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Buch 1 – SEUCHENGARTEN

Ein ›Hallowed Knights‹-Roman


Josh Reynolds

Buch 2 – SPEER DER SCHATTEN


Ein ›Die Acht Wehklagen‹-Roman
Josh Reynolds

Buch 3 – DIE SCHICKSALSFAHRT DES EISENDRACHEN


C L Werner

Buch 4 – DIE SEELENKRIEGE


Josh Reynolds

Buch 5 – DER SILBERSPLITTER


Ein ›Callis & Toll‹-Roman
Nick Horth

Buch 6 – SHADESPIRE: DIE GESPIEGELTE STADT


Josh Reynolds
Buch 7 – DAS VERGIFTETE HERZ
C L Werner

Buch 8 – FÜRSTEN DES TODES


Josh Reynolds & David Annandale

Buch 9 – DIE SCHWARZE PYRAMIDE


Ein ›Hallowed Knights‹-Roman
Josh Reynolds

Buch 10 – NEFERATA: DAS KNOCHENREICH


David Annandale
Buch 11 – GOTREK: IM REICH DER UNBEGRABENEN
Darius Hinks
INHALT

Titelbild
Verfügbare Titel
Titelseite
Das Zeitalter Sigmars
Prolog
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Kapitel siebzehn
Kapitel achtzehn
Kapitel neunzehn
Kapitel zwanzig
Kapitel einundzwanzig
Kapitel zweiundzwanzig
Kapitel dreiundzwanzig
Kapitel vierundzwanzig
Kapitel fünfundzwanzig
Kapitel sechsundzwanzig
Kapitel siebenundzwanzig
Kapitel achtundzwanzig
Kapitel neunundzwanzig
Kapitel dreißig
Kapitel einunddreißig
Kapitel zweiunddreißig
Kapitel dreiunddreißig
Über den Autor
Ein Auszug aus ›Die Zerschlagung der Orks‹
Eine Publikation von Black Library
E-Book-Lizenzvertrag
Die Acht Reiche entstanden aus dem Mahlstrom einer zerstörten Welt, als das
Formlose und das Göttliche sich zu einer Explosion neuen Lebens vereinten.

Fremdartige neue Welten tauchten am Firmament auf, jede davon die Heimat
von Göttern und Sterblichen. Der erhabenste dieser Götter war Sigmar. Über
unzählige Jahre strahlte sein Licht auf diese Welten und tauchte sie in
Herrlichkeit und Pracht, während er sein Reich errichtete. Seine Stärke war wie
die Macht des Donners, seine Weisheit grenzenlos. Sterbliche und unsterbliche
Wesen knieten gemeinsam vor seinem Thron. Gewaltige Imperien entstanden
und eine Zeitlang wurden Niedertracht und Verrat vertrieben. Sigmar forderte
Erde und Himmel als sein Eigen und herrschte über ein Zeitalter der Mythen.

Doch die Grausamkeit der Welt ist beharrlich. Wie es vorhergesagt wurde,
zerbrach das große Bündnis zwischen Göttern und Sterblichen von innen
heraus. Mythen und Legenden fielen ins Chaos. Finsternis legte sich über die
Reiche. Folter, Sklaverei und Angst traten an die Stelle einstiger Pracht. Sigmar
wandte sich von den Königreichen der Sterblichen ab, denn ihr Schicksal
erfüllte ihn mit Groll. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Überreste jener
Welt, die er vor so langer Zeit verloren hatte. Er grübelte über ihrem
verschmorten Kern und suchte nach einem Zeichen der Hoffnung. Dort, in der
tiefen Dunkelheit seines Zorns, erblickte er etwas Glorreiches. Er sah eine
Waffe, die im Himmel geschmiedet werden sollte. Ein Fanal, das hell genug
strahlte, um die endlose Nacht zu durchdringen. Eine Armee, geschaffen aus
allem, was er verloren hatte.

Ein ganzes Zeitalter lang arbeiteten Sigmars Handwerker und waren bestrebt,
die Macht der Sterne für ihre Zwecke zu nutzen. Als Sigmars Werk vor der
Vollendung stand, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Acht Reiche
und sah, dass die Herrschaft des Chaos beinahe ungebrochen war. Die Stunde
der Vergeltung war gekommen. Mit blitzverhangener Stirn erhob er sich von
seinem Thron und entfesselte seine Schöpfungen.

Das Zeitalter Sigmars hatte begonnen.


PROLOG

Eins nach dem anderen verblassten die Lichter. Einen Augenblick lang flammten sie heller auf
wie von einem Atemzug angefachte Opferkerzen, doch dann sanken sie blitzend ins
Vergessen. Über die ganze Abendflut hinweg entschwanden sie dem Blick und ein Schleier
breitete sich über das Meer, stetig dahinziehend, undurchdringlich und alles verschlingend.
»Was ist das?«, flüsterte Veliger. Er befand sich auf der obersten Rippe des Zwölften
Vorstehers und lehnte den Ellbogen auf den Kopf seiner Sense, die über die Zinnen
hinausragte. Seit Jahrzehnten bemannte er die Wälle, doch dergleichen hatte er nie zuvor
gesehen. »Dort ist Lord Samorin«, flüsterte er, als mehrere Reisestunden entfernt der Sechste
Vorsteher heller aufflammte und sein muschelgleicher Wirbel die Wellen dort erhellte, bevor
auch diese Festung entschwand und der anwachsenden Leere einen weiteren Flecken
Dunkelheit hinzufügte. Bevor das Licht jedoch verblasste, schimmerte etwas über der
Abendflut auf. Es sah aus wie Spinnwebfäden, die von einer Brise erfasst wurden. »Regen?«,
fragte Veliger, aber irgendetwas war seltsam an der Art, wie es auffunkelte und schwankte.
Veliger trug die Uniform der Grabwacht – einen dicken Mantel aus schimmernd weißen
Federn, der am Hals von einer Brosche in Form eines Eisenschädels zusammengehalten wurde
und über die lackierte schwarze Rüstung herabhing. Er zog den Mantel enger um sich, als eine
Bö durch die Schatten peitschte, die noch kälter als gewöhnlich war, ihm die Brust
zusammenzog und den Atem entreißen wollte.
»Und da geht auch Lord Ophion«, erwiderte die Gestalt neben ihm, als ein weiterer Tempel
plötzlich heller wurde. Meraspis trug die gleiche Uniform wie Veliger. Er trug ebenfalls eine
identische Sichel und einen hohen, weißen Schild, der einer Schwinge nachgebildet war. Wie
auch Veligers war sein Kopf hager, bleich und haarlos, doch war er älter und seine Stirn von
einem Netz von Falten durchzogen, das zu einem ständigen Stirnrunzeln erstarrt war.
Schweigend beobachteten sie, wie die Festung aufflammte und dann im Meer versank.
Veliger wandte sich um und betrachtete die Mauern hinter ihnen, erwartete fast, dass das
Licht ihres eigenen Tempels ebenfalls verblasste. Doch der Zwölfte Vorsteher war
unverändert. Er war ein berggroßes Bauwerk – eine brüchige Spiralwindung aus Knochen, die
auf dem Kamm einer uralten Staubwelle saß. Seelen brannten in ihrem Herzen wie
Purpurfeuer, das durch die Mauern züngelte und die Gipfel und Täler der Abendflut in einen
Amethystschein tauchte, und der Umriss der Festung war verwischt durch Wolken weißer
Motten, die sie zu Millionen umkreisten wie Meeresgischt, die sich an einem Schiffsrumpf
brach. Licht umschwirrte diese Motten, drang durch die Mauern und blitzte in Veligers Augen
auf, als er Meraspis ansah.
»Was geschieht hier?«
Meraspis schien ihn nicht zu hören. Er hielt den Blick auf den Horizont gerichtet. »Was ist,
wenn sie alle verschwinden?«
Veliger sah zum Himmel hoch und stellte sich eine Welt ohne Licht vor. Die Sterne würden
kaum helfen – sie waren bloße Geister, Echos der lebendigen Reiche, die kein Interesse daran
hatten, die Unterwelten Shyishs zu erhellen. Ohne das Licht der Vorsteher würde die
Abendflut in Dunkelheit liegen.
Als er so in die sich ausbreitenden Dunkelheit starrte, hörte Veliger ein ungewohntes
Geräusch. Es klang wie Kieselsteine, die über eine Tischplatte klapperten. Zuerst war es fern
und leise, doch im Lauf der Minuten wurde es lauter und schwoll zu einem Dröhnen an.
Die beiden Männer sahen sich verwirrt an, als Millionen weißer Scherben über die
Abendflut dahinrasselten. Das Meer, das sich niemals rührte, sah plötzlich sturmzerwühlt aus,
die Sturzflut kam näher und schlug mit wilder Gewalt auf die Festungsmauern ein und erfüllte
die Nacht mit einem ohrenbetäubend prasselnden Donnern.
Meraspis trat vor und streckte den Arm aus der Schießscharte hervor. »Ist das Hagel?«
Dann schrie er fluchend auf, wirbelte von Veliger fort, zischte vor Schmerz und hielt sich
die Hand.
»Was?«, schrie Veliger und stürzte zu ihm.
Meraspis schüttelte den Kopf, krümmte sich und hielt seine Hand gepackt. »Beim
Grabtuch«, murmelte er.
Veliger half ihm hoch und keuchte auf. Meraspis’ Fleisch war aufgerissen worden. Der
Regen war durch Haut und Knochen gedrungen, hatte die Bänder so übel zerrissen, dass seine
Hand wie ein Fetzen blutigen Fleisches aussah.
Meraspis wiegte seine zerfleischte Hand in der unversehrten, stöhnte und fluchte und starrte
in den Regen.
Die meisten der Scherben hatten seine Handfläche geradewegs durchschlagen, doch eine
hing noch immer zwischen seinen Fingerknöcheln und blitzte weiß vor dem dunklen bloßen
Fleisch.
Sacht zog Veliger sie aus der Wunde und starrte darauf. »Knochen?«
Verblüfft schauten sie beide hinaus in den Sturm.
Veliger ließ die Scherbe fallen und verband rasch Meraspis’ Hand. Die Schnitte waren tief.
Er bezweifelte, dass die Hand zu retten war. Aber zumindest konnte er die Blutung stoppen.
Meraspis verzog unter Veligers Bemühungen das Gesicht, schrie aber trotz der
schrecklichen Schmerzen, die er leiden musste, nicht auf.
»Wir sollten zu Lord Aurun gehen«, sagte er mit heiserer Stimme.
Veliger schaute südwärts zu ihren nächsten Nachbarn, den Ödstätten. Sie glommen noch
immer in stetigem, unerschütterlichem Licht.
»Ja«, stimmte er zu. »Lord Aurun wird wissen, was zu tun ist. Er wird wissen, was das ist.«
Meraspis straffte sich und drückte seine verheerte Hand an die Brust. »Schau doch«, sagte er
und nickte zu den Zinnen hinüber. »Es hört auf.«
Der Sturm legte sich bereits und die Knochensplitter hagelten weniger heftig auf die Mauern
ein, während die Wolken über den Himmel Richtung Süden huschten.
Noch immer schockiert von dem, was geschehen war, sahen sie zu, wie der Sturm über die
Abendflut fortzog. Dann schnallte Veliger seinen Helm fest und stellte sicher, dass der Rest
seiner Rüstung vollständig saß, drehte sich auf dem Absatz um und eilte zur Treppe. »Aurun
wird wissen, was das bedeutet. Es ist nur ein paar Stunden bis dorthin.«
Meraspis schüttelte den Kopf. »Wir können die Unbegrabenen nicht unbewacht
zurücklassen. Geh du. Ich würde dich ohnehin nur aufhalten. Ich warte hier und kümmere
mich um meine Wunden.«
Veliger zögerte, musterte Meraspis’ Hand und nickte. »Nun gut. Ich werde einen
Leichentuchpriester finden. Ich bringe ihn mit, wenn ich zurückkomme.«
Meraspis winkte zur Treppe hin. »Geh einfach. Und eile dich.« Er sah zu den Wolken hoch.
»Selbst deine Rüstung mag dich nicht lange beschützen, wenn dieser Sturm zurückkehrt.«

Jede Festung war mit der benachbarten durch eine Brücke verbunden. Meilenlange Laufgänge
wanden sich wie eiserne Tentakel von den Toren fort. Die Brücken wurden Wyndläufe
genannt und sie streckten sich in eleganten Bögen über die Abendflut. Einige waren gerade
breit genug, dass fünf Männer sie nebeneinander passieren konnten, andere bildeten weite
Straßen, doch alle waren vom Licht der Tempel an ihren Enden beleuchtet. Veliger spurtete
den südlichen Wyndlauf entlang und das Klirren seiner Stiefel auf dem uralten Metall störte
ringsum Staub und Motten auf. Es war lange her, seit irgendjemand hier entlanggekommen
war. Jede Festung war beinah autark und in der Lage ihre Garnison monatelang zu versorgen,
bevor sie neuen Proviant aus der Hauptstadt brauchte. Die Wachen bei den Ödstätten würden
geschockt sein, wenn sie ihn kommen sahen. Nein, wurde ihm klar, und er korrigierte sich
selbst, das wären sie nicht. Auch sie mussten das Erlöschen der Lichter beobachtet haben. Sie
würden genau wissen, warum er kam.
Während er rannte, musste Veliger ständig an Meraspis’ verwundete Hand denken. Wie
konnte bloßes Wetter so etwas anrichten? Woher war dieser Sturm gekommen?
Veliger war noch nicht weit auf dem Wyndlauf gekommen, als er das Geräusch hörte, das er
im Stillen befürchtet hatte – das gleiche bedrohliche Zischen, das er schon vorher vernommen
hatte. Knochen regneten erneut auf die Abendflut herab und erfüllten die Dunkelheit mit
ihrem Lärm. Taumelnd kam er zum Stehen, schüttelte den Kopf und fluchte. Er konnte
unmöglich die Ödstätten erreichen, ohne dass der Sturm ihn einholte. Und was war, wenn
seine Rüstung nicht hielt? Als er zur Festung zurückblickte, entrang sich ihm ein entsetzter
Schrei. Ein Schatten hatte seine Heimat verschlungen. Die gewaltige, gebogene Oberfläche
des Zwölften Vorstehers wirkte fleckig – als hätte jemand Tinte über seine Zinnen verschüttet.
Veliger sah genauer hin und erkannte, dass die Dunkelheit aus einer sich bäumenden Masse
kleinerer Formen bestand – Menschen, in Schatten gehüllt, strömten über die Abendflut und
erklommen wie Ungeziefer die Wälle der Festung. Das war ein Angriff. Dieser Gedanke war
sogar noch schockierender als der Knochenregen. Die Vorsteher waren seit
Menschengedenken nicht angegriffen worden. Die Invasoren überquerten die Oberfläche der
Abendflut, als wäre sie harmlos. Wie war das möglich? Die Totenwellen waren tödlich.
Niemand konnte sie berühren und bei Verstand bleiben. Wer waren diese Leute?
Benommen stolperte Veliger den Weg zurück, den er gekommen war, und stammelte vor
sich hin, während der Knochensturm durch die Dunkelheit auf ihn zuraste.
Er rannte los, so schnell er konnte, doch erschien ihm das quälend langsam. Mit jedem
Schritt raste der Regen auf ihn zu, donnerte auf die Abendflut herab und prasselte auf den
Wyndgang nieder.
Er kam zum Ende der Brücke und eilte die Stufen hinauf und durch die Festungstore, stürzte
sich unter das erste Dach, das er erreichen konnte.
Als er dort stand und zu Atem zu kommen versuchte, flammte das Licht heller auf und
blendete ihn. Nach ein paar Sekunden stellten seine Augen sich auf den grellen Schein ein und
er sah, wie eine vertraute Gestalt über den Platz auf ihn zurannte.
»Meraspis!«, schrie er auf und senkte seine Sense.
Der Mann rannte gegen ihn, sodass sie beide die Stufen hinabstürzten.
Veliger rollte sich weg und sprang mit einer Wendigkeit auf die Füße, die Jahren
körperlicher Ertüchtigung entsprang.
»Was tust du, Meraspis, hast du –?« Seine Worte blieben ihm in der Kehle stecken, als sich
der Mann ihm zuwandte. Es war nicht Meraspis. Dies war eine bucklige, sabbernde Kreatur,
eine krumme Schreckgestalt mit wild starrendem Blick und gertendünnen Gliedern, der das
Fleisch von den Knochen hing. Sie sah aus wie ein zum Leben erweckter Kadaver. Sie zitterte
starr und wie gelähmt und ihre Haut war von einem dunklen, gefleckten Grau, doch sprang sie
Veliger mit erschreckenden Schnelligkeit an.
Veliger wich zurück, beinahe ohne nachzudenken, geleitet von den Grundsätzen seiner
Ausbildung. Zweimal blitzte seine Sense auf, durchtrennte den Rumpf des Wesens, und es
klatschte in zwei Teile gespalten zu Boden.
Veliger taumelte fort, schüttelte den Kopf und starrte die verstümmelte Leiche an. »Was war
das?«
Mit einem bebenden Stöhnen erwachte die obere Hälfte der Leiche zuckend zum Leben und
begann auf Veliger zuzukriechen, zerrte sich dabei mit ihren Händen vorwärts, während sie
ihr Gedärm hinter sich mitschleifte und ihre Augen noch immer in den Höhlen rollten.
»Beim Grabtuch!«, schrie Veliger und hackte wütend auf das Ding ein, bis es
zusammenbrach und schließlich reglos da lag.
Veligers Erleichterung verwandelte sich rasch in einen Ansturm des Grauens. Als er vom
Wyndlauf aus zurückgeblickt hatte, waren Dutzende von Gestalten zu sehen gewesen. Was,
wenn die alle wie diese hier waren?
Er packte seine Sense fester, rannte weiter und stammelte verwirrt vor sich hin.
Bevor er die Treppe jedoch nur halb herauf war, gerieten die Schatten in Bewegung und
wälzten sich fort, erhoben sich und sammelten sich, um ihm den Weg zu versperren. Dutzende
von Gestalten torkelten ruckend auf ihn zu, mit zuckenden Köpfen und abgerissen
keuchendem Atem. Sie alle glichen altersgeschwärzten Leichen, zitternd und in wild blindem
Eifer richteten sie ihre gelben Blicke auf ihn. Manche von ihnen umklammerten
Knochensplitter oder die Bruchstücke geborstener Waffen.
»Reißer«, wisperte Veliger und fühlte sich, als wäre er in einen Traum geraten. Er hatte
Geschichten über Leichenfresser gehört, aber er hatte sie nie mit eigenen Augen gesehen. Ein
oder zwei stahlen sich gelegentlich in die Vorsteher hinein, aber er hatte noch nie davon
gehört, dass sie in einer solchen Zahl angegriffen hätten. Als Veliger auf die dunkle Flut
starrte, die sich um ihn sammelte, schätzte er, dass es Hunderte waren, die da über die Mauern
kletterten.
Lautlos stürzten die Reißer sich auf ihn, torkelnd und zuckend. Sie waren wie tumbes
Getier, das menschliche Form angenommen hatte.
Veliger stolperte zurück, von der Wildheit des Angriffs aus dem Gleichgewicht gebracht. Er
versuchte, die Ruhe zu bewahren, sich mit der Sense durch das Gewühl zu schneiden, und
dunkles, zähflüssiges Blut durchwebte die Luft.
Er stürmte die Treppe hoch, hieb um sich, stieß zu und versuchte das Getümmel zu
durchbrechen, doch es war sinnlos. Die Fleischfresser drängten ihn zurück, bis seine Füße den
Halt verloren und er sich dabei beinah selbst enthauptete.
Er sprang auf, hackte noch mehr der Reißer zu Boden, wich zurück und schrie laut vor
Schock und Wut.
Die Mauern der Festung lohten heller auf und ließen zerrissene Schatten über den Platz
tanzen.
Mehrere Reißer lösten sich von der Hauptgruppe und setzten auf den Wyndgang zu, wobei
ihr geistloser Blick sich auf die fernen Lichter von Lord Auruns Festung heftete.
»Nein!«, schrie Veliger und wich zurück, auf die Brücke zu. »Ihr werdet die Ödstätten nicht
beflecken!«
Die Menge raste auf ihn zu. Der Vorsteher leuchtete jetzt so hell, dass er kaum noch sehen
konnte.
Er drehte sich auf dem Absatz um und rannte auf die Brücke zu, blockierte die Schwelle
zum Wyndgang. Er würde nicht zulassen, dass die Reißer weiter ins Fürstentum eindrangen.
Dann, mit einem Mal, setzte das Licht der Festung aus und Dunkelheit brach über ihn
herein.
Außer einem Nachbild der Mauern, das sich in seine Wahrnehmung eingebrannt hatte,
konnte Veliger nichts mehr sehen.
Er hörte es rings um sich atmen – abgerissenes, heiseres Keuchen, das sich aus allen
Richtungen näherte.
Da war das Trommeln hastender Füße, als die Reißer sich auf ihn stürzten.
Veliger schwang seine Sense hin und her, fällte mit ihrem Schwung für ihn unsichtbare
Gestalten, drosch ihre Klinge in wild zappelnde Glieder.
Hände krallten nach seinem Rücken und seinem Gesicht, zerrten an seiner Rüstung und
zogen ihn zu Boden.
Schmerz flammte überall in seinem Körper hoch und er fiel, niedergedrückt vom Gewicht
der Körper, und schrie in Todesqualen heulend auf.
Ihr himmlischen Hoheiten,
ich möchte stark bezweifeln, dass diese Boten weiter als bis zum nächsten Graben
kommen werden, doch fühle ich mich verpflichtet, diesen Versuch dennoch zu
unternehmen. Außerdem verschafft er mir den Trost, mich darüber in Fantasien zu
ergehen, wie irgendwo da draußen, außerhalb dieser grauen Kalmen, eine gebildete
Seele meine Abenteuer verfolgt und mit der Absurdität meiner Situation mitfühlt.
Trotz der schrecklichen Weise unseres Aufbruchs von der Mordspitze bin ich
immer noch in Begleitung des schicksalssuchenden Slayers. Genauso wie jeder
andere bin ich von der Wendung der Ereignisse überrascht. Seine Gesellschaft zu
ertragen, ist eine Leistung, die alle Prüfungen, die ich in der Mordtempeln ertragen
habe, weit übersteigt. Vergebt mir meinen selbstmitleidigen Ton, Ihr Hoheiten, doch
Ihr könnt Euch keinen schlechteren Reisegefährten vorstellen. Er besteht auf seinen
aufgeblasenen Behauptungen, einem anderen, älteren und überlegenen Reich des
Daseins anzugehören, und je mehr Zeit ich in seiner Gesellschaft verbringe, umso
mehr frage ich mich, ob er nicht vielleicht sogar recht hat. Es braucht keinen großen
Sprung der Vorstellungskraft, um sich auszumalen, wie er aus einer längst
vergessenen Unterwelt herauskrabbelt. Er ist ein Rüpel und ein Ignorant, und er
neigt zu den verwirrendsten Stimmungsschwankungen.
Während unserer Fahrt über das Schwundmeer (siehe meinen letzten Bericht)
überkam ihn eine dermaßen wütende Begeisterung – man muss sie schon fast geistig
umnachtet nennen –, in der er, in seiner Besessenheit Nagash zu finden, die Ruderer
anbrüllte, sobald sie nur ins Stocken kamen. Er schien aufrichtig zu glauben, dass
der Gott des Todes hinter dem nächsten Stück Küste geduldig auf ihn warten würde.
Dann, nachdem wir in Hoffnungsflut vor Anker gegangen waren und keine solche
Gottheit gefunden hatten, versank er in ein biertrunkenes Brüten, wie Ihr es Euch
kaum vorstellen könnt. So schmachte ich also derzeit in einem erbärmlichen Loch
namens Klemp dahin, während der Slayer sich zu Tode säuft. Für sein Ableben gibt
es jedoch, bedauerlicherweise, noch keinerlei Anzeichen, was ihn allerdings nicht
von mehreren tapferen Versuchen abhalten konnte. Seid versichert, Ihr Hoheiten, ich
werde jede Demütigung, mit der er mich bedenkt, tapfer ertragen und mich jederzeit
in seiner Nähe halten. Die Rune Schwarzhammers ist noch immer geschützt, sicher
verwahrt auf seiner korpulenten Gestalt, und auf die eine oder andere Art werde ich
sie Euch bringen. Das Vertrauen, das Ihr in mich gesetzt habt, war keineswegs
unberechtigt.
Nebenbei kann ich berichten, dass dieses gesamte Küstenstück sich in einem
Zustand gegenwärtigen Aufruhrs befindet. Die Herrschaft der Verderbten Mächte ist
nicht länger gesichert, was für die hiesige Bevölkerung sowohl eine gute als auch
eine schlechte Nachricht ist. Die Unterwelten befinden sich allesamt im Zustand der
Rebellion. Gespenster und Wiederkehrer haben weite Gebiete des Landes in Nagashs
Namen in Besitz genommen, während von Norden her Briganten einfallen. Im Reich
des Todes herrscht genauso Aufruhr wie überall anders auch. Jeder, der
hierherkommt und ein friedvolles Leben nach dem Tode erwartet, wird bitter
enttäuscht werden. Unsere Reise von der Küste aus hat uns an mehreren Chaosfesten
vorbeigeführt, die allesamt zerstört waren. Von einem Gegenangriff fehlte jede Spur.
Dies scheint nicht das Werk der Sturmscharen gewesen zu sein, also kann ich nur
Nagash als Verantwortlichen annehmen. Die Bewohner von Klemp bereiten sich auf
die Flucht vor und die gesamte Region ist von einer Art kollektivem Wahnsinn
ergriffen. Jede Buschhexe, jeder Zauberer behauptet, Visionen einer schrecklichen
untoten Seuche gesehen zu haben. Sie behaupten, dass Nagash einen großen Ritus
oder eine Beschwörung vollzogen hat, der ihm die vollkommene Herrschaft über
Shyish gewährt. Es gibt viel Gerede über schwebende, schwarze Pyramiden und
fleischlose Legionen und mehr in der Art, und es ist schwer zu sagen, wie viel davon,
oder ob überhaupt etwas davon, wahr ist, aber hier ist definitiv etwas im Gange. Er
scheint, dass der Erz-Nekromant einen Weg gefunden hat, viele der Territorien
zurückzuerringen, die er ans Chaos verloren hat.
Als zweite Nebenbemerkung sollte ich erwähnen, dass der Slayer und ich während
unseres Kampfes bei der Nimmerspitze einen neuen exzentrischen Reisebegleiter
namens Trachos gefunden haben. Er behauptet, zu unserem Orden zu gehören, und
vielleicht tat er das auch einst, aber der Mann ist eindeutig wahnsinnig. Falls er
irgendeine Art des Kontakts versucht, ignoriert seine Botschaften. Er ist nicht bei
klarem Verstand und ihm ist nicht zu trauen. Ich werde sicherstellen, dass die Rune
nicht in seine Hände fällt, und ihn bei der nächsten Gelegenheit zurücklassen.

Eure treueste und verlässlichste Dienerin,


Maleneth Hexenklinge
KAPITEL EINS

DIE DUMPFE TROMMEL

Gotreks Schnarchen attackierte die Nacht mit brutalem Aufbellen. Selbst schlafend war er
barbarisch und Maleneths Schädel hämmerte mit jedem Aufschnarchen. Das Geräusch fuhr
dem Slayer rasselnd durch die Brust und ließ die Kette erzittern, die sein Ohr mit seiner Nase
verband. Das Kohlebecken in seiner Runenaxt schwelte noch immer, aber aus der
schmutzigen Haut über seinen Muskeln war das Licht gewichen. Er regte sich, als wollte er
sprechen, stieß einen satten Rülpser aus und lag dann wieder still. Stundenlang hatte er
getrunken und das Bier wie Wasser gestürzt, bevor er dann schließlich neben einem Schuppen
zusammengebrochen war, umgeben von den Leichen von Banditen, welche die dumme Idee
gehabt hatten, ihn ausrauben zu wollen. In dieser Ecke Shyishs gab es kein Morgengrauen,
doch selbst die endlose Düsternis konnte die Rune nicht verbergen, die in Gotreks Brust
eingegraben war. Ein mächtiger Brocken blanker Macht. Das Band, das sie an ihn kettete. Das
Gesicht eines Gottes, das sie da von seinen Rippen anfunkelte und von ihr verlangte, dass sie
die Nerven behielt.
Anmutig schritt sie zwischen den Toten dahin, als würde sie durch einen Ballsaal gleiten,
vertrieb die Fliegen, zerstreute Blut, einen Dolch locker in jeder Hand. Der Stormcast Eternal
war verschwunden und suchte Klemp nach Nachrichten über seinesgleichen ab, und so war sie
mit dem Slayer allein.
Das herzförmige Silberamulett an ihrer Kehle flackerte und ließ dadurch die Phiole mit Blut
in seinem Innern erkennen. Jetzt. Das ist deine Gelegenheit.
Maleneth ignorierte die Stimme, trat näher an den Slayer heran und zuckte vor seinem
Gestank zusammen. Er war grotesk. Ein plumper Klumpen vernarbter Muskeln, starrend vor
Schweinsborsten und mit knotengleichen Tätowierungen bedeckt. Selbst nach den niedrigen
Maßstäben der Duardinrasse war er primitiv – wie ein Warzenschwein, das gelernt hatte, zu
stehen und eine Axt zu halten. Er war kleiner als die Banditen, die er sich als Bettstatt
zermetzelt hatte, aber doppelt so breit und gebaut wie eine Scheune. Der schale, süße Geruch
des Biers überdeckte den der Leichen, mischte sich mit Gotreks Rülpsern und brannte in
Maleneths Augen. In seinem verfilzten Bart konnte sie beim Näherbeugen die Überreste
seiner Zecherei glitzern sehen, während sie ihren Blick auf die Rune gerichtet hielt. Die Rune
starrte zurück.
Trotz ihres Abscheus zögerte sie und das Messer verharrte zitternd kaum eine Spanne von
seinem Körper.
Das Amulett um ihren Hals flackerte erneut. Feigling.
Das reichte, sie anzuspornen. Ihre tote Herrin hatte recht. Klemp würde bald ein
Trümmerhaufen sein, genau wie die anderen Städte, durch die sie gekommen waren. Die
ganze Region war im Aufruhr. Und wenn die Kämpfe losgingen, wer wusste, wo der Slayer
dann landen würde? Wenn er einmal einen seiner Wutanfälle hatte, war nicht vorauszusehen,
was er als Nächstes tun würde. Es war ein Wunder, dass sie bis hierher bei ihm geblieben war.
Das mochte ihre letzte Gelegenheit sein. Aber die Haut des Slayers war wie Eisen. Sie würde
mit der Klinge mit aller Kraft zustoßen müssen, um das Gift in den Blutkreislauf zu bringen.
Sie packte die Waffe fester und bog sich vor dem Stoß zurück.
»Maleneth.« Die Stimme klang durch die Gasse, schwer und voller Drohung.
Trachos’ Rüstung schimmerte, als er durch die Dunkelheit humpelte, und Funken stoben
knisternd von seinem beschädigten Beinschutz. Er trug seinen ausdruckslosen Helm, aber an
der Art, wie er sich bewegte, vorsichtig und langsam, erkannte, sie, dass er wusste, was sie
vorhatte. Sein Kopf ruckte zur Seite und Licht flackerte aus seinem Mundgitter. Er packte das
Metall, hielt es fest, doch der Schaden reichte tiefer als bis zur Maske. Seinen Geist zu
schützen, hatte all dieses gottgeschaffene Rüstwerk nicht vermocht.
Nahe den Leichen blieb er stehen, starrte sie an und Lichter flackerten hinter dem
Gesichtsschutz.
Er schwieg, aber die Art, wie er seinen Kriegshammer hob, war beredt genug. Diese Rune
gehört mir.
Einen lang sich dehnenden Augenblick standen sie so und starrten einander über Gotreks
massigen, schnarchenden Leib hinweg an.
Trachos kam näher und seine Metallstiefel knirschten zwischen zerbrochenen Waffen und
zerborstenem Rüstwerk hindurch. Der Himmel war blasser geworden, hob seinen Umriss
hervor und sie sah, wie selbstsicher er seinen Kriegshammer hielt. Geschädigt oder nicht, er
war noch immer ein Stormcast Eternal. Ein Spross des Donnergottes. Er war einige Spannen
größer als ein normaler Mensch und selbst beschädigt bot seine Plattenrüstung einen
furchterregenden Anblick.
Maleneth trat zwischen den Leichenhaufen hindurch und machte sich bereit. Sie hatte immer
gewusst, dass dieser Moment kommen würde. Sie konnten nicht beide die Rune für sich
beanspruchen. In Trachos’ Beinpanzer verlief ein Riss von seinem linken Knie zum linken
Stiefel. Der war schon dort gewesen, als er sich Maleneth vor Monaten zum ersten Mal
genähert hatte und wie ein wahnsinniger Prophet aus den Hügeln hervorgewandert gekommen
war. Er brauchte dringend Medizin, oder eine Reparatur, oder was immer es war, womit man
Stormcast Eternals half, wenn sie ins Himmlische Reich zurückkehrten. Jeder Schritt fiel ihm
schwer und seine azyritische Rüstung schlug bei jeder Bewegung Funken. Sie lächelte.
Normalerweise stellte ein solcher Krieger eine Prüfung für ihre Fähigkeiten dar, doch in
diesem Zustand war er eine leichte Beute. In dieser Nacht würde es Blut für Khaine geben.
Maleneth zog eine ihrer Klingen quer über eine Phiole an ihrem Gürtel. Das Kristall
zerbrach lautlos, aber sie konnte das Gift riechen, das über das Metall rann.
Trachos sank in die Hocke, die Hämmer erhoben.
Die beiden Krieger spannten ihre Muskeln, bereit zuzuschlagen.
»Bei Grungnis Arschbart!«, schrie Gotrek auf, kam mit einem Ruck auf die Beine und
packte seine Runenaxt. »Wisst ihr Kerle nicht, wann ihr besiegt seid?«
Er schwankte, offensichtlich verwirrt und noch immer betrunken, und durchbohrte die
Nacht mit dem finsteren Blick seines Auges, versuchte, sein Umfeld klarer zu erkennen und
einen Gegner auszumachen. Da er keinen fand, wandte er sich Maleneth zu.
»Aelfe! Zeig mir, wo die Einfaltspinsel sind.«
Maleneth senkte ihre Waffe und Trachos tat es ihr gleich. Die Gelegenheit war zerronnen.
Sie schüttelte den Kopf. »Alle tot.« Mit einem warnenden Blick wich sie vor Trachos zurück.
Gotreks Gesicht war zu einer gewitterfinsteren Miene verzogen und seine Haut war so grau
wie die der Leichen. Er trat nach einer von ihnen. »Leichtgewichte. Konnten ja kaum das
Schwert schwingen. Selbst das Schädelspalten macht in eurem stinkenden Reich keinen
Spaß.«
Trachos’ Hand zitterte, als er seine Hämmer zurück in den Gürtel gleiten ließ. »Dies ist
nicht mein Reich.«
»Meines auch nicht«, sagte Maleneth und sah sich in dieser seltsamen Hölle um, in die
Gotrek sie geführt hatte. Der Himmel hatte die Farbe alten Zinns, stumpf, trübe und mit
Sternen beschlagen. Die Sterne leuchteten nicht, sondern strahlten ein gnadenloses Schwarz
aus. Punkte absoluter Dunkelheit umgeben von violetten Höfen, Wunden am Himmel,
tropfende Pechfinger. Und die Stadt war ähnlich finster. Schiefe, baufällige Hütten aus
verdrehtem, farblosem Treibholz. In der Ferne erklangen verängstigte Schreie und die
Geräusche von Gefährten, die hastig beladen wurden. Rauchsäulen zogen sich über den
Himmel und zeigten an, dass eine weitere Armee sich näherte. Sie sahen aus wie
Klauenspuren auf toter Haut.
Gotrek grummelte einen Duardinfluch und suchte sich seinen Weg durch die Leichen. »Wo
ist das Bier?«
»Du hast es getrunken«, erwiderte Trachos.
Der Slayer runzelte die Stirn und kratzte sich seinen rasierten Schädel, was seinen
gewaltigen, schmalzgestärkten Haarkamm zum Zittern brachte. Dann starrte er düster den
Boden an, ließ seine massigen Schultern hängen und das Heft seiner Großaxt hing locker in
seinem Griff. Er sprach flüsternd mit sich selbst, schüttelte den Kopf und Maleneth fragte
sich, worüber er nachdachte. Erinnerte er sich an seine Heimat? Jene Welt, von der er
behauptete, dass sie den Reichen der Sterblichen so überlegen sei? Sie vermutete, dass sich die
meisten seiner Gedanken um die Vergangenheit drehten. Was hatte er auch sonst schon? An
ihm war etwas Tragisches, entschied sie. Er war wie ein Fossil, das durch grausame
Nekromantie wiederbelebt und dann in einer Welt zurückgelassen worden war, wo niemand
sein Gesicht kannte.
»Ihr habt recht«, sagte Gotrek und blickte mit einem plötzlichen Lächeln auf. »Wir brauchen
mehr Bier.«
Ungläubig schüttelte Maleneth den Kopf. Sie und Trachos funkelten ihn düster an. Jeder
andere hätte ihren Hass wie einen körperlichen Schlag gespürt, aber der Slayer nahm ihn gar
nicht wahr. Er winkte sie wieder die Straße hinab, weg von dem Schuppen, und summte
fröhlich vor sich hin, während er auf die Hauptstraße zusteuerte.
Sie stolperten hinein in ein chaotisches Schauspiel. Weidenkäfige stießen klappernd gegen
jeden Türsturz und -rahmen – Hunderte, von der Größe eines menschlichen Kopfes und
vollgestopft mit Zähnen, Haut und Knochen. Neben den Gaben für Nagash waren da
achtzackige Sterne, die hastig zusammengehämmert und in grellen Farben bemalt waren.
Kohlebecken spien Glutwolken auf hölzerne Ikonen, auf welche die Gesichter von Dämonen
und Heiligen gemalt waren. Und das alles klapperte munter gegen gelbe Bildnisse von
Hämmern, die mit Zeichen bedeckt waren, die azyritischen Runen ähneln sollten. In jeder
Ecke prangte irgendein verzweifelter Versuch, einen Gott zu besänftigen. Und durch dieses
Narrenfest von Farben und Formen eilten Leute in alle Richtungen dahin, warfen ihre
Habseligkeiten aus Fenstern und kletterten wild auf Karren. Ein kalter Wind peitschte durch
die Straßen, der voll übler Vorzeichen zu sein schien. Männer und Frauen heulten einander an,
stritten miteinander, während ihre Kinder im Staub rangen, wie in einer Vorahnung der
Gewalt, die bald über diese Stadt kommen sollte. Wochenlang waren quer durch diese Region
die Seher von quälenden Vorzeichen geplagt worden. Einigen sprossen Mündern in ihren
Achselhöhlen, die Ströme bitterer Galle spien, andere wurden von schrecklichen Visionen
heimgesucht, die ihre geistige Gesundheit in Fetzen rissen, und manche hatten erleben
müssen, dass ihre Stimmen eine tierhafte, gutturale Sprache hervorbrachten, die sie nicht
besser verstehen konnten als Schweigen. Was immer das Wesen dieser Erscheinungen war,
alle stimmten sie in einem überein – der Tod kam in diese Gegend. Die meisten Leute hatten
das als Stichwort zu fliehen gewertet, aber Gotrek war noch immer wütend darüber, Nagash
nicht gefunden zu haben, hatte beschlossen zu bleiben und die kommenden Kämpfe zumindest
als Ablenkung zu genießen.
Als Gotrek auf die windgepeitsche Straße schwankte, stieß er beinah mit einem gewaltigen
Vieh zusammen, das man durch die Menge führte – ein in Rüstung gehülltes Mammut, das
mit Fellen und Säcken behangen war und mit seinen Stoßzähnen Rillen in den Dreck zog.
Dutzende in Felle gekleidete Nomaden drängten sich auf seiner Sattelsänfte und weitere
umschwärmten es, stachelten es mit Stöcken oder Verwünschungen weiter an und versuchten
so, die dahinstapfende Kreatur zu größerer Schnelligkeit anzutreiben.
Gotrek stoppte, funkelte die Nomaden wütend an, und Maleneth erriet sofort, was ihn so
verärgert hatte. Sie gab es nicht gerne zu, aber sie fing an, ihn zu verstehen. In mancher Weise
war er brutal und herzlos, aber es gab ein paar Dinge, die seine primitiven Empfindungen zu
beleidigen schienen. Der Anblick einer wilden Kreatur, die man in den Dienst zwang, gehörte
dazu. Einen Moment lang dachte sie, er würde die Nomaden zur Rede stellen, aber dann
schüttelte er den Kopf und marschierte weiter, machte sich rempelnd seinen Weg zwischen
den Händlern hindurch frei und hielt, pausenlos in seinen Bart grummelnd, auf das größte
Gebäude der Straße zu.
Maleneth mühte sich, mit dem Slayer Schritt zu halten, während er die Tür mit dem Stiefel
auftrat und sich in das düstere Innere der Dumpfen Trommel stürzte. Trotz der panischen
Szenen draußen, war Klemps einzige Schenke gedrängt voll mit trägen, benommen Gästen –
Leuten, die derart jenseits von Gut und Böse waren, dass ihnen zum Versuch, ihre eigene Haut
zu retten, der Verstand abging, und welche die Prophezeiungen als blödsinnige Panikmache
abtaten. Man fand hier weitere der Nomaden, welche die gleichen schmutzigen Felle wie die
Reisenden draußen trugen, doch auch eine verwirrende Reihe anderer Bekenntnisse und
Rassen – Menschen aus jeder Ecke der Amethystfarbenen Fürstentümer und darüber hinaus.
Maleneth erspähte hünenhafte Wilde aus dem Osten, die so dicht wie Gotrek mit
Tätowierungen bedeckt waren und genauso ungehobelt aussahen. Man sah heimatlose Pilger
in Sackleinen, die Augen mit Kohle umrandet und verschmiert durch die Bierpfützen, in
denen sie gelegen hatten. In einer Ecke hing eine Gruppe von Duardin, Reisende ohne Hab
und Gut, die über ihren Humpen kauerten und Gotrek unter ihren zerbeulten, verzierten
Helmen heraus anstierten.
Gortek ignorierte die Duardin geflissentlich und eilte geradewegs durch den Raum zur
Theke, wo eine große, wild aussehende Frau vor einem ihrer Kunden aufragte, ihn hin und her
schüttelte, bis aus seinem Griff ein paar Münzen herausfielen und klappernd über die Theke
kullerten.
»Das nächste Mal«, fauchte sie, »ist es dein Gedärm, das über die Theke hängt.«
Der Mann taumelte aus ihrem Griff, und brach wie ein verschrecktes Häufchen Elend
zusammen, das wegzukrabbeln versuchte, als Gotrek an ihm vorbei und auf die Frau zuschritt.
»Nützt noch immer nichts«, sagte der Slayer und blickte zu ihr auf.
Sie schüttelte ungläubig den Kopf, beugte sich dann über den Tresen, blickte auf ihn herab
und starrte dabei seinen beeindruckenden Bauch an. »Du hast das alles getrunken?«
Gotrek schlug sich mit der Faust auf den Bauch und rülpste. »Viel gebracht hat es nicht.«
Die Frau blickte Maleneth an, als diese die Theke erreichte. »Er hat das alles getrunken?«
Maleneth nickte widerwillig, verärgert, dass die Wirtin auch noch beeindruckt wirkte.
Gotrek musterte die Flaschen hinter der Frau. »Habt ihr was Stärkeres?«
Sie starrte ihn an. »Gehörst du zu denen?«, fragte sie und nickte zu der Gruppe Duardin hin.
Gotrek musterte weiterhin die Getränke und beachtete die Frage nicht. Das einzige Zeichen
einer Reaktion war ein leichtes Anspannen seines Kiefers.
Sie zuckte die Achseln, nahm eine Flasche aus dem Regal und stellte sie vor ihm ab. Sie
hatte die Form einer lang gezogenen Träne und war offensichtlich alt – ein plumper Brocken
grünen, trüben Glases, bedeckt mit Staub und Asche. In der Flüssigkeit schwammen nicht
näher erkennbare Überbleibsel.
Gotrek schnappte sich die Flasche, hielt sie gegen das Feuer, das neben der Theke prasselte,
und sah sich blinzelnd die umherwirbelnden Ablagerungen an.
Die Frau packte ihn bei seinem baumstammdicken Bizeps. »Ist nicht billig.«
Gotrek warf ein paar Münzen in ihre Richtung und musterte dann weiter das Getränk.
Er drückte mit seinem fetten, schmutzigen Daumen den Korken in die Flasche hinein und
ein berauschender Gestank erfüllte den Raum.
Maleneth hustete und hielt sich eine Hand vors Gesicht.
Gotrek schnüffelte an der Flasche und verzog das Gesicht. »Ist kein Bugmanns.«
»Dann trink es nicht«, sagte Maleneth, die sich daran erinnerte, was das letzte Mal
geschehen war, als der Slayer betrunken gewesen war. Sie hatten keine Chance, in einem
Stück aus Klemp rauszukommen, wenn Gotrek einen Kampf vom Zaun brach, während
gerade eine Armee auf sie zumarschierte.
Er schenkte ihr einen warnenden Blick.
»Was ist mit Nagash?«, fragte sie; es war das Erste, was ihr einfiel.
Seine Miene wurde noch wütender, aber er hob die Flasche nicht an seine Lippen.
»Du hast uns den ganzen Weg hergeschleppt, um ihn zu finden.« Maleneth sah zu Trachos
hinüber. Er stand ein paar Schritte entfernt und sah dem Wortwechsel zu, aber wie üblich
schien er nichts wahrzunehmen, sondern vollkommen Gefangener seiner eigenen, ganz
persönlichen Hölle zu sein. Sie musste einsehen, dass der Stormcast keine Hilfe sein würde,
und wandte sich wieder an Gotrek. »Und jetzt, genau in dem Moment, da seine Armee kurz
davor steht, uns zu erreichen, willst du dich selbst ins Delirium saufen. So könntest du genau
die Gelegenheit verpassen, auf die du gewartet hast. Die Gelegenheit, ihm entgegenzutreten.
Oder was immer es ist, was du erreichen willst.«
Gotrek blickte finster drein. »Er ist nicht hier. Götter haben nicht den Mumm, ganz in erster
Reihe zu führen. Nagash wird sich, wie der ganze Rest, irgendwo verstecken.« Er nahm einen
tiefen Schluck aus der Flasche und hielt dabei Maleneths Blick.
Dann hielt er inne, um Atem zu holen, warf noch ein paar Münzen auf den Tresen und nahm
die Flasche zu einer der Bänke mit, die den Raum säumten. Das Holz ächzte, als er Platz
nahm.
Auf der Bank saß ein älterer Mann und er beobachtete interessiert, wie Gotrek noch mehr
von dem übel riechenden Zeug trank. Er war groß und schlank, saß steif und stolz da, und
nippte mit den präzisen, behutsamen Bewegungen eines Ästheten an seinem Getränk. Anders
als alle anderen in der Dumpfen Trommel war er tadellos gekleidet. Tunika, Mantel und Hose
waren mit goldenem Garn verziert und sein zurückweichendes, glatt nach hinten gekämmtes
Haar war derart mit Perlen und Halbedelsteinen durchflochten, dass es einem
Scheitelkäppchen ähnelte.
Als Gotrek die halb geleerte Flasche auf dem Tisch abstellte, beugte sich der Mann vor und
flüsterte, »Habt Ihr etwas mit dem Nekromanten abzumachen?«
Offensichtlich war Gotrek von seinem Getränk noch nicht benebelt. Mit verblüffender
Geschwindigkeit schoss seine Hand vor und schloss sich um den dürren Hals des Mannes.
»Wer will das wissen?«
Ein seltsames Geräusch kam aus der Brust des Mannes. Es mochte ein Lachen sein.
Gotrek fluchte. Statt Haut und Knochen in seinem Griff zu haben, war seine Hand glatt
durch den Hals des Mannes gegangen und alles, was er jetzt hielt, war eine Handvoll Asche.
Als er seine Hand zurückriss, rann ihm das Pulver durch die Finger. Wütend funkelte er den
Mann an.
Den Bruchteil einer Sekunde lang besaß der alte Mann keinen Hals, nur eine Kaskade feinen
Staubes, die von seinem Unterkiefer aus auf seine Schultern herabrieselte. Es wirkte wie Sand
in einem Stundenglas. Dann verfestigte sich der Staub und der Hals des Mannes erschien
erneut. Er strich sich die pomadigen Haare und sah Gotrek an. Seine Augen glitzerten und
waren ohne Fokus, als blickte er in Rauch.
Gotreks Wangen röteten sich vor Zorn und er ergriff den Schaft seiner Großaxt. »Was bist
du? Ein Gespenst? In meiner Zeit haben wir die ruhelosen Toten verbrannt.«
»Ich habe durchaus wohl geruht, vielen Dank«, sagte der Mann mit einem unbestimmten
Lächeln.
Maleneth und Trachos näherten sich dem Tisch.
»Was bist du?«, wollte Maleneth wissen.
Der Mann ignorierte ihre Frage und musterte stattdessen die Rune auf Gotreks Brust und die
Stacheln auf Maleneths eng anliegender Lederkleidung. Dann betrachtete er das zerbrochene,
vergoldete Sigmarit von Trachos’ Kriegstracht. »Ihr seht mir nicht wie Diener des Großen
Nekromanten aus.«
»Dafür aber du«, sagte Gotrek, indem er einen weiteren Schluck aus der grünen Flasche
nahm. »Warum nimmst du nicht …« Er zögerte, besah sich die Flasche mit einem
überraschten Gesichtsausdruck, ließ seinen Kopf locker hin und her rollen. »Hm, das ist nicht
mal schlecht.«
Er sah zu der Wirtin hinüber und schenkte ihr ein anerkennendes Nicken.
Zu Maleneths ungläubiger Überraschung wurde die lächerliche Frau rot.
»Genau wie Ihr, Fyreslayer, beuge ich mich vor keinem Gott«, sagte der Mann und sah
Gotrek mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck an.
»Ich bin kein Fyreslayer und du hast nichts mit mir gemein.« Gotrek stand auf und ging
vom Tisch fort. Er stolperte und musste nach einer Bank greifen, um sich zu stützen. »Das ist
gut.« Er setzte sich wieder und die Bank gab erneut ein Ächzen von sich.
»Warum wollt Ihr Nagash finden, wenn Ihr ihm nicht dient?«, fragte der Fremde.
»Was bist du?«, wiederholter Maleneth und packte die Griffe ihrer Messer. »Bist du
menschlich?«
»Ich bin Kurin«, erwiderte er und streckte seine Hand aus.
Maleneth musterte ihn misstrauisch.
Gotrek hatte seine Augen geschlossen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Als
er sie wieder öffnete, musste er mehrere Male blinzeln, um wieder einen klaren Blick zu
bekommen.
»Du bist betrunken«, murmelte Maleneth.
Gotrek grinste. »Und du bist hässlich. Aber ich werde morgen hässlich sein und du bist noch
immer …« Er verstummte und schüttelte den stirnrunzelnd den Kopf. »Moment … Ich meine,
ich werde morgen hässlich sein und du immer noch betrunken.« Er schüttelte den Kopf,
brummelte vor sich hin und versuchte sich an den Witz zu erinnern, den er die letzte Woche
jeden Tag gerissen hatte.
»Ich gehöre zu einem Orden von Magistern, der das Schweigen genannt wird«, sagte der
Mann, indem er Gotreks unzusammenhängendes Gebrabbel ignorierte. »Beichtbrüder, wie uns
früher manche nannten.«
»Hab nie von euch gehört«, erwiderte Maleneth und musterte den Mann misstrauisch. Es
gab eine Menge Leute, welche die Rune auf Gotreks Brust an sich bringen wollten. Vielleicht
war es kein Zufall, dass Kurin sich in diesem bestimmten Moment in der Dumpfen Trommel
befand.
»Das haben nicht viele«, sagte Kurin. »Unsere Fähigkeiten sind nicht länger besonders
gefragt.«
»Fähigkeiten?«
Er streckte erneut die Hand aus, hielt sie vor Maleneth in derart lässig gezierten Art hin,
dass sie sich schon fragte, ob er erwartete, dass sie sie küsste. Dann drehte er plötzlich die
Hand um, sodass die Handfläche nach oben kam.
Maeleneth, Gotrek und Trachos beugten sich alle näher heran und beobachteten überrascht,
wie sich die Linien aus seiner Handinnenfläche lösten und sich wie feine Rauchfäden in die
Luft wanden.
»Berührt sie«, sagte er.
Maleneth schüttelte den Kopf und die anderen beiden lehnten sich zurück.
Er zuckte die Achseln. »Wir sind ein sehr alter Orden. Einst haben wir diese Königreiche
beherrscht, lange vor diesen lümmelhaften Barbaren, die jetzt versuchen, nach der Herrschaft
zu greifen. Wir sind eins mit dem Staub. Wir teilen keine der Schwächen der Menschen –
keine Zweifel, kein Bedauern, keine Trauer, keine Scham. Der Boden ist unser Fleisch und die
Erde ist unser Bett. Das macht das Leben einfach. Menschliche Belange scheren uns nicht,
und so haben wir Zeit, uns auf erhabene Angelegenheiten zu konzentrieren.«
Gotrek schaffte es, seinen Blick zu fokussieren. »Ihr schert euch um gar nichts?« Er pflückte
sich einen Fleischfetzen aus dem Bart, starrte ihn an, aß ihn dann. »Hört sich für mich nicht
besonders ›erhaben‹ an. Das habe selbst ich gemeistert.«
Kurin lächelte mit noch immer ausgestreckter Hand, während seine Haut noch immer einen
Miniatursturm aufwirbeln ließ. »Ich fühle, dass Euch mehr kümmert, als Ihr gerne zugeben
möchtet. Aber ich kann Euch über Eure Verbrechen die Beichte abnehmen. Wir sind in der
Lage, in Seelen hineinzublicken, Slayer – wir sehen ihren Wert und was sie heimsucht. Nehmt
meine Hand, sagt mir, was Euch dazu treibt so eifrig zu trinken, und ich werde diese
Erinnerung von Euch nehmen.«
Gotrek ließ ein hämisches Lächeln aufblitzen und starrte die Hand des Mannes an. »Sie von
mir nehmen?«
Der Slayer hatte Maleneth nie viel von seinem früheren Leben erzählt, doch sie wusste, dass
er für vergangene Taten büßen wollte. Als eine Art der Reue suchte er den ruhmreichen Tod
in der Schlacht. Ihr Puls beschleunigte sich. Wenn Gotrek in der Lage wäre, das zu vergessen,
wofür er büßen wollte, dann würde er aufhören, ständig geradewegs in sein eigenes Verderben
zu rennen. Dann konnte sie ihn einfach mit der unversehrten Rune Schwarzhammers wie eine
Opfergabe zurück nach Azyr führen.
Kurin lächelte noch immer. »Oder, wenn Ihr nicht frei von Eurer schmerzvollen
Vergangenheit sein wollt, dann gebe ich Euch eine Gelegenheit zur Versöhnung. Ich kann
Eure Geister erwecken, Slayer. Ich kann Eure Schatten ins Licht zerren. Gibt es jemanden, den
Ihr anklagen möchtet? Oder Euch bei ihm entschuldigen? Mein Arm ist lang.«
»Ein Scharlatan«, schnaubte Maleneth. »Schätze, dass du auch die Zukunft vorhersagst.
Und wie viel soll das alles kosten?«
»Kein Geld. Nur Ehrlichkeit. Nagash verfolgt meinen Orden seit unzähligen Generationen.«
Kurin schwenkte unbestimmt die Hand und wollte damit auf die Straßen draußen hindeuten.
»Und hat mich hier zurückgelassen, umgeben von Leuten, die so dumm sind, dass sie alle
Götter anbeten, wenn sie doch keinen verehren sollten.« Er sah die drei nacheinander an, noch
immer mit diesem Halblächeln auf den Lippen. »Und jetzt höre ich, dass Ihr drei ihn sucht.
Während jeder andere erbärmliche Wicht in Klemp sich jammernd vor Nagash windet, wollt
Ihr ihm entgegentreten. Es ist lange her, dass ich von irgendetwas anderem als Furcht gehört
habe.« Er betrachtete die Rune auf Gotreks Brust. »An Euch ist irgendetwas anders.«
Maleneth nickte. »Wenn wir dir also sagen, warum wir den Nekromanten suchen, wirst du
dann Gotrek von seiner Schuld befreien?«
»Wenn es das ist, wonach er verlangt.«
Der Slayer starrte noch immer Kurins Hand an, doch Maleneth spürte, dass sein Geist
wieder in der Vergangenheit versunken war. Seine übliche grimmige Miene war
verschwunden, und seiner gewöhnlichen Wildheit beraubt, wirkte sein Gesicht eher, als wäre
ihm Gewalt angetan worden, als dass er selbst gewalttätig wäre – ein schockierendes Gewirr
aus Narben und verbogenen Knochen.
»Wollt Ihr das?«, bohrte Kurin mit einem seltsamen Leuchten in den Augen nach.
Gotrek starrte so verbissen ins Leere, dass Maleneth sich fragte, ob sein Gesöff ihn
schließlich doch in eine Deliriumsstarre hatte sinken lassen. Dann lachte er plötzlich auf und
lehnte sich zurück, lockerte sich, während er einen weiteren Schluck nahm. »Diese Reiche
sind so verdammt raffiniert. Ich sehe, was du da vorhast, Hexer – du willst mir meine
Vergangenheit rauben und mich als grinsenden Idioten zurücklassen. Du willst, dass ich
meinen Eid vergesse.«
Verwirrt krauste Kurin die Stirn, schüttelte den Kopf, doch bevor er widersprechen konnte,
fuhr Gotrek fort.
»Für mich gibt es keinen Trost, Zauberer. Keine Absolution. Keine verdammte Beichte.
Nicht, bevor ich mein Schicksal finde.« Mit steigendem Zorn wurden auch die Worte des
Slayers immer undeutlicher. »Und auf die eine oder andere Art, werden die Götter es mir
geben.«
»Gotrek«, sagte Trachos. »Wir haben keine Ahnung, warum er deine Geschichte wissen
will.«
Überrascht blickte Maleneth auf. Der Stormcast Eternal sprach kaum, und wenn, dann ergab
es selten Sinn.
Gortek lachte, beugte sich nah zu Kurin hin und winkte Trachos abweisend zu. »Mein
Freund hier gräbt nicht mit einer ganzen Schaufel. Er denkt, ich müsste mir wegen dir Sorgen
machen. Wenn er nur die Hälfte der Dinge kennen würde, die ich erschlagen habe, dann
wüsste er, dass ich mir wegen jemandem, der Hirn statt Staub hat, wenig Sorgen machen
muss.« Er schüttelte den Kopf. »Ich meine, Staub statt Hirn. Du bringst mich noch völlig
durcheinander, verdammt. Halt dich aus meinem Kopf raus. Die Vergangenheit ist ein Ort, an
den ich noch immer gerne gehe. Ich wäre dir dankbar, wenn du ihn nicht verderben würdest.«
Kurin nickte höflich. »Natürlich. Ich hoffe, ich habe Euch nicht beleidigt.«
Gotrek starrte auf den Tisch und schüttelte den Kopf. »Tatsächlich hast du das erste
Vernünftige gesagt, was ich höre, seit ich in diesen Reichen angekommen bin. Götter sind
Idioten. Götter anzubeten ist eine Beschäftigung für Idioten. Da hast du recht.« Unbeholfen
winkte er in Maleneths und Trachos’ Richtung. »Diese zwei da denken, sie könnten für sich
einen Platz an der Spitze irgendeiner ruhmreichen, himmlischen Heerschar gewinnen, wenn
sie mich zum Opferpreis machen.« Er lachte. »Schau sie dir an, wie sie davon träumen, heilige
Fußschemel zu sein.«
Kurin lächelte traurig. »Der Fluch der Frommen. So heiter und vergnügt zum Grund ihrer
Schmerzen zu beten.«
»Darauf ein Prost.« Gotreks Ton war grimmig, als er seine Flasche klirrend gegen das
Getränk des alten Mannes stieß. »Die Götter sind zu nichts nütze«, brummelte er. »Außer sich
meine Axt einzufangen.«
Maleneth schüttelte den Kopf. Sie war keineswegs begeistert davon, wie der alte Mann
förmlich an jedem betrunkenen Wort aus Gotreks Munde hing. »Trachos hat recht«, sagte sie.
»Wir sollten unsere Sache für uns behalten.«
»Unsere Sache?«, schrie Gotrek auf.
Er kraxelte auf den Tisch und brüllte durch den Raum. »Es ist meine verdammte Sache und
ich teile sie mit wem immer ich will!«
Das Murmeln der Gespräche erstarb schlagartig und jeder blickte den verrückten, zu groß
geratenen Slayer an, der da auf dem Tisch schwankte.
Maleneth legte den Kopf in ihre Hände.
»Ich bin hierhergekommen, um Nagash entgegenzutreten!«, schrie Gotrek und zog seine
Axt. »Ihr feigen Welpen könnt, wenn ihr wollt, davonlaufen und euch verstecken, aber ich
werde ihn finden und diese nutzlose Klinge in seinem nutzlosen Schädel vergraben.« Er ließ
die Axt niederschmettern und spaltete den Tisch, dass die Getränke durch die Gegend flogen
und Gotrek zu Boden stürzte.
Es folgte ein Ausbruch von Schreien und Flüchen, als die Leute, wütend über seinen
Vorwurf der Feigheit, aufsprangen, ihre Waffen packten und Gotrek Beschimpfungen
entgegenschleuderten.
Ein finster blickender Pöbelhaufen bildete sich um den Slayer, der sich auf die Beine
stemmte und seine Axt zurückholte.
Maleneth zog ihre Messer und sprang an seine Seite, während sie noch immer stimmlos vor
sich hin fluchte. Trachos riss die Hämmer aus seinem Gürtel und stellte sich an Gotreks
andere Seite. Das Trio bot einen ungewöhnlichen, eindrucksvollen Anblick, und das
betrunkene Volk zögerte.
Die Duardin, die Gotrek seit seiner Ankunft beobachtet hatten, eilten an seine Seite und
Gotrek funkelte sie zornig an.
»Kommt ja nicht näher, ihr erbärmliche Verspottung eines Zwerges«, fauchte er und ging
auf den nächsten von ihnen zu.
Ein Aufkeuchen ging durch die Menge und sie taumelte vor Gotrek zurück. Sie griffen sich
an die Kehlen und rangen nach Luft. Die Adern unter ihrer Haut strebten wie zu Knoten
zueinander hin und wanden sich wie Schlangen. Einige der Leute fielen auf die Knie,
murmelten und wimmerten um Atem ringend vor sich hin, während andere zur Tür hin
torkelten.
»Wartet!«, rief Kurin, während er sich Teile des Tisches von der Kleidung fegte, aufstand
und den Raum durchquerte. Er hob die Hände mit wohlwollendem Lächeln. Die Falten seiner
Handfläche hatten sich erneut zu einem Miniaturtornado erhoben, wirbelten und wanden sich
unter seinen Fingern. »Senkt die Waffen, meine Freunde. Es gibt keinen Grund zur
Zwietracht. Ich zahle für die verschütteten Getränke.«
Er schloss die Faust und Luft schoss aus Dutzenden von Lungen, als die Leute wieder zu
Atem fanden.
Es gab noch einige ungehaltenen Rufe, doch griff keiner an. Sie betrachteten Kurin noch
argwöhnischer als vorhin Gotrek. Während sie brummelnd und keuchend wieder zu ihren
Plätzen zurückkrochen, fiel Maleneth auf, dass Kurin, bis sich Gotrek neben ihn gesetzt hatte,
vollkommen allein auf seiner Bank gesessen hatte. Niemand hatte sich getraut, sich in seine
Nähe zu setzen.
»Du hast mich um einen Kampf betrogen, Zauberer.« Gotrek hob seine Axt noch ein wenig
höher und bedachte Kurin mit einem warnenden Blick. »Und es gibt ohnehin wenig zu tun in
diesem –«
»Ich kann zu Nagash gelangen«, sagte Kurin lächelnd.
Gotrek erstarrte.
Kurins Anwesenheit machte selbst den hart gesottensten Krieger im Raum nervös. Als er
langsam auf Gotrek zuging, zogen sie sich in die dunkelsten Ecken der Schenke zurück.
Maleneth hatte so etwas unzählige Male gesehen. Nur wenige Sterbliche wagten es, den Zorn
eines Hexers zu erregen.
Kurin nickte zur Straße hin. »Wir können in meiner Unterkunft reden.« Sorgsam legte er ein
paar Münzen auf die Theke, ging dann zur Tür und winkte Gotrek, ihm zu folgen.
Der Slayer musterte ihn argwöhnisch, zuckte dann die Achseln und ging hinaus in die
Düsternis. Maleneth und Trachos eilten ihm hinterher.
KAPITEL ZWEI

DER KNOCHENREGEN

Auf halbem Wege über die Straße hielt der Hexer an und starrte auf etwas. Das Mammut war
verschwunden, doch noch immer stürzten Menschenmassen hin und her und beluden Karren.
Ein paar hatten es Kurin gleichgetan und angehalten, um die Straße hinab in Richtung des
Stadttores zu blicken.
»Gott des Mordes«, sagte Maleneth. »Was denn jetzt?«
»Ein weiteres Geschenk der Götter«, sagte Kurin, der trotz der sich über den Himmel
ausbreitenden Abscheulichkeit ruhig blieb.
Jenseits des Tores veränderten sich die Wolken – sie schwollen an und bebten und formten
sich zu schwarzen Gewittertürmen. Das waren offensichtlich keine normalen Sturmwolken.
Sie kochten aus einem leeren Himmel hervor, als würde Rauch aus einer Wunde quellen.
Da immer mehr Leute nun das Geschehen bemerkten, wurde die Menge immer
panikerfüllter. Menschen schrien und ließen ihr Gepäck stehen, das sie versucht hatten, auf
ihre Karren zu schleppen. Der Wind nahm an Schärfe zu und Knochenkäfige wurden aus den
Hauseingängen gerissen, trieben klappernd über die Straße, dass Finger und Federn überall
wirbelnd im Staub verstreut wurden.
Maleneth hustete und würgte, während ihr Staub in die Nasenlöcher kroch. Ein furchtbarer
Gestank lag in der Luft – der schwere, dicke Geruch des Todes. Er kam aus den Wolken, die
sich am Horizont formten.
Trinker quollen aus der Dumpfen Trommel hervor, fahl und fluchend, als sie über sich den
herannahenden Sturm erblickten.
»Hier lang«, rief Kurin und winkte in die entgegengesetzte Richtung der Wolken, zu einem
Gebäude weiter die Straße hinunter.
Gotrek ignorierte ihn, setzte seine Füße im festen Abstand auf den Boden und starrte in den
Sturm.
»Gotrek!«, schrie Maleneth. »Was immer das auch sein mag–« Ihre Worte wurden
abgeschnitten, als das Schild der Schenke abriss, durch die Luft wirbelte und sie beinah traf.
Sie sprang beiseite und beschirmte ihre Augen, als es auf die Straße schmetterte und
Holzsplitter aufwirbelte.
Gotrek stemmte sich noch immer in den Wind, grinste und prüfte wiegend das Gewicht
seiner Axt.
»Sterbt nicht hier«, rief Kurin, »in dieser langweiligen kleinen Stadt. Verschwendet Eure
Kraft nicht an einen Ort, der bereits vergessen ist. Ich kann Euch zeigen, wie Ihr zu Nagash
kommt.«
Gotrek blickte über die Schulter zu ihm hin, während Teile eines zerbrochenen Schreins an
ihm abprallten – Knochensplitter und mit Haar verknoteter Draht. Er runzelte die Stirn. »Sag
mir, warum wolltest du mir noch mal helfen?«
»Ich sehe da etwas in Euch, Duardin. Ich habe so ein Gefühl, als ob –« Kurin wollte noch
mehr sagen, aber der Sturm machte das Atmen schwer. Woraus auch immer der Hexer
geschaffen sein mochte, sein Körper war nicht an die gleichen Naturgesetze gebunden wie die
jedes anderen. Er begann, in Fragmente zu zerfallen und sich aufzulösen, wurde heftig von
dem stürmischen Wind hin und her gezaust. Einen Moment lang schien er völlig in sich
zusammenzubrechen, vom Wind davongerissen zu werden, doch dann formte er sich neu und
seine edlen Züge fanden wieder an ihren Platz. »Wir haben nicht viel Zeit!« Von einer
widernatürlichen Macht erfüllt, hallte seine Stimme die Straße entlang.
Maleneths Beine trugen sie hinter ihm her, als besäßen sie einen eigenen Willen. Sie fluchte,
als sie begriff, dass der Mann sie verhext hatte.
Trachos stand mit erhobenen Hämmern an Gotreks Seite, vom Gewicht der wuchtigen
Sigmaritrüstung am Boden gehalten, während jeder andere die Straße herabgeweht wurde. Der
Sturm war jetzt so heftig, dass mehrere Karren umgestürzt im wirbelnden Staub herumlagen
und Türen aus den Angeln gerissen und durch die Luft geschleudert wurden.
Gotrek starrte noch immer Kurin an, der sich flackernd dem Blick entzog, dann wieder
zurückkehrte und sich dabei mit den Staubwolken vermischte. Dann zuckte er die Achseln und
ging auf den Hexer zu, während Trachos hinter ihm her taumelte.
Eine Veranda in Maleneths Nähe riss los und einer der Balken schlug ihr schmerzhaft gegen
die Waden. Sie stürzte und wurde die Straße hinabgewirbelt. Sie keuchte und hustete bei
jedem Aufprall auf dem harten Boden. Sie wurde gegen die Seite eines Holzgeschäfts
gewirbelt und schaffte es, sich dort festzuhalten.
Närrin, sagte ihre Herrin. Du hast deine Gelegenheit verpasst. Ich habe es dir gesagt.
Maleneth knurrte auf, wollte widersprechen, aber inzwischen konnte sie Gotrek kaum noch
sehen. Er war bloß noch eine undeutliche, gedrungene Silhouette im Staub, über die sich
Trachos mit massiger, unerschütterlicher Gestalt beugte.
»Gotrek!«, schrie sie, doch in diesem Moment brach die Wolke auf, zerriss mit
ohrenbetäubendem Krachen in der Mitte und spie Regen auf die Straßen Klemps herab.
Nein, es war kein Regen – es sah mehr nach Hagel aus – harte, weiße Splitter, die beim
Fallen glänzten und bei Aufprall Staub aufsteigen ließen.
Der Hagel fegte auf die Stadt zu und die wenigen Leute, die noch auf der Straße waren,
warfen sich in Deckung, sprangen durch offene Türen und schlugen die Läden zu.
Maleneth konnte keine Spur von Gotrek oder Trachos entdecken.
»Nein!« Sie schleppte sich vom Holzladen fort und sprang durch ein zerbrochenes Fenster
in das Haus daneben. »Ich werde diese gesegnete Rune nicht verlieren! Nicht nach alldem!«
Ein Mann kauerte in dem Raum, duckte sich hinter einen umgestürzten Tisch. Sie funkelte
ihn an, als er auf eine Öffnung zukroch, wo die Wand eingebrochen war. Als der Wind sich
erneut in ihr verbiss, sah sie, dass der Hagel jetzt die Stadt erreicht hatte und wie mit Messern
die Straßen aufriss, laut trommelnd auf die gestampfte Erde einschlug und wie eine blitzende
Sturzflut auf sie zuraste.
Der Mann keuchte auf, starrte auf den Hagel wie auf eine Heerschar von Dämonen.
Die Furcht war ansteckend. Maleneth zog sich von der Öffnung zurück und warf sich neben
ihm zu Boden.
»Was ist das?«, schrie sie und musste kämpfen, um sich über dem Getöse Gehör zu
verschaffen.
Er schüttelte den Kopf, sah sie dabei nicht an, starrte noch immer nur auf den Hagel.
Sie drückte ihm eine Klinge an die Kehle. »Was ist das?«, wiederholte sie mit mehr
Nachdruck.
Er blickte noch immer in den Sturm, aber diesmal antwortete er zumindest.
»Knochenregen!« Er hörte sich irre an. »Der Todessturm! Nagashs Sturm!«
»Was soll das heißen?«, schrie sie und drückte stärker mit der Klinge zu, bis Blut an seiner
Kehle rann.
»Es bedeutet, dass die Reißer kommen!« Er wollte gerade noch etwas sagen, als sein
Gesicht einen beunruhigenden Lilaton annahm und er rückwärts gegen die Wand fiel.
Einen Moment war Maleneth verwirrt, dann fluchte sie und erinnerte sich daran, dass sie ihr
Messer mit Gift benetzt hatte, als sie Trachos zum Kampf hatte herausfordern wollen.
»Idiot«, flüsterte sie und funkelte die verfärbte Leiche an.
Sie ließ ihn zu Boden fallen und rannte dann durch die Tür ins nächste Zimmer, noch immer
auf der Suche nach dem Slayer.
Sie fand keine Spur von ihm, nur weitere Hiesige, die sich furchtsam unter den Tisch
kauerten, während der Sturm mit einem Geräusch, als würden sich Wellen an einer Steilküste
brechen, gegen die Wände peitschte.
Maleneth fluchte, als sie sah, dass hier kein Fortkommen mehr war. Sie ging zur
verrammelten Tür hinüber, doch die unter dem Tisch zusammengekauerte Familie schrie
augenblicklich laut auf.
»Das ist doch nur Hagel«, sagte sie und funkelte sie wütend an, doch sie fühlte sich beileibe
nicht so zuversichtlich, wie sie klang.
»Es ist Knochenregen!«, keuchte einer von ihnen auf und schüttelte wütend den Kopf. »Er
wird dich zerreißen!«
Maleneth runzelte die Stirn. »Wovon redest du?«
Mehr wollte der Mann nicht sagen, schlang sich die Arme um den Kopf und lehnte sich
gegen seine Familie.
Maleneth stieß zischend einen Fluch aus und sah wieder zur Tür. »Das ist lächerlich«,
flüsterte sie, bewegte sich aber nicht weiter.
Sie ging im Raum auf und ab, ließ ihre Messer von Hand zu Hand schnellen, warf den
Leuten unter dem Tisch finstere Blicke zu und fragte sich, wo Trachos und Gotrek wohl
inzwischen sein mochten.
Sie werden mit dem Hexer gegangen sein. Gotrek wird froh sein, dich von hinten zu
sehen.
Stimmt nicht, dachte sie. Der Slayer liebt es, mich zu quälen. Und er hat eindeutig nichts für
Trachos übrig.
Nach etwa zehn Minuten begann der Lärm des Sturms nachzulassen.
»Er zieht über uns hinweg«, flüsterte sie, danach fiebernd endlich die Tür zu öffnen.
Der Mann unter dem Tisch sah mit Hoffnung in den Augen zu ihr hoch. »Warte«, sagte er
und hob warnend die Hand. »Geh erst sicher.«
Maleneth wollte ihm ein Messer in sein erbärmliches Gesicht schleudern, doch sie wartete
damit, die Tür zu öffnen, bis das Geräusch vollständig verklungen war. Dann öffnete sie sie
vorsichtig einen Spalt weit und spähte hinaus in die Finsternis.
Der Regen war fort, doch der Sturm hatte die Straße mit allerlei Schutt und Trümmern
verwüstet. Ganze Teile von Häusern waren eingebrochen, sodass man in Zimmer hineinsehen
konnte und Möbelstücke ringsum durch den Staub verstreut worden waren.
In all dem Schutt lagen Menschen, blutend und vor Schmerzen weinend, so stark zerfetzt,
dass es schien, als hätten sie eine Messerstecherei überlebt. Überall lagen Hagelstücke und
formten einen morschen Teppich, der, während Maleneth durch die Straßen ging, unter ihren
Stiefeln knirschte. Sie stoppte, schaute genauer hin und sah dann, dass diese Splitter kalt und
glitzernd statt trocken und staubig waren.
Kurin, Gotrek und Trachos waren aus einem Haus gegenüber hervorgekommen und der
Hexer deutete mit einem Winken auf die Leute, die blutend im Staub lagen. »Das ist nur der
Auftakt.«
Sie schüttelte den Kopf, sah dann aber, was Kurin meinte. Gestalten kamen aus dem Sturm
hervor, taumelten durch die Staubwolken.
Maleneth lachte ungläubig auf, als die erste von ihnen in ihr Sichtfeld stolperte. Es war, als
würde ein Mensch ein lächerliches Schauspiel abgeben. Sie stand in unbeholfener, gebeugter
Haltung und ihr Gesicht war zu einem debilen Hohnlächeln verzogen. Nur ihre Augen nahmen
der Szene ihre Komik – sie blickte starr und leer.
Sie humpelte auf Kurin zu, atmete dabei heftig und spannte ihre knochigen Hände. Sie war
in zerrissene Rüstungsfetzen gehüllt und bewegte sich, als sei ihr Körper zerbrochen und nur
grob repariert worden. Sie torkelte und stolperte, als müsste sie darum kämpfen aufrecht zu
bleiben, doch als sie die Straße überquerte, nahm sie Geschwindigkeit auf, brach rasch durch
die Zaunpfosten und stürmte voran.
Kurin beobachtete ohne Zeichen von Besorgnis, wie der Mann sich näherte. Dann, im
letzten Moment, löste er sich in eine Staubwolke auf und sein Angreifer warf sich auf die
Stelle, die er soeben noch eingenommen hatte, und fiel zu Boden.
Der Mann schlug wild um sich, japste und keuchte, stand dann auf und sprang die am
nächsten stehende Person an. Zu seinem Unglück war das Gotrek.
Der Slayer schwang seine enorme Großaxt ohne sichtliche Anstrengung und versenkte die
Klinge tief im Schädel des Angreifers.
Der Mann taumelte unter der Wucht des Schlages, fiel aber nicht. Er sah verwirrt aus, als er
nach oben griff und die Klinge berührte, die in seinem Kopf steckte.
»Du bist tot«, half ihm Gotrek auf die Sprünge.
Der Mann fauchte und versuchte, ihn erneut anzuspringen.
Der Slayer murmelte einen Fluch, zerrte seine Axt frei und pflügte sie ihm durch den Hals,
dass der Kopf in den Staub fiel und davonhüpfte.
Einige Sekunden lang hielt der Mann durch, taumelte auf Gotrek zu, während ihm das Blut
über die Brust strömte.
Dann stürzte er zu Boden und lag endlich still.
»Gotrek«, sagte Trachos und winkte mit einem seiner Hämmer die Straße entlang.
Dutzende weiterer Gestalten torkelten in die Stadt, Männer und Frauen in blutigen Lumpen
und zuckend wie Marionetten. Ihre Rücken waren derart gebeugt, dass ihre Wirbelsäulen
durch die Haut drangen und ihre langen ausgezehrten Arme bis zur Erde herabhingen, sodass
sie die Fäuste in den Staub gruben und in affengleichem Gang ins Licht hinausstürzten.
»Was für ein Teufelswerk ist das?«, grunzte Gotrek und sah dabei Maleneth an.
Sie schüttelte den Kopf, zog ihre Messer, als die hohläugige Meute auf sie zustürmte.
»Das sind Reißer«, sagte Kurin. Er war ein paar Schritt entfernt wieder aufgetaucht. Staub
wirbelte noch immer um seine Gewänder und sein Gesicht brauchte einen Moment, bis es sich
wieder festigte. »Ihre Herren schicken zuerst den Knochenregen. Das beschert ihnen einen
leichten Sieg.«
Die Meute humpelte und hopste die Straße entlang, die Hände ausgestreckt und verdreht wie
zerbrochene Klauen.
»Was ihnen an Verstand fehlt«, sagte der Hexer mit einem Lächeln, »das macht ihr Hunger
wett.«
»Ghule?« Gotrek verzog die Lippen zu einem geringschätzigen Grinsen. »Solchen wie
ihnen bin ich schon begegnet.« Trunken torkelte er die Straße entlang, stieß mit einem
umgekippten Karren zusammen, richtete sich auf, hob die Axt und warf sich der Meute
entgegen.
Er landete mit einem Wirbel von Hieben, dass Glieder und Köpfe nur so umherflogen.
Trachos humpelte an seine Seite und hämmerte auf die wenigen Geschöpfe ein, die Gotrek
entgangen waren.
Maleneth schenkte Kurin einen verzweifelten Blick, doch der zuckte nur die Achseln und
schien von dem Gemetzel amüsiert.
»Kannst du ihn zu Nagash bringen?« Sie musste schreien, um die Kampfgeräusche zu
übertönen.
Er nickte, während er noch immer den Kampf beobachtete.
Während Gotrek und Trachos zustießen und um sich hieben, kamen Dutzende weiterer
Reißer aus dem Sturm hervor, die sich alle mit dem gleichen abgerissenen Gang bewegten. Sie
formten um das Paar einen unregelmäßigen Kreis und drangen auf sie ein.
Gotrek und Trachos sahen sich einer gewaltigen Überzahl gegenüber, doch Maleneth zeigte
keine Regung, ihnen zu helfen. Sie hatte den Slayer schon in ungünstigeren Situationen
kämpfen sehen, ohne dass ihm auch nur der Schweiß ausgebrochen wäre. Während die Menge
vergebens versuchte, Gotrek unter ihrer Zahl zu erdrücken, wandte sie sich an Kurin.
»Warum willst du ihm helfen?«, schrie sie und kämpfte mit ihrer Stimme gegen das Heulen
des Windes an.
»Es naht eine Veränderung, Aelfe. Ich fühl es im Wind. Und ich kann es an Eurem Freund
sehen. Ihn zu Nagash zu bringen, könnte ein Teil dieses Rätsels sein.«
Maleneth schüttelte den Kopf. »Kein Diener des Gottkönigs würde –«
»Ich diene nicht dem Gottkönig!«, schrie Gotrek, während er mit großen Schritten auf sie
zukam und dabei eine Spur zerbrochener Körper hinter sich zurückließ.
»Nicht unmittelbar«, sagte Maleneth, »aber –«
»Überhaupt nicht!«
Kurin nickte zustimmend, grinste dann Maleneth spöttisch an. »Und Ihr? Vor wie vielen
Göttern werft Ihr Euch zu Boden? Ist Sigmar Euer einziger Hüter?«
Sie funkelte ihn zornig an. »Ich bin eine Akolythin des Verborgenen Tempels, des
Bluthändigen, des Witwenmachers. Der Herr des Mordes ist mein Herz und meine Seele. Aber
ich bin …«
»Aber Ihr seid keine Närrin«, unterbrach sie Kurin. »Was immer Ihr auch Khaine
geschworen habt, Sigmars Sturmscharen sind Eure einzige Hoffnung zu überleben. Daher teilt
Ihr Euren unerschütterlichen Glauben nun auch auf den Sturmgott auf.«
Zorn kochte in Maleneth hoch. »Meine Königin hat mit Khaine Zwiesprache gehalten. Sie
ist das Hohe Orakel und sie hat die Vernichtung des Chaos vorhergesagt. Bald wird jeder die
Macht des Mordgottes erkennen.« Sie lachte. »Wende dich nur von den Göttern ab, wenn es
dir so gefällt, Zauberer, doch ich werde dir nicht helfen, ihrem Zorn zu entrinnen.«
Kurin verdrehte die Augen.
Gotrek blickte auf die toten Ghule zurück und dann über die Stadtmauern hinaus zu den
Sturmwolken, die noch immer durch die Dunkelheit peitschten. »Wie willst du mich zu
Nagash bringen?«
»Ich kann nichts tun, bevor wir nicht Klemp verlassen.«
Maleneth wollte eine weitere Frage stellen, als Kurin um Ruhe bittend die Hand hob und mit
einem Nicken die Straße hinab deutete.
Klemp wimmelte von Reißern. Jetzt waren es Hunderte, die Türen aufrissen und durch
Fenster kletterten. Schreie schrillten durch den Sturm, als die Geschöpfe fauchend und
krallend Leute aus ihren Häusern zerrten und die Luft mit Blut erfüllten.
»In meine Unterkunft«, sagte Kurin und winkte beiläufig zu einem der Gebäude. »Schnell.«
KAPITEL DREI

DIE LETZTEN DES SCHWEIGENS

Trachos musste sich unter dem Türrahmen hindurch bücken und Gotrek musste sich seitlich
drehen, damit er durch die enge Öffnung passte. Der Slayer hatte die Flasche geleert, die er in
der Dumpfen Trommel gekauft hatte, und er war nun so wacklig auf den Füßen, dass er beim
Eintreten den halben Türrahmen mitriss und jetzt eine Spur aus Holzsplittern und
Alkoholdunst hinter sich herzog. Rasch verriegelte Kurin die beschädigte Tür, zündete eine
Kerze an und hielt sie hoch. In ihrem schwachen Licht erkannte man eine armselige Hütte,
vollgestopft mit wild zusammengestellten Möbelstücken und den Überbleibseln nicht
gegessener Mahlzeiten. Es maß sechzehn mal sechzehn Spannen im Quadrat und es lag etwas
Absurdes darin, Gotrek und Trachos in einen derart kleinen und nüchternen Raum gezwängt
zu sehen.
»Ein Deckmantel für die Neugierigen«, sagte Kurin und winkte vage im Raum umher.
Die Kampfgeräusche draußen wurden lauter und lauter und Kurin schüttelte den Kopf. »Wir
werden schnell sein müssen.« Er zog einen Schlüssel hervor und schloss damit eine Tür in der
gegenüberliegenden Wand auf, die in einen zweiten Raum führte, und schloss dann diese Tür
hinter ihnen ab. Er nahm die Kerze mit sich und bei ihrem Eintreten flackerte das Licht über
ein Dutzend stummer, regloser Gesichter.
Unsicher, was sie dort vor sich hatte, ergriff Maleneth ihre Messer. Als sich ihre Augen an
das schwache Licht gewöhnten, sah sie, dass der Raum, genau wie der erste, quadratisch war,
jedoch vollkommen ohne Möbel. Neun gebrechliche, alte Männer standen entlang der Wände,
doch hielten sie sich so regungslos, dass Maleneth sich fragte, ob sie wohl Statuen sein
mochten. In Kleidung und selbst Aussehen glichen sie Kurin beinahe völlig. Alle hatten sie
die gleichen langen, aristokratischen Züge und schlaksige Glieder.
»Was jetzt?«, wollte Maleneth wissen. »Du hast uns hier gerade in die Falle geführt. Diese
Geschöpfe werden nicht lange brauchen, bis sie die Tür eingetreten haben!«
Kurin ignorierte sie.
»Wer sind die?«, fragte Gotrek, der noch immer schwankend die neun reglosen Gestalten
betrachtete.
»Meine Beichtbrüder«, erwiderte Kurin und legte die Hand auf den Arm eines der alten
Männer. »Das sind alle, die von uns übrig sind. Die Letzten des Schweigens.« Leise
murmelnd nahm er die Hände der Männer und legte sie zu einem Kreis ineinander.
»Schlafen sie?«, fragte Maleneth, welche die ganze Szene vage widerwärtig fand.
Kurin zuckte die Achseln. »Wir leben in Bruchstücken und Fetzen und verlängern so unsere
Spanne.«
Maleneths Widerwille wuchs. Der feuchte, dunkle Raum fühlte sich wie ein Grab an und die
stummen Männer wirkten wie Leichen. Es entsetzte sie, wenn sie daran dachte, wozu es
Menschen in ihrer Entschlossenheit, Nagash zu entkommen, trieb. »Was ist das für ein
Dasein? Was soll das für ein Leben sein?«
Zum ersten Mal, seit sie einander getroffen hatten, bekam Kurins Tünche Risse. »Dies ist
der Sieg. Dies ist, wie wir gewinnen.« Sein Ton war brüchig. »Nicht durch gedankenlose
Hingabe an gefühllose Götter.«
Die Geräusche der Schlacht draußen schwollen weiter an. Menschen schrien und heulten.
»Kannst du das hören?«, wollte Maleneth wissen. »Was machen wir hier drinnen? Wir
müssen aus Klemp raus.«
Kurin gewann seine Fassung wieder und winkte wegwerfend mit der Hand. »Wir haben
Zeit. Niemand geht durch diese Tür, außer ich erlaube es.« Er sah Gotrek an. »Es gibt einen
Weg zu Nagash. Ihr müsst nach Morbium reisen.«
Gotrek schüttelte den Kopf. »Morbium?«
»Eines der Amethystfarbenen Fürstentümer. Nicht alle sind sie gefallen. Einige sind im
Verborgenen geblieben.« Kurin griff unter seine Gewänder und zog eine Kette aus neun
polierten Vorhängeschlössern hervor, jedes von ihnen mit einer anderen eingravierten Rune
versehen. Sie klapperten, als er sie hochhielt und mit seinen knochigen Fingern die Zeichen
nachzog. Dann hing er sie um den Hals eines jeden der stummen Männer. »Morbium«, sagte
er währenddessen, »ist eine der ältesten Unterwelten, die von hoheitlichen Gelehrten namens
Dämmerfürsten regiert wird. Ihre Kenntnisse der Todesmagie sind so gewaltig wie die des
Großen Nekromanten. Als Nagash versuchte, ihr Reich zu erobern, widersetzte sich ihm der
regierende Dämmerfürst. Nagash bestrafte ihn für seine Unverfrorenheit, doch während er
noch seine Rache nahm, tappte er in die Falle des Fürsten. Der Dämmerfürst opferte sich,
damit Morbium überleben konnte. Ein Teil von Nagashs Macht wurde in ein Ritual geleitet,
das der Dämmerfürst jahrelang vorbereitet hatte. Morbium verschwand, und wie sehr Nagash
auch den Fürsten marterte, so konnte er doch niemals die Lage des Fürstentums erfahren. Der
Dämmerfürst hatte das Ritual so gestaltet, dass er selbst nicht wusste, wo er sein eigenes Volk
hingeschickt hatte, damit sie dem Raub der Götter entgingen.«
All das erklärte Kurin mit einem beifälligen Ton in der Stimme. »Nagashs Arroganz machte
ihn blind für die Scharfsinnigkeit jener, die er zu unterwerfen trachtete.«
»Gut für Morbium«, nuschelte Gotrek. »Aber wie soll das mir helfen?«
»Die Dinge haben sich verändert. Nagashs Macht ist gewachsen. Er hat eine neue,
mächtigere Art der Todesmagie benutzt. Keiner weiß wie, doch plötzlich ist er in der Lage,
selbst die mächtigsten Heerscharen des Chaos zurückzutreiben. Aber nicht nur die
Blutgebundenen und die Fäulnisboten sind davon betroffen. Eine Untotenplage schwemmt
durch Shyish. Verteidigungsmaßnahmen, die seit tausend Jahren gehalten haben, sind
gefallen. Und mit Morbium ist es nicht anders. Die Schutzbanne, die der Fürst so raffiniert vor
all diesen Jahren gewoben hat, brechen zusammen und das verborgene Juwel unter den
Fürstentümern wurde enthüllt. Morbium ist eine der ersten Unterwelten, eine der ältesten, und
jetzt scheint es auf die gleiche Art zu fallen wie all die anderen auch. Derzeit gibt es nur einen
Riss in seinen Wällen, doch er wird sich verbreitern.«
»Warum macht es das zu einem Weg zu Nagash?«, fragte Maleneth.
»Weil die Schutzbanne, die Morbium verborgen haben, mit Nagashs eigener Macht
erschaffen wurden. Nagash ist dafür blind, aber Morbium ist an ihn gebunden. Ist noch immer
Teil von ihm. In einem Turm in einer Stadt im Herzen Morbiums gibt es Steine, die sich noch
immer an Nagash erinnern. Ich habe keine Ahnung, wer der derzeitige Fürst ist, doch ist er mit
Nagash verbunden. Er ist der direkte Weg zum Großen Nadir.«
Gotrek grinste und ließ dabei ein Gewirr zerbrochener Zähne sehen. »Wenn du mich also zu
diesem Dämmerfürsten bringst, dann kann er mich zu Nagash schicken?«
Kurin betrachtete die Urgold-Rune auf Gotreks Brust. Sie funkelte im Kerzenlicht und
dieselbe Hitze brannte auch im Auge des Slayers. »Ich denke, Euch ist es bestimmt, ihn zu
erreichen.«
Der Slayer antwortete mit der vollkommenen Sicherheit des vollkommen Betrunkenen. »Ja.
Das ist es. Du hast recht.«
Trachos schüttelte den Kopf. »Wir haben diesen Mann noch nie zuvor gesehen.«
Gotrek lachte. »Zu was würdest du mir denn stattdessen raten, Menschling? Zurück zu
deinen Sturmfesten zu rennen, damit ihr mir die Brust öffnet, um zu sehen, wie diese Rune
funktioniert?« Er tippte mit dem Kopf seiner Axt auf Trachos Brustpanzer, während sein Auge
unheilverkündend glühte. »Ich bin keins von Sigmars Spielzeugen.«
Gotrek zuckte die Achseln. »Außerdem hast du ja gesehen, was da draußen passiert ist.
Egal, wo ich hingehe, es kann da nicht schlimmer als das sein. Und wenn es dann noch eine
Chance gibt, mit einem der Götter aneinanderzugeraten, dann ergreif ich sie gerne.« Er sah
wieder zu Kurin. »Ich stimme dir zu, Zauberer. Mir ist es bestimmt, in dieses Morbium zu
gehen.« An die Stelle seines üblichen finsteren Blicks trat ein verwirrter Ausdruck und er
begann mit sich selbst zu diskutieren. »Ich hab nichts am Hut mit Prophezeiungen oder
Wahrsagern, aber irgendetwas hat mich an diesen Ort gebracht. Ich bin aus einem Grund hier.
Es muss so sein.«
Maleneth warf Trachos einen verzweifelnden Blick zu. Jedes Mal, wenn der Slayer derart
betrunken gewesen war, hatte dies zu einer Katastrophe geführt.
Kurin starrte noch immer Gotrek an, offensichtlich von ihm fasziniert. Er winkte zu den
stummen, reglosen Gestalten hin. »Wenn Ihr wirklich wissen wollt, warum Ihr hier seid,
könnten Euch meine Brüder vielleicht helfen.«
Gotrek zog ein finsteres Gesicht. »Ich hab es dir gesagt. Mein Verstand gehört mir. Darin
lass ich mir nicht herumwühlen.«
»Das ist nicht alles, was wir tun, Slayer. Gibt es irgendwen aus Eurer Vergangenheit, der
Euch helfen könnte? Ihr sagtet, Ihr seid Euch nicht sicher, warum Ihr hierher zurückgebracht
wurdet. Zurück von wo? Gibt es jemanden aus Eurer Heimat, der Euch helfen könnte?
Vielleicht ein wandernder Geist – jemand, der die Antwort haben könnte?«
»Ach!« Gotrek lachte. »Mystisches Geschwafel.«
Kurin lächelte, sagte jedoch nichts.
Gotrek starrte ihm wachsam ins Gesicht. »Du meinst, du kannst Geister aus einem dieser
lächerlichen Reiche hier heraufbeschwören?«
Kurin zuckte die Achseln. »Oder aus einem anderen. Ich kann jeden Geist
heraufbeschwören, den Ihr nur wollt – aus welchem Reich Ihr auch immer wollt.«
Gotrek kratzte sich seine stopplige Kopfhaut und stapfte in dem düsteren Raum umher.
»Aus jedem?«
Kurin nickte.
»Gotrek«, sagte Maleneth und schüttelte ungläubig den Kopf. »Hör dir an, was da draußen
vorgeht. Wir müssen hier weg. Du bist betrunken und er ist ein Schwindler. Warum sollte er
uns helfen wollen? Da muss etwas sein, was er uns verschweigt. Sieh ihn dir an. Er ist nicht
mehr als ein –«
Gotrek brachte sie mit warnend erhobenem Finger zum Schweigen. »Er hat in den letzten
zehn Minuten mehr Vernünftiges gesagt als du in drei Monaten.«
Gotrek wandte sich wieder Kurin zu. »Da gibt es eine Seele. Ein Geist, mit dem ich gerne
sprechen würde.« Er fuhr fort, Kreise durch den Raum zu laufen, sah dabei niemandem in die
Augen und trommelte mit seinem plumpen Fingern auf seiner Axt herum. »Ein Dichter. Felix
Jaeger. Ich schulde ihm eine Entschuldigung. Ich habe die Dinge nicht beendet, wie ich es
hätte tun sollen.«
Kurins Augen glitzerten in der Dunkelheit. »Felix Jaeger.« Er legte seine Hand auf Gotreks
Unterarm.
Der Slayer machte eine Bewegung, als wollte er ihn abschütteln, doch etwas, was mit einer
der Gestalten in den Schatten geschah, ließ ihn innehalten. Sie schüttelte sich, so als würde sie
aus dem Schlaf erwachen.
Gotrek taumelte zu ihr hinüber. Er schien vergessen zu haben, dass Kurin ihn beim Arm
hielt.
Die Temperatur sank rapide.
Maleneth sah sich um und spürte die Anwesenheit von etwas Unheimlichem. Sie trat an
Gotreks Seite und verzog das Gesicht, als sie sah, was mit der Gestalt geschehen war. Der
gebrechliche, alte Mann hatte noch immer die Augen geschlossen und schien noch immer tot
zu sein, seine Hautfarbe war gespensterhaft und seine schmale Brust rührte sich nicht, doch
etwas geschah mit seiner Haut. So wie vorhin bei Kurins Handfläche in der Dumpfen
Trommel hatten die Falten sich erhoben und begannen sich zu bewegen, ringelten und wanden
sich in einem stillen Tanz.
Während der Miniatursturm über die leblose Gestalt hinwegfegte, begannen die Züge zu
verschwimmen und sich dann zu verwandeln. Alle sahen sie überrascht zu, wie ein neues
Gesicht erschien, vernarbt und gut aussehend.
»Bist du das?«, flüsterte Gotrek und starrte in das Gesicht, das sich unter der Haut bewegte,
als wollte es durch eine Wasseroberfläche brechen. »Felix?«
»Bist du wirklich so einfältig?«, schrie Maleneth. »Er ist ein Scharlatan! Siehst du das
nicht? Er zeigt dir nur, was du sehen willst. Das ist nur ein billiger Trick, der dich –«
»Kann er sprechen?«, wollte Gotrek, ihr keinerlei Beachtung schenkend, wissen.
»Gebt ihm einen Moment«, sagte Kurin. »Er hat einen weiten Weg zurückgelegt, um hier zu
sein.«
Schließlich brach das jüngere Gesicht durch die Oberfläche des älteren. Der Mann schaute
sich verwirrt im Raum um, bis seine Blicke schließlich auf dem Slayer zur Ruhe kamen.
»Gotrek!« Seine Stimme klang gedämpft, so, als dringe sie durch eine dicke Wand. »Bist
das wirklich du?« Während sie sprach, erwachte die Gestalt mit einem Ruck zum Leben,
streckte die Arme aus und stolperte vorwärts, wie die Ghule, gegen die sie dort draußen
gekämpft hatten.
Gotrek packte den Arm des Mannes. »Kannst du mich hören?«
Er nickte. »Du hast überlebt?«, fragte er und klang verwirrt.
Einen Moment lang war Gotrek zu überwältigt, um zu sprechen. Als er schließlich
antwortete, war seine Stimme belegt. »Ich hätte bei dir bleiben sollen, Menschling. Sie haben
mich überlistet. Grimnir hat mich ausgetrickst. Die Götter haben gelogen, Felix. Alles ging
verloren.«
Das Gesicht hinter dem Gesicht lächelte. »Wenn du am Leben bist, ging nicht alles
verloren.« Dann runzelte er die Stirn und blickte zurück in die Dunkelheit, als hätte ihn
jemand gerufen. »Ich kann nicht bleiben«, sagte er und wandte sich wieder dem Slayer zu.
»Verzeih mir«, knurrte Gotrek, während er noch immer seinen Arm hielt.
Maleneth schüttelte den Kopf, konnte noch immer nicht glauben, dass der Slayer auf eine so
offensichtliche Täuschung hereinfiel.
Felix lächelte erneut. »Du bist unverzeihlich, Gotrek. Das warst du schon immer.« Dann
wurde sein Gesichtsausdruck ernst. »Lass sie bezahlen. Lass sie für ihre Lügen bezahlen.«
»Aye!« Gotrek atmete schwer. »Ich bin nah dran. Nagash ist zum Greifen nah. Ich werde
seinen ganzen verdammten Palast einstürzen lassen, direkt über seinem –« Er zog die Stirn
kraus, als das Gesicht unter der Haut verschwand und nur das schlafende Antlitz eines alten
Mannes zurückließ. »Wo ist er hin?«, fragte Gotrek und sah Kurin an.
Kurin runzelte die Stirn. »Ihr habt ihn so deutlich Eurem Gedächtnis eingeprägt. Da sollte es
kein Problem sein, mit ihm zu reden. Etwas hat ihn zurückgehalten. Etwas hält ihn von Euch
fern – bewacht seine Seele.«
Gotrek spuckte in den Staub. »Nagash. Wer sonst?« Er fing erneut an, hin und her zu gehen
und seine Axt auf eine Art zu schwingen, die in einem solch kleinen Raum alles andere als
ideal war. »Ist egal. Der Menschling war deutlich genug. Lass sie bezahlen. Und das werde
ich tun. Und bei Nagash fange ich an.« Er hielt inne und blickte wieder zu den
bewegungslosen Gestalten, offensichtlich noch immer erschüttert von dem Wortwechsel.
Dann wandte er sich Kurin zu. »Wie kommen wir nach Morbium?«
Kurin zog noch immer die Stirn in Falten und starrte die schlafende Gestalt an, die eben
noch mit Gotrek gesprochen hatte. Dann lächelte er, winkte sie alle zurück, aus dem Kreis
heraus. Er prüfte die Ketten um ihren Hals, richtete die Vorhängeschlösser und begann erneut,
seine Beschwörungen zu murmeln. Während er sprach, begann sich die hartgestampfte Erde
des Bodens zu winden und zu biegen. Ein Miniatursturm wütete zwischen den stummen
Gestalten, wirbelte und drehte sich und zwang Gotrek und die anderen ihre Gesichter
abzuschirmen.
Als der Staub sich gelegt hatte, lächelte Kurin noch immer. Zu seinen Füßen fand sich eine
kreisförmige Öffnung, von der aus schmale Stufen hinab in die Dunkelheit führten.
»Folgt mir«, sagte er, während er sie hinabschritt. »Der Eingang nach Morbium ist nicht
weit.«
KAPITEL VIER

EIDBRECHER UND SCHWINDLER

Sie kamen aus einer Öffnung in einer Hügelflanke heraus, etwa eine Reisestunde von der
Stadt entfernt.
Kurin hielt, als er den Tunnel verließ, nicht einmal zum Atemholen an, und sie mussten sich
beeilen, Schritt zu halten, während ihr Führer ins Halblicht davoneilte.
»Können wir ihm trauen?«, fragte Maleneth, während sie den Hexer musterte, wie er den
steinigen Hang des Hügels hinabschlitterte und kraxelte.
»Traue nie einem Hexer«, meinte Gotrek ungläubig lachend. »Und Aelfen schon gar nicht.«
Er schaute Trachos finster an. »Womit unglücklicherweise nur du übrig bleibst.« Dann
schüttelte er den Kopf. »Es ist nicht Kurin, dem ich vertraue – es ist Felix.« Der Alkohol
schien seine Zunge jetzt weniger schwer zu machen – seine Worte wurden deutlicher.
»Außerdem hat er uns aus Klemp rausgeschafft, oder?«
Sie kletterten ins enge Tal hinab, ließen Klemp hinter sich und betraten jene seltsame
Landschaft, die sie wochenlang durchreist hatten, seit sie an der Küste angelangt waren.
Wegen des Nebels war es unmöglich, mehr als ein paar Dutzend Spannen weit zu sehen –
schroffkantige, geschwungene Massen, die wie Burgmauern in die Dunkelheit aufragten. Vom
Hang des Hügels aus sah es nach ganz normalem Nebel aus, doch Maleneth verzog das
Gesicht, als sie sich an dessen wahres Wesen erinnerte, daran, was sie auf dem Weg nach
Klemp gesehen hatte.
Die Nebeltürme ragten meilenhoch in den Himmel. Es war, als würde man vom Grund des
einen Brunnens in den nächsten marschieren. Dieser Teil Shyishs war erbarmungslos düster.
Keine Brise, kein Vogelsang, keine Tiergeräusche, keine Spur sterblicher Wesen. Nur ein
Geräusch durchbrach gleichmäßig die Dunkelheit – das Läuten einer zerbrochenen Glocke,
weit in der Ferne. Mit der Regelmäßigkeit eines Herzschlags ertönte sie alle paar Sekunden.
Maleneth erinnerte sich daran, sie auf der Reise nach Klemp vernommen zu haben, doch war
sie überrascht, sie jetzt erneut zu hören, fast zwei Tage später. Die Zeit schien in Shyish
eingefroren. Das Reich schien wie ein einziger fortwährender Augenblick, der
unheilverkündend über einer schrecklichen, unmittelbar bevorstehenden Katastrophe hing.
Kurin eilte weiter, hielt nur ab und zu an, um sicherzugehen, dass sie ihm noch immer
folgten. Trachos’ Wunden ließen ihn grunzen und murmeln, während er sich in seiner
zerbrochenen Rüstung über zunehmend felsiges Terrain schleppte, doch war er viel zu stolz,
um den Schritt zu verlangsamen oder um Hilfe zu bitten.
Auf diese Art waren sie schon mehrere Stunden gereist und Gotrek fing an, in seinen Bart zu
grummeln und sich darüber zu beschweren, dass Maleneth nicht daran gedacht hatte, Proviant
aus der Dumpfen Trommel mitzunehmen. Nicht zum ersten Mal fragte sich Maleneth, was
Trachos wohltun würde, wenn sie an ihm vorbeistürzen und dem Slayer eine vergiftete Klinge
ins Herz rammen würde. Doch war dies wenig mehr als nur ein müßiger Tagtraum. Ihre
Herrin hatte recht – Gotrek war mehr als ein Duardin. Sie hatte keine Ahnung, ob ihre Gifte
bei ihm wirken würden. Und Trachos würde ganz sicher versuchen, sie aufzuhalten. Was
immer in diesem schlachtenversehrten Kopf vor sich ging, so hielt er doch an einem strengen
Ehrenkodex fest. Einen willkürlichen Mord würde er nicht dulden, egal wie unterhaltsam der
auch sein mochte.
Der Hexer hielt schließlich neben einem ausgebleichten, skeletthaften Baum an, kauerte sich
tief hin und suchte nach irgendetwas auf dem Boden. Es gab hier eine verwirrende Menge von
Fußabdrücken.
»Reißer«, sagte er. »Aber nicht aus Klemp. Die hier kamen aus dem Süden.«
Gotrek zuckte die Achseln, nickte dann zu einigen Spuren hin, die nach Norden führten.
»Die Schwachköpfe waren aus einem bestimmten Grund irgendwohin unterwegs. Und kleine
Schwachköpfe folgen immer großen Schwachköpfen.«
Sie marschierten weiter den Spuren hinterher und nach einer Weile entdeckten sie Leichen,
die im Staub hingestreckt lagen.
Als sie sich den Körpern näherten, krausten sich Maleneths Lippen vor Abscheu. Es gab
ungefähr dreißig von ihnen, verkrümmt und wild, die allesamt verdrehte Knoten und Fetzen
blutiger Kleidung trugen. Unter ihnen waren ein paar tote Duardin, möglicherweise
diejenigen, die sie in der Dumpfen Trommel gesehen hatten. Sie hob eine Augenbraue und sah
den Slayer an. »Ich sehe, deine Verwandten haben sich gut geschlagen.«
Gotrek starrte sie einen Augenblick an finster an, während goldenen Funken in seinen
Augen blitzten. Dann versetzte er einem der toten Ghuls einen Tritt und sah den Hexer an.
»Ich bin nicht hierhergekommen, um mir diese erbärmlichen Wesen anzusehen. Ich kam
wegen eines Gottes.«
Maleneth schüttelte den Kopf. »Was in Sigmars Namen würdest du tun, wenn du tatsächlich
Nagash fändest?«
»Ich tu gar nichts in Sigmars Namen, Aelfe. Ein Hammerschleuderer, der nicht besser ist als
ein Leichenräuber. Wenn ich erst mit Nagash fertig bin, ist der Gottkönig der nächste.«
Trachos spannte sich an und ergriff seine Kriegshämmer. Seine Rüstung klackte und sein
Kopf begann zu zucken.
Gotrek lachte und schmetterte seine Brust gegen Trachos’ Rüstung, sodass er nach hinten
flog. »Also ist doch jemand in dieser verdammten Rüstung! So ist’s recht, Menschling. Hat
Gotrek dich einen bösen Gedanken denken lassen?«
Maleneth trat zurück und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken.
»Du weißt nichts über Sigmar.« Trachos klang wütend, doch er senkte seine Hämmer und
wich zurück, während sein Kopf noch immer zuckte.
»Ich weiß mehr als du, Menschling. Ich weiß, was das letzte Mal geschehen ist, als er den
Verderbten Mächten entgegengetreten ist. Er hat übel Senge bezogen. Darum versteckt er sich
auch. Darum ist er auch da oben in … Was hast du gesagt, wohin er sich verzogen hat?«
Trachos musste offensichtlich um Gleichmut ringen. »Der Gottkönig wird die Reiche der
Sterblichen wiedervereinen. Das, was gespalten wurde, wird neugeschmiedet. Sigmar hat
seine Sturmscharen ausgesandt, um –«
»Warum?« Der Slayer schwenkte seine Runenaxt in Richtung der grauen Wände und zu den
schwarzen Sternen hoch. »Warum schert er sich überhaupt um diese stinkenden Gruben? Ich
glaube ja, er hat ein paar Schläge zu viel auf den Kopf gekriegt. Vielleicht sitzt er da oben und
verpasst sich Schläge mit seinem eigenen Hammer? Vielleicht ist er senil? Bei Grungnis Bart!
Irgendwas muss doch mit ihm nicht in Ordnung sein. Er ist hier doch so sehr ein Fremder wie
ich auch. Das sind nicht seine Kriege – das sind nicht seine Leute – nicht mehr, als es meine
sind.«
»Warum schleppst du uns dann hierher auf der Suche nach dem Gott des Todes?«, fragte
Maleneth. Eigentlich war es ihr ziemlich egal, aber es war amüsant zu sehen, wie Gotrek
Trachos in Rage brachte. »Wenn dir diese Reiche oder diese Kriege egal sind, warum willst
du dich dann gegen Nagash stellen?«
»Weil die Götter gelogen haben, Aelfe. Sie sind Eidbrecher und Schwindler, alle
miteinander. Sie kennen das Schicksal, das sie mir versprochen haben. Sie wissen, was sie
geschworen haben. Aber haben sie sich an ihre Hälfte des Handels gehalten? Nein! Und da
sind sie und spielen ihre Spielchen und errichten ihre Reiche, wie sie es immer tun. Wegen
ihrer Lügen habe ich meinen Freunden und meiner Sippe den Rücken gekehrt.« Seine Miene
verdüsterte sich. »Und ein Slayer vergisst niemals. Dieser Slayer jedenfalls nicht. Ich blieb
getreu. Ich erinnere mich an meine verdammten Eide. Selbst wenn andere das nicht tun. Sie
werden mir das Schicksal geben, das mir versprochen wurde.« Er zog ein finsteres Gesicht.
»Oder ich werde ihnen ihr ganz eigenes Schicksal bereiten.«
Der Hexer sah dem Austausch geduldig zu. Dann, als das Trio wieder schwieg, nickte er
und ging weiter, immer den Spuren durch den Staub folgend.
Maleneth zwinkerte Trachos zu, dann schlenderte sie hinter Gotrek her.
Kurin führte sie zu einer der hoch aufragenden Nebelwände, zögerte kurz, stürzte sich dann
hinein und entschwand ihren Blicken.
Erst als sie wenige Schritte an den Nebel herangekommen waren, wurde ihnen dessen wahre
Natur offenbar. Er war ein verschlungener Rebstock aus Geistern – nackte, ausgezehrte elende
Wesen, die man in dieses riesige kreisförmige Gefängnis gezwungen hatte. Jedes der
schornsteingroßen Gebilde war Meilen hoch. Millionen von Geistern mussten in jedem davon
gefangen sein. Als Gotrek näher kam, kreischten sie auf, zappelten und schlugen um sich,
versuchten ihn zu erreichen, doch waren sie zu eng miteinander verschlungen, um sich
bewegen zu können. Manche sprachen Worte, die Maleneth verstand, bettelten sie an, sie zu
befreien, und baten schluchzend um Hilfe.
Gotrek marschierte geradewegs durch die Geister hindurch dem Hexer hinterher, den Kopf
gebeugt, die Axt erhoben, so als würde er sich einen Weg durch eine Schneewehe bahnen.
Trachos und Maleneth zauderten noch vor den Toten zurück, da deren Schreie ihnen einen
eisigen Schauder einjagten. Maleneth fürchtete den Tod nicht mehr, als sie Gewalt fürchtete.
Doch das schiere Ausmaß des Leidens war dennoch überwältigend. So viele verlorene
Stimmen. So viele verzerrte Gesichter. Und sie sollte das für diesen verblendeten
Schweinskerl Gotrek ertragen.
Trachos machte einen Schritt vorwärts, zögerte dann. Sein Kopf zuckte wieder. Hin und
wieder schien er darauf aufmerksam zu werden, mit wem er da reiste, so, als wäre ihm das nie
zuvor aufgefallen. Dies war so eine Gelegenheit. Er starrte sie an.
»Der Slayer ist wahnsinnig«, sagte er.
»Dir entgeht auch nichts.«
Er starrte sie weiter an.
Sie lächelte über die Ironie der Situation. »Und wir müssen ihn am Leben halten, bis einer
von uns sich diese Rune holen kann.«
Durch die Löcher im Gesichtspanzer konnte sie Trachos’ Augen sehen. Sie blickten so wild
wie die Augen der Ghule. Er war eine straff gespannte Saite. Sie musste nur weiter den Zug
darauf erhöhen. Und wenn sie dann riss, gehörte die Rune ihr.
»Aelfe«, donnerte Gotrek von irgendwo vor ihnen.
Sie schloss die Augen und trat dann mit einem Seufzer in den Nebel.
KAPITEL FÜNF

DER EISERNE SCHLEIER

Die Wand aus Geistern war dick. Während Maleneth weitertaumelte, wurden die Schreie
ohrenbetäubend. Tiefer hinein sammelten die Geister ihre Kraft zu einem Angriff und ihre
kalten, wächsernen Finger krallten nach ihrem Gesicht.
Nach ein paar Schritten war sie mitten im Kampf, boxte und trat sich ihren Weg durch die
wirr verknoteten Glieder. Die Toten waren verzweifelt und versuchten ihr, hungrig nach
Wärme und gierig nach ihrem Herzschlag, die Haut zu zerreißen. Eine Weile kämpfte sie
schweigend, doch die Angriffe wurden immer verzweifelter, sodass sie sich fühlte, als würde
sie ertrinken. Trotzig heulte sie auf. Dann, als der Druck sie schon zu überwältigen drohte,
brach sie durch auf die andere Seite der Wand, stürzte taumelnd zu Boden und rang keuchend
nach Atem.
Die Luft war so dick und ölig, dass sie würgen musste. Es war, als würde man die Dämpfe
einer Einäscherung atmen. Mit einem Ruck kam sie auf die Füße und sah sich hustend um.
Sie hatten eine weitere graue Fläche erreicht, die von einem weiteren Nebelturm umgeben
war. Doch gab es hier einen Unterschied. An manchen Stellen war dieser Turm eingebrochen,
sodass sich Geister über den Boden ergossen. Die Geister versuchten, von der Wand
wegzukriechen, doch außerhalb des Nebels schwand ihre Substanz und verzog sich, während
sie nach leerer Luft griffen und sich wie gestrandete Fische am Boden hin und her warfen.
Gotrek stand in der Mitte des Turms und Wellen von Geistertrümmern krochen bettelnd und
weinend auf ihn zu. Er schien sie nicht zu bemerken. Verwirrt blickte er sich um.
»Wo ist der Zauberer hin?«, rief er und warf einen Blick zurück zu Maleneth.
Dann lachte er auf, als Trachos aus der Wand taumelte und klappernd hinstürzte. »Noch
immer bei uns, Menschling?«
Trachos antwortete nicht.
»Komm hier rüber, Lord-Ordinator«, sagte Gotrek und lachte spöttisch über Trachos’ Titel.
Maleneth und Trachos eilten ins Zentrum des Nebelturms und stellten sich neben den
Slayer.
»Wo ist er hin?«, fragte Gotrek.
Die Geister peitschten über den Boden dahin und wirbelten Staub auf. Es war schwer,
irgendetwas klar zu erkennen.
Gotrek musterte die astrologische Ausrüstung, die an Trachos’ Gürtel befestigt war. »Kannst
du ihn mit diesen Dingern verfolgen?«
Trachos taumelte, als Geister durch die Dunkelheit sausten und gegen seine Rüstung
rammten. »Was?«, keuchte er, während er die Geistergestalten verjagte.
»Jetzt nimm doch diesen blöden Hut runter, damit du mich richtig verstehst.« Gotrek klopfte
mit einem seiner dicken, schweren Finger gegen Trachos’ Helm. »Wo. Ist. Der. Zauberer?«
»Ich bin ein Lord-Ordinator«, erwiderte Trachos, »kein Kundschafter. Dies sind die
Instrumente Sigmars göttlichen Willens. Sie messen die äthrionischen Ströme. Sie peilen die
Himmelssphären an. Sie spüren keine Zauberer auf.«
»Die Glocke«, sagte Maleneth.
»Was?«, fauchte Gotrek.
»Ich hab sie vorher schon gehört und jetzt ist sie lauter. Hörst du sie?«
Gotrek starrte sich konzentrierend zu Boden.
»Wir kommen ihr näher«, sagte Maleneth. »Das hier …« Sie winkte unbestimmt in
Richtung des durchscheinenden Gebildes, das rings um sie einbrach. »Dieser Ort ist näher an
dem, wo immer die Glocke läutet. Die Geschöpfe, die Kurin Reißer genannt hat, sind dorthin
unterwegs, er vielleicht also auch.«
Gotrek grinste und schlug ihr so hart auf den Rücken, dass sie taumelte. Er blickte durch die
Massen sich mühender Gespenster zur gegenüberliegenden Seite der kreisförmigen Wand. Es
war der Teil, der am stärksten eingebrochen war und dort wimmelten die gequälten Seelen nur
so daher. »Natürlich. Eine Glocke bedeutet ein Gebäude. Ein Gebäude bedeutet Zivilisation.«
Er zuckte die Achseln und verzog, über dieses düstere Ödland schauend, das Gesicht. »Wobei
Zivilisation vielleicht zu viel gesagt ist.«
»Da ist noch etwas anderes«, sagte Maleneth.
Sie alle horchten hin. Zusammen mit der Glocke war da ein Lärmen –
unzusammenhängende, tierische Schreie und ein tiefes, schmetterndes Geräusch wie eine
Kriegsmaschine, die gegen eine Mauer hämmert.
»Hört sich nach einem Kampf an!« Gotrek stapfte durch den Staub davon und winkte
Maleneth, ihm zu folgen.
»Das ist eine Warnglocke«, sagte Trachos und starrte auf die herabstürzenden Nebelwände.
Maleneth nickte.
Sie wandte sich um, wollte Gotrek folgen, doch Trachos griff sie beim Arm. »Wenn er sich
selbst vernichtet, bekommt niemand die Rune.«
Sie sah ihn mit unbestimmtem Gesichtsausdruck an.
»Und wir können ihn nicht am Leben halten, wenn wir einander nicht vertrauen«, fuhr er
fort.
Maleneths Lächeln war so kalt wie der Staub. »Natürlich kannst du mir trauen.« Sie lief mit
leichtem Schritt davon, hinter Gotrek her, und fädelte dabei zwischen den taumelnden
Geistern hindurch.
Jeder Nebelturm war verfallener als der vorherige, und je weiter sie kamen, umso
verzweifelter wurden die Geister, doch Gotrek schritt zielstrebig weiter und hielt unbeirrt auf
die läutende Glocke zu. Je näher sie dem Geräusch kamen, desto mehr vermischte ihr Klang
sich mit dem Kampflärm und dem tiefen seismischen Dröhnen, das sie schon zuvor gehört
hatten.
Nachdem sie schließlich eine fünfte Wand durchbrochen hatten, sahen sie die Quelle des
Lärms. Selbst nach den Maßstäben Shyishs war dies ein makabrer Anblick. Zu Dutzenden
kletterten Ghule über einen Schrein, zappelten und fauchten, während sie sich abmühten. Der
Schrein war ein Gebäude von der Form einer gespreizten Kralle, das oben auf einem
Felsvorsprung saß. Es war aus Stein, doch seine Glieder waren scharf und verdreht wie
Gestrüpp, hingen tief hinab zum Boden und waren miteinander zu einem Wirrwarr aus Knoten
und Dornen verstrickt. Zylindrische Käfige hingen vom Ende jedes sich sträubenden Gliedes
herab und in jedem Käfig befand sich eine Leiche. Einige waren kaum mehr als verstaubte
Skelette, während andere von Fäulnis aufgetriebene Hüllen waren, die dunkel wie Blutergüsse
und wächsern unter einem tief hängenden Mond glommen. Die Leichen bewegten sich,
stießen nach den Ghulen und hackten auf sie ein, verteidigten den Schrein mit stummer
Entschlossenheit.
Beim Anblick dieses wahnwitzigen Kampfes hielt Gotrek an und ließ ein begieriges
Knurren hören. Er griff seine Axt fester und ihr Kohlebecken glomm vor innerem Feuer. »Wir
haben den Drahtzieher gefunden!«, donnerte er und zeigte auf die Waffe im Zentrum des
Schreins.
Im Herzen des steinernen Gestrüpps befand sich ein kreisförmiger Block, wie eine schiefe
Kanzel, und darin befand sich ein schlanker, in ein weißes Gewand gekleideter Mensch,
dessen Gesicht von einer tiefen Kapuze verborgen wurde. Er schwenkte eine Sense hin und
her, und mit jedem Streich schlugen die Gestrüppglieder zu, zerrissen Ghule und ließen die
Leichen in den Käfigen mit ihren rostigen Klingen attackieren. Es war grotesk und surreal.
Die Monster kämpften wie Tiere, spuckten und zuckten, doch die Leichen im Steingestrüpp
blieben stumm, selbst wenn ihre Käfige die Ghule mit solcher Wucht trafen, dass sie
explodierten und Knochen- und Fleischsplitter durch die Luft regnen ließen.
»Ein Nekromant!«, rief Gotrek und rannte durch den Staub auf den Schrein zu. Da war ein
besorgniserregendes Glitzern in seinen Augen, das Maleneth schon zuvor gesehen hatte. Seine
Muskeln bebten und die Rune in seiner Brust schimmerte von äthrischer Macht.
Maleneth wollte ihm schon folgen, als sie einen weiteren Schrein ein paar hundert Schritt
entfernt entdeckte. Er glich jenem, dem Gotrek sich näherte, war jedoch eingestürzt. Ghule
schwärmten aus jeder Richtung darüber hinweg und als sie seine Spitze erreichten, geschah
etwas Seltsames – sie verschwanden, taumelten in ihn hinein, als stürzten sie in einen
Brunnen. Während der Schrein zerfiel, stieß der Geisternebel von den Türmen herab und zog
sich in Spiralen um die bröckelnden Steine.
»Das ist eine Mauer«, sagte sie.
Trachos starrte sie an.
Sie zeigte mit einem ihrer Messer auf die Umrisse in der Ferne. »Es gibt Dutzende dieser
Dinger. Sie bilden eine Barriere.«
All diese Schreine wurden angegriffen. Hunderte, vielleicht Tausende von Ghulen quollen
aus dem Nebel hervor und rissen das Steingestrüpp nieder. Wenn die Schreine zerfielen,
peitschten die Geisterwinde um sie herum wie vom Mast gerissene Segel.
Ein laut schmetternder Kriegsruf zog Maleneths Aufmerksamkeit wieder zu Gotrek hin. Er
zog seine Axt und schleuderte sie in die Mauer des Schreins, dass Steine in einer heftigen
Explosion umherflogen. Dann trat er vor, zerrte die Axt frei und fing an wild um sich zu
schlagen, schmetterte laut aufbrüllend Reißer von den Dornengliedern herab. Er gab einen
derart schrecklichen Anblick ab, dass selbst die Ghule zögerten, verdutzt durch die Ankunft
von jemandem, dessen Geist noch stärker umnachtet schien als der ihrige.
Der Schrein bäumte sich und zuckte wie ein enormes Schalentier, schlug in seinem Versuch,
Gotrek fortzuschmettern, wild mit seinen Käfigen aus.
In seinem Berserkerrausch war der Slayer stets überraschend wendig. Seine kurzen,
muskulösen Beine katapultierten ihn durch den Tumult, während er Steinbrocken aus seinem
Weg hackte und dabei die ganze Zeit laut aufheulte.
Der Nekromant blieb dabei reglos, den Kopf gebeugt, das Gesicht noch immer von der
Kapuze verborgen, doch es war eindeutig, dass er Gotrek bemerkt hatte. Das Steingestrüpp
wurde zu einem Sturm ausschlagender Glieder und wirbelnder Klingen.
Ein Steinast drosch gegen den Slayer, als wollte er ihn wegschleudern, doch Gotrek packte
ihn fest mit einer Hand und verpasste ihm mit der Stirn einen Kopfstoß. Der Stein zerbarst in
einer Explosion von Funken und einen Moment lang verlor Maleneth Gotrek aus den Augen.
Als der Blitz verblasste, sah sie ihn auf halbem Weg den Schrein hoch, wie er einem Ghul
einen Faustschlag verpasste, dabei dröhnend lachte und sich durch die verdrehten Formen
hievte.
Sie rannte auf den Schrein zu, wich den nach ihr krallenden Klauen der Reißer aus und
sprang auf die verdrehte Masse, streckte weitere der Geschöpfe nieder, während sie sich an
den Aufstieg machte. Wenn der Slayer in den Klauen eines Mordrauschs war, konnte alles
geschehen. Sie musste nah genug heran, um die Rune zu schützen.
Trachos torkelte unter dem Klirren und Klappern seiner zerbrochenen Rüstung hinter ihr
her. Dann, absurderweise, brach er in ein Lied aus. »Oh, schwache, verblendete Herzen ihr!«,
sang er mit metallischer nichtmenschlicher Stimme. »Herabgestiegen ist der Gottkönig!« Seit
sie von Gotrek in das Reich des Todes herabgezogen worden waren, hatte der Stormcast stets,
wenn er kämpfte, seine Hymnen gesungen. Entweder hatten seine Verletzungen sein Gehör
geschädigt oder er hatte nie einen Sinn für Musik besessen. Er verwandelte jede Weise in
einen plump hämmernden, melodielosen Grabgesang.
Maleneth wand und duckte sich, verteilte Tritte und umtanzte Attacken, doch es war
unmöglich, mit Gotrek Schritt zu halten. Ihre Klingen blitzen durch Hälse und Handgelenke,
schlitzen Ghule mit kalter Effizienz entzwei. Sie versuchten sie mit ihrer Masse zu
überschwemmen, doch sie war zu leichtfüßig, tanzte vor ihnen davon, während der Blutrausch
sie überkam. In Augenblicken wie diesem konnte sie ihren wahren Glauben nicht verleugnen.
Sie kämpfte zu Ehren des Bluthändigen Gottes, machte jeden Schnitt so grausam und
schmerzvoll, wie sie nur konnte, lachte gnadenlos, während die Geschöpfe keuchend und
röchelnd hinfort taumelten, Khaines Zeichen in ihre Haut gebrannt.
Es gab eine Lichtexplosion und die gesamte Szenerie wurde zu eingefrorenen harten
Scherenschnitten. Dann verschwand das Licht und Maleneth taumelte geblendet, während
Ghule auf sie zustürzten.
Heißer Schmerz explodierte in ihrem Rücken, als Krallen ihr über die Haut fuhren.
Sie wirbelte herum, schlug blind aus, schnitt durch Muskeln und Knorpel, während sie sich
mit einem Sprung entzog.
Als sie dann einen sichereren Blickpunkt erreicht hatte, sah sie die Quelle des Lichts.
Trachos hatte einige Gegenstände von seinem Gürtel gelöst und sie zu einem schlanken Zepter
mit einem kunstvollen Würfel an der Spitze zusammengefügt. Der Würfel zog Rauchfäden
hinter sich her und wo vorher mehrere Ghule gestanden hatten, fand sich jetzt nur mehr ein
verkohlter Haufen.
»Standhaft und königlich!«, dröhnte die Stimme des noch immer singenden Stormcast.
»Den feurigen Hammer schwingend!«
Maleneth verzog das Gesicht und stürmte mit großen Sätzen den Schrein hoch.
Sie erreichten den Nekromanten im gleichen Moment. Der heulende Slayer rammte von
einer Seite durch die Ghule, während Maleneth anmutig von ihrer heransprang.
Der Nekromant wirbelte seine Sense und die Steinglieder fuhren auf den Slayer zu.
Gotrek war mit Blut bedeckt und sein Grinsen hatte etwas ganz und gar Dämonisches, als er
seine Axt in die Käfige donnern ließ und jede Leiche zerschmetterte, die versuchte ihn mit
einem Hieb zu treffen. Er sprang durch den Sturm aus Knochen, Blut und Steinen und packte
den Nekromanten bei der Kehle.
Maleneth kam gerade noch rechtzeitig hinzu, um den verwirrten Ausdruck in Gotreks
Gesicht zu sehen, als die Kapuze zurückfiel.
Statt eines verrunzelten alten Mannes, blickte den Slayer eine junge Frau an.
Gotrek erstarrte, der Schock ließ ihn kurz verstummen.
Das Mädchen ergriff die Gelegenheit. Als der Slayer zögerte, stieß sie ihm die Sense in die
Brust.
Es gab eine weitere Explosion, so heftig, dass sie Maleneth von der Kanzel herabwarf und
sie zwischen die Ghule schmetterte.
»Lasst Trompeten erschallen, die sternenhellen!«, sang Trachos von irgendwo in der Nähe.
»Erwecket die kampfesglühende Schar!«
»Trachos!«, brüllte Maleneth, die von allen Seiten angegriffen wurde und nicht in der Lage
war, zu Gotrek zu eilen.
Das Singen verstummte und es gab weitere Lichtblitze. Maleneth kämpfte blind und wand
sich durch die Ghule, bis sie wieder den Boden erreichte.
Als sich ihre Augen auf das grelle Licht einstellten, sah sie Trachos sein Zepter schwingen
und silberblaue Flammen schleudern. »Ruhm, der niemals endet!«, schrie er, als der Lichtstoß
eine Lawine von Körperteilen zu ihren Füßen zurückließ. »Der Feinde Schar bezwungen und
entfesselt!«
Maleneth duckte sich und drang auf einen weiteren Reißer ein, öffnete ihm mit einem
Rückhandhieb die Kehle und sprang dann zurück.
Als sie sich umwandte, um den Kampf in Augenschein zu nehmen, war er auch schon
vorbei. Gotrek hatte die Hälfte der Ghule niedergehackt und sie und Trachos hatten sich um
den Rest gekümmert. Der Schrein war leer, seine Steinzweige lagen im Staub.
»Wo ist er?«, keuchte sie und blickte Trachos an.
Er schien sie nicht zu hören. Sein Kopf war zurückgeworfen und er hielt noch immer das
Zepter in beiden Händen, während äthrische Energien seine Panzerhandschuhe umknisterten.
Er sang noch immer, aber jetzt nur für sich selbst; die Worte klangen gedämpft und schwach
aus seinem Helm. Dann schüttelte er den Kopf, senkte sein Zepter und wandte sich Maleneth
zu. Das Licht in seinen Augen verblasste und plötzlich wirkte er von der Anstrengung
benommen. Er lehnte sich auf sein Zepter wie auf eine Krücke.
»Er fiel, als der Nekromant auf ihn einstach.«
Sie sahen sich beide um.
»Wir müssen hier weg«, sagte Maleneth und blickte an dem Stormcast Eternal vorbei zu den
Nebeltürmen hin. Weitere Hunderte Ghule näherten sich aus allen Richtungen. Selbst mit dem
Slayer konnten sie niemals gegen so viele kämpfen. »Der Hexer, in den du so viel Hoffnung
gesetzt hast, hat uns im Stich gelassen.«
Auf der Suche nach Gotrek und dem Hexer sprang sie über die toten Körper, dass Trachos
nur hinter ihr hertaumeln konnte.
Das Mädchen fand sie zuerst. Sie war aus dem Nest aus stachligen Steinen gerollt und am
Boden des Schreins zusammengebrochen. Ihre Kapuze war zurückgeschlagen, sodass sie ihr
gerötetes, zorniges Gesicht sehen konnten. Ihre Zähne waren gebleckt und sie funkelte
Maleneth finster an, als wollte sie ihr die Kehle herausreißen.
Sie versuchte aufzustehen, aber Maleneth hielt ihr lächelnd ein Messer an die Kehle. »Gib
mir nur einen Grund.«
Die Frau zitterte vor Wut. »Die Unbegrabenen werden fortbestehen.« Ihre Augen waren so
blutunterlaufen, dass sie vollkommen rot wirkten. »Morbium auf ewig!«
»Unbegraben?«, Maleneth warf Trachos nach einer Erklärung suchend einen Blick zu, doch
der Stormcast zuckte die Achseln.
Die Frau lachte höhnisch, ihre Worte waren voller Hass. »Töte mich. Mach schon. Ich weiß
nicht, wie du den Eisernen Schleier entdeckt hast, aber das wird nicht unser Ende sein. Unsere
Ahnen werden fortbestehen. So wie es war, wird es immer sein. Die Vergangenheit ist im
Jetzt. Die Unbegrabenen werden da sein, wenn der Verrätergott gestürzt wird und die –«
»Eure Mauern stürzen ein«, unterbrach sie Maleneth, verärgert über den hochtrabenden Ton
der Frau. »Schau dich um.« Sie zerrte sie auf die Füße und zeigte ihr die Reihe der Schreine.
Alle stürzten sie, umgeben von Nebelstürmen, unter dem Gewicht der Ghulattacken ein.
»Morbium wird fortbestehen«, fauchte die Frau. Ihre Finger zitterten, ihre Waffe war
verloren.
»Dein Stachelgestrüpp ist das Einzige, das noch steht, und das auch nur dank Gotrek«, sagte
Maleneth. Bei der Erwähnung seines Namens erinnerte sie sich daran, dass das Mädchen den
Slayer verwundet hatte. »Wo ist er?«, murmelte sie und blickte über die noch immer
zuckenden Körper hinweg.
Trachos drängte sich an ihr vorbei und schritt mit schimmerndem Zepter durch die
Nebelschleier.
»Warte!«, befahl Maleneth, die noch immer über der Frau kauerte und ihr das Messer an die
Kehle hielt. »Was bist du?«, sagte sie und fragte sich, ob es irgendeinen Grund gab, sie am
Leben zu lassen. »Bist du ein Nekromant?«
Die Frau wirkte entsetzt. »Ich bin die Hohepriesterin des Leichentuchs.«
»Gut für dich«, sagte Maleneth und erhöhte den Druck auf die Klinge.
Gotrek taumelte durch den Nebel, benommen aber augenscheinlich unversehrt.
Er schob Maleneth beiseite und zerrte die weißgewandete Frau auf die Füße. Er hielt die
Sense hoch, die sie gegen ihn verwandt hatte und tippte auf die Rune auf seiner Brust. »Wenn
du noch mal die Chance bekommst, ziel höher, Mädel.«
»Fürst Volant wird sich deinen Kopf holen«, zischte die Frau. »Wenn er hört, dass du den
Eisernen Schleier angegriffen hast, wird es in ganz Shyish keine Hexerei geben, die dich
beschützen kann.«
»Der Eiserne Schleier?«, fragte Gotrek.
Maleneth beugte sich näher heran und sprach mit spöttelnder Vertraulichkeit. »Ich glaube,
sie meint diese uneinnehmbaren Bauwerke.« Sie deutete auf die zerstörten Schreine, die sich
von ihrem Standort her in beide Richtungen zogen.
»Angegriffen?« Gotrek schüttelte den Kopf. »Was redest du da?« Er sah zu der Flut von
Ghulen, die auf sie zustürmten. »Du denkst, diese Wesen gehören zu mir?« Er winkte zu den
Körpern hin, die sie umgaben, und lachte. »Vielleicht hast du nicht bemerkt, wie ich sie um
ihre Köpfe gekürzt habe.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Wer bist du dann?«
»Gotrek, Sohn des Gurni, geboren in den Immergipfeln und –«
»Gotrek«, sagte Maleneth und lenkte die Aufmerksamkeit des Slayers auf die auf sie
zudonnernden Heerscharen.
Er grunzte verärgert über die Unterbrechung und sah wieder zu der Frau hin. »Wie komme
ich zu deinem Herrn?«
»Fürst Volant?«
»Fürst wer?« Gotrek schüttelte den Kopf. »Ist das der Dämmerfürst? Fürst Volant? Ist das
der, der mich zu Nagash bringen kann?«
Die Frau starrte ihn an. »Nagash? Du bist wahnsinnig.«
Maleneth lachte. »Zumindest hat sie eine solide Menschenkenntnis.«
»Sie haben uns fast erreicht«, sagte Trachos.
Maleneth sah Gotrek an. »Irgendwelche Vorschläge?« Durch den Nebel stürmten derart
viele Ghule heran, dass der Boden bebte.
Die Frau sah an Gotrek vorbei auf die sich nähernde Horde und dann wieder zum Schrein.
Gotrek bemerkte den Blick. »Gibt es etwas, das du tun kannst? Was hast du dort in diesem
Schrein?«
»Warum suchst du Nagash?«, fragte die Frau. »Um ihm Gefolgschaft zu geloben?«
»Gefolgschaft?« Gotrek lachte. »Ich bin nicht hergekommen, um mein verdammtes Knie zu
beugen.«
»Trachos«, sagte Maleneth. Die Ghule waren nur Augenblicke entfernt. Sie konnte ihre
rollenden, fiebrigen Augen und das Blut auf ihren Zähnen sehen. »Dein Stab?«
Er nickte, flüsterte ein Gebet und stellte die Zahnräder um den Kopf des Zepters ein.
Energie schimmerte das Metall herab, ließ Licht über seinen Gesichtspanzer sprühen. Die Luft
knisterte, als er davonschritt und wieder eine seiner melodielosen Hymnen anstimmte. »Herab
von allen Himmelszinnen, reitet den Sturmwind er hinfort zum Sieg!«
Maleneth blickte wieder zu Gotrek. Selbst jetzt schien er die Heerscharen nicht
wahrzunehmen, die auf sie zustürzten. Er hielt den Blick der Frau.
Die Frau starrte die toten Ghule an, die Gotrek um den Schrein verstreut hatte. Ihre Miene
wirkte gequält.
»Wenn du etwas tun kannst, dann sollte das jetzt sein«, sagte Maleneth, welche die
Unentschlossenheit der Frau in Rage brachte.
Alle taumelten sie, als Trachos sein Zepter auf den Boden rammte. Eine Ätherwelle ergoss
sich durch den Nebel und traf die vorderen Reihen der Ghule. Trachos’ Lied gewann an
Lautstärke und Inbrunst.
Die Ghule gingen wie Zunder in Flammen auf, heulten, während sie von Glut verhüllt
stürzten.
Die Augen der Frau weiteten sich. Sie betrachtete die Trümmer der anderen Schreine und
dann Gotreks Axt und die Rune auf seiner Brust, die beide noch immer glühten.
»Der Eiserne Schleier ist sowohl Mauer als auch Tür«, sagte sie. »Wenn es der Wille der
Unbegrabenen ist, dann kann ich vielleicht nach Morbium zurückkehren und euch mit mir
nehmen.« Ihre Augen brannten noch immer vor Hass und Entrüstung, doch sie sah immer
wieder zum Schrein hin und machte keinerlei Anstalten sie anzugreifen.
»Morbium?« Gotrek schüttelte den Kopf. »Das ist es. Dahin wollen wir. Schaff uns rasch da
hin, Mädel, und ich verzeihe dir vielleicht, dass du versucht hast, mich aufzuschlitzen.«
Sie taumelten erneut, als Trachos eine neue Lichtwelle entfesselte, die weitere Ghule umriss,
während sein Lied ein triumphierendes Crescendo erreichte.
Die junge Frau griff sich an den Kopf und trommelte mit ihren Fingern auf den Schädel.
»Fürst Volant hatte Recht, dass er mich hierhin schickte. Der Schleier wurde durchbrochen.«
Sie schüttelte den Kopf und warf einen Blick zum Schrein hinüber. »Ich muss zu ihm.«
»Wenn er den Weg zu Nagash kennt, dann bringe ich dich zu ihm«, sagte Gotrek. »Sieh das
als meinen Schwur an.«
Sie funkelte Gotrek an, schien aber sein Angebot zu erwägen. »Wenn die Reißer den
Schleier durchbrochen haben, könnte ich Schutz brauchen.«
Gotrek pochte auf seine blutige Axt. »Wenn du Schutz brauchst –«
»Slayer!«, schrie Trachos, stürzte zurück und schmetterte sein Zepter einem der Ghule ins
Gesicht. Dessen Schädel explodierte und ließ Flammen und Hirnmasse ringsumher fliegen.
Maleneth duckte sich unter dem Blut weg, hielt dann den nächsten mit einem Wirbel von
Messerstichen auf, und Gotrek fällte einen dritten, indem er ihm den Schädel mit der Axt
zerschmetterte.
»Folgt mir zur Kanzel!«, rief die Frau. Sie kletterte die knorrige, verdrehte Steinmasse hoch
und winkte ihnen, ihr zu folgen.
Rückwärts kletterten sie die Steine hoch, sich noch immer der Ghule erwehrend und ihre
Hiebe parierend.
Gotrek grinste, während er kämpfte, ließ Köpfe und Glieder ringsumher fliegen, während er
der Frau hinterhereilte. Trachos benutzte sein Zepter wie einen Hammer, schwang ihn mit
beinah genauso viel Wildheit wie Gotrek und jeder Schlag löste einen Blitz azyritischer
Zauberei aus, der grelles Licht auf seine Rüstung warf, das sich in den Blitzkeilen und Sternen
fing, die den glänzenden Panzer zierten. Sein Lied war zu einem Wirrwarr
zusammenhangloser Worte ohne Bedeutung verkommen. »Flink! Gesegnet! Herz! Hader!«
Als sie das Zentrum des Schreins erreichten, winkte die Frau sie in die Kanzel und bedeutete
ihnen, dass sie sich neben sie auf die knorrigen Gebilde setzen sollten.
»Drückt eure Handflächen auf den Stein!«, rief sie.
Maleneth eilte an Gotreks Seite. »Gibt es jemanden, dem ihr nicht euer Vertrauen schenkt?«
Der Slayer lachte und nickte zu der chaotischen Szenerie rings um sie. Die Ghule befanden
sich in einer derartigen Raserei, dass sie sich gegeneinander wandten und sich in ihrer
Verzweiflung, den letzten noch stehenden Schrein zu erreichen, an den krummen Gliedern
rissen. »Bleib hier, wenn du magst.«
Gotrek klatschte seine fleischige Hand neben die der Frau und griff sich einen Steinsporn,
der aus dem Zentrum der Kanzel herausragte.
Trachos zielte mit dem Zepter und ein Blitz peitschte aus dem Metall und riss die Brust
eines Ghuls auf, fraß sich dann durch den Kopf eines anderen. »Es gibt keine andere
Möglichkeit«, sagte er, während er mit seinem Zepter auf einen Ghul einschlug, der ihn aus
einem anderen Winkel ansprang. Er legte seine Hand neben die Gotreks und das Metall seines
Panzerhandschuhs klirrte gegen den Stein.
Maleneth sah die Frau mit dem geröteten Gesicht an. Sie hatte den Stein mit beiden Händen
gepackt, die Augen geschlossen und flüsterte dabei erbittert vor sich hin. Indigofarbene
Flammen flackerten zwischen ihren Fingern und eine Bö wehte durch die Kanzel, dass
Maleneth schauderte und fluchte. Dies war Nekromantie, was immer die Frau auch behaupten
mochte. Sie konnte die Todesmagie in der Luft riechen.
Der Schrein begann zu ruckeln und bröckelte unter dem Gewicht der Ghule.
Maleneth murmelte einen weiteren Fluch und legte ihre Hand auf den Stein.
Kälte durchfuhr sie und sie keuchte vor Schmerz auf. Sie versuchte, ihre Hand wegzuziehen,
aber sie war wie festgefroren.
»Was ist das?«, zischte sie die Frau an, doch die Priesterin nahm außer ihren
Beschwörungen nichts anderes wahr. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Kopf zurückgekippt,
und sie murmelte arkane, zischelnde Laute.
»Wenn du mich betrogen –«, hob Maleneth an, doch ihre Worte wurden von den
ohrenbetäubenden knirschenden Geräusch übertönt, als das Steingestrüpp seinen Griff
verstärkte, sich wie eine enorme Faust zusammenballte und sie alle in einem Käfig einhüllte.
Maleneth schrie auf, als sich Dornen in sie bohrten. Sie versuchte erneut, ihre Hand
fortzuzerren, doch es war nutzlos.
Dutzende bröckelnder Hauer bohrten sich in sie hinein, und als die Welt um sie dunkel
wurde, erhob der Talisman an ihrem Hals seine Stimme und sein Ton war voller Spott.
Du kannst nicht einmal anmutig sterben.
KAPITEL SECHS

MORBIUM

»Echsenschlingel!«, brüllte Gotrek.


Um Maleneth war es dunkel, aber die dröhnenden Laute des Slayers konnten nur eins
bedeuten – sie war noch am Leben. Sie hatte deswegen gemischte Gefühle.
»Es heißt Hexenklinge«, murmelte sie und mühte sich hochzukommen. Ihre Arme wurden
straff festgehalten und waren taub vom abgeschnürten Blut. Sie verfluchte sich, dass sie die
Priesterin nicht getötet hatte.
»Aye«, erwiderte Gotrek, der aufreizend munter klang. »Sag ich doch. Echsenschlingel.
Komm mit deinem Arsch hoch. Schau dir das an.«
Jemand kam auf sie zu und man hörte das Knirschen sich verschiebenden Steins. Als ihr
Gesicht freigelegt wurde, sah sie über sich einen wirbelnden Himmel. Die seltsam schwarzen
Sterne waren verschwunden und durch die gewohnten glitzernden Sternbilder ersetzt worden,
doch waren sie dunstig und schwach, als blickte man durch einen Gazeschleier.
Maleneth Hals war steif vor Kälte, aber sie schaffte es, sich zu drehen, um nachzuschauen,
wer sie befreit hatte. Es war Trachos, auf dessen ramponierter Maske Sternenlicht schimmerte.
»Die Priesterin hat die Wahrheit gesagt«, meinte er.
»Dies ist Morbium«, sagte die Priesterin. Maleneth konnte sie nicht sehen, aber sie erkannte
ihre angespannt zornige Stimme, die von irgendwo dort in der Dunkelheit kam.
»Seelenvorsteher. Letzte Bastion der Grabwacht und die hoheitliche Domäne Fürst Volants,
neunzehnter Erbe des Zobelthrons und Dämmerfürst der Verharrenden Feste.«
Trachos hob weitere Steine von Maleneth herunter und sie schaffte es, aufzustehen, sich
Beine und Arme abzuklopfen und dafür zu sorgen, dass wieder etwas Blut in ihre Glieder
kam. Die Steine waren die Überreste des Schreins. Seine dornigen Glieder lagen in Trümmern
und die Leichenkäfige waren zerbrochen, sodass die Körper jetzt ringsum verstreut
bewegungslos dalagen.
Sie sah sich um. Sie waren auf einem verfallenen Kai, der jedoch über das seltsamste Meer
ragte, das Maleneth je gesehen hatte. Seine sich türmenden Wellen waren alle regungslos, als
seien sie aus Eisen gehämmert. Einen Moment nahm sie den bizarren Ausblick in sich auf und
fragte sich, ob das Wasser wohl gefroren sei, doch während die Luft zwar kühl war, war sie
sich doch sicher, dass es nicht kalt genug war, einen ganzen Ozean einfrieren zu lassen. Die
Wellen schienen nur auf einen einzigen Moment abgestoppt, wie bei einem Meer für ein
Bühnenbild.
Landungsbrücken ragten über die leblosen Gezeiten. Sie waren aus den gleichen
zerbrochenen Knochen geschaffen wie alles andere auch. Die Ausmaße dieses Ortes waren
schockierend. Maleneth hatte nichts derart Großes gesehen, seit sie Hammerhal verlassen
hatte. Hinter ihr traf der Kai auf eine eiserne Straße oder irgendeine Art von Brücke, die über
das Meer hinauslief und sich in den Schatten verlor.
»Solche Handwerkskunst habe ich seit den Herdhallen von Karaz-a-Karak nicht mehr
gesehen«, murmelte Gotrek und starrte auf die gewaltigen, bröckelnden Landungsbrücken. Er
klang beinah beeindruckt. »Wer hat das gebaut?«, fragte er und sein Atem ringelte sich in der
kalten Luft um ihn.
Die Priesterin suchte sich noch immer ihren Weg aus dem zerstörten Schrein, klopfte ihre
Gewänder ab und war zu benommen, um wahrzunehmen, dass jemand sie ansprach. Maleneth
bemerkte, dass sie beim Gehen Worte formte – Zahlen, so wie es aussah, als würde sie etwas
zählen.
Gotrek wiederholte seine Frage in noch schwülstigerem Ton und die Priesterin blickte auf.
»Der Dämmerfürst«, sagte sie. »Der erste Dämmerfürst zu Anbeginn der Amethystfarbenen
Fürstentümer.«
Gotrek bückte sich und hob ein zerfetztes Metallteil auf. Selbst zerbrochen war es
wunderschön – kunstvoll und reich verzierter Knochen, in den Silberstreifen eingearbeitet
waren, die Schädel und Insektenflügel darstellten. »Nicht schlecht für einen Haufen
Geisterpfuscher.«
»Wir ›pfuschen‹ mit unseren Toten nicht herum.« Die Priesterin betrachtete ihre Sense, die
noch immer in Gotreks Gürtel steckte, mit glühenden Augen. Ihr Gesicht war rot vor Wut und
Maleneth konnte sehen, dass sie mit sich kämpfte, Gotrek nicht anzugreifen. »Wir wachen
über sie, so wie sie über uns wachen. Wir verehren unsere Ahnen.«
Maleneth nickte zu den Leichen hin, die zusammengesunken in den zerbrochenen Käfigen
des Schreins lagen. »Hast du die auch verehrt?«
Die Frau lachte höhnisch. »Das waren Reißer. Ich habe ihr Gedächtnis gelöscht und sie
gegen ihresgleichen eingesetzt. Mehr sind sie nicht wert.«
»Du bist eine Hexe?« Gotrek wirkte, als hätte er etwas Unangenehmes gekostet.
»Ich bin Lhosia, Hohepriesterin des Leichentuchs. Spirituelle Beraterin des
Dämmerfürsten.« Sie nickte zu der Sense in seinem Gürtel. »Alle Macht, die ich habe, ist an
meine Ahnen gebunden.«
»Hört sich für mich wie Geisterpfuschen an«, grunzte Gotrek und zupfte sich Schuttbrocken
aus dem Haarkamm.
Maleneth war aus dem zerstörten Schrein herausgeklettert und schritt auf Gotrek und Lhosia
zu. »Dieser Dämmerfürst, dem du dienst. Uns wurde gesagt, er könnte Gotrek zu Nagash
führen.«
Die Priesterin runzelte die Stirn. »Warum sollte man den Nekromanten suchen? Die meisten
würden alles tun, um ihm zu entrinnen.«
Bei der Erwähnung Nagashs hatte sich Gotreks Gesichtsausdruck verfinstert. »Die Götter
schulden mir ein Schicksal. Es ist mir egal, ob’s der Knochenkopf oder der Donnerdepp ist –
irgendwer wird mir geben, was mir versprochen wurde.« Er schwenkte seine Axt, dass ihr
Kohlebecken flackerte. »Egal wie, dieses Ding hier wird am Ende im Kopf eines Gottes
stecken.«
Lhosia lachte ungläubig. »Du liegst im Krieg mit den Göttern?«
»Das tun wir alle, Mädel. Ich trage den Kampf nur zu ihnen.«
»Der Nekromant hat dir etwas versprochen?« Lhosia sah Maleneth mit verdutzter Miene an.
Maleneth zuckte die Achseln.
Gotrek sträubte sich der Bart. Er stampfte auf dem zerstörten Metallteil herum und
brummelte dabei in seiner archaischen Duardinsprache vor sich her. »Ich weiß nicht mehr,
wer mir was versprochen hat«, wetterte er, »aber ich weiß, mir wurde mein Schicksal geraubt.
Nagash weiß, was man mir schuldet. Er wird sich an mich erinnern.«
Es lag ein Unterton der Verzweiflung in der Stimme des Slayers. Maleneth hatte den
Eindruck, dass Gotrek eher vom Zorn als von Tatsachen angetrieben wurde. An wie viel
konnte er sich schon wirklich erinnern? Suchte er der Rache wegen nach Nagash oder weil er
nicht wusste, was er sonst tun sollte? Wollte er nur jemanden finden, der vielleicht wusste,
wer er war? Seit dem Augenblick, da sie ihn getroffen hatte, hatte Maleneth gespürt, dass
Gotrek sich unsicher war, warum er noch lebte. Er war wie ein Jagdhund, den man getreten,
Blut zu schmecken gegeben, bereit zur Jagd gemacht und dann schließlich in den Käfig
geworfen hatte.
Während Gotrek durch die Ruinen stürmte, seine Axt schwang und fluchte, begann die
Rune auf seiner Brust zu glühen.
»Kannst du uns zu deinem Fürsten bringen?«, fragte er.
»Das kann ich«, sagte Lhosia. »Ich muss zu ihm. Er hat mich ausgesandt, um zu prüfen, ob
die Grenzen seines Fürstentums sicher halten, und sie hängen in Fetzen. Und wenn die Reißer
den Eisernen Schleier durchbrochen haben, dann können sie überall sein.«
»Was ist das für ein Ort?«, fragte Trachos. Wie üblich schien er zwei Schritt neben der
Unterhaltung zu stehen und in den merkwürdigen Gedanken, die in seinem Helm hin und her
rasselten, gefangen zu sein. Er schnallte eine der Apparaturen von seiner Rüstung ab und
zeigte mit deren gekerbten Ellipsen auf die Architektur. »Warum hast du uns ausgerechnet
hierher gebracht?« Er betrachtete die leeren Straßen und die umgestürzten Gebäude ringsum.
»Das ist meine Heimat«, sagte Lhosia. »Es war für mich der Ort, den ich am leichtesten aus
meiner Erinnerung heraufbeschwören konnte. Außerdem muss ich, bevor ich irgendetwas
anderes tue, meine Familie warnen. Der Eiserne Schleier wurde durchbrochen. Morbium
wurde entdeckt. Ich muss sicherstellen, dass die Unbegrabenen sicher sind.«
»Das ist ein Hafen«, sagte Gotrek.
Sie nickte. »Vor dem Fall der Fürstentümer haben einige deiner Duardinverwandten diesen
Ort mit ihren Ätherschiffen angeflogen. Sie nannten sich Kharadron. Sie haben hier Erz
verschifft. Meine Vorfahren verschmolzen es mit Knochen, um unsere Tempel zu errichten.«
»Es gab hier Zwerge?« Gotrek runzelte die Stirn und blickte sich argwöhnisch in den
Ruinen um.
Maleneth lachte. »Er ist eine ziemliche Berühmtheit bei seiner Art.« Sie senkte ihre Stimme
zu einem gespielten Flüstern. »Sie denken, er ist ein Gott. Oh, welch Ironie …«
Lhosia starrte Gotreks vernarbte, schmutzige Muskeln an und wirkte nur umso verblüffter.
»Ein Gott? Warum sollten sie das denken?«
Maleneth verdrehte die Augen. »Weil er aus einem Loch gekrochen ist und behauptet, dass
es das Reich des Chaos war.«
»Slayer lügen nicht«, sagte Gotrek. »Die Götter haben mir ein Schicksal im Reich des
Chaos versprochen. Dann haben mich die ehrlosen Drecksäcke vergessen. Und jetzt bin ich
hier.« Er spähte in die Ruinen. »Kommen Zwerge … ich meine, kommen Duardin noch
immer hierher?«
Lhosia schüttelte den Kopf. »Niemand kommt hierher. Als die anderen Fürstentümer fielen,
erbauten wir den Eisernen Schleier. Durch die Weisheit der Unbegrabenen haben wir uns vor
dem Nekromanten und sogar vor den Dunklen Göttern verborgen. Doch ohne die Kharadron
haben wir den Kontakt zu den anderen Reichen verloren. Wir sind allein.« Sie warf den
Leichen neben dem Schrein einen Blick zu. »Oder wir waren es jedenfalls.«
»Wie können wir zu deinem Fürsten gelangen?«, fragte Maleneth.
Lhosia nickte zu einem Gebäude hin, das unversehrter wirkte als die anderen. Es glich einer
ausgebleichten Schädelkuppel, glänzend und schartig. »Meine Familie ist hierhin angeordnet,
um die Ruinen zu bewachen. Sie werden schon gesehen haben, dass ich hier bin. Es ist nur ein
kleiner Tempel, aber wir haben viele Unbegrabene, die uns ihre Sicht leihen.« Sie winkte den
anderen, ihr zu folgen, und suchte sich durch die Trümmer ihren Weg auf das Gebäude zu.
»Unbegrabene?«, fragte Maleneth. Es war ein seltsames Wort und jedes Mal, wenn Lhosia
es benutzte, lag Verehrung in ihrer Stimme.
»Die Vorfahren«, sagte Lhosia und funkelte sie an. »Der Grund, warum wir hier sind. Wir
existieren, um ihre Zukunft zu sichern. Unsere Welt ist ein Vorzimmer zu ihrer – der Welt, die
kommen wird, wo wir uns unseren Ahnen anschließen.«
Bei diesen Worten blickte Gotrek auf. Er schien fasziniert. Er wollte etwas sagen, als Lhosia
zögerte und anhielt. Sie spähte durch das Dämmerlicht zum Gebäude am Ende des Piers.
Maleneth griff nach ihren Messern. »Was?«
»Kein Licht.« Lhosias Stimme klang seltsam. Sie nickte zu den geschwungenen,
knochenweißen Wänden des Tempels hin. Das Gebäude war von Schatten umhüllt und wirkte
verlassen. Sie taumelte weiter, wirkte verwirrt und beunruhigt.
KAPITEL SIEBEN

VORBOTEN

Sie eilten weiter und erreichten gemeinsam das Gebäude. Es war eine gewundene Träne aus
Gebein, die von einem silbernen Flechtwerk aus Maleneth unbekannten Symbolen eingefasst
war. Der Knochen wirkte wie von Graten und Riefen durchzogen, als sei er aus
unregelmäßigen Kacheln gefertigt. Das Silber glitzerte im Sternenlicht, doch ansonsten war da
nur Dunkelheit.
»Irgendwer da?«, brüllte Gotrek und klopfte mit dem Kopf seiner Axt gegen die Wände.
Es gab eine Explosion von Lärm und Bewegung.
Maleneth schnellte anmutig von dem Gebäude fort, riss ihre Messer aus ihrer Lederkluft und
landete in der Hocke, nur um dann festzustellen, dass Gotrek nicht Gefährlicheres als ein paar
Insekten aufgestört hatte. Was sie für Kacheln auf der Oberfläche gehalten hatte, waren in
Wirklichkeit Tausende von bleichen, durchscheinenden Motten. Sie umwirbelten jetzt Gotrek
und die anderen, flatterten ihnen in die Gesichter und erfüllten die Luft mit ihrem rasenden
Summen.
Gotrek fluchte und schwenkte seine Axt umher und hätte Lhosia dabei beinah enthauptet.
»Verdammte Dinger«, grunzte er im Versuch, die Insekten zu verscheuchen.
Maleneth lachte über den absurden Anblick eines Slayers im Kampf mit Motten. »Du magst
sie nicht«, schnaubte sie.
Gotrek warf ihr einen finsteren Blick zu. »Ich mag sie ein ganzes Stück mehr als Hexen-
Aelfen.«
Er stapfte durch die flatternde Wolke und schlug brummelnd weiter auf die Tiere ein.
Maleneth lachte noch immer, als sie sich hinter ihm her hindurchkämpfte. Über das
lächerliche Betragen des Slayers konnte sie sich nur wundern. Sie hatte gesehen, wie er
Bestien getötet hatte, die Armeen besiegen konnten, und wie er mit einer Sylvaneth-Göttin
Beleidigungen ausgetauscht hatte. Und da war er nun und fluchte, weil sich ein paar Insekten
in seinem Bart verfangen hatten.
»Halt!«, schrie Lhosia, packte Gotreks Axt und funkelte ihn empört an. »Die Vorboten! Du
beleidigst sie!«
Gotrek starrte sie an. »Die was?«
»Sie meint die Motten.« Maleneth lachte nur noch lauter. »Du hast Angst vor ihnen und sie
macht sich Sorgen, sie zu beleidigen!«
»Wo ist die Tür?«, schrie Gotrek, blickte Maleneth finster an und fuhr dann Lhosia an. »Wie
kommen wir da rein?«
Nach einem argwöhnischen Blick auf Gotreks Axt nickte die Priesterin und eilte an ihnen
vorbei, zeigte mit ihrer Sense auf den beinernen Torbogen, der wie die Rippe eines längst
verstorbenen Leviathans aussah. Ihre Augen waren weit vor Furcht.
Sie alle eilten hinter ihr her in einen kreisförmigen Hof mit einem Loch in der Mitte und
Metallstufen, die sich darin hinunter in die Dunkelheit wanden.
Lhosia zögerte an der obersten Stufe, sah sich im Hof um und schüttelte den Kopf. Sie
spähte in die Dunkelheit. »Hallo?«, rief sie und machte ein paar Schritte hinunter in die
Düsternis. »Mutter? Vater? Ich bin’s, Lhosia.«
Ein Klappern hallte die Stufen hoch, gefolgt von einem Geräusch, das nach einer
zugeschlagenen Tür klang.
Lhosia warf den anderen einen Blick zu. Ihre bleichen, harten Züge verzogen sich finster.
Gotrek nahm die Sense von seinem Gürtel und gab sie ihr.
Einen Moment lang sah sie die Klinge an, wandte sich dann ab und stürzte die Stufen hinab
und verschwand.
Maleneth lachte erneut. »Beim Bluthändigen, sie ist genauso begierig zu sterben wie du,
Gotrek.«
»Wir brauchen sie lebend, wenn wir diesen elenden Fürsten finden wollen«, erwiderte er
und stürmte hinter Lhosia her.
Maleneth wandte sich mit verzweifeltem Blick an Trachos. Der Stormcast nahm ein Gerät
von seinem Gürtel und brachte es mit einem Klicken am Kopf des Zepters an. Kühles, blaues
Licht spülte über Maleneths Schultern hinweg, und sie stieg die Stufen hinab hinter Gotrek
und Lhosia her, mit Trachos direkt hinter ihr.
Ein paar Stufen voraus konnte sie erkennen, wie die gedrungene wuchtige Gestalt des
Slayers neben der Priesterin vor einer Tür anhielt, die nur noch gerade so in den Angeln hing.
Als Trachos’ Licht über eine Öffnung aus gebogenen, metallgefassten Knochen hinwegglitt,
ließ es einen Ausblick auf einen großen unterirdischen Raum dahinter erkennen.
Lhosia fluchte erstickt und schüttelte den Kopf.
Gotrek grunzte verärgert, trat die Tür nieder und stampfte mit erhobener Axt in den Raum.
Sie stürmten hinter dem Slayer hinein und Trachos’ Zepter offenbarte einen grauenhaften
Anblick. Körperteile waren quer über den Boden verstreut, glitzerten in Blutlachen und waren
von Wolken schwirrender Motten verschleiert.
Gotrek verzog das Gesicht, aber Lhosia fiel auf die Knie, als hätte ihr jemand einen Schlag
in die Magengrube versetzt, keuchte und streckte ihre Hände nach den Überresten aus, wagte
aber nicht, sie zu berühren. Motten stiegen von dem Blut auf, als ihre Hände darüber
schwebten.
Maleneth suchte den Raum nach Spuren der Mörder ab, aber er war leer, abgesehen von den
Leichen, die mit einer solchen Wildheit zerrissen worden waren, dass das ganze Zimmer mit
Blut bespritzt war. »Beeindruckend«, murmelte sie, mit einem Nicken auf das Blutbad
hindeutend.
Gotrek warf ihr einen Blick zu und nickte zu Lhosia hin.
Maleneth zuckte die Achseln und schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln.
Abgesehen von ein paar Stühlen, die zu beiden Seiten der hohen, geschwungenen Tür
aufgestellt waren, die tiefer in den Tempel führte, war der der Raum unmöbliert. Die Tür war
angelehnt und es führten Blutspuren zu ihr hin. Ein schnüffelndes, grunzendes Geräusch kam
aus dem nächsten Raum, und dann das Geräusch von etwas Schwerem, das sich
umherbewegte.
»Die Unbegrabenen«, flüsterte Lhosia, so leise, dass ihre Worte kaum hörbar waren. Sie
erhob sich langsam auf die Füße und taumelte zur Tür.
Gotrek packte ihren Arm und schüttelte den Kopf. »Lass mich zuerst gehen, Mädel«, sagte
er mit sanfterer Stimme als gewöhnlich.
Sie riss ihren Arm frei und ging weiter, die anderen dicht hinter ihr.
Maleneth kam taumelnd zum Stehen, verstand nicht, was sie da sah. Der Raum sah aus wie
ein künstlich angelegter Obstgarten. Die kreisförmigen Wände wurden von sechs
baumstammähnlichen Knochensäulen gegliedert, die sich aufwärts bogen und in der Mitte der
Kuppeldecke aufeinandertrafen. Jede der Säulen hatte ungefähr in zwanzig Spannen Höhe
einen herausragenden Ast, von dem etwas baumelte, was wie eine bleiche, verfaulende Frucht
aussah, jede etwa so groß wie der Kopf eines Mannes. Nein, erkannte Maleneth, sie glichen
eher Kokons – staubigen, knochenweißen Bündeln wie längliche Eier aus Papierstreifen. Und
sie waren nicht verfault – sie waren angegriffen worden. Die sechs Kokons waren von Klauen
oder Messern zerschlitzt worden und eine dunkle, zähe Flüssigkeit tropfte von den zerfetzten
Überresten herab.
Lhosia heulte bei ihrem Anblick auf, wobei ihr Gesichtsausdruck noch entsetzter war als bei
den Leichen im vorherigen Raum.
»Was ist das?«, fragte Gotrek und streckte die Hand nach einem der Kokons aus.
»Nein!«, schrie Lhosia. Ihre Worte klangen roh vor Zorn. »Sie hätten nicht hier sein sollen!
Der Fürst hatte geschworen, dass man sie fortschaffen würde!«
»Was sind sie?«, fragte Maleneth und lugte in einen der baumelnden Säcke. Sie konnte
drinnen etwas erkennen, das wie Stücke getrockneten Fleisches aussah.
»Die Unbegrabenen«, sagte Lhosia mit zitternder Stimme.
»Eure Vorfahren?«, fragte Maleneth.
»Meine Großmutter!«, keuchte Lhosia. »Mein Urgroßvater! Seine Urgroßmutter! Sie alle.
Sie alle wurden –«
Gotrek brachte sie zum Schweigen, indem er eine Hand hob, und nickte zur nächsten Tür
hin. Das Licht von Trachos’ Zepter schien in den nächsten Raum und dort war etwas, das auf
sie zukam.
Lhosia sackte gegen die Wand und griff sich an den Kopf. »Fürst Volant hat einen Eid
geschworen.« Sie klang wütend. »Sie hätten in die Hauptstadt geschafft werden sollen.«
Einer der an Trachos’ Gürtel befestigten Mechanismen begann zu surren und zu klicken. Er
wirkte, als wollte er etwas sagen, als die Tür in ihre Richtung explodierte.
Metall- und Knochentrümmer erfüllten die Luft, als eine schwere Gestalt durchbrach und
dabei die halbe Wand mit sich riss.
»Bein Grungnis Bart!«, fauchte Gotrek. »Das ist es schon eher.«
Das Geschöpf walzte in den Raum und schüttelte sich Mauerstücke von den Schultern. Es
war doppelt so hoch wie Trachos und offensichtlich ein Vetter der Ghule, die sie an der
Grenze des Fürstentums bekämpft hatten, besaß den gleichen debilen Blick und das gleiche
sabbernde Maul, doch war es massig und mit schweren, vernarbten Muskeln bedeckt, die von
mutierten Wucherungen strotzten – jedes Stück seiner schmierigen Haut starrte vor
Knochenhauern, die wie die Stacheln einer Klette aus den Muskeln ragten. Sein Gesicht war
mit der gleichen dunklen Flüssigkeit beschmiert, die aus den Kokons tropfte, und als sich sein
Blick mit dem Gotreks traf, ließ es ein wildes Brüllen ertönen und riss, während es sich auf
den Slayer warf, noch mehr von der Mauer um.
Gotrek antwortete mit einem Brüllen und stürzte sich auf den Giganten. Er schwang wild
seine Axt, während er durch die Luft flog.
Die Klinge blitzte und drosch mit solcher Macht in die Brust des Ghuls, dass das Monster
zurücktaumelte und dabei Gotrek mit sich riss. Sie polterten durch das zerstörte Portal und
landeten im Raum dahinter.
Gotrek brüllte verärgert auf, während er über dem gestürzten Riesen stand und versuchte
seine Axt herauszuzerren.
Die Klinge rührte sich kein Stück. Statt zu bluten, hatte die Brust des Ghuls den Kopf der
Axt eingesogen und sich in festem Griff darum gekraust.
Der Ghul erhob sich und verpasste Gotrek mit seiner enormen Faust einen Schlag, der ihn
quer durch den Raum fliegen ließ. Der Slayer schmetterte gegen eine Steinsäule und stürzte zu
Boden.
»Ihr Götter«, murmelte er, als er den Schutt von seiner Kopfhaut abklopfte. »Bist’n mächtig
großer Junge.«
Während Gotrek nach der zerbrochenen Säule griff und versuchte, auf die Füße zu kommen,
spurtete Maleneth mit gezogenen Messern an ihm vorbei und sprang auf die Brust des
Monsters.
Der Ghul schlug mit schwertlangen Krallen nach ihr, doch Maleneth wirbelte außer
Reichweite, bog ihren Rücken durch, während sie sich unter dem Hieb wegduckte.
Bevor das Monster begriff, wie ihm geschah, zog sie ihm die Klingen quer über die Kehle
und sprang davon.
Maleneth landete mit einem Fluch. Ihre Klinge war im Fleisch des Ghulhalses stecken
geblieben. Jetzt, da sie es in Trachos’ Licht deutlicher sah, erkannte sie, dass das Monster
nicht nur mit Stacheln, sondern auch den Bruchstücken von Waffen bedeckt war – Griffe und
Hefte ragten als Andenken vergangener Kämpfe zwischen seinen Rippen und Schulterblättern
hervor.
Der Ghul schloss seine Faust um Trachos’ Kehle, hob ihn in die Luft und schleuderte ihn
wie eine Keule gegen Gotrek. Sie krachten genau in dem Moment zu Boden, als Maleneth das
Monster erreichte, und die drei endeten in einem wilden Knäuel.
Sie halfen einander hoch und wichen keuchend und humpelnd zurück.
Gotrek wischte sich Blut und Staub aus dem Gesicht. »Ich bin nicht den Dunklen Göttern
entkommen, um von diesem Trampel verprügelt zu werden. Lenkt den Scheißkerl ab und
ich …« Die Worte des Slayers verklangen, als zwei weitere der Geschöpfe in den Raum
stolperten, genauso massiv und deformiert wie der Erste, und ihre gemeinsame Masse füllte
beinah den ganzen Raum aus. Einer war unbewaffnet, doch der Zweite hatte eine
Knochensäule herausgerissen und hielt sie jetzt wie einen improvisierten Speer, dessen
zersplitterte Spitze von dunkler Flüssigkeit glänzte.
»Drei von ihnen«, murmelte Gotrek. »Und sie verschlingen Waffen …«
Maleneth hielt sich den Kopf und versuchte, die Schmerzen zu bezwingen, die ihr
widerhallend durch den Schädel dröhnten. Trachos lehnte an der Wand und Funken wanden
sich um seine Halsberge, während er einen tiefen, abgerissenen Atemzug nahm.
Lhosia trat an Gotrek vorbei, packte ihre Sense und funkelte ohne irgendein Anzeichen von
Furcht zu den drei Riesen hoch. »Sie haben die Unbegrabenen ermordet.«
Sie schnitt mit ihrer Sense sauber durch das Bein eines Ghuls, brachte ihn zum Torkeln,
wirbelte dann fort in die Schatten und wurde von der Dunkelheit verschlungen, bevor die
Geschöpfe auch nur zurückschlagen konnten.
Maleneth nickte beeindruckt von der Schnelligkeit und Tapferkeit des Mädchens. Sie
schnappte sich Trachos’ Zepter von einem zersplitterten Säulensockel und warf es ihm zu.
Der Stormcast hob das Licht und blendete die Giganten, während Gotrek quer durch den
Raum stürzte und auf seine Axt zusprang. »Lodernde Wimpel!«, schrie Trachos, wieder ein
Lied anstimmend, während sein Zepter heller strahlte. »Und schimmernde Schwingen
wundersam!«
Vom Aufprall des Slayers aus dem Gleichgewicht gebracht, taumelte der erste Ghul
rückwärts gegen die anderen. Als er fiel, brüllte Gotrek triumphierend auf und übertönte
Trachos’ Lied. Runenlicht tanzte über seine knotigen Muskeln und loderte in seinem Bart.
Mit einem letzten, ohrenbetäubenden Brüllen riss der Slayer seine Axt aus der Brust des
Monsters. In einem Schauer von Blut schlug Gotrek ein Rad rückwärts, rollte sich dann am
Boden ab und griff erneut den Ghul an. Diesmal, statt erneut seine Axt in der Brust des
Monsters zu vergraben, folgte er Lhosias Beispiel, zog sie tief durch und durchtrennte dessen
Knöchel.
Das Monster polterte schwer zu Boden, zerschmetterte weitere Säulen und verstreute
Kokons.
Als der Ghul landete, stürmte Maleneth durch den Raum, riss eine Phiole aus dem Gürtel
und schleuderte sie dem Monster ins offene Maul, duckte sich dann weg, als er nach ihr griff.
Gotrek war bereits dabei, die beiden anderen Riesen anzugreifen. Der Erste versuchte, ihm
einen Schlag zu verpassen, aber der zum Berserker gewordene Slayer war zu schnell und der
Schlag konnte nur noch mehr Knochen aus den Wänden schlagen.
Lhosia sprang aus den Schatten und hackten dem nächsten Ghul durch den Knöchel, sodass
er zu Boden stürzte, bevor sie rasch wieder in der Dunkelheit verschwand.
Maleneth war bereit. Der Riese war kaum auf dem Boden aufgeschlagen, da schleuderte sie
ihm schon eine Phiole ins Maul und wich erneut zurück.
Trachos schritt an den gefällten Ghulen vorbei und richtete sein flammendes Zepter auf den
einzigen noch stehenden, sodass dieser mit vors groteske Gesicht erhobenen Armen von ihm
weg taumelte.
Gotrek preschte durch den Raum und schwang seine Axt mit solcher Wucht, dass sie
geradewegs durch beide Beine des Ghuls hackte und er in einem Schauer zersplitterter
Knochen zu Boden fiel. Das Geschöpf sackte gegen die Wand und Maleneth zögerte,
schwankte von Seite zu Seite, während sie versuchte, an seinen Kopf heranzukommen. Dann
hatte sie eine bessere Idee. Sie rannte zum verstümmelten Bein des Monsters, stieß ihre Faust
in die durchtrennten Muskeln und ließ die Phiole eingebettet in seinem bleichen Fleisch
zurück.
Während Gotrek, Maleneth und Trachos zurückwichen, zeigte Maleneths Gift seine
Wirkung und die drei Giganten begannen zu schwelen. Rauch stieg aus ihren Mündern auf,
während sie auf dem Boden zappelten, sich an die Kehlen griffen, bevor sie dann in Flammen
aufgingen.
Das Feuer war derart heftig, dass es alle zwang, zur Tür zurückzuweichen, durch die sie
gekommen waren.
Gotrek schenkte Maleneth und Trachos ein widerwilliges Nicken des Respekts. »Nicht
schlecht«, schrie er über den Lärm der sterbenden Ghule.
»Die Unbegrabenen!«, schrie Lhosia und zeigte mit der Sense auf die Tür auf der anderen
Seite des Feuers. Die Flammen breiteten sich über den Boden in den Raum aus, aus dem die
Ghule hervorgebrochen waren. »Vielleicht sind die anderen noch am Leben! Sie werden
verbrennen.«
Gotrek betrachtete die Flammen und lachte. »Lieber deine Papiereier als wir.«
Lhosia funkelte ihn wütend an, hielt noch immer die Sense im Griff. Einen Moment lang
dachte Maleneth, die Priesterin würde vielleicht den Slayer angreifen. Dann schüttelte sie den
Kopf. »Nur die Unbegrabenen können mich zu Fürst Volant führen. Wenn du sie verbrennen
lässt, wirst du den Fürsten niemals sehen und du wirst niemals Nagash finden. Der Fürst
könnte überall in Morbium sein. Und das Fürstentum ist groß – wir könnten jahrelang suchen
und ihn nicht finden. Doch die Unbegrabenen sehen alles. Sie könnten mir sofort sagen, wo
Fürst Volant ist und was der beste Weg ist, zu ihm zu gelangen, ohne noch mehr Reißern zu
begegnen.«
Gotrek starrte ins Feuer. Eine Seite seines Gesichts glänzte vor altem Narbengewebe. Er
fuhr mit den Fingern über die Brandnarben. »Ich habe schon schlimmere Brände
überstanden.«
Er wandte sich Trachos und Maleneth zu. »Weiß einer von euch einen anderen Weg, den
Fürsten zu finden?«
Sie schüttelten den Kopf.
Gotrek zupfte nachdenklich an seinem Bart, während er die Priesterin ansah. Das stürmte er
in die Flammen.
Maleneth fluchte und stürzte hinter ihm her, doch die Hitze trieb sie zurück. »Trachos!«, rief
sie. »Dein Glaube wird dich beschützen. Folge ihm!«
Trachos nickte und humpelte auf das Feuer zu.
»Nein, warte«, murmelte Maleneth und legte ihm die Hand auf die Brust. »Ich weiß, was du
machst, wenn er sich selbst eingeäschert hat. Du nimmst dir die verdammte Rune.« Sie sah zu
Lhosia hinüber. »Gibt es einen anderen Weg da raus?«
Lhosia nickte.
Trachos schob Maleneth beiseite, hielt wieder auf die Flammen zu und erhob seine Stimme
zu einem Lied, das angetan war, Schädel zum Dröhnen zu bringen.
Doch bevor er das Feuer erreichte, kam Gotrek wieder in den Raum gestürmt, den Kopf
gesenkt, dass Funken und Rauch nur so hinter ihm herstoben, während er an Trachos und
Maleneth vorbeilief. Er barg etwas in den Armen und fiel noch immer lachend auf die Knie.
»Ich hab’s«, sagte er, stand auf und grinste Lhosia an.
Als er die Arme ausbreitete, lief die Priesterin, ohne den Rauch und die Hitze zu beachten,
zu ihm hin.
»Unbeschädigt«, flüsterte sie leise und nahm sanft den Kokon aus seinem Griff. Sie schloss
ihre Augen und ließ den Kopf sanft darauf sinken.
»Und jetzt die anderen!«, sagte sie und blickte wieder durch die Flammen. »Da sollte noch
ein anderer Kokon wie dieser hier sein.«
»Er war leer.« Gotrek nickte zu den über den Boden verstreuten Überresten. »Zerstört wie
die da.«
»Du lügst!« Lhosia packte den Kokon unter einen Arm und zog mit zitternden Lippen ihre
Sense.
Gotrek hob eine Augenbraue, ignorierte ruhig die Klinge, die nur ein Fingerbreit von seinem
Gesicht entfernt war.
Lhosias Augen weiteten sich und sie zog ihre Sense zum Schlag zurück.
Maleneth packte ihren Arm. »Er lügt nie. Er ist tatsächlich so langweilig.«
Die Wut in Lhosias Augen schwand. »Alle zerstört?«, murmelte sie.
»Von dem abgesehen«, sagte Gotrek und nickte zu dem Kokon hin, den sie trug.
Fasziniert von der Ehrfurcht, die Lhosia offenbar davor empfand, versuchte Maleneth, einen
besseren Blick darauf zu erhaschen. »Was ist darin?«, fragte sie und mühte sich, im Licht der
Flammen etwas deutlich zu erkennen. »Wie kann das deine Familie sein?«
Lhosia steckte ihre Sense in die Scheide und wiegte den Gegenstand wie einen Säugling.
Dann bedeutete sie ihnen, ihr zu folgen, indem sie zum Vorzimmer hin nickte. »Lass es mich
euch zeigen.«
KAPITEL ACHT

DIE UNBEGRABENEN

Als sie sich in dem Raum versammelt hatten, schob Gotrek die Tür hinter ihnen vor den
Durchgang, sodass sie die Hitze und den Rauch abhielt.
Lhosia wiegte noch immer den Gegenstand und bedachte ihn mit einem argwöhnischen
Blick. »Du bist keiner der Erebid. Du verstehst die Unbegrabenen nicht.«
Gotreks Miene verdüsterte sich. »Ich hab mir wegen dem da den halben Bart versengt.«
»Was ist ein Erebid?«, fragte Maleneth amüsiert vom seltsamen, nervösen Benehmen der
Frau.
»Ich bin einer.« Lhosia klang noch immer leer und benommen, doch sie versuchte es zu
erklären. »Ich meine, wir sind es – das Volk von Morbium. So nennen wir uns selbst.« Sie
winkte sie fort. »Ihr dürft nicht so nahe bei mir stehen. Wenn ich mit meinen Vorfahren
Zwiesprache halte, dann befinde ich mich in einem zerbrechlichen Zustand.«
Maleneth hob eine Augenbraue. »Gefühlsmäßig?«
»Körperlich. Meine Form verändert sich. Ihr dürft mich nicht berühren, bis das Ritual
vollendet ist. Wenn ihr mich berührt, werde nicht nur ich in Gefahr sein. Derjenige wird Teil
des Rituals. Die Unbegrabenen werden deine Seele einatmen und dein Fleisch wird
verwandelt, wird brüchig. Du wirst in deine vergangenen Leben und die vergangenen Leben
der Unbegrabenen gezogen.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, grunzte Gotrek. Er warf Maleneth einen
warnenden Blick zu. »Aber ich werde dafür sorgen, dass niemand deinen Zauber stört.«
Maleneth stöhnte in gespielter Kränkung auf. »Ständig musst du an mir zweifeln, Slayer.«
»Bleibt von mir fort, bis ich fertig bin«, sagte Lhosia. »Oder ihr setzt mehr aufs Spiel als
euer Fleisch.«
Sie ging zu einer der Säulen hinüber, die sich die Wand des Raumes hochwölbten, und
setzte sich dagegen. Sie murmelte still und flüsternd. Es schien eine Art Lied zu sein.
»Oh …« Maleneth verdrehte die Augen. »Sie ist eine weise Frau. Ich wette, sie liest auch
aus der Hand.« Sie packte ihr Messer an ihrem Gürtel und grinste feixend. Sie könnte Lhosia
ein Ritual zeigen, das tatsächlich etwas bewirkte. Und das würde keinerlei Schlaflieder
erfordern.
Während Maleneth im Raum umherspazierte und darauf wartete, dass der Ritus vorbei war,
dachte sie über ihren nächsten Zug nach. Sie hatte bisher keine andere Möglichkeit gehabt, als
dem Slayer bis hierher zu folgen, aber bestand wirklich irgendeine Aussicht, dass er den Gott
des Todes auch erreichte? Nagash war für viele Dinge bekannt, aber zu teilen gehörte nicht
dazu. Wenn Gotrek Nagash erreichte, würde der Slayer vernichtet werden, seine Seele würde
versklavt und ihm die Rune genommen. Sie musste einen Weg finden, sie in ihre Hände zu
bekommen, bevor diese lächerliche Queste aus dem Ruder lief.
Wenn du deiner Umgebung etwas Aufmerksamkeit schenken würdest, könntest du
vielleicht etwas zu deinem Vorteil lernen, sagte ihre Herrin und brachte damit das Amulett
dazu, Wärme über ihre Brust pulsieren zu lassen.
Unwahrscheinlich, dachte sie. Ein Berserker-Rüpel, eine brabbelnde Nekrophile und ein
Stormcast Eternal, der so verwirrt ist, dass er kaum sprechen kann. Nicht besonders
wahrscheinlich, dass die allzu viele Einsichten zu bieten haben.
Etwas berührte Maleneths Haare. Sie schlug es fort, bemerkte, dass es eine der bleichen
Motten war. Eine weitere schwirrte ihr übers Gesicht, und dann noch eine, bis die Luft von
den Dingern wimmelte.
Sie fluchte und versuchte, sie wegzuwedeln. In großen Wolken flatterten sie an ihr vorbei
auf Lhosia zu. Wie ein bleiches Gewand landeten sie auf der Priesterin, bedeckten sie und den
Kokon mit summenden Schwingen.
Lhosias Hände sanken in die Oberfläche des Kokons und verschwanden. Dann erhob sich
ein blasses Licht darin, wie eine Kerze in einer Papierlaterne. Die Oberfläche des Kokons
wurde nach und nach durchsichtig, und als das Licht immer heller strahlte, wurde der Inhalt
des Kokons unverkennbar. Zunächst war da ein Schwirren winziger Formen, die wie Mücken
kreisten, dann begann eine zu wachsen und Gestalt anzunehmen. Maleneth konnte ein Lachen
nicht unterdrücken. Es bestand ein solcher Kontrast zwischen der Verehrung in Lhosias Blick
und dem armseligen, grotesken Ding, das da vor ihr hing. Es sah wie ein verschrumpelter
Fötus aus, nicht größer als ein menschlicher Kopf, doch mit den grauen, verwitterten Zügen
eines altersschwachen Mannes. Er hatte lange, dünne, graue Haare und unregelmäßige
Stoppeln am Kinn. Seine Glieder waren verkümmert und verbraucht und seine Augen milchig
weiß.
Gotrek verzog das Gesicht. »Ich hab meine Leben für eine eingelegte Leiche riskiert? Wie
könnte dieses Ding noch toter werden?«
»Die Unbegrabenen bestehen fort«, erwiderte Lhosia und sprach dabei im gedämpften Ton
und mit noch immer geschlossenen Augen.
Sie bewegte ihre Handflächen unter der Kokonoberfläche, als sein Inhalt sich zu bewegen
begann.
Trachos brummelte und Maleneth grinste höhnisch, als das verschrumpelte Ding mit den
Beinen austrat und aufstörte, was auch immer für eine Flüssigkeit in dem Kokon sein mochte.
Langsam hob es seine verwitterte Hand und presste sie gegen Lhosias Handfläche.
Lhosia flüsterte ihre Dankgebete, und als sie ihre Augen öffnete, waren Pupillen und Iris
verschwunden und nur weiße Kugeln zurückgeblieben. Dann begann sie eine tiefer greifende
Verwandlung zu durchlaufen. Während die Motten über ihre Gewänder zappelten, überzog sie
allmählich die staubige, weiße Textur des Kokons und formte ihren Körper in leuchtende
Knochenmasse um. Das Licht der Unbegrabenen durchpulste sie und fing sich in den Flügel
der Motten, die sie wirbelnd umtanzten.
Dann begann die Gestalt im Kokon zu reden. Kein Laut war zu hören, aber sein Mund
öffnete und schloss sich und Lhosia antwortete darauf mit Nicken.
»Wie habt ihr nur so ein widerwärtiges Ding erschaffen?«, fragte Maleneth.
»Nicht wir haben das getan.« Lhosias Stimme klang merkwürdig – wie ein Echo. »Kein
Sterblicher kann Seelen bewahren. Nicht mit natürlichen Mitteln zumindest.« Lhosia nickte zu
den Motten, die sie umwirbelten. »Dies ist die Macht der Noctoiden.«
»Noctoiden?« Maleneth runzelte die Stirn. »Die Motten?«
Lhosia nickte, ihre Stimme war gedämpft. »Vorboten. Unsere Verbindung zum nächsten
Leben. Sie weben den Schleier und bewahren den Geist. Jeder unserer Vorfahren ist seit
unzähligen Generationen auf diese Art bewahrt worden. Wir bauen mit unserem Glauben auf
die Weisheit unserer Blutlinie. Nichts geht verloren. Nicht wird vergessen.«
Maleneth blickte zurück auf den Raum, in dem sich die zerstörten Kokons befanden. »Bis
jetzt, meinst du.«
Lhosias Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Man hätte sie hier nicht zurücklassen dürfen.
Jeder dieser Kokons enthielt Hunderte von Seelen.« Sie legte ihre andere Handfläche auf den
Kokon und flüsterte weitere Gebete. Das Licht strahlte jetzt so hell, dass es aussah, als hätte
sie einen amethystfarbenen Stern gefangen. Der helle Schein funkelte über ihr hartes,
opaleszierendes Gesicht, dass sie plötzlich aussah wie ein Werk der Andachtsmalerei.
»Wie kann uns dieses Ding zu deinem Fürsten führen?«, fragte Gotrek.
Zorn flackerte bei dem Wort ›Ding‹ in Lhosias Augen auf, doch sie nickte. »Wir sind in
einer Trennungskammer. Ich habe meine Seele von meinem Fleisch getrennt, damit ich mit
meinen Vorfahren sprechen kann.« Sie bedachte sie alle mit einem strengen Blick. »Ihr müsst
still sein. Wenn meine Konzentration bricht, dann könnte meine Form verändert werden.«
»Deine was?«, meinte Maleneth lachend.
»Ich habe meine Seele von meinem Fleisch geschieden. Ich halte ein Bild meines
physischen Selbst in meinem Geist, damit ich mich bei meiner Rückkehr unverändert
vorfinde.«
Maleneth zog in Gotreks Richtung die Stirn kraus und schüttelte den Kopf.
Es gab eine lange Stille, während Lhosia den Kokon mit geschlossenen Augen hielt, die
Hände noch immer unter die Oberfläche gedrückt. Das einzige Geräusch war ein vage
rasselnder Laut, der von irgendwo oben kam. Nach mehreren Minuten formte der
verschrumpelte Leichnam weitere Worte und Lhosia nickte. Es gab eine weitere Pause, dann
öffnete die Priesterin ihre Augen. Die Motten schwirrten von ihrer Haut auf, ihr Fleisch verlor
seine muschelgleiche Textur und wurde wieder normal.
Sie atmete tief durch und blickte dann auf. »Der Fürst ist unterwegs, um Lord Aurun in den
Ödstätten zu besuchen. Nicht weit von hier. Ein Dreitagemarsch, wenn wir schnell sind.«
»Gut«, sagte Gotrek und schritt weg vom Licht und auf die Tür zu. »Dann sollten wir jetzt
aufbrechen.«
Maleneth und Trachos folgten ihm, doch Lhosia blieb auf ihrem Platz und flüsterte zu dem
winzigen Leichnam.
»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte Gotrek, hielt bei der Tür an, blickte hoch und
bemerkte zum ersten Mal den rasselnden Laut.
Sie alle lauschten. Es klang, als würde etwas Steine auf das Dach werfen.
Maleneth schaute Lhosia an.
Die Priesterin riss ihren Blick vom Kokon weg und lauschte. Dann runzelte sie die Stirn,
trennte ihre Hände vom Kokon, dass sein inneres Licht erlosch, und eilte an Maleneth vorbei
zum Fuß der Treppe.
Maleneth und die anderen eilten ihr hinterher, als sie zum Kai hochstieg. Der Lärm wuchs
an, während sie die Stufen hochkletterten, und wurde zu einem heftig rasselnden Getöse, als
würde jemand Münzen auf Metall schleudern.
Als sie die Eingangshalle erreichten, wurden sie von einem atemberaubenden Anblick
begrüßt. Der Himmel war ein Schleier glitzernder Scherben.
»Das habe ich noch nie gesehen«, sagte Lhosia. Sie trat mit ausgestreckter Hand auf den
Durchgang am Ende der Halle zu.
Gotrek packte ihre Hand und schüttelte den Kopf. »Pass auf, Mädel.«
Lhosia funkelte ihn an und riss ihren Arm frei.
»Er hat recht«, sagte Maleneth. »Wir haben so etwas schon einmal gesehen. In Klemp
nennen sie es Knochenregen.«
Lhosia schüttelte den Kopf. »Knochenregen?«
Gotrek grunzte und trat zurück, um den Splittern zu entgehen, die in seine Richtung
wegprallten. »Wetter von Nagash. Er durchbohrt dich wie Messer.«
Schweigend standen sie eine Weile da, sprachlos von dem Schauspiel. Es wirkte, als seien
sie hinter einem Wasserfall gefangen, der aus Narben herabbrach, und der Lärm war
ohrenbetäubend, wie Wellen, die gegen Felsen schlugen.
Schließlich sah Lhosia Gotrek an. »Wann hört das auf?«
Er schüttelte den Kopf. »Kann, soweit ich weiß, Tage dauern.« Er zog ein finsteres Gesicht.
Dann schaute er an ihr vorbei zurück in den Tempel, mit einem hoffnungsvollen Glitzern im
Blick. »Habt ihr Leute eigentlich irgendwas zu trinken?«
KAPITEL NEUN

DIE HUNDE VON DINANN

Der Krieg war brutal, jedoch kurz gewesen. König Galan hatte nicht erwartet, auf diesen Grad
von Widerstand zu treffen, doch erwartet hatte er wohl die glorreiche Ergebenheit seiner
Leute. Der Hunde von Dinann. Welche Armee in allen Reichen konnte hoffen, gegen solche
Krieger zu bestehen? Niemals hatte er sich so lebendig gefühlt. Beinah war er für den
Aufstand dankbar. Sich von seinem mit Fellen ausgelegten Thron zu erheben und den Speer
ein letztes Mal zu ergreifen. Ein letzter Krieg. Der Große Wolf lachte auf ihn herab.
Die Verräter hatten von einer abgelegenen Feste Besitz ergriffen, die Bildnisse verbrannt
und ihre Farben im Trotz gegen seine Herrschaft von den Mauern hinabflattern lassen, doch
König Galan konnte den Sieg schmecken. Er stand nur Tage davon entfernt, die Rebellion zu
beenden und die Ordnung im gesamten Königreich wiederherzustellen. Getreue Vasallen aus
jeder Ecke des Reiches hatten sich unter seinem Banner gesammelt, als sich die Kunde der
Rebellion verbreitet hatte. Es kamen Berichte über alle größeren Gefechte herein, die Sieg um
Sieg schilderten. Bis zum Zeitpunkt, da er die Hauptstadt erreichte, würde kaum noch ein
Aufständischer da sein, der ihm entgegentreten konnte. Er sah sich um, als er auf die Feste
zuritt. Reihen von Speerträgern waren rings um ihn formiert. Die goldenen Wendelringe um
ihre Hälse glitzerten in der Dunkelheit und ihre Brustpanzer blitzten, als sie ihm durch die
Tore folgten. Hinter ihnen kamen Legionen von Fußsoldaten, deren Wimpel flatterten und
deren Stimmen sich im Lied erhoben, während das Zeichen des Hundes im Wind flatterte.
»Legt eure Waffen nieder!«, schrie Galan, als er sein Ross nah dem zerschmetterten Tor
stoppte. »Ich bin kein Tyrann. Betragt euch mit Würde und ihr bleibt am Leben. Die Schlacht
ist vorüber. Die Hunde Dinanns sind keine Wilden. Für Gemetzel gibt es keinen Grund.«
Es kam keine Antwort. Er konnte Gestalten oben auf den Mauern der Feste durch die
Dunkelheit eilen sehen, wie sie ihre Waffen und Kriegsmaschinen für eine letzte, verzweifelte
Verteidigung bereitmachten. Nicht weniger hatte er erwartet, doch er hatte den gesamten
Feldzug mit Würde und Stolz gekämpft. Er war kein Narr. Er war alt. Diese letzte Gelegenheit
zu Ruhm hatte er nicht erwartet, doch jetzt, da sie ihm geschenkt worden war, würde er seinen
Männern zeigen, wie ein König führen sollte.
»Nun gut«, rief er. »Wir haben ihnen eine Gelegenheit gegeben niederzuknien und sie haben
sich geweigert. Sie haben sich vom Großen Wolf abgewendet.«
Er hob seinen Speer und zeigte auf die Feste. »Hunde von Dinann! Rückt vor!«
Ein Brüllen wie von einem Ozean folgte. Seine Armee strömte an ihm vorbei, stieß heulend
Kriegsgeschrei aus und schlug rasselnd Speere auf Schilde, während sie vorwärtsstürmten.
Seine Leute bewegten sich mit solcher Schnelligkeit, dass sie, fast ohne der Leitern oder
Haken zu bedürfen, die Mauern hochschwärmten, über die Befestigungen hinwegspülten und
auf die schwankenden Verteidiger niederstürzten.
Heulen und Schreien erfüllte die Nacht, als König Galan auf die Tore der Feste zuritt. Er
musste nicht lange warten, bis deren Flügel sich öffneten und dahinter die siegreichen
Gesichter seiner Männer sichtbar wurden, welche die Verräter zurücktrieben, den Burghof mit
deren Blut wuschen und an die Gebäude innerhalb der Mauern Feuer legten.
Er schritt zu einem der gefallenen Verteidiger hinüber. Der Mann lebte noch, und als Galan
ihm helfend seine Hand bot, fing er an, verzweifelt zu schreien, und seinen zerschundenen
Körper fortzuschleifen.
»Was bist du?«, heulte der Mann.
Galan runzelte die Stirn. Das waren seltsame Worte, selbst für einen Sterbenden. Und es war
nicht das erste Mal, dass man ihm diese Frage gestellt hatte. »Was ich bin?« Er lachte. »Ich
bin dein König.«
Der Mann wollte nicht aufhören zu schreien und am Ende brachte der Lärm Galan in Wut.
Das war schon mehrmals während des Feldzugs geschehen. Jedes Mal, wenn er seine Hand
ausstreckte und den Verwundeten zumindest eine letzte Chance anbot, sich zu ergeben,
gerieten sie in Panik und fingen bei seinem Anblick an zu kreischen. Er beugte sich hinab und
drückte dem Mann die Hand auf den Mund, im Versuch, seine Schreie zu unterdrücken.
»Das ist unnötig«, sagte er. »Legt eure Waffen nieder. Schließt euch wieder den Hunden
an.«
Der Mann zappelte unter ihm, dass Blut rings umherflog.
Zu viel Blut, erkannte Galan. Er hatte ein gebrochenes Bein, aber er hatte keine Schnitte
davongetragen. Warum blutete er?
Je mehr Galan versuchte, ihn zu beruhigen, desto mehr füllte sich die Luft mit Blut.
»Was bist du?«, schrie der Mann erneut, aber Galan fand es schwer, sich zu konzentrieren,
und die Stimme rückte in die Ferne.
Die Luft wurde scharlachrot und Galan wich zurück, schüttelte verwirrt den Kopf. Als er
von dem Mann wegtaumelte, erkannte er, wie hungrig er war. Es schien tatsächlich, als hätte
seine Gier ihn verwirrt. Er stellte sich vor, er sei noch immer auf dem Schlachtfeld, doch
Hunger und Erschöpfung spielten ihm Streiche, warfen ihn in die Vergangenheit zurück. Er
lachte und ihm wurde klar, dass er bereits beim Siegesmahl saß. Er lehnte sich in seinem Sitz
zurück und packte ein Stück Fleisch vom Servierteller auf dem Tisch. Es war so wenig
durchgebraten, dass es beinah roh war. Blut triefte beim Essen sein Kinn herab, während er
sich seines wohlverdienten Appetits erfreute.
KAPITEL ZEHN

ANDENKEN

Gotrek verzog das Gesicht, während er den Wein trank, den Lhosia gefunden hatte, doch
Maleneth bemerkte, dass er es geschafft hatte, einen weiteren Trinkschlauch zu leeren. Ein
paar Stunden waren vergangen, seit der Sturm begonnen hatte, und mittlerweile lag ein
beachtlicher Haufen der Ledersäcke rings um ihn auf dem Podium, alle leer. Es sah aus, als
hätte er gegen übergroße Fledermäuse gekämpft und als fläzte er sich nun auf ihren Kadavern.
Er nickte zur Reihe von Schilden hin, welche die Wände bedeckten. »Was bedeuten sie?«
Sie hingen in einem Kreis, direkt neben dem Eingang, und ihre Umrisse wurden vom
blitzenden Regen hervorgehoben. Der Sturzbach aus Knochen badete die Gruppe in sich
kräuselnden Lichtwellen, sodass es schien, als befänden sie sich unter Wasser. Die
Temperatur war gefallen, also hatten sie ein Feuer angezündet, und nun saß Lhosia an der
einer Seite des Slayers und Maleneth an der anderen. Trachos saß Gotrek gegenüber. Mit
gebeugtem Kopf murmelte er in die Flammen, das Gesicht noch immer vom Helm verborgen.
»Die Schildgedichte?« Lhosia Worte kamen mit schwerer Zunge. Trotz ihrer früheren
Proteste hatte sie schließlich doch zugestimmt, vom Wein zu trinken. Sie behauptete, zuvor
noch nie getrunken zu haben, doch die Trauer hatte offensichtlich ihren Durst erweckt. »Sie
zeichnen die Taten der Unbegrabenen auf. Wenn ein Vorfahr stirbt, ritzen wir die Geschichte
seines Lebens in ihre Schilde und hängen sie nahe der Trennungskammer auf. So wissen alle,
die ihre Weisheit suchen, wie sie gelebt haben und wie sie gestorben sind.«
Gotrek bleckte die Zähne zu einem grimmigen Lächeln. »Todesgedichte. Wo ich
herkomme, hatten wir so etwas auch.« Er schnappte sich einen weiteren Weinschlauch, riss
ihn auf und trank, während er verdrießlich ins Feuer starrte.
»Wo kommst du denn her?«, fragte Lhosia. Maleneth hatte bemerkt, dass sie die
Unterhaltung von sich und ihrem Verlust weglenkte, als wollte sie ihre Trauer nicht mit
Fremden teilen.
Gotrek ignorierte sie, hypnotisiert von den Flammen.
Lhosia sah Maleneth an.
»Seine Welt ist verschwunden«, sagte sie. »Er meint, sie wurde zerstört. Irgendwo jenseits
der Reiche der Sterblichen. Obwohl er nicht viel mehr zu diesem Thema sagt.« Sie lächelte
spöttisch. »Er redet fast so viel über seine Vorfahren wie du.«
»Du wirst es niemals begreifen«, grunzte Gotrek. »Ihr ungläubigen Aelfen habt keinen
Begriff von Geschichte oder Tradition.« Er winkte zu den Schildgedichten hin. »Ihr habt keine
Achtung vor euren Ältesten, ganz zu schweigen von euren Vorfahren. Alles, um was ihr euch
kümmert, seid ihr selbst.«
Maleneth zuckte die Schultern. »Irgendwer muss es doch machen.«
»Mein Volk hat die Vergangenheit respektiert und sich seiner Vorfahren erinnert«, sagte
Gotrek und schenkte Lhosia einen wohlwollenden Blick. Ȁhnlich wie ihr. Wir verzeichneten
ihre Taten auf Eidsteinen und …« Er brach ab, schüttelte den Kopf und wirkte plötzlich
verärgert. »Wen kümmert das jetzt noch? Sie sind alle fort. Alle dahingeschlachtet. Und dank
des Verrats der Götter habe ich nichts getan, ihnen zu helfen.«
Lhosia hielt noch immer den Kokon. Keine Spur des Lichts oder der Gestalt darin war zu
erkennen. Er sah aus wie ein Stein, den man in Staub und bleichen, fein gewebten Stoff
gehüllt hatte. Maleneth merkte, dass sie wieder zählte, ihr Mund schweigend Zahlen formte.
Dann runzelte sie die Stirn und blickte zu Gotrek hoch. »Warum hast du deinem Volk nicht
geholfen?«
»Grimnir sagte mir, ich sei sein Erbe. Er hat mich ins Reich des Chaos gelockt und mir
versprochen, dass ich dort endlich mein Schicksal finden würde. Das mächtigste Schicksal,
das je ein Slayer errungen hat, sagte er. Lügen, alles davon.«
Gotrek kam mit einem Ruck auf die Füße und taumelte gefährlich nah am Ausgang. Die
Knochensplitter bohrten sich nur fingerbreit neben ihn in den Boden, während er mit der
Dunkelheit sprach. »Und während ich vergessen in diesen elenden Höllen schmachtete, wurde
alles und jeder, den ich kannte, entzweigerissen.« Seine Stimme wurde heiser. »Wäre ich
zurückgeblieben, um zu kämpfen, dann hätte ich einen Weg gefunden, sie zu retten. Doch die
Götter haben mich überlistet. Alle wurden getötet und ich blieb am Leben. Dem Sterben
verschworen, und ich habe jeden überlebt! Was könnte grausamer sein?«
Dies war mehr, als Maleneth jemals Gotrek über seine Reise zu den Reichen der Sterblichen
hatte erzählen hören. Mehr als sie ihn überhaupt jemals zu irgendeinem Thema hatte sagen
hören. Normalerweise fluchte er nur, brummelte oder lachte. Der Wein hatte eine andere
Wirkung auf ihn gehabt als das Bier, das er üblicherweise trank. Er war noch immer
trübsinnig und bitter, jedoch eher gewillt zu sprechen.
»Was hast du dort gesehen?«, fragte sie und versuchte dabei nur halbinteressiert zu klingen,
da sie den Moment nicht zerstören wollte, indem sie zu dringlich nachfragte.
Selbst Trachos hörte auf, vor sich hinzumurmeln und sah zu Gotrek hoch.
Der Slayer stapfte wieder zum Feuer zurück und setzte sich mit einem Grunzen hin, nahm
einen weiteren Schluck Wein. »Dinge ohne Namen. Dinge jenseits der Worte. Zitadellen aus
Klängen. Lieder aus Blut. Ozeane aus Hass. Ihr würdet es nicht verstehen, selbst wenn ich es
euch zeigen könnte. Ich könnte es nicht verstehen, wenn ich es sehen würde. Lange Zeit
glaubte ich den Lügen. Ich glaubte, dass mir tatsächlich ein großes Schicksal geschenkt
worden sei. Die dämonischen Heerscharen für alle Ewigkeit abzuschlachten. Bis ich sterben
würde oder sie. Doch dort stirbt nichts. Nicht wirklich. Ich tötete und wurde getötet, ohne
Sieg, ohne Niederlage. Die Götter lachten über mich.« Seine Stimme brach vor Bitterkeit.
»Dann vergaßen sie mich.« Er griff sich einen brennenden Stock aus dem Feuer und zerbrach
ihn. Flammen blitzten in seinen Augen, Funken wanden sich um sein vernarbtes Gesicht. »Sie
werden mich nicht noch einmal vergessen.«
Er trank weiter und verfiel in Schweigen. Sein früheres Stimmungshoch war erloschen.
Maleneth wollte Lhosia schon weiter über ihr eigenes Volk ausfragen, als Trachos etwas tat,
was sie ihn noch nie hatte tun sehen. Er öffnete seine Halsberge und zog den Helm ab. Die
Siegel waren verbeult und dreckverkrustet und sie machten ein seltsam zischendes Geräusch,
als er sie auseinander zwängte.
Selbst Gotrek blickte überrascht auf, als der Stormcast Eternal sein Gesicht enthüllte. Sein
Haar war lang, weiß und zu dicken Zöpfen geflochten. Ohne den Helm wallte es über das
Metall seines Kürasses wie Taue, was ihm das Aussehen eines alten Schamanen verlieh. Seine
Haut hatte die Farbe polierten Teakholzes und sein Gesicht musste einst auf eine wilde und
löwenhafte Weise gut aussehend gewesen sein. Gutaussehend war es jetzt nicht mehr. Jeder
Fingerbreit war von Narben bedeckt. Es waren nicht die sich wellenden Brandmale, welche
die Hälfte von Gotreks Gesicht bedeckten, sondern tiefe, ausgefranste Schnitte. Einer davon
verlief geradewegs von seinem Kiefer bis zur Stirn und verzog seine Braue zu einem
ständigen Stirnrunzeln. Er sah sie argwöhnisch an, als hätte ihn das Entfernen seines Helmes
verletzlich gemacht. »Wie bist du entkommen?«, fragte er. Ohne Helm verlor Trachos’
Stimme ihren dünnen, metallischen Charakter und wurde zu einem tiefen, grollenden Tenor.
Die Kombination aus Wein und Überraschung schien Gotrek aus seiner üblichen
Zurückhaltung zu reißen. Er starrte Trachos an, dann durch ihn hindurch, als stelle er sich
jemand anderen vor.
»Ich fing an, Dinge zu sehen«, murmelte er. »Dinge, die noch nicht geschehen waren, oder
vielleicht auch Dinge, die vor langer Zeit geschehen waren.« Er schüttelte den Kopf.
»Schätze, ich hab den Verstand verloren. So lange, wie ich gekämpft habe. Wütend über den
Verrat an mir. Ich musste darum ringen, mich an meinen eigenen Namen zu erinnern.«
Er sah Lhosia an. »Auch ich hatte einst einen Erinnerer, wie eure Schilddichter. Einen
Menschling. Aber nicht wie die meisten dieser feigen, kackhändigen Rasse. Er war ein
geschickter Kämpfer. Und tapfer noch dazu. Ein guter Geschichtenschmied ebenfalls. In
allem, durch alles hindurch stand er mir zur Seite. Er wäre mit mir gekommen, wenn ich ihn
gelassen hätte. Dann, als der Wahnsinn über mich kam, dachte ich, ich könnte ihn sehen, noch
immer am Leben, in einer anderen Welt, irgendwie durch die langen Zeitalter meines
Fegefeuers hindurch bewahrt geblieben.« Er lachte bitter auf. »Manchmal frage ich mich, ob
er irgendwie hier ist, in diesen verfluchten Welten, die ihr Reiche nennt. Aber dann frage ich
mich, ob ich nicht vielleicht jemand anderes gesehen habe, der mich durch das Reich des
Chaos geführt hat, der mich durch die Flammen gebracht hat.«
Er schien zu bemerken, dass alle ihn beobachteten, und seine Züge verhärteten sich. »Was
immer auch geschehen ist, meine Suche spie mich in diesen hässlichen Glutofen aus, den ihr
Aqshy nennt, umgeben von brabbelnden Idioten, die behaupten, Slayer zu sein. Nachkommen
von Grimnir, sagten sie. Würden sie ihn kennen, wie ich es tue, dann wären sie nicht so scharf
darauf, zu beanspruchen, mit ihm verwandt zu sein. Keiner von ihnen versteht, was für ein
verräterischer Gauner ihr Gott ist.« Er schlug auf die Rune auf seiner Brust. »Jedenfalls sind
sie so nutzlos wie er. Vielleicht sind sie also doch seine Brut. Dieses Zeugs hier machten sie
und hatten dann nicht die Kraft es zu benutzen.«
»Was ist es?«, fragte Lhosia und streckte die Hand aus, sie zu berühren. Sie riss die Hand
zurück, als die Rune ihre Haut versengte.
»Eigentum des Azyritikerordens«, fuhr Maleneth auf und schenkte ihr einen warnenden
Blick.
Gotrek lachte und seine Stimmung hob sich ein wenig. »Versuch nur, sie dir zu holen,
Aelfe.« Er schob seinen Bart zur Seite und versuchte, auf die Rune zu schauen. Er verzog sein
Gesicht, als er ihre Form enthüllte – das Gesicht eines duardinischen Ahnengottes. »Schaut
ihn euch an, da sitzt er auf meiner verdammten Brust. Verspottet mich jedes Mal, wenn ich
sein dämliches Gesicht sehe.«
»Das ist Grimnir?«, fragte Lhosia.
»Aye. Zumindest sein Konterfei.«
»Du trägst das Symbol eines Gottes, den du verachtest?«
»Nicht freiwillig. Es sah zum Henker nicht so aus, als ich es mir auf die Brust gepflanzt
habe. Davon abgesehen hat es seine Vorteile. Wie nennt man dieses Zeug noch?«, fragte er
mit Blick auf Maleneth.
»Urgold.« Sie verdrehte die Augen. »Die Fyreslayer sagen, es sind Stücke von Grimnir, die
über die Reiche verstreut sind.« Sie starrte die Rune an. »Offensichtlich lächerlich, wie alle
Duardinlegenden, jedoch besitzt Urgold mit Sicherheit Macht. Die Fyreslayer hämmern es
sich in ihre Körper, um ihre Kampfeswut anzufachen, aber kein Stück davon kommt dem in
Gotrek gleich.« Sie ließ ihren Blick das Metall liebkosen. »Dies ist die Meisterrune,
geschmiedet von Krag Schwarzhammer selbst. Und wenn Gotrek sich selbst vernichtet, werde
ich sie nach Sigmaron bringen.«
Maleneths Puls raste, als sie darüber nachdachte, was das für sie bedeuten würde. Sie würde
diejenige sein, die eine Waffe beschafft hatte, die mächtig genug war, den Krieg um die
Reiche zu gewinnen. Man würde in ihren Büchern einen Schlussstrich ziehen. Niemanden
würde es mehr kümmern, was sie in der Vergangenheit getan hatte. Keiner ihrer Feinde in
Azyrheim würde noch einen Finger gegen sie erheben können. Sigmar würde sie
wahrscheinlich zur Heiligen machen.
»Also«, sagte Lhosia mit einem Stirnrunzeln zu Gotrek hin, »wenn du von deinem Schicksal
redest, dann meinst du, dass du dich selbst zerstören willst?« Sie schüttelte den Kopf. »Du
sagst, deine Kultur verehrt die Weisheit der Ahnen, aber du bist bereit, alles, was du weißt,
wegzuwerfen? Welch größeres Verbrechen kann es geben als Selbstmord? Es ist ein Verrat an
deinen Vorfahren und deinen Nachkommen. Du solltest deine Weisheit bewahren. Du solltest
darum kämpfen, das weiterzugeben, was du weißt.«
»Ich bin ein Slayer, Mädel«, sagte Gotrek. »Ich muss Buße leisten für …« Er brach ab und
zuckte die Achseln. »Es gibt Dinge, für die ich Buße tun muss, obwohl niemand hier sich
daran erinnert.« Er leerte den letzten Rest seines Weins und verzog das Gesicht. »Ihr Götter,
was für eine Drakk-Pisse.«
Sie saßen wieder schweigend da und lauschten dem Regen und den Flammen. Dann sag
Lhosia Trachos an. »Und du bist der Diener dieses Slayers?«
Maleneth lachte.
»Ich diene dem Gottkönig«, erwiderte Trachos. Seine brutalen Züge wurden durch das
Feuer überspitzt hervorgehoben, sodass sein Gesicht beinah so wild aussah wie Gotreks. Seine
Augen wirkten wie Sterne, die unter seiner wütenden Braue funkelten. »Und dem
Azyritikerorden.« Er warf Maleneth einen Blick zu. »Das tun wir beide.«
Lhosia blickte von Trachos zu Maleneth. Die Feindseligkeit zwischen ihnen war so
offensichtlich, dass sie ihre nächste Frage in zweifelndem Ton stellte. »Ihr arbeitet
zusammen?«
Jetzt war es an Gotrek zu lachen. »Die Aelfe will die Rune und es ist ihr egal, ob das meinen
Tod erfordert. Der Schönling hier fühlt genauso, aber knotet sich über die Frage ein, was der
Hammerschleuderer wohl denkt, was die richtige Art zu handeln ist. Er will die Rune dringend
haben, aber er will sich nicht böse betragen. So ist es doch richtig, nicht wahr, Grinsefratze?
Du willst doch kein Wilder wie ich sein.«
Trachos’ Augen flackerten vor Emotionen und sein Kopf zuckte zur Seite, doch sagte er
nichts.
»Du warst hier schon einmal«, sagte Lhosia und beugte sich vor, um Trachos Rüstung zu
betrachten. »Du warst schon einmal in den Amethystfarbenen Fürstentümern.«
»Was?«, fragte Maleneth.
Lhosia zeigte auf das Wirrwarr von Geräten, die Trachos’ Gürtel bedeckten. Zwischen den
Messgeräten und Waffen befand sich ein metallgerahmtes Stundenglas voll Staub, der
aufschimmerte, während er sich bewegte. Das Ding wurde von einem kunstvollen
hohnlachenden Schädel gekrönt.
»Oder hast du das von jemandem gekauft, der schon einmal in den Amethystfarbenen
Fürstentümern war?«
Trachos grunzte und verdeckte das Stundenglas. Er wirkte zorniger als jemals zuvor und
sein Kopf zuckte wieder.
Gotrek schnaubte amüsiert. »Hast du was zu verstecken?«
Trachos nahm sich einen der Weinschläuche und trank. Er ignorierte Gotreks und Maleneths
faszinierten Gesichtsausdruck und wandte sich zu Lhosia. »Ich kämpfte mit einem Gefolge
von Stormcast Eternals entlang der südlichen Ausläufer der Amethystfarbenen Fürstentümer.
Es waren die Hammers of Sigmar, die Hämmer Sigmars. Mein eigenes Gefolge war …« Er
zögerte, tippte dann an seine türkise Rüstung. »Ich gehöre zu einer Sturmschar, die man die
Celestial Vindicators nennt, doch ich war der Letzte meines Gefolges. Ich war auf dem Weg
zurück nach Azyr, als ich zu den Hämmern Sigmars hinzugezogen wurde. Wir waren einander
fremd, doch wir kämpften gut. Wir eroberten die Feste von Amalthea zurück und
durchstreiften dann die gesamte Küste. Kein Diener des Chaos atmet jetzt noch in dreihundert
Meilen Umkreis jener Mauern.«
Lhosia nickte. »Die Feste von Amalthea. Ich kenne den Namen. Die Radicanischen Fürsten.
In alten Zeiten waren sie unsere Verbündeten. In den Bibliotheken der Verharrenden Feste
gibt es noch immer heilige Texte, die von den Radicanischen Fürsten geschrieben wurden.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ihr habt die Feste zurückerobert? Es ist Jahrhunderte, zahllose
Jahrhunderte her, seit diese Lande vom Chaos frei waren.«
Etwas flackerte in Trachos’ Augen auf und verschwand dann so schnell, wie es gekommen
war. »Wir haben die Feste und das Land ringsum erobert. Ich wurde den Hämmern Sigmars
beigeordnet, um einen besonderen Auftrag zu erfüllen.« Er klopfte auf das Gerät, das an
seinem Gürtel befestigt war. »Mein Auftrag war, ein Signal nach Azyr zu senden, damit der
Rest ihrer Sturmschar einen Weg durch die Ätherleere finden konnte. Während meine
Kameraden die Einheimischen zusammentrieben und sie bewaffneten, half ich dem Gefolge,
das dafür verantwortlich war, die Feste wieder instand zu setzen.« Er hielt inne und nahm
einen weiteren tiefen Schluck vom Wein. »Wochen vergingen. Keine Nachricht aus Azyr.« Er
schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Nun ja, nichts, was ich erkannt hätte. Nur Heulen
und Schreie. Jemand versuchte, mich zu warnen. Doch es war, als hörte man Schreie durch
eine Wand. ›Nekrobeben‹ war das einzige Wort, das ich verstehen konnte, aber ich hatte keine
Ahnung, was es bedeutete.
Wir fuhren mit unserer Arbeit fort, durchkämmten die Ebenen nach den Überresten der
Chaoshunde.« Sein Panzerhandschuh quietschte, als er den Weinschlauch fester
zusammendrückte, als stelle er sich vor, jemandem das Leben herauszupressen. »Wir jagten
sie in die Flucht. Wir griffen an. Voller Wildheit. Welche Brutalität. Ich zeigte den Hämmern
Sigmars, wie Celestial Vindicators kämpfen. Selbst die Blutgebundenen waren darauf nicht
vorbereitet. Sie waren nachlässig geworden. Sie hätten niemals damit gerechnet, dass jemand
nach so langer Zeit versuchen würde, das Fürstentum zurückzuerobern. Sie dachten, diese
Länder gehörten ihnen.«
Seine Stimme wurde lauter, als würde er zu einer Menge und nicht zu drei Leuten reden, die
direkt neben ihm saßen. »Aber wir haben sie wiedererobert! Fast ohne nennenswerte Verluste.
Wir haben ihre Götzenbilder und Zitadellen niedergeworfen. Wir haben ihre Gefängnisse
aufgerissen. Wir haben die elenden Seelen befreit, die seit Jahrzehnten nicht mehr das Licht
der Sonne gesehen hatten. Es war prachtvoll. Der Hammer fiel. Die Blutgebundenen starben.«
Sanft nahm Maleneth den Weinschlauch aus seiner Hand und unterbrach so seine
Erinnerungen. Sie trank einen Schluck und sprach dann leise, »Und doch warst du allein, als
du dich mir und dem Slayer in Aqshy genähert hast. Da waren keine Hämmer Sigmars bei dir,
als du uns auf der Mordspitze gefunden hast.«
Trachos’ Kopf zitterte, als er sie anstarrte, und Zorn loderte in seinen Augen.
Sie ließ unauffällig die Hand zu einem ihrer Messer gleiten und fragte sich, ob sie ihn
vielleicht zu weit getrieben hatte.
Trachos’ Zorn versiegte und er sackte zusammen. »Wir haben das Chaos niedergeschlagen.
Wir taten, wozu wir geschmiedet wurden. Diese Bestien konnten nicht durch die Rüstung
unseres Glaubens dringen, aber …« Er zögerte. »Aber das Chaos ist in Shyish nicht die
einzige Bedrohung. Die Stimmen aus Azyrheim wurden schwächer und verzweifelter, daher
richteten wir all unsere Aufmerksamkeit darauf, die Feste zu verstärken und die von uns
befreiten Sklaven zu bewaffnen. Wir wussten, es würde nicht lange dauern, bevor die Kunde
von unserem Erfolg zu den Kriegsherren drang, die den Rest des Fürstentums beherrschten.
Wir hatten die Feste durch Schnelligkeit und Überraschung gewonnen, nicht durch unsere
überlegene Zahl. Ohne Verstärkung waren wir in arger Bedrängnis. Zunächst hatten die
Sklaven vor uns Angst, doch im Laufe der Wochen erkannten sie ihre Chance. Eine
Gelegenheit auf Rache, wenn schon nichts anderes. Einige kannten noch die Legenden aus der
Zeit vor dem Chaos. Aus Zeiten, als die Menschen frei von Tyrannei lebten. Unter unserer
Obhut wurden sie stärker. Tapferer. Wir gingen allmählich in die umgebenden Dörfer und
befestigten sie und breiteten uns so immer weiter über das Fürstentum aus. Als die Angriffe
kamen, waren wir bereit. Und die Sterblichen ebenfalls.
Doch dann hörten wir mit der Zeit von anderen Dingen.« Seine Miene verfinsterte sich.
»Kannibalismus unter den Elenden, die wir bewaffnet und ernährt hatten. Wir hatten Sigmars
Wort mit ihnen geteilt. Wir hatten ihnen gesagt, dass das Zeitalter des Chaos vorüber sei und
eine neue Ära begonnen habe, doch sobald wir gegangen waren und sie wieder sich selbst
überlassen hatten, fielen sie zurück in Barbarei.« Seine Stimme zitterte vor Wut. »Wenn die
Leute wüssten, was wir geopfert haben, um für diese Reiche zu kämpfen. Wenn sie wüssten,
was das bedeutete. Wir sind unsterblich, doch wir …« Er schüttelte den Kopf. »Nach so langer
Zeit und der Peitsche des Chaos waren sie wieder auf ihre verkommene Verehrung des
Blutgottes zurückgefallen. Oder zumindest dachte ich das. Ich ritt von der Feste aus, um zu
sehen, was geschehen war.«
Leise sprach er weiter. »Es war nicht das Chaos. Sie huldigten nicht Khorne. Ich sah es,
sobald ich das nächste Dorf erreicht hatte. Von Verehrung jeglicher Art waren sie nun weitab.
Sie waren nicht länger menschlich. Sie waren in die Massengräber gekrochen, die ihre
Unterdrücker zurückgelassen hatten, und hatten deren Überreste ausgegraben.« Er verzog das
Gesicht. »Sie aßen Leichen, fraßen sie wie die Tiere. Ich konnte das nicht verstehen, nach
allem, was wir für sie getan hatten.« Er hieb mit den Fäusten auf den Boden und ließ Glut
ringsumher aufstieben. »Wir haben sie befreit und sie verwandelten sich in Tiere. Sahen sie
nicht, dass sie alles aufs Spiel setzten? Sie öffneten uns eine Blöße, durch die wir angreifbar
wurden. Wir retteten sie und sie verrieten uns! Sie haben nicht einmal …« Trachos brach ab
und schüttelte den Kopf.
»Was hast du getan?«, fragte Maleneth, die spürte, dass er sich sträubte, die Geschichte zu
beenden.
Offensichtlich hatte der Wein auf ihn dieselbe die Zunge lockernde Wirkung gehabt wie auf
Gotrek. Er wirkte zerrissen, doch er konnte nicht aufhören zu reden. Maleneth hatte schon
zuvor Menschen so gesehen. Zu sehr voller Scham, um von ihren eigenen Taten zu reden, aber
zu gequält, um zu schweigen. »Ich war wutentbrannt«, murmelte er. »Einige der Hämmer
Sigmars waren da und sie versuchten, mich zu beruhigen, doch ich wollte nicht auf sie hören.
Ich wütete durch das Dorf. Diese Leute würden alles verderben und ich war entschlossen …
Ich habe sie niedergemetzelt. Sie alle. Ich zeigte ihnen, wie der Gottkönig mit jenen umgeht,
die ihre Retter verraten.«
Maleneth zuckte die Schultern. »Kommt mir vernünftig vor. Ihr rettet sie und sie werden zu
Ghulen. Das sind schlechte Manieren, wenn schon nichts anderes. Ich nehm’s dir nicht übel,
dass du deine Hämmer gegen sie gerichtet hast.«
Gotrek runzelte die Stirn. »Du sagtest, die anderen Hammerschleuderer hätten versucht,
dich zurückzuhalten. Warum? Du hast das Werk Sigmars getan. Sie waren Ghule. Wie die
Wesen, die wir hier in Morbium bekämpft haben. Warum solltest du sie nicht abschlachten?«
Trachos konnte seinen Blick nicht erwidern und seine Stimme wurde flach. »Ich war rasend
vor Zorn. Es war eine Art Wahnsinn. Ich konnte hören, wie meine Kameraden mich riefen,
doch ihre Stimmen waren wie die Schreie der Ätherleere. Sie ergaben keinen Sinn. Wie ein
Tierrudel, das mich anheulte. Meine Hämmer hoben und senkten sich, zerschmetterten und
zerquetschten, dass Blut meine Augen füllte. Nur die Erschöpfung konnte mich zum
Innehalten zwingen. Und dann sah ich die Körper, die ich zurückgelassen hatte.«
Maleneth nickte, da sie endlich die Wahrheit ahnte. Endlich verstand sie, warum Trachos’
Geist genauso wie sein Körper zerbrochen war. »Es waren nicht alles Ghule, nicht wahr?«
Trachos antwortete nicht.
»Du hast Menschen getötet«, fuhr sie fort. »Darum haben die anderen Stormcasts versucht,
dich aufzuhalten.«
Trachos sprach leise. »Ich ging den gleichen Weg zurück, den ich gekommen war, aber ich
konnte das alles nicht begreifen – all diese Leichen. Einige davon waren eindeutig die Dinge,
die ich an den Gräbern nagen sah. Aber andere waren …« Er schüttelte den Kopf.
Gotrek verzog das Gesicht und trank mehr von dem Wein.
Lhosia sah Trachos mit neuen Augen an, entsetzt.
»Was haben die Hämmer Sigmars mit dir gemacht?«, fragte Maleneth.
Trachos’ Stimme war stumpf und monoton. »Versuchten mich zu kontrollieren.
Versuchten … Ich habe sie abgewehrt.«
Maleneth lachte ungläubig auf. »Du hast sie bekämpft? Deine eigenen Leute?«
»Nein! Das nicht. Ich habe sie abgewehrt. Ich meinte nicht, dass ich sie bekämpft habe. Das
nicht zumindest. Selbst jetzt, verändert wie ich bin, würde ich Sigmars Getreuen kein Leid
zufügen. Aber ich habe mich ihnen widersetzt. Ich habe sie verlassen. Ich habe sie ihrem
Schicksal überlassen. Ich konnte die Gesichter, die ich gesehen hatte, einfach nicht loswerden.
Ich kann es noch immer nicht.«
Gotrek sah ihn nachdenklich an und sprach ihn sanfterem Ton als üblich. »Die Götter
machen Narren aus uns. Aus uns allen. Du warst dort, weil sie dir befahlen, dort zu sein.«
»Der Gottkönig befahl mir nicht, unbewaffnete Familien zu töten.«
Gotrek starrte mit finsterem Blick in den Regen hinaus. »Wenn die Götter von Ordnung
oder Chaos reden, dann meinen sie einfach Ruhm – ihren Ruhm. Sie haben kein Interesse
daran, was mit den Leuten geschieht, die ihnen diesen Ruhm erkämpfen.«
»Verändert wie du bist?«, fragte Maleneth.
Trachos schüttelte verwirrt den Kopf.
»Das ist, was du gesagt hast«, fuhr sie fort. »Du hast gesagt, verändert wie ich bin, würde
ich das nicht tun.«
Trachos starrte Maleneth an und zum ersten Mal, seit sie einander getroffen hatten, fühlte
sie etwas anderes als Belustigung. Sie hatte nicht das Gefühl, dass sie in die Augen eines
Menschen blicken würde. Dies war kein menschlicher Blick. Was waren sie, diese Stormcast
Eternals? Sie hatte zuvor nie darüber nachgedacht, doch jetzt, als ihr klar wurde, wie
absonderlich er doch war, fühlte sie einen Kälteschauer. In mancher Hinsicht schien er
weniger menschlich als die Ghule.
»Ich habe mich selbst verloren«, murmelte er und befreite sie endlich von der Last seines
unmenschlichen Blickes und sah wieder ins Feuer. »Zum ersten Mal starb ich in der Schlacht
von Visurgis. Es war glorreich. Todesqual, ja, doch glorreich. Als ich dann meine Seele fühlte,
noch immer unversehrt, wie sie in Sigmars Hallen loderte, als sie auf dem Amboss der
Apotheose gehämmert wurde, da wusste ich, dass ich wiedergeboren war. Neugeschmiedet,
damit ich erneut kämpfen konnte. Dann starb ich wieder, als ich am Orrotha-Pass gegen die
Grünhäute kämpfte. Diesmal war der Schmerz größer, doch noch immer war die Glorie
unvorstellbar. Eine Chance, erneut zu leben, für den Gottkönig zu kämpfen, Krieg zu führen
gegen alles, was in den Reichen der Sterblichen falsch ist.«
Er sah zu den Sternen hoch. »Als ich zum dritten Mal starb, erschien mir der Schmerz, als
würde er nie enden. Vielleicht lief etwas falsch? Vielleicht war ich zu zerbrochen, um gerettet
werden zu können? Ich war mir nicht sicher. Aber die Marter schien mir endlos. Und das war
nicht das Schlimmste. Als es dann vorbei war und ich mich wieder den Heerscharen
anschloss, konnte ich mich nicht richtig daran erinnern, was das bedeutete. Warum kämpften
wir? Alles, was vorher so wichtig erschienen war, fühlte sich wie Regieanweisungen in einem
Schauspiel an, oder wie die Worte eines Liedes. Nichts schien wirklich zu sein.«
Er wandte sich an Gotrek und schüttelte den Kopf. »Ich konnte mich nicht an meine Familie
erinnern. Nicht mal an den Namen meines Vaters. Oder den Ort meiner Geburt.«
»Und dann schickte man dich nach Shyish«, sagte Maleneth und riet schon, was als
Nächstes kam.
Er nickte, ohne sie anzusehen. »Alles, woran ich mich erinnern konnte, waren die Lieder.
Die Hymnen, die wir in Azyr gelernt hatten. Diese ruhmreichen Weisen. Ich sang sie beim
Kämpfen, betete, dass die Worte mich in Schach halten würden – dass sie mich leiten würden,
wenn mein Geist es nicht konnte. Aber die Wahrheit ist, dass ich nicht weiß, was ich bin. Ich
habe so viele in Sigmars Namen getötet und dabei gedacht, ich würde sein Werk tun. Doch
habe ich das? Immer?« Er runzelte die Stirn und verstummte erneut.
Eine Weile sprach niemand. Selbst Gotrek wirkte durch Trachos’ Geschichte bekümmert.
Maleneth kam ein Gedanke. »Was wird mit dir geschehen, wenn du nach Azyr
zurückkehrst? Die Botschaft von deiner Flucht aus Shyish dürfte sie erreicht haben. Außer die
Hämmer Sigmars sind alle gefallen. Was werden deine Befehlshaber sagen, wenn du mit
leeren Händen und ohne deine Leute zurückkehrst?«
»Ich werde nicht mit leeren Händen zurückkehren. Ich werde mich jedem Urteil
unterwerfen, das man als angemessen ansieht, doch ich werde nicht zurückkehren und nur
über Versagen zu berichten haben.« Er starrte auf die Rune auf Gotreks Brust. »Ich werde mit
einem Preis zurückkehren.«
Gotreks Lachen hallte dröhnend durch die Halle. »Natürlich! Du willst mich ebenfalls tot
sehen, genau wie der Echsenschlingel. Damit du dieses Ding aus mir rausschneiden und –«
»Nein.« Trachos ballte seine Fäuste. »Ich bin kein Mörder. Was immer ich auch in der
Vergangenheit getan habe. Ich werde dich am Leben halten. Ich werde nicht zulassen, dass
dich irgendwelcher Schaden trifft, bis ich dich überzeugen kann, mit mir in die Himmelsstadt
zu kommen.«
Gotrek rappelte sich hoch, schwankend vom Wein, und packte seine Axt. »Mord?« Der
ruhige, mitfühlende Ton war aus seiner Stimme verschwunden und an seine Stelle trat ein
wildes Brüllen. Sein Gesicht war vor Wut und Belustigung verzerrt. »Da muss es gar keinen
Mord geben, Menschling. Tritt mir im ehrlichen Zweikampf gegenüber. Verdiene dir die
Blutrune!«
Trachos blieb ruhig sitzen. »Das werde ich nicht. Du bist kein Geschöpf des Chaos oder ein
Vertreter der Verderbten Mächte. Noch bist du ein durch den Großen Nekromanten
beschworener Wiedergänger.« Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich weiß niemand von uns, was
du bist. Ich bezweifle, dass du es selbst weißt. Ich werde nicht gegen dich kämpfen.« Er
öffnete die Hände und blickte auf die verschrammten, vernieteten Innenflächen seiner
Panzerhandschuhe.
Gotrek stand noch einen Moment da, dann ließ er sich schwer wieder neben das Feuer
plumpsen und griff sich einen weiteren Weinschlauch. Seiner Streitlust hatte die übliche
Inbrunst gefehlt, fast als würde er nur einem Ablauf folgen, der so von ihm erwartet wurde.
»Schade«, brummelte er.
Maleneth dachte über das nach, was sie soeben erfahren hatte. Ein Stormcast Eternal, dessen
Glaube ins Wanken geraten war, war eine wesentlich geringere Bedrohung als der
kompromisslose Eiferer, den sie in ihrem Reisegefährten gesehen hatte. Es war hoffnungslos,
Gotrek davon überzeugen zu wollen, nach Azyr zu spazieren und sich dem Orden
anheimzugeben, um in den Dienst des Gottkönigs zu treten. Und wenn Trachos zu
schlachtmüde war, den Slayer zu töten und sich die Rune zu nehmen, dann hieß das, dass sie
die Einzige war, die eine Chance hatte, sie nach Azyrheim zurückzubringen. Sie lehnte sich
zurück, nippte weiter am Wein, nahm sich etwas von der Nahrung, die Lhosia aus den
Vorratskammern des Tempels gefischt hatte, und fühlte sich glücklicher, als sie eine ganze
Weile gewesen war.
»Und was ist mit dir?«, fragte Lhosia und wandte sich ihr zu. »Bist du auch hier, um den
Slayer zu beschützen?«
Maleneth unterdrückte ein Grinsen und Gotrek schnaubte.
»Sie beschützt mich, außer mein Tod bietet eine bessere Chance, an die Rune zu kommen«,
sagte er.
Maleneth drückte in gespielter Entrüstung ihre Hand mit gespreizten Fingern gegen die
Brust.
»Und was ist mit der Seele, die du trägst?«, fragte Lhosia.
Maleneth lachte. »Du willst nicht wissen, was in meiner Seele ist, Priesterin.«
»Nein«, erwiderte Lhosia. »Ich meine nicht deine Seele. Ich meine die, die du um deinen
Hals trägst.«
Trachos und Gotrek blickten beide auf, einen Ausdruck der Überraschung im Gesicht.
Maleneths Hand umklammerte das Amulett.
Sie weiß, was du getan hast! Ihre Herrin lachte, erfreut über die Wendung der Ereignisse,
wild auf. Wie willst du das erklären?
»Was meinst du?«, fragte Maleneth und ihre Stimme klang in ihren Ohren ein wenig zu laut.
»Es ist nur die Erinnerung an eine Tötung.«
Lhosia runzelte mit misstrauischer Miene die Stirn. »Bestimmt weißt du, dass es mehr als
das ist? Wenn nicht, dann kann ich es dir erklären. Ich bin die Hohepriesterin des
Leichentuchs. Jeder noch so verhüllte Geist ist sichtbar für mich. Ich sehe jede Seele in
Morbium.«
Maleneth fluchte innerlich. Sie musste diese Idiotin zum Schweigen bringen, bevor sie alles
verdarb.
»Es hat aufgehört«, sagte Trachos.
»Was?«, fuhr Maleneth ihn an.
»Der Regen.«
»Endlich!«, rief Gotrek und sprang auf die Füße.
Sie sahen zu, wie die letzten Splitter auf die Empore niederprasselten und dann liegen
blieben, blickten dann Lhosia an, doch die starrte immer noch auf Maleneths Amulett.
Gotrek stapfte auf die Empore hinaus und hielt die Handfläche zu den Sternen hoch. »Sieht
mir nach Marschwetter aus!«
KAPITEL ELF

ETWAS ANDERES ALS BLUT

Während Trachos zurück in den Tempel ging, um Reisevorräte zu holen, wanderten Gotrek
und die beiden anderen über die Empore und besahen sich die Schäden, fuhren mit den
Fingern über die Narben, die jetzt jeden Fingerbreit der beinernen Strukturen bedeckten. Am
Himmel waren noch immer Sturmwolken, die sich wälzten und blähten und dabei merkwürdig
glitzerten, doch zogen sie südwärts, weg von der Bucht.
Als Trachos zurückkehrte, nickte er zum anderen Ende der Empore hin, wo breite
geschwungene Stufen zum Fuß eines riesigen Bauwerks führten. »Dort lang?«
»Ja«, sagte Lhosia. »Und wir gehen besser schnell. Das ganze Fürstentum könnte von diesen
Fleischessern befallen sein. Sie könnten jederzeit zurückkommen.«
Sie stiegen die Treppe hoch und trotz Lhosias Drängen zur Eile mussten sie oben eine Pause
einlegen, um die Fremdheit des Ausblicks zu bewundern. Sie standen am Eingang einer
großen Straße, die aus der gleichen Verbindung von Knochen und Eisen erbaut war wie der
Tempel unter ihnen. Sie ragte weit übers Meer dahin und krümmte sich in sanfter Biegung ins
Dunkel hinein. In weiter Ferne war sie teilweise von etwas beleuchtet, das wie bleiche, niedrig
hängende Monde aussah.
»Die Vorsteher«, erklärte Lhosia zu den Lichtern hin nickend. »Heimat der Lebenden und
Unbegrabenen.« Sie wirkte gequält. »Eigentlich sollte es weit mehr davon geben. Der gesamte
Himmel sollte von ihnen leuchten.« Sie wandte sich um und blickte nach Süden, wo beinah
überhaupt keine Lichter zu sehen waren. Eine Hälfte des Himmels war lediglich von den
schwachen Geistersternen gesprenkelt.
»Wurden sie alle zerstört?«, fragte Maleneth.
»Vielleicht. Doch auch, wenn sie noch immer wohlbehalten sind, so müssen sie befleckt
worden sein. Sie wurden erbaut, um die Seelen der Unbegrabenen zu erhalten. Und das Licht
der Unbegrabenen sollte von hier aus sichtbar sein. Ich hatte gehofft, dass Fürst Volant seinen
Plänen gefolgt wäre und die Bewohner umquartiert hätte – die Unbegrabenen und ihre Hüter
in der Hauptstadt geholt hätte, wo wir sie beschützen können. Aber etwas muss schiefgelaufen
sein. Mein eigener Tempel wurde nicht geräumt. Meine Familie war noch immer da, als …«
Lhosia schüttelte den Kopf.
Gotrek musterte sie einen Moment lang, spähte dann die Straße entlang. »Ist das eine
Festung? Ist das einer deiner ›Vorsteher‹?«
Lhosia und die anderen kamen an seine Seite. Da war ein Licht, das tiefer als die anderen
flackerte, an der Oberfläche der Straße. Es war schwer, die Entfernung in einer solch
seltsamen Landschaft abzuschätzen, doch Maleneth glaubte, dass es nur vier oder fünf Meilen
entfernt war. Anders als das blaue Licht der anderen, war dies ein goldenes Glühen, die Farbe
von Flammen.
»Das müsste ein Torhaus sein«, sagte Lhosia. »Jede Strecke des Wyndgangs wird an
mehreren Punkten ihrer Länge durch Torhäuser geschützt.«
Gotrek schwenkte seine Axt zur Oberfläche der Straße hin. Blutige Fußspuren führten in die
Ferne. »Sieht aus, als hätte das Torhaus die gleichen Besucher gehabt wie der Tempel.«
Lhosia nickte. »Wir sollten los. Je eher wir den Fürsten erreichen, umso besser.«
Als die Truppe die Straße entlangeilte, hörte Maleneth eine vertraute Stimme in ihrem Kopf.
Hast du gehört, was das Mädchen gesagt hat?
Sie verlangsamte ihre Schritte, bis die anderen ein paar Schritte voraus waren. »Was?«,
flüsterte sie und blickte auf das Amulett, das um ihren Hals hing.
Bevor sie sich mit dem kleinen, toten Ding verbunden hat – hast du sie nicht gehört? Als
sie über die Trennungskammer sprach. Sie sagte da etwas Interessantes. Überraschend, ich
weiß, bei jemandem so Hässlichem und Langweiligem, aber sie tat es.
Maleneth runzelte die Stirn. »Sie sagte, die Unbegrabenen könnten uns zum Fürsten führen,
und dass der Fürst Gotrek helfen kann, Nagash zu finden.«
Nicht das, du Einfaltspinsel. Was hat sie gesagt, als sie dich wegscheuchte?
»Sie sagte, sie müsse sich konzentrieren. Sie sagte, wenn sie ihren Faden verlöre, dann
riskiere sie, dass sie möglicherweise nicht unversehrt zurückkehrt.« Stolpernd kam Maleneth
zum Halten, da sie begriff, dass ihre Herrin da etwas getroffen hatte. »Was hat sie damit
gemeint?«
Du warst immer eine so schlechte Schülerin. So beschränkt.
Maleneth lächelte, als sie wieder ihren Schritt aufnahm. »Und wie scheint das auf dich
zurück, Herrin? Selbst jemand derart Beschränktes hat dich überlistet.«
Du hast mich niemals überlistet, du –
»Ich habe dich getötet.« Maleneth lächelte. »Sicherlich ist das doch die exakte Definition
von überlisten?«
Und was jetzt, du lächerliches Geschöpf? Was wird aus dir, wenn du schließlich nach
Azyr zurückkehrst?
»Ich werde mit der Rune zurückkehren. Alles andere wird nicht mehr wichtig sein.«
Dieser Slayer wird nicht sterben. Verstehst du das denn nicht? Er ist nicht wie die
anderen. Selbst wenn du ein Gift durch seine dicke Haut bringst, würde er es nicht
bemerken. Etwas hat ihn verändert. Sieh ihn doch an! Er redet übers Göttertöten, aber er
ist selbst ein halber Gott.
Maleneth nickte. »Die Rune hat ihn verändert. Er ist wie kein anderer Duardin, den ich
jemals getroffen habe. Er hat so viel Macht.«
Es ist nicht nur die Rune. Denk daran, wie er war, als du ihn das erste Mal in der Zelle
der Fyreslayer getroffen hast. Das war, bevor er die Meisterrune an sich nahm, doch auch
da war er schon nicht aufzuhalten. Etwas anderes als Blut brennt in seinen Adern.
»Was willst du mir über die Trennungskammer sagen?«, blaffte Maleneth, die die Spielchen
ihrer Herrin reizten.
Das Amulett verstummte und Maleneth stieß flüsternd einen Fluch aus.
Sie nahm wieder Tempo auf und holte die anderen ein, als die Straße sich wand und ihnen
einen ersten klaren Blick auf das Torhaus bot. Es sah wie eine größere Version des Kokons
aus, den Lhosia trug, wie eine blasse, gebogenen Träne, die um ein paar großer, blattförmiger
Torflügel erbaut war. Dies musste einst ein beeindruckendes Bauwerk gewesen sein, doch nun
brandeten Flammen darüber hinweg und erfüllten die Dunkelheit mit Glut und Rauch. Die
Mauern waren an verschiedenen Stellen geborsten, sodass große Knochenplatten auf die
Straße gestürzt waren.
»Keine Spur der Reißer«, sagte Lhosia weitereilend.
»Nicht in dieser Richtung«, lachte Gotrek und nickte zurück in die Richtung, aus der sie
gekommen waren. Dunkle Gestalten quollen aus dem Tempel hervor, den sie gerade verlassen
hatten. Selbst von hier aus war klar, dass es Hunderte waren.
Lhosia stieß einen Fluch aus und zog ihre Sense.
»Wir können ihnen unmöglich entkommen«, sagte Maleneth. »Schaut doch, wie schnell sie
aufholen.«
»Lauft!«, schrie Gotrek und winkte sie weiter zum Torhaus hin.
Als sie sich dem Gebäude näherten, sahen sie immer mehr quer über die Straße verstreute
Körper. Zunächst waren es nur Ghule – gleich den drahtigen, halb nackten Wracks, die sie auf
dem Weg ins Fürstentum bekämpft hatten. Aber dann, nach einer Weile, sahen sie die Leiche
eines Mannes, der weit weniger wild aussah. Es war ein großer, kraftvoll gebauter Ritter, der
in schwarze Rüstung und einen weißen, gefiederten Mantel gehüllt war. Seine Kehle war
herausgerissen und er war eindeutig tot, doch Dutzende von hingeschlachteten Ghulen lagen
rings um ihn. Selbst im Tod hielt er noch eine blutige zweihändige Sense in seinem Griff.
Lhosia schüttelte den Kopf. »Grabwacht. Wenn nicht einmal sie diese Wesen zurückhalten
können, dann gibt es nicht viel Hoffnung.«
»Hoffnung wird überschätzt«, sagte Gotrek. »Reine Sturheit, das ist das Wahre.«
Als sie das Torhaus erreichten, mussten sie ihre Augen vor dem Lodern abschirmen. Das
Feuer wütete schrecklich.
»Gibt als Tor nicht mehr viel her«, lachte Gotrek. Der Frontbogen des Gebäudes war von
den Flammen verschlungen worden und vollständig zusammengebrochen. Man konnte die
Straße auf der anderen Seite sehen, die mit weiteren Leichen übersät war. Auch hier waren es
zumeist Ghule, doch Maleneth entdeckte noch ein paar der schwarzgepanzerten Ritter.
Gotrek kauerte sich auf der Straße hin und besah sich die Metallteile am Sockel des
Gebäudes. »Ist das eine Achse?« Er sah wieder zu Lhosia hinüber. »Wie funktionieren diese
Torhäuser? Versperren sie nur einfach den Weg? Sind es nur Tore? Oder etwas
Komplizierteres?«
Lhosia schüttelte den Kopf, nickte dann aber und ihre Augen verengten sich. »Ja, ich
verstehe, was du meinst – sie sind mehr als Tore. Es ist möglich, ganze Teile der Straße
hochzuhieven, wie eine Zugbrücke. Ich habe aber keine Ahnung, wie man das bedienen
kann.«
»Das ist deine Gelegenheit, Menschling!« Gotrek grinste und wies Trachos auf den
Mechanismus unter den Mauern hin. »Du bist doch ein Ingenieur, nicht wahr?« Er trat zurück
und starrte das brennende Gebäude an. »Sieht aus, als würde das ganze Bauwerk als
Gegengewicht dienen. Wir haben mal unten in Nuln eine Brücke gesehen, die so funktionierte.
Erinnerst du dich? Die über den Reik.«
Trachos schüttelte den Kopf. »Nuln?«
Gotrek verdrehte die Augen. »Egal. Der Punkt ist, dass wir in der Lage sein sollten, den Teil
der Straße nach oben zu heben.« Er untersuchte die Menge arkaner Geräte an Trachos’ Gürtel.
»Heißt so ein schicker Titel wie Lord-Ordinator, dass du weißt, wie man einen
Schraubenschlüssel verwendet?«
Trachos starrte Gotrek an, offensichtlich überrascht. Er schüttelte den Kopf. »Ich habe diese
Art der Konstruktion noch nie gesehen.«
Gotrek stieß ihm seinen klobigen Finger vor die Brust. »Wovor hast du Angst? Es zu
versuchen und zu versagen? Wenn du nichts tust, sterben wir sowieso.«
Trachos zögerte, dann wandte er sich dem Gebäude zu und untersuchte dessen Anlage.
»Vielleicht.« Er schritt einen Moment auf und ab, umkreiste dann die Flammen, entschwand
ihren Blicken und kletterte in den Mechanismus unter dem Torhaus hinab. Ein paar Sekunden
später erklang dröhnendes Klappern aus den Schatten.
Maleneth blickte die Straße hinab zu den sich schnell nähernden Ghulen hin. »Ich schätze
mal zehn Minuten. Vielleicht weniger.«
»Da können wir aber etwas dran machen«, sagte Gotrek und hob seine Axt mit beiden
Händen. »Helft dem Menschling. Er ist fähiger, als er denkt. Ruft mich, wenn er fertig ist.« Er
lief los, stampfte die Straße hinunter auf die Ghule zu. »Aber beeilt euch nicht zu sehr. Das
sieht nach Spaß aus.« Er stieß ein heulendes Kriegsgeschrei aus, senkte den Kopf und stürmte
voran.
»Sie werden ihn zerreißen«, murmelte Lhosia.
Maleneth sah Gotrek erbittert hinterher. »So sollte man meinen, nicht wahr?«
Sie wandte sich wieder zum Feuer um und versuchte Trachos zu entdecken. Zuerst sah sie
keine Spur des Stormcasts, aber dann lenkte der Klang seines unmelodischen Singens ihren
Blick zu ihm hin. Er brüllte, während er arbeitete, durchdringende Verse vor sich hin. Sie hob
den Arm, um ihr Gesicht abzuschirmen, während sie auf die Mauern zuging und spürte, wie
ihr Haar sich in der Hitze knisternd wellte.
Trachos hatte sich auf das Gerüst aus gebogenem Metall gehockt und mühte sich an einer
Reihe aschebedeckter Zahnräder. Er hielt etwas, das aussah wie ein vernieteter, goldener
Greifzirkel und er versuchte, ihn an den Streben unter der Straße zu befestigen.
Hinter ihnen ertönte ein wütendes Geheul, als Gotrek die ersten Reihen der Ghule erreichte.
Sie waren nahe genug, dass Maleneth ihre Gesichter erkennen konnte, während der Slayer sie
mit seiner Axt fällte und Knochen und Blut ringsumher fliegen ließ.
Sie fragte sich, ob sie losziehen und Gotrek helfen oder bei Trachos bleiben sollte. »Kriegst
du das hin?«, rief sie zu ihm runter.
Trachos’ Greifzirkel saß nun um eine der Streben und das Werkzeug strahlte vor Ätherlicht.
Trachos lehnte sich mit seinem Gewicht darauf und sang zu laut, als dass er Maleneths Frage
hätte hören können.
»Wird es funktionieren?«, schrie sie.
Er drehte sich herum, schüttelte den Kopf. »Nein. Die Tore werden durch Zauberei
geschützt. Ich sehe ein Schloss, aber wir haben keinen Schlüssel.«
»Der Torhüter hätte ihn!«, schrie Lhosia, die durch das zerstörte Tor auf die Körper auf der
anderen Seite spähte. »Wenn ihr mich in das Gebäude schaffen könnt, dann könnte ich seine
Leiche unter den anderen finden. Er könnte den Schlüssel noch immer tragen.«
Maleneth blickte auf die Flammenwand. »Wir werden gebraten. Wir müssen warten, bis es
etwas herabbrennt.«
»Keine Zeit«, sagte Trachos, während er sich wieder auf die Straße wuchtete und den
Greifzirkel an seiner Rüstung befestigte. Er nahm seinen Helm vom Gürtel und setzte ihn
wieder auf, zog dann beide Hämmer und marschierte auf das Tor zu. Er zeigte kein
Anzeichen, dass er die Hitze fühlte, als er das Inferno erreichte. Er hielt kurz vor der hohen,
aus Knochen gefertigten Tür an. Er beugte sich vor, um nach den Angeln zu sehen, und nickte.
Während Gotrek durch die Masse der Ghule raste, fing Trachos an, das Tor zu bearbeiten,
schlug wiederholt mit seinen Hämmern auf die Angeln ein, dass rings um ihn Funken und
Rauch aufstoben. Die Türflügel, die durch die Flammen bereits geschwächt waren, begannen
zu ruckeln, und Trachos schlug mit noch größerer Wucht auf sie ein und schwang die Hämmer
mit solcher Macht, dass sie Funken zu schlagen und zu prasseln begannen. Schließlich, mit
einem gewaltigen Ächzen, bogen sich die Torflügel allmählich nach hinten.
Trachos trat zurück, senkte seine Hämmer, als sie auf die Straße herabkrachten.
Eine Wand aus Flammen und Rauch rollte auf Maleneth zu und zwang sie zurück. Dann
legte sich das Feuer und ließ die Türflügel, die flach am Boden lagen, sichtbar werden. Sie
sprühten noch immer Funken und rauchten, jedoch längst nicht mehr mit der gleichen
Heftigkeit.
Trachos sah zu ihr herüber. »Wie schnell kannst du laufen, Hexenklinge?«
Sie nickte und stürzte an ihm vorbei, spurtete über die umgestürzten Türflügel hinweg, wich
den Flammen aus, bis sie die Straße auf der anderen Seite erreicht hatte.
Durch das Feuer sah sie Trachos zu Lhosia hinübermarschieren. Sie tauschten Worte –
Lhosia schien zu zögern. Dann nickte sie und Trachos hob sie hoch, warf sie sich über die
Schulter, als sei sie nur ein Kleiderbündel.
Der Rest des Torhauses stand noch immer in Flammen, doch als Trachos mit Lhosia auf den
Armen durch das eingestürzte Tor rannte, konnte er sie vor den noch immer um die Öffnung
züngelnden Flammen schützen.
Selbst von dieser Seite des Gebäudes aus konnte Maleneth erkennen, welchem absurd
schweren Stand Gotrek sich durch die gegnerische Übermacht gegenübersah. Es wirkte, als
würde der Slayer versuchen, eine Flutwelle zurückzuhalten.
»Die Rune«, murmelte sie. Sie wandte sich an Trachos. »Wenn sie ihn töten …«
Trachos nickte. »Der Schlüssel«, sagte er und sah Lhosia an. »Welche der Leichen ist der
Torhüter?«
Lhosia eilte hin und her. Abgesehen von den toten Rittern waren alle anderen Körper Ghule.
Sie schüttelte den Kopf. »Keiner davon. Er ist nicht hier!«
Maleneth ging etwas weiter die Straße hinab. »Dann muss er geflohen sein.«
»Nein.« Lhosia blickte zum zerstörten Gebäude. »Die Grabwacht hätte ihn nie seinen Posten
aufgeben lassen. Das wäre Verrat.« Sie hastete von Leiche zu Leiche, drehte sie um und
schüttelte den Kopf.
Gotrek brüllte verbittert auf und alle wandten sich zu ihm um.
Die Ghule trieben ihn zurück. Zwar schafften sie es nicht, bei ihm einen Hieb anzubringen,
doch nutzten sie die schiere Masse ihrer Zahl, um ihn zu überwältigen, warfen sich auf die
Körper der Gefallenen und schufen so einen Erdrutsch aus Fäusten und Klauen.
»Wir brauchen diesen Schlüssel«, sagte Trachos und betrachtete das grausige Chaos, das sie
umgab. »Bist du sicher, dass es keiner davon ist?«
»Sicher«, murmelte Lhosia, »aber das ergibt keinen Sinn.«
Es folgte ein weiterer donnernder Aufschrei des Trotzes, als die Menge Gotrek immer
weiter in ihre Richtung zurücktrieb.
Also stirbst du, sagte die Stimme aus der Blutphiole süffisant flüsternd in Maleneths Kopf.
Hingeschlachtet wie Vieh, mitten im Nichts, in einem verlassenen Torhaus. Ein würdiges
Ende für jemanden wie dich.
Maleneth stieß zischend einen Fluch aus. Sie warf einen Blick über die zerstörten Mauern
und die leeren Gebäude zu beiden Seiten des eingestürzten Tores. Es gab mehrere Türen,
manche eingeschlagen, manche unversehrt, alle aber blutbespritzt. »Ich frage mich«, murmelte
sie.
»Was?«, fragte Trachos.
»Gibst du mir ein paar Minuten?« Sie nickte zu Gotrek hin. »Hilfst du dem Schweinskerl,
sie noch etwas länger zurückzuhalten?«
Er sah sie einen Moment schweigend an, offensichtlich misstrauisch. Dann zuckte er die
Achseln, taumelte wieder zurück durch die Flammen und stimmte eine Hymne an. Maleneth
erriet seine Logik – besser in der Nähe der Rune zu sein als an einer mörderischen Aelfe zu
kleben. Es war egal. Solange er ihr nur noch ein paar Minuten erkaufen konnte.
Während die Straße von Blitzen azyritischer Magie widerstrahlte, eilte Maleneth zur
nächsten Ghulleiche, fiel auf die Knie und riss ihre Messer hervor.
»Er ist schon tot«, sagte Lhosia, die sie verwirrt anstarrte.
Maleneth ignorierte sie und rammte der Leiche die Klingen in die Brust. Es gab ein
stumpfes, knackendes Geräusch, als sie sie auseinanderzerrte, dadurch den Brustkorb aufriss
und die glänzende Schweinerei darunter freilegte.
Lhosia fluchte angewidert auf und wich zurück.
Das kannst du nicht tun, sagte die Stimme ihrer toten Herrin. Was denkst du dir nur? Du
bist wirklich eine Närrin. Denkst du, nur weil du mich bei der Arbeit gesehen hast, dass du
deshalb ein Blutsakrament verrichten kannst?
Maleneth stieß ihre Hand in die Wunde, packte das noch immer warme Herz, stand dann auf
und riss es in einem blutroten Schauer aus dem Brustkorb. Ich habe mehr getan, als dir nur
zugesehen, Herrin, dachte sie. Du hast mich für ein stumpfsinniges Werkzeug gehalten, aber
ich habe mich stets vorbereitet, stets auf den Tag hin geplant, da ich deinen Platz einnehmen
würde.
Während das Blut noch immer pumpte, begann sie das Herz zu zerschneiden, komplizierte
Siegel in den Muskel zu ritzen, alle davon ausgerichtet auf das Symbol ihres geliebten,
blutdürstigen Gottes Khaine. Als sie jeden Fingerbreit des Herzens bedeckt hatte, stieß sie
eine Anrufung aus und das Organ begann zu schwelen, dass ihr der Rauch zwischen den
Fingern hervorquoll.
Einen Moment lang geschah nichts weiter. Maleneth fluchte. Vielleicht war sie eine Närrin,
dass sie versuchte, in solch übereilter, schludriger Weise zu Khaine zu beten.
Du lächerliches Geschöpf. Wenn du wirklich von mir gelernt hättest, dann müsstest du
wissen, dass –
Maleneth schrie auf und lehnte sich zurück, bog ihren Rücken durch, als Khaines Glut sie
durchfuhr. Sie lachte laut in Ekstase auf. Das Blutritual hatte funktioniert. Die Macht des
Mördergottes schüttelte sie mit solcher Gewalt, dass sie Lhosia anschrie. »Hilf mir! Halte das
Herz!«
Visionen überfluteten ihren Geist und einen Moment lang waren sie nur zutiefst verwirrend.
Sie ritt mit stolzen Kriegern, die Speere und Wimpel gepackt hielten, und stürzte sich auf
prachtvollen Rössern mit ihnen in die Schlacht. Ihre Farben waren ihr unbekannt und die
Sprache war alt und besaß keine Ähnlichkeit mit irgendetwas, das sie irgendwo in Shyish
gehört hatte.
Die Reiter hatten nichts gemein mit den schwarz gerüsteten Rittern, die Lhosia als
Grabwacht bezeichnet hatte, doch die Landschaft war vertraut. Die Reiter galoppierten den
gleichen Weg entlang, auf dem sie gerade gereist waren – eine Straße aus Knochen, welche
die Abendflut überspannte. Die Reiter stießen Rufe aus, als sie das Torhaus vor sich sahen.
Das Gebäude war noch unversehrt und es gab kein Anzeichen eines Feuers. Gestalten eilten
zurück zu den Toren, doch sie waren zu spät, wurden vom Angriff überrascht, als die Reiter
ihre Speere schleuderten und ihre Langschwerter zogen, sie töteten, bevor sie den
Mechanismus erreichen konnten, der die Straße anhob.
Die Reiter fielen über das Torhaus selbst her und kämpften gegen die Verteidiger, die
darinnen warteten – einen abgerissenen Haufen wilder fahlgesichtiger Barbaren mit Keulen
und Messern in den Händen. Maleneth fühlte eine Welle des Zorns beim Anblick dieser
erbärmlich feigen Wilden. Wer waren sie, dass sie den Hunden von Dinann das Land stahlen?
Die Wilden kämpften verzweifelt, doch sie standen gegen eine große Überzahl und es war
das Werk von Augenblicken, sie von den Mauern zu fegen und in Stücke zu schneiden.
Im Torhaus war jedoch noch ein anderer Mann, unbewaffnet zwar, doch eindeutig von der
gleichen Sippe wie der Rest der Barbaren. Er rannte davon, als der Kampf begann, stürzte zu
einer Tür am Fuße eines Turms und schlug sie hinter sich zu. Maleneth stürmte empört auf ihn
zu, doch bevor er die Tür erreichen konnte, erfüllte Blut ihren Blick und sie stürzte schwer zu
Boden.
»Was ist passiert?«, schrie Lhosia und starrte Maleneth an. Die Priesterin half ihr, das
blutende Herz zu halten, doch ihr Gesicht war angewidert verzogen, da ihr das Blut die Arme
herablief. »Was machst du da?«
Maleneth kniff verwirrt ihre Augen fest zusammen; die Worte ›Hunde von Dinann‹ hallten
ihr noch immer durch den Kopf. Was konnte das bedeuten? Das Torhaus lag jetzt wieder in
Trümmern da und die Flammen schlugen die Mauern hoch. Von den stolzen Reitern auf ihren
Pferden oder den Wilden, die sie bekämpft hatten, fehlte jede Spur. Sie hatte keine Ahnung,
wer irgendwer von diesen Kriegern gewesen sein konnte, doch Khaines Vision hatte ihr
dennoch alles verraten, was sie wissen musste. Die Tür, die sie in ihrer Vision hatte
zuschlagen sehen, war noch immer da, unverändert, mit den gleichen Blutflecken an ihrem
Griff und den gleichen Leichen, die davor aufgehäuft lagen.
»Er ist da drin!«, keuchte sie, ließ das Herz fallen und eilte hinüber zu der Tür. Durch das
Blutritual war sie erschöpft und benommen, aber auch berauscht. Sie hatte ihre Seele mit der
Khaines verbunden! Sie konnte noch immer seine Macht in ihrem Puls hämmern spüren. Es
war schwindelerregend und wunderbar. Sie grinste und winkte Lhosia, ihr zu folgen. »Dein
Torwächter ist ein Feigling. Er versteckt sich.«
Es gab einen Ausbruch von Schreien und Knochengesplitter, als Gotrek und Trachos wieder
durch die zerbrochene Tür taumelten, wild nach einem enormen Berg grauer Körper hackten
und stachen. Die Ghule befanden sich in ebensolcher Raserei wie Gotrek und achteten selbst
der schrecklichsten Wunden nicht, während sie versuchten über die Toten hinwegzukrabbeln.
»Hier!«, schrie Maleneth. »Öffne diese Tür!«
Gotrek kam kaum aus seinem Rhythmus. Er hackte einem Ghul den Kopf ab, wich seitlich
einer nach ihm krallenden Klaue aus, drosch sein Gesicht gegen die Tür und riss einen Flügel
aus den Angeln, stürzte sich dann zurück ins Gewühl, während Blut heiß auf seiner Brustrune
zischte.
Der zweite Türflügel fiel, eine Gestalt versuchte Maleneth umzurennen, doch sie bewegte
sich mit schneller, leichter Eleganz, wich ihr aus und packte sie dann von hinten beim Kragen
und brachte sie mit einem Ruck zum Halten.
Es war der Mann, den sie in ihrer Vision gesehen hatte. Er heulte auf, während er versuchte
sich loszureißen, und starrte die Legionen von Ghulen an, die Gotrek und Trachos angriffen.
Maleneth konnte ihm seine Angst nicht wirklich verdenken. Diese Geschöpfe boten einen
schrecklichen Anblick. Sie war jedoch nicht in der Stimmung für Mitgefühl.
»Schlüssel – schnell«, zischte sie ihm ins Ohr, zog ihn nah heran und drückte ihm eine ihrer
Klingen gegen die Kehle.
Er fuchtelte an seinem Gürtel herum und löste dort einen Schlüsselbund, hielt ihn ihr mit
heftig zitternder Hand vor die Augen.
Maleneth griff ihn sich und ließ ihn los. Als er an Lhosia vorbeispurtete und die Straße
hinabrannte, dachte Maleneth darüber nach, ihm ein Messer in den Rücken zu jagen. Sie
entschied, dass dies eine Verschwendung einer guten Waffe sei, und wandte sich ab.
»Trachos!«, rief sie und schleuderte die Schlüssel.
Er hielt mitten im Hieb inne und fing sie auf.
Maleneth schüttelte ungläubig den Kopf, während sie sich ebenfalls in den Kampf stürzte.
Es wirkte, als wäre ein Massenbegräbnis über sie hereingebrochen.
Trachos rannte davon und ließ sie mit dem Slayer allein. Gotrek benutzte jetzt seinen Kopf
als Keule, sodass sein Gesicht vollständig blutrot überzogen und mit Stücken von
Schädelknochen und Zähnen bedeckt war. Als er in ihre Richtung sah, lag in seinem Blick
kein Zeichen des Wiedererkennens. Er war ein Tier, das von einer Raserei des Tötens gepackt
wurde und sich mit Zähnen und Klauen durch das Gewühl grub.
Maleneth kämpfte erst ein paar Sekunden, als ihr schon klar wurde, dass es hoffnungslos
war. Es waren zu viele. Schnitte öffneten sich entlang ihrer Beine und im Gesicht, während
die Ghule blindwütig zuschlugen und sie mit ihrer Masse erstickten.
»Zurückziehen!«, keuchte sie, obwohl sie wusste, dass der Slayer zu sehr weggetreten war,
um sie zu hören.
Gerade war sie dabei, sich wankend aus dem Knäuel zu lösen, als der Boden bebte, sie
zurücktaumelte und um Halt kämpfen musste, da die Straße in Bewegung geriet.
»Trachos!«, rief sie. »Er hat es geschafft!«
Sie wich mit erhobenen Messern zurück, während die Straße sich zu heben begann und
dadurch Ghule, tot oder lebendig, in ihre Richtung geschleudert wurden. Sie musste sich
ducken und winden, während die Körper rings um sie flogen, von den Wänden abprallten und
die Steigung hinab kullerten. Die hirnlosen Grauengestalten schienen nicht begreifen zu
können, was da geschah und versuchten noch immer, Gotrek zu Boden zu ziehen, während er
sich vor ihnen zurückzog. Obwohl sich Dutzende Ghule in Maleneths Richtung warfen, so
fielen doch viele mehr dorthin zurück, woher sie gekommen waren und verschwanden
schlitternd aus ihrem Blickfeld.
»Gotrek!«, brüllte Trachos, der jetzt wieder auf der Straße erschien und sich seinen Weg zu
dem Slayer freikämpfte.
Gotrek war zu sehr damit beschäftigt, Hirne einzuschlagen, als dass er ihn gehört hätte.
»Gotrek!«, schrie Trachos erneut und schlug dem Slayer eine Hand auf die Schulter.
Gotrek wirbelte herum, knurrte wie ein toller Hund und schwang die Axt zurück, um
Trachos niederzustrecken. Im letzten Moment zögerte er, bemerkte schließlich, dass der
Boden sich unter ihnen hob.
»Menschling!«, keuchte er und grinste durch all das Blut.
Weitere Ghule prallten gegen die beiden und sie taumelten auf Maleneth zu, fegten die
Geschöpfe fort und suchten, da sie sich jäh auf einer steilen Schräge stehend fanden, nach
etwas, an dem sie sich mit ihren Händen festhalten konnten.
»Hierher!«, schrie Maleneth, welche die Schräge nach dort hinablief, wo die Straße wieder
waagerecht wurde.
Lhosia war schon dort und starrte verblüfft auf das unglaubliche Schauspiel.
Das Torhaus schwankte bebend rückwärts, Gerätschaften surrten und die Straße wurde hoch
in die Luft geschwenkt.
Die letzten Schritte fielen Gotrek und Trachos mehr, als dass sie rannten, und sie landeten
keuchend und hustend neben Maleneth.
Während sie ihnen hochhalf, krachten rings um sie Ghule mit unheimlichem, pfeifenden
Ächzen auf die Straße herab.
Maleneth kümmerte sich um die ersten beiden, indem ihre Messer hin und her fetzten,
danach kümmerten sich Gotrek und Trachos um die anderen.
Während die Straße höher ruckelte, begann sie sich zu verändern. Eisen und Knochen
glitten auseinander, spreizten sich wie die Finger einer Hand und formten sich zu einem
Fächer. Nach ein paar Sekunden lachte Maleneth auf, da ihr klar wurde, welche Form sich
dort bildete. Der Teil der Straße, der sich hoch in die Luft erhoben hatte, beinah dreißig Schritt
hoch, hatte eine komplexe Skulptur erschaffen – ein paar uralter, nietenbeschlagener
Schwingen mit den gleichen spiralförmigen Zeichen, die Maleneth schon im Tempel bemerkt
hatte.
»Eine Motte?«, sagte sie und sah sich zu Lhosia hin um.
Lhosia starrte voller Verwunderung. Zum ersten Mal seit sie die Überreste ihrer Familie
gefunden hatte, schien es, als wäre ihre Trauer von etwas anderem überlagert worden. Sie
nickte. »Ein Vorbote. Er wartet hier seit den Alten Tagen. Bereit zu dienen.«
Maleneth machte sich davon, um noch ein paar weitere der Ghule zu erledigen. »Sehr
hübsch. Aber ich denke, wir sollten nicht zu lange Zeit darauf verwenden, es zu bewundern.«
Gotrek nickte. Er schnaufte schwer und war in Ghulblut gebadet. Normalerweise nach
einem derart brutalen Kampf schien er äußerst zufrieden mit sich selbst, doch er starrte die
Rune auf seiner Brust mit zorniger Miene an.
»Gotrek?«, meinte Maleneth im Versuch, ihn aus seiner Versunkenheit zu wecken.
Es brauchte einen Moment, bis sein Auge sich auf sie fokussierte und selbst dann war es
offensichtlich, dass er an etwas anderes dachte. »Er versucht …« Er schüttelte den Kopf und
wirkte zunehmend verärgert.
»Wer versucht was?«, fragte sie. Selbst zu den besten Zeiten war der Slayer schon
launenhaft, doch jetzt wirkte er verwirrt.
»Verfluchter Grimnir«, murmelte Gotrek, starrte wieder auf die Rune und schlug eine seiner
fleischigen Hände darüber, dass das Gesicht des Slayer-Gottes verborgen wurde. »Als ich
gekämpft habe und mich ganz in der Herrlichkeit des Kampfes verlor, da hat die Rune mir
ihre Stärke geliehen.«
Sie nickte. »Es ist Urgold. Fyreslayer hämmern dieses Zeug nicht rein zum Spaß in sich
hinein. Das weißt du doch. Diese Rune macht dich stärker, seit du sie der Unbak-Loge
genommen hast.« Sie hob über den Anblick der Leichenberge ihre Augenbraue. »Das hat dir
bisher nie etwas ausgemacht.«
»Aber Grimnir versucht noch immer, in meinen Kopf zu gelangen!« Gotrek packte die Rune
härter, als wollte er sie sich aus den Rippen reißen. Er sprach ebenso sehr zu sich selbst wie zu
Maleneth. »Er versucht noch immer, mich zu verwandeln.«
Gotrek nahm die Hand von der Brust und blickte finster auf die Rune. »Er versucht, mich in
sich zu verwandeln. Jedes Mal, wenn ich diese verdammte Rune benutze, wird es schlimmer.«
Gotrek versetzte seiner eigenen Brust einen Schlag. »Das denkst du dir so, Grimnir! Ich bin
Gotrek! Sohn des Gurni! Und genau das habe vor zu bleiben.« Er fuhr sich mit den Fingern
über die goldenen Strähnen, die durch seinen Bart gewebt waren. »Die waren alle noch nicht
da, bevor ich diese Rune hatte, oder?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Schluss jetzt!«, knurrte er. »Ich habe Dämonen und Drachen erschlagen, Grimnir, ohne
deine Hilfe.« Gotrek stapfte die Straße hinab, schleuderte der Rune, während er das Torhaus
und mit ihm eine Spur von Haaren und blutigem Fleisch hinter sich zurückließ, noch immer
Beschimpfungen zu.
Lhosia folgte ihm und wiegte dabei den winzigen in einen Kokon eingehüllten Körper ihres
Vorfahren und flüsterte ihm zu.
Trachos humpelte ihr hinterher und sein Kopf zuckte und Blitze flackerten aus den Nähten
seiner Rüstung. Er murmelte beim Laufen eine Hymne vor sich hin, die ihren Sieg in einem
nervenaufreibend monotonen Sermon feierte.
Maleneth blickte dem seltsamen Trio hinterher, und schüttelte ungläubig ihren Kopf. »Bin
ich die Einzige, die hier noch bei geistiger Gesundheit ist?«, fragte sie die Blutphiole um ihren
Hals.
KAPITEL ZWÖLF

DER DÄMMERFÜRST

Lord Aurun sah zu, wie das schlafende Mädchen auf einen Wagen gehoben wurde. Der Fahrer
nahm sie vorsichtig und legte sie zu den anderen schlafenden Kindern. Sie war um die sechs
oder sieben, jünger als all die anderen Nestlinge unter den Säcken und Decken, und sie sah
winzig aus. Als der Wagen von ihm weg ratterte, glich das Kind einem Säugling, zerbrechlich
und hilflos. Er tappte mit der Sense gegen den Boden und fühlte, wie sein Puls sich
beschleunigte. Ich werde sie nicht im Stich lassen, dachte er. Ich habe die Kraft, das zu tun,
und ich werde nicht versagen.
»Niemand würde sein Urteil über dich fällen, wenn du jetzt gehen würdest«, sagte eine
Stimme hinter ihm.
»Jeder würde sein Urteil über mich fällen.« Auruns Stimme war streng. »Zu allererst die
Unbegrabenen. Und sie hätten recht.«
Er wandte sich dem Mann zu, der mit ihm beim Osttor stand, ein gebrechlicher Mann in
seinen Siebzigern mit scharfen, spröde wirkenden Zügen – ein in weiße Roben gehüllter
Priester. Corsos war vom Alter gebeugt und er lehnte sich an einen Oberschenkelknochen, der
so groß war wie er. Der enorme Knochen war gebleicht und von eingeritzten Siegeln
überzogen, und ein eisernes Vorhängeschloss hing von seinem Ende herab. Corsos war der
älteste Priester der Ödstätten und das reich verzierte Schloss war das Symbol seiner Autorität.
Aurun hatte auch schon gesehen, wie er es benutzt hatte, um einigen der jüngeren Akolythen
Verstand einzubläuen.
»Wir haben gesegnete Zeiten durchlebt«, fuhr Aurun fort und starrte auf die Gebäude hinter
Corsos. Der Vorsteher war beinah leer. Die meisten Fenster waren dunkel. Das einzige Licht
kam von den Seelen, die in sein Herz eingebettet waren. »All diese Generationen, vor allen
verborgen. Nichts, was von uns verlangt wurde, außer zu wachen und zu warten. Wer in allen
Reichen der Sterblichen hat jemals gelebt, wie wir gelebt haben? Wer sonst hat diesen Frieden
gekannt? Und jetzt, in diesem entscheidenden Moment, haben wir die Gelegenheit, unseren
Wert zu beweisen.«
Corsos nickte. »Der Dämmerfürst wird bald kommen. Ich habe es gesehen. Die
Unbegrabenen haben es gesehen. Wir müssen diese Mauern vielleicht nur noch einen Tag lang
halten. Fürst Volant hat die Hauptstadt mit einer Heerschar verlassen, wie sie nie zuvor
versammelt wurde. Es ist nicht wichtig, wie all diese Reißer den Weg nach Morbium
gefunden haben. Keiner von ihnen wird es verlassen.«
Aurun lächelte. »Verwegene Worte für einen Mann, der mit einem Knochen bewaffnet ist.
Wenn du dich von diesen heiligen Texten hättest losreißen können, dann hättest du einen
guten General abgegeben.«
Corsos lachte, hob die Arme und enthüllte dabei seine dürre Gestalt. »Den Körper eines
Helden hab ich ja.«
Sie beide betrachteten den Zug unterschiedlichster Fahrzeuge, die von der Festung
wegrollten und die gegen die riesigen, starren Wellen der Abendflut winzig wirkten. »Nun ja«,
sagte Aurun. »Ob der Fürst bald kommt oder nicht, die Ödstätten werden standhalten.«
Sie gingen zurück durch das Tor auf den Mittelpunkt der Festung zu. Soldaten im Schwarz
der Grabwacht rannten von Gebäude zu Gebäude, bereiteten Verteidigungsmaßnahmen vor
und holten Waffen, bevor sie zu den Stadtmauern hinaufeilten.
Von Stolz erfüllt, salutierte Aurun ihnen im Vorbeigehen. Diese Männer hatten als Kinder
ihren Eid geschworen. Keiner von ihnen hatte gewusst, was die Worte wirklich bedeuteten. Im
Leben und Tode zu dienen. Die Unbegrabenen zu erhalten, was immer der Preis sein mochte.
Was weiß schon ein Kind von solchen Dingen? Doch als er ihnen mit dem Befehl zur
Evakuierung Gelegenheit gegeben hatte, mit den Zivilisten die Festung zu verlassen, hatte
nicht einer überhaupt erwogen zu gehen. Der Himmel rings um sie war fast vollständig
dunkel. Die Vorsteher waren alle erloschen, waren unter die toten Gezeiten gezerrt worden,
ihr Licht erstickt. Doch seine Männer waren wie Leuchtfeuer, deren lackierte Rüstungen im
Licht der Unbegrabenen blitzten. Es war ein prachtvoller Anblick. Aurun hatte sein ganzes
Leben auf die Gelegenheit gewartet, sich zu beweisen, hatte im Schatten seiner Vorfahren
gelebt, mit ihren Geschichten von Heldentum und Ehre. Und nun würde er Gelegenheit
erhalten, seinen Platz in ihren Reihen zu verdienen, nicht als Untergebener, sondern als
Gleichgestellter.
»Hast du den Fürsten schon einmal getroffen?«, fragte Aurun.
Corsos schüttelte den Kopf. »Ich habe aber die ganzen Historien der Dämmerfürsten
gelesen. Ich weiß, dass sie mehr als bloße Menschen sind.«
Aurun nickte. »Volant ist größer als ein normaler Mensch. Und stärker. Aber ich würde
nicht sagen, dass er mehr ist als wir, Corsos. Nur anders.«
»Magst du ihn?«
Von der Frage überrascht, schüttelte Auron den Kopf. »Mögen? ›Mögen‹ wäre ein seltsames
Wort, um es in Bezug auf Fürst Volant zu verwenden. Ich respektiere ihn und vertraue ihm so
sehr, wie er mir vertraut.« Er zuckte die Achseln. »Er ist schwer zu erklären. Doch du solltest
bald in der Lage sein, selbst über ihn zu urteilen.«
Aurun verbrachte eine weitere Stunde damit, die Verteidigungsanlagen zu inspizieren und
mit seinen Männern zu reden. Er hatte erwartet, sie beunruhigt und verängstigt vorzufinden,
doch am ehesten noch schienen sie aufgeregt. Das konnte er verstehen. Ihr ganzes Leben war
ihnen gesagt worden, dass sie einzig zu dem Zweck geboren worden seien, ihre Vorfahren zu
beschützen, und jetzt würden sie die Gelegenheit erhalten, endlich zu zeigen, dass sie all das
Vertrauen wert waren. Je länger er mit den Männern auf den Mauern sprach, umso stolzer
fühlte er sich. Ihre Aufregung war ansteckend. Sie würden die Mauern mühelos bis zu Fürst
Volants Eintreffen halten und dann würde er ihnen erklären, warum sie nicht fortgehen
mussten. Und dann würden die Menschen der Ödstätten nach Hause zurückkehren können.
Als sie die Mauern hochstiegen und zu Auruns Räumen eilten, erklangen plötzlich erregte
Stimmen.
»Der Fürst!«, riefen die Männer auf den Bollwerken. »Heil sei dem Dämmerfürsten!«
Überall auf den Mauern erklang Hörnerschall, hell und verwegen, und schien die Schatten
zurückzutreiben.
Aurun fasste Corsos bei der Schulter und die zwei alten Freunde grinsten einander an.

Zwei Welten waren für Fürst Volant sichtbar – die erste war Illusion, voller Schmerz und
Zweifel, und die zweite war die wahre; voller Leben, das es noch zu leben galt, wo man
Einsicht erlangen würde. Er allein im Fürstentum konnte so klar und so weit sehen, und seine
hoheitliche Tracht war derart gestaltet, dass sie die Dualität seiner Vision symbolisierte. Wie
seine Untergebenen der Grabwacht trug er eine lackierte schwarze Rüstung und einen weißen
Federumhang, doch sein Helm war von einer einzigartigen, zeremoniellen Machart. Er war
kunstvoll gefertigt, sodass eine Seite einem fauchenden Gesicht glich, obsidianschwarz und
von erschreckender Wildheit, und die andere Seite war aus dem bleichesten Elfenbein und von
heiterem Ausdruck. Der Dämmerfürst hatte eine Angewohnheit, vielleicht eine unbewusste,
dass er seinen Kopf beim Sprechen entsprechend drehte, dass die jeweilige Seite der Maske
seiner Stimmung am besten entsprach. Als er aus dem Sattel auf Kord Aurun herabblickte,
war nur die schwarze Seite seiner Maske sichtbar.
Sein Reittier war ein Skelettdrache, dessen glänzende Knochen ins gleiche Schwarz wie das
seines Reiters gehüllt waren. Als der Fürst sich von seinem Rücken herabbeugte, legte der
Drache mit dem Geräusch rasselnder Speere seine gewaltigen Schwingen an. Hinter Volant
folgten die Ritter der Grabwacht mit glitzernden Sensen und flatternden Wimpeln. Ihre
Reittiere waren kleinere Verwandte des Tieres, das der Fürst ritt. Sie boten einen
beeindruckenden Anblick. Aurun hatte noch nie zuvor solchen Besuch empfangen.
Tatsächlich hatte er von niemandem gehört, der solch einen Besuch empfangen hatte.
Hinter den Wimpeln fand sich eine weniger fröhliche Erinnerung an die Macht des Fürsten.
Dutzende zylindrischer Käfige schwankten auf Stangen über den Köpfen der Ritter und
enthielten jeder ein bemitleidenswertes, ausgezehrtes, elendes Geschöpf, der Kleidung beraubt
und mit Runen bemalt. Dies waren die Gekerkerten. Es waren Männer, die der Fürst für
unwürdig befunden hatte – Männer, die versagt hatten, die Unbegrabenen zu beschützen.
Einige waren schon tot und baumelten in ihren Käfigen, doch andere würden noch Tage
aushalten, während ihre Schreie schwächer wurden und sie schließlich an ihren Wunden oder
Wassermangel starben.
»Habt Ihr meinen Befehl erhalten?«, fragte der Fürst. Er sprach leise, doch seine Worte
klangen durch seinen Helm hindurch wie eine Tempelglocke.
»Eure Hoheit, das habe ich«, erwiderte Aurun, entschlossen, sich vor seinen Leuten nicht
einschüchtern zu lassen. »Doch der Bote war verwundet und verwirrt. Was er sagte, ergab
keinen Sinn. Ich fürchte, er überlebte nicht länger als ein paar Tage. Selbst, wenn er überlebt
hätte, hätte ich dem Befehl nicht nachkommen können.«
Der Fürst starrte einen Moment auf Aurun herab. Sie befanden sich außerhalb der Festung,
nahe der Stelle, wo sich der Wyndgang zum weit klaffenden Nordtor erhob. Die Ödstätten
waren eine der größten Festungen des Fürstentums und standen nur dem Palast des Fürsten
selbst nach, der Verharrenden Feste. Das Licht der Unbegrabenen drang durch die Wände und
blitzte auf den Sensen der Ritter, was es Aurun schwer machte, den Fürsten zu sehen. Er
musste eine Hand heben, um seine Augen abzuschirmen. Die verzweifelten Schreie der
Gekerkerten erklangen aus den Käfigen, erbärmlich und zerrüttet kreischten sie um Gnade.
Aurun wusste, dass sie nur ihren Atem verschwendeten. Fürst Volant war für viele Dinge
bekannt, doch Gnade gehörte nicht dazu.
»Wir sind einen langen Weg geritten, um Euch zu erreichen, Lord Aurun«, warf einer der
Hauptleute des Fürsten ein.
Aurun starrte ihn an, schockiert, dass ein Untergebener so zwanglos das Wort an ihn
richtete.
Er unterdrückte eine zornige Antwort, da er sich bewusst war, dass der Fürst ihn noch
immer anblickte, und trat zurück, winkte die hoheitlichen Ritter durch das Tor des Tempels.
Er rief nach Stallknechten und Dienern, als die unsterblichen Reittiere hufklappernd an ihm
vorbeitrabten.
»Gebt mir ein paar Minuten«, sagte der Fürst, da seine Bediensteten ihn von dem Drachen
halfen. An Größe ermangelte es Aurun nicht, doch der Fürst überragte ihn mit seinen sechzehn
oder achtzehn Spannen und im vollen Prunk seiner lackierten Ebenholzrüstung. Seine Stimme
klang wie ein Echo aus einer Gruft. »Dann kommt mit mir in meine Räume. Uns bleiben nur
ein paar Stunden zu Vorbereitung.«
Verwirrt zögerte Aurun. Auf diesen Moment hatte er seit Jahren gewartet, doch jetzt, da er
gekommen war, ergab sich das alles nicht so, wie er erwartet hatte. Er verneigte sich und
wollte etwas antworten, als er sah, dass der Fürst bereits über den Hof davongeschritten war,
umschwirrt von einem Pulk von Dienern und Höflingen.
Corsos wirkte ebenso geschockt wie Aurun. »Ein paar Stunden, um uns auf was
vorzubereiten?«
Aurun schüttelte den Kopf. Die Marschkolonne der Ritter ritt noch immer auf den Platz ein,
und als sie vorbeigingen, bemerkte Aurun, dass viele von ihnen verletzt waren, ihre Rüstungen
zerschrammt und ramponiert, als hätten sie mit Tieren gekämpft. Ihre Gesichter waren mit
Blut bespritzt, das sich hart und erschreckend rot von ihrer knochenweißen Haut abhob, und
einige sahen kaum besser aus als die Gefangenen, die über ihren Köpfen hingen. Noch
schockierender war allerdings ihre Anzahl.
»Sind das alle?«, flüsterte Corsos, seine Augen geweitet, während er sich auf seinen
Knochenstab lehnte und durch das Tor spähte.
Sie beide blickten erschüttert drein, als sie begriffen, dass keine weiteren Ritter mehr den
Wyndgang herab folgten.
»Das sind kaum zwei Dutzend Leute«, sagte Aurun und schüttelte den Kopf. »Ich dachte,
das sollte die größte Heerschar sein, die jemals aus der Verharrenden Feste ausgeritten ist.
Haben dir die Unbegrabenen nichts davon mitgeteilt? Haben sie die Lage des Fürsten nicht
erwähnt?«
Corsos wirkte unbehaglich. »Nichts. Aber du weißt, was ich dir schon berichtet habe. Sie
sind besorgt und merkwürdig. Sie sprechen nicht mit Stimmen, die ich gewohnt bin. Das letzte
Mal, als ich zu ihnen betete, da waren sie –«
Mit einer Handbewegung brachte Lord Aurun ihn zum Schweigen, da er die Besorgnis
seines Freundes bereits kannte. »Es ist gleich. Wir sind vorbereitet.« Wenn die Reihen des
Fürsten derart gelichtet waren, dann würde ihm das tatsächlich nur noch mehr Gelegenheit
geben, zu zeigen, wozu die Leute der Ödstätten in der Lage waren. »Lass nicht zu, dass
dadurch die üblichen Observanzien gestört werden. Stell sicher, dass sich jeder wie üblich
zum Grabtuchsang findet. Hol die Schildgedichte aus dem Reliquienschrein und wähle etwas
Angemessenes aus. Ich spreche mit dem Fürsten. Wenn er erfährt, wie wir uns für diesen Tag
vorbereitet haben, wird er sich uns anschließen und mit uns singen wollen.«
Corsos verneigte sich. Er wandte sich zum Gehen, zögerte aber. »Mein Lord«, sagte er und
nickte zu den verwundeten Rittern hin. »Dies muss etwas mit dem zu tun haben, was die
anderen Tempel hat verschwinden lassen. Der Fürst muss hierhergekommen sein, weil wir –«
»Was bei den anderen Tempeln geschehen ist, wird hier nicht geschehen.« Aurun hob das
Kinn. »Wir sind anders.« Der hochmütige Ton Fürst Volants hatte ihm einen neuen Schub der
Entschlossenheit verliehen. »Dies sind die Ödstätten. Die Nachlässigkeit anderer wird uns
nicht in Verwirrung treiben. Wir werden unsere Posten nicht verlassen, weil andere sich nicht
um die ihren kümmern können.«
Corsos nickte, schien jedoch unfähig seinen Blick von der Dunkelheit zu reißen.
»Corsos!«, rief Aurun, während er zurück zum Tempel eilte. »Bereite die Schilde. Sammle
den Chor.«

»Sie sind fort?« Aurun fand einen Stuhl, setzte sich darauf und starrte auf den Boden, während
sein Atem sich beschleunigte.
Die Diener hatten den Fürsten in einem Raum an der Südseite der Festung mit einem Balkon
untergebracht, der über den Wyndgang hinausblickte. Von hier oben wirkte die große
Eisenbrücke wie ein von Raureif glitzernder Spinnwebenstrang, der über einem eingefrorenen
Sturm in der Brise wehte. Volants Berater warteten draußen auf dem Gang und die beiden
Ritter waren alleine.
»Fort«, wiederholte der Fürst. »Beinah die Hälfte unserer Festen. Zweiunddreißig
Vorsteher.« Seine Stimme war steif. Er hatte seinen zeremoniellen Helm abgenommen und
sein Gesicht war markant – blass und hart mit brutalen, kantigen Zügen. »So viele Seelen, die
wir niemals wieder bergen werden.«
Aurun schüttelte den Kopf, benommen vom Ausmaß der Niederlage. Seine Brust fühlte sich
eng an. »Es muss einen Weg geben. Ihr seid der Dämmerfürst. Sicher seid Ihr doch in der
Lage –«
»Sie sind fort. Ihr wisst, warum diese Tempel errichtet wurden, Lord Aurun. Wenn unsere
Vorfahren nicht mit den Vorstehern verankert sind, dann gehen sie den Weg jeder anderen
Seele auch.« Der Fürst hatte sich unbeholfen in den Sessel Aurun gegenüber gequetscht und
seine Stimme klang gefährlich leise. »Sie gehen in den Nadir, Aurun. Zum Nekromanten. Sie
gehen zu Nagash.«
Aurun packte die Lehnen seines Sitzes. Es war selten, dass jemand den Namen des
Seelendiebes so offen benutzte. »Aber wie? Der Eiserne Schleier hat uns doch all die Zeit
verborgen gehalten. Selbst als die anderen Fürstentümer fielen. Warum sind wir jetzt in
Gefahr?«
»Die Macht des Großen Nekromanten ist gewachsen. Die Unbegrabenen wollten mich
warnen, doch Nagashs Macht hat ihre Stimmen gedämpft und meine Vision getrübt. Ich
wusste, es gab ein Problem, doch ich dachte, ich hätte noch Zeit. Ich dachte, ich wäre noch
immer in der Lage, mein Werk zu vollenden. Der Nekromant hat einen Akt gewaltiger
Hexerei vollbracht, Aurun. Die Unbegrabenen zeigten mir eine auf den Kopf gekehrte
schwarze Pyramide, die die Seelen aus dem Himmel riss. Nach all diesen Jahrhunderten hat
der Nekromant sein letztes Blatt ausgespielt.« Flammen zerplatzen im Kamin neben ihnen und
Volant starrte ins Feuer. »Dies ist Todesmagie. Was immer er getan hat, es ist zu machtvoll
für den Eisernen Schleier. Nichts ist mehr sicher, nicht einmal Morbium.«
Aurun dachte an das kleine Mädchen auf dem Wagen, dort draußen auf den Wyndgängen,
mit nur einem halben Dutzend der Grabwacht zu ihrem Schutz.
Fürst Volant beugte sich näher heran. »Mein Bote hätte all dies erklären sollen. Warum seid
ihr noch immer hier?« Die beiden Männer hatten sich bereits zuvor getroffen, als Kinder, in
der Verharrenden Feste, doch Volant zeigte kein Zeichen, dass er Aurun erkannte. »Warum
habt Ihr nicht gehandelt?«, wollte er wissen.
»Euer Bote sprach von Reißern, die Tempel zerstörten, aber das ist nichts, worüber wir uns
hier sorgen müssten. Wir haben die gleichen unbestimmten Warnungen gehört wie Ihr, mein
Fürst, und wir haben uns seit Monaten vorbereitet.« Er klopfte auf seine Rüstung. Es war eine
neue Ausführung, die von Auruns Handwerkern geschickt gestaltet worden war, wunderschön
graviert und mit weißen Edelsteinen besetzt. »Wir haben unsere Verteidigung verbessert und
verstärkt, Eure Hoheit. Die Ödstätten wurden in jeder Hinsicht gehärtet und bereit gemacht.
Ihr habt uns noch nie im Einsatz gesehen, doch nun werde ich Euch zeigen, wozu ein
Vorsteher fähig ist. Kein Reißer kann hoffen, diese Mauern zu durchbrechen, egal, was
Nagash auch getan hat.«
Der Fürst musterte ihn schweigend, doch Aurun bemerkte, dass er die Lehnen seines Sessels
so fest packte, dass das Holz zu knarren anfing.
»Wo sind sie hergekommen?«, fragte Aurun. »Ich habe von einem gelegentlichen Ausbruch
von Fleischfressern gehört, aber noch nie, dass ganze Armeen ins Fürstentum eingedrungen
sind.«
Der Fürst blickte ihn einen Moment länger an und erwiderte dann mit der gleichen leisen
Stimme, »Der Eiserne Schleier wurde beschädigt. Morbium wurde den anderen Fürstentümern
sichtbar – Länder, die schon vom Nekromanten entweiht wurden, bevor Ihr oder ich geboren
wurden. Die Reißer können uns jetzt sehen. Sie können unsere Grenze überqueren, als wären
wir nur irgendein beliebiges Gebiet. Sie sind die Wyndgänge entlanggezogen, haben die
Torwächter ermordet. Sie sind eine Seuche, die sich über die Fürstentümer verbreitet und alles
verschlingt. Unsere Vorfahren bedeuten ihnen nichts. Sie sind wahnsinnig.«
Aurun fühlte, wie die Dunkelheit auf ihn eindrängte und ihn ersticken wollte. Dann
erinnerte er sich an die Legionen von Männern, die er trainiert und bewaffnet hatte. »Wir
können sie aufhalten, Eure Hoheit. Diese Invasion wird in den Ödstätten aufhören. Und der
Sieg wird umso süßer mit Euch an meiner Seite sein. Eure Fertigkeiten sind denen des
Nekromanten gewachsen. Ihr seid der Dämmerfürst. Die Weisheit der Unbegrabenen liegt in
Eurem Blut. Ihre Macht liegt in Euren Händen.«
»Ich bin kein Gott. Ich bin keinem Gott gewachsen. Die Macht, die ich habe, ist an die
Verharrende Feste gebunden. Außerhalb meines Palastes kann ich wenig tun.« Volants
Stimme klang immer noch neutral und Aurun konnte nicht erahnen, was der Fürst fühlte. War
er wütend oder erleichtert?
»Ich beabsichtige, jede Seele im Fürstentum zu sammeln und mit ihnen in die Hauptstadt
zurückzukehren.« Etwas von der Steifheit war aus seiner Stimme gewichen und er hörte sich
nur noch wie ein erschöpfter Mann an. »Ich habe Hunderte meiner getreuen hoheitlichen
Grabwacht verloren.«
»Ist er hier? Ist Nagash in Morbium?«
»Nein. Die Reißer sind Tiere. Sie sind widerwärtige, unmenschliche Dinge. Doch sie bluten
und sie sterben. Sie sind nicht aus Nekromantie geboren. Vielleicht leisten sie Nagash eine Art
Gefolgschaft, aber sie sind zu wild und ungezähmt, um ihm wahre Verbündete zu sein. Sie
dienen nichts außer ihrem eigenen abscheulichen Hunger. Wenn der Blick des Großen
Nekromanten auf uns gefallen wäre, würden wir uns eher Gespensterheeren als diesen
geistlosen Fleischessern gegenübersehen. Seine Hexerei hat unsere Tore einstürzen lassen,
doch sie war nicht gezielt gegen uns gerichtet. Er hat eine große Macht beschworen und sie
auf die ganzen Unterwelten losgelassen. Ganz Shyish. Ich glaube nicht einmal, dass er unsere
Existenz schon bemerkt hat. Die Reißer sind Barbaren. Sie haben keine Ahnung, was sie
gefunden haben.« Volant zuckte die Schultern und goss sich einen Becher Wein ein. »Aber
trotzdem werden sie uns zerstören.«
»Uns zerstören? Wie könnt Ihr so etwas sagen?«
Der Fürst zögerte, schüttelte dann den Kopf und der kalte, flache Ton kehrte in seine
Stimme zurück. »Hier auf den Wyndgängen kann ich wenig tun, aber in der Hauptstadt ist das
etwas anderes. Mit der Hilfe der Hohepriesterin Lhosia habe ich an einer neuen Verteidigung
gearbeitet, einem neuen Eisernen Schleier. Wir können vielleicht nicht mehr das gesamte
Morbium schützen, doch habe ich einen Weg entdeckt, die Unbegrabenen in der Hauptstadt zu
verstecken, sogar vor dieser neuen Macht, welche der Nekromant besitzt. Ich habe ihr ein
mächtiges Relikt namens Leichentuchstein gegeben. Derzeit überprüft sie unsere
Verteidigungsanlagen, doch ich habe die Unbegrabenen in der Verharrenden Fest gesammelt,
dass ich bei ihrer Rückkehr ihre Seelen durch den Stein und Lhosias Rituale nutzen und
bewahren kann.« Er leerte seinen Wein und goss sich einen weiteren Becher ein. »Ich habe
Kunde zu allen Tempeln entsandt. Jeder, der noch dazu in der Lage ist, ist zur Hauptstadt
unterwegs. Alle Vorsteher wurden vernichtet oder verlassen.« Er hielt inne. »Außer Eurem.«
»Darum sind also die Lichter erloschen?« Aurun sah hinaus in die Dunkelheit. »Die
Grabwacht hat die Unbegrabenen zurück in die Hauptstadt geschafft?«
»Ihr hört mir nicht zu. Die Hälfte der Festungen wurden zerstört. Sie sind in der Abendflut
versunken. Die Seelen sind dahin. In den Netzen des Nekromanten gefangen. Und ohne dass
die Seelen der Vorfahren ihnen weiter Auftrieb verleihen, sind die Vorsteher in den toten
Wassern versunken.« Der Fürst schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht dafür einstehen, dass
jeder, der geflohen ist, auch die Verharrende Fest erreicht. Die Reißer sind zu zahlreich. Sie
haben viele der Wyndgänge genommen. Selbst die Grabwacht wird hart zu kämpfen haben,
um die Brücken zu überqueren, besonders da sie die Last der Schreine unserer Vorfahren
tragen.«
Aurun schüttelte den Kopf. Nur der Gedanke an die in Käfigen gefangenen Leichen dort
draußen, hinderte ihn daran, ungläubig aufzulachen. »Das kann nicht sein, Eure Hoheit. Ihr
wollt, dass ich Euch glaube, dass im Verlauf weniger Wochen Morbium den Weg von
uneinnehmbar zu besiegt genommen hat. Das Fürstentum hat dem Nekromanten seit
Jahrhunderten getrotzt. Wie kann es da so leicht zusammengebrochen sein?«
Fürst Volant nippte an seinem Wein und musterte Aurun über den Rand seines Bechers.
»Als Nächstes sind die Reißer hierher unterwegs«, sagte er, die Frage ignorierend. »Überall,
wo wir hinkamen, erhielten wir Nachricht von ihnen. Eures ist das letzte Licht am Himmel.
Sie werden Euch angreifen.«
»Und das habt Ihr gemeint, als Ihr sagtet, wir hätten nur ein paar Stunden, um uns
vorzubereiten. Warum sitzen wir dann hier? Ich werde die Grabwacht zusammenrufen und die
Ballisten vorbereiten. Die Bogenschützen sind bereits versammelt. Ich werde die Verteidigung
vorbereiten.«
»Ihr hört mit nicht zu. Es gibt keine Verteidigung. Nicht hier draußen auf den Wyndgängen.
Ihr werdet in die Verharrende Feste zurückkehren. Ihr alle, Lebende und Unbegrabene. Ihr
habt ein paar Stunden, um Euch auf die Reise vorzubereiten und die notwendigen Riten zu
vollführen.« Der Fürst sah sich im Zimmer um. »Die Ödstätten sind eine der größten
Zitadellen des Fürstentums. Ihr habt hier Hunderte von Unbegrabenen in diesen zwölf
Kokons. Vielleicht sogar Tausende. Ich werde nicht riskieren, sie zu verlieren.«
Aurun richtete sich in seinem Stuhl auf, versuchte, die düstere Atmosphäre abzuschütteln,
die Volant heraufbeschworen hatte.
»Es ist unmöglich«, sagte er und hob seine Stimme. »Wir können die Unbegrabenen nicht
bewegen.«
Volants Augen flackerten und die Armlehnen seines Sessels knarrten. »In ein paar Stunden
nur werdet Ihr belagert werden. Reißer werden Euch abschlachten und dann die
Trennungskammern zerstören. Jede Seele in dieser Festung wird verloren sein.«
Aurun war entsetzt über die düstere Art des Fürsten. Wie konnte nur jemand derart ohne
Ehrgeiz, ohne Glauben, Morbium regieren? Er fragte sich, ob diese Verzweiflung, diese
Schwarzseherei vielleicht der Grund des ganzen Problems war. »Ihr versteht nicht, Eure
Hoheit. Es ist nicht möglich, die Unbegrabenen zu bewegen. Und selbst, wenn es das wäre, es
bestände dazu keine Notwendigkeit.«
Fürst Volant erhob sich, seine Miene starr, als er über Aurun aufragte, und seine massive
Gestalt war in den engen Begrenzungen des Raums nur umso beeindruckender. »Jeder
Edelmann in Morbium hat getan, was ich befohlen habe. Jeder ist zur Verharrenden Feste
unterwegs. Nur Ihr wollt mir nicht gehorchen. Nur Ihr seid hier auf den Wyndgängen
zurückgeblieben, weit außerhalb meines Einflussbereichs, und gefährdet die Seelen, die ich
Euch anvertraut habe. Was ist der Grund, Aurun? Und warum erhielten wir während all dieser
Zeit keine Kunde von Euch? Gibt es etwas, was Ihr verbergen wollt?«
Aurun erhob sich und blickte ihn an. »Bezichtigt Ihr mich etwa des Verrats, Eure Hoheit?«
»Warum seid Ihr noch immer hier?«
Aurun schüttelte den Kopf und kämpfte seinen Zorn nieder. Dann winkte er zur Tür hin.
»Lasst es mich Euch zeigen.«

Die innersten Wendel der Festung waren wie die Kammern einer Muschel, sich windend und
schimmernd gruben sie sich tiefer und tiefer unter die Oberfläche der Abendflut. Die
Vorsteher waren nicht durch Werkzeuge und Hände errichtet worden, sondern durch die
Hexerei eines früheren Zeitalters, als die Götter noch immer gegen die Verderbten Mächte
kämpften und ihre Ergebenen selbst die wütendsten Ätherstürme bändigen konnten. Sie waren
Knochenkonstruktionen, blasse, durchscheinende Gefäße, aus der Luft gewoben und dazu
gebracht, in einem leblosen Meer zu schweben.
Während nun die Bediensteten des Fürsten durch die Straßen eilten, wurden ihre Fackeln
schnell überflüssig. Das elfenbeinerne Licht, das aus den Wänden strahlte, wurde stärker, je
näher sie dem Herz der Ödstätten kamen. Die Kälte wuchs, je tiefer sie stiegen, und die
klamme Luft schmeckte nach Salz. Aurun gab mit Fürst Volant an seiner Seite den Führer ab.
Vor ihnen ging der ältliche Priester, Corsos, mit einer Phalanx der Grabwacht, deren
Rüstungen im Knochenlicht schimmerten.
An jeder Kreuzung trafen sie auf ein Paar von Priestern, die in die weißen Roben ihres
Ordens gekleidet waren, doch Corsos winkte sie mit seinem Knochenstab beiseite und
murmelte Gebete, während die Wachen sie in die innersten Bereiche der Festung vordringen
ließen. Schließlich erreichten sie ein Gebäude, das sogar noch größer als die vorherigen und
aus dem gleichen kunstvoll geschnitzten Knochen erbaut war, aber so hell leuchtete, dass
Corsos blinzeln musste, als er die Tür aufschob.
Sie betraten eine weite kreisförmige Halle mit gebogenen, rückgratartigen Säulen, die sich
entlang der Wände erstreckten und in einem lodernden Inferno amethystfarbenen Lichts
verschwanden. Der Glanz war so stark, dass man darin nur die Umrisse von zwölf Kokons, die
über ihnen hingen, erkennen konnte. Sie waren umwebt von einem Labyrinth aus Rohren,
Ketten und Kabeln, die allesamt schimmerten.
Fürst Volant schritt in die Mitte der Halle und seine eisenbeschlagenen Stiefel klapperten
über den knöchernen Boden, während er ins Licht hinaufschaute.
»Die Ödstätten sind anders als die anderen Vorsteher«, sagte Lord Aurun und winkte hoch
zu den Maschinen. »Die Unbegrabenen sind in die Wände eingebunden. Zwölf Schreine sind
Teil des Fundaments. Diese Gerätschaften wurden von den Kharadron im Anbeginn des
Fürstentums entworfen.«
Volant schüttelte den Kopf. »Denkt Ihr, ich kenne mein eigenes Fürstentum nicht, Aurun?
Habt Ihr gedacht, ich wüsste nichts darüber, wie die Ödstätten entworfen wurden? Entfernt die
Unbegrabenen aus diesen Maschinen.«
»Aber Fürst –«, begann Aurun.
Volant fiel ihm ins Wort. »Es gibt keinen anderen Weg. Schafft so viele Ihr nur könnt aus
der Stadt heraus, dann entfernt die Unbegrabenen von ihrem Platz. Die Zeit wird reichen, aus
der Festung zu fliehen, bevor sie versinkt.«
Aurun war zu wütend, um zu reagieren, also sprach Corsos für ihn.
»Fürst Volant, vergebt mir, aber es gibt keine Möglichkeit, die Unbegrabenen aus ihren
Maschinen zu entfernen. Diese Gerätschaften sind fremdartig und alt. Ihre Art und Weise ist
selbst den Unbegrabenen ein Rätsel. Nur der Duardin, der diese Halle erbaut hat, könnte sie
daraus entfernen. Wenn wir die Ödstätten aufgeben, dann lassen wir die Unbegrabenen im
Stich.«
Volant starrte ihn an und wandte sich dann an einen seiner eigenen Priester.
Der Mann wirkte panisch. »Dontidae Corsos ist in den Angelegenheiten der Unbegrabenen
hochgelehrt. Wenn er dies sagt, dann muss es so sein.«
Einige Augenblicke blieb Fürst Volant stumm und starrte zu den Maschinen und den darin
eingebetteten Kokons hoch. »Wie viele sind es?«, sagte er schließlich mit einer Stimme, die
viel stiller war als zuvor.
»Unbegrabene?«, fragte Lord Aurun. »In allen zwölf Kokons? Das müssen über tausend
sein.«
Volant schloss die Augen.
Aurun bemühte sich, seine Genugtuung zu verbergen. »Eure Hoheit. Wir sind auf so etwas
vorbereitet. Jeden, der nicht gebraucht wird, haben wir fortgesandt. Diese Festung ist bereit
für den Krieg. Wir sind auf alles vorbereitet, was die Reißer uns entgegenwerfen mögen.«
Volants Stimme klang hohl. »Zeigt es mir.«
Sie verließen die Trennungskammern und zehn Minuten später kletterte sie hoch in die
Rippen der Festung und riefen dadurch einen lautstarken Tumult hervor, da weißgewandete
Priester und schwarz gerüstete Grabwacht auf die Knie fielen und im Vorbeiziehen des
Fürsten Gebete flüsterten.
Als sie dann die Zinnen erreicht hatten, inspizierte Fürst Volant die
Verteidigungsmaßnahmen, indem er die Reihen der Männer auf und ab ging. Er überragte sie
wie ein Halbgott, während er neue Befehle ausgab und die Kriegsmaschinen neu ausrichten
ließ.
»Ein trefflicher Anblick«, sprach Corsos leise in Auruns Ohr, als sie die Reihen der Ritter
begutachteten. Aus den anderen Vorstehern waren den ganzen Tag über Verstärkungstrupps
eingetroffen und dies war die größte Heerschau, die jeder von ihnen je gesehen hatte. Neben
den Rittern gab es auch Reihen von Bogenschützen, die in eine leichtere Ausgabe der
schwarzen Grabwachtrüstung gekleidet waren, mit weißen Federn an ihren Kappen anstelle
der gefiederten Mäntel, welche die Ritter trugen.
Aurun nickte, doch sein Blick kehrte immer wieder zu Fürst Volants Rittern zurück. Volant
hatte sie direkt über dem Haupttor in die Festung postiert und als sie Aufstellung bezogen,
stand Aurun nah genug, um zu sehen, mit welch wilder Heftigkeit sie angegriffen worden
waren. Die Rüstungen der Grabwacht waren aus dickem, lackiertem Leder gefertigt, das so
kunstfertig behandelt worden war, dass es stahlharte Platten abgab. Doch sie waren nicht fest
genug gewesen, die Männer des Fürsten zu schützen. Ihre schwingenförmigen Schilde waren
eingebeult und ihre Rüstungen zerrissen, sodass sie tiefe, blutige Wunden enthüllten.
»Wie können Reißer das tun?«, fragte er, als der Fürst wieder an seine Seite zurückkehrte.
»Was?«
Aurun nickte zu den verwundeten Rittern hin. »Welche Waffen verwenden sie, die durch
unsere Panzerung dringen können?«
Volant schüttelte den Kopf. »Keine Waffen. Nur nackte Wut. Sie sind wahnsinnig. Das
verleiht ihnen widernatürliche Kraft.«
Volant sah sich stirnrunzelnd um. »Wo ist der Rest Eurer Männer?«
Aurun nickte und versuchte seinen Stolz zu verbergen. »Das ist kaum ein Drittel unserer
Reserven, Dämmerfürst. Ich habe den Großteil unserer Armee draußen auf dem Wyndgang
aufgestellt.« Er nickte zu dem Torhaus hinüber, das die Straße etwa eine halbe Meile vor den
Stadttoren absperrte. »Der Zugang zur Festung ist nur etwa zweihundert Spannen breit. Dort
wird es einen Engpass geben. Meine Leute werden in der Lage sein, auf einem solch engen
Raum die Reißer so lange wie nötig zurückzuhalten.« Er lächelte. »Währenddessen werden
meine Bogenschützen sie abschlachten. Sie werden die Festung nicht einmal erreichen.«
Fürst Volant blickte Aurun an. »Ihr werdet sie zurückrufen müssen.«
Eine Glocke erklang in einem der Türme.
»Zu spät«, murmelte Volant in betäubtem Ton.
»Was meint Ihr damit?«, fragte Aurun. »Zu spät? Zu spät für was?«
Der Fürst ignorierte ihn, stapfte über die Mauern und lehnte sich in die Nacht hinaus.
Ein Schweigen fiel über die Reihen von Rittern, als sie alle in die Dunkelheit hinausspähten
und sich mühten, zu erkennen, was den Alarm ausgelöst haben mochte.
Die Glocke erklang erneut, gefolgt von einer anderen, weiter entlang der Mauer, dann fiel
ein weiteres Dutzend ein, bis die ganze Festung vom Klang der Alarmglocken widerhallte.
»Das Meer bewegt sich«, murmelte Corsos verwirrt. Die schwarzen Wellen hatten begonnen
sich meilenweit in jede Richtung hin zu kräuseln und zu wogen. »Wie das? Die Abendflut ist
fest. Wie kann sie sich wie ein normales Meer bewegen?«
»Das ist nicht das Meer«, erwiderte Volant.
»Was meint Ihr …?« Aurun verstummte, als er begriff. Der ganze Ozean, jede Meile der
Abendflut wimmelte vor Massen von Gestalten. Tausende von Reißern stürmten wie eine Flut
durch die Dunkelheit.
»Sie nutzen nicht die Wyndgänge«, stieß Corsos stimmlos hervor und fasst seinen
Knochenstab, als würde er gleich zusammenbrechen. »Sie überqueren das Meer.«
»Wie?«, rief Aurun, als die dunklen Legionen wie ein Ölteppich am Torhaus
vorbeiströmten. »Es ist unmöglich, über die Abendflut zu gehen!«
»Warum?«, sagte Fürst Volant und klang trotz des Schreckens dieses Schauspiels unter
ihnen ruhig.
»Weil das den Wahnsinn bedeutet. Niemand kann die Abendflut berühren, ohne den
Verstand zu verlieren.«
»Wie bricht man einen Geist, der schon zerschlagen wurde?«
Aurun stierte auf das Meer und versuchte die Anzahl zu begreifen, doch der Fürst stieg ein
paar Stufen hoch, sodass er nur noch mehr wie ein Riese wirkte und hob seine Sense hoch in
die Luft. »Die Ahnen sind mit uns!«, rief er. Auf irgendeine Weise schien seine Stimme
verstärkt, sodass jeder Soldat und Ritter auf den Mauern sich ihm zuwandte. »Sie sind in
unseren Herzen! In unseren Klingen! Jede Generation von Erebid ist auf diesen Mauern. Diese
gottlosen Geschöpfe haben keine Ahnung, was sie erwartet. Ich bin hierhergekommen, weil
dies der Ort ist, wo der Krieg gewonnen wird!«
Die Stimme des Fürsten erschallte mit solcher Überzeugungskraft, dass Aurun ihm beinah
glaubte, selbst da er wusste, dass der Fürst nur hierhergekommen war, um den Rückzug
anzuordnen.
»Dies ist der Ort unseres Kampfes!«, donnerte der Fürst. »Heute werden wir diesen Frevel
beenden. Heute werden wir die Reißer davonjagen!«
Die Soldaten auf den Mauern erhoben ihre Sensen und brüllten voll rechtschaffener Wut auf
und ihre Furcht war vergessen.
Aurun blieb stumm. Während die Ritter im Glanz der Aussicht schwelgten, zusammen mit
ihrem Fürsten zu kämpfen, beobachtete Aurun, wie das Torhaus in einer halben Meile
Entfernung unter der gigantischen Flutwelle grauer, wildwütiger Körper verschwand.
»Schau sie dir an«, flüsterte er und starrte auf die Flut der Ghule, die auf ihn zustürzte.
»Schau dir ihn an«, sagte Corsos und nickte zum Fürsten hin.
Volant war zu seinem Skelettross zurückgekehrt und kletterte in den Sattel. Den Kopf
zurückgeworfen und die Sense erhoben, während sein Reittier sich unter ihm aufbäumte,
wirkte er wie eine Gestalt aus den Legenden.
»Grabwacht, in den Kampf!«, brüllte er, als das Skelett mit seinen fleischlosen Schwingen
ausschlug und sich in den Himmel warf.
Entlang der ganzen Mauer trieb Volants Ehrengarde ihre Reittiere von der Festung hoch,
sodass sie mit flatternden Wimpeln in die Dunkelheit glitten.
Die Skelettrösser jagten in Formation dahin wie eine einzige gewaltige Schlange, tauchten
dann ab und stürzten auf den Wyndgang und die Schlacht um das Torhaus hinab.
Beeindruckt von diesem Anblick schüttelte Aurun den Kopf. Dann richtete er sich gerade
auf, klopfte sich seine Rüstung ab und begann durch die Reihen seiner Ritter zu marschieren.
Sein erster Schock klang allmählich ab. Nichts hatte sich geändert. Sie waren darauf
vorbereitet. »Macht die Ballisten fertig!«, schrie er und schwenkte seine Sense in Richtung der
Türme entlang der Mauern. Kriegsmaschinen rollten grollend hervor – riesige eiserne
Bolzenwerfer, die mit Knochenflügeln verziert waren, damit sie den Motten glichen, die
ständig über ihren Köpfen schwirrten.
»Ladet die Fässer!«, rief er und riesige rauchende Ölfässer wurden entlang der Mauern in
ihre Führungen eingerastet.
»Bogenschützen, legt an!« Hunderte von Bogenschützen eilten an den Rittern vorbei,
machten ihre Waffen bereit und zielten auf die Massen, die auf die Mauern anbrandeten.
Aurun schämte sich, weil er beim Anblick der Reißer ins Zaudern geraten war. Der
Dämmerfürst hatte sich, trotz der Tatsache, dass er hier niemals seine Schlacht hatte schlagen
wollen, mit Tapferkeit und Entschlossenheit in die Lüfte erhoben. Nichts von alldem hier war,
wie Volant es beabsichtigt hatte, doch er hatte seine Leute mit so viel Zuversicht angetrieben,
als wäre dies hier seit Monaten so geplant. Aurun entschloss sich, das Gleiche zu tun.
Während er hin und her schritt und seine Befehle brüllte, wuchs seine Entschlossenheit an.
Die Unbegrabenen konnten nicht bewegt werden, doch man würde sie auch nicht im Stich
lassen.
Corsos stolperte ihm hinterher, den Knochenstab im Griff. Er hatte gerade seinen Mund
geöffnet, um etwas zu sagen, als er anhielt und in die Dunkelheit spähte.
Die Schlacht beim Torhaus wütete und der Lärm hallte über die Abendflut, doch Corsos
runzelte die Stirn und hielt eine Hand ans Ohr. »Was ist das?«, rief er.
Aurun hielt inne und lauschte. »Was?« Alles, was er hören konnte, war der Schlachtlärm
und die Glocken, die hinter ihm ertönten.
Corsos hob einen Finger, um ihn zum Schweigen zu bringen, während er noch immer
angestrengt lauschte.
Dann hörte Aurun es – ein dünnes, heulendes Kreischen.
»Was ist das?«, murmelte er.
Ein Hauptmann kam zu ihm geeilt, bat ihn um Klarstellung seiner Befehle. Aurun
beantwortete seine Anfrage, und als der Hauptmann dann gegangen war, war das Kreischen
viel klarer. Es wurde rasch lauter und etwas daran ließ ihm das Blut gefrieren. Es wirkte wie
Dutzende gemarterter Stimmen, die alle miteinander heulten.
Er zuckte die Achseln und versuchte, das Geräusch zu ignorieren, da er sah, dass die Reißer,
die nicht das Torhaus angriffen, inzwischen den Fuß der Festungsmauern erreicht hatten und
begannen, ihre gebogenen, klauengleichen Strebepfeiler zu ersteigen.
»Auf meinen Befehl!«, rief er den Bogenschützen zu.
Die Reißer bewegten sich mit unglaublicher Geschwindigkeit, krabbelten wie Spinnen, die
aus einem Ei platzten, die Mauern empor und schwärmten, ohne dass sie dazu Seile oder
Haken brauchten, auf sie zu. Ihr Anblick erfüllte Aurun mit Abscheu. Dies waren Geschöpfe
ohne Seele. Wesen ohne Geist. Nur Gefäße eines grotesken Hungers und sonst nichts. Er hielt
seinen Hass im Zaum, hielt seine Hand erhoben, bis er sicher war, dass sie leichte Ziele
abgaben. Dann ließ er die Hand herabsausen und die Hölle losbrechen.
Ein Sturm von Pfeilen fräste sich durch die Reißer, zerriss ihr schlaffes Fleisch und fetzte
sie von den Mauern. Dutzende taumelten durch die Luft zurück, zogen Schwalle von Blut
hinter sich her und krachten in die Meute unter ihnen.
Während die Bogenschützen Welle um Welle von Pfeilen abschossen, wurde das
Kreischgeräusch so laut, dass manche von ihnen ihr Ziel verfehlten und beim Schießen
zusammenzuckten und fluchten.
»Da!«, sagte Corsos und deutete in die Ferne.
Eine Form raste durch die Wolken auf die Festung zu, ein groteskes Zerrbild des
Skelettreittiers des Fürsten. Statt einer eleganten Schlange aus glänzenden Knochen fand sich
hier ein hässliches, stumpfgesichtiges Ding mit ausgefransten, fleischigen Flügeln und
Eingeweidefetzen, die ihm aus der verheerten Brust baumelten. Es sah wie der Kadaver einer
gewaltigen Fledermaus aus, sein Maul war weit geöffnet, ließ lange, grausige Reißzähne
sehen und erfüllte die Luft mit seinem entsetzlichen Geschrei.
Als das Geräusch lauter wurde, begann Auruns Kopf heftig zu pochen und ein
überwältigendes Gefühl des Grauens packte ihn. Das Herz hämmerte in seiner Brust und seine
Hände fingen an zu zittern.
»Ein Terrorgheist«, stieß Corsos keuchend hervor.
Aurun schüttelte den Kopf im Versuch, das Geräusch loszuwerden. »Ein was?«
»Er wird uns in den Wahnsinn stürzen!«, schrie Corsos und bedeckte seine Ohren. »Das
Geräusch wird und in den Wahnsinn treiben!«
Aurun blickte die Mauern entlang und sah, dass einige der Bogenschützen von den Zinnen
fortgetaumelt waren, die Köpfe schüttelten und ihre Langbögen fallenließen. Selbst die Reihen
der Grabwacht hinter ihnen senkten ihre Sensen, griffen sich an die Köpfe und fluchten.
»Verstopft euch die Ohren!«, schrie Aurun. Er nahm sich Staub vom Boden, spuckte darauf
und stopfte ihn sich in die Ohren und winkte seinen Männern zu, es ihm gleichzutun. »Damit
ihr den Lärm nicht hört!«
Entlang der Mauern sanken Ritter und Soldaten auf die Knie, packten sich die Hände voll
Lehm und versuchten ihn sich in die Ohren zu stopfen.
Der Staub verringerte das Geräusch einen Moment lang, doch als der Terrorgheist näher auf
die Mauern zuraste, wurde es unerträglich.
»Feuert die Ballisten ab!«, schrie Aurun und die Leute in den Türmen mühten sich, seinem
Befehl nachzukommen und, während sie unter dem Lärm wankten, die Kriegsmaschinen so
gut wie möglich abzuschießen.
Die Bolzen pfiffen weit weg in die Wolken, während der Terrorgheist gegen die Zinnen
krachte, hoch auf die Mauerkrone stapfte, Knochen und Mauerwerk in alle Richtungen
fortschleuderte und die Soldaten, die Deckung suchend wegstürzten, wütend anbrüllte.
Das Monster war riesig – etwa zwanzig Schritt lang, mit enormen ledrigen Schwingen, die
heftig umherschlugen, während es versuchte auf der Mauer einen festen Halt zu finden.
Da die Bogenschützen auseinander stürzten, stürmte die Grabwacht auf die Kreatur zu, die
Sensen zum Angriff erhoben.
Das Monster warf ihnen einen Schrei entgegen, der wie ein körperlicher Angriff war und sie
taumeln und wanken ließ. Die meisten von ihnen konnten keinen Hieb anbringen, und die,
denen es gelang, hackten nur durch Fetzen toter, ausgefranster Haut.
Der Kopf des Terrorgheistes zuckte vor und fetzte durch die Ritter.
Aurun taumelte durch das Blutbad, wich bei seinem Versuch, an das Monster
heranzukommen, umherschwankenden Rittern aus.
Aus solcher Nähe war der Schrei grauenvoll. Es fühlte sich an, als würde er ihm den Kopf
zerreißen, und er rang um eine klare Sicht, denn seine Augen waren voller Tränen. Außerdem
war da noch der Übelkeit erregende Gestank, der aus dem sich bäumenden Kadaver des
Monsters drang. Mehrere der Ritter in Auruns Nähe krümmten sich zusammen und würgten
aufgrund des pestilenzartigen Gestanks.
Er kam an die Kreatur heran und brachte einen Hieb an, trieb ihr die Sense in die Brust. Die
Klinge drang mühelos durch die bloß liegenden Rippen, doch die Wunde zeigte keine
Wirkung. Der Terrorgheist schien ihn nicht einmal zu bemerken. Er ließ eine frische Leiche
aus seinem Maul fallen, tappte in den Pulk aus Bogenschützen und Rittern hinein, schloss
seine Kiefer um einen weiteren Mann und zerriss ihn in zwei Stücke.
Bevor Aurun jedoch erneut attackieren konnte, bäumte das Monster sich auf und ließ seinen
lautesten Schrei bisher ertönen.
Aurun stürzte auf die Knie, taub und so von Schmerz erfüllt, dass er nicht mehr sehen
konnte.
Weitere Ritter brachen rings um ihn zusammen, unfähig sich zu verteidigen, als das Monster
vorwärts sprang, fetzend und reißend, und die Luft mit Blut und Geheul erfüllte.
Der Schrei wurde lauter, bis Aurun sich schließlich zu einer Embryonalhaltung
zusammenkrümmte, seine Muskeln verkrampften, und der Atem ihm in der Brust stockte.
Seine Lungen brannten und sein nach Sauerstoff hungerndes Gehirn begann, sich auf sich
selbst zurückzuziehen. Die Schreie seiner Leute und das Kreischen des Terrorgheists
verklangen und wurden zu etwas weit Entferntem und Vagem, als würde er sich an seinen Tod
nur erinnern, statt ihn zu erleben.
Licht brannte sich in Auruns Geist und er sprach ein Gebet, um seinen Ahnen
entgegenzutreten. Dann, als das Licht anschwoll, erkannte er, dass der Schrei des
Terrorgheists stockte. Sein Augenlicht kehrte ebenfalls zurück. Er sah, dass das Licht nicht in
seinem Geist war, sondern durch die Mauern der Festung brannte. Es war das amethystfarbene
Feuer der Unbegrabenen.
Seine Muskeln lockerten sich genug, dass er atmen konnte, und er schaffte es, sich
aufzusetzen und sich umzusehen. Überall auf der Mauer kämpften sich die Männer hoch und
der Schrei schwächte sich ab, doch statt anzugreifen, starrten sie schockiert nach oben.
Der Dämmerfürst kreiste über ihren Köpfen.
Er hatte noch immer die Sense erhoben und war von den Unbegrabenen verwandelt worden.
Ihr Feuer war von den Mauern der Festung übergesprungen und hatte seine Rüstung
entzündet. Er brannte mit der Macht seiner Vorfahren.
Fürst Volant schlug mit seiner Sense aus und purpurnes Licht fetzte durch die Luft und
schmetterte ins Gesicht des Terrorgheists.
Das Monster stürzte nach hinten, schlug mit den Schwingen und versuchte, sich in dem
amythystfarbenen Feuer aufrechtzuhalten, dass auf sein Fleisch eintrommelte und es mit
Funken und Rauch umhüllte.
Der Terrorgheist katapultierte sich von der Mauer hoch und schloss seine Kiefer um den
Hals von Volants Reittier. Die geflügelten Giganten kreisten und stürzten, brüllten und
kreischten, während sie mit Zähnen und Klauen aufeinander losgingen.
»Die Mauern!«, schrie Aurun, als Dutzende von Gestalten über die Zinnen quollen. Er
fluchte, als er begriff, dass der Terrorgheist seinen Auftrag erfüllt hatte, was auch immer jetzt
mit ihm geschehen würde. Während er Auruns Leute beschäftigt gehalten hatte, waren die
Reißer über die Mauern geklettert und strömten jetzt in die Festung.
Er sammelte die Ritter in seiner Nähe um sich und führte sie zum Angriff, brüllte laut auf,
als er den ersten der Reißer, der ihn erreichte, niederstreckte.
Er war wie in Raserei und er war verzweifelt. Wie Tiere krallten die Reißer nach den Rittern
und es gab derart viele von ihnen, die mit einem Lärm aus Fauchen und Grunzen über die
Mauern strömten.
Aurun taumelte rückwärts, hieb und hackte und glitt im Blut aus. Die Ritter um ihn
kämpften mit der gleichen wütenden, stummen Entschlossenheit und schafften es, ihre
Stellung zu halten, bis dann jedoch eine massive Gestalt zwischen ihnen herunterkrachte und
die Mauern in einem heftigen Beben erzittern ließen, das alle zum Taumeln brachte.
Aurun riss sich aus dem Gedränge frei, stürmte hoch auf die Zinnen und sah, dass die zwei
geflügelten Monster zu Boden gestürzt waren.
Volant krachte auf die Mauer und rollte sich weg, während sein Reittier zusammenbrach
und in die andere Richtung stürzte.
Der Terrorgheist beugte sich zurück und öffnete sein blutiges Maul, bereitete sich auf einen
weiteren Schrei vor, doch Volants Rüstung loderte noch immer von der Macht seiner Ahnen
und durch seine Sense hindurch ließ er sie los und schleuderte sie.
Der Kopf des Terrorgheists zuckte zurück, und als er versuchte, die Flammen abzuschütteln,
stürzte Fürst Volant über die Mauer und trieb dem Monster die volle Länge seiner gebogenen
Klinge in den Schädel.
Die Kreatur ruckte hoch, versuchte den Fürsten wegzuschleudern, doch der hielt das Heft
seiner Sense in festem Griff und zerrte sie abwärts, dass sie den Kopf in zwei Teile trennte.
Bogenschützen und Grabwacht jubelten, als der Terrorgheist zu Boden stürzte, zuckte und
dann still lag.
Der Dämmerfürst wandte sich zu seinen Leuten um, während noch immer Licht von seiner
schwarzen Rüstung strahlte. Er reckte seine Sense hoch, dass Blutfäden von der Klinge
troffen, und seine Männer schrien nur noch lauter.
»Die Unbegrabenen sind mit uns!«, schrie Fürst Volant. »Jetzt und immerdar. Und wenn
diese Schlacht –«
Seine Worte verwandelten sich in ein gequältes Husten und er taumelte vorwärts.
Dann fiel er auf die Knie, sodass die Gestalt hinter ihm sichtbar wurde. Es war ein Reißer
und er hielt einen blutbefleckten Eisensplitter so lang wie sein Arm. Er stand über dem
Fürsten und keuchte hungrig, wollte sich auf ihn stürzen, doch Dutzende von Pfeilen warfen
ihn zurück, dass er im hohen Bogen von den Zinnen stürzte.
»Zum Fürsten!«, schrie Aurun auf, stürmte durch die Schlacht und kletterte die Leiche des
Terrorgheists empor.
Die Grabwacht formte einen Kreis um Volant und hielt die Wellen von Reißern zurück.
Während die Fleischfresser weiter in großen Massen über die Mauern stürzten und die
Verteidiger der Festung überfluteten, kniete Lord Aurun sich an Fürst Volants Seite und
packte seine blutige Rüstung.
Zuerst dachte er, der Fürst sei tot, doch dann hustete Volant, dass Blut aus dem Mundgitter
seines Helms spritzte.
Er schaffte es, sich hinzusetzen, und packte Auruns Arm. »Wir haben das Torhaus verloren.
Könnt Ihr die Mauer halten?«
Aurun nickte, warf dann einen Blick umher. »Nein«, gestand er ein. Er war entschlossen,
die gleiche Stärke zu zeigen wie der Fürst, doch er konnte nicht leugnen, was er hier sah.
Dank des Terrorgheists fluteten die Reißer ungehindert über die Zinnen. Neben jenen, die über
die Schießscharten kletterten, gab es auch solche mit Flügeln, die wie kleinere Versionen der
mächtigen Schwingen des Terrorgheists wirkten. Es gab keine Möglichkeit, die
Kriegsmaschinen oder das Öl zu benutzen. »Die Mauern sind verloren.«
Er dachte, der Fürst würde rasen vor Wut, doch der nickte nur einfach und zog Aurun näher
heran. »Schafft Eure Leute zu den Unbegrabenen. Ich brauche Zeit nachzudenken.« Er hustete
und versteifte sich vor Schmerz, dann packte er Aurun erneut und seine Stimme wurde fester.
»Kämpft um jedes Stück des Weges.«
KAPITEL DREIZEHN

DIE SIEGESFEIER

»Was ist mit uns geschehen?«, fragte Königin Nia. Sie saß an König Galans Seite am Kopf
der Festtafel. Die Lords Miach und Melvas sahen bei ihren Worten auf, doch Galan wusste,
dass sie mit ihm sprach. Der Krieg hatte etwas in ihrer Seele entzündet. Ihre Müdigkeit war
verschwunden, ihre Bitterkeit vergessen. Sie sah wunderschön aus – zwanzig Jahre jünger und
voller Stolz. Das Licht des Feuers glänzte in ihren Augen auf und er erkannte, dass er sich
nicht daran erinnern konnte, wann sie ihn das letzte Mal mit solcher Leidenschaft und Klarheit
angesehen hatte.
Er streckte die Hand aus und ergriff die ihre. »Was meinst du damit?«
Sie nickte zur Großen Halle hin. Sie waren umgeben von siegreichen Kriegern, Vasallen
und Verwandten, ihre Gesichter gerötet vom Wein und der Hitze des Feuers, ihre Augen
lodernd vor Stolz, während sie sie sich in ihren Stühlen zurücklehnten oder durch den Rauch
tanzten. »Wie haben wir das vergessen können?«, fragte sie. »Wie konnten wir nur vergessen
zu leben?«
Galan lachte und trank weiter von seinem Wein. »Es steht uns nicht an, das Warum und
Wann zu wählen. Der Große Wolf hat diesen Moment gewählt, um sein Rudel zu erwecken.
Wir müssen dankbar sein, dass er sich unserer erinnerte. Er steht hinter allem. Diese Rebellion
hätte ihn nicht überrascht. Ich glaube, er hat uns diese Verräter als eine Prüfung gesandt – eine
letzte Chance, unsere Stärke und Loyalität zu beweisen.«
Sie lächelte und drückte dabei seine Hand so fest, dass es schmerzte. »Ich liebe dich.«
Galan hob ihre Hand zu seinen Lippen und küsste ihre Finger. »Ich habe dich beim Tor
gesehen, meine Liebste. So tapfer. So wunderschön. Du sahst wie eine Göttin aus – wie die
wiedergeborene Netona.«
Sie errötete und sah fort, hob dann ihr Kinn und blickte stolz den Tisch hinab, das Bild einer
edlen Regentin. Jahrelang hatte sie sich in ihren Räumen versteckt, an einem Schmerz gelitten,
den er nicht zu stillen vermochte, der Qual, dass sie ihm keinen Erben schenken konnte, doch
jetzt wirkte sie, als hätte sie sich von dieser schrecklichen Bürde befreit, nicht länger
gekrümmt, nicht länger gebeugt. Die Falten in ihrem Gesicht wirkten nicht länger wie die
grausamen Wunden der Zeit, sondern wie Ehrenzeichen.
Galan wandte sich dem Krieger zu, der an seiner anderen Seite saß, Lord Melvas. »Was gibt
es Neues von Lord Curac?«
Melvas war vor Erschöpfung und vom Alkohol schläfrig, und sein Blick hing starr an den
Tänzern und Musikern am anderen Ende des Tisches. Er richtete sich auf und rieb sich das
Gesicht, rang darum, sich auf seinen König zu konzentrieren.
Galan lachte. »Niemand feiert so gut wie Ihr, alter Freund.«
Melvas schenkte ihm ein reumütiges Grinsen. »Ich habe bis heute Nacht gewartet, König
Galan. Danach werden wir zwei oder mehr Tage unterwegs sein. Bevor wir die Hauptstadt
erreichen, werde ich ausreichend Zeit haben, mich zu erholen.«
»Dann hat Curac gesiegt?«
Melvas grinste. »Fast. Es hat weniger als einen Tag gebraucht, die nördliche Burg zu
erreichen. Während wir hier reden, greift er an. Wenn sich die Verräter weigern, sich zu
ergeben, wird Curac ihnen genauso leicht die Köpfe nehmen wie allen anderen auch.«
»Dann braucht er unsere Hilfe nicht?«
»Nein, Eure Majestät.« Melvas leerte seinen Pokal und goss sich ein weiteres Glas Wein
ein. »Uns steht es frei, uns an den Früchten unserer Arbeit zu erfreuen. Und dann, am Morgen,
können wir in Richtung Hauptstadt aufbrechen.«
König Galan schloss die Augen und stellte sich das Bild vor. Wenn die Hunde Dinanns erst
der Hauptstadt erobert hatten, wäre das ganze Königreich wieder sein. Das Zeichen des
Wolfes würde über jeder Burg des Landes wehen und die Barden würden von dem Tag
singen, als König Galan und Königin Nia die Rebellen zerschlugen, welche tausend Jahren der
Tradition und Lehnstreue den Rücken gekehrt hatten.
Er spürte, dass Melvas ihn beobachtete.
»Ich kann nicht essen, wenn Ihr mein Ohr anstarrt«, meinte der König lachend. »Sprecht frei
heraus. Was ist es jetzt, über das Ihr Euch sorgt?«
»Curac könnte sich uns in ein paar Tagen anschließen, Eure Majestät.«
Galan schüttelte den Kopf. »Nicht das schon wieder.« In einer anderen Nacht hätte ihn
vielleicht der Zweifel seines Generals verärgert, doch war er solch guter Laune, dass er
lächelte. »Schnelligkeit ist alles, Melvas. Ich habe Euch das schon vom Tag an gesagt, an dem
wir Ruad verlassen haben. Die Rebellen sind ein unorganisierter Pöbel, doch geben wir ihnen
Zeit, sich gegen uns zusammenzuschließen, so kann dieser Krieg zu einer ermüdenden
Schinderei werden. Ich werde meine Tage nicht in einer sich hinziehenden Balgerei um ein
Hinterweltlernest beenden, dessen Name ich bis vor ein paar Wochen noch vergessen hatte.
Wir werden schnell vorrücken. Wir werden uns ihre Köpfe nehmen, bevor sie Zeit haben, sich
zusammenzuschließen und eine Allianz zu bilden. Wir brauchen die zusätzlichen Truppen
Curacs nicht.« Er nickte zu dem auf Melvas Teller aufgehäuftem Fleisch hin. »Du wirst hier
einfach zu bequem. Du willst nur noch ein paar Tage mehr damit verbringen, dir den Bauch
vollzustopfen.«
Melvas wollte schon protestieren, doch Galan hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu
bringen. »Ich scherze nur! Ihr seid ein guter Mann, Melvas. Wenn nicht, würde ich Euch dann
die Hunde anführen lassen?« Er schüttelte den Kopf. »Doch ich werde hier nicht auf Curac
warten. Ich brauche ihn, um den Norden einzunehmen, damit wir nicht den Feind im Rücken
haben. Doch Ihr sagt mir, dass er sich darum kümmert, also werden wir morgen zur
Hauptstadt aufbrechen. Wenn Curac so gut ist, wie Ihr behauptet, wird er sich uns bald genug
anschließen, zu sehen, wie ich den Kopf des falschen Königs auf den Zinnen aufpflanze.«
Wieder schien Melvas widersprechen zu wollen, als Königin Nia ihn anlachte. »Ihr solltet
wissen, wann Ihr geschlagen seid, Melvas. Wir brechen am Morgen auf.«
Der Krieger hob seine Hände und lächelte. »Ich bin nicht Narr genug, mit Euch beiden zu
streiten.« Er stand langsam auf, hielt sich, um nicht zu schwanken, am Rücken seines Stuhles
fest. »Also werde ich tanzen.« Er verneigte sich und fiel dabei beinah um, torkelte dann die
Länge des Tisches auf die Tanzenden am anderen Ende zu. Während er ging, streckten
Krieger ihre Hand nach ihm aus, griffen die seine, klopften ihm auf den Rücken und brüllten
seinen Namen.
Galan lächelte noch immer, als er sich Nia zuwandte. »Wollen wir dem Gauner den ganzen
Spaß lassen?«
Sie wirkte schockiert. »Du hast mich nicht mehr zum Tanzen aufgefordert seit …« Sie
runzelte die Stirn. »Hast du mich jemals zum Tanzen aufgefordert?«
In gespielter Empörung schüttelte er den Kopf, stand dann auf und verbeugte sich vor ihr.
»Königin Nia, Heldin der Sarum-Feste, willigst du ein, mit mir zu tanzen?«
Sie hob eine Augenbraue. »Wird dein Rücken das aushalten?«
Er lachte, als er ihre Hand nahm und die Halle durchquerte. Menschen wichen zurück und
bildeten ein improvisiertes Prozessionsspalier, verneigten sich, lächelten und hoben ihre
Gläser.
Als sich ihre Regenten näherten, stimmten die Musiker ein neues Lied an, spielten schneller
und lauter und Nia lachte, als Galan sie zum Tanz herumwirbelte.
Die Gesichter verschwammen ineinander, als der König sich im Rhythmus drehte, die
Königin von den Füßen hob und sie an seine Brust drückte.
Angefacht vom Wein und seinem schneller schlagenden Herzen flammten Farben und
Geräusche in seinem Geist hell auf. Einige der Tänzer schwenkten rote Bänder, und während
er sich drehte, fand sich König Galan umgeben von einer Spirale scharlachroter Stränge.
KAPITEL VIERZEHN

DIE ÖDSTÄTTEN

Die Straße führte eine Meile nach Süden, bevor sie sich allmählich westwärts bog und zu den
Sternen hin anstieg. Gotrek ging nur ein paar Schritte von Rand entfernt, starrte in die Leere
und schüttelte seinen Kopf. »Wie nennt ihr diese Straßen noch?«, fragte er und sah Lhosia an.
»Es sind die Wyndgänge«, erwiderte sie. »Dies ist der Große Süd-Wyndgang, eine der
größten Straßen im Fürstentum. Von hier aus passieren wir den Zepter-Wyndgang und den
Wyndgang des Vorwissens. Jenseits davon erreichen wir die Ödstätten, das Heim Lord
Auruns, dem Hüter der Nördlichen Anstiege. Dort werden wir Fürst Volant finden.«
Gotrek nickte und schaute von der Straße aus zurück. »Wie werden diese Dinger in der Luft
gehalten? Hexerei?«
»Die Wyndgänge sind die Adern des Fürstentums. Sie hängen an den Vorstehern.«
»Die Vorsteher sind eure Festungen?«, fragte Maleneth und musterte die wenigen Lichter,
die immer noch am Horizont schienen.
Lhosia nickte. »Und unsere Tempel und Heimstätten. Die größten von ihnen sind riesig. In
einer Festung wie den Ödstätten oder der Verharrenden Feste wohnen Tausende von Leuten.
Es gibt viele Arten von –« Sie brach mitten im Satz ab und starrte auf die leeren Gewässer des
Ozeans.
»Die Verharrende Feste?«, fragte Maleneth.
»Morbiums Hauptstadt«, sagte Lhosia mit flacher Stimme. »Heimat von Fürst Volant und
Heimat der Amethystfürsten seit Anbeginn der Zeit.«
Gotrek starrte noch immer hinaus zu den einsamen Lichtern der Tempel. »Also sind die
Brücken an euren Städten aufgehängt, doch was hält eure Städte über dem Meer?«
»Die Unbegrabenen«, sagte Lhosia und berührte dabei den Kokon, den sie trug. »Wir
bewahren unsere Vorfahren und im Gegenzug leihen sie uns ihre unsterbliche Macht, welche
die Vorsteher mit Leben speist. Oder zumindest ist das bis jetzt so gewesen.«
Sie stapften eine Weile schweigend weiter vor sich hin und der einzige Laut kam von
Trachos’ verdrehtem Stiefel, den er hinter sich herschleppte. Nach ein paar Stunden des
Gehens war sein Humpeln sogar noch ausgeprägter geworden. Maleneth konnte sich
vorstellen, dass er gerne gerastet hätte, aber zu stolz zu fragen war. Der Gedanke daran, wie er
stoisch und Grimassen ziehend stumm dahinschritt, machte die Reise ein wenig
unterhaltsamer.
Ungefähr alle zwanzig Schritt kamen sie an einer weiteren Leiche vorbei – entweder einem
zerstückelten Ghul, einen der Ritter in einem extravaganten, gefiederten Mantel oder einem
von Morbiums Zivilisten – blasse, abgemagerte elende Wesen wie Lhosia, die in weiße oder
dunkelpurpurne Gewänder gekleidet waren. Jede der Leichen war umgeben von einem
fliegenden Leichentuch der winzigen Motten, die sich zerstreuten, sobald Maleneth und die
anderen sich näherten, und die Dunkelheit mit Bewegung und Geräusch erfüllten. Maleneth
brauchte ein paar Minuten, um zu begreifen, dass einer der Körper vor ihnen sich noch
bewegte und versuchte, die Motten zu verscheuchen.
»Gotrek«, sagte sie, zu der sich quälenden Gestalt hin nickend.
Er nickte, scherte in die Straßenmitte zurück und schlang sich, als sie den Mann erreichten,
die Axt vom Rücken.
Als der Slayer die entsetzte Kreatur auf die Beine gehoben hatte, erkannte Maleneth ihr
Gesicht. »Der Torhüter«, lachte sie. »Weit bist du nicht gekommen.«
»Verräter!«, schrie Lhosia und drängte an Maleneth vorbei auf ihn zu. »Wie kannst du es
wagen, deinen Posten zu verlassen? Hättest du deine Pflicht erfüllt, hätte man die Reißer
aufhalten können. Wie konntest du dich nur verstecken, während die Grabwacht um ihr Leben
kämpfte?«
Der Mann versuchte, vor ihr zurückzuweichen, schüttelte den Kopf, doch hing er fest in
Gotreks eisernem Griff. »Hohepriesterin … vergebt mir.« Seine Stimme klang schrill. »Was
hätte ich tun können?«
»Das, wofür man dich ausgebildet hat«, rief Lhosia aus. »Was du geschworen hast zu tun!«
Ihre Stimme war angespannt vor Zorn. Maleneth spürte, dass sie all die Trauer und Wut
abließ, die sie quälten, seit sie den Hafen verlassen hatten. Sie zog ihre Sense und schwang sie
gegen den schlotternden Mann. »Deine Feigheit hat unzählige Leben aufs Spiel gesetzt! Ich
sollte dich hinrichten für deine –«
»Sie kamen so schnell«, sagte der Torhüter den Kopf schüttelnd. »Es war keine Zeit, die
Tore zu verschließen und den Wyndgang anzuheben. Selbst die Grabwacht konnte sie nicht
zurückhalten.« Seine Augen zuckten zu Lhosia hin. »Ich habe noch nie so viele Reißer
gesehen. Weswegen kommen sie? Warum werden die Vorsteher alle dunkel?«
»Der Eiserne Schleier wurde durchbrochen«, sagte Lhosia, ohne den Mann anzusehen.
»Etwas hat die Macht der Unbegrabenen durchbrochen. Wir sind für den Rest der
Fürstentümer sichtbar geworden.«
Der Torhüter sah aus, als würde ihm übel. Er schüttelte den Kopf und murmelte etwas vor
sich hin. »Ihr seid irgendwohin unterwegs«, sagte er. »Wohin?«
»Fürst Volant ist in den Ödstätten. Und ich habe versprochen, den Duardin zu ihm zu
bringen.«
Der Mann trat von Gotrek fort, starrte ihn verwirrt an, nahm die Brustrune und die Strähnen
goldenen Haars in seinem Bart und Haarkamm wahr. Dann wandte er sich Maleneth zu.
Ihre Lederkleidung war blutdurchtränkt und ihr Haar blutverklumpt und stand ihr wirr vom
Kopf ab. Sie schenkte ihm ein freundliches Zwinkern.
»Nehmt mich mit Euch, Priesterin«, keuchte er und sah wieder zu Lhosia hinüber. »Lasst
mich nicht mit diesen …«
Maleneth fragte sich, ob er mehr Angst vor ihr oder vor den Ghulen hatte.
Lhosia sah ihm nicht in die Augen, nickte aber.
»Nur, wenn du mithalten kannst«, sagte Gotrek und marschierte die Straße hinab.
Als die Straße höher stieg, sahen sie andere Wege aus der gleichen Verschmelzung von
Knochen und Eisen zwischen ihnen hindurchgehen und kreuz und quer das Meer überziehen.
Nach ein paar Stunden begannen Lichter vor ihnen, über das Metall zu spielen.
»Ist sie das?«, fragte Maleneth zu dem fernen Umriss hin spähend. »Ist das die Festung, wo
wir deinen Fürsten finden werden?«
Lhosia nickte.
Maleneth sah erneut zu der Form in der Ferne hinüber und runzelte, während sie darauf
zuschritten, die Stirn. »Sagtest du nicht, die Lichter kommen von den …« Sie zögerte und
gestikulierte zu dem Kokon hin, den Lhosia trug. »Von diesen Dingern?«
Wieder nickte Lhosia. »Den Unbegrabenen.«
»Und hast du nicht gesagt, dass dein Fürst alle Unbegrabenen in die Hauptstadt geholt hat,
damit sie vor den Fleischfressern sicher sind?«
Lhosia zögerte und starrte auf die Lichter.
»Mir scheint, er hat ein paar übersehen«, sagte Maleneth.
Die Priesterin ging weiter, packte ihre Sense und beschleunigte ihren Schritt.
»Endlich!«, grunzte Gotrek und trabte hinter ihr her. »Jemand, der es auch eilig hat.«

Die Ödstätten hatten nichts von der Festung, die sie am Hafen gesehen hatten. Statt einer
muschelartigen Spiralwindung glich sie einer übergroßen Version des Schreins, in dem sie
Lhosia zuerst getroffen hatten – ein knorriges Gewirr von Knochentürmen, von denen sich
jeder um den anderen zu einem undurchdringlichen Wirrwarr wand. Die ganze gepeinigte
Masse streckte sich wie Flammen empor, so groß wie eine Stadt und so seltsam wie alles
andere, was sie in diesem Fürstentum gesehen hatten. Irgendwo tief in den verknoteten
Mauern war die Quelle des purpurnen Lichts, das durch die Lücken zwischen den Türmen
drang und in einem Durcheinander sich kräuselnder Bahnen schließlich aufs Meer fiel.
»Sieht so verratzt aus wie der letzte Ort«, sagte Gotrek.
Die abgewandte Seite der Festung war zusammengebrochen und Hunderte von Feuern
waren über die Mauern verstreut. Gestalten kämpften sich als Umrisse vor den Flammen
durch den Rauch. Selbst aus einer halben Meile Entfernung wurde klar, dass die meisten
dieser Gestalten Ghule waren. Sie erstürmten die Mauern auf eine Art, wie es kein geistig
gesunder Krieger versuchen würde, schwärmten wie die Ratten über die Wehranlagen,
krabbelten in Raserei übereinander her, um die Verteidiger zu erreichen, die sich zum
Widerstand gegen sie gesammelt hatten. Kriegsmaschinen schleuderten kometengleiche
Geschosse, riesige Bälle purpurner Flammen, die beim Aufprall explodierten und die Ghule in
flüssiger Glut badeten und so noch weiter zu den Feuern beitrugen, die sich rasch durch ihre
Reihen ausbreiteten, doch die Schüsse waren nur wild und sporadisch.
Lhosia starrte auf das Gemetzel. »Wenn die Ödstätten fallen, gibt es nichts mehr, was sie
daran hindern kann, die Nordviertel einzunehmen.«
»Sind das welche eurer heiligen Motten?«, fragte Maleneth mit Blick auf die Wolken
winziger Gestalten, welche die Kämpfe umschwirrten.
Lhosia zog verwundert die Stirn kraus und schüttelte den Kopf.
»Aus dieser Entfernung könnten wir keine Motten sehen«, sagte Trachos. Er nahm einen
geschnitzten Elfenbeinkasten vom Gürtel und ließ eine Schließe an der Seite aufschnappen.
Ein Dutzend miteinander verbundener Kästen rasselten heraus, jeder kleiner als der
vorhergehende, sodass eine lange quadratische Röhre entstand. Er ließ die Schließe wieder
einschnappen, sodass die Kästen fixiert waren, hob dann die Röhre zu seinem Helm und sah
durch die Linse am schmaleren Ende. Er murmelte etwas und gab das Fernrohr Maleneth.
Sie verzog das Gesicht, als die Mauern scharf wurden. Die fliegenden Gestalten waren
Ghule mit weiten, ledrigen Schwingen. Die Ritter wankten vor ihnen weg, doch die Geschöpfe
stießen herab und rissen sie in Stücke. »Keiner führt die Verteidigung«, sagte sie. »Schau. Das
ist ein einziges Chaos. Wo ist der Fürst, von dem du uns so viel erzählt hast? Ist er die Sorte
Fürst, der seine Truppen von der örtlichen Herberge aus leitet?«
Alle blickten sie nacheinander durch Trachos’ Fernglas, doch als Gotrek an der Reihe war,
hielt er es lange Zeit und murmelte leise vor sich hin. »Da sind Tausende von Ghulen am
Vordertor. Sie sind überall. Ich schätze, die Tore auf dieser Seite werden verschlossen sein,
und ich bin nicht scharf drauf, die Mauern zu erklimmen. Irgendeine Ahnung, wie wir da
reinkommen?«
Lhosia starrte noch immer den Kampf auf den Mauern an. »Wo ist der Fürst? Oder Lord
Aurun?«
»Priesterin«, sagte Maleneth, was sie dazu brachte, sich erstaunt umzudrehen. »Kannst du
uns da reinbringen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es lange dauert, bevor sich die Ghule
diese Seite der Festung anschauen.«
»Natürlich. Ich habe meine eigenen Wege in alle der Vorsteher.« Sie winkte zum Vorfeld
des Tores, wo sich mehrere kleine Pfade vom Hauptweg fort wanden, und eilte dann rasch die
Straße hinab. »Schnell.«
Als sie sich den Festungsmauern näherten, hörten sie das Geräusch geflügelter Ghule, die
über ihnen durch die Dunkelheit wirbelten. Einige von ihnen gaben dünne, raspelnde,
keuchende Laute von sich. Es klang, als würde man ein Messer über Porzellan ziehen.
Maleneth wäre mit diesem Geräusch leichter fertig geworden, wenn Trachos nicht versucht
hätte, es mit einer neuen an den Nerven zehrenden Hymne zu übertönen. Während er
dahinmarschierte, versuchte er stolz und triumphierend auszuschauen, doch seine
Verletzungen ließen ihn eher tragisch als furchterregend erscheinen.
Denk daran, wie einfach es wäre, eins deiner Messer mit Gift zu tränken und es durch
einen Spalt seiner Rüstung zu rammen, flüsterte ihre Herrin.
»Ich diene dem Gottkönig«, murmelte sie. »Ich diene etwas, das größer ist als ich selbst. Du
könntest nicht verstehen, wie das ist.«
Du solltest mir dienen! Vor jedem Gott dienst du zuerst dir selbst. Und du musst Gotrek
tot sehen, damit du dir seine Rune nehmen kannst. Wie sonst kannst du sicherstellen, dass
er nicht doch am Ende mit ihr zurück nach Azyr marschiert?
»Schau ihn dir an. Er ist doch jetzt schon halb tot. Ich muss einfach nur abwarten und er
wird schon selbst dafür sorgen. Auf die Art bekomme ich die Rune, ohne die Eide zu brechen,
die ich in Azyrheim geschworen habe. Der Azyritikerorden wird nicht lange Bestand haben,
wenn wir einander jedes Mal ermorden, wenn sich dadurch eine Chance auf Ruhm ergibt.«
Du wirst weich auf deine alten Tage. Dir liegt etwas an ihm.
Maleneth lachte. »So sehr habe ich mich nicht verändert.«
»Hier lang«, sagte Lhosia und führte sie eine Seitenstraße entlang, die der Biegung der
Festungsmauer folgte und dabei abwärts verlief.
Maleneth blickte hoch. Von so nah wirkte die Festung nur noch seltsamer, wie ein Wald
durch Hitze verbogener Knochen.
»Achtung!«, schrie der Torhüter, als ein Ghul von seinem Sitz auf der Mauer auf sie
herabstieß.
Maleneth fluchte. Das Wesen war riesig, wie die Ghule, gegen die sie am Hafen gekämpft
hatten.
Gotrek rannte mit einer derartigen Geschwindigkeit auf die Mauern der Festung zu, dass es
ihm gelang, ein paar Schritte ihre steile Wand hochzulaufen und sich dann in die Luft zu
schleudern.
Verwirrt schrie der Ghul auf, als das volle Gewicht des Slayers seinen Rücken traf. Er
wehrte sich heftig und zwang alle anderen, geblendet durch Staubwolken, zurückzuweichen,
doch Gotrek lachte noch immer, während er versuchte auf dem Monster Halt zu bewahren. Er
griff herab, packte dessen Kinn und brach ihm den Hals.
Maleneth duckte sich, als ein weiterer Ghul attackierte, doch sie war zu langsam, und eine
Faust donnerte gegen die Seite ihres Kopfes. Sie taumelte wie trunken, schlingerte über die
Straße. Dann riss es ihr die Luft aus der Lunge, sie strauchelte gegen Geröll und krachte zu
Boden.
Sie war sich vage der Gestalt bewusst, die über ihr stand und die Ghule abwehrte, aber ihr
war nicht klar, wer es war, bis sie Trachos’ dröhnende Stimme hörte. »Mallus-geboren und
feurigen Auges! Göttlicher Blitz in meiner Hand! Wirft zurück die dunkle Flut! Aus Sigmar
golden sternbeschienen Land!«
Als sich der Staub verzog, sah sie ihn um ihr Leben kämpfen, das Kinn gereckt, die Stimme
im Triumph erhoben. Er wirbelte seine Hämmer hierhin und dorthin, ignorierte die Wunden
und den Schmerz, schmetterte jeden Ghul zu Boden, der auf sie zugestürzt kam, und drosch
ihnen Sigmarit in ihre irren Gesichter. Es lag etwas schrecklich Verzweifeltes in seinen
Worten. Es entsprang nicht der Furcht vor den Ghulen, erkannte sie, sondern der Furcht vor
seinem eigenen Geisteszustand.
Da einige der Ghule am Boden lagen, waren die Schreie schon leichter zu ertragen, und
Maleneth gelang es aufzustehen. Sie starrte Trachos an, als dieser von ihr wegtaumelte, sein
versehrtes Bein nachzog und sich nach einem weiteren Ziel umsah.
»Du bist so ein Dämlack«, sagte sie. »Warum beschützt du mich? Ohne mich hast du doch
eine Chance, an die Rune zu kommen.«
»Ich werde dich mit aller Kraft verteidigen, die Sigmar mir gelassen hat, Maleneth
Hexenklinge, Dienerin des Gottkönigs.«
Sie verdrehte die Augen. »So wacker.«
»Hier lang!«, schrie Lhosia, stürzte unter einem Torbogen hindurch und weiter die Straße
hinab.
Maleneth rannte hinter ihr her und Trachos folgte, so schnell er konnte, doch Gotrek blieb in
der Mitte der Straße und brüllte die Schreckgestalten über sich an. Einige davon kletterten
über die Mauern und andere kreisten, ihre zerrissenen, verwesten Flügel schlagend, über ihren
Köpfen. Wahnsinnig mochten sie zwar sein, doch schienen die Ghule die Nähe des rasenden
Slayers zu meiden. »Kommt runter!«, schrie er. »Oder bei meinem Eid, ich lasse mir Flügel
wachsen und komme hoch zu euch!«
»Gotrek!«, rief Maleneth und winkte mit ihren Messern zu dem Torbogen. »Der Fürst! Er ist
in der Festung, erinnerst du dich?«
Gotrek grunzte und funkelte die Ghule ein letztes Mal zornig an und stapfte dann durch das
Gemetzel auf den Torbogen zu, während er sich das Blut von den massiven Schultern
schüttelte.
Die Straße folgte der Biegung der Mauer und nach ein paar Minuten ließ der Schlachtlärm
allmählich nach.
Sie gingen durch einen niedrigen Torbogen. Lhosia schloss eine kleine, versteckte Tür auf
und sie betraten die Festung in einen kleinen gepflasterten Bezirk hinein, der von Fenstern und
Türen umgeben war, allesamt verrammelt und verriegelt. Ringsum konnten sie Kämpfe hören,
aber es gab keine Spur von Soldaten oder Ghulen. Der Ort schien übersehen worden zu sein,
während rings um ihn der Kampf tobte.
Der Schein, den sie draußen vor der Festung gesehen hatten, war hier heller und die
Gebäude sahen wie vors Feuer gehaltene Alabastersplitter aus, blass und schimmernd vor
amethystfarbenem Licht. Lhosia wirkte wütend, als sie die Lichter musterte. »Die
Unbegrabenen sollten inzwischen sicher in der Hauptstadt sein. Ich habe das dem Fürsten
erklärt. Keine einzige Seele müssten wir verlieren, solange er sie in die Verharrende Feste
geschafft hätte.« Sie schwenkte ihre Sense zu den Lichtern hin. »Und da sind sie, noch immer
bedroht, umgeben von Reißern.«
»Wo ist er, Mädel?«, fragte Gotrek und wischte sich das Blut aus dem Gesicht, während er
auf den Platz stapfte.
Sie schüttelte den Kopf und winkte sie weiter über den Platz. Sie führte sie zu einer engen
Gasse, die sich hinter einem der Gebäude hochwand und von Dutzenden Marktständen
gesäumt war.
Als sie sich dem Kamm der steilen Straße näherten, wurde der Kampflärm lauter.
Sie machten ihre Waffen bereit, als sie die Hügelkuppe überschritten, und erblickten einen
weiteren Platz, der sich unter ihnen ausdehnte.
Hier war ein brutaler Zusammenstoß im vollen Gange. Grabwacht, schwarzgerüstete
Bogenschützen und weißgewandete Priester wichen alle langsam auf den Platz zurück,
während Reißer sich von jeder Wand und jedem Dach stürzten. Die Ghule waren in solcher
Raserei, dass sie einander töteten, um an die Verteidiger zu gelangen. Sie sprangen von den
Dächern und zerschmetterten auf den Pflastersteinen oder wurden vom Gewicht der Körper
erdrückt.
Das Bild wurde von einer enormen beinernen Schlange beherrscht, die über die Soldaten
aufragte und deren knochenbleiche Schwingen rasselnd nach den Ghulen schlugen und sie
durch die Luft schleuderten.
Die Erebid zählten nicht mehr als ein paar Hundert, doch jedes Gebäude war bedeckt mit
rasenden Ghulen und noch mehr kreisten darüber, schlugen ihre Schwingen und suchten nach
einem Ort zum Angreifen. Maleneth schätzte, dass sich allein in den Straßen rings um den
Platz Tausende der Geschöpfe finden mussten, die alle wild im Versuch
durcheinanderzappelten, an die sensenschwingenden Ritter heranzukommen. Die Erebid
hatten einen engen Kreis um einen ihrer gefallenen Kameraden gebildet. Maleneth mühte sich,
den verwundeten Krieger zu sehen, den sie dort so verzweifelt verteidigten, doch anscheinend
war er bewusstlos in den Armen eines anderen Ritters zusammengesackt. Es war ein
verzweifelter Anblick. Die Erebid waren massiv in der Unterzahl und die meisten von ihnen
bluteten aus zahlreichen Wunden. Während sie auf den Platz zurückwichen, stürzten sich aus
allen Richtungen Reißer auf sie. Sie quollen aus den Straßen und Fenstern wie eine Flut
grauen, fleckigen Fleisches hervor.
»Dies ist kein Kampf, den wir gewinnen können«, sagte Maleneth und sah sich suchend
nach einem Unterschlupf um. »Wir müssen sorgfältig darüber nachdenken, wie wir –«
»Wer ist der Fürst?«, brüllte Gotrek und schwang fröhlich seine Axt, während er auf den
Platz schritt.
KAPITEL FÜNFZEHN

DIE VERBORGENE STADT

Die meisten der Grabwacht waren zu sehr mit Kämpfen beschäftigt, um Gotreks Frage zu
bemerken, doch einige sahen sich beim Anblick eines auf sie zustürmenden Slayers überrascht
um.
Maleneth fluchte und rannte Gotrek hinterher. Trachos und Lhosia folgten ihr auf dem Fuße.
Der Torhüter ergriff die Gelegenheit zur Flucht und spurtete eine Seitenstraße hinab.
Ghule stürzten sich auf Gotrek, als er aus den Schatten hervorbrach, doch hackte er sie
nieder, ohne überhaupt aus dem Tritt zu kommen.
»Halt!«, schrie einer der Ritter und löste sich aus dem Kampf, um eine Sense auf Gotrek zu
richten. »Wer bist du?«
Der Skelettdrache bäumte sich hinter ihm auf, ein wütendes Gebilde aus Knochen, und
richtete seine leeren Augenhöhlen auf den Slayer.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, erwiderte Gotrek und funkelte den Ritter an, sichtlich
unbeeindruckt von der gewaltigen Bestie, die über ihm aufragte.
Maleneth murmelte einen weiteren Fluch.
»Ihr seid offensichtlich nicht die Verteidiger dieser Festung«, fuhr der Slayer fort, »denn
sonst wärt ihr auf den Mauern, statt euch hier unten zu verstecken.«
Maleneth musste beiseitetreten, als sich ein Ghul aus dem Gedränge löste und sie ansprang,
das Gesicht starr vor Blutlust. Sie schlitzte ihm die Kehle auf und trat ihn gegen ein anderes
der Geschöpfe, sprang dann über den ersten und hämmerte ein Messer in ihrer beider
Gesichter. Mit einem Überschlag landete sie sicher an Gotreks Seite. Ihr Puls hämmerte,
begierig sich dem Gemetzel hinzugeben, doch hielt sie ihren Blutdurst im Zaum.
Ein Ritter drängte sich durch das Gewimmel zu Gotrek hin. Es war der Krieger, der den
gefallenen Ritter trug.
»Wer seid Ihr?«, rief er und kämpfte unter dem Gewicht seiner Last.
»Wo ist euer Fürst?«, schrie Gotrek, fällte einen Ghul mit einem Faustschlag und trieb ihm
dann seine Axt durch den Hals. »Na? Hat irgendwer eine Zunge im Schädel?«
»Nehmt ihre Waffen«, sagte der Ritter. Seine Rüstung war kunstvoller verziert als die
anderen, graviert, mit Filigranwerk versehen und mit weißen Edelsteinen besetzt.
Der Slayer grollte vor Lachen, packte seine Axt mit Fäusten von der Größe eines
Felsbrockens und warf sich in eine Kampfhaltung. »Na dann, nur zu, verdammt noch mal.«
Die Ritter zögerten, verunsichert von Gotreks irrem Grinsen.
Der Slayer zuckte die Achseln, warf die Axt von einer Hand in die andere. »Keine
großartige Waffe, um ehrlich zu sein.« Er klopfte damit dröhnend gegen seine Brustrune.
»Hab sie von den gleichen plärrenden Stumpen, die das hier gemacht haben. Aber gegen
solche wie euch wird’s reichen.«
Die Ritter taumelten zurück, während die Ghule weiter aus den umgebenden Straßen
quollen. Trachos humpelte an ihnen vorbei, hämmerte auf Ghule ein und sang dabei.
»Wartet!«, schrie der Ritter in der reich verzierten Rüstung. »Lhosia?« Er drängte auf sie zu,
noch immer den gefallenen Ritter schleppend, zögerte dann aber, als er in Gotreks Reichweite
kam.
»Lord Aurun«, sagte Lhosia und eilte an Gotrek vorbei und umarmte den Ritter.
Er lächelte, offensichtlich geschockt.
»Fürst Volant!«, sagte Aurun und blickte auf den Mann in seinen Armen nieder. »Es ist die
Hohepriesterin!«
»Du bist der Dämmerfürst?«, schrie Gotrek auf und stapfte auf den hingestreckten Ritter zu.
Ein lautes Klappern ertönte, als die Reihen der Grabwacht sich schlossen, sie die Schilde
und die Sensen hoben.
»Wartet!« Lhosia hob die Hand. »Der Duardin ist kein Feind. Ohne seine Hilfe hätte ich
euch nicht erreicht. Er hat zahllose Reißer getötet, um mich hierherzubringen.«
Dem Fürsten gelang es, sich aufzurichten und Gotrek anzublicken.
Erst da begriff Maleneth, wie groß er war – beinah doppelt so groß wie sie, größer selbst als
Trachos. Seine Rüstung war schmutzig und beschädigt, aber er war unverkennbar der
Anführer. Sein Gesicht war unter einem großen schwarz-weißem Helm verborgen, der ein
fauchendes Gesicht auf der einen Seite und ein heiteres Lächeln auf der anderen zeigte.
»Eure Hoheit«, sagte Lhosia zurückweichend.
»Wer bist du, Duardin?«, keuchte der riesige Ritter, Lhosia ignorierend. Seine Stimme war
rau vor Schmerzen und unter ihm sammelte sich Blut. »Warum kämpfst du für Morbium?«
Die Ghule stürmten erneut vor und es folgte ein Hagel von Hieben, als die Ritter sich
mühten sie zurückzuhalten.
»Ich bin Gotrek Gurnisson«, donnerte der Slayer über den Lärm hinweg, »und ich kämpfe
ausschließlich für Gotrek Gurnisson.« Er hackte zwei Ghule mit einem brutalen Streich
nieder. »Ich bin hier, weil mir gesagt wurde, du kannst mich zu Nagash bringen.«
»Nagash?« Fürst Volant wandte sich an Lhosia und schüttelte den Kopf. Er musste
innehalten, da weitere Ghule die Reihen der Ritter durchbrachen. Es gab einen heftigen
Wirbel von Sensen und dann, als eine weitere Lücke im Kampf entstand, starrte Volant Gotrek
an. »Keine vernünftige Person will den Großen Nekromanten erreichen.«
Gotrek lachte. »Vernünftig?« Er schwenkte seine blutige Axt in Lhosias Richtung, die noch
immer die kokonumsponnene Leiche hielt, die sie aus dem Hafen mitgenommen hatte. »Ihr
lebt in Knochen und huldigt Motten.«
Fürst Volant sah an Gotrek vorbei zu Maleneth. Doch bevor er irgendetwas sagen konnte,
erzitterte der Boden und der Lärm der fernen Schlacht nahm an Lautstärke zu. Eine tiefe,
dröhnende Explosion hallte die Straßen herab.
»Bei Grungni«, murmelte Gotrek, als ein Schatten sich über die Stadt erhob. Es sah aus wie
die Rauchsäule eines Vulkans.
»Was ist das?«, fragte Maleneth, als die Form sich ins Licht schob.
»Ein Reißer«, sagte Fürst Volant in düsterem Ton.
Abgesehen von der Größe, sah der Ghul ähnlich wie die anderen aus – er war ein Koloss,
Hunderte Spannen hoch, und wimmelte von Legionen kleinerer Ghule. Er ließ eine gewaltige
Faust auf die Zinnen niederschmettern und zerstörte damit Reihen von Explosivladungen, die
dort für die Ballisten aufgereiht lagen. Flammen blähten sich durch die Wände und
beleuchteten das groteske Gesicht des Riesen. Er war genauso krumm und sehnig wie seine
kleineren Artgenossen, doch in seinen Augen lag, ganz anders als bei den restlichen, das
Glitzern einer grausamen Intelligenz. Er zog seiner Fäuste seitwärts durch die Zinnen,
schleuderte Männer und Kriegsgerät durch die Luft und erzeugte damit einen weiteren
Trommelwirbel von Explosionen.
»Zu den Trennungskammern«, bellte Volant und wandte sich an Lord Aurun. »Beschützt
die Unbegrabenen.«
Aurun nickte und befahl seinen Leuten über den Platz zurückzuweichen. Sie waren komplett
umzingelt und es ging langsam voran, doch die Ritter kämpften mit beeindruckender Disziplin
und gruben einen Weg durch die rasenden Massen.
Die Wut des Kampfes machte weitere Unterhaltungen unmöglich, und so kämpften Gotrek,
Maleneth und Trachos schweigend an der Seite der Ritter, während sie sich auf das Gebäude
am anderen Ende des Platzes zubewegten.
Es war ein riesiges, sich wellendes Bauwerk in einem Baustil, wie Maleneth ihn noch nie
zuvor gesehen hatte. Es sah wie ein Festzelt aus weißer Seide aus, das just zu jenem Zeitpunkt
eingefroren worden war, als seine Spitzen von einer Brise erfasst wurden. Es bestand nur aus
Wellen und Wölbungen, obwohl es aus dem gleichen harten, knochengleichen Material erbaut
worden war wie der Rest der Festung.
»In die Verborgene Stadt«, schrie Aurun und winkte jedem, ihm zu folgen, während er den
Fürsten mithilfe einiger seiner Männer die Stufen hochschleppte.
Während die meisten seiner Ritter einen Halbkreis am Fuß der Stufen bildeten und ihre
Schilde hoben, entriegelte Aurun die Tür und warf sie weit auf, dass purpurnes Licht über die
Schlacht hinwegspülte.
Sie eilten nach drinnen, warfen die Ghule die Treppen hinab, während sie in die Halle
zurückwichen. An der Schwelle herrschte ein heftiges Handgemenge, bis es den Rittern
gelang, die Türen mit einem widerhallenden Krachen zu schließen.
»Verriegelt sie!«, schrie Lord Aurun, ließ den Fürsten am Boden zurück und eilte zurück zur
Tür. Ihre Flügel waren groß und imposant, aus eisendurchwirkten Knochen gefertigt und mit
dicken Querriegeln an jeder Seite. Indem Aurun seine Männer hierhin und dorthin winkte,
schoben diese die Riegel vor. Als jeder Riegel eingerastet war, löste dies einen Mechanismus
aus, der wie eine riesige Uhr surrte, sich drehte und ineinandergriff und so ein Netzwerk aus
Bolzen und Riegeln schuf.
Das Geräusch des Mechanismus schien Trachos aus seiner üblichen Tagträumerei zu reißen
und er wanderte hinüber und befühlte interessiert die Schlösser.
»Was ist das für ein Ort?«, fragte Maleneth und blickte hoch zur fernen Gewölbedecke. Dort
hingen zwölf Kokons gleich dem, den Lhosia trug.
»Wer seid Ihr?«, wollte Fürst Volant wissen, der noch immer auf dem Boden lag und seine
Wunden hielt. Sein Skelettross umkreiste ihn schützend, den hohlen Blick starr auf Gotrek
und Maleneth gerichtet.
»Ich diene dem Orden Azyrs.« Maleneth nickte zu Trachos, der noch immer die Schlösser
studierte. »Wir geleiten den Slayer durch die Fürstentümer.«
»Ihr dient Sigmar?« Der Fürst winkte zu Gotrek hin, der durch die Halle stapfte und zur
Decke hochstarrte. »Er nicht. Warum helft Ihr ihm?«
Maleneth beeilte sich zu sprechen, bevor Trachos der ganzen Gesellschaft von der Rune
erzählen konnte. »Er ist ungewöhnlich machtvoll. Und er ist ein Feind der Chaosgötter.«
»Aller Götter«, stellte Gotrek klar. Er ging zum Fürsten hinüber. »Bring mich zu Nagash
und ich werde es zeigen.«
Der Fürst nahm seinen Helm ab und musterte Gotrek. Wie bei allen Erebid war Volants
Kopf bleich und haarlos, doch anders als die anderen, war sein Gesicht mit komplizierten
spiralförmigen Tätowierungen bedeckt – schlanke schwarze Linien, die sich von seinen Augen
aus abwärtswanden und die Markierungen der Mottenflügel nachahmten. Sein langes, kantiges
Gesicht war unverkennbar majestätisch, doch vor Schmerz verzogen. Er keuchte, als er sich
auf die Füße rappelte und dabei jeden anderen Anwesenden überragte. Er bückte sich und
tippte mit einem langen, spitzen Finger auf Gotreks Rune. »Und das?«
Maleneth konnte nur mit Mühe einen Fluch niederkämpfen und fragte sich, ob es
irgendjemanden in den Reichen der Sterblichen gab, dem nicht augenblicklich die Bedeutung
der Rune auffiel.
Gotrek lachte bitter auf. »Der Grund für meine plötzliche Beliebtheit.«
Fürst Volant wartete geduldig, dass er das weiter ausführte.
Der Slayer zuckte die Achseln. »Nur eine Rune. Und auch noch eine verdammt hässliche.
Kannst du mich zu Nagash bringen?«
»Warum sollte ich Euch helfen?«
Gotrek gab ein leises Knurren von sich, doch bevor er antworten konnte, kam Lhosia durch
den Raum herbei und sprach den Fürsten an, ihr Gesicht starr vor Zorn.
»Wir kommen von den Häfen Anceps. Die Unbegrabenen wurden den Reißern überlassen.«
Ihre Stimme bebte, als sie zu den über ihnen hängenden Kokons winkte. »Genau wie hier. Ihr
habt geschworen, dass Ihr die Vorfahren in die Hauptstadt schafft, Fürst Volant.«
»Ihr habt geschworen, dass der Eiserne Schleier lange genug halten würde, damit ich das tun
könnte.« Die nonchalante Maske des Fürsten verschwand und seine Augen blitzten. »Denkt
Ihr, Ihr seid die Einzige, die sich um die Sicherheit der Ahnen sorgt?« Er deutete auf Aurun.
»Ich sandte einen Befehl aus, dass die Unbegrabenen schon vor Monaten fortgeschafft werden
sollten, doch als ich nur Stunden vor der Vernichtung hier ankam, fand ich, dass Lord Aurun
nichts getan hatte.«
»Nichts?« Lord Aurun wirkte entrüstet. »Wir können die Unbegrabenen nicht fortschaffen,
Hohepriesterin«, wandte er sich an Lhosia. »All das habe ich dem Dämmerfürsten erklärt. Wir
sind hiergeblieben, um sie zu verteidigen, denn entweder das oder wir überlassen sie ihrem
Schicksal. Sie sind in den Bau der Festung eingebunden. Sie sind Teil der alten Duardin-
Maschinen. Es würde Monate dauern, sie von dem Bauwerk zu trennen. Vielleicht Jahre.«
Lhosia schüttelte den Kopf, sah zu den Zahnrädern und Getrieben hoch, die in der Decke
verankert waren. »Die Unbegrabenen sind hier gefangen?«
Aurun nickte. »Die Vorväter haben hier ihr Werk vollendet.« Er klopfte mit dem Heft seiner
Sense auf die Pflastersteine. »Dies war der letzte Vorsteher, der vollendet wurde. Sie haben
ihn mit den Seelen der Unbegrabenen versiegelt und sind dann zurück zur Verharrenden Feste
gesegelt. Die Unbegrabenen sind an Mechanismen gebunden, die zu komplex sind, sie zu
verstehen. Und selbst wenn wir sie verstehen könnten, wissen wir nicht, wie die Kharadron
diese Maschinen angetrieben haben. Und ich hätte unmöglich die Vorfahren herausbrechen
können, bevor die Reißer kamen.«
Maleneth schüttelte den Kopf. »Sagtest du segeln? Wie konnte irgendjemand an diesem Ort
segeln? Euer Meer ist nicht flüssig. Es sieht aus, als wäre es aus Blei gemacht.«
»Heute ist es unmöglich, die Abendflut zu durchqueren«, sagte Aurun. »Selbst sie zu
berühren, bedeutet Wahnsinn und Tod. Doch unsere Vorfahren haben sie regelmäßig
befahren. Sie mussten es – es gab keine Wyndgänge, bevor sie sie bauten. Sie liehen sich die
Ingenieurskünste der Kharadron. Sie brachten die Unbegrabenen in großen Maschinen her,
welche die Abendflut befahren konnten.«
Gotreks Blick wurde verschwommen. Maleneth hatte so etwas schon vorher an ihm
gesehen. Es ging entweder dem Schlaf, einer Idee oder einer Explosion extremer
Gewalttätigkeit voraus. Um was davon es sich handeln würde, war immer beunruhigend
schwer vorherzusagen.
»Nun gut«, sagte der Slayer zum Dämmerfürsten hochblickend. »Ich habe etwas mit einem
Gott abzumachen.« Er schwenkte die Axt in Richtung der mottenverschleierten Formen über
ihnen. »Wie hört sich das an – ich schaffe eure Leicheneier in die Hauptstadt und du sagst mir,
wie ich zu Nagash komme?«
Lord Aurun lachte ungläubig auf und der Fürst starrte ihn einfach nur an.
»Na?«, wollte Gotrek wissen, als etwas Schweres gegen die Tür dröhnte. »Ich schätze mal,
ihr habt fünf Minuten, bevor diese Irren hier hereinbrechen und an euren Schädeln knabbern.
Wollt ihr meine Hilfe oder nicht?«
»Ihr seid verrückt«, erwiderte der Fürst.
»Stimmt. Wenn ich diese zwölf Kokons in Sicherheit bringe, schaffst du mich dann zu
Nagash?«
Ein neuer Schlag traf die Tür und sie gab ein tiefes Ächzen von sich, als ihr Rahmen
allmählich nachgab.
»Stützt sie!«, schrie Lord Aurun und winkte mehr seiner Männer dorthin. »Stemmt eure
Sensen gegen das Metall!«
Gotrek stand noch immer vor dem Fürsten und wartete auf eine Antwort.
Volant zuckte zusammen und schwankte. Ritter eilten ihm zu Hilfe, doch er schüttelte sie
ab. Er sah Gotrek stirnrunzelnd an, als hätte er Mühe, ihn im grellen Licht zu erkennen. »Ihr
seid merkwürdig. Ganz anders als alle, die ich je getroffen habe.«
Gotrek zuckte die Achseln.
Die Tür bebte erneut und die Soldaten schrien auf, während sie versuchten sich gegen das
Gewicht anzustemmen.
»Wie könnt Ihr die Unbegrabenen in die Hauptstadt schaffen?«, fragte der Fürst. »Lord
Aurun sagt, es würde Wochen brauchen, diese Maschinen aufzubrechen.«
Gotrek wandte sich an Lord Aurun. »Ist diese Tür der einzige Weg nach draußen?«
»Es gibt einen anderen Ausgang, doch der führt zur Abendflut. Die Kammern am Ende der
Halle treffen auf die Stadtmauern, und dann kommt nichts mehr außer toter See und der
Meeresgischt.«
»Der Meeresgischt?«
»Ein Ätherschiff. Das Transportmittel, das unsere Vorfahren nutzten, als sie die Vorsteher
erbauten – bevor sie die Wyndgänge schufen.«
»Ein Luftschiff?« Gotrek schüttelte den Kopf. »Warum, zur Esse, benutzt ihr das nicht?«
»Es ist ein nutzloses Relikt«, erwiderte Aurun. »Auf die gleiche Weise angetrieben wie das
da.« Er schwenkte seine Sense in Richtung der Maschinen über ihnen.
Gotrek sah zu Trachos hinüber. Der Stormcast Eternal half Auruns Leuten, die Tür zu
halten.
»Gut«, sagte er, sich wieder dem Fürsten zuwendend. »Wenn ich eure Leichensäcke rette,
hilfst du mir, zu Nagash zu kommen, einverstanden?«
Fürst Volant lächelte höhnisch und schien Gotrek wieder abtun zu wollen, doch der Ton des
Slayers war so zuversichtlich, dass er zögerte.
»Er hat die Angewohnheit, Leute zu überraschen«, sagte Maleneth. »Und er ist geisttötend
ehrlich. Wenn er sagt, er kann es, dann kann er es wahrscheinlich auch.«
»Wie?«, fragte der Fürst mit einer Mischung aus Empörung und Faszination.
»Sag’s ihnen, Menschling«, rief Gotrek zu dem Stormcast Eternal hinüber.
Trachos war der Unterhaltung nicht gefolgt. Er starrte die mechanische Tür an und
murmelte vor sich hin.
»Trachos!«, rief Maleneth.
Er sah herüber. Wie üblich war sein Gesicht hinter der glänzenden Totenmaske des Helms
verborgen und es war schwer zu erkennen, was er dachte.
Gotrek winkte ihm herüber. »Die Mottenleute wollen ihre Leichen zurück. Dafür müssen sie
aus diesen Maschinen raus.« Er wies mit der Axt zur Decke. »Duardin-Ingenieurskunst. Sollte
nicht so schwer zu entwirren sein.«
Trachos starrte den Slayer stumm an, als hätte er vergessen, wer Gotrek war.
Maleneth war danach, ihm Messer in den Helm zu rammen.
Der Fürst schwenkte wegwerfend die Hand. »Diese Leute sind lächerlich.« Er wandte sich
ab. »Aurun! Schaff einige der Bogenschützen auf diese Balkone. Schnell!«
Ein tiefes Grollen erhob sich in Gotreks Brust und er streckte sich zu seiner vollen – wenn
auch nicht eindrucksvollen – Größe. Er packte seine Großaxt und Maleneth sah ganz deutlich,
was als Nächstes kommen würde. Der Fürst stand kurz davor, herauszufinden, was mit
aufgeblasenen Adligen geschah, die Gotrek nicht ernst nahmen.
»Sie sind wie die Maschinen in Azyr«, meinte Trachos zur Decke. »Im Sigmarabulum. In
den alchemischen Schmieden. Diese Maschinen wurden beinah ausschließlich von den
duardinischen Ingenieursgilden entworfen. Die da sehen ähnlich aus.«
Maleneth sah von Trachos zu Gotrek und wieder zurück und ihr dämmerte es. »Du hast die
Ingenieurskunst der Duardin studiert?«
Trachos sprach noch immer mit der Decke. »Natürlich. Der größte Teil Azyrs ist auf den
Prinzipien der Ingenieurskunst der Duardin errichtet. Ich habe mehrere Methoden studiert, wie
man äthrische Materie speichert – Baraz-Zylinder, Gromthi-Spulen. Es besteht kein
Unterschied zu irgendeiner anderen …« Er schüttelte den Kopf und begann wieder vor sich
hinzubrummeln.
Gotrek nickte. »Wir beide zusammen, wir könnten diese Kokons dort separieren.«
Trachos senkte seinen Blick von der Decke und starrte Gotrek an. »Was?«
Gotreks Grinsen fror ein und er packte seine Axt fester. »Ich sagte, wir können sie dort
rausholen, du blechköpfiger Trottel.«
»Oh. Ja, vielleicht. Es würde einen Zufluss äthrischer Energien erfordern.« Trachos tippte
auf einige der arkanen Geräte, die von seinem Gürtel baumelten. »Ich sollte in der Lage sein,
die korrekten Ströme auszulösen.«
Gotrek hatte gerade den Mund geöffnet, um noch etwas zu sagen, als die Tür nachgab.
KAPITEL SECHZEHN

DIE MEISTERRUNE VON KRAG


SCHWARZHAMMER

Maleneth duckte sich, als Knochen und Eisen durch die Luft sausten.
Baumgroße Finger hielten die Tür gepackt und rissen den Rahmen fort, dass die Wände
bröckelten.
Als dann der riesige Ghul zurückwich, strömten Hunderte seiner kleineren Artgenossen in
die Halle, heulten und schnaubten und verdrehten vor Mordlust ihre Augen.
»Schildwall!«, schrie Lord Aurun. Die Grabwacht schloss sich zusammen und bildete eine
Reihe eng gepackter Schilde, kurz bevor die Ghule in sie hineinprallten.
Die Ritter taumelten unter der Wucht des Aufschlags, hielten aber ihre Stellung. Im
Einklang ließen sie ihre Sensen im Bogen unter ihren Schilden hindurchsausen und schnitten
den Kreaturen die Beine weg. Ghule klatschten zu Boden und warfen sich in ihrem eigenen
Blut umher.
»Trachos!«, donnerte Gotrek und winkte zur Treppe, welche die Wand entlanglief. »Hol
diese Leichen runter!« Während er noch schrie, rannte er los, um sich ebenfalls in den Kampf
zu stürzen. Im hohen Bogen hechtete er über eine umgestürzte Säule und sprang mit einem
freudigen Heulen über den Schildwall hinweg und schmetterte mitten zwischen die Ghule
herab.
Fürst Volant winkte Lord Aurun und Maleneth zu sich. »Helft mir hoch!«, rief er und
deutete auf sein Reittier.
Der Skelettdrache hatte bereits das Haupt in Bereitschaftshaltung gesenkt, doch Aurun
schüttelte den Kopf. »Dämmerfürst! Eure Wunden!«
»Dies ist ein Befehl, Lord Aurun.«
Maleneth suchte die Halle nach einem anderen Ausgang ab und fluchte, als ihr klar wurde,
dass sie womöglich, nach allem, was sie überstanden hatte, ihre Pläne aufgeben musste. Sie
waren eingekesselt wie die Ratten. Das würde ein Massaker werden.
Die anderen Türen führen zur See. Es hat keinen Zweck sie auszuprobieren. Die Stimme
ihrer Herrin war nicht höhnisch wie üblich. Sie klang alarmiert. Du hast sie gehört. Geh über
dieses tote Gewässer und du verlierst deinen Verstand. Es gibt keinen Ausweg.
Maleneth zischte verärgert auf. Ihre Herrin hatte recht. Ihre einzige Chance war, dass
Gotreks verrückter Plan irgendwie funktionierte. Trachos war erst halb die Wand hoch und
hatte wegen seiner Verletzungen Schwierigkeiten mit dem Klettern. »Dein Fürst wird sich auf
diesem Ding länger halten als am Boden«, murmelte sie mit Blick zu Aurun. »Schaff ihn da
rauf.«
Aurun wirkte entsetzt, dass sie ihn in diesem Befehlston ansprach, doch er nickte
widerstrebend und so hievten sie beide Volant auf sein Reittier.
Der Fürst schien von neuer Stärke erfüllt, als er so über den Kämpfen thronte und hob seine
Sense. »Morbium auf ewig!« Sein Ross bäumte sich unter ihm auf und die Grabwacht gab ihm
donnernd Antwort. Ihr Schildwall war ungebrochen und sie fällten Reihe um Reihe der Ghule.
Volants Drache ließ mit weit klaffenden Kiefern seinen Kopf vorschnellen und spie eine
Rauchsäule quer durch die Halle. Sie traf die Ghule mit solcher Macht, dass sie einen Pfad
durch die Mitte des Gedränges schnitt und Dutzende der Kreaturen umwarf. Doch als
Maleneth für einen besseren Ausblick auf ein paar Trümmer kletterte, sah sie, dass der
Rauchstoß mehr bewirkte, als sie nur umzuwerfen. Als sie sich wieder erheben wollten, waren
ihre Bewegungen steif und unbeholfen und ihr Fleisch verhärtet. Innerhalb weniger Sekunden
lag jeder Ghul, der getroffen worden war, voller Risse und leblos am Boden.
Maleneth nickte beeindruckt, dann erinnerte sie sich an Gotrek. »Der Slayer ist da
draußen!«, schrie sie.
»Aye!«, schrie Gotrek und kletterte auf die eingestürzte Tür, den Kopf eines Ghuls in der
einen, seine Axt in der anderen Hand. Er hob die Waffe und grinste.
»Pass auf Gotrek auf!«, rief sie Fürst Volant zu und zeigte auf den Slayer.
Er nickte, schrie den gleichen Befehl und sein Reittier spie weiteren Rauch in die
entgegengesetzte Richtung.
Trachos mühte sich noch immer, die Decke zu erreichen, also sprang Maleneth die Stufen
hoch. Als sie sich ihm näherte, schüttelte sie ungläubig den Kopf. Sang der Idiot doch vor sich
hin, als würde er einen Moment ruhiger Besinnung genießen.
Sie packte seinen Arm und zerrte ihn die letzten paar Stufen hoch. Sie erreichten den
Balkon, der genau unter der Decke hing, und befanden sich nun in Reichweite der Maschinen.
Trachos’ Lied geriet ins Stocken.
»Was für eine unglaubliche Arbeit«, sagte er, nahm den Helm ab und befestigte ihn an
seinem Gürtel, damit er die Gerätschaften genauer in Augenschein nehmen konnte.
»Wir sind kurz davor zu sterben«, sagte Maleneth.
Trachos fixierte sie mit trockenem, leerem Blick. »Ich sterbe nicht.«
»Na, dann ist ja alles gut.«
Er blickte sie weiter an.
»Die Maschinen, Trachos«, drängte sie ihn. »Kannst du sie zum Laufen bringen?«
Er sah wieder zu den Maschinen und den Reihen bleicher, ovaler Formen, die darinsaßen.
Von hier oben konnte Maleneth die zwölf Kokons deutlich sehen. Sie waren genau wie der,
den Lhosia bei sich trug – wie übergroße Eier, die in staubige Gaze gepackt waren. Jetzt, da
sie wusste, was sie enthielten, empfand sie ihren Anblick als abstoßend.
»Denk nur an all die verschrumpelten kleinen Leichen«, murmelte sie.
Trachos zuckte die Achseln. »Gotrek geht nicht ohne den Fürsten weg und der Fürst geht
nicht ohne die Leichen weg.«
Es gab von unten her einen Ausbruch von Heulen und Schreien, als die Ghule den
Schildwall durchbrachen. Ritter eilten sich, die Lücke zu versperren, doch es war, als wollte
man sich gegen einen Dammbruch stemmen. Ghule stürmten in alle Richtungen, sprangen und
krallten und rissen die Soldaten zu Boden.
»Schnell!«, reif Maleneth. »Schaff diese Dinger da raus!«
Trachos wandte sich wieder den Maschinen zu. Er nahm sich einen bestimmten Teil der
Konstruktion und der rotierenden Zahnräder vor, fuhr mit den Fingern darüber und ließ sie in
neue Anordnungen klicken, und stimmte die Duardinrunen, die in das alte Metall eingraviert
waren, aufeinander ab.
Maleneth lachte erleichtert auf, als Licht durch die Metallteile drang und die Kanten der
Räder und Schalter säumte.
Der Kampf geriet zu einer verzweifelten Flucht. Grabwacht taumelte in alle Richtungen
weg, versuchte Krallen und Zähne abzuwehren, während man ihnen die Schilde aus den
Händen riss.
Gotrek wirbelte hackend, lachend und um sich schlagend durch dieses Gemetzel.
»Seine Rune«, flüsterte Maleneth.
Trachos war zu vertieft in seine Arbeit, um sie zu hören. Er hatte einen sphärischen,
goldenen Korb von seinem Gürtel genommen und ihn an den Zahnrädern befestigt. Das Gerät
pulsierte in dem gleichen Licht wie der Rest der Decke und machte dabei ein hell tickendes
Geräusch.
Maleneth starrte Gotrek an. Er war ganz dem Augenblick hingegeben und kämpfte so
wildwütig, dass Grimnirs Gesicht auf seiner Brust hell aufloderte. Seine kantigen, wilden
Züge wirkten, als ragten sie aus einem Kohlebecken auf, dessen höllischer Glanz sie von
unten beleuchtete. »Sie wird ihn verändern«, murmelte sie.
Trachos hielt inne. »Was?«
»Die Rune.« Sie deutete mit einem ihrer Messer auf Gotrek. »Sie verzehrt ihn.«
Trachos starrte mit leerem Blick auf Gotreks rasende Attacken und wandte sich dann wieder
den Zahnrädern zu.
Die Lichter zuckten heller die Decke entlang und er nickte, nahm ein weiteres Gerät von
seinem Gürtel und befestigte es am ersten.
»Zu mir!«, schrie Fürst Volant, der sich noch immer mit Mühe auf dem Rücken seines
Reittiers hielt, und schwenkte seine Sense. »Bildet einen Kreis!«
Seine Soldaten versuchten, den Raum zu durchqueren, um ihn zu erreichen, doch hatten sich
so viele Ghule in die Halle gedrängt, dass viele der Ritter umzingelt waren. Lord Aurun führte
eine Gruppe von Soldaten zum Fürsten und sie bildeten eine Insel aus schwarzen Rüstungen in
der wogenden Masse aus Grau.
»Wenn wir jetzt nicht von hier verschwinden, ist es aus«, sagte Maleneth und beugte sich zu
Trachos hinüber, um zu verstehen, was er da tat.
Jedes Teil der Maschinerie flackerte und ein tiefes Summen drang aus den Nischen, in
denen die Unbegrabenen steckten, doch Trachos schüttelte den Kopf, trat zurück und ließ
seine Gerätschaften von den Zahnrädern herabbaumeln.
»Nicht genug Energie.«
»Was?« Trachos war fast doppelt so groß wie Maleneth und in wuchtiges Sigmarit gehüllt,
doch sie griff hoch, packte seinen Arm und zerrte ihn herum, sodass er sie ansah. »Du gibst
auf?« Sie schüttelte ungläubig den Kopf und winkte zu der Schlacht, die dort unten fast vor
dem Ende stand. Die Grabwacht um Fürst Volant fiel rapide und verschwand unter Haufen
rasender Ghule. »Wenn wir diese Dinger hier nicht rausschaffen, werden wir alle
abgeschlachtet.« Sie zog ihn nah zu sich ran. »Du wirst vielleicht nicht sterben, Trachos, aber
wie wird wohl deine nächste Neuschmiedung sein? Und was wird noch übrig sein, wenn du
nachher wieder rauskommst?«
Er ragte über ihr auf und seine Stimme war angespannt. »Ich weiß, was das für mich
bedeutet, Hexenklinge, aber dadurch habe ich noch immer nicht die Energie, um diese
Maschinen zu starten. Sie haben schon zu lange stillgelegen. Es würde gewaltige Mengen
Ätherfeuers brauchen, sie wieder zu entzünden.«
Dort unten stieß das Reittier des Fürsten einen unheimlichen Schrei aus, als die Ghule über
es herfielen, ihm Knochen aus dem Bein rissen, während es noch mit seinen armlangen
Klauen nach ihnen schlug. Der Fürst brüllte einen Befehl und der Drache spie noch mehr
seines tödlichen Staubs aus, doch es war, als würde man auf einen Berg einschlagen. Weiter
stürzten Ghule auf den Fürsten zu.
»Versuch’s noch mal!«, schrie Maleneth, wütend über Trachos’ fatalistischen Ton. »Und
wenn ich dich schleifen muss –«
Er drängte sich an ihr vorbei, und riss die Hämmer aus dem Gürtel.
Ihr Kämpferinstinkt riet ihr, sich zu ducken, und sie hörte ein Knacken brechender Knochen.
Mit gezogenen Messern wirbelte sie herum und sah, wie die Ghule sich die Treppen
hochwarfen.
»Geh zu den Rittern!«, keuchte sie.
Trachos nickte und begann sich den Weg die Treppen hinab freizukämpfen.
Maleneth versuchte, so zu töten, wie es sie gelehrt worden war, mit jedem Schnitt den
Mordgott zu ehren, doch war sie zu stark zwischen nach ihr krallenden Gliedern eingezwängt.
Das Beste, was sie tun konnte, war, ihren Schwung zu nutzen und über die Köpfe und
Schultern der Ghule zu springen.
Trachos verfiel auf eine ähnliche Vorgehensweise und nutzte seine schwere, gepanzerte
Masse, um durch das Gewimmel zu drängen.
Als sie dann den Fuß der Treppen erreicht hatten, konnte Maleneth kaum noch sehen, so
sehr war ihr Gesicht mit Blut verschmiert, doch es gelang ihr, in den Kreis der Ritter um Fürst
Volant zu taumeln.
Trachos erkämpfte sich seinen Weg hinter ihr her und hämmerte auf jeden ein, der durch die
Linien brach. Er war ungewöhnlich ruhig, kämpfte in grimmiger Stille und warf Blicke zu den
Maschinen hoch, die noch immer über ihnen glühten.
Gotrek war ein paar Schritt von ihnen entfernt, kämpfte außerhalb des Rings mit zu einer
wütenden Grimasse erstarrtem Gesicht.
»Was ist passiert?«, schrie er und warf einen schnellen Blick zu Trachos herüber.
»Es geht nicht!«, schrie Trachos.
Mit neu angefachter Wut griff Gotrek die Ghule an, dass seine Axt nur noch ein einziges
goldenes Schwirren war. »Geht nicht?« Seine Worte waren vor Wut verzerrt.
Der Slayer kämpfte sich zur Basis einer umgestürzten Säule durch und kletterte darauf,
wischte sich das Gesicht und starrte über die irren Gestalten hinweg, die um ihn anbrandeten.
Er wirkte wie der Kapitän eines kenternden Schiffs, der am Bug stand, während sich rings um
ihn die Wellen bäumten.
»Dann ist also das mein Schicksal?« Die Rune in seiner Brust loderte jetzt stetig, angefacht
von seinem Mordrausch. »Diese elenden Biester? An diesem elenden Ort?« Er sprach mehr zu
sich selbst als zu Trachos. »Ich bin froh, dass du das erst gar nicht erleben musstest,
Menschling. Er wäre eines Gedichts nicht wert gewesen.« Er schlug auf die blendend helle
Rune ein. »Errette dich selbst und löse deine Schuld ein, Grimnir! Gib mir etwas Besseres!«
Auf der anderen Seite der Halle bebte die Tür und schleuderte Teile von Mauerwerk durch
die Luft, als der Riese versuchte, sich einen Weg in den Raum zu rammen. Sein groteskes
Gesicht war so groß, dass nur die Hälfte davon durch die einstürzenden Wände sichtbar war.
Gotrek lachte. »Aye, ich denke, er wird reichen.«
Der Slayer blickte zur Gruppe zurück, die rund um den Fürsten kämpfte. »Haut ab hier!«,
schrie er. »Ich kann nicht eure Toten retten, aber euch schon. Ich werd’ die Irren zurückhalten.
Verschwindet. Solange ihr noch könnt.«
Lord Aurun rief seinen Männern Befehle zu und winkte sie vorwärts. »Zum Slayer hin!«
»Sei kein Narr!«, brüllte Gotrek. »Verschwindet!«
Während die Grabwacht angriff, schrie Aurun seine Befehle. Trotz des Gemetzels klang er
klar und entschlossen. »Was sind wir ohne die Weisheit unserer Vorfahren? Welchen Zweck
hat es, zu leben, wenn wir unsere Vergangenheit verlieren?«
Gotreks Augen blitzten auf und zum ersten Mal war es nicht vor Zorn. »Gut gesagt!« Er
bleckte seine Zähne zu einem Grinsen und sah zu Aurun zurück. »Verdammt gut gesagt,
Menschling!«
Er hob die Axt und ließ das Zorneslodern der Rune aus seiner Brust hoch in die Klinge
schießen. Er sah wie ein gestürzter Komet aus, der hell brannte, während rings um ihn die
Welt zusammenbrach. »Dann werden wir unserem Schicksal gemeinsam entgegentreten!« Er
richtete sein einziges, loderndes Auge starr auf den Koloss am anderen Ende der Halle aus.
»Und das ist meines!«
Maleneth kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben, als sich die Ritter ihren Weg tiefer in
die Masse der Ghule bahnten. »Nein!«, spie sie. »Ich weigere mich, hier zu sterben.«
Ritter um Ritter fiel. Ihre Schilde wurden ihnen entrissen, ihre Kehlen aufgeschlitzt. Es war
grotesk. Und brutal. Was Gotrek auch immer glauben mochte, Maleneth sah nichts Edles in
diesem Opfer. Diese Männer starben ohne Grund, was für sie in Ordnung sein mochte, aber
nicht für eine Braut Khaines.
Also kämpfte sie erbittert, erkaufte sich Zeit nachzudenken, aber in ein paar Minuten würde
alles vorbei sein.
Es war unmöglich, den Ausgang an der Rückseite der Halle allein zu erreichen – es waren
zu viele Ghule im Weg. Sie blickte dorthin, wo Gotrek mit gesenktem Kopf durch die
Kreaturen auf den Riesen zustürmte. Er wurde derart verzehrt von seiner Entschlossenheit, das
groteske Monster zu erreichen, brannte jetzt so hell, dass es schwerfiel, ihn überhaupt
anzusehen.
»Gott des Mordes«, keuchte Maleneth. »Warum hab ich nicht daran gedacht? Trachos!«,
brüllte sie, schlitzte einem Ghul den Bauch auf und sprang, als er sich zusammenkrümmte, auf
seinen Rücken, dass sie über das Gewühl blicken konnte.
Trachos war nur ein paar Schritte von ihr entfernt. Seine türkise Rüstung war scharlachrot
vor Blut, doch noch immer schwang er seine Hämmer und ragte über der Schlacht auf. Er sah
zu ihr hin.
»Energie!«, schrie sie, duckte sich unter einem Hieb weg, versuchte auf Gotrek zu zeigen.
Verwirrt schüttelte Trachos den Kopf.
»Die Rune!«, schrie sie, wütend über seine Dummheit. »Die Rune Schwarzhammers!
Energie!«
Trachos zögerte, einen Moment nur, doch es reichte, dass eine Welle von Ghulen ihn
angriff. Er stürzte, verschwand unter der Masse von Körpern.
»Verdammt sollst du sein!«, heulte Maleneth und schüttelte wild ihren Kopf, während sie
einen weiteren Hieb abwehrte.
Sei keine Närrin, sagte ihre Herrin. Was weißt du schon von Ingenieurskunst?
»Er hat gezögert!«, bellte sie, zu sehr weggetreten, sich noch darum zu kümmern, ob
irgendwer hörte, dass sie zu einem Geist sprach. »Trachos hat gezögert. Weil ich recht habe!«
Sie schüttelte die Verzweiflung ab, die sie zu überwältigen gedroht hatte, sprang vom
Rücken des Ghuls herunter und landete auf den Schultern eines anderen. Entschlossenheit und
Hoffnung brausten durch ihre Adern und verliehen ihr einen wütenden Energieschub. Sie
sprang von einem Unhold zum nächsten, bewegte sich so schnell, dass sie kaum merkte, wie
sie mit ihren Füßen aufsetzte, bevor sie schon wieder absprang.
In wenigen Sekunden hatte Maleneth die Grabwacht hinter sich zurückgelassen und die
Halle durchquert und kam mit einem letzten, akrobatischen Sprung neben Gotrek auf.
Der Slayer dreht sich auf dem Absatz um, die Axt erhoben, bereit sie zu enthaupten, sein
Gesicht verzerrt.
»Gotrek!«, sagte sie, hob warnend ihr Messer hoch und blinzelte in das Inferno, das ihn
umgab. »Ich bin’s!«
Erkennen flackerte in seinen Augen auf. Ohne den Blick von Maleneth zu nehmen, hieb er
ein paar Ghule mit seiner Axt nieder.
»Aelfe?« Seine Stimme war vom Schreien heiser. Er war kaum noch wiederzuerkennen.
Goldenes Licht drang grell durch die Poren seiner Haut und lief in Wellen seinen Haarkamm
entlang. Er sah wie eine Waffe aus, die man frisch der Schmiede entrissen hatte.
Sie waren ein paar Schritt von der Wand entfernt und Maleneth deutete auf die Rohre, die
sich hoch zur Decke erstreckten. Sie schimmerten von der Kraft, die Trachos ausgelöst hatte.
»Die Maschinen …«, sagte sie, doch ihr versagten die Worte, als Gotrek näher trat. Der
schwitzende, grobschlächtige Schweinskerl war verschwunden und sie sah sich etwas
vollkommen anderem gegenüber. Er sah aus wie ein Avatar des Krieges, goldüberflutet vor
Mordlust und brennend vor Macht.
Gotrek teilte einen Sturm brutaler Hiebe aus und schlug sich einen Weg rund um Maleneth
frei. Dann schüttelte er den Kopf. »Meine Zeit ist gekommen, Aelfe.« Selbst seine Stimme
klang anders – tief und ruhig statt rau und ungehobelt.
Er wandte sich zum Gehen.
»Nein!«, rief Maleneth und sprang vor ihn.
Zorn loderte in Gotreks Auge auf. »Tritt beiseite!«
Maleneth sah eine letzte Chance. Eine Hoffnung auf Überleben. Sie schüttelte den Kopf und
ging vor ihm in die Hocke. Es war Selbstmord, doch sie griff ihre Messer und ging in eine
Kampfhaltung.
Gotrek zog erzürnt ein finsteres Gesicht und schwang seine Axt in Richtung ihres Kopfes.
Sie duckte sich, rollte weg und Gotrek wurde von der Wucht seines Hiebes
vorwärtsgerissen.
Seine Großaxt schmetterte in die schimmernden Rohre.
Macht durchfuhr ihn, strömte aus der Rune den Schaft seiner Axt entlang und in die
Maschinen.
Maleneth wurde zurückgeschleudert und die weiß glühende Hitze schlug über ihr
zusammen.
KAPITEL SIEBZEHN

DER BAU DES GROSSEN WOLFS

»Für Dinann!«, brüllte König Galan, während er in seinen Steigbügeln stand und seinen Speer
hob.
»Für Dinann!« Seine Soldaten erfüllten die Nacht mit ihrem Schrei, ihre Pferde bäumten
sich auf, wieherten und trommelten mit ihren gepanzerten Hufen auf die staubige Straße ein.
Nia war an seiner Seite, glorreich auf ihrem weißen Schlachtross, und grinste, während sie
den Speer hob. Kühn und schön war sie, ihr kastanienbraunes Haar war auf ihren Rücken
herabgeflochten und ihrer Stimme erklang so furchteinflößend wie die jedes Mannes.
Die Hunde Dinanns spornten ihre Pferde zu einem leichten Galopp an und die Straße
dröhnte vom Lärm der metallbeschlagenen Hufe.
Die Hauptstadt war noch immer eine Meile entfernt, doch Galan konnte bereits sehen, wie
die Soldaten auf die Zinnen eilten.
»Dies sind unsere Länder«, sagte Nia mit einer Stimme rau vor Zorn. »Das Geburtsrecht der
Dinann. Der Bau des Großen Wolfes. Wie konnten sie uns nur so übel im Stich lassen? Was
konnte sie nur dazu treiben, uns zu verraten?«
Galan schwenkte seinen Speer seiner glorreichen Streitmacht entgegen. »Wen kümmert’s?
Bald wird es vorüber sein. Diese Schlacht mag größer sein als die anderen, doch sie wird
ebenso entscheidend sein. Und wenn wir sie geschlagen haben, wird das Königreich
wiederhergestellt sein und wir können unsere Tage in Frieden zu Ende führen. Wir können
stolz auf unsere Regentschaft sein, Nia.«
Sie hielt seinen Blick und ein unausgesprochener Gedanke ging zwischen ihnen hin und her.
Er beugte sich näher zu ihr heran. »Vielleicht haben wir noch keinen Erben gezeugt, doch
wir haben das Königreich erneuert und unserem Volk Hoffnung geschenkt. Das ist weit mehr
wert. Wir können stolz sein, Nia.«
»Eure Majestät«, sagte Lord Melvas und lenkte sein Pferd zu Galan hin.
Nia lächelte Galan an und ritt davon, das Kinn erhoben und mit blitzenden Augen.
Melvas sah besorgt aus und Galan verlangsamte sein Ross, um mit ihm zu sprechen. Dem
Krieger schien es unmöglich zu reden; er verzog das Gesicht und musste sich mühen, Galans
Blick zu erwidern.
»Was ist, Mann?« Zu anderen Zeiten hätte Galan die Befangenheit seines Generals amüsant
gefunden, jedoch nicht an der Schwelle zu einer Schlacht. »Nun redet schon.«
Melvas schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher …« Er wirkte gequält. »Jetzt, wo ich
es aussprechen will, klingt es absurd.«
»Nun reißt Euch zusammen, Melvas. Es geht nicht an, dass Ihr Gesichter zieht und Euch
duckt, wenn wir kurz vor dem Angriff stehen. Was ist los?«
Melvas runzelte die Stirn. »Heute Morgen, als ich die Nachhut inspizierte, sah ich etwas
sehr Seltsames. Einen Moment lang dachte ich, ich sähe die Männer etwas essen …«
»Wovon redet Ihr, Melvas?«, fuhr der König auf. »Was haben sie gegessen?«
Er verzog das Gesicht. »Es sah aus, als würden sie die Männer essen, die sie gerade getötet
hatten.«
»Leichen essen? Wovon redet Ihr? Wollt Ihr sagen, sie seien Kannibalen?«
Melvas starrte ihn eine Weile länger an, dann lachte er und schüttelte den Kopf. »Ich weiß.
Es ist absurd. Vergebt mir, Eure Hoheit. Ich glaube, ich habe tatsächlich beim Fest zu viel
getrunken.«
Galan beugte sich näher zu ihm hin. »Wir kämpfen schon zu lange und schlafen zu wenig,
wir alle.« Er klopfte Melvas auf den Rücken. »Bald werdet Ihr wieder zu Hause sein und
könnt die Füße hochlegen und damit prahlen, wie Ihr die ganze wichtige Arbeit getan habt.«
Er lachte. »Kannibalen!«
Melvas versuchte zu lachen, doch seine Augen blieben starr und stumpf.
»Galan?«, rief ihn Nia von der anderen Straßenseite her. »Gibt es ein Problem?«
»Nur Melvas’ Unfähigkeit, das zu vertragen, was er trinkt! Ich habe ihn gewarnt, dass dies
passieren würde!«
Sie lachte und ritt weiter.
Galan zog Melvas so nah heran, dass ihre Gesichter sich beinah berührten. »Wir stehen
davor, diesen Aufstand zu beenden. Die Männer werden auf Euch blicken, auf Euer Beispiel.
Verstanden?«
Melvas nickte und richtete sich im Sattel auf. »Natürlich.«
Galan ließ seinen Arm los und sein Pferd trug den General zurück in den Fluss der Reiter.
Auf seinem Weg bellte Melvas seine Befehle, doch ermangelte es seinen Anweisungen am
üblichen Feuer.
Galan schüttelte den Kopf und ritt weiter. Er runzelte dabei die Stirn, bis er Nia schließlich
vor sich sah, wie sie mit einem seiner Leute lachte, strahlend und prächtig.
»Für Dinann!«, brüllte er grinsend.
Die Heerschar beantwortete weithin hallend seinen Ruf.
KAPITEL ACHTZEHN

DIE MEERESGISCHT

Maleneth wurde der Atem aus den Lungen gerissen, als sie hart auf den Boden aufschlug.
Während sie dalag, benommen und atemlos, geblendet vom grellen Licht, erhob sich
irgendwo ein gewaltiges Grollen und der Boden begann zu beben.
»Gotrek!«, keuchte sie sie auf, die Kehle voller Asche.
Du hast ihn umgebracht! Endlich!
Maleneths Schädel dröhnte an der Stelle, wo sie auf dem Boden aufgeschlagen war, und
Übelkeit durchflutete sie, als sie aufstand, schwankend und umgeben von funkelndem Licht.
»Gute Arbeit, Aelfe«, donnerte Gotrek und taumelte durch den grellen Schein. »Im
Zweifelsfall jag es in die Luft. Ist immer ein guter Plan.«
Sie versuchte zu sprechen, zu erklären, doch ihr Atem saß ihr noch immer schmerzhaft in
den Lungen fest.
Gotreks polternder Ton sagte ihr, dass er wieder ganz er selbst war. Welche Verwandlung
auch immer mit ihm vorgegangen sein mochte, sie war vorbei. Er war wieder der alte
Schweinskerl. Er lachte. »Hast du mich angegriffen?«
»Die Kokons«, sagte sie und tat einen tiefen, stotternden Atemzug. »Die Macht der
Meisterrune. Du hast sie in die Maschinen geschickt.«
Er schüttelte den Kopf, sah sie an, als wäre sie verrückt. Dann lachte er. »Bei Grungni. Nur
eine Aelfe konnte so verschlagen sein. Wenn das funktioniert, dann spendiere ich dir ein Fass
Bugmanns.«
Er schleppte sie durch die Halle, bahnte sich einen Pfad durch die benommenen Ghule, bis
das Licht schwächer wurde und sie die Auswirkungen der Explosion erkennen konnten.
Der Ausbruch hatte der Grabwacht eine Gelegenheit verschafft, sich um ihren Fürsten neu
zu formieren. Es waren mehr von ihnen übrig, als Maleneth gedacht hatte, und sie hatten ihre
Schilde wieder verschränkt, sodass ein kreisförmiger, vor Sensen starrender Wall entstand.
Trachos war ebenfalls dort. Seine Rüstung war noch stärker beschädigt als beim letzten Mal,
da sie ihn gesehen hatte, doch er stand noch immer aufrecht und starrte zur Decke hoch.
Maleneth folgte seinem Blick und lachte. »Es hat funktioniert!«
Die Flaschenzüge und Ketten, welche die Unbegrabenen hielten, rüttelten und ruckten und
entfalteten sich wie Spinnenbeine, schnappten ein und klickten, während sie die Kokons tiefer
herabsenkten.
»Grabwacht, rückt vor!«, schrie Lord Aurun und führte die Ritter an. »Haltet die Reißer von
den Unbegrabenen fern.«
Als sich Maleneths Augen auf das Licht einstellten, sah sie, dass sich der Energiestoß durch
die Ghule gefressen hatte. Ihr eigener Körper war unverletzt, so wie die Grabwacht, doch das
Ätherfeuer hatte die Reißer schrecklich verheert, ihnen das Fleisch von den Gliedern gebrannt
und die meisten von ihnen zerbrochen und schwelend zurückgelassen.
»Das Ätherfeuer«, murmelte sie. »Es hat sich durch sie hindurch gebrannt.«
Die Grabwacht schmetterte in die verwundeten Wiedergänger hinein und rächte ihr Brüder,
die sie auf den Mauern verloren hatte. Das folgende Gemetzel war stumm, doch brutal. Die
Halle klang vom Geräusch der Sensen wider, die durch Metall und Knochen schnitten.
Die gegenüberliegende Seite des Gebäudes war beinah vollständig zusammengebrochen,
ihre Fassade war über den Platz dort draußen verstreut und der Riesenghul ragte über all dem
Schutt auf und schirmte seine Augen vor dem grellen Licht ab.
»Holt die Leicheneier«, schrie Gotrek und rannte quer durch die Halle. »Ich kümmere mich
um den Kurzen hier.«
Maleneth wirbelte herum und spurtete wieder zu Trachos. Seine Halsberge war beschädigt
und irgendetwas passierte mit dem polierten Sigmarit – es pulsierte in einem inneren Licht, als
bewegten sich Flammen unter seiner Oberfläche entlang.
Lhosia war neben ihm und starrte mit einem verzückten Gesichtsausdruck hoch zu den sich
entfaltenden Maschinen. »Es ist ein Wunder«, flüsterte sie, von der Decke zu Trachos
blickend.
»Es ist Ingenieurskunst.« In seiner Stimme lag kein Schmerz. Wenn überhaupt, so glaubte
Maleneth, dass sein Ton heiterer als sonst war. Fast klang er zufrieden.
Fürst Volant ritt zu ihnen herüber, wobei sein gewaltiges Reittier sich in einem
schwankenden, trunkenen Gang vorwärtsbewegte, ähnlich dem der Unholde, die es verletzt
hatten. Der Fürst blickte über die Köpfe seiner Männer hinweg zu den Türen am anderen Ende
der Halle, wo Gotrek auf den Riesen zulief.
»Was ist er?« Es war schwer zu sagen, ob Volant beeindruckt oder angewidert war.
»Wahnsinnig«, blaffte Maleneth. »Übrigens war ich es, die die Idee hatte –«
»Schaut doch«, rief Lhosia.
Die Säulen hatten den Boden der Kammer erreicht und an der Basis einer jeden saß ein
Kokon, der sicher auf dem trümmerübersäten Boden lag.
»Schnell.« Fürst Volant winkte seine Ehrengarde zu ihnen hin. »Sammelt die Unbegrabenen
ein. Dies war nur ein Bruchteil der Reißer. Jeden Moment könnten mehr kommen.«
Runenlicht schimmerte durch die Säulen und die Ritter wurden, als sie die Kokons aus ihrer
Fassung schälten, zu Silhouetten.
Ein weiteres Beben lief durch die Halle und ließ sie alle taumeln.
Maleneth fragte sich, ob das ganze Gebäude zusammenbrach, erkannte dann aber, dass das
Geräusch von draußen kam. Der Riesenghul war rücklings quer über den Platz gefallen und in
die Gebäude gegenüber gestürzt, hatte Mauern zerschmettert, sodass Staubwolken
emporstiegen. Der Slayer war als blendende Glut auf seiner Brust sichtbar, die laut aufbrüllte,
während sie immer wieder mit der Axt zuschlug.
Fürst Volant schüttelte den Kopf, als seine Leute die Kokons zu ihm hinbrachten. »Verlasst
die Halle. Geht Richtung Osttor. Lasst uns sehen, ob dieser Wyndgang noch immer frei ist.«
»Nein!«, sagte Lhosia. »Sie werden uns einholen, bevor wir eine halbe Meile hinter uns
bringen.« Sie winkte zu den Kokons hin. »Denkt daran, wie langsam wir sind, wenn wir die
tragen.«
»Was schlagt Ihr vor?«, fuhr Volant auf. »Hier drinnen auf den nächsten Angriff warten?
Wir werden –«
Er musste innehalten, da draußen auf dem Platz der Riese durch ein weiteres Gebäude
krachte und dabei, während Gotrek sein Gesicht attackierte, Runenlicht über seinen Schädel
flackerte.
»Nehmt das«, sagte Trachos und nickte zur Rückseite der Halle hin, zu einer
hochaufragenden muschelartigen Wölbung, die beinah bis zur Decke hoch reichte.
Maleneth schüttelte den Kopf. »Was?«
»Das Ätherschiff«, erwiderte Trachos.
»Die Meeresgischt?«, fragte Lhosia. »Denkst du, du kannst sie auf die gleiche Art zum
Leben erwecken wie die anderen Maschinen?«
Trachos zuckte die Achseln. »Warum nicht? Die Ingenieurskunst der Duardin ist auf Dauer
ausgerichtet. Sie ist wahrscheinlich nur inaktiv.«
Fürst Volant schüttelte den Kopf. »Die Ahnen verwendeten obskure Techniken – die
Runenwissenschaft der Kharadron.«
Trachos nickte. »Sie nutzten Äthergold.« Er spähte zu dem Gefährt. »Könnte es sein, dass es
geplündert wurde?«
Lhosia wirkte entsetzt über die Vermutung und Volant schüttelte den Kopf. »Wir verehren
die Vergangenheit. Unsere Relikte sind uns heilig.«
Trachos nickte und humpelte zur Rückseite der Halle.
Maleneth eilte hinter ihm her. Er hatte sein Zepter herausgeholt und klickte eine neue
Gerätschaft an dessen Spitze. Sie sah wie ein quadratischer Pokal aus, der aus Drahtgeflecht
geformt und mit Edelsteinen besetzt war.
Das Ätherschiff befand sich in dem Teil der Halle, der nicht durch das Licht der
Unbegrabenen beleuchtet wurde – einem düsteren gewölbeartigen Winkel ähnlich der Krypta
einer Kathedrale. Der halb sichtbare Leviathan ragte aus den Schatten auf wie ein Vorgebirge
vor einem Küstenteil.
Das Geflecht am Ende von Trachos Zepter erwachte funkelnd zum Leben und streckte
Finger kühlen, blauen Lichts aus.
»Bei Khaine«, flüsterte Maleneth, als das Licht über den Bug fuhr. Die Galionsfigur hatte
die Form eines grimmigen, brüllenden Gesichts mit einem langen, stilisierten Bart und finster
drohender Stirn. Das Gesicht war so groß wie ein Haus und als Trachos’ Licht über das matte
Metall glitzerte, schien es finster dreinzublicken und zu fauchen.
»Es sieht wie er aus«, sagte Maleneth.
Trachos sah wieder zu ihr herüber. »Wer?«
»Der Schweinskerl. Gotrek.«
Trachos nickte. »Was immer er jetzt ist, so war er einst ein Duardin. Und das waren die
Schiffbauer, die dies erschufen, auch.«
Er schritt zum Rumpf hinüber und kletterte auf eine Eisenleiter, die zwischen den
Geschützöffnungen hinaufführte. Wie ein Donnerschlag fuhren Motten aus der Dunkelheit
empor. Zu Tausenden stiegen sie von jeder Ecke des Schiffes auf.
Maleneth schirmte ihr Gesicht ab und Trachos musste abwarten, bis der Tumult sich gelegt
hatte, um dann seinen Aufstieg fortzusetzen. Maleneth war verwundert über die Größe des
Schiffs. Sie schätzte, dass es vom Ruder bis zum Schandeck dreißig Schritt maß, und sie
konnte eine gepanzerte Kuppel erkennen, die sich über das Deck erhob. Es sah eher wie eine
uneinnehmbare Festung als wie ein Schiff aus.
Die Motten hatten Jahrhunderte von Staub aufgewirbelt und als sie auf das Deck kletterten,
fühlte sich Maleneth, als würde sie geradewegs in einen Sandsturm hineinwandern. Sie hustete
und fluchte, während sie sich umschaute. Das Gefährt glich keinem Schiff, das sie je gesehen
hatte. Das Deck war in der Form eines enormen Kreuzes gebaut worden. Eigentlich waren es
vier Decks, die wie die Speichen eines Rades angeordnet und durch kreisförmige Laufgänge
verbunden waren. Es erinnerte an ein gewaltiges Zahnrad.
Während der Staub noch immer um sie herumwirbelte, taumelte sie hinter der
verschwommenen Silhouette des Stormcast Eternals her. Er kam zur Kuppel an der Kreuzung
der vier Decks, der Nabe des ›Rades‹, fiel auf die Knie und nahm eine weitere Gerätschaft
vom Gürtel. Er folgten ein Surren und ein Klicken, und genau, als Maleneth zu ihm
aufschloss, öffnete sich eine kreisförmige Luke im Deck. Mit einem mechanischen Rasseln
glitt sie beiseite und unter Trachos schimmerten Lichtpulse auf und flackerten über die
beschädigten Platten seiner Rüstung.
Ohne ein Wort drehte er sich um und kletterte in die Dunkelheit hinab. Maleneth eilte ihm
hinterher.
Trachos’ Licht huschte über einen wirren Wald von Rohren und Zahnrädern. Der Bauch des
Schiffes war mit Apparaturen vollgestopft und als sie im Aufblitzen sichtbar wurden, war
Maleneth überrascht, wie gut erhalten sie waren.
»Kein Rost«, sagte sie, berührte eine Reihe von Kolben und fuhr dabei mit den Fingern über
das sorgfältig bearbeitete Metall. Jeder Fingerbreit war mit Runen graviert.
Trachos’ Geschichtsschutz wirkte beinah so grimmig wie die Galionsfigur des Schiffes. Der
gewohnte teilnahmslose Blick seines Stormcast-Helms war bis zur Unkenntlichkeit verwüstet
worden und wirkte im Licht seines Zepters, das über das zerbeulte Metall hinwegstrich, als
würde er sie höhnisch angrinsen. Er wandte sich wieder den Maschinen zu und begann daran
herumzuarbeiten.
Das Licht wurde heller, schimmerte über Kabel und Turbinen, genau wie bei den Maschinen
draußen, dann geriet es ins Flackern und erstarb.
Trachos nahm den Greifzirkel heraus, den er schon beim Torhaus benutzt hatte, maß den
Mechanismus ab und drehte daran. Zunächst arbeitete er ruhig, doch nach ein paar Minuten
wurde er aufgeregter und stieß leise Flüche aus.
Er schlug klirrend die Greifzirkel gegen die Rohre und stapfte durch den Maschinenraum,
untersuchte Kabel, Schaltungen und Messgeräte.
»Es sollte laufen!« Er riss eine kreisförmige Luke auf und versetzte den Gerätschaften in
dem Gehäuse einen Stoß. »Das Äthergold ist noch da. Es gibt keinen Grund, warum die
Maschinen nicht zünden sollten.«
Er hielt an, entdeckte etwas in dem Wald aus Rohren und Hebeln. »Natürlich!« Er griff
danach. »Die Zuleitungen sind geplatzt. Es ist kein Druck drauf.«
Maleneth trat näher heran und sah, dass er zwei Leitungsstränge hielt. Anders als alles
andere waren sie porös und zerbröckelt.
»Äthergold ist zersetzend.« Trachos ließ die Rohre fallen und wischte sich seine
Panzerhandschuhe an seiner Rüstung ab. »Die Kharadron ersetzen diese Zuleitungen
wahrscheinlich regelmäßig, damit sie funktionieren.«
»Also können wir den Antrieb nicht hochfahren?«
»Wir brauchen etwas, um das Äthergold zu leiten.« Trachos starrte zur Luke hoch. »Das ist
nicht so anders als die Maschinen, die die Unbegrabenen gehalten haben.«
»Also könnten wir wieder Gotreks Rune benutzen?«
»Vielleicht. Wenn er damit einverstanden ist, hier herunterzukommen und die Ätherenergie
durch sie hindurchbrennen zu lassen. Wenn er nichts dagegen hat, als Maschinenteil benutzt
zu werden.«
Maleneth hob eine Augenbraue. »Ah …«
Einen Moment standen sie schweigend da, dann hörten sie Schritte auf dem Deck und
kletterten mit bereiten Waffen wieder die Leiter hoch.
Es war Gotrek. Er zitterte vor Kampfeswut und starrte wild vor sich hin. Runenlicht
kräuselte sich auf seiner Haut und in seinem Bart und strömte in die Finsternis. Die Ritter der
Grabwacht folgten ihm und trugen unter den wachsamen Augen Fürst Volants die Kokons auf
das Deck. Lhosia war ebenfalls da und stand neben dem Fürsten. Beide schienen in eine
geflüsterte Debatte verstrickt.
»Hast du ihn getötet?«, fragte Maleneth, als sie auf Gotrek zueilte.
»Wen?«
»Den Riesenghul.«
Er zuckte mit der Schulter. »Lass es mich so ausdrücken, er wird keine Türen mehr
zerbrechen. Außer jemand schnallt seinen hässlichen Schädel auf einen Rammbock.«
»Was habt Ihr jetzt vor?«, fragte Fürst Volant, der über Gotrek aufragte. »Ihr habt
geschworen, die Unbegrabenen zu bewahren, und uns läuft die Zeit davon.«
Gotrek sah Trachos an.
»Die Maschinen sind einsatzfähig«, sagte Trachos. »Und es ist reichlich Äthergold an Bord.
Wir brauchen einfach nur einen Leiter – einen Weg, die Energie zu kanalisieren. Ein
machtvolles Stück Urgold würde dafür ausreichen.«
Gotrek nickte, dann glomm allmählich die Erkenntnis in seinem Auge auf. »Ich? Ihr wollt
mich als Maschinenteil benutzen?«
»Deine Rune ist mächtig genug, um das Äthergold zu kanalisieren.« Trachos’ Stimme blieb
dumpf und flach. »Nichts anderes könnte das sonst schaffen.«
Gotrek klopfte auf die Rune. »Und was bleibt von mir übrig, wenn die Reise vorbei ist? Wie
viel davon wäre Gotrek und wie viel wäre Grimnir?«
Sein Bart sträubte sich und er sah so wütend aus, dass Maleneth zurückwich und sich
bereitmachte, seiner Axt auszuweichen.
»Bei Grungnis Zähnen«, fauchte er und blickte finster auf die Rune. Sie bebte immer noch
vor Energie. Das Ätherlicht breitete sich von der Rune in Gotreks Adern aus und pulsierte
über seine Brust und ließ die Arterien unter seiner zernarbten Haut sichtbar werden. Es sah
aus, als würden sich unter seinen Rippen Rinnsale geschmolzenen Goldes bewegen.
»Ich weigere mich, das weiterhin zu tun«, sagte Gotrek und sah Maleneth dabei nicht an.
»Ich bin nicht den ganzen Weg hierhergekommen, um meine Seele dem einen Gott zu geben,
der mich mehr als alle anderen betrogen hat.«
Trachos packte einen seiner massigen Oberarme. »Es gibt einen anderen Weg.«
Schockiert blickte Gotrek zum Stormcast Eternal hoch. Dann zog er ein finsteres Gesicht.
»Welcher Weg ist das? Demütig in einen von Sigmars glitzernden Türmen marschieren und
mich vor seiner Größe niederwerfen? Oh, Hammerherr, lass mich deinen mächtigen Bart
kämmen! So was in der Art?«
»Es ist nicht nötig, ihn anzubeten. Deine Seele gehört dir. Dein Glaube gehört dir. Der
Orden Azyrs braucht nur die Macht, die du trägst.«
»Und wie genau willst du die aus mir rausholen? Als ich das letzte Mal nachgesehen habe,
waren meine Rippen festgewachsen.«
Trachos schien Gotreks Wut gar nicht wahrzunehmen. »Die Macht ist nicht nur in dir. Sie
ist Teil von dir. Wenn du sie in Sigmars Namen bändigen würdest, könnten wir –«
»In Sigmars Namen?« Gotrek Gesicht lief rot an vor Wut und die Rune pulsierte stärker. Er
stieß gegen Trachos und wollte noch etwas brüllen, als sie von Kampflärm unten in der Halle
unterbrochen wurden.
»Reißer!«, schrien mehrere der Grabwacht, während sie auf das Schiff zurannten und sich
unter dem Gewicht der letzten paar Kokons mühten. »Hunderte von ihnen.«
Volant fluchte. Er kniete sich nieder, sodass er den Slayer ansah. Sein Ton war eine
seltsame Mischung aus Empörung und Verzweiflung. »Ich könnte Euch zu Nagash bringen,
Gotrek, Sohn des Gurni, aber nur, wenn Ihr meine Vorfahren zur Verharrenden Feste schafft.
Und nur, wenn wir sofort aufbrechen.«
Ein Grollen drang aus Gotreks Brust und er griff sich an seinen Haarkamm und zog sein
Haar hierhin und dorthin, als wollte er es sich ausreißen. Er starrte auf die Formen, die durch
die Schatten auf das Schiff zueilten und murmelte wütend leise vor sich hin. Dann nickte er,
spuckte aufs Deck und kletterte die Luke hinunter und winkte Trachos, ihm zu folgen.
Maleneth schüttelte den Kopf. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass er das tut.« Sie sah die
Kokons an. »Ich würde euch raten, die Dinger anzubinden.«
KAPITEL NEUNZEHN

DIE ABENDFLUT

Ich weigere mich, seekrank zu werden, dachte Maleneth, als sich die Welt um sie drehte.
Selbst über dem Donnern des Antriebs konnte sie Leute quer über das Deck stöhnen und sich
übergeben hören. Sie hatte sich an der Reling festgezurrt, doch das Schiff schwankte so heftig,
dass sie mit Prellungen überzogen war.
»Gott des Mordes«, ächzte sie. »Wie lange wird das dauern?«
»Höchstens Stunden!«, schrie Lord Aurun zwei, sechs Schritt entfernt. Er wirkte freudig
erregt. »Seht doch, wie schnell die Meeresgischt ist!«
Sie schüttelte den Kopf und sah über das Meer hinaus. Die Wellen glitzerten, beleuchtet
vom blaugrünen Licht des Schiffes. Es verlieh den Wellen die Illusion der Bewegung und
wenn man nur solch kurze Blicke auf sie erhaschte, konnte man fast den Eindruck erlangen,
dass dies ein natürliches Meer wäre. Statt aber durch die hohen Wellen zu brechen, schwankte
und ruckte das Ätherschiff wie trunken darüber hin, glitt, angetrieben von der arkanen
Wissenschaft der von Kharadron erbauten Maschinen, nur wenige Schritt über der zernarbten
Oberfläche fort. Licht drang durch die Nähte seiner Eisenhülle und durchbrach Morbiums
endlose Dunkelheit.
Hin und wieder hörte sie Gotrek aufschreien; seine Stimme erhob sich von unten her wie das
Brüllen eines verwundeten Leviathans. Trachos war mit ihm unten im Maschinenraum und
kämpfte darum, das Äthergold zu bändigen, das Gotrek kanalisierte, aber Maleneth war froh,
nirgends in ihrer Nähe zu sein. Immer wieder wechselten sich in der Stimme des Slayers
Ausbrüche von Wut, Verwirrung und Aufregung miteinander ab. Er klang sogar noch geistig
labiler als üblich. Obwohl er ihr unsichtbar war, so war seine Anwesenheit doch
unverkennbar – Strahlen goldenen Lichts drangen durch die Deckverkleidung herauf. Es sah
aus, als hätte das Schiff das Stück einer Sonne in seinen Bilgen verstaut.
Am Ende eines anderen Decks konnte sie Fürst Volant sehen, der ohne fremde Hilfe am
Steuerrad stand, die Beine gespreizt, während er um Halt kämpfte. Lhosia war an seiner Seite,
am Schandeck festgebunden mit einem der Unbegrabenen in ihren Armen. Sie rief dem
Fürsten Anweisungen zu und er reagierte darauf, indem an den Hebeln und Griffen zog, die
das große Messingrad umgaben.
»Was hab ich getan, dass ich das verdiene?«, murmelte Maleneth.
Die einzige Person ermordet, der je etwas an dir lag?
Trotz ihrer Übelkeit musste Maleneth lachen. »Der etwas an mir lag? Der etwas an meinem
Blut lag, meinst du. Und das nur auf eine Art, wie einer Katze etwas an einer Maus liegt.«
Du hast mich nie verstanden, Hexenklinge.
»Ich habe dich so gut verstanden, wie ich musste.«
Und sieh, wohin dich das gebracht hat.
»Es hat mich in Reichweite dieser Rune gebracht. Und wenn ich sie erst habe, dann wird
keiner in Azyrheim noch ein Wort gegen mich sagen. Ich werde die Heldin des Ordens sein.
Die Heldin dieses Zeitalters! Sigmar selbst wird mich treffen wollen.«
Du bist kein Stück näher dran, das Ding in deine Hand zu kriegen. Ich habe dir den
Schlüssel verraten, aber du bist zu ignorant zuzuhören.
»Den Schlüssel? Welcher Schlüssel? Und warum sollte ich auf dich hören? Welchen Grund
könntest du schon haben, mir zu helfen?«
Zorn stahl sich in die Stimme ihrer Herrin. Bei Khaine. Du bist so dämlich wie der Slayer.
Was denkst du, was mit mir geschieht, wenn du hier unten stirbst?
Maleneth hörte von dem Blutamulett selten etwas anderes als Spott. Dieser neue, wütende
Ton hatte etwas Faszinierendes. Sie fing an, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. »Du bist doch
schon tot. Was kümmert’s dich, ob du lebst oder stirbst?«
Was immer dies auch sein mag, Hexenklinge, der Tod ist es nicht. Denkst du, das hier ist
einfach nur dein Unterbewusstsein, das mit dir spricht? Denkst du, ich bin nur ein
Bruchstück deines Verstandes?
Maleneth zuckte die Achseln. »Der Gedanke ist mir schon gekommen.«
Der Zorn ihrer Herrin wuchs, da sie gezwungen war, so deutlich zu werden.
Schwachsinniges Gör. Du hast ein Bruchstück meiner Seele eingefangen. Solange du lebst,
bewahre ich einen Teil Leben. Ein elender Happen, zugegeben, und an deine unglückselige
Existenz gebunden, doch das ich alles, was ich habe.
Maleneth barg das Amulett in ihrer Hand, musterte lächelnd die dunkle Flüssigkeit in
seinem Herzen. »Ja, die angemessenste Marter, die ich mir ausdenken könnte. Ein Stück von
dir am Leben lassen, hilflos, wie es mir zusieht, wie ich zu den Höhen aufsteige, von denen du
geträumt hast.«
Spiel nur deine schlichten Spiele, Hexenklinge, aber wenn du dem Slayer nicht diese
Rune stiehlst, wird keine von uns Shyish je verlassen.
»Dann hör mit deinem Gewäsch auf und rede nicht länger in Rätseln. Wenn du mir wirklich
helfen willst, wenn du wirklich eine Idee hast, teile sie mit mir.« Sie nahm die Blutphiole aus
dem Amulett und ließ sie über dem schwankenden Deck baumeln. »Wenn meine Spiele doch
so schlicht sind, dann gebe ich sie vielleicht auf? Vielleicht werde ich dich deiner Chance
berauben, meinem Aufstieg zuzusehen?«
Steck das zurück! Ich werde dir sagen, was ich gesehen habe.
»Das wirst du.« Maleneth lächelte, rollte die Phiole zwischen ihren Fingern und genoss die
Macht, die sie über die besaß, die sie zuvor verraten hatte. »Und du wirst es schnell tun.«
Möge Khaine dich verfluchen. Ich werde sorgen, dass du dafür bezahlst. Ich werde –
»Du wirst dieses Deck heruntertröpfeln und vergessen sein. Wenn du nicht ganz schnell
redest.«
Nun gut! Ich werde so schlicht reden, dass sogar du es vielleicht verstehst. Erinnerst du
dich, wie wir dabei zugesehen haben, wie die Priesterin mit ihren Ahnen Zwiesprache hielt?
Maleneth nickte.
Was hat sie gesagt?
Maleneth lachte. »Sie hat uns gewarnt, Abstand zu halten, weil sie so ›zerbrechlich‹ sein
würde.«
Exakt – ihr Körper wurde spröde und sie warnte dich, sie nicht zu berühren. Und das
Vorhängeschloss, das sie um ihren Hals trägt. Kannst du dich erinnern, was damit
geschah?
»Nichts. Nichts geschah damit.«
Genau. Ihr Fleisch wurde verwandelt. Sie wurde spröde und schwach, aber ihre Halskette
blieb unverändert. Was wäre, wenn der Slayer auf solche Weise verändert würde? Er wäre
dann so spröde und schwach, dass man ihn wie Porzellan zerschlagen könnte.
Maleneth sank mit rasendem Puls zurück gegen das Schandeck »Natürlich. Und die Rune
würde unversehrt bleiben.«
Sie besteht aus Urgold. Gehärtet von diesem Runenmeister damals in Aqshy. Und Gotrek
ist nicht wirklich ein Fyreslayer. Er hat kein Interesse an ihrem Gott. Diese Rune gehört
nicht in seinen Körper. Wenn du sein Fleisch zerstören würdest, bliebe die Rune
Schwarzhammers in den zerbrochenen Splittern zurück.
»Und wie würden wir das Schiff bewegen, wenn Gotrek tot wäre?«
Denk nach! Du brauchst nur die Rune, um die Kraft des Schiffes zu kanalisieren. Diesen
Trottel brauchst du nicht.
Immer noch unsicher schüttelte Maleneth den Kopf. »Warum hilfst du mir?«
Du bist alles, was ich habe, du Närrin. Wenn ich dir nicht helfe, dann stirbst du hier
unten und ich werde … ich werde nichts sein.
Da lag echtes Gefühl in der Stimme. Maleneth konnte nicht glauben, dass ihre Herrin die
uneingeschränkte Wahrheit sagte, aber vielleicht war es ein Teil der Wahrheit. Und die Idee
war gut. Sie lachte. »Und was schlägst du vor, wie ich Gotrek Gurnisson davon überzeuge,
Motten anzubeten und mit Leichen zu kuscheln?«
Selbst in einem Geist, der so unfruchtbar ist wie der deine, muss doch wenigstens etwas
von meiner Ausbildung angeschlagen sein. Denk nach. Ich habe dir den Schlüssel gegeben.
Finde einen Weg, ihn zu benutzen.
Maleneth schüttelte den Kopf. »Er würde niemals –«
Sie keuchte auf. »Bei Khaine.« Über das ganze Deck hinweg erstrahlte plötzlich Gotreks
Runenlicht heller und blendete sie erneut.
»Bei Valayas Zähnen!«, brüllte der Slayer. Er klang, als leide er Schmerzen.
Einige unangenehme Minuten lang war Maleneth geblendet. Sie versuchte sich zu einer
embryonalen Haltung zusammenzurollen, um die Übelkeit zu vertreiben, doch dadurch kam
sie sich vor, als wäre sie einer der Kadaver in den Kokons. Gerade als sie versuchte
aufzustehen, um zu sehen, ob das besser war, ließ Gotrek ein weiteres Gebrüll ertönen.
Ein paar Sekunden später atmete Maleneth erleichtert auf. Das Ätherschiff wurde
langsamer. Die Drehbewegungen der Decks ließen allmählich nach, bis schließlich alles mit
einem letzten metallischen Kreischen der Zahnräder zum Halten kam.
Nach all dem Lärm und der Bewegung zuvor schien die Stille unheimlich. Jeder auf Deck
sah sich verwirrt um.
Maleneth stand mit schwankenden Beinen auf und schaute über die Wellen hinaus. Dort war
nichts als die Kämme und Täler der Abendflut. »Lord Aurun?«, rief sie. »Was ist los? Warum
halten wir an?«
Der Ritter schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn, als er zu Lhosia und Fürst Volant
hochsah.
Der Fürst schritt über das Deck und stampfte auf die Luke zum Maschinenraum. »Slayer!
Was ist passiert?«
Es kam keine Antwort.
Maleneth murmelte einen Fluch und band sich los, taumelte dann zur Luke hinüber. »Lasst
mich mit ihm sprechen«, sagte sie, öffnete sie und kletterte die Leiter hinab.
Die Maschinen funkelten noch immer vor Runenlicht und sie erspähte Trachos unten in den
Bilgen am Fuß der zweiten Leiter. Sie stieg weiter hinunter und eilte zu ihm hin. Die Luft war
trüb vor bitter riechendem Rauch und sie brauchte einen Moment, um Gotrek zu entdecken,
der gegen die Maschinen hingesunken lag. Seine muskelbepackte Gestalt schimmerte vor
Energie. Er sah aus wie eine Sternenkarte, bedeckt mit Linien und Kreuzungspunkten, die alle
auf die Rune in ihrer Mitte ausgerichtet waren.
»Grimnir holt mich«, grunzte er. »Und das lasse ich nicht zu!« Dutzende von Kabeln
baumelten von seiner Brust herab, mit denen Trachos ihn an die Maschinen des Schiffes
angeschlossen hatte. »Ich bin keine verdammte Brennstoffleitung!«
Trachos schüttelte den Kopf. »Die Meisterrune ist der einzige Weg, das Äthergold zu
kanalisieren. Und ohne Äthergold haben wir keine Möglichkeit das Schiff zu bewegen.«
Fürst Volant war Maleneth die Leiter hinab gefolgt. Er beugte sich durch die beißenden
Dämpfe. «Du hast einen Eid geschworen. Brichst du etwa dein Wort?«
Gotrek kämpfte sich auf die Füße und blitzte Volant wütend an. »Ich bin kein Eidbrecher.
Ich schaff deine Motteneier schon nach Hause.« Er sah auf die Rune hinab. »Aber es muss
einen besseren Weg geben.«
Er stieß die Kabel von sich und blickte Trachos finster an. »Diese Rune ist ein Vampir,
Menschling. Denk dir was anderes aus.« Während er sprach, flackerte Runenfeuer durch
seinen Bart. »Noch eine Stunde davon und von mir ist nichts mehr übrig.«
Trachos rasselte mit den zerrissenen Kabeln. »Die hier sind zerstört. Wir brauchen deine
Rune.«
Jetzt. Das ist deine Chance!
Die Stimme sprach mit solcher Schärfe, dass Maleneth schon halb erwartete, dass die
anderen sie hörten.
Sie sah von dem wütenden Slayer zu Trachos und dann zu Lhosia hinüber, die halb die
Leiter herab war und dem Wortwechsel zusah. Sie dachte angestrengt darüber nach, was ihre
Herrin gesagt hatte. Wenn sie den Slayer überzeugen könnte, mit den Leichen Zwiesprache zu
halten, dann wäre er verletzbar und die Rune war für sie zum Greifen nah.
»Gibt es einen Weg …?«, hob sie an und ihre Stimme schwankte, da sie sich nicht sicher
war, was sie sagen sollte.
Alle wandten sich um und blickten sie an.
Sie sah hoch zu Lhosia. »Hast du gesagt, die Unbegrabenen würden eure Festungen mit
Kraft versorgen?«
Lhosia nickte.
»Ich frage mich …« Sie zuckte die Achseln, darauf vorbereitet, dass man sie auslachte.
»Könnten sie uns helfen, Gotrek Rune auf eine andere Art zu benutzen? Wenn eure Vorfahren
sie sehen könnten – wenn sie ihr Wesen verstehen könnten –, könnten sie dann vielleicht ihre
Macht freisetzen, ohne dass Gotrek dabei derart verwandelt wird? Wenn sie die Kraft der
Rune kanalisieren könnten, dann könnte sie vielleicht noch immer als Leiter für das Äthergold
dienen.«
Volant schüttelte den Kopf, aber Lhosia schaute Gotrek interessiert an.
»Ich verstehe das Wesen dieser Rune nicht, doch die Unbegrabenen verstehen die meisten
Dinge. Manche waren am Leben, als die Kharadron uns die Meeresgischt verkauften. Ich bin
mir sicher, dass sie auf die eine oder andere Art helfen könnten.« Sie blickte hoch zum Deck.
»Wenn Gotrek einwilligt, mit mir gemeinsam in Zwiesprache mit den Unbegrabenen zu
gehen …«
Mit blitzenden Augen wich Gotrek zurück. »Mit dir gemeinsam? Du willst, dass ich mich
mit diesen Dingern verbinde? Vergiss es.« Er begann, die Leiter hochzuklettern, die anderen
folgten ihm.
»Du müsstest nur neben mir sitzen, um dich der Verbindung anzuschließen«, sagte Lhosia,
als sie aufs Deck hinaufkamen.
»Nein.« Gotrek stapfte umher und funkelte finster die Kokons an.
»Etwas müssen wir tun«, sagte Lord Aurun und blickte übers Meer hinaus. »Seht.«
Sie spähten alle in die Dunkelheit.
»Was ist das?«, fragte Maleneth. Nachdem das Runenlicht verschwunden war, wurde es
schwierig, weit über die Wellen hinweg zu sehen. »Bewegt sich die See?«
Fürst Volant murmelte einen Fluch und schüttelte den Kopf. »Bogenschützen!«, rief er.
»Macht Eure Bögen fertig!« Er wandte sich den Sensen tragenden Rittern zu, die sich um sie
versammelt hatten. »Bereitet Euch darauf vor, geentert zu werden.«
Maleneth überquerte das Deck und lehnte sich über die Reling, bis ihre Augen die
Bedeutung der Bewegung erfassen konnten. Tausende Ghule stürmten über die Abendflut,
krabbelten die staubigen Wellen herauf und rasten auf das Schiff zu.
Rüstungen klirrten, als die Ritter ihre Sensen zogen und Schilde hoben, während die
Bogenschützen auf ihre Positionen eilten.
Versuch’s noch einmal bei ihm. Dränge ihn.
Maleneth eilte zu Gotrek hinüber, der die sich nähernde Horde finster anstarrte.
»Schau, wie viele das sind«, flüsterte sie und beugte sich nahe zu ihm hin.
»Ich kann’s mit ihnen aufnehmen.« Mit einem Knacken ließ er seine Schultern rollen und
hob die Axt.
Zu welchem Preis?, soufflierte ihr die Stimme in ihrem Kopf.
»Zu welchem Preis?«, sprach sie nach und schwenkte ein Messer in Richtung der sich
drängenden Schatten. »Was ist dann noch von dir übrig, wenn der Kampf vorbei ist? Du
müsstest auf jedes Quäntchen der Runenkraft zurückgreifen.«
Er funkelte sie finster an, sah dann mit noch mehr Zorn auf die Rune hinab.
»Denk drüber nach«, sagte sie. »Wenn diese Unbegrabenen nur halb so viel wissen, wie die
Priesterin glaubt, dann könnten sie vielleicht einen Weg finden, wie du die Kraft der Rune
nutzen kannst, ohne dass du dich an Grimnir verlierst. Wäre das nicht die Antwort auf all
deine Probleme?«
Lhosia stand wenige Schritte entfernt und beobachtete den Wortwechsel. »Ich glaube, dass
sie helfen könnten«, sagte sie.
»Bringt dieses Schiff in Bewegung!«, donnerte Fürst Volant und schritt über das Deck
dorthin, wo sein Reittier wartete. »Ich werde sie, solange ich kann, zurückhalten.«
»Du willst da allein rausgehen?« Gotrek sah beeindruckt aus.
Volant nickte, als er den Skelettdrachen bestieg. »Ich werde die Seelen nicht an diese Tiere
verlieren.«
Das Wesen breitete seine hautlosen Schwingen aus und schlug damit aus, dass es über dem
Schiff schwebte, während der Fürst auf Gotrek herabblickte. Volant spornte sein Ross an und
schoss in die Dunkelheit davon, geradewegs der sich nähernden Horde entgegen.
Stumm blickte Gotrek ihm hinterher. Der Zorn schwand aus seinen knorrigen Zügen und
Maleneth war überrascht, zu sehen, wie sehr die Worte des Fürsten ihn bewegt hatten.
Er respektiert ihn, wurde ihr klar. Sie betrachtete die Ritter, die rings auf dem Schiff in
stoischem Schweigen warteten, bereit, für ihre Vorfahren zu sterben. Er mag sie.
Lichter blitzten in der Dunkelheit auf, als Fürst Volant die erste Welle der Ghule erreichte.
Er mähte mit seiner Sichel amethystfarbenen Bahnen durch die Nacht, als er nach den
wimmelnden Gestalten unter ihm ausschlug.
»Bogenschützen!«, schrie Lord Aurun ein paar Schritte weiter entlang des Decks. »Auf
meinen Befehl!«
Man hörte das Klappern von Pfeilen, die angelegt wurden.
Gotrek schenkte Maleneth ein letztes finsteres Funkeln, dann wandte er sich an Lhosia und
nickte. »Dann mach schnell. Bevor ich meine Meinung ändere.«
Halte dich bereit. Sieh, wann er sich verändert. Der Stormcast Eternal wird versuchen,
ihn zu beschützen, wenn ihm klar wird, was du tust.
Trachos war in der Nähe und beobachtete Gotrek und Lhosia stumm.
Maleneth wollte gerade vorschlagen, dass er unter Deck ging, um die Maschinen zu
inspizieren, doch dann vergaß sie ihn vollkommen, gebannt von der bizarren Verwandlung,
die sich vor ihren Augen abspielte.
Lhosia hatte eine Hand in den Kokon sinken lassen und zu singen begonnen. Die
lumpenähnliche Umhüllung fing an zu glühen und enthüllte zuckende Formen darunter, als
Lhosia ihre Hand auf Gotreks Rune legte.
Während Lhosia murmelnd ihr Lied sang, verlor Gotreks gegerbte Muskulatur allmählich
ihre kastanienbraune Farbe und verwandelte sich in das Weiß der Kokons.
»Bei Grungnis Schwur«, flüsterte er, als seine Haut zu einem bleichen Panzer wurde.
»Bleib ruhig«, murmelte Lhosia. »Und schließ deine Augen.«
Maleneth war so verblüfft von der Verwandlung, dass sie zeitweilig vergessen hatte, warum
sie dieses ganze Trauerspiel überhaupt inszeniert hatte. Sie trat näher heran, packte ihre
Messer, war froh, dass Trachos zu sehr damit beschäftigt war, Gotrek anzustarren, um zu
bemerken, was sie tat.
Sie zuckte zusammen, als ein schauriger Schrei die Nacht durchdrang.
Trachos wirbelte herum und die Soldaten der Erebid taumelten und senkten ihre Waffen.
Nur Lhosia schien davon nicht beeinflusst zu werden. Sie war so sehr in ihr Ritual vertieft,
dass sie das Geräusch nicht wahrnahm. Gotrek fluchte, bewegte sich aber nicht.
Jetzt!
Maleneth ignorierte ihre Herrin und hielt übers Meer hinweg nach der Quelle des
schrecklichen Kreischens Ausschau.
Da war ein Blitz purpurnen Lichts und Volants Reittier raste unter einem hochaufragenden
Schatten dahin.
Der Schatten ließ einen weiteren Schrei hören, der noch lauter als der erste war.
Schmerz sengte durch Maleneths Schädel. Es war, als würde ihr jemand Messer in den Kopf
stoßen.
Aurun befahl seinen Männern, ihre Pfeile abzuschießen, doch die Bogenschützen taumelten
vor Schmerzen und ihre Schüsse trafen nichts als leere Luft.
Gotrek knurrte gequält von dem Laut auf, konnte sich jedoch nicht die Ohren zuhalten.
Während er grollte, erwachte die Rune auf seiner Brust wieder pulsierend zum Leben, ließ
Lichtstrahlen zwischen Lhosias Fingern hervorströmen und ihm Funken in die Augen treten.
»Was passiert da?«, stieß Maleneth keuchend hervor, als das Runenlicht durch Lhosias
Gewänder zuckte, ihren Arm herab und in den Kokon.
Die Gestalt darin blitzte auf wie Zunder und Lhosia schnappte nach Luft.
Der Zorn schwand aus Gotreks Auge, als er auf das Deck herabblickte. »Ich sehe sie«,
murmelte er benommen.
Jetzt!
Maleneth ignorierte die Stimme in ihrem Kopf. Sie war Gotreks Blick gefolgt und hatte
etwas Unglaubliches gesehen. Auf dem ganzen Schiff leuchteten alle Kokons in Einklang mit
dem in Lhosia Armen auf und strahlten vor Runenlicht. Das Licht lief in kleinen Wellen über
das Metalldeck und folgte schimmernd den Rohren, die unter den Schandecks verliefen.
Etwas ruckelte unter Maleneths Füßen und wurde dann zu einem steten Grollen.
»Das Äthergold«, sagte Trachos, eilte wieder zur Luke und verschwand unter Deck.
Maleneth keuchte gemartert auf, als das Kreischen sich ihr erneut in den Kopf bohrte.
Fürst Volant war direkt über ihnen, etwa zehn Fuß über der Kuppel des Schiffes, in einen
Kampf mit einem grotesken Zerrbild seines eigenen Reittiers verstrickt – einem untoten
Grauen, dessen Schwingen Fetzen toter Haut hinter sich herzogen und dessen Kiefer weit zu
einem eingefrorenen Fauchen aufgerissen waren. Dies war der Ursprung des grausigen
Kreischens. Das Geschöpf krallte und schnappte nach ihm, während Volant mit seiner Sense
aushieb.
Draußen auf der Abendflut schlitterten und taumelten die Ghule über die Wellen und
manche von ihnen erreichten die Meeresgischt. Das Schiff trieb so langsam dahin, dass die
Kreaturen in der Lage waren, seinen Rumpf hochzuspringen und über die Reling zu klettern.
Die Grabwacht hob ihre Schilde, als die sabbernden Geschöpfe sich auf sie warfen.
Aurun stürzte sich ins Getümmel und brüllte Befehle. Sensen blitzten, ließen Glieder
umherfliegen und Ghule vom Schiff stürzen.
»Es bewegt sich!«, schrie Maleneth und wich einem kopflos aufs Deck klatschenden Reißer
aus. Sie sah sich verwundert um, da die Unbegrabenen heller strahlten und das Schiff sich
quietschend in Bewegung setzte und sich dabei um seine zentrale Kuppel drehte.
Gebadet in dem arkanen Licht, schrie Fürst Volant triumphierend auf, als er das kreischende
Monster enthauptete. Es schlug wild zappelnd mit seinen riesigen, fledermausgleichen
Schwingen aus, überschlug sich dann rückwärts und schmetterte in die Masse von Ghulen
hinein.
Der Fürst sauste über das Deck hinweg. »Bindet Euch am Schiff an! Macht Euch irgendwo
fest!«
Während die Meeresgischt Geschwindigkeit aufnahm, fielen viele der Monster zurück auf
die Wellen unter ihnen, doch einige liefen noch immer frei auf dem Deck umher.
Während die Soldaten den Befehlen des Fürsten nachkamen und sich an die Maste und
Schandecks banden, schritt Lord Aurun über die Decks, hackte wütend auf die Ghule ein und
schleuderte sie über die Reling.
Maleneth stürmte an seine Seite, schlitzte einem Reißer die Kehle auf, der ihn gerade von
hinten anspringen wollte. Aurun drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie sie
ihre Klinge herausriss und die röchelnde Kreatur über die Reling trat. Er nickte dankend,
bevor er an ihr vorbeitrat, um den Gefallen zu erwidern, indem er mit seiner Sense einen Ghul
durchtrennte, der gerade Maleneth anspringen wollte.
Sie wanden sich über das Deck und beschützten die Erebid, während das Schiff
Geschwindigkeit aufnahm, dabei so heftig ruckelte und schlingerte, dass Maleneth sich wie
betrunken fühlte und während des Kämpfens taumelte und schwankte.
»Wacker gemacht, Aelfe«, keuchte Lord Aurun, als er an ihr vorbei auf die Kuppe zu
taumelte. »Und jetzt binde dich irgendwo an!«
Sie stürzte rückwärts, da die Bewegungen des Ätherschiffs sie falsch Tritt fassen ließ,
sodass sie durch die Luft auf die Abendflut zusauste.
Eine Hand umschloss ihr Handgelenk, dass ihr Arm schmerzhaft in seiner Gelenkpfanne
ruckte, als jemand sie wieder hoch aufs Deck zerrte und sie rasch mit dem Schiff verzurrte,
bevor es erneut ins Torkeln geriet.
»Du machst dir das langsam zur Gewohnheit«, keuchte sie, als sie erkannte, wer ihr Retter
gewesen war.
Trachos nickte, während er das Seil überprüfte, mit dem er sie gesichert hatte. »Ich werte
das als Dankeschön.«
Der Satz kam ihm so natürlich über die Zunge, dass sie überrascht auflachte. »War das ein
Scherz?«
Er machte ein Geräusch, das ein Lachen sein mochte.
»Was ist mit dir geschehen?«, Sie versuchte ihm durch die Augenschlitze seines Helms zu
sehen. Trachos so normal reden zu hören, schien ihr sogar noch wundersamer als die Kraft,
die durch Gotrek und Lhosia schoss.
Als er schließlich alle Knoten überprüft hatte, lehnte sich Trachos sitzend gegen die Reling
und schüttelte den Kopf. »Dein Plan funktioniert. Die Unbegrabenen leiten irgendwie das
Runenfeuer in die Maschinen um. Äthergold fließt frei durch die Antriebe.«
Ungläubig schüttelte Maleneth den Kopf. Das Letzte, was sie erwartet hatte, war, dass ihr
absurder Plan funktionieren würde. Sie griff nach der Reling, als sich die Decks schneller und
schneller um die Kuppel drehten.
Trachos sah zu der Stelle hinüber, wo der Slayer noch immer mit der Priesterin saß,
umgeben von einem Nimbus äthrischer Strömungen. Anders als alle anderen an Bord
erschienen sie ruhig. Sie waren in keiner Weise irgendwo angebunden und doch schienen sie
von den Energien, die durch sie hindurchbrannten, auf der Stelle festgehalten und ihre spröden
Hüllen mit den auf dem Schiff herumliegenden Kokons verbunden zu werden.
»Er …« sagte Trachos und schüttelte den Kopf, als sei er unfähig, seinen Gedanken zu
vollenden.
»Gotrek?« Maleneth runzelte die Stirn. »Was ist mit ihm?«
Trachos klang verwirrt. »Ich wurde im Licht Sigendils geschmiedet, durch den Willen des
Gottkönigs. Hexerei hat keine Macht über mich. Und doch fühle ich, dass der Slayer mich auf
irgendeine Art verändert hat.«
»Etwas hat sich verändert. Du klingst beinah verständlich.«
»Der Slayer glaubte an mich«, murmelte er. »Als ich es nicht tat.«
Maleneth lachte ungläubig. »Ich habe euch Menschen nie verstanden, Stormcast Eternals
sogar noch weniger. Du klingst wie diese vertriebenen Duardin, die ihn anbeten wollten.«
»Ich habe das Torhaus angehoben«, erwiderte Trachos schroff. »Ich habe die Kokons
befreit, als die Erebid das für unmöglich hielten. Ich habe dieses Gefährt in Bewegung
gesetzt.« Er sah hoch zu den sich drehenden Sternen. »Ich habe gefühlt, wie Sigmars Kraft
wieder durch mich wirkte, so klar wie damals, als ich zuerst in Azyr geschmiedet wurde.«
Maleneth beugte sich näher an ihn heran. »Und?«
Er lachte. Das Geräusch schien fehl am Platz zu sein, wie es da aus seinem
schlachtzernarbten Gesichtspanzer kam. »Ich glaube, vielleicht mache ich langsam Frieden
mit meinem Gott. Und das wäre ohne den Slayer niemals geschehen.« Er sah wieder zu
Gotrek hinüber. »Was ist er, Hexenklinge?«
Maleneth wollte sich schon über seinen ehrfürchtigen Ton lustig machen, doch sie blickte zu
Gotrek, der die Meeresgischt durch die Lüfte schleuderte, von den Seelen der Unbegrabenen
wie von einem Glorienschein umgeben, und die Worte blieben ihr in der Kehle stecken.
KAPITEL ZWANZIG

DIE VERHARRENDE FESTE

Maleneth stellte schockiert fest, dass sie eingeschlafen war. Die Bewegung der Meeresgischt
war schließlich zu einem stetigen, hüpfenden Rhythmus geworden und sie hatte ungezählte
Tage ohne Schlaf auskommen müssen; dennoch fluchte sie, als erwachte, griff nach ihren
Messern und sah sich nach Angreifern um.
Trachos war an ihrer Seite und seine massive, ramponierte Rüstung schützte sie vor dem
Wind. Jenseits des Schiffes war die Dunkelheit vollkommen, aber Gotrek und Lhosia waren
noch immer von der blendenden Korona umgeben, welche glitzernde Flecken aus Purpur und
Gold rings über die Abendflut streute.
Das Mahlen der Motoren war unverändert, doch es erhob sich ein neues Geräusch, ein
ozeangleiches Donnern, das Maleneth für den Grund hielt, warum sie erwacht war.
»Was ist das?«, fragte sie, doch als die Decks eine weitere Umdrehung vollendeten,
beantwortete sich ihre Frage. Vor ihnen, nur ein paar Meilen vom Bug der Meeresgischt
entfernt, erhob sich eine kolossale Festung. Sie war das größte Bauwerk, das sie seit ihrer
Ankunft in Shyish gesehen hatte, und es war im gleichen Stil erbaut wie die Ödstätten – ein
wirres Gestrüpp aus Eisen und Knochen, gewunden und klettenartig, mit verschlungenen,
verknoteten Türmen. Violett brannte es am Horizont wie eine untergehende lila Sonne.
»Die Hauptstadt«, erwiderte Trachos. Seine Stimme hatte einiges von ihrer automatenhaften
Kälte wiedererlangt. »Sie nennen sie die Verharrende Feste.«
»Dieses Geräusch.« Sie runzelte die Stirn. »Ist das Jubel?«
Er nickte und zeigte am Bug vorbei.
Ein paar hundert Schritt vor ihnen flog Fürst Volant durch blitzende Lichter und führte seine
Ehrengarde aus ebenfalls fliegenden Rittern an. Er hielt seine Sense siegreich über den Kopf,
und die Menge, die auf den Stadtmauern versammelt war, hatte ihre Stimmen zu seiner
Huldigung erhoben.
»Man sollte denken, wir haben einen Krieg gewonnen«, schnaubte sie spöttisch. »Statt einen
hastigen Rückzug zu organisieren.«
»Er ist zu ihnen zurückgekehrt. Vielleicht haben sie das nicht erwartet.« Trachos zeigte auf
die Kokons auf dem Deck. »Und er ist damit zurückgekommen.«
Sie verstummten beide und sahen zu, wie die Stadt auf sie zusauste, und nahmen sich einen
Moment Zeit, die Fremdheit dieses Ortes zu betrachten. Während dessen scharfe, dornenhafte
Einzelheiten schärfer wurden, begriff Maleneth, wie groß er eigentlich war. Er hatte beinah
die Ausmaße der freien Städte, die von ihrem Orden errichtet worden waren. Im Zentrum
befand sich ein gebogener, stoßzahngleicher Turm, der mehrere hundert Schritt hoch war, den
Rest der stachelgleichen Gebäude weit überragte und vor schmalen, schießschartengroßen
Fenstern glitzerte. »Fürst Volants Palast, schätze ich«, sagte sie darauf deutend.
»Nein. Ich habe Lord Aurun reden hören, während du geschlafen hast. Den Turm nennt man
die Hallen der Trennung. Dorthin müssen die Erebid ihre Ahnen bringen.« Wieder überraschte
er Maleneth damit, wie normal er sich anhörte. »Wie einzigartig diese Gebäude doch sind. Ich
habe noch nie so seltsame Architektur gesehen. Ich frage mich, ob es in ganz Shyish zwei
Unterwelten gibt, die einander gleichen. Wir haben so unterschiedliche Vorstellungen davon,
was jenseits des Grabes liegt.«
»Für dich wird es kein Grab geben.« Mit dramatischer großer Geste hob sie ihre Messer in
die Luft. »Du lebst weiter fort! Stormcast Eternal! Ungehindert von der Sterblichkeit! Ein
Licht in der Dunkelheit! Das für alle Ewigkeit brennt!«
Hinter seinem ramponierten Gesichtspanzer hervor musterte er sie. »Du verspottest mich.«
Maleneth senkte ihre Klingen und schüttelte den Kopf. »Das habe ich, aber du bist einfach
so verdammt ernst, dass es keinen Spaß macht.«
Sein Blick blieb auf ihr. »Ich hatte ein normales Leben. Bevor Sigmar mich erwählte, seinen
Sturmscharen beizutreten, war ich ein sterblicher Mann. Mein Schicksal war es, zu leben, zu
hassen, zu lieben und zu sterben wie jedermann sonst.« Er schaute zur sich nähernden Stadt
hinüber. »Wer weiß. Vielleicht wäre das mein Jenseits gewesen? Ich erinnere mich nicht
einmal daran, welcher Nation ich angehörte, bevor ich …« Er klopfte sich auf seine Rüstung.
»Bevor ich nach Sigmars Bilde neu geschaffen wurde. Aber welches Schicksal mir auch
immer vorbestimmt wurde, es wurde mir genommen. Ich diene dem Gottkönig. Und alles
andere ist nicht wichtig.«
Maleneth zuckte die Achseln. »Was mehr könntest du dir wünschen? Du dienst deinem Gott
durch Stärke und Mut. Du vergießt Blut in seinem Namen. Du säuberst die Reiche von seinen
Feinden. Ist das nicht genug?«
»Solange ich mich daran erinnere, wessen Blut ich vergießen soll.« Er schüttelte den Kopf.
»Mein Gott ist nicht der deine, Aelfe. Khaine verlangt von dir, dass du ihm Blut und Macht
gibst. Darüber hinaus hat er keine Interessen. Der Gottkönig sucht nicht nach Macht nur um
ihrer selbst willen.«
Sie lächelte spöttisch. »Du bist wirklich wiedergeboren worden, nicht wahr? Hast du
vergessen, was das letzte Mal mit dir geschah, als du in Shyish warst? Bist du dir so sicher,
dass Sigmars Schöpfungen so vollkommen und göttlich sind wie all das? Unterscheidest du
dich wirklich so sehr von mir?«, Sie beugte sich näher heran. »Warum hat Sigmar
hammerschwingende Mörder in die Reiche ausgesandt? War es, um Frieden zu vermitteln?
War es, um ein Abkommen auszuhandeln? Nein. Er schickte euch, um Mord und Zerstörung
zu verbreiten. Dein Gott ist nicht so verschieden von meinem. Jedes Mal, wenn du einen
weiteren Schädel zerquetschst, lächelt Sigmar, Lord-Ordinator. Jeder Tropfen Blut ist ein
Tribut.«
»Du hast unrecht. Sigmar schickte seine Sturmscharen aus, um die Menschheit vom Joch
ihrer Unterdrücker zu befreien. Um sie von der Tyrannei zu erretten.«
»Und was war, als du diese unbewaffneten Familien getötet hast, Trachos? Hast du die von
der Tyrannei befreit?« Maleneths Stimme war voller Spott, doch zu ihrer Überraschung wurde
ihr klar, dass sie tatsächlich ehrlich an der Antwort interessiert war.
Trachos nickte. »Ich habe mich gefährlich nah an den Abgrund verirrt. Doch jetzt sehe ich,
dass es selbst im kleinsten Funken der Menschlichkeit, den ich noch habe, Hoffnung gibt, dass
ich –«
Der Jubel nahm plötzlich an Leidenschaft zu, übertönte Trachos und sie sah, dass sie beinah
die Stadtmauern erreicht hatten.
»Was?«, sagte sie, da sie hören wollte, das Trachos zu sagen hatte, doch es schien, als
könnte er sie über den Lärm nicht hören.
Sie beide erhoben sich und sahen über die Reling hinweg, während sich die Rotation der
Meeresgischt verlangsamte.
Das Licht um Gotrek und die Priesterin verblasste, was dem Paar einen weniger göttlichen
Anstrich verlieh.
Deine Chance ist beinahe vorbei, sagte Maleneth frühere Herrin. In ein paar Minuten wird
er wieder aus Fleisch und Blut sein. Du musst jetzt handeln, wenn du die Rune willst.
Er ist von Soldaten umgeben, dachte Maleneth. Und er ist gerade dabei, all unsere Leben zu
retten. Erwartest du wirklich, dass ich da jetzt ein Messer in ihn jage?
Sie knotete sich los und kam steif auf die Beine, klopfte sich die verkrampften Glieder ab
und streckte ihren Rücken, bis die Meeresgischt stabil genug flog, dass sie das Deck
überqueren und zum Slayer gehen konnte.
Trachos stapfte klirrend hinter ihr her.
Wenn der Stormcast Eternal dabei ist, hast du keine Chance. Schaff ihn fort. Bring ihn
dazu, dass er unter Deck geht.
Maleneth ignorierte die Stimme und starrte Gotrek an. Seine Augen waren geschlossen, und
wie Lhosia saß er vollkommen ruhig da. Seine Haut war noch immer bleich und muschelartig
und er sah eher wie eine Statue als wie ein lebendiges Wesen aus. Seiner unberechenbaren,
mürrischen Art und seiner bombastischen Stimme beraubt, gab er ein gänzlich anderes Bild
ab. Lichtspuren umspielten ihn noch immer und sie konnte sich fast vorstellen, dass das Volk
Morbiums statt ihres Fürsten ihm zujubelte. Das würden sie ganz bestimmt, wenn sie gewusst
hätten, was er getan hatte.
Etwas geschieht hier, dachte sie sich. Etwas geschieht hier mit dem Slayer. Er ist anders als
alles, was mir je untergekommen ist.
Närrin. Hör mit diesem jämmerlichen Zeug auf! Schau doch! Seine Haut ist fast wieder
normal. Tu es jetzt!
Es ist mehr als nur die Rune, entschied sie sich. Er ist für etwas bestimmt. Was immer er
auch von Göttern halten mag, so glaube ich, dass einer von ihnen ihn hierhergeschickt hat. Er
muss so eine Art göttlichen Schutzherrn haben. Wie sonst hätte er all das durchstehen können,
was er durchgestanden hat, mit so wenig Planung oder Logik, und immer noch am Leben
sein? Er ist viehisch und gedankenlos und hat kein Quäntchen Finesse, aber nichts berührt
ihn. Wie kann das sein? Etwas treibt ihn förmlich durch diese Prüfungen, leitet ihn und lädt
ihn mit Kraft auf. Und wenn ich ihn hier, jetzt töte, werde ich niemals wissen, was das ist –
oder was Gotrek ist. Wozu er hier ist.
Beim Blut Khaines! Was redest du da? Er wird nicht von einem Gott getrieben – sondern
von Dummheit. Es gibt keine Göttlichkeit in diesem schwitzenden Klumpen. Schau ihn dir
an! Du hast es doch selbst gesagt – er ist ein Schweinskerl, der reden kann, zu unbedarft,
um die Gefahren überhaupt zu erkennen, in die er sich ständig wirft. Das Einzige, wozu er
hier ist, ist, um sich auf die möglichst prahlerischste und dünkelhafteste Art selbst zu
zerstören. Es ist nichts dadurch gewonnen, ihn leben zu lassen. Töte ihn jetzt, solange du
Gelegenheit hast. Gib ihm das Schicksal, dass er sich so wünscht, oder du wirst hier
sterben. Zusammen mit diesen widerwärtigen Menschen. Und ich mit dir.
Maleneth schüttelte den Kopf.
Blinzelnd und verwirrt öffnete Gotrek die Augen. Er sah aus, als hätte er die Nacht trinkend
verbracht. Er entdeckte Maleneth und Trachos, die ihn verwirrt staunend betrachteten.
»Bei Grungnis Eiern. Warum schaut ihr mich so an?«
Lhosia öffnete beim Klang seiner Stimme ihre Augen und blickte auf die Lichter, die,
während die Meeresgischt langsamer wurde, rings auf dem Deck verblassten. »Es hat
funktioniert«, sagte sie und warf einen Blick über den Bug hinweg zur Stadt hin, während sie
die Hand von Gotreks Rune nahm.
Gotrek erhob sich, ließ seine Schultern rollen und schniefte, was einen langen, flüssig
rasselnden Laut verursachte. »Was jetzt, Mädel?« Er stapfte zur Reling und sah hinüber zum
Fürsten und den Mauern der Verharrenden Feste. »Wohin müssen wir diese Dinger bringen,
damit dein Fürst sie als gerettet betrachtet?«
Lhosia befreite ihre Hand langsam aus dem Kokon und rings auf dem Schiff begannen die
Lichter zu verblassen. »Unglaublich«, flüsterte sie. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Sie
waren alle anwesend. Jeder der Unbegrabenen. Es waren tausend Seelen auf diesem Schiff.«
»Priesterin!«, brüllte Gotrek, winkte über die Reling hinweg und nickte zu der Stadt hin.
»Was jetzt?«
Lord Aurun taumelte flankiert von Grabwachtangehörigen auf sie zu. Er war mit Schnitten
und Prellungen bedeckt, doch seine Augen waren klar.
»Nun wird der Fürst sein Ritual vollführen.« Er deutete auf die Kokons. »Da die
Unbegrabenen in der Verharrenden Feste versammelt sind, wird er sie retten können.« Er
lächelte Lhosia an. »Der Fürst sagte mir, dass Ihr und er das Licht eines magischen Steines
bändigen werdet. Er sagte, Ihr werdet den Eisernen Schleier erneuern und dieser Invasion ein
Ende bereiten.«
Das Staunen schwand aus Lhosias Blick. »Wäre es doch nur so einfach, alter Freund. Der
Fürst besitzt ein machtvolles Relikt, das man den Leichentuchstein nennt. Er glaubt, dass,
wenn die Unbegrabenen in der Verharrenden Feste sind, er und ich in der Lage sind, ihre Kraft
in den Stein zu leiten und einen neuen Schutzbann zu erschaffen, der stark genug ist, sie zu
behüten. Wir werden sie vor den Reißern schützen können. Es wird eine Art Eiserner Schleier
sein, aber keiner, der das ganze Fürstentum absichern kann.« Sie blickte dorthin zurück,
woher sie gekommen waren, in die weite Dunkelheit, die einst von den Vorstehern erleuchtet
worden war. »Für den Rest Morbiums kann man nichts tun.«
»Aber wenn wir in der Hauptstadt eingeschlossen sind, was wird dann aus uns?«, fragte
Aurun. »Verhungern wir dann nicht?«
»Der Fürst hat nicht alle Einzelheiten mit mir geteilt.« Sie schüttelte mit grimmiger Miene
den Kopf. »Von unserem Überleben hat er nicht gesprochen, nur von den Unbegrabenen.«
Aurun runzelte die Stirn, während der Schwung des Schiffes sie das letzte Stück zur Stadt
hin trug und es grollend zum Stillstand kam. Neben einem breiten Wyndgang, der zu einem
gewaltigen Tor nach dem Bilde gefalteter Schwingen führte, wie sie auf den Schilden der
Grabwacht zu sehen waren, hielt es holpernd an. Die Straße wimmelte vor Flüchtlingen,
Hunderten erschöpft wirkender Leute, die Karren und Säcke auf die Stadt zuschleppten. Viele
davon waren verwundet und alle sahen sie ausgezehrt aus, doch sie jubelten Fürst Volant mit
sogar noch größerer Begeisterung zu als die Soldaten auf den Zinnen.
Die Soldaten auf dem Boot schritten zur Tat und warfen Taue zu den Wyndgängen hinüber,
wo hohlgesichtige Flüchtlingen sie ergriffen und das Ätherschiff an der Metallstraße
vertäuten.
Lord Aurun schritt als Erster stolz und siegreich den Laufsteg hinab, winkte wie ein Regent
den Leuten zu, während der Rest der Passagiere hinter ihm herschritt.
Gotrek war direkt an Auruns Seite und blickte begierig zu den Stadttoren hoch, während
Maleneth und Trachos hinter ihm hereilten.
Die Grabwacht formte für sie eine Gasse aus Schilden, durch die sie marschierten, und als
Fürst Volant über ihnen dahinsauste, über die Stadtmauern hinweg, schritten Aurun und die
anderen durch das Tor und betraten einen Platz, der gedrängt voll mit Hunderten weiterer
Flüchtlinge und Soldaten war.
Der Lärm war unglaublich. Die Leute sahen die Kokons und jubelten nur noch lauter und
schrien: »Morbium auf ewig!«
Fürst Volant landete in der Mitte des Platzes, wobei sein beinernes Reittier über die
Pflastersteine klapperte. Er glitt aus dem Sattel und versuchte, sieghaft dreinzublicken, konnte
aber nicht vollständig die Tatsache seiner Verwundung verbergen. Er bewegte sich unbeholfen
und ruckartig, winkte aber seine Männer, die ihm zu Hilfe eilen wollten, beiseite.
»Ich habe den Eid der Dämmerfürsten eingehalten!«, rief er über der Menge aufragend. »Ich
werde niemals unsere Vergangenheit preisgeben!« Er winkte mit der Sense zu den Kokons
hin, die gerade auf den Platz getragen wurden. »Wir werden fortbestehen!«
Die Menge warf ihm seine Worte zurück.
»Unglaublich«, flüsterte Maleneth Gotrek zu. »Sie haben ihr gesamtes Land verloren und
nun jubeln sie einem halb toten Fürsten zu.«
Gotrek funkelte sie finster an. »Sie haben ihren Eid gehalten. Einer Aelfe sagt das nichts,
aber ihnen bedeutet es eine Menge. Ich dachte, diese Reiche würden ausschließlich von
verräterischen thaggi und kackhändigen Gaunern bewohnt. Aber diese Leute waren bereit,
alles für die Ehre ihrer Ahnen zu riskieren.« Er tat einen tiefen Atemzug, warf die Schultern
zurück und schlug sich auf die Brust. »Das tut mir gut, Aelfe. Es tut mir gut, dies zu sehen.
Vielleicht sind noch nicht alle der alten Sitten und Werte in Vergessenheit geraten.«
Sie schlossen sich der Menge um Fürst Volant an, als dieser mit seiner Ansprache fortfuhr
und die Schlachten beschrieb, die sie geschlagen hatten, um die Unbegrabenen zu retten,
während mehr und mehr Leute auf den Platz drängten.
»Sie sehen schlimmer aus als ihre heiß geliebten Leichen«, murmelte Maleneth. »Und was
denken sie, passiert, wenn die Ghule hierherkommen?«
Gotrek wollte gerade antworten, als ein lauter rasselnder Lärm das Nahen weiterer Soldaten
ankündigte. Eine Kolonne der Grabwacht betrat den Platz, ritt unter einem Torbogen hindurch
und hielt geradewegs auf den Fürsten zu. Sie saßen auf flügellosen Verwandten des fürstlichen
Reittiers und ihre Rüstungen zeigten keinerlei Spuren einer Schlacht und schimmerten im in
die Straßen fallenden Licht in mattem Glanz. Am Kopf der Kolonne befand sich eine Kutsche,
die wie ein fahrbares Beinhaus wirkte – ein kunstvoll gefertigtes Gebilde aus zugespitzten
Knochen, gezogen von vier ausgebleichten, fleischlosen Pferden. Als die Kutsche Volant
erreichte, stieg ein Ritter aus. Er trug einen Kranz aus eisernen Rosenblättern und legte die
ungezwungen lässige Haltung eines Aristokraten an den Tag.
»Eure Majestät!«, rief der Edelmann über den Lärm der Menge hinweg. »Die Unbegrabenen
haben Eure Rückkehr prophezeit, aber es ist wunderbar, Euch so bald zu sehen.«
Fürst Volant lachte. »Bald?« Er blickte über die Mengen hinweg und musterte die
überfüllten Straßen. »Wir müssen reden, Hauptmann Ridens.«
Der Hauptmann nickte und zeigte auf ein nahegelegenes Gebäude. »Das Ordenshaus, Eure
Majestät. Dort sind wir ungestört.«
Die Ritter formten einen weiteren Gang aus Schilden und sie gingen durch die Menge auf
das hohe, schmale Gebäude zu, das sich stark von den umgebenden abhob. Das meiste an
Architektur, was den Platz säumte, war aus den gleichen knochenähnlichen Verdrehungen
gestaltet wie der Rest der Stadt, aber dieses Gebäude war ein Block aus tintenschwarzem Stein
und seine Machart war schlicht und schmucklos. Die einzige Verzierung bestand aus einem
Paar gefalteter Schwingen auf der Tür.
Der Hauptmann führte sie ins Innere, dicht gefolgt von Fürst Volant, der sich unter dem
Türrahmen durchbücken musste, Hohepriesterin Lhosia, Gotrek, Maleneth, Trachos und
schließlich Lord Aurun und einer Abteilung Grabwacht. Aurun befahl einigen seiner Männer,
draußen Wache zu stehen und schlug dann die Tür zu.
Der Eingang war lang und schmal und von flackernden Fackeln gesäumt. Er führte zu einem
weiten, kreisförmigen Raum mit einem Kuppeldach und zwölf Nischen, die sich gleichmäßig
um seinen Außenrand zogen. In jeder Nische befand sich ein weißer Schild, der nach dem
Bild eines Flügels geschmiedet und mit kleinen Textzeilen versehen war.
Im Zentrum des Raum befand sich ein kreisförmiger Steintisch und Fürst Volant schritt
hinüber, um sich dann darüber zu lehnen, die Fäuste auf den Stein gepresst und den Kopf
gebeugt. Er atmete schwer.
»Eure Majestät«, sagte Lord Aurun und eilte zu ihm. »Wir müssen Eure Wunden versorgen.
Lasst mich nach einem Heiler schicken.«
Volant nahm seinen schwarz-weißen Helm ab, ließ ihn mit einem Dröhnen auf Tisch fallen
und winkte dann Aurun fort. »Später.« Er warf einem der Soldaten einen Blick zu. »Etwas zu
essen. Und Wasser.«
Der Ritter nickte und eilte fort, während Volant sich an den Hauptmann wandte. »Erzählt
mir alles.«
Er nickte und sprach rasch. »Die Garnisonen der Vorsteher wurden, wie Ihr angeordnet
habt, überall auf den Stadtmauern postiert.«
»Wie viele?«
»Beinah viertausend, Eure Hoheit.«
»Wie viele Bogenschützen?«
Der Hauptmann zögerte. »Es sind insgesamt viertausend Leute, Eure Majestät. Grob
zweitausend der Grabwacht. Der Rest sind Bogenschützen, verschiedene Fußsoldaten und
Miliz.«
Volant starrte ihn einen Moment lang an. Er seufzte und nickte. »Und die Unbegrabenen?«
»Von denen abgesehen, die ihr aus den Ödstätten mitgebracht habt, wurde jeder überlebende
Kokon in die Hallen der Trennung gebracht, wie Ihr es befohlen habt.«
Wieder nickte Volant. »Die Heerschar, die uns verfolgt, ist größer als alles, was wir erwartet
haben. Viertausend Soldaten werden nicht ausreichen.«
Der Hauptmann erbleichte, bevor er jedoch antworten konnte, fuhr der Fürst fort.
»Doch das würden auch nicht fünfzigtausend. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, die
Mauern zu halten, bis ich und die Hohepriesterin das Ritual vollendet haben. Mit der Macht
der an einem Ort versammelten Unbegrabenen können wir den Leichentuchstein nutzen, um
die Zukunft der Unbegrabenen zu garantieren.«
Der Hauptmann nickte. »Wir haben die Männer genau nach Euren Befehlen postiert, Eure
Majestät.«
»Bevor ich die Mauern verlasse, will ich mich selbst davon überzeugen.« Volant verzog das
Gesicht, drückte sich die Hand auf die Seite und schloss die Augen. Dann bemerkte er, dass
der Hauptmann ihn betreten ansah. »Ist noch etwas?«
Der Hauptmann nickte. »Etwas Eigenartiges ist den Sariphi-
Häfen geschehen. Die Relikte …« Er runzelte die Stirn, während er sich mühte, es zu erklären.
»Die Relikte begannen sich zu bewegen. Und Geräusche zu machen.«
»Relikte? Welche Relikte?«
»Die Ätherschiffe, Dämmerfürst – die Panzerschiffe und Fregatten. Sie bebten und
klapperten und Licht drang aus ihren Rümpfen. Einige bewegten sich mit solcher Macht, dass
sie nahe gelegene Gebäude beschädigten.«
Volant sah Gotrek und Lhosia an.
Gotrek zuckte die Achseln und sah zu Trachos. »Gib dem Menschling die Schuld.«
Der Hauptmann hatte Gotrek und Trachos bis zu diesem Moment noch nicht richtig
betrachtet. Jetzt blickte er sie überrascht an.
»Eure Begleiter, Eure Majestät. Sind sie der Grund der Probleme bei den Häfen?«
Trachos zuckte die Achseln. »Die alten Vorrichtungen der Kharadron bilden ein Netzwerk
über Euer ganzes Fürstentum hinweg. Es ist möglich, dass ich durch das Auslösen der
Duardin-Apparate bei den Ödstätten ebenso die Maschinen hier ausgelöst habe.«
»Ausgelöst?«, fragte er Hauptmann. »Was meint Ihr damit?«
»Wenn das alles ist, dann werde ich jetzt die Mauern inspizieren«, sagte Volant, die Frage
des Hauptmanns ignorierend, und winkte zur Tür.
»Eine Minute.« Gotrek hielt die Hand hoch und Fürst Volant hielt an. »Wir hatten ein
Abkommen. Ich habe eure Leicheneier gerettet. Jetzt wird es Zeit, deinen Teil des Handels
einzuhalten.«
»Es ist noch nichts gerettet«, erwiderte der Fürst. »Die Reißer werden innerhalb von
Stunden hier sein. Wir müssen diese Mauern halten, bis die Hohepriesterin und ich unser
Ritual abgehalten haben, oder die Unbegrabenen werden mit allem anderen zusammen
vernichtet.«
Gotrek kniff sein Auge zusammen. »Schaff sie in die Hauptstadt. Das war unser Handel. Du
schuldest mir einen Gott.«
»Du hast geschworen, sie zu retten«, sagte Volant und sprach sanft, trotz Gotreks
auftrumpfendem Ton.
Maleneth bemerkte, dass der Fürst sehr anders zum Slayer sprach als zu dem Hauptmann.
Die Ungeduld war verschwunden. Er sprach zu Gotrek wie zu einem Gleichen.
»Ihr habt Tapferkeit und Geschick jenseits von allem gezeigt, was ich von einem Nicht-
Erebid erwartet hätte. Und in Euch ist eine Macht, die mein Verständnis übersteigt. Ich dachte,
Ihr wärt wahnsinnig, als Ihr davon spracht Nagash herauszufordern, doch jetzt …« Volant
zuckte mit den Schultern. »Jetzt denke ich, dass Ihr zu etwas Höherem bestimmt sein könntet
als der Rest von uns, Gotrek Gurnisson.«
»Mag vielleicht sein«, murmelte er, »aber ich kam nicht her, um eure Kriege auszufechten.«
Volant schüttelte den Kopf. »Ich bitte Euch nicht, unsere Kriege zu führen. Ich würde Euch
nur um eines bitten – leiht mir Eure Axt und Euren Mut ein letztes Mal. Der heutige Tag wird
uns entweder Tausender Jahre an Tradition berauben oder siegreich sehen, wie wir die Würde
unserer Ältesten bewahren, während der Rest Shyishs in Trümmer fällt. Wenn Ihr meinen
Rittern helft, die Stadtmauer zu halten, dann kann ich mit Lhosia zu den Hallen der Trennung
gehen und meine Vorväter stolz machen, entweder durch meinen Triumph oder meinen
ruhmvollen Tod.«
Gotrek schaute zu den Schilden, die in den Nischen hingen, und den Gedichten, die in sie
geritzt waren. Es gab einen langen, angespannten Moment, in dem er seine Umgebung zu
vergessen schien. »Ich habe alles verloren«, sagte er schließlich mit leiser Stimme. »Und jetzt
hänge ich hier in diesem schäbigen Menschlingszeitalter fest.« Er sah Maleneth finster an.
»Umgeben von Leuten, die sich nichts um Tradition und Respekt scheren.« Er begegnete dem
Blick des Fürsten und nickte. »Es würde mir guttun, wieder mal für etwas zu kämpfen. An der
Seite von jemandem zu kämpfen, der etwas eher bewahren als verändern möchte.« Gotrek
nickte. »Ich halte die Mauer für Euch, Dämmerfürst.«
Er trat näher heran und tippte mit seiner Axt gegen die Rüstung des Fürsten. »Doch wisset
dies. Ich werde Euch ebenfalls, was Euren Eid betrifft, beim Wort nehmen. Wenn diese
Kokons sicher sind, dann bringt Ihr mich zu Nagash.« Er spuckte auf den Boden. »Oder Ihr
werdet Euch um etwas Schlimmeres als Ghule sorgen müssen.«
Fürst Volant nickte. »Wir haben eine Übereinkunft.«
KAPITEL EINUNDZWANZIG

DER GHULKÖNIG

Der Dämmerfürst befahl Lord Aurun, Lhosia und die Unbegrabenen zur Halle der Trennung
zu begleiten, versprach ihnen, in Kürze zu ihnen zu stoßen, und führte dann Gotrek zu den
Zinnen über dem Stadttor. Als Maleneth und Trachos folgten, bedachten die Soldaten entlang
der Stufen sie mit schockierten Blicken. Maleneth lächelte sie an und war sich dabei bewusst,
wie weiß und hungrig ihr Grinsen in ihrem blutbefleckten Gesicht wirken musste. Sie war
wahrscheinlich die erste Aelfe, die sie je gesehen hatten. Da war sie bedacht, gleich den
richtigen Eindruck zu hinterlassen.
»Wir haben die Reißer entdeckt, bevor wir Euch noch näherkommen sahen«, sagte
Hauptmann Ridens, als sie die Treppen in einem der dornartigen Türme erstiegen, welche sich
entlang der Mauern reihten. »Jeder Überlebende, der uns erreichte, brachte Kunde von ihnen
und erklärte, dass die Vorsteher eingenommen worden seien.« Er verzog das Gesicht,
schüttelte den Kopf. »Sie beschrieben schreckliche Dinge, allesamt. Doch erst vor zwei Tagen
sahen wir allmählich, wovon sie sprachen.«
Sie erreichten die Spitze des Turmes und traten hinaus auf die Wallmauer. Ein kalter Wind
peitschte auf Maleneth ein und die Reihen der Soldaten wichen zurück, verneigten sich,
während sie für den Fürsten Platz machten, sich der Mauer zu nähern.
Er starrte in die Dunkelheit hinaus. »Wovon redet Ihr? Ich kann dort draußen keine Reißer
entdecken.«
Der Hauptmann nickte zu einigen Soldaten ein Stück weiter die Mauer hinab, die neben
einem Katapult von der Größe eines Hauses standen. Sie kamen sofort in Bewegung, zündeten
Kerzen an und befestigten Bündel getrockneten Holzes an der Waffe. Es erklang ein Rasseln
surrender Zahnräder, als das Katapult einen Feuerbogen in Richtung der Sterne fliegen ließ.
Mit einer Funkenexplosion landete er eine halbe Meile von der Stadt entfernt und badete die
Abendflut in Licht.
Angewidert zischte Maleneth auf. Von der Explosion wurden kurzzeitig Reihen von Ghulen
beleuchtet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie reichlich von diesen Kreaturen gesehen, deshalb
waren es nicht ihre krummen, gebeugten Körper, die sie schockierten, auch nicht das Blut, das
ihnen von den ausgelaugten Armen tropfte. Es war das Fehlen von Bewegung. Jeder Ghul,
den sie gesehen hatte, war in Raserei gewesen, doch das Licht hatte ihnen Reihen von
bewegungslosen Fleischessern gezeigt. Sie waren in einer Aufstellung angetreten, wie eine
normale, vernünftige Armee. Sie so zu sehen, wie sie da in dieser scheußlichen Vorspiegelung
von Vernunft aufgereiht standen, war schlimmer, als sie wild losspringen und auskrallen zu
sehen.
»Wie lange sind sie schon so?«, fragte sie, während das Licht verblasste und bei ihr nur
noch ein verstörendes Nachbild zurückließ.
Hauptmann Ridens sah Fürst Volant an, der nickte.
»Seit fünf Tagen.«
»Sie stehen seit fünf Tagen da?« Maleneth lachte ungläubig auf. »Und tun nichts?«
Der Hauptmann nickte. »Überlebende aus den anderen Vorstehern sagen, dass das unüblich
sei – dass die Reißer normalerweise nicht so gut geordnet seien.«
»Verdammt richtig«, murmelte sie. »Was ist das?«, fragte sie Gotrek. »Was tun sie da?«
Der Slayer zuckte die Achseln. »Sieht aus, als warten sie auf einen Befehl.«
»Einen Befehl von wem? Und wie sollen sie einem Befehl folgen, selbst, wenn der käme?
Sie haben keinen Geist.«
Fürst Volant antwortete, ohne seinen Blick von der Dunkelheit zu wenden. »Die
Geschichten erzählen von solch einem Verhalten. Es ist nicht unbekannt. Es ist von Reißern
bekannt, dass sie mit Vernunft handeln, ist da ein …« Er zögerte, suchte nach dem rechten
Wort. »Irgendeine Art von Anführer.«
»Ein Anführer?« Maleneth war skeptisch. »Du hast sie gesehen. Sie sind wie Wölfe, die um
einen Kadaver kämpfen. Sie erkennen keine Anführerqualitäten. Sie könnten einen Anführer
nicht von einem Oberschenkelknochen unterscheiden.«
Der Fürst sah an ihr vorbei zu Trachos. Der Stormcast Eternal hatte sein quadratisch
gerahmtes Fernglas herausgenommen und stellte dessen Wust von Linsen ein, ließ Schließen
einrasten und drehte an Reihen polierter Messingzahnräder. Er hielt das Gerät an eines der
Augenlöcher seines Helms.
»Könnt Ihr mit diesem Apparat in der Dunkelheit sehen?«, fragte Volant, doch Trachos
antwortete nicht. Er stand ein paar weitere Sekunden schweigend da, schaute in verschiedene
Richtungen, bis er etwas entdeckt hatte, und gab ein bestätigendes Grunzen von sich.
Er gab Gotrek das Gerät und deutete am Wyndgang vorbei, der zum Tor führte.
Gotrek folgte Trachos’ Fingerzeig und lachte. »Na, nun schaut euch das an. Der ist aber
beeindruckend hässlich.«
Maleneth entriss ihm das Fernglas und starrte durch die Linsen. Durch irgendeine raffinierte
Kunstfertigkeit seiner azyritischen Schöpfer war das Gerät in der Lage, die Düsternis zu
durchdringen. Es glich nicht dem wahren Sehen, sondern war eine geisterhafte Annäherung an
Licht. Die Linien der Ghule wurden langsam sichtbar, als wären sie in Rauch gezeichnet,
blass, flüchtig und grotesk.
»Was meinst du?«, fragte sie. »Wer ist hässlich?« Sie zuckte zusammen, weil sie vergaß,
dass sie den Blick in die Ferne richtete, als eine abscheuliche Gestalt das Okular ausfüllte. Es
war ein monströses, stumpfgesichtiges Wesen, wie jenes, gegen das Fürst Volant auf der
Meeresgischt gekämpft hatte, doch dieses war gesattelt und wurde von einem Ghul der großen
Unterart geritten. Der Reiter war genauso leichengrau und verdorrt wie die anderen Ghule,
doch wo sie sich krümmten und zuckten, war diesem eine Haltung hoheitlicher
Geringschätzung eigen, hielt er die Zügel locker in schlaffer Hand, das Kinn in hochmütiger
Gleichgültigkeit erhoben. Von allen Fleischfressern, die sei seit ihrer Ankunft in Shyish
gesehen hatte, war dies der erste, den Maleneth als wirklich schockierend empfand. Sein
Fleisch hatte die gleiche verfaulte, lumpenhafte Textur wie die anderen und seine Augen
wiesen die gleichen leeren, übergroßen Augäpfel auf, doch anders als der Rest war diese
Kreatur in Fetzen einer Rüstung gehüllt und trug auf dem Rücken ein rostiges Langschwert.
Als er sich im Sattel bewegte, erkannte Maleneth, dass der Ghul sogar einen zerbeulten
Metallring auf seinem schimmernden Kahlkopf trug.
»Es glaubt, es sei noch immer ein Mensch«, sagte sie mit einer Mischung von Belustigung
und Unbehagen. Es lag etwas Zerrüttendes darin, zu sehen, wie ein solch verkommenes
Geschöpf sich den Anstrich eines edlen Kriegers gab.
»Es gibt noch mehr von ihnen«, lachte sie, als sie andere Reiter entdeckte, die den mit der
Krone umkreisten. Es gab etwa ein halbes Dutzend, alle mit den gleichen fledermausgleichen
Reittieren und derselben absurden Fassade adligen Betragens. Manche von ihnen trugen
Schilde und Wimpel, als wären sie edle Ritter und einer von ihnen saß seitwärts im Sattel, als
wäre dies eine Edelfrau, die mit ihren Höflingen und Dienern zu einer Jagd auszieht.
Fürst Volant streckte die Hand aus und sie reichte ihm das Gerät. »Ich habe noch nie
gesehen, dass sie sich so benehmen«, sagte er, nachdem er die seltsamen Gestalten gemustert
hatte. »Was soll das heißen? Er sah Hauptmann Ridens an. »Habt Ihr das gesehen? Reißer, die
sich wie Adlige benehmen?«
Hauptmann Ridens wirkte jedes Mal besorgt, wenn Volant auch nur in seine Richtung
schaute. Jedoch auf diese Frage hin wirkte er entschieden panisch. »Eure Majestät«, murmelte
er. »Ich verstehe die Frage nicht.«
Volant gab Ridens das Fernglas und wies ihn zu den Reitern, die über der Armee kreisten.
Ridens erblasste. »Diese Dinger waren beim letzten Mal, als wir die Fackeln abschossen,
noch nicht da, Dämmerfürst. Sie müssen Euch dichtauf gefolgt sein. Ich habe gehört …« Er
senkte das Fernglas und sah zum Fürsten auf. »Die Überlebenden hatten etwas Schreckliches
zu erzählen. Manche sprachen von einem Herrscher der Reißer, der sie in die Schlacht führte,
als wären sie vernünftige, menschliche Soldaten.«
Maleneth blickte stirnrunzelnd zum Fürsten hoch. »Hast du gesagt, dass man von Ghulen
weiß, dass sie in Anwesenheit eines ›Anführers‹ mit Vernunft handeln?«
Volant nickte. »Laut den Historien.«
Gotrek grinste. »Dann könnte das ja noch interessanter werden als die letzte Rauferei. Bei
den Ödstätten waren sie wie Betrunkene, die versuchen, sich auf den Beinen zu halten, doch
wenn sie wie echte Soldaten kämpfen und dann in dieser Zahl …«
»Es ist vielleicht nicht wichtig«, sagte Trachos, der noch immer in die Dunkelheit blickte.
»Wie meinst du das?«, fragte Maleneth.
»Hebt das Fernglas ein wenig höher. Schaut an den Ghulen vorbei.«
Volant tat, was Trachos vorgeschlagen hatte. »Nichts«, sagte er einen Moment später.
»Sturmwolken. Sonst nichts.«
Maleneth starrte Trachos mit einem Gefühl grimmiger Erkenntnis an. »Sturmwolken?«
Er nickte. »Knochenregen. Der rasch näher kommt.«
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

SCHUTZ VOR DEM STURM

Die Straßen der Verharrenden Feste waren bereits chaotisch, bevor Fürst Volant den Alarmruf
erklingen ließ. Als er jedoch jedermann befahl, Schutz zu suchen, gab es eine Massenpanik.
Schreie hallten durch die Stadt. Leute zerrten an Türen und warfen sich durch Fenster. Ein
verzweifelter Kampf um Unterschlupf entbrannte, während Gewitterwolken durch die Nacht
rasten. Es gab einige in der Stadt, welche die Folgen des Knochenregens gesehen hatten, und
Furcht breitete sich wie eine Seuche aus und machte die Menschen so rasend und irre wie die
Monster, die sich vor den Mauern versammelt hatten.
Selbst die, die es nicht schon zuvor gesehen hatten, erkannten, dass dies kein natürlicher
Sturm war. Gebirgsgroße Wolken kamen brodelnd in Sicht, flackerten amethystfarben und
hüllten die Wyndgänge ein, rasten auf die Tore zu, die nur Minuten zuvor zugeschlagen
worden war, als die letzten paar Ankömmlinge sich in die Verharrende Festung flüchteten.
Maleneth rannte durch diesen Wahnsinn, wich Horden panikerfüllter Flüchtlinge aus.
Beinah hatte sie den Platz überquert, als sie erkannte, dass Gotrek weit hinter ihr war und
ungezwungen von den Mauern herabschritt, die Axt lässig über die Schulter geschlungen.
»Slayer!«, schrie sie.
Trachos war an ihrer Seite und beide hielten sie an und warteten auf ihn.
Volant und sein Hauptmann befanden sich mitten auf der Kreuzung, schrien den Soldaten
Befehle zu und versuchten die Menge in eine Art Ordnung zu bringen. Es herrschte eine
solche Panik, dass die Grabwacht Reihen bilden und Schilde heben musste, um die Leute
zurückzutreiben und zu verhindern, dass sie zerquetscht wurden.
»Es gibt leere Häuser und Tempel im Ostviertel!«, schrie Volant, kletterte auf sein Reittier
und ließ es über der Menge aufsteigen. Seine Schwingen schleuderten Staubwolken in die
Luft, als Volant versuchte die Leute umzuleiten. Er schwenkte seine Sense. »Lauft in diese
Richtung!«
Die Meute war zu sehr von Sinnen, um zu reagieren, also sprach Volant zu dem
Skekelettdrachen, der daraufhin sein Maul so weit donnernd aufriss, dass es den Lärm des
heranbrausenden Sturmes durchschnitt.
Schließlich wurden einige Leute aufmerksam, sodass die Grabwacht sie forttreiben konnte
und der Engpass der Kreuzung etwas freier wurde, doch neue Massen strömten aus anderen
Richtungen auf den Platz und bald war die Situation sogar noch schlimmer.
»Der Sturm schlägt in ein paar Minuten zu«, sagte Trachos. Er und Maleneth waren aus dem
Strom der Körper herausgetreten und eine säulengesäumte Treppenflucht hinaufgestiegen, die
zu einer doppelflügeligen Tür führte. Der Stormcast Eternal blickte durch das Fernglas zu den
Wolken hinauf. »Diese Leute werden es nicht schaffen.«
Gotrek drängte sich durch die Horden und stapfte die Stufen hoch. Er wirkte mürrisch.
»Nagash hat Angst. Darum geht es hier. Er tut alles, was er kann, um mich daran zu hindern,
ihn zu erreichen. Er überflutet die Stadt mit Schädelnagern, damit der Dämmerfürst mich nicht
zu ihm bringen kann.« Er schaute düster auf das Tollhaus auf dem Platz hinab. »Und es wird
nicht funktionieren.«
»Ich kann mich nie entscheiden, ob ich von dir jetzt beeindruckt oder belustigt sein soll«,
sagte Maleneth. Sie schwenkte eines ihrer Messer in Richtung des Schauspiels unter ihnen –
Tausende verzweifelter, vor Angst wahnsinniger Leute, die übereinander hinweg krabbelten,
während sich über ihnen ein vernichtender Sturm zusammenbraute. Es wirkte wie ein
Weltuntergang. »Lässt nichts von all dem dich innehalten? Gibt es nichts an dieser Situation,
dass dich denken lässt, dass du vielleicht nicht dazu bestimmt bist, Nagash zu erreichen?«
Gotrek lachte. »Verdammte Aelfen. Sind so schnell dabei, die Niederlage zu akzeptieren.
Das war immer euer Problem. Kommt davon, wenn man zu einem Volk krummbeiniger
Gedichteleser gehört.«
Er sah zu Trachos hoch. »Wir müssen zu diesen Hallen der Trennung, von denen jeder hier
plappert. Dorthin schickt der Fürst die Geistereier. Wir gehen dorthin und bewachen die
Türen. Wenn es sein muss, kämpfe ich gegen jeden Ghul in den Reichen, bis die Priesterin
ihren Zauber beendet hat, aber ich bewache lieber eine Tür als eine ganze Stadt.«
Maleneth zeigte auf den stoßzahnförmigen Turm, der über der Stadt aufragte. »Die Hallen
der Trennung sind meilenweit entfernt und Trachos hat gerade schon gesagt, dass der Sturm in
Minuten nur zuschlagen wird. Du hast die Beine eines dickbäuchigen Schweins. Wie genau
willst du denn schneller laufen als diese Wolken?«
Gotrek zuckte die Achseln. »Der Menschling wird sich was ausdenken.«
Trachos starrte ihn an. Dann nickte er und richtete sich noch etwas höher auf.
Maleneth verdrehte die Augen. »Wie kann es sein, dass dieser klotzköpfige Schweinskerl
eine solche Wirkung auf Leute hat? Wie kann es sein, dass er es geschafft hat, dass du wieder
an dich glaubst, Trachos? Wie kann es sein, dass dein Glaube durch einen götterhassenden
Wilden wieder erneuert wurde?«
Trachos ignorierte sie und spähte auf die Bauwerke ringsum. »Nach dem Aussehen der
Gebäude ist dies eine fortgeschrittene Zivilisation.« Er winkte zu einem reich verzierten
Torbogen über ihren Köpfen hin. »Sie haben Dinge bewahrt, die die meisten Reiche im
Zeitalter des Chaos verloren haben. Diese Techniken müssen auf die Zeit vor dem Chaos
zurückgehen, als Sigmar noch immer durch die Reiche wandelte. Ich sehe seine Hand in
jedem –«
»Sigmar?«, rief Gotrek schallend lachend aus. »Du kannst doch nicht alles diesem
Hammerdeppen zuschreiben! Diese Leute haben auch eine halbwegs tüchtige Ingenieurskunst
zustande gebracht und das kann doch nur von den Zwergen herstammen. Oder zumindest von
diesen blassen Schatten der Zwerge, die ihr Duardin nennt.«
Schreie erhoben sich nicht weit vom Ort, wo sie miteinander sprachen, da die Grabwacht
begann, ihre Sensen gegen die Menge zu richten und Menschen niederzuschlagen, um andere
davor zu bewahren von der Masse erdrückt zu werden. Die Massen wogten in eine neue
Richtung und Knochenkutschen zersplitterten und stürzten um, fleischlose Pferde gingen
panikerfüllt durch und trampelten durch das Chaos. Ihre schwarzen Federbüsche tanzten wild
auf und ab, während sie verzweifelt nach einem Ausweg suchten.
»Nur noch Minuten«, erinnerte Maleneth und winkte hoch zu den drohenden Wolken.
»Vielleicht ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um über Ingenieurskunst zu diskutieren?«
Trachos sah noch immer Gotrek an. »Wenn die Erebid ihre Stadt nach den Prinzipien der
Duardin errichtet haben, wie wären sie dann mit dem sanitären Problem umgegangen?«
Gotrek zuckte die Achseln. »Latrinen. Kanalisation.«
»Habt ihr euren letzten Fetzen Verstand verloren?«, murmelte Maleneth.
Doch Gotrek grinste. »Kanalisation – natürlich.«
Trachos betrachtete eingehend die Fassade des Gebäudes, zu dem sie hochgestiegen waren.
»Diese Eisenarbeiten sehen wie Abfallrohre aus.« Er beugte sich über die Stufen hinaus und
sah zur Ecke des Gebäudes hinab. »Wir könnten diesem Ablauf folgen und sehen, wohin er
uns führt.«
»Du willst durch Kanalrohre kriechen?«, fragte Maleneth. »Meilenweit?«
»Nirgends ist es sicherer als unter der Erde«, erwiderte Gotrek. »Außerdem, was wäre dir
lieber, Dreck oder Knochenregen?«
Trachos führte sie wieder die Stufen hinab, murmelte vor sich hin und sah immer wieder zu
den Mauern des Gebäudes hinüber, um so dem Verlauf der Rohre zu folgen.
Am Fuß der Treppe trafen sie auf die Menge. Maleneth verzog das Gesicht, als Leute gegen
sie stießen, doch die Masse eines Slayers und eines Stormcast Eternals reichten aus, sich einen
Weg durchs Gewimmel zu bahnen. Trachos winkte sie weiter und bog um die Ecke des
Gebäudes.
Als sie den Hauptstrom der Leute hinter sich ließen, begannen Wolken über die
Stadtmauern hinwegzusegeln.
Einige der Soldaten schafften es, sich einen Weg von den Zinnen herab zu erzwingen, doch
andere suchten Schutz in Türmen und Eingängen und wirkten, als bereiteten sie sich darauf
vor, das Wetter zu bekämpfen.
»Hierher«, sagte Trachos und eilte eine Gasse an der Seite des Gebäudes entlang. Er kam zu
einer Metallklappe und stapfte mit seinen Stiefeln darauf herum, sodass ein lautes
widerhallendes Dröhnen entstand.
Gotrek grinste. »Gute Arbeit, Menschling!« Er kletterte auf einen umgestürzten Karren und
blickte über die wogende Menge hinweg.
»Dämmerfürst!«, brüllte er, aber von Volant fehlte jede Spur.
Der Lärm der Menge und der sich ballende Sturm übertönten selbst die donnernde Stimme
des Slayers.
»Gotrek!«, schrie Trachos, als er die Klappe hochstemmte und eine steinerne Stufenflucht
sichtbar wurde, die hinab in die Dunkelheit führte. »Wir müssen jetzt gehen.«
»Wo ist dieser gesegnete Fürst?«, fauchte Gotrek und seine Wangen liefen rot an vor Zorn.
»Er muss den Leuten befehlen, in die Kanalisation hinabzuklettern, oder sie werden
abgeschlachtet. Dämmerfürst!«, brüllte er mit funkelndem Auge, doch es kam keine Antwort.
Maleneth duckte sich an Trachos vorbei und stieg die Stufen hinab in die Dunkelheit. Ein
Aufglimmen von Weiß schimmerte über die Mauern. »Jetzt oder nie«, sagte sie und blickte zu
Trachos zurück.
»Dämmerfürst!«, schrie Gotrek ein drittes Mal. Die goldenen Funken in seinem Auge
wurden von einem Aufblitzen in seiner Brustrune gespiegelt und seine Worte hallten, von der
Macht der Rune aufgeladen, mit solcher Wut hinausgebrüllt durch die Stadt, dass die Leute
taumelten.
Das höhnische Lachen schwand aus Maleneths Gesicht. Gotreks Schrei klang wie die
Stimme eines Gottes.
Das Chaos kam zum Erliegen. Jeder auf dem Platz wandte sich in seine Richtung.
»Die Kanalisation, ihr Schwachköpfe!« Gotreks Gesicht war lila. »Geht unter die Erde!«
Leute starrten den Slayer an, offensichtlich geschockt, taten dann aber wie geheißen und
spurteten zu den Abflussluken und in die Kanalisation.
Ein paar Sekunden später erfüllte ein heller klappernder Lärm die Stadt und die Sturzflut
brach herab, prasselte über die Mauern wie Wellen zerbrochener Zähne.
Gotrek sprang vom Karren und rannte auf Maleneth und Trachos zu, gefolgt von hundert
verängstigten Menschen, die alle versuchten, der Sintflut zu entkommen.
»Los!«, schrie Gotrek, stampfte die Stufen herab und verschwand in der Dunkelheit. Es gab
ein lautes Platschen und er war fort.
Maleneth verzog das Gesicht über den schweren Gestank, der hinter ihm herwehte. »Riecht
so schlimm wie er«, murmelte sie und eilte die Treppen hinab.
KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KÖNIG GALANS APOTHEOSE

»Der Wolf ist mit uns!«, schrie König Galan, als er fühlte, wie sein Reittier sich unter ihm
verwandelte, wie seine Knochen knackten und länger wurden und seine Muskeln anschwollen.
Er konnte die unverkennbare Macht seines Herrn spüren, als das Pferd zu einem sehnigen
Drachen mit weiten klauenbewehrten Schwingen und machtvollen echsenhaften Kiefern
wurde. Die Kreatur ließ ihre Flügel schlagen und trug ihn von der Straße hoch über
sonnenüberflutete Weizenfelder. Auf seinem Rücken fühlte er das Gewicht seines alten
Langschwerts Grollstachel. Er hatte geschworen, es nicht eher zu ziehen, bis der
Rebellenführer vor ihm kniete. Das Schwert war von Schattenpriestern am Vorabend des
Krieges gesegnet worden, durchtränkt von der Macht des Wolfes, doch er würde seine
Hexerei nicht im Kampf gegen irgendwelche Krieger eitel verprassen – er würde sie in
großem Akt auf das Haupt des Möchtegern-Usurpators niedergehen lassen und die Hunde
Dinanns würden Zeugen seines rechtschaffenen Zorns sein.
Nia und Lord Melvas waren bei ihm, ihre Rösser vom gleichen Wunder erhoben wie das
seine. Andere Lords der Dinann folgten ihnen rasch nach, lachten vor Staunen, als die Hufe
ihrer Pferde zu Klauen wurden und ihren Flanken Schwingen entsprossen. Sie verließen die
Straße und rasten durch die Luft und zogen Schweife durch den frühen Morgen hinter sich
her, während ihre Reiter ihre Speere hoben und brüllten.
Das gleiche Wunder war bei jeder ihrer vorherigen Schlachten geschehen, doch noch immer
fühlte Galan, wie sein Puls raste, als er auf seine Armee niederblickte, die unter ihm in die
Schlacht stürmte.
»Ein letztes Mal!«, schrie Nia und grinste ihn aus ein paar Schritt Entfernung an.
»Ein letztes Mal!«, lachte er und packte seinen Speer, während er auf die Zinnen zuraste.
Die Verräter waren derart durch das Wunder des Wolfs von Staunen ergriffen, dass Galan
auf den Mauern landete und sie bereits verlassen vorfand. Die Schurken, welche die Festung
eingenommen hatten, suchten eilends nach Deckung, stürzten die Treppen hinab und flohen
über den Hof.
Einige von ihnen hatten sich in ihrer Verzweiflung zu entkommen selbst verletzt und als
König Galan von den Mauern herabritt, stieß er auf eine Gruppe blutbefleckter, verängstigter
Buben, die, als er näher kam, wegzukriechen versuchten.
»Ich habe euch bei jeder Gelegenheit Gnade angeboten«, sagte er und deutete mit dem Speer
auf eines der brabbelnden Wracks, das auf ihn zutorkelte, und schüttelte den Kopf.
Der Soldat brummelte und fluchte, konnte seinen Blick nicht erwidern, und schließlich
verstand Galan, was hier geschah. Er konnte nicht glauben, dass er dies nicht schon vorher
geargwöhnt hatte. Die ruhmreichen Siege, Wunder wie die Drachen, der Schrecken in den
Augen der Opfer – all dies wies nur auf eines hin: Seine Apotheose hatte begonnen. Die älteste
aller Prophezeiungen erfüllte sich – die Prophezeiung des Wolfsherrn. Deshalb hatten die
Schattenpriester Grollstachel mit derartiger Macht ausgestattet. Daher waren seine späten
Jahre so still und bar an Ruhm dahingegangen. Der Große Wolf hatte auf diesen Moment
gewartet, um ihn zu erheben und ihm die Herrlichkeit zu zeigen, die ihm stets gebührt hatte.
Nias Drache landete neben ihm auf der Mauer und sie beugte sich aus dem Sattel und
rammte dem Mann ihren Speer in die Brust. Benommen taumelte er fort, fiel dann hin, als sie
ihre Waffe freiriss. »Kein großer Kampf«, sagte sie lächelnd und sah sich nach den wenigen
verwundeten, auf den Mauern verbliebenen Soldaten um. Alle duckte sie sich angsterfüllt fort,
als würden sie von unsichtbaren Feinden angegriffen.
»Ich verwandle mich, Nia«, sagte Galan und seine Stimme zitterte von der Herrlichkeit
dieser Offenbarung.
Schockiert sah sie ihn an. Dann sah sie deutlich den Stolz und die Macht in seinem Gesicht
und ihr Lächeln wurde breiter. »So wie wir alle, mein Liebster.«
Sie trieb ihr Ross die Mauer hinunter, zog ihr Langschwert und schlug jeden in ihrem Weg
nieder, während die anderen Lords landeten, sich verwundert auf den verlassenen Zinnen
umsahen.
»Es gibt noch Arbeit für uns zu tun!«, reif Galan und zeigte mit seinem Speer in den Hof
hinab und zu den Straßen jenseits davon. Dort gab es Hunderte verwundeter und fliehender
Soldaten. Viele rannten in Gebäude, um sich dort zu verstecken, doch zahlreiche krochen auch
in die Kanalisation und flohen wie Ratten unter die Erde. »Die Verräter haben jedes
Friedensangebot ausgeschlagen. Zeigt keine Gnade!«
Er stieß mit den Fersen zu und der Drache sprang von der Mauer und warf sich auf die
Menge hinab. Gestalten sprengten bei seiner Landung auseinander, versuchten nicht einmal,
sich zu verteidigen.
»Was ist das?«, rief Nia. »Sie haben so hart gekämpft, die äußeren Festungen zu halten, und
jetzt, wo wir die Hauptstadt erreichen, geht ihnen der Kampfgeist verloren.«
Galan lehnte sich in seinem Sattel zurück und betrachtete das Gemetzel. »Sie wissen, dass
sie geschlagen sind.« Er sah sich in der Festung um. »Das ist größer, als ich erwartet habe.«
Sie hob eine Augenbraue. »Vielleicht ist das ein angemessenerer Ort, um von hier aus zu
regieren?«
»Nein«, erwiderte Galan. »Ich werde an dieser Stadt ein Exempel statuieren. Ich werde
keinen Stein auf dem anderen lassen. Ich werde sie bis auf den Grund schleifen. Und wenn
irgendwer noch einmal daran denkt, meine Herrschaft herauszufordern, dann muss er nur
hierher schauen, um zu sehen, was sein Schicksal sein wird.«
Er deutete auf eine hell schimmernde Nadel aus weißem Stein. »Auf zur Hauptfeste. Die
Rädelsführer werden dort sein.«
Galan wandte sich zu den Lords um, die hinter ihm im Hof landeten. »Öffnet die Tore,
versammelt meine Männer. Holt die Kriegsmaschinen. Vernichtet diese Stadt.«
KAPITEL VIERUNDZWANZIG

SAKRAMENT DES BLUTES

Trachos’ Licht zuckte über die Gewölbedecke und ließ das unglaubliche Alter der
Kanalisation erkennen. Die Steine waren von den Jahrhunderten abgerundet und geglättet
worden, waren hier eingesunken, dort hochgequollen, als wären sie von Tumoren
aufgetrieben. Es schien, als würden sie durch kranke Eingeweide kriechen.
Der stinkende Fluss, der den Tunnel hinablief, ging bei Maleneth bis zu den Knien, doch
hieß dies, dass Gotrek bis zu den Oberschenkeln darin watete. Doch das Wasser hatte keine
Aussicht, den Slayer zu verlangsamen. Während Trachos mit einem Messingkompass in der
einen, dem flammenden Zepter in der anderen Hand Richtungsangaben rief, rannte Gotrek
durch den Schmutz, setzte über Rohre hinweg und sprang über die Überreste alter Einbrüche.
»Das ist es schon eher!«, schrie er, die Großaxt über den Rücken geschwungen, während er
durch die Dunkelheit eilte. Er klopfte gegen die Wand. »Gute, solide Arbeit. Könnte daheim
in Achtgipfel sein.«
Trachos sah Maleneth wegen einer Erklärung an.
Sie zuckte die Achseln. »Er teilt deine Begeisterung für die Kanalisation. Wie schön.«
»Das Nordrohr«, sagte Trachos und ließ Licht einen weiteren Tunnel hinabscheinen.
Gotrek nickte und brummte fröhlich vor sich hin, als er platschend in die Richtung
davonstiefelte.
»Wie lange wird das dauern?«, fragte Maleneth zu Trachos aufschließend.
»Sieht aus, als würde der Hauptkanal vom Zentralturm nach außen zu den Stadtmauern
verlaufen. Wir müssten einen direkteren Weg nehmen können, als wenn wir über der Erde
wären. Wir könnten in weniger als einer Stunde da sein.«
Sie wollte etwas erwidern, als die Tunnel plötzlich erzitterten. Staub und Ziegel fielen von
oben herab, ließen das Wasser aufplatschen und Wolken von Fliegen aufsteigen. Maleneth
wäre gestürzt, hätte Trachos nicht ihren Arm gepackt.
»Beim Prinzen des Mordes«, sagte sie. »Was war das?«
Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht sind Nagashs Stürme machtvoll genug, die Stadtmauern
zu erschüttern?«
»Ich glaube nicht. So kam es mir in Klemp nicht vor. Ich glaube, dass die Fleischfresser in
die Stadt eindringen.«
Er schritt weiter eilig durch den Kanal hinter der in der Ferne verschwindenden Gestalt von
Gotrek her. »Ghule? Wie können sie die Mauern zum Zittern bringen?«
»Belagerungsmaschinen?«
Trachos schüttelte den Kopf. »Du hast sie gesehen. Woher sollten sie die Fertigkeiten
haben, Kriegsmaschinen zu benutzen?«
»Erinnerst du dich an diesen Riesen?«, fragte sie hinter ihm herrennend. »Das Ding, das
Gotrek in den Ödstätten bekämpft hat? Vielleicht haben sie da oben Geschöpfe wie dieses?«
Er sah sie an, nickte dann. »Wir müssen schneller vorwärtskommen.«
Sie rannten so schnell sie konnten durch das Abwasser, doch nach ein paar Minuten gab es
ein erneutes Beben, dann noch eins, und Maleneth musste sich bemühen, mit Gotrek Schritt zu
halten.
»Was ist, wenn sie Erfolg haben?«, keuchte sie und scheuchte Fliegen weg.
»Was?«
»Was ist, wenn wir es zum Turm schaffen und Gotrek die Ghule so lange zurückhält, bis der
Fürst seinen Zauber ausführen kann?«
Er zuckte die Achseln. »Wir müssen hoffen, dass Lhosia und Fürst Volant recht haben –
dass dieses Ritual die Stadt schützen wird.«
»Sie sagten, es würde die Unbegrabenen schützen? Das ist nicht ganz das Gleiche.«
»Welche andere Möglichkeit haben wir?«
»Keine, aber das ist außerdem nicht das, was ich meinte. Wenn das so funktioniert, wie
Gotrek hofft – wenn die Erebid ihn wirklich zu Nagash bringen – was willst du dann tun?«
Trachos sah sie an. »Ich werde …« Er eilte weiter und schüttelte den Kopf. »Ich werde mit
ihm gehen.«
»Wirklich?« Sie nickte zu Gotrek hinüber. Seine breite, wuchtige Gestalt wurde von
Trachos’ Licht deutlich hervorgehoben und sie konnten ihn fröhlich vor sich hin summen und
über seine eigenen Scherze lachen hören, die er leise vor sich hinflüsterte. »Du folgst dem
zum Herrn des Untodes?«
»Wann immer du von ihm sprichst, ist dein Ton voller Galle.«
Sie lachte. »Natürlich. Schau ihn doch an. Wer fände ihn nicht lächer–«
»Aber …« Trachos sah sie erneut an. »Aber seit den Ödstätten, höre ich auch etwas anderes
in deiner Stimme.«
»Was?«
»Du hast gesehen, was ich gesehen habe. Der Slayer ist nicht einfach nur ein
umherziehender Brigant. Er ist wichtig. Er bedeutet etwas. Er ist aus einem Grund hier. Die
Priesterin hat es ebenfalls gesehen. Und auch der Dämmerfürst. Auf Gotreks tätowierten
Schultern ruht mehr als nur sein eigenes Schicksal.«
Sie lachte höhnisch, konnte ihm aber nicht widersprechen.
»Was wirst du tun, wenn er Erfolg hat?«, fragte Trachos. »Wenn sie ihn zu Nagash bringen,
wirst du dann einfach hierbleiben?«
»Ich weiß es nicht!«, blaffte sie. »Keine meiner Möglichkeiten kommen mir im Moment
besonders verlockend vor.«
Sie wollte schon das Thema wechseln, als eine Explosion die Kanalisation erschütterte und
sie in amethystfarbenem Licht badete.
Von einer Erschütterung, die noch heftiger war als die vorigen, aus dem Gleichgewicht
gebracht, stürzten sie in die Brühe.
Maleneth schlug einen Moment im Wasser um sich, zuckte dann fluchend und spuckend aus
der Gülle hoch.
Gotrek war vor ihnen, schüttelte den Schutt ab und blickte zur Öffnung hoch, die sich in der
Decke aufgetan hatte. Eine Säule violetten Lichts fiel durch dieses Loch herab und rahmte den
Slayer ein, hob ihn scharf aus der Dunkelheit hervor.
»Trachos«, zischte Maleneth, als sie erkannte, dass das Fackellicht erloschen war.
Sie wirbelte herum, scheuchte Fliegen auf und ließ Wasser aufspritzen. Das Licht von oben
reichte aus, um zu sehen, dass er unter der Oberfläche des Wassers festhing, gefangen unter
einem großen Rohrstück, das sich durch die Erschütterung gelockert hatte.
»Kannst du unter Wasser atmen?«, murmelt sie, zu ihm hineilend, und stellte fest, wie
wenig sie doch über Sigmars sturmgeborene Krieger wusste.
Sie konnte sehen, wie er sich im trüben Wasser abkämpfte und versuchte, das Steinstück
von seiner Brust zu bekommen.
Lass den Dummkopf sterben, sagte die Stimme in ihren Kopf. Ist nicht schade um ihn.
Zu Maleneths Überraschung merkte sie, dass sie nicht bereit war, Trachos zurückzulassen.
Etwas an ihrer Unterhaltung hatte sie fasziniert. Und sie fühlte, dass sie noch nicht fertig
miteinander waren. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass Trachos sich als der Schlüssel
erweisen könnte, die Rune zurück nach Azyr zu bringen.
Sie packte das heruntergestürzte Rohrstück, versuchte, es wegzustemmen. Es war
unmöglich – sie konnte es kein Stück weit bewegen, auch wenn Trachos von seiner Seite aus
schob. Luftblasen schossen aus seiner Rüstung und er schlug wütend um sich.
»Gotrek!«, rief sie. Der Slayer wich zur anderen Seite des Loches zurück und da waren jetzt
Formen in der Lichtsäule, die sie von ihm trennten – bleiche, glitzernde Splitter, die durch das
Loch herabprasselten.
»Knochenregen«, murmelte sie.
Es war schwer, Gotrek in dem Sturzhagel klar zu erkennen, aber sie konnte sehen, dass er
seinen Kopf schüttelte, da er unfähig war, zu ihr zu gelangen.
Sie blickte in die andere Richtung, in den Tunnel zurück, und sah ein bleiches violettes
Licht, das auch aus dieser Richtung kam. »Noch ein Loch«, murmelte sie. »Dieser ganze Ort
bricht zusammen.«
Trachos wand sich heftig unter Wasser, drückte und bäumte sich gegen das Rohr.
Sie packte es erneut und zerrte mit all ihrer Kraft, doch es war hoffnungslos.
»Bei Khaine«, schnaufte sie, wich zurück und schüttelte den Kopf. Während sie Trachos
beim Ertrinken zusah, schoss eine Welle ungeahnten Zorns durch sie hindurch. Wenn sie es
gewesen wäre, die seinen Tod herbeigeführt hätte, dann hätte sie das vielleicht anders
gesehen, aber der Gedanke, dass er gegen ihren Willen hinfortgerissen wurde, machte sie
wütend. »Wir brauchen dich«, murmelte sie und versuchte erneut, den Stein zu bewegen.
Licht flackerte über die Wände und blitze in ihren Augen. Einen Moment lang dachte sie,
dass sich ein weiteres Loch in der Decke geöffnet hätte, doch es war Trachos’ Fackel, die
unter der Oberfläche leuchtete und kleine Wellen von Licht gegen die Gewölbedecke warf.
»Gotrek!«, schrie sie erneut, doch sie wusste, es war zwecklos. Wenn der Slayer durch
diesen Regenvorhang ging, würde ihn das wie jeden anderen auch entzweischneiden.
Aufplatschen hallte durch den Tunnel und sie drehte sich um und sah eine verkrümmte
Gestalt in großen Sätzen ins Blickfeld springen. Selbst nur als Silhouette erkannte sie die
sehnige, verdrehte Form eines Ghuls.
Sie fluchte und wich von Trachos fort, riss die Messer aus dem Gürtel, als weitere Ghule aus
den Schatten herbeieilten und ihre eitergelben Augen im Licht von Trachos’ Fackel
aufblitzten.
Sie konnte sehen, wie der Stormcast Eternal sie unter Wasser beobachtete und sein Kampf
schwächer wurde.
»Was kann ich tun?«, fragte sie sich und machte einen weiteren Schritt von ihm fort, als die
Menge an Ghulen durch den Kanalschacht donnerte, sie zuckten und grunzten, während sie
durch das Abwasser platschten. Es waren Dutzende von ihnen, nur Minuten entfernt, und noch
mehr tauchten hinter ihnen auf.
»Nun?«, fragte sie. »Irgendwelche Ratschläge?«
Du hättest den Slayer töten sollen. Dann hingst du nicht hier unten mit dem
Knochenregen im Rücken und den Fleischfressern vor dir, die dir die Lungen rausreißen
wollen.
»Danke«, sagte sie. »Sehr hilfreich.«
Sie sah wieder den Tunnel hoch. Gotrek war fort, machte ohne sie weiter. Es ergab Sinn.
Der Slayer hatte niemals Freundschaft vorgetäuscht. Wenn er jemals Freunde gehabt hatte,
dann waren die vor langer Zeit gestorben. Aber absurderweise spürte sie trotzdem ein
seltsames Gefühl des Verrats. In den Monaten, die sie mit dem Slayer gereist war, hatte sie
begonnen, zu fühlen, dass ihre Schicksale irgendwie verwoben waren.
»Ich bin eine Närrin«, murmelte sie. Der erste der Ghule war nur ein oder zwei Minuten
entfernt. Sie konnte sehen, wie ihm der Geifer von den schwarzen, spitzen Zähnen troff, als er
versuchte, seinen fiebrigen Blick an sie zu heften.
Gib uns einen Tod, auf den wir stolz sein können. Es lag nichts von dem gewohnten Gift in
der Stimme ihrer Herrin. Sie klang ungewöhnlich ruhig. Zeige Khaine, dass wir einen Platz
an seiner Seite verdienen. Diese Dinger bluten. Schneide Gebete in sie hinein.
Ein grausames Lächeln zog sich über Maleneths Gesicht. Das waren viel zu viele Ghule, als
dass sie den Kampf gewinnen konnte. Es war also nicht nötig, auf Nummer sicher zu gehen.
Ihre Herrin hatte recht – sie konnte sich ganz der Herrlichkeit des Tötens hingeben. Sie konnte
im Blutvergießen schwelgen und sich mit Körper und Seele dem Herrn des Mordes
verschreiben.
»In meiner Hand liegen die Kraft und die Macht«, flüsterte sie und sank in ihre
Kampfhaltung. »Keiner kann vor mir bestehen. Durch Khaines Willen werde ich baden im
Blut meiner Feinde.«
Nicht weit von dort, wo sie stand, wurde Trachos schließlich still, doch Maleneth hatte ihn
bereits vergessen. In ihrem Geist war nichts anderes mehr als die Bewegungen ihres tödlichen
Tanzes.
Sie schlug zu, als der erste Ghul sie erreichte, drehte sich auf ihrem Absatz zu einer
eleganten Pirouette, um ihm die Kehle aufzuschlitzen und ihn ins Wasser stürzen zu lassen.
Ein heller Schirm aus Blut umgab sie und sie seufzte vor Vergnügen, bevor sie dem
nächsten Ghul mit einem raschen Schritt seitlich auswich, ihm ihre Messer in den Rücken
rammte und ihn mit ekstatischem Aufbrüllen zerriss.
Die Tötungen verwoben sich zu einem flüssigen Ballett aus Hieben und Stößen. Maleneth
warf und rollte sich, sang zu Khaine, während sie in seinem Namen Kehlen öffnete. Mit jedem
Schnitt heulte ihre Herrin mit ihr.
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

GLAUBENSPROBE

König Galan ritt in scharfem Tritt durch die bluterfüllten Straßen, brüllte Befehle, während
rings um ihn die Stadt stürzte. Uralte Türme und weitläufige Anwesen wurden dem Erdboden
gleichgemacht, und als die Verräter in panischer Angst flohen, machten seine Leute sie nieder.
Es war brutal und gnadenlos, ein Massaker, wie er es zuvor noch nie erlebt hatte. Einen
Moment lang fragte er sich, ob er zu weit gegangen war. War er die Art von Tyrann
geworden, der entgegenzutreten er immer geschworen hatte?
Nia sah das Zögern in seinen Augen. »Dies ist der einzige Weg«, keuchte sie, stieß ihren
Speer in einen weiteren Rücken und riss ihren Drachen herum, um ihn anzusehen. »Wenn die
Menschen von diesem Sieg hören, dann müssen sie beben. Das Schicksal dieser Leute muss
sie mit Schrecken und Entsetzen erfüllen.«
Galan nickte. Viel Male hatte sie dies auf der Straße zur Hauptstadt diskutiert. Er war alt.
Und ohne Erben. Wenn die Leute glaubten, dass sie sich, ohne den Tod fürchten zu müssen,
gegen die Krone wenden könnten, würde das Königreich kein weiteres Jahr überleben. Dies
war die letzte Chance, zu zeigen, was aus jedem wurde, der die Unabhängigkeit beanspruchte.
Und dennoch … Während seine Soldaten Statuen niederrissen und schlimmere Gräueltaten in
seinem Namen begingen, verließ ihn seine Kampflust. »Zum Turm«, sagte er und deutete mit
seinem Speer auf das Gebäude, das die ganze Stadt beherrschte. »Wenn ich einmal den
Rädelsführer gefunden und ihn vor der ganzen Stadt mit Grollstachel bekannt gemacht habe,
wird unsere Botschaft klar geworden sein. Und dann können wir endlich ruhen.«
Er duckte sich, als in der nächsten Straße ein riesiger Tempel zusammenbrach, von einer
seiner Kriegsmaschinen pulverisiert, und große Türme von Rauch in die dunstige
Sommerhitze aufsteigen ließ. Ein machtvolles Gefühl der Bestimmung durchfuhr ihn. Die
verwundeten Rebellen flohen alle zum Turm im Zentrum der Stadt. Wenn er erst dieses
Gebäude erreichte, würde sich seine Apotheose vollziehen. Er war sich dessen sicher. Er
würde in die zentrale Festung eindringen und jeden darin abschlachten und dann würde der
Große Wolf in nicht nur zum König, sondern zum unsterblichen Wolfsherrn krönen.
Er sah Nia an, die trotz des rings um sie wogenden Gemetzels lächelte. Und Nia würde seine
ewige Königin. Darum waren sie gekommen – nicht nur, um diese närrische Rebellion zu
ersticken, sondern um zu diesen Punkt zu gelangen und zu einem neuen Leben erhoben zu
werden.
Er fasste Nias Arm. »Ich kann fühlen, wie er mit uns reitet.« Er deutete mit seinem Speer
zum Turm und seine Stimme bebte. »Er ist da drinnen, ich weiß es. Heute werden wir an
seiner Seite schreiten!«
Sie blickte ihn an und ihre Augen funkelten.
Und sie ritten weiter und töteten mit mehr Ingrimm als jemals zuvor.
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

EIN PFAD DURCH DIE DUNKELHEIT

Maleneth verlor sich ganz im Ritual geheiligten Mordes. Sie ließ jeden Gedanken an Sigmar
und den Orden fahren und dachte nur noch an Khaine, bewegte sich mit größerer
Geschwindigkeit, Grausamkeit und Eleganz, als sie es jemals getan hatte. Die Körper türmten
sich rings um sie und ihre schiere Zahl fing an sie zu erdrücken. Sie taumelte, als Haufen von
Toten in ihre Richtung stürzten, schlug gegen die Kanalwand und fiel fluchend im Wasser auf
ihre Knie.
Ein Ghul schloss seine knochige Hand um ihren Hals, doch sie durchschnitt glatt sein
Handgelenk, taumelte fort, als der Reißer ihr nachstürzte, ohne das Blut zu beachten, das aus
seinem Arm sprudelte.
Als Maleneth zurückwich, noch mehr Ghule niederstreckte, trat sie auf etwas Hartes und
Kaltes unter dem Wasser.
Es war Trachos Zepter, das durch die trübe Brühe strahlte.
Noch immer kämpfend hockte sie sich hin und ergriff den goldenen Stab.
Die Ghule taumelten, benommen von der azyritischen Zauberei. Wie alle von Trachos’
Gerätschaften war das Ding mit Runen und Beschriftungen bedeckt, doch Maleneth versuchte
gar nicht erst, seine Funktionsweise zu entschlüsseln – sie nutzte es schlicht als Keule, drosch
es ins Gesicht des nächsten Ghuls, der sie erreichte, dass es Strahlen kalten Lichts durch seine
zerschmetterten Schädel streute.
Das Zepter erwies sich als nützliche Waffe, doch die Erinnerung an Trachos stumpfte ihr
Feuer ab. Sie sah zu dem herabgestürzten Rohrstück hinüber. Seine türkise Rüstung war noch
zu sehen, doch er bewegte sich nicht länger.
Khaines Hunger pochte noch immer in ihren Adern, doch ein anderer Gedanke wetteiferte
nun um ihre Aufmerksamkeit. Ihr war eine Idee gekommen. Sie übersprang einen Ghul in
weitem Bogen und kam platschend neben Trachos auf.
Sie rammte das Zepter ins Wasser und zwang es unter das herabgestürzte Rohrstück. Dann
stellte sie sich darauf und nutzte ihr Gewicht, um das Steinstück von Trachos hochzuhebeln.
Das Zepter war aus der gleichen unnachgiebigen Legierung gemacht wie Trachos Rüstung
und es trug ihr Gewicht, sodass sich das Rohr aus dem Wasser hob.
Wie ein Akrobat balancierte Maleneth darauf, duckte und wiegte sich darauf im Kämpfen
hin und her, wich dann zurück, als Trachos sich erhob wie ein Flussgott, seine Hämmer
schwang und die Ghule zurücktrieb.
»Erwarte nicht, dass ich dir jedes Mal, wenn du umkippst, helfe«, keuchte sie, wich zurück
an Trachos’ Seite und kämpfte Rücken an Rücken mit ihm.
Er lachte, doch wandelte sich dies in eine Salve bellenden, feuchten Hustens. Er schaffte es
weiterzukämpfen, doch wirkte er, als könnte er sich kaum auf den Beinen halten.
»Gotrek?«, brachte er keuchend hervor.
Sie schüttelte den Kopf.
Er knurrte frustriert auf und schlug mit wachsender Kraft nach den Ghulen. »Er braucht
dich!«
»Was?« In der Verwirrung des Kampfes fragte sie sich, ob sie ihn vielleicht falsch
verstanden hatte.
»Gotrek braucht dich«, sagte Trachos. »Du bist seine Vernunft.«
Sie lachte. »Du Trottel. Seit dem Tag, da ich ihn getroffen habe, suche ich nach einem Weg
diesen Trampel loszuwerden.«
»Warum bist du dann noch immer bei ihm?«
Maleneth dachte daran, wie sie es nicht geschafft hatte, den Slayer auf der Meeresgischt zu
töten, als es so leicht gewesen wäre.
Trachos deutete auf das Zepter, das Maleneth unter dem herabgestürzten Rohr gelassen hatte
und das jetzt hervorstand. »Ich habe eine Idee«, hustete er und Blut spritzte aus seinem Helm.
»Auf drei.«
»Auf drei was?«
»Spring.«
Sie waren nun so vollkommen von Ghulen umgeben, dass sie nicht länger die Wände des
Tunnels sehen konnten. »Wohin?«
Er fing an zu zählen.
»Warte!« Maleneth sah sich um, wohin sie springen könnte, doch er ignorierte sie und als er
zur Drei kam, sprang sie, landete mit den Füßen zuerst auf den Schultern eines Ghuls und warf
ihn zurück gegen die anderen.
Trachos bewegte sich im gleichen Moment, doch statt wegzuspringen, sprang er auf das
unter dem Rohr festgeklemmte Zepter.
Das Metall hielt sogar sein Gewicht aus und es hebelte die Überreste des Rohrs aus der
Wand. Ziegel und Mörtel krachten in den Tunnel, zusammen mit einem ohrenbetäubenden
Sturzbach von Wasser.
Maleneth wurde von den Füßen gefegt, wich zurück. Sie musste sich mühen, wieder
hochzukommen, doch durch ihr Wegspringen war sie nicht vom plötzlichen Zustrom des
Wassers weggespült worden.
Körper und Steine prallten gegen sie, und als das Wasser weiter stieg, fürchtete sie das
gleiche Schicksal zu erleiden, vor dem sie Trachos gerade gerettet hatte.
Sie taumelte zurück, hustend und fluchend, schaffte es dann aber, aus dem stinkenden
Wasser zu springen und wieder auf die Füße zu kommen.
»Was im Namen Khaines machst du da?«, schrie sie, als sie Trachos nicht weit entfernt sah,
das Zepter in einer Hand, den Hammer in der anderen.
Er schlug mit seinem Hammer in ein Knäuel Ghule und nickte zu der Öffnung, die er
geschaffen hatte.
»Es stößt weiter da hoch wieder auf den Haupttunnel.«
Maleneth sah auf das rasch ansteigende Wasser. »Genau wie unsere Leichen.«
Sie sprang an ihm vorbei und stürzte in den Tunnel. Sie war erst ein paar Schritt weit
gekommen, als sie erkannte, dass Trachos nicht bei ihr war. Sie wand sich, um zurück über die
Schulter zu blicken.
Trachos war von ihr fortgetaumelt, und hämmerte sich seinen Weg in die Mitte der Ghule.
»Geh schon!«, schrie er und warf ihr einen Blick zu, während die Ghule über ihn
hinwegquollen und an seiner Rüstung zerrten. Leuchtende Risse erscheinen in seiner
Halsberge – winzige Blitzfinger, die über seine Rüstung tanzten, die Luft versengten und
Schatten über die Wände zucken ließen.
»Jetzt!«, brüllte er mit wütender Mahnung in der Stimme, während er sein Zepter in ihre
Richtung schleuderte.
Sie fing das Zepter, doch anstatt zu fliehen, kletterte sie das Rohr wieder in seine Richtung
hoch. Das Wasser stand ihr schon bis zur Hüfte und die Wände zitterten und erfüllten die
Kanalisation mit einem besorgniserregenden, ächzenden Laut.
»Was machst du?«, fragte Trachos barsch, während er weitere Ghule zurück ins Wasser
schmetterte.
Sie funkelte ihn an. »Es ist deine Schuld, dass ich hier unten bin. Du wirst mich hier
rausführen.«
»Es ist nicht sicher, in meiner Nähe zu sein«, grunzte er und packte die Halsberge seiner
Rüstung, was noch mehr Funken in die Dunkelheit stieben ließ. »Ich bin beschädigt.«
»Wer ist das nicht?« Sie warf ihm das Zepter wieder zu. »Führ mich hier raus.« Das Wasser
ging ihr jetzt zur Brust. »Du bist kein Slayer. Dein Schicksal zu suchen, passt nicht zu dir. Hör
auf, nach einem ruhmreichen Tod zu suchen. Ohne dass du mich führst, komm ich niemals aus
diesem elenden Loch raus. Das ist hier ein verdammtes Labyrinth. Ohne dich und deine
Maschinen wandere ich hier ewig rum.«
Er stieß zischend einen Fluch aus, nutzte das Zepter, um sich durch die Ghule zu schlagen,
und drängte auf das Loch zu, dass er in die Wand gerissen hatte.
»Mir nach!«, sagte er, als er in das Rohr hochkletterte.
Die Reißer versuchten hinter ihnen herzustürmen, doch nachdem Maleneth die ersten paar
getötet hatte, war der Weg mit zuckenden Körpern verstopft. Dutzende mehr versuchten, sich
in das Rohr zu drängen, doch sie befanden sich in solcher Raserei, dass sie das Problem nur
weiter vergrößerten und alles mit ihren zappelnden Gliedmaßen blockierten.
»Hier lang!«, rief Trachos und watete durchs Wasser, während sein Fackellicht über die
nassen, moosbedeckte Ziegel hinwegflackerte.
Als sie ihm hinterhereilte, bemerkte sie etwas. »Hier drinnen steigt das Wasser auch!«
Er nickte, ohne zum Nachsehen anzuhalten. »Das ganze System wird geflutet. Etwas
zerstört die Stadt.«
Wasser sprühte von oben herab und immer wieder hörte man ein widerhallendes Donnern,
unter dem das ganze Gefüge bebte, als hätte man ihm einen Schlag versetzt.
»Wird dieses Ding hier runterkommen?«
Trachos nickte, hielt einen Moment an einer Kreuzung an, zeigte mit seinem Zepter in jede
der Richtungen und ließ blaues Licht in die Dunkelheit scheinen, während er überlegte,
welchen Weg sie nehmen sollten. »Irgendwas bricht sich hier durch.«
Er zog einen kleinen goldenen Kasten heraus und klappte den Deckel auf, sodass surrende
Nadeln in einem polierten Holzgehäuse sichtbar wurden. Er starrte darauf, bis sie aufhörten,
sich zu drehen, und alle in die gleiche Richtung deuteten, dann klappte er den Kasten zu und
watete durchs Wasser weiter.
Sie waren nicht weiter als ein paar Schritte gekommen, als es ein erneutes Donnern gab,
diesmal viel näher, und ein bebendes Krachen, als die Decke hinter ihnen einbrach und den
Tunnel mit Steinen und Staubwolken erfüllte. Als der Staub sich gelegt hatte, sah Maleneth,
dass der Weg zurück vollständig vom herabgefallenen Schutt blockiert war.
Das Wasser war jetzt fast so hoch, wie es draußen im Hauptkanal gewesen war. Maleneth
stand hüfttief in der Brühe.
»Keine Sorge«, sagte Trachos im Weitergehen. »Mein Äthrolabium war deutlich – es gibt
einen Ausgang, der uns wieder zu einer größeren Röhre führen wird.«
Er eilte auf eine rostige, kreisförmige Tür mit einem eisernen Rad als Griff zu, die den
Türen auf der Meeresgischt glich. Er packte das Rad und versuchte, es zu drehen, doch der
Mechanismus zerbröckelte in seinem Griff, dass rostige Metallstücke davon herabfielen.
Das Wasser reichte Maleneth nun zur Brust. Sie ging an Trachos Seite, packte das Rad und
lieh dem Stormcast Eternal all ihre Kraft.
Noch mehr rostiges Metall brach weg, aber es gab kein Zeichen, dass das Ding sich drehte.
Der Tunnel wurde von einem weiteren donnernden Schlag erschüttert und das Geräusch war
jetzt so laut, dass man der Wahrheit nicht mehr ausweichen konnte – etwas Großes war in ihre
Richtung unterwegs.
Trachos reichte ihr sein Zepter und nahm etwas anderes vom Gürtel. Es sah aus wie ein in
Silber eingefasster Saphir, und er hob ihn über seinen Kopf, während im Herzen des Steins
Licht aufflimmerte. Mit seiner anderen Hand löste er seinen Helm und nahm ihn ab, dass seine
weißen Zöpfe über seinen Brustpanzer fielen.
Beim Anblick seines Gesichtes keuchte Maleneth auf. Es wirkte noch brutaler als das letzte
Mal, da sie es gesehen hatte – zur Masse alter Narben waren neue Arten von Verletzungen
hinzugekommen. An mehreren Stellen hatte sich die annähernde Mahagonifarbe seiner Haut
verändert, war jetzt von einem Flechtwerk silberner Kapillare bedeckt, die bei jeder
Bewegung glitzerten und aufblitzten. Lichtimpulse blinkten über seine Wangen und Kiefer,
wo die Silberstränge am zahlreichsten waren.
»Was geschieht mit dir?«, fragte sie, doch Trachos schien sie nicht zu hören. Seine Augen
waren geschlossen und er drückte den blauen Edelstein an seine Stirn.
Die Mauern erzitterten erneut. »Was immer das ist, es ist nah«, murmelte sie.
Trachos formte Worte. Er nahm den Stein aus seinem Gesicht, schüttelte den Kopf und sah
Maleneth an. »Das ist der einzige Weg.« Er steckte den Stein wieder in seinen Gürtel und
wandte sich erneut der verrosteten Tür zu. »Es gibt keinen anderen zurück in den
Hauptkanal.«
Das Wasser stand Maleneth mittlerweile am Kinn und sie fluchte. Das Rad, das die Tür
öffnete, war jetzt vollständig unter Wasser. Sie duckte sich unter die Oberfläche und
versuchte, es zu packen, doch ihre Hände bekamen es im schmutzigen Wasser nicht einmal zu
greifen.
»Was jetzt?«, keuchte sie, als sie wieder aufstand und hochkam.
Trachos schüttelte den Kopf und sah auf die Wand aus Schutt hinter ihnen. »Wir könnten
versuchen zu graben.«
Sie lachte und trat auf ein paar der zerbrochenen Steine, um sich ein wenig höher über das
rasch steigende Wasser recken zu können.
Die Mauern bebten mit solcher Macht, dass sie stürzte. Unter Wasser sah sie Trachos
zurücktaumeln, weg von der rostigen Tür, in Licht gebadet und bemüht, sein ungepanzertes
Gesicht zu schützen.
Sie sprang wieder aus dem Wasser hoch und sah Auge in Auge in irre, blutbespritzte, zu
einem Knurren verzogene Züge.
»Was spielt ihr beiden da noch rum?«, schrie Gotrek, der von der Tür gerahmt wurde, die er
soeben zerstört hatte. »Ich habe einen Gott zu töten.«
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

DER HOF DER FLEISCHFRESSER

»Ich bin gerührt, dass du wegen uns zurückgekommen bist«, sagte Maleneth, als der Slayer sie
durch die Überreste der Tür zerrte.
Gotrek ignorierte sie und verzog das Gesicht wegen der flackernden Silberadern, die in
Trachos Gesicht schimmerten. »Bei Grungnis Zähnen. Kein Wunder, dass du eine Kappe
trägst.«
Trachos blickte verdattert und griff hoch, seine Wangen zu befühlen.
Maleneth taumelte weiter die Röhre hoch und hatte Mühe, ihren Kopf über Wasser zu
halten. »Können wir vielleicht später Wunden vergleichen?«
Eine Weile schwammen sie mehr, als dass sie gingen, aber schließlich erreichten sie eine
weitere Kreuzung und taumelten wieder zurück in den Hauptkanal, schlitterten und hüpften
über den Schutt, bis sie mit einem Aufprall am Boden des Hauptzusammenflusses landeten.
Das Wasser war nicht mal einen Schritt tief und sie saßen eine Weile japsend und hustend
da.
»Wenn ihr zwei aufhört rumzutrödeln, dann könnten wir vielleicht den Turm erreichen,
bevor die ganze Stadt über uns zusammenbricht.« Er schwenkte seine Axt in Richtung der
zahlreichen Öffnungen, die vom Hauptrohr wegführten. »Ich will mal für dich hoffen, dass du
weißt, wo es langgeht, Menschling.«
Trachos musterte sein Spiegelbild auf der Oberfläche seines Helms und murmelte vor sich
hin.
»Das wird auch nicht weniger hässlich«, sagte Gotrek. »Kannst du uns zum Turm bringen
oder nicht?«
Trachos brachte wieder seinen Helm an und nickte. »Du musstest nur geradeaus gehen. Ich
habe dir gesagt, der Hauptkanal geht vom Turm ab.«
Gotrek zuckte die Achseln und stemmte sich auf die Füße. »Na, dann mal los.«
»Das wusstest du doch schon«, sagte Maleneth. »Als wir hier herunterkamen, hat Trachos
uns den Weg erklärt.« Sie schenkte dem Slayer ein trockenes Grinsen. »Du warst noch immer
im Haupttunnel. Du hattest dich nicht verirrt. Du musstest nicht zu uns zurückkommen. Ich
glaube, du hast uns vermisst.«
Gotrek funkelte sie an, stapfte dann den Tunnel hinab. »Ich wollte nur sichergehen, dass ich
hier nicht bis zum Weltuntergang rumirren muss.«
Maleneth zuckte zusammen, als sie aufstand und hinter ihm hertaumelte. Jedes Bisschen
Haut an ihr war geprellt oder zerschnitten und sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das
letzte Mal gegessen hatte.
»Aelfen«, schnaubte Gotrek. »Keinerlei Ausdauer.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Jedes Mal, wenn ich denke, du bist vielleicht ein
bisschen interessant, machst du deinen Mund auf. Dann erinnere ich mich daran, dass du ein
cholerisches Kind bist, gefangen im Körper eines bierverseuchten Ebers.«
Gotrek schneuzte und spuckte aus. »Was ist ein Cholerig?«
»Spiel nicht den Dummkopf«, murmelte sie. »Du bist schon lächerlich genug.«
»Es hat wieder aufgehört!«, rief Trachos.
Sie schauten die Röhre hinab und sahen, dass er bei einem der Löcher angehalten hatte, aus
dem Licht von der Straße herabdrang.
»Der Knochenregen hat aufgehört«, sagte er und ließ die Fackel durch die Öffnung
scheinen.
»Na und?«, meinte Gotrek und ging zu ihm zurück. »Du hast gesagt, die Kanalisation sei
der direkteste Weg.«
»Aber sie wird geflutet.« Trachos schwenkte sein Licht über das Wasser, das rings um sie
anstieg. »Es ist noch nicht so hoch, wie es in den kleineren Tunneln war, aber das wird es bald
sein. Und dieses ganze Gefüge ist instabil. Was auch immer die Stadt hat erzittern lassen, hat
die Fundamente verschoben.«
Er watete zur anderen Seite des Tunnels und stieß eine gestürzte Säule an.
Gotrek und Maleneth wichen zurück, als der Stein auf sie zustürzte, gegen den Rand der
Öffnung über ihnen prallte und eine bröckelnde Rampe hoch zur Straße schuf.
Gotrek drängte sich an ihr vorbei und kletterte die Säule hoch. »Beeil dich, Aelfe. Du willst
doch nicht, dass der Schönling diese Rune aus meiner Leiche pult, während du noch immer
zwischen Kackbrocken rumschwimmst.«
Sie packte ihre Messer fester, als sie hinter ihm hochkletterte, verwundert über den
Gedanken, dass sie sich vor ein paar Minuten wahrhaftig gefreut hatte, sein Gesicht zu sehen.
Sie kamen hoch in eine derartige Szene der Verwüstung, dass es sie erstarrt innehalten ließ.
Der Sturm war nur kurz, jedoch apokalyptisch gewesen. Dächer waren eingestürzt und
Fenster zerbrochen. In jeder Richtung über die Straße verteilt krochen Menschen durch die
Trümmer, hielten sich ihre Wunden oder schluchzten über den Körpern von Anverwandten.
Selbst Gotrek wirkte erschüttert. Der Turm im Herzen der Stadt glühte stärker denn je und
hüllte alles in ein amethystfarbenes Leichentuch von Todesmagie, und die Zerstörung war
schrecklich anzusehen.
Gotrek verzog das Gesicht über die Verwundeten und Sterbenden. »Der Fürst hätte sie
schneller nach unten schaffen können. Das hätte vermieden werden können.« Er nickte zum
Turm hin. »Sieht aus, als würde da drin etwas Großes vor sich gehen.« Er eilte über die
Straße, kletterte über zerstörte Karren und Wagen und ignorierte die elenden Gestalten, die in
Haufen darum herum lagen.
Als Maleneth und Trachos ihm hinterherstolperten, stürzte er plötzlich eine leere Straße
hinab und rannte an einer Fassade vorbei, die nach einem Tempel aussah, der aus den gleichen
bleichen, knochenartigen Rundungen bestand wie die anderen Gebäude, die sie gesehen
hatten. Breite, ausladende Stufen führten zu ihm hinauf und Dutzende verletzter Menschen
lagen darauf, die offensichtlich niedergestreckt worden waren, bevor sie die Tür des Tempels
erreichen konnten.
Maleneth und Trachos versuchten, mit Gotrek Schritt zu halten, aber sie hatten Dutzende
Verletzungen davongetragen, und als die Straße erreichten, war er schon weit entfernt und
rannte einen breiten, leeren Boulevard entlang, der zum Fuß des Turmes führte.
Rings um Maleneth lagen Menschen, die vor Schmerz und Furcht stöhnten, sowohl Soldaten
als auch Zivilisten, zerrissen und wehrlos – und aus allen Richtungen stürzten Ghule auf sie
zu.
»Das ist eine bewusste Taktik«, sagte sie und schüttelte den Kopf, überrascht, dass sie das
nicht schon vorher erkannt hatte. »Ihr Anführer muss eine Art von Hexer sein. Er schleudert
den Knochenregen gegen seine Feinde und dann, wenn die Reißer kommen, gibt es nichts
mehr zu kämpfen.«
Einer der Ghule war nur ein paar Schritt entfernt und als sie vorbeikam, sprang er sie an.
Hastig duckte sie sich, stieß mit ihren Messern zu, als das spuckende Wrack weitertaumelte
und sein Blut über die staubige Straße vergoss.
Als der Ghul auf den Boden prallte, warfen sich Dutzende weitere auf sie, grunzten und
packten sich Trümmerstücke.
Trachos hämmerte zwei ins Vergessen, summte dabei vor sich hin, und Maleneth machte
zwei weitere nieder, doch Hunderte quollen bereits aus der Straße hervor und rissen in ihrem
Fresswahn aneinander.
Maleneth und Trachos rannten weiter den einzig verbliebenen Weg durch die Horde entlang
und erreichten den Zugang zum Turm.
Gotrek war beinah am Tor, und das durch die Mauern dringende Licht zeichnete seinen
Umriss ab, als etwas Merkwürdiges geschah.
Die Ghule wichen zurück, im Gleichklang, als würden sie auf einen stummen Befehl hin
reagieren.
Maleneth kam taumelnd und verwirrt zum Halten. »Was machen die?« Die Ghule benahmen
sich, als hätten sie die Kontrolle über ihre Sinne wiedererlangt, schlurften zueinander und
versuchten sogar geordnete Reihen zu bilden, wie eine Armee von Betrunkenen, die für eine
Parade nüchtern zu wirken versucht. »Sind das jetzt Ghule oder nicht?«
Trachos winkte sie weiter. »Ist egal – wir müssen diesen Turm erreichen. Volant wird in den
Hallen der Trennung warten.«
Maleneth schüttelte den Kopf und musterte das Gewühl. »Es ist, als wären sie noch immer
menschlich.« Sie schenkte Trachos einen warnenden Blick. »Sicher möchtest doch
ausgerechnet du gerne wissen, was du da tötest?«
Er wurde langsamer, hielt an und sah sich um. »Sie sind Fleischfresser.«
Die Ghule waren noch immer verkrümmte, abartige Schreckgestalten, die zuckten und
schnappten, doch formten sie nun geordnete Linien und keiner von ihnen machte
irgendwelche Anstalten anzugreifen. Sie bildeten eine Kolonne entlang des Boulevards und
jede Sekunde schlossen sich Dutzende weiterer ihren Reihen an. Maleneth schätzte, dass es
jetzt bereits mehrere hundert sein mussten.
Gotrek hielt an und blickte zurück auf die groteske Parade, während Maleneth und Trachos
zu ihm hintrabten.
»Was haben die da vor?«, fragte er, als sie ihn erreichten. »Warum tun sie das?«
Sie beide schüttelten den Kopf und starrten den Boulevard hinab. Dort war jetzt eine riesige
Menge von Fleischfressern, die sich in einem bizarren Anschein von Ordnung
zusammendrängten. Viele von ihnen trugen noch immer Kleiderfetzen und einige hätten
beinah als normal durchgehen können, wären da nicht ihre leeren Augen und ungeschickt
zuckenden Glieder gewesen.
»Vielleicht darum«, sagte Trachos und zeigte mit seinem Zepter auf die Stadtmauer.
Maleneth starrte in die ferne Finsternis und sah etwas, das wie ein Schwarm von Vögeln
aussah, der über die Dächer flog und geradewegs auf sie zuhielt. Es waren die riesigen
fledermausähnlichen Dinger, die sie durch Trachos’ Fernglas von den Stadtmauern aus
gesehen hatten. Sie hörte ihre schrecklich kreischenden Schreie durch die Straßen hallen.
»Bei Khaines Blut«, zischte sie. »Nicht schon wieder diese Dinger.«
»Nein«, sagte Gotrek und stieß mit der Axt nach den geflügelten Monstern. »Das sind nicht
die gleichen.« Er lachte, als sie näher heranflogen und vom Licht des Turms angeleuchtet
wurden. »Dies sind edle Rösser.«
Die Reiter saßen aufrecht und stolz, das Kinn erhoben, und Banner hingen von ihren Sätteln.
Einige trugen Stücke zerbrochener Fässer auf dem Kopf wie Kronen, manche trugen Teile von
Trümmern am Arm, als wären es Schilde. Doch ihr Fleisch war verheert wie das der
Gestalten, die sich aufreihten, sie zu grüßen, und ihre Körper waren ebenso knorrig und
missgestaltet.
»Es ist der Ghulkönig!«, brüllte Gotrek grinsend. »Wie majestätisch er doch aussieht auf
seiner riesigen toten Fledermaus.«
Maleneth winkte mit dem Messer zu der erwartungsvollen Menge aus Ghulen, die vor ihnen
aufgereiht stand. »Was würde mit diesen Legionen von Fleischfressern geschehen, wenn man
ihren edlen Führer töten würde?«
Gotrek hob eine Augenbraue. »Interessante Idee.«
»Wir müssen jetzt in den Turm«, sagte Trachos. »Gotrek hat geschworen, die Unbegrabenen
zu bewachen, bis der Fürst und Lhosia ihren Zauber vollführt haben.«
Maleneth schüttelte den Kopf. »Ein Zauber wird die Unbegrabenen retten, aber nicht
notwendigerweise auch uns. Sie haben sich bei diesem Punkt bemerkenswert vage gehalten.«
Sie zeigte auf die umgebenden Straßen. Ghule kamen schlurfend aus jeder Richtung näher und
stellten sich mit den anderen zu Reihen auf. »Kannst du sehen, wie viele dieser Dinger das
sind? Und schau dort rüber.« Sie zeigte weiter in die Stadt hinein, in die Richtung, aus der sie
gekommen waren. Kolonnen von Gestalten marschierten unter dem Ghulkönig dahin, zahllose
Hundertschaften von Reißern, die von der Abendflut herkamen.
Gotrek saugte an seinem Bart, zog die Stirn kraus und dachte über ihre Worte nach.
Dann pulsierte plötzlich das Licht im Turm mit erneuerter Kraft, ließ Strahlen über die
Unterseite der Wolken streifen, und eine Glocke ertönte, dumpf und misstönend wie die, die
sie gehört hatten, als sie zunächst in Morbium angekommen waren.
Sie alle wandten sich dem Gebäude zu. Es glich einem gedrehten, weißen Stoßzahn, übersät
mit runden Fenstern. Die glatten, wabenartig gefügten Wände waren aus poliertem Knochen
gefertigt, und als das Licht anschwoll, sah der Turm wie eine schimmernde Flamme aus.
»Irgendwas geht da oben vor!«, schrie Gotrek mit finsterem Gesicht. »Sie haben verdammt
noch mal ohne mich angefangen.« Er schwenkte seine Axt zu der Armee hin, die sich hinter
ihnen sammelte. »Es wird noch reichlich Zeit sein, sich um die Irren zu kümmern.« Damit
wandte er sich um und rannte durch die Tür des Turmes.
Maleneth und Trachos folgten ihm in ein Atrium und schlugen die Türflügel hinter sich zu.
Die blanken, gewellten Wände des Turmes umfassten keine Stockwerke, nur eine einzige
Wendeltreppe im Zentrum, die von einem weiten, offenen und kreisförmigen Platz umgeben
war. Das Treppenhaus stieg zu einer zentralen Plattform mehrere hundert Schritte über ihnen
empor und die Wände waren mit Tausenden weißer, flügelförmiger Schilde behangen, die alle
mit Gedichtzeilen bedeckt waren. Es war etwas Unheimliches an diesem enormen Raum, der
jeglicher Zimmer oder Möblierung entbehrte und in violettem Licht gebadet war, und
Maleneth hielt einen Moment inne, schüttelte den Kopf. Sie fühlte sich wie in einem Traum.
Das Licht kam von halbem Weg aufwärts, wo anstellen der Schilde sich Hunderte von
Kokons in die Biegungen schmiegten und von innerem Licht strahlten. Nach all dem Lärm
und der Gewalt der letzten beiden Tage war Maleneth geschockt, diesen Turm so ruhig zu
finden. Abgesehen von den Echos der Glocke herrschte eine seltsame, friedvolle Stille. Das
Kreischen der Terrorgheister war verklungen, sobald sie die Tür geschlossen hatten. Es war,
als seien sie in ein anderes Reich getreten.
Sie schaute durch das nächstgelegene Fenster hinaus und sah, dass die zerstörte Stadt noch
immer dort war, zusammen mit den Ghulmassen, doch war ihr Lärm verstummt.
»Hexenklinge«, sagte Trachos und eilte an ihr vorbei auf die Stufen zu.
Sie schreckte aus ihren Gedanken hoch und sah, dass der Slayer sich in schnellem Tempo
ins Licht hinaufbewegte.
Maleneth rannte zum Treppenhaus. Die Spirale war breit und flach, aber das im Kreis
Laufen in einem solchen Tempo machte sie dennoch nach ein paar Minuten schwindlig, und
das Gebäude war so riesig, dass es sich anfühlte, als machten sie keinerlei Fortschritt, als
würden sie sich immer nur in einer lautlosen Leere drehen und drehen, ohne aber höher zu
kommen.
Die Glocke erklang erneut. Innerhalb des Turmes war es ohrenbetäubend und Maleneth
fluchte, drückte sich fest die Hände auf die Ohren, während ihr der Klang durch den Schädel
hallte.
Gerade als das Läuten aufzuhören schien, brach die Wand des Turmes ein und Platten aus
Knochen und Metall stürzten über die Treppen herab.
Maleneth ging in die Hocke, als kreischend ein Terrorgheist in Sicht kam, wild seine Flügel
ausschlug und Teile zerbrochenen Mauerwerks quer durch das Treppenhaus schleuderte.
Auf dem Rücken des Monsters saß ein Ghul, der eine Krone und den Anstrich eines
grotesken Adels zur Schau trug. Der Reiter führte einen rostigen, krummen Speer und er
zeigte mit dieser lächerlichen Waffe auf Gotrek, der noch immer die Stufen hochrannte und
nicht weit von der kreisförmigen Plattform an der Spitze des Turmes war.
Ein zweiter Terrorgheist krachte durch die Wand und brachte noch mehr des Gebäudes zum
Einsturz und ließ draußen Reihen von Dächern sichtbar werden.
Die Kreaturen waren gewaltig und ekelerregend. Haut hing ihnen von den Knochen und
zerlumpte Fetzen verfaulter Eingeweide schlängelten sich, als sie sich umdrehten, hinter ihnen
her. Sie hatten beide die gleichen stupsnasigen Fledermausgesichter und auf ein Signal des
Ghulkönigs schrien sie im Einklang auf.
Maleneth brüllte, aber ihre Stimme ging im Kreischen der Terrorgheister unter.
Trachos hatte ein paar Schritte weiter oben angehalten. Er zitterte vor Schmerz und das
Funkensprühen um seinen Helm war schlimmer geworden; es tanzte über seine
Schulterplatten und seinen Brustpanzer hinab.
Sie schaffte es, zu ihm hochzusteigen, während sie noch immer schrie und die
Terrorgheister sie umwirbelten, grell kreischten und ihre Flügel schlugen.
Trachos hatte Mühe aufzustehen, doch sie griff seinen Arm und zerrte ihn auf die Füße. Er
lehnte sich auf ihre Schulter und erdrückte sie fast mit seiner gepanzerten Masse, bevor er sich
straffte und begann, die Treppe hochzuhumpeln.
Von den oberen Stufen her schoss etwas durch die Luft und prallte gegen einen der
Terrorgheister. Die Kreatur schlug mit den Flügeln, versuchte ihre Position zu halten, während
ihr Reiter sich im Sattel erhob und reckte, um zu sehen, was sein Reittier da getroffen hatte.
»Gotrek«, sprach Maleneth es aus, da sie die Natur des Geschosses schon erraten hatte, noch
bevor sie sah, wie der Slayer wütend grinsend den Hals des Terrorgheists hochkletterte, und
ihm seine Axt in den Schädel trieb.
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

GROLLSTACHEL

»Nia!«, schrie König Galan, als der Verräter ihr Ross enthauptete.
Ihr Drache sackte unter ihr weg und sie stürzte auf den fernen, steingepflasterten Boden zu.
Galan trieb sein Reittier vorwärts, steuerte es hinter ihr her. Sie raste an den Stufen im
Zentrum des Turmes vorbei und kämpfte darum, ihre Zügel in der Hand zu halten.
Nias Reittier zog eine scharlachrote Spur hinter sich her, während es kreiselnd stürzte, doch
er konnte noch immer seine Königin sehen, die sich auf dem Kamm seines Rückens festhielt.
Der Verräter war ebenfalls da – kompakt und schwer und eine Axt in seinem Griff, die beinah
so groß wie er selbst war. Sein Kopf war kahl rasiert, abgesehen von einem mittleren Streifen,
der mit so viel Tierfett eingeölt war, dass er wie ein flammengleicher Kamm hochstand. Selbst
in seinem Fall kletterte er über das tote Tier, versuchte immer noch Nia zu erreichen, schwang
seine Axt zurück, um erneut zuzuschlagen.
»Nein!«, heulte Galan und trieb seinen Drachen Richtung Boden, während er seinen Speer
packte und sich zum Zielen bereitmachte.
Sein Ross glitt im tiefen Bogen herab und rammte, Sekunden vor dessen Aufprall, gegen
Nias Drachen, sodass sie alle wild taumelnd über den Boden geworfen wurden. Galan wurde
von seinem Reittier geschleudert und krachte gegen die Wand, verlor beim Aufprall auf die
Steine seinen Speer.
Einen Moment saß er da, zu benommen, um sich zu bewegen, starrte den hohlen Turm
hinauf und versuchte sich daran zu erinnern, wer er war. In der Nähe befand sich ein rundes
Fenster, das auf den breiten Boulevard hinaussah. Seine Leute versammelten sich draußen,
bereiteten sich auf den Angriff vor, und ihr Anblick erfüllte Galan mit Stolz. Sie hatten sich
mühelos ihren Weg durch die Stadt erkämpft und sie hielten, während sie auf ihn zuritten, das
Kinn triumphierend erhoben, und ihre Fahnen flatterten in der Brise. Hinter ihnen lagen
Kriegsmaschinen bereit, um die Stadt in Schutt und Asche zu legen und alles zu pulverisieren.
»Galan!«, schrie Nia.
Sie lag etwa vier Schritt entfernt am Fuß der Treppe unter ihrem toten Drachen eingeklemmt
und rang um Atem.
Er stöhnte bei ihrem Anblick auf, unfähig seine Erschütterung zu verbergen. Sie war
zerquetscht worden. Blut quoll aus ihrer Rüstung und ihre Hüften waren in einem
erschreckend unnatürlichen Winkel verdreht.
»Galan?«, rief sie erneut.
Der Verräter mit dem Haarkamm war auf der anderen Seite der Treppe, sah ähnlich
benommen aus und massierte sich das Gesicht, während er seine Axt nutzte, um sich wieder
auf die Füße zu stemmen.
Galan eilte zu Nia und versuchte, den toten Drachen zu bewegen. Es war unmöglich. Das
Tier besaß die Größe einer ausgewachsenen Eiche.
Nia streckte ihre Hand nach ihm aus. In ihrer Stimme lag keine Angst, nur Enttäuschung.
»Verdammt.« Sie mühte sich, sich zu bewegen. »Kannst du ihn bewegen?«
Er wollte schreien und sich abwenden. Seine Liebste so zu sehen, war schmerzvoller als
alles, was er sich hätte vorstellen können. Doch er kniete weiter neben ihr und zwang sich,
ihrem fiebrigen Blick zu begegnen.
»Warum schaust du mich so an?«, krächzte sie, um Atem ringend. Die Farbe wich rasch aus
ihrem Gesicht, während sich die Blutlache um sie vergrößerte. Sie nickte langsam und legte
sich wieder auf den Boden zurück.
Galan wusste nicht, was er sagen sollte. Bei dem Gedanken an ein Leben ohne sie ergriff
eine Taubheit von ihm Besitz.
Sie fasste seinen Arm und lächelte trotz des Schmerzes. »Wir haben es beinah geschafft,
Galan. Wir sind fast da. Du bist fast da.«
Da war ein Trampeln von Stiefeln, als die Hunde Dinanns den Turm betraten und abstiegen.
Ihre triumphierenden Mienen verblassten, als sie sahen, dass Galan ihre sterbende Königin
hielt. Taumelnd kamen sie zum Halten, senkten ihre Speere.
»Melvas und die anderen sind hier«, sagte er und musste um Worte ringen. »Ruh dich ein
wenig aus und ich komme bald zu dir zurück, wenn die Verräter tot sind. Dann werde ich die
Heiler holen, damit –«
Sie brachte ihn mit einem schrecklichen Lächeln zum Schweigen. »Keine Lügen. Ich sehe
die Wahrheit in deinen Augen. Kein Heiler kann mir jetzt noch helfen. Aber ich habe keine
Angst vor dem Tod, Galan. Dies ist alles, was ich mir je gewünscht habe. Im Kampf zu
sterben, mit dir an der Seite. Lieber hätte ich dies als jede Zahl von –« Ihre Worte wurden von
einem heftigen Hustenanfall unterbrochen.
»Ohne dich hätte ich niemals König sein können«, sagte er.
Sie versuchte zu nicken, aber das Husten wurde schlimmer, bis sie nur noch röchelte. Der
Griff um seinen Arm verstärkte sich und sie drückte ihre bereits blauen Lippen gegen seine
Haut und gab ihm einen letzten, langen Kuss. Dann sank sie zurück, noch immer lächelnd,
während sich ihr letzter Atemzug rasselnd ihrer Brust entrang.
Galan starrte sie an und der eigene Atem stockte ihm in den Lungen. Zärtlich berührte er
ihren silbernen Ehering, strich über die Runen und erinnerte sich an den Tag, als er ihn ihr an
die Hand gesteckt hatte.
Dann sah er jemanden durch das Atrium auf sich zuschreiten.
Zorn schoss in ihm hoch, zwang ihn, den Atemzug zu tun, den er zurückgehalten hatte. Es
war der Barbar mit dem Kamm goldenen Haares – der muskelbepackte Wilde, der seine
Königin ermordet hatte.
Galan vergaß seinen Schmerz und sprang auf die Füße. Es war ihm egal, wer der
merkwürdig aussehende Krieger war. Der Mord an Nia würde nicht ungerächt bleiben. Er
griff über die Schulter und fand zu seiner Erleichterung, dass Grollstachel noch da war. Er zog
das Langschwert und packte es mit beiden Händen, fühlte, wie die Hexerei durch seinen Griff
pulsierte. Dann stürzte er sich auf den Barbaren.
»König der Ghule!«, schrie der Wilde und lachte, als er Galan auf sich zukommen sah.
»Endlich treffen wir uns!«
Erst jetzt, da er so nah heran war, sah Galan, wie klein der Krieger war. Er besaß einen
absurd muskulösen Körper, doch sein Kopf reichte nur bis zur Höhe von Galans Brust. Galan
war nie zuvor einem Duardin begegnet, doch war er gebildet genug, zu wissen, dass dies einer
sein musste.
»Auf die Knie, Mörder«, schrie er, und hob Grollstachel zum Schlag.
Der Duardin lachte erneut, offensichtlich unbeeindruckt. »Versuchst du zu sprechen? Wo dir
der halbe Hals fehlt?«
Galan zögerte, unsicher, wovon der Barbar da sprach. Er berührte seinen Hals, fand aber
keine Wunden.
»Tricks werden dich nicht retten«, zischte er.
Er hob die verzauberte Klinge mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, und zielte auf das
spöttische Grinsen des Duardin.
Der Wilde parierte, doch als das Schwert die Axt traf, brach Hexerei aus Grollstachels
Klinge hervor und schleuderte ihn in einem Sturm aus Dunkelheit rückwärts, als würde er
unter hauchzarten schwarzen Tüchern begraben.
Verärgert schrie der Duardin auf, während er versuchte, sich den Weg durch die Dunkelheit
zurückzukämpfen. Wütend schwang er seine Axt, sodass im Metall eine Flamme
aufschimmerte, doch je härter er kämpfte, umso dichter wurde die Dunkelheit und zog sich
wie ein Netz um ihn zusammen.
»Verflucht seist du!«, brüllte er, taumelte unfähig, sich zu befreien, von Seite zu Seite.
Galan umkreiste ihn und genoss den Moment.
Dann hielt er an, da er etwas Merkwürdiges entdeckte. Ein goldenes Gesicht war in der
Brust des Duardin eingebettet, und als der Krieger Grollstachels Hexerei zu entkommen
versuchte, pulsierte die Metallmaske vor innerem Feuer und leuchtete wie eine gewaltige Glut.
Während der Duardin umhertaumelte und vor Empörung heulte, trat Galan still auf ihn zu,
zog Grollstachel zurück und fühlte dessen brodelnde Kraft. Die Klinge war mit der Kraft des
Großen Wolfes aufgeladen. Sie war mit Hexerei gesegnet, die so machtvoll war, dass sie
durch alles hindurchschneiden konnte – sogar die goldene Rune.
Doch als das Runenlicht in Galans Augen flutete, spürte er eine seltsame Empfindung. Es
war, als ob die Brise durch seinen Hals anstatt dagegen wehen würde. Er erinnerte sich an die
merkwürdige Beleidigung der Duardin und griff hoch, um seine Kehle zu berühren. Seine
Finger streiften feuchtes, zerrissenes Fleisch.
Kaltes Grauen ergriff ihn, als erwachte er aus einem Traum, doch noch immer konnte er
seinen Blick nicht von der Rune auf der Brust des Duardin reißen. Das Licht brannte durch
seinen Geist, verdrehte seine Gedanken und rief bei ihm die höchst sonderbare Empfindung
hervor, dass er nicht war, wer er zu sein glaubte.
Schmerz explodierte in Galans Brust, als eine Klinge zwischen seinen Rippen hervordrang.
»Nicht nötig, so ernst zu dreinzuschauen«, flüsterte ihm eine sardonische Stimme ins Ohr.
Er taumelte vorwärts und sein Angreifer zerrte, als er fiel, die Klinge seitwärts, dass es ihm
das Fleisch zerriss.
In einer Blutfontäne fiel Galan zu Boden. Er blickte zurück und sah eine höhnisch grinsende
Aelfe, die über ihm stand, gertenschlank und gehüllt in stachelbesetztes, blutbespritztes Leder.
Er versuchte aufzustehen, doch sie setzte ihm einen Stiefel auf die Brust, hielt ihn nieder
und schwenkte missbilligend ihren Finger. Schwindlig vom Blutverlust sank er zurück auf den
Boden.
Mit munterem, elegantem Schritt spazierte die Aelfe davon, auf den Duardin zu.
Von dort, wo Galan lag, konnte er Nias toten Drachen und die Soldaten sehen, die den Turm
betreten hatten. Nur waren sie gar keine Soldaten. Sie waren etwas anderes – graue, verdrehte
Schreckgestalten mit zerrissenem Fleisch und hohnlachenden, lippenlosen Mündern. Statt bei
ihrer gefallenen Königin Wache zu stehen, standen sie krumm über deren Reittier gebeugt und
zerrten hungrig an seinen Flanken, zerrissen ihm die Muskeln und füllten ihre Mäuler mit
Blut.
Er konnte Nias ausgestreckte Hand sehen, gefleckt und grau, wie verfaultes Fleisch. Dann
sah er den Ehering, der an ihrem blutlosen Finger glitzerte.
Mit seinem letzten Atemzug flüsterte er ihren Namen.
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

FRESSWAHN

»Dreckszauberer«, murmelte Gotrek, als die Dunkelheit von ihm wich. Er trampelte auf den
Schatten herum, die über den Boden tanzten und sich von ihm weg krümmten. Innerhalb von
Sekunden waren sie alle verblasst und ihm blieb nichts anderes, als finster die Bodenplatten
anzustieren. Er entdeckte Maleneth, die noch immer ihr Messer hielt, und den toten Ghul zu
ihren Füßen.
»Von einer Aelfe gerettet«, ächzte er.
Sie lachte über seine Undankbarkeit auf. »Oh, was bist du doch für ein Charmeur, Gotrek
Gurnisson – bescheiden und wortgewandt gleichermaßen. Bist nie um das rechte Wort
verlegen. Du bist wahrhaftig eine Zierde für deine Art.«
Er funkelte sie an, und Glut tanzte in seinen Augen wie in einer lodernden Esse.
Maleneth spannte sich an und griff ihre Messer.
Dann trat ein breites Grinsen auf Gotreks Züge. »Du bist beinah komisch«, lachte er. »Für
eine hinterrücks meuchelnde Aelfe.«
Sie verbeugte sich mit übertriebenem Schwung. »Ich versuche mein Bestes.«
Einer der Ghule erhob sich von dem toten Ross, seine Kehle vollgestopft mit Fleisch, und
Blut troff ihm die Haut herab. Er streckte die Hände nach ihnen aus, stöhnte hungrig, doch
bevor er einen Schritt machen konnte, zerrte ihn ein anderer Reißer zu Boden und begann ihn
zu fressen; knurrend und keuchend riss er ihm mit den Zähnen das Fleisch von den Knochen.
Amüsiert sahen Maleneth und Gotrek zu, wie die Ghule allesamt in einem schnaubenden,
knurrenden Fresswahn übereinander herfielen. Außer dem nächsten Körper schienen sie alles
andere vergessen zu haben, und schnell verwandelten sie sich in einen Haufen zappelnder
Glieder und krallender Finger.
Durch das Fenster konnte Maleneth die Ghule sehen, die sich draußen auf dem Boulevard
versammelt hatten, und auch sie benahmen sich in gleicher Weise. Sie gaben jeden Anschein
einer Armee auf und fielen übereinander her, stürzten sich auf jeden, der gerade am nächsten
stand. Selbst die Terrorgheister hatten sich dem Blutbad angeschlossen, stürzten sich von den
Dächern herab und verschlangen die Kreaturen, mit denen sie zuvor noch Seite an Seite
gekämpft hatten. »Was im Namen Khaines machen die da?«
Gotrek sah dem Gemetzel zu und schüttelte den Kopf. »Sogar Ghule schaffen es meistens,
jemand anderen als einander anzugreifen.«
»Du hast ihren Anführer getötet«, rief Trachos die Treppe herab. »Diese Dinger haben
keinen eigenen Geist. Nur seinetwegen folgten sie einem Ziel.« Er schwenkte seine Zepter in
Richtung der Leiche des Ghulkönigs. »Du hast geschafft, worum der Fürst dich gebeten hat.«
»Was meinst du?«, fragte Gotrek. Er nickte zu den Kokons hoch im Gebälk des Turmes hin.
»Sie sind noch nicht gerettet.«
»Du hast sie vor den Ghulen gerettet. Die Fleischfresser werden so sehr damit beschäftigt
sein, sich selbst zu fressen, dass die Erebid kein Problem haben werden, sie abzuschlachten,
wenn Fürst Volant sie wieder aus der Kanalisation hochruft.«
Gotrek sah Maleneth an und sie machte erneut einen übertriebenen Knicks vor ihm und
ergötzte sich an der Tatsache, dass sie die Arbeit für ihn erledigt hatte.
»Alles, was jetzt noch für Volant und Lhosia zu tun bleibt, ist das Ritual auszuführen, von
dem sie gesprochen haben«, sagte sie. »Den magischen Stein zu entzünden und die Erebid vor
zukünftigen Invasionen zu bewahren.«
Gotrek sah zur Spitze des Turms hoch. Die sechseckige Plattform im Dachgestühl strahlte
so hell, dass er seine Augen abschirmen musste. »Lass uns da hochgehen, bevor sie so
aufgeregt sind, dass sie vergessen, was sie mir versprochen haben.«
KAPITEL DREISSIG

TODESGLEICH

Als sie die oberen Ebenen des Gebäudes erreichten, fanden sie sich von Unbegrabenen
umgeben. Maleneth erinnerte sich daran, dass Lhosia gesagt hatte, jeder Kokon würde
Hunderte, sogar Tausende von Seelen enthalten, und sie staunte, als sie sah, dass die Wände
mit vielen Hunderten davon bedeckt waren. Sie waren alle in Nischen aus glattem Knochen
eingebettet wie Samen in einer riesigen weißen Schote, und je näher sie der Plattform waren,
desto heller strahlten sie. Maleneth fühlte sich beim Laufen, als würde sie sich ins Herz eines
Sterns stürzen, wo riesige Glutfunken rings um sie taumelten und im Sturz aufflammten. Die
Plattform war aus dem gleichen bleichen, durchscheinenden Material wie alles andere
gefertigt und schattengleiche Gestalten liefen über ihrem Kopf über deren Oberfläche, hierhin
und dorthin.
Sie waren noch immer mehrere Minuten von der Plattform entfernt, als Maleneth
erschrocken aufschrie und zum Stehen kam.
»Los weiter, Aelfe!«, schnauzte Gotrek zu ihr zurückblickend. Sobald er jedoch sah, was
mit ihr geschehen war, hielt er ebenfalls an.
»Was machst du?«, fragte er.
»Machen? Ich habe nichts gemacht!«, sagte sie und starrte auf ihre Arme. Ihre Haut war von
Natur aus blass, doch hatte sie sich verwandelt und war zum gleichen knochenähnlichen
Material wie die Wände geworden. Selbst ihre Kleidung hatte sich in den gleichen Stoff
verwandelt. »Das ist, was mit dir geschehen ist!«, rief sie und zeigte auf die Reihen von
Kokons. »Als du dich mit diesen Dingern verbunden hast. Es passiert auch jetzt mit dir! Sieh
doch!«
Gotrek schrie verärgert auf. Seine ledrigen, tätowierten Muskeln glichen jetzt staubigem
Alabaster, genau wie sein Schulterschutz. Er blickte auf seine Handfläche und verzog wegen
der Veränderung seiner Haut das Gesicht.
»Bewegt euch nicht!«, rief Trachos.
»Nicht bewegen? Was meinst du, nicht bewegen? Wir müssen da hoch.« Gotrek stieg weiter
die Treppe empor.
»Erinnert euch daran, was die Priesterin euch gesagt hat«, sagte Trachos. »In diesem
Zustand seid ihr zerbrechlich. Bewegt euch also vorsichtig.«
Gotrek hielt an und blickte zurück. »Und was ist mit dir?«
Trachos’ Rüstung war jetzt vom gleichen Kreideweiß wie alles andere. Er schüttelte den
Kopf und starrte auf seine Arme.
»Ha!«, krähte Maleneth. »Doch nicht so unvergänglich, unser Stormcast Eternal. Beweg
dich selbst vorsichtig!«
Die Gestalten über ihnen eilten plötzlich zu einer Seite der Plattform und die Kokons an den
Wänden pulsierten sogar noch heller.
»Scheißdreck«, grunzte Gotrek und stieg weiter die Stufen hoch, doch bewegte er sich
merklich langsamer.
Das letzte Stück Treppe öffnete sich zu einer Fächerform, die auf die Plattform führte.
Gotrek, Trachos und Maleneth traten zusammen ins Licht hinaus, schirmten ihre Augen ab, als
sie auf den glatten, pulvrigen Boden traten und ihre Waffen griffen. Maleneth fiel auf, dass sie
sich wie alte Waffengefährten bewegten, wie sie da Seite an Seite standen, in
unausgesprochenem Vertrauen aufeinander. Sobald sie das bemerkte, trat sie einen Schritt von
den beiden anderen seitwärts und brummelte verärgert.
Als Maleneth sich an das Licht gewöhnte, sah sie, dass ihre Haut wieder ihr normales
Aussehen angenommen hatte. Bei den anderen war es genauso. Die Transformation, die auf
der Treppe über sie gekommen war, hatte aufgehört, sobald sie auf das Podest getreten waren.
Ein Dutzend Leute waren dort versammelt. Zu ihrer Linken war Lord Aurun, flankiert von
sechs Rittern der Grabwacht. Er sah aus, als sollte er gleich gekrönt werden – Kinn erhoben,
die Schulter zurück und die Augen vor Stolz strahlend.
In der Mitte der Plattform befand sich die Hohepriesterin Lhosia, drei weitere Priester und
die hochaufragende Gestalt Fürst Volants. Die Priester standen im Kreis um den Fürsten, sich
mit erhobenen Armen bei den Händen haltend, und Volant kniete. Es sah aus, als hielte er
einen explodierenden Stern. Tausende weißer Motten umflatterten seine Hände und formten
einen Ball wimmelnder, blitzender Flügel.
»Todesgleich fliegen wir, vom Leben errettet und gewiegt vom Lehm der Erde. Aus den
Grüften grimmhändiger Ahnen, rotvernarbt und verkohlt, todeszüngig und heil, bringen wir
Glauben, bringen wir Hoffnung, bringen wir Ewigkeit.«
Maleneth wollte auf ihr Eintreffen aufmerksam machen, doch die Luft war so schwer von
Hexerei, dass sie sich nicht traute zu sprechen, da sie fürchtete, sonst irgendeine Verwandlung
auszulösen.
Lhosia wiederholte Volants Beschwörung und dann sprach wieder der Fürst. Diesmal war
seine Stimme tiefer und volltönender und hallte durch die Schatten wider. »Todesgleich
fliegen wir, vom Leben errettet und gewiegt vom Lehm der Erde. Aus den Grüften
grimmhändiger Ahnen, rotvernarbt und verkohlt, todeszüngig und heil, bringen wir
Reichtümlichkeiten. Geschenke bringen wir. Opfergaben bringen wir der tiefen, tiefsten
Dunkelheit.«
Dieses Mal hatten die Worte dramatische Auswirkungen. Die Kokons in der Wand
pulsierten, wurden dann dunkel. Ein Paar kleiner Kohlebecken stand am Kopf der Treppe und
ohne ihre Flammen wäre die Plattform in Dunkelheit getaucht gewesen.
»Das sind nicht die Worte«, sagte Lhosia, wich zurück, brach aus dem Kreis und starrte den
Fürsten an. »Was tut Ihr da?«
Als Lhosias Hände sich aus dem Griff gelöst hatten, flogen einige der Motten fort,
schwärmten über die Plattform aus und flatterten empor, hoch in die Spitze des Turms.
Volant blickte mit finsterer Miene durch die Wolken wirbelnder Insekten aufwärts.
KAPITEL EINUNDDREISSIG

DER LEICHENTUCHSTEIN

Der Fürst trug nicht seinen Helm und als er sich zu Gotrek umwandte, kniff er lächelnd die
Augen zusammen.
»Du hast es geschafft.« Er ignorierte die verwirrt wirkenden Priester und kam zum Slayer
herüber. »Das hatte ich gehofft, doch die Chancen standen schlecht. Du bist ein einzigartiges
Individuum. Ein seltener Fund.«
Lhosia starrte die dunklen Kokons an den Wänden an und wirkte zunehmend entrüsteter.
»Was tut Ihr, Dämmerfürst? Warum habt Ihr das Ritual abgeändert?«
»Du hast gehofft, ich würde es schaffen?«, fragte Gotrek. »Wovon redest du?«
Volant betrachtete Gotrek aus glasigen, leblosen Augen. Er wirkte, als wäre er berauscht.
»Du bringst den Göttern die Verachtung entgegen, die sie verdienen.« Mit wegwerfender
Geste winkte er zu allen anderen auf der Plattform hin. »Als du sagtest, du seist gekommen,
um deinen Zorn über Nagash zu bringen, da hast du mein Herz zum Singen gebracht, Gotrek.
Wir sind gleichen Geistes, du und ich. Und du hast gute Arbeit geleistet, diese Seelen
hierherzubringen.« Er deutet auf den kleinen Flecken Dunkelheit, der im Zentrum der Motten
hing. »Das hätte ich niemals ohne dich schaffen können.«
Perplex starrten Lhosia und die anderen Erebid den Fürsten an, als dieser fortfuhr.
»Diese Opfergabe garantiert die Zukunft der Erebid.«
Gotrek schüttelte den Kopf. »Opfergabe?«
Volant sah Lhosia traurig an. »All diese Jahrhunderte haben wir unsere Vorfahren verborgen
gehalten. Doch jetzt sind wir verloren. Der Herr der Untoten hat eine Macht gebändigt,
jenseits von allem, was er zuvor besaß. Nicht länger können wir uns bloß an unsere Gebete
klammern und hoffen, schneller zu sein als die Flut.«
»Was habt Ihr getan?«, fragte Lhosia leise.
»Ich habe Hunderte heiliger Seelen gesammelt«, sagte Volant und blickte auf die dunkle
Form im Zentrum der Motten. »Seelen, die sich Nagash seit Jahrhunderten entzogen haben.«
Lord Aurun funkelte den Dämmerfürsten an, griff seine Sichel mit solchem Zorn, dass seine
Arme zitterten.
Maleneth blickte auf die Stelle, wo Volant gekniet hatte, und sah in dem Knäuel der Motten
einen violetten Schimmer. Es war ein Edelstein, facettiert und dunkel.
»Meint Ihr, dass der Leichentuchstein die Unbegrabenen bewahren wird?«, fragte Lhosia.
Fürst Volant schüttelte den Kopf und schien plötzlich müde. Er massierte seine Kopfhaut,
während er auf dem Podest hin- und herging, dass sich die komplexen Tätowierungen in
seinem Gesicht verzerrten. »Nichts bewahrt Leben, außer Macht. Ich begreife das jetzt. Lange
Zeit dachte ich, es gäbe einen anderen Weg, doch jetzt begreife ich, dass sich Freiheit von den
Göttern nur erkaufen lässt. Gebete, Hingabe, Ahnenverehrung … Das ist alles bedeutungslos.
Doch Opfergaben gewinnen die Gunst eines jeden Gottes. Und dank des Duardin hat der
Leichentuchstein mehr Seelen aufgenommen, als ich jemals hoffen konnte. Und jetzt werde
ich sie zu Nagash schicken.«
»Nagash?«, keuchte Lhosia und sah hinüber zu Lord Aurun. Ihr Gesicht hatte jede Farbe
verloren.
»Ergreift ihn!«, brüllte Lord Aurun und zeigte mit der Sense auf den Hexer. »Er ist ein
Verräter!«
Aurun und die Grabwacht stürzten mit erhobenen Waffen vor, doch Fürst Volant schüttelte
verzweifelnd den Kopf in ihre Richtung. Als sie ihn beinah erreicht hatten, schlug er mit
seiner Sense zu, durchschnitt glatt die Rüstungen und schleuderte seine Angreifer über das
Podest davon.
Die Ritter taumelten und stürzten, griffen sich an Kehle und Brust. Lautes Klirren ertönte,
als Sensen und Schilde über den Boden schepperten.
Aurun sprang auf und griff erneut an, doch Volant schlug ihn nieder. Über dem Ritter
aufragend ließ er mit dem Schaft seiner Sense einen Hagel von Schlägen auf ihn eintrommeln.
Der Fürst sah sich nach den aufkeuchenden Rittern um, dann nickte er und wandte sich
wieder an Gotrek.
»Dieser Turm ist mit Nagashs Zitadelle verbunden, und ich habe sie jetzt ebenfalls mit dem
Leichentuchstein verknüpft. Ich habe alle Seelen, die ich brauche, um das Ritual zu
vollenden – ich kann jetzt das tun, was ich versprochen habe und dich zusammen mit ihnen
dorthin schicken. Du kannst dich endlich deiner Vergangenheit stellen.«
»Was?« Gotrek schüttelte den Kopf. »Warum? Warum solltest du deine Ahnen zu Nagash
schicken? Nach allem, was ihr über eure Vorfahren gesagt habt.«
Die Miene des Fürsten verdüsterte sich. »Morbium ist dahin!« Er winkte wegwerfend in
Lord Auruns Richtung. »Niemand sonst hat den Verstand, das zu erkennen, doch ich habe die
Wahrheit schon vor Wochen begriffen. Vor Monaten. Und ich habe seitdem damit gelebt,
habe gewusst, dass alles, für was wir all diese Jahrhunderte gearbeitet haben, zu nichts geführt
hat. Habe gewusst, dass jeder der Vorsteher in der Abendflut versinken wird. Es hat mich
beschämt, Gotrek Gurnisson!« Seine Stimme brach. »Ich würde der Dämmerfürst sein, der
darin versagte, seine Blutlinie zu bewahren. Der Herrscher Morbiums, der die Erinnerungen
verloren gehen lassen würde! Der Große Nekromant würde sich alles nehmen! Jede Spur
unserer Vergangenheit.
Zuerst dachte ich, dass es womöglich einen Weg gäbe, außerhalb von Morbium eine
Opfergabe zu finden. Ich habe Beichtbrüder beauftragt, die Fürstentümer zu durchforsten, um
nach einem Geschenk zu suchen, das eines Gottes würdig wäre – nach einem Weg, uns unsere
Sicherheit zu erkaufen. Doch es war hoffnungslos. Was für eine einzelne Person würde
Nagash schon zufriedenstellen? Ich brauchte mehr. Nur die Unbegrabenen würden den
Großen Nekromanten besänftigen. Diese Seelen haben sich ihm schon so lange entzogen.«
»Kurin?«, lachte Maleneth. »Er hat für dich gearbeitet?« Sie sah Gotrek triumphierend an.
»Ich habe dir gesagt, dass dieser Sprücheweber in Klemp ein Schwindler war. Er suchte nach
Opfern für Nagash. Ich wette, er war begeistert, als er hörte, dass du zu ihm gehen wolltest!«
Gotrek funkelte sie an, doch Volant hörte Maleneths Worte nicht, da er zu sehr darauf
bedacht war, sein Handeln gegenüber dem Slayer zu rechtfertigen.
»Wenn das Ritual erst vollendet ist«, fuhr er fort, »wird Nagash die Unbegrabenen in Besitz
nehmen. Der Leichentuchstein wird sie alle zu ihm schicken. Die Verharrende Feste wird wie
alle anderen Vorsteher unter den Wellen versinken und jede Seele wird zum Nekromanten
gehen. Dann werde ich –«
»Nagashs Diener«, sagte Gotrek und seine Lippen krausten sich vor Abscheu.
»Ich diene niemandem!«, blaffte Volant, dessen ruhige Fassade schließlich doch bröckelte.
Überall auf dem Podest rappelte die Grabwacht sich auf, hielt sich die Wunden, doch der Fürst
ignorierte sie.
»Für’s Erste«, sagte er mit angespannter Stimme, »hat Nagash die Oberhand. Doch wenn
erst ein paar Jahrhunderte vergehen, wird Sigmar die Herrschaft innehaben, oder vielleicht
irgendein anderer Gott, der sich womöglich bis dahin aus der Ätherleere erhebt. Wer weiß?
Wichtig ist nur, dass, während die Götter sich erheben und fallen, die Blutlinie der
Dämmerfürsten erhalten bleibt. Mit den Seelen der Unbegrabenen habe ich mir eine sichere
Reise erkauft. Ich habe eine Chance erkauft, dass zumindest einer der Erebid dem Nadir
entkommt. Ich werde überleben und erneut beginnen.«
Lhosia zischte einen Fluch und schritt zum Angriff, doch ihre Akolythen hielten sie zurück,
als Volant seine Sense hob, und bewahrten sie so davor, niedergestreckt zu werden.
Gotrek beobachtete nachdenklich die kämpfenden Gestalten auf dem Podest und erwog die
Worte des Fürsten. »Wenn du diese Seelen zu Nagash schickst, um dir selbst Frieden zu
erkaufen, warum solltest du dann mich schicken? Ich suche keinen Frieden. Ich bin kein
williges Opfer. Ich kam um der Rache willen.«
Volant zuckte die Achseln. »Und ich glaube, du könntest sie finden.« Er blickte auf Gotrek
hinab. »Deine Seele wurde verändert. Du bist mehr als sterblich, aber besser als ein Gott.« Er
schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, was du bist, aber vielleicht wirst du ja
tatsächlich Nagash vernichten. Vielleicht wurdest du deshalb in diese Reiche gesandt – um all
diese Spaltungen und Machtspiele zu beenden. Ich schicke diese Seelen, um mir Freiheit von
der Tyrannei zu erkaufen, doch wenn du Nagash vernichtest, wird es keine Tyrannei mehr
geben.«
»Und wenn ich dabei versage, ihn zu vernichten?«
»Dann habe ich dem Erznekromanten ein sogar noch größeres Geschenk beschert, als ich
versprach. Deine Seele wäre das Juwel in seiner Krone. Wichtig dabei ist nur, dass ich dann
weit weg sein werde und meine Blutlinie aus der Reichweite arroganter, selbstversunkener
Götter fortbringe.«
Trachos löste seine Hämmer vom Gürtel und spannte sich an, bereit zum Angriff, hielt dann
jedoch inne und sah Gotrek an, als warte er darauf, wie der Slayer reagieren würde.
Ist Gotrek jetzt unser Anführer?, fragte sich Maleneth. Ist es jetzt dahin mit uns gekommen?
Der Gedanke entsetzte sie. Folgen wir ihm in allem, was immer er beschließt zu tun? Es fiel
ihr schwer, den Grund dafür zu verstehen, aber sowohl sie als auch Trachos schienen in
Gotreks Bann zu stehen.
Dann streck ihn doch nieder! Stich ihm ein Messer in seinen fetten Hals. Versuch ein
anderes Gift.
Maleneth schüttelte den Kopf. Es lag ein derart mächtiges und bedeutungsschwangeres
Gefühl in der Luft, dass sie den Gedanken nicht ertragen konnte, diese Szene zu beenden,
bevor sie sich zu Ende entwickelt hatte. Sie musste wissen, was mit dem Slayer geschehen
würde. Und mit den Erebid.
»Seit ich in diesem elenden Loch gelandet bin, haben mir Leute versprochen, mich zu
Nagash zu bringen«, knurrte Gotrek. »Bisher hat es zu gar nichts geführt.«
Volant winkte Gotrek zu der Mottenwolke herüber und zeigte auf den Edelstein in ihrem
Zentrum. »Lege deine Hand auf den Leichentuchstein. Ich bin dabei, das Ritual zu
vollenden – der Stein wird dich nach Nagashizzar schicken. Heute noch wirst du Nagash
sehen. Hol dir deine Rache, Gotrek, oder Antworten, oder wonach auch immer du suchst.«
Gotrek trat näher heran und streckte die Hand aus, den Stein zu berühren.
»Gotrek!«, rief Trachos und brach so endlich sein Schweigen. »Dieser Mann ist ein –«
Volant flüsterte etwas und amethystfarbenes Licht sprang aus dem Stein und flammte um
seine Sense. »Dieser Stein ist Teil von mir!«, schrie er. »Ich bin an ihn gebunden und er an
mich.« Er schwang seine Klinge und schleuderte violette Flammen. »Zusammen sind wir
unbezwingbar!«
Trachos taumelte, hielt sich, in Licht gebadet, seine Halsberge. Er fiel mit einem klirrenden
Dröhnen auf die Knie und Funken stürzten seine Brust hinab. Während er kämpfte, wurde das
violette Licht heller und fraß sich in seine Rüstung, was ihn sich wie in Krämpfen winden und
um sich treten ließ.
Maleneth schüttelte den Kopf. Lange schon hätte sie freudig den Stormcast Eternal sterben
sehen, doch nicht von der Hand dieses aufgeblasenen Fürsten. Es gab nichts, was sie mehr
hasste, als jemand, der besser log als sie.
»Gotrek«, sagte sie, doch bevor sie weitere Worte herausbringen konnte, schlug Volant
erneut zu und schleuderte weiteres Licht. Schmerz stach in ihre Kehle und sie fiel neben
Trachos zu Boden, unfähig zu atmen.
Gotrek wandte ihr wieder mit ausdrucksloser Miene seinen Blick zu. Während sie sich
verzweifelt nach der Kehle griff und fühlte, wie die Kraft aus ihren Gliedern wich, musterte
der Slayer Fürst Volant. Scheinbar eine Ewigkeit lang sah Gotrek von Volant zum Stein und
den Menschen, die auf dem Podest starben.
»Ich bin jetzt seit Monaten in diesen Reichen«, sagte er schließlich. »Und ich habe die
Hoffnung aufgegeben, jemanden zu finden, der denkt wie ich.«
Maleneth fühlte eine Welle der Hoffnungslosigkeit in sich aufsteigen, als Gotrek seine Hand
auf Volants Schulter legte. »Und nun, in diesem lichtlosen Loch sehe ich, dass ich unrecht
hatte, zu verzweifeln. Nicht jeder in diesen Reichen ist so dumm, wie ich gedacht habe.«
Maleneth wurde dunkel vor Augen, während ihr nach Sauerstoff gierendes Hirn seine
Verbindung zur Realität verlor. Vor ihr stiegen Bilder der Vergangenheit auf, Bilder der
Khainitischen Mordtempel, wo sie gelernt hatte Gebete in Gewalt zu fassen, den Hallen der
Azyritischen Gelehrten, wo sie zum ersten Mal die Macht von Sigmars Sturmscharen
begriffen hatte. Die Szenen vermischten sich und verschmolzen, während ihr das Bewusstsein
entglitt.
Gotrek lächelte Fürst Volant an.
Dann schmetterte er seine Axt durch den Leichentuchstein, dass rote Splitter durch die Luft
flogen.
Volant brüllte auf, torkelte über die Plattform und hielt sich das Gesicht.
Motten umwirbelten Gotreks Axt und blitzten vor dem Fyrestahl auf.
Die Wände strahlten hell, als die Kokons wieder zum Leben erwachten.
Maleneth gelang ein keuchender Atemzug, als die Flammen von ihr abfielen.
Während noch immer Bruchstücke des Leichentuchsteins über den Boden klirrten, spazierte
Gotrek auf den brüllenden Fürsten zu.
»Ich dachte, diese Reiche wären blind gegenüber den wirklich wichtigen Dingen«, sagte er,
»doch das Volk Morbiums hat mir bewiesen, dass ich unrecht hatte. Sie ehren Tradition. Sie
respektieren ihre Ahnen. Sie zeichnen jede Einzelheit ihrer Vergangenheit auf. Sie glauben an
etwas. Sie glauben stark genug daran, dass sie dafür kämpfen und sterben.«
Lhosia, Trachos und die anderen rangen noch immer um Luft und versuchten, sich
aufzusetzen, als Gotrek Volant erreichte und mit der Axt auf ihn deutete. »Und sie verdienen
etwas Besseres, als von ihrem eigenen Herrn verraten zu werden.« Er sah zu Maleneth
herüber. »Ich hatte unrecht. Was auch immer ich verloren habe, es gibt noch immer Dinge, die
es wert sind, dafür zu kämpfen. Selbst hier.«
Volant war auf die Knie gefallen und Risse hatten sich über sein Gesicht ausgebreitet. Er
wirkte, als würde ihm übel werden. »All meine Macht habe ich in diesen Stein gelegt.« Seine
Stimme war ein ersticktes Zischen. Er funkelte Gotrek an. »Du wirst den Tag noch bereuen,
an dem du –«
Seine Worte wurden abgeschnitten, mitsamt seines Kopfes, als Lhosias Sense durch seinen
Hals raste.
KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG

EINE SACHE VON WERT

Gotrek stand düster brütend über Volants geborstenen Überresten, während sein unversehrtes
Auge vor Leidenschaft brannte. Der Fürst sah aus wie eine zerbrochene Vase, Hunderte
bleicher Splitter, von denen jeder einen wild durcheinandergewürfelten Blick auf einen Teil
seines Gesichts zeigte.
Überall auf dem Podest kamen Leute auf die Füße, keuchten und husteten und rangen nach
Atem.
Maleneth reichte Trachos ihre Hand und Lhosias Akolythen eilten herbei, um die Priesterin
zu stützen, während diese von der Leiche des Fürsten wegtaumelte und auf ihre blutige Sense
starrte.
Lord Aurun und die Grabwacht packten ihre Waffen und klopften sich die Rüstungen ab.
»Du hättest mit ihm zu Nagash gehen können.« Maleneth war einmal mehr über das
Verhalten des Slayers verblüfft. »Du hättest deine Bestimmung erfüllen können. Du hättest
dein Schicksal finden können.«
Gotrek nickte und starrte mit grimmiger Miene Volants zersplitterte Leiche an. »Aye.«
Trachos kam über die Plattform herbei und stellte sich neben den Slayer. Man hörte seinen
pfeifenden Atem innerhalb des Helms und er hielt sich den Riss in seiner Halsberge, doch
schaffte er es aufrecht zu stehen und zeigte keine Anzeichen des Zitterns, das ihn zuvor
geplagt hatte.
»Ich dachte, du und der Fürst wäret eines Geistes gewesen«, schnaubte Maleneth spöttisch.
»Ich dachte, du hättest dich in ihm wiedererkennen können.«
Im harten Licht der Unbegrabenen sah Gotreks Gesicht gegerbter und mitgenommener als je
zuvor aus. »Das habe ich. Ich habe mich in ihm gesehen. Und mir gefiel nicht, was ich da
sah.«
»Was meinst du damit?«, fragte Trachos.
Gotrek zuckte die Achseln. »Er scherte sich um nichts als seine eigene Zukunft. Er belog
sich selbst, dass er für seine Rasse kämpfte, aber er war einfach nur ein Feigling. Ich wäre mir
vielleicht nicht so sicher gewesen.« Er wandte sich zu Lord Aurun und Lhosia um. »Hätte ich
nicht eure Tapferkeit gesehen.« Er legte seine Hand auf die Rune in seiner vernarbten Brust.
»Die Götter haben noch nicht alles befleckt und verdorben. Noch nicht. Vielleicht bin ich
doch hierhergeschickt worden, um …« Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht bin ich
hierhergekommen, um mehr zu tun, als nur zu sterben?«
Sie alle verstummten, während Gotrek mit seinen Gedanken rang. Selbst Maleneth fühlte
ein Widerstreben, ihn darin zu unterbrechen.
»Was ist mit deinem alten Freund?«, fragte sie nach einer Weile. »Felix, stimmt’s? Er
wollte, dass du hierherkommst, nicht wahr? Und Nagash entgegentrittst.«
Gotrek verzog finster das Gesicht. »Vielleicht hat der Zauberer in Klemp mich betrogen? Er
sah mir ganz nach einem Scharlatan aus. Oder vielleicht wollte Felix, dass ich hierherkomme
und Fürst Volant aufhalte.« Er senkte seine Stimme. »Außerdem ist der Menschling tot. Schon
lange tot. Was mich zu einem leichtgläubigen Trottel macht.«
Lhosia meldete sich zu Wort und sah Gotrek mit neuem Respekt an. »Du hast die
Unbegrabenen gerettet. Du hast uns alle gerettet. Doch was machen wir jetzt?« Sie wandte
sich wie eine Untergebene an ihn, die Anweisungen erwartet. »Die Stadt ist noch immer
erobert. Wenn alles, was Volant uns gesagt hat, eine Lüge ist, dann gibt es kein Ritual, das sie
retten wird. Es gibt keinen neuen Eisernen Schleier.« Sie sah auf die Splitter des
Leichentuchsteins. »Die Reißer sind überall und wir haben keine Möglichkeit, ihnen zu
entkommen.«
»Dann stellen wir uns hier zum Kampf«, sagte Lord Aurun in streitbarem Ton. »Wir werden
nicht eine einzige Seele im Stich lassen. Wir werden diesen Turm bis zu unserem letzten
Atemzug halten. Solange wir leben, wird die Verharrende Feste nicht untergehen.«
Die Grabwacht schlug ihre Sensen gegen die Brustpanzer, doch Lhosia wirkte unsicher.
»Denk nach«, sagte Aurun. »Die meisten unserer Männer sollten die Kanalisation erreicht
haben, bevor der Regen losbrach. Ich kann sie zusammentrommeln. Egal, wie viele Reißer
auch da draußen sind, sie werden hart zu kämpfen haben, diese Stufen hochzukommen,
während tausend Bogenschützen auf sie herabschießen und ein Schildwall sie oben erwartet.«
Einer der Ritter salutierte. »Ich werde die Hörner erschallen lassen, mein Lord.«
»Warte«, sagte Gotrek und brachte damit den Ritter zum Anhalten, bevor er die Treppe
erreichte. Er sah zu Aurun hin. »Die Hallen meiner Ahnen waren mit den Leichen der Krieger
gefüllt, die bei der Verteidigung ihrer Heimstätten gestorben sind. Es ist eine ehrenhafte Art
zu sterben.«
Aurun neigte seinen Kopf zu einer leichten Verbeugung. »Ihr habt uns eine weitere Chance
gegeben, Slayer. Egal, wie unsere Aussichten auch stehen, wir werden weiterkämpfen.«
Gotrek nickte. »Ihr seid tapfer und ehrenhaft, doch …« Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf.
»Vielleicht könnt ihr, genau wie ich, mehr tun, als nur in Ehre zu sterben? Ich habe nie
erwartet, in diesen Reichen etwas von Wert zu finden. Leute von Wert. Und jetzt, da ich eine
Sache von Wert gefunden habe, frage ich mich, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, sie zu
bewahren.«
Aurun schüttelte den Kopf. »Wir werden unsere Vorfahren nicht aufgeben.«
»Das solltet ihr auch nicht. Aber vielleicht könntet ihr etwas anderes aufgeben.«
Gotrek starrte mit eingefrorenem Gesichtsausdruck vor sich hin. »Ich komme aus einer
stolzen Rasse. So stolz wie deine eigene. Und in unserem Stolz weigerten wir uns, uns zu
ändern.« Er blickte auf die Rune auf seiner Brust. »Und wir starben. All dieser Stolz, all diese
Weisheit, geopfert für Steine und Mörtel.« Ein Winken seiner Hand deutete das Gebäude rings
um sie an. »Für Türme wie den hier. Die Vergangenheit zu ehren ist gut und richtig, Lord
Aurun, doch von ihr versklavt zu werden, ist eine ganz andere Sache.«
»Auf was willst du hinaus?«, fragte Lhosia.
Gotrek deutete mit seiner Axt auf die Reihen von Kokons, welche die Turmwände säumten.
»Eure Pflicht gilt den Unbegrabenen, nicht dieser Stadt. Und die Unbegrabenen können
fortgeschafft werden. Ihr könntet hier sterben, kämpfend bis zum Ende – und bei Grungni, ich
würde euer Andenken ehren, dass ihr das getan hättet – oder ihr könntet sie nehmen und einen
neuen Ort zum Leben finden, eine neue Art zu leben finden.«
»Wie?«, wollte Aurun wissen. »Wohin könnten wir gehen?«
Gotrek zuckte die Achseln und winkte zu den Ruinen draußen, rauchend und wimmelnd von
Ghulen. »Was könnte schlimmer sein als das? Und jetzt hat Nagash eure Grenzen zu den
anderen Fürstentümern aufgerissen und es werden noch viel mehr Ghule hierhin kommen.
Und gleich auch jede andere Armee, die zufällig vorbeimarschiert.«
Maleneth schüttelte den Kopf. »Selbst wenn wir uns den Weg zu den Toren erkämpfen
könnten, dann würden die Wyndgänge noch immer von Reißern wimmeln. Wie könnten wir
irgendwohin gehen?«
Gotrek sah Trachos an und hob eine Augenbraue.
»Ja.« Trachos Stimme klang rau doch zuversichtlich. »Ich kann das.«
»Kann was?«, wollte Maleneth wissen, irritiert, dass sie miteinander Geheimnisse zu haben
schienen.
Gotrek wandte sich wieder Aurun zu. »Als wir in die Stadt kamen, da sprachen wir mit
jemandem in einem Ordenshaus – einem Hauptmann. Er sprach von seltsamen Vorgängen an
den Häfen.«
»Hauptmann Ridens, ja. Er sagte, irgendetwas hätte die alten Kharadronmaschinen
ausgelöst. Die Ätherschiffe. Er sagte, sie wären angesprungen.« Aurun sah Trachos an. »Ihr
sagtet, Ihr könntet vielleicht dafür verantwortlich gewesen sein.«
Trachos nickte. »Bei den Ödstätten habe ich die Energieadern entzündet, die unter der
ganzen Abendflut verlaufen. Sie reichen zurück in die Zeit, als das Fürstentum zuerst
kolonisiert wurde.«
»Also funktionieren die Ätherschiffe wieder?«, fragte Lhosia. »Könntest du sie steuern?«
»Sie könnten unter Umständen funktionieren. Einige zumindest.«
Lhosia ergriff Gotreks Arm. »Dann könnten wir die Abendflut überqueren. Jetzt, da der
Eiserne Schleier fort ist, wären wir frei, die Unterwelten zu durchqueren. Mit eurer Hilfe
könnten wir eine neue Heimat finden, eine andere Ecke von Shyish, weit fort von den
Reißern.«
Gotrek ließ ein grimmiges Lachen hören. »Ich habe dieses Reich gesehen. Du würdest es
nicht mögen. Doch es gibt andere Orte.« Er nickte zu Maleneth und Trachos. »Orte, wo Leute
wie diese an der Herrschaft sind, und nicht Nagash.«
Lhosia schüttelte den Kopf. »Aber könnten wir die Häfen erreichen?« Sie sah zu einem
Fenster hinaus. Von so hoch oben gesehen schien die Stadt wie ein Ameisennest, das vor
Leben wimmelte, da die Reißer aus allen Richtungen herfluteten.
»Habt ihr bemerkt, dass keiner von ihnen uns angreift?«, sagte Maleneth. »Seit ich ihren
König getötet habe, meine ich.«
Trachos nickte. »Sie sind führerlos. Sie sind nicht länger eine Armee.«
»Sie versuchen noch immer, uns die Gesichter abzubeißen«, grunzte Gotrek, »aber sie sind
ziemlich damit beschäftigt, sich gegenseitig zu töten. Wir sollten es schaffen, uns einen Weg
durch sie hindurch zu schlagen, wenn wir erst eure Männer gesammelt haben.«
»Lhosia, gibt es irgendeinen Grund, aus dem die Unbegrabenen nicht bewegt werden
könnten?«, fragte Lord Aurun.
Sie schien verwirrt durch die Richtung, welche die Unterhaltung genommen hatte, doch sie
schüttelte den Kopf und winkte zu ihren Akolythen hinüber. »Wir könnten die notwendigen
Rituale ausführen. Es würde ein paar Stunden dauern, aber es ist möglich.«
»Dann könnten wir sie vielleicht retten«, murmelte Aurun.
Gotrek streckte sich, ließ seine massiven Schultern rollen und bog seinen Rücken, was dazu
führte, dass das Gesicht auf seiner Brust im Fackellicht glitzerte. »Ich habe euch mein Wort
gegeben, dass ich sie retten würde.« Er ließ den Schaft seiner Axt klirrend auf den Boden
dröhnen und ließ eines seiner furchterregenden Grinsen auf sie los. »Und ich halte meine
verdammten Eide.«

Für jemanden, der kein Interesse an Religion bekundete, war Maleneth beständig von Gotreks
unerschütterlichem Glauben überrascht. Er glaubte fest an seine eigene Unzerstörbarkeit. Er
trug sein Selbstvertrauen wie eine fingerdicke Rüstung.
Er marschierte wieder in die Stadt zurück, als machte er einen Abendspaziergang mit nichts
Drängenderem auf seinem Gemüt als der Suche nach einer Schenke. Hunderte von Ghulen
drängten auf den Boulevard, Tausende mehr bevölkerten die umgebenden Straßen, und allen
gegenüber zeigte er sich blind und überließ es der Grabwacht, sie niederzustrecken, während
er ruhig mit Lord Aurun plauderte, ihn nach dem Weg zu den Häfen fragte und die
Möglichkeiten eines Bestimmungsortes erörterte. Während sie so gingen und redeten,
bemerkte Maleneth, wie Aurun immer lebhafter wurde – trotz allem, was geschehen war, trotz
der Zerstörung rings um ihn, schien er aufgeregt. Gotrek besaß keine Spur von Diplomatie,
kein Taktgefühl, kein Bedürfnis taktisch überlegt zu handeln, doch er hatte den adligen Erebid
in einen eifrig Bekehrten verwandelt und ihm Hoffnung im Angesicht des Verderbens
geschenkt.
Hinter ihnen schleppten die Erebidpriester ihre Vorfahren in die Straßen hinaus und gaben
Jahrhunderte der Religion auf das Wort eines einäugigen Duardin mit einem biertriefenden
Bart und ein Gesicht hin preis, das aussah, als hatte man es aus einem Wrack gezogen.
»Wie macht er das nur?«, murmelte Maleneth.
Trachos ging ein paar Schritte hinter ihr und machte seine Hämmer bereit, da die Ghule sich
sammelten, die Luft beschnupperten und vor sich hin sabberten. »Er steuert auf irgendetwas
zu«, sagte er. »Es steht ihm ins Gesicht geschrieben.«
»Auf sein Grab«, sagte sie, aber sie schaffte es nicht, ihren Zynismus echt klingen zu lassen.
Sie wusste, was Trachos meinte. Jeder andere humpelte durchs Leben, aber Gotrek stürmte
hindurch wie zu einem Angriff.
Sie zog ihre Messer, grinste und tauchte in den Kampf ein.
KAPITEL DREIUNDDREISSIG

GEISTERSCHIFFE

Gotrek taumelte zu den Kais hinunter, während er sich den Schweiß aus dem Gesicht wischte
und dabei lachte. Er blickte zu Trachos zurück, der ein paar Schritt hinter ihm war und seine
Hämmer vom Blut reinigte. »Bei meinem Eid, Menschling, was für ein Anblick. Das ist
wahrhaft das Prächtigste, was ich bisher gesehen habe, seit ich in diese elenden Höllen
gestürzt bin.«
Trachos sah von seinen Hämmern auf und nickte zustimmend.
Vor ihnen aufgereiht, in der Dunkelheit schimmernd, lagen sechs riesige Gebilde –
kolossale Duardingesichter aus Metall mit einem Überzug aus verblassender, abblätternder
Farbe. Die Galionsfiguren ragten hoch über Gotrek auf, gewaltiger noch als die auf der
Meeresgischt und ebenso grimmig – wilde, schlachthungrige Titanen, die stumm brüllten,
beleuchtet von den Feuern der brennenden Stadt. Sie waren von einer anderen Machart als die
Meeresgischt. Sie glichen mehr herkömmlichen Schiffen, waren jedoch aus Eisen und
Messing geschmiedet und von enormen Metallsphären gekrönt. Runen waren überall auf den
Rumpf gemalt und jedes Schandeck starrte vor Waffenapparaturen.
Gotrek legte seine Hand auf den ersten Bug, den sie erreichten, klopfte zärtlich unter einem
tiefen, nachhallenden Klang auf das alte vernietete Metall. »Ich habe nicht viel für die
Kharadron übrig, aber das ist fürwahr eindrucksvoll. Anständige, stabile Ingenieurskunst.
Erinnert mich beinah an ehrliche, gut ausgeführte Zwergenarbeit. Es wird mir guttun, auf
diese Art zu reisen.«
Lhosia folgte ihm zu dem Schiff und die nächsten zehn Minuten strömten Hunderte weiterer
Leute auf die Kais – Zivilisten und Priester, die von Reihen der Grabwacht flankiert wurden
und vor dem Blutbad hinter ihnen flohen. Die Verharrende Feste stand in Flammen. Während
Gebäude einstürzten, die von verwirrten, marodierenden Ghulen zerstört wurden, brachen
überall Feuer aus, rasten durch die leichenübersäten Straßen und verschlangen die Tempel und
Wohnhäuser der Stadt. Der Turm, in dem Fürst Volant gestorben war, war nicht lange,
nachdem die Grabwacht die Unbegrabenen fortgeschafft hatte, eingestürzt. Die ganze
Konstruktion war schon von den Terrorgheistern geschwächt worden und jetzt erhob sich dort,
wo er gestanden hatte, nur eine Säule aus wirbelndem Staub und glühender Asche.
Lord Aurun schien von neuem Leben erfüllt, seit Gotrek vorgeschlagen hatte, die Stadt zu
verlassen. Er hatte, ohne groß noch darüber nachzudenken, das Kommando über Fürst Volants
Armeen übernommen und ihnen befohlen, einen Verteidigungskreis um die Häfen zu
errichten, bis die überlebenden Zivilisten der Stadt es zu den Kais hinunter geschafft hatten.
Der Knochenregen hatte viele der Flüchtlinge dahingeschlachtet und die Ghule hatten noch
mehr von ihnen getötet, doch es waren immer noch Tausende von Leuten übrig, die um die
uralten Schiffe schwärmten, die Luft mit panischem Lärm erfüllten und mit Habseligkeiten
beladen waren, im Falle der Priester mit den Kokons, welche die Unbegrabenen enthielten.
»Kein großer Kampf, was?«, meinte Gotrek, als Lord Aurun sich seinen Weg durch die
Menge bahnte.
Aurun nickte. »Sie scheinen mehr daran interessiert einander zu vernichten, als uns
anzugreifen.«
»Sie sind erst der Anfang«, sagte Trachos in düsterem Ton. »Ich habe dies schon in anderen
Unterwelten ablaufen sehen. Zuerst kommen die Geschöpfe, die ihr Reißer nennt, und dann,
wenn das Königreich erst einmal in Trümmern liegt, erscheinen die Geisterheere, geführt von
Nagashs Generälen.«
Aurun blickte zurück auf die Flammen. »Ich verstehe. Das Fürstentum ist verloren. Ich
wusste das in dem Augenblick, als ich Fürst Volants Lügen hörte. Es ist Zeit wieder ganz von
vorne zu beginnen.«
Lhosia starrte hoch zu dem riesigen, zornigen Gesicht, das über ihnen aufragte. »Aber
können wir wirklich von hier fort? Was wirst du tun? Wie können wir sie wieder segeln
lassen?«
Trachos ging hinüber zu der Leiter, welche die Seite des Rumpfes hochführte. »Wenn diese
Schiffe Äthergold an Bord haben, so wie bei der Meeresgischt, dann sollten wir nur ein
einziges Problem haben.«
Er fing an hochzuklettern und seine Sigmaritstiefel hämmerten auf die Metallsprossen der
Leiter.
Gotrek nickte und wirkte mit sich selbst zufrieden. Dann runzelte er die Stirn und blickte zu
Trachos hoch. »Welches Problem?«
Vielleicht bildete Maleneth es sich nur ein, aber sie glaubte, in Trachos Antwort einen leisen
Anklang von Humor zu entdecken.
»Die Leitungen. Sie sind wahrscheinlich genauso zersetzt wie die auf der Meeresgischt. Wir
brauchen einen Weg, den Treibstoff zu kanalisieren.« Er zögerte. »Ein machtvolles Stück
Urgold würde da helfen.«
Gotrek sah mit einem wütenden Gesichtsausdruck auf seine Brustrune und schickte sich an,
Trachos eine wüste Beschimpfung entgegenzuschleudern.
Maleneth fing an zu lachen.
Ihr himmlischen Hoheiten,
Vergebt mir die Unterbrechung in unserer Kommunikation, doch nachdem wir
Klemp verlassen hatten, nahm die Suche des Slayers eine seltsame Wendung, die
mich aus dem Einflussbereich selbst der treuesten azyritischen Agenten hinausführte.
Ich will Euch die Einzelheiten ersparen, zumindest bis ich nach Azyr zurückkehre,
doch mag es ausreichen, zu sagen, dass ich mich noch immer in Gotreks Gesellschaft
befinde, sowie auch in der des Stormcast Eternals, Lord-Ordinator Trachos. Wir
haben unseren reizenden Aufenthalt in den Amethystfarbenen Fürstentümern beendet
und befinden uns jetzt auf dem Weg zu einer Sturmfeste, die uns Trachos empfohlen
hat. Es handelt sich um eine große Festung namens Hammerskáld, in der ich hoffe,
einen Boten zu finden, der Euch dieses Schreiben überbringen kann. Mir fällt es
schwer, zu erklären, wie genau es dazu kam, doch wir werden Hammerskáld mit
einer Flotte alter Kharadron-Ätherschiffe erreichen, mit einer heimatlos gewordenen
Nation im Schlepptau. Die gesamte Bevölkerung einer vergessenen Unterwelt hat
Gotrek als ihren heiligen Erretter angenommen. Seitdem sie ihre Heimat verlassen
haben, haben viele ihrer Priester sich in Nachahmung seines fetttriefenden
Haarkamms Streifen auf den Kopf gemalt, und Soldaten haben ihre Waffen zu einer
neuen Form gehämmert, im Versuch, sie der Axt des Slayers ähnlich werden zu
lassen. Es ist wahrhaft das Absurdeste, was ich je gesehen habe – blasse, heimatlose
Dahingetriebene, die zu Hunderten versuchen, den schweren Gang eines trunkenen
Duardin nachzuahmen.
Bei den Göttern aller Reiche, ich schwöre, ich habe keine Ahnung, wie so etwas
möglich ist. Aber neben der Absurdität all dessen, so spüre ich doch eine
Bedeutsamkeit, die alldem innewohnt, die ich nur schwer in Worte fassen kann. Ich
kann mir vorstellen, Ihr haltet mich nun für ebenso verblendet wie diese Flüchtlinge,
doch wenn Ihr ihn sehen könntet, wie er eine komplette Diaspora durch diese
verheerten Höllen schleift, würdet Ihr es vielleicht verstehen. Er hat einen
unerklärlichen Magnetismus. Er zieht ebenso leicht Leute an, wie er Fliegen anlockt.
Sie werden zu ihm hingezogen, in seine Bahn hineingesaugt, und sind davon
überzeugt, dass er ihnen helfen kann, obwohl ihm das offensichtlich nicht einmal bei
sich selbst gelingt.
Man beachte, dass er darin kein Vergnügen findet. Wo andere in solcher Anbetung
schwelgen würden, erachtet Gotrek sie als ein Ungemach und schleudert seinen
Anhängern Schmähungen entgegen, verlangt, dass sie ihn in Frieden lassen und
aufhören, ihm so viele Fragen zu stellen. Wäre da nicht der Alkohol, den sie ihm
unablässig anbieten, dann wäre er, so denke ich, schon vor Tagen über Bord
gesprungen. Er hat inzwischen offenkundig seinen neu entdeckten Altruismus bereits
bereut. Ich denke mir, dass wir Hammerskáld ohne die Heerscharen seiner
glühenden Verehrer im Schlepptau verlassen werden.
Doch ich schweife ab. Die Meisterrune ist noch immer sicher, doch glaube ich,
dem Ziel, den Slayer dazu zu überreden, mit mir nach Azyr zurückzukehren, kein
Stück näher gekommen zu sein. Ich hatte gehofft, er könnte dies tun, sobald wir
Hammerskáld erreichen, doch betrübt es mich, berichten zu müssen, dass er sich jetzt
in den Klauen einer neuen Obsession befindet. Trotz der furchtbaren Prüfungen, die
wir in den Fürstentümern erleiden mussten, scheint er seine Mission, Nagash
gegenüberzutreten, gänzlich aufgegeben zu haben. Jetzt versichert er mir, dass er die
Reiche der Sterblichen ›in Ordnung bringen‹ kann, wenn er nur eine Axt, die ihm
einst gehörte, in die Hände bekommt. Anscheinend ist ihm die enorme Großaxt der
Fyreslayer, die er derzeit führt, nicht eindrucksvoll genug. Er sagt, sie schränke
seine Fähigkeit ein, den Reichen ›ein verdammtes Fünkchen Grips einzubläuen‹. Und
so hat er es sich zum Ziel gesetzt, eine Waffe wiederzuerlangen, die wahrscheinlich
außerhalb der zerrütteten Windungen seines biergetränkten Geistes niemals existiert
hat.
Mir ist schmerzhaft bewusst, Eure Hoheiten, dass meine Rückkehr nach Azyr
furchtbar überfällig ist. Ich kann mir vorstellen, dass ihr daran verzweifelt, dass ich
Euch jemals die Rune bringen werde. Vielleicht habt Ihr auch schon andere Agenten
des Ordens ausgesandt, um mich zu ersetzen und diesen Auftrag zu Ende zu bringen.
Doch will ich Euch diese Warnung zukommen lassen – der Slayer wird sich weder
narren, kaufen noch nötigen lassen. Trotz all seines Hasses auf die Götter ist er das
nächste an einen solchen heranreichende Wesen, dem ich je begegnet bin. Mir bleibt
es noch immer zu entscheiden, ob er nun ein tragischer Einfaltspinsel oder der
größte Held dieses Zeitalters ist. Doch was immer er auch sein mag, so bin ich näher
als irgendwer sonst daran, ihn zu verstehen. Daher stelle ich Eure beste Chance dar,
die Rune für Sigmars Kreuzzug zu gewinnen. Ich schwöre, für Khaine und den
Gottkönig werde ich einen Weg finden, diesen schwer fassbaren Preis zu erringen.
Und dabei werde ich ebenfalls bestrebt sein, das schier zur Weißglut treibende Rätsel
Gotrek Gurnissons zu lösen.

Eure treueste und verlässlichste Dienerin,


Maleneth Hexenklinge
ÜBER DEN AUTOR

Darius Hinks’ Debütroman ›Warrior Priest‹ gewann den ›David Gemmell


Morningstar‹-Preis für den besten Newcomer. Seitdem schlägt er mit Titeln wie
Sigvald eine blutige Schneise durch die Warhammer-Welt. Für Warhammer 40.000
verfasste er bisher den Roman Die Schwarze Festung sowie die Mephiston-Trilogie
über die Blood Angels.
Ein Auszug aus ›Die Zerschlagung der Orks‹.
Zwei Jungen huschten über die harte Erde der dunklen Siedlung. Sie folgten den gedämpften
Gesängen und vagen Echos von lauten Prahlereien. Leise und verstohlen bewegten sie sich
zwischen den hohen Holzgebäuden, den Trockengestellen für den Fisch und den warmen
Wänden der Schmiede auf das Langhaus im Zentrum zu. Keiner von beiden legte Wert darauf,
entdeckt zu werden, besonders nicht von den Wachen, die seit Einbruch der Nacht auf den
Mauern Aufstellung bezogen hatten.
Obwohl dieser kühne Streifzug ins Herz von Reikdorf eine Tracht Prügel bedeuten konnte,
hätte ihre Aufregung die beiden Jungen beinahe auffliegen lassen.
»Sei still!«, zischte Cuthwin, als Wenyld gegen einen Stapel gehobelter Holzbalken neben
der Tischlerei prallte, den sie zuvor nicht bemerkt hatten.
»Sei doch selber still«, kam es zurück. Wenyld fing die Balken auf, ehe sie zu Boden fallen
konnten und drückte sich zusammen mit Cuthwin flach gegen die nächste Wand. »Es leuchten
weder Sterne noch Mond, wie soll ich da etwas sehen?«
Cuthwin musste ihm zustimmen. Die Nacht war schwarz wie Pech. Nur die abgedeckten
Kohlefeuer warfen einen orangefarbenen Schein auf den Wald jenseits der Wälle von
Reikdorf. Im Licht der Feuer streiften mit gezogenen Bögen und Speeren die Wachposten
umher, stets dem Wald und der finsteren Uferlinie des Reiks zugewandt.
»Hey«, sagte Wenyld, »hast du mir zugehört?«
»Das habe ich«, sagte Cuthwin. »Und ja, es ist dunkel. Benutz deine Ohren. Kein Krieger ist
still, wenn er am nächsten Morgen in die Schlacht reitet.«
Die beiden Jungen standen so still wie die Statue von Ulric über Reikdorfs Tor. Die
Geräusche und Gerüche der Nacht drangen auf sie ein und erzählten ihnen ihre ganz eigenen
Geschichten von dem Dorf, in dem sie lebten. Da war das Knarren des Eisens von Beorthyns
Schmiede, die nach einem arbeitsamen Tag voll eiserner Schwerter und Axtköpfe erkaltete.
Ehefrauen sprachen mit leisen, sorgenerfüllten Stimmen miteinander, während sie neue
Mäntel für ihre Söhne woben, die bei Tagesanbruch losziehen würden. In den Ställen
wieherten die Pferde. Der süße Geruch von brennendem Torf und das mundwässernde Aroma
von gebratenem Fleisch stieg ihnen in die Nase.
Über allem lag das Rauschen des Flusses. Sanfte Wellen schlugen gegen den Schlick am
Ufer und ließen die Fischerboote knarren. In den aufgehängten Fischernetzen fing sich mit
einem leisen Stöhnen der Wind. In Cuthwins Ohren klang es beinahe traurig. In den Ländern
westlich der Berge war die Nacht oft eine Zeit der Trauer, wenn die Monster aus den Wäldern
hervorbrachen, um zu töten und zu verschlingen.
Im Sommer hatten die Grünhäute Cuthwins Eltern getötet. Sie waren abgeschlachtet
worden, als sie ihr Gehöft gegen die blutdürstigen Räuber verteidigt hatten. Die bloße
Erinnerung ließ ihn innehalten und die Fäuste ballen. Er stellte sich vor, wie er eines Tages an
dieser ganzen barbarischen Rasse Rache für seinen Vater nehmen würde. Sie waren auch der
Grund, warum er nach Reikdorf gebracht worden war, um bei seinem Onkel zu leben.
Als hätte die Wut sein Gehör geschärft, bemerkte Cuthwin gedämpftes Gelächter und
Gesänge hinter dicken Holzmauern und schweren, verstärkten Türen hervordringen. An der
Wand eines Getreidespeichers flackerte ein Licht auf, als wäre eine Tür oder ein Fensterladen
geöffnet worden, um die rauen, fröhlichen Laute auf die Straße dringen zu lassen.
Für einen kurzen Moment wurde der Marktplatz von Reikdorf erhellt, doch so schnell das
Licht erstrahlt war, so schnell war es auch wieder erloschen. Die Jungen sahen sich voller
Begeisterung an, als sie sich ausmalten, wie sie König Björns Krieger belauschen würden, ehe
diese in die Schlacht gegen die Grünhäute zogen. In der Nacht vor einem Kampf war der
Zutritt zum Langhaus des Königs nur denjenigen gestattet, die bereits das Mannesalter erreicht
hatten. Eine so geheimnisvolle Versammlung schrie förmlich danach, ausgekundschaftet zu
werden.
»Hast du das gesehen?«, fragte Wenyld und deutete in Richtung des Dorfzentrums.
»Natürlich habe ich das, ich bin doch nicht blind«, gab Cuthwin zurück. Er drückte Wenylds
Arm wieder herunter.
Auch wenn Cuthwin erst vor weniger als einer Woche nach Reikdorf gekommen war,
kannte er die Geheimnisse des Dorfes ebenso gut wie jedes andere Kind. In dieser
vollkommenen Finsternis und ohne Anhaltspunkte, schien ihm das Dorf jedoch mit einem Mal
fremd, einem mysteriösen Labyrinth gleich.
Er versuchte sich einzuprägen, was er im kurzen Lichtschein gesehen hatte, und packte
Wenyld an der Hand.
»Ich werde dem Geräusch der Krieger folgen«, sagte er. »Halt dich nur an mir fest und ich
werde uns zu ihnen führen.«
»Aber es ist so finster«, gab Wenyld zurück.
»Das macht nichts«, raunte Cuthwin. »Ich werde den Weg auch im Dunkeln finden, aber
lass ja nicht meine Hand los.«
»Ganz bestimmt nicht«, versprach Wenyld, aber Cuthwin konnte die Furcht hören, die in
der Stimme seines Freundes mitschwang. Auch ihm war mulmig zumute, denn sein Onkel
hielt sich bei seinen Bestrafungen mit dem Birkenstock nicht zurück. Er schob seine Angst
beiseite. Immerhin war er vom Stamm der Unberogen, den wohl wildesten Kriegern nördlich
des Grauen Gebirges, und sein Herz schlug stark und tapfer in seiner Brust.
Mit einem tiefen Atemzug setzte Cuthwin sich hastig in Bewegung, immer auf die Stelle zu,
an der das Licht die Wände des Speichers erhellt hatte. Er folgte dem Pfad, den er sich
eingeprägt hatte, und auf dem er nicht stolpern oder Lärm verursachen würde. Sein Herz
schlug ihm bis zum Hals, als Cuthwin den Marktplatz überquerte. Er mied die zerbrochenen
Tongefäße und Stolpersteine, die ihn verraten könnten. Trotz der kurzen Zeitspanne, in der der
Platz in Licht getaucht war, hatte er das Bild so klar vor Augen, wie die Wölfe auf dem
Banner von König Björn.
Einem Geist gleich bewegte sich Cuthwin über den offenen Platz, so wie er es in den
dunklen Wäldern von seinem Vater gelernt hatte. Er zählte seine Schritte und zog Wenyld
hinter sich her, dann verlangsamte sich sein Gang. Mit geschlossenen Augen lauschte Cuthwin
auf seine Umgebung. Das dröhnende Gelächter war nun näher, und das Echo der Stimmen
zwischen den Wänden der Häuser vervollständigte die Karte in seinem Kopf.
Er streckte seine Hand aus und seine Finger berührten die Steinmauer des Langhauses. Er
lächelte. Die Bergwerker der Zwerge hatten diese Blöcke aus dem Fels des Weltrandgebirges
geschlagen und kunstvoll behauen. Zu Frühlingsbeginn waren sie als Geschenk an König
Björn nach Reikdorf gebracht worden.
Cuthwin erinnerte sich daran, wie er halb bewundernd, halb verängstigt die Zwerge
beobachtet hatte. Es waren stämmige, furchteinflößende Krieger in glänzender Rüstung
gewesen, die den Menschen um sich herum kaum Beachtung geschenkt hatten, während sie
sich in ihrer rauen Sprache unterhielten. Sie hatten das Langhaus für den König in weniger als
einem Tag vollendet, doch mit einer Ausnahme waren sie nicht länger geblieben als
notwendig. Kaum hatten sie die Arbeit vollendet, hatten sie sich wieder nach Osten
aufgemacht.
»Sind wir da?«, flüsterte Wenyld.
Cuthwin nickte, ehe er begriff, dass Wenyld ihn nicht sehen konnte.
»Ja«, sagte er leise. »Aber sei still, sonst müssen wir eine Woche lang die Aborte säubern.«
Cuthwin atmete tief durch, ehe er sich vorsichtig an der Wand entlang tastete. Schließlich
fand seine Hand die Kante. Sie war so glatt und scharf wie eine Axtklinge. Langsam schob
Cuthwin sich um die Ecke und sah nach oben. Die Wolkendecke war aufgerissen und gab den
Blick auf den schimmernden Sternenhimmel über ihnen frei.
Das Licht der Sterne ließ den Zwergenstein glitzern, als wäre er selbst mit Sternen erfüllt.
Cuthwin hielt einen Moment inne, um die meisterliche Handwerkskunst zu bewundern, die in
die Mauersteine geflossen war.
Ein Stück weiter vorne konnte Cuthwin die Tür des Langhauses sehen. Sie war aus breiten
Holzbalken gezimmert und mit dunklen, breiten Eisenbändern und geschnitzten Hämmern und
Blitzen geschmückt. Über den Jungen war ein Fenster in der Mauer eingelassen, dessen Läden
so fest verschlossen waren, dass nicht einmal ein messerbreiter Spalt zwischen Stein und Holz
zu sehen war.
Durch die Läden drang das gedämpfte Geräusch der Feier im Langhaus an Cuthwins Ohren.
Bierkrüge knallten gegeneinander und das Klingen der Schwerter gegen die Schildbuckel
begleitete die schallenden Kriegslieder.
»Da«, sagte er und deutete auf das verschlossene Fenster. »Vielleicht können wir dort einen
Blick hineinwerfen.«
Wenyld nickte. »Ich zuerst.«
»Warum?«, fragte Cuthwin. »Ich habe uns hierhergebracht.«
»Aber ich bin der Ältere«, gab Wenyld zurück. Cuthwin wusste nicht, was er auf dieses
Argument erwidern sollte, also verschränkte er die Finger zu einem Steigbügel, wie es die
Reiter der Taleuten taten, um Wenyld nach oben zu helfen.
»Na gut, dann geh hoch und sieh zu, dass du den Laden irgendwie aufbekommst, damit wir
etwas sehen können.«, sagte Cuthwin und stützte sich mit dem Rücken gegen die Wand.
Wenyld nickte eifrig. Er setzte den Fuß in die verschränkten Hände und griff nach Cuthwins
Schultern, der ihn mit einem Grunzen nach oben drückte. Cuthwin musste den Kopf zur Seite
drehen, um nicht von Wenylds Knie im Gesicht getroffen zu werden.
Er suchte sich einen breiteren Stand, um Wenylds Gewicht besser zu verteilen, dann blickte
Cuthwin nach oben, um seinen Freund zu beobachten. Wenyld drückte fast sein Gesicht an
das Holz, während er die Angeln des Ladens untersuchte.
»Was ist?«, fragte Cuthwin. Er schloss die Augen und mühte sich, Wenyld oben zu halten.
»Was siehst du?«
»Nichts«, gab Wenyld zurück. »Ich sehe gar nichts, das Holz ist zu fest gefügt.«
»Das ist eben die Art der Zwerge«, ertönte eine tiefe Stimme neben ihnen, und beide Jungen
erstarrten.
Cuthwin drehte langsam den Kopf zur Seite und öffnete die Augen. Vor ihm hob sich die
schwarze Silhouette eines mächtigen Kriegers vor dem Sternenhimmel ab. Seine Gestalt war
so hart, als wäre er aus dem gleichen Stein wie die Mauern des Langhauses geschnitten
worden.
Die bloße Nähe zu dem Krieger ließ Cuthwin keuchen, und er ließ Wenylds Fuß los. Sein
Freund versuchte noch hastig, an irgendeiner Kante vor dem Fensterladen halt zu finden, doch
dort war nichts. Er fiel und beide landeten als betretenes Knäuel aus Gliedmaßen auf dem
Boden. Cuthwin wand sich unter seinem fluchenden Begleiter hervor. Er wusste, dass er eine
Strafe erhalten würde. Doch er wollte dem Krieger ohne Furcht begegnen.
Mit einer Rolle kam Cuthwin auf die Beine und stand nun vor dem Mann, der sie entdeckt
hatte. Doch wo sich zuvor Trotz in ihm geregt hatte, machte sich nun Staunen über das
freundliche, edelmütige Antlitz vor ihm breit. Silberblondes Haar umrahmte das Gesicht des
Kriegers. Es schimmerte im Sternenlicht, nur gezähmt von einem Haarband aus verwundenem
Kupferdraht. Um seine dicken Arme lagen breite Eisenbänder und über seinen Schultern hing
ein langer Umhang aus Bärenfell. Darunter schimmerte Cuthwin die Rüstung des Kriegers
entgegen, um deren Taille ein breiter Ledergürtel lag.
Ein langes Jagdmesser in einer Lederscheide hing daran, doch es war die Waffe daneben,
die Cuthwins Blick gefangen hielt.
Der Krieger trug einen gewaltigen Kriegshammer. Cuthwins Augen ruhten auf dem breiten,
flachen Kopf der Waffe, deren fremdartige Verzierungen im Sternenlicht glommen.
Es war eine prächtige Waffe. Der Griff war aus fremdem Metall und von Händen geformt
worden, die älter waren, als Cuthwin es sich vorzustellen vermochte. Kein Mann hatte jemals
eine solch vollendete und vernichtende Waffe geschmiedet, noch hatte je ein Schmied ein
solch furchteinflößendes Werkzeug geschwungen.
Wenyld war auf die Beine gesprungen und wollte schon vor dem Krieger fliehen, doch sein
Anblick schlug ihn ebenso in seinen Bann wie Cuthwin.
Der Krieger lehnte sich vor und Cuthwin konnte erkennen, wie jung der Mann war. Er
mochte nicht älter als fünfzehn Sommer sein. In den kalten Augen des Kriegers lag ein
Ausdruck verhaltener Belustigung. Die Iris des einen schimmerte hellblau, die andere war
dunkelgrün.
»Im Stockdunkeln den Marktplatz überquert – das hast du gut gemacht, Junge«, sagte der
Krieger.
»Mein Name ist Cuthwin«, entgegnete der Junge, »und ich bin fast zwölf, also beinahe
schon ein Mann.«
»Beinahe, aber noch nicht ganz«, sagte der Krieger. »Dies ist ein Ort für die Krieger, die
sich bald dem Tod auf dem Schlachtfeld stellen müssen. Diese Nacht gehört ihnen, und ihnen
allein. Seid nicht zu begierig darauf Anteil an solchen Dingen zu haben. Genießt eure
Kindheit. Na los, verschwindet schon.«
»Wirst du uns denn nicht bestrafen?«, fragte Wenyld und bekam prompt Cuthwins Ellbogen
zwischen die Rippen.
Der Krieger lächelte. »Das sollte ich eigentlich. Aber es bedarf großen Könnens, unbemerkt
so weit zu kommen. Das gefällt mir.«
Cuthwin konnte nicht anders, als sich angesichts dieses Lobes maßlos stolz zu fühlen.
»Mein Vater hat mir beigebracht, mich ungesehen zu bewegen.«
»Er hat dich gut gelehrt. Wie ist sein Name?«
»Er hieß Gethwer«, sagte Cuthwin. »Die Grünhäute haben ihn getötet.«
»Das tut mir leid, Cuthwin«, sagte der Krieger. »Wir werden gegen die Grünhäute in den
Kampf reiten und viele werden durch unsere Hand sterben. Aber jetzt geht und trödelt nicht
länger, sonst entdeckt euch noch jemand, der nicht so viel Gnade zeigt wie ich. Und dann
erwartet euch eine Tracht Prügel.«
Das ließ sich Cuthwin nicht zweimal sagen. Er wandte sich von dem Krieger ab und hastete
mit weiten Schritten über den Marktplatz zurück. Im Sternenlicht rannte er auf direktem Weg
vom Langhaus zum Lagerhaus am Rande des Marktplatzes. Er hörte hastige Schritte hinter
sich. Ein kurzer Blick über seine Schulter sagte Cuthwin, dass Wenyld dicht hinter ihm war.
Bald hatte ihn der ältere Junge überholt und als sie um die Ecke des mit Holzbalken erbauten
Lagerhauses kamen, breitete sich ein Ausdruck überwältigender Erleichterung auf ihren
Gesichtern aus.
Schwer atmend drückten sich die Jungen gegen die Mauer des Hauses. Dann brachen sie in
wildes Gelächter aus, als sie der Nervenkitzel ihrer Ergreifung und die Erleichterung über ihre
gelungene Flucht überwältigten.
Cuthwin spähte noch einmal um die Ecke des Lagerhauses und erinnerte sich an die
ungezähmte Kraft des Kriegers, der sie weggeschickt hatte. Er war ein Mann, der nichts
fürchtete, ein Mann, der sich jeder Bedrohung stellen und ihr mit hocherhobenem
Kriegshammer begegnen würde.
»Wenn ich zum Mann werde, will ich so werden wie er«, sagte Cuthwin, als er wieder zu
Atem gekommen war.
Wenyld hatte sich vornübergebückt und keuchte noch immer heftig. »Weißt du denn nicht,
wer das war?«
»Nein. Wer war es denn?«, fragte Cuthwin.
»Das war der Sohn des Königs. Das war Sigmar.«

Sigmar sah den Jungen nach, als sie, wie von den Ölfhednar gejagt, davonrannten. Mit einem
Lächeln erinnerte er sich daran, wie er sich einst in der Nacht, ehe sein Vater die Unberogen
gegen die Thuringianer in die Schlacht geführt hatte, an das alte Langhaus hatte
heranschleichen wollen. Er war nicht so heimlich gewesen wie der Junge, den er eben
weggeschickt hatte. Die Tracht Prügel, die ihm der König verpasst hatte, war ihm noch lebhaft
in Erinnerung.
Hinter ihm näherten sich torkelnde Schritte. Sigmar musste sich nicht umdrehen, um zu
wissen, dass sie zu Wolfgart gehörten, seinem Waffenbruder und engsten Freund.
»Du warst zu nachsichtig mit ihnen, Sigmar«, sagte Wolfgart. »Ich erinnere mich noch gut
an die Prügel, die wir bekommen haben. Warum sollten sie nicht auf die harte Weise lernen,
dass man die Blutnacht eines Kriegers nicht bespitzelt?«
»Wir sind erwischt worden, weil du mich nicht lange genug oben halten konntest«,
entgegnete Sigmar. Er drehte sich um. Vor ihm stand ein muskulöser junger Mann, in eine
Rüstung und einen Mantel aus Wolfsfell gehüllt. Über seine Schultern hing ein Schwert mit
langem Griff und ungekämmte, dunkle Haarlocken umrahmten sein Gesicht. Wolfgart war
drei Jahre älter als Sigmar und seine ebenmäßigen Züge und seine Haut waren von Hitze,
reichhaltigem Essen und ausgiebigem Trinken gerötet.
»Aber nur, weil du mir im Jahr davor den Arm mit einem Hammer gebrochen hast.«
Sigmars Blick fiel auf Wolfgarts Ellbogen. Es war vor fünf Jahren gewesen. Nachdem der
ältere Junge ihn in einer Kampfübung besiegt hatte, war seine Wut mit ihm durchgegangen. Er
hatte den Hammer nach dem ahnungslosen Wolfgart geschwungen, und auch wenn ihm schon
lange vergeben worden war, hatte Sigmar diese unrühmliche Tat weder vergessen, noch hatte
er die Lektion über Selbstbeherrschung vergessen, die ihm sein Vater danach erteilt hatte.
»Das ist wahr«, gab Sigmar zu. Er schlug seinem Freund auf die Schulter und drehte ihn
zurück zum Langhaus. »Du hast es mich auch nie vergessen lassen.«
»Verdammt richtig!«, röhrte Wolfgart. Sein Gesicht war rot vom hopfigen Bier und der
Sumpfmyrte. »Ich hab’ ehrlich und fair gewonnen und du hast mich von hinten angegriffen!«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Sigmar und führte ihn zurück zur Tür.
»Was machst du überhaupt hier draußen? Wir sind noch nicht mit dem Trinken fertig!«
»Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen«, sagte Sigmar. »Hast du nicht schon genug
getrunken?«
»Frische Luft?«, lallte Wolfgart, der den zweiten Teil von Sigmars Antwort geflissentlich
ignorierte. »Morgen werden wir genug frische Luft schnappen. Heute Nacht wird gefeiert,
getrunken, und Ulric Lob und Preis dargebracht. Es bringt Unglück, den Göttern vor einem
Kampf nicht zu opfern.«
»Das weiß ich, Wolfgart, das hat mein Vater mir beigebracht.«
»Na also, dann komm wieder rein«, sagte Wolfgart. »Er wird sich noch wundern, wo du
bist. Außerdem bringt es Unglück, in der Blutnacht nicht an der Seite seines Schwertbruders
zu sein!«
»Wenn es nach dir ginge, bringt einem alles Unglück«, sagte Sigmar.
»Das tut es auch«, entgegnete Wolfgart. Er lehnte sich gegen die Mauer des Langhauses und
erbrach sich über das zwergische Steinwerk. Er wischte sich mit dem Handrücken die
glänzenden Fäden ab, die von seinem Mund troffen. »Schau dir die Welt an, in der wir leben.
Denk darüber nach. Wo man auch hinschaut, stets gibt es etwas, was einen umbringen will. In
den Bergen sitzen die Grünhäute, in den Wäldern hausen die Tiermenschen, und dann sind da
noch die anderen Stämme. Die Asobornen, Thuringianer und Teutogen. Pest, Hunger, und
Zauberei: Was es auch ist, es bringt Unglück. Das ist doch der Beweis, dass wirklich alles
Unglück bringt, oder?«
»Hat er wieder zu viel gesoffen?«, erklang eine amüsierte Stimme von der Tür des
Langhauses.
»Ranald soll dir den Stab verdorren lassen, Pendrag!«, brüllte Wolfgart, ging in die Hocke
und lehnte die Stirn gegen den kühlen Stein des Langhauses.
Sigmar sah von Wolfgart auf und wandte sich den zwei Kriegern zu, die aus dem Licht und
der Wärme des Langhauses traten. Sie waren in seinem Alter und trugen fein gearbeitete
Kettenpanzer und dunkelrote Hemden. Der Größere hatte rote Haare, die wie die untergehende
Sonne glühten. Sein grüner Schuppenumhang reflektierte das Sternenlicht in schillernden
Farben. Sein Begleiter hatte seinen Mantel aus Wolfsfell eng um seine dünne Gestalt
geschlungen. In seinem Gesicht zeigte sich Sorge.
Der hochgewachsene Krieger mit den flammenroten Haaren, den Wolfgart angeschnauzt
hatte, ging nicht auf die Beleidigung gegen seine Männlichkeit ein. »Wird er morgen reiten
können?«
Sigmar nickte. »Aye, Pendrag. Es gibt nichts, was ein Becher Valerianswurzel nicht richten
könnte.«
Pendrag sah zweifelnd aus, zuckte aber die Schultern und wandte sich seinem Begleiter im
Wolfsfellmantel zu. »Trinovantes denkt, dass du nach drinnen kommen solltest, Sigmar.«
»Hast du etwa Angst, dass ich mich erkälten könnte, Freund?«, fragte Sigmar.
»Er behauptet, dass er ein Omen gesehen hat«, sagte Pendrag.
»Ein Omen? Was für ein Omen?«
»Ein schlechtes«, grunzte Wolfgart. »Was gibt es sonst schon für Omen? Niemand spricht
mehr über gute Omen.«
»Außer bei Sigmars Geburt«, entgegnete Trinovantes.
»Aye, und schau dir nur an wie gut das gelaufen ist«, stöhnte Wolfgart. »In Blut geboren,
die Mutter von Orks abgeschlachtet. Gutes Omen am Arsch.«
Wut und Trauer versetzten Sigmar einen Stich, als Wolfgart den Tod seiner Mutter
erwähnte. Er hatte sie nie kennengelernt und lediglich die Geschichten seines Vaters
verbanden ihn mit ihr. Wolfgart hatte recht. Unter welchem Zeichen seine Geburt auch
gestanden hatte, es war nichts als Blut und Tod daraus hervorgegangen.
Sigmar beugte sich zu Wolfgart herab und hakte einen Arm unter seine Schultern, um ihn
auf die Füße zu ziehen. Wolfgart lehnte sich schwer und mit schlaffen Gliedern gegen ihn und
Sigmar stöhnte unter dem Gewicht. Trinovantes nahm Wolfgarts anderen Arm und
gemeinsam brachten sie ihren betrunkenen Freund halb tragend, halb ziehend in die Wärme
des Langhauses zurück.
Sigmar sah Trinovantes an. Der junge Mann erwiderte den Blick ernst. Sein Gesicht wirkte
wie vor seiner Zeit gealtert.
»Sag es mir«, drängte Sigmar. »Welches Omen hast du gesehen?«
Trinovantes schüttelte den Kopf. »Es war nichts.«
»Komm schon, sag es ihm«, sagte Pendrag. »Du kannst doch kein Omen sehen und es ihm
dann verschweigen.«
»Nun gut.« Trinovantes atmete tief durch. »Heute Morgen ist ein Rabe auf dem Dach des
königlichen Langhauses gelandet.«
»Und?«, fragte Sigmar, als Trinovantes nicht weitersprach.
»Und nichts«, entgegnete Trinovantes. »Das war alles. Ein einzelner Rabe ist ein Omen der
Trauer. Erinnerst du dich an den Raben, der letztes Jahr auf dem Heim von Beithar gelandet
ist? Eine Woche später war er tot.«
»Beithar war beinahe vierzig. Er war ein alter Mann«, sagte Sigmar.
Pendrag lachte. »Na eben. Bist du nicht froh, dass wir dich gewarnt haben, Sigmar? Du
musst hierbleiben und uns kämpfen lassen, weil es eindeutig viel zu gefährlich für dich ist,
einen Fuß vor Reikdorfs Wälle zu setzen.«
»Du magst lachen«, sagte Trinovantes, »aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, wenn
ein Orkpfeil dein Herz durchbohrt!«
»Ein Ork könnte mein Herz nicht treffen, selbst wenn er direkt vor mir stünde und ich ihn
seinen Bogen spannen ließe!«, rief Pendrag. »Aber wenn es der Wille der Götter ist, dass ich
durch einen Ork sterben soll, dann werde ich es mit einer Axt in der Brust und von zahllosen
toten Orks umgeben tun. Ich werde doch nicht durch einen ihrer krummen Pfeile fallen!«
»Genug Gerede über den Tod!«, brüllte Wolfgart. Mit neuer Kraft schüttelte er die
stützenden Arme seiner Freunde ab. »Es bringt Unglück, vor dem Kampf über den Tod zu
reden. Ich brauche etwas zu trinken.«
Sigmar lächelte, als Wolfgart sich durch die struppigen Haare fuhr und dann ausspuckte.
Niemand erwachte so schnell mit frischem Verlangen nach Bier aus einem Vollrausch wie
Wolfgart. Trotz Pendrags Sorgen wusste Sigmar, dass Wolfgart am nächsten Tag so geschickt
und schnell ausreiten würde, als wäre nichts gewesen.
»Was tun wir noch hier draußen?«, fragte Wolfgart. »Wir haben noch nicht fertig
getrunken.«
Ehe ihm jemand antworten konnte, wurde die stille Nacht vom Heulen der Wölfe zerrissen.
Der anschwellende Chor aus den Tiefen der dunklen Wälder trug die wilde Freude aus den
vorzeitlichen Tagen nach Reikdorf. Immer mehr Kehlen schlossen sich dem Geheul an, als
hätten sich alle Wolfsrudel des Großen Waldes zusammengefunden, um eine gemeinsame
Herausforderung in die Nacht zu heulen.
»Ihr wolltet ein Omen, Brüder«, sagte Wolfgart. »Hier habt ihr es. Ulric ist an unserer Seite.
Lasst uns jetzt hineingehen. Es ist unsere Blutnacht, und noch haben wir Blut, das wir ihm
darbieten können.«

Tausenden Glühwürmchen gleich stoben die Funken aus dem Herdfeuer auf, als ein weiterer
Klafter Holz in die tiefe Grube in der Mitte des Langhauses der Unberogen geworfen wurde.
Die Hitze des Feuers und hunderte Krieger füllten das Gebäude. Gelächter und Gesänge
stiegen aus der Menge hoch in das komplizierte Stützwerk aus schweren Dachbalken über
ihnen.
Die Zwerge hatten dem König der Unberogen dieses Langhaus in Anerkennung der
Tapferkeit seines Sohnes errichtet. Sigmar hatte ihren König, Kurgan Eisenbart, vor den Orks
gerettet. Nun saßen die Krieger hinter Mauern aus fest gefügtem Stein, das noch viele
Generationen von Königen begleiten würde. Hier trafen sie sich, um Ulric Lob und Blut
darzubringen und diese Nacht in Reikdorf zu feiern. Für viele von ihnen würde es die letzte
sein.
Sigmar schlängelte sich durch die Menge zum anderen Ende der Halle, wo sein Vater auf
seinem mit Schnitzereien verzierten Eichenthron saß. Die zwei Männer an seiner Seite waren
Alfgeir, der Marschall des Reik und Streiter des Königs zu seiner Rechten, und Eoforth, ein
getreuer Berater und langjähriger Freund zu seiner Linken.
Die Eindrücke der großen Halle überwältigten Sigmar: Schweiß, Gesang, Blut und Fleisch,
Bier und Rauch. Drei riesige Keiler drehten sich auf Spießen vor einer hölzernen Statue des
Jagdgottes Taal. Das Fleisch zischte und spritzte Fett ins Feuer, und auch wenn er bereits
genug für eine ganze Woche gegessen hatte, lief ihm beim Geruch des bratenden Fleisches das
Wasser im Mund zusammen. Er lächelte, als ihm ein Krug Bier in die Hand gedrückt wurde.
Wolfgart hatte bereits wieder einen neuen Trunk gefunden, und begonnen, sich mit den
anderen Kriegern im Armdrücken zu messen. Trinovantes hatte sich einen Teller Essen und
einen Becher Wasser geholt und beobachtete nun betont sorgenvoll Wolfgart. Pendrag hatte
sich zu dem stämmigen, bärtigen Zwerg gesellt, der in einer Ecke des Langhauses saß und die
Feierlichkeiten mit unverblümtem Genuss beobachtete.
Der Zwerg hieß Alaric und war mit Kurgan Eisenbart zu Beginn des Frühlings aus den
Bergen gekommen, als sie die Steinblöcke gebracht hatten, um das neue Langhaus zu
errichten. Sobald sie den Bau vollendet hatten, waren die Zwerge zurück in die Berge
gegangen. Alaric jedoch war geblieben, um die Schmiede der Unberogen die Geheimnisse der
Metallverarbeitung zu lehren, und so besaßen die Unberogen nun die besten Rüstungen und
Waffen der westlichen Stämme.
Sigmar überließ seine Freunde ihrem Zeitvertreib. Jeder Mann musste sich der Blutnacht auf
seiner Weise stellen. Hände schlugen ihm auf die Schultern, als er durch die Menge ging und
Krieger brüllten ihm ihre Glückwünsche zum Kampf entgegen oder prahlten damit, wie viele
Orks sie in seinem Namen erschlagen würden.
Er schloss sich ihren Prahlereien an, doch bei dem Gedanken, für wie viele von ihnen es
wohl die letzte Blutnacht sein würde, wurde ihm das Herz schwer. Es waren gestählten,
sehnigen Krieger mit dem Hunger von Wölfen; Männer, die viele Jahre unter dem Banner
seines Vaters geritten waren. Nun würden sie unter seiner Führung ausziehen. Im Vorbeigehen
sah er ihnen in die Gesichter und hörte ihre Worte, doch er konnte sich nicht darauf
konzentrieren.
Er kannte und achtete diese Krieger als Männer, Ehemänner und Väter, und jeder von ihnen
würde sich seinem Befehl beugen.
Solche Männer anzuführen war eine Ehre, doch er wusste nicht, ob er dieser Ehre gerecht
werden konnte.
Sigmar schob die düsteren Gedanken beiseite und trat zwischen den gerüsteten Kriegern
hervor und vor seinen Vater. König Björn vom Stamm der Unberogen saß erhobenen Hauptes
zwischen den geschnitzten Ebenbildern zweier knurrender Wölfe auf seinem Thron. Trotz
seines fortgeschrittenen Alters war er noch immer eine eindrucksvolle Gestalt.
Die vielen Zöpfe seines eisenfarbenen Haares, die ihm bis in den Nacken hinunterreichten,
wurden nur von seiner bronzenen Krone gehalten. Seine Augen, die schon so viele Schrecken
dieser Welt gesehen hatten und hart wie Feuerstein sein konnten, blickten nun väterlich auf
die Krieger vor ihm, die sich versammelt hatten, um Ulric zu preisen und ihn um Mut für die
kommende Schlacht zu bitten.
Auch wenn sein Vater sich ihrem Kriegszug nicht anschließen würde, so trug er doch ein
Kettenhemd, das Alaric für ihn angefertigt hatte. Kein menschlicher Schmied hätte je eine so
vortreffliche Rüstung fertigen können. Alaric hatte es in weniger als einem Tag vollbracht.
Über dem Schoß des Königs lag die gefürchtete Axt Seelenräuber, und ihre Zwillingsklingen
schimmerten blutrot im Feuerschein.
Als Sigmar sich dem Thron näherte, nickte ihm Alfgeir knapp und anerkennend zu. Die
bronzene Rüstung schimmerte golden im Licht, und seine ausdruckslose Miene schien wie aus
Granit gemeißelt. Eoforth verneigte sich vor Sigmar und trat einen Schritt zurück. In seinen
langen Roben stach er in diesem Raum voller Krieger heraus, doch es war sein scharfer
Verstand, der ihn zu einem der vertrauenswürdigsten Berater des Königs gemacht hatte. Sein
Rat war stets von Einsicht und Weisheit geprägt und seine Weitsicht hatte den Unberogen
viele Male zum Vorteil gereicht.
»Mein Sohn«, sagte Björn und winkte Sigmar zu sich. »Belastet dich etwas? Du wirkst
beunruhigt.«
»Es geht mir gut«, antwortete Sigmar und nahm seinen Platz rechts neben seinem Vater ein.
»Es ist nur die Ungeduld. Ich warte auf die Dämmerung. Ich dürste danach, Knochenbrecher
entgegenzutreten und seine Horde zurück in die Berge zu treiben.«
»Verflucht sei sein Name«, sagte Björn. »Diese verdammte Grünhaut ist schon seit Jahren
eine Geißel unseres Volkes. Je eher sein Kopf über dem Thron hängt, desto besser.«
Sigmar folgte dem Blick seines Vaters. Er betrachtete die vielen Trophäen, die an der Wand
aufgereiht waren und das Gewicht der Erwartung lastete schwer auf ihm. Orks, Bestien und
fürchterliche Monstren mit langen Fängen, gekrümmten Hörnern und schuppiger Haut hingen
dort auf Eisenstacheln. Die Wand darunter war fleckig von ihrem Blut.
Dort hing der Kopf von Skarskan Bluthelm, der die Endalen beinahe aus ihrer Heimat
vertrieben hatte. König Björn war König Marbad damals zur Hilfe geeilt. Daneben hing die
abgezogene Haut einer gigantischen, namenlosen Bestie der Heulenden Hügel, die über Jahre
hinweg die Cherusen bedroht hatte. Der König der Unberogen hatte sie bis zu ihrem Bau
verfolgt und ihr mit einem einzigen Hieb von Seelenräuber den Kopf abgeschlagen.
Darum herum hingen noch Dutzende weitere Trophäen. Jede einzelne erzählte eine
Geschichte des Heldentums. Sie hatten Sigmar begleitet, seit er ein kleiner Junge war und zu
Füßen seines Vaters gesessen und davon geträumt hatte, einst große Heldentaten zu
vollbringen.
»Was berichten die Reiter, die du in den Norden entsandt hast?«, fragte sein Vater. Sigmar
schob für den Moment den Gedanken beiseite, ebenso große Taten wie Björn zu vollbringen.
»Wenig, und nichts davon gut«, sagte Sigmar. »Die Orks sind in großer Zahl aus den
Bergen gekommen, doch diesmal scheint es, als würden sie nicht dorthin zurückkehren
wollen. Sonst kommen sie herab, morden, plündern, und ziehen sich dann wieder in die
Hochländer zurück, aber dieser Knochenbrecher hält sie zusammen. Mit jeder Schlacht und
mit jedem Tag sammeln sich mehr Grünhäute unter seinem Banner.«
»Dann gilt es, keine Zeit zu verlieren«, sagte König Björn. »Wenn du dir hier deinen Schild
verdienst, erweist du dem Land zugleich einen großen Dienst. Es ist kein Leichtes, das
Mannesalter zu erreichen, Junge, und dies ist eine große Prüfung deines Muts. Es ist nur
richtig, dass du dich fürchtest.«
Sigmar straffte unter dem strengen Blick seines Vaters die Schultern. »Ich fürchte mich
nicht, Vater. Ich habe schon Grünhäute getötet. Der Tod ängstigt mich nicht.«
König Björn lehnte sich vor und sprach so leise, dass nur Sigmar ihn noch hören konnte.
»Ich rede nicht von der Angst vor dem Tod. Du hast dich großen Gefahren gestellt und sie
gemeistert. Aber das weiß ich bereits. Ein jeder Narr kann ein Schwert schwingen, aber du
wirst Männer in eine Schlacht führen. Du wirst für ihre Leben verantwortlich sein und damit
eine Rolle einnehmen, in der deine Krieger und dein König dich beurteilen werden. Vor so
etwas Angst zu haben, ist nur recht. Ich kann sehen, dass die Schlange der Angst in deinem
Bauch zuckt, mein Sohn, denn sie hat sich auch in mir gewunden, als dein Großvater
Feuerschopf Dregor mich losgeschickt hat, um mir meinen Schild zu verdienen.«
Sigmar sah seinem Vater in die nebelgrauen Augen und sah Verständnis und Mitgefühl für
das, was er gerade empfand. Das Wissen, dass der mächtige Kriegerkönig Björn von den
Unberogen einst das Gleiche empfunden hatte, ließ ihn erleichtert lächeln.
»Du hast schon immer gewusst, was ich denke«, sagte Sigmar.
»Du bist mein Sohn«, erwiderte Björn schlicht.
»Ich bin dein einziger Sohn. Was, wenn ich falle?«
»Das wirst du nicht, denn das Blut unserer Vorfahren ist stark. Du wirst als Stammesfürst
der Unberogen große Dinge vollbringen, wenn das Gras einst hoch auf meinem Grab steht.
Mein Sohn, die Furcht ist etwas, vor dem man nicht weglaufen sollte. Du musst verstehen,
dass ihre Macht über einen Mann daher rührt, wie willig er ist, das Einfache zu tun,
wegzulaufen oder sich zu verstecken. Dann wirst du sie besiegen. Ein wahrer Held läuft
niemals vor einem Kampf davon oder wählt eine einfache Lösung anstatt dessen, was er als
richtig erkennt. Behalte dies im Herzen und du wirst nie versagen.«
Sigmar nickte über die Worte seines Vaters und sah wieder zu den versammelten Kriegern.
Ihr wildes Gelächter und ihre Gesänge erfüllten das Langhaus.
Als hätte Wolfgart den prüfenden Blick bemerkt, stieg er auf einen aufgebockten Tisch, der
bereits unter dem Gewicht der Bierkrüge und mit Fleisch und Früchten beladenen Teller
ächzte. Die Tischplatte bog sich gefährlich unter seinen Füßen, als Wolfgart sein Schwert zog
und es in einer Hand hoch erhob. Die Klinge zeigte gerade und ohne ein Zittern zur Decke –
angesichts des schieren Gewichts der Waffe ein bemerkenswertes Schauspiel von Wolfgarts
Stärke.
»Sigmar! Sigmar! Sigmar!«, röhrte Wolfgart. Die Krieger im Langhaus fielen in den Chor
ein und ihre Stimmen schienen die Wände zum Beben zu bringen. Sigmar wusste, dass er sie
nicht im Stich lassen würde. Pendrag gesellte sich zu Wolfgart auf den Tisch, und selbst der
sonst so stille Trinovantes wurde von den Jubelrufen mitgerissen, die durch die Halle
schallten.
»Siehst du?«, sagte sein Vater. »Diese Männer werden morgen deine Gefolgsleute in der
Schlacht sein, und sie sind bereit, unter deinem Befehl zu kämpfen und zu sterben. Sie
glauben an dich, also mach diesen Glauben zu deiner Stärke und erkenne dadurch deinen
eigenen Wert.«
Noch immer wurde sein Name gerufen. Sigmar sah dabei zu, wie Wolfgart sein Schwert
senkte und die Schneide über seine Handfläche zog. Blut quoll aus dem Schnitt hervor und
Wolfgart schmierte es über seine Wange.
»Ulric, Gott des Krieges, gib mir in dieser Blutnacht die Stärke, in deinem Namen zu
kämpfen!«, brüllte er.
Jeder Krieger in der Halle tat es Wolfgart gleich. Sie zogen ihre Klingen über ihre Körper
und boten dem unerbittlichen Gott der Winterwölfe ihr Blut dar. Sigmar trat vor, um das Blut
seiner Krieger zu ehren. Er zog das lange Jagdmesser aus seinem Gürtel und über seinen
nackten Unterarm.
Seine Krieger brüllten vor Begeisterung und schlugen die Griffe ihrer Schwerter und Äxte
gegen die Brust. Im Rausch aus Jubel und Geschrei gab der Tisch unter Wolfgart und Pendrag
schließlich knarrend nach und begrub sie unter Holzsplittern, Tellern voll Keilerfleisch und
einer Flut aus Bier. Ein gewaltiges Gelächter schallte von den Wänden wider, als noch mehr
Krüge über den zwei gestürzten Kriegern ausgeleert wurden. Die beiden nahmen Trinovantes
ausgestreckte Hände und kamen unter einiger Mühe und fröhlichen Rufen auf die Beine.
Sigmar stimmte in das Gelächter seiner Krieger ein und sein Vater sagte: »Mit Männern mit
solch mutigen Herzen in der Brust, wie kannst du da noch versagen?«
»Wolfgart ist ein Schuft«, sagte Sigmar, »aber er hat die Kraft Ulrics im Blut. Und in
Pendrags dickem Schädel steckt das Hirn eines Gelehrten.«
»Ich kenne die Stärken und Schwächen dieser Männer«, sagte Björn, »aber du musst auch
die Herzen jener erkennen, die dir Ratschläge erteilen wollen. Umgib dich mit würdigen
Männern und lerne aus ihren Stärken und Schwächen. Behalte nur jene an deiner Seite, die
dich stärken, und weise jene von dir, die dich schwächen, denn sie werden dich nur mit sich
ziehen. Wenn du gute Männer findest, dann ehre sie, achte sie, und liebe sie wie deine Brüder.
Sie werden an deiner Seite stehen und dem Ruf des Wolfes in die Schlacht folgen.«
»Das werde ich«, versprach Sigmar.
»Zusammen sind wir stark, doch entzweit sind wir schwach. Behalte deine Waffenbrüder
eng an deiner Seite und steht euch stets einander bei. Schwöre mir das, Sigmar.«
»Ich schwöre es, Vater.«
»Und jetzt geh und gesell dich zu ihnen«, sagte Björn. »Komm nach dem Kampf zu mir
zurück, ob mit deinem Schild oder auf ihm.«

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EINE PUBLIKATION VON BLACK LIBRARY

Englische Erstausgabe 2019 in Großbritannien herausgegeben.


Diese Ausgabe 2019 herausgegeben von Black Library,
Games Workshop Ltd, Willow Road, Nottingham NG7 2WS UK.

Originaltitel: Ghoulslayer.
Deutsche Übersetzung: Horus W. Odenthal.
Produziert von Games Workshop in Nottingham.
Umschlagbild: Johan Grenier.

Gotrek: Im Reich der Unbegranenen © Copyright Games Workshop Limited 2019.


Gotrek: Im Reich der Unbegranenen, GW, Games Workshop, Black Library,
Warhammer, Warhammer Age of Sigmar, Stormcast Eternals und alle damit
verbundenen Logos, Illustrationen, Abbildungen, Namen, Kreaturen, Völker,
Fahrzeuge, Orte, Waffen, Charaktere sowie deren charakteristisches Aussehen sind
entweder ® oder TM, und/oder © Games Workshop Limited, registriert in
Großbritannien und anderen Ländern weltweit.
Alle Rechte vorbehalten.

ISBN13: 978-1-78999-759-0

Kein Teil dieser Publikation darf ohne vorherige Genehmigung des Herausgebers
reproduziert, digital gespeichert oder in irgendeiner Art und Weise, elektronisch,
mechanisch, als Fotokopie, Aufnahme oder anders übertragen werden.

Dies ist eine fiktive Erzählung. Alle Charaktere und Ereignisse in diesem Buch sind
fiktiv und jegliche Ähnlichkeit zu real existierenden Personen oder Begebenheiten ist
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