worte erklangen in einem Ton, der irgendwo zwischen
Fatalismus und Bitterkeit lag. Drumark wirbelte herum und sah Grokmund neben sich stehen.
Der Äther-Khymiker der Sturmbrecher hielt den Blick fest auf die Chimären gerichtet, seine
Lippen bebten vor Zorn. »Alles ist verloren und doch wollen sie noch mehr.«
»Was faselst du da?«, knurrte Drumark Grokmund an. »Geh nach unten. Schließlich gilt es
eine Schlacht zu schlagen.«
Die schroffe Rüge riss Grokmund aus seiner bitteren Betrachtung. Er sah Drumark an und
nickte. »Wahrhaftig, es gilt, eine Schlacht zu schlagen. Ich bin gekommen, um zu helfen.«
Ohne Erklärung begann er mit den Skalen und der Bedienung seines Atmosphären-
Anatomisators zu spielen. Ein dunstiges Gas sammelte sich um Grokmund, verbreitete sich in
einer durchscheinenden Wolke nach außen hin, bis es schließlich alle Grundstok-Schützen
umgab. Drumark sah die Energieanzeigen seines Deckfegers schwanken, bevor sie sich
wieder auf ihren ursprünglichen Stand einpendelten. Rufe aus den Mündern all seiner Duardin
mit Schusswaffen zeigten ihm, dass die Schwankungen sich bei ihnen offensichtlich anders
äußerten.
»Sarge! Meine Flinte ist auf Höchstladung!«, brüllte einer der Musketenschützen.
»Einer geschenkten Erzader schaut man nicht in den Schacht«, bellte Drumark zurück. Es
hatte ihm auf der Zunge gelegen, Grokmund zusammenzustauchen, weil er in seine
Schlachtordnung eingegriffen hatte, aber nun schluckte er die Worte hinunter. Wenn die
Schusswaffen zusätzliche Energie aus dem Dunst bezogen, den Grokmund mit seinem
Anatomisator heraufbeschworen hatte, wären sie in der Lage, eine höhere
Feuergeschwindigkeit zu erreichen, da sie zwischen den einzelnen Schüssen nicht warten
mussten, bis sich die Gewehre erneut aufluden. Er nickte dem Äther-Khymiker respektvoll zu
und wandte sich dann wieder ab, um seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf die Chimären zu
richten.
Man konnte jetzt das misstönende Geheul der Bestien hören, ein verstörend raues Trällern,
das halb Kreischen, halb Lachen war und ein mal steigendes, mal fallendes Getöse aus
Tonlagen ergab. Es war der Klang des Wahnsinns und des Albtraums, der Schrei wilder
Geschöpfe, die verderbt und schmutzig waren, das Brüllen von Monstern, deren einziger
Lebenszweck darin bestand, ihre rohe Wut auf die Welt loszulassen.
»Jetzt!«, ertönte Arriks Befehl vom Vorderkastell. Im nächsten Moment durchpflügte schon
die Lanze, mit der Ghazuls Fluch geladen war, die Luft und zog die sich entwindende
Schlange schwerer Ketten hinter sich her. Die Lanze war nicht so kunstvoll und tödlich wie
die mit Obsidianspitze versehene Harpune, die man in der gewaltigen, explosiven Zerstörung
des tentakelbewehrten Grauens verloren hatte, doch die Harpuniere schickten sie mit tödlicher
Präzision ihrem Ziel entgegen. Die große Himmelsharpune durchbohrte eine der angreifenden
Bestien, durchschlug ihr Brustbein und die Wirbelsäule. Die Schwingen des Monsters
flatterten unkontrolliert und mit einem qualvollen Schrei stürzte es, durchbohrt von der
Harpune und ihrer Kette.
Der Tod von einem aus ihrer Schar steigerte die Wut der anderen. Unter wirren Schreien
stürzte sich der Schwarm vorwärts. Jetzt konnten die Duardin klar erkennen, was für eine Art
von Bestien Jagd auf sie machten. Die Chimären waren ein chaotisches Wirrwarr aus Gliedern
und Extremitäten, wobei die Beschaffenheit ihrer Häute von einem Vieh zum anderen
wechselte. Eine der Kreaturen besaß einen zottigen, scharlachroten Pelz, während eine andere
ein glattes Fell in tiefstem Purpur ihr eigen nannte. Einige der Monster hatten nackte,
schuppige Haut mit kieselgleicher Struktur und dunklen Streifen. Andere waren mit
struppigen Haarbüscheln gesprenkelt. Jedes dieser Monster war größer als ein junger Ochse,
mit einem langen Körper von vage löwenhafter Form. Der vorderste ihrer Köpfe war ebenfalls
katzenhaft und oft von einer dicken Mähne umrahmt. Bei jeder der Kreaturen wurde dieser
Löwenkopf von anderen flankiert, die sich aus Schulter und Hals abzweigten. Einige dieser
Köpfe glichen Ziegen und Ebern, andere zeigten die reptilischen Züge von Schlangen und
Feuerwürmern. Ob nun katzenhaft oder von anderer Art waren diese Köpfe vor allem
widerwärtig verdreht und verderbt, abscheuliche Mutationen hatten sie zu einer üblen
Ansammlung von Missbildungen gemacht. Warzige Geschwulste bedeckten Kiefer und
Kehlen und verhornte Knochenbeulen ragten aus Nasen und Stirn hervor.
Enorme Schwingen trugen die Chimären durch den Himmel, doch entbehrten diese Flügel
jeglicher Symmetrie, was Form und Farbe anbelangte. Einige der Flügel waren dick und ledrig
wie die von Fledermäusen, während andere breiter und in der Art eines Kondors gefiedert
waren. Ein paar wenige wiesen gar die hauchdünne Membran von Insekten auf, und die im
Licht mit juwelenartigem Funkeln schimmerten. Die gleiche Bestie konnte über Flügel wild
zusammengewürfelter Arten verfügen, sodass sie sich mit ungelenken Schlägen ihrer
mutierten Schwingen durch die Luft wuchtete. Wie monströs, missgestaltet und verderbt sie
auch immer sein mochten, der gespenstische Schwarm näherte sich stetig und unerbittlich dem
Panzerschiff.
»Flinten! Feuer!«, befahl Drumark. Seiner Anordnung folgend, eröffneten die Grundstok-
Schützen, die mit Ätherflinten bewaffnet waren, den Beschuss auf die Chimären. Das von
Grokmund geschaffene, energiereiche Feld beschleunigte die erneute Aufladung der Waffen,
wodurch die Duardin in der Lage waren, einen verheerend dichten Strom von Geschossen in
die Masse der Bestien zu feuern. Eine der Chimären stürzte mit vom Flintenfeuer zerrissenem
zottigem Fell vom Himmel. Eine zweite stürzte unter Schmerzen aufheulend davon, während
sie sich die zerfetzten Glieder an die blutbefleckte Brust drückte.
Nach den Flinten donnerte der Grundstok-Mörser los, dessen explosive Geschosse die
Flügel der Monster zerfetzten und sie aus der Luft fegten. Ein zweites Biest jagte, von
Schrapnellen zerrissen, weiter vor, nur um dann von den Gaskarabinern auf dem Rumpf des
Panzerschiffs zur Strecke gebracht werden. Mit ohrenbetäubend schrillem Jammern stürzte
das sterbende Monster in Richtung Erde.
Doch der Schwarm sauste weiter heran, als ein gewaltiger Blitz aus Mortrimms Zephiroskop
hervorloderte. Drumark konnte spüren, wie eine heiße Böe an seinem Bart zupfte, als das
Gerät des Navigators Chamons Winde machtvoll über das Firmament peitschen ließen. Der
schlimmste Teil des Äthersturms entlud seinen Zorn an den Chimären, verlangsamte ihren
Angriff und zwang sie, sich mühsam durch den Orkan zu kämpfen, der gegen sie anbrandete.
Der gehemmte Ansturm der Monster gab den Grundstok-Schützen Zeit für eine zweite Salve.
Wieder schossen sie eine der Bestien vom Himmel und verletzten eine weitere.
Mit dem Starrsinn des Zorns drängten die Chimären weiter vorwärts. Nun waren sie fast
über dem Eisendrachen. Aus drachenhaften Mäulern und löwenartigen Kiefern spien die
Monster einen Schwall goldenen Feuers auf das Schiff. Der ätzende Geifer spritzte zischend
gegen die eisernen Rumpfplatten und die Metallhülle der Endrin. Ein Endrinist, der von der
brennenden Gischt getroffen wurde, jagte in wildem Zickzackflug über die Decks, in seinem
Schmerz unfähig, seine Äther-Endrin noch zu kontrollieren.
Drumark hob den schweren Deckfeger auf seine Schulter, visierte eine Bestie an, der
gekrümmte Ziegenhörner aus einem Löwenschädel wuchsen. Er lauschte dem Knall der
Pistolen, als Gotramms Arkanauten weiter in den Schwarm schossen, hörte seine eigenen
Truppen ihre Ätherkanonen abfeuern. Dennoch wartete er, ließ das Biest näherkommen, bis es
fast auf dem Schiff war und feuerte dann die gesamte Ladung mitten hinein in dessen Fratzen.
Die Chimäre bäumte sich auf, schien fast mitten in der Luft auf ihren Hinterbeinen zu stehen.
Wild schlug sie um sich, schmetterte in ihrem gequälten Gezappel einen aus ihrer Horde
gegen den Rumpf. Drumark konnte sehen, wie der linke schlangenartige Kopf des Monsters
schlaff und zerfetzt an der Schulter herabhing. Die Hälfte des löwenhaften Mittelschädels war
weggerissen worden, sodass man Knochen und Knorpel sah. Nur der ebergleiche Kopf zur
Rechten zeigte noch Zeichen des Bewusstseins und dieses Bewusstsein empfand nur
schlichten Schmerz.
Das feurige Zischen von Horgarrs Schneidestrahl sengte quer über den Schweinskopf,
durchbohrte das Hirn, das in diesen dicken Schädel eingebettet war. Der Schuss des
Endrinmeisters gab dem zerfleischten Vieh den Rest. Hart schlug die Chimäre noch einmal
gegen den Rumpf, als ihr Kadaver in die Tiefe stürzte.
Im nächsten Augenblick ließ Horgarr jedoch weit schlimmere Vernichtungskräfte auf die
Chimärenhorde los. Die Luftmine, welche die Besatzung von dem Panzerschiff hatte
wegtreiben lassen, empfing sein an sie gesendetes Signal. Mit einem blendenden Blitz und
einem ohrenbetäubenden Grollen explodierte die Donnnerschlag-Mine in der Mitte des
Schwarms. Ein Gewirr zerrissener Glieder schlug über das Deck, streifte die Schandecks und
prasselte auf die Mannschaft herab. Drumarks Kopf dröhnte, als eine abgetrennte Klaue seinen
Helm traf. Er sah, wie Gotramm von einem Bein erwischt und umgehauen wurde.
Der Sergeant bewegte sich auf den Arkanauten zu, hielt dann aber inne. Denn trotz allem,
was sie auf den Feind losgelassen hatten, war die Schlacht noch immer nicht zu Ende.

So gewaltig war der Zorn der Chimären, dass selbst die vernichtende Macht der
Donnerschlag-Mine ihren Angriff nicht brechen konnte. Zwar war ihre Kampfkraft auf
lediglich eine paar zerfetzte Exemplare dezimiert worden, dennoch warfen sie sich durch die
Überreste ihres Schwarms, um den Eisendrachen weiter anzugreifen. Eine dieser Bestien
stürzte sich auf den Steuerstand, wobei ihr Schwanz peitschend Arrik traf und den Jäger zu
Boden warf. Ihre Klauen schlossen sich um einen der Harpuniere, zerrten den Duardin vom
Deck hoch und in Richtung ihres reißzahnstarrenden Mauls. Alle drei Köpfe bissen zur
gleichen Zeit zu, jeder davon riss aus dem schreienden Opfer ein blutiges Stück heraus.
Bevor die Chimäre allerdings wieder zuschlagen konnte, fand sie sich von allen Seiten
bedrängt. Die verbliebenen Harpuniere griffen sie mit ihren Himmelspiken an, stachen und
hackten erbittert nach der Bestie. Vom Steuerstand herabeilend, feuerte Brokrin seine
Salvenpistole in ihre Flanke ab und zerfetzte so ihre linke Schwinge. Von hinten kam
Mortrimm, die Hand des alten Navigators lag fest um eine Signalpistole geschlossen. Er
feuerte auf den Rücken des Monsters, jagte ihm den Schuss geradewegs zwischen die
Schulterblätter. Der Feuerblitz flammte weißglühend auf, sengte sich den Weg tief ins Fleisch
des Monsters. Die Chimäre warf ihr Opfer beiseite und jeder ihrer Köpfe verzog sich in
Todesqualen, während es wild auf dem Vorderkastell um sich schlug. Ghazuls Fluch wurde
aus seiner Verankerung gerissen, schwankte gefährlich, als er das Schandeck traf und schon
drohte, über Bord zu gehen.
Brokrin huschte rasch an den blitzenden Klauen der Chimäre vorbei und packte das
Geschütz, bevor es vollends kippen und in die Tiefe stürzen konnte. Die überlebenden
Harpuniere traktierten das Monster weiter mit ihren Himmelspiken und trieben es von der
umgestürzten Himmelsharpune fort. Arrik rief zum Sammeln, da er die Gefahr sofort
erkannte. Nach seiner Axt greifend, machte er einen Satz auf die Kette zu, die noch immer mit
der Spule der Lanze verbunden war. Und die steckte im ersten Opfer dieser Schlacht, sodass
deren totes Gewicht Ghazuls Fluch allmählich über die Seite des Schiffs hinab zog.
Drei Hiebe seiner Axt, immer wieder auf das gleiche Glied, durchschlugen den Strang.
Brokrin und die Himmelsharpune taumelten zurück auf das Deck, als die tote Chimäre
mitsamt der Kette ihres Wegs in die Tiefe zog. Arrik rief dem Kapitän eine Warnung zu.
Brokrin hatte gerade noch Zeit, sich beiseite zu rollen, als eine Klaue des amoklaufenden
Monsters herabfuhr und ihn nur um wenige Zentimeter verpasste.
Die Leuchtkugel, die Mortrimm auf die Bestie abgefeuert hatte, brannte sich weiter in den
Leib der Chimäre hinein. Panische Todesqualen hatten nun von dem Monster Besitz ergriffen
und es tobte wild um sich schlagend über das Deck. Schon von Schmerzen zerrissen, krümmte
und duckte es sich vor den Himmelspiken weg, sodass die Harpuniere es auf die Kante des
Schiffes zutreiben konnten. Die Chimäre taumelte gegen das Schandeck, ließ es glatt bersten
und ihr gewaltiges Gewicht riss einen Teil der Reling mit sich. Da ihr Flügel durch Brokrins
Salve zerstört war, fiel die Chimäre auf den Boden tief unter ihnen zu.
Brokrin legte eine Hand auf Ghazuls Fluch und nutzte die Himmelsharpune, um sich
abzustützen, als er sich mühsam erhob. Arrik humpelte zu ihm und Erleichterung stand ihm
ins Gesicht geschrieben. »Meinen Dank für deine Hilfe im rechten Moment«, sagte Brokrin.
Schnaufend lächelte Arrik zurück. »Ohne dich werden wir nicht bezahlt«, antwortete er. Der
Jäger legte zärtlich eine Hand auf Ghazuls Fluch. »Und ohne die hier haben wir keine Arbeit.
Wenn das kein Anreiz ist, mal kräftig zuzulangen.«

Die letzte der Chimären stürzte sich geradewegs auf Drumarks Truppe. Die Grundstok-
Schützen feuerten zerrissene Salven auf das Vieh ab, aber nichts schien es irgendwie aufhalten
zu können. Es donnerte auf das Deck herab, blutig und geschunden von seinem Kampf. Einer
der Schützen wurde unter seinen Pranken zermalmt. Ein Schlag seiner Schwingen ließ einen
Arkanauten durch die Luft fliegen. Der umherschlagende Schwanz erwischte einen weiteren
Duardin, bevor er seinen Mörser darauf richten konnte, sodass er quer übers Deck taumelte.
Die sechs Augen der Bestie funkelten Drumark in mörderischem Zorn an. Ein Teil seiner
viehischen Hirne hatte wohl entschieden, dass er der Anführer seiner Peiniger war. Schaum
troff von den Fängen der Chimäre, als sie zum Sprung auf ihn ansetzte.
Abrupt schnellte das Biest herum. Es schnaubte laut und zog schwer die Luft durch die
Nüstern ein. Sein Blick verengte sich, dann wandte es seine Aufmerksamkeit Grokmund zu.
Wütend spie der Echsenkopf des Wesens aus und ein Klumpen ätzenden Speichels wurde auf
die Deckplatten geschleudert und schwelte dort vor sich hin. Grokmund wich zurück und ließ
hektisch seine Finger über die Einstellungen des Atmosphären-Anatomisators gleiten.
Bevor das Monster aber noch mehr seines feurigen Geifers hervorstoßen oder sich mit
seinen reißenden Klauen auf Grokmund stürzen konnte, griff Drumark bereits ein. Sein
Deckfeger brüllte laut auf, als er der Chimäre einen Feuerstoß geradewegs in den Leib jagte.
Das rechte Vorderbein sackte weg, als die Knochen darin zerschmettert wurden und der
echsenhafte Kopf sank baumelnd herab, als das Genick darunter brach.
Die verstümmelte Chimäre wirbelte herum, wandte sich Drumark zu. Er konnte den Hass in
ihren Augen fühlen. Ein siedend heißes Zischen entrang sich den Fängen ihrer noch
lebendigen Köpfe. Noch während sie sprang, erhoben ein halbes Dutzend Waffen ihre
Stimme. Die Chimäre flog auf die Seite, klatschte aufs Deck, durchlöchert von Geschossen
aus den Läufen von Flinten, Pistolen und Ätherkanonen. Drumark schritt über das getroffene
Vieh hinweg und drosch ihm den Kolben seines Gewehrs auf den Schädel. Einen Moment
später erstarben die gequälten Zuckungen und die Chimäre lag still.
»Nun, Jungs«, rief Drumark seinen Duardin zu. »Lasst uns das besser nicht so schnell
wiederholen.« Er trat mit dem Stiefel nach dem Löwenkopf. Er baumelte schlaff von einer
Seite auf die andere, was den Grundstok-Schützen erleichtertes Lachen entlockte. Genau wie
ihr Sergeant verspürten auch sie die prickelnde Erregung, die Schlacht überlebt zu haben.
»Bei Grungnis Bart!« Es war eine ganz andere Art von Erregung, die Grokmunds Ausruf
kennzeichnete. Er stand da und starrte auf das Deck hinab. Es war nicht die Chimäre, der sein
Interesse galt, sondern jener dampfende Flecken, den ihr Speichel zurückgelassen hatte.
Grokmund zeigte darauf und klatschte in die Hände. »Sie kommen von der Fundstelle! Sie
kommen von der Fundstelle!« Er wandte sich um und blickte die Mannschaft des
Eisendrachen an, überrascht von der Verwirrung, die er auf ihren Gesichtern las.
»Seht ihr denn nicht?«, rief Grokmund aus und zeigte auf die dampfenden Überreste. »Wir
müssen nah am Fundort sein! Genug Reichtum, um jeden Duardin auf diesem Schiff zum
Than zu machen! Alles, was wir tun müssen, ist zugreifen und es uns holen!«
KAPITEL NEUN

Grokmund sah die Unsicherheit in Drumarks Blick. Der andere Duardin musterte ihn mit
Argwohn. Verärgert zog er einen Bleigriffel aus dem Gürtel und tippte damit den dampfenden
Schmierfleck an, den der Speichel der Chimäre hinterlassen hatte. Das Ende des Griffels
glühte vor Hitze, aber als er ihn hob, umstrahlte ihn ein Nimbus goldenen Lichts. Jeder
Kharadron wusste, was diese dunstigen Energieschwaden waren, die von der Spitze des
Griffels wegwehten: rohes Äthergold.
Der Duardin blickte mit einem Gefühl staunender Verwunderung auf die verkohlten
Deckplatten und die tote Chimäre. Grokmund ließ ein lachendes Schnauben hören. »Gar nicht
mal so viel«, erklärte er. Er drückte den Griffel zwischen zwei kleine Eisenplatten und zog
daran befestigte Schrauben fest, sodass das Bleigerät fest umschlossen wurde. Dieses Paket
steckte er dann in ein Säckchen und ließ seinen Blick über die ihn beobachtenden Duardin
gleiten. »Wir haben diese Bestien gesehen, als wir die Ader gefunden haben. Diese Monster
haben das Äthergold dazu benutzt, ihre Nester zu bauen. Dabei bleibt immer ein Rückstand in
ihrer Kehle zurück.« Grokmund tippte sich an den eigenen Hals, um zu unterstreichen, was er
meinte. »Wenn sie dann versuchen, etwas mit ihrem Speichel zu rösten, wird auch ein Teil
dieser Rückstände mit ausgespien.« Er lachte erneut und trat der Chimäre in die Seite. »Gar
nicht mal so viel, Jungs. Ihr werdet höchsten eine Unze davon finden, wenn ihr dieses Ding
aufschlitzt. Eine hässliche Arbeit für einen geringen Lohn.«
In welchem Loch sich Skaggi während des Kampfes auch immer verkrochen hatte, jetzt war
er wieder da, genau rechtzeitig, um Grokmunds Worte zu hören. Und um ganz schnell aus
ihnen Kapital zu schlagen. »Ein geringer Lohn, um Leib und Leben im Kampf gegen diese
Bestien zu riskieren. Zumindest, wenn man hier gegen sie kämpft.« Er schenkte Grokmund
ein durchtriebenes Lächeln. »Was schätzt du wohl könnten wir herausholen, wenn wir uns
ihre Nester holen?«
Grokmund schwieg einen Moment lang und dachte über die Frage nach. »In jedem Nest
würde wahrscheinlich Äthergold im Wert von etwa zweihundert Gulden stecken. Es ist
dasselbe hochwertige Erz, das wir an der Fundstelle selbst antreffen würden.«
Skaggi sah, dass Grokmunds Schätzung des Profits, den man hier erzielen konnte, an der
Mannschaft nicht vorüberging. Jeder Schmerz und alle Müdigkeit, den sie noch Augenblicke
zuvor verspürt haben mochten, schwand in dem ehrgeizigen Glanz, der sich nun auf ihre
Gesichter legte. »Und wie viel können wir aus der Ader selbst herausholen?«, fragte Skaggi.
»Wie viel würde jeder Anteil wert sein, wenn wir den Bauch des Eisendrachen mit deinem
Erz füllen?«
»Genug jetzt!« Brokrins zorniger Schrei war beinahe so wild wie die Schreie der Chimären.
Er stürmte durch das Gedränge seiner Leute hindurch und marschierte geradewegs auf Skaggi
zu. »Ich habe dir meine Entscheidung bereits verkündet. Klar und deutlich«, sprach er den
Logistikator an. Seine Stimme senkte sich zu jener gefährlichen Ruhe, die seine alten
Schiffskameraden zu fürchten gelernt hatten. »Meine Mannschaft aufzuwiegeln bringt dich
nirgendwohin außer in die Brigg.« Er wandte sich mit finsterem Blick Grokmund zu. »Das
Gleiche gilt für dich. Bis du mein Schiff verlässt, folgst du meinen Regeln.«
Skaggi wich keinen Fußbreit und seine Finger zupften an seinem Bart. »Deine Regeln sind
unvernünftig«, sagte er und seine unverblümten Worte schockierten viele der Zuschauer.
»Deine Entscheidungen sind falsch. Sag deiner Mannschaft, dass wir diesem Fund den
Rücken zuwenden.« Er deutete mit der Hand auf Grokmund. »Der Fund wird uns allen ein
Vermögen einbringen. Die Anteile werden nicht Hunderte, sondern Tausende wert sein! Und
du willst einfach davonsegeln und das zurücklassen, dich einfach umwenden, weil du Angst
vor dem hast, was passieren könnte.«
»Das ist nicht irgendein normales Äthergold«, erinnerte Brokrin Skaggi. Er drehte sich um
und wandte sich an die Mannschaft. »Die Sturmbrecher fand es, wollte aber nicht das Risiko
eingehen, es in ihrem Frachtraum zu transportieren, selbst mit ihrem ganzen Begleitschutz. Ich
habe gesehen, was selbst ein kleines Bisschen dieses Stoffes in veredelter Form anrichten
kann. Ich werde nicht riskieren, das Schiff und jeden darauf aufs Spiel zu setzen –«
»Das hast du schon längst«, verkündete eine Stimme aus der Menge heraus.
Arkanauten und Grundstok-Schützen traten beiseite, als Gotramm auf Brokrin zuschritt.
»Diese Fahrt hat das Schiff und jeden darauf bereits einem großen Risiko ausgesetzt. Die
Schulden und Verpflichtungen, die die unglücklichen Wendungen dieser Reise uns
aufgebürdet haben, werden unsere gesamten Karrieren ruinieren. Es kann Jahrzehnte dauern,
bis wir genug verdient haben, um uns unserer Bürden zu entledigen. Wenn uns überhaupt
noch einmal ein Schiff an Bord nimmt. Denn der Eisendrache selbst wird auf den Schrottplatz
wandern, um all die Geldgeber zu entschädigen, Käpt’n.«
Brokrin schüttelte den Kopf. »Gotramm, bedenke, was du da sagst. Was du aufs Spiel setzt,
wenn du auf diesen Goldgeier hörst.«
»Das tue ich, Käpt’n«, sagte Gotramm. »Ich denke darüber nach, was wir alle zu gewinnen
haben. Ich denke, dass du vielleicht nicht in der Lage bist, durch all die dunklen Schleier
deiner Schicksalsschläge hindurch zu blicken, und deshalb einen Glücksfall nicht erkennen
kannst, selbst, wenn er direkt vor dir liegt.« Er zeigte auf Grokmund und erhob die Stimme,
sodass jeder Duardin an Deck ihn hören konnte. »Du machst dir Gedanken um Flüche und
schlechte Vorzeichen, aber was ist mit Vorsehung? Was sind das nur für unglaubliche Zufälle,
die uns geradewegs zu Keros Signalfeuer bringen, sodass wir über den Absturz der
Sturmbrecher erfahren können. Was für eine wunderbare Fügung, dass wir Grokmund als
einzigen seiner Mannschaft am Leben und soweit bei Gesundheit finden, dass er uns von
diesem unvorstellbaren Fund erzählen kann. Und jetzt sind da diese Chimären, die gleichen
Bestien, die ihre Nester rund um diesen Fund errichten, die auf uns zugeflogen kommen, als
würden sie uns ein letztes Zeichen geben wollen, dass wir auf der Schwelle unseres Schicksals
stehen.« Er ballte seine Faust und hielt sie hoch über seinen Kopf. »Diese Ader ist so nah, dass
wir nur unsere Hände auszustrecken und zugreifen müssen.« Er öffnete seine Hand und
spreizte seine Finger weit auseinander. »Oder wir können uns das einfach durch die Finger
rinnen lassen. Wofür? Um Jahre unseres Lebens darauf zu verschwenden, unsere Schulden
zurückzuzahlen? Um die nächsten Jahrzehnte als Vertragsknechte der Geldgeber unser Dasein
zu fristen?«
»Füllt die Frachträume mit diesem Erz und ihr werdet das Schiff bis zu den Neun Höhen
hochjagen«, warnte Brokrin.
»Oder uns die Taschen mit genug Reichtum vollstopfen um …« Gotramm verstummte und
hob in blanker Frustration seine Arme. »Ach, was soll es? Du weigerst dich doch schon, die
Dinge einfach nur einmal in einem anderen Licht zu betrachten.«
»Wenn es um mein Schiff und das Leben meiner Mannschaft geht, dann kannst du deines
Großvaters Bart darauf verwetten, dass ich sie niemals einem nicht notwendigen Risiko
aussetze.« Brokrin wandte sich von Gotramm ab und seine Augen streiften über die Gesichter
der anderen Duardin. Die Blicke, die dem seinen begegneten, deckten eine Bandbreite von
mürrisch bis offen feindselig ab. »Ihr habt meine Entscheidung gehört. Werdet ihr euch daran
halten?«
Gotramm leckte sich über die Lippen, etwas wie Unsicherheit lag in seinen Augen. Einen
Moment lang wirkte er, als würde er nachgeben. Dann berührten seine Finger das
Malachitband um seinen Arm, den Gelöbnisring, der Helgas Namen auf seiner Oberfläche
trug. »Wir können deine Entscheidung nicht akzeptieren.«
Brokrin nickte nur. Es fühlte sich an, als würde ein schweres Gewicht an seinem Herzen
ziehen. »Das bedeutet Meuterei.«
Wie ein Aasgeier stürzte sich Skaggi auf dieses Wort. »Meuterei aus berechtigten Gründen
wird vom Kodex gebilligt«, erklärte er mit brechender Stimme, als er versuchte, sie so weit zu
erheben, dass seine Worte für alle hörbar wurden. »Wenn ein Kapitän seine Fähigkeiten bis zu
ihren Grenzen ausgeschöpft hat, wenn sein Kommando die Fahrt in die Flauten der
Unrentabilität getrieben hat, dann kann die Mannschaft beschließen, einen neuen Kapitän zu
wählen.«
Gotramm schüttelte den Kopf. »Es ist nicht deine Schuld, dass die Dinge so weit gekommen
sind«, erklärte er Brokrin. »Du hast bis hierhin dein Bestes gegeben. Aber jetzt ist das Einzige,
was unser Glück noch wenden kann, die Entscheidung, die du dich weigerst zu treffen.«
Brokrin hielt Gotramms Blick. »Ist das deine Entscheidung«, fragte er, »oder seine?« Er
wies mit dem Daumen in Skaggis Richtung.
»Diese Entscheidung sollten wir alle treffen«, verkündete Drumark, während er seinen Helm
abnahm und ihn umdrehte. »Hol jemand Bohnen und Linsen aus der Kombüse. Jeder nimmt
eine von beiden. Die, die dafür stimmen, den Käpt’n zu behalten, werfen eine Linse in den
Helm. Jeder, der dafür stimmt, Gotramm zum Kapitän zu machen, schmeißt eine Bohne rein.«
Er warf Brokrin einen entschuldigenden Blick zu. »Dummheit sollte immer demokratisch
sein, meint ihr nicht, Käpt’n?«

Aus Brokrins Sicht dauerte es Stunden, bis die Abstimmung vorbei war. Als eine letzte Geste
der Achtung vor seinem Rang und seiner Rolle als Kapitän des Schiffs, gab Drumark den
Helm an Brokrin weiter. Eine nach der anderen holte er die Bohnen und Linsen daraus hervor.
Während er alle nacheinander auf das Deck fallen ließ, kam ihm der absurde Gedanke, dass
sie, wenn alles vorbei war, mit der richtigen Brühe eine anständige Suppe abgeben würden.
Eine nach der anderen ließ Brokrin die Stimmen durch seine Finger gleiten. Manchmal
kamen unterdrückte Beifallsrufe von der Mannschaft, wenn er eine weitere Bohne über das
Deck hüpfen ließ. Die ersten paar Linsen ließen Skaggi aufstöhnen, aber der Logistikator
verlor bald alle Anzeichen von Besorgnis. Es waren wesentlich mehr Bohnen in dem Helm.
Als es dann vorbei war, wurde offenbar, dass nur sieben seiner Mannschaft dafür gestimmt
hatten, Brokrin als Kapitän zu behalten. Natürlich wusste er durch die Art der Abstimmung
nicht, wer es war. Niemand wusste das. Anonymität war der einzige Weg, dass die
Mannschaft nach einer derart heiklen Abstimmung noch als Ganzes funktionieren konnte.
Brokrin wandte sich Gotramm zu. »Ich kann dir nicht gratulieren«, verkündete er. »Ich kann
dir bei diesem Unternehmen nicht viel Glück wünschen. Wenn du auf irgendetwas, was ich dir
sagen könnte, Wert legen würdest, wäre es nie zu so etwas gekommen. Da du jetzt das
Kommando führst, möchte ich dich bitten, dass du mir erlaubst, mich in meine Kajüte
zurückzuziehen. Außer natürlich, du willst die auch für dich beanspruchen.«
Gotramm runzelte über Brokrins Feindseligkeit die Stirn. Er hatte nicht erwartet, dass der
abgesetzte Kapitän besonders begeistert sein würde, aber den Vorwurf in seinen Worten zu
hören, nagte gewaltig an ihm. »Du bist entlassen«, sagte er zu ihm. »Es wird nicht notwendig
sein, dich weiter zu behelligen. Behalte deine Kajüte. Wir werden die neue Verteilung der
Anteile besprechen, wenn du bei besserer Stimmung bist.«
Brokrin wies erneut mit dem Daumen auf Skaggi. »Hört auf, auf ihn zu hören, dann werden
wir vielleicht alle lange genug leben, damit ihr mich in besserer Stimmung sehen könnt.«
Brokrin wartete nicht auf eine Antwort, sondern ging geradewegs auf die Stufen zu, die
unter Deck führten. Das Letzte, was er hörte, bevor er sich zurückzog, war, wie der neue
Kapitän des Eisendrachen seine ersten Befehle gab.
»Na dann, Jungs«, rief Gotramm. »Dann wollen wir alle mal anpacken, damit die Dinge
wieder ins Lot kommen. Werft diesen Kadaver über Bord. Flickt die Reling! Horgarr, hilf
Arriks Truppe, die Himmelsharpune wieder richtig anzubringen! Beeilt euch damit! Der
nächste Hafen, den wir anlaufen, ist Grokmunds Hort von Gold und Reichtum!«

Gotramm war nicht mal einen Tag der Kapitän des Eisendrachen und schon fühlte er sich
außerhalb seines Elements. Er kannte das Schiff nicht so, wie Brokrin es kannte. Er kannte
nicht die Schrullen und Eigenheiten, die man einbeziehen musste, wollte man es richtig
führen. Er war kein geübter Himmelsfahrer, jedenfalls nicht so, wie Brokrin es war. Er hatte
niemals ein Schiff gesteuert, dass so groß und kraftvoll war wie das Panzerschiff. Seit er das
Kommando übernommen hatte, hatte er die Steuermannspflichten meist Vorki überlassen und
hatte den ersten Maat nur abgelöst, wenn dieser eine Ruhepause brauchte.
Wenn seine Hände auf dem Steuerrad des Schiffes lagen, kam es ihm vor, als gäbe es eine
seltsame Art von Widerstand, als ob das Schiff selbst sich gegen seine Übernahme des
Kommandos wehrte. Das Steuerrad kämpfte gegen ihn, setzte seine Bewegungen nur
verzögert um. Das Schiff ruckte und bockte, wenn er im Steuerstand war, sehr zum Verdruss
der Mannschaft. Drumark hatte spöttisch angemerkt, dass es normalerweise drei Fässer Bier
bräuchte, um ihn auch nur halb so viel taumeln zu lassen wie das Steuern des Arkanauten.
Gotramm wollte diese Aufgabe nicht. Er wusste, dass er sie nicht wollte. Irgendwie hatte er
erwartet, dass das ihre Bürde für ihn leichter machen würde. Stattdessen machte es alles nur
schwerer. Er fühlte deutlich seine Unzulänglichkeit, das Gefühl, nicht länger in seinem
Element zu sein. Bescheidenheit war ein Luxus, den sich jemand erlauben konnte, der etwas
zur Vollendung gebracht hatte. Als ein Kämpfer, ein Soldfahrer, hatte er sich vielleicht diesen
Luxus erworben, aber als Kapitän eines Schiffs wusste er, dass er nicht die Erfahrung besaß,
die wahre Autorität in seinem Fach untermauern würde. Die Weigerung, frohlockend seine
neue Position anzunehmen, führte dazu, dass er sie stattdessen verschmähte. Und dass er
damit all die Verantwortlichkeiten verschmähte, die mit ihr einhergingen.
Ruhelos auf dem Deck auf und ab schreitend, stoppte Gotramm plötzlich ab, um Mortrimm
dabei zuzusehen, wie er sein Zephiroskop benutzte, um die optimalen Luftströmungen zu
finden, auf denen sie segeln konnten. Die Blitze, die in regelmäßigem Takt aus dessen Linsen
drangen, schossen hoch ins Firmament. Winzige Partikel fingen das Licht auf, reflektierten es
und die Dichte und ihr Fluss zeigte dem Navigator sowohl Stärke als auch Richtung an.
Grokmund brüstete sich damit, durch leichte Kurskorrekturen, die auf Mortrimms Rat und der
Konsultation der Navigationstabellen beruhten, Tage ihrer Reise eingespart zu haben.
Gotramm sah diesen Fortschritt als bemerkenswert an. Umso mehr, da er sicher war, dass der
alte Navigator seiner Unternehmung feindlich gegenüberstand und dafür gestimmt hatte, dass
Brokrin weiter das Kommando behielt.
»Kannst du es schon fühlen?«, fragte Skaggi, als er zu Gotramm herüberkam. Er war mit
Grokmund in der Nähe des Bugs gewesen, war aber herübergeschlendert, als er Gotramm
entdeckt hatte. »Ich kann es schon fast in der Luft riechen. Äthergold!« Er packte Gotramm
bei der Schulter. »Du wirst eine Legende, wenn wir wieder den Heimathafen anlaufen und du
diese Ladung einfährst. Es wird keine Gilde in der Himmelsfeste geben, die nicht begierig
darauf sein wird, dir einen Kontrakt anzubieten. Du wirst dein eigenes Schiff haben. Beim
Donner, vielleicht geben sie dir sogar dieses hier, wenn du es haben willst!«
Gotramm pflückte Skaggis Hand von seiner Schulter und ließ sie zur Seite des Logistikators
herabfallen. »Ich will nur, dass diese Fahrt endlich vorüber ist.« Er nickte in Richtung der
Endrinisten und Matrosen, die rund um die gewaltige Endrin des Eisendrachen arbeiteten.
»Alles, was ich will, ist, ihnen einen guten Anteil zu verschaffen. Das ist alles, was ich
verlange.«
Skaggi schüttelte den Kopf und zupfte verdrießlich an seinem Bart. »Und ich dachte, du
hättest Ehrgeiz.« Er tippte mit dem Finger auf Gotramms Brust. »Finde ihn besser in dir oder
dein Mädchen wird jemand anderen finden, der ihn hat. Hör auf mich, man braucht Ehrgeiz,
um etwas zu bewerkstelligen. Eine Familie zu führen ist so ähnlich wie eine Mannschaft
führen.«
»Hast du denn eine Familie, Skaggi?«, fragte Gotramm plötzlich. Als er daraufhin dessen
verwirrten Gesichtsausdruck sah, ließ er rasch eine weitere Frage folgen. »Hast du schon
einmal ein Schiff geführt?«
»Du weißt, dass ich das nicht habe«, grummelte Skaggi vor sich hin.
Gotramm wandte sich von dem Duardin mit dem kantigen Gesicht ab und ging in Richtung
Bug davon. »Entschuldige. Ich dachte, du wüsstest, wovon du redest.« Er wandte sich nicht
um, als er Skaggis beleidigtes Gemurmel hörte. Etwas, was seine Mutter einmal gesagt hatte,
schoss ihm durch den Geist. Ein Adler schert sich nicht um eine krächzende Krähe.
Hoch am Bug fand Gotramm Grokmund. Der Äther-Khymiker hatte sich von einem
Besatzungsmitglied ein Fernglas erbettelt oder geborgt und suchte aufmerksam den Himmel
vor ihnen ab. So versunken war er in seinem Eifer und seiner Besorgnis, dass er vor und
zurück wippte, von einem Fuß auf den anderen wogte, ungeachtet der Tatsache, dass Vorki
das Schiff absolut stabil hielt. Jede Geste und Bewegung, die Grokmund machte, drückte
große nervöse Anspannung aus.
»Sind wir nahe dem Fundort?«, fragte Gotramm ihn.
»Bald«, versprach Grokmund, ohne seine Aufmerksamkeit vom Fernglas abzuwenden.
»Vielleicht möchtest du, dass die bewaffneten Mitglieder der Mannschaft sich bereitmachen.
Die Chimären, die wir bekämpft haben, waren die Männchen. Die Weibchen werden wieder in
ihren Nestern sein. Es ist unklar, ob sie uns angreifen oder in ihren Nestern hocken bleiben.
Das letzte Mal haben sie uns nicht behelligt, aber das war, weil wir direkt an ihnen vorbei auf
die Ader zugesteuert sind. Die Männchen müssen meine Witterung aufgenommen haben, als
sie von der Jagd zurückkamen.«
»Wahrscheinlicher ist, dass sie dachten, dass wir in ihr Territorium eindringen wollten«,
meinte Gotramm. »Ich habe gehört, dass eine Chimärenhorde einen bestimmten Bereich des
Himmels als ihre Jagdgründe beansprucht.«
Grokmund lachte in sich hinein. »Vielleicht anfangs«, erwiderte er, »aber der Letzte, den
wir getötet haben, hatte ganz bestimmt meine Witterung. Als er sich auf mich stürzte, war der
Hass in seinen Augen nicht der eines Tieres, das sich eine Mahlzeit schnappen will, sondern
der eines alten Feindes, der auf seinen Widersacher losgeht.« Das Lächeln auf seinem Gesicht
wurde breiter. Er setzte das Fernglas von seinem Auge ab und gab es Gotramm. »Sieh selbst«,
schlug er vor.
Was Gotramm da vergrößert vor sich sah, war ein Strom schimmernder Wolken, die
aussahen, als wären sie aus zerstäubtem Diamant gewebt. In geringerer Höhe sah man
dunklere Flecken, die zu größerer Dichte zusammengeballt waren, als die Spinnwebnebel
darüber. Diese dunkleren Flecken reflektierten ein goldenes Glühen, das lebhaft in einem
inneren Licht pulsierte. Gotramms Augen brauchten einen Moment, um die grotesken Formen
zu entschlüsseln, die da zwischen den Nestern hockten. Als ihm das gelang, fühlte er eine
Mischung aus Abscheu und Besorgnis. Die unteren Bereiche der Wolkenbänke waren von
einer Unzahl von Chimären bewohnt, eine Kolonie von Bestien, die genauso verdreht und
monströs waren, wie jene, die das Schiff angegriffen hatten.
»Ich will mich nicht darauf verlassen, dass diese Biester genauso träge sind wie das letzte
Mal«, sagte Gotramm und gab das Fernglas an Grokmund zurück. »Als du zuerst hier warst,
hattest du eine ganze Flotte hinter dir. Wir sind nur ein einziges Schiff. Dieser feine
Unterschied könnte die Chimären gegen unsere Anwesenheit weniger duldsam machen.« Er
klatschte in die Hände, als er die Angelegenheit zu Ende durchdachte. Horgarr hatte eine
weitere Donnerschlag-Mine montiert, aber diese Bombe war nur auf geringe Entfernung
wirksam. Wenn man sie jetzt davonschweben lassen würde, konnte man nicht vorhersagen,
wie weit sie von ihrem Kurs abtreiben würde. Er hatte den verheerenden Schaden gesehen,
den die andere Mine unter den Männchen der Horde angerichtet hatte. Was sie tun mussten,
war, die anderen von ihren Nestern abziehen, sie so sehr verärgern, dass sie das Schiff
angreifen würden.
»Wenn wir einen Torpedo da rein jagen, was denkst du, wie stark das die Ader
durcheinanderwirbeln würde?«, fragte Gotramm schließlich.
Grokmund dachte über die Frage nach. »Wenn du auf die unteren Schichten zielst, denke
ich nicht, dass die Explosion ausreichen würde, um die Ader wegzutreiben.« Er schüttelte den
Kopf, schnalzte bedauernd mit der Zunge. »Aber die Nester würdest du sicher verlieren. Sie
sind so dicht gepackt, dass sie zur Erde herabregnen, wenn man sie einer Belastung aussetzt.«
»Du hast gesagt, dass die Ader viel mehr einbringen würde als die Nester«, erinnerte ihn
Gotramm.
»Schwerer abzubauen. Eine Menge mehr Arbeit. Aber wert wäre es das«, bestätigte
Grokmund. »All diese Nester zusammengenommen würden nicht einmal das Potenzial der
Ader selbst ankratzen.«
Diese Aussage entschied es für Gotramm. Er rief nach Horgarr. Er würde den Endrinmeister
brauchen, um ein wenig an den Sprengköpfen herumzubasteln, damit sie das ausführen
konnten, was er im Sinn hatte.

Es war das Werk von nur einer Stunde und Horgarr konnte Gotramm mitteilen, dass die
Änderungen vorgenommen worden waren. Der Soldfahrer versammelte seine neue
Mannschaft.
»Euer Kampf gegen die Chimären war das Tapferste, was ich je gesehen habe«, verkündete
Gotramm der Mannschaft. »Ihr habt diese Bestien mit einem Mut und einer Effizienz
zurückgeworfen, die einen Admiral stolz gemacht hätte.« Er hielt inne, damit dieses Lob sich
setzen konnte, bevor er fortfuhr. »Ein ähnlicher Kampf liegt vor uns. Die Kolonie, aus der die
Chimären kamen, liegt zwischen uns und unserem Reichtum. Wir müssen erneut gegen dieses
Viehzeug kämpfen. Mit einem Unterschied, einem wichtigen Unterschied«, erklärte er.
»Wenn wir da durch sind, dann wartet nicht der freie Himmel auf uns, sondern eine so fette
Ader reichen Äthergoldes, dass es das Maß jeder Habgier übersteigen dürfte. Einmal noch in
die Schlacht, Jungs, und dann ist unser Reichtum gesichert.«
Diese Ansprache rief Jubel unter der Mannschaft hervor. Himmelswarte und Endrinisten
stiegen zu ihren Posten über den Decks auf, ein jeder Duardin mit dem Schiff durch ein
starkes Tau verbunden. Drumark versammelte seine Grundstok-Schützen und rief Grokmund
zu, ihnen den gleichen Beistand durch seinen Atmosphären-Anatomisator zu geben wie beim
letzten Mal. Horgarr überwachte die letzten Vorbereitungen an der Donnerschlag-Mine,
während Mortrimm sein Zephiroskop bereithielt, um einen Äthersturm herabzurufen, der die
Chimären aufhalten würde, wenn sie das Panzerschiff angriffen.
Die Kharadron kannten ihre Aufgaben nur zu gut; alles lief mit absoluter Präzision ab. Der
einzige Unterschied war das Fehlen der großen Himmelsharpune. Ghazuls Fluch hatte in der
Zwischenzeit nicht repariert werden können. Arrik und seine Jäger versuchten noch immer, sie
wieder auf Vorderkastell zu schaffen und die Planken zu verstärken, die im vorangegangenen
Kampf zerbrochen waren. Irgendwie schien es Gotramm seltsam passend, dass die Waffe
außer Betrieb war. Sie war etwas, das zu Brokrin gehörte, etwas, dem seine Persönlichkeit
eingeprägt war. Irgendwie würde es sich falsch anfühlen, sie zu benutzen, ohne dass Brokrin
beteiligt war.
Gotramms Stimmung verdüsterte sich, als er an Brokrin da unten in seiner Kajüte dachte. Es
war sicher, dass Brokrin von dem Kampf wusste, der auf sie zukam. Alles, was er tun musste,
war ein Wort zu sagen und Gotramm würde seine Hilfe willkommen heißen. Aber Brokrin
war zu stolz, um diese Hilfe anzubieten. Wenn er ehrlich mit sich selbst war, war auch er nicht
frei von Hochmut, denn seinerseits war der Arkanaut zu stolz, ihn um diese Hilfe zu bitten.
»Der Wille Grungnis geschehe«, flüsterte Gotramm, bevor er das Sprachrohr erreichte, das
in die Wand des Steuerstandes eingelassen war. Vorki blickte auf, als der neue Kapitän
Befehle hinunter in den Torpedoraum rief. »Lasst den Welpen los«, befahl er.
Ein einzelner Torpedo zog glitzernd seine Bahn vom Bug des Schiffes weg. Wie er da die
Wolken spaltete, wirkte er wie ein silberner Blitzkeil. Und genau wie ein Blitz schlug er auch
in einer Explosion grellen Lichts und mit dröhnendem Gebrüll ein. Das Geschoss explodierte
im Zentrum der Chimären-Kolonie. Horgarr hatte die Ladung des Sprengkopfes reduziert und
die Ätherenergie abgezapft, damit die Macht des Einschlags verringert würde. Doch selbst so
wurden einige der Chimären von der Explosion zerrissen. Gotramm konnte sehen, wie ein
paar von ihnen aus den Nestern stürzten, während anderen Rauch von ihren versengten Häuten
aufstieg und Blut das zerrissene Fleisch durchströmte. Verwundet oder unversehrt erhoben
sich die Überlebenden der Explosion in die Lüfte, sammelten sich zu einem auf Rache
versessenen Schwarm, der auf den Eisendrachen zustürzte.
»Und los«, rief Gotramm erneut durch das Rohr in den Torpedoraum. Diesmal war es nicht
nötig, das noch weiter zu erklären. Nur einer der Sprengköpfe war verändert worden. Der Rest
der Torpedos besaß eine volle Ladung.
Der zweite Torpedo pflügte vom Schiff fort und raste auf den angreifenden Schwarm zu. Es
flog an den vordersten der Chimären vorbei, bevor es in der Mitte der nachfolgenden
explodierte. Das Tosen glich diesmal nicht Donner, sondern eher einem Vulkanausbruch. Ein
gewaltiger Ball goldfarbenen Feuers dehnte sich aus und hüllte die meisten der Chimären ein.
Schwarzer Rauch wallte durch die Luft. Verkohlte, zerrissene Kadaver regneten aus dieser
Rauchwolke zur Erde hinab, tote, verstümmelte Monster stürzten ihrem endgültigen Schicksal
entgegen.
Was aus dieser Gluthölle hervorkam, war eine stark dezimierte Horde, die weiter auf das
Schiff zustürzte. Zu nah für einen weiteren Torpedo waren sie und so fiel die Mannschaft des
Eisendrachen auf ihre frühere Taktik zurück. Mortrimms Äthersturm verlangsamte den
Angriff der Bestien, während Drumarks Grundstok-Schützen sie mit ihren Flinten und dem
Mörser abschossen. Als die Biester aus dem Beschuss herauskamen, gerieten sie direkt in die
Explosion der Donnerschlag-Mine. Erneut wurden die Decks des Panzerschiffs von einem
Hagel organischer Trümmer erfasst. Diesmal jedoch drängten sich keine weiteren Bestien
hindurch, um ihren Angriff weiter voranzutreiben. Die Chimären hatten genug. Ein paar
verwundete Exemplare flohen über den Himmel; ihnen war die Lust auf jeden weiteren
Kontakt mit den Duardin ausgetrieben, die ihre Horde dezimiert hatten.
Ein Siegesjubel erhob sich überall von den Decks. Die Panzerplatten dröhnten, als die
Kharadron mit ihren schweren Stiefeln auf den Boden stampften. Gotramm fühlte, wie ihm
das Blut ins Gesicht schoss, als er hörte, wie jauchzende Duardin seinen Namen skandierten.
Er trat aus dem Steuerstand heraus, winkte den Kameraden zu, um sie zu beruhigen.
»Spart euch eure Kräfte, Jungs«, ermahnte er sie. »Der Kampf mag vorbei sein, aber die
Arbeit fängt gerade erst an.« Er deutete auf die glitzernden Wolken aus zerstäubtem Diamant.
»Das dort ist die Ader. Dort ist es, wo wir uns den Reichtum holen und uns ein Vermögen
schaffen. Es wird nicht leicht, aber wann ist jemals ein Duardin, der seiner Ahnen würdig war,
vor ehrlicher Arbeit zurückgeschreckt?«
»Wir sind an deiner Seite, Käpt’n«, stieg eine Stimme aus der Menge auf.
Gotramm hielt inne, fühlte sich peinlich berührt, auf diese Art angesprochen zu werden. Er
drängte sein Unbehagen zurück und gab ein paar Befehle an die Mannschaft aus. »Macht die
Siebnetze bereit! Pumpen und Bälge hochschaffen. Zurrt die Schläuche fest. Wir werden das
Schiff vom Bug bis zum Heck mit jedem Stäubchen und Wölkchen an Äthergold füllen, das
der Himmel zu bieten hat.«
Und wieder jubelte die Mannschaft ihm zu. Doch dieses Mal unterdrückte er seine
Bedenken und sonnte sich im Glanze ihrer Begeisterung. Bald würden sie alle reich sein.
Selbst Brokrin.

Als er seine Augen schloss und das Bad des Jubels seiner Mannschaft über sich hinwegspülen
ließ, wusste der neue Kapitän des Eisendrachen nichts von jenem dunklen, seilähnlichen
Ding, das ihn durch einen Spalt in den Deckplanken beobachtete, dort, wo die
Himmelsharpune verankert gewesen war. Er sah nicht das unverwandt starrende Auge, das ihn
aufmerksam musterte. Jedes Bild, welches das Überbleibsel sah, wurde an seinen Meister
übertragen.
Vorsichtig bahnte Khoram sich den Weg durch die neun Ringe von Bannsiegeln, die er auf
den Boden seines Allerheiligsten gezeichnet hatte. Er kraulte den gefiederten Kopf seines
Homunkulus, während er beobachtete, wie die Duardin ihren Sieg feierten.
»Die Kharadron sind nicht die Einzigen, die sich an ihrem Sieg erfreuen«, erzählte er
seinem Trugling. »Trotz Tamuzz’ Ängsten bestätigen die Duardin meine Erwartungen. Sie
handeln in Übereinstimmung mit meinen Plänen.«
Der Hexer trat in den innersten Kreis. Dabei holte er aus einem Säckchen an seinem Gürtel
eine Prise pudrigen Staubs hervor. Akkurat begann er die Schutzzauber, die er durchschritten
hatte, erneut zu verschließen, indem er den Staub durch seine Finger rinnen ließ.
»Warum rohe Gewalt benutzen, um einen Feind zu nötigen?«, sann Khoram. »Denn
schließlich bedarf es dazu nur eines einzigen kleinen Stoßes und sie alle tun, was notwendig
ist. Nicht auf Befehl hin, sondern aus ihrem eigenen Verlangen. Tamuzz sieht nicht, dass es
keinen Sklaven gibt, der so verlässlich ist, wie einer, der sich für frei hält.«
Der Trugling krähte zustimmend und seine gefiederte Masse sträubte sich vor Vergnügen.
Khorams Aufmerksamkeit wandte sich erneut der Sphäre des Zobras zu. Er musterte die
Szenen, die sich in seinen Facetten gefangen hatten, ließ sich dabei vom Geschnatter seines
Truglings zu jenen Bildern leiten, welche die Zukünfte zeigte, deren Potenzial sich zu
manifestieren am größten war. Eine dieser Visionen erwischte ihn unvorbereitet. Es war das
Bild eines baufälligen Himmelsschiffs, einer wild zusammengeschusterten Konstruktion aus
rohem Holz und geplünderten Baustoffen. Dass es sich überhaupt in der Luft halten konnte,
schien allein schon ein Akt größerer Magie zu sein, als alles, was er jemals bereit war zu
riskieren. Dennoch lag darin etwas Bedrohliches, eine Gefahr für all seine sorgsam
ausgeheckten Pläne.
Über die Decks dieses Schrottschiffes stolperten Schwärme winziger Kreaturen in einer
Vielzahl schikanierender Possen, die man nur mit dem allergrößten Wohlwollen als Arbeit
bezeichnen konnte. Die Kreaturen waren nur halb so groß wie ein Mensch, mit
verschrumpelten Gesichtern und langen, schlaksigen Armen. Ihre Haut war grün und ledrig,
ihre Gesichter lang und boshaft mit weiten Mündern und gekrümmten Nasen. Sie waren in
eine wilde Maskerade greller Stoffe und schmutziger Rüstung gehüllt. Kurze Schwerter und
breite Dolche steckten in ihren Gürteln. Die größten trugen Gurte mit Pistolen über die
Schulter geschlungen.
»Ich kenne diese Wesen«, fauchte Khoram. »Grots. Boshafte kleine Abkömmlinge der
Orruks. Lächerlich sind sie anzuschauen, aber die dürren kleinen Monster verfügen über
rachsüchtige Schläue und einen mörderischen Sinn für Humor. Selbst für mich sind ihre
Absichten schwer genau vorherzusehen. Ihre Hirne werden von seltsamen Launen getrieben.
Sie sind zugleich zu wildwütiger Aggression und erbärmlicher Feigheit fähig. Ich habe sogar
schon gesehen, wie sie den Sieg verspielten, weil sie zu eifrig dabei waren, untereinander zu
kämpfen.«
Das Bild der Sphäre zeigte ein kunterbuntes Sammelsurium von Waffen quer über das
Schrottschiff verstreut. Teile, die wie primitive Speerschleudern aussahen, andere, die
Kanonen sein mochten, wieder andere Apparate ähnelten eher der überdimensionierten
Schleuder eines Schäfers. Zusammengenommen ergab das ein beträchtliches, wenn auch
primitives Arsenal. Haufen von Beutegut, die achtlos über das Deck verteilt waren, ließen
wenig Zweifel daran, zu welchem Zweck die Grots wohl ihre Waffensammlung nutzten. Die
grünhäutigen Kreaturen waren Piraten.
Piraten, denen die explosionsreiche Schlacht mit den Chimären nicht entgangen war und die
nun ihr Gefährt in Richtung des Eisendrachen wendeten. Wenn die Duardin auf eine Schlacht
gerüstet waren, dann war Khoram sicher, dass sie das Grot-Schiff in tausend Splittern vom
Himmel blasen würden. Aber im Moment war das nicht der Fall. Sie hatten damit begonnen,
das Gas der Himmelsader abzubauen. Das Schiff war jetzt am verwundbarsten, seine
Mannschaft am wenigsten auf einen unerwarteten Angriff vorbereitet.
Khoram erforschte die Szene in der Kugel. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass es
keine gute Idee war, Grots in Pläne einzubeziehen. »Das geht so nicht«, erklärte er. »Diese
Unwägbarkeit ist ein zu großes Hindernis, um es irgendwie auszugleichen. Sie müssen
eliminiert werden, bevor sie sich in meine Angelegenheiten einmischen können.«
Unter seinen Gewändern zog der Hexer eine Drachenschuppe von beträchtlicher Größe
hervor. Nachdem er ihre Form klar in seinem Geist verankert hatte, schloss Khoram die
Augen. Seine Lippen brachten eine Reihe zischelnder Beschwörungen hervor, deren Klänge
sich durch den Boden seines Allerheiligsten schlängelten. Da der Zauber Gestalt annahm,
fühlte er, wie sein Bewusstsein in einen anderen Geist und in einen anderen Körper kroch. Er
ließ seine Befehle in dieses Hirn fließen, Impulse und Triebe, denen es unmöglich widerstehen
konnte.
Machtvolle Magie und abnorme Rituale hatten ihm Gewalt über das gewaltige Reptil
gegeben, zu dem die Schuppe einst gehört hatte. Üble Zauber, die ein Bruchstück von
Khorams eigenem Wesen in diesen mächtigen Feuerwurm eingepflanzt hatten. Eine arkane
Verbindung, die nur durch den Tod unterbrochen werden konnte. Ein Band, das keine
Entfernung oder anderes Hemmnis kannte.
Der Körper des Hexers wurde heiß und seine Kleidung begann unter der Berührung mit
seiner Haut zu glimmen. Das gequälte Wimmern des Truglings zerrte an ihm und zog ihn aus
dem Wesen heraus, in das er sich so kurzzeitig projiziert hatte. Als er in seinen Körper
zurückkehrte, lief er zu einem Wasserkrug, dessen Inhalt einen Bann gegen solche Wirkungen
enthielt, wie er sie gerade erlitt. Während er die Flüssigkeit in sich aufnahm, spürte er, wie die
Empfindung des Feuers versiegte.
Als er nun in den Orb hineinblickte, sah Khoram eine andere Szene. Die Grots rannten in
Panik umher, luden verzweifelt ihre Waffen und richteten sie auf den Feind, der auf so
unglaubliche Weise plötzlich am Himmel über ihnen erschienen war. Indem er die Bestie zum
Angriff trieb, hatte Khoram den Schleier der Unsichtbarkeit von dem Drachen hinweggerissen
und ihn wieder vollständig dem Ort und der Zeit, die er einnehmen sollte, zurückgegeben.
Der Feuerwurm warf sich wie ein rachsüchtiger Meteor auf das Schrottschiff hinab. Für eine
Bestie, die eine ganze Kharadronflotte dezimiert hatte, wären die Grot-Piraten nichts. Sie
würden ausgelöscht, noch bevor der Eisendrache überhaupt wusste, dass es sie gab. Wenn sie
fort waren, würde Khoram erneut seine Magie benutzen, um den Drachen aus seinem
Einklang mit der Stofflichkeit Chamons herauszuholen.
Dann würde er wieder der unsichtbare Wächter der Duardin werden, bereit zu handeln,
sollte dem Panzerschiff irgendeine Gefahr drohen.
Bereit zuzuschlagen, sollten die Duardin von dem Kurs abweichen, den Khoram ihnen
zugewiesen hatte.
KAPITEL ZEHN

Nach ein paar Tagen harter Arbeit waren die Frachträume des Eisendrachen bis zum Rand mit
Äthergold gefüllt. Trotz der Mühen war Gotramm angesichts der Größe ihrer Ausbeute
fassungslos. Jeder Prospektor behauptete, dass sein Fund nur darauf gewartet habe, abgebaut
zu werden, bereit, einfach so in die Hände jener zu fließen, die zugriffen, um ihn sich zu
nehmen. Dies war stets eine Übertreibung gewesen, eine Lüge, die durch die Aufregung
genährt wurde. Doch im Falle von Grokmunds Fund, kam diese Behauptung der Wahrheit
näher, als Gotramm es je erlebt hatte. Ja, die Duardin mussten arbeiten, um an die Ader zu
kommen, aber als sie erst einmal erschlossen worden war, übertrafen die Erträge selbst die
optimistischsten Erwartungen.
»Wenn die Dron-Duraz und die Grom-Makar noch bei uns wären, hätten wir auch sie mit
Äthergold füllen können«, bemerkte Drumark, während er beobachtete, wie die Pumpen das
Gas in die ausdehnbaren Tanks des hinteren Frachtraums beförderten. »Ist hart, so viel davon
zurückzulassen.«
Gotramm nickte. Er fühlte etwas von der Last, die Brokrin gefühlt haben musste:
Verantwortung für das Schiff und seine Mannschaft, eine Abscheu vor allem, was irgendwie
den Ruch von Leichtsinn hatte. Er schenkte Drumark einen argwöhnischen Blick. »Schlägst
du mir gerade vor, dass wir Fässer füllen und sie an Deck stapeln sollten?« Wenn das der Fall
war, dann war der Sergeant damit nicht der Erste. Diese Ehre gebührte Skaggi, der das Thema
angeschnitten hatte, sobald klar wurde, dass die Ader mehr Äthergold trug, als sie in ihren
Frachträumen unterbringen konnten.
»Ich will nicht so tun, als wäre ich besonders weise und lang vom Bart her«, antwortete
Drumark, »aber ich bin auch kein totaler Trottel. Wir nehmen schon ein Risiko damit auf uns,
indem wir die Frachträume füllen, wie wir es tun. Wenn wir noch mehr offen und ungeschützt
auf dem Deck stapeln, dann hieße das, das Schicksal allzu sehr in Versuchung zu führen.« Er
kratzte sich den Bart, pflückte ein paar Krümel heraus und schnipste sie mit dem Daumen über
Bord. »Zumindest sehe ich das so.«
»Dann sind wir einer Meinung«, sagte Gotramm. »Es läuft darauf hinaus, die Chancen
abzuwägen und dann zu entscheiden, welche Risiken man eingehen und welche man
vermeiden will.« Er seufzte und wandte sich um, um den Duardin zuzusehen, die an den
Pumpen arbeiteten. »Ich bin keineswegs so skeptisch wie Brokrin, aber ich fange an, seine
Sichtweise zu verstehen.«
Drumark packte Gotramm beim Arm und zog den Kapitän nahe zu sich hin. Der Geruch
seines biergetränkten Atems traf den Arkanauten ins Gesicht, als der Sergeant ihm ins Ohr
flüsterte. »Du könntest die Dinge bald noch mehr wie Brokrin sehen«, warnte er.
»Was meinst du damit?«, fragte ihn Gotramm.
Drumark ließ einen kurzen Blick über das Deck streifen, dorthin, wo Skaggi den
Abbauprozess beobachtete. Er hielt eine Kupfertafel in der Hand und ritzte munter mit einer in
Säure getunkten Nadel darauf herum. »Skaggi redet schon wieder mit der Mannschaft,
bearbeitet sie, wie er das auch vorher gemacht hat. Diese Kalkulationen, die er da macht – er
berechnet exakt, was die Anteile jedes Einzelnen wert sind. Und er berechnet auch, wie viel
sie kriegen würden, wenn man jeden Kochtopf und jede Pfanne auf diesem Schiff mit
Äthergold füllt.«
Der Sergeant lehnte sich zurück und steckte die Daumen in den Gürtel. »Eine Mannschaft,
die bereits gegen einen Kapitän gemeutert hat, wird nicht lange zögern, auch gegen ein
zweiten zu meutern.«
Gotramm wusste, dass der Sergeant recht hatte. Skaggi hatte die Mannschaft angestachelt,
Brokrin zu entmachten, also würde er noch weniger Bedenken haben, sie gegen ihn
aufzubringen. Die einzige Chance, die er hatte, war, dem Logistikator in die Parade zu fahren,
bevor er die Dinge zum Überkochen bringen konnte.
»Sei vorsichtig, wie du das anstellst«, meinte Gotramm zu Drumark, »aber sag Horgarr, dass
ich ihn sprechen möchte. Ich will eine Idee mit ihm bereden. Skaggi ist so eifrig dabei, allen
zu erzählen, was jeder von ihnen gewinnen könnte. Ich denke, sie müssen einmal daran
erinnert werden, was es für sie zu verlieren gibt.«

Das Signal, das von der Pfeife des Eisendrachen herüberschrillte, war das Gebieterischste der
vielen Kommandos, welche Kharadron-Mannschaften lernen mussten. »Alle Mann an Deck«,
schrie es in der Ätherstimme zischenden Dampfes. Wo immer sie auch waren, ließen die
Duardin alles stehen und liegen, um dem Ruf zu folgen. Endrinisten ließen ihre Äther-
Endrinen auf das Deck sinken, Goldsammler stellten ihre Pumpen ab und versiegelten die
Schläuche, während sie eilten, um dem Befehl nachzukommen. Nur der Ausguck hoch auf der
großen Endrin und Vorki am Steuerrad des Schiffes waren von dem Ruf ausgenommen, da
ihre Pflichten zu wichtig waren, als dass man sie selbst für einen Moment vernachlässigen
konnte.
Die Duardin murmelten besorgt untereinander und suchten nach dem Hinweis auf einen
Notfall, welcher der Auslöser für das Signal hätte sein können. Viele Blicke richteten sich auf
die Deckplanken unter ihren Füßen und man stellte sich den mit gasförmigem Äthergold
gefüllten Frachtraum vor. Auf mehr als einer Stirn begannen sich Schweißperlen zu bilden.
Gotramm stand auf dem Vorderkastell und sprach mit lauter Stimme zu den Versammelten.
»Ich möchte die Schnelligkeit loben, mit der ihr auf das Signal reagiert habt«, verkündete er.
»Ich entschuldige mich dafür, wenn ich euch damit einen Schrecken eingejagt habe. Ich kann
euch versichern, dass das Schiff in keinerlei Gefahr schwebt.« Er hob die Hand, als eine
deutlich sichtbare Welle der Erleichterung durch die Mannschaft ging. »Das Schiff ist nicht in
Gefahr … aber dennoch«, fügte er hinzu. Sein Blick blieb einen Moment lang an Brokrin
haften. Sein Gesichtsausdruck zeigte Spuren des Mitgefühls mit ihm aber auch eine Art von
selbstgerechter Befriedigung, der Gotramms Stolz einen Stich versetzte. Ja, dachte er, du
hattest recht.
Nicht weiter überraschend war es Skaggi, der eine Erklärung von Gotramm verlangte. »Das
ist ein armseliger Streich, den du uns da spielst, Käpt’n«, grollte er. »Deines Postens
unwürdig.« Sein harter Blick machte klar, dass er den Zweck dieser Versammlung verstand.
Und so wollte er von Anfang an die Autorität des Soldfahrers untergraben, um jedem
Argument, das dieser gegenüber der Mannschaft vorbrachte, die Überzeugungskraft zu
nehmen.
Gotramm widerstand dem Drang zu lächeln. Er hatte einen Trick in seinem Ärmel, bei dem
er bezweifelte, dass Skaggi ihn erwartete. »Das ist kein Scherz«, sagte er und ließ den Blick
über die Mannschaft gleiten. »Ich würde mich hüten, über eine Fracht von Äthergold Scherze
zu treiben. Wir haben bereits ein Vermögen in den Frachträumen, aber einige unter uns sind
noch immer nicht zufrieden. Sie machen sich mehr Sorgen darum, was sie nicht haben, als um
das, was sie haben. Das ist die Art von Gier, die unser Unternehmen sich nicht leisten kann.«
»Jetzt hörst du dich ganz wie Kapitän Brokrin an«, rief ihm Skaggi herausfordernd zu und
warf dabei die Worte wie Samen unter die Mannschaft. »Ich glaube, wir haben noch immer
genug Linsen und Bohnen in der Kombüse.« Die Bemerkung entlockte den versammelten
Duardin ein paar harte Lacher.
Gotramm zog seine Pistole und feuerte sie von dem Schiff weg ab. Das Krachen des
Schusses ließ die Mannschaft verstummen. »Die Situation ist jetzt aber anders«, erklärte er.
»Als wir gegen Kapitän Brokrin gestimmt haben, war das, weil wir eine Mannschaft ohne jede
Aussicht auf Erfolg waren, die zuhause im Hafen nichts anderes erwartete als Schulden und
Schande. Jetzt stehen die Dinge anders. Jetzt haben wir eine Fracht, die uns Reichtümer
einbringen wird, wenn wir wieder in den Hafen einfahren. Es gibt eine Zeit, um Risiken
einzugehen, und eine Zeit, um umsichtig zu sein.« Er blickte auf Brokrin hinab und neigte
respektvoll den Kopf. »Kapitän Brokrin hat sich um die Stabilität dieser Fracht gesorgt.
Darum hat er sich geweigert, sie an Bord zu nehmen. Er hatte die Sicherheit und das
Wohlergehen des Schiffs und der Mannschaft im Kopf. Ihr alle wisst das, aber ich frage mich,
wie viele von euch darüber nachgedacht haben, was das genau bedeutet.«
Ein Wink seiner Hand brachte Drumark und Horgarr dazu, vom Steuerstand wegzutreten.
Zwischen sich trugen die beiden Duardin ein kleines von Eisenbändern gehaltenes Fass. Sie
gingen zu einer herrenlos herumliegenden Äther-Endrin hinüber. Während Drumark das Fass
hielt, schnallte Horgarr es an den Harnisch der Äther-Endrin fest. Um sie herum sah ihnen die
Mannschaft verwundert zu.
»Dieses Fass ist mit Äthergold gefüllt«, verkündete Gotramm. »Kein Grund zum Maulen; es
wurde von meinem Anteil abgezogen.« Er verspürte ein Gefühl von Triumph, als er den
Schock in Skaggis Gesicht sah. Raffiniert und hinterhältig wie er war, war der Logistikator
stets bereit, jeden Angriffspunkt, jede Blöße zu nutzen, die man ihm bot, aber er hätte niemals
damit gerechnet, dass jemand sein Geld wegwerfen würde. Skaggi wusste, was jetzt kommen
würde. Vielleicht kannte er nicht die genaue Methode, aber er wusste, welche Botschaft
Gotramm der Mannschaft vermitteln würde. Der Logistikator schaute erneut auf das Fass, das
an der Äther-Endrin befestigt wurde, und begann sich in einem Anflug von Nervosität heftig
den Bart zu zwirbeln.
»Ist nicht viel da drin«, führte Gotramm aus. »Wie gesagt, es kommt aus meinem Anteil.«
Der Kommentar ließ die versammelten Duardin auflachen. Der Soldfahrer schaute zu Brokrin
hinüber, sah den wissenden Blick in dessen Augen. Genau wie Skaggi, wusste er, was jetzt
kommen würde.
»Wir haben einen Test mit einer noch kleineren Menge unten in der Kapitänskajüte
unternommen«, sagte Gotramm. »Ihr habt das nicht gesehen. Was ihr aber gesehen habt, war,
was passiert ist, als Horgarr den etwas größeren Barren benutzte, um den Himmelsalbtraum zu
zerstören, der uns unsere Fregatten genommen hat. In der Hitze des Gefechts erschien das
mehr als ein Segen als eine Bedrohung. Ich denke, alle von euch könnten von einer
deutlicheren Demonstration der Gefahr profitieren, die das Erz darstellt.«
Horgarr wandte sich von der Äther-Endrin ab und nickte Gotramm zu. Er gab ein Zeichen
mit der Hand. Zusammen warfen Horgarr und Drumark das Fass über die Seite des Schiffs.
Von der Äther-Endrin in der Luft gehalten, wurde sie schnell von der Windströmung erfasst
und davongetrieben. Gotramm wartete, bis sie etwa hundert Meter fort war. Dann gab er ein
weiteres Signal. Drumark nahm sich eine Ätherflinte, die am Steuerstand lehnte.
»Denkt daran«, sagte Gotramm, während er sich der neugierig blickenden Mannschaft
anschloss, »es ist nur ganz wenig Äthergold in dem Fass.«
Drumark hob die Flinte an die Schulter und feuerte. Der Schuss krachte in das in der Luft
treibende Fass. Im nächsten Augenblick gab es eine ungeheure Explosion. Mit einer
Schockwelle, welche den Eisendrachen von Seite zu Seite schwanken ließ. Als das Klingeln
in ihren Ohren allmählich abklang, erblickten die Duardin nur die allerfeinsten Rauchfetzen,
die einzige Spur, die von dem Fass noch geblieben war. Überall in den Reihen der
Versammelten hörte man lautes Keuchen der Verwunderung.
Gotramm faltete die Arme vor der Brust. Er wusste, dass sein Argument angekommen war.
»Ich denke nicht, dass du jetzt noch allzu große Mühe haben wirst, Skaggis Ausführungen
zu entschärfen«, erklärte Grokmund ruhig, während er zu Gotramm herüberging. Als einziger
der Mannschaft war er vom Spektakel der Explosion unbeeindruckt.
»Das war der Sinn dahinter«, meinte Gotramm zu ihm. »Wir nehmen mit dem, was in den
Frachträumen ist, schon genug Risiken auf uns. Wir brauchen wahrhaftig nicht unser Glück
damit herauszufordern, dass wir noch mehr davon übers ganze Deck verteilt stapeln.«
Grokmund nickte. »Eine umsichtige Vorgehensweise«, stimmte er zu. »Teuer, aber
umsichtig.«
»Nicht so teuer wie das ganze Schiff in die Luft zu jagen«, sagte Gotramm. »Es liegt kein
Profit darin, tot zu sein.«
Grokmund verneigte sich. »Ich wollte deine Entscheidung nicht infrage stellen«,
entschuldigte er sich. Er nickte in Skaggis Richtung und lenkte so Gotramms Aufmerksamkeit
auf den Logistikator, der schmollend unter Deck von dannen zog. »Sein Ehrgeiz hat seinen
Verstand übermannt. Du hattest Recht, seinen leichtsinnigen Umtrieben sofort die Stirn zu
bieten.«
Es war ein Blick des Argwohns, den Grokmund durch diese Bemerkung auf sich zog.
»Warum hört sich das für mich so an, als hättest du deine eigenen leichtsinnigen Umtriebe?«
Grokmund tippte sich seitlich an den Kopf. »Keine Umtriebe, aber einen Vorschlag. Und er
ist nicht einmal leichtsinnig. Nicht im Geringsten. Wenn er dir gefällt, dann könnten wir die
Fracht sicherer und stabiler machen.« Er lächelte den Soldfahrer an. »Und auch wertvoller.
Das rohe Erz ist wertvoll, aber wenn man es zu fester Form veredelt, wird es umso wertvoller
sein.«
Gotramm dachte darüber nach. Er hob seinen Blick von Grokmund und richtete ihn auf
Brokrin, der über das Deck des Schiffes auf und abschritt, das einmal seinem Kommando
unterstanden hatte. Brokrin war ein erfahrener Himmelsfahrer. Wenn seine Sorge um die
Stabilität von Grokmunds Erz groß genug war, eine Meuterei zu riskieren, dann war dies
etwas, was man nicht so leicht beiseiteschieben konnte. Wie er schon der Mannschaft gesagt
hatte: Jetzt, da sie nicht länger einer Katastrophe ins Auge sahen, wenn sie nach Barak-Zilfin
zurückkehrten, war Gotramm nicht mehr allzu versessen darauf, irgendwelche unnötigen
Risiken einzugehen.
»Wenn du eine Idee hast, wie wir die Fracht sicherer machen können, dann bin ich gerne
bereit, dir zuzuhören«, meinte Gotramm zu ihm. »Wenn es sich für mich machbar anhört,
dann werden wir es dem Rest der Offiziere vorlegen.«
Erneut lächelte Grokmund. »Wenn ich dich überzeugen kann, Käpt’n, dann bin ich sicher,
dass ich es bei ihnen ebenfalls kann.«

Zu sagen, dass er sich merkwürdig fühlte, wäre wohl eine herbe Untertreibung gewesen. Es
lag für Brokrin etwas beinah Surreales in der Situation, an einer Seite des Tisches in seiner
Kajüte zu sitzen, während Gotramm die Versammlung der Offiziere des Eisendrachen leitete.
Beim letzten Mal, als sie sich alle in diesem Raum befunden hatten, war er der Kapitän dieses
Schiffes gewesen. Nun hing er in der Leere, war nur Zuschauer der Ereignisse. Ein
interessierter Zuschauer sicherlich, aber in keiner Weise ein Beteiligter. Dass Gotramm ihn
gebeten hatte zu bleiben, war eher der Höflichkeit als der Notwendigkeit geschuldet. Brokrin
besaß derzeit keinerlei Autorität.
Das Thema war natürlich die explosive Ladung in den Frachträumen des Panzerschiffs.
Nach der explosiven Demonstration, die Gotramm für die Mannschaft arrangiert hatte, gab es
mehr als nur ein paar Bedenken, was den Transport von Grokmunds flüchtigem Erz betraf.
Skaggis Plan, das Schiff damit zu überladen, war durchkreuzt worden, aber nun gab es Rufe,
dass man sogar die Menge, die sich in den Frachträumen befand, reduzieren sollte.
»Eine Reduzierung würde gar nichts verändern«, erklärte Horgarr den anderen. »Ihr habt
alle die Macht erlebt, die nur ein kleiner Hauch des Äthergolds entfesseln kann. Wenn wir von
dem, was wir bereits geladen haben, ein wenig ablassen, macht das keinen Unterschied. Wenn
ihr lieber sichergehen wollt, dann müsst ihr auf alles davon verzichten.«
Grokmund ergriff rasch das Wort, damit nicht irgendjemand noch Horgarrs extremen
Vorschlag aufgreifen konnte. »Verringert das, was ihr schon geladen habt und es ist endgültig
verloren«, argumentierte er. »Auch wenn die Ader nicht weitertreibt, wird es alles, was ihr aus
dem Frachtraum ablasst, tun. Denkt daran, was es zu verlieren gilt.«
»Wenn ich daran denken würde, dann würde ich nicht Skaggi sagen, wohin er sich seine
Fässer stecken kann«, schnaubte Drumark. Der Logistikator warf ihm einen finsteren Blick zu,
aber der Sergeant grinste einfach nur zurück.
Arrik stand auf und sah den Tisch entlang. »So wie ich das sehe, besteht ein großer
Unterschied, ob wir das Äthergold offen auf Deck oder unten im Frachtraum verstaut haben.
Da unten ist es sicher genug.«
Mortrimm warf Brokrin einen Blick zu und beantwortete dann Arriks Bemerkung. »Das
Äthergold ist ätzender als die normale Sorte. Das macht es zwar wertvoller, aber auch
gefährlicher. Ich würde nicht sagen, dass es dort unten sicherer verstaut ist als direkt neben
einer offenen Flamme.«
Skaggi hieb seine Faust auf den Tisch. »Nach dieser Logik sollten wir gar nichts davon
nehmen«, grollte er. »Einfach den Schwanz einziehen und mit leeren Händen wieder nach
Barak-Zilfin zurückfliegen.« Er funkelte wütend die anderen Duardin an. »Vielleicht habt ihr
ja Geschmack daran gefunden, bis zu den Bärten in Schulden zu stecken, aber ich nicht. Wir
sind schließlich so weit gekommen.«
»Vielleicht hatten wir nur Glück«, meinte Drumark zu ihm. »Ich bin auch nicht begierig
darauf, dass mir die Gläubiger am Rockzipfel hängen, aber ich bin auch nicht darauf
versessen, dass mein Körper in die Luft gejagt und über ganz Chamon verteilt wird.«
Gotramm unterbrach ihn, bevor die beiden sich vollends in die Bärte geraten konnten. »Es
gibt Vorkehrungen, die wir treffen können«, sagte er dem Duardin. »Wege, wie wir das
Äthergold für den Transport sicherer machen können.« Er bedeutete Grokmund, das weiter
auszuführen.
»Wir könnten das Gas veredeln«, sagte Grokmund. »Es zu fester Form destillieren. Als
Barren wäre es leichter zu transportieren und gleichzeitig nähme es weniger Platz in den
Frachträumen ein.«
»Es veredeln?« Horgarr kratzte sich den Bart, während er sich die Idee durch den Kopf
gehen ließ. »Das würde es natürlich stabiler machen. Auf jeden Fall wäre es leichter zu
transportieren.«
Skaggi nickte bedächtig. »Barren nähmen weniger Platz ein. Wir könnten destillieren, was
wir haben, und uns dann noch mehr holen.«
»Oder wir könnten uns mit dem zufriedengeben, was wir haben und unser Glück nicht
weiter strapazieren«, hielt Drumark dagegen.
Skaggi schenkte Drumark einen Blick, den man fast als mörderisch bezeichnen konnte.
»Grokmund verspricht, dass sich der Wert des Erzes steigert, wenn es veredelt wird. Aber
niemand veredelt so etwas umsonst. Derjenige wird seinen Anteil daran verlangen und es wäre
naiv, anzunehmen, dass er sich mit einem kleinen Anteil zufriedengeben wird. Wenn wir jetzt
zurückgehen würden, um uns mehr zu holen, könnten wir diese Kosten auffangen.« Er wandte
sich um und blickte die anderen Duardin an. »Das leuchtet doch ein, oder? Warum Geld zum
Fenster hinauswerfen?«
Brokrin konnte nicht anders, als seine eigene Meinung dazu in die Runde zu werfen. »Es
gibt ein altes Sprichwort. Etwas in der Richtung, nicht seine Anteile an einem Fund zu zählen,
bevor du ihn nicht im Hafen angemeldet hast. Ich bin sicher, ihr versteht, was das bedeutet.«
An der eingeschnappten Art, wie Skaggi sich in seinen Stuhl zurückfallen ließ, konnte er
erkennen, dass er das tat. Brokrin zeigte auf Grokmund. »Deine Expedition war nicht in der
Lage, diesen Fund im Hafen anzumelden. Bevor du das nicht tust, kann jedermann
daherkommen und es als seines beanspruchen.«
Grokmund wurde bleich. Er starrte Brokrin an, als wären diesem plötzlich Hörner und ein
zweiter Kopf gewachsen. »Du würdest es nicht …«, stammelte er.
Gotramm zerstreute Grokmunds Befürchtungen. »Wir haben zu viel Ehre, um deinen Fund
unter dir wegzustehlen«, erklärte er ihm. »Skaggi wäre vielleicht in der Lage, irgendeinen
obskuren Nachtrag zum Kharadron-Kodex zu finden, der so etwas legitimieren würde, aber
was mich betrifft – was uns alle betrifft – es wäre an sich nicht recht und es würde dadurch
nicht recht. Uns steht eine Vergütung zu, aber dir steht dein Fund und der Anteil daran zu.« Er
wandte sich zu Brokrin. »Aber du hast recht. Bis wir diesen Fund angemeldet und für uns
beansprucht haben, kann jeder Prospektor daherkommen und behaupten, dass diese Ader seine
Entdeckung sei.«
»Und was rätst du uns?«, fragte Drumark Brokrin.
Brokrin schwieg einen Moment. Ihm war nicht entgangen, dass einige der Versammelten
die gleichen Duardin waren, die ihm sein Kommando genommen hatten. Doch gleichzeitig
konnten sich auch einige von ihnen bei der Abstimmung auf seine Seite gestellt haben. Wie
viel Unterstützung er in diesem Raum hatte, war eine offene Frage. Und weil es eine Frage
war, wählte er seine Worte mit Bedacht. »Das Äthergold ist bereits verladen«, sagte er. »Das
heißt, das Risiko ein Vermögen nach Barak-Zilfin heimzubringen ist das Gleiche wie für ein
Almosen. Es ist nicht weniger eine Narrheit, dafür zu sorgen, dass jeder reich wird.« Er zeigte
auf Grokmund. »Das Gas zu fester Form zu destillieren, würde bedeuten, es zunächst
irgendwo anders hinzuschaffen. Das bedeutet mehr Zeit im Frachtraum, mehr Zeit, bis wir im
Hafen sind, und mehr Zeit, in der etwas passieren kann.«
Skaggi brachte seine eigene Meinung in die Debatte ein. »Das Gas zu destillieren bedeutet,
jemanden für die Veredelung zu bezahlen. Noch mehr Finger im Topf. Mehr Anteile
aufzuteilen.«
»Nicht unbedingt«, sagte Mortrimm. »Es gibt einen Weg, es zu veredeln, ohne dass wir
irgendeinen Metallurgen hinzuziehen müssten.« Der Navigator erhob sich und ging zu dem
Regal, in dem Brokrin die Navigationstabellen, Karten und Logbücher des Schiffes verstaut
hatte. Er war mit den Karten vertraut genug, um sofort die, die er suchte, herauszuziehen.
Nachdem er sie auf dem Tisch auseinandergefaltet hatte, drückte er seinen Daumen auf einen
großen Schwaden stumpfen Gelbs, der eine Eiswüste bezeichnete. »Da sind wir«, sagte er.
»Oder zumindest dreitausend Meter über diesem Punkt. Nun gut, wenn wir das machen …«
Den Daumen weiter auf ihre derzeitige Position gepresst, drehte Mortrimm seine Hand und
brachte die Spitze seines Zeigefingers auf die Karte. »Sieben Reisestunden«, verkündete er.
»Sieben Reisestunden wohin?«, fragte Drumark.
Mortrimm bewegte seine Hand, tippte mit triumphierender Geste auf den Punkt, den sein
Zeigefinger berührt hatte. »Sieben Reisestunden bis zu Finnolfs Festung.« Er sah, dass der
Name den anderen nichts sagte, und beeilte sich zu erklären. »Finnolfs Festung ist eine
Himmelsinsel. Der Gipfel eines Berges, der von unten her durch Abbau unterhöhlt wurde.
Aber statt zusammenzubrechen, blieb der Gipfel, wo er war, und schwebte weiter in den
Wolken. Finnolfs Volk baute munter weiter ab, grub sich tiefer nach unten und schickten das
Erz auf den Gipfel rauf, wo es dann veredelt und auf Schiffe geladen wurde.«
»Und warum könnte uns das helfen?«, fragte sich Gotramm.
»Weil vor zweihundertfünfzig Jahren irgendein Unglück diesen Außenposten traf«, erklärte
Mortrimm. »Ein Handelsschiff lief ihn an und fand den Ort vollkommen verlassen vor. Keine
Seele mehr da. Als ein Trupp, den sie reinschickten, um nach Lebenszeichen zu suchen,
plötzlich krank wurde, kamen sie zu dem Schluss, dass irgendeine Seuche Finnolfs Volk
dezimiert haben musste. Die Händler flohen eilends, damit ihnen nicht das gleiche zustoßen
würde.« Mortrimm sah jedem der Duardin in die Augen. »Niemand ist seither dorthin
zurückgegangen, um den Ort oder irgendetwas, was Finnolfs Volk dort zurückgelassen hat,
wieder in Besitz zu nehmen.«
Gotramm nickte. »Es ist genug Zeit vergangen, um jeder Seuche ihren Biss zu nehmen«,
sagte er. »Aber selbst wenn die ganzen Maschinen, die sie benutzt haben, das Erz zu veredeln,
noch immer da wären, könnten wir sie dann für unsere Zwecke nutzen?«
»In den alten Tagen brachten die Himmelsfahrer ihr Äthergold dorthin«, sagte Mortrimm.
»Das würde die Dinge einfacher machen … sicherer und lukrativer«, merkte Horgarr an. Er
studierte die Karte einen Moment. »Wenn der Gipfel auf der gleichen Höhe schwebt, wie hier
angegeben, dann sollten die Maschinen in einem guten Zustand sein. Ein bisschen mit
Schweiß und Spucke aufpolieren, dann dürfte ich alles wieder dazu kriegen, vernünftig zu
arbeiten.«
Während er Mortrimm und Horgarr zuhörte, wurde Skaggi plötzlich hellhörig. »Wenn
Finnolfs Festung doch so verlassen ist, mit all dem Material noch am Platze, dann wäre das
doch eine echte Bereicherung für unser Unternehmen.« Er rieb sich die Hände. »Wenn wir das
Äthergold in den Hafen brächten, damit es da veredelt wird, dann wären wir doch den Gilden
hilflos ausgeliefert. In seinem rohen Zustand könnte man dessen Wert doch gnadenlos
runterhandeln und wenn wir es zu den Metallurgen brächten, würden sie ihren Preis so hoch
wie nur eben möglich ansetzen. Wenn wir es aber selbst veredeln und es so nach Hause
brächten, dann könnte kein gerissener Händler mehr versuchen, uns übers Ohr zu hauen und
die einzigartigen Eigenschaften des Erzes bestreiten.«
»Es braucht mehr, um Äthergold zu veredeln, als einfach nur die Maschinen in Gang zu
bringen«, meinte Brokrin.
Grokmund tat Brokrins Einwurf mit einem Winken ab. »Ich bin mit dem Prozess
hinreichend vertraut. Ich bin mir sicher, dass ich mit Horgarrs Hilfe das Gas destillieren und
zu fester Form kondensieren kann.«
Brokrin war noch immer nicht überzeugt. »Es bedeutet eine Reise von sieben Reisestunden
zu einem verlassenen Außenposten, wo wir das, was wir brauchen, finden könnten, vielleicht
aber auch nicht. Was auch immer der Fall sein mag, ihr müsst euch danach noch immer
Gedanken über die Reise zurück nach Barak-Zilfin machen.«
Gotramm schüttelte den Kopf. »Es gibt Zeiten, wenn du dich entscheiden musst, ob du
vorsichtig bist oder ob du auf Risiko gehst. Das ist eine dieser Zeiten. Fässer mit Äthergold
auf den Decks zu stapeln, war kein Risiko, dass es wert war.« Er schaute auf die Karte hinab
und strich sich über den Bart, als er auf den verlassenen Außenposten starrte. »Das hier ist
anders«, entschied er. »Wenn wir Erfolg haben, reduzieren wir das Risiko und steigern den
Profit. Wenn nicht, wird unsere Reise einfach nur sieben Reisestunden länger.«
»Vierzehn«, berichtigte Brokrin ihn. Er wies zu der Karte hin. »Man muss das Schiff hin
und wieder zurückbringen. Das bedeutet, wenn dort nichts ist, dann haben wir vierzehn
weitere Reisestunden zwischen uns und unseren Heimathafen gebracht. Und während dieser
ganzen Zeit ist der Bauch dieses Schiffes mit«, er deutete auf Grokmund, »nun ja, ihr habt
gesehen, was sein Fund mit einem Fass anstellen kann.«
»Wir wissen aber auch, was ein leerer Frachtraum bei unserer Heimkehr bedeutet«, meinte
Gotramm zu ihm. »Du glaubst vielleicht an diesen Fluch, der auf dir liegt, aber ich tue es
nicht. Wenn wir eine Pechsträhne hatten, dann ist für uns langsam auch etwas Glück fällig.«
Er stieß mit dem Finger herab auf die Karte. »Ich glaube, dieser Außenposten gibt uns eine
gute Gelegenheit, das Ruder herumzureißen. Wenn keiner der amtierenden Offiziere
Widerspruch einlegt, würde ich sagen, wir gehen dorthin und sehen zu, ob wir die Chancen
nicht noch ein wenig zu unseren Gunsten drehen können.«
Brokrin lehnte sich zurück und warf dem Soldfahrer einen entmutigten Blick zu. »Wie du
schon sagtest, ich bin nicht länger ein amtierender Offizier. Ich bin einfach nur noch ein
Zaungast. Ich hatte nur gehofft, dass du uns nicht geradewegs auf unser Grab zusteuerst.«
»Du wirst das anders sehen, wenn du erst deinen Anteil am Äthergold erhältst«, beharrte
Mortrimm.
»Ich dachte, du wärst inzwischen zu alt für diese Art von Narrheit«, meinte Brokrin zu dem
Navigator. »Schatzjagden sind die Aufgabe der Bartlinge.«
»Den Schatz haben wir schon gefunden«, sagte Gotramm mit scharfem Ton. »Du bist nur
neidisch, weil du nicht die Zuversicht hattest, ihn dir selbst zu nehmen.«
»Zuversicht kann ein Bartling sein, der einen schlafenden Troggoth mit einem spitzen Stock
ärgert«, sagt Brokrin. »Es ist leicht, zuversichtlich zu sein … bis der Troggoth dir die Hand
abbeißt.« Er stieß den Daumen in Richtung der vorderen Frachträume. »Ihr habt dort einen
Troggoth eingesperrt, und mit jeder Stunde, die er an Bord ist, stichst du ihn mit einem Stock.
Nur wenn er wach wird, dann verlieren wir alle mehr als nur eine Hand.«
KAPITEL ELF

Der Berggipfel trieb inmitten der Wolken dahin, und seine Hänge quollen von Lagen
kristallinen Schnees über. Während er durch das Fernglas schaute, war Brokrin gebannt vom
Zauber dieses Anblicks. Keinerlei sichtbares Zeichen wies darauf hin, was ihn tausende von
Metern über der Erde schweben ließ. Keinerlei wunderbares Licht, das ihn umhüllte, kein
machtvoller magischer Dunst wallte vom Grund dieses Gipfels empor. Nur der nackte
Himmel und die heulenden Winde füllten die Leere zwischen ihm und dem Boden dort unten.
Der Berg war einst groß und mächtig gewesen, doch das habgierig Graben der Duardin hatte
ihn so ausgehöhlt, bis schließlich das, was sich weit unterhalb des Gipfels erstreckte, nur noch
dem Stumpf eines zerbrochenen Zahnes glich, der sich aus einem morschen Kiefer reckte.
Klaffende Schächte überzogen diesen Stumpf wie Pockennarben, und Haufen gigantischer
Grabmaschinen lagen verstreut umher und rosteten vor sich hin, während der Dschungel
unterhalb des Berges stetig weiter auf sie zu kroch. Wenn der Berg eine verrottende Hülle
vergangener Majestät war, so war doch der Dschungel, der ihn umgab, fruchtbar und
heißhungrig. Sein dichtes Laub wallte und brandete in alle Richtungen fort und erstreckte sich
bis zum fernen Horizont. Die Blätter darunter waren durchscheinend und glänzten auf wie
Feuer, als das Sonnenlicht auf sie traf und den ungezähmten Forst in ein Meer flackernder
Flammen verwandelte. Seltsame Vögel und riesenhafte Insekten flogen von den
gespenstischen Bäumen auf, krächzten und summten, jagten und verbargen sich, während sie
den Wald durchschwirrten. Zuweilen stieß titanisches Getier seinen Kopf durch den flirrenden
Baldachin, blinzelte mit echsenhaften Augen zum Himmel, bevor es sich wieder in die
Düsternis der Waldpfade niederduckte.
Dies war das Land, in dem Finnolfs Festung errichtet worden war, der Ort, an dem sein
Volk gewachsen und gediehen war, bis schließlich ein seltsames Verhängnis dem
Außenposten den Untergang gebracht hatte. Die Duardin hatten den Gipfel instandgehalten,
hatten ihn als eine Zuflucht gegen die Bestien des Urwalds und die marodierenden Horden des
Chaos genutzt, welche die Reiche der Sterblichen ein Zeitalter lang heimgesucht hatten. Hier
und da waren die Hänge des Gipfels abgetragen worden, sodass dort Luftschächte und
Wachposten, Ausgucktürme und Ladeplattformen sichtbar wurden, doch nur auf seiner
nördlichen Seite hatte eine umfangreichere Bearbeitung stattgefunden. Hier war das Gesicht
des Berges so umgeformt worden, dass es das düstere Antlitz eines Duardinkönigs zeigte,
wahrscheinlich das des alten Finnolfs selbst. Unter dem kantigen Kinn der Skulptur waren die
ausladenden Plattformen eines Hafens aus dem Stein herausgehauen worden. Docks für
Himmelsschiffe, ein paar davon so groß, dass sie alles bis hin zur Größe eines Kriegsschiffs
aufnehmen konnten. Obeliskähnliche, mit Runen versehene Totems zeigten die Gebühren und
Tarife an, die von jedem Schiff eingezogen wurden, das diesen Außenposten anlief. Türme
erhoben sich rund um den Hafen, aus deren Fenstern sich die bedrohlichen Schnauzen von
Kanonen reckten, die nur allzu klarmachten, dass diese Siedlung ihre Zahlung notfalls auch
mit Gewalt erzwingen würde.
Die Drohung, die von den Türmen selbst ausging, war inzwischen anderer Natur. Als der
Eisendrache näher an den Gipfel heransegelte, konnte die Duardin-Mannschaft die Anzeichen
von Verfall und Verwahrlosung erkennen. Säurehaltiger Regen hatte die Mündungen der
Kanonen zernarbt, da niemand da war, sie zum Schutz vor Chamons Stürmen wieder ins
Innere hineinzuziehen. Schieferschindeln aus dem Dach waren von den Elementen
herausgerissen worden, sodass dort jetzt dunkle Löcher klafften. Trockenes Brombeergestrüpp
und totes Laub hatte sich im Windschatten der Überhänge gesammelt, in dem nun Kondore
und Adler ihre Nester errichtet hatten. Die Bedrohung durch die Kanonen gehörte längst der
Vergangenheit an; die, welche von den Türmen selbst ausging, stellte sich jedoch weniger
offensichtlich dar. Es lag in ihnen etwas, das im Geist Fragen aufwühlte und einen eiskalten
Schauer über die Haut fahren ließ, der gespenstische Eindruck des Alterns und von
Geheimnissen, auf die es keine Antwort gab.
Himmelswarte schwebten vom Panzerschiff fort und indem sie Gas aus den Tanks abließen,
trugen ihre Äther-Endrinen sie langsam auf das Dock hinab. Sie trugen die schweren
Ankerketten, die das Schiff an den äußeren Docks festmachen würden. Während sie die
Ketten um die großen granitenen Pfosten wanden, hielten Drumarks Grundstok-Schützen mit
Gewehr im Anschlag vom Deck herab Wache. Der Außenposten schien zwar verlassen, doch
die Kharadron wollten sich nicht blind auf den bloßen Anschein verlassen.
Nachdem die Ketten gesichert waren, mühten sich die Himmelswarte an den rostigen
Kurbelwellen ab, die in die Pfosten eingelassen worden waren. Die nach dem Bilde eines
mürrisch blickenden Ahnen gefertigten Steinpfeiler begannen sich allmählich zu drehen und
rotierten um ihre verborgenen Achsen. Das Ächzen von Alter und Vernachlässigung stieg
grollend von den sich drehenden Pfosten auf, während sie den Eisendrachen langsam abwärts
zogen. Teilchen rostigen Metalls und bröckelnden Steins fielen von den Skulpturen ab, was
darin gipfelte, dass einer der Statuen der Bart abbrach, wegrutschte und rumpelnd auf dem
Pier zerbarst.
Einige Minuten harter Arbeit brachten schließlich das Panzerschiff an seinen Liegeplatz,
sodass das Deck auf eine Ebene mit dem Dock kam. Drumark und ein paar seiner Schützen
gingen von Bord und fächerten aus, um den höhlenartigen Eingang des Außenpostens
abzusichern. Nachdem das geschehen war, gab Gotramm ein Zeichen und ging nun an der
Spitze einiger seiner Arkanauten ebenfalls von Bord. Grokmund folgte ihnen nach einer
letzten, eiligen Unterredung mit Horgarr. Die beiden hatten, schon seit der Ausguck Finnolfs
Festung zuerst erspäht hatte, darüber diskutiert, was man brauchen würde, um die Anlagen so
umzubauen, dass sie Äthergold in seine feste Form überführen würden. Der Endrinmeister
hätte es vorgezogen, den Landetrupp selbst zu begleiten, war aber als zu wichtig für die
Instandhaltung des Schiffs eingestuft worden, als dass man ihn diesem Risiko aussetzen
konnte.
Der letzte, der von Bord ging, war Brokrin. Anders als Horgarr hatte er keine
lebenswichtigen Aufgaben, die ihn an den Eisendrachen gebunden hätten, ganz bestimmt
nicht seit der Meuterei und er hatte das Gefühl, er sei entbehrlich genug, um loszuziehen und
den Außenposten zu erforschen. Zumindest wäre das fruchtbarer, als in seiner Kajüte zu
hocken und darüber zu brüten, wie die Dinge nur so weit hatten kommen können.
»Möge das Glück mit euch sein«, rief Skaggi zum Landetrupp herab, als dieser von den
Docks aufbrach. Der Logistikator winkte in einer Art fröhlichem Abschiedsgruß mit dem
Arm.
»Ich frage mich, ob er nicht eher hofft, dass wir nicht zurückkehren«, knurrte Drumark, als
er neben Brokrin in einen Gleichschritt fiel. Er zeigte auf die Duardin um sie herum. »Wenn
irgendwas passiert, gibt’s eine Menge mehr Anteile, die aufgeteilt werden müssen.«
Brokrin rückte seine Salvenpistole im Gürtel zurecht, damit sie ihm nicht beim Gehen in die
Hüfte drückte. »Um wie Skaggi zu denken, bräuchtest du einen Abakus«, sagte er. »Bei ihm
geht es immer nur darum, die Risiken gegen den Verdienst auszubalancieren. Wenn er denkt,
dass ihm unser Erfolg hier mehr Geld in die Börse bringt, dann ist er so aufrichtig, wie er nur
sein kann.«
Der Sergeant zog seine Feldflasche aus dem Gürtel und nahm einen tiefen Schluck vom
Grog. Er bot die Flasche Brokrin an und zuckte die Achseln, als der ablehnte. »Hab vergessen,
dass du den Geschmack von Schießpulver in deinem Grog nicht magst«, meinte er grinsend.
»Meiner Meinung nach gibt ihm das nur den richtigen Biss.«
»Na ja, danach bekommt jedenfalls der Begriff ›Rachenputzer‹ eine völlig neue
Bedeutung«, meinte Brokrin. Er wandte sich ab und sah nach vorn zu Gotramm. Der
Soldfahrer hatte die Spitze des Zugs übernommen und führte die kleine Truppe auf den
gähnenden Eingang und das dunkle Unbekannte zu. »Wenn er lange genug lebt, um genug
Erfahrung auf den Buckel zu kriegen, dann gibt er irgendwann mal einen guten Admiral ab.«
»Immerhin ist er schon der Kapitän eines Schiffs«, bemerkte Drumark mit einer Prise
boshaften Humors.
Brokrin lachte über den Seitenhieb. »Man hätte Schlimmeres tun können, als für ihn zu
stimmen«, gab er zu. »Er mag vielleicht ein paar schlechte Entscheidungen getroffen haben,
aber viele davon waren auch recht solide.«
»Die Mannschaft hatte keine große Wahl«, sagte Drumark. »Konnte sich entscheiden, von
Grokmunds Fund was abzukriegen oder sich mit dem zufriedenzugeben, was wir irgendwie
von den anderen Nomadenhändlern hätten zusammenkratzen können.«
»Und genau das ist es«, meinte Brokrin zum Sergeanten. »Fühlt sich das für dich nicht alles
falsch an? Grokmund, sein Äthergold, das alles scheint doch irgendwie nicht echt zu sein. Zu
gut, um wahr zu sein, so kommt mir das alles vor.«
»Hast eine ziemlich üble Pechsträhne gehabt, Käpt’n«, sagte Drumark. »Du bist wie ein
Hund, den man zu oft getreten hat und der jetzt keinem mehr traut.«
»Das ist es nicht.« Brokrin hob seinen Blick und schaute auf das Gesicht, das aus der Front
des Gipfels herausgemeißelte war. »Wir sollten nicht hier sein.« Er deutete mit dem Daumen
über die Schulter und zeigte auf die Frachträume des Eisendrachen. »Wir hätten das
Äthergold dalassen sollen, wo es war.«
»Meinst du vielleicht auch, wir hätten Grokmund besser da unten in der Sturmbrecher
lassen sollen?«, fragte Drumark.
Brokrins Miene wurde ernst, als er über die Frage nachdachte. »Vielleicht wäre es besser für
uns alle, wenn wir das getan hätten.«
Vor ihnen klaffte die schwarze Öffnung der Eingangshalle in der Wand des Gipfels. So wie
sie da aus lebendigem Fels herausgehauen und durch gewaltige Felssäulen verstärkt vor ihnen
lag, war es nicht schwer, sich all das Gedränge vorzustellen, das einst diesen Ort erfüllt haben
mochte. Das Getümmel regen Handels rund um die Stände, die in die Wände gehauen worden
waren. Der geschäftige Lärm von den Schmieden und Werkstätten, die für die Besucherschiffe
Aufträge erfüllten. Das Grollen von Karrenrädern, welche die Stahlschienen im Boden
entlangfuhren, und Erzladungen zu den Veredelungsanlagen tief im Innern des Außenpostens
transportierten.
»Wenn wir diesen Schienen folgen, finden wir das, wonach wir suchen«, sagte Gotramm zu
den ihm folgenden Duardin. Es lag ein Ton der Dringlichkeit in seiner Stimme. Brokrin
glaubte nicht, dass dies seiner Ungeduld geschuldet war, das Äthergold zu noch größerem
Profit verwandelt zu sehen. Er glaubte, dass Gotramm diesem Ort die gleichen Gefühle wie er
entgegenbrachte. Er mochte vielleicht von Duardin erbaut worden sein, aber er war nicht
länger ein Ort, wo sie noch etwas zu suchen hatten.
Ein kräftiger Luftzug schlug ihnen aus der Dunkelheit entgegen und raufte ihnen Bärte und
Kleidung. Der Wind trug ein Gefühl von Kühle und Abgestandenheit mit sich. Bei dem
Geruch, der schwer in diesem Luftzug hing, kräuselte sich Brokrins Nase. Es war ein Geruch,
den er vielleicht von dem Urwald tief unter ihnen erwartet hätte, aber nicht hier über den
Wolken. Es war der Geruch auswuchernder Fruchtbarkeit, verfaulender, winziger Dinge, die
in wimmelnder Masse brüteten und starben, der Gestank eines schaumbedeckten Tümpels, in
dessen Tiefen amphibische Dinge wühlten.
Es war ein übler Gestank. Übel und sehr, sehr alt.

Die Echos ihrer Schritte drangen wie der Donner von Kriegstrommeln an Gotramms Ohren.
Die Stille innerhalb von Finnolfs Festung war vollkommen, derart vollkommen, dass er das
Gefühl hatte, die Stille selbst würde nach ihnen greifen, um sie zu ersticken, wenn sie zu
gehen aufhörten. Selbst der kalte Luftzug, der durch die dunklen Gänge wehte, tat dies ohne
jedes Flüstern.
Aber mehr noch als die Geräusche, die sie machten, war es das Licht, das sie mit sich
trugen, das Gotramm sich wie einen Eindringling vorkommen ließ. Die mit Kristallscheiben
versehenen Lampen, die aus den Wänden ragten oder aus der Decke über ihnen
hervorwuchsen, waren schon lange erloschen, ihre Ätherkraft schon vor Jahrhunderten
versiegt. Einst hatten diese Lampen gewiss die großen Hallen dieses Außenpostens in Licht
gebadet, einem goldenen Glanz des Wohlstands und Lebens. Doch nun waren sie nichts als
blasse Gestelle aus Stein und Stahl, mit stumpfen, leeren Kristallscheiben, neiderfüllten
Augen, die auf diese Träger des Lichts herabsahen, die da an ihnen vorbeischritten.
Im Flackern der Zunderlampen an ihren Gürteln und dem stetigen Glühen des Ätherlichts,
das die Arkanauten trugen, konnte sich Gotramm gut die Pracht und Erhabenheit vorstellen,
die einst diese Siedlung erfüllt hatte. Die Korridore, denen sie in die Tiefe folgten, waren breit
genug, dass der Eisendrache mit reichlich Platz durch sie hätte hindurch segeln können. Die
runenverzierten Säulen, welche die gewölbte Decke trugen, waren vom Umfang einer riesigen
Starkeiche und ihre Mitte war derart bearbeitet, dass sie Flachreliefs des Bergbaus, der
Kämpfe, der Architektur und des Handels der Duardin zeigten. Nahe der Spitze jeder Säule, in
einem Maßstab weitaus größer als in der Realität herausgehauen, sprach die Statue eines
Duardin-Herrschers in steinerner Würde ihr Urteil über alles, was unter ihr daher schritt.
Behausungen und Geschäfte waren in die Wände gehauen, von denen einige noch immer die
Überreste von Türen und Fensterläden zeigten, andere aber nur von einem Haufen verrotteten
Holzes verschlossen waren. Es gab eine Vielzahl Schenken und Tavernen in der Nähe der
Docks und Steinschilder bekundeten ihr Gewerbe mit Bildern von Kissen und Krügen und
gaben den Einrichtungen Namen wie Das Rabennest oder Das zerbrochene Fass. Tiefer die
große Halle hinab gab es Brauereien und Unterkünfte, Juweliere und Gemmenschneider,
Rüstungsbauer und Axtschmiede. Drumark duckte sich unter einem der Eingänge weg ins
Innere und kam einen Moment später mit einer staubbedeckten Schusswaffe mit
trichterförmigem Lauf wieder hervor.
»Und das soll mal ein Büchsenmacher gewesen sein«, sagte der Sergeant und schlug seine
Entdeckung gegen den Boden, damit die Patina, die sie überzog, davon absprang. Die alte
Waffe zerbrach ihm in der Hand zu einem Haufen morscher Bruchstücke. Drumark schüttelte
den Kopf und ging weiter.
Jedes Gebäude, das der Trupp erforschte, trug den gleichen Stempel des Alters und Verfalls.
Nach den ersten hundert Metern gab sogar der Optimistischste unter ihnen auf, nach
irgendetwas lebendigem Ausschau zu halten. Der Außenposten war genau das, wonach er
aussah: tot. Gotramm dachte, es sei gut möglich, dass sie tatsächlich die ersten Duardin waren,
die seit den Händlern aus Mortrimms Erzählung durch diese Hallen schritten.
»Wir haben Glück, dass die Schienen nicht weggebrochen sind«, meinte Grokmund zu
Gotramm. Wie der Rest von ihnen hielt er die Stimme gesenkt, als hätte er Angst,
Aufmerksamkeit auf sie zu ziehen. »Das zeugt von einer ordentlichen Anlage dieses Ortes.
Alles, was ich brauche, um das Äthergold zu behandeln, sollte an seinem Platz sein.«
Gotramm zeigte mit der Hand umher und deutete damit an, wie breit und hoch der Gang
war. »Ich kann mir vorstellen, dass diese Siedlung ganz anders ausgesehen hat, bevor sie zu
Wohlstand kam. Die ersten Kharadron, die beschlossen, sich in den Berg zu graben, wurden
von harten, unbarmherzigen Herren geführt. Herren, die sich wenig dabei dachten, ihre
Untertanen einfach zu verjagen, wenn es darum ging, die Pracht ihrer Domänen zu
vergrößern.« Er nickte bei sich, als würde er über seine eigene Theorie nachdenken. »Diese
Hallen werden viel enger gewesen sein, als sie zuerst gegraben wurden und die Bewohner
werden ihr Zuhause in die bestehenden Wände gegraben haben. Dann später werden die
Hämmer des Fleißes und des Fortschritts zurückgekommen sein und all das wieder beseitigt
haben.« Er schenkte Grokmund einen bedauernden Blick. »Der Kodex wurde geschaffen, um
jedem Duardin gewisse Richtlinien und Rücksichtnahme an die Hand zu geben, doch gibt es
auch solche, die behaupten, dass sobald ein Duardin aus dem Himmel herabstößt und sein
Glück und Reichtum in der Erde sucht, all dieser Schutz, den der Kodex bieten soll, vergessen
ist. Die Eisenthane waren solchen Geistes und ich vermute stark, dass Finnolf auch zu ihnen
gehörte.«
»Der Geist eines Tyrannen leistet sich selbst Gesellschaft«, sagte Grokmund. »Seine Ahnen
wollen ihn nicht und der Schwarze Nagash will ihn sich auch nicht holen. Es liegt darin eine
Art Gerechtigkeit, wenn man an solche Dinge glaubt.« Er sah sich zu den leeren Fenstern und
zerbrochenen Türen um, stampfte mit dem Stiefel in dem dicken Staub unter seinen Sohlen
auf. »Wie auch immer, das ist es, wozu jedes Erbe, das er hinterlassen wollte, geworden ist.«
Gotramm entging die Veränderung des Tons in Grokmunds Stimme nicht. »Das ist es,
worum es bei all dem für dich geht, nicht wahr? Skaggi hat die Wahrheit getroffen, als er
sagte, du wärst mehr an der Entdeckung als an dem Gold interessiert.«
»Es bedeutet mir alles«, sagte Grokmund. Da war ein entrückter Blick in seinen Augen, als
schaue er auf einen entfernten Ort. »Es mag Äther-Khymiker geben, die damit zufrieden sind,
einfach nur ihre Fähigkeiten zu verfeinern und sich in ihrem Handwerk hervorzutun, aber das
war mir nie genug. Ich wollte etwas hinzufügen, der Welt etwas Neues geben, etwas, das zu
einem Segen für die Kharadron werden würde. Als die Sturmbrecher die Chimärenkolonie
und die Ader, aus der sie das Material für ihre Nester nahmen, entdeckte, wusste ich, dass ich
das gefunden hatte, damit man mich nicht vergäße. Ich würde ein Erbe hinterlassen, etwas, das
nach mir Bestand haben würde.«
»Jeder Duardin wünscht sich einen Namen, den er mit Stolz tragen kann«, sagte Gotramm.
Er konnte mit Grokmund mitfühlen. Für einen wackeren Kapitän gab es viele
Möglichkeiten, sich Ruhm und Reichtum zu erwerben. Am Anfang einer jeden Fahrt stand
zumindest die Möglichkeit, als wohlhabender Held heimzukehren. Dieses Unternehmen war
Grokmunds Chance, seine Gelegenheit, etwas zu leisten, damit seine Zeitgenossen auf seinen
Namen ihre Krüge erheben und anstoßen würden, seine Chance, eine Entdeckung nach Hause
zu bringen, wegen der man seinen Namen in Stein meißeln würde.
Gotramms Blick streifte zu einer der Statuen auf den Säulen. Er bemerkte, dass Runen in
den Sockel zu ihren Füßen eingemeißelt waren. Ein Name, in Stein gemeißelt und niemand,
der ihn noch lesen konnte. Er blickte zu Grokmund zurück und musste daran denken, wie
zerbrechlich das Gedenken der Nachwelt doch sein konnte.
Doch dann konzentrierte sich Gotramm wieder auf die Dunkelheit vor ihnen. Dieser
verlassene Außenposten wirkte sich bedrückend auf seinen Geist aus und führte seine
Gedanken auf düstere Pfade. Je eher sie fanden, wonach sie suchten, umso besser. Er brannte
darauf, diesen Ort zu verlassen.
Umso mehr, da Gotramm nicht den Eindruck abschütteln konnte, dass sie beobachtet
würden. Dass etwas irgendwo in den Schatten jedem ihrer Schritte folgte.
Und darauf wartete, zuzuschlagen.

Sich durch die Dunkelheit windend, kroch der abgetrennte Augenstängel den Kharadron-
Forschern hinterher. Er bedurfte des Lichts nicht so wie sie, da seine Art zu sehen auf
Prinzipien beruhte, die weit von jenen abwichen, welche den Duardin ihr Augenlicht gaben.
Selbst im absolut Stockfinsteren würde dieses schauerliche Auge nicht blind sein, sondern
die sich wandelnden Strömungen der Magie selbst benutzen können, um seinen Weg zu
finden. Die Zaubersprüche, die den Überrest seines Ursprungskörpers am Leben hielten,
hatten ebenfalls seine Fähigkeiten verstärkt – alles, um seinen Nutzen als Spion des Hexers
auszudehnen.
Fern davon, in seinem Allerheiligsten, speiste Khoram seine Befehle dem Überrest ein und
prägte ihm die Impulse und Triebe auf, die ihn die Duardin weiterverfolgen ließen, sodass er
aber gleichzeitig ihrer Aufmerksamkeit entging. Die arkanen Sinne, die dem Auge verliehen
worden waren, ließen es Dinge sehen, welche die Erforscher nicht wahrzunehmen
vermochten.
Da war eine Energie, die von den Wänden des Außenpostens ausging, eine Schwingung der
Macht, die in die Steine selbst eingebettet war. Es war wenig mehr als ein Echo, ein Schatten,
der beinah mit der Dunkelheit der Umgebung verschmolz. Khoram ließ sich davon jedoch
nicht narren. Er wusste, dass es da war, wusste, dass es nicht bloß eine Ausgeburt der
Einbildungskraft war. Hier war eine Kraft, uralt und schrecklich, reif vor Bosheit.
Einst war diese Kraft viel stärker gewesen. Khoram konnte ihre Ausdehnung und Stärke in
den Echos spüren, die sie zurückgelassen hatte. Die Duardin hatten in ihrer von Habgier
getriebenen Zerstörung des Berges etwas aus den Tiefen gelockt, das dort besser vergraben
geblieben wäre. Und von diesem Moment an war ihr Verhängnis besiegelt gewesen. Diese
Macht war angewachsen, hatte jene verschlungen, die sie zutage gefördert hatten, war weiter
angeschwollen, um auch den Rest der Bergleute zu verschlingen. Höher und immer höher
hatte es sich ausgebreitet, hatte sich erhoben, um Finnolfs Festung ganz zu durchdringen und
sich an seinen Bewohnern zu laben. Wie zornig hochflammender Brand hatte es gelodert, war,
während es sich ausbreitete, immer heißer und wilder geworden. Und wie eine Feuersbrunst
war seine Bosheit dann verebbt, als der Brennstoff, der es genährt hatte, schließlich versiegt
war.
Die Kraft hatte ihre Lebendigkeit verloren, da sie sich unfähig sah, zurück in die Wurzeln
des Berges zu sickern, aber auch nicht in der Lage, neue Opfer zu finden, von denen sie sich
nähren konnte.
Khoram runzelte die Stirn, während er über die Eindrücke nachsann, die der Überrest ihm
vermittelte. Die Kraft war gemindert, doch verschwunden war sie nicht. Das Feuer brannte
nicht mehr, doch die Glut war noch vorhanden, wartete nur darauf, wieder zu grässlichem
Leben angefacht zu werden. Bevor er weiter mit seinen Plänen fortfahren konnte, musste er
dafür Sorge tragen, dass diese Glut ausgelöscht wurde. Selbst als Echo oder Schatten stellte
sie eine Bedrohung für den Herrn dar.
Aus einem Pferdehautkorb zog Khoram ein bleiches, jaulendes Ding. Es lag kein Mitleid in
seinen Augen, als er ihm die Klinge über die Kehle zog und sein Blut rings über die arkanen
Schutzzauber spritzen ließ, die er auf den Höhlenboden geschrieben hatte. Ein gespenstischer
Klang erhob sich, als das Blut einen pulsierenden Glanz annahm. Die arkanen Energien, die es
in sich hineinsog, leitete Khoram zu dem Überrest weiter und durch den Überrest wiederum
ließ er die Energien in die dunklen Korridore des Außenpostens fließen.
Im Dunkel begann die Glut der Bosheit ein wenig heller aufzuglimmen. Khoram musste
vorsichtig sein, musste dafür Sorge tragen, dass da nicht zu viel Energie war, an der sie sich
nähren konnte. Er wollte die Glut zu einem Feuer anfachen, aber doch zu nicht mehr als einem
Flackern. Er wollte, dass sie sich mit Stoff und Form speiste, aber nicht mit Stärke und
Schläue.
Wenn die Glut zu einem Feuer wurde, wenn ihre lauernde Kraft sich zum Zuschlagen
ausstreckte, musste Khoram sichergehen, dass ihr die Wildheit fehlte, die Duardin zu
verbrennen. Selbst für einen Hexer war das exakte Abmessen solch feiner Grade der Magie
ein heikler Prozess. Er konnte nicht sicher sein, wie viel zu viel sein würde, wie wenig zu
wenig wäre.
Der Umgang mit Dämonen war nie eine leichte Sache.

Zunächst dachte Brokrin, dass seine Augen ihn trügen würden. Er hob seine Hand zu ihnen
hoch und rieb sie, um jede Müdigkeit aus seinem Blick zu vertreiben. Es nützte nichts. Als er
erneut hinschaute, war das kränkliche Grün noch immer da, flimmerte um die Tür einer
Böttcherwerkstatt.
Das Licht wurde heller. Mit ihm kam ein ranziger Geruch, ähnlich dem, der dem eisigen
Luftzug innegewohnt hatte, der die Hallen des Außenpostens durchweht hatte. Geräusche
krallten nach dem Rand seiner Wahrnehmung, ein Gurgeln, das dem Quaken einer Kröte glich
und dann dem Blubbern heißen Schlamms. Brokrins Haut fühlte sich plötzlich unrein an,
unerträglich schmutzig. Er kämpfte den Drang, sich zu kratzen, nieder, da er fürchtete, nicht
mehr aufhören zu können, finge er erst einmal an,.
Drumark war weniger umsichtig und das Zunderlicht an seinem Gürtel tanzte wild hin und
her, als er sich heftig die Arme kratzte und versuchte die Reizung zu lindern. Sein Gesicht war
vom Abscheu zerfurcht. »Wir müssen irgendwo über den Abwasserschächten sein«,
beschwerte er sich.
Brokrin glaubte nicht, dass es eine so banale Erklärung für das Phänomen gab. Er rief
Gotramm und den anderen eine Warnung zu und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das Licht.
Während er das tat, wurde das gurgelnde Geräusch vom Summen von Fliegen übertönt. Aus
der Tür der Werkstatt quoll eine schwarze Wolke haariger Insekten in den Korridor. Der
ekelhafte Schwarm flog ihm ins Gesicht, kroch über seine Augen und versuchte sich ihm in
Mund und Nase zu drängen.
»Halt den Atem an!«, rief Grokmund. Er gab den anderen ein Zeichen, zurückzubleiben,
während er vorstürmte und seine Hände über die Kontrollen seines Atmosphären-
Anatomisators gleiten ließ. Als er näherkam, spürte Brokrin einen plötzlichen Druck in seinen
Ohren. Ein seltsamer Sog erfasste sein Haar und seine Kleidung, als stieße plötzlich eine
gewaltige Bö von direkt über ihm auf ihn herab. Das Summen verstummte beinah
augenblicklich. Als er sich traute, wieder seine Augen zu öffnen, lag ein Haufen haariger
grüner Körper um seine Füße herum.
Grokmund machte ein Zeichen mit der Hand, um Brokrin zu warnen. Erneut bediente er die
Kontrollen seines Atmosphären-Anatomisators, bevor er Brokrin bedeute, dass alles in
Ordnung war. Er nahm einen tiefen Atemzug, füllte seine brennenden Lungen mit frischer
Luft. Er schaute sich um und sah Drumark auf dem Boden liegen und einen zweiten Haufen
Fliegen um ihn herum. Er eilte zu dem Sergeanten hin und belebte ihn mit einem Klaps auf die
Wangen wieder.
Drumark kam hochgeschossen, die Hände zu Fäusten geballt. Als er erkannte, dass es
Brokrin war, der ihn geohrfeigt hatte, legte sich ein verwirrter Zug auf sein Gesicht. Er zuckte
erstaunt zusammen, als er die toten Fliegen sah und ein Schauder durchlief ihn. »Dreckiges
Ungeziefer«, stieß er aus und zertrampelte die toten Insekten mit seinem Stiefel. »Dank dir,
Käpt’n.«
»Da musst du Grokmund danken«, berichtigte ihn Brokrin. »Er hat sie getötet, indem er die
Luft verdünnt hat. Schätze, du hast seine Warnung nicht gehört.« Er wandte sich zu dem
Äther-Khymiker um, aber Grokmund war nicht länger dort. Er ging inzwischen zu der
Werkstatt hinüber, wo das grüne Glimmen weiterhin pulsierte.
»Was ist denn das?«, fragte sich Grokmund. Von der anderen Seite des Korridors hörte man
Gotramm ebenso wie einige andere eine ähnliche Frage äußern. Das unheimliche Glühen war
in den Fenstern anderer Läden und am Sockel einer der Säulen erschienen.
Brokrin zog die Salvenpistole aus dem Gürtel, während ein Kribbeln durch seinen ganzen
Körper fuhr, das mehr als nur ein Warnsignal war. Es war reiner Ekel, ein Abscheu, wie er ihn
noch nie empfunden hatte. Es lag etwas darin, was ihn in seinen Grundfesten abstieß, das ihm
zurief, zu fliehen, so schnell er nur könne. Pflichtgefühl und Stolz hielten ihn davon ab,
diesem instinktiven Trieb nachzukommen. Er war ein Kharadron; es stand ihm nicht an, zu
fliehen, während den Seinen Gefahr drohte.
»Ich sehe etwas in dem Licht«, sagte Grokmund. Er wich langsam vor der Werkstatt zurück,
während Brokrin und Drumark näher herantraten.
»Was immer da drinnen ist, es ist unrein«, versetzte Drumark. Es schüttelte seinen ganzen
Körper, als er sich eine tote Fliege aus der Nase schnäuzte. »Alles, was mit Fliegen haust, hat
kein Recht zu leben.« Er hob seinen Deckfeger, die Läufe auf die Tür gerichtet.
Bevor Drumark feuern konnte, sprang eine große ausgezehrte Gestalt durch eines der
Fenster. Sie landete mit einem ekelerregenden Klatschen auf allen Vieren. Brokrin hatte den
Eindruck einer menschenähnlichen Kreatur mit faulig grüner Haut, die von Geschwüren und
Rissen gezeichnet war. Das Ding blinzelte sie aus einem einzigen gefleckten Auge an, das in
der Mitte eines verbitterten Gesichts saß. Ein langes Horn, überkrustet von einer Art
moosigem Samt, wand sich aus seiner Stirn empor. Der Gestank, der ihnen von der Kreatur
entgegenquoll, war unglaublich widerlich, so scheußlich, dass Brokrin sich fragte, ob die
Fliegen sie tatsächlich hatten angreifen oder nur dem Geruch dieser Bestie hatten entkommen
wollen.
Das Monster ließ ein gurgelndes Heulen hören und sprang Brokrin an. Seine Salvenpistole
begegnete dem Angriff, feuerte Schuss um Schuss in den verwesenden Körper. Der wurde
zurückgeworfen, lag auf dem Boden in einer Pfütze seiner eigenen Körpersäfte
dahingestreckt, Brust und Hüfte von den Kugeln in Fetzen gerissen. Ein gequältes Jammern
entrang sich dem fransigen Mund des Geschöpfes, als es schließlich auf die Seite klatschte.
»Noch eins dieser Faulviecher!«, rief Drumark aus. Brokrin wirbelte rechtzeitig genug
herum, um eine zweite schlaksige Gestalt mit nur einem Auge in die Tür treten zu sehen. Im
nächsten Moment schon wurde es von dem Deckfeger in zwei Hälften geteilt und in die
Werkstatt zurückgeworfen, als wäre es vom Faustschlag eines Garganten getroffen worden.
Drumark wollte schon über die brutale Vernichtung des Monsters in Jubel ausbrechen, als sein
Blick auf das Knäuel schnatternden, krötengroßen Getiers fiel, das über den Körper des Dings
hinwegkrabbelte und auf den Sergeanten zustürzte.
Wie aufgedunsene lebende Pusteln schwärmten die winzigen Geschöpfe aus der Werkstatt
heraus. Drumark hieb mit dem Lauf seines Gewehres nach ihnen, ließ sie in Fontänen
ranzigen Schleims zerplatzen. Grokmund eilte dem Sergeanten zur Seite, zerstampfte die
Plagegeister mit seinen Stiefeln und hackte mit seinen Werkzeugen auf sie ein.
Brokrin wollte sich ebenfalls in den Kampf stürzen, doch bevor er den ersten Schritt machen
konnte, wirbelte er herum. Es war nicht so sehr ein Geräusch, das ihn gewarnt hatte, sondern
vielmehr das Fehlen eines Geräuschs. Das Jaulen der getroffenen Kreatur war plötzlich
verstummt. Doch dies war nicht, weil das Ding tot war. Er sah, dass es wieder auf seinen in
Hufen endenden Beinen stand und sie aus seinem einzigen Auge wütend anfunkelte. Sein
rechter Arm zitterte, dann schälte sein unterer Teil sich weg und ein Stück schwarzen
Knochens wurde entblößt. Seine linke Hand griff nach der Wunde, riss den schwarzen Schaft
heraus. Während seine Finger sich um den Knochen krallten, begann dieser sich zu winden
und sich auszudehnen, sich zu einer grässlichen Waffe mit geriffelten Rand zu verlängern.
Dieser lebende Albtraum war keine sterbliche Bestie, sondern ein verderbter Dämon des
Chaos! Die Erkenntnis ließ Brokrin beunruhigt auf seine leergeschossene Pistole blicken. Ein
schauderhaft glucksendes Gelächter schüttelte den Unhold, als dieser seine Misere begriff.
Dreist machte es einen Schritt auf den Feind zu, während die kranke Klinge in seiner Hand
sich weiter verlängerte und sich in ein monströses Schwert verwandelte.
Von jenseits des Korridors konnte Brokrin Kampflärm hören. Weitere Dämonen waren aus
den anderen Flecken der Verderbnis aufgetaucht und waren über Gotramm und die anderen
hergefallen. Drumark und Grokmund waren in einen verbitterten Kampf gegen die
krötenhaften Kobolde verwickelt. Jeder der Kharadron wurde von irgendeiner der
widerwärtigen Erscheinungen bedrängt.
Noch immer sein boshaftes Glucksen ausstoßend, griff der schwerttragende Dämon Brokrin
an. Eine doppelte Überraschung erwartete ihn. Zum ersten wich Brokrin nicht zurück. Zum
zweiten nahm er seine leere Pistole und schleuderte sie direkt ins bösartig glotzende Auge des
Unholds.
Der Dämon gackerte vor Schmerz, als die Pistole ihn traf. Er schlug die Hand aufs verletzte
Auge, taumelte zurück, als ihm die Gallerte durch die Klauen rann. Die Klinge in seiner
anderen Hand hieb zu, durchschnitt blindwütig die Luft, im Versuch Brokrin
zurückzudrängen. Aber er war zu umsichtig, um geradewegs auf das Monster einzustürmen.
Er umrundete es zu dessen Flanke hin, griff es von da aus mit seiner Axt an. Die scharfe
Klinge hieb auf die knochige Schulter herab, biss sich durch das kranke Fleisch und
durchtrennten den schwammartigen Knochen darunter.
Ein teuflisches Geheul erhob sich in die Luft, als der Arm des Dämons auf den Boden fiel.
Die Klauen krallten und krabbelten noch einen Moment über die Erde, dann lagen sie still.
Beinah augenblicklich begann das abgetrennte Glied sich zu zersetzen, löste sich in einen Brei
von Würmern und Schleim auf.
Der Dämon wirbelte herum und sein zerquetschtes Auge funkelte blicklos in Brokrins
Richtung. Das riesige Seuchenschwert schwang herum, hieb mit solcher Geschwindigkeit zu,
dass der Duardin seinen Luftzug spürte, als er sich zu Boden warf. Er zögerte keinen
Augenblick, ihn aus seiner verwundbaren Position aus anzugreifen und ließ seine Axt gegen
den Knöchel über einem der Hufe sausen. Faulige Flüssigkeit spritzte aus dem Bein des
Dämons, als Brokrin die Axt durch Fleisch und Knochen trieb. Das Monster heulte auf, als es
zu Boden fiel. Es trat mit seinem verbliebenen Huf aus und drosch ihn Brokrin vor den
Brustpanzer. Der Duardin fühlte, wie ihm die Luft aus den Lungen getrieben wurde, als der
Tritt ihn zurückwarf. Vor ihm trat der geblendete Dämon aus und schlug wild um sich, fauchte
wütend in seiner Enttäuschung, während er vergeblich versuchte, weiter seinen Feind zu
finden.
Brokrin schöpfte wieder Atem, stand über dem um sich schlagenden Dämon und schwang
die Axt zu einem Abwärtshieb. Die Klinge knirschte durch dessen gehörnten Schädel und
brachte die störrische Vitalität, die der verstümmelten Gestalt der Kreatur anhing, zum
Erlöschen. Einen Moment lang noch kämpfte sie darum, sich zu erheben, dann sackte sie zu
Boden, und ihr Körper löste sich zu einem madenverseuchten Brei auf.
Brokrin wandte sich von dem bezwungenen Dämon ab. Auf der anderen Seite des Ganges
sah er Gotramm seine Axt auf den Hals eines weiteren gehörnten Monsters niedergehen
lassen. Die Arkanauten und Grundstok-Schützen gaben gerade den letzten ihrer eigenen
Gegner den Rest, knüppelten sie mit den Kolben ihrer Flinten nieder oder hackten mit Äxten
und Himmelspiken nach ihnen.
Näher bei ihm wurden Drumark und Grokmund noch immer von dem Koboldschwarm
bedrängt. Er eilte, seinen Kameraden beizustehen, bekam eines der kleinen Monster zu
packen. Dieses hatte sich an den Rücken des Äther-Khymikers geklammert und gab sein
Bestes, sich durch dessen Rüstung zu beißen. Die kleine Scheußlichkeit wand sich in seinem
Griff, als er es packte und zudrückte. Er erwartete, Knochen unter dem Druck brechen zu
fühlen, aber stattdessen fühlte es sich an, als würde er Schlamm zwischen den Fingern
zerquetschen.
Drumark brüllte vor Schmerz auf, als einer der ihn angreifenden Dämonen es schließlich
schaffte, mit seinen Klauen die Schnallen zu zerreißen, die seinen Schulterpanzer an seinem
Platz hielten. Als der Schulterschutz wegrutschte, versenkte der Dämon seine nadelscharfen
Zähne in seinem Fleisch. Der Kobold scharrte mit seinen Zähnen hin und zurück und zerfetzte
das Stück des Duardin, das er zwischen seinen Fängen hielt. Wut und Ekel ließen in Drumark
eine Welle neuer Kraft hochbranden. Er schloss beide Hände um das krötenhafte Vieh, riss es
sich in einer Blutfontäne vom Körper. Einen Moment lang funkelte er auf die Abscheulichkeit
hinab, dann zerbrach er deren zappelnden Körper in zwei Teile und warf diese beiseite. Er
trampelte mit seinen Stiefeln um sich, zerquetschte und zerstampfte, bis keiner der kleinen
Widerlinge mehr übrig war. So groß war Drumarks Wut, dass keiner der Kobolde ihr entkam.
»Dieser verdammte Dreck hat mich gebissen«, sagte Drumark, als er sich Brokrin zuwandte.
Er presste die Hand auf seine blutende Schulter und versuchte den Blutstrom einzudämmen.
Um sie herum verhallte der Lärm des Kampfes. Kein Jubel kam von Gotramm und der
Mannschaft. Die Dämonen waren einfach ein zu widerlicher Feind gewesen, als dass man aus
ihrer Vernichtung irgendwelchen Mut hätte fassen oder Stolz hätte empfinden können. Es lag
kein Verdienst darin, Ungeziefer unter seinen Füßen zu zertreten. Die Kadaver ihrer
Widersacher lagen verstreut über die Halle, dunkle Flecken auf dem Stein, die sich rasch zu
Schleim auflösten.
»Durchzählen!«, rief Brokrin, fiel damit in die alte Gewohnheit, den ersten Impuls eines
Kapitäns nach einem Gefecht zurück: zu sehen, ob alle seiner Mannschaft noch da waren.
Gotramm winkte ihm müde, jedoch keineswegs undankbar zu, während der Rest der Duardin
seinem Aufruf Folge leistete. Während jeder der Angehörigen seines Trupps seinen Namen
rief, verbreitete sich ein Gefühl der Erleichterung in Brokrins Brust. Keiner der ihren war bei
dem Kampf getötet worden.
»Dieses Dreckstück hat mich gebissen«, wiederholte Drumark und zog so Brokrins
Aufmerksamkeit erneut auf sich.
Brokrin machte einen Schritt auf den Sergeanten zu, aber bevor er ihn erreichen konnte,
brach Drumark zu seinen Füßen zusammen.
KAPITEL ZWÖLF

Drumark erwachte und fuhr jäh hoch, schlug wild mit den Armen aus. Seine Umgebung
verwirrte ihn, da er sich nicht befriedigend erklären konnte, wieso er in einem Bett lag, einen
Holzblock unter dem Kopf und eine schwere Decke über dem Körper.
Ein wenig ließ seine Verwunderung nach, als er nach oben blickte und die Balken über sich
sah. Er war wieder an Bord des Eisendrachen. Aus dem anderen Augenwinkel konnte er Lodri
auf einem Stuhl schlafen sehen, mit einem Krug Grog auf dem Boden neben seinem Fuß.
Feine Rauchfäden stiegen aus einem Räucherfass auf und erfüllten die Kajüte mit dem
schweren Geruch glimmender Kräuter.
Ein grimmer Blick verzog Drumarks Bart. »Du wirst alt, du Trottel«, schalt er sich. Einst
war er in der Lage gewesen, gegen Orruk-Bullen anzutreten, Axt gegen Hacker. Jetzt musste
man ihn nach einem kurzen Geplänkel mit ein paar winzigen Kobolden zurück zum Schiff
schleppen. Das war genug, um einem Duardin-Krieger schier das Herz aus der Brust zu
reißen. Sein Körper fühlte sich wie eine einzige Wunde an, die Muskeln in seinen Beinen
kribbelten, als liefe Feuer hindurch. Seine Arme fühlten sich an wie Blei und seine Muskeln
hatten schon Mühe damit, ihn einfach nur auf die Ellbogen aufzustützen. Noch nie hatte er
sich derart kraftlos gefühlt. Drumark war stets der Philosophie der Unabhängigkeit gefolgt,
allein auf seine eigene Kraft zu vertrauen. Es verletzte seinen Stolz, jetzt so matt zu sein. Seine
eigene Schwäche verfluchend, zwang er sich aus dem Bett.
Träge fragte er sich, wer ihn eigentlich zurückgebracht hatte. Drumark hoffte, dass es nicht
Brokrin gewesen war. Er fühlte sich ohnehin schon schuldig, dass er gegen den alten Kapitän
gestimmt hatte, dem musste nicht noch eine Dankesschuld hinzugefügt werden. Wenn nur
Brokrin in Bezug auf ein paar Dinge vernünftiger gewesen wäre. Jetzt war es natürlich zu
spät. Meuterei war keine Sache, die man auf die leichte Schulter nahm. Wenn es Gotramm
nicht gelang, einen Profit einzufahren, und er ihren Geldgebern nicht zur Zufriedenheit
beweisen konnte, dass Brokrin nicht in der Lage gewesen wäre, das Gleiche zu tun, dann
würden die Strafen erheblich sein.
Dieser Fall war jetzt allerdings nicht mehr sehr wahrscheinlich, überlegte Drumark. Mit
Skaggis geschmeidiger Zunge, um die Dinge zu seinen Gunsten zu wenden, bestand kaum die
Aussicht, dass die Geldgeber die Meuterei nicht unterstützen würden. Gut für die Mannschaft,
aber ein Unglück für Brokrin. Oh, natürlich würde er seinen Anteil erhalten, aber das wäre nur
ein kleiner Ausgleich für das, was er verlor. Er würde nie wieder ein Kommando bekommen.
Niemand würde in einen Kapitän investieren, dessen Mannschaft gegen ihn gemeutert hatte
und danach mit Profit zurückgekehrt war. Gewiss nicht bei einem Profit, der so gewaltig war,
wie das, was Grokmunds Fund versprach.
So war das eben im Geschäft. Es gab immer Gewinner und Verlierer. Drumark wünschte
sich nur, dass Brokrin nicht so viel verlor.
Der Sergeant schwang seine Beine über die Bettkante und griff nach dem Krug Rum, der
neben Lodris Stuhl stand. Er war sich sicher, dass der Kanoniersgehilfe einem verletzten
Duardin einen Schluck Grog zur eigenen Stärkung keineswegs missgönnen würde. Als er den
Krug gerade in die Hand nehmen wollte, fuhr ihm ein jäher Schmerz durch die Schulter.
Drumark fiel aufs Bett zurück. Seine Hand packte nach der Verletzung, seine Finger griffen
nach den dicken Bandagen, die sich um seinen Körper zogen. Schnell arbeiteten sich seine
Finger durch die Lagen, rissen sie mit fast animalischer Wildheit herunter. Er musste an die
Wunde ran, musste einfach diesen rasenden Schmerz stoppen, der in ihm wütete.
Drumark hatte bald seine Schulter freigelegt. Er versuchte, den Kopf so weit zu drehen, dass
er die Verletzung sehen konnte, aber sie war zu nah am Hals. Er betastete sie mit den Fingern
und fühlte ihre schlimmen Ränder. Der Riss war breit und tief. Er konnte die Feuchtigkeit
unter seinen Fingern fühlen. Er biss die Zähne zusammen, als seine tastenden Finger auf etwas
Festes trafen. Ihn schauderte beim Bild eines rohen Knochens, das ihm wie ein glühender
Schürhaken durch den Geist fuhr.
Dann verschob sich der ›Knochen‹, glitt unter seiner Berührung weg. Er fühlte, wie etwas
Feuchtes ihm über die Finger glitt, sodass er sie in einen Anfall von Ekel wegriss. Sein
Schrecken vergrößerte sich, als er ein leises murmelndes Geräusch nahe bei seinem Ohr hörte.
Ganz nah … und leicht darunter.
Eine plötzliche Welle der Panik ergriff Drumark, die ihn all seine Schmerzen vergessen ließ.
Er sprang vom Bett und eilte durch die Kajüte. Er nestelte an seiner zu einem wilden Haufen
zusammengeworfenen Kleidung herum, durchwühlte ein Stück nach dem anderen auf der
Suche nach etwas ganz Bestimmtem. Aus einer seiner Taschen zog er einen kleinen
Silberspiegel hervor, den er benutzte, um beim Reinigen seines Deckfegers die Läufe zu
untersuchen. Er hielt den winzigen Spiegel hoch, neigte ihn so, dass er seine Schulter in den
Blick bekam.
Das Gemurmel an seinem Ohr wurde lauter, wurde in seinem Gestammel fast schon
spöttisch. Jetzt konnte Drumark deutlich erkennen, was dort auf seiner Schulter war. Das
Ding, das seine Finger ertastet hatten, war ein winziger Mund, und was sich wie Knochen
angefühlt hatte, war ein Zahn. Eine stubsige kleine Nase und zwei Knopfaugen
vervollständigten das kleine Gesicht, das ihn aus dem Spiegel heraus angrinste. Es glich aufs
Haar dem ungezieferhaften Kobold, der ihn in dem Außenposten attackiert hatte.
Drumark schob sich die Hand in den Mund, biss darauf, um nicht laut aufzuschreien. Mit
einer Hand raffte er die Reste seiner Habseligkeiten zusammen. Entsetzen und Scham
durchtosten seinen Schädel. Er war wegen dem, was ihm zugestoßen war, von Ekel erfüllt,
aber noch mehr zuwider war ihm der Gedanke, dass andere es herausfinden könnten. Dass sie
wussten, dass er vom Biss dieses Kobolds infiziert worden war.
Als er sich in den Gang drückte, stieß er beinah mit Mortrimm zusammen. Der alte
Navigator war verdutzt, sowohl überrascht vom plötzlichen Auftauchen des Sergeants als auch
von dessen unbekleidetem Zustand. Er warf Drumark einen harten Blick zu. Drumark fühlte
den Argwohn in diesem Blick. Das Gemurmel in seinem Ohr pflichtete dem bei; das
Geplapper wurde zu leisen Worten, die seine Sorge nährten. Er weiß es, sagte ihm die
Stimme. Er wird es verraten, warnte ihn die Stimme. Du kannst ihn aufhalten. Du kannst es
verhindern. Wenn er schläft, leg deine Hände um seine Kehle …
Drumark schlug seine freie Hand übers Ohr, direkt über dem kleinen Gesicht, ohne darüber
nachzudenken, dass er dadurch seine Schulter gegen Mortrimms Blick entblößte. Rasch ließ er
das Kleiderbündel zu Boden fallen und bedeckte das Gesicht mit der anderen Hand.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Mortrimm. Er schaute kurz auf Drumarks Schulter, dann
zurück zu den Augen des Sergeants. »Du hast uns ganz schön Sorgen gemacht, als Brokrin
dich zurückgebracht hat.«
Drumark blinzelte ungläubig. Es war unmöglich, dass der Navigator das Gesicht auf seiner
Schulter nicht gesehen hatte. Und selbst wenn er es nicht sehen konnte, so musste er es doch
hören.
Er wird dich verraten! Die ganze Mannschaft wird gegen dich sein! Töte ihn! Töte ihn!
Töte! Töte!
Der Versuch, das Flüstern mit seiner Hand auf dem Ohr zu stoppen, hatte die aufstachelnde
Stimme nicht zum Verstummen bringen können. Ganz sicher musste auch Mortrimm sie
hören!
»Lodri meinte, du bräuchtest ein paar Tage, bis du wieder auf den Beinen bist«, fuhr
Mortrimm fort. »Gut zu sehen, dass er da falsch lag. Nächstes Mal heuert Kapitän Brokrin
vielleicht, bevor er den Hafen verlässt, einen richtigen Heiler an.«
Sie können dir nicht helfen. Sie werden dich töten, wenn du sie nicht zuerst tötest.
Drumark versuchte, den mutierten Mund mit seiner Hand zum Schweigen zu bringen.
Warum, bei den Ahnen, blieb Mortrimm nur so ruhig?
Es ist nur ein Trick, um dich einzulullen. Er wartet nur darauf, dass du in deiner
Wachsamkeit nachlässt.
Drumark verweigerte sich dem Flüstern. Kein Duardin würde seinen Abscheu gegenüber so
einer widerwärtigen Geschwulst verbergen können. Mortrimm würde Anzeichen des Ekels
zeigen.
Die einzige andere Möglichkeit war, dass der Navigator es weder sah, noch hörte.
»Fühlst du dich nicht gut?«, fragte Mortrimm.
Er weiß es! Er weiß es! Töte ihn!
Drumark schüttelte leicht den Kopf zu einer Seite hin. »Ich bin mir nicht sicher«, antwortete
er.
Ihm war der Gedanke an einen schrecklichen Test gekommen, mit dem er herausfinden
konnte, ob seine Theorie, dass Mortrimm den Kopf nicht sehen konnte, stimmte. Dennoch
zögerte er, ihn in die Tat umzusetzen, denn ihm graute davor, was geschehen würden, wenn er
falsch lag. Drumark nahm all seine Entschlossenheit zusammen und nahm die Hand von der
Schulter weg. »Wie … wie sieht … denn meine Wunde für dich aus?«, brachte er schließlich
hervor.
Mortrimm beugte sich näher heran, strich sich über seinen weißen Bart, während er
Drumarks Schulter in Augenschein nahm. Der Aufschrei des Schreckens, den er erwartet
hatte, kam nicht. Stattdessen trat Mortrimm zurück und nickte. »Ich schulde Lodri wohl eine
Entschuldigung«, sagte er. »Deine Wunde heilt sehr gut. Kaum noch ein Kratzer zu sehen.«
Seine Beiläufigkeit ist nur Maskerade. Lass dich nicht täuschen! Töte ihn, bevor es zu
spät ist. Die Kunde von deiner Schande wird sich unter der ganzen Mannschaft verbreiten.
Dann wird es für dich keinen Platz mehr geben. Nirgends kannst du dann mehr hin. Schlag
ihm mit dem Kolben deiner Pistole den Schädel ein! Dann bist du sicher!
Drumark wich eilends vor Mortrimm zurück, angewidert und entsetzt von den Gedanken,
die das Flüstern ihm in den Kopf setzen wollte. »Danke … danke dir«, stammelte er. »Ich
fühle mich schon viel besser.«
Erneut war da ein Ausdruck der Besorgnis in Mortrimms Miene. »Bist du sicher? Du solltest
es eine Weile leichter angehen lassen.«
Töte ihn! Töte ihn! Töte!
Das Flüstern wurde hartnäckiger, dringlicher. Drumark traute sich nicht, noch länger zu
zaudern. »Nein, ich … ich muss den Käpt’n finden«. Er eilte zu den Stufen, die auf Deck
führten.
»Welchen?«, rief Mortrimm Drumark hinterher. »Keiner von beiden ist an Bord. Sie helfen
Grokmund, die Anlagen in Gang zu bringen.« Der Navigator warf dem Sergeant noch eine
letzte Bemerkung hinterher, als der schon übers Deck eilte. »Und ich denke auch, dass sie es
nicht besonders schätzen werden, dich da oben ohne deine Hosen zu sehen.«
Drumark hetzte bereits auf die Pier zu. Er ignorierte die amüsierten Blicke, welche die
diensthabenden Duardin ihm zuwarfen. Nach der mörderischen Panik, die er gegenüber
Mortrimm empfunden hatte, wagte er es nicht, anzuhalten, um mit irgendjemanden ein Wort
zu wechseln. Er musste hier weg, musste herausfinden, was mit ihm geschah. Wie er das alles
irgendwie unter Kontrolle bringen konnte – sich und dieses Ding.

Die Dunkelheit. Das ist es, wohin du jetzt gehörst. Geh in die Dunkelheit. Lass die Schatten
dich durchfließen.
Das Flüstern fuhr fort, in Drumarks Ohr zu sickern, schien sogar noch Belustigung aus
seinem Elend zu ziehen. Es stachelte ihn dazu an, sich in die Dunkelheit des Außenpostens
zurückzuziehen. Es ergötzte sich an den klammen Schatten, den schwachen Echos des
Verfalls und der Verzweiflung, welche die verlassene Siedlung durchdrangen.
Schau auf das, was war.
Während das Flüstern in sein Ohr drang, blitzten Bilder durch Drumarks Geist.
Erinnerungen, die nicht die seinen waren. Er sah die Blütezeit von Finnolfs Festung, den
Reichtum und das Wachstum dieser aufstrebenden Gemeinschaft.
Das war vorher. Bevor ich kam. Bevor ihr Wachstum sich in Verfall verwandelte. Bevor
alles von dem verschlungen wurde, was sie an der Wurzel des Berges entfesselten. Die
Bilder in Drumarks Geist verschoben und wandelten sich, zeigten ihm den Niedergang der
Siedlung, so wie der Dämon es ihm beschrieb. Die Macht dieses Dämons attackierte die
Duardin von innen her, nährte sich an jedem Einzelnen von ihnen, verwandelte rein zu unrein,
vergiftete und befleckte alles, was sie auf ihrem Weg berührte.
Es breitete sich rasend schnell aus. Ansteckend und verschlingend. Aufsplitternd und
versprengend. Tausende und wieder tausende von Verseuchungen, jede mit ihrem eigenen
Willen und mit eigener Persönlichkeit. Und doch alle Teil von mir. Alle gemeinsame
Splitter einer einzigen Identität. So, wie du jetzt Teil meiner Einheit bist. Nichts als ein
Splitter.
Noch seltsamer als die unheimlichen Phänomene, denen er sich ausgesetzt sah, war die Art,
wie die flüsternde Stimme schwankte, wenn sie das Bild ihrer selbst zu Splittern zerspringen
ließ. Vorher hatte Drumark eine spöttische Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit hinter der
Stimme verspürt, eine verkommene Form des Hohns in der Art, wie sie ihn zu manipulieren
versuchte. Nun wusste er, dass der Dämon einfach nur mit ihm gespielt hatte, dass er sich
selbst an seinem Widerstand ergötzt hatte. Nun wusste er, wie vollständig er sein Sklave war.
Hätte ich es gewollt, hättest du Mortrimm getötet. Du hättest jeden getötet, von dem ich
verlangt hätte, dass du ihn tötest.
Drumark wusste das, weil er jetzt die unwiderstehliche Kraft der Macht des Dämons fühlte.
Tödlicher Ernst hatte seinen Spott ausgelöscht. Drumark raste durch die dunklen Hallen;
Kleider und Waffen hatte er in seiner Hast von sich geworfen. Die Schwärze war
undurchdringlich und dennoch verlangsamte sich sein Schritt nicht. Er rannte unbeirrt durch
die Hallen, fand seinen Weg durch Kammern und Korridore, die er nie zuvor gesehen hatte,
und das mit einer Vertrautheit, die ihm Grauen einflößte. Und während so seine eigene
Willenskraft ausgelöscht wurde, spürte er, wie der Dämon ihm Teile seiner selbst in den Geist
einpflanzte, seine Erinnerungen durch andere ersetzte, Dinge, die ihm bei seinem Unterfangen
hilfreich sein würden.
Sein Unterfangen. Seine Aufgabe. Dies war es, was für die Veränderung in der Macht, die
von Drumark Besitz ergriffen hatte, verantwortlich war. Etwas, das sie gespürt hatte, eine
Verbindung, die sie aufgetan hatte, hatte ihr eine Dringlichkeit verliehen, die es zuvor nicht
gegeben hatte. Der Schlüssel war ein einziges Wort, etwas, das sie ihm zugeflüstert hatte.
Splitter. So sehr er es auch versuchte, Drumark konnte nicht ergründen, warum dies von einer
solchen Bedeutung sein sollte. Was hatte das nur zu bedeuten?
Der Dämon zeigte keine Neigung, es zu erklären. Drumark war nicht länger ein Spielzeug,
sondern ein Gefäß, ein Werkzeug, das allein dazu diente, die Aufgabe des Dämons zu
vollbringen. Tief hinein in die nachtschwarze Dunkelheit trieb er ihn, zwang ihn zu solchen
Anstrengungen, dass es selbst seine eiserne Duardin-Stärke an ihre Grenzen brachte. Seine
Lungen schrien nach mehr Luft, seine Glieder fühlten sich wie bloße Bleiklumpen an, seine
Muskeln brannten, als wären sie mit Lava überzogen, und dennoch trieb es ihn weiter.
Aus der vollkommenen Stille der toten Hallen drang jetzt der schwache Klang von
Stimmen. Drumark erkannte die von Grokmund und Horgarr, Gotramm und Brokrin. Und da
war noch mehr: das stotternde Quietschen alter Zahnräder und Kolben, das dumpfe Grollen
vernachlässigter Maschinen und Gerätschaften, die zu neuem Leben erwachten.
Der Dämon brachte Drumark dazu, den Stimmen im letzten Moment auszuweichen, zwang
ihn, einen Weg um die Kammer herum zu nehmen, in der sich seine Freunde befinden
mussten. Darum herum und dann wieder davon fort, so wichen seine Schritte vom direkten
Weg ab. Er war jetzt in einem schmalen Gang, einem Abzugsschacht, nach der Menge von
Ruß zu schließen, die an seinen Wänden klebte. Durch diesen schmutzigen Durchgang trieb
der Dämon ihn hinunter, zwang seinen müden Körper zu noch größerer Anstrengung.
Die Stimmen waren jetzt näher. Das Grollen von Maschinen brachte den Schacht um ihn
zum Beben. Er war nah bei den anderen Duardin, doch Drumark war etwas ganz anderem
noch viel näher.
Im Moment, in dem seine Augen es wahrnahmen, wusste Drumark, dies war es, zu dem der
Dämon ihn gesandt hatte. Es versinnbildlichte einen Teil dessen, was den Willen der
Wesenheit erst von seiner teuflischen Belustigung abgezogen und einem Zweck von uralter
Feindseligkeit und ewigem Hass zugeführt hatte.
Da war ein Schacht, der in eine riesige Kammer hinabstarrte, in eine Kammer, die vom
Glühen von Lampen erhellt wurde und aus der sich die Stimmen von Duardin erhoben. Um
den Rachen dieses Schachtes ringelte sich eine schlangenhafte Wesenheit, aus der sich ein
einziges lidloses Auge erhob. Drumark erkannte in ihm ein Bruchstück des tentakelbewehrten
Albtraums wieder, der den Eisendrachen angegriffen hatte.
Es ist mehr als das. Es ist die Essenz eines Hexers. Eine Macht, die mit uns beiden in
Widerstreit steht.
Die verfluchten Namen Nurgles und Tzeentchs donnerten durch Drumarks Seele, als der
Dämon in ihm auf den Spion des Hexers hinabblickte. Der Überrest sprang von dem Schacht
weg und warf sich auf Drumark. Ebenso wie der Dämon war es sich einer rivalisierenden
Macht bewusst, die sich ihm zu widersetzen suchte. Dieses Bewusstsein verlieh seiner
schlangengleichen Gestalt eine schreckliche Kraft. Wie die Bänder einer stählernen
Sprungfeder schloss sie sich um Drumarks Körper und warf ihn zu Boden.
Mehr nur als schlicht der zermalmende Druck der kalten Bänder aus Dunkelheit drängte auf
Drumarks Körper ein. Da war ebenfalls eine sengende, quälende Seelenpein. Er konnte fühlen,
wie der Dämon gegen die Feindeskraft der gegnerischen Hexerei aufbegehrte, wie er heftig
ringend versuchte, die Macht, die ihn zu vernichten suchte, zurückzuschlagen. Er fühlte, dass,
wenn er einfach nur nachgab, seine Vernichtung akzeptierte, er damit auch erlaubte, dass ihm
die Verderbnis, die von ihm Besitz ergriffen hatte, ausgebrannt würde. Es würde ihn jedoch
das Leben kosten, denn er allein wäre nicht in der Lage, sich von diesen ihn erdrückenden
Schlingen zu befreien.
Hilf mir, Sterblicher! Kämpfe um dein Dasein oder wir werden beide verschlungen!
Es war nicht der Dämon, der den Ausschlag gab, sondern der Klang der Stimmen da unten,
der Drumark dazu brachte, sich der Verlockung des Aufgebens entgegenzustellen. Er kämpfte
gegen die dunklen Windungen an. Er wusste, dass der Überrest nur das Symptom war, Teil
eines größeren Bösen.
Ja, eine Macht, die all unsere Freunde vernichten wird, wenn du nicht dagegen
ankämpfst! Leih mir deine Stärke, Sterblicher. Gib sie mir, beende deinen Widerstand
gegen meine Präsenz, und zusammen können wir den Feind vernichten.
Der Dämon gab ihm gegenüber zu, dass die Wurzel der Verderbnis in seinen Knochen und
in seiner Seele saß. Und dass nichts etwas daran ändern würde.
Dir selbst kannst du nicht helfen, aber du kannst noch immer deinen Freunden helfen.
Die Windungen schlossen sich stärker um ihn. Drumark hatte das Gefühl, als ob seine
Rippen sich bereits biegen und nachgeben würden. Bald würden sie brechen und dann wäre es
vorbei. Er schloss seine Augen, verfluchte sich selbst und gab dem Drängen des Dämons
nach. Augenblicklich fühlte er, wie sich die obszöne Präsenz des Dings in ihm vervielfachte,
wie sie in ihm größer und größer wurde. Und sowie ihre Herrschaft sich ausdehnte, tat dies
auch das Hexenfeuer, dass ihn zu Nichts verbrennen wollte.
Die unmenschliche Kraft, die durch seinen Körper wallte, reichte nicht aus, die Macht der
ihn umschlingenden Windungen zu brechen. Drumark fühlte sich stärker als jemals in seinem
Leben und doch zugleich so hilflos wie ein Säugling. Er biss in schierer Frustration die Zähne
aufeinander und Speichel flog ihm aus dem Mund. Er sah, wie dieser auf den sich windenden
Leib des Überrestes spritzte, darauf dampfte und zischte. Wo sein Speichel auftraf, begannen
die Windungen zu zerfallen, deutlich sichtbar von seinem Körper weg zu faulen.
Sein eigener Speichel war nun wie Säure, verderbt von der Essenz des Dämons. Drumark
fühlte, wie ein gequältes Zittern die Windungen des Überrests durchlief. Entschlossen spuckte
er erneut und versengte ihn diesmal noch stärker. Der grässliche Spion erkannte die Gefahr
und verstärkte seinen Griff.
Drumark schrie vor Schmerzen auf, kämpfte erbittert, sich von dem Grauen zu befreien.
Denn er wusste, wenn er starb, ließ er seine Kameraden zurück, ohne dass diese sich der
Gefahr bewusst waren, die ihnen hier drohte.

Die Veredelungsanlage befand sich in einer riesigen Halle. Große Brennöfen, deren Rachen
von gewaltigen Metalltüren versiegelt waren, dominierten eine der äußeren Wände. Ein
Gewirr von Röhren und Schläuchen verlief von jedem Brennofen zu riesigen Metalltanks, die
an der gegenüberliegenden Wand verschraubt waren, gigantischen Behältern, welche die
Chemikalien und Treibstoffe zum Entfachen und Versorgen der alchemischen Flammen
enthielten. Ketten hingen von der Decke herab wie Schlingpflanzen in einem Dschungel. Sie
waren an den großen Kesseln und flachen Tiegelpfannen befestigt, die selbst an großen in der
Decke eingelassenen Stahlschienen entlangliefen. Gussformen aus Granit und Basalt lagen auf
dem Boden aufgereiht, bereit, das geschmolzene Metall aus den Brennöfen aufzunehmen.
Entlang einer anderen Wand war ein System kleinerer Essen errichtet worden, mit denen die
empfindlicheren Erze veredelt werden sollten, und Ätherblasebälge sowie gigantische
Gashämmer lagen verlassen darum herum. Innerhalb der ganzen Halle schlängelten sich
Rauchabzüge und Schlote herab, die Rauch und Dämpfe ableiten sollten und dabei so
kunstreich platziert worden waren, dass sie den größten Vorteil aus Luftströmungen und dem
Sog der brüllenden Öfen zogen.
Das Dutzend Duardin des Eisendrachen erschien wie Ameisen, die in der großen Halle
herumkrochen und versuchten die lange müßigen Mechanismen wieder aus dem langen Schlaf
der Vernachlässigung herauszulocken. Nach Stunden der Arbeit zeitigten ihre Mühen endlich
Ergebnisse.
Die gewaltigen Maschinen erbebten aufs Neue. Brokrin hatte die Übersicht verloren, wie oft
sie schon versucht hatten, sie wieder zum Leben zu erwecken. Zehnmal? Zwanzigmal? Er
konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Nach jedem Versuch hatten Horgarr und Grokmund die
Einstellungen der Hebel und Schalter verändert, hatten die Zahnräder und Kolben inspiziert,
an den Ketten gezerrt, um zu sehen, ob sie irgendwo festhingen oder ob sie vielleicht zu
schlaff geworden waren. Sie hatten Schmiermittel eingesetzt, Getriebe ausgebaut und ersetzt,
zerbrochene Kettenglieder erneut verschweißt. Nachbesserung um Nachbesserung, aber
trotzdem weigerten sich die Maschinen, ihnen zu gehorchen.
Doch diesmal war es anders. Diesmal, nachdem der gigantische Motor zitternd zum Leben
erwacht war, stotterte er nicht mit einem schwächlichen Ächzen vor sich hin wie die letzten
Male. Diesmal surrte er munter weiter, bebend vor Leben. Die Duardin standen um ihn herum,
beobachten ihn und warteten in angespannter Stille, wagten nicht, auch nur ein Wort zu sagen.
Die Maschine rumpelte weiter und weiter, Herzschlag reihte sich an Herzschlag, Sekunden
dehnte sich zu Minuten. Schließlich warf Horgarr seinen Helm in die Luft und stieß ein helles
Lachen aus. Grokmund sank in die Hocke, wischte sich den Schweiß von der Stirn und seufzte
vor Erleichterung. Der Rest der Duardin jubelte. Der Endrinmeister und der Äther-Khymiker
hatten es geschafft. Sie hatten die alte Veredelungsanlage wieder ans Laufen gebracht.
Während die anderen Duardin noch jubelten, spürte Brokrin ein Unbehagen und das Gefühl,
dass irgendetwas hier auf fatale Art falsch war. Seine Bedenken wegen der wunderbaren
Verkettung glücklicher Umstände, die sie an diesen Punkt gebracht hatten, wuchs mit jedem
neuen Glücksfall, der ihnen in die Hände spielte.
Er schaute auf die gewaltige Veredelungsanlage, in der sie standen. Trotz all der Versuche,
die sie gebraucht hatten, um die automatisierte Maschinerie wieder ans Laufen zu bringen,
konnte Brokrin dennoch nicht den Eindruck abschütteln, dass hier irgendwas nicht stimmte.
Der Verfall, den sie überall anders beobachten konnten, hatte in diesem Komplex nur äußerst
milde zugeschlagen. Die gewaltigen Stahlkessel hingen noch immer von ihren Ketten herab,
bereit dafür, dass sich geschmolzenes Äthergold in sie ergoss. Die Gussformen für die Barren
wiesen weder Risse auf, noch waren sie zerbrochen; die Brennöfen waren unbeschädigt
erhalten, ihre Rohre hatten die Jahrhunderte der Vernachlässigung intakt überstanden. Solche
Hürden wie die, denen sie hier begegneten, konnten überwunden werden, und zwar auf eine
ganz klare und bestimmte Art. Es war keine Frage, ob die Reparaturen gemacht werden
konnten, sondern nur, wie viel Zeit dies in Anspruch nehmen würde.
Kurz fragte sich Brokrin, ob es einfach nur sein Pessimismus war, der ihn so argwöhnisch
machte. Aber er konnte dem Gedanken nicht mehr als flüchtige Aufmerksamkeit schenken.
Denn er wusste tief in seinen Eingeweiden, dass er recht hatte. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Es war zu flüchtig, zu ungreifbar, als dass er es hätte definieren können, und doch war es da.
Brokrin schaute die jubelnden Duardin an. Sie bereiteten Loren vor, um sie über die
Schienen hoch zum Dock zu schieben, begierig darauf, das Äthergold aus dem Eisendrachen
herab in die Veredelungsanlage zu bringen. Er sah Skaggi eifrig mit seiner Kupfertafel und
seinem Ätzstift bei der Arbeit, wie er den erwarteten Ertrag eines jeden Anteils an dem Schatz
kalkulierte und gegenkalkulierte. Der Logistikator war der Letzte, der ihm ein
verständnisvolles Ohr leihen würde. Er ließ seinen Blick weiter schweifen und sah Gotramm,
der ganz für sich allein in der Nähe eines der Kessel stand. Seine Stimmung wirkte um einige
Grade weniger frohlockend als die der anderen Duardin.
Brokrin ging auf Gotramm zu. »Na, sieht aus, als käme jetzt alles zusammen«, sagte er.
Gotramm nickte langsam. »Es sieht ganz so aus.«
Als der Soldfahrer sich Brokrin zuwandte, konnte der abgesetzte Kapitän sehen, dass die
Klappe seines Holsters geöffnet war, die Pistole bereit für einen schnellen Zugriff.
»Bist du besorgt wegen der Meuterei?«, fragte Brokrin. »Wenn das Äthergold zumindest
den halben Ertrag bringt, mit dem Skaggi rechnet, gibt es nichts, wofür du dich entschuldigen
müsstest.«
»Das ist es nicht«, sagte Gotramm. Er warf einen Blick über die Veredelungsanlage, spähte
in die Schatten, die den Raum zwischen den großen Maschinen ausfüllten. »Es ist dieser Ort.
Diese … Wesen … sie waren Dämonen. Manifestationen des Chaos selbst.«
»Ja«, sagte Brokrin. »Ich glaube, das waren sie. Ganz bestimmt waren sie nicht natürlichen
Ursprungs.«
Gotramm nickte langsam. »Vielleicht sind sie von dem zurückgeblieben, was Finnolfs
Festung vor langer Zeit zerstört hat. Das könnte es sein, was mit allen, die hier waren,
geschehen ist.«
»Irgendwas ist hier geschehen«, stimmte Brokrin zu. Er musterte den Soldfahrer
aufmerksam. »Du denkst, wenn es hier geschah, dann könnte es auch anderswo geschehen.«
»Ich habe es immer so verstanden, dass die größte Gefahr bei Dämonen nicht in der
Zerstörung besteht, die sie verbreiten, sondern in der Verderbnis, die sie zurücklassen«, sagte
Gotramm. »Die Wesen oder Dinge, an denen sie ihre Spur hinterlassen, sind danach so unrein
wie sie selbst.«
Brokrin wurde von widerstreitenden Gefühlen geschüttelt, als er erkannte, was Gotramms
Geist plagte. Er verspürte ein Gefühl der Bewunderung für den Arkanauten. Hier, da die
Verheißung von Schätzen für ihn in Reichweite war, dachte Gotramm nicht an die
Reichtümer, die bald ihm gehören würden. Nein, er dachte an seine Mannschaft, die in der
Schlacht verwundet worden war, und daran, dass die Schwere ihrer Verletzungen noch nicht
zu ermessen war.
Brokrin fühlte aber auch eine Beklommenheit, da Gotramm nicht nur an Drumarks
Verletzungen dachte, sondern an die Art von Wesen, das solche Wunden hinterließ. »Was
willst du tun?«, fragte Brokrin. »Ihn zurücklassen? Soll er hierbleiben und allein und verlassen
in der Dunkelheit verrotten?«
Gotramms Augen blitzten zornig auf. »Ich würde ihn nie … zurücklassen.« Seine Hand
streifte die Pistole im Holster. »Nun gut, was sonst können wir tun? Ihn nach Barak-Zilfin
zurückbringen, wo er doch infiziert sein könnte? Das Risiko eingehen, dass es sich dort
ausbreitet? Damit die Himmelsfeste dann aussieht wie dieser Ort?«
»Und was ist damit?«, fragte Brokrin und deutete auf die Veredelungsanlage, auf die
Mannschaftsmitglieder, welche die Loren durch die Korridore rollten. »Welches Dämonenmal
du auch immer fürchten magst, es könnte genauso gut von Dingen wie von Personen
verbreitet werden. Bring das Äthergold hier rein und es könnte sein, dass du ihm die gleiche
Geißel beimengst, die du an Drumark so sehr fürchtest.«
Gotramm schüttelte den Kopf. »Das ist schon zu weit fortgeschritten, als dass man
irgendetwas dagegen tun könnte. Die Mannschaft würde mich einfach rauswerfen und sich
einen neuen Kapitän wählen. Vielleicht einen schlimmeren«, sagte er mit einem Blick zu
Skaggi hin, sodass Brokrin nicht entgehen konnte, was er meinte. »Es gibt keinen anderen
Weg, wie wir aus dieser Expedition noch etwas herausholen können. Wir müssen das
Äthergold nach Hause zurückbringen.«
»Dann lass uns hoffen, dass wir nur das Äthergold zurückbringen«, meinte Brokrin zu ihm
und gab damit Gotramms Besorgnis nur Nahrung. Er sah ihm in die Augen. »Wenn du das
Risiko eingehst, dem Äthergold zu trauen, schuldest du dann nicht auch Drumark die gleiche
Art von Vertrauen?«
Gotramm vermochte Brokrins Blick nicht zu halten. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich weiß
beides nicht. Ich weiß, als Kapitän ist es meine Entscheidung, aber ich weiß nicht, ob ich sie
treffen kann.«
»Ich weiß, dass es als Kapitän keinen anderen gibt, der die Entscheidung für dich treffen
könnte«, sagte Brokrin zu ihm. »Und wofür auch immer du dich entscheidest, du wirst damit
leben müssen. Denk daran.«
Brokrin ließ Gotramm zurück, um seine Gedanken zu ordnen. Er wusste nicht, was er tun
würde, wenn Gotramm sich gegen Drumark entschied. Er wusste, er würde nicht zulassen,
dass Gotramm ihn erschoss, aber wie weit er gehen würde, um das zu verhindern, war eine
Frage, die er sich nicht zu stellen traute.
Brokrin verließ die Veredelungsanlage, als die erste Lore vom Schiff zurückkam. Brokrin
hatte kein Interesse daran, zu sehen, wie das Äthergold zu geschmolzenem Erz verarbeitet
wurde. So wie Gotramm gesagt hatte, hatten die Ereignisse ein Eigenleben entwickelt. Sie
konnten dem nicht länger einfach ein Ende setzen, außer sie würden die Mannschaft mit
gezogenen Schusswaffen dazu zwingen.
Brokrin ging langsam den großen dunklen Korridor entlang und folgte den Schienen zur
Anlegestelle hin. Die Laternen, die an den zurückkehrenden Loren hingen, dienten ihm dabei
als Führer. Er war noch nicht weit von der Raffinerie entfernt, als ein Geräusch seine
Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Salvenpistole lag in seiner Hand und seine Augen streiften
über Türen und Fenster, hielten nach dem kranken Glühen Ausschau, das den ersten
dämonischen Angriff angekündigt hatte.
Kein grünes Licht fiel ihm ins Auge, doch hörte er das Geräusch erneut. Dieses Mal war es
deutlicher. Er konnte erkennen, dass es eine Stimme war, die seinen Namen rief. Eine
schwache Stimme, die sich anhörte, als müsse sie um Atem ringen.
Seine Salvenpistole weiterhin im Anschlag, ging Brokrin auf die Stimme zu. Sein Weg
führte ihn tiefer in die Dunkelheit hinein, das einzige Licht kam von der Zunderlampe an
seinem Gürtel. Als er sah, dass die Stimme aus einem schmalen Korridor kam, der sich im
Spalt zwischen zwei Gebäuden öffnete, zögerte er. Langsam wich Brokrin zum Hauptkorridor
zurück, bereit, nach Hilfe zu rufen. Er hielt inne, als die Stimme erneut zu ihm sprach. Er
kannte diese Stimme und wusste, zu wem sie gehörte. Und er dachte an seine letzte
Unterredung mit Gotramm.
Nein, Brokrin würde nicht um Hilfe rufen. Nicht, ehe er herausgefunden hatte, warum und
wie Drumark das Schiff verlassen hatte und in welchem Zustand der Sergeant war.
»Ich bin hier«, sagte Brokrin und hielt seine Stimme gesenkt, sodass sie nicht bis zurück zu
den Duardin getragen wurde, welche die Loren schoben.
»Ich auch, Käpt’n«, antwortete Drumark. Den Worten folgte sofort das Geräusch seiner
durchs Dunkel tappenden Schritte.
Brokrin war sich nicht sicher, was er erwarten sollte, aber das, was er von Drumarks
Erscheinung sah, als dieser ins Licht hinausstolperte, war es jedenfalls nicht. Die Haut des
Sergeants sah blass und blutlos aus, sein Körper wirkte von Kopf bis Fuß verletzt und
geschunden. Dass Drumark unbekleidet war, ließ jeden Riss, jeden Schnitt deutlich
erkennen – und von denen gab es zahlreiche. Besonders die Schnitte hatten eine ganz eigene
Symmetrie an sich, die die Haare auf Brokrins Arm kribbeln ließ.
Um den Körper des Duardin herum lag etwas, das wie Lederriemen aussah. Brokrin
brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass dies die Windungen irgendeines Wesens
waren. Was immer das auch für ein Ding gewesen sein mochte, jetzt war es eindeutig tot, und
Teile davon waren zu bloßen Fleischstreifen verbrannt. Dass diese um den Leib gewundenen
Streifen nicht auseinandergerissen waren, verdankten sie augenscheinlich der unheimlichen
Lebenskraft, die sie im Leben angetrieben hatten. Die schwarzen Lagen hatten sich
umeinander und übereinander gewunden und so ein Gewirr gebildet, das nicht einmal das
Wegbrennen ganzer Bereiche auflösen konnte.
Brokrin steckte seine Pistole zurück ins Holster und zog stattdessen seine Axt. Er eilte zu
Drumark hinüber. Sachte half er dem verletzten Sergeant zu Boden. Dann begann er
vorsichtig mit der Schneide der Axt, die verbliebenen Streifen zu bearbeiten, um Drumark von
dem Ding, das ihn angegriffen hatte, zu befreien.
»Keine Fragen, Käpt’n?«, brachte Drumark keuchend hervor, als Brokrin den letzten Ring
durchschnitt.
»Ich denke, du bist nicht in der Verfassung, sie zu beantworten«, entgegnete Brokrin und
versuchte weiter, sich auf seine grimmige Aufgabe zu konzentrieren.
Ein müdes Lachen schüttelte Drumark. »Und genau da hast du unrecht«, sagte er. »Das hier
ist genau die einzige Verfassung, in der ich irgendetwas sagen kann.« Er schloss die Augen,
und ein eigenartiges Lächeln legte sich auf sein Gesicht. »Ein Teil von mir ist müde.
Ausgelaugt. Schläft. Wenn er wieder wach wird, werde ich weniger ich selbst sein.« Seine
Augen öffneten sich und er schenkte Brokrin einen harten Blick. »Du hättest mich sterben
lassen sollen. Das wäre wahrscheinlich besser so gewesen.«
»Hör auf, Unsinn zu reden«, fuhr Brokrin ihn an. »Ich habe dich schon in viel schlimmerem
Zustand gesehen und trotzdem hast du’s durchgestanden.«
Drumark lachte. Es war ein bitterer und freudloser Klang in seinen Ohren. Als Brokrin
weiter an den Windungen schnitt, war der Sergeant in der Lage, seine Hand zu seiner Schulter
zu führen. Er tippte an die Stelle, wo der Kobold ihn gebissen hatte. »Alles verheilt, habe ich
Recht, Käpt’n?«
Brokrin hielt in seiner Arbeit inne. Seine Stirn furchte sich vor Verwirrung, als er sich
Drumarks Schulter besah. Da war nicht die kleinste Spur einer Verletzung zu erkennen. Er
schwenkte seinen Blick zur anderen Schulter, weil er dachte, er hätte vielleicht verwechselt, in
welche er gebissen worden war.
»Du musst nichts sagen«, meinte Drumark zu ihm. »Ich weiß schon, dass da nichts ist, was
du sehen kannst. Mortrimm konnte es auch nicht sehen. Aber ich kann es. Dort ist ein kleines
Gesicht, das dem des Dämons, der mich gebissen hat, bis aufs Haar gleicht. Ich kann es sehen
und, was noch schlimmer ist, ich kann es hören.« Wieder brachte er ein müdes Lachen
zustande. »Aber nicht jetzt. Jetzt ist es still. Hat ihm eine Menge abverlangt, dieses Ding zu
töten.« Er trat mit dem Fuß nach einer der Windungen, die von ihm abgeschnitten worden
waren.
»Was … was war das?«, fragte Brokrin, nickte dabei in Richtung des Tentakels und
versuchte, vorerst nicht von dem Grauen zu reden, von dem Drumark gesprochen hatte.
»Es ist ein Teil des Monsters, das sich die Fregatten geholt hat«, verkündete Drumark. »Es
hat sich auf dem Schiff versteckt und ist uns dort überall gefolgt. Hat uns für jemanden
ausspioniert.« Seine Stimme nahm eine entschiedene Härte an, als er Ungläubigkeit in
Brokrins Gesicht geschrieben fand. »Es ist die Wahrheit, Käpt’n. Ich weiß, dass zumindest das
von dem, was der Dämon mir erzählt hat, wahr ist. Es gibt Stämme von Dämonen, und
manche sind die Feinde von anderen.«
Brokrin schüttelte den Kopf. »Bestimmt hast du Halluzinationen von der Wunde«, sagte er.
Er weigerte sich, irgendetwas davon zu glauben. Wenn er es tat, dann war er gezwungen,
anzuerkennen, dass Drumark tatsächlich infiziert war, dass Gotramms Lösung … »Du bist
krank. Ich muss dich zurück aufs Schiff bringen. Du musst dich ausruhen.«
»Ich kann mich nicht ausruhen«, beharrte Drumark. »Im Moment ruht es sich aus. Den
Spion zu töten, hat es viel Kraft gekostet. Könnte sogar sein, dass es ganz verschwunden ist.
Aber bevor es verschwand, zwang es mich dazu, Dinge in meine Haut zu ritzen.« Er zeigte
mit einem blutigen Finger auf die Schnitte, die Brokrin aufgefallen waren. Durch das
verkrustete Blut waren undeutlich Symbole zu erkennen. Es waren keine Duardin-Runen oder
irgendeine menschliche Schrift, mit der Brokrin vertraut war. Dennoch wohnte dem genug
Regelmäßigkeit inne, dass es nach mehr als nur ein paar simplen Schnitten aussah.
»Ich weiß nicht, was es bedeutet«, erklärte Drumark, »aber als ich sie mir in die Haut
gegraben habe, hatte ich das Gefühl, dass sie wichtig sind. Es schien mir, sie so
aufzuzeichnen, wäre Wichtigste, was ich je tun würde.« Er packte Brokrins Arm, zog den
Kapitän zu sich hin.
»Es gibt Stämme von Dämonen«, wiederholte Drumark. »Diejenigen, die Finnolfs Festung
zerstört haben, haben Feinde, aber das macht sie nicht gerade zu unseren Freunden. Diese
Feinde haben etwas mit dieser Fahrt zu tun, sonst hätten sie nicht diesen Spion ausgesandt, um
uns zu beobachten. Als ich ihn fand, war das Ding in einem der Schlote über der
Veredelungsanlage, die Grokmund benutzt.«
»Weißt du, was du damit andeutest?«, fragte Brokrin, erschreckt von dem, was er da hörte.
»Es geht um mehr als nur veredeltes Äthergold«, sagte Drumark. »Da geht irgendetwas vor.
Und was immer es ist, wir müssen es aufhalten.«
Drumark sank wieder zu Boden zurück. Seine Augen bewegten sich von Brokrin fort und
konzentrierten sich auf die Symbole, die er sich in die Haut geritzt hatte. »Wir müssen es
aufhalten, bevor es zu spät ist.«
Brokrin blickte auf Drumark hinab, auf den Haufen von Windungen, die um ihn herum auf
dem Boden lagen. Nach eigener Aussage war Drumark von einem Dämon infiziert worden.
Das machte alles, was er sagte, verdächtig. Aber zugleich hörte sich seine letzte Aussage
wahrer an, als alles, was er bisher gehört hatte. Er musste seine frühere Mannschaft davon
abhalten, Grokmunds Äthergold zu veredeln.
Bevor es zu spät war.
KAPITEL DREIZEHN

Der Himmel über Finnolfs Festung füllte sich mit dunklen Wolken. Schwere Wolkenbänke,
die Gewitter brüteten, rollten über den Dschungel hinweg, wirbelten um den schwebenden
Gipfel des Berges. Tag verwandelte sich in düsteres Zwielicht, das eine rußiges Leichentuch
über den Außenposten breitete.
Khoram kraulte seinen Trugling und tätschelte ihn besänftigend. Der dämonische Parasit
war unruhig, denn seine Sinne waren ganz auf die brütende Atmosphäre eingestimmt, die den
schwebenden Gipfel umgab. Eine Aura der Erwartung, vielleicht sogar der Vorahnung.
»Bald«, versprach der Hexer dem Homunkulus. »Bald genug wird das Schicksal unser
sein.«
Versteckt in einem Schleier schwarzer Wolken stießen Tamuzz und sein Kult auf die
Duardin-Siedlung herab. Dämonen, die Rochen glichen, rasten dem Dutzend sterblicher
Kultjünger voraus und schossen über den schneebedeckten Gipfel hinweg. Ihre
flunderförmigen Körper zuckten im Wind, fielen nur ab, um sich dann gleich erneut zu
erheben, wenn sie im weiten Bogen über zackig schroffe Felsen setzten oder die verlassenen
Wehranlagen eines einsamen Turmes überwanden. Das schrille Geheul, das sonst so
unverwechselbar die Himmelsdämonen begleitete, war nun abgedämpft, zu einem bloßen
dumpfen Brummen verstummt. Die Zeit würde kommen, dass sie ihre ohrenbetäubenden
Schreie ausstießen, eine Zeit, um den blanken Schrecken in die Herzen ihrer Opfer zu
pflanzen. Doch vorerst versahen sie einen anderen Dienst für Tamuzz den Schicksalsmeister.
Die Dämonen glitten über den Gipfel hinweg, suchten nach einem Eingang, einem Weg nach
drinnen, der den Kult direkt in das Herz dieses Außenpostens bringen würde, ohne dass die
Duardin sie bemerkten.
Vom Rücken seines dämonischen Reittieres herab beobachtete Khoram, wie Tamuzz seinen
Kultjüngern seine Befehle gab, als diese aus den schwarzen Wolken hervorstießen. Er wusste,
was in dem Kriegsherrn vorging. Der Schicksalsmeister stand hoch in der Gunst Tzeentchs
und mit diesem Aufstieg ging eine tiefe Furcht vor dem Absturz einher. Je höher Tamuzz’
Ansehen war, umso mehr sah er im kleinsten Hemmnis den Übergriff eines Rivalen oder
Feindes. Die Magister anderer Kulte, die Seelenbrut ehrgeiziger Dämonen, die Hexenkräfte
magiebegabter Widersacher – all diese Bedrohungen sah er sich aus den Reihen derer, die
dem Wandler der Wege dienten, gegen ihn erheben. Der Lohn, den Tamuzz von seinem Herrn
empfangen würde, war gewaltig, zu groß, als dass er von denen, die neidisch auf seinen Rang
waren, ignoriert werden konnte.
Khoram hatte die Gefahren auf dem Weg, der vor ihnen lag, gesehen. Die Sphäre des
Zobras hatte ihm viele Dinge in mannigfaltigen Facetten gezeigt. Sein Trugling hatte ihn
durch die verheißungsvollsten Verkettungen von Umständen geführt, doch sicher war sich der
Hexer noch immer nicht. Seine letzte Konsultation der Kugel war überhastet gewesen,
weniger umfänglich als die anderen Weissagungen. Die unerwartete Vernichtung seines
Spions hatte etwas mit sich gebracht, das gefährlich an Panik grenzte. Alles andere geschah im
Einvernehmen mit seiner sorgsam gewobenen Intrige, sodass gerade diese Note des
Missklangs sein Selbstvertrauen erschüttert hatte. Er hatte sich gefragt, ob Tamuzz nicht
teilweise recht hatte. Ob es vielleicht andere gab, die gegen den Herrn mit Methoden
arbeiteten, die ähnlich subtil waren wie jene, die Khoram selbst in Gang gesetzt hatte.
Die beißende Kälte, die in dieser Höhe herrschte, brachte den Trugling zum Zittern, als
Khoram seiner Scheibe befahl, Tamuzz zu folgen. Der Kriegsherr führte sein Gefolge auf
einen großen Schlot zu, der in die Flanke des Gipfels eingelassen war. Die Späherdämonen
hatten sich auf den gewaltigen Stahlstangen niedergelassen, welche die Öffnung des riesigen,
aus den schneebedeckten Hängen hervorwachsenden Schlotes versiegelten. Ein enges
Gitterwerk aus Metall versperrte ein klaffendes Maul, das zwei Streitwagen erlaubt hätte,
Seite an Seite hindurchzufliegen. Die Abstände dazwischen waren so schmal, dass sich nicht
einmal ein Grot hindurchquetschen konnte. Die Dämonen verankerten sich mit ihren flachen
Körpern an den Stangen und ihre reißzahnstarrenden Mäuler begannen, den Stahl mit enormer
Geschwindigkeit zu zersetzen.
Khorams Tentakelhand wand sich im Rhythmus der nagenden Dämonen, speiste sie mit
stärkenden arkanen Energien, sodass die Zerstörung des Gitters schneller voranging. Je
schneller dieser Weg geöffnet wurde, umso weniger wahrscheinlich war es, dass Tamuzz
anfing, seine Strategie anzufechten.
Als die Gitterstäbe zerfielen und die Dämonen in die Dunkelheit des Schlots huschten,
lenkte Khoram seine fliegende Scheibe zu Tamuzz hin. Der Kriegsherr hob grüßend eine
Hand, als er sich näherte. Dem Hexer entging nicht, dass sich seine andere Hand um den
Schaft seiner Gleve schloss. Die Male und Segnungen, die Tamuzz über jeden anderen
erhoben, der sich Tzeentch geweiht hatte, verliehen ihm übermenschliche Widerstandskraft
gegen Magie. Die mächtigste Waffe, die Khoram zur Verfügung stand, würde nichts
ausrichten, wenn es zum Kampf zwischen ihnen kam. Der Fluchkämpe konnte nicht die
gleiche Unempfindlichkeit aufbieten, wenn es galt, gegen die verzauberte Gleve zu bestehen.
»Meine Späher haben uns einen Weg hinein gebahnt, mächtiger Tamuzz«, verkündete
Khoram stolz.
Die Augen in Tamuzz’ Helm glitzerten voller Häme. »Ich brauche weder dich noch deinen
Orb, um zu wissen, was ich mit eigenen Augen sehen kann«, fuhr er ihn an. »Es ist deine
Aufgabe, mich in jenen Dingen zu beraten, die ich nicht wahrzunehmen vermag. Die Schatten
dessen, was sein wird und was nicht sein darf.« Er wies mit der Klinge seiner Gleve auf die
dunkle Öffnung. »Der Plan verlangt, dass wir in diesen Berg hinabsteigen. Um die Duardin zu
zwingen, uns zu gehorchen. Da es dir beliebte, meine eigene Strategie zu durchkreuzen, sollte
dieser Plan sich besser als fruchtbar erweisen. Sonst wirst du lernen, was es heißt, mir in den
Weg zu kommen, Beschwörer.« Der Spott in seinen Augen wurde scharf und argwöhnisch.
»Warum lässt du so plötzlich alle Raffinesse fahren und sagst, dass es jetzt einer härteren
Hand bedürfe? Ist deine Schläue an ihre Grenzen gekommen? Oder trägt sie gerade jetzt ihre
bittersten Früchte?«
Khoram sah sich um. Die Tzaangors funkelten ihn finster an, ließen ihre Zungen gegen die
Seiten ihrer Schnäbel klicken, eine geierhafte Gier lag in ihren Augen. Die menschlichen
Kultjünger waren maskiert, ihre Antlitze verhüllt, doch auch sie umgab eine Aura boshafter
Erwartung. War es die Vorfreude auf den Sieg, der vor ihnen lag oder war es etwas
Unmittelbareres, dass ihre Erregung nährte?
»Ich habe keine Omen gelesen, keine Vorzeichen gefunden, die mich dazu brächten, hinter
deinem Rücken Arges gegen dich zu planen«, sagte Khoram zu Tamuzz. »Besonders jetzt
nicht, da all unsere Pläne so kurz vor ihrer Vollendung stehen.«
Der Kriegsherr brachte eine Hand hoch zu seinem Hals und zupfte mit seinen Fingern an
seiner Halsberge. »Ich habe keinen Parasiten, der mich warnt, wenn man mir Lügen erzählt«,
sagte er. »Ich muss mich allein auf mein eigenes Urteil verlassen.«
»Dann verlasse dich darauf«, gab Khoram zurück. »Der Lohn, dem Herrn zu dienen, könnte
deine Macht hundertfach vergrößern. Die Strafe, wenn wir versagen, wird sie tausendfach
vermindern.« Er brachte seine Menschenhand hoch zum Trugling, tätschelte ihm den
gefiederten Kopf. »Du könntest gar als etwas enden, das kaum mehr als das hier ist, ein
Homunkulus, der jemandem als Sklave dient, der sich noch immer in Tzeentchs Gunst sonnt.«
Er ließ seinen Blick über den Rest seines Kults schweifen, um sicherzugehen, dass sie
verstanden, dass die gleiche Warnung auch für sie galt. »Wir sind in diesem großen Werk
einander verbunden, Tamuzz. Es gibt keine höhere Macht, keinen Preis, der mich dazu
verlocken könnte, nicht länger dem Herrn zu dienen. Du suchst Ruhm in deinem Dienst an
ihm, aber für mich gibt es keinen größeren Ruhm, als dem Herrn zu dienen.«
Tamuzz lenkte sein Reittier näher zu Khoram hin, damit der Hexer der Schutzbanne gewahr
wurde, die in seine Haut geschnitten waren, jener Zauber, die ihr Gott ihm als ein
Gunstbeweis gewährt hatte. Er würde nicht den zauberischen Befehlen des Fluchkämpen
gehorchen oder sich auflösen und zurück ins Reich des Chaos sinken, wenn es Khoram
verlangte. »Was, wenn ich meinen Anhängern sage, sie sollen nicht in diesen Berg
hinabsteigen? Was, wenn ich ihnen sage, dass wir zuerst das Himmelsschiff angreifen? Ich
könnte noch immer das Schiff erobern und dann die Duardin ins Innere des Berges zwingen,
damit sie meinen Willen tun.«
Khoram nickte. »Diese Möglichkeit habe ich tatsächlich in der Sphäre gesehen«, gab er zu
und zeigte auf die kreisende Kugel. »Ich habe aber auch die Gefahr gesehen, die aus solch
einer Taktik erwachsen könnte. Es ist sicherer, die Duardin dort drinnen anzugreifen.« Er hob
den Kopf, sah hinauf zum allmählich schwarz gewordenen Himmel. »Sollte es notwendig
werden, so habe ich Maßnahmen in die Wege geleitet, die das Schiff daran hindern werden zu
entkommen. Es gibt keinen Grund zur Sorge.« Nur die winzigste Spur einer Drohung schlich
sich in seine Stimme, als er hinzufügte, »Das Ritual, das Zerstörung über das Schiff bringt, ist
schnell getan.«
Diese Drohung galt nicht Tamuzz, sondern den Anhängern des Kriegsherrn. Auch sie
blickten zu den Wolken hoch. Ob Tierbrut oder Mensch, alle wussten sie, was dort oben
unsichtbar lauerte. Sie wussten außerdem, dass Khoram es ebenso schnell auf sie hetzen
konnte wie auf die Duardin.
»Diese Überzeugung wollte ich in deiner Stimme hören«, sagte Tamuzz dem Hexer. Der
Trugling begann in Khorams Ohr zu schnattern, um ihm die Lüge des Kriegsherrn
aufzuzeigen. Tamuzz nutzte diese Ablenkung und lenkte sein Reittier geradewegs auf den
Hexer zu, griff mit der Hand durch die arkanen Schutzbanne und Zauber, die Khoram
abschirmten.
Er schloss seine stählernen Finger um den Hals des Hexers und zog den Bannschmied zu
sich hin und bohrte seinen Blick in den Khorams. »Du hast Angst«, sagte er. »Es ist gut, dass
du die hast, denn wenn du mich fürchtest, bist du mir noch nützlich. Erinnere dich an diesen
Moment, Khoram. Erinnere dich daran, dass, wenn du dich mir entgegenstellst, deine
Zaubersprüche mich nicht aufhalten können. Deine Magie entstammt der gleichen Quelle wie
mein Schutz gegen sie.«
Der Kriegsherr ließ Khoram los, stieß ihn zurück. Hätten ihn nicht die Greifhaare seiner
fliegenden Scheibe festgehalten, dann wäre der Hexer auf den Hang herabgeworfen worden
und in den Dschungel tief unter ihnen gestürzt. Er fuhr mit den Händen zu seiner verletzten
Kehle und rieb sich das schmerzende Fleisch. Empörung flammte in ihm hoch, doch er
unterdrückte sie rasch. Tamuzz versuchte, ihn zu einer unbedachten Handlung zu verleiten,
etwas, das die Beseitigung des Hexers rechtfertigen würde. Und Khoram weigerte sich, die
Dinge für ihn so leicht zu machen.
»Ich lebe nur, um zu dienen, großer Tamuzz«, erklärte Khoram, während er vor dem
Kriegsherrn das Knie beugte.
»Daran solltest du dich ebenfalls stets erinnern«, mahnte ihn Tamuzz. Er hob seine Gleve
und schwang sie in wildem Bogen, um seine Anhänger zur Tat zu rufen. »Die letzte Hürde zu
unserem großen Werk befindet sich innerhalb dieses Berges. Wir werden sie beseitigen.« Er
warf Khoram einen Blick zu. »Lasst einige von ihnen am Leben«, wies er sie an, bevor er
seine Gleve in Richtung des Schlots stieß.
Die Kriegsschar handelte rasch und trieb ihre dämonischen Reittiere in die Dunkelheit.
Gehörnte Tiermenschen und maskierte Kultjünger rasten in die Düsternis. Das Glühen, das
ihre Zauber warfen, entschwand rasch dem Blick, als die Dunkelheit sie umschloss. Tamuzz
blieb einen Moment zurück, wartete, bis Khoram vor ihm in den Schacht eintauchte.
Khoram konnte ihm das nicht verübeln. Zu diesem Zeitpunkt sollte er wahrhaftig dafür
sorgen, dass der Hexer sich nicht in seinem Rücken befand. Er wünschte sich nur, es gäbe
einen Weg, wie er selbst hätte vermeiden können, dass der Schicksalsmeister in seinem
eigenen Rücken war.

Als die Duardin den Brennofen in Gang setzten, fuhr ein donnerndes Tosen durch die
Veredelungsanlage. Gotramm konnte spüren, wie die Vibrationen durch die Wände pulsierten.
Es war, als hätten sie Finnolfs Festung neues Leben verliehen und was er da fühlte, war das
Schlagen ihres erwachenden Herzens.
Gotramm krauste die Stirn ob dieser seltsamen Anwandlungen. Er nahm seine Hand vom
warmen Stein fort und gemahnte sich der Wirklichkeit um ihn herum. Bis auf die
Maschinerien, die Horgarr und Grokmund wieder durch ihre handfesten Überredungskünste
einem Nutzen zugeführt hatten, war der Außenposten noch immer eine verlassene Ruine.
Staub bedeckte jede Oberfläche, das Mal der Zeit und des Verfalls lag überall offen zutage. Es
würde mehr als nur Vorstellungskraft brauchen, um der Siedlung neues Leben einzuhauchen.
Dazu würde es die Duardin brauchen, die vor so langer Zeit verschwunden waren.
Morbide Gedanken für einen Moment, an dem er eigentlich frohlocken sollte. Es war die
Bürde der Befehlsgewalt, entschied Gotramm, die seinen Geist sich den grimmigsten
Ausblicken zuwenden ließ. Entweder das oder er hatte dadurch, dass er zum Kapitän des
Eisendrachen geworden war, auch Ghazuls Fluch übernommen, der ihn mit pessimistischem
Trübsinn erfüllte.
Seine Urteilskraft zumindest war ungetrübt. Anders als Brokrin hatte Gotramm nicht die
leiseste Neigung zu dem Versuch, sich der Flut der Ereignisse entgegenzustellen. Was konnte
schon Gutes dabei herauskommen, wenn er sich gegen die Umwandlung des Äthergolds
stellen würde? Die Mannschaft hielt hier ein Vermögen in den Händen. Alles, was er damit
erreichen würde, war seine Befehlsgewalt preiszugeben. Sicher war das verlockend, aber
Gotramm würde es nicht tun. Sturheit oder Stolz, er war sich nicht sicher, was es war.
Aber vielleicht war es ja auch etwas ganz Anderes? Gotramm hatte nie ein großes
Verlangen nach den Reichtümern empfunden, die das Äthergold bringen mochte, aber
vielleicht war das nur die halbe Wahrheit. Reichtum war das eine, aber der langfristige Nutzen
würde in der Anerkennung liegen, die er dafür erhielt. Er würde von den Geldgebern gefeiert
werden, von den Gilden bejubelt als der Offizier, der diesen Segen nach Barak-Zilfin gebracht
hatte. Man würde ihm ein Kapitänspatent verleihen und ein eigenes Schiff war mehr als
wahrscheinlich. In dem Augenblick, in dem er die Planke des Schiffes hinabschritt, würde
seine Zukunft gesichert sein. Nicht nur der Hauptmann einer Arkanautentruppe, sondern ein
Held seiner Sippe. Und, was noch wichtiger war, ein Held für Helga.
Es gab keinen Grund, noch länger zu zögern. Gotramm würde sie heiraten können, eine
Familie gründen, die sein Erbe forttragen würde. Keine Zweifel mehr, keine Unsicherheit.
Seine Sorgen und Ängste waren dann fort. Alles, was er tun musste …
Gotramm zog seine Hand von der Wand zurück, als wäre der Stein nicht einfach nur warm,
sondern glühend heiß. Er hätte schwören können, dass er sie vor einem Moment noch nicht
berührt hatte. So wie er auch seine Gedanken hatte streifen lassen, war das wohl auch mit
seiner Hand geschehen. Oder war es anders herum gewesen? Ursache und Wirkung?
Ein Schauder durchfuhr Gotramm, als er über die schauerlichen Vibrationen nachdachte, die
doch so sehr einem Herzschlag glichen. Er dachte an Drumark und seine Sorge um den
Zustand des Sergeants. Er dachte auch an Brokrin und seine Bedenken wegen des Äthergolds.
All diese Zufälle, die ineinandergegriffen hatten, um sie hierher zu führen, um Grokmunds
Fund in etwas zu verwandeln …
Reichtum. Sie verwandelten das Äthergold in Reichtum. Gotramm musste nur seine
Kameraden anschauen, um die Wahrheit in dieser Feststellung zu erkennen. Warum sollte er
es anzweifeln? Wozu waren solch närrische Ängste gut? Bald würde er auch anfangen, sich
vor Schatten zu fürchten.
Es hielten sich zehn Duardin in der Veredelungsanlage auf – Thurik und eine Truppe
sowohl aus Drumarks Grundstok-Schützen als auch aus Gotramms anderen Arkanauten; viele
davon hatten auch der Expedition angehört, die zuerst diese Ruinen erforscht hatte. Natürlich
kümmerten sich Horgarr und Grokmund wie zwei besorgte Mütter um den
Umwandlungsprozess und überwachten sorgsam jeden einzelnen Schritt. Jetzt in der
Abschlussphase hatten sich die Duardin spezielle Brillen mit abgedunkelten Gläsern
aufgesetzt. Mit diesen bewaffnet, starrten sie geradewegs in den feurigen Schlund des
Brennofens und beobachteten, wie sich das Gas zu einer geschmolzenen Flüssigkeit
kondensierte.
Skaggi hielt sich nahe bei Grokmund, ging unruhig auf und ab und murmelte vor sich hin.
Der Logistikator war verstimmt, weil er sich keine Schmiedebrille hatte sichern können, um
zuzusehen, wie seine habgierigen Träume sich in greifbare Wirklichkeit verwandelten.
Das erste Anzeichen, dass etwas nicht in Ordnung war, kam von Grokmund. Er hatte
aufmerksam in den Brennofen gestarrt, als er sich plötzlich abwandte. Er zog die Schutzbrille
von den Augen, rieb sie einen Moment. Skaggi streckte mit einem breiten Grinsen auf seinem
Gesicht die Hand aus, um Grokmund seine Schutzbrille abzunehmen. Seine Geste wurde
ignoriert; der Äther-Khymiker blickte nicht einmal in seine Richtung. Nachdem er
sichergestellt hatte, dass die Gläser keinerlei Verschmutzung aufwiesen, setzte Grokmund sie
wieder auf und starrte erneut in die blendenden Flammen.
Einen Moment später nur wandte er sich erneut ab. Grokmund packte Horgarr, um die
Aufmerksamkeit des Endrinmeisters auf sich zu ziehen. Gotramm merkte, dass irgendetwas
nicht stimmen konnte, und eilte zu ihnen hinüber.
»Hast du irgendetwas Ungewöhnliches im Kessel gesehen?«, fragte Grokmund Horgarr.
Horgarr schob seine Schutzbrille auf die Stirn und schenkte Grokmund einen verwirrten
Blick. »Kann ich nicht sagen«, erwiderte er. »Ich bin nicht so erfahren wie du, wenn es darum
geht, Äthergold zu schmelzen. Ist mir was entgangen?«
»Hast du nicht so etwas wie eine Verfärbung gesehen?«, bohrte Grokmund weiter nach.
»Einen dunkleren Flecken, der durch den Kessel wirbelt?«
Gotramm spürte, wie sich seine Nerven spannten. Brokrins Warnung kam ihm in den Sinn.
»Was hast du sonst noch gesehen?«, fragte er Grokmund. Als dieser zögerte, formulierte
Gotramm seine Frage um. »Was denkst du, was du gesehen hast?«
Grokmund blickte zurück zum Brennofen. »Es schien …« Er zuckte die Achseln. »Muss
wohl meine Einbildungskraft gewesen sein. Nichts könnte sich da drin herumbewegen. Erst
recht nicht in geschmolzenem Äthergold schwimmen.«
»Hört sich wie die Art von Sachen an, die Drumark sieht, wenn er das fünfte Fass
angefangen hat«, meinte Skaggi lachend. Er schwenkte den Finger in Grokmunds Richtung.
»Das kommt davon, wenn man nicht teilt.«
»Vielleicht ist ›schwimmen‹ nicht das richtige Wort«, überlegte Grokmund. »Es war ein
Kräuseln, wie von Ringen im Wasser. Wie eine Spiegelung in einem aufgewühlten Teich.«
Skaggi lachte erneut, aber Gotramm zeigte ernsthafteres Interesse. »Eine Spiegelung
wovon?«
Wieder konnte Grokmund nur die Achseln zucken. »Ich bin mir nicht sicher. Es sah ein
wenig aus wie eine Art Vogel.«
Brokrins nebulöse Warnungen klangen Gotramm in den den Ohren. Irgendetwas tief in ihm,
tiefer als der Verstand zu dringen vermochte, versuchte ihn zu warnen. Gotramm blickte von
dem Äther-Khymiker hinüber zum Endrinmeister. »Holt den Kessel da raus«, befahl er ihnen.
»Das kannst du nicht machen!«, protestierte Skaggi. »Alles Gas, was noch nicht fertig
verflüssigt ist, wird sich verflüchtigen! Wer kann sagen, was wir dabei verlieren!«
Gotramm wischte Skaggis nach ihm greifende Hände beiseite. Er sah, wie die anderen
Duardin näherkamen. Er war sich nicht sicher, wie viele von ihnen Skaggis beschwörende
Bitte gehört hatten, doch er beschloss, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor er sich
direkt mit seinem Anliegen an sie wandte. »Jungs, da ist womöglich was mit dem Brennofen
nicht in Ordnung«, sagte er. »Wenn das stimmt, müssen wir das sofort wissen. Wir werden
zwar etwas von dem gasförmigen Gold verlieren, aber wenn wir jetzt handeln, heißt das
womöglich, dass wir den Rest davon retten können.« Er zeigte auf Skaggi. »Oder wir können
warten und womöglich eine ganze Menge verlieren. Wir haben noch immer rohes Äthergold
auf dem Schiff zum Destillieren, darum müssen wir sichergehen, dass alles richtig läuft.«
So vorgebracht, gab es keine Proteste gegen Gotramms Befehl, den Kessel rauszuholen. Die
Mannschaft hatte genug Vertrauen in seine Fähigkeiten, um ihn zum Kapitän zu ernennen;
und so waren sie auch jetzt gewillt, sich auf sein Urteil zu verlassen. Skaggi murmelte ein paar
Flüche in seinen Bart und ging davon, da er es anscheinend nicht ertragen konnte, mit
anzusehen, wie selbst die kleinste Menge Äthergold in Rauch aufging.
Der Kessel rumpelte aus dem Maul des Brennofens und seine Oberfläche glühte noch von
der Hitze der Flammen, die ihn umlodert hatten. Die schweren Ketten, die den riesigen Kessel
bewegten, ächzten und quietschten unter seiner Last. Grokmund und Horgarr benutzten ein
Paar langer Stangen, um die hin- und herschwingende Bewegung des Kessels zu stoppen und
das gewaltige Gefäß damit zu einer großen Platte aus Granit zu leiten. Mit einem Donnern,
das in den Ohren schmerzte, glitt der Kessel in die Kuhle, die dafür bestimmt war und kam
zum Stehen.
Gotramm fühlte, wie ein Schauder ihn durchlief, als die Echos dieses Klangs durch die
Veredelungsanlage dröhnten. Er sah, dass die anderen das Gleiche fühlten, denn ihre Mienen
wurden plötzlich ernst und düster. Die Besorgnis, etwas von dem Äthergold zu verlieren, war
durch ein tieferes, instinktiveres Gefühl ersetzt worden, eine nebulöse Furcht, die sich zwar
dem klaren Begreifen entzog, aber der man sich auch nicht verweigern konnte.
Das Glühen, das den Kessel durchdrungen hatte, klang allmählich ab, da das Eisen die Hitze
des Brennofens wieder abgab. Doch das Äthergold in seinem Inneren strahlte weiterhin ein
blendendes Leuchten aus. Es war eine dunstige, flüchtige Art von Licht, wie eine
Luftspiegelung, die am Horizont der Wüste flirrte. Gotramm dachte an Grokmunds sich
kräuselnde Spiegelung. Ein Bedürfnis, in den Kessel zu spähen, direkt auf seinen Inhalt zu
blicken, erfüllte den Soldfahrer. Thurik erriet, was sein Kapitän vorhatte und versuchte ihn
zurückzuhalten, aber er ließ sich nicht aufhalten.
Die Hitze, die noch immer aus dem Kessel wallte, war mörderisch. Gotramm war
augenblicklich in Schweiß gebadet. Aber seine Entschlossenheit blieb fest und indem er die
quälende Empfindung der Hitze zurückdrängte, kletterte er auf die kleine Plattform, die sich
über der Granitplatte erhob. Von diesem erhöhten Punkt aus konnte er hinab in den See aus
geschmolzenem Äthergold blicken.
Schon vorher hatte er Äthergold in seinem flüssigen Zustand gesehen, aber noch nie war es
Gotramm so beeindruckend erschienen wie hier. Diesem Erz haftete eine tiefere, reichere
Farbe an. Von oben gesehen war das Glühen, das von ihm ausging, wie eingefangenes
Sonnenlicht, warm und vibrierend. Von nichts, was er jemals gesehen hatte, ging ein solcher
Eindruck von Reichtum aus. Er blickte hinab auf die Manifestation des schieren Traumbilds
jeglicher Habgier, das Versprechen unermesslicher Reichtümer. Ein wahnwitziger Impuls
drängte darauf, von ihm Besitz zu ergreifen, ihn in diesen geschmolzenen See hineinspringen
zu lassen, um auf ewig mit diesen Reichtümern vereint zu sein.
»Käpt’n, was siehst du?« Thuriks Stimme war zugleich erregt und besorgt.
Gotramm war sich nicht sicher, was es genau war, dass ihn aus dem grässlichen Wahn
herausriss, der ihn zu übermannen drohte. Es reichte ihm, dass der selbstmörderische
Zauberbann gebrochen war.
Die Faszination des Äthergolds verflog. An ihre Stelle trat ein schleichendes Grauen. Es sah
noch immer so edel und wertvoll aus wie zuvor, doch nun sah Gotramm auch etwas Anderes.
Wenn das, was sich dort im Kessel befand, Äthergold war, so war es doch nicht nur
Äthergold. Es war eine Form dort, nur die leiseste Andeutung eine Reflexion, die sich unter
der goldenen Oberfläche fing. Er konnte einen langen, gebogenen Schnabel erkennen und
Augen mit unzähligen Facetten, wie die eines Insekts. Gotramm glaubte außerdem, mächtige
Schwingen zu erblicken, die auf den Federn augenähnliche Zeichen trugen. Konnte er sie
tatsächlich sehen oder fühlte er nur diese gewaltige Klaue, die sich nach ihm streckte,
enttäuscht, als sie die Barriere von Abbild hin zur Stofflichkeit nicht durchbrechen konnte?
Eilig kletterte Gotramm von der Plattform herab. Ein Teil von ihm – wenn es denn ein Teil
von ihm war – schalt ihn ob seiner Einbildungskraft. Er hatte Brokrins Albträume seinen
Verstand vergiften lassen. Und nun sah er Dinge und narrte sich selbst damit, dass da etwas
Unreines und Böses an Grokmunds Äthergold war.
Wenn diese Stimme tatsächlich ein Teil von ihm war, so drängte Gotramm sie beiseite.
Seine Augen mochten ihn vielleicht trügen, aber dieses Gefühl des tiefsten Abscheus, das
nicht nur ihn, sondern auch die anderen ergriff, konnte man nicht wegargumentieren. Er sah es
auf all ihren Gesichtern, eine verzweifelte Dringlichkeit, zu erfahren, was er da gesehen hatte
und ein unausgesprochenes Flehen, das ihn bat, es weiterhin sein Geheimnis sein zu lassen.
Bevor Gotramm irgendetwas sagen konnte, hallte ein Schrei vom Eingang der
Veredelungsanlage zu ihnen herüber. Er kam aus Skaggis Kehle. Der Logistikator kam auf die
anderen zu gerannt, wiederholte seine Warnung.
»Banditen!«, schrie Skaggi. »Banditen sind in den Gängen! Banditen sind gekommen, um
unser Gold zu stehlen!«\

Finnolfs Festung war ein weitläufiges Labyrinth von Galerien und Korridoren, kolossalen
Kammern und gigantischen Hallen. Endlose Strecken von Tunneln, tausenden Räumen,
dutzenden Ebenen und Unterebenen. Als sie noch bewohnt gewesen war, gab es nur wenige,
die den Weg in jede Ecke der Siedlung kannten.
Ein Fremder, der den Außenposten zum ersten Mal betrat, wäre vollkommen verloren
gewesen. Ohne einen klar bestimmten Weg, dem er folgen konnte, ohne ein Verständnis für
die Eigenheiten duardinischer Gestaltung und Architektur hätten Eindringlinge es fast
unmöglich gefunden, sich durch dieses gewaltige Netzwerk hindurch zu finden.
Khoram war nicht in dieser misslichen Lage. Ihm standen alle dunklen Künste der Hexerei
zur Verfügung. Er hatte die Beobachtungen seines vernichteten Spions, um sich Einblick zu
verschaffen. Er hatte außerdem Kenntnis darüber, wonach die Duardin suchten, um seine
eigene Suche zu beschleunigen. Aber was das Allerwichtigste war, ihm stand die Präsenz
seines Herrn von knapp jenseits der Schwelle zur Verfügung, um seine Wege zu lenken.
Unfehlbar führte der Hexer Tamuzz und seinen Kult durch die oberen Galerien hinab, um
die großen Hallen herum und entlang der stillen Wegachsen. Khoram speiste seine Befehle
direkt den Späherdämonen ein und steuerte so die Kreischer, während sie durch die leere
Siedlung jagten. Der Kult folgte den Dämonen und auf den Kult folgten Tamuzz und Khoram.
Das dröhnende Pulsieren, das die Wände durchbebte, diente jetzt dem Kult als Führer. Es
war nicht länger notwendig, den Dämonen direkt die Befehle einzugeben. Sie rasten auch
ohne sterbliche Führung voran, wurden von der Präsenz ihres Herrn angezogen wie
Eisenspäne zu einem Magnetstein. Die Scheiben, auf denen die Kultjünger standen, strahlten
die gleiche Dringlichkeit aus, endlich bei ihrem Herrn sein zu können. Khoram zog
Befriedigung daraus, zu sehen, wie auch Tamuzz’ Reittier von einer größeren Kraft als seiner
eigenen oder der seines Reiters angetrieben wurde. Selbst Tamuzz musste eine Macht
anerkennen, die größer als seine eigene war.
Ihr Vordringen näherte sich unaufhaltsam der Quelle der Vibrationen. Der Geruch und die
Hitze der Veredelungsanlage waren schon lange bemerkt worden, bevor die Kreischer auch
nur in ihren Umkreis kamen. Ein Duardin, wahrscheinlich eine dort aufgestellte Wache, schrie
auf und rannte zurück zu den Essen, um seine Gefährten zu warnen. Die Kreischer wären auf
ihn hinabgestoßen, wenn Khoram nicht seine Magie aufgeboten hätte, um sie zurückzuhalten.
Der Kult würde Geiseln brauchen, um mit den Duardin zu verhandeln, die noch immer auf
dem Schiff waren, und sie davor zurückzuhalten, irgendetwas Unbedachtes zu tun.
Als Antwort auf die Rufe des Wachtpostens machten sich die Duardin in der
Veredelungsanlage zur Verteidigung bereit. Einige erschienen am Eingang der Kammer und
richteten ihre Schusswaffen auf die Eindringlinge. Schüsse ertönten. Kultjünger schrien
getroffen vor Schmerz auf, Tzaangors blökten in ihrem Elend, als es sie von ihren Reittieren
warf. Khoram hörte Tamuzz einen Fluch knurren, um sein Reittier dazu anzutreiben, sich
weiter auf den Feind zu stürzen.
»Denke daran«, warnte Khoram Tamuzz, »wir brauchen Gefangene. Das Ritual benötigt
sterbliches Blut, um den Übergang des Herrn von der geistigen zur physischen Inkarnation zu
gewährleisten.«
»Ich weiß, was von mir erwartet wird«, grollte Tamuzz Khoram an. »Bete zu Tzeentch, dass
unsere Magie dem an Stärke gleichkommt, was deine Zunge verspricht.«
Nachdem er diese Drohung hervorgestoßen hatte, wirbelte Tamuzz auf seiner Scheibe davon
und trieb seinen Kult zum Angriff. Das plötzliche Aufbäumen und der jähe Ansturm seines
Flugtieres sorgten dafür, dass sich die Waffen der Duardin in seine Richtung wandten, aber
anstatt auf den sich blitzschnell bewegenden Tamuzz zu zielen, feuerten sie auf Khoram.
Eilends brachte Khoram einen der Kreischer dazu, herabzustoßen. Der Dämon fing die
Schüsse auf, die sonst ihn erwischt hätten, und stürzte auf den Boden der Veredelungsanlange
herab, schlug klatschend auf dem Grund auf, während Körpersäfte aus seiner verstümmelten
Gestalt herausspritzten. Während es sich wand und ausschlug, wurde die Gestalt des
Kreischers immer undeutlicher, da seine Substanz den Reichen der Sterblichen entzogen
wurde.
Überall um ihn herum sah Khoram, wie die Kultjünger versuchten, die Duardin zu
überwältigen und sich den Weg in die Veredelungsanlage zu erzwingen. Arkanes Feuer einer
Schar maskierter Akolythen ließ die bärtigen Krieger sich in die große Halle zurückziehen.
Kaum verstummte der Beschuss, da drängte der Kult auch schon durch den Eingang.
Die Duardin suchten Deckung hinter den riesigen Statuen und gewaltigen Säulen, die
überall in der höhlenartigen Veredelungsanlage aufragten. Einige von ihnen krochen hektisch
hinter Ballungen von Rohren und Apparaturen, lugten hinter gigantischen Kolben und
enormen Schwungrädern hervor und feuerten Schüsse auf die Kultjünger ab. Ein paar der
Tzaangors wurden von vereinzelten Schüssen erwischt, jedoch kaum genug, um einen
Unterschied zu machen. In der Veredelungsanlage befanden sich höchstens ein Dutzend
Duardin. Gegen sie standen beinahe hundert Sterbliche und Dämonen unter dem Banner
Tzeentchs.
Der Kult trieb den Angriff mit Nachdruck voran. Magische Blitze und kristalline Pfeile der
Tiermenschen zwangen die Duardin zum Rückzug. Als sie in den Tiefen der
Veredelungsanlage Zugflucht suchten, blieb der Kult ihnen hart auf den Fersen. Khoram sah,
wie Tamuzz einen der Kharadron mit seiner Gleve durchbohrte, doch die Kultjünger zeigten
sich zurückhaltender, was die Wucht ihres Angriffs betraf. Er sah, wie ein Akolyth von einer
Axt niedergestreckt wurde und seine Arme sich im Fall um die Waffe schlossen. Bevor der
Duardin seine Waffe befreien konnte, flog ein ziegenköpfiger Tiermensch an ihn heran, trat
ihm mit seinem gespaltenen Huf gegen den Kopf. Ein weiterer Verteidiger entleerte seine
Flinte in einen vogelgesichtigen Tzaangor, doch schon sprang ein menschlicher Kultjünger ihn
rücklings von seiner fliegenden Scheibe herab an und beide stürzten miteinander ringend zu
Boden.
Überall in der Veredelungsanlage wurden die Duardin besiegt. Ohnehin schon in der
Unterzahl und unfähig, der Beweglichkeit ihrer fliegenden Feinde etwas entgegenzusetzen,
wurden sie noch weiter durch den bösartigen Einfluss des Herrn selbst behindert. Während die
Präsenz des Herrn die Kultjünger ermutigte und stärkte, hatte sie die gegenteilige Wirkung auf
die Kharadron. Sie wurden verwirrt, gehemmt in ihren Reaktionen. Es war ihnen unmöglich,
irgendeine Art von Widerstand zu koordinieren. Während die Kultjünger sie zu zweit oder zu
dritt attackierten, kämpfte jeder Duardin für sich selbst.
Khoram sah den einzigen Überlebenden der Sturmbrecher, den Duardin, dessen Gestalt ihm
die Sphäre des Zobras enthüllt hatte. Khoram hatte dafür gesorgt, dass allein dieser von all
seinen Gefährten überleben würde, damit er die Rolle erfüllte, die ihm in seinen
Weissagungen gezeigt worden war. Sein Duell mit dem Duardin auf der Sturmbrecher war nur
deshalb herbeigeführt worden, damit er ihn in den Frachtraum des Schiffes hatte stürzen
können, wo er vor dem Angriff des Drachen sicher wäre und seine Rettern ihn später finden
könnten.
Der Überlebende hatte seinen Zweck erfüllt. Khoram nahm daher keinen besonderen Anteil
daran, als der Duardin unter der fauchenden Last eines Kreischers zusammenbrach. Ein
jüngerer Duardin eilte ihm zu Hilfe, besiegte den Dämon mit einer Geschossgarbe und der
scharfen Klinge seiner Axt. Der Dämon bäumte sich auf und versuchte, seine zuschnappenden
Fänge gegen seinen Angreifer einzusetzen. Der bärtige Krieger hieb ihm die Axt zwischen die
Kiefer und schaffte es so, sie offen zu halten. Während der Dämon versuchte, sich durch die
Klinge zu fressen, stieß ihm der Krieger seine Pistole ins Maul und feuerte. Der Schuss drosch
dem Kreischer die Rückseite seines Kopfes heraus, sodass er erbärmlich auf dem Boden um
sich schlug, während sich seine physische Substanz auflöste. Der Duardin half seinem
taumelnden Gefährten von dem verblassenden Dämon fort und zog sich mit ihm weiter in
Richtung des Kessels zurück.
Khoram wandte sich von dieser Szenerie verwundeter Duardin und in Auflösung begriffener
Dämonen ab. Eine Erregung durchlief seinen Körper, ein Grauen erfüllte ihn mit dunkler
Erregung. Der Trugling maunzte und schmiegte sich an seine Kehle, barg seine Augen, als die
gleiche Empfindung verzückten Grauens in seinen gefiederten Körper strömte. Khoram
richtete die Augen auf den Kessel und den glühenden See von Metall in seinem Inneren. Er
ergötzte sich an der Präsenz, die er sich aus dem geschmolzenen Kern erheben fühlte, und der
instinktiven Furcht, die sein sterbliches Fleisch erzittern ließ.
Der Herr, der durch den Hammer des verfluchten Helden Sigmars aus den Reichen der
Sterblichen verbannt worden war, war zurückgekehrt!

Skaggi beobachtete mit wachsendem Grauen, wie der Chaoskult über die Veredelungsanlage
hereinbrach. Es sah aus, als wäre es die gleiche Kriegshorde wie die, die schon einmal beinah
den Eisendrachen erobert hatte, die gleichen Feinde, von denen Grokmund behauptet hatte,
dass sie die Sturmbrecher und ihre Flotte vernichtet hatten. Jetzt waren sie zurück, um die
Duardin zu einem Zeitpunkt anzugreifen, da sie dem gepanzerten Rumpf und den großen
Geschützen des Panzerschiffs fern waren.
Skaggi duckte sich gerade hinter einen massiven Kessel, als ein Paar ziegenköpfiger
Tiermenschen vorbeisauste. Die Unholde schossen Pfeile auf die Grundstok-Schützen ab, die
die Kultanhänger aus dem Schatten der Statuen unter Feuer nahmen und versuchten, sie so aus
ihrer Deckung zu treiben. Die Pfeile waren mit einer Art Explosivstoff getränkt, denn wenn
sie auftrafen, gab es einen Blitz und Rauch. Unter den wiederholten Angriffen waren die
Grundstok-Schützen bald gezwungen, ihre Positionen aufzugeben und sich tiefer in die
Veredelungsanlage zurückzuziehen.
Ein Arkanaut versuchte, zum Zugang zu den Haupthallen der Siedlung zu laufen, da er wohl
dachte, er könnte der Aufmerksamkeit entgehen, wenn seine Kameraden sich in die
entgegengesetzte Richtung zurückzogen. Skaggi verfolgte den Ausgang dieser List mit
brennendem Interesse. Wenn es der Arkanaut schaffte, würde Skaggi ebenfalls sein eigenes
Glück mit einem derartigen Zug versuchen.
Doch der Arkanaut schaffte es nicht. Als er auf den Ausgang zu rannte, stieß ein großer
Mensch mit schwerer Rüstung auf ihn herab. Vom Rücken einer fliegenden Scheibe aus hieb
der Mann mit der Klinge einer feurigen Gleve zu. Der Duardin wurde im Nacken getroffen,
Fleisch und Rüstung wurden durch den Schlag durchtrennt. Der Kopf rollte über den Boden,
während der Körper noch ein paar taumelnde Schritte machte, bevor er dann umfiel.
Dieser Anblick reichte Skaggi. Er war Zeuge geworden, wie einige seiner Schiffsgenossen
von den Kultjüngern als Geiseln genommen worden waren. Aus irgendeinem Grund wollte
der Feind einige von ihnen lebend haben. Er wusste, dass dahinter nichts Gutes stecken
konnte, aber das Beispiel, wie der Arkanaut abgeschlachtet worden war, bestärkte seine
Überzeugung, dass er nichts zu verlieren hatte. Wenn er sich ergab, könnte er vielleicht sogar
in der Lage sein, irgendeine Art von Handel mit den Chaosdienern einzugehen und an ihre
Gier zu appellieren.
Skaggi sah sich um, versuchte herauszufinden, wer es war, der diese Armee anführte. Sein
Blick blieb an einem grotesken Mann hängen, dem eine knollenförmige Masse von Federn aus
dem Hals quoll. Die finstere Gestalt umgab eine Aura der Autorität, nicht zuletzt, weil er sich
damit zufriedenzugeben schien, den Kampf den anderen Chaoskriegern zu überlassen. Es war
eher Verzweiflung als Mut, die Skaggi dazu brachte, den Schutz des Kessels zu verlassen und
auf den Mutanten zuzulaufen.
»Ich ergebe mich! Ich ergebe mich!« Fast schluchzte Skaggi es, als er sich dem Mutanten
näherte. Er wiederholte seinen Ausruf, als einige der maskierten Kultjünger ihre dämonischen
Reittiere wendeten und auf ihn zurasten.
Der Mutant hob seine wurmfingrige Hand und winkte die sich nähernden Kultjünger fort. Er
starrte auf Skaggi herab, ein hartes Glitzern in den Augen. »Dein Gewinsel unterbricht meine
Versenkung in den Herrn«, sagte er und wies auf den Kessel mit Äthergold.
Skaggi fiel auf die Knie. »Ich ergebe mich!«, rief er aus.
Der Hexer musterte Skaggi ein wenig aufmerksamer. Etwas wie ein Lachen kam aus seinem
Mund. »Ich erkenne dich jetzt. Dein Name ist Skaggi. Mein Spion hat dich häufig beobachtet.
Du verdienst den Dank Khorams, dass du die Dinge in meinem Sinne gewendet hast.« Er
breitete seine Arme aus, um die Schlacht anzudeuten, die rings herum in der
Veredelungsanlage wütete. »All dies ist dein Werk.«
Hoffnung flammte in Skaggis Herz hoch, als er den Worten des Hexers lauschte. Ein
durchtriebener Ausdruck stahl sich auf seine Züge. Wenn der Hexer sich doch so dankbar
fühlte, dann könnte Skaggi ihn vielleicht überzeugen, ihn laufen zu lassen. Er fühlte ein
Aufflackern von Schuldgefühl, vielleicht sogar Scham, dass er seine Schiffsgefährten in die
Vernichtung geführt hatte, aber es war nicht ausreichend, um den Drang zum Überleben zu
unterdrücken. Wie groß die Scham auch sein mochte, Skaggi wollte überleben. Lebend konnte
er zu neuen Unternehmungen aufbrechen und Profit anhäufen, der den Fleck auf seiner Ehre
beseitigen würde.
Khoram lachte erneut. »Du bist der Ränkeschmied, der Intrigant, der Manipulator. Deine
Habgier war für meine Pläne so nützlich. Es überrascht mich nicht, dass du dich selbst für
schlau hältst. Gerissen genug, um dir von mir dein Leben zu erkaufen.«
Skaggi nickte in energischer Zustimmung. »Wenn du mich verschonst, verspreche ich dir
großen Profit.«, Er deutete auf den Kessel. »Es gibt noch mehr Äthergold auf dem Schiff. Und
ich weiß auch, wo die Äthergoldader ist, aus der wir es geholt haben!« Er unterdrückte die
bittere Scham, die seine nächsten Worte zu ersticken suchte. »Ich bin der Einzige, der dich
dorthin führen kann«, log er.
»Ich brauche Geiseln«, sagte Khoram ihm und winkte mit seiner Tentakelhand in Richtung
der Duardin, die der Kult schon überwältigt hatte. »Gefangene, die die Gefährten auf dem
Schiff dazu nötigen werden, das zu tun, was ich ihnen sage.« Er sah Skaggi mit gerunzelter
Stirn an. »Ich gehe nicht davon aus, dass einer deiner Sippschaft auch nur den Finger höbe,
um deine Haut zu retten.« Das Stirnrunzeln wich einem grausamen Lächeln. »Und doch
könntest du dem Prismatischen König zum Nutzen gereichen.«
Skaggi wich zurück, entsetzt von dem veränderten Ton, der sich in Khorams Stimme
geschlichen hatte. »Ich werde tun, was zu tun ist«, murmelte er, im Versuch den Hexer zu
besänftigen.
»Ja, das wirst du«, beschied ihm Khoram. »Dein verräterischer Geist und dein intriganter
Verstand sind bereits auf das Bestreben unseres Herrn Tzeentch abgestimmt! Deine Seele ist
schwarz, beschmutzt von deinen eigenen Taten und deinen eigenen Intrigen. Ich könnte mir
keine bessere Gabe vorstellen, die ich meinem Gott darbringen könnte. Ich hätte vielleicht ein
Dutzend deiner Sippe gebraucht, um Tzeentch ein angemessenes Opfer zu bieten.« Seine
Hand ballte sich zur Faust, die er bebend in die Luft hob. »Du aber, so denke ich, bist alles,
was es zu diesem Ritual braucht.«
Zu spät erkannte Skaggi seinen Fehler. Sein durchtriebener Gesichtsausdruck war
verschwunden und Grauen trat an seine Stelle. Schmerz verzerrte seine Züge nur noch weiter,
als Khoram mit seinem Stab auf den Duardin wies. Der Brustteil seines Gewandes begann zu
glimmen, als Hexerei ihm ein Mal ins Fleisch brannte – das Mal, das auch Khoram selbst trug.
Das Mal des Prismatischen Königs.

Hohnlächelnd blickte Khoram auf den Duardin hinab, als er das Anwachsen des Grauens in
seinem Gesicht sah. Das war gut. Die Dunklen Götter zeigten sich stets dankbarer, wenn ihre
Gaben vor Furcht schier überschäumten. Er zeigte auf Skaggi hinab. »Lauf«, befahl er. »Lauf,
wenn du noch immer glaubst, entkommen zu können.«
Der Duardin wandte sich zur Flucht, rannte quer durch die Veredelungsanlage. Sein
verzweifelter Versuch zu entkommen, blieb von den Kultjüngern unbemerkt – außer einem.
Demjenigen, der auserwählt war, dem Prismatischen König sein Opfer darzubringen. Tamuzz
stürzte sich auf Skaggi herab und die lodernde Spitze seiner Gleve fetzte durch den Körper des
Logistikators, durchschnitt auch das Mal, das Khoram dort eingebrannt hatte. Mal und Klinge
bildeten eine Symmetrie, eine arkane Konjunktion ungeheuren Potenzials. Khoram hätte jeden
der Duardin als sein Opfer erwählen können, doch Skaggis hinterhältige Art stand in einer Art
Einklang mit dem Trugwerk des Prismatischen Königs. Lügen und Täuschungen, Intrigen und
Ränke waren seit jeher die Domäne des Herrn des Wandels.
Das Glühen um den Eisenkessel verstärkte sich. Trotz der Hitze des Brennofens fegte eine
eisige Kälte durch die Veredelungsanlage, ließ Eiskristalle auf den Wänden sprießen. Magie,
mächtig und ungeheuer, war hier am Werk. Khoram nutzte seine Meisterschaft in den
schwarzen Künsten, die sich sammelnden Energien zu kanalisieren, sie in das Gefäß fließen
zu lassen, dass er sich schon vor langer Zeit erwählt hatte. Kreischer und fliegende Scheiben
verblassten aus dem Sein, als die Kräfte, die ihnen in Chamon Substanz verliehen, fortgesogen
und dem nun heftig brodelnden Äthergold zugeleitet wurden.
»In Herrlichkeit erstanden, da sie ihn erschlagen wähnten!«, krähte Khoram. »Blicket auf
die Ankunft des Prismatischen Königs!«

Die wabernde Masse des dämonischen Kreischers presste Grokmund zu Boden. Seine
Schwingen droschen ihn nieder, trommelten erbarmungslos auf ihn ein, sobald er versuchte,
sich unter ihm hervor zu winden. Blut spritzte ihm aus dem Mund, als sein Gesicht vom
Boden zurückprallte. Zerbrochene Zähne bröckelten ihm in den Bart. Ein weiterer Schlag der
flossenähnlichen Schwingen des Monsters und seine Nase wurde zu einem blutigen Brei.
Plötzlich hob sich das Gewicht des Dämons von ihm. Grokmund hörte sein gequältes
Aufheulen, als er sich wegbäumte. Körpersäfte schossen aus aufgeplatzten Fleisch und
brannten wie Feuer, wo sie gegen seine Wunden spritzten. Das wilde Geheul des Kreischers
schraubte sich zu einem ohrenbetäubenden Crescendo auf, als wieder und wieder Hiebe auf
ihn einprasselten. Ein Schuss ertönte und das Heulen des Kreischers verstummte, seine Masse
fiel zur Seite und klatschte als zitternder Haufen auf den Boden.
Derjenige, der die Kreatur erlegt hatte, wälzte sie von Grokmund fort. Er griff herunter,
packte ihn am Arm und fing an, ihn beiseite zu zerren. Sein Retter war Gotramm, dessen Züge
hinter all dem Blut, das sie bedeckte, beinah nicht zu erkennen waren. Grokmund fühlte einen
Schmerzensstich, der weniger körperlich war, sondern einem Schuldgefühl entsprang. Er hatte
genug von diesem Kampf gesehen, um zu wissen, dass wahrhaft kein Mangel an Duardin
bestand, die der Hilfe bedurften. Dennoch war es der Fremde aus einer anderen Himmelsfeste,
dem Gotramm zur Hilfe geeilt war.
»Rückzug!«, schrie Gotramm. »Zieht euch zum Brennofen zurück!«
Grokmund schaffte es, seinen Kopf so weit zu drehen, um den Punkt zu erkennen, den
Gotramm als ihre Stellung für ein letztes Gefecht erwählt hatte. Die Türflügel des Brennofens
standen weit offen. Brüllende Flammen schossen aus seinem Rachen. Horgarr stand bei den
Bedieninstrumenten, hantierte an den Hebeln, die den Treibstoff regulierten, der in die Anlage
geleitet wurde. Der Endrinmeister benutzte den Brennofen, um eine Feuerwand zu erzeugen,
die eine ihrer Flanken decken sollte. Mit einer Wand im Rücken blieb somit für die
bedrängten Duardin nur noch eine Front übrig, die sie gegen den Feind halten mussten. Das
gab ihnen zwar auch keine allzu großen Chancen, aber zumindest würden sie kämpfend
untergehen.
Ein paar der Duardin schafften es, sich vom Feind zu lösen, um den Befehlen ihres
Hauptmanns zu gehorchen. Als sie sich zurückzogen, verfolgten sie Tierbrut und Menschen
mit wilder Entschlossenheit. Die vogelköpfigen Tiermenschen stürzten sich auf die Kharadron
herab, und die Mäuler auf der Unterseite ihrer fliegenden Scheiben schnappten und geiferten.
Die maskierten Kultjünger schleuderten Bälle schimmernder Energien auf ihre Widersacher,
streckten ein paar nieder und versengten anderen die Rüstung.
Thurik kam herbeigerannt und packte Grokmunds anderen Arm. Zusammen mit Gotramm
waren sie in der Lage, ihn zu ihrer erwählten Verteidigungsposition zurück zu schleifen. Es
gab einen Moment morbider Befriedigung, als einer der Tiermenschen versuchte sie
abzufangen, aber seinen Schwung falsch einschätzte, über sein Ziel hinausschoss und
stattdessen durch die Flammenwand raste, die aus dem Brennofen hervorbrandete. Der
scheibenförmige Dämon entkam dem Feuer ungeschoren, doch der Reiter auf seinem Rücken
war eine schreiende Fackel, Fell und Federn lohten hell auf und schälten sich vom gekochten
Fleisch seines Körpers ab.
Das Kreischen und Heulen des Tiermenschen wurde bald von den Todesschreien eines
Duardin übertönt. Grokmund schaffte es, sich gerade so weit aufzurichten, dass er den
Kriegsherrn in Rüstung erkannte, der auch schon die Sturmbrecher angegriffen hatte und der
jetzt Skaggi auf seiner Gleve aufgespießt hatte. Der Logistikator war in der Mitte seiner Brust
durchbohrt worden und wurde wie die Puppe eines Kindes vom Boden hochgehoben. Als das
Leben aus ihm hinausfloss, veränderte sich die Atmosphäre in der Veredelungsanlage, nahm
eine fast greifbare Stimmung von Verhängnis und Vernichtung an.
Grokmunds Blick wurde zum Kessel mit dem Äthergold hingezogen, so wie auch die
Aufmerksamkeit eines jeden in dieser höhlenartigen Kammer. Menschen, Tiervolk und
Duardin beobachteten in geschocktem Staunen, wie sich das Glühen, das ihn umgab,
verstärkte. Kultjünger fielen zu Boden, als die dämonischen Flugtiere direkt unter ihren Füßen
verdampften. Kreischer verblassten vor ihren Augen wie Sterne an einem Morgenhimmel, und
der höllische Stoff, aus dem sie geformt waren, wurde ihnen entzogen und jener Macht
zugeführt, die sich dort vor ihnen ballte und an Masse gewann.
Der Schatten, den Grokmund im Brennofen gesehen hatte, die Spiegelung eines gewaltigen
Raubvogels, war nichts im Vergleich mit der Realität, die triefend aus dem Kessel
hervorquoll.
Das Ding, das Grokmund gesehen hatte, das Bild, das Gotramm von jenem Aussichtspunkt,
zu dem er geklettert war, in dem Kessel erblickt hatte, war schrecklicher, als man es sich in
einem Albtraum vorstellen konnte. Es war von gigantischer Größe, zehnmal so groß wie ein
Duardin. Sein Leib war schlank und hungrig, doch es lag eine Andeutung von Stärke in den
dürren Gliedern. Hände und Füße endeten in massiven Klauen, die Finger und Zehen, die
diese trugen, wiesen eine schuppige Beschaffenheit auf. Der Rest des menschenähnlichen
Körpers war gefiedert, gleich den kondorähnlichen Schwingen, die aus seinem Rücken
emporragten. Widerwärtige augenförmige Male strahlten von der Spitze jeder Feder. Der
Kopf des Dings saß am Ende eines langen, geiergleichen Halses, der zu dünn erschien, um ihn
tragen zu können. Die Form dieses Kopfes war die eines Adlerhaupts, der Schnabel gebogen
und scharf. Die Augen, die aus dem Vogelantlitz quollen, waren facettiert wie die einer Motte
oder Spinne.
Noch schrecklicher als die Form, die dieses Ding angenommen hatte, noch grauenhafter als
die Aura zutiefst bösartiger Macht, die von ihm ausging, war für Grokmund aber die Natur
seiner Stofflichkeit. Es war kein Ding aus Fleisch und Knochen, es glich nicht einmal dem
Anschein von Fleisch und Blut, in den Dämonen sich zu hüllen pflegten, wenn sie über die
Grenzen der ihnen ansonsten verwehrten Reiche der Sterblichen hinwegstreiften. Der Körper
des Monsters war aus Gold. Vom Scheitel seines gefiederten Hauptes bis hin zur Spitze seiner
letzten Kralle, war dieses widernatürliche Ungetüm ganz aus Gold geformt. Klauen und
Federn, Arme und Flügel, alles an ihm war von der Farbe matten Goldes. Selbst die
schrecklichen Augen mit ihren grotesken Facetten waren aus Gold.
Der Schatten, das Spiegelbild das Grokmund im geschmolzenen Äthergold gesehen hatte –
er hatte sich darin geirrt, was es war. Er hatte gedacht, es sei ein Makel im Erz, irgendein
gespenstischer Parasit, der sich da in seinem Fund eingenistet hatte. Jetzt begriff er gänzlich
die monströse Wahrheit. Es war nicht einfach nur in seinem Äthergold, es war sein Äthergold,
und zwar in gleicher Weise, wie das Haar in Grokmunds Bart ein Teil seines eigenen Wesens
war.
Er hörte den Hexer triumphierend aufschreien. Grokmund konnte die Sprache des Barbaren
nicht benennen, aber er verstand sofort ihren Ton. Dies alles war nach einem Plan verlaufen.
Der Hexer und der gerüstete Kriegsherr, sie waren dieselben, welche die Sturmbrecher vom
Himmel geholt hatten. Er war der einzige Überlebende gewesen – man hatte ihn leben lassen,
damit der Eisendrache ihn finden konnte. Verschont, damit er sie zu seinem Fund führen
konnte. Benutzt von den Mächten des Chaos, um die stoffliche Manifestation dessen
herbeizuführen, was nun in all seiner goldenen Pracht vor ihnen stand.
Grokmund hatte davon geträumt, ein Vermächtnis für sich zu errichten, dafür zu sorgen,
dass sein Name nicht vergessen würde. Jetzt sah er, dass sein Vermächtnis nicht das war, was
er sich vorgestellt hatte. Dies war sein Vermächtnis, dieses in Gold gehüllte, dämonische
Grauen. Er hatte gehofft, den Kharadron einen wunderbaren Segen zu bescheren. Was er
stattdessen über sein Volk gebracht hatte, war ein monströses Verhängnis.
Ohne es zu wissen oder zu wollen, hatte Grokmunds Ehrgeiz die Herrschaft des
Prismatischen Königs erneuert.
KAPITEL VIERZEHN

Durch dunkle Gewölbe und Kammern des Außenpostens suchten Brokrin und Drumark sich
ihren Weg. Trotz Drumarks Beharren darauf, dass in der Veredelungsanlage eine unmittelbare
und direkte Bedrohung für ihre Gefährten bestand, verweigerte er sich dennoch Brokrins
Impuls, den Hauptgang zu benutzen und einen direkten Weg zur Kammer zu nehmen. Es gab
einen weniger auffälligen Zugang, behauptete Drumark, einen Schacht, der von den Thanen
der Siedlung benutzt wurde, um ihre Schätze unbemerkt von der allgemeinen Bevölkerung aus
der Veredelungsanlage fortzuschaffen. Drumark verweigerte sich Brokrins Bemühungen, mit
ihm zu argumentieren, und drängte den Kapitän, den langen, dunklen Korridoren zu folgen.
Fast eine Stunde lang schlichen sie durch die Schatten und Drumark wurde allmählich immer
unruhiger. Frustriert von seiner Unfähigkeit, den richtigen Gang zu finden. Voller Angst, dass
der Dämon in ihm zu alter Stärke zurückkehren würde.
Brokrin konnte die Veränderung bemerken, welche die Atmosphäre in Finnolfs Festung
durchfuhr. Die düstere Trostlosigkeit, gesättigt mit dem gespenstischen Hauch der
Verlassenheit und der Tragödie, nahm jetzt einen Zug an, der eine offene Bösartigkeit an sich
hatte. Es war eine Kälte, ein sengendes Stechen, das sich mit tausend scharfen Klauen in die
Seele bohrte. Sein Puls raste, seine Nervenfasern klingelten mit der primitiven Furcht des
Opfers, welches das nahe Raubtier fühlte, das sich unsichtbar durch die Dunkelheit anschlich.
Drumark lehnte sich gegen die Wand, sog die Luft mit großen Zügen in seinen
zerschundenen Körper. Es sah Brokrin an und seine Augen zeigten einen wässrigen Glanz.
»Zu spät«, stieß er hustend hervor. »Wir sind zu spät. Der Prismatische König ist auf seinen
Thron zurückgekehrt.« Die letzten Worte wurden mit einem gutturalen Krächzen gesprochen,
das Drumarks Stimme gänzlich fremd war. Verzweiflung flammte im Blick des Sergeants auf.
Er sah die Anzeichen der Sorge in Brokrins Augen und nickte nur. Die Macht, die von ihm
Besitz ergriffen hatte, breitete wieder ihren Einfluss auf ihn aus.
Ein Schauder durchfuhr Brokrin. Es war nicht nur Drumarks gespenstische Besessenheit, die
ihn frösteln ließen. Er hatte von alten Legenden eines schrecklichen Chaosherrn gehört, der
den Namen Prismatischer König getragen hatte. Man erzählte sich, dass er von einem Helden
Sigmars vernichtet worden war. All diese Geschichten waren nur vage, aber sie stimmten alle
darin überein, was die Natur des Prismatischen Königs betraf, ein Widersacher voll
unaussprechlicher Bosheit und von unvorstellbarer Macht.
Brokrin schaute den Gang entlang, versuchte, mit seinem Blick die Dunkelheit zu
durchdringen. In der Ferne konnte er ein unheimliches, pulsierendes Glühen erkennen, zwar
golden von seiner Farbe, doch irgendwie strahlte es dabei einen Eindruck von unglaublicher
Dunkelheit aus. Schwach konnte er die Geräusche einer Schlacht erkennen.
»Der Schacht«, sagte Drumark und zeigte auf das Glühen. »Die Erschütterung hat die Tür
aufgestoßen. Das Glühen kommt aus der Veredelungsanlage. Sie haben bereits den
Prismatischen König gerufen. Wenn wir ihn aufhalten wollen, müssen wir uns beeilen.«
Brokrin zögerte, da jede Faser seines Seins ihn darum anflehte, sich auf der Stelle
umzudrehen und davonzulaufen, aber er konnte es nicht. So abstoßend dieses Glühen und die
Macht, für die es stand, auch sein mochten, der Gedanke daran, seine Mannschaft im Stich zu
lassen, war ihm noch widerwärtiger. Als er eine Duardinstimme in einer Mischung von
Grauen und Trotz aufschreien hörte, war für ihn klar, welchen Weg er zu nehmen hatte.
Brokrin überprüfte, ob seine Salvenpistole vollständig geladen war, und wollte dann
Drumark seine Axt reichen. »Was auch immer da unten ist, wir werden es aufhalten.«
Drumark schob die Axt beiseite. »Ich brauche deine Waffe nicht«, sagte etwas in ihm, »Du
wirst sie mehr brauchen als ich. Bring mich nur nah an den Prismatischen König heran. Bring
mich nah genug heran, dass er mich sehen und hören kann. Bring mich nahe genug heran, dass
er nicht anders kann, als mich zu sehen und zu hören.« Drumarks Worte wurden zu einem
gutturalen Geifern, das teils Husten, teils Lachen war.
Brokrin versuchte die Abscheu aus seinem Geist zu verbannen. Das war nicht länger
Drumark. Oder zumindest war es nicht nur Drumark.
Drumark schüttelte den Kopf. »Hilf mir, Käpt’n. Ich bin ohnehin verloren, aber du kannst
mir helfen, dass mein Abgang etwas nutzt. Was immer sich auch geändert haben mag, wir
teilen noch immer den gleichen Feind.«
Ein weiterer Duardinschrei aus der Veredelungsanlage entschied es für Brokrin. Er fasste
seine Pistole und Axt fester und eilte auf das Glühen und die Geräusche zu. Er konnte hören,
dass Drumark ihm folgte, wie seine nackten Füße auf den Stein klatschten, wie sein übler
Atem ihm rasselnd aus den Lungen kam. Er versuchte, nicht daran zu denken, was seinem
Freund zugestoßen war, sich nicht zu fragen, wie viel von dem Sergeanten überhaupt noch da
war. Wie er selbst gesagt hatte, was immer er auch war, Drumark konnte noch immer gegen
einen gemeinsamen Feind kämpfen.
Wilde Schreie und Jubel hallten jetzt durch die Veredelungsanlage, das triumphierende
Heulen von Monstern und dem Wahnsinn Verfallenen. Brokrin spürte die schreckliche Macht
in dem goldenen Licht, er fühlte, wie sie gleich dem widerlich klebrigen Schmutz von
Harkrakentinte über ihn hereinbrach. Er bot all seine Kraft auf, um dieses Miasma von Unrat
und Unreinheit zu durchbrechen, und erzwang sich den Weg auf die Veredelungsanlage zu
und näher heran an die Quelle des goldenen Lichts. Vorsichtig näherte er sich der offenen Tür.
Der Sockel einer Säule verdeckte ihm den Ausblick auf die Kammer dahinter. Als er um sie
herumspähte, wurde sein Blick unwiderstehlich zu der titanischen Gestalt hingezogen, die den
goldenen Glanz ausstrahlte.
Der Prismatische König stieg aus dem großen Kessel auf und seine riesige Gestalt war ganz
aus Gold gewirkt. Brokrin erkannte den Glanz des Äthergoldes. Wie oder warum das möglich
gewesen war, wusste er nicht, doch irgendwie hatte der vogelköpfige Dämon Grokmunds
Fund benutzt, um daraus für sich seine physische Verkörperung zu weben.
Eine grauenvolle Faszination packte Brokrin. Jeder Wille, jeder Vorsatz wich aus seinem
Geist, jeder Gedanke an Handeln wurde von einer überwältigenden Furcht ausgelöscht. Gegen
dieses Wesen zu kämpfen war vergeblicher Wahn, die Verzweiflung der Verdammten! Trüb
nur wurde ihm klar, dass er vor Grauen ächzte und stöhnte, ein Klang, der stetig anschwoll
und drohte, jeden Funken klaren Verstandes auszulöschen.
Schau weg, Sterblicher, zwang sich die gutturale Stimme, die nicht die Drumarks war, ihren
Weg in Brokrins Geist. Selbst die Stimme des Dings, das in Drumark hauste, zeigte jetzt ein
Zittern der Furcht, ein Beben, das vorher nicht da gewesen war. Schau weg oder verliere
deine Seele.
Drumark packte Brokrin, drehte ihn zu sich hin und brach dessen entgeisterten Blick.
Brokrin schaute sich die Veredelungsanlage näher an. Der riesige Dämon war schon Feind
genug, aber da waren auch Massen von Kultjüngern und Tiermenschen. Brokrin erkannte
ihren Anführer an der reich verzierten Rüstung und der flammenden Gleve als den gleichen,
der den Eisendrachen und seine Begleitschiffe überfallen hatte, den gleichen, der auch die
Sturmbrecher und ihre Flotte attackiert hatte. Seine Anhänger waren in einem weiten Umkreis
über die Mitte der Veredelungsanlage verstreut, bis auf den missgestalteten Mann mit dem
gefiederten Geschwulst am Hals, der ein ganzes Stück hinter den Verteidigungslinien
zurückblieb. Jenseits der Kultjünger konnte er Gotramm, Thurik, Horgarr, Grokmund und vier
andere Duardin erkennen, die sich neben den offenen Türflügeln des Brennofens zu einem
letzten Gefecht gesammelt hatten. Ihre Chancen gegen den Kult standen denkbar schlecht, da
sie stark in der Unterzahl waren, aber da sie auch noch den Dämonenherrn gegen sich hatten,
bestand für sie gar keine Chance mehr.
»Ihre einzige Chance ist die, die du ihnen schaffst«, sagte Drumark zu Brokrin.
Brokrin bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass der Sergeant in seinen Geist
eingedrungen war, um seine Gedanken zu lesen. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass
er recht hatte.
»Du musst dich der Aura des Prismatischen Königs widersetzen«, sagte Drumark zu
Brokrin. »Du musst dich gegen seinen Einfluss stählen. Wenn du das nicht kannst, ist alles
verloren. Du musst seine Aufmerksamkeit auf dich ziehen, bevor wir dir folgen können.«
Brokrin sammelte in sich jedes Quäntchen Entschlossenheit, das er besaß. Er dachte an die
Ehre und die Pflicht, die er seinem Klan und seiner Sippe schuldete. Er dachte an die
Mannschaft und was ihr Schicksal sein würde, wenn er nicht eingriff. Zitternd zwang er sich,
erneut den goldenen Dämon anzusehen.
Der Prismatische König setzte sich jetzt in Bewegung. Als er aus dem kolossalen Becken
heraustrat, verformte sich sein klauenbewehrter Fuß auf dem Boden, flachte sich ab und zeigte
dabei eine seltsame Halbfestigkeit, als würde er noch immer auf dem Grat zwischen Metall
und Flüssigkeit wandeln. Das mit Schnabel versehene Gesicht neigte sich abwärts, starrte
voller Verachtung auf den verzerrten Fuß. Brokrin konnte die arkane Kraft spüren, die durch
den goldenen Riesen pulsierte, als er seinen Fuß mit der Kraft seines Willens wieder in Form
brachte.
»Es muss vernichtet werden, bevor es sich selbst vervollkommnen kann«, drängte Drumark
und seine Stimme klang in Brokrins Ohren wie ein Pesthauch.
Indem er sich hinter der Statue hervorstahl, näherte Brokrin sich den Kultjüngern zwischen
ihm und dem Prismatischen König. Seine unbemerkte Annäherung wurde dadurch möglich
gemacht, dass der Feind abgelenkt war und nicht in seine Richtung blickte, entweder in
erbärmlicher Verehrung auf den Dämon starrte oder Gotramms Mannschaft mit unverhüllter
Bosheit beobachtete.
Während Brokrin sich noch verstohlen näherte, kam weitere Bewegung in den
Prismatischen König. Er streckte eine der großen Krallen aus und zeigte auf Thurik. Der
Arkanaut schrie in Todesqualen gellend auf, als eine Welle purpurfarbenen Lichts in einem
funkelnden Aufflammen auf ihn herabströmte. Er fiel auf die Knie, als sein Fleisch zu
verdorren begann und sich eng um die Knochen schloss. Als seine Schreie schließlich
versiegten, war Thurik kaum mehr als eine mumifizierte Hülle. Ein Aufheulen des Zorns
erhob sich aus den Reihen der Krieger, die sich um den Brennofen gesammelt hatten. Horgarr
musste Gotramm festhalten, damit der nicht in einem blindwütigen Vergeltungsangriff auf den
Prismatischen König und seine sterblichen Vasallen losging.
Mit seiner anderen Hand deutete der Prismatische König auf einen seiner Untertanen, einen
missgestalteten Menschen, dem ein gefiedertes Geschwulst aus dem Hals quoll. Der
Kultjünger wurde vom gleichen purpurfarbenen Licht erfasst, doch statt unter seinem Glanz
Schaden zu nehmen, schien er sich auszudehnen. Eine Aura schrecklicher Macht ließ die Luft
um den Mann erbeben und Brokrin wurde klar, dass er ein Hexer sein musste.
Thuriks Tod hatte Brokrin zum sofortigen Handeln angetrieben. Er trieb die scharfe Klinge
seiner Axt tief in die Seite eines gehörnten Tiermenschen, brach ihm die Rippen, sodass er
zappelnd zu Boden ging. Er blökte in Todesqualen, woraufhin ein maskierter Mensch
herumwirbelte, der ein Schwert mit gewellter Klinge in der Faust hielt. Bevor der Kultjünger
jedoch zuschlagen konnte, hackte ihm schon Brokrins Axt durch die Maske und grub sich
knirschend in seinen Schädel. Der Mann fiel und Brokrin pflanzte ihm seinen Stiefel auf die
Brust und zog seine Klinge heraus.
Brokrins heftiger Angriff ließ weitere Kultjünger sich ihm zuwenden und auf ihn zurennen.
Er trat ihnen mit aufflammender Salvenpistole entgegen und fällte zwei weitere der
maskierten Menschen und verwundete einen gefiederten Tiermenschen schwer. Von der
anderen Seite der Veredelungsanlage her jubelte ihm Gotramms Truppe zu, rief zum Angriff,
skandierte Kriegsgesänge und brach aus ihrer Verteidigung hervor, um sich auf den sie
umzingelnden Feind zu werfen.
Der gerüstete Kriegsherr stürmte auf Brokrin zu und Trauben von Augen glommen bösartig
aus der Maske seines Helms hervor.
Der Duardin-Kapitän feuerte Schuss um Schuss auf den Kultführer ab, doch jeder Schuss
schwirrte nur ins Leere, als werde er von einer unsichtbaren Kraft abgelenkt.
Der Kriegsherr stieß mit seiner gekrümmten Gleve nach Brokrin, ihre Schneide flirrte vor
Hexenfeuer. »Du wagst es, dein Glück gegen das Schicksal Tamuzz’ zu stellen?«, wetterte er,
während er nach dem Duardin hieb.
Der Kapitän duckte sich unter dem Bogen seiner Klinge weg, fühlte noch ihr Feuer über die
Spitze seines Helms hinwegzischen. Er hieb mit der Axt nach dem Schaft und es gelang ihm,
den Griff einer von Tamuzz’ Händen zu lösen. Der Kriegsherr taumelte, kurz von der jähen
Verlagerung seines Griffs aus dem Gleichgewicht gebracht.
»Mein Glück ist ohnehin schon schlecht«, spie Brokrin aus. »Du wirst es kaum schlechter
machen können.«
Tamuzz erwiderte den Angriff und ließ seine Gleve mit mächtigem Schwung herabsausen.
Brokrin schaffte es kaum, zur Seite auszuweichen. Er feuerte seinen letzten Schuss auf das
Gesicht des Kriegsherrn ab, entmutigt, als die Kugel einfach nur wegschwirrte, ohne
irgendeinen Schaden anzurichten.
»Ich bin Tamuzz, der Erwählte des Tzeentch«, höhnte der Kriegsherr. »Mein Schicksal wird
nicht von irgendeinem Sterblichen entschieden.«
Brokrin wirbelte seine Axt in scharfem Schwung herum und die Klinge schmetterte schräg
gegen die Gleve und glitt mit der Schneide den Schaft entlang. Diesmal erwischte er damit die
Hand des Kriegsherrn und schnitt ihm quer über die Finger. Tamuzz fuhr zurück und fuhr
zusammen, als der Panzerhandschuh splitterte und Metallstreifen sich ihm ins Fleisch gruben.
Brokrin grinste seinen Feind an. »Ich habe also nichts zu verlieren, wenn ich’s versuche«,
knurrte er.

Drumark wartete, bis Brokrin sich im Kampf mit Tamuzz befand und Gotramms Kämpfer
außerdem noch die Aufmerksamkeit anderer Kultjünger auf sich zogen, bevor er aus dem
Schatten der Statue herausrannte. Der Primatische König führte noch immer Thuriks Essenz
dem Hexer zu. Selbst so hätte er ihn entdecken müssen, aber der Übergang von Geist zu Stoff
schien wohl eine verwirrende Wirkung auf ihn zu haben, zu der das Blutbad, das Brokrin mit
seinem Angriff anrichtete, noch das seine beitrug.
Drumark war entschlossen, dass er dazu gar keine Gelegenheit erhalten sollte. Sein Geist
wand sich unter den Bildern des Grauens, die ihn durchzuckten, Visionen davon, was der
Prismatische König getan hatte und was er in Zukunft noch tun würde, wenn man ihn nicht
bezwingen konnte. Er wusste, dass dies nicht seine eigenen Gedanken waren, sondern etwas,
was aus dem Dämon kam, der in seinen Körper eingesickert war. Wie viel davon Wahrheit,
wie viel davon Lüge war, konnte er nicht sagen. Es machte keinen Unterschied. Nur in einem
war er sich sicher und das war, dass der Prismatische König aufgehalten werden musste.
Drumark eilte auf den Primatischen König zu. Die boshafte Kraft des Großdämons lief in
einer siedenden Welle über sein bloßes Fleisch. Er konnte die Schnitte in seiner Haut vor Qual
aufflammen spüren, das Blut, das erneut aus ihnen hervorquoll, den Schorf, der unter der Glut
dahinschmolz. Das Wesen des Nurgle, das seine Seele infiziert hatte, barst beinahe vor
Feindseligkeit; uralte Rivalität und ewiger Trotz schlugen Wellen in seinem verderbten Kern.
Der Prismatische König. Stolzer Seneschall Tzeentchs, der nicht den Aufstieg von
Sigmars Celestant-Primus verhindern konnte! Der Prismatische König, der zuließ, dass eine
Macht in die Reiche der Sterblichen Einzug hielt, die auch heute noch immer und immer
wieder die Pläne des Chaos durchkreuzt.
Der bittere Hass des Nurgle-Dämons verschmolz mit Drumarks eigener Aversion gegen den
Tzeentch-Kult. Mit der Hartnäckigkeit eines Tumors schlich und glitt dieser durch jeden der
Korridore seines Geistes, hinterließ dort kleine Stücke seiner selbst, bis schließlich keine
Nische des Duardin davon verschont geblieben war. Er konnte fühlen, wie Krankheit und
Verderbnis ihn überschwemmten, wie die Fäule in seinem Magen brodelte, wie seine Nase zu
schwoll und der Puls in seinem Schädel schmerzte. Hundert Krankheiten brachen gleichzeitig
los, füllten ihn gänzlich aus, infizierten ihn vollkommen bis in die letzte Zelle, bis in die letzte
Haarwurzel hinein. Dennoch schwächte ihn diese Seuchenwelle nicht. Stattdessen füllte sie
seine zitternden Glieder mit neuer Stärke. Sie gab ihm die Kraft um voranzupreschen,
geradewegs durch die bösartige Aura, die vom Avatar des Prismatischen Königs auswallte.
Das blubbernde Krächzen, das aus Drumarks Kehle drang, war nichts, was er mit seiner
eigenen Stimme in Verbindung bringen konnte. Die geifernden Laute, die von seinen Lippen
sprudelten, waren keine Worte und doch hatten sie eine Bedeutung. Eine Bedeutung, die
fremdartiger und schrecklicher war, als er zu erfassen vermochte. Sie waren Macht, Bosheit,
die in Klang verwandelt war.
Worte haben Macht, doch in den Reichen der Sterblichen braucht es eine sterbliche
Stimme, sie zu sprechen. Die perfide Natur der Magie. Nur eine sterbliche Zunge, die von
einem sterblichen Willen angetrieben wird, kann diesen Lauten Bedeutung einhauchen. Ein
höhnisches Schaudern durchlief Drumarks Seele, als der Dämon fortfuhr. Du musst lernen
und sprechen. Es muss von dir kommen. Wäre das nicht notwendig, hätte ich deine
Persönlichkeit nach deinem Kampf mit dem Spion des Hexers jederzeit auslöschen können.
Du bist eine Spielfigur in einem Spiel zwischen missgünstigen Göttern geworden. Es liegt
noch immer in deiner Macht, dich mir zu widersetzen und in diesem Widerstand läge
vielleicht die Rettung deiner Seele. Aber das wird dem Prismatischen König den Sieg
bringen. Dies hieße, das Leben all deiner Gefährten ihrem Feind zu opfern. Deine Seele
gegen ihre Leben. Das ist der Einsatz.
Drumark sah auf seine vernarbte Haut hinab und verstand die Bedeutung der Symbole, die
ihm ins Fleisch geschnitten waren. Es war die Gleiche wie die Laute, die der Dämon Nurgles
gesprochen hatte. Nicht einfach nur Laute, sondern ein Name. Ein wahrer Name.
»Yth’nitzzilik«, intonierte Drumark, und der Dämon half ihm, die Laute zu formen.
»Yth’nitzzilik«, wiederholte er die schaurige Lautfolge, deren Klang irgendwo zwischen dem
Ruf eines Geiers und dem Heulen eines Wolfes lag. Während er sie sprach, konnte er fühlen,
wie seine Zunge sich drehte und verschob, wie sie sich zu einer neuen abscheulichen Form
verwandelte. Er kämpfte den Drang, sich zu erbrechen, nieder und wiederholte den Namen ein
drittes Mal.
Der mutierte Mund auf seine Schulter lieferte das Echo des Namens dazu, flüsterte es ihm
ins Ohr, drängte ihn, die Laute dazu zu formen. Nun brodelte die entfesselte Macht von
Nurgles Dämon über Drumarks Gesicht. Nässende Knötchen sprossen aus seiner Lippe,
scharlachrote Pusteln quollen aus seiner Stirn hervor, seine Wangen verschrumpelten zu
fleischlosen Hautfetzen, Klumpen von Haar fielen ihm aus dem Bart. All die bösartigen
Energien von Nurgles Dämon nährten seine Worte, doch solche Macht hatte einen Preis.
Der goldene Riese wirbelte herum. Der Schnabel des Prismatischen Königs öffnete sich zu
einem Krächzen der Wut, dessen Klang wie ein Donnerschlag durch den ganzen Außenposten
fuhr. Seine schillernden Augen blickten düster, verloren all ihren metallischen Glanz, als das
Monster hinter ihnen hervorstarrte.
Doch selbst, da sich der Prismatische König gegen seine Feinde wandte, entfaltete der
arkane Zwang seines wahren Namens bereits seine Wirkung. Die riesigen Fußkrallen, die sich
in den Boden gruben, verloren Form und Stofflichkeit, quollen über die Grenzen ihrer
ursprünglichen Gestalt in einem klebrigen Morast hervor, der den Herrscher des Wandels
festhielt.
Die Schnitte auf Drumarks Haut erstrahlten in einem grellen Licht, das sich hell flammend
in die Augen des Dämons grub. Er stolperte näher auf die goldene Scheußlichkeit zu, zwang
ihn, ihn anzublicken, seinen wahren Namen gleichzeitig zu hören und zu sehen. In die
krächzenden Laute wob Drumark einen Befehl, einen Willen innerhalb des Wortes. Er fühlte,
wie der Prismatische König sich gegen seinen Befehl aufbäumte. Wie Feuer loderten
Gedanken in seinen Geist hinein. Eine Kaskade von Drohungen und Versprechungen, die
Nurgles Dämon in die hinterste Ecke seines Bewusstseins zurücktrieb.
Du kannst leben, sagte ihm der Prismatische König. Ich werde die Macht, die von dir
Besitz ergriffen hat, hinwegbrennen. Aus Versuchung wurde Drohung. Wenn ich falle,
werde ich im Reich des Chaos auf dich warten und deine verdammte Seele wird bis zum
Tag gefoltert, an dem alle Realitäten geschieden werden!
Drumark kämpfte gegen die Forderungen des Prismatischen Königs an. Er dachte an seine
Kameraden. Ihre Leben lagen in seiner Hand. Nur das zählte. Mit aller Kraft und allem
Nachdruck sprach er den Befehl zum neunten Mal. Vor seinen Augen verlor der goldene
Körper jede Geschmeidigkeit, versteifte sich und erstarrte, fror in seiner Haltung ein.
»Beschmutzer!« Das Geschrei stammte von dem Hexer, in den der Prismatische König
Thruriks Energie geleitet hatte. Mit einem Schwung seines Stabs schleuderte er eine Spirale
gleißenden, sengenden Lichts auf Drumark. Unter der Wucht dieses arkanen Ansturms
platzten die Seuchenpusteln, die seinen Körper überzogen, und ihre infektiöse Macht
verdampfte. Seine Haut schwärzte sich, seine Knochen verbogen sich zu neuer, grässlicher
Form. Alles Haar, das ihm noch nicht ausgefallen war, brach in einer Explosion von Farben
aus. Der verwandelnde Strahl raste durch Drumark hindurch und zerriss ihn.
Drumark brach zusammen, als seine deformierten Knie unter seinem Gewicht nachgaben.
Seine Stimme versagte, da sein Kiefer zu einer einzigen knochigen Masse
zusammenwucherte. Die Schnitte auf seiner Haut schälten sich in Schichten von ihm ab. Und
doch hielt er durch. Die Magie des Hexers war dabei, ihn zu töten, hatte in der Tat schon
seinen Tod unausweichlich gemacht, aber dies geschah viel langsamer, als sein Feind es
bezweckt hatte. Nurgles Verseuchung kämpfte gegen die Transformation Tzeentchs an und
diesem Ankämpfen haftete ein hartnäckiges Dasein an.
Drumark ließ seine Finger über das entblößte Fleisch seiner Brust kratzen, grub ihm erneut
die Symbole ein, die sein Fleisch gezeichnet hatten. Der mutierte Mund auf seiner Schulter
heulte auf, lauter und drängender, sprach jetzt nicht länger mit der Stimme des Dämons
Nurgles, sondern mit der des Duardin.
Der Prismatische König ragte über dem sterbenden Drumark auf und kämpfte gegen die
Macht seines eigenen wahren Namens an. Er streckte eine seiner gigantischen Klauen aus, und
arkane Energien erglühten in seinen Fingerspitzen. Eine Welle der Magie brach jäh hervor und
fuhr mit sengender Macht in Drumark, verdampfte ihm die Arme, brannte ihm das Fleisch
vom Schädel. Doch noch immer erhielt ihn der abscheuliche Wesenskern von Nurgles Dämon
am Leben.
Trotzig hob Drumark die nassen Knochen seines freigelegten Schädels und stieß noch
einmal den wahren Namen des Prismatischen Königs aus. Die Gestalt des goldenen Riesen
erbebte, seine Glieder versteiften sich weiter, als der Befehl des Duardin dem Großdämon
seine Herrschaft aufzwang.

Grokmund wandte den Blick von dem Mechanismus ab, der den Brennofen mit Nahrung
versorgte, als Gotramm sich mit lauter Stimme an die verbliebenen Duardin wandte.
»Verdient euch einen Tod, der eurer Ahnen würdig ist!«, schrie Gotramm, als er die Überreste
seiner Truppe erneut gegen die Kultjünger führte. Brokrins Attacke hatte die erlahmende
Hoffnung der Duardin erneut angefacht. Einen Moment zuvor noch waren sie so weit
gewesen, ihre Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Doch jetzt stürmten sie vor,
entschlossen, ihren Feind für jeden Tropfen Blut bitter bezahlen zu lassen.
Nur Grokmund allein blieb zurück. Der Grund waren nicht die Wunden, die er von den auf
ihn einschlagenden Schwingen des Kreischers davongetragen hatte, sondern tiefere
Verletzungen, die ihn zurückhielten. Er war benutzt worden, auf monströse Art von den
Schergen des Chaos missbraucht worden. Er hatte nicht begriffen, was das infizierte
Äthergold wirklich war; er war so fasziniert von dessen grandiosem Potenzial, dass er sich
niemals die Frage gestellt hatte, warum es eigentlich so wunderbar kraftvoll war. Das
Äthergold war nichts als eine Lüge gewesen, ein Köder, um die Kharadron zu umgarnen. Ein
Vehikel für das dämonische Grauen, damit es erneut Gestalt annehmen konnte.
Er dachte an Admiral Thorki und all seine Mannschaftsgenossen auf der Sturmbrecher, all
die Duardin, die mit dem Rest der Flotte von Barak-Ungrin untergegangen waren. Er dachte
an die Begleitschiffe des Eisendrachen und an jene aus deren eigener Mannschaft, die getötet
worden waren. All diese Leben hatte Grokmund auf dem Gewissen, all das Blut troff ihm von
den Händen. Es war sein Traum gewesen, der ihnen den Untergang gebracht hatte. Es war ein
Traum, der auf der Lüge eines Dämons errichtet worden war.
Ein Traum, der sich von seiner eigenen Gier nach Anerkennung nährte. Wenn er dies so
besah, war er noch gieriger als Skaggi gewesen. Er hatte zugelassen, dass sein Ehrgeiz ihn für
Dinge blind machte, die er eigentlich hätte sehen sollen, dass er ihn von Fragen abhielt, die er
eigentlich hätte stellen müssen. Wenn es nur er gewesen wäre, der den Preis für solche Hybris
gezahlt hätte, dann wäre das vielleicht etwas gewesen, was er hätte ertragen können.
Das Knistern von Hexerei brachte Grokmund dazu, in Richtung des Brennofens
zurückzuweichen. Er dachte an Thuriks grausigen Tod, als der Prismatische König ihn in eine
verglimmende Hülle verwandelte. Aber dieser Ausbruch von Magie war nicht gegen ihn
gerichtet gewesen. Als er über das Kampfgetümmel von Kultjüngern und Duardin
hinausblickte, sah er den goldenen Dämon und nahe bei dessen Füßen die schlimm
verstümmelte Gestalt von Drumark. Vollkommen zerstört wirkte sie, gehäutet und zerfetzt,
sowohl von Siechtum als auch von Verwundungen verheert. Doch immer noch kämpfte er.
Immer noch bot er seinem Feind die Stirn. Die Magie des Hexers fegte brennend über seinen
Körper hinweg, doch noch immer weigerte er sich, aufzugeben.
Und Grokmund bemerkte noch etwas Anderes. Der Prismatische König half seinem
Hexerschergen nicht. Der riesige Dämon stand wie eingefroren da; seine gewaltige Gestalt
war nur der allergeringsten Regung fähig, sodass er gegen diese Lähmung ankämpfen musste.
Unaussprechliche Wut glomm in seinen Augen auf, während er auf Drumark herabfunkelte.
Wie das sein konnte, wie es dazu gekommen war, das waren Fragen, auf die Grokmund
keine Antwort hatte. Doch die brauchte er auch nicht. Es reichte, wenn der Dämon
aufgehalten wurde. Doch wie lange würde er dann aufgehalten sein? Die furchtbare Aura des
Dämons erfüllte noch immer die Veredelungsanlage. Was auch immer mit ihm geschehen
war, der Prismatische König war noch nicht bezwungen. Er war noch immer da, warte auf den
Moment, in dem er erneut frei sein würde.
Und das war etwas, was Grokmund nicht zulassen konnte. Er wirbelte herum, betrachtete
den Brennofen. Sein Blick fiel auf die Reihen von Zylindern, welche das gewaltige Feuer
nährten, das in seinem Bauch loderte, ungezählte Hektoliter ätzender Chemikalien und
Brennstoffe, die das stärkste Erz zu schmelzen und Äthergold aus gasförmigem in flüssigen
Zustand zu verwandeln vermochten. Er betrachtete auch die Ansammlung von
Notablassventilen. In diesem Moment stand seine Entscheidung fest.
»Zurück zum Schiff!«, brüllte Grokmund laut hervor und betete, dass seine Warnung bis zu
Gotramm und den anderen zu hören sein würde. Noch einmal ließ er seinen Warnruf ertönen
und endlich blickte Horgarr zu ihm herüber. Der Endrinmeister sah ihn auf die Ventile deuten
und sofort machte sich eine grimmige Miene auf Horgarrs Gesicht breit.
Der Endrinmeister wusste genau, was Grokmund tun wollte. Horgarr gab die Warnung an
die anderen Duardin weiter. Sie lösten sich von ihren Gegnern, zogen sich in ein enges Bündel
von Äxten, Piken und Pistolen zurück. Wenn der Moment kam, wären sie bereit zu handeln,
bereit vor der tödlichen Sturzflut zu fliehen, die Grokmund entfesseln würde.
Grokmund besah sich die Batterie von Hebeln erneut. Er konnte besser als jeder andere
abschätzen, was die Mischung aus Chemikalien anrichtete, wenn sie losgelassen würde. Die
anderen Duardin waren ausreichend weit weg, dass sie eine Chance haben würden, der
ausbrechenden Flut zu entkommen. Doch für ihn, das wusste er, gab es kein Entkommen. Mit
dieser Erkenntnis kam ein schleichendes Grauen. Er hatte keine Angst davor, sein Leben für
seine Kameraden zu riskieren, doch hier ging es nicht einfach darum, sein Leben zu riskieren.
Dies war sicherer Tod, ein schrecklicher, abscheulicher und grauenhafter Tod. Und dieses
Wissen ließ ihn zögern.
Doch dann hörte er Drumarks gequälte Schreie. Er konnte sehen, wie der Sergeant von der
Magie des Hexers förmlich auseinandergerissen wurde. Doch trotz der Todesqualen hielt er
aus, weigerte sich, zu fallen und zu sterben. Voller Trotz widerstand er seinem Feind, kämpfte
weiter gegen die Sklaven des Chaos, während sein Körper von Hexerei zerrissen wurde.
Entschlossen stürzte Grokmund auf die Hebel zu. Gerade als er sie erreichte, griffen ihn
mehrere Chaos-Kultjünger an, die zu spät den einsamen Duardin bemerkt hatten, der hinter
der Attacke seiner Genossen zurückgeblieben war. Die Sphären knisternder Magie, die sie auf
Grokmund schleuderten, prasselten gegen seine Rücken. Rohre des Atmosphären-
Anatomisators barsten, versprühten Gase in die Luft. Er taumelte, aber nicht genug, um ihn
von seinem Vorhaben abzubringen. Seine Finger schlossen sich um zwei der Hebel. Mit
einem kräftigen Ruck zog er sie herab und über den Widerstand hinweg, der den
Mechanismus auslöste.
»Brennt!«, knurrte er die maskierten Kultjünger an, als sich die Rohre der Chemikalientanks
öffneten und ihren ätzenden Inhalt über den Boden der Anlage verspritzten. Dies war ein
absoluter Notfallmechanismus, ein letzter Rettungsanker um eine drohende Explosion im
Brennofen selbst zu vermeiden. Es gab sichere Wege, die Chemikalien abzulassen, die Tanks
zu leeren, aber dieser gehörte nicht dazu. Dies war eine geplante Katastrophe, um ein
unabsichtliches gigantisches Hölleninferno abzuwenden.
Für die Kultjünger machte diese Abgrenzung wenig Unterschied. Die tosende Flut der
Chemikalien brandete auf sie herein, badete sie in ätzenden Lösungen und dickflüssigen,
sengenden Säften. Masken schmolzen sich in Gesichter, Waffengurte tropften von
dampfenden Knochen. Mit schrill gellenden Todesschreien fielen die Kultjünger und die
Zauber, die ihre Physis gestärkt hatten, verflogen, als ihre Existenz in einem einzigen
geballten Augenblick der Qual explodierte.
Grokmund eilte zu den anderen Hebeln. Sein linker Fuß wurde zu einer einzigen rot
glühenden Qual, als Chemikalien darüber strömten und im Zeitraum weniger Herzschläge
seine eisernen Stiefel auflösten. Er warf sich auf den Kontrollmechanismus, öffnete weitere
Rohre, ließ weitere Zerstörung in die Sintflut strömen. Brenngase entluden sich in die
Chemikalienflut, entzündeten sich und fügten der zerstörerischen Kaskade eine fauchende
Feuersbrunst hinzu. Chemikalien schwappten ineinander, vermischten sich zu tödlichen
Kombinationen, ließen Wolken giftiger Dämpfe zischend in die Veredelungsanlage
hochschießen. Grokmund sah, wie eine Gruppe geschnäbelter Tiermenschen zusammenbrach,
als der giftige Nebel über sie hinwegrollte.
Grokmund stemmte sich hoch, hin zur letzten Batterie von Hebeln. Seine Beine waren
inzwischen kaum mehr als gekochtes Fleisch und noch immer fraßen sich die Chemikalien
tiefer in seinen Körper. Er biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien, denn er
wusste, wenn er einmal zu schreien anfing, würde er nie mehr aufhören. Er wandte den Kopf,
entschlossen, das volle Ausmaß dessen zu sehen, was er da entfesselt hatte, bevor er dem
selbst zum Opfer fiel.
Gotramm und seine Truppe hatten die Verwirrung und den Schrecken nutzen können, der
mit der brennenden Flut einherging. Die Duardin flohen in den Hauptkorridor und schossen
dabei die wenigen Feinde nieder, welche trotz allem noch die Hartnäckigkeit besaßen, sie
aufhalten zu wollen. Grokmund war sich nicht sicher, ob die Flut über die Ebene der
Veredelungsanlage ansteigen oder sich die entweichenden Gase über die äußeren Gänge
verbreiten würden, aber wenn Gotramms Truppe in Bewegung blieb, sollten sie in der Lage
sein, sich weiter vor der Welle der Zerstörung zu halten.

Brokrin war nicht in der Lage, derart einfach zu entkommen. Rauch und giftige Dämpfe
wurden in Schwaden durch die Veredelungsanlage getrieben und füllten rasch die gewaltige
Kammer. Der Nebel blendete die meisten seiner Feinde, nicht jedoch Tamuzz. Der Kriegsherr
blickte durch den Rauch, der von den Fingerkerzen auf seiner Halsberge aufstieg, und trieb
den Angriff mit unverminderter Wildheit voran. Brokrin floh zu einem der Brennöfen und
kletterte auf ihn herauf. Er nutzte seine höher gelegene Position, um sich vom Feind
fernzuhalten, und war so in der Lage, den Schlot über dem Brennofen zu erreichen, von wo
aus er sich hochzog. Der Kriegsherr sprang hinter ihm her und verfolgte ihn in den Schlot
hinein. Zwei Tiermenschen wollte ihrem Anführer folgen, aber sie schafften es nicht,
schneller als die Flut aus Chemikalien und Rauch zu sein. Gerade als sie den Brennofen
erreichten, brandete die Flut über sie hinweg, fraß sich durch ihre Beine und warf sie
geradewegs in den zersetzenden Morast.

Drumarks Schicksal war bereits besiegelt. So, wie er von den Zaubern des Hexers gepeinigt
und aufs Schrecklichste verwandelt worden war, stellte es für ihn eine Gnade dar, als der
zähflüssige brennende Strom ihn schließlich verschlang. Dort, wo er vor dem goldenen Koloss
zu Boden gesunken war, verwandelte er sich in einen lebenden Scheiterhaufen, ein heftig und
kurz hochflammendes Lodern, das genauso rasch auch wieder erlosch.
Die Vernichtung des Prismatischen Königs jedoch war etwas, das sich langwieriger
gestaltete. Das Glühen, das vom goldenen Avatar des Dämons ausging, veränderte sich, wurde
zu einem düsteren Rot, gleich der letzten Glut eines ersterbenden Feuers. Doch anstatt einfach
zu verlöschen, wurde das Glühen rasch stärker. Von den Beinen breitete es sich zur Hüfte aus,
über die Brust, die Arme und Schwingen herab. Der vogelähnliche Kopf glühte von diesem
vulkanischen Licht auf. Heißer und heißer wurde es, nährte sich aus dem Äthergold. Risse
erschienen in der Haut des Dämons, geschmolzenes Erz strömte durch die Ritzen. Die Beine
begannen zu gerinnen, verdampften in dem feurigen Sumpf der Chemikalien. Für einen
Zeugen hätte es ausgesehen, als sänke der Dämon in einem Morast ein, als würde er von einer
gigantischen Kraft hinabgezogen.
Noch immer von der Macht seines wahren Namens in der Starre gehalten, verschwand der
Prismatische König in diesem Säuretümpel, sein stoffliches Avatar wurde von den rasenden
Gewalten der Äther-Khymie verschlungen. Die Facettenaugen flammten böse und unheilvoll
auf, als der Kopf schließlich auch in den zersetzenden Schlamm sackte. Ein
seelenzerreißender Schrei raste durch die rauchgefüllte Veredelungsanlage, ein Schrei ewigen
Zorns, ewigen Trotzes, der den Stein des Berges bis zu seinen Grundfesten hin erschütterte.
Im nächsten Moment war alles, was von dem Dämon übrig blieb, ein goldener Ölfilm auf
der dahinströmenden Flut.
Nur einer des Chaoskults blieb zurück, um Zeuge der Auflösung des Prismatischen Königs
zu werden. Der deformierte Hexer schwebte über dem ätzenden Morast, hielt sich dort
mithilfe machtvoller Magie in der Luft. Das gefiederte Geschwulst, das sich aus seinem Hals
wölbte, stieß ein klagendes Heulen aus, doch der Hexer blickte nur über die Orgie der
Zerstörung hinweg auf Grokmund. Dem Äther-Khymiker verschaffte es ein grimmiges
Vergnügen, die Wut dieses Schurken zu sehen. Die Kultjünger hatten ihn benutzten wollen,
um ihren Dämon zu befreien. Doch am Ende war es ihre kleine, glücklose Spielfigur gewesen,
die das Geschick gegen sie gewendet und so ihre üblen Bestrebungen durchkreuzt hatte.
Bevor der Hexer sich wieder fassen und einen tödlichen Zauber gegen ihn entfesseln konnte,
ließ Grokmund die Hebel der Maschinerie los. Er fiel rückwärts in den chemischen Sumpf
unter ihm. Der Schock, als er in diese Säureflut fiel, war so groß, dass ihm jedes weitere
Gefühl des Schmerzes aus den Nerven gebrannt wurde. Er fühlte nichts, als die Säure ihn
verschlang.

Gotramm und seine Truppe eilten durch die dunklen Gänge. Nach dem gespenstisch
verzehrenden Licht, das von dem Prismatischen König ausgegangen war, erschien ihnen die
Leuchtkraft der Zunderlampen, die sie an Haken entlang der Säulen und Wände auf dem Weg
zurückgelassen hatten, geradezu schwächlich. Hinter ihnen konnte Gotramm die Schreie der
Kultjünger hören, als die giftigen Gase, die aus der Veredelungsanlage herauswallten, über sie
dahinfuhren. Die qualvollen Todesschreie stachelten die Duardin zu noch größerer
Schnelligkeit an. Trotz Verletzungen und Müdigkeit raffte jeder von ihnen das letzte
Quäntchen Energie zusammen, um noch eine Spur schneller zu laufen.
Erst als der schreckliche, boshafte Schrei die Luft um sie herum aufzusaugen schien und
dann die umfassende Leere, die darauf folgte, wussten die Duardin, dass Grokmund Erfolg
gehabt hatte. Gotramm fühlte nicht länger die üble Präsenz des Prismatischen Königs, sein
Körper zitterte nicht länger in namenlosem Grauen.
»Grokmund muss ihn getötet haben«, keuchte Gotramm, während er weiter durch die Hallen
rannte. Er warf einen kurzen Blick zurück auf den Weg, den sie gekommen waren, sah eine
der Zunderlampen flackernd erlöschen, als die Chemikalien über die Säule hinwegspülten, an
der sie angebracht worden war. Der Anblick trieb ihn vorwärts, wusste er doch, dass die Gase
ihn selbst so leicht auslöschen konnten wie diese Lampe.
»Denkst du, er hat’s geschafft, Käpt’n?«, fragte ihn einer der überlebenden Arkanauten mit
verzweifelter Hoffnung in der Stimme.
Horgarr musste ihm diese Illusion rauben. »Selbst wenn er über die Flut hätte klettern
können, hätte er nirgends hingehen können«, erklärte der Endrinmeister. »Die Dämpfe hätten
ihn genauso schnell erledigt wie die Säure. Nein, für Grokmund gibt es kein Entkommen. Und
er wusste das. Er hat uns die Gelegenheit zu entkommen erkauft.«
»Und eine Gelegenheit, den Dämon zu vernichten«, fügte Gotramm hinzu. Wieder schaute
er zurück auf den Weg, den sie gekommen waren. Er sah vor der Gaswolke eine dunkle Form
auf sie zurasen. Eine Sekunde lang zögerte er, dachte, das könnte ein Duardin sein. Als er aber
die goldene Maske vor dem Gesicht des Kultjüngers sah, zielte er mit seiner Pistole und
feuerte. Der Schuss traf den Mann, erwischte ihn an der Seite. Der Mann stürzte zu Boden,
dann heulte er auf, als die Chemikalienwolke einen Moment später über ihn hinwegrollte.
Gotramm steckte die Waffe ins Holster und beschleunigte seinen Lauf. Er hatte seinen
Schuss zurückgehalten, denn auch er hatte noch Hoffnung gehegt. Nicht, dass Grokmund
entkommen könnte, sondern dass Brokrin es vielleicht geschafft hätte. Als er ihn das letzte
Mal gesehen hatte, hatte er gegen den Chaos-Kriegsherrn gekämpft. Nur die Ablenkung durch
Brokrin und Drumark gerade im rechten Augenblick hatte den Duardin den Aufschub
gewährt, den sie so dringend gebraucht hatten, um sich gegen den Feind zu sammeln und Mut
zu fassen. Wenn die beiden nicht gewesen wären, so wären sie alle vom Kult des
Prismatischen Königs erledigt worden. Vernichtet, so wie Thurik vernichtet worden war.
Für Drumark gab es keine Chance, aber Gotramm wollte glauben, dass Brokrin überlebt
hatte. Da war so viel, was er dem Kapitän schuldete, nicht zuletzt eine umfassende
Entschuldigung. Brokrin hatte in allem Recht gehabt, aber die Mannschaft war zu blind
gewesen, das zu sehen. Sie hatten gegen einen Anführer gemeutert, der sie alle von einer Fahrt
ohne jeden Gewinn hatte abhalten wollen, die nur Gefahr und Tod versprach. Gotramm fühlte
eine tiefe Schuld gegenüber dem Offizier, gegen den er rebelliert hatte. Seine Sorge war, dass
keine Zeit mehr blieb, diese Schuld zurückzuzahlen.
Die Gänge um die fliehenden Kharadron bebten. Dreck und Steine prasselten von der Decke
herab. Die Kharadron stolperten und taumelten um Halt ringend umher, als die
Erschütterungen drohten, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie fassten einander bei den
Armen, halfen einander, da sie wussten, dass jetzt zu stolpern bedeutete, Opfer der
herannahenden Säureflut zu werden.
»Der Berg bricht auseinander!«, schrie Gotramm seiner Truppe zu. Größere Felsbrocken
brachen aus der Decke und stürzten krachend herab. Säulen schwankten und Pfeiler neigten
sich. Die Eingänge von Gebäuden bekamen Risse, brachen unter der von oben eindrückenden,
herabstürzenden Last zusammen. Wie lange auch Finnolfs Festung hoch über dem Dschungel
schwebend den Gesetzen der Natur getrotzt haben mochte, die Zeiten ihres Trotzes hatten nun
ein Ende. Gotramm wusste nicht, ob die von Grokmund entfesselten Chemikalien sich ihren
Weg herunter zu irgendeiner versteckten Maschinerie gebrannt hatten oder ob die Auflösung
des Prismatischen Königs irgendeine arkane Magie aus dem Gleichgewicht gebracht hatte,
Alles, was er wusste, war, dass der gesamte Gipfel ihnen um die Ohren zu fliegen drohte.
»Zum Eisendrachen!«, schrie er und trieb seine erschöpften Duardin zu einer letzten
Anstrengung an. Ihr Schiff war jetzt ihre einzige Chance, die einzige Möglichkeit, die sie noch
hatten, diesem einstürzenden Außenposten zu entkommen. Und während Gotramm das in aller
Deutlichkeit klar wurde, dachte er an Brokrin. Wenn er tatsächlich die Chemikalienflut
überlebt hatte und aus der Veredelungsanlage entkommen war, welche Chance hatte er dann
noch, wenn er vom Schiff abgeschnitten war?
KAPITEL FÜNFZEHN

Die Hitze des chemischen Feuers, die unter ihm wütete, machte es ihm schwer zu atmen. Jeder
keuchende Atemzug fühlte sich für Brokrin an, als sauge er damit schwelende Glut in seine
Lungen. Der Schlot war kaum breit genug für seinen Körper und rief so in ihm ein
schreckliches Gefühl der Klaustrophobie hervor, das er krampfhaft zurückdrängen musste. Er
hatte sich zusammengekrümmt, die Füße gegen die eine Wand gestemmt, während er mit dem
Rücken die andere hochglitt. Auf solch engem Raum war es nicht schwierig, zu verhindern,
dass man rutschte und zurück in die Veredelungsanlage stürzte. Der anstrengende Teil war,
dabei auch irgendwie voranzukommen, dieses vertrackte Weiterschieben der Beine
hinzubekommen, um sich langsam nach oben zu arbeiten.
Brokrin nahm dabei nicht seine Hände zu Hilfe. Die waren allzu sehr damit beschäftigt,
neue Munition in die Salvenpistole zu laden. Selbst durch die Schreie und das zersetzende
Gebrodel, das durch die Veredelungsanlage widerhallte, konnte er das an seinen Nerven
zerrende Geräusch hören, das die Rüstung seines Verfolgers machte, wenn sie gegen die
Wände schrammte, während Tamuzz sich allmählich hinter ihm her den Schlot hocharbeitete.
Im Licht der Feuer, die dort unten loderten, konnte er den Kriegsherrn sehen. Der Mensch
hätte Brokrin längst erreichen können, hätte er die massive Gleve fallengelassen, die er trug.
Tamuzz hielt sie jedoch hartnäckig fest, und so kam er nur unbeholfen voran, musste jeden
kleinen Fortschritt seiner schleichenden Verfolgung mit einem mühsamen Umherwuchten
seiner ungeschlachten Masse erkämpfen. Brokrin fand in dieser verlangsamten Annäherung
nur schwachen Trost. Wenn seine eigene Klettergeschwindigkeit nachließ, würde Tamuzz
gnadenlos aufholen und durch die große Reichweite seiner Gleve brauchte es nicht viel, um
den Duardin in arge Bedrängnis zu bringen.
Da war nur eins, wofür Brokrin dankbar sein konnte. Da der Chaos-Kriegsherr sich unter
ihm befand, traf der Großteil der von unten hochwallenden, giftigen Dämpfe nicht ihn,
sondern Tamuzz. In das metallische Scharren und Knirschen seiner Rüstung gegen die Wände
mischte sich ein stetiges Husten und Würgen, wenn die ätzenden Dämpfe den Kriegsherrn
trafen. Wenn schon Brokrin die Luft in den Lungen brannte, dann konnte er sich nur schwer
vorstellen, was dies seinem Feind antun musste.
Ein heftiges Beben ging durch den Schlot. Brokrin konnte mit seinem Rücken und durch die
Sohlen seiner Stiefel fühlen, wie die Wände zitterten. Die alles erfüllende Präsenz des
Prismatischen Königs löste sich auf, verschwand dann gänzlich. In diesem Moment wusste er,
egal was sonst noch geschehen war, die Kharadron hatten gewonnen. Der Plan des Chaos, den
Großdämon zu beschwören, war durchkreuzt worden. Und daneben war alles andere, was
sonst noch geschah, unbedeutend.
Von unten her schoss die Spitze der Gleve empor, stach nach Brokrin, spornte ihn zu
vermehrter Anstrengung an. Er packte die nachgeladene Pistole fester und zwang sich, sich
aufwärts zu schieben. Die bebenden, zitternden Wände drohten, ihn in Tamuzz’ Richtung
zurückrutschen zu lassen. Die Vorstellung, auf die Gleve zu treffen, sich selbst auf die
mörderische Klinge aufzuspießen, rief in ihm das Gefühl hervor, als schlössen sich eiskalte
Finger um sein Herz.
Die Erschütterungen, die die Wände durchliefen, verstärkten sich noch weiter. Es schien
Brokrin, als würde sich der Außenposten selbst zerreißen. Fernes Grollen trommelte auf den
Rand seines Hörsinns ein, die schwachen Echos der Vernichtung, die durch die dicken
Felswände rings um ihn her abgedämpft wurden. Visionen von berstenden Pfeilern
überschwemmten seinen Geist, von Säulen die zusammenbrachen wie gefällte Baumstämme,
Decken von Gängen und Kammern, die herabstürzten und alles zu Staub zermahlten, was sich
unter ihnen befand. Ein Schauer fuhr ihm über die Haut, als er sich die zermalmten Körper
vorstellte, die unter Tonnen von Trümmern begraben lagen, ihre sinnlosen Rufe nach Hilfe,
während sie allein in der Dunkelheit starben.
Schneller. Wenn er nur schneller vorankäme, dann könnte Brokrin vielleicht die Oberfläche
erreichen. Er könnte hier raus, bevor das Beben die Wände des Schlotes zusammenpressen
und ihn zu einem roten Fleck zermalmen würde. Er konnte aus dieser erdrückenden
Dunkelheit herausklettern, auf den Hang des Berges hinaussteigen.
Und was dann? Dann saß er auf den schneebedeckten Hängen fest, allein und ohne
Hoffnung auf Rettung? Um einen langsamen Tod durch Kälte, Durst und Hunger zu erleiden?
Oder wenn der Berg tatsächlich auseinanderbrach, würde er dann einfach geradewegs in die
Tiefe stürzen, hinab zum Dschungel, weit, weit unter ihm? Ein bitteres Lachen entrang sich
rasselnd Brokrins Kehle. Ein solches Schicksal würde zu dem Lauf seines Glücks passen.
Ghazuls Fluch, der sich bis zum bitteren Ende hin erfüllte.
Die Verzweiflung, die ihn erfasste, führte dazu, dass Brokrin zauderte. Die Gleve stieß zu
ihm hoch, ihre heiße Schneide scharrte gegen seine Rüstung. Mehr aus Instinkt als durch
bewussten Impuls kletterte er weiter. Er fühlte, wie die Waffe des Chaoslords ein zweites Mal
nach ihm stieß, wie die flammende Spitze seine Beinkleider versengte.
Klettern. Das war alles, was er tun konnte. Klettern und klettern und klettern. Brokrin durfte
nicht aufhören, durfte auf keinen Fall in Reichweite der grausigen Klinge kommen. Er musste
weiter und weiter, bis er den oberen Ausgang erreichte. Dort im Licht stehen, fühlen, wie der
Wind ihm den Bart zerzauste, den Atem tief in seine Lungen ziehen, Luft, die rein war und
nicht voller beißender Dämpfe und Chemikalien. Weiter hoch, wenn er nur weiter
hochkletterte, dann könnte er unter dem freien Himmel sterben, den er so viele Jahre bereist
hatte. Er könnte dann den prachtvollen Ausblick auf die Welt zu seinen Füßen sehen und das
wunderbare, herrliche, unendlich weite Panorama des Himmels.
Und vielleicht überlebte er doch. Wer konnte das schon sagen? Irgendein Wunder mochte
geschehen, durch das Brokrin von dem Gipfel gerettet würde. Es war schon Seltsameres
geschehen.
Neue Hoffnung strömte durch Brokrins Glieder. Er schob seine Füße und seinen Rücken mit
größerer Entschlossenheit an der Wand entlang. Und während er das tat, fühlte er, wie die
Gleve erneut nach ihm stocherte. Das brennende Stechen der Spitze brachte aber auch einen
schrecklichen Verdacht mit sich. Wo war dieser neue Ansturm der Hoffnung hergekommen?
Das war nichts, was sich aus seinen eigenen Gedanken nährte. Was hatte einen so jähen und
beherrschenden Ansporn ausgelöst?
Er blickte hinab auf den ihn verfolgenden Kriegsherrn. Auf den Feind, der nahe genug
herankam, um ihn mit seiner Waffe zu stechen und anzustacheln, aber nicht nahe genug, um
ihn einzuholen. Brokrins Gesicht verfinsterte sich, schlug seinen Kopf gegen die Wand im
Versuch, die fremde Präsenz aus seinem Hirn zu verbannen. Er wurde benutzt, so wie auch
schon Drumark und Grokmund vor ihm. Das Chaos hatte sich wie ein Parasit an seinen
eigenen Trieben festgesetzt.
So sicher war sich Brokrin dieser Überzeugung, dass er zu klettern aufhörte. Er bot sich dem
mörderischen Stoß der Gleve dar. Doch stattdessen war alles, was er fühlte, der gleiche
anstachelnde Stich, der gleiche leichte Stoß, der ihn weiter antreiben sollte. Während die
Wände weiter um ihn erzitterten, nutzte Brokrin seine Füße, um seine Lage zu stabilisieren. Er
schwang seine Salvenpistole herum, zielte mit ihr abwärts.
»Ich werde dich nicht hier herausführen«, knurrte Brokrin und feuerte seine Waffe auf
Tamuzz ab. Der Schlot war vom blendenden Blitz der Ätherentladung der Waffe erfüllt. Der
Donner aller Läufe, die zugleich abgefeuert wurden, war ohrenbetäubend, löschte das ferne
Grollen stürzender Säulen und einbrechender Räume aus.
Von unten her kam ein gleißender Blitz saphirfarbenen Lichts. Als sein Schein verebbte,
konnte Brokrin Tamuzz sehen, der ihn anstarrte, unverletzt von den Schüssen, die aus dieser
geringen Entfernung auf ihn abgeschossen worden waren. Stattdessen waren, in einem Ring
rund um den Kriegsherrn, die Wände des Schlots mit Einschusslöchern gespickt. Brokrin
konnte das langsam versiegende blaue Glühen sehen, das um die Bannsiegel flackerte, die in
die Rüstung des Kriegsherrn geprägt worden waren.
»Diese Lektion hättest du zuvor schon begreifen sollen«, höhnte Tamuzz. »Es ist mir nicht
bestimmt, durch deine Hand zu sterben. Die Magie, die ich durch den Wandler erlernt habe,
ist vielleicht weniger protzig als die Khorams, aber auf ihre Art keinesfalls weniger machtvoll.
Sie bewahrt mich für mein mir bestimmtes Schicksal. Sie bringt die Dinge zu mir, die meinen
Zielen nützlich sind.«
Brokrin schleuderte in einem Anfall von Wut die leergeschossene Salvenpistole auf den
Kriegsherrn herab. Doch selbst dieses eher grobe Geschoss verfehlte Tamuzz, streifte die
Wand und fiel scheppernd durch den einzig freien Zwischenraum an seinem Kopf vorbei.
»Ich bin nicht deine Marionette!«, grollte Brokrin. »Finde selbst deinen Weg hinaus!«
Ein trockenes, bösartiges Lachen kam von dem Kriegsherrn. »Du denkst, ich brauche dich,
um mich aus diesem Ort herauszuführen? Ich könnte hier weg, wann immer ich es wollte. Nur
ein Stoß, so wie der!« Tamuzz stieß mit der Gleve aufwärts. Brokrin fühlte, wie sie sich gegen
ihn drückte, den scharfen Stoß ihrer heißen Spitze gegen seine Rüstung. Bevor sie jedoch
durch seine Haut dringen konnte, wurde die Waffe zurückgezogen.
»Oder ich könnte ganz einfach den magischen Schutz um uns aufheben«, erklärte Tamuzz.
Augenblicklich fühlte Brokrin, wie die Wände um ihn herum mit größerer Heftigkeit zu
schwanken begannen. Er musste all seine Kraft darauf verwenden, nicht in die Tiefe zu
rutschen, was durch die kochend heiße Luft, die er atmen musste und das ätzende Beißen der
Chemikalien darin noch erschwert wurde. Einen Augenblick nur dauerte es, dann ließen
sowohl die Hitze als auch die Macht des Bebens wieder nach. Brokrin wusste nicht, ob
Tamuzz seine Magie benutzt hatte, um die Gefahren um sie herum zu verstärken, oder ob er
tatsächlich seine Zauberbanne benutzte, um sie zu unterdrücken. Was auch immer, so war die
Botschaft doch die gleiche. Er war dem Kriegsherrn ausgeliefert.
»Dann beende es jetzt«, spie er ihm entgegen. »Beende es, verdammter Dreckskerl!«
Tamuzz lachte erneut, aber jetzt war der Klang von brennendem Hass durchdrungen. »Es
wäre so leicht, dich einfach nur zu töten. Hast du irgendeine Vorstellung davon, was du getan
hast? Von dem Traum, den du durch deine Einmischung zerstört hast? Lange hat der
Prismatische König darauf gewartet, in die Reiche der Sterblichen zurückzukehren und Rache
an seinen Feinden zu nehmen. Ich wurde auserwählt, diese glorreiche Tat zu vollbringen. Aber
du, du erbärmlicher Himmelsdieb, hast meine Pläne durchkreuzt. Du hast Verhängnis über
mich gebracht. Wo Hexer und Kriegsherrn, die Legionen der Donnerritter und die Horden der
Orruks versagten und mich nicht besiegen konnten, warst du erfolgreich. Es gibt nichts, was
ich tun kann, um dieses Versagen wiedergutzumachen, keine Buße, die ich leisten kann, um
mich in den Augen des Wandlers von dieser Schuld reinzuwaschen. Für mich gibt es keine
Hoffnung mehr.« Wieder stieß er mit der Gleve aufwärts, drückte sie in Brokrins Seite und
zwang ihn, weiter hochzuklettern, heraus aus seiner Reichweite.
»Alles hast du mich gekostet«, verkündete Tamuzz. »Im Moment meines Triumphes, als ich
gerade dabei war, meine Hand danach auszustrecken, wurde mir alles genommen.« Aus
Augen voller Hass funkelte er Brokrin an. »Nein, es ist längst nicht genug, dich einfach nur zu
töten. Nicht einmal annähernd genug. Ich werde mit meinen Augen sehen, wie du die Hand
nach den Früchten deiner Hoffnung ausstreckst, nur damit sie dir entrissen werden. Wenn du
stirbst, dann soll die Bitternis des Versagens, das Entgleiten eines so nah geglaubten Sieges,
der Geschmack sein, der deine entfliehende Seele tränkt. Mir tut es nur leid, dass du zu
schlicht bist, um nach Höherem zu streben, als einfach nur diese Katakomben zu verlassen
und noch ein einziges Mal den freien Himmel zu sehen. Und doch wird dieser Traum, diese
kleine Hoffnung genügen müssen. Weh tun wird es, Himmelsdieb, wenn selbst eine so geringe
Hoffnung deinen zugreifenden Fingern entrissen wird.«
Wieder stieß die Gleve nach Brokrin. Er biss die Zähne zusammen und begann erneut zu
klettern. So wie Tamuzz gesagt hatte, war sein Lebenswille zu stark, um ihn einfach
aufzugeben, selbst wenn er begriff, dass sein Überleben nur der Laune seines Feindes
geschuldet war. Der trügerische Lockruf der Hoffnung trieb ihn weiter. So schwach und
unwahrscheinlich sie auch schien, ihrem Ruf konnte er sich dennoch nicht versagen.
Erneute Stöße ließen den Schlot erbeben. Staub und Trümmer prasselten jetzt den Schacht
herab. Die dumpfen, erstickten Geräusche der Vernichtung schwollen an, erhoben sich zur
Lautstärke eines stetigen Donnerns. Der Gipfel wurde auseinandergerissen. Was immer
Tamuzz ihm auch antun wollte, er fragte sich, ob es schlimmer sein konnte, als zwischen den
Wänden des Schlotes zerquetscht zu werden.
Eine morbide Verzweiflung schloss ihre Krallen um Brokrins Geist. Doch dann hob er
seinen Blick und bemerkte den schwachen Lichtschimmer über sich. Tageslicht! Das Ende des
Schachts. Endlich! Dort wartete Freiheit, dort wartete die Befreiung aus der
klaustrophobischen Gruft dieses Schlots. Einen Moment lang beschleunigte er seinen
Aufstieg, konzentrierte all seine Kraft auf eine letzte, verzweifelte Anstrengung.
Der Moment verging. Brokrins Erregung zerrann zu einem Morast der
Niedergeschlagenheit. Was würde es schon nützen, noch weiter zu klettern? Tamuzz würde
ihn töten, bevor er das Ende des Schachts erreichte. Er fühlte, wie die Spitze der Gleve ihm in
den Rücken stieß, ihn weitertreiben wollte.
Der Stich des Schmerzes beschwor in Brokrins Geist ein verzweifeltes Manöver herauf. Es
gab einen einzigen Vorteil, den er vor Tamuzz hatte. Der Chaoslord war von der Gier nach
Rache erfüllt, genoss jeden Moment, in dem er ihm Leid zufügen konnte. Das hieß, dass
Tamuzz ihn am Leben halten wollte, zumindest, bis sein Hass befriedigt war. Das mochte
genügen, um den Kriegsherrn im entscheidenden Moment zögern zu lassen.
»Siehst du die Sonne«, verspottete ihn Tamuzz von unten her. »Na klettere schon hoch!
Vielleicht lasse ich dich in ihrem Licht stehen. Vielleicht kannst du noch ein letztes Mal den
Himmel anschauen. Klettere!« Er stieß mit der Gleve nach Brokrin. Als der sich weigerte, sich
zu rühren, stieß Tamuzz ein weiteres Mal.
Brokrin handelte augenblicklich. Als Tamuzz nach ihm stieß, beugte er sich von der Wand
fort, drückte seinen Rücken vom Schlot weg. Eine Sekunde lang rutschte er abwärts, dann
drückte er seine Beine durch und presste seinen Rücken wieder gegen die Wand. Der
Unterschied lag im heißen Brennen der Waffe des Chaoslords. Sie saß zwischen Brokrins
Körper und der Wand fest.
Instinktiv versuchte Tamuzz, die Waffe frei zu stemmen. Und da reagierte Brokrin. Er zog
seine Beine an und ließ sich den Schacht hinunterfallen. Da die Gleve jetzt über ihm war,
bestand keine Gefahr, dass er sich selbst auf der Waffe aufspießte. Stattdessen schlug sein
ganzes Gewicht auf Tamuzz ein. Schutzsiegel flackerten an seiner Rüstung auf, doch ihre
Zauber reichten nicht aus, ein Geschoss von der Größe des herabstürzenden Kharadron
abzuwehren. Auch konnte Brokrin in dem engen Raum des Schlots nirgendwohin abgelenkt
werden.
Brokrin schmetterte in den geschockten Tamuzz hinein, dreihundert Pfund gepanzerter
Duardin brachen den Halt der Finger des Chaoslords an der Wand und den Griff um seine
Gleve. Mit einem Schrei riss es den Kriegsherrn den Schacht hinab. Getreu seiner
selbstgefälligen Behauptung, was seine arkanen Schutzzauber und sein Geschick betraf, war
es dann auch nicht die Hand eines Sterblichen, die ihm den Untergang brachte. Es war der
kochende See ätzender Chemikalien, der am Grund des Schlotes schwelte.
Brokrin wäre Tamuzz in sein Verderben gefolgt, wäre da nicht die Gleve des Kriegsherrn
gewesen. Brokrin packte sie und während er fiel, drehte er sie mit einer heftigen Bewegung
zur Seite. Der Stein kreischte auf, als die brennende Gleve über ihn hinweg fuhr. Wie tief er
weiter fiel, bevor die Gleve Halt fand, konnte er nicht sagen. Alles, was er wusste, war, dass
sie schließlich seinen Fall aufhielt. Zwischen den Wänden eingekeilt, bildete die Gleve für
Brokrin eine Strebe, an der er sich festhalten konnte, und die ihm einen Ausgangspunkt für
einen erneuten mühsamen Aufstieg bot.
Die Wände zitterten und bebten rings um ihn herum, die Luft war ein beißender Dunst, doch
Brokrin setzte seinen Aufstieg mit größerer Energie als zuvor fort.
Als er schließlich aus dem Schlot hervorstieg, schlug die Erschöpfung über Brokrin
zusammen. Er brach einfach neben der Schachtöffnung zusammen. Alles, was er tun konnte,
war, sich von den stetig dem Schlot entströmenden Schwaden giftiger Dämpfe
wegzuschleppen. Der Boden unter ihm bebte, die Hänge ringsherum waren geborsten und
ließen riesige Steinbrocken auf den Dschungel darunter herabregnen.
Brokrin sah sich um und versuchte abzuschätzen, wo am Gipfel er sich befand. Er sah
schneebedeckte Hänge und ein paar massive Steintürme, einen Wald aus Schloten, die Ströme
von Rauch in die Luft spien. Er konnte keine Spur des Lufthafens oder der großen Wachtürme
erkennen, erst recht nicht das Dock, an dem der Eisendrache angelegt hatte. Grimmig zog er
in Erwägung, dass er auf der anderen Seite des Gipfels sein könnte. Weit weg von seinen
Kameraden und von jeder Hoffnung auf Rettung.
Es war ohnehin gleichgültig, entschied Brokrin. Der Aufruhr des Berges verschlimmerte
sich und machte jede Chance auf Flucht fraglich. Wenn Gotramm zum Schiff zurückgelangt
war, dann hoffte er, dass sie schon abgelegt und davongesegelt waren. Der Gedanke, dass es
dem Schiff und seiner Mannschaft gelungen war zu überleben, erschien ihm äußerst trostreich.
Einer der riesigen Türme, die in der Nähe standen, zerbrach plötzlich und stürzte in einem
wilden Durcheinander gewaltiger Trümmerbrocken ein. Brokrin sah seiner Zerstörung mit
einem Gefühl von Schicksalsergebenheit zu.
Jetzt könnte es nicht mehr lange dauern.

»Hoch! Hoch! Hoch!«, schrie Gotramm, als er die Überlebenden aus der Veredelungsanlage
im Laufschritt über das Dock auf den Eisendrachen zuführte. Rings um sie herum fiel der
Außenposten in sich zusammen. Statuen sackten von der Wand des Berges weg, krachten in
donnernden Gerölllawinen herab. Türme barsten aus ihrer Verankerung und sausten wirbelnd
in den Dschungel unter ihnen. Ein kompletter Anleger brach durch und regnete Richtung
Erde.
Gaskarabiner bellten auf, als die Kharadron, die noch auf dem Schiff waren, das Feuer auf
die Tiermenschen und Kultjünger eröffneten, die aus dem Eingang des Außenpostens
hervorstürmten. Sowohl Menschen als auch Tierbrut wurden niedergemäht, bevor sie noch
zuschlagen konnten. Ein paar wenige wandten sich zu den Tunneln zurück, doch der Anblick
der ätzenden Wolke, die ihnen hinterherrollte, trieb sie doch dazu, stattdessen das Schiff
anzugreifen. Sie zogen die Schusswaffen der Duardin vor und die Mannschaft des
Panzerschiffs kam dem Wunsch nur zu bereitwillig nach. Die Giftwolke wälzte sich über Tote
und Sterbende, hüllte sie ein und wallte dann über den Rand des Docks hinweg.
Gotramm ließ sich, nachdem er die Planke passiert hatte und an Bord gegangen war, müde
gegen das Schandeck fallen. Er tat ein paar keuchende Atemzüge, dann eilte er weiter und rief
dabei der Mannschaft Befehle zu. »Ablegen! Der ganze Gipfel bricht zusammen!« Er
erreichte den Steuerstand und bellte Vorki Befehle zu, das Schiff in Bewegung setzen.
Die Mannschaft hatte die Gefahr um sie herum bereits erkannt. Sie hatten, schon als die
Erschütterungen begannen, die Vorbereitungen zur Abfahrt getroffen. Alles, was zu tun blieb,
war das eigentliche Ablegen, und das wurde von Mortrimm und Lodri durchgeführt. Der alte
Navigator hob eine schwere Axt und durchtrennte die Ankerketten am Heck, während Lodri
sich um die am Bug kümmerte. In dem Moment, als der Eisendrache frei war, schoss sie
aufwärts, stieg rasch über den zum Untergang verdammten Außenposten empor. Die
Kharadron konnten beobachten, wie unter ihnen das Dock, an dem sie angelegt hatten,
wegbröckelte. Ein massiver Steinbrocken brach aus dem Gipfel darüber weg, trudelte abwärts
und schmetterte geradewegs durch die Stelle, wo sie sich zuvor noch befunden hatten.
»Das Schiff wegziehen!«, gab Gotramm den Befehl.
Mortrimm schenkte ihm einen gequälten Blick und die Farbe wich aus seinem Gesicht.
»Was ist mit den anderen?«, fragte er, und seine Stimme war beinah ein Flüstern.
Gotramm schüttelte den Kopf. »Es gibt keine anderen«, erklärte er. Er ließ seinen Blick über
die restlichen Duardin an Deck gleiten. »Es gibt keine anderen«, wiederholte er. »Wir sind der
Rest. Sonst kommt keiner mehr.« Er wandte sich wieder zum Steuerstand um. »Vorki! Schaff
uns hier weg, bevor es uns zermalmt!«
Kein Jubel erklang, als sich der Eisendrache weg von dem zusammenbrechenden
Außenposten in die Lüfte erhob. Die Kameraden mitgezählt, die sie schon vorher in Gefechten
verloren hatten, brachten die, welche in Finnolfs Festung gestorben waren, die Zahl der
Todesopfer auf über ein Drittel der Besatzung des Panzerschiffs. Die Besatzung war bei dem
Gedanken, dass Kameraden wie Thurik, Drumark, und selbst Skaggi nun für immer von ihnen
gegangen waren, von Trauer erfüllt.
Arrik kratzte sich unter der Augenklappe und grummelte in seinen Bart. »All das Äthergold
ist verloren«, murmelte er.
Gotramm wirbelte zu dem Harpunier herum und sein wütender Blick bohrte sich in ihn. »Es
gab kein Äthergold!«, knurrte er. »Das alles war ein Trick, ein vom Chaos
heraufbeschworener Zaubertrug. Was wir hierher gebracht haben, war kein Äthergold,
sondern die Essenz eines Dämons, die nur darauf wartete, dass sie Gestalt annehmen konnte!«
Arrik wich vor ihm zurück, entgeistert nicht nur durch Gotramms Ton, sondern durch den
Ausdruck des Grauens in seinen Augen. »Ich meinte doch nur … all das, was wir
durchgemacht haben …«
Horgarr lachte, doch es lag keinerlei Heiterkeit in diesem Klang. »Wenn wir auf Brokrin
gehört hätten, wäre nichts davon geschehen. Er wusste es. Vom ersten Moment an wusste er,
dass etwas nicht stimmt.«
Ein heftiges Schuldgefühl ergriff Gotramm, als er Horgarrs Worte hörte. Er hatte recht.
Wenn sie doch nur auf Brokrin gehört hätten.
»Vorki!«, rief er zum Steuerstand hoch. »Halt uns nahe an Finnolfs Festung! Ich will nach
Überlebenden Ausschau halten.«
Mortrimm packte Gotramm, als dieser zum Bug des Schiffes eilen wollte. »Denkst du, da
drin lebt noch jemand?«
Gotramm schüttelte ihn ab. »Ich glaube es nicht«, sagte er Mortrimm, »aber bei all meinen
Ahnen, ich bete darum.«
Gotramm spähte durch das Fernrohr und suchte den Berg unter ihnen ab. Der Gipfel
zerstörte sich weiter selbst; ganze Teile der Hänge stürzten ein, als die Kammern im
Berginnern in sich zusammensackten. Das düster dreinblickende Antlitz des Thans brach weg
und versiegelte den Eingang. An diesem Punkt sagte Gotramm zu Vorki, er solle das Schiff
wenden und auf die andere Seite des Berges fliegen. Selbst wenn einer ihrer Mannschaft einen
Weg durch die Giftflut hindurch gefunden hätte, wäre es ihm dennoch unmöglich, sich durch
all den Schutt und das Geröll hindurch zu graben.
Er wusste, dass er nach Brokrin suchte. Gotramm konnte einfach nicht hinnehmen, dass er
fort sein sollte, dass seine Ehrenschuld ihm gegenüber niemals beglichen werden konnte. Er
hatte Skaggi dabei geholfen, die Mannschaft zur Meuterei zu überreden. Das war ein Unrecht,
das er nun nie wiedergutmachen konnte.
Als das Schiff den Gipfel umrundete, erweckte das eigenwillige Muster einer der sich in den
Himmel erhebenden Rauchsäulen Gotramms Aufmerksamkeit. Er stellte das Fernglas auf die
Stelle scharf und erblickte eine Gestalt, die nahe einem der rauchenden Schlote stand und die
Arme über die Öffnung schwenkte, um eben jenes merkwürdige Muster, das er bemerkt hatte,
zu erzeugen. »Bei Grungnis Gnade«, murmelte er, kaum in der Lage, zu glauben, was ihm
seine Augen da zeigten. Er meinte, diesen Umriss in Schwarz zu erkennen, die rußschwarze
Gestalt, die ein weitärmeliges Hemd trug, das er zuletzt an …
Es war Brokrin! Er hatte es irgendwie geschafft, aus der Veredelungsanlage zu entkommen
und beinah bis zum höchsten Gipfel des Berges hinaufzusteigen. »Es ist der Käpt’n!«, schrie
Gotramm auf. Es war ein regelrechter Jubelschrei.
Der Ruf brachte eine düstere Stille über die Mannschaft. Ein Ausdruck von Schuld lag auf
den meisten der Gesichter, als sie einander ansahen. Jene, die an Bord zurückgeblieben waren,
hatten durch die Rückkehrer von Brokrins Eingreifen in der Veredelungsanlage erfahren.
Doch die, die dort gewesen waren, wussten, dass sie ihr Leben genauso Brokrin als auch
Grokmund zu verdanken hatten. Es gab nichts, was sie noch für Grokmund tun konnten, doch
Brokrin konnten sie vielleicht noch helfen.
Dagegen abzuwägen war die Tatsache, dass Brokrin ihr alter Kapitän war. Sie hatten gegen
ihn gemeutert, eine Tat, von der sie nur freisprechen konnte, dass sie mit großem Profit nach
Barak-Zilfin heimkehrten. Der Verlust des Äthergoldes machte dies unmöglich, doch gab es
eine andere Art, sich von dieser Schuld zu befreien. Sie konnten Brokrin einfach hier
zurücklassen. Niemand musste je erfahren, dass es eine Meuterei gegeben hatte.
Horgarr sah die Scham auf ihren Gesichtern, als die Mannschaft diese Möglichkeit in
Erwägung zog. Er erhob die Stimme, um dafür zu sorgen, dass jeder Duardin auf Deck seine
Worte hörte. »Der Käpt’n hat sein Leben für uns riskiert, selbst nachdem wir uns gegen ihn
gewendet haben«, sprach er zu ihnen. »Er hätte einfach abhauen und sich selbst in Sicherheit
bringen können, aber das tat er nicht. Er kam zurück, um uns zu helfen. Jetzt braucht er unsere
Hilfe. Wenden wir ihm jetzt erneut den Rücken zu?«
»Nein«, sagte Gotramm. »Das tun wir nicht.« Seine Augen bohrten sich in die eines jeden
Mitglieds der Mannschaft. »Wir sind Kharadron. Wir leben nach dem Kodex und der Kodex
besagt, dass kein Schiffskamerad ausgestoßen werden darf, es sei denn, er hätte tiefste
Schande über die Himmelsfeste gebracht. Wenn wir uns von ihm abwenden, dann ist es nicht
Kapitän Brokrin, der ein Eidbrecher ist, sondern ein jeder von uns.«
Es gab keine Einwände, als das Schiff wendete und der Eisendrache zu dem zerbrechenden
Gipfel zurückflog. Die Mannschaft stürzte sich mit Eifer auf ihre Pflichten. Himmelswarte
schnallten sich an ihre Halteleinen fest und überprüften ihre Äther-Endrinen. Da der Berg
auseinanderbrach, war der sicherste Weg zur Rettung Brokrins, das Schiff in sicherer
Entfernung zu halten und Himmelswarte hinabzuschicken, um ihn von dort unten aufzulesen.
Der Eisendrache erzitterte, als die Spitze des Berges vom Gipfel wegbrach und langsam
seinem Schicksal entgegenrutschte. Die daraus entstehende Lawine ließ eine Schneewolke
über das Deck wehen. In Schrecken beobachtete die Mannschaft, wie der gewaltige Felssturz
abwärtsrollte. Er wurde von einem zerklüfteten Bergvorsprung in seiner Bahn umgelenkt, und
rutschte so zur Linken statt wie bisher weiter auf den verwundbaren Kapitän zu.
Ohne darauf zu warten, näher heranzukommen, stürzten sich die Himmelswarte über die
Seite des Schiffes. Indem sie den Zufluss von Treibstoff zu ihren Äther-Endrinen regulierten,
waren sie in der Lage, rasch zum Hang hinabzusteigen. Die Taue, die sie mit dem Schiff
verbanden, strafften sich. Vorsichtig brachte Vorki das Panzerschiff noch näher heran, sodass
die Leinen der Duardin so viel Spiel erhielten, dass sie Brokrin erreichen konnten.
Der Jubel, der sich erhob, als die Himmelswarte weiter zu dem Schlot hinabstiegen und
schließlich Brokrin erreichten, war ungezügelt. Die Freude darin war absolut aufrichtig. Wie
auch immer ihre Sorgen um die Zukunft aussehen mochten, die Kharadron waren froh, dass
sie es geschafft hatten, Brokrin zu retten.
»Gelobt seien alle Götter! Sie haben ihn!«, rief Mortrimm und stampfte vor Freude mit dem
Fuß auf.
»Den Käpt’n kann nichts umbringen«, verkündete Arrik. »Der ist hart genug, mit einem
Ogor zu ringen und als Sieger daraus hervorzugehen!«
Gotramm musste hart unter dem Ansturm der Gefühle, die ihn erfüllten, nach Atem ringen.
Brokrin lebte! Eine Chance, seine Ehre wiederherzustellen. Eine Chance, seine Fehler
wiedergutzumachen und damit die Katastrophe, in die sie die Mannschaft des Eisendrachen
beinah geführt hatten.
Die Himmelswarte erhoben sich rasch wieder. Der höllische Aufruhr aus stürzenden Felsen
und in Lawinen niedergehendem Schnee zwang Vorki, zurückzuweichen, noch während diese
sich dem Schiff annäherten. Es würde später Zeit sein, sie und den Kapitän wieder an Bord zu
holen, wenn sie erst einmal in sicherer Entfernung waren.
War dem so? Würde tatsächlich später noch Zeit dazu sein? Denn genau in diesem Moment
erspähte Gotramm, wie jemand anderes sich über die Schneehänge bewegte. Er erkannte den
Hexer, der die Beschwörung des Prismatischen Königs geleitet hatte. Er konnte spüren, wie
sich der rachsüchtige Blick dieses Mannes in den Eisendrachen bohrte. Er dachte an Thurik,
an die grässliche Art, auf die sein Freund gestorben war. Konnte der Hexer auch aus solcher
Entfernung einen ähnlichen Zauber auf sie schleudern?
Die Stimme des Hexers erhob sich zu einem grauenerregenden Geheul. Kein Feuer sprang
aus der Hand des Hexers, kein Blitz schoss aus seinem schreienden Mund hervor. Stattdessen
gab es eine bis ans Herz allen Stoffes und aller Realität reichende Verschiebung in der
Atmosphäre rund um den Eisendrachen. Aus den Wolken hoch über Finnolfs Festung erhob
sich eine gigantische Gestalt – zurückgeholt an genau jene Zeit und jenen Ort, wo der Hexer
sie brauchte.
Gotramm fühlte sich, als hätte eine eisige Klinge sein Herz durchbohrt. Dies, so fühlte er,
war das Monster, das der Sturmbrecher und ihrer Flotte den Rest gegeben hatte. Die
gewaltigen Klauen, der lange peitschende Schwanz, die barbarischen Kiefer – das war etwas,
das die Verheerungen hatten anrichten können, die sie am abgestürzten Wrack des
Himmelsschiffes aus Barak-Urbaz gesehen hatten.
Keinem der Duardin entging, welche Art von Untier der Hexer dort heraufbeschworen hatte,
um sie zu vernichten. Von Bug bis Heck erhob sich ein Schrei, ein Ruf, dem ein Grauen
innewohnte, das an die Urgründe jeglicher Existenz rührte.
»Drache!«

Im selben Augenblick, da seine Füße das Deck berührten, wurde Brokrin auch schon eilends
aus dem Harnisch befreit, den ihm die Himmelswarte angelegt hatten. Rings um ihn herum
eilten die Duardin auf ihre Gefechtsstationen. Der Kapitän schüttelte den Kopf, als er sah, wie
die Grundstok-Schützen ihre Waffen überprüften und die Arkanauten sich mit ihren
Himmelspiken wappneten. Er wandte sich an den nächsten Himmelswart, der sich gerade
darauf vorbereitete über die Seite des Schiffs hinauszuspringen. »Da draußen kannst du kaum
etwas Nützliches tun«, warnte er ihn. Brokrin zeigte auf das gigantische fliegende Reptil,
welches das Schiff umkreiste. »Für das Ding wärst du nicht mal eine kleine
Zwischenmahlzeit.«
Das Reptil war gewaltig. Mindestens die dreifache Länge des Eisendrachen maß es und sein
langer Schwanz schlug wild hinter ihm aus, während es den Himmel teilte. Die Klauen an
seinen Füßen waren länger als ein Bierfass und dicker vom Umfang. Die Zähne seines
Hauptkopfes waren so lang wie die Gleve des Chaos-Kriegsherrn, die der kleineren Köpfe, die
aus der Seite seines Halses herausragten, waren noch immer eher wie Schwerter als wie
Fänge. Die ledrigen Schwingen, die es in der Luft hielten, spannten dunkle, schwere Häute
auf, die anders als die saphirfarbenen Schuppen stumpf in ihrer Beschaffenheit waren.
Der Drache war die schiere Manifestation des Todes, ein Ding von solch immenser
Urgewalt, dass selbst die Kharadron diese Macht heraufbeschwören wollten, als sie dem
Panzerschiff seinen Namen gaben. Die Bestie, die sie jetzt bedrohte, musste selbst in den
Reihen der Brut seiner Artgenossen als ein Monster gelten.
Brokrin sah, dass sein Argument angekommen war. Er ließ den Himmelswart stehen und
eilte zum Steuerstand, wo Mortrimm in eine heiße Diskussion mit Gotramm verwickelt war.
»Ich sag dir, wir können dieses Vieh nicht bekämpfen«, beharrte der alte Navigator. »Wir
haben den Obsidianspeer der Himmelsharpune verloren. Es gibt nichts Anderes, was die Haut
des Feuerwurms so weit durchdringen kann, dass es irgendeinen Schaden anrichtet.«
Gotramm schüttelte den Kopf. »Aber ihm entkommen können wir auch nicht. Wenn wir
doch sowieso vernichtet werden, dann sage ich, lass uns kämpfend sterben.«
Brokrin unterbrach die beiden Offiziere. »Wir werden kämpfen«, sagte er zu Mortrimm. Er
ließ seinen Blick zu Gotramm schwenken. »Nicht, weil wir sterben, sondern weil wir siegen
werden.« Brokrin zeigte auf das Deck. »Schafft alle nach unten und sagt ihnen, sie sollen nicht
schießen. Je weniger Bewegungen der Drache sieht, umso weniger tun wir, mit dem wir ihn
verärgern und umso weniger wird er darauf aus sein, unsere Decks mit Feuer zu fluten. Die
einzigen Duardin, die ich hier oben sehen will, ist ein Trupp, der eine Donnerschlag-Mine
losschickt, und dann noch Arriks Jungs, um die Himmelsharpune zu bemannen. Jeder andere
geht unter Deck.«
Gotramm schüttelte den Kopf. »Ich würde lieber hierbleiben. Für all das bin ich
verantwortlich.«
Brokrin schlug dem Arkanauten kameradschaftlich auf die Schulter. »Ich brauch dich da
unten. Wenn ich dir das Signal gebe, will ich, dass du die Frachträume entleerst. Jeden
einzelnen Tropfen von Grokmunds verfluchtem Äthergold werden wir nutzbringend
einsetzen.«
Gotramm nickte. »Ich glaube, ich verstehe, aber wird das funktionieren?«
»Wenn nicht, werden wir nicht mehr lange genug da sein, um uns zu fragen, ob das
vielleicht eine schlechte Idee war«, meinte Brokrin zu ihm.
»Arrik fehlen ein paar Harpuniere«, erklärte Mortrimm. »Ich könnte ihnen als Suchposten
dienen. Vielleicht schwing ich meine Beine nicht mehr so schnell wie früher, aber mein
Sehvermögen ist immer noch so gut wie eh und je.«
Brokrin nickte zustimmend. Er nahm sein Sprachhorn und gab seine Befehle an die Duardin
auf Deck aus, schickte sie hinunter in die Laderäume und wies die Kanoniere an den
Gaskarabinern an, nicht zu feuern. Horgarr führte zwei Arkanauten mit der Donnerschlag-
Mine in ihrer Mitte zum Bug hinüber. Wenn der Befehl kam, würden sie die verheerende
Bombe über Bord schicken.
Brokrin löste Vorki am Steuerrad ab und brachte den Eisendrachen in einen steilen
Steigflug. Der Drache hatte das einleitende Umkreisen seiner Beute jetzt beendet. Nun kam er
herabgestürzt, Rauch wehte ihm aus dem Maul, die Klauen waren gespreizt, bereit zu
zerreißen und zu zerfetzen und sich in das Himmelsschiff der Kharadron zu graben.
»Ich hoffe, du weißt, was du da tust, Käpt’n«, murmelte Vorki.
Brokrin schüttelte den Kopf. »Nach unserem Aufeinandertreffen mit Ghazul habe ich ein
wenig über die großen Geschöpfe, die den Himmel über Chamon durchstreifen,
nachgeforscht. Das bedeutet, ich habe eine Menge über Drachen und ihre Gewohnheiten
gelesen. Es geht eine Theorie um, dass Drachen gehörige Knauser sind, wenn’s um ihr Feuer
geht. Sie vernichten lieber ein Opfer mit Klauen und Schwanz und halten sich mit ihren
Flammen zurück.« Er ließ ein grimmiges Lachen ertönen. »Wenn man ihn natürlich
herausfordert oder reizt, dann geht er einem an die Kehle und es gibt kein Zurückhalten
mehr.«
Vorki leckte sich besorgt die Lippen. »Also … das heißt, wir regen ihn nicht auf? Willst du
das damit sagen?«
»Nicht bis es nötig ist«, sagte Brokrin. »Wenn das funktionieren soll, muss der Zeitpunkt
exakt stimmen.«
Der Feuerwurm schoss geradewegs auf den Eisendrachen zu, im Kollisionskurs mit dem
Schiff. Brokrin musste diesen Kurs bis zum allerletzten Moment durchhalten. Er musste ein
Monster ausmanövrieren, das dazu geboren war, den Himmel zu beherrschen.
Da die Leben eines jeden Duardin an Bord in seiner Hand lagen, durfte Brokrin nicht
scheitern. Und er weigerte sich, zu akzeptieren, dass sein Glück ein derart heimtückisches und
widriges Ding war, dass es sie alle in den Untergang reißen würde.
»Haltet euch an der Himmelsharpune bereit«, rief Brokrin Arrik zu. »Feuert, sobald der
Feuerwurm am Schiff vorbeifliegt.« Er gab an Horgarr und Gotramm ähnliche Warnungen
aus. So wie bei ihm würde es auch bei ihnen auf den exakt abgepassten Zeitpunkt ankommen,
oder alles war verloren.
Brokrin sah zu, wie der Drache mit peitschenden Schwingen immer näherkam. Er konnte
die kalte echsenhafte Bosheit in seinen Augen sehen. Rauch strömte weiterhin aus seinem
Maul. Jeden Moment erwartete er, dass die große Bestie einen Flammenstoß auf das
Panzerschiff loslassen würde, der das Schiff in einen fliegenden Scheiterhaufen verwandelte
und all die Theorien, die er gelesen hatte, in einen einzigen Feuerball aufgehen lassen würde.
Die befürchteten Flammen kamen nie. Näher und näher stürzte der Feuerwurm heran, die
Krallen ausgestreckt, bereit, sich das Schiff zu packen wie ein Falke, der auf einen Sperling
herabstieß. Brokrin nahm sich Zeit, verweigerte sich der Furcht, die ihn nur dazu verleiten
wollte, zu früh zu handeln.
»Wartet«, wies er die Mannschaft an. »Wartet bis der Drache zu nah heran ist, um noch
seinen Sturzflug zu bremsen.«
Näher und näher. Der abscheuliche Moschushauch des Drachen badete die Decks, ließ
Tränen in die Augen der Duardin treten. Brokrin wischte sie beiseite, hielt eisern seine
verzweifelte Wacht. Die Bestie war jetzt nah, war in Gewehrschussweite.
Und noch immer harrte Brokrin aus. Das Reptil war jetzt so nah, dass man es mit dem
Deckfeger treffen konnte, dann so nah, dass man einen Speer nach ihm werfen konnte.
»Hoch!« Brokrin ließ das Panzerschiff mit solch jäher Gewalt hochschießen, dass seine
Mannschaft verblüfft war, dass ihr Schiff so schnell reagieren konnte. Der Drache war
ebenfalls verblüfft, zog am Schiff vorbei, mit nichts als leerer Luft zwischen seinen
zustoßenden Klauen. Brokrin sah den Feuerwurm unter dem aufsteigenden Schiff
daherfliegen. Er wusste, er würde rasch wieder hinaufgleiten, wenden und sie dann erneut
attackieren. Das nächste Mal würde man ihn nicht mit dem gleichen Trick narren können.
Jetzt lag es an den Duardin, dafür zu sorgen, dass das Reptil nie die Chance für einen
zweiten Angriff erhielt. Brokrin hörte, wie Arrik seinen Befehl zum Feuern bellte. Die
Harpune schoss kreischend aus dem Lauf von Ghazuls Fluch. Die erste Phase seines
verzweifelten Plans, einen Drachen zu erlegen, hatte begonnen.

Khoram fühlte, wie die unglaubliche Macht des Drachen seinen Körper durchströmte. Der
Hexer saß über dem Hauptkopf des Reptils, und seine Fingertentakel versenkten sich in die
Furchen, die sie in seine Hörner gegraben hatten. Unter seinen Füßen war als Ersatz für die
Schuppe, die er benutzt hatte, um das Monster zu kontrollieren, ein Spiegelsplitter in die Haut
der Bestie eingebettet. Durch die Schuppe konnte er noch immer den Feuerwurm
kontrollieren. Durch den Spiegel konnte er sich mit den Mitteln schlichter Beschwörung auf
den Rücken des Reptils versetzen.
Die Flucht aus der einstürzenden Veredelungsanlage hatte ihren Tribut von Khorams
Kräften gefordert. Seine physische Form in einen Dunsthauch zu verwandeln, der rasch die
Rauchabzüge hinaufsteigen konnte, mit denen die Decke der Kammer gespickt war, stellte
fürwahr, was die Kunst der Magie betraf, nicht gerade ein läppisches Unterfangen dar. Es
hatte ihn ausgelaugt zurückgelassen, selbst nach dem gewaltigen Kraftschub durch die Macht
des Prismatischen Königs. Ohne dieses Geschenk seines Herrn hätte er vielleicht Tamuzz’
Schicksal und das seiner Anhänger geteilt.
Doch obwohl seine Kräfte praktisch erschöpft waren, hatte Khoram doch noch immer genug
Energie, einen bereits sorgsam vorbereiteten Zauber auszulösen. Durch die zwischen Schuppe
und Spiegel bestehende Harmonie versetzte er sich vom Gipfel des Berges auf den Rücken des
Drachen. Dies war der perfekte Ort, um den einzigen Plan auszuführen, der ihm jetzt noch
blieb.
Rache.
Khoram blickte auf den Eisendrachen hinab und fühlte nichts als Verachtung für die
Duardin. Wohl wahr, sie hatten es geschafft, die Rückkehr des Prismatischen Königs zu
durchkreuzen, doch das war nur ein zeitweiliger Sieg. Dämonen waren ewig und der Herr
würde sich erneut erheben. Khoram hatte seine Gelegenheit verpasst, an diesem Aufstieg
Anteil zu haben, aber ein anderer Zauberer würde dieses Unterfangen zur Reife bringen.
Als die Duardin den Drachen sahen, versuchten sie zu fliehen. Khoram befahl dem Monster,
sie zu vernichten. Er hatte dessen Frustration gespürt, als er sich beim letzten Mal hatte
zurückhalten müssen; jetzt würde er sich mit unbarmherzig wütender Hingabe in den Angriff
stürzen. »Zerstöre das Schiff und alles darauf«, befahl er dem Drachen. »Verstreue die
Überreste über den Dschungel. Lass die Knochen der Duardin in seinem stinkenden Morast
verrotten. Lass ihre Namen für all ihre Anverwandten auf ewig verloren sein.« Er wusste
genug über die Sitten der Kharadron, um zu wissen, dass dies das Schlimmste war, was man
ihnen antun konnte.
Die Sphäre des Zobras zog seinen Bogen vor Khorams Gesicht und merkwürdige Szenen
spielten sich in seinen unzähligen Facetten ab. Der Hexer ignorierte das Relikt, entschlossen,
sich allein an der Zerstörung des Himmelsschiffs zu weiden. Er sah genau hin, als sein Drache
sich in die Tiefe stürzte, um sich seine Beute zu holen.
Als dann der Eisendrache vor der Attacke des Feuerwurms aufstieg, knurrte Khoram voller
Ingrimm. »Diese Narren zögern nur das Unvermeidliche hinaus!«, fauchte er den Homunkulus
an. Es war völlig unmöglich, dass sie dem Feuerwurm ewig entkommen konnten.
Doch es schien, als hätten die Duardin gar nicht die Absicht zur Flucht. Als der Drache
unter dem Schiff dahinflog, feuerte die Himmelsharpune auf dem Vorderkastell ihr Geschoss
auf die Bestie ab. Die Lanze war nicht stark genug, die Schuppen des Reptils zu durchstoßen –
Khoram konnte das an der Art erkennen, wie der Drache reagierte. Doch der Speer steckte in
den Schuppen fest, und die Kette daran verband ihn mit dem Panzerschiff, sodass der
Feuerwurm zurückgerissen und in seinem Flug gestoppt wurde.
Der Drache wirbelte herum, ließ seine Krallen über die Kette fahren und zerriss sie
augenblicklich. Im Wenden jedoch kam er dabei dem Bug recht nahe. Khoram erinnerte sich
an die Bombe, die gegen die Chimären eingesetzt worden war. Jetzt sah er eine weitere davon,
die man gegen seinen Drachen herbeigeschafft hatte. Eilends zog er einen der schützenden
Talismane unter seiner Robe hervor und beschwor dessen Energien, um den zu erwartenden
Schlag abzuwehren. Die Duardin hievten die Mine über die Bordkante, sodass sie in Richtung
des gehörnten Kopfes des Feuerwurms herabtrudelte. Sie detonierte in einer ungeheuren
Explosion, die das Panzerschiff von einer Seite auf die andere schwanken ließ.
Der Drache sank weg und Rauch stieg zischend von seinen versengten Köpfen auf. Khoram
hielt sich noch immer am Horn fest, doch seine Gewänder schwelten und ihm klingelte der
Kopf, da er der Gefahr so knapp entronnen war. Ein triumphierendes Grollen stieg von seinen
Lippen auf. Die Duardin hatten ihre furchtbarste Waffe eingesetzt – vergebens! Die Mine
hatte dem Drachen keinerlei schwerwiegende Schäden zugefügt, hatte ihn nur kurzzeitig
benommen gemacht. Er ließ sich vom Deck wegsacken und zog in einer Kurve unter das
Schiff, während er versuchte, wieder ganz zu Sinnen zu kommen.
Dann, als der Drache langsam unter dem Panzerschiff dahinglitt, erfolgte der eigentliche
Angriff. Khoram blickte schockiert empor. Die Schotten der Frachträume des Schiffs öffneten
sich und ihr Inhalt strömte hervor. Alles Äthergold, das man nicht in die Veredelungsanlage
geschafft hatte, kam in einem Schwall herausgeschossen. Jetzt, da es nicht mehr Teil seiner
Ader war, war das Erz schwerer als die es umgebende Luft. Es prasselte wie ein goldener
Regen auf den Drachen ein. Dampf stieg von den Schuppen des Feuerwurms auf, als sich das
Gas auf ihnen sammelte. Selbst mit den darin eingebundenen Fragmenten dämonischer
Energie war das Äthergold nicht ätzend genug, um sich durch die Drachenschuppen zu fressen
oder sich durch die Schutzzauber des Hexers zu brennen.
Es war jedoch stark genug, die ledrige Haut der Drachenflügel zu schmelzen! Entsetzt sah
Khoram zu, wie sich die gewaltigen Spannen der Feuerwurmschwingen langsam auflösten.
Die Flughäute wurden von beißenden Dünsten zerfressen und scharf gezackte Rissen
überzogen sie. Das Reptil heulte laut in seinem Schrecken auf, da seine Schwingen die
Fähigkeit verloren, es weiter in der Luft zu halten. Die Bestie stürzte aus dem Himmel. Jubel
klang vom Schiff der Duardin ihrem Fall hinterher, als die Mannschaft begriff, dass sie ihren
monströsen Feind besiegt hatte.
Khoram fühlte sich mit dem Reptil in dessen Schrecken vereint, als er sah, dass sie
geradewegs auf den zerbrechenden Berggipfel zustürzten. Er schaute nach der Sphäre des
Zobras, doch alle seine Facetten waren jetzt leer. Es gab für den Talisman keine Zukunft mehr
vorherzusehen.
»Lord Tzeentch, hab Gnade mit meiner Seele«, flehte Khoram.
Das harsche Kichern des Truglings sagte dem Hexer, dass seine letzte Hoffnung nur schaler
Trug war. »Für deine Seele wird es keine Gnade geben«, gackerte er ihn an. Zum ersten Mal
seit er aus seinem Fleisch hervorgeplatzt war, sprach der Homunkulus tatsächlich in Worten
zu ihm. »Die Götter belohnen Ergebnisse, nicht Diener. Du hast den Wandler enttäuscht.«
Der Drache schmetterte auf den Hang herab, sein Körper zerbrach auf dem sich auflösenden
Gipfel. Die Wucht des Aufpralls war gleichzeitig auch der letzte Schlag, den der Gipfel
aushalten konnte. Schon hatte er allmählich Form und Struktur verloren, jetzt aber brach jeder
Zusammenhalt. Der zerbrochene Drache stürzte erdwärts, während die letzten Überreste von
Finnolfs Festung auf die Wurzel des Berges herabregneten und den großen Krater ausfüllten,
den die Duardin vor vielen Jahrhunderten mit ihren Ausgrabungen hinterlassen hatten.
In erbarmungswürdigstem Grauen schrie Khoram gellend auf, während er Seite an Seite mit
dem toten Drachen und den weggeborstenen Hängen des Berges in die Tiefe stürzte. Und aus
tiefster Seele verfluchte er die wankelmütigen Launen des Schicksals.
Denn dies war das gleiche Ende, das Khoram für den Eisendrachen im Sinn gehabt hatte –
ein unbekanntes Grab, verloren in den Weiten des Dschungels.
EPILOG

Vom Deck des Eisendrachen sahen die Kharadron der Zerstörung von Finnolfs Festung zu.
Große Felsbrocken stürzten aus dem sich auflösenden Gipfel weg und donnerten auf den
Krater tief darunter hinab. Die Erschütterungen hielten an, bis sich zuletzt jene eigentümliche
Kraft, die den Gipfel in der Luft über dem ausgehöhlten Stumpf des Berges hielt, erschöpft
hatte. In einem letzten gewaltigen Hagel von Stein und Fels stürzte der Gipfel zur Erde hinab.
Die Duardin konnten den zerbrochenen Körper des Drachen sehen, der mit der letzten
steinernen Sturzflut im Fall vereint war. Rauch stieg noch immer von seinen verbrannten
Flügeln auf, während das Äthergold die ledrigen Flughäute zersetzte. Selbst im Tod bot das
große Reptil noch einen ehrfurchtsgebietenden Anblick, ein Geschöpf der Macht und des
Schreckens. Viele der Zuschauer erwarteten immer noch, dass sich das Monster aus Rauch
und Trümmern lösen, sich auf seinen zerfetzten Schwingen wieder in die Luft erheben und das
Panzerschiff erneut angreifen würde. Eine solche Schicksalsprobe unbeschadet zu überstehen,
erschien ihnen als ein schieres Wunder.
Als dann der Drache in den Boden donnerte und unter Tonnen von Gestein begraben wurde,
erhob sich unbändiges Geschrei aus den Reihen der dem Schauspiel folgenden Mannschaft.
Wie ein Mann wandten sie sich dem Steuerstand zu und stießen jubelnd den Namen des
Duardin aus, dessen Führung sie lebendig durch diese Feuerprobe gebracht hatte.
Brokrin trat aus dem Steuerstand. Er ließ sich ganz vom Jubel seiner Mannschaft erfüllen.
Es war wie eine reinigende Flamme, die durch all seine Adern fuhr, die jeden Zweifel, jedes
Unglück wegbrannte, das ihn so lange Zeit hindurch geplagt hatte. Nachdem er meisterlich
gezeigt hatte, wie man einen Drachen erlegte, würde niemand mehr wagen, irgendetwas über
einen Fluch zu äußern, der über ihm und seinem Schiff hängen sollte. Er hatte den
Unglücksfluch durchbrochen. Selbst eine Fahrt ohne Profit würde von dieser Großtat
überstrahlt werden. Die Vernichtung des Prismatischen Königs mochte der größere Sieg
gewesen sein, doch er rührte nicht so tief an einen innersten Wesenskern wie der Anblick
eines wutschnaubenden Drachen, der aus dem Himmel stürzte. Dies war eine Tat, die man
sich in jeder Taverne Barak-Zilfins immer und immer wieder erzählen würde.
Gotramm kam zu Brokrin herüber und neigte sein Haupt ehrerbietig vor ihm. Er winkte mit
seiner Hand in Richtung der jubelnden Mannschaft. »Ich spreche wohl für jeden hier, wenn
ich sage, dass wir unsere Entscheidung bedauern. Wir wären stolz, wenn du dein Kommando
wieder annehmen würdest, Käpt’n.«
Brokrin sah Gotramm an, ließ seinen Blick über die anderen Duardin schweifen. Die
meisten von ihnen hatten bei der Meuterei gegen ihn gestimmt. Dadurch, dass sie ihn baten,
sein Kommando wieder anzunehmen, nahmen sie die Strafe hin, die ihre Meuterei über sie
bringen würde. Hohe Geldstrafen oder Schuldknechtschaft waren das Mindeste, was ihnen
drohte, wenn die Gilden davon erfuhren; eine unehrenhafte Entlassung aus der Himmelsflotte
und das Verbot, jemals wieder auf einem Schiff zu dienen, waren wahrscheinlicher. Sie gaben
ihre Zukunft auf und akzeptierten, dass das Spiel, zu dem sie sich entschlossen hatten,
verloren war. Eine Meuterei mit Profit als ihrem Ergebnis mochte man noch als zweckdienlich
ansehen, eine ohne Profit war schlichtweg nur Verrat.
Der Kapitän schwieg eine Weile, ließ den letzten Jubel verebben. Er hob seine Hand und
zeigte auf jeden der versammelten Duardin. »Es ist falsch, wenn man die Fehler der
Vergangenheit die Verheißung der Zukunft zerstören lässt«, verkündete er. »Wir haben genug
Not und Gefahren auf dieser Fahrt durchstanden und wir haben das immer gemeinsam getan.
Viele von euch sehen jetzt mit Schrecken der Fahrt heimwärts entgegen. Ihr fürchtet euch
davor, was euch dort erwartet.« Er konnte die ernüchternde Wirkung seiner Worte klar
erkennen, sah die grimmigen Mienen, die sich auf alle Gesichter der Mannschaft legten.
Die Meuterei konnte Brokrin zur Rettung werden. Alle Verantwortung für eine Fahrt ohne
Profit würde von ihm genommen und auf die Mannschaft übergehen. Er wäre in der Lage,
sein Schiff vor Gläubigern und zornigen Geldgebern zu retten. Sein Ruf bliebe unbeschadet.
Alles, was er tun musste, war daheim im Hafen zu sagen, dass er als Kapitän abgesetzt worden
war.
»Vergesst eure Sorgen«, erklärte Brokrin. »Ich will nicht versuchen, aus dem Fehler eines
Kameraden Gewinn zu ziehen. Und während ihr schon dabei seid, eure Sorgen zu vergessen,
vergesst auch gleich den Fehler selbst. Es hat keine Abstimmung gegeben, keine Wahl
zwischen Bohnen und Linsen. Eine Meuterei auf dem Eisendrachen hat nie stattgefunden.«
Verblüfftes Schweigen erfasste die Mannschaft. Sie sahen Brokrin mit offenem Mund und
voller Staunen an. Jeder von ihnen wusste, dass er sich selbst leicht retten konnte, indem er sie
einfach nur die Konsequenzen ihres eigenen Handelns tragen ließ. Stattdessen nahm er seinen
eigenen Ruin in Kauf, damit sie sicher waren. Als sich diese Erkenntnis in ihnen breitmachte,
erhob sich erneuter Jubel. Für die Mannschaft des Eisendrachen war Brokrin zu mehr
geworden als nur zu ihrem Kapitän oder einem Helden.
Brokrin wandte sich ab, offenbar von der Verehrung seiner Mannschaft peinlich berührt. Er
trat zu Ghazuls Fluch hin, legte die Hand auf die Himmelsharpune, während Arrik und seine
Harpuniere die Selbstlosigkeit ihres Kapitäns priesen.
Doch dieser Jubel fühlte sich für Brokrin bittersüß an, denn er war nicht vollständig
gerechtfertigt. Was er tat, war nicht einfach nur für die Mannschaft. Ihnen zu helfen, hieß, sich
selbst zu helfen. Mit dem Aushecken des Plans, wie man den Drachen zur Strecke bringen
könnte, und dann noch der großmütigen Weigerung, von ihrer Meuterei zu berichten, hatte er
seiner Mannschaft eine Ergebenheit eingepflanzt, die schon fast ans Fanatische grenzte. Und
eine solche Ergebenheit benötigte Brokrin dringend. Hätte er von der Meuterei berichtet, dann
hätte er sicherlich sein Schiff gerettet, aber er hätte danach keine Mannschaft mehr gehabt.
Jedenfalls nicht die Mannschaft, die er brauchte.
Seine Hand glitt die Länge der Himmelsharpune entlang und er stellte sich diese Waffe vor,
bestückt mit einer Harpune, die ebenso tödlich war wie jene, die er im Kampf gegen den
Tentakelalbtraum verloren hatte. Brokrin würde unbedingt einen Ersatz dafür finanzieren
müssen, bevor sie wieder aufbrachen. Er hatte zwar Arriks Truppe, um die Waffe zu
bemannen, doch sie brauchte ihren Biss zurück. Die Beute hinter der er her war, würde noch
zäher und kräftiger sein, als selbst der Drache es gewesen war.
Brokrin hatte jetzt eine Mannschaft, die ihm überall hin folgen würde, wohin er sie auch
führte. Selbst gegen ein Monster, das eine dunkle Legende unter den Kharadron war. Sie
würden an seiner Seite stehen, wenn er den Kampf zu Ghazul trug, wenn diese Bestie nicht
länger der Jäger, sondern der Gejagte sein würde. Dann würde er seine Rache bekommen.
Dann würde der Fluch des Monsters wahrhaftig ausgetrieben sein.
Brokrin hob den Blick und schaute zum Horizont in Richtung Barak-Zilfins. Alles, was er
jetzt tun musste, war einen Weg finden, dass die Geldgeber ihm nicht sein Schiff wegnahmen.
Aber nachdem er einmal Dämonen und Drachen getrotzt hatte, schien es ihm fast schon
lächerlich, sich über etwas derart Läppisches noch länger Sorgen zu machen.
ÜBER DEN AUTOR

C L Werner schrieb für Warhammer 40.000 die Romane ›Die Belagerung von
Castellax‹ und ›Das Vermächtnis des Vadok Singh‹. Für Warhammer verfasste er
›Matthias Thulmann: Witch Hunter‹, ›Runefang‹, die ›Brunner the Bounty Hunter‹-
Trilogie, die ›Thanquol and Boneripper‹-Reihe und ›The Black Plague‹. Er lebt
gegenwärtig im Südwesten der USA und schreibt von dort aus fortwährend
Geschichten über Verwüstung und Wahnsinn in den Welten von Warhammer Age of
Sigmar und Warhammer 40.000.
Ein Auszug aus ›Die Acht Wehklagen: Speer der Schatten‹.
Irgendwo in den Reichen der Sterblichen hob der Schmied seinen Hammer. Er ließ ihn auf die
Länge weißglühenden Metalls niedersausen, die er mit feuergeschwärzter Hand auf den
Amboss presste. Er drehte sie und ließ einen zweiten Schlag folgen. Ein dritter, ein vierter, bis
die rauchige Luft der höhlenartigen Schmiede vom Klang roher Schöpfung widerhallte.
Dies war die erste Schmiede, längst vergessen, außer in den Träumen derer, die mit Eisen
und Flamme arbeiteten. Sie war ein Ort aus Stein und Holz und Stahl, gewaltiger Tempel und
rohe Höhle zugleich, und sowohl ihre Ausmaße als auch ihre Form veränderten sich mit jedem
Zucken, mit jedem Huschen des Rauchs, der sie durchwallte. Sie war nirgendwo und überall,
existierte sie doch nur in den Niederungen vererbter Erinnerung fernster Ahnen oder in den
Geschichten der ältesten sterblichen Schmiede. Gestelle und Regale mit Waffen, wie sie nie
von Sterblichen getragen worden waren, glänzten im Licht der Esse, ihre tödlichen Schneiden
scharf geschliffen und hungrig darauf, ihrem Daseinsgrund zu dienen. Darunter sah man
Werkzeuge, die weniger mörderisch, wenngleich nicht weniger notwendig waren.
Der Schmied machte keinen großen Unterschied zwischen ihnen – Waffen waren
Werkzeuge, und Werkzeuge waren Waffen. Krieg war nicht weniger ein Handwerk als das
Pflügen der Erde, und das Fällen der Wälder war nicht weniger ein Schlachten, auch wenn
dessen Opfer – außer in seltenen Fällen – nicht schreien konnten.
Der Schmied war unglaublich breit und kraftvoll, obwohl doch seine Gestalt verbogen und
seltsam verdreht wirkte, so, als habe sie sich unsichtbar waltenden Kräften beugen müssen.
Seine mächtigen Glieder bewegten sich mit einer derart zielgerichteten Sicherheit, dass kein
Mechanismus sie hätte abbilden können. Er trug oft geflickte Hosen und eine Schürze, welche
deutliche Abnutzungsspuren zeigte, und seine bloßen Arme und sein Rücken glänzten überall
vor Schweiß, wo sie nicht von tätowierungsgleichen Wirbeln aus Schmutz oder Runennarben
bedeckt waren. Stiefel aus scharlachroter Drachenhaut, deren irisierende Schuppen im Licht
des Feuers glitzerten, schützten seine Füße, und Werkzeuge jeglicher Art und Größe hingen
von dem weiten Ledergürtel herab, der um seine Hüfte geschlungen war.
Ein spatenförmiger Bart aus wirbelnder Asche und ein Schnurrbart aus fließendem Rauch
bedeckten die untere Hälfte seiner plumpen Züge. Eine dicke Mähne lohenden Haars floss an
seinem Haupt herab, teilte sich über seinen Schultern und knisterte ihm auf der Haut. Augen
wie geschmolzenes Metall waren mit einer Ruhe, die nur das Alter bringt, starr und fest auf
seine Aufgabe gerichtet.
Der Schmied war älter als die Reiche. Zerschmetterer von Sternen und Schöpfer von
Sonnen. Waffen ohne Zahl hatte er schon geschmiedet, und keine zwei von ihnen waren
einander gleich – eine Tatsache, wegen der er nicht geringen Stolz empfand. Er war ein
Handwerker, und selbst schon, wenn er das Metall nur in seine grobe Form hämmerte, legte er
immer ein wenig von sich selbst hinein. Dieses Stück hier brauchte die Kraft seiner
Hammerschläge ein wenig mehr als die meisten. Er hob es vom Amboss hoch und betrachtete
es eindringlich. »Bisschen mehr Hitze noch«, murmelte er. Seine Stimme, wenn sie am
leisesten war, glich dem Grollen einer Gerölllawine.
Er stieß das Stück glimmenden Eisens tief in den Rachen der Esse. Flammen krochen seinen
sehnigen Arm entlang, und das Metal, als es sich erneut erhitzte, bog sich in seinem Griff,
doch zuckte er nicht zurück. Für solche seiner Art bot das Feuer keinen Schrecken. Zangen
und Handschuhe mochten wohl geringere Schmiede tragen. Außerdem gab es im Feuer
einiges zu sehen, hatte man keine Furcht, ihm zu nahe zu kommen. Er spähte in die tanzenden
Töne von Rot und Orange, und fragte sich, was sie ihm dieses Mal wohl zeigen würden.
Formen begannen Gestalt anzunehmen, zunächst nur verschwommen und undeutlich. Er
schürte die Glut.
Als die Flammen erneut brüllend aufloderten und mit ihren Klauen gierig nach dem Metall
krallten, fühlte er seine Lehrlinge zurückweichen. Er lachte grollend in sich hinein. »Was ist
das nur für einen Sorte Schmied, die Angst vor ein bisschen Feuer hat?«
Er drehte den Kopf, warf ihnen einen Seitenblick zu. Vage Traumgebilde kauerten sich im
Rauch zusammen. Kleine und große, schwere und spinnwebenfeine. Hunderte von ihnen –
Duardin, Menschen, Aelfen, sogar der eine oder andere Ogor – drängten sich in den flüchtigen
und schwer zu fassenden Umgrenzungen der Schmiede und beobachteten, wie er seinem
Handwerk nachging. Alle, deren Herz danach trachtete, das Metall zu formen, waren, bis auf
wenige Ausnahmen, in seiner Schmiede willkommen.
Es gab immer solche, die sich unbeliebt machten und ihr Willkommen verspielten. Das
waren dann solche, welche die erste und wichtigste Lektion nicht begriffen und das, was er sie
lehrte, zu üblen Zwecken missbrauchten. Nicht viele, zum Glück, doch einige schon. Sie
verbargen sich vor seinem Blick, während sie noch seinen Künste nacheiferten. Doch es war
gleich – schließlich würde er sie alle finden, und ihre Werke würde er dann dem Feuer zum
Fraß vorwerfen.
Die Stimmen seiner Lehrlinge hoben sich zu einem plötzlichen Warnruf. Der Schmied
wandte sich um, seine Augen verengten sich verärgert zu Schlitzen. Feuerklauen sprangen aus
der Esse hervor, umkrallten sie zu beiden Seiten hin. Tiermäuler aus flackernden Flammen
und wirbelnder Asche formten sich. Reißzähne aus Schlacke bleckten sich in rasender Wut
und mahlten funkensprühend aufeinander. Eine geschmolzene Klaue griff nach seinem Arm,
und seine hornige Haut färbte sich unter ihrer Berührung schwarz. Der Schmied grunzte und
zog seinen Arm fort. Der Dämon sprang ihn mit feurigem Brüllen an, und seine Gestalt
schwoll machtvoll hervor, so, als wolle er die ganze Schmiede füllen. Große aschene
Schwingen breiteten sich aus, und ein gehörnter Kopf brach aus der Esse hervor.
»Nein«, sagte der Schmied schlicht, während seine Lehrlinge flohen. Er ließ das Metall, das
er erhitzt hatte, sinken und ergriff die sich windende Flammengestalt, bevor sie noch größer
werden konnte. Es galt schnell zu handeln. Sie kreischte, als er sie herumwarf und auf dem
Amboss schmetterte. Brennende Krallen gruben sich in seine bloßen Arme und rissen ihm die
Schürze in Fetzen. Wild ausschlagende Schwingen schlugen auf seine Schultern ein, doch der
Schmied schien unangefochten und unbezwingbar. Er hob seinen Hammer. Die Augen des
Eindringlings weiteten sich in plötzlicher Erkenntnis. Er fiepte und zwitscherte protestierend.
Der Hammer donnerte herab. Dann wieder und wieder, schlug nieder, zerbrach, schlug
flach, schlug plan, hämmerte die Flamme zu genehmerer Form. Der Dämon schrie und
kreischte protestierend, während mit jedem Schlag seine innerste Substanz weiter und weiter
litt. All seine Arroganz, all seine Bosheit floh, und zurück blieb nur Furcht, und bald
verschwand dann auch diese.
Der Schmied hob empor, was von dem sich schwach wehrenden Dämon noch übrig war. Er
erkannte die Signatur, die sich in dessen Seelen-Knüpfungen fand, so leicht wieder, als hätte
er sie selbst dort hineingeprägt. Dämonen unterschieden sich kaum von jedem anderen
Rohmaterial, insofern sie von Seiten dessen, der sie beschwor, einer sorgsamen Formung
bedurften, um sie für seinen Zweck tauglich zu machen. Der hier war für Stärke und
Schnelligkeit geschaffen, und das war es dann auch schon.
»Roh,«, sagte er. »Roh, grob und primitiv. So wenig Gewissenhaftigkeit hat er, so wenig
Leidenschaft für seine Arbeit. Keinerlei Kunstfertigkeit. Wie hab ich doch versucht, ihm das
beizubringen, aber – ach was. Wir machen schon noch etwas Anständiges aus dir, keine
Sorge. Ich habe schon aus schlechterem Material etwas Besseres gemacht.«
Und da er das sprach, stieß er den Dämon in eine Kühlwanne neben dem Amboss. Zischend
verwandelte Wasser sich in Dampf, und Teile der Kreatur zerstoben zu Glutfünkchen, die
hochwirbelten und über dem Amboss emporschwebten. Was in der Wanne zurückblieb, war
bloß ein Stück geschwärzten Eisens, pockig und geädert in zornigem Purpur, und nur die
allerleiseste Spur eines fauchenden Gesichts mochte man wie aus Kratzern geformt darauf
erkennen. Der Schmied warf es in seiner Hand auf und ab, bis es abgekühlt war, und steckte es
dann in die Tasche seiner Schürze.
»Hm, was war das denn nun wieder?«
Es war schon einige Zeit her, dass man ihn an diesem Ort in ähnlicher Weise angegriffen
hatte. Dass dies überhaupt geschah, deutete darauf hin, dass hier jemand sehr verzweifelt war.
Als hätte derjenige gehofft, ihn so daran zu hindern, etwas Bestimmtes zu sehen. Er sah auf zu
der Wolke dahin driftender Aschenglut und griff sich eine Handvoll heraus. Er legte seinen
Hammer beiseite und fuhr mit einen dicken Finger hindurch, las darin, wie ein Sterblicher
wohl in einem Buch lesen mochte.
Mit einem Grunzen warf er es zurück in die Esse und schürte die Kohlen mit einem heftigen
Stoß seiner Hand. Ein verschwommenes Bild nahm in den Flammen Gestalt an. Augenblicke
später teilte es sich in acht Einzelbilder auf, die nun deutlicher zu erkennen waren – ein
Schwert, ein Streitkolben, ein Speer … acht Waffen.
Der Schmied runzelte seine Stirn, schürte die Kohlen mit neuer Kraft und Schärfe, bis
weitere Bilder vortraten. Er musste sich dessen, was er da sah, sicher sein. In den Flammen
zog eine Frau in kristallener Rüstung eine der Acht – ein heulendes Dämonenschwert – aus
seiner Hülle aus Fleisch und tauschte donnernde Hiebe mit einem Stormcast Eternal in einer
Rüstung von der Farbe einer Wunde aus. Sie zerschmetterte die Runenklinge ihres Gegners,
und der Schmied wand sich innerlich, als er sah, wie eines seiner stärksten Werke, so leicht
zerstört wurde. Er wedelte mit der Hand und zauberte weitere Bilder aus den flackernd
huschenden Flammen hervor.
Da war ein aufgedunsener Pockenkrieger, dessen eine Körperseite von einem zappelnden
Kraken weggefressen worden war, der sich dann dort eingenistet hatte. Er schlang schleimige
Tentakel um den Schaft eines gewaltigen Kriegskolbens, der in Runeneisen gefasst war, und
riss ihn einem sterbenden Ogor aus der Hand. Ein Aelfen-Schwertkämpfer, dessen Augen
hinter einer himmelblauen Augenbinde verborgen waren, duckte sich unter dem kräftigen
Schwung einer Obsidianaxt, noch immer pulsend vom Hunger des Vulkans, der sie geboren
hatte, und wich vor dem massiven Orruk zurück, der sie in Händen hielt.
Wütend stieß der Schmied mit seiner Hand zu und beschwor weitere Bilder herauf. Sie
kamen schneller und schneller, umtanzten seine Hand wie die Bruchstücke eines halb
erinnerten Traums – er sah Kriege, die noch nicht geführt wurden, und künftige Tode, und er
spürte, wie sein Gleichmut immer stärker schwand und sein Gemüt im Zorn Feuer fing. Die
Bilder flogen so schnell vorbei, dass nicht einmal er sie alle erfassen konnte. Voller Wut und
Enttäuschung griff er nach jenen Bildern, die er zu packen bekam, nur damit sie ihm dann
erneut durch die Finger glitten und in die Flammen sprangen. Die Zeit war also da. Er würde
sich bereit machen müssen.
Er fuhr sich mit seinen breiten Händen durch seine Haareslohe, knurrte dabei leise. »Dann
mache ich mich wohl mal ans Werk.« Er wandte sich um und musterte einige seiner Lehrlinge
mit funkelndem Blick. »Du da – hör auf, hier herumzulungern, und such was zum Schreiben.
Und zwar zügig. Los!«
Sein Lehrling beeilte sich zu gehorchen. Als er dann mit Meißeln und schweren Folianten
aus Stein und Eisen zurückkam, begann der Schmied zu sprechen. »Im Anfang war das Feuer.
Und aus dem Feuer kam Hitze. Aus der Hitze kam Form. Und diese Form teilte sich
achtfaltig. Die Acht waren der rohe Stoff des Chaos, zu tödlich scharfer Klinge gehämmert
und geformt von den eidgebundenen Schmiedemeistern des schrecklichen Seelenschlunds,
den erwählten Waffenschmieden des Khorne.« Er zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr.
»Doch als die Reiche bebten und das Zeitalter des Chaos versank und das des Blutes sich
erhob, gingen die Waffen, die man die Acht Wehklagen nennt, verloren.« Im Feuer
wechselten Szenen des Todes und Wahnsinns einander ab, immer wieder und wieder, ein
Zyklus ohne Ende.
Grungni, Herr aller Essen und Meisterschmied, seufzte.
»Bis jetzt.«

Anderswo. Eine andere Schmiede, roher als die des Grungni. Eine Höhle wie eine Wunde,
aufgerissen von den blutenden Händen einer Unzahl von Sklaven und dann weiter aus dem
vulkanischen Fels herausgeschlagen. Feuergruben und Kühlbecken füllten die weite, flache
Kammer. Gestelle säumten die unebenen Wände, und Schlachtäxte, Zornhämmer, Waffen
jeder Form und Größe hingen wild und ungeordnet davon herab.
Im Herzen dieser Schmiede, in einem Kreis von Feuergruben, saß ein riesiger Amboss. Und
auf diesem Amboss lehnte mit gesenktem Kopf eine ungeschlachte Gestalt. Schweiß rann
seinen muskulösen Arm hinab und klatschte zischend auf den Amboss. Seine scharlachrote
und messingfarbene Rüstung war mancherorts geschwärzt, als sei sie unglaublicher Hitze
ausgesetzt worden. Er atmete tief ein und versuchte die Schwäche zu ignorieren, die von ihm
Besitz ergreifen wollte. Er hatte den Dämon mit einem Teil seiner eigenen Stärke ausgestattet,
da er gehofft hatte, dass dieser dann dem Herrn aller Essen ebenbürtig sein würde. Oder
zumindest mehr als ein paar Augenblicke gegen ihn zu bestehen vermöchte. Er tröstete sich
mit dem Gedanken, dass sich nicht jeder Mensch mit einem Gott einen Zweikampf des
Willens liefern und diesen überleben konnte.
»Doch bin ich auch kein bloßer Mensch«, murmelte Volundr von Hephut leise in sich
hinein. »Ich bin Schmiedemeister von Aqshy.« Ein Kriegerschmied des Khorne.
Schädelschleifer des Seelenschlunds. Er hatte Waffen ohne Zahl geschmiedet, und dazu auch
noch die Kriege, in denen sie zu tödlichem Werk geführt wurden. Tausend Helden hatte er
herangezüchtet und die Schädel von weiteren tausend hatte er zerschmettert.
Aber nun, in diesem Moment, war er einfach nur müde.
»Nun?«
Die Stimme, kalt und leise, hallte aus den Schatten der Schmiede hervor. Volundr richtete
sich auf, und sein Schädelhelm wandte sich dem Sprecher zu, der im Dunkel saß und in ihn
verbergende Tracht in der Farbe auskühlender Asche gehüllt war. Qyat von der Gefalteten
Seele, Schmiedemeister von Ulgu, war eher Rauch als Feuer, und seine Gestalt war unter
seiner wuchtigen Kleidung scheinbar ohne Substanz. »Er hat es gesehen«, grollte Volundr.
»Wie ich es vorhergesagt habe, Qyat.« Eine zweite Stimme, hart und scharf wie splitterndes
Eisen, mischte sich ein. »Du suchst nur Entschuldigungen für dein eigenes Versagen,
Schädelknacker.«
Volundr schnaubte. »Entschuldigungen? Nein. Ich erkläre es euch nur schlicht, Wolant.« Er
wandte sich um, und deutete mit einem plumpen Finger auf den zweiten Sprecher, der jenseits
der Glut der Feuergruben stand und die Vielzahl seiner muskulösen Arme vor der massiven
Brust gekreuzt hielt.
Wolant Siebenhand, Schmiedemeister von Chamon, war eine messinghäutige, achtarmige
Monstrosität, die in eine Rüstung aus Gold gehüllt war. Sieben seiner Arme endeten in
sehnigen, feuergegerbten Händen. Der achte lief in die plumpe Form eines Hammers aus, der
an sein zerfleischtes Handgelenk geschnallt war, um eine lang zurückliegende Verstümmelung
auszugleichen. »Wenn du denkst, du hast dort Erfolg, wo ich versagte, nur zu, versuch dein
Glück«, fuhr Volundr fort.
»Du wagst es –?, knurrte Wolant und griff nach einem der vielen Hammer, die von seinem
Gürtel hingen. Bevor er ihn jedoch packen konnte, griff Volundr sich seinen eigenen vom
Boden und schlug ihn auf den Amboss, füllte die Schmiede mit einem hohlen, laut
dröhnenden Echo. Wolant taumelte und griff sich mit seinen Händen an die Schläfen.
Volundr deutete mit seinem Hammer auf den Schädelschleifer. »Du tätest gut daran, dich zu
erinnern, in wessen Schmiede du hier stehst, Siebenhand. Deine großen Worte und dein hohles
Gepolter dulde ich hier nicht.«
»Ich bin mir sicher, mein fehdelustiger Bruder meinte es nicht im Argen, Volundr. Er ist
von aufflammendem und von sich selbst eingenommenem Gemüt, wie du wohl weißt, und
daher dem überstürzten Handeln zugeneigt.« Qyat streckte seine Glieder und stand auf. Er
überragte die beiden anderen Schädelschleifer wie ein Turm sehnig, bleicher Muskeln, der in
schwarzes Eisen gehüllt war. »Aber dennoch, wenn er noch einmal so unhöflich ist, dir zu
drohen, dann schlage ich ihm noch eine von seinen Händen ab.«
»Mein Dank, Bruder«, sagte Volundr.
»So wie ich dir ein Auge herausreiße, wenn du mich weiterhin so grimmig anstarrst«, fügte
Qyat milde hinzu. Er breitete seine abgezehrten Hände aus. »Respekt kostet Männer wie uns
nicht viel, Brüder. Warum also knausrig sein?«
Volundr neigte den Kopf. »Vergib mir, Bruder«, sagte er. So schwach, wie er sich jetzt
fühlte, war er kaum in der Verfassung für einen Zusammenstoß mit einer so tödlichen Kreatur
wie der Gefalteten Seele. Wolant, der doch nichts als ein Klotz roher Kraft war, war schon
schlimm genug. Er setzte den Kopf seines Hammers auf den Amboss auf, beugte sich vor und
stützte sich dabei auf den Schaft. »Wolant hat recht. Ich habe versagt. Der Meisterschmied
weiß Bescheid. Und jetzt ist ihm klar, dass wir es auch wissen.«
Wolant knurrte. »Hättest du nicht versagt –«
»Aber das hat er, und so müssen nun im Feuer der Widrigkeiten neue Strategien
geschmiedet werden.« Qyat presst seine Hände, wie zum Gebet, zusammen. »Der
Verkrüppelte Gott darf uns nicht nehmen, was das Unsere ist.«
Wolant lachte. »Das Unsere, Gefaltete Seele?« Er breitete seine Arme aus. »Das meine,
wolltest du wohl sagen. Vielleicht auch das Deine, sollte das Glück nicht mir gewogen sein.
Oder aber es fällt gänzlich jemand anderem zu, denn wir drei sind nicht allein in dieser
Queste. Die anderen Schmiedemeister werden ihre eigene Jagd eröffnen. Die Acht
Wehklagen, hungrig darauf, erneut Blut zu vergießen, rufen nach uns, die wir sie geschmiedet
haben.« Sieben Fäuste bebten in einer Geste der Herausforderung und des Trotzes. »Nur einer
von uns kann Khornes Gunst dadurch gewinnen, dass er sie zurückholt. Oder hast du das
vergessen?«
»Keiner von uns hat vergessen«, erwiderte Volundr. »Wir haben unsere Kämpen erwählt
und sie in die Reiche ausgesandt, die Acht zu finden. Doch das heißt nicht, dass wir nicht
gemeinsam gegen jene außerhalb unserer Bruderschaft vorgehen können.« Er schüttelte den
Kopf. »Grungni ist bei diesem Unternehmen nicht unser einziger Feind. Andere suchen
ebenfalls nach den Acht. Wenn wir nicht zusammen arbeiten, werden wir –«
Wolant schlug ihn unterbrechend zwei seiner Handpaare klatschend zusammen. »Unsinn. Je
größer das Hindernis, desto größer der Ruhm. Ich kam nur aus Respekt vor der Schläue der
Gefalteten Seele. Nicht, um mein Schicksal mit dem euren zu verknüpfen. Mein Kämpe wird
die Acht Wehklagen für mich holen und die Schädel eurer Diener ebenfalls, wenn sie dumm
genug sind, sich ihm in den Weg zu stellen.« Er lachte erneut und wandte sich ab. Volundr
blickte ihm nach, wie er auf einen der großen Torbogen zuging, welche die Höhlenwände
säumten und fragte sich, ob er vielleicht den Schädel des anderen Schmieds spalten könne,
solange er ihm noch den Rücken darbot. Qyat lachte leise glucksend in sich hinein, als könnte
er seine Gedanken lesen. »Wäre schön, wenn du seinen Dickschädel auf deinem Amboss
knacken könntest. Doch das würde dann bedeuten, dass ich dich dann auch töten müsste,
Bruder, solltest du dich entschließen auf solche Art den Eisenschwur zu brechen.«
Volundr grunzte. Der Eisenschwur war das Einzige, was die verbliebenen Schmiedemeister
davon abhielt, einander an die Kehle zu gehen. Der Waffenstillstand war ein heikle und
zerbrechliche Sache, doch hatte er seit drei Jahrhunderten gehalten. Und er würde fürwahr
nicht derjenige sein, der ihn brach. Er machte eine abschätzige Handbewegung. »Es wird
befriedigender sein, ihm den Sieg zu entreißen. Mein Kämpe ist bis zum Letzten
entschlossen.«
»So wie der meine.«
Volundr nickte. »Dann möge der beste Kämpe gewinnen.« Er wandte seine
Aufmerksamkeit den Feuergruben zu und machte eine Geste, welche die Glut anfachte und
Funken in die Luft sandte. Rauch ließ er emporsteigen und lenkte seinen Blick auf die Reiche
der Sterblichen und suchte dort nach einem ganz besonderen Glutfunken von Aqshys Feuer.
Als er ihn fand, ließ er seine Worte ins Feuer fahren, im sicheren Wissen, dass sie gehört
würden. »Ahazian Kel. Letzter von Ekran. Todesbote. Höre die Stimme deines Herrn.«

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Für Nick und Josh, weil sie mich mit Pistole und
Axt in den Himmel von Chamon geschickt haben.

EINE PUBLIKATION VON BLACK LIBRARY

Englische Erstausgabe 2017 in Großbritannien herausgegeben.


Diese Ausgabe 2018 herausgegeben von Black Library,
Games Workshop Ltd, Willow Road, Nottingham NG7 2WS UK.

Originaltitel: Overlords of the Iron Dragon.


Deutsche Übersetzung: Horus W. Odenthal.
Produziert von Games Workshop in Nottingham.
Umschlagbild: Johan Grenier.

Die Schicksalsfahrt des Eisendrachen © Copyright Games Workshop Limited 2018.


Die Schicksalsfahrt des Eisendrachen, GW, Games Workshop, Black Library,
Warhammer, Warhammer Age of Sigmar, Stormcast Eternals und alle damit
verbundenen Logos, Illustrationen, Abbildungen, Namen, Kreaturen, Völker,
Fahrzeuge, Orte, Waffen, Charaktere sowie deren charakteristisches Aussehen sind
entweder ® oder TM, und/oder © Games Workshop Limited, registriert in
Großbritannien und anderen Ländern weltweit.
Alle Rechte vorbehalten.

ISBN13: 978-1-78572-895-2

Kein Teil dieser Publikation darf ohne vorherige Genehmigung des Herausgebers
reproduziert, digital gespeichert oder in irgendeiner Art und Weise, elektronisch,
mechanisch, als Fotokopie, Aufnahme oder anders übertragen werden.

Dies ist eine fiktive Erzählung. Alle Charaktere und Ereignisse in diesem Buch sind
fiktiv und jegliche Ähnlichkeit zu real existierenden Personen oder Begebenheiten ist
nicht beabsichtigt.

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