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Predigtstudie 18.n.Trin.

Reihe IV – Epheser 5,15-20 – Autor A Jörg Dittmar: Seite 1

Predigtstudie
zum 18. Sonntag nach Trinitatis 2022
Epheser 5,15-20: Der nächsten Generation! (Vorschlag)
Autor A: Jörg Dittmar

Eröffnung: Der „perfekte“ Paulusbrief


„Ich hab´s durchdrungen! Der große Wurf ist mir gelungen – logisch, stimmig, schön! Ich leg die
Feder weg, schleich mich davon und kann jetzt gehn!“
Dieser Jubelruf am Schluss des Epheserbriefes ist leider in der Überlieferung verloren gegangen.
Ganz bestimmt aber hat er sich so gefühlt: stolz, glücklich und dankbar. Er wollte seinen
eigenen Glauben „auf den Punkt“ bringen und durchbuchstabieren, was er von „seinem
Meister“ Paulus gelernt hat. Kein Nachplappern sollte es werden und kein Denkmal. Vielmehr
ein Fundament, das das Ererbte für neue Generationen sichert und zum Weiterbauen ermutigt.
Dabei herausgekommen ist „der perfekte Paulusbrief“. Perfekt nach Gliederung, Aufbau und
Stil - komprimiert, gespickt mit knappen Merksätzen, theologisch ausgewogen in teils
hochkomplexen Satz-Monstern. Wirklich genial, wie sich wörtliche Zitate (insbesondere aus
dem Kolosserbrief, den er zu ca. zwei Dritteln übernimmt) mit eigenen Formulierungen und
Akzenten verbinden.
„Spricht der Glaube, so spricht ach! der Glaube nicht mehr.“ Angelehnt an die berühmte
Schiller-Klage kann man natürlich dem Epheserbrief vorwerfen, was ihm gelingt: Wer den
Glauben „auf den Punkt“ bringt, setzt ihn der Gefahr aus, dass er erstarrt, dass Dogmatisierung
und Moralisierung ihren Anfang nehmen. Ach ja, Durchblick-Momente sind so vergänglich. Aber
was jener Paulus-Schüler versucht, ist unsere (sonn)tägliche Aufgabe: Das Ererbte und Erlernte
des Glaubens lebendig zu bezeugen und für eine neue Generation in Worte zu fassen. Das aber
ist nicht eine Sache von Kunstgriffen, sondern gelingt nur mit „erleuchteten Augen des
Herzens“, die wahrnehmen, wie sehr wir beschenkt sind. Aber sogar das will als Geschenk
erbeten sein – so wie es Eph 1,18 für und mit uns tut.

Erschließung des Textes: Guter Rat


Wozu brauchte es eigentlich einen „perfekten Paulusbrief“? Vermutlich war es der Tod des
Apostels, der die Christen seiner Missionsgemeinden vor eine schwierige Schwelle führte: Wie
geht es weiter? Was bisher als Netzwerk zwischen Gemeinden durch die Reisen des Paulus,
durch Besuche seiner Mitarbeitenden und im Weiterreichen seiner Briefe gewachsen war,
verliert seine Mitte. Wie halten wir die Verbindung? Wie können wir jetzt Streitfälle und Fragen
klären? Wie vermitteln wir den Glauben für eine neue Generation? Daran wagt sich der mutige
Paulusschüler. Dass in seinem Brief keine konkrete Situation, nichts vom Anlass und oder den
Adressaten erkennbar wird, mag man „blutleer“ finden, aber vermutlich ist es genau darum
gegangen: Einen „Universal-Brief“ zu schreiben, der überall und für alle Zeiten „passt“.
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Wie die Gebote des alten Bundes die erwählenden Zusage Gottes voraussetzen („Ich bin Dein
Gott!“), so geht auch im Epheserbrief den Weisungen zur Lebensführung das voraus, was Jesus
Christus als Rettung und Erlösung errungen hat. Die Imperative des Predigttextes sind also keine
ToDo-Liste, die abzuarbeiten wäre. Vielmehr wollen sie ans Licht locken, was dem getauften
Christenmenschen längst geschenkt und in ihm angelegt ist. Fällig ist eine radikale Abkehr vom
„alten“ Menschen mit seiner Gier, Angst und Selbstentfremdung (Eph 4,18f), weil wir in Jesus
Christus neu geschaffen, ja ein neues Werk der Liebe Gottes (Eph 2,4) sind. Dass wir dahinter
nicht zurückfallen, dass alte Muster uns nicht einholen, sondern wir das Potential unserer
neuen Identität entfalten und ausschöpfen – das ist der Sinn der Gebote in Eph 5,15-20.
Seht sorgfältig auf euer Leben! (V 15) – Oft wird heute Achtsamkeit angemahnt, selten aber im
Sinn kritischer Selbstbeobachtung und sorgsamer Lebensgestaltung. Vermutlich ist es also
gegen den Trend, sich selbst auf den Prüfstand zu nehmen und zu fragen: Wie lebe ich? Wie
rede ich? Wie trete ich auf? Wird darin sichtbar, woran ich glaube, was ich hoffe und was mir
lieb und teuer ist? Solche Reflexion und Sorgfalt bräuchte in meinem Leben Orte und Zeiten
und Übung. Allein wenn ich denke, wie schnell ich abgleite in Konkurrenz-Ängste und Kämpfe
obwohl ich überhaupt nicht glaube, dass Glück für alle das Gleiche und eine knappe Ressource
ist.
Kauft die Zeit aus! (V 16) - Hier läge man falsch, wollte man diese Stelle als biblische Variante
des „carpe diem“ auslegen und zu einer geistlichen Torschlusspanik anstacheln. Um
Bemühungen, der bemessenen Zeit unseres Lebens ein Mehr an Genuss, Geld, Ereignissen oder
Wohltaten abzupressen, geht es hier nicht. Im Urtext ist die Rede vom „kairos“ – von jenem
besonderen Moment oder jener einmaligen Gelegenheit, die sich unverhofft und unverdient
auftut. Und das in „böser Zeit“, was ich eher mit „schwerer“ und „mühsamer“ Zeit übersetzten
würde. Der Epheserbrief wird immer wieder deutlich machen, dass ein Christenleben auf
Gegenwind stoßen wird, und dass es Mächte gibt, die lähmen, dämpfen und ins Dunkle drücken
wollen. Dagegen sich zu wappnen hat nicht zuletzt die Schwere der „geistlichen
Waffenrüstung“ (Eph 6,10f). Aber genau dieser Schwere tritt der „kairos“ entgegen – der
mühelose Coup, die offene Tür, die beglückende Begegnung. Jeden Moment kann Glück
eintreten – allein diese Erwartung in sich zu bewahren, hebt und trägt durch mühsame Tage.
Versteht den Willen Gottes! (V 17) – Dass es überhaupt möglich sein kann, Gottes Willen zu
verstehen, macht diesen Imperativ schon fast zum Indikativ. Zuallererst aber ist wichtig, dass
Gottes Wille nicht offensichtlich, nicht vorgegeben und nicht als ehernes Regelwerk gesetzt ist.
Nicht die Erfüllung eines Kanons von Gesetzen und Ritualen trifft den Willen Gottes, sondern
ein Nachfragen, Prüfen und Suchen. Was ist in der je besonderen und einmaligen Situation jetzt
richtig und wichtig? Was hätte Jesus gesagt und getan? So zu fragen - darum geht es der
Mahnung in Eph 5,18, sich vom Geist (Jesu) erfüllen zu lassen. Wiederum ist dafür eine Sorgfalt
nötig, die mit einer weinseligen Weltumarmungs-Stimmung nichts gemein hat (vgl. V 18).
Ermuntert einander! Singt und spielt! (V 19) – Christen brauchen Christen. Einander Mut
machen, sich teilhaben lassen an Einsichten des Glaubens, einander erzählen von Umwegen
Gottes, sich trösten, sich aufheitern und versenken ins Spiel und sich ausrichten auf den
kommenden Herrn – das macht Kirche aus und beschreibt, welche Dimensionen Gottesdienste
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und das Leben einer Gemeinde haben sollen. Eine kraftvolle Inspiration für Gemeinde- und
Kirchenentwicklung!
Seid dankbar! (V 20) - Im Epheserbrief ist klar: Dankbarkeit ist die Grundhaltung des
Christenmenschen. Dafür eben erbittet er die „erleuchteten Augen des Herzens“, damit wir
sehen und glücklich staunen, wie sehr wir in Christus geliebte, gerettete, berufene, erlöste und
befreite „Kinder des Lichts“ sind. Und diese Dankbarkeit bekommt eine besondere Tiefe, wenn
sie uns „allezeit“ erfüllen und „auf alles“ gerichtet sein soll. Das meint schon eine sehr
besondere „Dankbarkeit“. Wenn Dietrich Bonhoeffer davon redet, den „schweren Kelch, den
bittern“ aus Gottes Händen „dankbar“ nehmen zu wollen (EG 637,3), dann knüpft er an Eph
5,20 an: Alles, was mir das Schicksal zuteilen und auferlegen wird – es wird mich nicht von
Christus trennen, sondern näher zu Gott führen. Dieses Vertrauen braucht es, um „allezeit“ und
„für alles“ Gott Dank sagen zu können. Was aber wie eine unerreichbare Überforderung klingt,
versteht der Epheserbrief wieder nicht als Leistung und Glaubens-Klimmzug. Gott wird es
schenken und in unserer Dankbarkeit wird er seine Segenskraft verwirklichen.

III. Impulse: Resonanz


In seinem Buch „Unverfügbarkeit“ bringt der Soziologe Hartmut Rosa seine Resonanz-Theorie
auf den Punkt: Das Bemühen des modernen Menschen, alles in seine Reichweite und unter
seine Verfügbarkeit zu bringen, tötet Resonanz und lässt die Welt stumm und starr werden.
„Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung aber entstehen aus der Begegnung mit dem
Unverfügbaren. […] Das Leben vollzieht sich als Wechselspiel zwischen dem, was uns verfügbar
ist, und dem, was uns unverfügbar bleibt; […] es ereignet sich gleichsam den der Grenzlinie“
(Rosa, 8). Damit stellt Rosa ein neues Vokabular zur Verfügung, konstruktiv von der Spannung
zu reden, die den gesamten Epheserbrief durchzieht: zwischen Tun und Lassen, Aktiv und
Passiv, Geschenk und Bemühen, ja zwischen dem, was schon ist und Christus getan hat und der
Zukunft Gottes, die noch kommt.

Werkstück Predigt:
Ein Urlaubstag in einer Wellness-Oase: In der Sauna weichgekocht und im eiskalten Tauchbad
abgeschreckt fühle ich mich wie blanchiertes Gemüse. Langsam schlendere ich zum Ruheraum
durch einen Gang, der mit Denksprüchen in Schnörkelschrift übersät ist. „Meide das Laute!“
„Suche den Frieden!“ „Achte das Kleine!“ „Atme das Leben!“ und noch Dutzend solcher
Ratschläge flüstern mir unbekannter Weisheitslehrer zu. Ich merke: Ich bin kein Freund solcher
Empfehlungen. Ja, ich fühle mich rumgeschubst und gegängelt.
Aber zugegeben: Ich selbst bin auch schnell dabei, andere mit Imperativen und Anweisungen zu
überziehen Genieß den Tag! Sei doch spontan! Mach dich mal locker! Solche Sprüche könnten
wirklich Quatsch sein - dieses Reinreden ins Leben anderer.
Eine Ausnahme gibt es: wenn Ratschläge Unterbrecher sind! Wenn eine Empfehlung irritiert
und einen alten Trott, ein besinnungsloses Weiter-So, den Sog ungesunder Gewohnheiten oder
ein fremdbestimmtes Mitlaufen unterbricht. Die Chance wäre ein Innehalten, Umschauen,
Nachdenken und der Impuls, Neues zu probieren. Darum geht es den Weisungen, die wir heute
in unserem Predigttext antreffen.
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Literatur:
Hartmut Rosa, Unverfügbarkeit, Wien - Salzburg, 2020 (7. Auflage).

Autor:
Jörg Dittmar, Dekan (geb. 1969)
Leitung Dekanatsbezirk Kempten/Allgäu (ELKB)
St.-Mang-Platz 2
87435 Kempten/Allgäu
Tel. 0831-25386-51
Fax. 0831-25386-59
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