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Sammelbesprechung
Anna Henkel / Henning Laux / Fabian Anicker (Hrsg.), Raum und Zeit. Soziologi-
sche Beobachtungen zur gesellschaftlichen Raumzeit. 4. Sonderband der
Zeitschrift für Theoretische Soziologie. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2017,
284 S., br., 39,95 €
Setha Low, Spatializing Culture. The Ethnography of Space and Place. London/
New York: Routledge 2016, 263 S., kt., 34,79 €
Susann Schäfer / Jonathan Everts (Hrsg.), Handbuch Praktiken und Raum. Human-
geographie nach dem Practice Turn. Bielefeld: transcript 2019, 396 S., kt., 29,99 €
Besprochen von Univ. Prof. Dr. Simon Güntner: Institut für Raumplanung, Forschungsbereich
Soziologie, TU Wien, E ˗ Mail: simon.guentner@tuwien.ac.at und ao. Univ. Prof. Dr. Alexander
https://doi.org/10.1515/srsr-2020-0066
Die Raumsoziologie hat sich in den vergangenen Jahren als eigenständiges For-
schungsfeld etabliert, das von einer ontologischen, epistemologischen und me-
thodologischen Vielfalt gekennzeichnet ist (vgl. Müller, 2015). Die vorliegende
Sammelbesprechung hat zum Ziel, anhand ausgewählter Veröffentlichungen die
aktuellen Themen und Debatten in diesem Feld nachzuzeichnen. Dazu werden im
ersten Schritt sechs Bücher vorgestellt, die im zweiten Schritt herangezogen wer-
den, um fünf Punkte zu verhandeln, die sich bei der Lektüre als verbindende As-
pekte herausstellten – auch wenn die AutorInnen nicht oder nur punktuell auf-
einander Bezug nehmen. Diese Aspekte sind das jeweilige Verständnis von Raum,
das Verhältnis von Raum und Ort, die Maßstäblichkeit (Skalarität) von Raum, die
Beziehung von Raum und Zeit sowie das Verhältnis von sozialer Praxis und ma-
OLDENBOURG Aktuelle Debatten in der Raumsoziologie 475
teriellem Raum. Auf Basis dieser Diskussion werden wir dann ein kurzes und aus-
blickendes Resümee ziehen.
schiedene, teilweise schwer erhältliche Texte einem breiten Publikum zur Ver-
fügung zu stellen und vor allem einen Einblick in ihr umfangreiches Werk zu ge-
währen. Doreen Massey prägte den Diskurs über Stadt- und Regionalentwicklung
sowie über die Begriffe Raum und Ort über viele Jahrzehnte, beginnend mit ihrer
marxistisch geprägten Auseinandersetzung mit Prozessen der regionalen Re-
Strukturierung (Kapitel 5: „Regionalism: some current issues“, von 1978), mit Pro-
zessen der ungleichen Entwicklung in Großbritannien, die sie mit dem Konzept
der „spatial division of labour“ beschrieb, der frühen Betrachtung dieser unglei-
chen Entwicklung aus einer Gender-Perspektive (Kapitel 6: „A woman’s place?,
von 1984), der Berücksichtigung der Rolle von Landeigentum in der Strukturie-
rung von Wirtschaft und Gesellschaft in Großbritannien (Kapitel 4: „The analysis
of landownership: an investigation of the case of Great Britain“, von 1977), der
Kritik an wichtigen neomarxistischen Raumtheoretikern wie Ed Soja und David
Harvey aus einer feministischen Position (Kapitel 15: „Flexible sexism“), der Be-
schäftigung mit Machtverhältnissen in der Konstitution von Raum und Ort (Kapi-
tel 9: „Power-Geometry and a progressive sense of place“, von 1993; Kapitel 12:
„The geography of power“, von 2000), der Globalisierung (Kapitel 13: „Globalisa-
tion: what does it mean for geography?“, von 2002) und Möglichkeiten einer pro-
gressiven Politik (vor allem Kapitel 20: „Concepts of space and power in theory
and in political practice“, von 2009; eine Reflexion der Anwendung ihrer Idee der
Power-Geometry im Rahmen der Chavez-Revolution in Venezuela). Bekannt wur-
den ihre Formulierungen wie „geography matters“ oder „a global sense of place“,
auf die sich viele ForscherInnen aus unterschiedlichen Wissensdisziplinen bezo-
gen. Der Band umfasst zwanzig Kapitel, gegliedert nach den drei für sie wichtigen
Kategorien: Region, Place, Space, die wiederum in verschiedene Unterkapitel ge-
gliedert sind. Eine umfangreiche Bibliographie zu Doreen Massey sowie ein Index
schließen den 347 Seiten umfassenden Band ab.
Anlass für das von Marc Diebäcker und Christian Reutlinger herausgegebene
Buch „Soziale Arbeit und institutionelle Räume“ war ihr gemeinsames Interesse
am Verhältnis von gebautem und sozialem Raum in Einrichtungen der Sozialen
Arbeit. Dabei geht es ihnen um das Verstehen der in solchen Einrichtungen statt-
findenden sozialen Praktiken der sich daraus ergebenden Raumbildungen. Sie
wollen mit ihrem Ansatz einen Beitrag zur institutionellen Raumforschung in Be-
zug auf die Soziale Arbeit leisten. Im Fokus ist dabei die sozialarbeiterische Praxis
an (und mit) diesen Orten und nicht die Frage, wie sich gebauter Raum auf Han-
deln und Wahrnehmungen der AkteurInnen auswirkt. Letzteres weisen sie einlei-
tend als zu deterministisch und vereinfachend zurück. Weiterhin wollen sie die in
der Sozialen Arbeit oft diskutierte, aber überwiegend auf Freiräume bezogene So-
zialraumorientierung auf die Erforschung von Innenräumen, in diesem Fall Ein-
richtungen der Sozialen Arbeit, anwenden. Die Erforschung von institutionellen
OLDENBOURG Aktuelle Debatten in der Raumsoziologie 477
schung und stellt auch seinen eigenen Ansatz der „Geosoziologie“ vor. Im zwei-
ten Teil thematisiert er Zusammenhänge zwischen Raum und Zeit, Wohnen, Mo-
bilität, Kultur und Wissen. Räume der Schule, der Religion und des Sports (als
Beispiele für „gebaute Räume“) stehen im Mittelpunkt seiner Ausführungen in
Teil drei. Im letzten Teil diskutiert Schroer den Begriff „Grenze“ kritisch, vor al-
lem die Bedeutung von Grenzen in der Stadt und Architektur. Das Buch umfasst
269 Seiten inklusive Textnachweise. Die Literaturangaben befinden sich am Ende
jedes einzelnen Aufsatzes.
Der von Anna Henkel, Henning Laux und Fabian Anicker zusammengestellte
Sonderband „Raum und Zeit“ der Zeitschrift für Theoretische Soziologie (4. Son-
derband) zielt auf die Vermessung des Forschungsfeldes „Raum und Zeit der Ge-
sellschaft“, dessen Entstehen die HerausgeberInnen beobachten und in das sie
sich in den vergangenen Jahren mit eigenen Beiträgen eingeschrieben haben. Der
Band umfasst 284 Seiten und stellt neben der Einleitung zehn Aufsätze zusam-
men, die aus einem Symposium am Hanse Wissenschaftskolleg Delmenhorst he-
raus entstanden sind. In der Einleitung zeichnen die HerausgeberInnen zwei
Stränge dieses Feldes nach: Zum einen sind dies theoretische Entwürfe zum Ver-
hältnis von Raum und Zeit und zur gesellschaftlichen Raumzeit, zum anderen
empirische Untersuchungen zur Materialisierung von Räumen und Zeiten. Beiden
Zugängen wird jeweils ein Teil des Bandes gewidmet. Teil 1 „Gesellschaftliche
Raumzeit? Zum Verhältnis von Raum und Zeit“ versammelt drei sich bestens er-
gänzende Beiträge von Gesa Lindemann, Gunter Weidenhaus und Heike Delitz.
Mit dem Konzept des „sozialen Resonanzraums“ erweitert Gesa Lindemann die
vornehmlich gegenwartsbezogenen Sozial- und Raumtheorien um die Dimension
478 Simon Güntner und Alexander Hamedinger OLDENBOURG
der Zeitlichkeit. Sie zeigt an alltagsbezogenen Beispielen wie dem Ausfüllen eines
Überweisungsscheins, dem Abwasch und dem Einkauf, dass eine handlungsrele-
vante Präsenz Anderer sich nicht auf das physische und zeitliche Hier und Jetzt
beziehen muss. Gunter Weidenhaus führt in das Konzept der „sozialen Raumzeit“
ein und entfaltet dieses am Beispiel von Biografien. Heike Delitz stellt in ihrem
Beitrag die Bergson’sche Philosophie des sozialen Werdens sowie von dieser in-
spirierte soziologische Theorien vor. Dort wird nicht die Veränderung einer sozia-
len Ordnung zum Problem, sondern deren Fixierung in Raum und Zeit. Architek-
tur wird dabei zum materiellen Ausdruck gesellschaftlicher Imagination und bie-
tet sich entsprechend als Ausgangspunkt soziologischer Zeitdiagnose an. Im
Teil 2 „Zur gesellschaftlichen Materialisierung von Räumen und Zeiten“ sind Bei-
träge von Anna Henkel, Markus Schroer, Hans Peter Hahn, Nicole Burzan, Carsten
Ochs, Henning Laux und ein gemeinsamer Aufsatz von Uwe Schimank, Michael
Walter und Lydia Welbers zusammengestellt. Herausgehoben sei Anna Henkels
Auseinandersetzung mit der „kontingenten Materialität des Raums“, die sie über
den Begriff der „Terra“ in ihrer „um Aufmerksamkeit für Materialität erweiterten
Systemtheorie“ (117) führt. „Terra“ ist dabei ein eigenstandsloser Begriff, der bis
ins 19. Jahrhundert auf eine „plurale Materialität“ (eine spezifische Verbindung
von Feuer, Wasser, Erde und Luft) verwies, mit der Modernisierung hingegen
dann eine Differenzierung in „drei separat verdinglichte Materialitäten“ – Boden,
Raum und Bodenfruchtbarkeit – erfuhr. Die jeweilige Verdinglichung hängt wie-
derum mit spezifischen Formen der Mobilisierung zusammen; und die „multiplen
Mobilisierungen der Moderne“ (123) bergen, so führt die Autorin abschließend
aus, tiefgreifendes gegenwartsanalytisches Potential.
Das von Susann Schäfer und Jonathan Everts herausgegebene Handbuch
„Praktiken und Raum“ stellt neben dem einleitenden Beitrag vierzehn Aufsätze
zusammen und umfasst 396 Seiten. Es ist aus einem zweijährigen kollektiven
Schreibprozess heraus entstanden und versteht sich als Ideengeber, Nachschla-
gewerk und Stütze (8). Ein Beitrag von Klaus Geiselhart, Jan Winkler und Florian
Dünckmann („Vom Wissen über das Tun“) bildet gemeinsam mit einem Aufsatz
von Theodore Schatzki (auf dessen Werk sich alle hier zusammengestellten Posi-
tionen beziehen) einen ersten, als Überblick angelegten Teil des Buches. Im zwei-
ten Teil führen Beiträge von Benedikt Schmid, Jens Reda, Lars Kraehnke und Ra-
phael Schwegmann („The Site of the Spatial – eine praktikentheoretische Erschlie-
ßung geographischer Raumkonzepte“) sowie Christiane Stephan und Judith
Wiemann („Praktikentheoretische Perspektiven von Zeit und Zeitlichkeit“) in die
Grundkategorien „Raum“ und „Zeit“ ein. Im dritten Teil befassen sich drei Auf-
sätze mit verschiedenen Fragen des sozialen Wandels, in Teil 4 geht es ebenfalls
in drei Aufsätzen um unterschiedliche Facetten der Subjektivierung. In den bei-
den Beiträgen in Teil 5 werden praxeologische Zugänge auf Wirtschaftsgeogra-
OLDENBOURG Aktuelle Debatten in der Raumsoziologie 479
phie und räumliche Planung vorgestellt. Der abschließende Teil 6 widmet sich
mit zwei Aufsätzen der empirischen Operationalisierung von praxistheoretischen
Forschungsansätzen. Raumtheoretisch und -soziologisch besonders ergiebig sind
darin v. a. die Ausführungen von Schmid et al., die sich für die Materialisierung
(als Verbindung von Materialität und Performanz) von Raum interessieren und
mit einem „site-ontologischen“ Ansatz die Konzepte „place“, „network“, „scale“,
„territory“ betrachten. Weiterhin sind Jonathan Everts Überlegungen zur „raum-
zeitlichen Ausdehnung“ von Praktiken hervorzuheben sowie Matthew Hannahs
Konzept der (räumlich) gerichteten Aufmerksamkeit, welches er in einem kurzen
Interview erläutert und mit der knappen Formel „turning is the new moving“ zu-
sammenfasst.
2. Diskussion
Die folgende Diskussion zielt darauf, die Raumkonzepte der vorliegenden Ver-
öffentlichungen zu explizieren und über den Vergleich in Bezug zueinander zu
setzen. Dazu werden Fokussierungen vorgenommen, die sicher den vielschichti-
gen Beiträgen nicht umfassend Rechnung tragen können, aber unseres Erachtens
einerseits eine Fährte legen, die zum Weiterlesen in den Texten einlädt und ande-
rerseits auch ihren Beitrag zum soziologischen Verständnis von Raum und räum-
lichen Phänomenen herausstellt. Zum Einstieg werden wir – notwendigerweise
selektiv und beispielhaft – das den Texten zugrundeliegende Verständnis von
Raum darstellen. Im nächsten Schritt wird dann der Blick auf das Verhältnis von
Raum und Ort gerichtet. Wenn in der Raumsoziologie über die Produktion, Kon-
stitution oder Konstruktion von Räumen nachgedacht wird, geht es im theo-
retisch-konzeptionellen Ergebnis und in der empirischen Überprüfung stets
(auch) um konkrete Orte, die geschaffen, imaginiert oder gelebt werden. In diesen
Konzeptualisierungen und der empirischen Erforschung von Orten spielen weiter-
hin die Maßstäblichkeit bzw. Skalarität und das Wechselverhältnis von sozialem
und materiellem Raum eine wichtige Rolle. Ihnen widmen wir uns ebenso wie
schließlich auch dem Verhältnis von Raum und Zeit bzw. von Räumlichkeit und
Zeitlichkeit, denn sowohl in der Definition und theoretischen Auseinanderset-
zung mit Raum als auch in der Begründung für relationale Raumbegrifflichkeiten
beziehen sich alle hier behandelten Werke auch auf Zeitkonzepte und gegenwär-
tige Veränderungen in Zeit- und Raumstrukturen.
480 Simon Güntner und Alexander Hamedinger OLDENBOURG
2.1 Raumkonzepte
Martina Löw, Doreen Massey), und andererseits die Rolle von Körpern in der Kon-
stitution von Raum betonen (u. a. Martina Löw). Massey‘s Konzeption von Raum
ist relational und prozessorientiert. Raum ist laut Massey nicht statisch oder ab-
solut, sondern konstituiert sich aus sozialen Beziehungen und Interaktionen –
„always in a process of becoming“ (Massey (von 1999) zitiert nach Christophers
et al.: 306). Daher spiegelt Raum auch immer Machtverhältnisse. Die Möglichkeit
der Existenz von Multiplizität ist für sie ein weiteres Kennzeichen von Raum. Das
Raumverständnis von Massey ist somit radikal – sie bricht mit geographischen
und sozialen Grenzziehungen, mit der Suche nach eindeutigen Identitäten für
Orte, mit der Reduktion von Raum auf Fläche und damit mit dem Newton‘schen
Essentialismus.
Ähnlich – wenngleich weniger marxistisch als Massey – argumentieren Die-
bäcker und Reutlinger (24), wenn sie „Soziale Arbeit in Einrichtungen raumrela-
tional“ erfassen wollen. In die Begründung ihrer These, dass räumliche Aneig-
nungsmöglichkeiten für die NutzerInnen solcher Einrichtungen bedeutsam sind,
flechten sie die handlungstheoretisch informierte Raumtheorie von Martina Löw
ein. Allerdings beziehen sich die beiden Autoren dann vor allem auf die Arbeiten
von Erving Goffmann und Michel Foucault, um institutionelle Räume der Sozia-
len Arbeit erforschen zu können. Wie Goffmann, Foucault und etwa Löw systema-
tisch aufeinander bezogen werden können, bleibt dabei leider offen.
Schroer warnt dagegen vor einer „Verabsolutierung des relationalen Raum-
verständnisses“ (13) in der Soziologie. Und zwar deswegen, weil das Behälter-
raumverständnis Grenzziehungen etwa im politischen Kontext ermöglicht. Sei-
ner Ansicht nach werden heutzutage Grenzziehungen, die Definition von einem
Innen und Außen, in verschiedenen Kontexten wieder wichtiger. Immer wenn
es um Verhältnisse von Macht und Raum gehe, so Schroer, spielt das Behälter-
raumkonzept eine wichtige Rolle. In expliziter Abgrenzung von Massey meint
Schroer (14):
„Einer Perspektive, die einseitig betont, dass Räume immer wieder neu her-
vorgebracht werden, also ständig im Werden begriffen sind, ist zu erwidern, dass
jede Produktion zu einem – wenn auch noch so vorläufigen – Abschluss kommt:
auch die Raumproduktion. Wenn es also das Produzieren von Raum gibt, dann
gibt es auch das Produkt Raum. Zwar mögen Räume niemals ein für alle mal fer-
OLDENBOURG Aktuelle Debatten in der Raumsoziologie 481
tig, starr und unveränderbar sein. Aber Räume sind eben auch nicht permanent
im Fluss und beliebig veränderbar“.
Schroer plädiert dafür, nicht nur eine einzige raumtheoretische Konzeptuali-
sierung zu verfolgen, denn Räume seien eben gleichzeitig starr und dynamisch. Er
will ein Verständnis des Raumes entwickeln, das dem „Raumdeterminismus“ des
Behälterraumansatzes und dem „Raumvoluntarismus“ des relationalen Ansatzes
entkommt. Allerdings argumentiert er zugleich gegen ein Behälterraumverständ-
nis z. B. in der Erforschung von benachteiligten Stadtquartieren, da es die Lebens-
Das Verhältnis von Raum und Ort ist ein wichtiger Bestandteil jeder sozialwissen-
schaftlichen Konzeptualisierung von Raum. Ein „Ort“ wird als ein besonderes
räumliches Arrangement angesehen, das sich durch spezifische Qualitäten aus-
zeichnet. In diesem Verhältnis zeigt sich einerseits, wie der Zusammenhang zwi-
schen allgemeinen gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen und der
(Re)Produktion, Gestaltung und Konstruktion von konkreten Orten gedacht wird
und andererseits, wie Strukturen und Handeln an einem konkreten Ort aus sozial-
theoretischer Sicht aufeinander bezogen werden.
Ganz grob kann zwischen Raum-Positionen unterschieden werden, die
– den Ort als „Meso-Ebene“ in einer Makro-Meso-Mikro-Logik des Raumes ver-
stehen (vgl. Dangschat, 2007 zum „Habitus des Ortes“),
– den Ort als konkret erfahrbare, auch geographisch abgrenzbare räumliche
Situation begreifen, an der sich Sinnstrukturen zeigen (vgl. Löw, 2018 zur
„sinnverstehenden Stadtsoziologie“) und
– in einer marxistisch geprägten Interpretation den Ort als Produkt von öko-
nomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen verstehen, mit anderen
Worten als ein Ergebnis einer Raumproduktion, die kapitalistisch ist (vgl.
Harvey, 1996).
Setha Low nimmt in ihrem Buch noch weitere Differenzierungen vor. Sie unter-
scheidet zwischen Konzepten, die
– Raum und Ort als getrennt betrachten oder nur auf eine der beiden Katego-
rien fokussieren,
482 Simon Güntner und Alexander Hamedinger OLDENBOURG
– Überlappungen zwischen Raum und Ort, die aber separate Konstrukte sind,
feststellen (z. B. im Kontext von translokalen Räumen),
– Raum als umfassendere Kategorie betrachten, die Orte beinhaltet (z. B. das
Globalisierung) oder
– Raum und Ort als deckungsgleich betrachten (Low: 14f.).
Im Einleitungskapitel von „Spatializing Culture“ wird deutlich, dass sie selbst mit
Ort bzw. „place“ konkrete Orte meint, die kulturell bedeutsam sind (z. B. der Uni-
Laux/Anicker): 25 unter Verweis auf Schmitz, 1965: 120) und ist „der Raum, in
dem sich kontinuierlich dreidimensional ausgedehnte Körper abheben“ (ebd.).
Dabei ist der Ort „von den Objekten und der möglichen Anwesenheit eines leib-
lichen Richtungsraums an diesem Ort unterschieden“ (ebd.: 26). In der Mobilities-
Forschung wiederum, so fasst Anna Henkel zusammen, scheint „Ort […] der Mobi-
lität als zwar statische, aber abstrakte Kategorie“ gegenübergestellt zu werden
(Henkel (in Henkel/Laux/Anicker): 119). Die Statik sei jedoch nicht im Raum fi-
xiert, denn „gar die Orte werden mobil, als eine soziale Heimat“, die „in eine neue
Welt weitgehend mitgenommen werden kann“ (ebd.: 120).
Orte, so betonen z. B. Setha Low und Doreen Massey und auch die praxistheoreti-
schen Beiträge, sind nicht durch klare Grenzen gekennzeichnet, sondern mit an-
deren räumlichen Konfigurationen verbunden. Massey führt hierzu aus:
„Instead, then, of thinking of places with boundaries around, they can be
imagined as articulated moments in networks of social relations and understan-
dings, but where a large proportion of those relations, experiences and understan-
dings are constructed on a far larger scale than what we happen to define for that
moment as the place itself“ (Massey (von 1991) zitiert nach Christophers et al.: 17).
Allerdings spielt für Doreen Massey Multiskalarität in der Raumkonstruktion
eine wichtigere Rolle als bei Low. Schon früh hat sie sich mit dem Zusammenhang
zwischen der Globalisierung und der Konstitution von Orten auseinandergesetzt.
So plädiert sie 1993 für „a really global sense of place“ (zitiert nach Christophers
et al.: 155). Damit negiert Massey die Vorstellung, dass ein Ort („place“) klare
Grenzen und eine einzige Identität aufweist (letzteres in klarer Abgrenzung von
Heidegger, hierzu auch Malpas, 2006: 18). Sie spricht von multiplen Identitäten,
die Orte für unterschiedliche Menschen haben können. Konsequenterweise ist das
Hauptargument ihres „progressive sence of place“ die Verknüpfung von Orten mit
Raum, mit anderen Worten „it would be precisely about the relationship between
place and space“ (Massey (von 1993) zitiert nach Christophers et al.: 157). Raum ist
laut Massey allerdings nicht eine abstrakte Form, sondern eine Form der Koexis-
tenz von sozialen Beziehungen und Interaktionen nach allen geographischen
Maßstäben. Ein Ort formt sich dann sowohl aus dem Set von sozialen Beziehun-
gen und Interaktionen, die für diesen einen Ort spezifisch sind und wiederum
neue soziale Effekte erzeugen, als auch aus den Interaktionen dieser ortsspezi-
fischen Sets mit anderen Orten.
Ein interaktionstheoretischer Zugang zur Definition von Orten zeigt sich auch
in den empirischen Analysen von institutionellen Räumen der Sozialen Arbeit bei
484 Simon Güntner und Alexander Hamedinger OLDENBOURG
Diebäcker und Reutlinger. Dabei ist für sie „Ort“ der konkret abgrenzbare Ort em-
pirischer Forschung (sie sprechen an manchen Stellen davon, dass etwas „vor
Ort“ passiert, z. B. ebd.: 38). Ebenso argumentieren sie multiskalar, da die Herstel-
lung solcher Orte für sie nicht nur auf der Mikro-Ebene des konkreten institutio-
nellen Raumes stattfindet, sondern auch durch die Einbindung in überlokale Dis-
kurse und institutionelle Arrangements und auch in Lagebeziehungen im topo-
grafischen Raum der Gemeinde oder Stadt:
„Die analytische Unterscheidung nach unterschiedlichen Maßstabsebenen
(scales) hilft dabei, die Konstituierungsprozesse und Wechselwirkungen zwi-
schen unterschiedlichen Struktur- und Handlungsebenen nachvollziehen zu kön-
nen“ (ebd.: 40).
Um diese zu erschließen, sprechen sie in ihrer programmatischen Skizze zur
Erforschung institutioneller Räume vom „Hoch- und Hinaufgehen“ (ebd.: 174ff.).
Scales werden hingegen in der von Theodore Schatzki entwickelten praxis-
theoretischen „Site-Ontologie“ explizit nicht hierarchisch bzw. vertikal, sondern
horizontal als „raumzeitliche Ausdehnung von Praktikenzusammenhängen“ ge-
dacht und „gleichzeitig als soziale Konstruktion und als Materialisierung sozialer
Praxis konzeptualisiert“ (Schmid et al. (in Schäfer/Everts): 124). Zur räumlichen
Verortung eines Untersuchungsgegenstandes wird dort der Begriff „Site“ einge-
führt, als „Ort, an dem Praktiken und Arrangements und damit auch menschliche
Leben miteinander verwoben werden“ (Schmid et al. (in Schäfer/Everts): 99 unter
Verweis auf Schatzki, 2002: 146ff.). „Site“ ist somit eine „‚Aussichtsplattform‘,
von der aus es möglich ist, die vielfältigen Räumlichkeiten des Sozialen zu be-
trachten“ (ebd.: 100).
wie auch des ‚gebauten und ausgestalteten‘ Raumes bzw. in deren Wechselwir-
kungen zueinander erschlossen werden.“
Auch Markus Schroer geht in seinen Ausführungen zum gebauten Raum von
einem Wechselverhältnis aus. Wichtiger Bezugspunkt für ihn ist dabei die soziale
Morphologie von Émile Durkheim und Maurice Halbwachs:
„Da die von Halbwachs betriebene soziale Morphologie grundsätzlich davon
ausgeht, dass sich gesellschaftliche Strukturen in die materielle Welt einschrei-
ben, erweist sie sich als zentrale theoretische Grundlage für eine Soziologie des
Raumes, der Stadt und der Architektur“ (XI).
An anderer Stelle konterkariert er allerdings diese „verführerische allzu
schlichte Vorstellung“ (19). Das Wechselverhältnis zwischen physischem und so-
zialem Raum müsse von „Fall zu Fall“ überprüft werden. Das Denken in Wechsel-
verhältnissen verhindere einseitige Argumentationen etwa im Sinne eines Raum-
determinismus. Nicht der Raum an sich determiniere demnach Interaktionen, so
führt er unter Verweis auf Simmel und Halbwachs aus, sondern die ihm zu-
geschriebenen Bedeutungen (19).
Schroer spricht indes weniger von einem Wechselverhältnis, sondern von
„Verschränkungen“. Er will einen „neomaterialistischen Raumbegriff“ (98) ent-
wickeln, ein Vorhaben, das er allerdings nur teilweise einlöst. Nur wenn „Geo-
praktiken“ (z. B. Landvermessung, Erdbohrungen, urban gardening etc.), die im
thematisiert werden. Der physische Raum sind bei ihm der Boden, die Natur oder
die geographischen Verhältnisse, die einen Einfluss auf soziale Ordnungen und
soziales Verhalten haben. Unklar bleibt an dieser Stelle sein Verständnis von
„Verschränkungen“ und damit, wie er dem von ihm selber erwähnten „Raumde-
terminismus“ entkommen will. Weiterhin spricht er von der Notwendigkeit der
„Biologisierung“ oder „Geographisierung“ der Soziologie (114). Was damit ge-
meint ist, bleibt offen. Es scheint, dass seine Geosoziologie sehr viel umfasst:
„Die Geosoziologie im hier verstandenen Sinne umfasst eine Soziologie der
Erde, der Natur und Kultur, der Räume, der Grenzen und der Territorialität, der
Architektur, des Wohnens und des Wissens“ (115).
In seinen früheren Arbeiten zum „Raum der Schule“ (181ff.) argumentierte er
hingegen noch, angelehnt an die Raumsoziologie von Martina Löw, konstruktivis-
tisch sowie, unter Rückgriff auf Erwin Goffmann, sozialpsychologisch. Räume
sind dort nicht „ontische Orte“ (188), sondern Sinnlieferanten für soziale Situatio-
nen, deren Interpretation wiederum individuell oder gruppenspezifisch variiert.
Hier argumentiert er klar raumrelational, aber nicht raumvoluntaristisch, wie er
sagt. Vielversprechend sind zudem seine Hinweise auf die Figurationssoziologie
von Norbert Elias, die für das Verstehen von raumzeitlichen Veränderungsprozes-
486 Simon Güntner und Alexander Hamedinger OLDENBOURG
sen hilfreich sein könnten (194). Schroers Geosoziologie ist auch ein Bezugspunkt
in Anna Henkels Betrachtungen zur Differenzierung, Verdinglichung und Mobili-
sierung der „Terra“ (Henkel in Henkel/Laux/Anicker). Wenn sie u. a. mit Verwei-
sen auf Düngemittel, Rollrasen und Baustoffe die vielfältigen Formen der Mobili-
sierung von Boden beschreibt, wird dessen „verdinglichte Materialität“ (ebd.: 121)
greifbar und ein soziologischer Zugang zu damit verbundenen Problemen wie
z. B. Landraub eröffnet.
Raum und Zeit werden in der Soziologie eher selten aufeinander bezogen (Aus-
nahmen bestätigen wie so oft die Regel, so z. B. Foucault, 2006; Giddens, 1988;
Lefebvre, 1991). In der Einleitung zu „Raum und Zeit“ konstatieren Henning Laux,
Anna Henkel und Fabian Anicker, dass „der Zeitdimension seit jeher eine kon-
zeptbildende Bedeutung“ zukommt (Laux/Henkel/Anicker: 3), der Raum hin-
gegen erst in jüngerer Zeit thematisiert wird, und zwar als eigenständige Katego-
rie, „die gerade nicht in der Zeit aufgeht“ (ebd.: 5). Markus Schroer sieht gar ein
antagonistisches Verhältnis zwischen den beiden:
„Als alter Widersacher des Raums erscheint traditionell die Zeit. Während
Zeit traditionell für das Mobile, Dynamische und Progressive, für Veränderung,
Entwicklung und Geschichte steht, steht Raum für Immobilität, Stagnation und
das Reaktionäre, für Stillstand, Starre und Festigkeit“ (Schroer: 19f.).
Dass die Überwindung dieser konzeptionellen Trennung geboten ist, um eine
mobile und beschleunigte Gesellschaft und den sozialen, ökonomischen, politi-
schen und vor allem technologischen Wandel zu verstehen, ist allerdings nahe-
liegend und wird in den hier vorliegenden Werken auch betont. Die Inbezug-
setzung von Raum und Zeit erfolgt indes auf unterschiedliche Weise.
Um das Verhältnis von Raum und Zeit auszuloten, greifen einige Arbeiten auf
das der Relativitätstheorie entlehnte Konzept der „Raumzeit“ zurück – so z. B.
sätzen, kommt sie zur Überzeugung, dass Raum und Zeit eben nicht dichotom
gedacht werden können (vgl. Massey (von 1992) nach Christophers et al.: 265ff.):
„Space is not static, nor time spaceless. Of course spatiality and temporality
are different from each other, but neither can be conceptualized as the absence of
the other (Massey (von 1992) zitiert nach Christophers et al.: 274).
Demnach können Raum und Zeit nicht getrennt betrachtet werden. In der
sozialen Produktion von Raum wird gleichsam Geschichte gemacht. Und das
OLDENBOURG Aktuelle Debatten in der Raumsoziologie 487
konzept verbinden (ebd.: 48) und von Georg Franck (2002), der chronologische
Zeit mit physischem Raum in Verbindung setze. In beiden Fällen sieht er keine
wechselseitige Beeinflussung, was er für die von ihm betrachteten Modi vermutet
und empirisch prüft. Auf Basis von Biographien arbeitet er „drei idealtypische
raumzeitliche Weltverhältnisse für die deutsche Gegenwartsgesellschaft“ (ebd.:
63) heraus. Die konzentrisch-lineare Raumzeit wird als „Referenztypus für die
Weltbezüge der Subjekte in der Moderne“ und den „institutionalisierten Lebens-
lauf“ angesehen, die netzwerkartig-episodische Raumkonstitution mit dem spät-
modernen „Raum der Ströme“ in Verbindung gebracht und der inselhaft-zykli-
sche Typus mit Exklusionsprozessen.
Auch Heike Delitz nimmt „die temporale Qualität des Sozialen“ in den Blick
(Delitz (in Henkel/Laux/Anicker): 74). Ihre Grundthese lautet:
„Das Soziale besteht in ständiger Veränderung; gerade deshalb müssen sich
Kollektive als diese bestimmte Gesellschaft fixieren, sich instituieren, ihre Subjekte
zeitlich und räumlich einteilen und zuordnen“ (ebd.: 75, H.i.O.).
Delitz unterscheidet mit Bergson zwei Verständnisse von Zeitlichkeit, „durée“
und „temps“, und mit ihnen zwei „differente Arten von Vielfalt“. Die Fokussie-
rung auf Dauer ermöglicht es dabei, „das Neue, das Ereignis oder die Differenz
als solche zu denken“ (ebd.: 80), wie es in folgendem Zitat von Henri Bergson zum
Ausdruck kommt:
„[…] der Halt ist nur die Momentaufnahme eines Übergangs, und dieser ist die
Realität selbst“ (Bergson, 1972: 1418, zitiert in Delitz: 80).
Ein weiterer Leitbegriff in ihrem Beitrag ist der „élan vital“, der darauf ver-
weist, dass „Leben in ständiger Veränderung, im Werden besteht“ (ebd.: 81). Ge-
sellschaftstheoretisch werden somit „zeitliche und räumliche Fixierungen des
Werdens“ (ebd.: 87) und Gesellschaften als „imaginäre Institutionen“ relevant:
„Gesellschaften konstituieren sich nur, sofern sie sich als mit sich identisch ima-
ginieren, sich die unaufhörliche Veränderung verleugnen, in der sie bestehen“
(89). Diese Konstitution bzw. Instituierung findet einen je spezifischen räumli-
chen Ausdruck:
„Analytisch unterscheiden sich Gesellschaften auch durch die Art, wie sie die
menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen sowie Dinge einteilen, zuord-
nen, ebenso wie in der Intensität ihrer architektonischen und infrastrukturellen
Fixierung im Boden. Jede Gesellschaft hat ihren sozietalen Raum – einen ‚glatten‘
oder ‚gekerbten‘, verstreuten oder konzentrierten; und eine bestimmte architekto-
nische Gestalt – eine vertikale, flache, harte oder weiche, wie sie Zelte oder aber
Hochhäuser mit ihren Materialitäten, Sichtbarkeiten und Affekten erzeugen“
(ebd.: 90).
Bergsons „Immanenzontologie“ (ebd.: 80) ist auch ein Referenzpunkt in den
von Christiane Stephan und Judith Wiemann zusammengestellten praxistheoreti-
OLDENBOURG Aktuelle Debatten in der Raumsoziologie 489
vor, das Zeitspannen, Zeitpunkte und Abläufe unterscheidet sowie das von Theo-
dore Schatzki entwickelte existenzialistische Konzept der „timespace“, das Zeit
und Raum als „inhärent miteinander verbundene und konstitutive Dimensionen“
begreift (Schatzki, 2010: xi, zitiert nach Stephan/Wiemann: 142). In diesem Ver-
ständnis liegen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht chronologisch
nacheinander, „sondern parallel zueinander in Praktiken“: als Ziel (Zukunft), Mo-
tivation (Vergangenheit) und „das Handeln selbst“ (Gegenwart) (ebd.: 142f.). Wei-
terhin nutzen sie Henri Lefebvres Konzept der Rhythmusanalyse und dessen pra-
xistheoretische Interpretation durch Stanley Blue (2017), um die zeitliche Verbin-
dung von Praktiken zu betrachten, die arrhythmische (asynchron und störend)
und eurhythmische (synchron und einander ergänzend) Aspekte aufweisen kann
(ebd.: 148).
3. Zusammenfassendes Resümee
Alle sechs hier diskutierten Werke basieren auf tiefgehenden und differenzierten
Konzeptualisierungen von „Raum“ und illustrieren die Ergiebigkeit dieses For-
schungsfeldes eindrücklich. Die Tiefe zeigt sich u. a. in der philosophischen Grun-
dierung einiger Beiträge (beispielhaft seien die Bezüge zu Bergson bei Massey
und Delitz, zu Heidegger bei Low, zu Plessner bei Weidenhaus, Plessner und
Schmitz bei Lindemann genannt; eine kritische Verhandlung der mitunter streit-
baren und widerstreitenden Ontologien steht noch aus, hierzu etwa Bourdieu,
2015; Malpas, 2006) sowie in der akribischen Rekonstruktion der Raumkonzepte
in sozialwissenschaftlichen Konzepten und Theorien v. a. bei Markus Schroer. Die
Reflexion der Ergebnisse seiner Suche veranlasst ihn, das Feld neu und im Sinne
einer Geosoziologie zu fassen. Er spricht sich für die Entwicklung eines neomate-
rialistischen Raumbegriffs aus, wie sie auch in den praxistheoretischen Zugängen
diskutiert wird. Hier könnte sich der Beginn eines „Perspektivenstreits“ abzeich-
nen, wie er für die Stadtsoziologie vor einigen Jahren konstatiert wurde und mit
der Ausbildung einer eigenständigen deutschsprachigen Raumsoziologie einher-
ging (vgl. Frank et al., 2013): Geht es um eine (soziologische) Definition von
Raum, Orten (hier wäre indes von einer „Ortssoziologie“ zu sprechen) oder Räum-
lichkeit? Oder geht es um das räumlich sensibilisierte Verstehen sozialer Praxis,
gesellschaftlicher Strukturen und sozialen Wandels?
Weiterhin bemerkenswert erscheint die geradezu selbstverständliche Inter-
disziplinarität in diesem Feld und ebenfalls die Bandbreite an empirischen Fall-
studien, die hier allerdings nicht betrachtet werden konnten. Einige auch institu-
490 Simon Güntner und Alexander Hamedinger OLDENBOURG
tionelle Entwicklungen lassen erwarten und hoffen, dass in den kommenden Jah-
ren sowohl die empirische Forschung wie auch die theoretische Debatte noch in-
tensiviert werden, so u. a. die Einrichtungen des DFG-Sonderforschungsbereichs
1265 „Re-Figuration von Räumen“ an der TU Berlin, die sich zunehmend etablie-
rende und auch in der Soziologie verankerte kritische Infrastrukturforschung, das
zunehmende Interesse an interdisziplinärer Wohnforschung oder auch und nicht
zuletzt die Besetzung soziologischer Lehrstühle mit raumsoziologisch versierten
und affinen WissenschaftlerInnen.
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