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Altmayer, Claus u. a. (Hrsg.

): Literatur in Deutsch als Fremdsprache und internationaler Germanistik 153

 Altmayer, Claus; Dobstadt, Michael; Riedner, Renate; Schier, Carmen (Hrsg.):


Literatur in Deutsch als Fremdsprache und internationaler Germanistik.
Konzepte, Themen, Forschungsperspektiven. Tübingen: Stauffenburg, 2014
(Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 3). – ISBN 978-3-86057-622-9. 175
Seiten, € 34,80
(Karl Esselborn, München)
Angesichts der Tendenzen zur Pragmatisierung und Verflachung des Fremdspra-
chenunterrichts Deutsch und des weiteren Rückgangs des Germanistikstudiums im
Ausland – und der dabei schwindenden Rolle der deutschsprachigen Literatur –
war 2010 am Herder-Institut der Universität Leipzig ein Workshop zum Thema
»Neue Konzepte zur Rolle der Literatur in Deutsch als Fremdsprache und interna-
tionaler Germanistik« organisiert worden, bei dem 40 WissenschaftlerInnen aus Af-
rika, Asien, Amerika und Europa über die Rolle der Literatur in den jeweiligen na-
tionalen, regionalen und fachlichen Kontexten diskutierten. Während das akademi-
sche Fach Deutsch als Fremdsprache am Herder-Institut (wie seine gleichnamige
Zeitschrift) schon immer auf Fremdsprachenvermittlung konzentriert war und die
wissenschaftliche Beschäftigung mit literarischen Texten und ihrer Bedeutung für
die deutsche Sprache und Kultur nicht zu seinen Kernaufgaben gehörte, war be-
kanntlich die Auslandsgermanistik in vielen Ländern lange Zeit weitgehend auf
Literaturwissenschaft fixiert, so dass im Austausch der Konzepte der ›strategischen
Partner‹ eine Erweiterung der Perspektive möglich erschien.
Die Diskussion geht von jüngsten Entwicklungen zu einer Neubewertung der Rolle
literarischer Texte im Kontext des Deutsch als Fremdsprache-Lernens angesichts
einer veränderten Wahrnehmung von Sprache und Kommunikation und anderer-
seits von der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung der Literaturwissenschaft
auch in DaF aus. Etablierte Konzepte wie die interkulturelle Germanistik oder die
Rezeptionsästhetik werden zudem im Zeichen eines nicht essentialistischen Kultur-
begriffes und einer neuen Aufmerksamkeit für die ästhetische Dimension der Spra-
che erneut diskutiert. Neue Konzepte sollen das Interesse an der Literatur im
Fremdsprachenunterricht auf den Stand der heutigen literatur-, kultur- und fremd-
sprachenwissenschaftlichen Reflexion bringen. Entsprechend umfassen die Bei-
träge des Bandes ein breites Spektrum, »das von eher grundsätzlichen Erwägungen
zur Rolle literarischer Texte im Rahmen von (ästhetischer) Bildung im Allgemeinen
und fremdsprachlichem Lernen im Besonderen über konkrete Beispiele für eine das
spezifische sprachliche und kulturelle Potenzial literarischer Texte nutzende Unter-
richtsarbeit in verschiedenen regionalen Kontexten bis hin zu forschungsmethodo-
logischen und forschungspraktischen Überlegungen reicht« (8).
Dabei wird die Literatur, wie im ersten Beitrag von Almut Hille ausgeführt, in einen
breiteren thematischen Kontext des kulturellen Lernens und der ästhetischen Bil-
dung im Rahmen von DaF gestellt. Ein Konzept globalen Lernens und Persönlich-

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keitsbildung (im Sinne von Entgrenzung, Glokalisierung, Vernetzung und Hybridi-


tät) könnte den Unterricht auf Schlüsselthemen von globaler Relevanz (wie z. B.
Klimawandel, Armut/Reichtum) ausrichten, die in ihrer Vielschichtigkeit und Mul-
tiperspektivität durch Literatur besonders gut zu vermitteln sind, wofür Beispiele
von Reportagen, Reise-, Pop- und Kriminalliteratur gegeben werden. Claus Alt-
mayer fordert für die Literatur, die in der Standardisierung und Banalisierung des
Sprachunterrichts (und zuletzt auch im Handbuch DaF von 2010, s. Krumm u. a.
2010) kaum noch eine Rolle spielte, eine neue Bedeutung im größeren Zusammen-
hang seines Konzepts von »Kulturstudien« im Rahmen einer neuen »kulturwissen-
schaftlichen« oder »diskursiven Landeskunde«. Er versteht Literatur allerdings
nicht nur als selbstreferentielle Texte mit ästhetischem Anspruch (in traditioneller
philologischer Sicht), sondern – neben nichtliterarischen Texten – als Form sprach-
lich-medialer Kommunikation und als Medium kultureller Deutungsmuster (kate-
gorialer, topologischer, chronologischer und axiologischer Art) und bildungsrele-
vanter Inhalte, die gebraucht, aber auch reflektiert und weiterentwickelt werden.
Der Bildungsanspruch des Fremdsprachenunterrichts sollte an kulturellen Ausein-
andersetzungen, der Teilnahme an fremdsprachigen Diskursen und einer global ci-
tizenship ausgerichtet sein. Einen eigenen wissenschaftlichen Teilbereich Literatur in
DaF in Deutschland hält er jedoch nicht für sinnvoll. Carmen Schier beschreibt die
ästhetische Bildung (im weiteren Sinne) im fremdsprachigen Literaturunterricht als
eine Grundlage einer nachhaltigen Lernkultur der emotionalen Beteiligung und als
Beispiel die Nutzung von Masken oder anderer Medien wie Hörbücher und Fotos
als ästhetischen Zugang und Element der Auseinandersetzung mit dem literari-
schen Text. Renate Bürner-Kotzam möchte in einer mediendominierten Alltagswelt
den Film als ein wichtiges Erzählmedium in den Literaturunterricht integrieren und
damit intermediale Kompetenz fördern.
Spezifischere Fragen nach der Rolle literarischer Texte stellen sich im Rahmen der
internationalen Germanistiken in einzelnen Ländern oder Regionen. Aus mittel-
und osteuropäischer Perspektive plädiert Camilla Badstübner-Kizik dafür, dass die
Arbeit mit literarischen Texten im Rahmen einer integrierten Literatur- und Kultur-
didaktik ein grundlegendes kulturelles »Orientierungswissen« vermittelt, und ent-
wirft Ziele, Auswahlkriterien und didaktische Prinzipien einer integrierten Litera-
tur- und Kulturdidaktik DaF. Carlotta von Maltzan betont, dass die internationale
Germanistik (und Deutsch als Schulfach) auf die Literatur mit ihrer Thematisierung
der kulturellen, historischen, politischen oder sozialen Gegebenheiten der deutsch-
sprachigen Länder, und speziell der kolonialen Traditionen und Konzepte im Ver-
gleich der europäischen Perspektiven mit denen des eigenen Lands wie Südafrika,
besonders angewiesen sei, was von Rolf Annas mit dem Hinweis auf die zuneh-
mend afrikanischen Interessen an den Universitäten und die abnehmende Bedeu-
tung der Germanistik bestätigt wird, die vor allem deutschsprachige Literatur (und
speziell den breiten Bereich deutschsprachiger Afrikaliteratur) als Verhandlungs-

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feld (verdrängter) gemeinsamer Geschichte Deutschlands und Südafrikas anbieten


kann, wie er am konkreten Beispiel von Ruth Weiss’ Roman Meine Schwester Sara
über ein deutsches Waisenkind in Südafrika zeigt, das sich als jüdische KZ-Überle-
bende erweist und deshalb in die Antiapartheid gedrängt wird.
Als weiterer Aspekt wird das Potenzial literarischer Texte im Rahmen fremdsprach-
licher und kultureller Bildung und in ihrer spezifischen Sprachverwendung und
Widerständigkeit gegen allzu einfache Deutung und Verwertung betont. Andrea
Leskovec bemerkt im Blick auf Slowenien, dass die internationale Germanistik von
anderen Voraussetzungen ausgehen müsse als die deutsche und die Literatur auch
als Dokument fremder Kultur und Teil einer kosmopolitischen globalen Bildung
mit Hilfe spezieller Wissenskompetenzen und kritischer Reflexion vermitteln und
nach Möglichkeit zugleich ein komplexes »literaturwissenschaftliches Lesen« er-
möglichen sollte. Sie betont eine diskursanalytische Lesekompetenz, den kritischen
Blick auf kulturelles und Weltwissen, die Schulung von Aufmerksamkeit und Wahr-
nehmung, die Sensibilisierung für Realitätskonstruktionen und die Fokussierung
auf die Fremdheit des literarischen Diskurses. Simone Schiedermair sieht im Sinne
Weinrichs die Funktion literarischer Texte in Deutsch als Fremdsprache in ihrer kul-
turellen Verwobenheit, was zuletzt mit Stichworten wie »kulturelle Deutungsmus-
ter« (Altmayer) oder »symbolische Kompetenz« (Kramsch) bezeichnet wurde. Lite-
ratur ist in explizit verfremdeter und de-automatisierter Sprachverwendung und
semiotischem Spiel am »Aushandeln von Sinnpotentialen« in gesellschaftlichen
und kulturellen Zusammenhängen beteiligt, was ein kulturwissenschaftliches For-
schungsparadigma (im Umgang mit Fremdheit) verlangt, das aber zugleich die be-
sonderen Formen der literarischen Repräsentation (Sprache, Textstruktur) analy-
siert, wie an einem kurzen Text von Roman Ehrlich demonstriert wird. Den ver-
meintlichen Gegensatz von inhaltsbezogener kommunikativer Alltagssprache und
sprachlich freier und formorientierter Literatur relativieren Dieter Neidlinger und
Silke Pasewalck, indem sie verdeutlichen, dass auch moderne literarische Texte
nicht durch Regelverletzung, sondern einen komplexen Gebrauch des sprachlichen
Regelsystems gekennzeichnet sind und ihr Einsatz somit helfen kann, auf die Kom-
plexität von Alltagssprache vorzubereiten, Sprachgrenzen kreativ zu erweitern und
komplexe Bedeutungsräume der Fremdsprache zu erschließen.
Ausgehend vom Bedeutungsverlust der Literatur im Fach DaF und DaZ, wie ihn
das neue Handbuch von 2010 dokumentiert, versuchen abschließend Michael
Dobstadt und Renate Riedner das Forschungsfeld der Literaturwissenschaft DaF/
DaZ (mithilfe aktueller Veröffentlichungen) theoretisch neu zu bestimmen, ausge-
hend von der These, dass ihr Gegenstand nicht die Literatur als solche, sondern
die Literatur in ihrer spezifischen Sprachlichkeit als Medium für Prozesse der
Sprachaneignung und des Erwerbs von Handlungskompetenz ist, welches auf die
– in der Regel verdeckt bleibende – literarische Dimension der (Alltags-)Sprache
aufmerksam macht. Sie diskutieren Forschungsfragen zum Verhältnis von Litera-

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tur und Kultur, zur Literarizität von Sprache und zum Mehrwert der literarischen
Sichtweise auf Sprache und Kommunikation, propagieren aber keinen eigenstän-
digen Fachansatz (wie die interkulturelle Germanistik), noch die Abgrenzung
eines Fachbereichs Literatur, sondern eine literaturwissenschaftliche Perspektive
auf die Gegenstände des Faches und entwerfen die Grundzüge eines literaturwis-
senschaftlichen Forschungsprogramms für das Fach DaF/DaZ, damit statt bloßer
Fixierung der Sprachkompetenz auf das Mess- und Skalierbare künftig das
kreative Moment der sprachlichen Rezeption und Produktion, ihr Beitrag zur
Subjektkonstitution, wissenschaftlich mit einbezogen werden könne.
Damit werden wieder deutlich positivere Perspektiven für die Literatur in
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (in Deutschland) entwickelt. Der Aus-
tausch mit der interkulturellen Germanistik (in anderen Ländern) zeigt allerdings,
dass angesichts der problematischen Unterschiede der Fachkonzeptionen, wie sie
von den jeweiligen Bildungsinstitutionen, Lehrzielen und spezifischen Vermitt-
lungsbedingungen bestimmt sind, eine einfache Übertragung der Konzepte nicht
möglich ist. Während bei DaF in Deutschland nicht einmal die Sprache und Kultur
der Herkunftsländer der Lerner mit berücksichtigt wird, dominiert im Ausland
der kulturwissenschaftliche und komparatistische Blick auf eine global vielfältig
vernetzte deutsche Sprache, Literatur und Kultur. In zahlreichen neuen Sammel-
bänden (man vgl. die Sammelrezension des Verfassers im Jahrbuch Deutsch als
Fremdsprache 2013) zur Neustrukturierung einer inter- und transkulturellen bzw.
europäischen Germanistik im Zeitalter der Globalisierung werden sprach- und
literaturwissenschaftliche Theorien zu Transkulturalität, Postkolonialismus,
einem erweiterten weltliterarischen Kanon, zu kulturwissenschaftlichen Heraus-
forderungen, Interdisziplinarität, Austausch und Mehrsprachigkeit usw. entwi-
ckelt, wie z. B. bei den Tagungen in Innsbruck (Hackl/Wiesmüller 2010) und
Weimar (DAAD 2012), die auch in DaF/DaZ zu berücksichtigen sind.

Literatur

Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hrsg.): Zukunftsfragen der Germanistik. Beiträge


der DAAD-Germanistentagung 2011 mit den Partnerländern Frankreich, Belgien, Niederlande,
Luxemburg. Göttingen: Wallstein, 2012.
Esselborn, Karl: »Postkolonialismus, Globalisierung und Transkulturalität der deutschspra-
chigen Literatur. Zur aktuellen Diskussion in neuen Sammelbänden« [Sammelrezen-
sion], Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 39 (2013), 297–311.
Hackl, Wolfgang; Wiesmüller, Wolfgang (Hrsg.): Germanistik im Spannungsfeld von Regiona-
lität und Internationalität. Wien: Praesens, 2010 (Stimulus. Mitteilungen der Österreichi-
schen Gesellschaft für Germanistik 18, 2009).
Krumm, Hans Jürgen; Fandrych, Christian; Hufeisen, Britta; Riemer, Claudia (Hrsg.):
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. 2 Bände. Berlin: de
Gruyter, 2010 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 35).

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