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Ulrich Harten

Physik
für Mediziner
16. Auflage
Physik für Mediziner
Ulrich Harten

Physik für Mediziner


16., überarbeitete Auflage
Ulrich Harten
FG Physik, Mathematik
Hochschule Mannheim
Mannheim, Deutschland

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ISBN 978-3-662-61355-9 ISBN 978-3-662-61356-6 (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6

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Physik für Mediziner: Das Layout
Einleitung: Rechenbeispiele: Schritt für Schritt
Kurzer Einstieg ins Thema physikalische Zusammenhänge und
Berechnungen nachvollziehen

68 Kapitel 2 · Mechanik starker Körper

2.2 Kraft, Drehmoment, Energie


Besonders wichtige
2.2.1 Kräfte!
Inhalte sind durch !
hervorgehoben Der Mensch weiß aus Erfahrung, ob er sich einen
Kartoffelsack aufladen kann oder ob er dies besser
lässt; er hat ein recht zuverlässiges Gefühl für die
Kraft seiner Muskeln. Hier verwendet der Sprachge-
brauch des Alltags das Wort Kraft genau im Sinn der
Klinik: Physik.
Von der Physik zum An eine allgegenwärtige Kraft hat sich jedes
Menschen irdische Leben anpassen müssen: an die Schwer-
kraft, die Kraft des Gewichts, die jeden materiellen
Gegenstand nach unten zieht. Wer ein Buch vor
sich in der S chwebe hält, um darin zu lesen, setzt
die Muskelkraft s einer Arme gegen die Gewichts-
kraft des Buches ein. Beide Kräfte müssen sich ge-
nau kompensieren, wenn das Buch in der Schwebe
bleiben, wenn es zu keinen Bewe gungen kommen
soll.
Jede Gewichtskraft zieht nach unten; eine sie
kompensierende Gegenkraft muss mit gleichem Be-
trag nach oben gerichtet sein. Kräfte sinddemnach
Vektoren. Wie misst man ihre Beträge?

Merke:
das Wichtigste auf
den Punkt gebracht . Abb. 2.25 (Video 2.2) Ein mikroskopischer Blick auf
die Reibung (https://doi.org/10.1007/000-07w)
Praktikum:
Grundlagen für typische Versuche

2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie


69 2

Mehr als 400 farbige


Abbildungen machen die
Physik deutlich

2.5 Fragen und Übungen Verständnisfragen zum


Üben
2.5.1 Verständnisfragen

Übungsaufgaben: nach
Schwierigkeitsgrad
geordnete Fragen mit
Lösungen

In Kürze: Formeln und

Blick

Exkurs:
Hintergründe und
vertiefte Informationen
Vorwort

Die Physik handelt von den Naturgesetzen, und die galten schon, als die Erde noch
wüst und leer war. Verstöße gegen die Naturgesetze werden nicht bestraft, sie sind
gar nicht erst möglich. Das gilt auch für organisches Leben und ärztliche Kunst.
Herz und Lunge, Magen und Darm, Auge, Ohr und das ganze Nervensystem, ob
gesund, ob krank, agieren im Rahmen der Naturgesetze. Ärzte ebenso.
Deshalb muss sich ein Medizinstudent, auch wenn es nicht seine Leidenschaft ist,
mit Physik befassen. Dieses Buch versucht, das Notwendige verständlich zu präsen-
tieren, Hilfen für das Physikpraktikum zu geben und die medizinischen Anwendun-
gen aufzuzeigen.
Das Buch erläutert weiterhin alle im Gegenstandskatalog aufgeführten Lernin-
halte. Welche Sie davon in der Prüfung an Ihrer Universität tatsächlich brauchen,
müssen Sie selbst herausfinden. In der zentralen 1. ärztlichen Vorprüfung des IMPP
wird keineswegs alles gebraucht. Im Inhaltsverzeichnis und an den Kapitelüber-
schriften habe ich die besonders Vorprüfungs-relevanten Kapitel (aus den letzten 5
Jahren) für Sie mit Ausrufezeichen markiert. Die Lerntabellen, die Verständnisfragen
und die Übungsaufgaben orientieren sich ebenfalls an der Vorprüfung und an Klau-
suren an den Hochschulen. Ich möchte auch auf mein „Übungsbuch Physik für
Mediziner“ verweisen. Dort sind für die unmittelbare Prüfungsvorbereitung die
wichtigsten Themen zusammengefasst und Sie können mithilfe von Verständnisfra-
gen überprüfen, ob Sie alles verstanden haben.
Etliche Abbildungen in dieser neuen Auflage sind nun mit Videos hinterlegt, die
solche Themen behandeln, die am besten mit bewegten Bildern erklärt werden kön-
nen. Im E-Book können Sie den Link in der Legende der entsprechend markierten
Bilder direkt anklicken, beim Printbuch bekommen Sie die Videos mit der More
Media App auf ihr Smartphone. Neben den allfälligen Korrekturen gibt es in der
neuen Auflage ein paar Umstellen und Aktualisierungen auf neue Normen.
Ich danke allen Lesern, die Fehlerhinweise gegeben haben. Die Betreuung dieses
Buches im Verlag lag wieder in den Händen von Rose-Marie Doyon und Christine
Ströhla. Ihnen gilt mein besonderer Dank für die vielfältigen Hilfen.

Ulrich Harten
Frühjahr 2020
IX

Wichtige Zahlenwerte

π (Pi) π = 3,141592...
e (Euler-Zahl) e = 2,718281...
√2 √2 = 1,4142…
ln2 ln2 = 0,6931…
Fallbeschleunigung g = 9,81 m/s2
Lichtgeschwindigkeit (Vakuum) c = 299.792.458 m/s ≈3.108 m/s
Avogadro-­Konstante NA = 6,022 · 1023 mol–1
Gaskonstante R = 8,31 J/(mol · K)
Volumen eines Mol Gas (0° C, 105 Pa) 22,4 l/mol
Dichte von Wasser ρw = 1,0 kg/l
Spez. Wärmekapazität von Wasser 4,18 J/(g · K)
Schallgeschwindigkeit in Wasser 1480 m/s
Schallgeschwindigkeit in Luft 330 m/s
Elementarladung e0 = 1,602 · 1019 As
Faraday-Konstante F = 96.484 As/mol

zz Energieeinheiten
55 1 Joule = 1 Newtonmeter = 1 Wattsekunde = 1 J = 1 N · m = 1 W · s
55 Kilowattstunde = 1 kWh = 3,600 · 106 J
55 Elektronvolt = 1 eV = 1,602 · 10–19 J
55 Kalorie = 1 cal = 4,184 J

zz Druckeinheiten
55 Pascal = 1 Pa = 1 N/m2; Luftdruck: 1,013 · 105 Pa = 760 mmHg ≈ 10 Meter H2O
55 Bar = 1 bar = 1,000 · 105 Pa
55 mm-Quecksilber = 1 mmHg = 133,3 Pa
55 mm-Wasser = 1 mmH2O = 9,81 Pa
55 Atmosphäre = 1 atm = 1,013 · 105 Pa

X Wichtige Zahlenwerte

zz Kernladungszahlen Z und molare Massen M einiger natürlicher Isotopenge-


mische
Symbol Element Z M [g/mol] Symbol Element Z M [g/mol]

H Wasserstoff 1 1,0079 Na Natrium 11 22,997


He Helium 2 4,0026 Al Aluminium 13 26,8915
Li Lithium 3 6,939 Cl Chlor 17 35,475
C Kohlenstoff 6 12,0112 Ca Kalzium 20 40,08
N Stickstoff 7 14,0067 Ag Silber 47 107,868
O Sauerstoff 8 15,9994 Pb Blei 82 207,19
XI

Inhaltsverzeichnis

1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Physikalische Größen und ihre Einheiten ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Mengenangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2.1 Masse und Stoffmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2.2 Dichten und Gehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.3 Statistik und Messunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.3.1 Messfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.3.2 Mittelwert und Streumaß !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.3.3 Messunsicherheit !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.3.4 Fehlerfortpflanzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.4 Vektoren und Skalare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1.5 Wichtige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.5.1 Winkelfunktionen ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.5.2 Exponentialfunktion und Logarithmus !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
1.5.3 Potenzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
1.5.4 Algebraische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.6 In Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
1.7 Fragen und Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.7.1 Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.7.2 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

2 Mechanik starrer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27


2.1 Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.1.1 Fahrstrecke und Geschwindigkeit !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.1.2 Überlagerung von Geschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.1.3 Beschleunigung ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.1.4 Kreisbewegung ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.1.5 Bewegung von Gelenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
2.1.6 Relativ oder absolut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
2.2 Kraft, Drehmoment, Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
2.2.1 Kräfte ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
2.2.2 Gewichtskraft und Gravitation ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
2.2.3 Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
2.2.4 Arbeit und Energie !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.2.5 Kinetische Energie ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.2.6 Hebel und Drehmoment ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.2.7 Grundgleichungen des Gleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
2.2.8 Gleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
2.3 Kraft und Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.3.1 Newton’sche Gesetze !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.3.2 Impuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
2.3.3 Trägheitskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
2.3.4 Drehbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
2.3.5 Trägheitsmoment und Drehimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
XII
Inhaltsverzeichnis

2.4 In Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
2.5 Fragen und Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.5.1 Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.5.2 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

3 Mechanik deformierbarer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79


3.1 Aggregatzustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.2 Festkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
3.2.1 Struktur der Festkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
3.2.2 Verformung von Festkörpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
3.2.3 Viskoelastizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.3 Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
3.3.1 Stempeldruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
3.3.2 Schweredruck ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
3.3.3 Auftrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.3.4 Manometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
3.3.5 Pumpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
3.3.6 Kompressibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
3.3.7 Blutdruckmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
3.4 Grenzflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
3.4.1 Kohäsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
3.4.2 Adhäsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
3.5 Strömung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
3.5.1 Ideale Strömung !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
3.5.2 Zähigkeit (Viskosität) ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
3.5.3 Reale Strömung durch Rohre !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
3.5.4 Umströmung von Hindernissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
3.6 In Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
3.7 Fragen und Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
3.7.1 Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
3.7.2 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

4 Mechanische Schwingungen und Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119


4.1 Mechanische Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
4.1.1 Alles, was schwingt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
4.1.2 Harmonische Schwingungen ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
4.1.3 Gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
4.1.4 Erzwungene Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
4.1.5 Überlagerung von Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
4.2 Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.2.1 Wellenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.2.2 Harmonische Seilwellen !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4.2.3 Intensität und Energieübertragung ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
4.2.4 Stehende Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
4.2.5 Schallwellen ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
4.2.6 Schallwahrnehmung !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
4.2.7 Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
XIII
Inhaltsverzeichnis

4.3 In Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144


4.4 Fragen und Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
4.4.1 Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
4.4.2 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

5 Wärmelehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
5.1 Grundlegende Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
5.1.1 Wärme ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
5.1.2 Temperatur ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
5.1.3 Temperaturmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
5.1.4 Wahrscheinlichkeit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
5.1.5 Entropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
5.1.6 Wärmekapazität !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
5.2 Ideales Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
5.2.1 Zustandsgleichung !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
5.2.2 Partialdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
5.2.3 Energie im Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
5.3 Transportphänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
5.3.1 Wärmeleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
5.3.2 Konvektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
5.3.3 Wärmestrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
5.3.4 Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
5.3.5 Osmose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
5.4 Phasenumwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
5.4.1 Umwandlungswärmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
5.4.2 Schmelzen oder Aufweichen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
5.4.3 Schmelzen und Gefrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
5.4.4 Lösungs- und Solvatationswärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
5.4.5 Verdampfen und Kondensieren !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
5.4.6 Luftfeuchtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
5.4.7 Zustandsdiagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
5.4.8 Absorption und Adsorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
5.5 Wärmenutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
5.5.1 Wärmehaushalt des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
5.5.2 Warum kostet Energie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
5.5.3 Wärme- und Entropiehaushalt der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
5.6 In Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
5.7 Fragen und Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
5.7.1 Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
5.7.2 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

6 Elektrizitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
6.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
6.1.1 Ladung und Strom ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
6.1.2 Kräfte zwischen geladenen Teilchen ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
6.1.3 Elektrisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
6.1.4 Feld und Spannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
6.1.5 Elektrisches Potenzial ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
XIV
Inhaltsverzeichnis

6.2 Materie im elektrischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206


6.2.1 Influenz und elektrische Abschirmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
6.2.2 Elektrischer Strom ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
6.2.3 Leitfähigkeit und Resistivi tät ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
6.2.4 Permittivität (Dielektrizitätskonstante) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
6.2.5 Gasentladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
6.3 Stromkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
6.3.1 Strom und Spannung messen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
6.3.2 Leistung und Energie !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
6.3.3 Elektrischer Widerstand !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
6.3.4 Wärme bei Stromdurchgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
6.3.5 Kondensator !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
6.3.6 Feld im Kondensator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
6.3.7 Energie des geladenen Kondensators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
6.3.8 Energie des elektrischen Fel des . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
6.4 Wechselspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
6.4.1 Effektivwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
6.4.2 Kapazitiver Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
6.5 Elektrische Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
6.5.1 Widerstände in Reihe und parallel ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
6.5.2 Spannungsteiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
6.5.3 Innenwiderstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
6.5.4 Hoch- und Tiefpass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
6.5.5 Kondensatorentladung und e-Funktion !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
6.6 Elektrochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
6.6.1 Dissoziation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
6.6.2 Elektrolyte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
6.7 Grenzflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
6.7.1 Membranspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
6.7.2 Galvani-Spannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
6.7.3 Thermospannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
6.8 Elektrophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
6.8.1 Auswertung des EKG nach Einthoven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
6.8.2 Elektrische Unfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
6.8.3 Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
6.9 Magnetische Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
6.9.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
6.9.2 Kräfte im Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
6.9.3 Erzeugung von Magnetfel dern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
6.10 Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
6.10.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
6.10.2 Transformatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
6.10.3 Selbstinduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
6.10.4 Induktiver Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
6.11 Elektrische Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
6.11.1 Schwingkreis ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
6.11.2 Geschlossene elektrische Feldlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
6.11.3 Schwingender elektrischer Dipol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
XV
Inhaltsverzeichnis

6.12 In Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270


6.13 Fragen und Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
6.13.1 Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
6.13.2 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

7 Optik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
7.1 Elektromagnetische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
7.1.1 Strahlender Dipol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
7.1.2 Spektralbereiche !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
7.1.3 Wellenausbreitung ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
7.2 Geometrische Optik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
7.2.1 Lichtbündel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
7.2.2 Spiegelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
7.2.3 Brechung ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
7.2.4 Dispersion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
7.2.5 Linsen ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
7.2.6 Abbildung mit Linsen ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
7.2.7 Abbildungsgleichungen !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
7.2.8 Abbildung durch einfache Brechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
7.2.9 Auge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
7.2.10 Fehlsichtigkeit und Brillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
7.2.11 Optische Instrumente ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
7.3 Intensität und Farbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
7.3.1 Strahlungs- und Lichtmessgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
7.3.2 Optische Absorption !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
7.3.3 Farbsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
7.4 Wellenoptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
7.4.1 Polarisiertes Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
7.4.2 Interferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
7.4.3 Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
7.4.4 Dünne Schichten und Beugungsgitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
7.4.5 Beugungsfiguren und Auflösungsvermögen !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
7.5 Quantenoptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
7.5.1 Lichtquant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
7.5.2 Energiezustände und Spektren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
7.5.3 Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
7.5.4 Röntgenstrahlen !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
7.5.5 Compton-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
7.5.6 Röntgendiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
7.6 Elektronenoptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
7.6.1 Elektronenbeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
7.6.2 Elektronenmikroskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
7.6.3 Unschärferelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
7.7 In Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
7.8 Fragen und Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
7.8.1 Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
7.8.2 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
XVI
Inhaltsverzeichnis

8 Atom- und Kernphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353


8.1 Aufbau des Atoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
8.1.1 Bohr’sches Atommodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
8.1.2 Elektronenwolken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
8.1.3 Pauli-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
8.1.4 Charakteristische Röntgenstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
8.2 Aufbau des Atomkerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
8.2.1 Kernspinresonanztomografie (MRT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
8.2.2 Nukleonen und Nuklide !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
8.2.3 Massendefekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
8.2.4 Radioaktivität !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
8.2.5 Nachweis radioaktiver Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
8.2.6 Zerfallsgesetz !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
8.2.7 Kernspaltung und künstliche Radioaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
8.2.8 Antimaterie ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
8.3 In Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
8.4 Fragen und Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
8.4.1 Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
8.4.2 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

9 Ionisierende Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375


9.1 Dosimetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
9.1.1 Energie- und Äquivalentdosis !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
9.1.2 Ionendosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
9.1.3 Aktivität und Dosis !! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
9.2 Strahlennutzen, Strahlenschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
9.2.1 Radioaktive Tracer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
9.2.2 Strahlentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
9.2.3 Natürliche Exposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
9.2.4 Zivilisationsbedingte Exposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
9.2.5 Strahlenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
9.3 In Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
9.4 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
9.4.1 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

10 Antworten und Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387


10.1 ► Kap. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
10.2 ► Kap. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
10.3 ► Kap. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
10.4 ► Kap. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
10.5 ► Kap. 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
10.6 ► Kap. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
10.7 ► Kap. 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
10.8 ► Kap. 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
10.9 ► Kap. 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

Serviceteil
Physikalische Formelsammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
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Über den Autor

Ulrich Harten, Diplom-Physiker, Dr. rer. nat.,


geboren 1955, Studium der Physik in Göttingen und Stuttgart, 6-jährige
Industrietätigkeit (BASF), seit 1993 Professor an der Hochschule
Mannheim und Autor mehrerer Lehrbücher.
1 1

Grundbegriffe
Inhaltsverzeichnis

1.1 Physikalische Größen und ihre Einheiten ! – 2

1.2 Mengenangaben – 6
1.2.1  asse und Stoffmenge – 6
M
1.2.2 Dichten und Gehalte – 7

1.3 Statistik und Messunsicherheit – 9


1.3.1  essfehler – 9
M
1.3.2 Mittelwert und Streumaß !! – 9
1.3.3 Messunsicherheit !! – 12
1.3.4 Fehlerfortpflanzung – 14

1.4 Vektoren und Skalare – 15

1.5 Wichtige Funktionen – 18


1.5.1  inkelfunktionen ! – 18
W
1.5.2 Exponentialfunktion und Logarithmus !! – 19
1.5.3 Potenzfunktionen – 22
1.5.4 Algebraische Gleichungen – 23

1.6 In Kürze – 24

1.7 Fragen und Übungen – 25


1.7.1  erständnisfragen – 25
V
1.7.2 Übungsaufgaben – 25

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial,


das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_1. Die
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U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_1
2 Kapitel 1 · Grundbegriffe

Die Physik ist eine empirische und quantita- Man muss freilich sorgfältig und genau hin-
1 tive Wissenschaft; sie beruht auf Messung sehen, wenn man eine solche Darstellung
und Experiment. Daraus folgt eine intensive richtig interpretieren will.
Nutzung mathematischer Überlegungen, Die Abbildung ist einem Lehrbuch der
denn Messungen ergeben Zahlenwerte und Physiologie entnommen. Sein Verfasser setzt
die Mathematik ist primär für den Umgang als selbstverständlich voraus, dass jeder, der
mit Zahlen erfunden worden. Die Natur ist zu diesem Buch greift, ein solches ja nicht
damit einverstanden. Selbst rechnet sie zwar ganz einfache Diagramm auch „lesen“
nicht, aber wenn der Mensch ihre Gesetzmä- kann. Dazu gehören räumliches Vorstel-
ßigkeiten einfach und korrekt beschreiben lungsvermögen und einige Kenntnisse der
will, dann tut er dies am besten mithilfe ma- elementaren Geometrie. Vor allem aber
thematischer Formeln und Kalküle. muss man wissen, was mit den Worten
Druck, Volumen und Zeit gemeint ist.
Die drei Vokabeln werden hier natürlich
1.1  hysikalische Größen und
P im Sinne der Physik benutzt, sie bezeichnen
physikalische Größen. Physikalische Grö-
ihre Einheiten !
ßen sind messbare Eigenschaften von Ge-
genständen, Abläufen (wie dem Herz-
Des Menschen liebster Muskel ist das Herz;
schlag) und Materialien. Eine Messung
kein anderes Organ wird ähnlich mit Ge-
kann man sich wie einen Vergleich vorstel-
fühlswerten befrachtet. Anatomisch handelt
len: Um welchen Faktor ist der Tisch länger
es sich um einen Hohlmuskel, der ganz nach
als ein Metermaßstab? Den Faktor nennt
Art einer Kolbenpumpe durch periodische
man die Maßzahl. Sie ist das Ergebnis der
Änderung seines Kammervolumens den
Messung. Den Metermaßstab nennt man
Blutkreislauf aufrechterhält. Vom Herzen
die Einheit. Von ihrer Wahl hängt die Maß-
eines erwachsenen Menschen wird verlangt,
zahl natürlich ab. Da die englische Längen-
dass es in der Minute etwa 6 Liter Blut um-
einheit Fuß (Kürzel „ft“) nur ungefähr ein
pumpt – bei körperlicher Belastung auch
Drittel so lang ist wie ein Meter (Kürzel
noch mehr – und dazu in der Aorta eben
„m“), gilt z. B.: 2 m = 6,56 ft. Man sagt des-
jenen Druck aufrechterhält, der gebraucht
halb auch:
wird, um den Blutstrom durch die Gefäße
und Kapillaren des Blutkreislaufs hindurch-
>>Merke
zubekommen. Nach diesen Anforderungen
Größenwert = Zahl · Einheit.
müssen sich Konstruktion und Betriebsbe-
dingungen des Herzens richten, also Mus- Rechenoperationen wie Malnehmen und
kelkraft, Schlagvolumen und -frequenz. Teilen sind ursprünglich nur für den Um-
Präziser und anschaulicher als mit Wor- gang mit Zahlen erfunden worden. Dass
ten lässt sich der Herzzyklus durch eine man sie auch auf Einheiten anwenden kann,
Raumkurve beschreiben, und zwar in einem mag überraschen, doch es ist so. Das Addie-
dreidimensionalen Diagramm, das z. B. den ren und Subtrahieren von Einheiten würde
Druck der Herzkammer nach oben, das allerdings keinen Sinn machen.
Kammervolumen nach rechts und die Zeit Die Festlegung von Einheiten ist reine
nach hinten aufträgt. Dem geschulten Be- Willkür. Heute werden die Einheiten über
trachter braucht ein solches Diagramm einige Naturkonstanten wie die Lichtge-
nicht einmal als räumliches Modell präsen- schwindigkeit und die Elektronenladung
tiert zu werden, ihm genügt eine perspektivi- festgelegt. Früher hat man gern Prototypen
sche Zeichnung nach Art der . Abb. 1.1. genommen („Urmeter“, „Urkilogramm“).
1.1 · Physikalische Größen und ihre Einheiten!
3 1

..      Abb. 1.1 Druck-Volumen-Zeit-Diagramm eines mer bei weiter steigendem Druck. Die Austreibung
Herzzyklus (linker Ventrikel eines Hundes). Die rote endet, wenn der Maximaldruck erreicht ist und die
Kurve beginnt mit der Füllungszeit: Zunahme des Vo- Klappe zur Aorta sich schließt. Es folgt die Entspan-
lumens bei geringem Druck. Es folgt die Anspan- nungszeit: Druckabnahme bei konstantem Volumen.
nungszeit: rascher Druckanstieg bei konstantem Volu- Das Diagramm enthält noch die nächste Füllungszeit.
men (Herzklappen geschlossen). Sobald der Die drei gestrichelten Linien sind flächige Projektio-
diastolische Aortendruck überschritten wird, beginnt nen der räumlichen Kurven. (Adaptiert nach R. Ja-
die Austreibungszeit: Volumenabnahme der Herzkam- cob)

Es geht um Zweckmäßigkeit, nicht um Phy- 55 die Masse mit der Einheit Kilogramm
sik. Es empfiehlt sich aber, System in diese (kg)
Willkür zu bringen. Am zweckmäßigsten ist 55 die elektrische Stromstärke mit der
aber dasjenige System, das von den meisten Einheit Ampere (A)
Staaten akzeptiert wird. Es heißt Système 55 die Temperatur mit der Einheit Kelvin
International d’Unités, abgekürzt SI; seine (K)
Einheiten sind die SI-Einheiten. Es umfasst 55 die Stoffmenge mit der Einheit Mol
die sieben Grundgrößen Länge, Zeit, Masse, (mol)
elektrische Stromstärke, Temperatur, Stoff- 55 die Lichtstärke mit der Einheit Candela
menge und Lichtstärke. (cd)

Alle anderen physikalischen Größen sind


>>Merke vom Gesetzgeber zu abgeleiteten Größen er-
Grundgrößen und -einheiten des „Sys- klärt worden. Einer abgeleiteten Größe wird
tème International d’Unités“: entsprechend ihrer Definition eine abgelei-
55 die Länge mit der Einheit Meter (m) tete SI-Einheit zugeordnet, wie die folgen-
55 die Zeit mit der Einheit Sekunde (s) den Beispiele zeigen:
4 Kapitel 1 · Grundbegriffe

Abgeleitete Definition Abgeleitete


1 Größe SI-Einheit
..      Tab. 1.1 Erweiterung von Einheiten

Vorsilbe Kennbuchstabe Zehnerpotenz


Fläche Länge2 m2

Volumen Länge3 m3 Pico p 10−12

Volumen- Volumen/ m3/s Nano n 10−9


stromstärke Zeit Mikro μ 10−6
Dichte Masse/ kg/m3 Milli m 10−3
Volumen
Zenti c 10−2

Dezi d 10−1
Einige häufiger gebrauchte SI-Einheiten be-
kommen eigene Namen, wie z. B. die Kraft- Hekto h 102
einheit Newton = 1 N = 1 kg·m/s2 oder die Kilo k 103
Druckeinheit Pascal = 1 Pa = 1 kg/(m·s2). Mega M 106
Auch durch Vorsilbe erweiterte SI-Einheiten
wie Mikrogramm (μg) und Kilometer (km) Giga G 109
gehören zu den SI-Einheiten. Tera T 1012
Die internationale Einigung auf das SI
schließt die Empfehlung ein, tunlichst nur
noch SI-Einheiten zu verwenden. Trotzdem
Wollte man physikalische Größen mit ih-
wird man auch weiterhin 86.400 Sekunden
rem vollen Namen in Formeln einsetzen,
einen Tag nennen und diesen in 24 Stunden
so würden die Formeln unhandlich. Des-
unterteilen. Der Wetterbericht hat seine An-
halb verwendet man einzelne Buchstaben
gaben zum Luftdruck längst vom altehrwür-
als Symbole, etwa p für den Druck, V für
digen mmHg auf Hektopascal umgestellt;
das Volumen und t für die Zeit. Leider gibt
die Medizin bleibt da konservativer. Der
es aber weit mehr physikalische Größen als
Blutdruck wird immer noch in mmHg ange-
Buchstaben, selbst wenn man das griechi-
geben, weil er früher mit Quecksilber-Druck-
sche Alphabet hinzunimmt. Eine in jeder
messgeräten gemessen wurde. Einen Druck
Beziehung eindeutige Zuordnung ist darum
kümmert das nicht. Er ist wie jede physikali-
nicht möglich. Internationale Empfehlun-
sche Größe unabhängig von der Einheit, in
gen helfen, sind aber nicht zwingend. Eine
der er gemessen wird. Ob 110 mmHg oder
internationale Konvention empfiehlt auch,
146 hPa, der Blutdruck ist der gleiche.
Buchstaben, die für Größen stehen, kursiv
zu schreiben und Buchstaben, die für Ein-
>>Merke
heiten stehen, gerade. Die in diesem Buch
Der Wert einer physikalischen Größe ist
verwendeten Formelzeichen sind im An-
unabhängig von der Wahl der Einheit.
hang (Liste der Formelzeichen) aufgelistet.
Zuweilen sind die SI-Einheiten unhandlich Wenn man eine physikalische Größe
groß, wenn es z. B. um Körperzellen geht, durch ihre Einheit teilt, bleibt eine reine Zahl
die wenige Millionstelmeter klein sind, oder übrig. Das erlaubt, die Achsen von Dia-
auch zu klein, wenn z. B. das Kraftwerk eine grammen zu Zahlengeraden zu machen. Die
elektrische Leistung von einer Milliarde Volumenachse der . Abb. 1.1 wäre dann so
Watt hat. Dafür gibt es Vorsilben zu den zu beschriften, wie . Abb. 1.2 zeigt. Auf
Einheiten wie Mikrometer (1 μm) und Giga- diese Weise vorzugehen hat einige Vorteile
watt (1 GW). Diese sind ebenfalls internati- und das vorliegende Buch verfährt so. In an-
onal festgelegt und in . Tab. 1.1 aufgeführt. deren Büchern findet man es aber auch an-
1.1 · Physikalische Größen und ihre Einheiten!
5 1
ders. Wenn man ein Tabellenkalkulations- Das geht natürlich nicht beliebig genau. Es
programm (z. B. Excel) verwendet, hat man gibt also Messfehler und Messunsicherhei-
Schwierigkeiten, Brüche in die Achsenbe- ten. Diesen Themen ist 7 Abschn. 1.3 ge-
schriftung zu bekommen. Dann kann man widmet. Manchmal will man es gar nicht so
z. B. auch „Volumen V in m3“ schreiben. genau wissen, aber ein ungefähres Gefühl für
Zahlen ohne Einheiten bezeichnet man eine Größe bekommen. Dann schätzt man
als „dimensionslos“. Physikalische Größen ab. Lungenbläschen z. B. sind nahezu Ku-
sind deshalb durchweg „dimensioniert“; die geln mit leidlich einheitlichem Radius (ca.
Flughöhe des Flugzeugs hat ebenso die Di- 0,14 mm beim Menschen, natürlich abhängig
mension einer Länge wie der Durchmesser davon, ob man gerade ein- oder ausgeatmet
eines Haares. hat). Kennt man ihre Anzahl n (beim Men-
Die mittlere Volumenstromstärke I des schen ca. 3 · 108) und unterschlägt man all die
Blutes in der Aorta ist der Quotient aus dem Röhrchen, die sie miteinander verbinden, so
durchgeflossenen Volumen ΔV und der dazu darf man für die gesamte Lungenoberfläche
benötigten Zeitspanne Δt als Formel: AL näherungsweise setzen:

DV AL » 4p r 2 × n.
I= .
Dt
Beim Menschen gibt das rund 70 m2; mit
Hier stehen die Buchstaben für physikalische hinreichend feiner Unterteilung lässt sich
Größen. Darum bezeichnet man eine solche auf wenig Raum viel Fläche unterbringen.
Formel als Größengleichung. Sie beschreibt Riskanter ist schon die folgende Abschät-
einen physikalischen Zusammenhang und zung: Ein erwachsener Mensch ist etwa
macht keine Vorschriften über die Einheiten, 1,75 m groß (hM) und hat einen Brust- und
die bei einer konkreten Rechnung benutzt Hüftumfang UM von ungefähr 95 cm. Die
werden. Ob man die Zeit in Sekunden, Mi- Oberfläche seines Körpers wird dann wohl
nuten oder Stunden misst, spielt für die Grö- nicht wesentlich von der eines entsprechen-
ßengleichung keine Rolle. Zuweilen werden den Kreiszylinders abweichen (. Abb. 1.3).
aber auch sog. Zahlenwertgleichungen auf-
geschrieben. Bei ihnen stehen die Buchstaben
nur für Zahlenwerte, weshalb eine Zahlen-
wertgleichung ohne Angabe der Einheiten,
für die sie gilt, sinnlos ist.
Wir hatten schon gesagt:

>>Merke
Messen heißt, die Messgröße mit ihrer
Einheit vergleichen.

..      Abb. 1.3  Ersatzzylinder. Er dient zur Abschät-


..      Abb. 1.2 Beschriftung der Volumenachse der Abb. 1.1 zung der Körperoberfläche eines Menschen. Es ist
nach internationaler Empfehlung; die Achse wird da- nicht wesentlich, ob man den Umfang zu 97 oder
durch zur Zahlengeraden 95 cm ansetzt
6 Kapitel 1 · Grundbegriffe

gangssprache mit dem Wort „Gewicht“ die


1 physikalische Größe Masse meint. Deren
Eigenschaften werden in 7 Abschn. 2.3.1
genauer behandelt. Jedenfalls ist die Masse
eine Grundgröße im SI und bekommt die
Einheit Kilogramm (kg). Für den Hausge-
brauch wird das Kilogramm hinreichend
genau repräsentiert durch die Masse von
1000 ml Wasser.

>>Merke
In der Umgangssprache ist mit „Ge-
wicht“ die physikalische Größe Masse
gemeint.

Im Gegensatz zum Wasser bringt es ein Ki-


lobarren Gold nur auf etwa 50 cm3. Sind
die beiden Substanzmengen nun gleich, weil
..      Abb. 1.4 Geometrisch einfache Körper: Berech- ihre Massen gleich sind, oder sind sie ver-
nung von Oberfläche A und Volumen V – Quader mit
schieden, weil ihre Volumina verschieden
Kantenlängen a, b und c; Kreiszylinder mit Radius r
und Höhe h; Kugel mit Radius r sind? Die Frage lässt sich nicht beantwor-
ten, weil der Gebrauch der Vokabel „Subs-
tanzmenge“ nicht eindeutig definiert ist. Die
Dessen Oberfläche lässt sich nach den Regeln
beiden „Stoffmengen“ sind jedenfalls ver-
der Mathematik ausrechnen. (Einfache For-
schieden.
men sind in . Abb. 1.4 aufgeführt.)
Alle Materie besteht aus Atomen, die
sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu
>>Merke
Molekülen gruppieren. Ein natürliches Maß
Zum Umgang mit quantitativen Größen
für die Menge einer Substanz wäre die An-
gehört zuweilen auch der Mut zur gro-
zahl N ihrer Moleküle. Freilich, Moleküle
ben Schätzung, nicht immer muss prä-
sind klein und entsprechend zahlreich; zu
zise gemessen werden.
handlichen Mengen gehören unhandlich
große Anzahlen, weit über 1020. Um sie zu
vermeiden, hat man in das Système Interna-
1.2 Mengenangaben tional d’Unités eine zu N proportionale spe-
zielle Grundgröße eingefügt: die Stoffmenge
1.2.1 Masse und Stoffmenge n mit der Einheit Mol („abgekürzt“ mol).
Die Proportionalitätskonstante heißt
Kein Backrezept kann auf Mengenangaben
Avogadro-Konstante NA = 6,0220·1023
verzichten: ¼ Ltr. Milch, 250 g Weizenmehl,
mol−1.
3 Eier. „Ltr.“ steht hier für Liter. Bei Flüs-
sigkeiten lässt sich das Volumen am leich-
>>Merke
testen messen. Größere Objekte wie die Eier
Die Stoffmenge n ist ein Maß für die An-
kann man einfach abzählen. Beim Mehl be-
zahl der Teilchen in einer Probe. Ihre
vorzugt man aber das Gewicht, gemessen
Einheit Mol entspricht 6,0220 · 1023 Teil-
mit einer Waage. Jeder Kaufmann, jedes
chen.
Postamt benutzt Waagen. Wie sie funktio-
nieren, ist in 7 Abschn. 2.2.8 beschrieben. Damit ist das Problem aber zunächst nur
Dabei wird sich herausstellen, dass die Um- verschoben, denn niemand kann die Mole-
1.2 · Mengenangaben
7 1
küle auch nur eines Sandkorns abzählen und Zu solchen Kenngrößen gelangt man, wenn
durch NA dividieren, um die Stoffmenge zu man die Masse oder Stoffmenge auf das Vo-
bestimmen. Man legt weiterhin seine Subs- lumen bezieht. Man spricht dann von einer
tanzproben auf die Waage, misst also ihre Dichte. Den Kehrwert einer Dichte nennt
Masse m, und rechnet um mit der sog. man spezifisches Volumen, auch wenn die
Einheit natürlich Volumen durch Masse
Masse m oder Mol ist. Die gängigsten Größen sind in
molaren MasseM =
Stoffmenge n . Tab. 1.2 aufgelistet.
Für die Verkehrstüchtigkeit eines Auto-
der beteiligten Moleküle (M wird auch Mol- fahrers spielt es eine erhebliche Rolle, ob er
masse genannt – die Einheit ist g/mol). Dafür gerade eine halbe Flasche Bier oder eine
darf die Probe allerdings aus nur einer einzi- halbe Flasche Schnaps getrunken hat. Jeder
gen Molekülsorte bestehen, deren Molmasse Doppelkorn enthält mehr Alkohol als das
man kennt. Woher? In Natur und Technik stärkste Bockbier. Was ist damit gemeint?
gibt es viel zu viele Molekülarten, als dass Spirituosen sind Mischungen, im Wesentli-
man alle ihre Molmassen in einem dicken chen aus Alkohol und Wasser; die wichtigen
Tabellenbuch zusammenfassen könnte. Das Geschmacksstoffe, die z. B. Kirschwasser
ist aber auch nicht nötig, denn Moleküle set- von Himbeergeist unterscheiden, spielen
zen sich aus Atomen zusammen, von denen mengenmäßig kaum eine Rolle. Zur Kenn-
es nicht allzu viele verschiedene Arten gibt, zeichnung eines Gemisches dient der
die der rund hundert chemischen Elemente
nämlich. Deren molare Massen lassen sich Teilmenge
Gehalt =
auflisten. Dann braucht man nur noch die Gesamtmenge
chemische Formel eines Moleküls zu ken-
nen, um seine molare Masse auszurechnen: Klar vom Gehalt zu unterscheiden ist die
Konzentration, die üblicherweise dieselbe
i Einheit wie die Dichte hat. Als Quotient
- Wasserstoffatom: M(H) = 1 g/mol
zweier Mengen ist der Gehalt eine reine
- Sauerstoffatom: M(O) = 16 g/mol Zahl und lässt sich darum auch in Prozent
- Wassermolekül: M(H2O) = 18 g/mol angeben. Beim Blutalkohol bevorzugt man
das um einen Faktor 10 kleinere Promille,
bei Spuren von Beimengungen das ppm; die
>>Merke drei Buchstaben stehen für „parts per mil-
Die molare Masse M = m/n mit der Ein- lion“, also 10−6. Hochentwickelte Spuren-
heit g/mol einer Molekülsorte ist die analyse dringt bereits in den Bereich ppb
Summe der molaren Massen der Atome, ein, „parts per billion“; gemeint ist 10−9,
die das Molekül bilden. denn im Angelsächsischen entspricht „bil-
lion“ der deutschen Milliarde (= 109) und
nicht der Billion (= 1012). Die Summe aller
1.2.2 Dichten und Gehalte Gehalte einer Mischung muss notwendiger-
weise eins ergeben.
Volumen, Masse und Stoffmenge sind Auf welche Mengenangabe sich ein Ge-
Kenngrößen einzelner Substanzproben, halt bezieht, ist zunächst noch offen; man
eines silbernen Löffels etwa, eines Stücks muss es dazu sagen. Der
Würfelzucker, einer Aspirin-Tablette; sie 
Masse des gelosten Stoffes
sind keine Kenngrößen von Substanzen wie Massengehalt =

Masse der Losung
Silber, Saccharose oder Acetylsalicylsäure.
8 Kapitel 1 · Grundbegriffe

1 ..      Tab. 1.2 Dichten und spezifisches Volumen

Name Formelzeichen Einheit

Masse m kg
Dichte = r=
Volumen V m3

Stoffmenge n mol
Stoffmengendichte = rn =
Volumen V m3

Teilchenanzahl N 1
Teilchenanzahldichte = rN =
Volumen V m3

Volumen 1 V m3
spezifisches Volumen = = VS =
Masse Dichte m kg

Volumen V m3
Molvolumen = Vn =
Stoffmenge n mol

wird zuweilen als „Gew.%“ bezeichnet, als Stoffmengengehalten verwendet (und nach
„Gewichtsprozent“ – und der neuester Empfehlung am besten gar nicht).


Volumen des gelosten
Stoffes Rechenbeispiel 1.1: Schnaps
Volumengehalt = Aufgabe. Wie groß ist die Stoffmengen-
 ng
Volumen der Losu
dichte des Alkohols in einem Schnaps
mit 40 Vol.%? Die Dichte des Ethylalko-
als „Vol.%“, als „Volumenprozent“ also.
hols (C2H5OH) ist 0,79 g/ml.
Wenn man es ganz genau nimmt, muss man
Lösung. Die Stoffmengendichte des
ein wenig aufpassen: Die Teilmassen einer
reinen Alkohols kann z. B. als Anzahl
Mischung addieren sich präzise zur Ge-
der Alkoholmoleküle in Mol pro Liter
samtmasse; die Volumina tun dies nicht un-
Alkohol angegeben werden. Dazu muss
bedingt. Allerdings ist die Volumenkontrak-
die Massendichte durch die Molmasse
tion oder -dilatation beim Mischen meist
M des Ethylalkohols geteilt werden.
gering. Der
Laut Anhang ergibt sich die Molmasse

Stoffmenge des gelosten zu:
Stoffes M(C2H5OH) = 2 · M(C) + 6 · M(H)
Stoffmengengehalt = + M(O) ≈ 24 g/mol + 6 g/mol + 16 g/

Stoffmenge der Losung
mol = 46 g/mol
Die Stoffmengendichte des reinen
ist dem Teilchenanzahlgehalt gleich, denn
Alkohols ist dann:
die Avogadro-Konstante steht im Zähler
wie im Nenner, kürzt sich also weg. Einen g
790
n l = 17,18 mol .
Stoffmengengehalt bezeichnet man auch als =
V 46 g l
Molalität oder als „At.%“ (Atomprozent).
mol
ppm und ppb werden üblicherweise nur bei
1.3 · Statistik und Messunsicherheit
9 1
lässt, macht einen systematischen Fehler,
Im Schnaps ist aber nur 40 % des Vo- weil die Skala nicht genau stimmt. Grund-
lumens Alkohol, also ist hier die Stoff- sätzlich gilt das für jede Längenmessung, für
mengendichte um den Faktor 0,4 kleiner: jede Messung überhaupt.
g Auch Präzisionsmessinstrumente kön-
790
n l = 6, 87 mol . nen Eichfehler ihrer Skalen nicht vollständig
= 0, 4 ×
V 46
g l vermeiden. Um sie in Grenzen zu halten,
mol müssen z. B. Händler ihre Waagen von Zeit
zu Zeit eichen lassen. Aber auch in Messver-
fahren können systematische Fehler implizit
1.3 Statistik und eingebaut sein. Hohe Temperaturen wird
Messunsicherheit man oft etwas zu niedrig messen, da der
Messfühler seine Temperatur erst anglei-
chen muss und der Benutzer vielleicht nicht
1.3.1 Messfehler die Geduld aufbringt, lange genug zu war-
ten.
Kein Messergebnis kann absolute Genau-
igkeit für sich in Anspruch nehmen. Oft ist
>>Merke
schon die Messgröße selbst gar nicht präzise
Systematischer Fehler: prinzipieller Feh-
definiert. Wenn ein Straßenschild in Niko-
ler des Messverfahrens oder Messinstru-
lausberg behauptet, bis Göttingen seien es
ments, z. B. Eichfehler – reproduzierbar.
4 km, dann genügt das für die Zwecke des
Straßenverkehrs vollauf. Gemeint ist so Systematische Fehler sind schwer zu erken-
etwas wie „Fahrstrecke von Ortsmitte bis nen; man muss sich sein Messverfahren sehr
Stadtzentrum“. Wollte man die Entfernung genau und kritisch ansehen.
auf 1 mm genau angeben, müsste man zu- Der zufällige Fehler meldet sich selbst,
nächst die beiden Ortsangaben präzisieren, wenn man eine Messung wiederholt: Die Er-
z. B. „Luftlinie von der Spitze der Wetter- gebnisse weichen voneinander ab. Letzten
fahne auf der Klosterkirche von Nikolaus- Endes rührt diese Streuung von Störeffekten
berg bis zur Nasenspitze des Gänseliesels her, die man nicht beherrscht und zum gro-
auf dem Brunnen vor dem alten Rathaus in ßen Teil nicht einmal kennt.
Göttingen“. Der messtechnische Aufwand
stiege beträchtlich und niemand hätte etwas >>Merke
davon. Bei allen Messungen muss man Auf- Zufällige Fehler verraten sich durch
wand und Nutzen gegeneinander abwägen. Streuung der Messwerte.

>>Merke
Messfehler: Differenz zwischen Mess-
1.3.2 Mittelwert und Streumaß !!
wert und grundsätzlich unbekanntem
wahren Wert der Messgröße.
Wie groß ist eine Erbse? Diese Frage zielt
Messfehler lassen sich in zwei große Grup- auf die „Erbse an sich“, nicht auf ein ganz
pen einteilen: die systematischen und die zu- bestimmtes Einzelexemplar. Dabei spielt die
fälligen Fehler. Wenn man sein Lineal auf Sorte eine Rolle, der Boden, die Düngung,
ein Blatt Millimeterpapier legt, sieht man das Wetter. Aber auch innerhalb einer Ernte
zumeist eine deutliche Diskrepanz zwischen von einem ganz bestimmten Feld streuen die
den beiden Skalen; Papier ist kein gutes Ma- Durchmesser verschiedener Erbsen deut-
terial für Längenmaßstäbe. Wer sich trotz- lich. Deshalb kann nur nach einer mittleren
dem auf sein Blatt Millimeterpapier ver- Größe gefragt werden.
10 Kapitel 1 · Grundbegriffe

Nach alter Regel bestimmt man den Mit- wird niemand alle zigtausend Erbsen einer
1 telwert <x> einer Reihe von Messwerten xj da- Ernte einzeln ausmessen, um den wahren
durch, dass man sie alle zusammenzählt und Mittelwert <dw> des Durchmessers zu be-
das Resultat durch ihre Anzahl n dividiert: stimmen. Man begnügt sich mit einer Stich-
probe. Zum Beispiel wurden bei n = 12 will-
1 1 n kürlich aus einer Tüte herausgegriffenen
x = ( x1 +¼+ xn ) = åx j .
n n j =1 Erbsen die Quotienten xj = dj /mm gemes-
sen und in der folgenden Wertetabelle zu-
Der Index j läuft von 1 bis n, er kenn- sammengestellt:
zeichnet den einzelnen Messwert. Nun

x1 x2 x3 x4 x5 x6 x7 x8 x9 x10 x11 x12

7,5 7,9 7,6 8,2 7,4 8,0 8,0 7,9 7,6 7,7 7,2 7,5

Daraus errechnet sich der Mittelwert der wie alle Quadratzahlen grundsätzlich posi-
Stichprobe zu <x> = 92,5/12 = 7,71. tiv. Wenn man sie addiert und durch n – 1
teilt, bekommt man die sog.
>>Merke
( )
2
Mittelwert = Quotient aus Summe und å xj - x
Anzahl der Messwerte: Varianzs =2
;
n -1
1 1 n
x = ( x1 + ¼ + xn ) = åx j ; der Einfachheit halber sind hier die Grenzen
n n j =1
der Summe nicht mitgeschrieben worden.
bester Schätzwert des unbekannten wah-
Dass durch n – 1 und nicht durch n dividiert
ren Wertes.
wird, liegt daran, dass man mindestens zwei
Wie zuverlässig ist ein Mittelwert? Genau Messwerte braucht, um einen Mittelwert
lässt sich das nicht sagen, aber die Wahr- ausrechnen zu können. Ein eigenes Buchsta-
scheinlichkeitsrechnung hilft weiter. So viel bensymbol bekommt die Varianz nicht; sie
leuchtet ein: Der Mittelwert der Stichprobe ist das Quadrat der
wird umso zuverlässiger sein, je größer man
den Umfang n der Stichprobe, also die Zahl Standardabweichung s = Varianz.
der Erbsen, macht und je weniger die ein-
zelnen Messwerte streuen. n hat man selbst Manche Taschenrechner erlauben, s mit
in der Hand, seine Größe ist eine Frage des einem einzigen Tastendruck auszurechnen.
Aufwands, den man treiben will. Benötigt s2 und s lassen sich grundsätzlich für jede
wird aber noch eine Größe, die sagt, wie Messreihe angeben. In Diagrammen wie
stark die Messwerte streuen, ein sogenann- . Abb. 1.5 wird man zunächst die Mittel-
tes Streumaß. Die Differenzen xj – <x> zwi- werte (rote Kreise) auftragen. Weiterhin
schen den einzelnen Messwerten und dem kann man zu jedem Messpunkt einen Feh-
Mittelwert können dieses Maß nicht unmit- lerbalken zeichnen, der die Standardabwei-
telbar liefern, weil sie positive wie negative chung angibt.
Vorzeichen haben und sich zu null aufaddie- Bei Untersuchungen wie der in
ren; so ist letzten Endes der Mittelwert de- . Abb 1.5 erwartet man, dass sich die Mess-
finiert. Die Quadrate (xj – <x>)2 sind aber werte entsprechend der sog. Normalvertei-
1.3 · Statistik und Messunsicherheit
11 1

es „Klick“. Ein Zählrohr hat eine „Dun-


kelrate“, wenn kein radioaktives Mate-
rial in der Nähe ist, von vielleicht im
Mittel einem Klick pro Sekunde. Wird
radioaktives Material ans Zählrohr ge-
halten, erhöht sich die mittlere Zählrate
auf sagen wir 13 Klicks pro Sekunde.
. Abb. 1.6 zeigt, mit welcher theoreti-
schen Wahrscheinlichkeit jeweils wie
viele Klicks pro Sekunde auftreten.
Hätte man also z. B. 200 Sekunden lang
die Dunkelrate gemessen, so hätte man
für 200 mal 0,37 gleich 74 Sekunden ei-
nen Klick gemessen und für 200 mal 0,06
gleich 12 Sekunden 3 Klicks. Eine reale
..      Abb. 1.5 Diagramm mit Streubalken. Trombelast- Messung kann da natürlich etwas abwei-
ogramm während einer Behandlung mit Heparin als chen, da es sich ja um Zufallsereignisse
Beispiel für ein Diagramm mit Streubalken. (In diesem
handelt. Das ist die Voraussetzung für
Zusammenhang spielen das Messverfahren und die
medizinische Bedeutung der Messwerte keine Rolle.) diese theoretischen Verteilungen: Ein be-
Rote Kreise und Fehlerbalken: Mittelwerte aus einer stimmter Zerfall findet völlig unabhän-
Beobachtungsgruppe von 28 Patienten mit Standard- gig von vorangegangenen Zerfällen statt.
abweichung; die Quadrate und Dreiecke gehören zu Die beiden dargestellten Wahrscheinlich-
zwei Mitgliedern der Beobachtungsgruppe: Einzelne
keitsverteilungen sind Poisson-Verteilun-
Messwerte können durchaus weit außerhalb des Stan-
dardabweichung liegen. Die Dreiecke demonstrieren gen, die folgender Formel gehorchen:
ein häufiges Dilemma medizinischer Messungen: l n -l
Manche Patienten halten sich nicht an die Norm Pl ( n ) = ×e
n!

lung (7 Praktikum 1.1) um ihren Mittelwert Pλ(n) ist in unserem Fall die Wahrschein-
scharen. Dann können präzise Aussagen lichkeit, dass in einer bestimmten Sekunde
über die Messunsicherheit formuliert wer- n Klicks auftreten, wenn λ die mittlere
den. Darum geht es im nächsten Abschnitt.
0,4
0,35
Praktikum 1.1: Statistik λ=1
Wahrscheinlichkeit

0,3
λ = 13
Recht häufig finden sich im Mediziner- 0,25
praktikum Versuche, bei denen zufällig 0,2
variierende Größen wie die Reaktions- 0,15
zeit oder radioaktive Zerfälle untersucht 0,1
werden. Es wird dann ein Mittelwert, 0,05
eine Standardabweichung und oft auch 0
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
eine Zufallsverteilung bestimmt. Wir
Zahl der Klicks pro Messung
wollen hier das Beispiel einer Messung
radioaktiver Zerfälle mit dem Gei-
ger-Müller-Zählrohr betrachten: ..      Abb. 1.6 Poisson-Verteilung. Mit welcher
Jedes Mal, wenn ein ionisierendes Wahrscheinlichkeit macht es wie oft pro Se-
kunde „Klick“? Dunkelblau: mittlere Zählrate
Teilen in das Zählrohr eindringt, macht 1; hellblau: mittlere Zählrate 13
12 Kapitel 1 · Grundbegriffe

1.3.3 Messunsicherheit !!
1 Zählrate ist. e ist die Euler-Zahl
(7 Abschn. 1.5.2) n ! = 1 ⋅ 2 ⋅ 3 ⋅ … ⋅ n und Wurde z. B. im Physikpraktikum für Medi-
die sog. Fakultät von n. Schon für eine ziner ein bestimmter Messwert x gemessen,
mittlere Zählrate von 13 sieht diese Vertei- so ist die Frage zu stellen: Wie zuverlässig
lung fast symmetrisch aus (hellblaue Bal- ist der nun? Beantwortet wird diese Frage
ken in . Abb. 1.6). Man nennt das dann mit der Angabe einer Messunsicherheit u(x).
zuweilen auch eine „Glockenkurve“. Tat- Damit sagt man Folgendes: Der unbekannte
sächlich nähert sich die Poisson-­Verteilung wahre Wert der Größe liegt mit hoher
für größer werdende λ immer mehr der Wahrscheinlichkeit zwischen x − u(x) und
Normalverteilung an, die sich für zufällig x + u(x). Deshalb schreibt man z. B. für eine
verteile Messwerte ergibt, die nicht nur na- Längenmessung: Der Abstand d beträgt
türliche Zahlen sind (wie bei Zerfällen pro
d = (10,4 ± 0,2cm ) .
Sekunde), sondern die beliebige Zahlen-
werte annehmen können (wie die Durch-
messer unserer Erbsen). Diese Normal- 12,4 cm ist der Messwert und 0,2 cm die
verteilung hat eine andere Formel: absolute Messunsicherheit. Man kann die
Messunsicherheit auch auf den Messwert
beziehen und bekommt dann die relative
2
æ x- x ö
-çç ÷
1 2 s 2 ÷ø
P ( x) = e è . Messunsicherheit:
s × 2p
u ( d ) 0, 2
P(x) ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei = = 0, 019.
einer Erbse der Durchmesser x gemessen d 10, 4
wird, wenn sich bei der Vermessung vie-
ler Erbsen der Mittelwert <x> ergibt mit Diese wiederum kann man in Prozent aus-
einer Standardabweichung s. In Zusam- drücken und dann schreiben:
menhang mit der Normalverteilung wer-
den gern mal folgende Werte erfragt: Im
d = 10, 4 × (1 ± 1,9% )cm.
Intervall Mittelwert plus/minus Stan-
dardabweichung landen 68 % aller Fälle >>Merke
(Erbsen), links davon oder rechts davon Messunsicherheit: Abschätzung des In-
also jeweils 16 % aller Fälle (. Abb. 1.7). tervalls, in dem der unbekannte wahre
Wert wahrscheinlich liegt.
55 Absolute Messunsicherheit u(x).
55 Relative Messunsicherheit: absolute
Messunsicherheit geteilt durch Mess-
Wendepunkt Wendepunkt
wert:
68 % aller
Messwerte
w u ( x)
.
x

Sehr oft wird man die Messunsicherheit


–s M +s
einfach schätzen: Diesen Längenmaßstab
kann ich auf etwa plus minus einen Milli-
..      Abb. 1.7 (Video 1.1) Normalverteilung mit meter genau ablesen. Besser ist es natürlich,
Mittelwert M und Standartabweichung s
wenn der Hersteller des Messgerätes etwas
(https://doi.org/10.1007/000-07t)
über die Genauigkeit sagt, wie dies bei Prä-
zisionsmessgeräten immer der Fall ist.
1.3 · Statistik und Messunsicherheit
13 1
Ist man einigermaßen sicher, dass die
Messunsicherheit im Wesentlichen auf zu-
fälligen Messfehlern beruht, helfen Mittel-
wert und Streumaß sehr viel weiter. Man
kann dann die Messunsicherheit durch
mehrfaches Wiederholen der Messung be-
trächtlich reduzieren und sie mithilfe des 95 %

Streumaßes sehr genau abschätzen. –2s –s M +s +2s


Der beste Schätzwert für den wahren
Wert der Messgröße ist natürlich der Mittel- ..      Abb. 1.8 Konfidenzintervall. 95 % aller Messwerte
im gelben Bereich: das 95 %-Konfidenzintervall ist
wert, der umso zuverlässiger wird, aus je
±2 × s / n (n: Zahl der Messungen)
mehr Einzelmessungen er gebildet wird. Die
Wahrscheinlichkeitsrechnung sagt nämlich
für die Messunsicherheit zweimal die Stan-
Folgendes:
dardabweichung des Mittelwertes ansetzen.
Sind die Messwerte tatsächlich zufällig
Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit auf
verteilt, so liegt der Mittelwert <x> mit ei-
immerhin 95 % erhöht. Die so präzise be-
ner Wahrscheinlichkeit von 68 % nicht wei-
stimmte Messunsicherheit nennt man auch
ter als eine Standardabweichung des Mittel-
Konfidenzintervall (. Abb. 1.8).
werts vom unbekannten wahren Mittelwert
In der Physik und im täglichen Leben
entfernt. Diese Standardabweichung des
macht man sich meist nicht die Mühe, die
Mittelwertes erhält man dadurch, dass man
Standardabweichung des Mittelwertes tat-
die Standardabweichung s durch die Wurzel
sächlich auszurechnen. Die meisten Mess-
der Zahl der Messungen n dividiert:
verfahren sind für ihren Zweck präzise ge-
s nug, sodass sich Messwiederholungen nicht
s( x ) = . lohnen. Trotzdem sollte man die Messunsi-
n
cherheit abschätzen und Zahlenwerte
Im Allgemeinen ändern sich Varianz und grundsätzlich nicht genauer hinschreiben,
Standardabweichung nicht, wenn man die als man sie hat: Die letzte angegebene Dezi-
Zahl n der Messungen erhöht. Das heißt malstelle sollte noch stimmen. Wenn das
aber, dass die Standardabweichung des Schild in Nikolausberg behauptet, bis Göt-
Mittelwertes umgekehrt proportional zu tingen seien es 4 km, dann sollte die tat-
n kleiner wird. Durch Erhöhung der sächliche Entfernung näher bei diesem Wert
Zahl der Messungen kann also die Mess- liegen als bei 3 oder 5 km. Darum sollte
unsicherheit grundsätzlich beliebig klein auch der mittlere Radius der Erdbahn zu
gemacht werden. Nur wächst der Aufwand 149,5 · 106 km angegeben werden und nicht
leider quadratisch mit dem Gewinn an Ge- zu 149.500.000 km, denn für die fünf Nul-
nauigkeit. len kann niemand garantieren. Umgekehrt
sollte die Länge des 50-m-Beckens in
>>Merke einem wettkampfgeeigneten Schwimmsta-
Standardabweichung des Mittelwertes: dion durchaus 50,0 m, wenn nicht gar
Schätzwert der sich aus zufälligen Mess- 50,00 m betragen.
fehlern ergebenden Messunsicherheit.
>>Merke
Reicht die Wahrscheinlichkeit von 68 %, Man sollte alle Dezimalstellen angeben,
dass der wahre Wert im angegebenen Unsi- die man zuverlässig gemessen hat, nicht
cherheitsintervall liegt, nicht, so kann man weniger, aber auch nicht mehr.
14 Kapitel 1 · Grundbegriffe

1.3.4 Fehlerfortpflanzung näherungsweise, wenn die Unsicherheiten


1 klein gegen die Messwerte sind. In 7 Re-
Oft werden Messergebnisse verschiedener chenbeispiel 1.2 wird diese Regel zur An-
Größen kombiniert, um eine abgeleitete wendung kommen.
Größe auszurechnen; dabei reichen sie ihre Der Vollständigkeit halber sei noch er-
Messunsicherheiten an diese abgeleitete wähnt, dass der funktionale Zusammen-
Größe weiter. Im 7 Rechenbeispiel 1.2 wird hang für die abgeleitete Größe natürlich
die Dichte aus der Messung einer Kanten- komplizierter sein kann als nur eine Kombi-
länge eines Würfels und seiner Masse ge- nation von Addition und Multiplikation
wonnen. Für die Berechnung der Messunsi- und z. B. einen Sinus oder einen Logarith-
cherheit der abgeleiteten Größe (im Beispiel: mus enthalten kann. Auch dann gibt es eine
der Dichte) hat sich die Bezeichnung „Feh- Formel für die Fehlerfortpflanzung. Diese
lerfortpflanzung“ eingebürgert, obwohl enthält die partiellen Ableitungen des funk-
es sich eigentlich um eine Messunsicher- tionalen Zusammenhangs.
heits-Fortpflanzung handelt.
Es gibt zwei wichtige Regeln, mit denen Rechenbeispiel 1.2: Schwimmt der
sich die meisten Situationen meistern lassen: Bauklotz?
Aufgabe. Es soll die Massendichte eines
>>Merke würfelförmigen Spielzeugbauklotzes aus
Bei der Addition/Subtraktion von Mess- Holz bestimmt werden. Dazu wird die
werten addieren sich die absoluten Un- Kantenlänge mit einem Lineal zu
sicherheiten. a = (34,5 ± 0,25) mm gemessen.
Gewiss darf man darauf hoffen, dass sich Dabei wurde die Ablesegenauigkeit
bei einer Addition von Messgrößen die ab- zu ± 0,25 mm geschätzt. Die Masse
soluten Messfehler z. T. kompensieren, aber wurde mit einer einfachen digitalen La-
verlassen darf man sich darauf nicht. Des- borwaage zu m = (30,0 ± 0,1) g gemes-
halb muss man mit der Addition immer sen. Welchen Wert hat die Dichte und
die absoluten Unsicherheiten abschätzen. mit welcher Messunsicherheit ist dieser
Dieser Zusammenhang kann zu hohen re- Wert behaftet?
lativen Unsicherheiten führen, wenn sich Lösung. Das Volumen des Bauklotzes
die gesuchte Größe nur als (kleine) Diffe- berechnet sich zu V = a3 = 41.063,625 mm3.
renz zweier (großer) Messwerte bestimmen Hier wurden aber sicher unsinnig viele
lässt. Wie viel Nahrung ein Säugling beim Stellen angegeben. Die relative Messunsi-
Stillen aufgenommen hat, stellt man übli- cherheit für die Kantenlänge ist:
cherweise dadurch fest, dass man ihn vorher u ( a ) 0, 25 mm
= = 0, 0072.
und hinterher wiegt, mitsamt den Windeln. a 34, 5 mm
Grundsätzlich könnte man auch die Mutter
Da a zur Berechnung des Volumens
wiegen, aber dann wäre das Resultat weni-
zweimal mit sich selbst multipliziert
ger genau.
wird, ist die relative Unsicherheit des Vo-
lumens nach der 2. Regel zur Fehlerfort-
>>Merke
pflanzung dreimal so groß:
Bei der Multiplikation/Division von
Messwerten addieren sich die relativen u (V ) u (a)
= 3× = 0, 022.
Unsicherheiten. V a
Die absolute Unsicherheit des Volu-
Die Ableitung dieser nicht sofort offensicht-
mens ist also u(V) = 893 mm3. Eine ver-
lichen Regel wird hier ausgelassen. Sie gilt
1.4 · Vektoren und Skalare
15 1

nünftige Angabe des Volumens lautet


also V = (41 ± 0,9) cm3.
m g
Die Dichte ist. r = = 0, 7306 3 .
V cm
Die relative Unsicherheit ergibt sich
wieder aus einer Addition:
u(r ) u (m) u (V )
= + = 0, 0033 + 0, 022
r m V
= 0, 0253.
Die Unsicherheit der Dichte wird
also im Wesentlichen durch die Unsi-
cherheit des Volumens bestimmt. Die ab-
solute Unsicherheit der Dichte ist nun:

g g
u ( r ) = 0, 0253 × 0, 73 = 0, 019 3 .
cm3 cm
So erhalten wir das Endergebnis:
g
r = ( 0,73 ± 0,02 ) 3 .
cm
Die Dichte ist also kleiner als die von
Wasser.
..      Abb. 1.9 (Video 1.2) Stadtplan von Manhattan
(https://doi.org/10.1007/000-07s)

1.4 Vektoren und Skalare >>Merke


Vektor: physikalische Größe, die eine
Wenn man zu einem Liter Wasser einen
Richtung im Raum hat.
zweiten hinzugießt, dann hat man zwei Liter
Skalar: ungerichtete physikalische
Wasser. Wenn man aber in New York vom
Größe.
Times Square aus die 42. Straße 450 m weit
nach Osten geht und dann die 5th Avenue Vektoren lassen sich durch Pfeile symboli-
900 m weit in Richtung Downtown Man- sieren, in der Länge dem (skalaren) Betrag
hattan, dann hat man zwar 1350 m zu- der Größe proportional, in der Richtung pa-
rückgelegt, sich aber nur 1 km von seinem rallel zu ihr. Formal darf man deshalb jeden

Ausgangspunkt entfernt. Man hätte auch Vektor a als das Produkt seines Betrages
 
gleich den Broadway hinuntergehen können a und seines Einheitsvektors ea ansehen.
(. Abb. 1.9). Wege haben Richtungen und (In Formeln werden Vektorsymbole durch
das ermöglicht Umwege. einen übergesetzten Pfeil gekennzeichnet.)
Die Mathematik bezeichnet Größen, die Einheitsvektoren sind Vektoren mit dem
eine Richtung im Raum haben, als Vekto- Betrag eins.
ren, im Gegensatz zu den ungerichteten
Skalaren. Sie hat unter dem Stichwort „Vek- >>Merke

torrechnung“ besondere Rechenregeln ent- Ein Vektor a ist das Produkt aus (skala-

wickelt, die von der Physik dankbar über- rem) Betrag a und dem Einheitsvektor
   
nommen werden. ea : a = a × ea .
16 Kapitel 1 · Grundbegriffe

..      Abb. 1.10 Vektoraddition. Vektoren werden zu-


meist durch einen übergesetzten Vektorpfeil gekenn-
zeichnet. Siehe Video zu . Abb. 1.9

Addiert werden Vektoren durch Aneinan-


derhängen ihrer Pfeile: . Abb. 1.10 ent-
..      Abb. 1.11 Vektorzerlegung. Zerlegung des räum-
spricht also der Gleichung 
lichen Vektors a in die drei aufeinander senkrecht
  
   stehenden Komponenten ax , a y und az
c = a + b.
symbolisierenden Pfeile dürfen beliebig auf
Diese Regel erlaubt, jeden Vektor in Kom-
dem Papier herumgeschoben werden, aller-
ponenten zu zerlegen, deren Summe er dar-
dings nur parallel zu sich selbst.
stellt – zwei Komponenten in der Ebene,
drei im Raum. In . Abb. 1.11 sind ein
>>Merke
Koordinatensystem mit x-, y- und z-Achse
Vektoraddition: Aneinanderlegen der
eingezeichnet sowie die entsprechenden
 Vektorpfeile.
Komponenten des Vektors a. Zeigen diese
Komponentenzerlegung: Vektor als
Komponenten wie hier im Bild in Richtung
Summe seiner Komponenten (z. B. paral-
der Koordinatenachsen, so sind die Koordi-
lel zu den Achsen des Koordinatensys-
naten ax, ay und az des Vektors die positiven
tems).
Beträge der Komponentenvektoren. Zeigen
die Komponenten hingegen entgegengesetzt Die Multiplikation eines Vektors mit einem
zur Richtung der Koordinatenachse, so sind Skalar ändert nur seinen Betrag, nicht seine
die Koordinaten die negativen Beträge der Richtung. Bei diesem Satz muss man auf-
Komponentenvektoren. Krabbelt also eine passen: Multiplikation mit dem Skalar −1
Fliege genau auf der x-Achse in Richtung dreht die Richtung des Vektors um. So ist es
der x-Achse, so hat ihr Geschwindigkeits- definiert. Dann ist auch klar, wie man einen
vektor nur eine x-Koordinate vx, die positiv Vektor von einem anderen abzieht: Man ad-
ist. Krabbelt die Fliege hingegen auf der x- diert das negative dieses Vektors.
Achse in entgegengesetzter Richtung, so ist Vektoren darf man auch miteinander
ihr vx negativ. Öfter werden wir im Buch bei multiplizieren, beispielsweise die beiden Sei-

solchen eindimensionalen Bewegungen den ten a und b eines Rechtecks. Sie haben
Index x aus Bequemlichkeit weglassen und Richtungen, sind also Vektoren, auch wenn
sagen: Die Geschwindigkeit v der Fliege ist davon noch nicht die Rede war. Und wie ist es
je nach Richtung positiv oder negativ. mit der Fläche selbst? Die vier Wände eines
Es ist noch wichtig zu bemerken: Einfa- Zimmers stehen senkrecht aufeinander, Bo-
che Vektoren haben wirklich nur eine Rich- den und Decke liegen horizontal; alle sechs
tung im Raum, sie haben keine Lage. Die sie Seiten haben paarweise unterschiedliche
1.4 · Vektoren und Skalare
17 1

..      Abb. 1.12 Vektorielles Produkt. Der Produktvek-


tor (Flächen A) steht senkrecht auf jedem der beiden
Ausgangsvektoren (den Kanten der Rechtecke). Zum
  
Beispiel: a ´ c = A2
..      Abb.
  1.13
 Rechte-Hand-Regel: Vektorprodukt

Richtungen im Raum. Insofern kann man A ´ B = C ; A (Daumen) weist nach oben, B (Zeigefin-
Flächen als Vektoren auffassen. Fragt sich ger) weist nach hinten, C (abgewinkelter
 Mittelfinger)
nur, in welcher Richtung ihre Vektorpfeile ge- steht senkrecht auf A und B
zeichnet werden müssen. Dazu sagt die Ma-
thematik: senkrecht zur Ebene, also in Rich- ren liegen antiparallel, sie haben entgegen-
tung der Flächennormalen (. Abb. 1.12). gesetzte Vorzeichen:

Die Fläche A1 des Rechtecks ist demnach das    
vektorielle
 Produkt der beiden Vektoren a

(
A´ B = - B ´ A . )
und b :
   Beim vektoriellen Produkt dürfen die bei-
A1 = a ´ b , den Vektoren nicht vertauscht werden, das
gewohnte Kommutativgesetz  gilt nicht.

das vektorielle Produkt wird in Formeln mit Wenn zwei Vektoren A und B vektori-
einem Malkreuz gekennzeichnet und darum ell multipliziert werden sollen, müssen sie
auch Kreuzprodukt genannt. nicht senkrecht aufeinander stehen; der
Beim Quader hat es wenig Bedeutung, Winkel α darf von 90° abweichen. Das hat
ob die Pfeile der Flächen aus ihm hinaus keinen Einfluss
 auf die Richtung des Pro-
oder in ihn hinein zeigen. Allgemein darf duktvektors
 C , wohl aber auf seinen Betrag
man aber nicht so lässig sein. Dann gilt die C . Beim Vektorprodukt gilt:
sog. Rechte-­Hand-­Regel (. Abb. 1.13):   
Man denkt sich: A ´ B = C ; den Daumen C = A · B ·sin a .
der rechten Hand legt man dann in Rich-
tung von
 A , den Zeigefinger in Richtung Bei Quadern und Zylindern berechnet man
von B . Der abgewinkelte Mittelfingerhat das Volumen nach dem Schema „Grund-
dann die Richtung des Produktvektors C . fläche mal Höhe“. Ein Volumen hat keine
Dies hat eine auf den ersten Blick über- Richtung im Raum; bei dieser Multiplika-
raschende
  Konsequenz. Für   das Produkt tion zweier Vektoren
B ´ A ergibt sich die zu A ´ B entgegenge-   muss ein Skalar heraus-
kommen: V = A × h . Man spricht von einem
setzte Richtung, da nun der Daumen in Skalarprodukt und kennzeichnet es durch
Richtung von B und der Zeigefinger in einen Malpunkt. Üblicherweise definiert
Richtung von A gelegt werden muss. (Pro- man die „Höhe“ eines Zylinders durch den
bieren Sie es aus.) Die beiden Produktvekto- senkrechten Abstand seiner beiden Grund-
18 Kapitel 1 · Grundbegriffe

flächen; das skalare


 Produkt gibt sich auch 55 Kosinus = Ankathete/Hypotenuse
1 mit der Länge l des Zylinders zufrieden, 55 Tangens = Gegenkathete/Ankathete
bezieht dann aber den  β zwischen
 Winkel 55 Kotangens = Ankathete/Gegenkathete
den beiden Vektoren A und l mit ein:
    Die Umkehrfunktionen zu den Winkelfunk-
V = A × l = A × l × cos b . tionen werden Arkusfunktionen genannt.
Beispielsweise gilt: Wenn sin α = a, dann gilt
α = arcsina.
Hier muss die Winkelfunktion Kosinus ste-
Winkel misst man üblicherweise fernab
hen, denn das Volumen ist beim senkrechten
 von Dezimalsystem und SI in Winkelgrad:
Zylinder
 am größten, dann also, wenn A
90° für den rechten, 180° für den gestreckten
und l parallel sind (. Abb. 1.14).
und 360° für den Vollwinkel „einmal he-
rum“. Mathematik und Physik bevorzugen
>>Merke
aber das Bogenmaß. Man erhält es, indem
Vektormultiplikation:
man um den Scheitel des Winkels α einen
55 skalares Produkt:
    Kreis mit dem Radius r schlägt. Die Schen-
C = A × B = A × B × cos a , kel schneiden aus ihm einen Kreisbogen der
55 vektorielles Produkt: Länge s heraus (. Abb. 1.15), der sowohl zu
       α wie zu r proportional ist. Dementspre-
C = A ´ B; C = A × B × sin a , C senk-
  chend definiert man:
recht auf A und B.

Lange s des Kreisbogens
Winkel a = .
Radius r desKreises
1.5 Wichtige Funktionen
Als Quotient zweier Längen ist der Winkel
1.5.1 Winkelfunktionen ! eine dimensionslose Zahl. Trotzdem wird
ihm zuweilen die Einheit Radiant (rad) zu-
Bei den Multiplikationen der Vektoren spie- geordnet, um daran zu erinnern, dass diese
len die beiden Winkelfunktionen Sinus und Zahl einen Winkel repräsentieren soll. Die
Kosinus eine Rolle. Der Vollständigkeit hal- Umrechnung von Winkelgrad in Bogenmaß
ber sei hier an ihre Definitionen im recht- ist leicht zu merken: 360° entsprechen 2π,
winkligen Dreieck erinnert: d. h. 1° = 0,01745 (. Abb. 1.16).
55 Sinus = Gegenkathete/Hypotenuse Die Funktionen Sinus und Kosinus er-
lauben, Schwingungen mathematisch zu be-
schreiben. Lässt man einen Punkt auf einer
Kreisbahn umlaufen (. Abb. 1.17), so kann
man den Fahrstrahl, d. h. die Punkt und
Zentrum verbindende Gerade, als Hypote-

..      Abb. 1.14 Skalares Produkt zweier Vektoren am


Beispiel des Volumens eines Kreiszylinders ..      Abb. 1.15 Winkel im Bogenmaß: α = s/r
1.5 · Wichtige Funktionen
19 1
mit der Folge
x1 ( t ) = A0 × sin (w × t ) und
x2 ( t ) = A0 × cos (w × t )

Die Proportionalitätskonstante ω bekommt


..      Abb. 1.16 Umrechnung von Winkelgrad in Bogen- den Namen Winkelgeschwindigkeit.
maß
Anschaulich entstehen x1 durch horizon-
tale und x2 durch vertikale Projektion des
umlaufenden Punktes in . Abb. 1.17.
Zeichnet man die Projektionen auf, so erhält
man in beiden Fällen fast identische Gra-
phen einer einfachen Schwingung; sie unter-
scheiden sich lediglich durch den Startwert
bei t = 0, also α = 0: Der Sinus hat dort einen
Nulldurchgang, der Kosinus einen Maxi-
malwert. Einen Viertelumlauf später
(α = π/2) ist es umgekehrt. Nach einem vol-
len Umlauf (α = 2π) wiederholt sich das
Spiel von neuem. Gegen beliebig große Win-
kel hat die Mathematik ebenso wenig einzu-
wenden wie gegen negative. Eine Schwin-
gung wiederholt sich nach Ablauf einer
Schwingungsdauer T. Daraus folgt für die
Winkelgeschwindigkeit:

..      Abb. 1.17 (Video 1.3) Drehbewegung und Win- w = 2p / T .


kelfunktion. Zusammenhang zwischen den Winkel-
funktionen Sinus (rechts) und Kosinus (unten) und Den Kehrwert der Schwingungsdauer be-
der Drehbewegung eines auf einer Kreisbahn gegen zeichnet man als
den Uhrzeigersinn umlaufenden Punktes. Der Ra-
dius des Kreises bestimmt die Amplitude A0 der
Frequenz f = 1/T.
Auslenkung, die Zeit für einen Umlauf bestimmt Die Konsequenz
die Schwingungsdauer T = 2π/ω (https://doi.org/­
10.1007/000-07v) w = 2p × f

nuse der Länge A0 eines rechtwinkligen macht verständlich, dass ω auch Kreisfre-
Dreiecks mit dem Winkel α am Zentrum, quenz genannt wird.
der Ankathete x2 und einer Gegenkathete
mit der Länge x1 auffassen:
1.5.2 Exponentialfunktion und
x1 (a ) = A0 × sin a und x2 (a ) = A0 × cos a . Logarithmus !!

Läuft der Punkt mit konstanter Geschwin- Wer die Exponentialfunktion kennt, begeg-
digkeit um, so wächst α proportional zur net ihr in der Natur immer wieder. Sie ist
Zeit t: die Funktion des (ungestörten) Wachstums,
etwa eines Embryos vor der Zelldifferenzie-
a (t ) = w × t rung oder eines unberührten Sparguthabens
mit Zins und Zinseszins; sie ist aber auch die
20 Kapitel 1 · Grundbegriffe

Funktion (ungestörten) Abbaus, etwa eines


1 Medikaments im Organismus des Patienten
oder von Atomen durch radioaktiven Zer-
fall. Bei diesen Beispielen handelt es sich um
Funktionen der Zeit. Mathematische Allge-
meingültigkeit verlangt aber, der e-Funktion
zunächst einmal die Zahl x als unabhängige
Variable zuzuordnen. Zwei Schreibweisen
sind üblich:

y ( x ) = e x = exp ( x ) .
..      Abb. 1.18 Exponentialfunktion
Die zweite empfiehlt sich vor allem dann,
wenn der physikalische Zusammenhang die
Zahl x zu einem komplizierten Ausdruck
werden lässt; die erste Schreibweise lässt
leichter erkennen, worum es sich eigentlich
handelt. Der Buchstabe e steht für eine ganz
bestimmte Irrationalzahl, die Euler-Zahl:

e = 2, 718281828¼.

(Auch wenn es auf den ersten Blick anders


aussieht: e ist ein nichtperiodischer, unend-
licher Dezimalbruch.)
Auf Millimeterpapier aufgetragen, lie-
fert ex eine zunächst flach und dann immer ..      Abb. 1.19 Exponentialfunktion mit negativem
steiler ansteigende Kurve (. Abb. 1.18). Sie Exponenten
ist überall positiv, liegt also stets oberhalb
der Abszisse (ex > 0), und schneidet die Or- Eine der beiden Umkehrungen der Potenz
dinate bei e0 = 1. (Jede Zahl, also auch e, er- ist der Logarithmus (die andere ist die Wur-
gibt in nullter Potenz die eins.) Nach den zel). Ganz allgemein gilt:
Regeln des Potenzrechnens gilt e−x = 1/ex.
Weil ex mit wachsendem x ansteigt, fällt e−x Wenn a = bc , dann c = log b a
mit wachsendem x ab; der Graph läuft
asymptotisch auf die Abszisse zu, ohne sie je (gelesen: „c gleich Logarithmus a zur Basis
zu erreichen. Auch e−x bleibt stets positiv b“). Zur e-Funktion gehört der Logarith-
und schneidet die Ordinate bei der eins mus zur Basis e; er wird natürlicher Loga-
(. Abb. 1.19). Mit positivem Exponenten rithmus genannt und ln geschrieben:
beschreibt die e-Funktion ungestörtes
Wachstum, mit negativem ungestörtem Ab- Wenn y = e x , dann x = ln y = log e y.
bau.
Auch diese Zahlenwerte müssen mit dem
Taschenrechner ausgerechnet werden. Dort
>>Merke findet man neben der Taste für den natür-
Exponentialfunktion: ex = exp(x); lichen Logarithmus meist auch noch eine für
55 positiver Exponent: Wachstumsfunk- den Logarithmus zur Basis 10, den dekadi-
tion, schen Logarithmus, lg oder log geschrieben:
55 negativer Exponent: Abbaufunktion.
1.5 · Wichtige Funktionen
21 1

Wenn y = 10 w , dann w = lg y = log10 y. Exponent x gerade um 1 vergrößert. Die


Wachstumsfunktion exp(x) ist dann auf das
Dieser Logarithmus findet in der Messtech- e-fache ihres Ausgangswertes angestiegen,
nik beim Pegelmaß Anwendung (7 Abschn. die Abklingfunktion exp(–x) auf den e-ten
4.2.6). Teil abgefallen. Dieses Verhalten ist nicht
auf die Faktoren e und 1/e beschränkt. Die
Beliebige Basis Schrittweite x½ = ln 2 halbiert den Wert der
Der Logarithmus zu irgendeiner anderen Basis a kann abfallenden e-Funktion, gleichgültig, von
wie folgt berechnet werden: Definitionsgemäß gilt ja welchem x aus dieser Schritt getan wird
a = exp (ln a), also auch: (. Abb. 1.20). Entsprechend lässt sich die
W
y = aW = éëexp ( ln a )ùû . Lebensdauer τ eines radioaktiven Präpara-
Nun potenziert man eine Potenz durch Multiplikation tes leicht in die gebräuchlichere
der beiden Exponenten:
y = exp ( w × ln a ) Halbwertszeit T1/ 2 = t × ln 2 = 0, 693t
Daraus folgt aber:
umrechnen. (Davon wird in 7 Abschn. 8.2.6
ln y = w × ln a = log a y × ln a
noch genauer die Rede sein.) Die Eigen-
und schaft, bei vorgegebener Schrittweite unab-
ln y hängig vom Ausgangspunkt um einen fes-
log a y = .
ln a ten Faktor abzufallen oder anzusteigen, ist
Die beiden Logarithmen unterscheiden sich also nur Kennzeichen der e-Funktion.
um einen Zahlenfaktor. Eine wichtige Rolle spielt der Logarith-
mus in manchen Diagrammen. Im Anhang
findet sich eine Tabelle für den Dampfdruck
>>Merke pD des Wassers in Abhängigkeit von der
Der natürliche Logarithmus ist die Um- Temperatur. Zeichnet man diesen Zusam-
kehr zur e-Funktion. menhang in gewohnter Weise, d. h. in linea-
Aus mathematischen Gründen können Ex- rem Maßstab, auf Millimeterpapier, so be-
ponenten nur reine Zahlen ohne physikali-
sche Einheit sein; analog lassen sich auch
nur dimensionslose Zahlen logarithmieren.
Wenn eine Exponentialfunktion nun aber
Wachstum oder Abbau beschreiben soll,
dann muss die Zeit t mit einer entsprechen-
den Einheit im Exponenten erscheinen. Sie
kann dies nur zusammen mit einem Divisor
τ, der ebenfalls in einer Zeiteinheit zu messen
sein muss. Je nach den Umständen werden
ihm Namen wie Relaxationszeit, Zeitkons-
tante, Eliminationszeit oder Lebensdauer
gegeben. Selbstverständlich darf er durch
einen Faktor λ = 1/τ ersetzt werden:
t
y ( t ) = et = el ×t . ..      Abb. 1.20  Charakteristik der e-Funktion. Die
Schrittweite x½ ist eine für den Abfall der e-Funktion
charakteristische Größe: Sie halbiert die Ordinate un-
Nach Ablauf einer Zeitkonstanten, also abhängig von dem Punkt, von dem aus der Schritt ge-
nach einer Zeitspanne Δt = τ, hat sich der tan wird
22 Kapitel 1 · Grundbegriffe

kommt man das linke Teilbild der ihrem Exponenten und damit auch dessen
1 . Abb. 1.21. pD steigt ab 50° C rasch an, unabhängiger Variablen:
löst sich aber bei tieferen Temperaturen
kaum von der Abszisse. In solchen Fällen lg e ax = a × x × lg e = a × x × 0, 434.
empfiehlt es sich, längs der Ordinate nicht
die Dampfdrücke pD selbst aufzutragen, Trägt man aber z = x Konstante linear gegen
sondern die (z. B. dekadischen) Logarith- x auf, so erhält man eine Gerade. Folglich
men ihrer Maßzahlen {pD} (. Abb. 1.21 ergibt eine Exponentialfunktion in einfach-­
rechts, rechte Skala). logarithmischer Darstellung ebenfalls eine
Nun kann man nicht verlangen, dass je- Gerade.
dermann die Werte des dekadischen Loga- Wie in einschlägigen Schulbüchern nach-
rithmus im Kopf hat. Deshalb ist es üblich, zulesen, gilt ganz allgemein für alle Loga-
nicht sie an die Ordinate zu schreiben, son- rithmen, also auch für die natürlichen zur
dern die Messwerte selbst (. Abb. 1.21 Basis e:
rechts, linke Skala). Man spricht dann von
einer logarithmischen Skala und von einem ln ( a × b ) = ln a + ln b.
Diagramm in einfach-­logarithmischer Dar-
stellung, im Gegensatz zur doppelt-logarith- einer Multiplikation zweier Zahlen ent-
mischen, bei der beide Achsen logarithmisch spricht die Addition ihrer Logarithmen.
geteilt sind.
>>Merke
>>Merke Wichtige Rechenregeln für den Loga-
Kennzeichen der Exponentialfunktion: rithmus:
Änderungsgeschwindigkeit proportional ( )
ln e a = a
zum Momentanwert. ln ( a·b ) = ln ( a ) + ln ( b )
In einfach-logarithmischer Darstellung wird
die Dampfdruckkurve des Wassers fast zur
( )
ln a b = b × ln ( a )

Geraden. Damit signalisiert sie, dass der


Dampfdruck fast exponentiell mit der Tem-
peratur ansteigt. Wieso? Der dekadische 1.5.3 Potenzfunktionen
Logarithmus einer Exponentialfunktion
entspricht bis auf einen konstanten Faktor Ein Quadrat der Kantenlänge a besitzt die
Fläche AQ = a2, der entsprechende Würfel
D
D das Volumen VW = a3. Bei den Potenzfunk-
D tionen steht die unabhängige Variable in der
Basis und nicht im Exponenten wie bei den
Exponentialfunktionen. Für die Potenzen
selbst gelten aber die gleichen Rechenre-
geln.
Generell gibt es zur Potenz zwei Um-
kehrfunktionen, den bereits besprochenen
Logarithmus und die Wurzel. Die Kanten-
länge a ist die 2. Wurzel oder Quadratwur-
zel der Fläche AQ des Quadrats und die 3.
..      Abb. 1.21  Logarithmischer Maßstab. Dampf- Wurzel oder Kubikwurzel des Würfelvolu-
druckkurve des Wassers in linearem und in logarithmi-
schem Maßstab (Einzelheiten im Text)
mens VW:
1.5 · Wichtige Funktionen
23 1

a = AQ = AQ1/ 2 = 3 VW = VW
1/ 3
. (Auflösung nach I). Etwas schwieriger wird
es, wenn die Größe, nach der aufgelöst wer-
den soll, nicht nur in der 1., sondern auch in
Kehrwerte ganzer Zahlen im Exponenten
der 2. Potenz vorkommt. Eine solche quad-
entsprechen Wurzeln. Nehmen wir an, wir
ratische Gleichung bringt man zunächst in
haben einen Exponenten 0,425 = 17/40. Das
ihre Normalform:
bedeutet die 40. Wurzel der 17. Potenz:
x 2 + p × x + q = 0.
m0,425 = m17 / 40 = 40 m17 .
Sodann subtrahiert man q:
Da muss man schon einen Taschenrechner
zu Hilfe nehmen. x 2 + p × x = -q.
>>Merke und addiert die sogenannte quadratische Er-
Wichtige Rechenregeln für Potenzen: gänzung p2/4:
an × am = an+m
p2 p2
(a )n m
= a n×m x2 + p × x + = - q.
4 4
1
a-n =
an Jetzt kann man nämlich nach dem Schema
a1/ n = n a
( a + b )2 = a 2 + 2ab + b2

1.5.4 Algebraische Gleichungen die Gleichung auf der linken Seite umschrei-
ben zu
Eine Gleichung bleibt als Gleichung erhal- 2
ten, wenn man auf beiden Seiten das Glei- æ pö p2
che tut, die gleichen Größen addiert oder çx+ ÷ = -q
è 2ø 4
subtrahiert, mit den gleichen Größen mul-
tipliziert oder potenziert usw. Nach diesem und anschließend die Wurzel ziehen
Schema lassen sich Gleichungen umformen
und nach einer gewünschten Größe auf- p p2
lösen. Definitionsgemäß ist der elektrische x+ =± -q
2 4
Widerstand R der Quotient aus elektrischer
Spannung U und elektrischem Strom I: (auch negative Größen liefern positive Qua-
drate; bei Quadratwurzeln sind deshalb
U
R= . beide Vorzeichen erlaubt). Jetzt lässt sich
I nach x auflösen:
Multiplikation mit I führt zu:
1 p2
x=- p± - q.
U = I ×R 2 4

(Auflösung nach U), anschließende Division Eine quadratische Gleichung hat demnach
durch R zu: 55 zwei Lösungen, wenn p2 > 4q,
55 eine Lösung, wenn p2 = 4q,
U
I= 55 keine Lösung, wenn p2 < 4q (jedenfalls
R keine reelle).
24 Kapitel 1 · Grundbegriffe

1.6 In Kürze


1 Absolute
Messunsicher-
u(x); x: Messwert
Bedeutet: Der wahre Wert
zz Einheiten heit der Größe befindet sich
Physikalische Größen kann man messen. sehr wahrscheinlich
zwischen den Werten
Das Ergebnis einer Messung wird angege-
x − u(x) und x + u(x).
ben als Produkt aus einer Maßzahl und der
Einheit der betreffenden Größe. Die Einhei- Relative u ( x)
Messunsicher- ; absolute Messunsi-
ten sind festgelegt im internationalen Ein- x
heit
heitensystem SI. cherheit geteilt durch
Messwert (dimensionslos)
Basiseinheiten Meter, Sekunde, Kilo-
gramm, Ampere, Kelvin, Fehlerfort- Regel 1: Bei Multiplikation
Mol, Candela pflanzung oder Division von
Messwerten addieren sich
Abgeleitete z. B. Kraft:
die relativen Messunsicher-
Einheiten
kg × m heiten.
1 = 1N, Newton
s2 Regel 2: Bei Addition
oder Subtraktion von
Messwerten addieren sich
die absoluten Messunsi-
cherheiten.
zz Messunsicherheiten
Messungen sind nie beliebig genau. Weicht Schätzung des
1 n
der gemessene Wert vom tatsächlichen Wert
Messwertes bei Mittelwert x = åxi
n i =1
vielen
der Größe bei jeder Messung um den glei- Messungen x1,
chen Betrag ab, so spricht man von einem …, xn
systematischen Fehler. Streuen die Mess- Schätzung der Standardabweichung des
werte bei wiederholter Messung um einen Messunsicher- Mittelwertes
Mittelwert, so spricht man von einem zufäl- heit n
ligen Fehler. Ein mathematisches Maß für å ( xi - x )
2

1
diese Streuung ist die Standardabweichung s ( x) = × i =1
n n -1
s, eine Schätzung für die Messunsicherheit
die Standardabweichung des Mittelwertes.

zz Exponentialfunktion und Logarithmus


Exponentialfunktion y = ea ⋅ x a > 0: ansteigend
a < 0: abfallend

Rechenregeln ea ⋅ x = (ea)x;ex + y = ex ⋅ ey

Beispiel radioaktiver N(t) = N0 ⋅ e−t/τ N: Teilchenzahl


Zerfall t: Zeit [s]
τ: Zeitkonstante [s]
N0: Teilchenzahl bei t = 0

Halbwertszeit T1/2 = τ ⋅ ln 2 [s]


Nach jeweils der Halbwertszeit halbiert sich die Teilchenzahl

Halblogarithmische 1
Auftragung ln N ( t ) = - × t
t
In der halblogarithmischen Auftragung ergibt sich eine fallende Gerade
mit der Steigung −1/τ.
1.7 · Fragen und Übungen
25 1
Logarithmusfunktion (zur y = ln x Umkehrfunktion zu ex
Basis e)

Rechenregeln ln(ea) = a;ln(a ⋅ b) = ln (a) + ln (b); ln(ab) = b ⋅ ln (a)

zz Quadratische Gleichung 1.2 ⧫ Welches Volumen steht dem Gehirn


eines Menschen ungefähr zur Verfügung?
p-q-Formel x2 + p ⋅ x + q = 0
Zur Abschätzung sei angenommen, dass der
Schädel eine hohle Halbkugel von etwa
1 p2
x1/ 2 = - p± -q 20 cm Durchmesser bildet.
2 4
1.3 ⧫ Wie groß ist schätzungsweise die
Körperoberfläche des Griechen aus
. Abb. 1.3?
1.4 ⧫ Welche Massen haben 3,5 Mol
1.7 Fragen und Übungen Wasserstoffgas (H2) und ein Molekül Ethyl-
alkohol C2H5OH? Sie müssen die Tabellen
1.7.1 Verständnisfragen im Anhang zur Hilfe nehmen!
1.5 ⧫⧫ Wie groß ist das Molvolumen des
1.1 Was ist für die statistische Abschätzung Wassers?
der Messunsicherheit maßgeblich: die Stan-
dardabweichung oder die Standardabwei- zz Messunsicherheit
chung des Mittelwertes? 1.6 ⧫⧫ Wenn der Zuckerfabrik ungewa-
1.2 Ändert sich die relative Unsicherheit schene Rüben angeliefert werden, zieht sie
eines Messwertes, wenn der Messwert durch vom gemessenen Gewicht einen Anteil als
drei geteilt wird? Erfahrungswert ab. Systematischer oder zu-
1.3 Welche Größen sind Vektoren, wel- fälliger Fehler, relativer oder absoluter Feh-
che nicht: Kraft, Temperatur, Volumen, die ler?
Bewertung einer Fernsehsendung, Höhe, 1.7 ⧫ Der Radius eines Kreises ist mit ei-
Geschwindigkeit, Alter? ner relativen Messunsicherheit von 0,5 %
1.4 Der radioaktive Zerfall wird durch bekannt. Was ist dann die Unsicherheit für
eine abfallende Exponentialfunktion be- die Kreisfläche?
schrieben. Wartet man eine Zeitspanne Δt, 1.8 ⧫ Durch einen elektrischen Wider-
so sind zwei Drittel aller ursprünglich vor- stand fließt bei einem Spannungsabfall von
handenen radioaktiven Atome zerfallen. 2 V ± 0,1 V ein Strom von 1 A ± ,1 A. Wie
Wie viele der ursprünglich vorhandenen groß ist die relative Unsicherheit für die im
Atome sind zerfallen, wenn man noch ein- Widerstand umgesetzte Leistung?
mal die Zeitspanne Δt wartet? 1.9 ⧫ Ein Vorgang dauert von t1 = 10 s
bis t2 = 20 s. Beide Zeitpunkte sind nur auf
eine Zehntelsekunde genau gemessen. Wie
1.7.2 Übungsaufgaben groß ist die absolute Unsicherheit für die
Dauer des Vorgangs?
(⧫ leicht; ⧫⧫ mittel; ⧫⧫⧫ schwer)
1.1 ⧫ Für wissenschaftliche Vorträge gilt zz Vektoren
eine beherzigenswerte Regel: Rede niemals 1.10 ⧫ Wann verschwindet das Vektorpro-
länger als ein Mikrojahrhundert. Wie lange dukt, wann das Skalarprodukt zweier Vek-
ist das? toren unabhängig von deren Beträgen?
26 Kapitel 1 · Grundbegriffe

zz Exponentialfunktion man das Wort „Explosion“ mit exponentiel-


1 1.11 ⧫⧫1850 lebten auf der Erde 1,17 Mrd. lem Wachstum gleichsetzt?
Menschen, 1900 waren es bereits 1,61 Mrd. 1.12 ⧫⧫ Nimmt die Anzahl der Quecksil-
und 1950 2,50 Mrd. Entsprechen diese Zah- bertropfen in . Abb. 3.27 exponentiell mit
len einer „Bevölkerungsexplosion“, wenn der Zeit ab? Wenn ja: welche Zeitkonstante?
27 2

Mechanik starrer Körper


Inhaltsverzeichnis

2.1 Bewegung – 29
2.1.1 F ahrstrecke und Geschwindigkeit !! – 29
2.1.2 Überlagerung von Geschwindigkeiten – 32
2.1.3 Beschleunigung ! – 33
2.1.4 Kreisbewegung ! – 38
2.1.5 Bewegung von Gelenken – 39
2.1.6 Relativ oder absolut? – 40

2.2 Kraft, Drehmoment, Energie – 41


2.2.1  räfte ! – 41
K
2.2.2 Gewichtskraft und Gravitation ! – 45
2.2.3 Reibung – 46
2.2.4 Arbeit und Energie !! – 47
2.2.5 Kinetische Energie ! – 52
2.2.6 Hebel und Drehmoment ! – 54
2.2.7 Grundgleichungen des Gleichgewichts – 57
2.2.8 Gleichgewichte – 57

2.3 Kraft und Bewegung – 60


2.3.1  ewton’sche Gesetze !! – 60
N
2.3.2 Impuls – 63
2.3.3 Trägheitskräfte – 65
2.3.4 Drehbewegung – 67
2.3.5 Trägheitsmoment und Drehimpuls – 70

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial,


das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_2. Die
Videos lassen sich mit Hilfe der SN More Media App abspielen, wenn Sie die gekennzeichneten Ab-
bildungen mit der App scannen.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_2
2.4 In Kürze – 72

2.5 Fragen und Übungen – 75


2.5.1  erständnisfragen – 75
V
2.5.2 Übungsaufgaben – 75
2.1 · Bewegung
29 2
Seit eh und je bildet die Mechanik die 55 Einheit 1 m/s oder, im Straßenverkehr
Grundlage der Physik und gehört deshalb üblicher, 1 km/h. Die Umrechnung ist
an den Anfang eines Lehrbuches. Sie han- einfach: Ein Kilometer hat 103 m, eine
delt von den Bewegungen der Körper und Stunde 3,6 · 103 s. Wer brav 90 km/h auf
von den Kräften, die diese Bewegungen aus- der Landstraße fährt, hat zu rechnen:
lösen. Damit spielt sie in alle Gebiete der
Naturwissenschaften hinein, über die Bin- km 90 ×103 m m
v = 90 = = 25 .
dungskräfte der Moleküle in die Chemie, h 3
3, 6 ×10 s s
über die Muskelkräfte in die Medizin, über
die von Benzin- und Elektromotoren entwi- Dieses Schema funktioniert auch bei ande-
ckelten Kräfte in die Technik usw. Werden ren Umrechnungen.
Kräfte nicht durch Gegenkräfte kompen- Wer eisern die 90 km/h beibehält, kommt
siert, haben sie Bewegungsänderungen zur demnach in der Sekunde 25 m weit, in der
Folge, Beschleunigungen genannt. Dabei Minute 60 · 25 m = 1,5 km und in der Stunde
wird Energie umgesetzt; sie ist eine der wich- eben 90 km. Die Länge Δs des zurückgeleg-
tigsten physikalischen Größen überhaupt. ten Weges ist der Fahrzeit Δt proportional
(. Abb. 2.1):

2.1 Bewegung Ds = v0 × Dt.

2.1.1 Fahrstrecke und Die Position als Funktion der Zeit ist
Geschwindigkeit !! eine Gerade mit konstanter Steigung
(. Abb. 2.1). Die Steigung einer Geraden
Dem motorisierten Menschen ist die Voka- ist die Geschwindigkeit und man bestimmt
bel „Geschwindigkeit“ geläufig, vom Tacho- sie mithilfe des Steigungsdreiecks, eines
meter seines Autos nämlich; Lastwagen rechtwinkligen Dreiecks, dessen Hypote-
registrieren sie sogar mit einem Fahrten- nuse ein Stück der Geraden ist und dessen
schreiber. Wie solche Geräte im Einzelnen Katheten parallel zu den Achsen des Dia-
funktionieren, interessiert hier nicht. Im gramms liegen. Dabei spielt die Größe des
Grunde sind sie Drehzahlmesser: Sie ver- Dreiecks keine Rolle, denn der Quotient der
melden, wie oft sich die Hinterachse des Katheten, eben die (mathematisch defi-
Fahrzeugs in der Sekunde, in der Minute nierte) Steigung, ist davon unabhängig. Alle
herumdreht. Physikalisch korrekter: Dreh-
zahlmesser messen die

Drehfrequenz f = DN / Dt.

Anzahl der Umdrehungen ΔN, benötigte


Zeitspanne Δt.
55 Einheit 1/s oder 1/min, denn die „Um-
drehung“ ist keine Einheit, sie wird nur
gezählt.

Bei jeder Umdrehung kommt das Fahrzeug


einen Radumfang sr weiter. Es fährt deshalb
mit der ..      Abb. 2.1 Steigungsdreiecke. Zur grafischen Er-
mittlung der Geschwindigkeit: Alle zur gleichen Gera-
den gezeichneten Steigungsdreiecke sind einander
Geschwindigkeit v = f × sr .
ähnlich; die Quotienten ihrer Katheten sind gleich
30 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

zur gleichen Geraden gezeichneten Dreiecke zialquotienten ds/dt über. Die momentane
sind einander „ähnlich“ im Sinn der Mathe- und zeitabhängige
matik (. Abb. 2.1). Diese Steigung ist im-
ds ( t )
2 mer die ­Geschwindigkeit:
Geschwindigkeit v ( t ) =
dt
Ds
v0 = .
Dt ist als Differenzialquotient definiert. In der
Mathematik wird Differenziationen oft durch
einen nachgesetzten Strich (y’ = dy/dx) ge-
>>Merke kennzeichnet. In diesem Buch wird diese
Konstante Geschwindigkeit Kurzform aber nicht verwendet.
Ds
v= ; >>Merke
Dt
Ungleichförmige Bewegung momentane
Fahrstrecke: Δs = v ⋅ Δt. Geschwindigkeit
Das gilt aber nur bei konstanter Geschwin- ds ( t )
v (t ) = .
digkeit, in der Gleichung durch den Index 0 dt
gekennzeichnet. Im Verkehr kommt das
nicht vor. Dort ändert sich die Geschwindig- Differenziell kleine Dreiecke kann man we-
keit ständig, sie wird eine Funktion der Zeit: der zeichnen noch ausmessen. Die Richtung
v = v(t). Das Weg-Zeit-­Diagramm ergibt in der differenziell kleinen Hypotenuse stimmt
diesem Fall eine gekrümmte Kurve aber mit der Richtung einer Tangente über-
(. Abb. 2.2). ein, die am Ort des Dreiecks an der Kurve
Bei einer gekrümmten Kurve muss man anliegt. Die Tangente ist eine Gerade, ihre
die Steigungsdreiecke so klein zeichnen, Steigung kann also wie besprochen mit ei-
dass die Krümmung ihrer „Hypotenusen“ nem Steigungsdreieck bestimmt werden
nicht mehr auffällt, streng genommen also (. Abb. 2.2). Auf diese Weise lässt sich das
unendlich klein. Lässt man Δt zum Diffe- ganze s(t)-Diagramm grundsätzlich Punkt
renzial dt schrumpfen, so schrumpft auch für Punkt in seine Ableitung, das v(t)-Dia-
Δs zu ds. Das Verhältnis der beiden bleibt gramm, überführen.
dabei als endlicher Wert erhalten: Der Diffe- . Abb. 2.3 gibt ein Beispiel hierfür: Ein
renzenquotient Δs/Δd einer zeitlich konstan- Vorortzug startet um 7:48 Uhr und be-
ten Geschwindigkeit v0 geht in den Differen- schleunigt auf 60 km/h. Um 7:55 Uhr bremst
er wegen einer Baustelle ab auf 30 km/h und
bleibt um 8:00 Uhr am nächsten Bahnhof
stehen. Das obere Teilbild zeigt die Position
des Zuges als Funktion der Zeit, das untere
Teilbild geometrisch betrachtet die Steigung
des Graphen des oberen Teilbilds zu jedem
Zeitpunkt. Den Verlauf der Geschwindig-
keit kann man daraus im Prinzip ungefähr
mit Lineal und Bleistift ermitteln. Man
nennt so etwas grafisches Ableiten und
manchmal ist das ganz nützlich. Will man es
..      Abb. 2.2 Momentane Geschwindigkeit: Die Stei-
genau wissen, muss man natürlich zur Ma-
gung einer Kurve ist die Steigung ihrer Tangente; Ein- thematik und formalen Differenziation
zelheiten im Text greifen.
2.1 · Bewegung
31 2
im Zeitintervall Δt2, in dem die Geschwin-
digkeit konstant 60 km/h beträgt. Die in die-
sem Zeitintervall zurückgelegte Strecke be-
trägt:

Ds2 = 60km / h × Dt2 = 60km / h × 5 min = 5km.

Grafisch entspricht dies der rot schraffierten


Fläche unter dem Geschwindigkeitsgra-
phen. Der gesamte Abstand zwischen den
Bahnhöfen ergibt sich entsprechend aus der
gesamten Fläche unter dem Geschwindig-
keitsgraphen zwischen 7:48 und 8:00 Uhr. In
der etwas idealisierten . Abb. 2.4 ist sie
nicht schwer zu bestimmen.
Im Allgemeinen bezeichnet man eine sol-
che Flächenbestimmung als Integration, sein
Ergebnis als Integral. Im Diagramm wird es
repräsentiert durch die „Fläche unter der
Kurve“, zwischen Kurve und Abszisse. Ein
konkreter Zahlenwert lässt sich freilich nur
angeben, wenn die Fläche nicht nur oben
..      Abb. 2.3 Vorortzug. Weg-Zeit-Diagramm (oben) und unten begrenzt ist, sondern auch links
und Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm (unten) eines und rechts. Das bestimmte Integral
Vorortzuges
t1
Ds = s ( t1 ) - s ( t0 ) = òv ( t ) dt
t0

liefert die Länge Δs des Weges, der zwischen


den Zeitpunkten t0 und t1, zwischen den sog.
Integrationsgrenzen, mit der Geschwindig-
keit v(t) durchfahren wurde.
Ein wichtiger Satz in der Mathematik be-
sagt, dass die Integration die Umkehropera-
tion zur Differenziation ist. Man kann also
von Differenziationsregeln auf Integrations-
..      Abb. 2.4 Grafische Integration. Bestimmung der regeln schließen. Computer integrieren aber
Fahrstrecke durch grafische Integration im Geschwin- numerisch. Das funktioniert etwa so, wie
digkeits- Zeit-Diagramm; Einzelheiten im Text wenn man den Funktionsgraphen auf Karo-
papier malt und dann die Kästchen unter
Es muss natürlich auch umgekehrt mög- dem Graphen auszählt. Je genauer man die
lich sein, aus dem Geschwindigkeits-­ Zeit-­ Fläche wissen will, umso kleiner muss man
Diagramm auf die zurückgelegte Strecke zu die Kästchen wählen, umso mehr hat man
schließen. Wie das geht, soll . Abb. 2.4 ver- auch zu zählen. Computer können sehr
deutlichen. Besonders einfach liegt der Fall schnell zählen.
32 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

ganzen Flussbreite als gleich angenommen.


Für den Beobachter am ruhenden Ufer, und
damit auch über Grund, addieren sich die
2 beiden Geschwindigkeiten vektoriell.
Wie man in . Abb. 2.5 (links) sieht,

steht die Eigengeschwindigkeit vb des Boo-
tes im ersten Fall senkrecht auf der Strö-

mungsgeschwindigkeit vf des Flusses. Ihre
Vektorpfeile sind Katheten in einem recht-
winkligen Dreieck mit der Geschwindigkeit

..      Abb. 2.5 Vektorielle Addition von Geschwindigkei-

vg über Grund als Hypotenuse. Nach dem
ten: Ein Boot mit der Eigengeschwindigkeit vb über- Satz des Pythagoras hängen deshalb die drei

quert einen Fluss (Strömungsgeschwindigkeit v f , Beträge folgendermaßen zusammen:
Breite b). Links: Der Bootsführer lässt sich abtreiben;

rechts: Er „hält vor“. Die Geschwindigkeit vg lässt
sich mithilfe der Winkelfunktionen und mit dem Satz vg 2 = vf 2 + vb 2 .
des Pythagoras berechnen
 
Den Driftwinkel α zwischen vf und vb lie-
fert die Winkelfunktion Tangens:
2.1.2  berlagerung von Ge-
Ü
schwindigkeiten 
vf
tan a =  .
vg
Wer im Boot einen breiten Fluss überqueren
will, muss dessen Strömung berücksichti-
gen: Sie treibt ihn flussab. Bei den vielen In diesem Fall hat die Strömung des Flusses
Möglichkeiten, unter denen der Steuermann keinen Einfluss auf die Zeit Δt, die das Boot
wählen kann, gibt es zwei Grenzfälle: zum Überqueren benötigt. Die Flussbreite b
55 Er hält sein Boot ständig quer zum Strom ist durchfahren in
und lässt es abtreiben (. Abb. 2.5 links)
b
55 Der Steuermann „hält gegen den Strom“, Dt =  .
und zwar so, dass sein Boot das andere vb
Ufer „auf gleicher Höhe“ erreicht
(. Abb. 2.5 rechts). Damit folgt für den Betrag x der Strecke, um
die das Boot abgetrieben wird:
Welcher Weg ist der schnellere? Mit welcher 
Geschwindigkeit fährt das Boot in beiden x = Dt × vf .
Fällen „über Grund“? Um welchen Winkel
muss das Boot im zweiten Fall „vorhalten“, Im rechten Teilbild hält der Bootsführer um

um welchen wird es im ersten Fall abgetrie- einen Winkel β zwischen vb und der Ge-

ben? Wir müssen nun die Geschwindigkeit samtgeschwindigkeit vg vor, um senkrecht
als einen Vektor betrachten, also eine Größe, über den Fluss zu kommen. Für diesen Win-
die nicht nur einen Betrag, sondern auch eine kel gilt:
Richtung hat. Die Antworten erhält man 
durch Vektoraddition. Aus eigener Kraft be- v
sin b = f .
schafft sich das Boot eine Relativgeschwin- vb

digkeit vb gegenüber dem Wasser des Flus-
ses. Dieses läuft mit oder ohne Boot mit der Wie man im Bild schon sieht, ist jetzt die

Strömungsgeschwindigkeit vf des Flusses; Überquerungsgeschwindigkeit senkrecht

diese wird der Einfachheit halber auf der zum Fluss vg kleiner.
2.1 · Bewegung
33 2
Im Falle einer konstanten Beschleunigung
Rechenbeispiel 2.1: Wie weit muss der bedeutet das dann:
Bootsführer vorhalten? 
  Dv
Aufgabe. Der Fluss fließe mit vf = 1m / s .
 a= .
Das Boot fährt mit vb = 3 m / s relativ Dt
zum Wasser. Es will genau senkrecht
übersetzen. Wie weit muss der Bootsfüh- Damit liegt auch ihre Einheit fest:
rer vorhalten und wie schnell fährt das
m/s
Boot über den Fluss? 1 = 1 m / s 2 = 1 m × s -2 .
Lösung. Wir schauen auf das rechte s
Teilbild der . Abb. 2.5. Der Winkel, um 
den relativ zur senkrechten Fahrtrich- Jede Beschleunigung hat eine Richtung, a
tung vorgehalten werden muss, berech- ist also ein Vektor, der sich obendrein noch

net sich zu: mit der Zeit zu ändern pflegt: a ( t ) . Der all-
 gemeine Fall ist immer denkbar kompliziert.
vf
sin a =  = 0, 33 Þ a = 19, 5°. Es gibt aber einfache Grenzfälle:
vb 55 Hat die Beschleunigung die gleiche Rich-
Die Geschwindigkeit gegen Grund er-
tung wie die Geschwindigkeit, so ändert
gibt sich aus dem Satz des Pythagoras:
sie nur deren Betrag, nicht deren Rich-
tung; man nennt sie dann Bahnbeschleu-
vg = vb2 - vf2 = 2, 83m / s. nigung.

55 Im anderen Extrem steht a senkrecht

auf v und ändert als Radialbeschleuni-
gung nur deren Richtung, nicht den Be-
2.1.3 Beschleunigung ! trag.
Im Sprachgebrauch des Alltags wird das Jede andere Beschleunigung lässt sich als
Wort „beschleunigt“ meist lediglich im Sinn Vektor in eine radiale und eine tangentiale
von „schnell“ oder „schneller werdend“ ver- Komponente zerlegen.
wendet; im Sprachgebrauch der Physik ist
jede Bewegung „beschleunigt“, die ihre Ge- >>Merke
schwindigkeit ändert, ob sie nun schneller Beschleunigung: Änderungsgeschwin-
wird oder langsamer. digkeit der Geschwindigkeit
Ganz wichtig: Eine Bewegung gilt auch  2
als beschleunigt, wenn die Geschwindigkeit  dv ( t ) d s ( t )
a= = , SI-Einheit: 1 m/s2.
nur die Richtung ändert. Da die Beschleuni- dt dt 2
 
gung also auch angeben muss, in welche 55 Bahnbeschleunigung: a parallel zu v ,
 
Richtung sich die Geschwindigkeit ändert, 55 Radialbeschleunigung: a senkrecht zu v .
muss sie selbst ein Vektor sein. Die physika- Das Weg-Zeit-Diagramm des Vorortzuges

lische Größe Beschleunigung a ist die Än- von . Abb. 2.3 sagt über Kurven im Bahn-
derungsgeschwindigkeit der Geschwindig- damm nichts aus, also auch nichts über et-

keit v . Sie ist also der 1. Differenzialquotient waige Radialbeschleunigungen; ihr kann
der Geschwindigkeit nach der Zeit t und nur die Bahnbeschleunigung entnommen
folglich der 2. Differenzialquotient des We- werden. Grundsätzlich muss man dazu s(t)

ges s : zweimal nach der Zeit differenzieren oder
 2 das Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm in
 dv ( t ) d s ( t ) . Abb. 2.3 (unten) einmal. Das Ergebnis
a= = .
dt dt 2 zeigt . Abb. 2.6: In den Bahnhöfen, auf
34 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

..      Abb. 2.6 Beschleunigungs-Zeit-Diagramm des Vor-


ortzuges von . Abb. 2.3 (nur Bahnbeschleunigung)

freier Strecke und in der Baustelle ist a = 0,


überall dort nämlich, wo sich die Geschwin-
digkeit nicht ändert, ob der Zug nun steht
oder nicht (v = konstant). Positiv wird die
Beschleunigung nur in der einen Minute des
Anfahrens, negativ nur in den beiden Brems-
perioden vor der Baustelle und vor dem
Zielbahnhof, denn hier nimmt v ab.
Keine Bahnbeschleunigung kann längere
Zeit unverändert anhalten; die Folge wären
übergroße Geschwindigkeiten. Für ein paar
Sekunden geht es aber schon, beim freien ..      Abb. 2.7 Freier Fall. Einzelheiten im Text
Fall beispielsweise. Wenn man die Luftrei-
bung vernachlässigen darf, fallen alle Kör-
digkeit v(t) ist auch negativ und ebenso die
per auf Erden mit der gleichen Erd- oder
Position s(t), wenn sie bei null beginnt.
auch Fallbeschleunigung g ≈ 9,81 m/s2 zu
Um die Position als Funktion der Zeit zu
Boden; sie führen eine gleichförmig be-
finden, müssen wir, wie im 7 Abschn. 2.1.1
schleunigte Bewegung aus.
gesagt, die Geschwindigkeit über die Zeit in-
Weil g konstant ist, wächst der Betrag
 tegrieren, den die Geschwindigkeit ändert
der Fallgeschwindigkeit v ( t ) linear mit der
sich ja:
Zeit, er wächst sogar proportional zur Zeit-
spanne t nach dem Loslassen, wenn der t t
0 0
1
Stein wirklich nur losgelassen und nicht ge- s ( t0 ) = òv ( t ) × dt = ò - g × t × dt = - g × t02
worfen wird. Bei v = 0 zum Zeitpunkt t = 0 0 0
2
gilt:
Da sich die Geschwindigkeit linear mit der
v (t ) = - g × t Zeit ändert, ist hier keine große Integrier-
kunst von Nöten, wie . Abb. 2.8 zeigen
(. Abb. 2.7 oben und Mitte). Beim freien soll. Sie entspricht . Abb. 2.7 (Mitte). Das
Fall wird meistens die Richtung senkrecht Integral ist die Fläche zwischen Funktions-
nach oben positiv genommen und die Rich- graph und t-Achse. In . Abb. 2.8 hat sie
tung senkrecht nach unten negativ. Die Be- zwischen t = 0 und t = 1 offenbar den Flä-
schleunigung ist dann –g, die Fallgeschwin- cheninhalt:
2.1 · Bewegung
35 2
dann kleiner, aber die Strecke nimmt auch
mit der Zeit ins Quadrat zu.
s Die bisher aufgestellten Gleichungen
s

gelten nicht allgemein, denn der Stein


könnte ja zur Zeit t = 0 schon mit einer ge-
wissen Geschwindigkeit v0 gestartet sein.
Dann wäre diese noch dazuzuzählen:

v ( t ) = - g × t + v0 .

Die Position wäre immer noch Geschwin-


digkeit mal Zeit:
s
1
s ( t ) = - g × t 2 + v0 × t
..      Abb. 2.8 Integration für die Strecke beim freien Fall 2

Es könnte auch noch sein, dass der Stein


-10 m / s ×1s zum Zeitpunkt t = 0 nicht bei s = 0 startet,
s (1s ) = = -5 m sondern an einer Stelle s0. Alles zusammen
2
ergibt für die Position:
Wir hätten auch die mittlere Geschwindig-
keit −5 m/s, die gerade die Hälfte der Ge- 1
s ( t ) = - g × t 2 + v0 × t + s0
schwindigkeit nach einer Sekunde ist, mit 2
einer Sekunde multiplizieren können. Das
Integral bringt uns also gerade einen Faktor schreiben. Die drei Graphen der . Abb. 2.9
½ hinein. Also allgemein: stellen einen Wurf senkrecht nach oben dar,
und zwar mit v0 = 7,5 m/s. Man darf sich
1 nicht darüber wundern, dass v(t) über der
s (t ) = - g × t 2 . Nulllinie beginnt und s(t) über eine positive
2
Gipfelhöhe läuft. Wir haben eine positive
Grafisch ist das eine nach unten geöffnete Anfangsgeschwindigkeit gewählt und dann
Parabel mit dem Scheitel bei s = 0 und t = 0 geht es erst mal hinauf, bis die Schwerkraft
(. Abb. 2.7 unten): Die Messlatte für die diese Anfangsgeschwindigkeit voll ausge-
Fallstrecke wird beim Startpunkt angelegt. bremst hat und es dann wieder abwärts geht.
Selbstverständlich müssen die hier auf-
gestellten Behauptungen experimentell >>Merke
überprüft werden. Die heutigen technischen Gleichförmig beschleunigte Bewegung:

Mittel erlauben das mit guter Genauigkeit a ist in Betrag und Richtung konstant.
schon im Schulunterricht. Galilei, der für In dieser Richtung gilt dann:
die obige Formel berühmt ist, weil er sie als v ( t ) = a × t + v0 ,
Erster nachgemessen hat, hatte es da schwe-
rer; er besaß keine Stoppuhr, schon gar nicht 1
s (t ) = a × t 2 + v0 × t + s0 .
eine elektrisch steuerbare. Ein Stein durch- 2
fällt die ersten 2 m in 0,64 s. Das war im frü-
hen 17. Jahrhundert nicht genau genug zu In den bisherigen Formeln lag alles auf einer
messen. Galilei ließ eine Kugel ein schräges Linie: Weg, Geschwindigkeit und Beschleu-
Brett (schiefe Ebene) hinunterrollen. Das nigung. Die Information, dass es sich tat-
geht viel langsamer, die Beschleunigung ist sächlich um Vektoren handelt, wurde nicht
36 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

..      Abb. 2.10 Komponentenzerlegung. Die Wurfbewe-


gung kann man sich aus einer horizontalen Bewegung
mit konstanter Geschwindigkeit und einer vertikalen
Bewegung mit konstanter Beschleunigung zusammen-
gesetzt denken

..      Abb. 2.9 Senkrechter Wurf. Einzelheiten im Text

gebraucht. Beim freien Fall aus der Ruhe ..      Abb. 2.11 (Video 2.1) Wurfparabel. Geschwindig-
 
keit v und Beschleunigung a haben verschiedene
und beim senkrechten Wurf liegen alle drei Richtungen (https://doi.org/10.1007/000-07x)
Vektoren parallel. Aber wer wirft schon im-
mer nur vertikal?
  
Sportler wie Artilleristen geben ein v0 vernachlässigen darf, gilt a = g = kon­
vor, das mit einem Winkel α gegenüber der stant, unabhängig von den willkürlichen An-
 
Horizontalen schräg nach oben zeigt (schie- fangsbedingungen v0 und s0 (. Abb. 2.11).
fer Wurf; . Abb. 2.10). Dann addieren sich Regentropfen fallen nicht frei. Das ist
zwei Geschwindigkeiten vektoriell und un- gut so, denn sie können aus einigen Kilome-
abhängig voneinander: tern Höhe kommen und würden uns schier

55 eine konstante horizontale v0 x mit erschlagen. Sie werden durch die Reibung
 
v0 x = v0 × cos a (keine beschleunigende der Luft so stark gebremst, dass sie
Kraft in horizontaler Richtung) und schließlich mit konstanter Geschwindigkeit
  
55 eine vertikale, die mit v0 z v0 z = v0 ×sin a (ca. 30 km/h) am Boden ankommen.
beginnt und den Fallgesetzen unterliegt. Schwere Tropfen fallen schneller als leichte
(7 Abschn. 3.5.3, Stokes-Gesetz). Unter
Als Bahnkurve kommt eine Wurfparabel he- idealisierenden Annahmen kann man das
raus (. Abb. 2.10). Auch der schiefe Wurf berechnen, aber es ist mühsam und lohnt
gehört zu den gleichförmig beschleunigten hier nicht. Es gilt: Die Wirkung der Reibung
Bewegungen; solange man die Luftreibung wächst mit der Geschwindigkeit und ver-
2.1 · Bewegung
37 2

Lösung. Bei konstanter Beschleuni-


gung und Startgeschwindigkeit null ist
v(t) = –g · t. Zunächst muss also die Fall-
zeit berechnet werden. Dazu benutzen
wir:
1
s = 10 m = g × t 2 ,
2

2 × 10 m
also t = = 1, 43 s.
9, 81 m / s 2
Die Geschwindigkeit ist dann:
m
v = -9, 81 × 1, 43 s = -14, 0 m / s.
s2

Rechenbeispiel 2.3: Wurf vom Turm


Aufgabe. Nun werde der Stein mit
v0 = 15 m/s horizontal vom Turm weg-
geworfen. Wie weit vom Turm und mit
welcher Geschwindigkeit trifft er auf
den Boden auf ? Die Luftreibung sei
vernachlässigbar, die horizontale Ge-
..      Abb. 2.12 Fall unter Reibung. Einzelheiten im schwindigkeit also konstant.
Text. Siehe auch Video zu . Abb. 2.11 Lösung. Die senkrechte Fallbewe-
gung läuft völlig unabhängig von der
schwindet in der Ruhe. Darum fällt der horizontalen Bewegung ab. Die Ergeb-
Tropfen zu Beginn so, als falle er frei. Weil v nisse des vorherigen Rechenbeispiels
aber schließlich konstant wird, biegt sein können also übernommen werden. Der
Graph in eine Horizontale ein. Folglich geht Stein ist wieder 1,43 s in der Luft. Wenn
die Beschleunigung a(t) gegen null, während die Luftreibung vernachlässigt werden
s(t) nach anfänglicher Krümmung in eine kann, ist die horizontale Geschwindig-
abfallende Gerade übergeht (. Abb. 2.12). keit konstant, die Wurfweite also ein-
Auch kompliziertere Situationen lassen sich fach:
grafisch relativ leicht und übersichtlich dar- m
s = v0 × t = 15 × 1, 43s = 21, 45 m.
stellen, solange eine qualitative Beschrei- s
bung genügt. Auch die senkrechte Geschwindigkeits-
komponente ist immer die gleiche wie im
vorherigen Rechenbeispiel. Die gesamte
Rechenbeispiel 2.2: Fall vom Turm
Auftreffgeschwindigkeit ergibt sich aus
Aufgabe. Mit welcher Geschwindigkeit
dem Satz des Pythagoras:
trifft ein Stein, der von einem 10 m ho-
hen Turm fallen gelassen wird, am Bo- 2 2
æ mö æ mö m
den auf ? Die Luftreibung kann hier ver- vges = ç14,0 ÷ + ç15,0 ÷ = 20, 52 .
è s ø è s ø s
nachlässigt werden.
38 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

2.1.4 Kreisbewegung ! 
Radiusvektor r und Bahngeschwindig-

keit v eines kreisenden Massenpunkts ste-
Die reine Bahnbeschleunigung ändert nur hen stets senkrecht aufeinander und rotieren
2 den Betrag der Geschwindigkeit, nicht ihre darum mit der gleichen Winkelgeschwindig-
Richtung. Der freie Fall lieferte ein Beispiel. keit ω. Beide drehen sich in der (kleinen)
Die reine Radialbeschleunigung steht senk- Zeitspanne Δt um den gleichen (kleinen)
recht zur Geschwindigkeit und ändert nur 
Winkel Δφ (. Abb. 2.13). Um r in seine
die Richtung einer Geschwindigkeit, nicht neue Lage zu bringen, muss ihm das (kleine)
den Betrag; sie muss sich, wenn sie Radial-  
Wegstück Ds vektoriell addiert werden. Ds
beschleunigung bleiben will, exakt mit dem 
steht im Wesentlichen senkrecht auf r ; es
Vektor der Geschwindigkeit mitdrehen, um tut dies sogar streng, wenn man es differen-
stets senkrecht auf ihm zu stehen. Für den ziell klein werden lässt. Dann fällt es auch
Sonderfall einer Radialbeschleunigung mit mit dem ebenfalls differenziell kleinen Kreis-
konstantem Betrag lässt sich das leicht bogen zusammen, sodass man für den Be-
erreichen. Sie führt nämlich zu einer Bahn trag
mit konstanter Krümmung, zu einer
Kreisbahn also, wie beim Kettenkarussell ds = r × dj
(. Abb. 2.51). Wie dessen Fahrgäste zur
notwendigen Beschleunigung kommen,
kann erst in 7 Abschn. 2.3.4 besprochen
werden.
Läuft ein Körper mit konstantem Be-
 
trag v seiner Geschwindigkeit v auf einer
Kreisbahn mit dem Radius r um, so legt er
in der Umlaufzeit T den Kreisumfang 2π ⋅ r
zurück und durchläuft den Drehwinkel 2π
(in Bogenmaß, vgl. 7 Abschn. 1.5.1):
Winkelgeschwindigkeit
2p
w= = konstant,
T
BetragderBahngeschwindigkeit
 2pr
v = = w × r = konstant,
T

ω wird auch Kreisfrequenz genannt, der


Kehrwert der Umlaufzeit auch Drehfre-
..      Abb. 2.13 Kreisbewegung. Der Körper läuft gegen
quenz f. Das zuweilen benutzte Wort „Dreh- den Uhrzeiger und befindet sich auf seiner Bahn
zahl“ ist insofern nicht korrekt, als es sich 
rechts („3 Uhr“). Der Vektor v der Bahngeschwin-
nicht um eine dimensionslose Zahl handelt, digkeit zeigt nach oben und steht senkrecht auf dem

sondern eine reziproke Zeit, die mit der Radiusvektor r . Beide drehen sich in der (kleinen)
SI-Einheit 1/s gemessen werden kann, in der Zeitspanne Δt um den (kleinen) Winkel Δφ. Dazu
 
müssen zu r das (kleine) Wegstück Δ s mit Δs = r ·
Technik aber auch gern in 1/min. Wenn der 
Δφ und zu die (kleine) Zusatzgeschwindigkeit Δ v mit
Zahnarzt bei seinem Turbinenbohrer auf Δv = v · Δφ vektoriell addiert werden. Für kleiner wer-

den Knopf „60.000“ drückt, dreht sich der dende Δφ steht die Geschwindigkeitsänderung Δ v
Bohrkopf nicht 60.000-mal in der Sekunde, (der Übersichtlichkeit halber im Bild nicht eingezeich-

sondern nur 1000-mal. net) immer genauer senkrecht auf v
2.1 · Bewegung
39 2
schreiben darf. Ganz analog braucht der dj
 w= = 2p × f
Geschwindigkeitsvektor v eine zu ihm senk- dt
recht zu addierende Zusatzgeschwindigkeit
 55 Radialbeschleunigung:
dv mit dem Betrag
   v2
dv = v × dj . ar = w 2 × r =
r

Das entspricht einer radialen, stets auf den


Mittelpunkt der Kreisbahn gerichteten Be- Rechenbeispiel 2.4: Kann es sein, dass
schleunigung sich die Erde dreht?
 Aufgabe. Wie groß ist die Winkelge-
 dv
ar = schwindigkeit der Erde? Welche Radial-
dt beschleunigung erfährt ein Mensch am
Äquator? (Radius der Erde: 6,38 · 106 m)
mit dem Betrag
Lösung. Die Erde dreht sich mit kon-
stanter Winkelgeschwindigkeit einmal
 dy  dj 
ar = = v× = v × w. am Tag um ihre Achse. Die Winkelge-
dt dt schwindigkeit entspricht also der Kreis-
frequenz:
Wegen v = r · ω darf man dafür auch schrei-
2p 2p
ben: w= = = 7, 27 × 10-5 s -1.
24 h 86400s
v2 Daraus ergibt sich eine Bahngeschwin-
ar = w 2 × r =
r digkeit am Äquator von

v = w × r = 464 m / s = 1670 km / h (also
Wie sich die kreisende Masse diese ständig
auf das Zentrum der Bahn zeigende Zent- ganz schön schnell).
ralbeschleunigung besorgt, bleibt zunächst Die Radialbeschleunigung ist
offen. Jedenfalls ist eine Kreisbewegung  v2
ar = = 0, 034 m / s 2 .
auch dann eine ungleichförmig beschleu- r
nigte (die Richtung der Beschleunigung än- Sie ist zum Glück viel kleiner als die Fall-
dert sich ständig) Bewegung, wenn sie mit beschleunigung g. Wäre sie größer als g,
„konstanter Geschwindigkeit“ erfolgt: Nur so würde man davonfliegen (7 Abschn.
der Betrag der Geschwindigkeit ist kons- 2.3.4). Bevor Newton seine Mechanik
tant, nicht der Vektor. entwickelt hatte, galt es als schwerwie-
gendes Argument gegen eine Drehung
>>Merke der Erde, dass man bei so hohen Ge-
Kreisbewegung: reine Radialbeschleuni- schwindigkeiten doch wegfliegen müsste.
gung
55 Bahnradius r
55 Umlaufzeit T 2.1.5 Bewegung von Gelenken
55 Drehfrequenz f = 1/T
55 Bahngeschwindigkeit: Jede Drehung erfolgt um eine Drehachse. In
 technisch einfachen Fällen wie etwa bei
v = 2p × r / T = 2p × r × f = w × r
Zahnrädern ist diese als „Mechanikerachse“
55 Winkelgeschwindigkeit = Kreisfre- konstruktiv vorgegeben und leicht zu
quenz: erkennen. Grundsätzlich kann sich ein
­
40 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

Zahnrad so oft um seine Achse drehen, wie


es will.
Auch bei den Scharnieren von Türen und
2 Fenstern erkennt man die Drehachse leicht:
ein fest mit der Tür verbundener zylindri-
scher Zapfen steckt in einer fest mit dem ..      Abb. 2.14 Gelenkbewegung. Grenzfälle: a Ein fes-
Rahmen verbundenen Hülse, einem Hohl- ter Punkt des Zapfens gleitet auf der Fläche der
zylinder mit praktisch gleichem Innendurch- Schale – Drehachse = Schalenachse. b Die Fläche des
Zapfens gleitet auf einem festen Punkt der Schale –
messer. Drehachse ist die Zapfen und Hülse
Drehachse = Zapfenachse
gemeinsame Zylinderachse. Im Gegensatz
zum Zahnrad wird hier aber der mögliche
Drehwinkel mechanisch begrenzt. Die Natur entscheidet sich für Zwischenfor-
Es liegt nahe, Gelenke des menschlichen men, mit überraschenden Konsequenzen:
Skeletts wie Ellbogen oder Knie als Schar- Die Drehachse bleibt während der Bewe-
niere anzusehen. Erlaubt ist das aber nur in gung nicht als „ruhender Pol“ am Ort, sie
grober Näherung. Die Anatomie zeigt näm- verschiebt sich und durchläuft als momen-
lich, dass in solchen Gelenken die Oberflä- tane Drehachse eine Polkurve, die mögli-
che des „Zapfens“ stärker gekrümmt ist, cherweise weit außerhalb des Gelenks liegt.
einen kleineren Krümmungsradius besitzt, Darüber hinaus stellt die Natur ihre
als die (meist nur unvollständig als Schale Zapfen und Schalen nicht auf der Drehbank
ausgebildete) „Hülse“: Die beiden Zylinder- her und braucht darum, im Gegensatz zur
flächen haben weder den gleichen Krüm- Technik, Teilflächen rotationssymmetri-
mungsradius noch den gleichen Krüm- scher Zylinder nicht zu bevorzugen. Da-
mungsmittelpunkt. Ein solches Gelenk durch schafft sie sich eine zusätzliche
kann weitaus flexibler reagieren als ein Möglichkeit, ihren Polkurven raffiniert
Scharnier, es muss aber durch Sehnen und zweckmäßige, leider aber oft nur schwer
Bänder, durch Muskel- und Gewichtskräfte durchschaubare Formen zu geben. Nutzen
zusammengehalten werden. Ohne diesen lassen sich diese Möglichkeiten freilich nur
Kraftschluss fiele es auseinander. Dafür mit einem ausgefeilten Regelsystem, das die
wird es aber bei Überbeanspruchung etwa Anspannung der beteiligten Muskeln nach
durch einen Unfall nicht gleich zerstört, den Meldungen von Sensoren in Muskeln,
sondern meist nur ausgerenkt (luxiert). Sehnen und Gelenken sinnvoll steuert, ohne
Rein kinematisch und ohne Rücksicht das Bewusstsein mit den Einzelheiten zu be-
auf Möglichkeiten der Realisierung kann lästigen. Die Gelenke der Wirbeltiere sind
man für die Bewegung eines solchen Ge- weit mehr als einfache Scharniere.
lenks zwei Grenzfälle ausdenken:
55 Der Zapfen gleitet auf der Schale, d. h.,
der Berührungspunkt wandert nicht auf 2.1.6 Relativ oder absolut?
dem Zapfen, sondern nur auf der Schale;
deren Achse wird zur Drehachse des Ge- Vermutlich sind Sie stolzer Besitzer eines
lenks (. Abb. 2.14a); sie bildet den ru- Smartphones. Damit haben Sie ein bemer-
henden Pol der Bewegung. kenswertes Messgerät für Bewegung. Zu-
55 Der Zapfen gleitet in der Schale, d. h., nächst einmal können Sie eine App herun-
der Berührungspunkt wandert nicht auf terladen (Google Maps o. Ä.), mit der sie
der Schale, sondern nur auf dem Zap- ihre Position feststellen können. Das geht
fen; jetzt bildet dessen Achse die Dreh- aber nur draußen, denn sie brauchen
achse des Gelenkes, den ruhenden Pol GPS-Empfang. Wir lernen daraus: Eine Po-
(. Abb. 2.14b). sition kann man nur relativ zu einem Koor-
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
41 2
dinatensystem angeben. In diesem Falle lie- tes, dass nicht relativ zu etwas anderem
fern die GPS-Satelliten ein mit der Erde angegeben wird. Warum das so ist, wissen
verbundenes Koordinatensystem mit Brei- die Physiker nicht. Dass es so ist, ist aber we-
ten- und Längengraden. sentliche Voraussetzung für die Newtons
Sie können auch eine sog. Tachome- Theorie der Mechanik, die wir im Folgen-
ter-App herunterladen, die ihnen die den besprechen.
­Geschwindigkeit ihres Smartphones angibt. Einen „Haken“ hat der Beschleuni-
Damit die Messung funktioniert, müssen sie gungssensor aber: Er zeigt selbst dann etwas
ebenfalls draußen sein und ein GPS-Signal an, wenn das Smartphone gar nicht be-
empfangen. Denn auch Geschwindigkeiten schleunigt ist. Er misst nämlich auch die
können nur relativ zu einem Koordinaten- Schwerkraft. (Dafür ist er überhaupt einge-
system oder Objekt (hier die Erde) angege- baut.) Der Sensor „sagt“ dem Gerät, wo
ben werden. Es gibt zudem eine App für die unten ist, und damit, wie das Display orien-
Beschleunigung ihres Smartphones (schön tiert sein muss. Warum kein Messgerät zwi-
sind: 3D Compass [Android] bzw. Magnet- schen Schwerkraft und Beschleunigung un-
meter [IOS] von plaincodeTM; sie zeigen Be- terscheiden kann, wissen die Physiker auch
schleunigung und Magnetfeld als Vektor; nicht. Diese Tatsache ist wesentliche Grund-
. Abb. 2.15). lage der allgemeinen Relativitätstheorie von
Und nun passiert etwas Sonderbares: Einstein, die wir in diesem Buch aber nicht
Diese App funktioniert ohne GPS. In ihrem besprechen.
Smartphone gibt es einen Sensor, genauer Dann gibt es noch eine App, die die Win-
gesagt drei Sensoren für die drei Raumrich- kelgeschwindigkeit ihres Smartphones an-
tungen, die die Beschleunigung direkt mes- gibt, also anzeigt, wie schnell es sich dreht.
sen. Beschleunigung ist also etwas Absolu- Und wieder brauchen wir dafür das GPS-­
Signal nicht. Der entsprechende Sensor
heißt üblicherweise Gyroskopsensor, ist nur
in etwas teureren Geräten vorhanden und
wird für Videospiele gebraucht. Auch Rota-
tion ist also etwas Absolutes.
Der berühmte englische Physiker New-
ton (1642–1726) hatte zwar noch kein
Smartphone, wusste aber schon vom absolu-
ten Charakter der Beschleunigung und der
Drehung. Er führte den Begriff des absolu-
ten Raumes ein, gegen den Gegenstände be-
schleunigt sind und rotieren.

2.2 Kraft, Drehmoment, Energie

2.2.1 Kräfte !

Wenn Sie mit der Zeigefingerspitze auf den


Tisch drücken, spüren sie etwas. Es ist ihr
Tastsinn. Er reagiert vor allem immer dann,
..      Abb. 2.15 Beschleunigungsvektor. Screenshot ei-
wenn etwas gegen ihre Körperoberfläche
ner App für den Beschleunigungssensor eines Smart- drückt. In diesem Falle ist es der Tisch. Man
phones (Programmierer: Peter Breitling) sagt: der Tisch übt eine Kraft auf ihre Fin-
42 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

gerspitze aus. Das ist auch umgekehrt der


Fall: Ihre Fingerspitze übt eine Kraft auf
den Tisch aus. Das kann der Tisch nicht
2 spüren, denn er hat keinen Tastsinn. Pieksen
Sie sich mit dem Finger in die Backe, müssen
Sie genau hin fühlen. Sie können dann beide
Kräfte erspüren: die, die der Finger auf die
Backe ausübt und gleichzeitig die, die die
Backe auf ihren Finger ausübt.
Wir lernen folgendes: zu einer Kraft ge-
hören immer zwei. Der, der sie ausübt und
der, auf den sie ausgeübt wird. Kräfte be- ..      Abb. 2.16 Schraubenfeder. Eine Kraft F dehnt
schreiben Wechselwirkungen zwischen zwei eine Feder der Ausgangslänge l0 um Δl. Lineares
oder mehr Gegenständen. Zu jeder Kraft, Kraftgesetz herrscht, wenn Δl und F zueinander pro-
die Gegenstand A auf Gegenstand B ausübt portional sind: F = D · Δl (D = Federkonstante).
gehört die entsprechende Gegenkraft, die
Gegenstand B auf Gegenstand A ausübt. biegt sie durch und mit einigem messtechni-
Die Kräfte, die wir mit unserem Tastsinn schen Aufwand lässt sich das auch nachwei-
fühlen können, nennt man Kontaktkräfte. sen.
Sie greifen immer an einer Kontaktstelle, Wenn man von der Bank aufsteht, federt
also an einem bestimmten Ort, an. Wir wer- sie wieder in ihre Ausgangslage zurück: Die
den im Folgenden einige solche Kontakt- Verformung war elastisch, im Gegensatz zur
kräfte kennenlernen: die Federkraft, die Rei- bleibenden, plastischen Verformung von
bungskraft und die Auftriebskraft. Butter oder Kaugummi. Vater Franz biegt
Eine wichtige Kraft können wir nicht die Bank stärker durch als Töchterchen
spüren. Es ist die Gewichtskraft, die uns Claudia; elastische Verformungen liefern ein
nach unten zieht. Diese Kraft wirkt nämlich verwendbares Maß für angreifende Kräfte.
auf Distanz. Ich muss die Erde nicht berüh- Besonders bewährt haben sich Schrauben-
ren, damit sie mich anzieht. Wenn ich federn (. Abb. 2.16).
springe zieht sie mich runter, ich spüre die Wer einen Kraftmesser kalibrieren will,
Gewichtskraft aber nicht. Man spricht auch braucht ein Verfahren zur Erzeugung defi-
von Fernwirkung. Aber auch die Fernwir- nierter Kräfte; wer ihn obendrein eichen
kung ist eine Wechselwirkung. Die Erde will, braucht zusätzlich eine Krafteinheit. Es
zieht mich an, aber ich ziehe auch die Erde liegt nahe, für beides die allgegenwärtige
an. Die Erde ist nur so gigantisch, dass man Schwerkraft zu benutzen. 4 l Wasser wiegen
das praktisch nicht nachmessen kann. gewiss doppelt so viel wie 2 l Wasser und die
Jede Gewichtskraft zieht nach unten; Gewichtskraft von 1 l Wasser ließe sich
eine sie kompensierende Ausgleichskraft- grundsätzlich als Einheit verwenden. Das
kraft muss mit gleichem Betrag nach oben hat man früher auch getan und ihr den Na-
gerichtet sein. Kräfte sind demnach Vekto- men Kilopond (kp) gegeben. Den Anforde-
ren. Wie misst man ihre Beträge? rungen moderner Messtechnik genügt diese
Wer sich ins Bett legt, braucht seine Ge- Einheit aber nicht mehr, denn leider erwei-
wichtskraft nicht mehr selbst zu tragen; er sen sich Gewichtskräfte als ortsabhängig: In
überlässt es der Matratze, die nötige Aus- Äquatornähe wiegt 1 l Wasser etwas weniger
gleichskraft durch Verformung aufzubrin- als in Polnähe. Die SI-Einheit der Kraft
gen, irgendwie. Solche Verformungen blei- heißt Newton, abgekürzt 1 N. Ihre Defini-
ben oft unerkannt. Wer sich auf eine Bank tion kann erst in 7 Abschn. 2.3.1 bespro-
setzt, biegt sie nicht merklich durch, aber er chen werden.
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
43 2
Eine Schraubenfeder der Länge l0 dehnt
sich unter einer Zugkraft F mit Koordi-
nate F in Federrichtung um Δl auf
l(F) = l0 + Δl(F). Geeichte Federwaagen fol-
gen dabei dem linearen Kraftgesetz

F = D × Dl

oder auch

F
l ( F ) = l0 + .
D ..      Abb. 2.17 Lineares Kraftgesetz. Schraubenfeder:
Proportionalität zwischen Längenänderung Δl und
Hier bezeichnet D die Federkonstante, eine damit auch zwischen Dehnung Δl/l0 und Kraft F.
Grundsätzlich kann eine Schraubenfeder auch ge-
Kenngröße der jeweiligen Schraubenfeder. staucht werden (gestrichelter Teil)
Federkonstante D; Einheit: 1 N/m.
Längenänderung Δl und ihre Dehnung
Δl/l0 der Feder sind also über die Federkon-
stante D der angreifenden Kraft F proporti-
onal; im Diagramm gibt jede Proportionali-
tät eine Gerade durch den Nullpunkt des
Achsenkreuzes (. Abb. 2.17). Zwischen F
und der gesamten Länge l der Feder besteht
hingegen keine Proportionalität, sondern
nur ein linearer Zusammenhang. Er gibt im
Diagramm ebenfalls eine Gerade; sie läuft
aber nicht durch den Nullpunkt, besitzt viel-
..      Abb. 2.18 Lineares Kraftgesetz. Linearer Zusam-
mehr einen Achsenabschnitt (. Abb. 2.18).
menhang zwischen Federlänge l und Kraft F
Die Schwerkraft (Gewichtskraft) zieht
immer nach unten; so ist „unten“ definiert.
Durch Seil und Rolle kann ihre Wirkung
aber leicht in jede gewünschte Richtung um-
gelenkt werden, wie . Abb. 2.19 zeigt.
Kräfte sind eben Vektoren.
Zwei entgegengesetzt gleiche horizontale
Kräfte, nach . Abb. 2.20, erzeugt durch
zwei gleiche Gewichte an den Enden eines
Seiles, heben sich auf; das System bleibt in
Ruhe, es herrscht Gleichgewicht. Das Sys-
tem bleibt auch dann in Ruhe, wenn man
das eine Gewicht durch einen Haken in der
Wand ersetzt (. Abb. 2.21). Jetzt müssen
Haken und Wand die zum Gleichgewicht
nötige Ausgleichskraft aufbringen, durch
elastische Verformung.
Seile lassen sich nur auf Dehnung bean- 
..      Abb. 2.19 Umlenken der Gewichtskraft FG :
spruchen, nicht auf Stauchung. Infolgedes- durch Seil und Rolle in eine beliebige Richtung. Der
sen können sie Kräfte nur in ihrer Längs- Betrag der Kraft bleibt unverändert
44 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

..      Abb. 2.20 Kraft = Ausgleichskraft

..      Abb. 2.23 Wäscheleine. Eine straffe Wäscheleine


steht
 unter hoher Spannung, damit die Gewichtskraft
FG von der Vektorsumme (rot) der Kräfte in der
Leine kompensiert werden kann

 
– F und Fh bilden aneinandergefügt ein ge-
schlossenes Dreieck, sie summieren sich also
zu null, wie es im Gleichgewicht eben sein
muss.
Auch mehr als drei Kräfte können sich
die Waage halten, dann nämlich, wenn sich
ihr Kräftepolygon schließt: Zeichnet man
..      Abb. 2.21 Gleichgewicht. Erzeugung der zum
die Kraftpfeile hintereinander, so muss die

Gleichgewicht notwendigen Ausgleichskraft durch Fh Spitze des letzten mit dem Anfang des ersten
Verformung von Haken und Wand zusammenfallen. Die erste Bedingung dafür,
dass sich nichts bewegt, lässt sich demnach
kurz und allgemein schreiben als:

åFi = 0.
i

Bei unglücklicher Geometrie müssen selbst


geringe Kräfte durch relativ große Gegen-
kräfte gehalten werden. Musterbeispiel ist
die Wäscheleine (. Abb. 2.23): Je straffer
man sie spannt, umso größer müssen die
..      Abb. 2.22 Vektoraddition Kräfte in der Leine sein, damit ihre Vektor-
 von Kräften.
 Beispiel der
. Abb. 2.19. Die Kräfte FG und - F werden durch  summe (rot) die Gewichtskraft des Hand-
die Ausgleichskraftkraft der Halterung der Rolle Fh tuchs noch kompensieren kann.
kompensiert Andererseits spart eine schiefe Ebene
Kraft: Über eine schräge Latte (. Abb. 2.24)
richtung übertragen. Werden sie wie in kann der Arbeiter eine Schubkarre auf das
. Abb. 2.19 über eine Rolle geführt, so Baugerüst bugsieren, obwohl er sie nicht
muss die Halterung der Rolle die Vektor- hochheben könnte. Er muss nur gegen
  die
summe der
 beiden dem
 Betrag nach gleichen Komponente F1 der Gewichtskraft FG par-
Kräfte FG und – F aufnehmen und durch allel
  zur Latte anschieben. Die Komponente
eine Ausgleichskraft Fh kompensieren  F2 senkrecht zur Latte wird von den Ver-
(. Abb. 2.22). Die drei Kraftvektoren FG , formungskräften der Latte kompensiert.
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
45 2
Das Gravitationsgesetz besagt: Zwei Mas-
sen m1 und m2 im Abstand r ziehen sich ge-
genseitig mit Kräften parallel zur Verbin-
dungslinie zwischen den Massen an, die zu
beiden Massen proportional sind und um-
gekehrt proportional zu r2:
 m ×m
FG = G × 1 2 2 .
r
..      Abb. 2.24 Schiefe Ebene. Nur die Komponente
F1 der Gewichtskraft FG parallel zur Latte muss beim
 In dieser Formel erscheint die
Schieben überwunden werden; die Komponente F2 Gravitationskonstante G = 6,68 · 10−11
wird von der Latte übernommen
Nm2/kg2.

>>Merke
2.2.2 Gewichtskraft und Gravitation: Massen ziehen sich an (Na-
Gravitation ! turgesetz).
Gravitationskraft:
Die Behauptung, eine Federwaage kompen-
 m ×m
siere mit der elastischen Kraft ihrer Schrau- FG = G × 1 2 2 .
benfeder die Gewichtskraft der angehängten r
Last, enthält nur die halbe Wahrheit. Um
eine Feder zu dehnen, muss man an beiden Die Gravitation der Erde wirkt weit hinaus
Enden ziehen. Die Federwaage funktioniert in den Weltraum, sie wirkt aber auch auf
nur, wenn sie am oberen Ende festgehalten alle Gegenstände im Lebensraum des Men-
wird. Dort überträgt sie ihre Federkraft schen. Dadurch wird jeder Stein, jeder
(plus die eigene Gewichtskraft) auf die Hal- Mensch, jeder Kartoffelsack von der Erde
terung. Diese stützt sich ihrerseits über Ge- mit seiner jeweiligen Gewichtskraft FG an-
stell, Tischplatte, Fußboden und Mauer- gezogen und zieht seinerseits die Erde mit
werk auf den Baugrund, überträgt also mit der gleichen starken, aber entgegengesetzten
all den zugehörigen Gewichtskräften auch Kraft an! Das scheint auf den ersten Blick
die der Last an der Federwaage auf die Erde. unplausibel. Aber die Erde hat ja eine viel
Woher nimmt die Erde jetzt die Gegenkraft? größere Masse als der Sack und reagiert des-
Ursache aller Gewichtskräfte ist die Gra- halb auf die Anziehungskraft praktisch
vitation, eine in ihren Details noch nicht völ- nicht.
lig erforschte Eigenschaft der Materie. Die Die Gewichtskräfte, an die der Mensch
Gravitation ist nur mit der Masse verknüpft, sich gewöhnt hat, werden durch Masse und
also mit der in Kilogramm gemessenen phy- Radius der Erdkugel bestimmt und sind,
sikalischen Größe, und nicht mit der chemi- dem Gravitationsgesetz zufolge, der Masse
schen Natur der Materie oder mit ihrem Ag- m des Probekörpers streng proportional.
gregatzustand. Die Gravitation beherrscht Einsetzen der Größen liefert im Mittel:
die Himmelsmechanik, den Lauf der Plane- 
ten um die Sonne, den Lauf der Sonne um FG = m × 9, 81N / kg.
das Zentrum der Milchstraße, den Lauf der
Wettersatelliten um die Erde. Ihre Wirkung Die Konstante ist genau die Fallbeschleuni-
sind durch nichts beeinflussbare Kräfte, mit gung g aus 7 Abschn. 2.1.3. Das ergibt sich
denen sich alle materiellen Gegenstände ge- aus dem 2. Newton’schen Gesetz, das aber
genseitig anziehen. erst in 7 Abschn. 2.3 drankommt.
46 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

>>Merke verminderter Haftreibung gelten geradezu


Schwerkraft = Masse · Fallbeschleunigung sprichwörtlich als Gefahrenzonen: Man
­
 kann jemanden „aufs Glatteis führen“.
FG = m × g.
2 Ist die Haftreibung einmal überwunden,
so meldet sich beim ausrutschenden Men-
Wäre die Erde eine mathematische Kugel schen die (geringere) Gleitreibung. In der
mit homogen verteilter Massendichte, so Verkehrstechnik ersetzt man sie, um An-
wäre die letzte Gleichung überall auf der triebskraft zu sparen, durch die (noch ge-
Erdoberfläche mit dem gleichen Zahlenwert ringere) Rollreibung der Räder auf Straße
für g gültig. Tatsächlich gilt aber in Djakarta oder Schiene. Schmiermittel schließlich le-
g = 9,7818 N/kg und am Nordpol gen einen Flüssigkeitsfilm zwischen Achse
g = 9,8325 N/kg. und Achslager und tauschen dort die Gleit-
reibung ein gegen die innere Reibung in
Fluiden wie Öl und Fett. Besonders gering
2.2.3 Reibung ist die innere Reibung in Gasen; die Gleit-
bahn in . Abb. 2.48 nutzt dies aus, aber
So sorgfältig die Reibung bei Messungen auch die Magnetschwebebahn der Zukunft.
zur Grundgleichung der Mechanik auch als Reibung hindert Bewegungen. Sie erzeugt
störend unterdrückt werden muss, im All- eine Reibungskraft, die bei der Haftreibung
tag ist sie lebenswichtig. Gehen kann der der angreifenden Kraft entgegensteht und
Mensch nur, wenn seine Füße fest genug am mit ihr wächst, bei den anderen Reibungen
Boden haften, um die zur Bewegung not- der Geschwindigkeit entgegensteht und mit
wendigen Kräfte zu übertragen. Überstei- dieser wächst. Das Video hinter . Abb.
gen diese die Kräfte der Haftreibung, so 2.25 beschreibt einige Aspekte der Reibung
gleitet der Mensch, er rutscht aus. Gebiete näher.

..      Abb. 2.25 (Video 2.2) Ein mikroskopischer Blick auf die Reibung (https://doi.org/10.1007/000-07w)
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
47 2
>>Merke rungsweise proportional zur senkrecht wirkenden Ge-
Reibung behindert Bewegungen; wichtskraft FN:
 
Arten der Reibung: Haftreibung, FR = mGl × FN .
Gleitreibung, Rollreibung, innere Rei- μGl ist der sogenannte Gleitreibungskoeffizient. Wenn
bung. der Schuh schon rutscht, ist es oft schon zu spät. Er
soll nicht rutschen, die Reibungskräfte sollen alle z. B.
Verschiedene Reibungsarten können gleich- beim Gehen auftretenden horizontalen Kräfte auffan-
zeitig auftreten. Ein Auto lässt sich nur des- gen. Dazu muss die maximale Haftreibungskraft FH
halb lenken, weil seine Räder in Fahrtrich- immer größer sein als diese horizontalen Kräfte. Auch
tung mit geringer Rollreibung rollen, quer die Haftreibungskraft hängt von der Gewichtskraft
ab:
dazu aber von der sehr viel größeren Haft-  
reibung in der Spur gehalten werden. Tritt FH = mH × FN .
der Fahrer so heftig auf die Bremse, dass die Der Haftreibungskoeffizient μH ist in der Regel etwas
Räder blockieren, dann gibt es nur noch höher als der Gleitreibungskoeffizient: Wenn man erst
Gleitreibung ohne Vorzugsrichtung und das einmal rutscht, gibt es kein Halten mehr. Diese Rei-
Fahrzeug bricht aus. bungskoeffizienten hängen natürlich von den Oberflä-
cheneigenschaften der aneinander reibenden Flächen
Für grobe Abschätzungen darf man so ab, aber kaum von der Geschwindigkeit (im Falle von
tun, als sei die Kraft der Flüssigkeitsreibung μGl) und erstaunlicherweise auch kaum von der Aufla-
ungefähr proportional zur Geschwindigkeit gefläche.
und die der Gleitreibung ungefähr konstant. Beispiel 2 – eine Kugel fällt durch Sirup: Der Sirup
Wenn ein Auto anfährt, dann wird die umströmt hierbei die Kugel laminar (7 Abschn. 3.5.1
 und 3.5.2). Aufgrund der inneren Reibung im Sirup
vom Motor entwickelte Antriebskraft FA wirkt eine Reibungskraft auf die Kugel, die in diesem
zur Beschleunigung des Wagens verwendet. Fall proportional zur Geschwindigkeit v ist:
Mit wachsender Geschwindigkeit
 wächst 
FR = m × v = ( 6p × h × r ) × v.
aber die Reibungskraft FR undlässt immer
weniger Beschleunigungskraft FB übrig: Auch dieser Proportionalitätsfaktor μ wird zuweilen
Reibungskoeffizient genannt. Er hängt von der Visko-
   sität η und dem Kugelradius r ab. Diese Formel ist die
FB = FA - FR .
Grundlage für das Stokes-Gesetz (7 Abschn. 3.5.3).
Fällt die Kugel statt in Sirup in Wasser, wird die Strö-
Auf freier Strecke, bei konstanter Geschwin- mung turbulent und die Formel komplizierter.
digkeit, kompensiert der Motor nur noch
die Reibung. Beim Regentropfen ersetzt die
Gewichtskraft den Motor. Weil FG rascher  2.2.4 Arbeit und Energie !!
mit dem Durchmesser wächst als FR ,
fallen dicke Tropfen schneller als kleine Es macht Mühe, eine Last zu heben; herun-
(Stokes-Gesetz im Kleingedruckten). ter fällt sie von allein. Aber auch, wenn die
Last wieder herunterfällt, war doch die
Reibung genauer Mühe des Anhebens nicht ganz vergebens,
Reibungskräfte sind immer abhängig von weiteren denn beim Herunterfallen kann etwas be-
Größen wie der Geschwindigkeit oder dem Anpress-
wirkt werden und sei es nur, dass die Last
druck. In diesen Zusammenhängen tauchen Konstan-
ten auf, die Reibungskoeffizienten genannt werden. kaputtgeht. Die Physik beschreibt diese
Zwei Beispiele werden hier besprochen, da der Gegen- Vorgänge mit den Größen Arbeit und Ener-
standskatalog dies fordert (ob Sie das für eine Prüfung gie. Mensch oder Kran leisten beim Heben
wirklich brauchen, müssen Sie selbst entscheiden): der Last Arbeit oder Hubarbeit, die von der
Beispiel 1 – trockene Reibung zwischen Festkör-
Last als potenzielle Energie gespeichert
pern: „Trocken“ meint, dass keine Schmiermittel wie
Öl zwischen den aneinander reibenden Flächen sind. wird. Beim Herabfallen, -rollen oder -glei-
Rutscht also z. B. die Schuhsohle über den Fußboden, ten wird dann diese Energie wieder freige-
so ist die auftretende Gleitreibungskraft FR nähe- setzt.
48 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

Der Begriff Arbeit ist in der Physik eine Im Flaschenzug verteilt sich die Gewichts-
recht klar und einfach definierte Größe und kraft FG der Last gleichmäßig auf die n Teil-
wird viel enger verstanden als in der Um- stücke des Seiles. Die Ausgleichskraftkraft F
2 gangssprache. Die zu leistende Hubarbeit ist braucht deshalb nur die Teilkraft FG/n zu
umso größer, je höher die Hubhöhe Δh ist, kompensieren. Zum Heben der Last um Δh
um die die Last gehoben wird. Das Heben muss freilich jedes Teilstück des Seiles ent-
einer schwereren Last mit größerer Ge- sprechend verkürzt werden, das gesamte Seil
wichtskraft FG bedarf auch einer größeren also um s = n · Δh.
Arbeit. Es liegt also nahe, die Hubarbeit W Die durch das Heben der Last hinzuge-
als das Produkt aus beidem festzulegen: wonnene potenzielle Energie ΔWpot ent-
spricht gerade dieser geleisteten Hubarbeit.
W = FG × Dh. Man kann also auch schreiben:

Hebt man die Last mit einem Flaschenzug DWpot = FG × Dh.


an (. Abb. 2.26), so spart man Kraft, Ar-
beit spart man nicht. Zwar ist die Kraft F, Arbeit und Energie haben die gleiche Ein-
mit der gezogen werden muss, aufgrund der heit und sind eng verwandt.
trickreichen Rollenkonstruktion geringer als
die Gewichtskraft FG, aber das Seil muss >>Merke
auch die längere Strecke s gezogen werden. Potenzielle Energie beim Heben:
Das Produkt aus beidem bleibt gleich: DWpot = m × g × Dh.

W = F × s = FG × Dh. Aus diesem Zusammenhang folgt, dass die


Energie in der Einheit Newtonmeter (Nm)
gemessen werden kann. Sie wird auch
Joule (J) genannt und ist per definitionem
gleich der Wattsekunde (Ws), der Einheit
der elektrischen Energie. Für den modernen
Alltag ist sie zu klein; dort benutzt man lie-
ber die Kilowattstunde (1 kWh = 3.600.000 J).
Sie hat einen Kleinhandelswert von etwa 20
Cent. Im Lebensmittelbereich taucht manch-
mal noch die Kalorie (cal) auf, in der Atom-
physik das Elektronenvolt (eV).

>>Merke
SI-Einheit der Energie:
Newtonmeter (Nm) = Joule (J) = Watt-
sekunde (Ws)
Weitere Einheiten:

Kilowattstunde 1 kWh = 3.600.000 J


Elektronenvolt 1 eV = 1,602 ·
10−19 J
Kalorie 1 cal = 4,184 J

..      Abb. 2.26 Flaschenzug (Einzelheiten im Text)


2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
49 2
Anders als Arbeit ist Energie ein recht kom- Dl
plizierter und sehr vielschichtiger Begriff in W ( Dl ) = ò F ( s ) × ds.
der Physik. Energie hat die bemerkenswerte 0
Eigenschaft, in mancherlei unterschiedli-
chen Formen auftreten zu können und sich Bei der Schraubenfeder mit ihrem linearen
von der einen in die andere überführen zu Kraftgesetz F(s) = Ds geht das genauso,
lassen; insofern ist sie wandelbar. Ihr Wert wie wir es in . Abb. 2.8 beim freien Fall
kann aber nicht einfach so steigen oder sin- für die Strecke gemacht hatten
ken.; insofern ist sie unwandelbar, ihr Betrag (7 Abschn. 2.1.3):
bleibt konstant. Das ist der sogenannte Ener-
1
gieerhaltungssatz, etwas ganz Fundamentales W ( Dl ) = D × Dl 2
in der Physik. 2
Ohne elektrische Energie, leicht zugäng-
Auch hier sagen wir, dass die Feder durch
lich bereitgestellt von jeder Steckdose, kann
das Strecken Energie gewonnen hat, in die-
sich mancher ein Leben gar nicht mehr vor-
sem Fall elastische potenzielle Energie:
stellen. Gewonnen wird sie überwiegend aus
chemischer Energie, durch Verbrennung von 1
Kohle und Erdöl nämlich. Auch Mensch Wpot ( Dl ) = D × Dl 2 .
2
und Tier decken ihren Energiebedarf aus
chemischer Energie, enthalten in der Nah- Als Graph kommt also eine Parabel heraus
rung. Pflanzen haben sie vorher gespeichert, (. Abb. 2.27).
aus von der Sonne stammender Strahlungs- Hier ist es plausibel zu sagen, dass die
energie. Die Sonne bezieht sie aus Kernener- entspannte Feder keine elastische potenzi-
gie, die grundsätzlich bei jeder spontanen elle Energie enthält. Daher haben wir in der
Umwandlung von chemischen Elementen letzten Gleichung Wpot absolut angegeben.
durch Radioaktivität, Kernspaltung oder Bei der potenziellen Energie aus der Hubar-
Kernfusion frei wird. Im Gedankenversuch beit, die man auch Lageenergie nennt, ist
auf dem Papier lässt sich Energie aus jeder das nicht klar. Bei welcher Lage ist die Lage-
Form vollständig in jede andere Form über- energie meines Rucksacks null? Wenn er auf
führen; in der Praxis bleibt freilich stets dem Fußboden steht? Wenn ich ihn in einem
mehr oder weniger Wärmeenergie übrig. zehn Meter tiefen Loch versenke?
Die eben besprochene potenzielle Ener-
gie beim Heben ist in dieser Liste nur eine
Sonderform der mechanischen Energie, die
immer dann umgesetzt wird, wenn irgend-
wer irgendetwas gegen irgendeine Kraft ver-
schiebt, z. B. einen Wagen gegen die Rei-
bungskraft seiner Räder, das Ende einer
Schraubenfeder gegen deren elastische Kraft
oder auch sich selbst die Treppe hinauf ge-
gen die eigene Gewichtskraft.
Ist die Kraft F nicht konstant wie die Ge-
wichtskraft FG beim Heben, sondern eine
Funktion F(s) der Position s, so genügt die
einfache Multiplikation zur Berechnung der
..      Abb. 2.27 Potenzielle Energie einer Feder. Zum li-
Arbeit nicht mehr; die Fläche unter dem nearen Kraftgesetz einer Schraubenfeder (. Abb. 2.16)
Funktionsgraphen F(s) muss durch Integra- gehört eine parabolische Abhängigkeit der potenziellen
tion bestimmt werden: Energie von der Dehnung (Stauchung gestrichelt)
50 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

Tatsächlich ist die Festlegung der Höhe, riert werden, und zwar über dieses skalare
bei der die Lageenergie null sein soll, will- Produkt zweier Vektoren. Es ergibt sich ein
kürlich. Das überrascht wahrscheinlich, sogenanntes Linienintegral, das man sich
2 denn eigentlich erwarten wir auf die Frage nicht mehr so ohne Weiteres als eine Fläche
„Wie viel Energie hat mein Rucksack?“ eine unter einem Funktionsgraphen vorstellen
klare Antwort. Habe ich den Fußboden als kann. Es bedeutet, dass man den Gesamt-
Nullpunkt für die Lageenergie festgelegt, weg in viele kurze, fast gerade Wegstücke
wird es noch schlimmer: Im zehn Meter tie- zerlegt und dann die auf diesen Wegstücken
fen Loch ist die Energie dann negativ! Wir geleistete Arbeit summiert.
werden sehen: Man kann damit leben. Es ist Ohne Weg keine Arbeit! Als „Weg“ zählt
sogar zuweilen praktisch, den Nullpunkt aber nur dessen Komponente in Richtung der
der potenziellen Energie frei wählen zu kön- Kraft. Wer sich einen Mehlsack auf die Schul-
nen. Änderungen der potenziellen Energie tern lädt, leistet Arbeit, Hubarbeit nämlich.
werden von der Wahl des Nullpunkts nicht Wer den Sack dann aber streng horizontal
beeinflusst. über den Hof trägt (. Abb. 2.29), leistet im
Kräfte sind Vektoren, die Energie ist ein Sinn der Mechanik keine Arbeit mehr. Dass
Skalar. Wer sich nach Art der . Abb. 2.28 er trotzdem ermüdet, ist seine Ungeschick-
vor einen Wagen spannt, zieht um den Win- lichkeit: Hätte er einen Wagen gebaut und
kel α schräg nach oben. Mit der  vertikalen sorgfältig alle Reibung vermieden, so hätte er
Komponente seiner Zugkraft F entlastet er den Sack, einmal aufgeladen, mit dem kleinen
lediglich die Vorderachse seines Wagens; nur Finger über den Hof schieben können, ohne
die horizontale Komponente mit dem Betrag Arbeit, weil (praktisch) ohne Kraft. Weg und
 Gewichtskraft stehen senkrecht aufeinander,
Fh = F × cos a ihr skalares Produkt ist null.

dient dessen Bewegung. Sie allein zählt bei >>Merke


der Berechnung der geleisteten Arbeit: „Arbeit = Kraft · Weg“: W = F · Δs.


W = F × Ds × cos a . 77Halten macht auch Mühe
Reine Haltebetätigung leistet keine mechani-
Diese Formel lässt offen, ob man die Kom- sche Arbeit; der Weg fehlt. Für sie Energie
ponente der Kraft in Richtung des Weges in einzusetzen, ist Verschwendung, lässt sich
sie eingesetzt hat oder die Komponente des aber manchmal nicht verhindern. Das gilt
Weges in Richtung der Kraft. Mathematisch z. B. für Muskeln. Sie können sich unter
handelt es sich um das skalare
 Produkt der Kraftentwicklung zusammenziehen und da-
beidenVektoren F und s (7 Abschn. 1.4). bei mechanische Arbeit leisten, beim Klimm-
Sind F und α nicht konstant, muss integ-

..      Abb. 2.29 Keine Arbeit: Wer einen Mehlsack hori-


..      Abb. 2.28 Ziehen: Nur die horizontale Kompo- zontal über den Hof trägt, leistet keine mechanische
nente der Zugkraft leistet Arbeit Arbeit gegen die Schwerkraft
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
51 2
zug etwa oder beim Aufrichten aus der Knie- Um die Reaktionen des menschlichen Orga-
beuge. Ein Muskel muss aber auch dann nismus auf körperliche Belastung zu unter-
Energie umsetzen, wenn er sich lediglich von suchen, benutzt der Sportarzt oder Internist
einer äußeren Kraft nicht dehnen lassen will. gern das sogenannte Fahrradergometer.
Die Natur hat Mensch und Tier so konstru- Man setzt sich auf den Sattel eines stationä-
iert, dass im Allgemeinen nur wenig Muskel- ren „Fahrrades“ und hält die Tretkurbel in
arbeit für reine Haltebetätigung eingesetzt Gang. Die dem Probanden dabei abver-
werden muss. Wer aufrecht steht, den trägt im langte Leistung wird von einer Elektronik
Wesentlichen sein Skelett. Wer aber in halber auf voreingestellten Werten konstant gehal-
Kniebeuge verharrt, dem zittern bald die ten. 20 W, der Leistung eines Fernsehers
Knie. 9 entsprechend, sind leicht zu leisten; 100 W,
notwendig für die Beleuchtung eines Büro-
So wandelbar die Erscheinungsformen der raumes, machen schon einige Mühe. 500 W
Energie sind, so unwandelbar ist ihr Betrag. für einen Toaströster kann der Mensch nur
Der „Satz von der Erhaltung der Energie“, für kurze Zeit liefern. Wollte man die so ge-
der Energiesatz also, gilt zuverlässig. wonnene elektrische Energie verkaufen, so
käme man allenfalls auf 2 Cent Stunden-
>>Merke lohn; der Mensch ist zu wertvoll, um als
Energiesatz: Energie kann weder ins reine Muskelkraftmaschine verschlissen zu
Nichts verschwinden noch aus dem werden.
Nichts entstehen, sie kann lediglich von Übrigens kann man auch ohne Ergome-
einer Energieform in eine andere umge- ter die Leistungsfähigkeit seiner Beine
wandelt werden. überprüfen: Man muss nur mit der Stopp-
uhr in der Hand eine Treppe hinauflaufen
Keinem Naturgesetz ist so viel Aufmerk-
(. Abb. 2.30). Schöpfen muss der Mensch
samkeit gewidmet, keines so oft und so sorg-
diese mechanische Energie aus chemischer
fältig überprüft worden wie der Energiesatz.
Energie in den Muskelzellen. Diese Um-
Schon bevor er entdeckt wurde, haben zahl-
wandlung chemischer Energie in mechani-
reiche Erfinder vergeblich versucht, ihn
sche Energie ist sehr unvollkommen: Nur ca.
durch die Konstruktion eines Perpetuum
20 % der eingesetzten chemischen Energie
mobile experimentell zu widerlegen. Darum
endet mechanisch, der Rest geht in Wärme-
darf man sich von häufig benutzen Voka-
energie. Daher kommt man ins Schwitzen.
beln wie „Energieerzeugung“ oder „Ener-
gieverbrauch“ nicht irreleiten lassen.
Wer arbeitet, leistet etwas; wer schneller
arbeitet, leistet mehr. Nach diesem Satz
leuchtet die folgende Definition der physika-
lischen Größe Leistung unmittelbar ein:

Energie dW
LeistungP = ,
Zeitspanne dt

SI-Einheit ist Joule/Sekunde = Watt = W.

>>Merke
dW
Leistung P = .
dt
SI-Einheit 1 J/s = 1 Watt = 1 W. ..      Abb. 2.30 Leistung beim Treppensteigen
52 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

Rechenbeispiel 2.5: Kleinwagen


Aufgabe. Ein flotter Kleinwagen wiege
2 1000 kg und habe eine maximale Motor-
leistung von 66 kW (entspricht 90 PS).
Wie schnell kann er günstigstenfalls ei-
nen 500 m hohen Berg hinauffahren?
Lösung. Die zu leistende Hubarbeit
ist W = h · m · g = 500 m · 1000 kg ·
g = 4,9 · 106 J. Leistet das Auto konstant ..      Abb. 2.31 Energieerhaltung beim Fadenpendel.
Beide Umkehrpunkte liegen um die gleiche Höhe Δh
66 kW, so braucht es für diese Arbeit die
über dem Tiefpunkt der Ruhelage
Zeit
4, 9 × 106 J
t= = 74, 3 s.
66 kW

2.2.5 Kinetische Energie !

Lässt man einen Stein (mit der Masse m) fal-


len, so wird seine potentielle Energie kleiner.
In welche Energie wandelt sie sich denn um? ..      Abb. 2.32 Energieerhaltung beim Fangpendel.
Lässt man einen Stein fallen, so gewinnt er Auch jetzt liegen beide Umkehrpunkte auf gleicher
Höhe und um Δh über dem Tiefpunkt
Geschwindigkeit ; zu ihr gehört

1 DWpot = m × g × Dh.
kinetische Energie Wkin = m × v2 .
2 Dieser Betrag ist dann voll in kinetische
Energie umgewandelt worden, wenn das
Begründung Pendel durch seine Ruhelage schwingt; es
Dass diese Definition zumindest insofern vernünftig tut dies mit der Geschwindigkeit v0:
ist, als sie sich mit Energiesatz und Fallgesetz v­ erträgt,
sieht man leicht: Nach der Fallzeit Δt hat der Stein die 1
Geschwindigkeit v = g ⋅ Δt erreicht, die Strecke Wkin = m × v02 = DWpot .
2
Δs = 1/2g ⋅ Δt2 durchfallen und die potenzielle Energie

m × g × Ds = m × g × 1 / 2 g × Dt 2 = 1 / 2m × g 2 × Dt 2 = 1 / 2m × v 2 Daraus folgt:

in kinetische Energie umgesetzt. 2 × DWpot


v0 = = 2 × g × Dh .
m
>>Merke
1
Kinetische Energie Wkin = m × v2. Hinter der Ruhelage wandelt sich kinetische
2
Energie wieder in potenzielle um, und zwar
Ein Musterbeispiel für ständige Umwand- so lange, bis die Pendelkugel in ihrem Um-
lung kinetischer Energie in potenzielle kehrpunkt zur Ruhe kommt. Sie tut dies auf
und umgekehrt liefert das Fadenpendel der Höhe Δh über dem Tiefpunkt. Von nun
(. Abb. 2.31). Die erste Auslenkung von an wiederholt sich das Spiel periodisch. Auf
Hand hebt den Schwerpunkt der Kugel die Höhe Δh steigt die Kugel auch dann,
um die Hubhöhe Δh an, erhöht also die wenn man ihrem Faden ein Hindernis in den
potenzielle Energie um Weg stellt (Fangpendel – . Abb. 2.32).
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
53 2
Die Geschwindigkeit v0, mit der das Pen-
del durch seine Ruhelage schwingt, hängt nur wollen wir in dieser Abschätzung ver-
von der Hubhöhe Δh ab, nicht von der Masse, nachlässigen.
nicht von der Fadenlänge, nicht von der Lösung. Die vom Motor geleistete
Form der Bahn. v0 stimmt mit der Geschwin- Arbeit erhöht die kinetische Energie des
digkeit eines Körpers überein, der die Strecke Autos:
Δh aus der Ruhe frei durchfallen hat. Hier 1 / 2m × v 2 = 66 kW × 10s Þ
zeigt sich der Vorteil einer so allgemein gülti- 2 × 66 kW × 10s
gen Beziehung wie der des Energiesatzes: Das v=
1000 kg
Kind auf der Schaukel, der Skispringer am
= 36, 3 m / s = 130, 8 km / h
Schanzentisch, der Wagen der Achterbahn,
der Apfel, der vom Baum fällt – für alle Ge-
schwindigkeiten gilt das gleiche Gesetz …
… sofern man die Reibung vernachlässi-
gen darf. Reibung führt zu einer Kraft, die Rechenbeispiel 2.7: Ein letzter Wurf
die Bewegung abbremst (7 Abschn. 2.2.3). vom Turm
Auch gegen diese Reibungskraft muss Ar- Aufgabe. Nun haben wir noch eine an-
beit geleistet werden; früher oder später dere Art kennengelernt, wie wir im
zehrt sie die kinetische Energie jeder sich 7 Rechenbeispiel 2.3 (horizontaler Wurf
selbst überlassenen Bewegung auf und wan- vom Turm mit v0 = 15 m/s) die Auftreff-
delt sie in Wärme um. Auch zur Wärme ge- geschwindigkeit auf den Boden berech-
hört kinetische Energie, die der ungeordne- nen können. Es geht auch mit dem Ener-
ten Bewegung einzelner Atome und giesatz. Wie?
Moleküle nämlich. Diese Unordnung hat Lösung. Der Stein startet mit der ki-
aber eine so grundsätzliche Bedeutung, dass netischen Energie 1 / 2 m × v02 . Beim Fal-
die Wärme mit vollem Recht als eigene len vom Turm wird zusätzlich noch die
Energieform angesehen wird. potenzielle Energie m ⋅ g ⋅ 10 m in kineti-
Kinetische Energie wandelt sich freiwillig sche Energie umgewandelt. Die gesamte
in Wärme um, immer und unvermeidlich: Voll- kinetische Energie beim Auftreffen ist
kommen lässt sich Reibung nicht ausschalten. also:
Zuweilen wird sie sogar dringend gebraucht, Wkin = 1 / 2m × v 2 = 1 / 2m × v02 + m × g × 10 m.
z. B. dann, wenn ein schnelles Auto plötzlich
abgebremst werden muss, um eine Karambo- Daraus ergibt sich für die Geschwindig-
lage zu vermeiden. Dann soll sich viel kineti- keit v beim Auftreffen:
sche Energie rasch in Wärme umwandeln: Die v 2 = v02 + 2 g × 10 m Þ
Bremsen werden heiß. Gelingt dies nicht
2
schnell genug, so entsteht die restliche Wärme æ mö
v = ç15 ÷ + 2 g × 10 m = 20, 5 m / s.
bei plastischer Verformung von Blech. è s ø

Das hatten wir schon einmal herausbe-


Rechenbeispiel 2.6: Beschleunigung kommen. Der Abwurfwinkel geht in die-
des flotten Kleinwagens ser Rechnung gar nicht ein. Die Auftreff-
Aufgabe. Unser Kleinwagen (m = 1000 geschwindigkeit ist tatsächlich immer
kg, Motorleistung 66 kW) beschleunige gleich, unabhängig davon in welche Rich-
aus dem Stand 10 Sekunden lang mit tung wir werfen. Nicht unabhängig vom
maximaler Leistung. Welche Geschwin- Winkel ist natürlich die Wurfweite. Bei ih-
digkeit hat er dann erreicht? Reibung rer Berechnung hilft der Energiesatz nicht.
54 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

..      Abb. 2.34 Hebel 1. Die Federwaage kompensiert


die Gewichtskraft, ob der Hebel nun da ist oder nicht.
Die roten Pfeile zeigen die Kraftvektoren
..      Abb. 2.33 Arm und Bizeps. Als einarmiger Hebel:
Kraft und Last greifen, auf die Drehachse (Ellbogen-
gelenk) bezogen, auf der gleichen Seite an; der Hebel- Empirisch lässt sich das Hebelgesetz z. B.
arm des Muskels (l1 ≈ 30 mm) ist wesentlich kleiner als
mit einer Stange untersuchen, die am linken
der Hebelarm (l2 ≈ 30 cm) der Hantel
Ende drehbar gelagert ist und in Längsrich-
tung verschiebbare Haken besitzt, nach un-
2.2.6 Hebel und Drehmoment ! ten zum Anhängen von G ­ ewichtsklötzen,
nach oben zum Einhängen von Federwaa-
Die Skelette der Wirbeltiere bestehen aus einer gen. Im Gedankenversuch soll der Hebel
Vielzahl von Hebeln. Dazu gehört auch der zwei Bedingungen erfüllen, die sich im rea-
linke Unterarm des Menschen (. Abb. 2.33). len Experiment nur näherungsweise ver-
Hält man ihn horizontal, in der Hand eine wirklichen lassen: Er soll einerseits starr
Hantel, so versucht deren Gewichtskraft, das sein, sich also weder dehnen, noch stauchen,
Ellbogengelenk zu öffnen. Der Bizeps kann noch verbiegen lassen, und andererseits
das aber verhindern. Weil er dicht neben dem masselos, also keine Gewichtskraft haben.
Ellbogen am Unterarm angreift, muss seine Dann spielt der Hebel in einer Situation, wie
Muskelkraft allerdings deutlich größer sein als sie . Abb. 2.34 darstellt, keine Rolle: Die
die Gewichtskraft der Hantel; der Bizeps „sitzt Federwaage muss so oder so die Gewichts-
am kürzeren Hebelarm“. In seiner einfachsten kraft übernehmen. Man kann aber auch sa-
Form lautet das Hebelgesetz: gen, Kraftarm und Lastarm seien gleich und
darum müssten es Kraft und Last vom Be-
Kraft × Kraftarm = Last × Lastarm. trag her ebenfalls sein. Halbiert man den
Lastarm (. Abb. 2.35), so kommt die Fe-
Es liegt nahe, die Gewichtskraft der Hantel
derwaage mit der halben Kraft aus. Umge-
als „Last“ zu bezeichnen und die Muskel-
kehrt muss sie die doppelte Kraft aufbrin-
kraft des Bizeps als „Kraft“. Umgekehrt
gen, wenn man ihren Hebelarm halbiert
geht es aber auch. Die Länge des Hebelarms
(. Abb. 2.36). Das Spiel lässt sich auf vie-
ist der Abstand zwischen dem Angriffs-
lerlei Weise variieren. Was immer man tut,
punkt der jeweiligen Kraft und der Dreh-
im Gleichgewicht gilt das Hebelgesetz, das
achse. Für den Bizeps sind das ungefähr
sich jetzt auch mathematisch formulieren
30 mm (l1 in . Abb. 2.33), während der
lässt. Nennt man die Beträge
 derKräfte von
Unterarm etwa 30 cm lang ist (l2).
„Kraft“ und „Last“ F1 und F2 und die
zugehörigen Hebelarme l1 und l2, so ist
>>Merke
Einfachste Form des Hebelgesetzes:  
l1 × F1 = l2 × F2
Kraft × Kraftarm = Last × Lastarm.
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
55 2

..      Abb. 2.37 Bizeps. Im Allgemeinen greift der Bi-


zeps schräg am Unterarm an

..      Abb. 2.35 Hebel 2. Hängt man die Last auf hal-


ben Hebelarm, so braucht die Federwaage nur die
halbe Kraft aufzubringen. Die andere Hälfte liefert
das Lager

..      Abb. 2.38 Hebel 4. Auch die Federwaage kann


schräg am Hebel angreifen

..      Abb. 2.36 Hebel 3. Wird der Kraftarm halbiert,


so muss die Kraft verdoppelt werden

die Bedingung des Gleichgewichts, die Be-


dingung dafür, dass der Hebel ruhig bleibt
und sich nicht bewegt.
Die letzte Gleichung ignoriert, dass
..      Abb. 2.39 Komponentenzerlegung.
  Nur die Verti-
Kräfte und Hebelarme Vektoren sind; sie kalkomponente FV der Federkraft FF hat Bedeutung
kann sich das leisten, weil sie nur einen Son- für das Hebelgesetz
derfall zu beschreiben
 braucht: horizontale
Hebelarme
 l und vertikale Gewichtskräfte
  
F , also rechte Winkel zwischen l und F . hat nur die vertikale Komponente Fv der
Beim Unterarm gilt das nicht; selbst wenn Federkraft F Bedeutung für das Hebelge-
er waagerecht gehalten wird, zieht der Bi- setz,
 während die horizontale Komponente
zeps, abhängig von der Position des Ober- Fh lediglich den Hebel zu dehnen versucht
arms, im Allgemeinen schräg nach oben und letztlich vom Achslager aufgefangen
(. Abb. 2.37). Im Modellversuch kann man werden muss (. Abb. 2.39).
diesen Fall dadurch nachbilden, dass man Das Kräftedreieck ist rechtwinklig und
die Federwaage ebenfalls schräg nach oben erlaubt darum, die Beträge der Komponen-
ziehen lässt, mit einem Winkel β zwischen ten mit den Winkelfunktionen Sinus und
ihr und dem Hebelarm (. Abb. 2.38). Dann Kosinus unmittelbar auszurechnen:
56 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

    >>Merke
Fv = FF × sin b ; Fh = FF × cos b .
In der einfachsten Form des Hebelgeset-
zes stehen entweder „Kraft“ und „Last“
Dadurch bekommt das Hebelgesetz die Ge-
2 stalt
für deren Komponenten senkrecht zum
Hebelarm oder „Kraftarm“ und „Last-
  arm“ für die effektiven Hebelarme.
l1 × Fv1 = l2 × Fv 2
Unabhängig von diesen beiden Deutungen
bietet die Mathematik ihr vektorielles Pro-
und ausmultipliziert die Form
dukt zweier Vektoren an. Die Physik folgt
  dem Angebot und definiert eine neue physi-
l1 × F1 × sin b1 = l2 × F2 × sin b 2 .
kalische Größe, das
  
Man kann den Sinus des Winkels zwischen Drehmoment T = l ´ F .
 
Kraft und Hebelarm auch anders deuten, Es steht senkrecht auf l und F und liegt
nämlich durch die Definition eines sog. ef- demzufolge parallel zur Drehachse.
fektiven Hebelarms leff. Er ist der kürzeste
Abstand zwischen der Drehachse und der >>Merke
Kraftwirkungslinie (. Abb. 2.40), steht also Drehmoment: Vektorprodukt aus He-
senkrecht auf beiden: belarm und Kraft.
  
l = leff × sin b . T = I ´ F.

Soll der Hebel nicht beschleunigt sein, müs-


In dieser Interpretation schreibt sich das
sen sich Drehmoment und Gegendrehmo-
Hebelgesetz
ment gegenseitig kompensieren:
  
leff 1 × F1 = leff 2 × F2 . ST = 0.
Mechanische Energie und Drehmoment
was ausmultipliziert zum gleichen Ergebnis werden beide in Newtonmeter gemessen,
führt. Mathematisch spielt es keine Rolle, ob denn sie sind beide Produkte aus jeweils ei-
man den Sinus der Kraft zuordnet (Kompo- ner Kraft und einer Länge, dem Schubweg
nentenzerlegung) oder dem Hebelarm (ef- bzw. Hebelarm. Der Einheit sieht man nicht
fektiver Hebelarm); nur darf man nicht bei- an, dass es sich beim Drehmoment um ein
des zugleich tun. vektorielles, bei der Energie aber um ein ska-
lares Produkt zweier Vektoren handelt. Die
Namen Joule und Wattsekunde bleiben aber
F der Energie vorbehalten.

Rechenbeispiel 2.8: Oktoberfest


Aufgabe. Welche Kraft muss der Bizeps
einer Kellnerin auf dem Oktoberfest un-
gefähr entwickeln, wenn sie in jeder
Hand sechs volle Maßkrüge trägt? Ein
voller Krug hat eine Masse von etwa
2 kg. Die Maße der Arme entnehme man
..      Abb. 2.40 Effektiver Hebelarm. Zur Definition
des effektiven Hebelarms leff und der Kraftwirkungsli- . Abb. 2.33.
nie
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
57 2
Damit der Hebel aber auch wirklich im
Lösung. Der Bizeps sitzt am kürzeren statischen Gleichgewicht ist, muss auch
Hebel und muss die zehnfache Gewichts- noch das gelten, was in 7 Abschn. 2.2.1 for-
kraft aufbringen: muliert wurde: Die Summe aller am Hebel
F=
30 cm
× 12 kg × g = 1177 N.
angreifenden Kräfte muss null sein. Die
30 mm Summe der Kraft, die das Gewicht ausübt,
und der Kraft, die die Federwaage ausübt,
ist aber in . Abb. 2.36 keineswegs gleich
null, da die Kraft der Federwaage doppelt
so groß ist. Also muss das Lager mit einer
2.2.7 Grundgleichungen des nach unten gerichteten Kraft, die hier ge-
Gleichgewichts nauso groß ist, wie die Kraft des Gewichts,
für den Ausgleich sorgen. Täte das Lager
Die Überlegungen im vorigen 7 Abschn. dies nicht, so würde der Hebel nach oben
2.2.6 unterstellen als selbstverständlich, dass wegschlagen.
die Position der Achse, um die sich ein He- Entsprechend sind in den . Abb. 2.35,
bel drehen kann, im Raum unverrückbar 2.36, 2.37 und 2.38 die Lagerkräfte einge-
festliegt. Wie man das technisch erreicht, zeichnet. Nur in der Situation von
wurde nicht gesagt, in den Zeichnungen . Abb. 2.34 hat das Lager nichts zu tun
nur angedeutet. Mit etwas Fantasie kann (außer natürlich den Hebel zum Teil zu tra-
man etwa . Abb. 2.36 Folgendes entneh- gen, aber dessen Gewicht sollte ja vernach-
men: Zwei quer am linken Ende des Hebels lässigbar sein).
befestigte Achsstummel stecken drehbar in Bei Kräften und Drehmomenten denkt
passenden Löchern des Lagerklotzes, der man instinktiv immer auch an Bewegungen,
selbst über eine nicht gezeichnete Halte- die sie ja grundsätzlich auslösen können, die
rung zunächst vermutlich mit einem Tisch, in der Statik aber ausdrücklich ausgeschlos-
am Ende aber mit dem Erdboden starr ver- sen werden. Häuser und Brücken sollen
bunden ist. Versucht nun eine von außen schließlich stehen bleiben und nicht einstür-

angreifende Kraft den Hebel wegzuziehen, zen. Dazu müssen sich  alle Kräfte F und
so hält der Lagerklotz den Hebel dadurch alle Drehmomente T gegenseitig aufheben:
fest, dass er durch winzige elastische Ver-  
formungen auf die Achsstummel die dort åFi = 0 und åTi = 0.
erforderliche Lagerkraft ausübt. In i i

. Abb. 2.36 ist diese Lagerkraft einge-


zeichnet und nach unten gerichtet. Warum
aber war es im vorigen 7 Abschn. 2.2.6 er- >>Merke
Die Bedingungen der Ruhe: Nicht nur
laubt, diese Lagerkraft mit keinem Wort zu
die Summe der Drehmomente, auch die
erwähnen?
der Kräfte muss null sein:
Wichtigste physikalische  Größe beim
 
Hebel ist das Drehmoment T , weiter  oben åFi = 0; åTi = 0.
als Kreuzprodukt
 aus Hebelarm
   l und i i

Kraft F beschrieben: T = l ´ F . Der He-


belarm reicht von der Drehachse bis zur
Kraftwirkungslinie. Nun greift eine Lager- 2.2.8 Gleichgewichte
kraft aber an der Achse an. Folglich liefert
sie mangels Hebelarm kein Drehmoment; Regen Gebrauch vom Hebelgesetz macht zu-
folglich kann das Hebelgesetz ohne Lager- nächst einmal die Natur, etwa bei den Skelet-
kräfte formuliert werden. ten der Wirbeltiere und den zugehörigen
58 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

Muskeln. Regen Gebrauch macht aber auch Hängt man irgendeinen Körper nachein-
die Technik, z. B. bei den Balkenwaagen, die ander an verschiedenen Punkten auf und
zwei von massenproportionalen Gewichts- zieht man von jedem Aufhängepunkt eine
2 kräften erzeugte Drehmomente miteinander Gerade senkrecht nach unten, so treffen sich
vergleichen. Die Waage der Justitia, auch alle Geraden in einem Punkt, dem Schwer-
Apothekerwaage genannt (. Abb. 2.41), punkt S (. Abb. 2.42). Bei der Gewichts-
besitzt einen genau in der Mitte gelagerten kraft darf man so tun, als sei die gesamte
zweiarmigen Hebel, den Waagebalken. Die Masse eines Körpers in diesem konzentriert;
Gleichheit der Hebelarme ist hier unerläss- man bezeichnet ihn deshalb auch als Mas-
lich; jede Abweichung würde zu einem sys- senmittelpunkt.
tematischen Fehler führen. Das zu wiegende Der Schwerpunkt kann außerhalb des
Gut wird dann mit passenden Stücken aus Körpers liegen, z. B. beim Hufeisen. Der
einem Gewichtssatz verglichen. Moderne Mensch kann seinen Schwerpunkt sogar
Waagen freilich zeigen ihren Messwert elek- durch Körperbewegungen verlagern, auch
tronisch an und verraten nicht, wie sie das nach außen. Einem vorzüglichen Hoch-
machen. springer gelingt es möglicherweise, ihn unter
Im Gleichgewicht geht die Apotheker- der Latte hindurchzumogeln (. Abb. 2.43);
waage in Ruhestellung, Waagebalken hori- das spart Hubarbeit.
zontal. Unbelastet tut sie dies auch. Wieso Wenn es die Halterung erlaubt, versucht
eigentlich? jeder Schwerpunkt von sich aus, unter den
Punkt zu kommen, an dem das Objekt ge-
halten wird. Dann hat die Gewichtskraft
keinen effektiven Hebelarm mehr und er-

..      Abb. 2.42 Schwerpunkt. Der Schwerpunkt S eines


frei hängenden Körpers begibt sich unter den Aufhän-
..      Abb. 2.41 Einfache Balkenwaage gepunkt

..      Abb. 2.43 Fosbury-Flop. Bei einem optimal ausgeführten Fosbury-Flop rutscht der Schwerpunkt des Sprin-
gers knapp unter der Latte hindurch
2.2 · Kraft, Drehmoment, Energie
59 2

..      Abb. 2.45 Labiles Gleichgewicht. Der Schwer-


punkt S fällt, wenn er nicht exakt über dem Unterstüt-
zungspunkt liegt: Abgabe potenzieller Energie
..      Abb. 2.44 Apothekerwaage. Außerhalb des Gleich-
gewichts liegt der Schwerpunkt S des Waagebalkens
nicht unter dem Unterstützungspunkt U und erzeugt Ganz anders verhält sich ein Spazier-
deshalb ein rücktreibendes Drehmoment. Der Aus- stock, den man auf seine Spitze zu stellen
schlag der Waage und damit ihre Empfindlichkeit sind versucht. Grundsätzlich müsste es möglich
umso größer, je leichter der Balken, je länger die Hebel- sein, seinen Schwerpunkt so exakt über den
arme und je kleiner der Abstand des Schwerpunkts
vom Unterstützungspunkt sind
Unterstützungspunkt zu bringen, dass auch
jetzt mangels effektiven Hebelarms kein
Drehmoment auftritt (. Abb. 2.45). Hier
zeugt kein Drehmoment. Der Waagebalken genügt aber die kleinste Kippung, der
der Balkenwaage wird deshalb so konstru- kleinste Lufthauch, um ein Drehmoment zu
iert und aufgehängt, dass er dieses Ziel zu erzeugen, das die Auslenkung vergrößert:
erreichen erlaubt und sich dabei waagerecht labiles Gleichgewicht; der Stock fällt um.
stellt. Dazu muss der Unterstützungspunkt Umfallen braucht allerdings Zeit. Mit der
über den Schwerpunkt gelegt werden. nötigen Geschicklichkeit lässt sich der Un-
Ein Waagebalken nimmt seine Ruhe- terstützungspunkt deshalb rechtzeitig nach-
stellung auch dann ein, wenn beide Waag- führen; ein Jongleur kann ein volles Tablett
schalen gleiche Lasten tragen und mit ih- auf einer Stange balancieren und ein See-
nen entgegengesetzt gleiche Drehmomente löwe einen Ball auf seiner Nase.
erzeugen. Hat aber z. B. die linke Waag- Auf der Grenze zwischen labilem und
schale ein Übergewicht (. Abb. 2.44), so stabilem Gleichgewicht liegt das indifferente
neigt sich der Waagebalken auf ihrer Seite Gleichgewicht, das man durch eine „Auslen-
und schiebt seinen Schwerpunkt nach rechts kung“ gar nicht verlässt. In ihm befindet
heraus. Das bedeutet effektiven Hebelarm, sich z. B. eine Kreisscheibe oder eine Kugel
Gegendrehmoment und neues Gleichge- auf exakt horizontaler Ebene. Symmetri-
wicht. Durch seine Schräglage zeigt der sche Massenverteilung vorausgesetzt, liegt
Waagebalken aber „Ungleichgewicht“ im der Schwerpunkt im Zentrum und damit
Sinne von „Ungleichheit der Gewichte“ in genau über dem Unterstützungspunkt,
den beiden Waagschalen an. Lenkt man den dem Berührungspunkt mit der Ebene
Waagebalken durch kurzes Antippen aus, so (. Abb. 2.46): kein effektiver Hebelarm,
führt ihn das rücktreibende Gegendrehmo- kein Drehmoment, Gleichgewicht. Daran
ment wieder in die Ausgangslage zurück, ob ändert sich auch nichts, wenn man die Kugel
horizontal oder schräg. Man spricht immer zur Seite rollt. Sie kehrt weder in die Aus-
dann von einem stabilen Gleichgewicht, gangslage zurück, noch läuft sie weg.
wenn Störungen „von selbst“ rückgängig Möbel stehen fest; offensichtlich befin-
gemacht werden. den sie sich in stabilem Gleichgewicht, ob-
60 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

>>Merke
Gleichgewichte:
55 Stabil: Verrückung erfordert Energie-
2 erhöhung
55 Labil: Verrückung vermindert die
Energie
55 Indifferent: Verrückung lässt Energie
unverändert
..      Abb. 2.46 Indifferentes Gleichgewicht. Beim Rol-
len bewegt sich der Schwerpunkt S exakt horizontal: >>Merke
kein Umsatz potenzieller Energie
Jedes „System“ versucht, die potenzielle
Energie zu minimieren.

2.3 Kraft und Bewegung

2.3.1 Newton’sche Gesetze !!


..      Abb. 2.47 Stabiles Gleichgewicht. Der Schwer-
„Nach unten“ ist die Richtung der Fallbe-
punkt S liegt zwar über den Unterstützungspunkten,
muss aber beim Kippen angehoben werden (Bahnen schleunigung ebenso wie die der Gewichts-
gestrichelt): Erhöhung der potenziellen Energie kraft. Sollte zwischen beiden ein ursächli-
cher Zusammenhang bestehen? Dann dürfte
es kein Privileg der Schwerkraft sein, Be-
wohl ihr Schwerpunkt wie beim Spazier-
schleunigungen auszulösen; andere Kräfte
stock über dem Fußboden liegt. Wichtig: Sie
müssten dies, parallel zu ihren eigenen Rich-
berühren ihn in mehreren Berührungspunk-
tungen, ebenfalls können. Dann brauchte
ten, mindestens in drei. Hier empfiehlt es
aber auch ein Gegenstand, auf den keine
sich, mithilfe der Hubarbeit zu argumentie-
Kräfte wirken oder bei dem die Summe der
ren. Wer eine Kommode kippen will, muss
wirkenden Kräfte null ist, nur auf Beschleu-
ihren Schwerpunkt anheben (. Abb. 2.47),
nigungen zu verzichten und nicht, wie in der
also Hubarbeit leisten, und mit dieser die
Statik, auf jede Bewegung überhaupt. Eine
potenzielle Energie der Kommode erhöhen.
gleichförmige mit konstanter Geschwindig-
Das gilt auch für den Waagebalken. Es ist
keit bliebe ihm gestattet.
das Kennzeichen des stabilen Gleichge-
wichts.
>>Merke
Beim Spazierstock im Gleichgewicht
1. Newton’sches Gesetz:
liegt im Vergleich dazu der Schwerpunkt so
Ein Gegenstand, auf den keine
hoch wie möglich. Die potenzielle Energie
Kräfte wirken oder bei dem die Vektor-
besitzt ihr Maximum und wird beim Kippen
summe der wirkenden Kräfte null ist, be-
teilweise freigesetzt: Kennzeichen des labilen
hält seine Geschwindigkeit unverändert
Gleichgewichts. Die Kugel kann auf ihrer
bei.
horizontalen Ebene herumrollen, ohne die
Höhe ihres Schwerpunkts zu ändern: kein Um diese Vermutung experimentell zu veri-
Energieumsatz, indifferentes Gleichgewicht. fizieren, muss man zunächst die Gewichts-
Dahinter steht ein ganz allgemeines Natur- kraft des Gegenstands exakt kompensieren,
gesetz: Jeder Körper, jedes „System“ möchte ohne seine Bewegungsfreiheit allzu sehr ein-
die potenzielle Energie, wenn möglich, mini- zuschränken. Das gelingt mit einer geraden
mieren. Fahrbahn, die sich genau horizontal justie-
2.3 · Kraft und Bewegung
61 2
den Gleiter aus der Ruhe startet, findet man
für die Abstände Δs und die Zeitspannen
Δt ab Start die Beziehung Δs proportional
zu Δt2.Nach den Überlegungen zum freien
Fall entspricht das einer konstanten Be-
schleunigung
Ds
a=2 2,
Dt
also einer gleichförmig beschleunigten Be-
wegung.
..      Abb. 2.48 Luftkissenfahrbahn. Aus den Löchern 3. Beobachtung: Wechselt man die Gewichte
der hohlen Schiene wird Pressluft geblasen; sie hebt für die Antriebskraft F systematisch aus, so
den Gleiter ein wenig an. Animation im Web findet man eine Proportionalität zwischen
a und F.
ren lässt, sodass von der Gewichtskraft 4. Beobachtung: Erhöht man die Masse m
keine Komponente in Fahrtrichtung übrig des Gleiters, indem man ihm zusätzliche
bleibt. Ferner muss man die bremsenden Lasten zu tragen gibt, so bemerkt man
Kräfte der Reibung vernachlässigbar klein eine Trägheit der Masse: Der Gleiter
machen, indem man gut schmiert. Bewährt kommt umso „schwerer“ in Bewegung, je
hat sich ein hohler Vierkant als Fahrbahn; „schwerer“ er ist (das Wort „schwer“ in
er wird auf eine Kante gestellt und bekommt unterschiedlicher Bedeutung verwendet).
in festen Abständen feine Löcher in beiden Quantitativ findet man bei konstanter
oberen Flächen (. Abb. 2.48). Luft, in den Kraft F eine umgekehrte Proportionalität
am anderen Ende verschlossenen Vierkant zwischen Beschleunigung und Masse, also
eingepresst, kann nur durch diese Löcher a~1/m.
entweichen und hebt einen lose aufgelegten
Metallwinkel so weit an, dass er den Vier- Alle Beobachtungen lassen sich zusammen-
kant nirgendwo berührt: Er gleitet praktisch fassen zum 2. Newton’schen Gesetz
reibungsfrei auf einem Luftpolster. Um  
seine Bewegungen auszumessen, postiert Kraft F = Masse m × Beschleunigung a.
man längs der Gleitbahn an den Positionen  
s Lichtschranken, die mit elektrischen Das Gesetz gilt vektoriell: F und a haben
Stoppuhren die Zeitpunkte t feststellen, zu gleiche Richtung. Es ist von so grundlegen-
denen der Gleiter bei ihnen vorbeikommt. der Bedeutung, dass man es auch Grundglei-
1. Beobachtung: Wie immer man den Gleiter chung der Mechanik nennt.
im Einzelfall angestoßen hat, man findet Δs
proportional zu Δt, also konstante Ge- >>Merke
schwindigkeit, in Übereinstimmung mit 2. Newton’sches Gesetz, Grundglei-
dem 1. Newton’schen Gesetz. chung der Mechanik:
Um eine konstante Antriebskraft auf  Kraft = Masse · Beschleunigung:

den Gleiter auszuüben, lenkt man eine F = m×a .
kleine Gewichtskraft über Faden und Rolle
Damit ergibt sich auch ein wichtiger Zusam-
in Gleitrichtung um (. Abb. 2.48). Dabei
menhang der Einheiten:
muss man die Reibung im Rollenlager
niedrig halten.
>>Merke
2. Beobachtung: Wie immer man den Ver- kg × m
Krafteinheit Newton: 1N = 1 .
such im Einzelnen durchführt, wenn man s2
62 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

Auch der freie Fall hält sich an die Grund- auf: Weil die Masse der Erde sehr viel größer
gleichung: ist als die des Mondes, liegt der gemeinsame
FG = m × g . Schwerpunkt noch innerhalb der Erdkugel.
2 Warum aber hat die Masse eines fallenden
Bei dem Mann mit dem Bollerwagen in
7 Abschn. 2.2.3 muss man schon etwas ge-
Körpers keinen Einfluss auf die Fallbe-
nauer nachdenken.
 In . Abb. 2.28 ist nur
schleunigung? Je schwerer ein Körper, umso
die Kraft F (zusammen mit ihren Kompo-
größer die Gewichtskraft; eine umso höhere
nenten), die der Mann auf den Wagen aus-
Kraft wird aber auch gebraucht, ihn zu be-
übt, eingetragen. Dass der
 Wagen die entge-
schleunigen. Das kompensiert sich gerade.
gengesetzte Kraft - F auf den Mann
Man sagt auch „schwere Masse gleich träge
ausübt, erkennt man allenfalls
 an dessen
Masse“ und meint damit, dass im Gravita-
Schräglage; nähme man - F plötzlich weg,
tionsgesetz und im 2. Newton’schen Gesetz
indem man das Zugseil kappt, so fiele der
die gleiche Masse steht.
Mann vornüber.
Es gibt noch einen weiteren, keineswegs
selbstverständlichen Tatbestand, den man
beachten muss, wenn man sich mit Kräften
Rechenbeispiel 2.9: Die Kraft auf den
befasst. Zu einer Kraft gehören immer zwei:
Kleinwagen
ein Gegenstand, auf den sie ausgeübt wird,
Aufgabe. Unser Kleinwagen aus 7 Re-
und einer, der sie ausübt. Wenn ein
chenbeispiel 2.6 (m = 1000 kg) beschleu-
­Gegenstand auf einen anderen eine Kraft
nigt in 10 Sekunden von null auf
ausübt, nach welchem Mechanismus auch
130,8 km/h. Welche Kraft wirkt dabei
immer, so gibt ihm das keine Vorrechte:
auf ihn?
Notwendigerweise übt nämlich der andere
Lösung. Nach der Grundgleichung
Gegenstand auf den einen die gleiche Kraft
der Mechanik ist:
aus, nur in entgegengesetzter Richtung (Ge-
genkraft). Man bezeichnet diesen Tatbe- 130, 8 km / h
F = m×a = m×
stand als 3. Newton’sches Gesetz und sub- 10 s
sumiert ihn zuweilen unter dem Kürzel 36, 3 m / s
= m× = 3633 N.
actio = reactio. 10 s

Frage. Was übt eigentlich die Kraft aus,


>>Merke
die unseren Kleinwagen beschleunigt?
3. Newton’sches Gesetz: actio = reactio.
Anwort. Dumme Frage! Der Motor
Die Kräfte, die zwei Gegenstände
natürlich. Oder? Der Motor ist ja Teil
aufeinander ausüben, sind entgegenge-
des Autos und fährt mit. Würde er die
setzt gleich.
das Auto beschleunigende Kraft aus-
Bei der Massenanziehung leuchtet das 3. üben, wäre das so wunderbar wie der
Newton’sche Gesetz unmittelbar ein: Das Graf Münchhausen, der sich am eigenen
Gravitationsgesetz (7 Abschn. 2.2.2) gilt Zopf aus dem Sumpf zieht. Die Kraft
für beide Massen, für m1 wie für m2. Die muss schon von außen kommen, also
Erde zieht den Mond mit einer Kraft FM an von der Straße. Der Motor übt über die
und zwingt ihn damit auf eine Bahn um den Räder eine Kraft auf die Straße aus. Die
gemeinsamen Schwerpunkt.
 Mit der entge- Gegenkraft beschleunigt das Auto. Sie
gengesetzten Kraft FE = - FM zieht aber beruht auf der Reibung zwischen Rä-
auch der Mond die Erde an und zwingt sie dern und der Straße. Auf eisglatter Fahr-
ebenfalls auf eine Bahn um den gemeinsa- bahn nützt der stärkste Motor nichts.
men Schwerpunkt. Das fällt freilich kaum
2.3 · Kraft und Bewegung
63 2
2.3.2 Impuls Die Kräfte fallen rasch auf null; Gleiches
gilt für die beiden Beschleunigungen. Doch
Wer vor Freude in die Luft springt, gibt der wie deren zeitliche Verläufe auch immer aus-
Erde einen Tritt. Das macht ihr nichts aus, sehen, sie führen zu einer gewissen Endge-

denn sie besitzt die größte Masse, die in der schwindigkeit v . Auf einen Körper der
Reichweite des Menschen überhaupt vor- Masse m überträgt die Kraft den
kommt. Ein startendes Flugzeug kann sich  
nicht von der Erde abstoßen; es saugt Luft Impuls p = m × v .
aus der Umgebung an und bläst sie in ge-
richtetem Strahl nach hinten weg. Eine mit der Einheit kg · m/s; er ist ein Vektor.
Mondrakete findet keine Luft mehr vor; sie Solange eine Kraft einwirkt, ändert sie
verwendet für den gleichen Zweck die Ver- den Impuls des Körpers mit der „Ände-
brennungsgase ihres Treibstoffs. Wer immer rungsgeschwindigkeit“
seine Bewegung ändern will, muss etwas ha- 
dp 
ben, von dem er sich abstoßen kann. = F.
Für quantitative Überlegungen eignet dt
sich der in . Abb. 2.49 skizzierte Versuch.
Da im Versuch der . Abb. 2.49 die auf die
Zwei Wägelchen mit den Massen m1 und m2
beiden Wägelchen wirkenden Federkräfte zu
stehen (reibungsfrei) auf ebener Bahn, zwi-
jedem Zeitpunkt bis auf das Vorzeichen
schen sich eine gespannte Sprungfeder.
gleich waren, gilt dies für die Impulse eben-
Diese drückt mit betragsgleichen, aber
falls:
­entgegengesetzt gerichteten Kräften auf die
beiden Wagen:   
p1 = m1 × v1 = - p2 = -m2 × v2 .
 
F1 = - F2 . Die Summe der beiden Impulse ist also null:
 
Ein Zwirnfaden hält die Wagen zusammen; p1 + p2 = 0.
er liefert die Gegenkräfte, die das ganze Sys-
tem in Ruhe halten. Brennt man den Faden Vor Beginn des Versuchs war sie das auch,
mit einem Feuerzeug durch, so fahren die denn da befanden sich beide Wägelchen in
Wagen auseinander, für kurze Zeit beschleu- Ruhe. Hinter dieser Feststellung steht ein
nigt, bis die Feder entspannt herunterfällt: Naturgesetz, der Satz von der Erhaltung des
    Impulses (Impulssatz); er besagt: In einem
m1 × a1 = F1 = - F2 = -m2 × a2 . abgeschlossenen System kann sich die

..      Abb. 2.49 Zum


Impulssatz (Einzel-
heiten im Text)
64 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

Summe aller Impulse, der Gesamtimpuls


also, nicht ändern.
>>Merke
2 
Für den mechanischen Impuls p = m × v

gilt ein Erhaltungssatz; er wird Impuls-
satz genannt.

Als „abgeschlossen“ bezeichnet man ein


System, auf das keine äußeren Kräfte wir-
ken: Aus
 
dp
SF = S =0
dt
folgt ..      Abb. 2.50 Stoßpendel. Haben beide Kugeln die

Sp = konstant. gleiche Masse, so übernimmt die gestoßene Kugel von
der stoßenden Kugel Impuls und kinetische Energie
Die Mitglieder eines abgeschlossenen Sys- vollständig
tems können zwar Impuls untereinander
austauschen, der Gesamtimpuls bleibt aber
konstant.
Impuls wird bei jedem Stoß ausgetauscht
und Stöße gibt es viele in der Welt, nicht nur
beim Boxen und Fußball: Röntgenquanten
stoßen mit Elektronen (Compton-Effekt,
7 Abschn. 7.5.5), Elektronen mit Molekülen
(Gasentladung, 7 Abschn. 6.2.5), Moleküle ..      Abb. 2.51 Pendelkette. Auf der einen Seite fliegen
trommeln auf die Wände ihres Gefäßes (Gas- stets ebenso viele Kugeln ab, wie auf der anderen Seite
druck, 7 Abschn. 5.2.1). Beim Compton-­ auftreffen (gleiche Kugelmassen vorausgesetzt)
Effekt kann man im Einzelfall den Impuls-
satz bestätigen; es ist ähnlich mühsam wie die andere, vorerst in Ruhe belassene, auf-
bei zwei Billardkugeln. Impulse sind ja Vek- schlagen, so vertauschen sie ihre Rollen:
toren, die in ihre Komponenten zerlegt wer- Die stoßende Kugel bleibt stehen, die ge-
den wollen. Man spart deshalb Rechenar- stoßene fliegt weg. Sie hat den Impuls der
beit, wenn man sich auf den zentralen Stoß ersten Kugel voll übernommen.
beschränkt, bei dem nur eine einzige Bewe- Eine freundliche Spielerei liefert die Pen-
gungsrichtung vorkommt. delkette (. Abb. 2.51). Sie erlaubt, mehrere
Experimentell lässt sich dieser Fall hin- Kugeln zur Seite zu ziehen und aufschlagen
reichend genau durch zwei Stahlkugeln re- zu lassen. Die Kugeln am anderen Ende wis-
präsentieren, die als lange Fadenpendel sen genau, wie viele es waren: Sie springen
nebeneinander hängen, und zwar an Dop- nach dem Stoß in gleicher Anzahl ab. Das ist
pelfäden, die sich nach oben v-förmig kein Wunder. Man hat ja nur das erste Ex-
spreizen. Aus der Blickrichtung der periment mit einer einzigen stoßenden Ku-
. Abb. 2.50 ist dies nicht zu erkennen. Je- gel mehrmals rasch hintereinander ausge-
denfalls erlaubt die Spreizung den Kugeln führt. Die Zeitspanne, in der sich zwei
nur eine Bewegung in der Zeichenebene. Im Stahlkugeln beim Stoß berühren, liegt in
einfachsten Fall bestehen die Kugeln aus der Größenordnung Millisekunden; sie ist
gehärtetem Stahl und haben die gleiche so kurz, dass mehrere Stöße allemal nach-
Masse. Lässt man jetzt die eine Kugel auf einander erfolgen.
2.3 · Kraft und Bewegung
65 2
Grundsätzlich wäre beim Stoß zweier können sie sich nicht mehr trennen, sie haf-
Kugeln gleicher Masse der Impulssatz ten aufeinander. Die gemeinsame Geschwin-
auch erfüllt, wenn die stoßende Kugel digkeit wird vom Impulssatz bestimmt; der
nicht stehen bliebe, sondern wie von einer Energiesatz legt dann fest, wie viel Wärme
Wand abprallte; dann müsste allerdings die durch plastische Verformung des Kaugum-
gestoßene Kugel den doppelten Impuls mis entwickelt werden muss.
  
übernehmen ( p + 0 = - p + 2 p ) und die vier-
fache (!) kinetische Energie, denn die wächst
Rechenbeispiel 2.10: Zorniges Kind
ja proportional zu v2 und nicht wie der Im-
 Aufgabe. Ein Kleinkind, das in einem
puls bloß proportional zu v . Woher aber
leichtgängigen Kinderwagen sitzt (Ge-
soll die Energie kommen? Der angenom-
samtmasse Kind plus Kinderwagen:
mene Fall ist gar nicht möglich. Stoßpartner
10 kg) werfe seine volle Nuckelflasche
müssen auf beide Erhaltungssätze achten.
(250 g) mit vN = 2 m/s in Fahrtrichtung
Das lässt ihnen keine Wahlfreiheit.
aus dem Wagen. Wenn der Kinderwagen
Ungleiche Stoßpartner machen die
zunächst in Ruhe war, welche Geschwin-
Rechnung kompliziert; erst bei extrem un-
digkeit hat er nun?
gleichen Stoßpartnern wird sie wieder ein-
Lösung. Der Gesamtimpuls war vor
fach, denn dann braucht der schwere Part-
dem Wurf null, also muss er es danach
ner keine Energie zu übernehmen: Der Ball,
auch sein. Der Wagen wird sich also ent-
der beim Squash gegen die Wand gedonnert
gegengesetzt zur Wurfrichtung mit einer
wird, kommt mit (praktisch) gleichem Ge-
Geschwindigkeit vW bewegen, für die
schwindigkeitsbetrag und gleicher kineti-
gilt:
scher Energie zurück.
250 g × vN = -10 kg × vW Þ
Zur Begründung 0, 25 kg
vW = × vN = 0, 05 m / s.
Als der fröhliche Mensch zu Beginn dieses Kapitels 10 kg
der Erde einen Tritt gab, verlangte der Impulssatz,
wenn man die Beträge betrachtet,
M ×V = m × v
(große Buchstaben für die Erde und kleine für den
Menschen) mit der Konsequenz: 2.3.3 Trägheitskräfte
m V
= 1.
M v Ein Mensch, der im Bett liegt und schläft,
Daraus folgt für die kinetische Energie: meint, er sei in Ruhe. Tatsächlich rotiert er
1 1 aber mitsamt der Erde um deren Achse und
M × V × V  m × v × v.
2 2 läuft mit ihr um die Sonne. Diese macht ih-
Bisher war stillschweigend angenommen rerseits die Drehung der Milchstraße mit,
worden, dass alle in den Stoß hineinge- die als Ganzes vermutlich auf eine andere
steckte kinetische Energie hinterher immer Galaxis zuläuft. Eine „wahre“ Bewegung,
noch kinetische Energie ist, man spricht hier eine „absolute“ Geschwindigkeit gibt es
vom elastischen Stoß. Streng genommen nicht – und zwar grundsätzlich nicht.
gibt es diesen gar nicht, denn auch bei den Die Messung einer Geschwindigkeit
besten Stahlkugeln geht immer noch ein we- setzt eine Ortsbestimmung voraus und diese
nig kinetische Energie in Wärme über. verlangt ein Koordinatenkreuz als Bezugs-
Den entgegengesetzten Extremfall be- system. Jeder Beobachter bevorzugt das
zeichnet man als vollständig inelastischen seine und behauptet gern, er befände sich
Stoß, experimentell z. B. realisierbar durch mit ihm in Ruhe. Der Mensch neigt dazu,
ein Stückchen Kaugummi dort, wo sich die sich für den Mittelpunkt der Welt zu hal-
beiden Kugeln berühren. Nach dem Stoß ten – in der Physik ist das in Grenzen sogar
66 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

erlaubt: Koordinatensysteme, die sich mit >>Merke


konstanter Geschwindigkeit geradlinig ge- Die Newton’schen Gesetze gelten nur in
geneinander bewegen, sog. Inertialsysteme, Inertialsystemen.
2 haben keine Vorrechte voreinander; von je-
Man kann aber auch in beschleunigten Be-
dem darf man behaupten, es sei in Ruhe.
zugssystemen mit den Newton’schen Geset-
Wenn sich die Geschwindigkeit eines Be-
zen rechnen, wenn man Trägheitskräfte
zugssystems aber ändert, wenn es z. B. ro-
(auch Scheinkräfte genannt) einführt. Das
tiert, ist es kein Inertialsystem und dann
ist aber nur ein Trick.
kann der, der dieses Bezugssystem benutzt,
Der Gedanke mag ausgefallen erschei-
nicht so einfach mit den Newton’schen Ge-
nen, aber man kann auch in einem Fahr-
setzen weiterarbeiten.
stuhl die Gewichtskraft eines Menschen mit
einer Federwaage aus dem Badezimmer fest-
>>Merke
stellen. Fährt der Fahrstuhl an, und zwar
Ein Inertialsystem ruht oder bewegt sich
aufwärts, so muss auch der Passagier auf die
mit konstanter Geschwindigkeit, also
Fahrstuhlgeschwindigkeit beschleunigt wer-
ohne jede Beschleunigung.
den. Dazu bedarf es einer nach oben gerich-
Wenn ein Auto gegen einen Baum gefah- teten Kraft, die nur über die Waage auf ihn
ren ist, dann liest man zuweilen in der Zei- übertragen werden kann. Prompt zeigt sie
tung, die Insassen (nicht angeschnallt!) diese Kraft an, zusätzlich zu der des Ge-
seien „durch die Wucht des Aufpralls aus wichtes, die von der Waage ja auch durch
dem Wagen herausgeschleudert“ worden – eine nach oben gerichtete Federkraft kom-
gerade so, als habe sie eine plötzlich auf- pensiert werden muss. Hat der Fahrstuhl
tretende Kraft von ihren Sitzen gerissen. seine volle Geschwindigkeit erreicht, so ver-
Dies entspricht auch deren subjektivem schwindet mit der Beschleunigung auch
Empfinden. Ein Augenzeuge am Straßen- die Zusatzkraft, und die Waage meldet
rand könnte aber glaubhaft versichern, wieder das normale Gewicht. Beim Brem-
zunächst sei das Auto mit hoher Ge- sen im Obergeschoss wird der Fahrstuhl-
schwindigkeit auf den Baum zugefahren, korb verzögert, d. h. nach unten beschleu-
dann sei es plötzlich stehen geblieben, die nigt – und der Passagier auch. Die dazu
Insassen jedoch nicht. Nach dieser Dar- notwendige Kraft lässt sich mühelos von
stellung sind sie gerade deshalb aus dem seiner Gewichtskraft abzweigen; die
Wagen geflogen, weil keine Kraft auf sie Waage zeigt entsprechend weniger an. So-
wirkte, um sie zusammen mit dem Auto bald der Fahrstuhl steht, ist alles wieder
anzuhalten. Was ist nun „wirklich“ ge- beim alten. So beschreibt ein Physiker den
schehen? Existierte eine Kraft auf die In- Vorgang, der ihn zumindest in Gedanken
sassen, ja oder nein? von außen, aus einem Inertialsystem her-
Die Antwort lautet: Nein, da ist keine aus, beobachtet.
Kraft auf die Insassen. Zu einer Kraft ge- Was aber sagt jemand, der im Fahrstuhl
hören nämlich immer zwei: einer, auf den sie dabei gewesen ist und, weil der geschlossen
wirkt, und einer, der sie ausübt. Vor den In- war, nicht herausschauen und die Bewegun-
sassen ist aber nichts, was eine Kraft aus- gen seines Bezugssystems gar nicht feststel-
üben würde. Trotzdem, im Bezugssystem len konnte? Er kennt nur die vorübergehend
Auto sind die Insassen nach vorn beschleu- geänderten Anzeigen der Waage und muss
nigt. Da muss sie doch eine Kraft nach vorn sie deuten. Grundsätzlich wäre denkbar,
ziehen? Der Schluss wäre richtig, wenn im dass da eine fremde große Masse mit ihrer
Bezugssystem Auto das 2. Newton’sche Ge- Gravitation im Spiel war, dass sie erst unter
setz gälte; das tut es aber nicht. dem Fahrstuhl erschien, die Gewichtskraft
2.3 · Kraft und Bewegung
67 2
erhöhend, und dann über ihm, die Ge- zeichen der Schwerelosigkeit. Das heißt kei-
wichtskraft erniedrigend. Sehr wahrschein- neswegs, dass Raumschiff und Inhalt der
lich klingt das nicht, darum wird der Beob- irdischen Schwerkraft entzogen wären; al-
achter im Fahrstuhl seine physikalischen les bewegt sich lediglich so, dass sich Ge-
Kenntnisse zusammenkratzen und sagen: wichts- und Trägheitskräfte genau kom-
„Wie ich gelernt habe, tritt in einem Bezugs- pensieren. Beim Start war das ganz anders.
system, das sich aus irgendwelchen Gründen Dort zeigte die Beschleunigung nach oben,

mit einer Beschleunigung a durch die Ge- die Trägheitskräfte addierten sich zu den
gend bewegt, eine Massen-proportionale Gewichtskräften (und übertrafen sie um
­
  etwa das Dreifache).

Tragheitskraft FT = -m × a

auf. Vermutlich waren die veränderten An- Rechenbeispiel 2.11: Wiegen im


gaben der Waage auf diese Trägheitskraft Aufzug
zurückzuführen, vermutlich haben wir uns Aufgabe. Wir steigen tatsächlich mit der
einem beschleunigten Bezugssystem befun- Personenwaage unterm Arm in einen Auf-
den. Dessen Beschleunigungen kann ich so- zug und wiegen uns. Die Waage zeigt eine
gar ausrechnen.“ Masse an (70 kg), obwohl sie die Gewichts-
kraft misst. Der Hersteller hofft, dass der
>>Merke Umrechnungsfaktor 9,81 kg · m/s2 schon
Trägheitskräfte existieren nur in be- stimmen wird. Nun fährt der Aufzug nach
schleunigten Bezugssystemen, nicht in oben und beschleunigt dazu für kurze Zeit
Inertialsystemen, und werden darum zu- mit a = 1 m/s2. Auf welchen Wert erhöht
weilen Scheinkräfte genannt. sich für diese Zeit die Masse scheinbar?
Lösung. Zur Gewichtskraft m · g tritt
Könnte man einen Fahrstuhl frei fallen las-
noch eine Trägheitskraft mit Betrag m · a
sen, so wäre a = g und die Trägheitskraft
hinzu. Die Waage rechnet aber natürlich
höbe die Gewichtskraft auf: Der Passagier
unverändert mit ihrem Umrechnungs-
fühlte sich „schwerelos“. Astronauten erle-
faktor, sodass sie eine scheinbare Masse
ben diese Schwerelosigkeit tage- und mona-
anzeigt von
telang, von dem Moment an nämlich, in
dem das Triebwerk der Trägerrakete abge-
m¢ =
( g + a ) × m = 77,1 kg.
schaltet wird, bis zum Wiedereintritt in die
g
Erdatmosphäre, wenn die Bremsung durch
Luftreibung beginnt. In der Zwischenzeit
„fallen“ sie mitsamt ihrer Raumkapsel um
die Erde herum, mit einer so hohen Ge- 2.3.4 Drehbewegung
schwindigkeit in der „Horizontalen“, dass
ihre Bahn die Erde nicht erreicht und zur Im Weltraum gibt es fast schon ein „Ge-
Ellipse um deren Zentrum wird. Alles in der drängel“, allerdings nur in einem schmalen
Kapsel, ob lebendig oder nicht, bewegt sich Ring rund 36.000 km über dem Äquator:
mit (praktisch) gleicher Geschwindigkeit Dort versammeln sich alle Nachrichten-
und (praktisch) gleicher Beschleunigung auf und Wettersatelliten der Erde. Man nennt
(praktisch) parallelen, gekrümmten Bah- sie geostationär, weil ein jeder senkrecht
nen. über seinem Punkt auf der Erde stehen
Im Bezugssystem der Kapsel fällt nichts bleibt, d. h. mit der gleichen Winkelge-
zu Boden, es gibt gar kein „Unten“: Kenn- schwindigkeit um die Erde läuft, mit der
68 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

sich diese selbst dreht. Warum Äquator, wa- F = G ⋅ m ⋅ M/r2 bemühen (7 Abschn. 2.2.2,
rum 3,6 · 107 m? G = Gravitationskonstante, M = Masse der
Wer auf einer Kreisbahn laufen will, Erde). Vom geostationären Satelliten wird die

2 braucht eine Zentripetalbeschleunigung az , Kreisfrequenz ωE = 2π/24h verlangt, mit der
die ständig zum Mittelpunkt des Kreises die Erde rotiert. Daraus folgt für den Betrag
zeigt, sich also mitdreht. 7 Abschn. 2.1.4 der Zentripetalkraft:
hatte für ihren Betrag
m×M
Fz = m × wE2 × r = G × .
2 v2 r2
az = w × r =
r
Dies ist eine Bestimmungsgleichung für r,
ergeben (ω = Winkelgeschwindigkeit, denn sie lässt sich nach r3 auflösen:
v = Bahngeschwindigkeit, r = Radius der
Kreisbahn). Nach der Grundgleichung der G×M
 r3 = .
Mechanik muss aZ von einer ebenfalls stän- wE2
dig zum Mittelpunkt des Kreises zeigenden
Kraft geliefert werden. Sie heißt Zentripe- G ist eine Naturkonstante, M und ωE sind
talkraft und hat den Betrag fest vorgegeben, also kann die Bedingung
„geostationär“ nur von einem einzigen
v2 Bahnradius erfüllt werden. Die Satelliten
Fz = m × az = m × w 2 × r = m × .
r müssen sich drängeln.
Mit weniger Aufwand als eine Raumfähre
Der Hammerwerfer auf dem Sportplatz dreht ein Kettenkarussell seine Passagiere im
muss sie mit seinen Muskeln aufbringen und Kreis herum. Dabei schwenken die Gondeln
über das Seil des „Hammers“ auf diesen nach außen; die Ketten, an denen sie hängen,
übertragen. können wie Seile nur Zugkräfte in ihrer eige-
nen Richtung übertragen (. Abb. 2.52).
>>Merke
55 Der ruhende außenstehende Beobachter
Kreisbahn: Zur Zentripetalbeschleunigung
 sagt dazu: „Die Passagiere brauchen für
az gehört eine zum Zentrum gerichtete
ihre Kreisbahn
 eine horizontale Zentri-
Zentripetalkraft mit dem Betrag:
petalkraft Fz ; die Ketten müssen sie lie-
v2 fern, mit der waagerechten Komponente
Fz = m × az = m × = m × w 2 × r. ihrer Zugkraft. Diese Komponente exis-
r
tiert nur, wenn die Gondeln nach außen
Die geostationären Satelliten können sich schwenken und die Ketten schräg nach
ihre Zentripetalkraft nur von der Gravita- oben ziehen (. Abb. 2.52, rechtes Kräf-
tion holen. Die aber zeigt zum Zentrum der tedreieck).“
Erde; deren Mittelpunkt ist Mittelpunkt der 55 Der Passagier hingegen sagt: „Ich sitze
Kreisbahn, ob der Satellit nun über die Pole in einem rotierenden, also beschleunig-
läuft oder anderswo. Geostationär kann er ten Bezugssystem, auf mich  wirkt die
sich freilich nur in einer Äquatorbahn auf- vertikale Gewichtskraft FG und für die
halten; bei allen anderen Bahnen würde er horizontale Richtung nehme ich eine
nicht konstant über einem Punkt der Erd- horizontale Trägheitskraft, die Zentri-
oberfläche bleiben. fugalkraft Ff , an. Beide addieren sich
In Satellitenhöhe darf man für die Fallbe- zu einer schräg nach unten und außen
schleunigung nicht mehr den erdnahen Wert gerichteten Gesamtkraft, der die Ket-
g ansetzen, man muss das Gravitationsgesetz ten folgen müssen (. Abb. 2.52, linkes
2.3 · Kraft und Bewegung
69 2
Kräftedreieck). Außerdem wirkt auf dreht sich ja mit, er gibt sein rotierendes
mich noch die Kraft der Ketten (rech- Bezugssystem selbst vor. Aber da ist er der
tes Kräftedreieck). Beides kompensiert Einzige im ganzen Stadion. Alle anderen
sich gerade, sodass ich in meinem be- müssen sagen: Da hält einer mit seinen
schleunigten Bezugssystem in Ruhe Muskeln den Hammer auf einer Kreisbahn
bin. und plötzlich lässt er los; folglich fliegt der
  Hammer mit seiner momentanen Bahnge-
Fz und Ff haben die gleichen Beträge, nach schwindigkeit ab, tangential zum Kreis, wie
der gleichen Formel zu berechnen. die Funken von einer Schleifscheibe
(. Abb. 2.53).
>>Merke Von hohen Beschleunigungen in rotie-
Zentripetalkraft: nach innen gerichtete renden Bezugssystemen macht die Technik
Zentralkraft; eifrig Gebrauch, auch im ärztlichen Labor.
Zentrifugalkraft: nach außen gerichtete Die Bestandteile einer Suspension lassen
Trägheitskraft im rotierenden Bezugs- sich im Schwerefeld der Erde voneinander
system. trennen, wie z. B. die Blutsenkung zeigt
(7 Abschn. 3.3.3). Das braucht aber Zeit
Wieder gilt: Neben dem Karussell steht
und geht viel schneller, wenn man für seine
niemand, der die Passagiere nach außen
Probe die Gewichtskraft durch die hohen
zieht. Die Zentrifugalkraft ist nur eine fik-
Beschleunigungskräfte (Zentrifugalkraft)
tive Kraft im beschleunigten Bezugssys-
einer Zentrifuge ersetzt. Auch sie sind mas-
tem. Wenn man das nicht beachtet, kann
senproportional. Mit hohen Drehzahlen
man Fehlschlüssen aufsitzen. In welcher
können durchaus handliche Geräte Radial-
Richtung fliegt der „Hammer“ weg, den
beschleunigungen von mehr als 1000 g er-
der Hammerwerfer erst im Kreis herum-
zielen. Die eingesetzten Reagenzgläser ste-
schleudert und dann loslässt? Radial nach
hen dann bei laufender Zentrifuge
außen, in Richtung der Zentrifugalkraft.
horizontal und sind nicht ganz ungefähr-
Der Werfer darf das in der Tat sagen; er
lich. 1000 g bedeuten tausendfache Ge-
wichtskraft; da darf es keine mechanischen
Schwachstellen geben, sonst fliegt die Zent-
rifuge auseinander.

..      Abb. 2.52 Kettenkarussell. Links: Kräftedreieck


aus Sicht des Passagiers; die Ketten zeigen in
 Richtung
der Resultierenden
 aus Zentrifugalkraft Ff und Ge-
wichtskraft FG . Rechts: Kräftedreieck aus der Sicht
des Zuschauers; die Kettenkraft liefert mit ihrer Hori-
zontalkomponenten die zur  Kreisbewegung notwen- ..      Abb. 2.53 Keine Kreisbewegung ohne Zentripetal-
dige Zentripetalkraft FZ . (© Schulz-Design – kraft. Von einer Schleifscheibe tangential abfliegende
7 Fotolia.­com) Funken (© pictonaut – 7 Fotolia.­com)
70 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

Das Integral bekommt einen eigenen Na-


Rechenbeispiel 2.12: Kettenkarussell men; es heißt
Aufgabe. Mit ungefähr welcher Winkel-
 I = ò r 2 × dm
2 geschwindigkeit rotiert das Kettenkarus-
sell in . Abb. 2.52?
Tragheitsmoment

Lösung. Das kann man anhand des und wird in kg.m2 gemessen. Leider hängt
Bildes natürlich nur grob schätzen. Der es nicht nur von der Masseverteilung des
horizontale Abstand der Passagiere von rotierenden Körpers ab, sondern auch von
der senkrechten Drehachse ist vielleicht der Lage der Drehachse. Immerhin führt
etwa 6 m. Das ist also unser Radius der seine Definition aber zu der einfachen Be-
Kreisbewegung. Die Sitze haben eine ziehung:
Schräglage von etwa 45°. Das heißt:
Zentripetalkraft und Schwerkraft sind 1
Wkin = I •w 2 .
etwa gleich groß. Dann sind auch die Ra- 2
dialbeschleunigung ar und die Fallbe-
schleunigung g gleich groß. Die Radial- Demnach bedeuten Trägheitsmoment und
beschleunigung ist also ca. ar = 10 m/s2. Winkelgeschwindigkeit für die Rotation,
Wie wir in 7 Abschn. 2.1.4 gelernt ha- was Masse und Geschwindigkeit für die
ben, ist Translation bedeuten. Die Analogie reicht
v2 weiter. So kann die Grundgleichung der Me-
ar = = r × w 2. chanik bei Drehbewegungen in der Form
r
Damit ergibt sich für die  
dw
ar T =I×
Winkelgeschwindigkeit w = = 1, 3 s -1. dt
r 
Das entspricht etwa 12 Umdrehungen geschrieben
 werden; Drehmoment T und
pro Minute. Kraft F entsprechen einander. Auch wenn
es bisher nicht erwähnt wurde: Winkelge-

schwindigkeit w und ­Winkelbeschleunigung

dw / dt sind Vektoren, die in Richtung der
2.3.5 Trägheitsmoment und Drehachse zeigen. Ganz allgemein kommt
Drehimpuls man von den Formeln der Translation zu
denen der Rotation, wenn man die Größen
Auch in der Drehbewegung steckt kineti- in der linken Spalte der Tabelle durch die in
sche Energie. Zwar rotieren alle Masseteil- der rechten Spalte ersetzt:
chen dm eines Rades mit der gleichen Win-
kelgeschwindigkeit ω, ihres unterschiedlichen
Translation Rotation
Abstands r(m) von der Drehachse wegen
aber mit verschiedenen Bahngeschwindig- Wegstrecke s Drehwinkel α
keiten v(m) = ω ⋅ r(m). Es hilft also nichts, 
Wkin lässt sich nur durch Summieren der Bei- Geschwindigkeit s Winkelgeschwindigkeit w
träge aller Masseteilchen dm ermitteln. Ma- Beschleunigung Winkelbeschleunigung

thematisch läuft dies auf eine Integration a dw

heraus: dt

1 1  
Wkin = × ò v 2 ( m ) × dm = w 2 × ò r 2 ( m ) × dm. Kraft F Drehmoment T
2 2
Masse m Trägheitsmoment I
2.3 · Kraft und Bewegung
71 2
Wie nach dieser Aufstellung zu erwarten, Weil achsenferne Körperteile mehr zum

gibt es als Gegenstück zum Impuls p und Trägheitsmoment beitragen als achsennahe,
dem Impulserhaltungssatz auch den gehen z. B. Pferde auf Zehenspitzen: Ihre
  kleinen und schmalen Hufe entsprechen
Drehimpuls L = I × w anatomisch Finger- und Fußnägeln. Das ist
schlecht im Sumpf, aber gut zum raschen
mit dem Drehimpulserhaltungssatz. Er sorgt Laufen auf festem Boden: Die Beine lassen
z. B. dafür, dass ein Kinderkreisel nicht um- sich rasch bewegen, ohne viel Muskelkraft
fällt und ein Frisbee
 stabil in der Luft liegt; für hohe Drehmomente aufbringen zu müs-
mit dem Vektor L muss auch die ihm paral- sen, die bei hohen Trägheitsmomenten not-
lele Richtung der Drehachse erhalten blei- wendig würden.
ben. Wer einen Salto springt, rotiert um eine
Ob sie ihn nun kennen oder nicht – Eis- sog. freie Achse, im Gegensatz zum Geräte-
tänzerinnen und Kunstspringer nutzen den turner, der sich bei einer Riesenwelle die Reck-
Drehimpulserhaltungssatz auf recht raffi- stange als Drehachse vorgibt. Freie Achsen
nierte Weise. Achsenferne Massen tragen ja müssen immer durch den Schwerpunkt lau-
in weit höherem Maß zum Trägheitsmoment fen, denn täten sie es nicht, so durchliefe der
bei als achsennahe; der Radius r geht qua­ Massenmittelpunkt eine Kreisbahn: Eine
dratisch ein. Deshalb kann der Mensch Zentrifugalkraft wäre die Folge. Die aber
sein Trägheitsmoment (im Gegensatz zu kann nur von einer festen Achse aufgefangen
seiner Masse) beträchtlich verändern, wie werden. (Bei einer Riesenwelle biegt sich die
. Abb. 2.54 an drei Beispielen zeigt. Reckstange ja auch ganz schön durch.)
Will die Eistänzerin eine Pirouette dre- Jedes Rad eines Autos muss durch eine
hen, so besorgt sie sich zunächst mit dem kleine Zusatzmasse „ausgewuchtet“ werden
Fuß
 ein
 Drehmoment T , das ihr wegen (. Abb. 2.55), bis sein Schwerpunkt auf der
T = dL / dt einen Drehimpuls verschafft. konstruktiv vorgeschriebenen „Mechaniker-
Diesen übernimmt sie in einer Stellung mit achse“ liegt. Andernfalls „schlägt“ das Rad
hohem Trägheitsmoment (. Abb. 2.54 ganz und reißt an seinem Lager. Der Springer im
rechts) und relativ kleiner Winkelgeschwin- Salto hat kein Lager, ihm bleibt nur eine
digkeit. Wenn sie sich jetzt aufrichtet und die freie Achse. Beim Rad des Autos soll sie mit
Arme an den Körper und damit an die verti- der Mechanikerachse zusammenfallen.
kale Drehachse heranholt, nimmt ihre Win-
kelgeschwindigkeit merklich zu, denn anders
kann der Drehimpuls bei vermindertem
Trägheitsmoment nicht erhalten bleiben.
Ähnliches tut der Kunstspringer beim
Salto, nur rotiert er um eine horizontale
Achse. Nach dem Absprung geht er in die

Hocke, um I zu verringern und w zu er-
höhen; am Ende des Sprunges streckt er

sich wieder, um bei kleinerem w mit den
Händen zuerst sicher ins Wasser einzutau-
chen. Dort gibt er dann seinen Drehim-
puls an die Erde zurück, von der er ihn ..      Abb. 2.54 Eistänzerin. Trägheitsmomente (An-
beim Absprung vom Turm ausgeborgt haltswerte) des Menschen in verschiedenen Körper-
hatte. haltungen bei Drehung um die vertikale freie Achse
72 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

dargestellt werden (. Abb. 2.3). Die Ge-


schwindigkeit des Körpers entspricht dann
der Steigung des Graphen in diesem Dia-
2 gramm (. Abb. 2.2). Man berechnet sie
durch Differenzieren des Weges s(t) nach
der Zeit t. Umgekehrt kann man aus der
Geschwindigkeit v(t) durch Integrieren den
zurückgelegten Weg ermitteln. Die Ge-
schwindigkeit ist genau genommen ein Vek-

tor v ( t ) , da sie nicht nur einen Betrag, son-
..      Abb. 2.55 Auswuchten. Zusatzgewicht zum Aus- dern auch eine Richtung hat. Bei der
wuchten eines Autorades Berechnung von Relativgeschwindigkeiten
muss man daher oft zur Vektoraddition
>>Merke greifen (. Abb. 2.5).
Für die Rotation bedeuten Drehmo- Wenn die Geschwindigkeit von der Zeit
ment, Trägheitsmoment und Drehim- abhängt, ist der Körper beschleunigt. Die

puls das, was für die Translation Kraft, Beschleunigung a berechnet sich durch Dif-
Masse und Impuls ist. ferenzieren der Geschwindigkeit nach der
Zeit und ist auch ein Vektor. Die Beschleu-
nigung ist immer in Richtung der sie verursa-
2.4 In Kürze chenden Kraft gerichtet. Diese Richtung
stimmt in vielen Fällen (z. B. schiefer Wurf,
zz Lineare Bewegung Kreisbewegung) nicht mit der Richtung der
Im einfachsten Fall kann die Bewegung ei- Geschwindigkeit überein.
nes Körpers in einem Weg-Zeit-Diagramm

Konstante Geschwindigkeit Ds s: Weg [m]


v= t: Zeit [s]
Dt
v: Geschwindigkeit [m/s]
Weg s(t) = v ⋅ t + s0 s0: Anfangsort [m]

Konstante Beschleunigung Dv a: Beschleunigung [m/s2]


a= v0: Anfangsgeschwindigkeit [m/s]
Dt

Geschwindigkeit v(t) = a ⋅ t + v0
Weg a 2
s (t ) = × t + v0 × t + s0
2
2.4 · In Kürze
73 2
zz Kreisbewegung mit konstanter Ge-
schwindigkeit

Winkelgeschwin- ω: Winkelgeschwindigkeit [1/s]


2p
digkeit w= T: Umlaufzeit [s]
T r: Radius [m]
v: Bahngeschwindigkeit [m/s]
Bahngeschwindig- v=ω⋅r
ar: Radialbeschleunigung [m/s2]
keit
Fz: Zentripetalkraft [N], nach
Radialbeschleuni- innen gerichtet
v2
gung ar =
r

Zentripetalkraft
v2
Fz = m ×
r

Zentrifugalkraft Im beschleunigten Bezugssystem ist die Zentrifugalkraft entgegengesetzt gleich


der Zentripetalkraft.

zz Kräfte kräfte in Flüssigkeiten (7 Abschn. 3.3.3); die


Jegliche Beschleunigung wird durch Kräfte Gravitationskraft zwischen Massen; und Ver-
verursacht und ist proportional zur resultieren- formungskräfte wie z. B. die Federkraft. Es gilt
den Kraft. Die wichtigsten Kräfte in der Me- immer: Übt ein Körper A auf einen anderen
chanik sind: Kontaktkräfte zwischen berüh- Körper B eine Kraft aus, so beruht dies auf
renden Körpern (letztlich elektromagnetische Gegenseitigkeit: B übt eine gleich große, aber
Kräfte), insbesondere: Reibungskräfte, die Be- entgegengesetzte Kraft auf A aus (3. Newton’-
wegung zu bremsen suchen, und Auftriebs- sches Gesetz).

Schwerkraft FG = m ⋅ g FG: Schwerkraft [N, Newton]


m: Masse [kg]
g = 9,81 m/s2: Fallbeschleunigung
Federkraft F = D ⋅ Δl
D: Federkonstante éê ùú
N
ëmû
Δl: Auslenkung der entspannten Feder
Reibungskraft (zwischen Festkörpern) FR = μ ⋅ FN FR: Reibungskraft
FN: Normalkraft
μ: Reibungskoeffizient

zz Drehmoment in Rotationversetzt werden, so kommt es


Eng mit dem Begriff der Kraft verwandt nicht nur darauf an, welche Kraft F man
und bei Drehbewegungen wichtig ist das ausübt, sondern auch in welchem Abstand
Drehmoment T „gleich Kraft mal Hebel- von der Drehachse (mit welchem Hebelarm
arm“. Soll ein starrer Körper um eine Achse l) die Kraft angreift.
74 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

Drehmoment T = F ⋅ leff T: Drehmoment [Nm]


leff: effektiver Abstand des Angriffspunkts
der Kraft von der Drehachse [m]
2 Hebelgesetz „Last mal Lastarm F1 × leff1 = F2 × leff 2 F1: Last-Kraft [N]
gleich Kraft mal Kraftarm“ leff1: Lastarm [m]
F2, leff2: Kraft, Kraftarm
Gleichgewicht Die Vektorsumme aller Kräfte und Drehmomente muss null sein.

zz Grundgleichung der Mechanik Arbeit gleich W = F ⋅ Δs W: Arbeit [J,


Zentral in der Mechanik ist das 2. Newton’- Kraft mal Weg Joule]
sche Gesetz: Ist die Vektorsumme aller F: Kraft [N]
Kräfte ungleich null, so wird der Gegen- Δs: Weg [m]
stand beschleunigt. Die Beschleunigung hat
also immer genau die Richtung der resultie-
renden Kraft und hängt zudem von der zz Energie
Masse m ab. Eine wichtige Größe in der Physik, deren
Bedeutung weit über die Mechanik hinaus-
reicht, ist
Jede   
Beschleuni- F = m×a F : Kraftvektor die Energie. Energie hat in einem abge-
gung [N] schlossenen System einen konstanten Wert
erfordert eine  Masse [kg]
m: (Energieerhaltungssatz). Die Summe aus po-
resultierende a : Beschleuni- tenzieller und kinetischer Energie in der Me-
Kraft gungsvektor [m/
s 2] chanik bleibt aber nur dann konstant, wenn
keine Reibungskräfte wirken. Reibung wandelt
kinetische Energie in Wärmeenergie um, wes-
halb alle mechanischen Geräte eines Antriebes
zz Arbeit bedürfen, um nicht stillzustehen. Der Antrieb
Der Begriff der Arbeit ist wesentlich für das führt dem Gerät laufend eine gewisse Energie
Berechnen von Energiewerten. pro Zeit zu. Dies wird angegeben als Leistung.

Kinetische Energie (Bewegungsenergie) m 2 W: Arbeit, Energie [J, Joule]


Wkin = ×v Wkin: kinetische Energie
2

Potenzielle Energie (Lageenergie) Wpot = m ⋅ g ⋅ Δh Wpot: potenzielle Energie


(im Schwerefeld der Erde)
D: Federkonstante é N ù
1 êë m úû
Wpot = D × Dl 2
2
Δl: Dehnung der Feder
(Schraubenfeder)
Leistung dW éJ ù
P= P: Leistung ê = W,Watt ú
dt ës û
2.5 · Fragen und Übungen
75 2
zz Impuls 2.4 Ein Stein wird von der gleichen Höhe
Bei der Betrachtung von Stößen ist der Im- fallen gelassen, von der ein Ball horizontal
puls von Interesse. Wirken keine äußeren geworfen wird. Wer hat die höhere Ge-
Kräfte, so bleibt er in einem System von Ku- schwindigkeit beim Auftreffen auf den Bo-
geln z. B. erhalten (Impulserhaltungssatz). den?
So kann man verstehen, was bei Stößen pas- 2.5 Weil es in Ruhe ist, wirken keine
siert. Kräfte auf das Auto. Was ist falsch an dieser
Aussage?
Impuls  
p = m×v  2.6 Sie sägen einen Besen im Schwer-
p : Impuls
punkt durch. Sind die beiden Teile gleich
é kg × m ù schwer?
êë s úû
2.7 Wenn Sie von einem Stuhl aufstehen,
müssen Sie sich erst etwas nach vorn beu-
Impuls-  dp
erhal- F= gen. Warum geht es nicht anders?
dt ; 2.8 Warum muss man sehr vorsichtig
tung
Impulserhaltung: bremsen, wenn man auf einer rutschigen
ohne äußere Kraft
 Fahrbahn fährt?
F bleibt der 2.9 Warum muss man beim Anfahren
Impuls erhalten.
mit dem Fahrrad stärker in die Pedale tre-
ten, als wenn man mit konstanter Geschwin-
zz Rotation starrer Körper digkeit fährt?
Für Drehbewegungen kann das 2. Newton’- 2.10 Wie groß ist die Winkelgeschwin-
sche Gesetz auch mit Drehmoment, Winkel- digkeit des Sekundenzeigers einer Uhr?
beschleunigung und Trägheitsmoment for- 2.11 Muss ein resultierendes Drehmo-
muliert werden (7 Abschn. 2.3.5). Das ment wirken, wenn ein Körper rotiert?
Trägheitsmoment hängt von der Form und
Massenverteilung im Körper ab sowie von
der Lage der Drehachse. 2.5.2 Übungsaufgaben

(⧫ leicht; ⧫⧫ mittel; ⧫⧫⧫ schwer)


2.5 Fragen und Übungen
zz Beschleunigung
2.5.1 Verständnisfragen 2.1 ⧫ Ein Gegenstand bewegt sich mit einer
negativen Beschleunigung von −1 m/s2.
2.1 Die mittlere und die momentane Ge- Seine Anfangsgeschwindigkeit ist 1 m/s.
schwindigkeit sind meist verschieden. Für Nach welcher Zeit ist seine Geschwindigkeit
welche Bewegung sind sie gleich? null?
2.2 Kann ein Auto um die Kurve fahren, 2.2 ⧫ Ein rasanter Sportwagen kommt in
ohne beschleunigt zu sein? 6 Sekunden „auf Hundert“ (100 km/h). Wie
2.3 Sie werfen einen Ball geradewegs groß ist seine mittlere Beschleunigung im
nach oben in die Luft. Welche Werte haben Vergleich zum freien Fall?
Geschwindigkeit und Beschleunigung im 2.3 ⧫ Sie lassen einen Stein in einen
höchsten Punkt der Bahn? Brunnen fallen und hören es nach 2 Sekun-
den „platschen“. Wie tief ist der Brunnen?
76 Kapitel 2 · Mechanik starrer Körper

2.4 ⧫ Aus welcher Höhe muss man einen 2.12 ⧫⧫ Sie machen auf einer Personen-
Dummy zu Boden fallen lassen, wenn man waage schwungvolle Kniebeugen. Wie än-
den Aufprall eines Motorradfahrers simulie- dert das die Anzeige am Ende der Abwärts-
2 ren will, der mit 50 km/h auf eine Mauer bewegung?
fährt? 2.13 ⧫ Ein Kind ist doppelt so schwer
2.5 ⧫ Ein Mensch gleitet aus und schlägt wie ein anderes. In welchem Abstand von
mit dem Hinterkopf auf den Boden. Dem der Drehachse einer Wippe setzen sie sich
Wievielfachen der Erdbeschleunigung ist am besten, um gemeinsam gut wippen zu
der Schädel ausgesetzt? Zur Abschätzung können?
sei angenommen: freier Fall aus 1,5 m Höhe;
konstante Verzögerung beim Aufschlag auf zz Energie und Leistung
einer Strecke von 5 mm. 2.14 ⧫ Wie viel Zeit hat man, um seine 70 kg
die 16 Stufen jeweils 17 cm eines Stockwer-
zz Zusammengesetzte Bewegung kes hochzuschleppen, wenn man dabei
2.6 ⧫ Wie muss der Bootsführer in 500 W umsetzen will? Wer leichter ist, muss
. Abb. 2.5 steuern, wenn er möglichst schneller sein.
schnell ans andere Ufer kommen will? 2.15 ⧫ Welche mechanische Arbeit leis-
2.7 ⧫⧫ Regentropfen, die auf die Seiten- ten Sie ungefähr, wenn Sie ein Stockwerk
fenster eines fahrenden Zuges treffen, hin- hinaufsteigen?
terlassen eine schräg laufende Spur auf dem 2.16 ⧫ Ein Klotz mit 1 kg Masse und
Fenster. Ein durchschnittlicher Regentrop- 1 m/s Startgeschwindigkeit kommt durch
fen fällt senkrecht mit etwa 8 m/s und die Reibung zur Ruhe. Welche Wärme entsteht
Spur auf dem Fenster habe einen Winkel dabei?
von 60° zur Senkrechten. Wie schnell fährt 2.17 ⧫⧫ Jane, nach Tarzan Ausschau hal-
der Zug, Windstille vorausgesetzt? tend, rennt so schnell sie kann (5,6 m/s),
2.8 ⧫⧫ Ein Känguru auf der Flucht greift sich eine senkrecht herunterhängende
macht 6 m weite und 1,5 m hohe Sprünge. Liane und schwingt nach oben. Wie hoch
Wie groß ist seine horizontale Fluchtge- schwingt sie? Spielt die Länge der Liane eine
schwindigkeit? Rolle?

zz Kraft, Drehmoment zz Impulssatz


2.9 ⧫ Der statistische Einheitsmensch wiegt 2.18 ⧫ Was ist „schlimmer“: gegen eine Be-
„70 Kilo“. Wie groß ist seine Gewichtskraft? tonwand zu fahren oder frontal mit einem
2.10 ⧫ Wie viel Kraft spart die schiefe Auto gleicher Masse zusammenzustoßen,
Ebene in . Abb. 2.24 quantitativ? das mit gleicher Geschwindigkeit fährt wie
2.11 ⧫⧫ Angenommen, die Gewichts- man selbst?
kraft des Flaschenzuges in . Abb. 2.26 2.19 ⧫⧫ Bei einem Verkehrsunfall fahren
könnte gegenüber den 10 kN der Gewichts- zwei massengleiche Wagen aufeinander. Wie
kraft F1 der Last vernachlässigt werden: viel Energie wird bei unelastischem Stoß
a) Welche Kraft F belastet die Decke, wenn durch verbogenes Blech in Wärme umge-
das freie Ende des Seiles senkrecht nach setzt, wenn
unten gezogen wird? a) der eine Wagen auf den stehenden
b) Wird die Decke stärker oder aber weniger anderen auffährt?
stark belastet, wenn man, wie gezeichnet, b) beide Wagen mit gleicher Geschwindigkei-
schräg zieht? ten frontal zusammenstoßen?
2.5 · Fragen und Übungen
77 2
zz Trägheitskräfte schleunigung hebt das Flugzeug ab. Wie
2.20 ⧫ Wie reagiert der Abgleich einer Bal- groß ist seine Startgeschwindigkeit?
kenwaage auf die Trägheitskräfte eines be-
schleunigten Bezugssystems? zz Drehbewegung
2.21 ⧫⧫ Ein Passagier in einem Flugzeug, 2.22 ⧫ Welche Drehfrequenz und welche
das gerade auf die Starterlaubnis wartet, Kreisfrequenz, welche Bahngeschwindigkeit
nimmt seine Armbanduhr an einem Ende und welche Winkelgeschwindigkeit hat die
und lässt sie senkrecht herunterbaumeln. Erde auf ihrer Bahn um die Sonne? (Erd-
Das Flugzeug bekommt die Starterlaubnis bahnradius im Anhang.)
und beschleunigt. Dabei schwenkt die Uhr 2.23 ⧫ Um welchen Faktor erhöht sich
aus der senkrechten um ca. 25° nach hinten. die Zentrifugalbeschleunigung einer Zentri-
Nach 18 Sekunden mit etwa kon­stanter Be- fuge, wenn man deren Drehzahl verdoppelt?
79 3

Mechanik deformierbarer
Körper
Inhaltsverzeichnis

3.1 Aggregatzustände – 81

3.2 Festkörper – 82
3.2.1 S truktur der Festkörper – 82
3.2.2 Verformung von Festkörpern – 83
3.2.3 Viskoelastizität – 86

3.3 Druck – 87
3.3.1 S tempeldruck – 87
3.3.2 Schweredruck ! – 88
3.3.3 Auftrieb – 91
3.3.4 Manometer – 93
3.3.5 Pumpen – 94
3.3.6 Kompressibilität – 96
3.3.7 Blutdruckmessung – 97

3.4 Grenzflächen – 98
3.4.1  ohäsion – 98
K
3.4.2 Adhäsion – 102

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial,


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U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_3
3.5 Strömung – 103
3.5.1 I deale Strömung !! – 103
3.5.2 Zähigkeit (Viskosität) ! – 106
3.5.3 Reale Strömung durch Rohre !! – 108
3.5.4 Umströmung von Hindernissen – 112

3.6 In Kürze – 113


3.7 Fragen und Übungen – 115
3.7.1  erständnisfragen – 115
V
3.7.2 Übungsaufgaben – 116
3.1 · Aggregatzustände
81 3
Der „starre Körper“ ist eine Fiktion: Selbst der Atomkerne überdauern Jahrmilliarden; die
härteste Gegenstand lässt sich verbiegen und schweren Elemente der Erde sind irgend­
mit der nötigen Gewalt auch zerbrechen. Dem­ wann im Innern eines Sternes entstanden.
gegenüber passt eine Flüssigkeit ihre Form dem Die Vielfalt der Substanzen ist nur mög­
Gefäß an, in dem sie sich befindet; sie behält lich, weil sich die vergleichsweise wenigen
aber ihr Volumen bei und bestimmt danach ihre Atomsorten in den unterschiedlichsten
Oberfläche. Ein Gas schließlich füllt (unter La­ Kombinationen zu Molekülen zusammen­
borbedingungen, nicht in astronomischem schließen können. Wie sie dies tun, warum
Maßstab) sein Gefäß vollständig und gleichmä­ sie dies tun, ist Thema der Chemie. Deren
ßig aus. Eben weil Flüssigkeiten und Gase keine Formeln sagen, welche Atome in welchen
eigene Form besitzen, lassen sie sich etwa durch Anzahlen welche Moleküle bilden. Die zu­
Strömung in Röhren relativ leicht transportie­ gehörigen Bindungskräfte sind weit schwä­
ren. Blutkreislauf und Atmung nutzen dies aus. cher als die Kernkräfte. Bei chemischen Re­
aktionen wird deshalb auch weit weniger
Energie umgesetzt als bei Kernreaktionen.
3.1 Aggregatzustände Kohlekraftwerke müssen wesentlich mehr
Brennstoff verfeuern als Kernkraftwerke.
Bei einfachen Substanzen wie H2O ist die Moleküle sind klein, selbst Billionen lie­
Zuordnung zu den drei Aggregatzuständen fern noch keine sichtbaren Krümel. Makros­
fest, flüssig und gasförmig naheliegend und kopisch sichtbare Körper entstehen nur, weil
unproblematisch. Beim Fensterglas mag sich Moleküle zu großen Komplexen zusam­
verwundern, dass es zu den Flüssigkeiten ge­ menlegen können. Die dabei auftretenden
hört. Was aber macht man mit Kaugummi, Bindungskräfte sind freilich so schwach, dass
Haut und Haaren? man sie mit Hammer und Meißel oder auch
Die Materie dieser Erde besteht aus Ato­ mit reiner Temperaturerhöhung überwinden
men. Jedes Atom besitzt eine lockere Elek­ kann. Wenn Wasser verdampft, treten ein­
tronenhülle, die seinen Durchmesser be­ zelne Moleküle durch die Oberfläche der
stimmt, und einen vergleichsweise kleinen Flüssigkeit in den Dampfraum über. Auch
Atomkern, der seine Masse bestimmt. Der diese Phänomene tragen zur Vielfalt der
Kern enthält Protonen und Neutronen. Pro­ Substanzen bei. Ob Nebel oder Regen, ob
tonen sind elektrisch positiv geladen, Elekt­ Hagelkorn, Tropfen oder Schneeflocke, ob
ronen negativ und Neutronen sind ungela­ Pfütze, Raureif oder Glatteis, immer handelt
den (neutral); der Kern kann demnach seine es sich um die gleichen H2O-Moleküle, nur in
Hülle durch elektrische Kräfte an sich bin­ verschiedenen Aggregatzuständen:
den. Diese würden aber die positiven Proto­ 55 Ein Festkörper ist formstabil; verbiegt
nen auseinandertreiben, wären da nicht die man ihn nur leicht, so kehrt er elastisch
anziehenden Kernkräfte zwischen Protonen in seine Ausgangsform zurück. Überfor­
und Neutronen. Balance kann nur in be­ dert man seine mechanische Festigkeit,
stimmten Kombinationen erreicht werden; so zerreißt, zerbricht, zerkrümelt er.
Atome, Atomkerne existieren nur von den 55 Eine Flüssigkeit besitzt keine eigene
rund hundert chemischen Elementen. Form; sie passt sich dem Gefäß an, in
Bis zum Element Nr. 83, dem Wismut, das sie eingefüllt wurde. Wasser braucht
gibt es stabile Atomkerne, ab Nr. 84 (Polo­ dazu allenfalls Sekunden, Kochkäse
nium) zerfallen alle Kerne nach einer gewis­ Stunden, antiken Gläsern haben 2000
sen Zeit in kleinere, sind also radioaktiv. Jahre noch nicht genügt, wider den Au­
Elemente bis Nr. 92, dem Uran, kommen in genschein ist ein Glas kein Festkörper in
der Natur vor, die Transurane (ab Nr. 93) der strengen Definition der Aggregatzu­
müssen künstlich hergestellt werden. Stabile stände (7 Abschn. 5.4.2). Eine vorgege­
82 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

bene Flüssigkeitsmenge kennt ihr Volu­ Im Kristallgitter herrscht Ordnung; jedem


men und behält es bei, wenn man sie Gitterbaustein wird ein fester Platz zugewiesen.
umgießt. Die Molekülabstände liegen in Kochsalz z. B. besteht aus elektrisch positiv ge­
der gleichen Größenordnung wie bei ladenen Ionen des Natriums und aus den nega­
Festkörpern, die Dichten also auch. tiven Ionen des Chlors. Im NaCl-Gitter sind
55 Ein Gas füllt dagegen jedes Volumen sie so angeordnet, dass jedes Na+-Ion sechs
3 gleichmäßig aus, das man ihm als Gefäß Cl−-Ionen als nächste Nachbarn hat und um­
anbietet. (Genau betrachtet führt die gekehrt. Das führt zu einer würfelförmigen
Schwerkraft zu einer Dichtezunahme Elementarzelle des Gitters, wie in . Abb. 3.1
nach unten.) Im Gas treffen sich die Mo­ schematisch darstellt. Sehen kann man einen
leküle nur noch selten, Kräfte zwischen solchen Würfel nicht; dazu ist er zu klein. Seine
ihnen können sich kaum auswirken. Die Kantenlänge beträgt gerade ein halbes Nano­
Abstände sind groß, die Dichten norma­ meter (0,5 nm = 0,5 Milliardstelmeter).
lerweise um Zehnerpotenzen geringer. Zeichnungen dieser Art stellen Gitter­
bausteine als Kugeln dar, die sich gegensei­
>>Merke tig berühren. Das ist halbwegs realistisch,
Aggregatzustände: aber nicht sehr übersichtlich, weil man nicht
55 Fest: formstabil bis zur Festigkeitsgrenze in das Gitter hineinschauen kann. Insofern
55 Flüssig: nicht form-, wohl aber volu­ haben Zeichnungen nach Art der . Abb. 3.2
menstabil
55 Gasförmig: weder form- noch volu­
menstabil

So ganz befriedigen kann die Einteilung in


genau drei Aggregatzustände nicht. Was
macht man mit Haut und Haaren? Sie sind
weder richtige Festkörper noch richtige
Flüssigkeiten. Als man die Aggregatzu­
stände erfand, meinte man noch, Physik und
Chemie brauchten und dürften sich nur mit
toter Materie befassen, denn „das Leben“
habe eine völlig andere Qualität. Insofern ..      Abb. 3.1 Kristallgitter des NaCl (Kochsalz). Die
war es eine Sensation, als Friedrich Wöhler dicken Cl−-Ionen und die kleineren Na+-Ionen liegen
1828 mit dem Harnstoff zum ersten Mal dicht an dicht
eine den lebenden Organismen zugeordnete
Substanz in der Retorte herstellte. Aber da
gab es die Aggregatzustände schon.

3.2 Festkörper

3.2.1 Struktur der Festkörper

Kennzeichen des Festkörpers ist seine kris­


talline Struktur. Sie verleiht ihm Formsta­
bilität, macht ihn aber nicht starr. Der feste
Körper lässt sich elastisch (vorübergehend) ..      Abb. 3.2 Kubisch-flächenzentriertes Gitter (NaCl);
Modelle dieser Art markieren nur die Lagen der Zentren
oder plastisch (dauerhaft) verformen. der Gitterbausteine ohne Rücksicht auf deren Größe
3.2 · Festkörper
83 3
ihre Vorzüge. Sie sind Kristallmodellen steine ab, sondern auch von der Struktur des
nachempfunden, die man aus Holzkugeln Kristallgitters. Dessen Bausteine müssen
und Metallstäbchen bastelt, um Symmetrien keine Atome sein wie beim Diamanten oder
anschaulich darstellen zu können. Nur darf Ionen wie beim Kochsalz, ganze Moleküle
man sich nicht täuschen lassen: Die Bau­ sind ebenfalls erlaubt, wie z. B. bei Eis und
steine eines Kristallgitters sind wirklich Schnee. Auch die großen Moleküle des Insu­
keine kleinen Kugeln, die von Stäben auf lins kann man mit einiger Mühe zu Kristal­
Distanz gehalten werden. len zusammenlegen und sogar Viren, die im
Im NaCl-Kristall liegen die Würfel der Grenzbereich zur lebenden Materie angesie­
Elementarzelle dicht an dicht; das Gitter delt sind.
wiederholt sich identisch in allen drei Kan­
tenrichtungen. Aber auch bei einer Drehung
um eine Würfelkante landen nach 90° alle 3.2.2 Verformung von
Gitterplätze wieder auf Gitterplätzen; vier­ Festkörpern
mal bis zur vollen Drehung. Die Kristallo­
grafen bezeichnen sie als vierzählige Sym- Auch die starken Bindungskräfte im Kristall
metrieachsen und reden von einem kubischen halten die Gitterbausteine nicht unverrück­
Gitter. bar auf ihren Plätzen fest, ein fester Körper
Die Atome des Kohlenstoffs bilden gern ist noch kein starrer Körper. Er kann auch
Sechserringe. Mit chemisch gebundenem durch relativ schwache äußere Kräfte verbo­
Wasserstoff gibt das die ringförmigen Mole­ gen werden. Allerdings lassen die Bindun­
küle des Benzols, ohne jeden Bindungspart­ gen zunächst nur geringe Verschiebungen zu
ner die sechszählige, hexagonale Kristall­ und holen die Gitterbausteine sofort in ihre
struktur des Graphits (. Abb. 3.3 rechts). Normallage zurück, sobald die äußere Kraft
Graphit ist schwarz und so weich, dass man nachlässt: Die Verformung ist elastisch und
mit ihm schreiben kann. Kohlenstoff kann verschwindet spurlos.
aber auch kubisch kristallisieren. Dann ist Leicht untersuchen lässt sich ein Sonder­
er glasklar durchsichtig und härter als jedes fall, die Dehnung eines Drahtes unter Zug.
andere Mineral; man kann Glas mit ihm rit­ Man darf ein lineares Kraftgesetz erwarten
zen. Aus einleuchtendem Grund bezeichnet wie bei der Feder (7 Abschn. 2.2.1): Pro­
man die zugehörige Struktur als Diamant- portionalität zwischen Längenänderung Δl
gitter (. Abb. 3.3 links). und angreifender Kraft F. Weiterhin wird Δl
Die Eigenschaften eines Festkörpers mit der Ausgangslänge l0 zunehmen und mit
hängen nicht nur von der Natur seiner Bau­ der Querschnittsfläche A des Drahtes ab­

..      Abb. 3.3 Diamant und Graphit. Zwei unterschiedliche Kristallmodifikationen des Kohlenstoffs
84 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

nehmen. Der Quotient Δl/l0 bekommt den dehnt. Dem sind aber Grenzen gesetzt; ir­
Namen Dehnung, der Quotient F/A = σ gendwann reißt der Draht. Manche
heißt (mechanische) Spannung. Substanzen lassen sich fast gar nicht plas­
Sind Spannung und Dehnung einander tisch verformen; wird ihre Elastizitäts­
proportional, so erfüllen sie das grenze überschritten, so brechen sie wie
Glas. Man nennt sie spröde.
3 , Dl
Hooke sche Gesetz s = E × ,
l0 >>Merke
Elastische Verformungen sind reversibel,
die Proportionalitätskonstante E heißt Elas- plastische irreversibel.
tizitätsmodul σ. σ und E haben die gleiche
Einheit N/m2, denn die Dehnung ist eine di­ Bei plastischer Verformung müssen ganze
mensionslose Zahl. Die Elastizitätsmodule Bereiche eines Kristalls gegeneinander ver­
gängiger Metalle liegen in der Größenord­ schoben werden. Das geht nur, wenn Gitter­
nung 1011 N/m2. nachbarn sich voneinander trennen und mit
neuen Nachbarn wieder zusammenlegen,
>>Merke ein schier unmöglicher Vorgang, wäre der
55 Mechanische Spannung: Kristall perfekt gebaut. Tatsächlich springt
F ein Baustein innen nur in eine benachbarte
s= (Kraft durch Querschnittsfläche).
A Leerstelle, in einen aus irgendwelchen Grün­
Dehnung = relative Längenänderung den gerade nicht besetzten Gitterplatz. Be­
Dl
. sondere Bedeutung haben hier linienförmige
l0
55 Hooke’sches Gesetz: Anordnungen gleichartiger Leerstellen der
Dehnung ist zur Spannung proportio­ Art, wie sie . Abb. 3.5 skizziert (man nennt
nal: das Stufenversetzung). Dort kann eine
F Dl
= E× .
A l0
Erhöht man die Spannung über die sog.
Elastizitätsgrenze hinaus, so nimmt die
Dehnung überproportional zu (. Abb.
3.4): Der Draht beginnt zu fließen und
kehrt nach Entlastung nicht zur alten Aus­
gangslänge zurück, er hat sich plastisch ge­

..      Abb. 3.5 Stufenversetzung. In den oberen Teil des


Kristalls hat sich, vier Gitterabstände weit, eine zu­
sätzliche Netzebene vertikal eingeschoben; unter ih­
rem Ende ist das Gitter dadurch ein wenig aufgeweitet
worden. Ober- und unterhalb der Zeichenebene setzt
sich die Versetzung in gleicher Weise im Kristall fort:
Sie zieht sich schlauchartig durch den Kristall. Sprin­
gen die beiden markierten Gitter nach rechts, so ver­
..      Abb. 3.4 Spannungs-Dehnungs-Diagramm von schiebt sich die Versetzung um einen Netzebenenab­
Kupfer stand nach links
3.2 · Festkörper
85 3
ganze Atomreihe senkrecht zur Zeichen­ wächst zudem, je weiter es die Kerbe ein­
ebene leicht z. B. nach rechts in die Lücke reißt. Dünne Stäbe – auf Stauchung bean­
hineinspringen und so die Versetzung um sprucht – knicken ein. Wieder wirkt ein
einen Atomabstand nach links rücken. Ist Drehmoment auf die Knickstelle; wieder
nach diesem Mechanismus eine Stufenver­ wächst es, je weiter das Material nachgibt,
setzung quer durch den Kristall hindurchge­ weil dann der effektive Hebelarm größer
wandert, so ist dessen unterer Bereich gegen­ wird (. Abb. 3.6b).
über dem oberen um einen Atomabstand Knickung bedeutet Biegung. Ein gebo­
abgeglitten. gener Stab wird auf der Außenseite gedehnt,
Zur plastischen Verformbarkeit gehören auf der Innenseite gestaucht. Dazwischen
demnach bewegliche Versetzungen. Diese liegt die neutrale Faser, die ihre Länge nicht
können sich aber an anderen Gitterfehlern ändert (. Abb. 3.7). Zur Biegesteifigkeit ei­
wie Fremdatomen oder Einschlüssen festha­ nes Stabes tragen die von der neutralen
ken: Gusseisen ist spröde, es enthält mehrere Faser am weitesten entfernten Teile am
­
Prozent Kohlenstoff, an denen die Verset­ meisten bei; man spart Material, wenn man
zungen hängen bleiben; in schmiedbarem sie auf Kosten des Mittelteils verstärkt.
Stahl liegt der Anteil dagegen meist unter Technisches Beispiel: der Doppel-T-Träger
0,1 %. (. Abb. 3.8). Liegt die Richtung der Biege­
Die Bruchfestigkeit hängt nicht nur von beanspruchung nicht von vornherein fest, so
den Eigenschaften des Materials selbst ab. empfiehlt sich ein kreisrundes Rohr mit dün­
Schon winzige Kerben in der Oberfläche ner Wand. Halme sind nach diesem Prinzip
können sich verhängnisvoll auswirken, weil konstruiert, aber auch die Hohlknochen der
die oberflächennahen Anteile einer Zug­ Vögel.
kraft ein Drehmoment auf die Kerben­ Dehnung und Stauchung sind nicht die
spitze ausüben (. Abb. 3.6a). Dieses einzigen mechanischen Belastungen, denen
festes Material ausgesetzt sein kann. Eine
Achse, die ein Drehmoment übertragen
soll, wird auf Drillung beansprucht, auf
Torsion. Bei Tiefbohrungen kann es vor­
kommen, dass die Maschine am oberen
Ende des Bohrgestänges schon ein paar
Umdrehungen weiter ist als der Bohrkopf
tief unten!
Schließlich: Die mechanischen Eigen­
schaften mancher Materialien sind nicht
einmal in allen Richtungen gleich. Als Mus­
..      Abb. 3.6 Instabilität durch Hebelwirkung beim terbeispiel kann ein Holzklotz dienen, der
Bruch. Das Drehmoment (effektiver Hebelarm l mal gestaucht werden soll (. Abb. 3.9): Liegen
Kraft F), das auf die Spitze der Kerbe a oder die
Knickstelle b wirkt, nimmt zu, je weiter die Kerbe ein­
seine Fasern längs oder quer zur Kraft, so
reißt bzw. der Stab einknickt besitzt er eine recht hohe Festigkeit. Die ist

..      Abb. 3.7 Neutrale


Faser. Bei der Biegung
ändert sie ihre Länge
nicht
86 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

Rechenbeispiel 3.1: Mensch am Draht


Aufgabe. Welchen Durchmesser muss ein
Kupferdraht mindestens haben, wenn er
ohne plastische Verformung einen Men­
schen tragen soll? Beachte . Abb. 3.4.
3 Lösung. Das Ende der Hooke’schen
Geraden befindet sich etwa bei der Grenz­
spannung σg = 13 ⋅ 107N/m2. Hat der
Mensch ein Gewicht von 690 N (≙70 kg),
so ergibt sich für die minimal erforderli­
che Querschnittsfläche:
FG p 2
Amin = = 5, 3 × 10-6 m 2 = d min .
sg 4
..      Abb. 3.8 Doppel-T-Träger. Das von der neutralen
Faser am weitesten entfernte Material trägt am meis­ Also ist der minimale Durchmesser
ten zur Biege bei (© Aleksandr Bedrin – Fotolia.com)
dmin = 2, 6 ⋅ 10−3m = 2, 6 mm.

3.2.3 Viskoelastizität

Leben ist an Wasser gebunden; es ist in den


Weltmeeren entstanden und hat sich in sei­
ner Entwicklung an dessen Zusammenset­
zung angepasst. Auch menschliches Leben
braucht Wasser; der Salzgehalt des Blutes
..      Abb. 3.9 Faseriges Material. Gegenüber gerichte­ ist dem der Meere nicht unähnlich. In ge­
ter Belastung hängt die Festigkeit faserigen Materials wissem Sinn haben die Tiere, als sie an
von der Faserrichtung ab Land gingen, ihre alte Umgebung mitge­
nommen, nur mussten sie nun sorglich ein­
deutlich geringer, wenn die Fasern einen hüllen, was vorher Umwelt gewesen war.
45°-Winkel bilden, denn jetzt lassen die ein­ Der starre Panzer der Insekten hat konst­
zelnen Lagen des Holzes sich relativ leicht ruktive Nachteile, z. B. beim Wachsen:
gegeneinander abscheren wie schlecht ver­ Man muss sich häuten. Wirbeltiere verle­
leimte Brettchen. Unter 45° erzeugt die stau­ gen darum ihr tragendes Skelett nach in­
chende Kraft eine besonders hohe Schub- nen, brauchen nun aber eine Haut, die
spannung, hier also in Richtung der Fasern. schlagfest und wasserdicht ist und trotz­
Die dazu senkrechte Komponente der Kraft dem beweglich und biegsam. Die techni­
führt zur Normalspannung, die vom Holz sche Lösung heißt Hochpolymere. Die che­
leichter aufgenommen werden kann. Man mische Industrie hat sich ihrer in großem
sagt: Die mechanischen Eigenschaften von Umfang angenommen.
Holz sind anisotrop. Das Gegenteil von an­ Unter Polymerisation versteht man das
isotrop ist isotrop: Ein isotropes Material Zusammenlagern relativ „kleiner“ Mole­
verhält sich in allen Richtungen gleich. Me­ küle der organischen Chemie zu größeren
talle sind in der Regel Beispiele hierfür. Komplexen, die dann viele Tausende von
3.3 · Druck
87 3
Atomen umfassen können. Manche haben 3.3 Druck
fadenförmige Struktur, sind in sich selbst
biegsam und lagern sich verhakelt und ver­ 3.3.1 Stempeldruck
knäult ihrerseits zusammen. Dabei bleiben
sie oft in weiten Grenzen gegeneinander Bei Flüssigkeiten und Gasen haben Drücke
verschieblich, dürfen ihre Knäuel aufzie­ ähnliche Funktionen wie Kräfte bei den
hen, sich lokal voneinander trennen und Festkörpern.
umlagern. Die Körper, die sie bilden, sind Jede plastische Verformung eines Fest­
weder so formstabil wie Kristalle noch so körpers beruht auf Abgleitungen nach Art
beweglich wie echte Flüssigkeiten. Man verleimter Brettchen. Durch die Struktur
nennt sie viskoelastisch, denn sie können des Kristalls sind Gleitebenen vorgebildet,
z. B. einer mechanischen Beanspruchung die Schubspannungen einen vergleichsweise
momentan und elastisch folgen, danach geringen, aber immer noch beträchtlichen
aber viskos weiterkriechen. Manche än­ Widerstand entgegensetzen. Flüssigkeiten
dern ihre Form unter konstanter Belastung und erst recht Gase haben, zumindest im
noch nach Minuten und Stunden. Hört die Idealfall, gar keine Schubfestigkeit, weil sich
Belastung plötzlich auf, so kehren sie auf ihre Moleküle grundsätzlich frei gegenein­
ähnlichem Weg mehr oder weniger genau ander verschieben können: Flüssigkeiten
in ihre Ausgangsform zurück, wie dies sind nicht formstabil. Deshalb kann der
. Abb. 3.10 andeutet. Arzt ein flüssiges Medikament aus der Am­
pulle in die Spritze saugen und dann durch
die enge Kanüle injizieren.
Die Injektion erfordert eine Kraft, als
Muskelkraft vom Daumen auf den Kolben
der Spritze ausgeübt. Der Kolben muss
„dicht“ schließen, d. h., die Querschnitts­
fläche der Spritze voll ausfüllen, und trotz­
dem einigermaßen reibungsarm gleiten.
Dadurch gerät das flüssige Medikament
unter den
Kraft F
Druck p = .
 A
Flache

Hier steht die Kraft immer senkrecht auf 


der Fläche;
 als Vektoren haben demnach F
und A die gleiche Richtung und brauchen
darum nicht vektoriell geschrieben zu wer­
den: Der Druck p ist ein Skalar. (Deshalb
stört kaum, dass er den gleichen Buchstaben

trägt wie der Impuls p )
Der Druck ist eine abgeleitete Größe mit
der leider recht kleinen SI-Einheit
..      Abb. 3.10 Viskoelastizität. Längenänderung eines
viskoelastischen Stabes unter wechselnder Last,
­idealisiert 1 Pascal = 1 Pa = 1 N / m 2 .
88 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

Schon der normale Luftdruck am Erdboden A2


liegt in der Nähe von 105 Pa, einem Wert, F2 = p × A2 = F1 × .
A1
der auch Bar genannt wird. Meteorologen
messen auf ein Promille genau und darum Sie ist um das Verhältnis der beiden Kolben­
in Hektopascal (1 hPa = 100 Pa = 1 mbar). flächen größer als F1. Energie lässt sich so
In der Medizin ist es üblich, arteriellen Blut­ selbstverständlich nicht gewinnen, denn was
3 druck in 1 mmHg = 1,33 hPa (≈ Torr) anzu­ der große Kolben an Kraft gewinnt, verliert
geben und venösen in 1 mmH2O = 9,81 Pa. er an Schubweg:
Diese beiden Einheiten stammen von Flüs­
V
sigkeitsmanometern ab (7 Abschn. 3.3.4), W2 = F2 × s2 = p × A2 ×
sind aber keine gesetzlichen Einheiten. A2
V
= p × V = p × A1 × = F1 × s1 = W1.
>>Merke A1
Kraft F
Druck p =
 A
Flache Der Beziehung „Arbeit = Kraft · Weg“ ent­
SI - Einheit : 1 Pascal = 1 Pa = 1 N / m 2 .
spricht bei Flüssigkeiten die Beziehung „Ar­
beit = Druck · Volumenänderung“; sie wird
Der Druck in einer ruhenden Flüssigkeit, Volumenarbeit genannt. Bei variablem
der sog. hydrostatische Druck, ist allseitig Druck muss man integrieren:
gleich (solange man Gewichtskräfte ver­ V1
nachlässigen kann). In der Injektionsspritze W = ò p (V ) dV .
wird er durch eine äußere Kraft auf den V0
Kolben, den „Stempel“, erzeugt. Deshalb
nennt man ihn auch Stempeldruck. Seine Das Herz des Menschen leistet Volumenar­
Allseitigkeit erlaubt der hydraulischen Presse, beit.
große Drücke zu erzeugen (. Abb. 3.11).
Schiebt man den kleinen Kolben (Fläche A1) >>Merke
mit der Kraft F1 um die Strecke s1 in seinem Volumenarbeit: Druck mal Volumenän­
Zylinder vor, so pumpt man ein Flüssig­ derung W = p · ΔV.
keitsvolumen V = A1 · s1 mit dem Druck
p = F1/A1 in den großen Zylinder hinüber. Volumenarbeit leisten auch die Turbinen ei­
Dessen Stempel rückt um die Strecke nes Pumpspeicherwerkes (. Abb. 3.12).
s2 = V/A2 vor. Auf ihn wirkt die Kraft

3.3.2 Schweredruck !

Pumpspeicherwerke nutzen den Druck aus,


den Wasser durch seine Gewichtskraft er­
zeugt; er heißt Schweredruck und nimmt mit
der Wassertiefe zu. Insofern bedarf der Satz
von der Allseitigkeit und Gleichheit des hy­
drostatischen Druckes einer Präzisierung:
Der Satz gilt nur für den Stempeldruck im
Zustand der Schwerelosigkeit. Sobald Gravi­
tations- oder Trägheitskräfte eine Rolle spie­
len, überlagert sich der Schweredruck. Des­
..      Abb. 3.11 Hydraulische Presse (Einzelheiten im Text) sen Abhängigkeit von der Wassertiefe h lässt
3.3 · Druck
89 3

..      Abb. 3.12 Pumpspeicherwerk. Nachts wird über­ menarbeit des Wassers wieder in elektrische Energie
schüssige elektrische Energie als Hubarbeit gespei­ zurückverwandelt werden, freilich nur mit begrenztem
chert, indem Wasser in den oberen See gepumpt wird; Wirkungsgrad
sie kann in der Leistungsspitze am Tag durch Volu­

sich für den Sonderfall eines senkrecht ste­


henden zylindrischen Gefäßes relativ leicht
ausrechnen (. Abb. 3.13). Jede horizontale
Wasserschicht mit der Dicke Δh drückt auf
die unter ihr liegenden Schichten mit der Ge­
wichtskraft ΔFG. Hat der Zylinder die Quer­
schnittsfläche A, so gehören zur Schicht:
55 das Volumen ΔV = A · Δh,
55 die Masse Δm = ρ · ΔV = ρ · A · ΔV
(ρ = Dichte der Flüssigkeit) und ..      Abb. 3.13 Schweredruck. Zur Herleitung der For­
mel: Bei einer inkompressiblen Flüssigkeit (Dichte
55 die Gewichtskraft ΔFG = g · Δm = g · ρ · ρ = konstant) steigt der Schweredruck proportional
A · Δh (g = Fallbeschleunigung); sie er­ zur Wassertiefe h an
zeugt
55 den Druck Δp = ΔFG/A = · g · ρ · Δh.

Mit steigender Wassertiefe summieren sich


alle Beiträge zum Druck der einzelnen
Schichten. Da Wasser praktisch inkompres­
sibel ist, ändert sich die Dichte ρ mit der
Tiefe nicht. Dann nimmt der Druck einfach
linear mit der Wassertiefe zu:

p ( h ) = r·g·h,

(. Abb. 3.13 rechts). In einer geschlossenen


Dose überlagert sich ihm ein eventuell noch ..      Abb. 3.14 Stempeldruck. Dem Schweredruck
vorhandener Stempeldruck ps. Der Gesamt­ überlagert sich ein eventuell vorhandener Stempel­
druck pg ist dann (. Abb. 3.14): druck ps additiv

pg ( h ) = r·g·h + ps . In offenen Gewässern erzeugt schon die Luft­


hülle der Erde einen solchen Stempeldruck.
90 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

Luftdruck ist Schweredruck können die Einstellung des Solldrucks merk­


Etwas anders verhält es sich mit dem Schweredruck in lich verzögern oder gar Regelschwingungen
Gasen, z. B. mit dem Luftdruck in der Erdatmosphäre,
auslösen (. Abb. 3.15). ◄
der ja auf dem Gewicht der Atmosphäre beruht. Da
anders als bei Flüssigkeiten die Dichte ­eines Gases
stark druckabhängig ist, variiert mit der Höhe beides: Ideale Flüssigkeiten besitzen keine Scherfes­
Druck und Dichte. Das führt dazu, dass der Druck tigkeit, d. h., sie lassen sich leicht verformen.
3 nicht linear mit der Höhe abnimmt, sondern exponen­ Infolgedessen müssen ihre freien Oberflä­
tiell (barometrische Höhenformel).
chen immer horizontal stehen. Täten sie es
nicht, bekäme die Gewichtskraft eine Kom­
Wer taucht, registriert den Schweredruck ponente parallel zur Oberfläche, der die
des Wassers als Überdruck gegenüber dem Flüssigkeit nachgeben müsste. Dies gilt
Atmosphärendruck von rund 105 Pa, den er auch, wenn in kommunizierenden Röhren die
an Land gewohnt ist. Die Atemmuskulatur Oberfläche durch Gefäßwände unterbro­
muss mit dem Überdruck fertig werden, so­ chen ist: Eine ruhende Wasseroberfläche
lange der Sportler mit „Schnorchel“ taucht, liegt immer senkrecht zur angreifenden
die Atemluft also unter Normaldruck dicht
über der Wasseroberfläche ansaugt. Das
geht nur in geringer Tiefe. Wer weiter hin­
unter will, muss eine Pressluftflasche mit­
nehmen und vorsichtig wieder auftauchen,
denn sonst bekommt er Schwierigkeiten mit
den im Blut gelösten Gasen (Henry-­Dalton-­
Gesetz, 7 Abschn. 5.4.8). Immerhin steigt
der hydrostatische Druck im Wasser alle
10 m um rund 105 Pa.

>>Merke
Schweredruck:
von der Gewichtskraft einer Flüssigkeit
(Dichte ρ) erzeugter Druck; er steigt mit
der Tauchtiefe h:
p ( h ) = r·g·h.

77Druck im Körper
Auch die Blutgefäße des Menschen bilden
eine „geschlossene Dose“ im Sinn der Über­
lagerung von Schwere- und Stempeldruck.
Steht der Mensch aufrecht, so ist der Blut­
druck in den Füßen notwendigerweise höher
..      Abb. 3.15 Regelstörungen beim Blutdruck. Die
als im Kopf; liegt er horizontal, so sind beide Versuchsperson wird auf eine horizontale Liege fest­
Drücke ungefähr gleich. Das Gehirn braucht geschnallt und ohne eigene Muskelarbeit in die Verti­
für seine Funktion aber unbedingt eine gleich­ kale gekippt. Da nimmt der Blutdruck im Oberkörper
mäßige Durchblutung; folglich muss ein Re­ zunächst ab („das Blut sackt in die Füße“). Beim Ge­
gelsystem dafür sorgen, dass Druckschwan­ sunden wird der Druck im Gehirn in weniger als einer
halben Minute wieder auf den Normalwert eingeregelt
kungen im Kopf, wie sie Lageänderungen a. Ein krankhaft gestörter Regelkreis kann durch diese
zunächst hervorrufen, in wenigen Sekunden Belastung in eine ge b und sogar in eine nahezu unge­
aufgefangen werden. Krankhafte Störungen dämpfte Regelschwingung c geraten
3.3 · Druck
91 3
Schwerkraft. Insofern bilden die Meere ohne Begründung einfach nur festgestellt
keine ebenen Oberflächen aus, sondern Aus­ werden. Für geometrisch einfache Sonder­
schnitte aus einer Kugeloberfläche. Seeleute fälle lässt es sich leicht nachrechnen; es all­
wissen das: Von einem entgegenkommenden gemein herzuleiten, bedarf allerdings einer
Schiff tauchen zuerst die Mastspitzen über Integration.
der Kimm auf, und der Mann im Mastkorb
entdeckt sie früher. >>Merke
Auftrieb
FA = g·mf = Vk ·rf ·g .
Rechenbeispiel 3.2: Wasserturm
Aufgabe. In flachen Gegenden steht zu­
Ein Körper, der mehr wiegt als die von ihm
weilen ein Wasserturm in der Land­
verdrängte Flüssigkeit, sinkt unter: Der
schaft. Er enthält im oberen Teil einen
Auftrieb kann das Gewicht nicht tragen,
großen Wassertank. Zweck der Konst­
wenn die (mittlere) Dichte des Körpers grö­
ruktion ist es, am Fuße des Turms in den
ßer ist als die der Flüssigkeit. Ist sie dagegen
umgebenden Häusern einen Überdruck
kleiner, so schwimmt der Körper; er taucht
des Wassers am Wasserhahn zu erzeu­
gerade so tief ein, dass die verdrängte Flüs­
gen. Wie hoch muss der Turm in etwa
sigkeit ebenso viel wiegt wie er: Ein leeres
sein, damit der Überdruck das Dreifache
Schiff liegt höher im Wasser als ein belade­
des Luftdrucks beträgt?
nes. Außerdem hat es auf hoher See einen
Lösung. Es gilt die Faustformel: Alle
etwas geringeren Tiefgang als im Hafen,
10 m Wassertiefe steigt der Druck um ein
denn der Salzgehalt gibt dem Meerwasser
Bar bzw. 1000 hPa. Genaues Nachrech­
eine höhere Dichte.
nen liefert:
Die Tauchtiefe eines Aräometers
Dp = r w × g × 10 m (. Abb. 3.16) misst die Dichte der Flüssig­
keit, in der es schwimmt. Man muss das Ge­
= 1000 kg / m3 × 9, 81 m / s 2 × 10 m
rät nicht in g/cm3 eichen; teilt man es in
= 9, 81 × 104 Pa = 981 hPa „Grad Öchsle“, so misst es als „Gleukome­
Der Wasserturm muss also etwa 30 m ter“ das Mostgewicht zukünftiger Weine; es
hoch sein. Man kann den Druck am heißt „Laktometer“, wenn man mit ihm den
Wasserhahn aber auch mit einer Pumpe Fettgehalt der Milch bestimmt, und „Uro­
aufrechterhalten. meter“ beim entsprechenden Facharzt. Jede
Branche entwickelt ihre Fachsprache.

3.3.3 Auftrieb Praktikum 1

Jeder unter Wasser getauchte Körper wird Dichtebestimmung von Flüssigkeiten und
von allen Seiten zusammengedrückt. Weil Festkörpern
aber der Schweredruck mit der Wassertiefe Zur Dichte siehe auch 7 Abschn. 1.2.2,
zunimmt, übt er von unten eine größere zum Hebelgesetz und Balkenwaage vgl.
Kraft auf den Körper aus als von oben: Die 7 Abschn. 2.2.6, 2.2.7 und 2.2.8.
Differenz liefert den Auftrieb, eine der Ge­ Flüssigkeiten:
wichtskraft entgegen, also aufwärts gerich­ Eine beliebte Methode ist die Mohr’sche
tete Kraft FA. Ihr Betrag entspricht der Ge­ Waage. Das ist eine Balkenwaage, an de­
wichtskraft g · mf der vom Tauchkörper ren einer Seite ein Glaskörper (Volumen
verdrängten Flüssigkeit (archimedisches VK, Masse mK) hängt, dessen Dichte ρK
Prinzip), ist also seinem Volumen Vk und ih- bekannt sein muss. Taucht man diesen
rer Dichte ρf proportional. Dies soll hier
92 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

Körper in die zu messende Flüssigkeit,


so wirkt eine Auftriebskraft auf ihn, die
proportional zur Dichte der Flüssigkeit
ist. Diese wird mit der Waage ausgemes­
sen. Das funktioniert genauso wie das in
3 . Abb. 3.16 dargestellte Aräometer,
lässt sich nur genauer ablesen.
Ist FL = mK · g das Gewicht des Glas­
körpers in Luft und FFl sein Gewicht ein­
getaucht in der Flüssigkeit, so ist die Dif­
ferenz die Auftriebskraft:
FL - FFl = VK × r Fl × g .

Dann ist:
FL - FFl Vk × r Fl × g r Fl
= =
FL mk × g rk
und so erhält man die gesuchte Dichte
der Flüssigkeit:
F - FFl
r Fl = L × rK
FL
Diese Formel hat noch den Reiz, dass die
..      Abb. 3.16 Aräometer. Es taucht umso tiefer ein, je
Gewichtskräfte gar nicht absolut be­ geringer die Dichte der Flüssigkeit
stimmt werden müssen, da es nur auf ein
Verhältnis ankommt. Es reichen abgele­
sene Skalenteile. weit mit Gas aufblähen können. Damit än­
Eine andere Methode ist der einfache dern sie Volumen und Auftrieb, nicht aber
Gewichtsvergleich zweier Flüssigkeiten Masse und Gewicht.
gleichen Volumens mit der Balkenwaage. Der Mensch besteht im Wesentlichen aus
Ist die Dichte der einen Flüssigkeit be­ Wasser; seine mittlere Dichte liegt nur wenig
kannt, so kann die Dichte der anderen über 1 g/cm3. Das erlaubt ihm, mit geringen
berechnet werden. Schwimmbewegungen den Kopf über Was­
ser zu halten. Der Auftrieb trägt den Körper
Festkörper:
und entlastet das Rückgrat.
Nimmt man eine Flüssigkeit bekannter
Dichte (in der Regel Wasser mit 77Blut ist eine Suspension
g
r W = 1 3 , so kann man die obige In der Grundflüssigkeit Wasser befinden
cm
Formel auch umdrehen und die Dichte sich viele nichtgelöste Bestandteile wie
ρK des eingetauchten Körpers bestim­ z. B. die Blutkörperchen. Blut bleibt des­
men). halb gut durchmischt, weil sich die Dichten
dieser Bestandteile und des Wassers nicht
allzu sehr unterscheiden. Auftriebskraft
Wer schwimmen will „wie ein Fisch im Was­ und Schwerkraft halten sich in etwa die
ser“, muss seine mittlere Dichte der Umge­ Waage. Aber nicht ganz. Blutkörperchen
bung genau anpassen, sonst treibt er auf haben eine etwas höhere Dichte und sinken
oder geht unter. Fische besitzen dafür eine deshalb ganz langsam nach unten (Blut­
Schwimmblase, die sie mehr oder weniger senkung). ◄
3.3 · Druck
93 3
Formel dazu
Einen solchen Vorgang nennt man Sedimentation. Die Krone des Hiëron
Die Sinkgeschwindigkeit v ist proportional zur Fall­
Der Sage nach hat Archimedes mithilfe sei­
beschleunigung g oder der Beschleunigung a, der
man das Reagenzglas aussetzt, z. B. in einer Zentri­ nes Prinzips den Goldschmied des Betrugs
fuge: überführt, bei dem König Hiëron von Syra­
n = sk ·a. kus eine Krone in Auftrag gegeben hatte.
Hiëron ließ dafür einen abgewogenen
Den Proportionalitätsfaktor sk nennt man Sedimenta-
tionskonstante. Sie hängt vor allem vom Dichteunter­ Klumpen reinen Goldes aus seiner Schatz­
schied zwischen Teilchen und Flüssigkeit ab. Ihre Ein­ kammer holen und überzeugte sich später
heit ist grundsätzlich die Sekunde, sie wird aber in 10−13 durch Nachwiegen, dass die fertige Krone
Sekunden = 1 Svedberg (S) angegeben. das richtige Gewicht besaß. Trotzdem hatte
der Schmied einen guten Teil des Goldes für
Will man die Bestandteile des Blutes schnell sich behalten und durch zulegiertes Silber
trennen und nicht lange warten, so bedient ersetzt; der Krone sah man das nicht an.
man sich einer Zentrifuge. Die Sinkge­ Wie Archimedes wusste, ist Silber „leichter“
schwindigkeit vs ist proportional zur Dichte­ als Gold, d. h. es besitzt eine geringere
differenz Δρ und zur Fallbeschleunigung g: Dichte. Er wies den Betrug nach mit einer
Waage, einem hinreichend großen, wasser­
vs ~ Dr × g gefüllten Bottich und einem zweiten Klum­
pen Gold, der so schwer war wie die Krone.
In der Zentrifuge wird nun die Fallbeschleuni­ Frage. Wie machte er das?
gung durch die Radialbeschleunigung der Antwort. Klumpen und Krone haben
Drehbewegung bzw. die Schwerkraft durch gleiche Masse und bringen eine Waage
die Zentrifugalkraft ersetzt (7 Abschn. 2.3.4). ins Gleichgewicht. Die Krone hat wegen
Diese kann mehr als 1000-­ mal höher sein. des Silbers eine geringere Dichte und ein
Dann geht es 1000-mal schneller. größeres Volumen; folglich ist ihr Auf­
trieb im Wasser größer. Taucht man
Klumpen und Krone, während sie an der
Rechenbeispiel 3.3: Mondgestein
Waage hängen, ins Wasser, so kommt die
Aufgabe. Ein Geologe findet heraus, dass
Waage aus dem Gleichgewicht: Die
ein Mondstein mit 8,2 kg Masse einge­
Krone erscheint leichter.
taucht in Wasser nur noch eine schein­
bare Masse von 6,18 kg hat. Wie groß ist
die Dichte des Steins?
3.3.4 Manometer
Lösung. Die Auftriebskraft ergibt
sich aus der Differenz zwischen realer
Der Schweredruck erlaubt die Konstruk­
und scheinbarer Masse:
tion technisch besonders einfacher Druck­
FA = 2, 02 kg × g = 19, 8 N messer, sog. Flüssigkeitsmanometer. Steht
Damit ergibt sich sein Volumen: Wasser in einem zum U gebogenen Glasrohr
(. Abb. 3.17), muss der Gasdruck über dem
FA 2, 02 kg
V= = = 2020 cm3 linken Meniskus höher sein als über dem
r Wasser × g 0, 001 kg / cm3
rechten, und zwar um einen Betrag Δp, der
genauso groß ist wie der Schweredruck einer
und die Dichte zu
m Wassersäule der Höhe Δh:
r = = 4, 06 g / cm3
V Dp = r × g × Dh
94 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

..      Abb. 3.17 Flüssigkeitsmanometer. Auf dem linken ..      Abb. 3.18 Dosenbarometer. Der äußere Luftdruck
Schenkel lastet ein Überdruck biegt den gewellten Deckel durch und staucht die
Schraubenfeder; nach ähnlichen Prinzipien lassen sich
Ein Flüssigkeitsmanometer lässt sich mit auch Manometer für hohe Drücke herstellen
dem Lineal oder hinterlegtem Millimeter­
papier ablesen; in die Eichung gehen dann
noch die Dichte ρ der Manometerflüssigkeit
und die Fallbeschleunigung g ein.
Wollte man den Luftdruck mit einem
wassergefüllten U-Rohr messen, bräuchte
man ein 10 m hohes Gerät, nimmt man hin­
gegen das flüssige Metall Quecksilber, so ent­
spricht der Luftdruck nur 76 cm Höhenun­
terschied der Flüssigkeitsstände. Misst man ..      Abb. 3.19 Kolbenpumpe
mit einem solchen Quecksilbermanometer
den Blutdruck, so erhält man Werte um 3.3.5 Pumpen
100 mm „Quecksilbersäule“. Auch wenn die
SI-Einheit für Druck auf das Pascal umge­ Mit einer Kammer, die periodisch ihr Volu­
stellt wurde, wollte man die Patienten wohl men ändert, kann man pumpen; zwei Ventile
nicht mit neuen Blutdruckwerten um die braucht man noch dazu. Technisch einfach
10.000 Pa schocken und blieb bei der ge­ ist die Kolbenpumpe (. Abb. 3.19), die sich
wohnten Blutdruckangabe in „Millimeter abgesehen von notwendigen Dichtungen
Quecksilbersäule“ (mmHg). Mit Quecksilber ganz aus Metall fertigen lässt. Die Ventile ha­
aber misst selbstverständlich keiner mehr. ben den zunächst nur pendelnden Strom der
Das heute übliche Messprinzip lässt sich Flüssigkeit oder des Gases in eine Vorzugs­
gut bei alten „Dosenbarometern“ erkennen richtung zu steuern. Dazu muss ihre Bewe­
(. Abb. 3.18). Man verwendet eine Dose gung mit der des Kolbens koordiniert wer­
mit dünnem Deckel, der sich verbiegt, wenn den, zwangsweise durch eine entsprechende
eine Druckdifferenz zwischen innen und Mechanik oder eleganter dadurch, dass die
außen besteht. Die Verbiegung wird dann entsprechend konstruierten Ventile vom
mechanisch oder auch elektrisch übertragen Strom des Fördergutes im richtigen Takt
und gleich als Druck(differenz) angezeigt. mitgenommen werden wie die Herzklappen.
Solche Dosen lassen sich auch nur einige Jeder Kolben braucht eine Dichtung ge­
Mikrometer groß in Silizium hineinätzen genüber seinem Zylinder, ein technisch kei­
und die Verbiegung als Veränderung einer neswegs einfach zu lösendes Problem. Da­
elektrischen Kapazität messen. Dann passt rum ersetzt man zuweilen den Kolben durch
das Messgerät problemlos auch in ein eine biegsame Membran, die hin und her ge­
Smartphonegehäuse. bogen wird (Membranpumpe, . Abb. 3.20).
3.3 · Druck
95 3

..      Abb. 3.20 Membranpumpe

Nach ähnlichem Prinzip arbeiten Herzen,


nur verwendet die Natur weitaus raffinierte­
res Baumaterial: Muskeln, die sich auf Kom­
mando zusammenziehen.

77Auch die Lunge pumpt


Die Lunge muss beim Einatmen Unterdruck
erzeugen, um den Strömungswiderstand der
Luftröhre zu überwinden. Für die nötige
Kraft sorgt die Atemmuskulatur. Sie darf ..      Abb. 3.21 Funktionsmodell der Lungenatmung
aber nicht an den Lungenbläschen unmittel­ (nach Hinzpeter, Einzelheiten im Text)
bar angreifen, die viel zu zart und empfindlich
sind. Folglich werden die Lungenbläschen lässt. Freilich funktioniert das Verfahren nur,
außen in die interpleurale Flüssigkeit einge­ wenn der Kasten absolut gasdicht ist und nir­
bettet, die sich selbst wieder in einem festen gendwo „Nebenluft“ ansaugen kann. Beim
Hautsack befindet. Er ist gasdicht an der kleinsten Leck klappt die „Lunge“ zusam­
Luftröhre angewachsen, wird unten durch men. Besäße der Mensch nicht zwei mecha­
das Zwerchfell abgeschlossen und ist stabil nisch getrennte Lungenflügel, so wäre ein
genug für eine Verbindung mit den Muskeln. Lungendurchschuss momentan tödlich.
. Abb. 3.21 zeigt ein Funktionsmodell Wie operiert man im Thorax? Öffnet man
der Atmung: Eine schlaffe Gummiblase ver­ ihn ohne Vorsichtsmaßnahmen, so fällt min­
tritt die Lunge. Sie schwimmt, über eine destens eine halbe Lunge aus. Deshalb hat
Röhre mit der Außenluft verbunden, in einem Geheimrat Sauerbruch seinerzeit zunächst
wassergefüllten Kasten. Seinen Boden bildet versucht, den interpleuralen Unterdruck bei
eine kräftige Gummischeibe, Ersatz für das offenem Thorax dadurch aufrechtzuerhalten,
Zwerchfell. In der Mitte hat die Gummi­ dass er kurzerhand den ganzen Operations­
scheibe einen kräftigen Haken, an dem die saal unter Unterdruck setzte, den Kopf des
„Atemmuskulatur“ ziehen kann. Nun würde Patienten aber, sorgfältig am Hals abgedich­
das Wasser die „Lunge“ allein durch seinen tet, draußen ließ. Es funktionierte, war aber
Schweredruck zusammenpressen, wäre der riskant. Ein plötzliches Leck irgendwo, ein
Kasten nicht dicht und sorgte nicht das Öffnen der Tür: Der Unterdruck entwich, das
„Zwerchfell“ von vornherein für einen gewis­ Versuchstier war tot.
sen Unterdruck. Physikalisch wird aber gar kein Unter­
Zieht man am „Zwerchfell“, so vergrö­ druck außerhalb der Lunge verlangt, son­
ßert man das Volumen des „Thorax“. Wasser dern nur eine Druckdifferenz zwischen in­
dehnt sich nicht; nur die „Lunge“ kann das nen und außen. Diese Differenz lässt sich
Zusatzvolumen liefern: Sie atmet ein und wie­ auch durch leichten Überdruck auf die
der aus, wenn der Zug am „Zwerchfell“ nach­ Atemöffnungen des Patienten erzeugen, so­
96 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

dass man den Operationssaal so belassen enten bestimmen will und der Druck im Spi­
kann wie bei anderen Eingriffen auch. Das rometer nicht mit dem in der Lunge überein­
vereinfacht das technische Problem der stimmt. Wie hat man zu rechnen? Man darf
Dichtung und verringert die Gefahr für den dem Gesetz von Boyle-­Mariotte auch die
Patienten. ◄ folgenden Formen geben:

3 p1·V1 = p2 ·V2 oder V2 = V1· p1 / p2 .


3.3.6 Kompressibilität
Die inkompressible Flüssigkeit und das
Die Moleküle der Festkörper und Flüssig­ hochkompressible ideale Gas markieren
keiten kommen sich bis zur Berührung nahe; zwei mathematisch einfache Grenzfälle, zwi­
freien Platz zwischen ihnen gibt es kaum. schen denen sich die realen Substanzen „he­
Die Kompressibilität ist gering, denn die rumtreiben“. Bei ihnen muss man empirisch
Massendichte lässt sich durch äußeren bestimmen, um welchen Betrag ΔV das Aus­
Druck nur geringfügig erhöhen; sie liegt in gangsvolumen V abnimmt, wenn man den
der Größenordnung von einigen Tonnen pro äußeren Druck um Δp erhöht. Eine Propor­
Kubikmeter. tionalität zu V darf man erwarten, eine zu
Ganz anders bei einem Gas: Seine Dichte Δp nicht unbedingt. Es ist deshalb vernünf­
liegt leicht um drei Zehnerpotenzen niedri­ tig, die
ger (normale Zimmerluft: ca. 1,2 kg/m3).
Die Moleküle halten großen Abstand von­ 1 dV
 k = -
Kompressibilitat ×
einander, zwischen ihnen ist viel Platz. Dar­ V dp
aus folgt eine hohe Kompressibilität.
Gasmoleküle bewegen sich thermisch, differenziell zu definieren (negatives Vorzei­
ohne eine Richtung zu bevorzugen. Auf Ge­ chen, weil V mit p abnimmt). Der Kehrwert
fäßwandungen, die ihren Bewegungsdrang wird Kompressionsmodul Q genannt. Für
einschränken, üben sie einen Druck dadurch den Grenzfall des inkompressiblen Fluides
aus, dass sie bei jedem Stoß auf die Wand gilt: k = 0.
kurz eine Kraft ausüben. Das geschieht Eine solche Definition ist rein deskriptiv;
umso öfter, je mehr sie sind, je größer ihre sie beschreibt einen Zusammenhang, ohne
Anzahl N, genauer ihre nach dessen Ursachen zu fragen. Deshalb
kann man sie auch in einer ganz anderen Si­
Anzahl N tuation benutzen, nämlich beim Einfüllen
Anzahldichte n = ,
GasvolumenV einer Flüssigkeit in ein dehnbares Gefäß,
etwa beim Einpumpen von Blut in die Aorta.
ist. Damit hängt der Druck linear vom Hier wächst das einfüllbare Volumen mit
Kehrwert 1/V des Volumens ab, bzw. gilt: steigendem Druck, weil die Wände nachge­
ben. Deshalb wird Q mit positivem Vorzei­
p × V = konstant. chen definiert und bekommt einen anderen
Namen:
Dieses sog. Boyle-Mariotte-Gesetz gilt aller­
dings nur bei konstanter Temperatur; anders dp

Volumenelastizitatsmodul Q =V ×
gesagt: Die Konstante ist temperaturabhän­ dV
gig. Außerdem gilt das Gesetz nur für ideale
Gase (7 Abschn. 5.2.1), zu denen Zimmer­ Der Modul hängt von der Form des Gefäßes
luft gehört. Man muss es berücksichtigen, ab, von der Dicke der Wand und deren elas­
wenn man das Atemzugvolumen eines Pati­ tischen Eigenschaften.
3.3 · Druck
97 3
3.3.7 Blutdruckmessung ordentlich funktionieren, würden ihm
Brenngas und Pressluft stoßweise zugeführt.
Im Allgemeinen verlangt eine Druckmes­ In der Technik lässt man deshalb die Pumpe
sung mechanischen Anschluss des Mano­ zunächst in einen Windkessel blasen, in ei­
meters an das Druckgefäß, kein Problem bei nen dichten Topf mit hinreichend großem
Dampfkesseln und Autoreifen: die notwen­ Volumen. Das mindert die Druckstöße be­
digen Flansche und Ventile werden von trächtlich und lässt das Gas einigermaßen
vornherein vorgesehen. Der Arzt müsste gleichmäßig abströmen.
aber zur Blutdruckmessung ein hinreichend Das gleiche Ziel verfolgt die Aorta, nur
großes Gefäß öffnen, um einen Katheter kann sie es nicht als starres Gefäß tun, weil
einführen zu können, an dessen äußerem Blut inkompressibel ist wie Wasser. Deshalb
Ende dann das Manometer sitzt. In Sonder­ muss sie sich bei jeder Systole um das Herz­
fällen geschieht das tatsächlich, vor allem im schlagvolumen aufblähen. Dabei wird die
Tierexperiment. Der Experimentator, der Aortenwand gedehnt und gibt während der
bei den Messungen zu . Abb. 1.1 unbe­ Diastole, von Ringmuskeln unterstützt, das
dingt den zeitlichen Verlauf des Druckes im Blut bei nur wenig abfallendem Druck in
linken Ventrikel eines Hundeherzens kennen den Kreislauf. Die Gefäßwand entspannt
wollte, hatte keine andere Wahl. Dass sich sich und macht sich für die nächste Systole
dieses Verfahren aber für die Routinemes­ bereit. Den zeitlichen Verlauf des Druckes,
sung der ärztlichen Praxis verbietet, bedarf mit Kathetern im Herzen und an verschiede­
keiner Begründung. Hier hat sich eine Me­ nen Stellen im System der Arterien gemes­
thode durchgesetzt, die als Musterbeispiel sen, zeigt . Abb. 3.22. Die druckstoßmin­
einer schon recht raffinierten indirekten dernde Windkesselfunktion der Aorta ist
Messung angesehen werden kann. Sie ist nicht zu übersehen.
ohne einige Detailkenntnisse des Zusam­ In allen Arterien schwankt der Blut­
menspiels von Herz und Aorta nicht zu ver­ druck periodisch zwischen einem systoli­
stehen: schen Maximum ps und einem diastolischen
Ein Herz arbeitet nach dem Prinzip der Minimum pd hin und her. Nur diese beiden
Kolbenpumpe: Durch periodische Ände­ Grenzwerte werden bei der üblichen Blut­
rung des wirksamen Volumens wird Gas druckmessung bestimmt, und zwar am
oder Flüssigkeit verschoben; Ventile sorgen Oberarm des meist sitzenden Patienten.
dafür, dass dies nur in einer Richtung ge­ Dazu wird ihm eine Manschette um den
schieht, beim Herzen also die Herzklappen. Arm gelegt, die unter einem nichtdehnbaren
Unvermeidlich erfolgt der Transport stoß­ Gewebe einen breiten und weichen Gummi­
weise. Freilich könnte kein Schweißbrenner schlauch besitzt. Diesen pumpte der Arzt

..      Abb. 3.22 Windkesseleffekt. Die starken Druckschwankungen in der Herzkammer werden zum großen Teil
durch die Windkesselfunktion der Aorta aufgefangen
98 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

noch etwas über pd. Beide Messwerte rücken


umso dichter zusammen, je schneller die Luft
aus der Manschette herausgelassen wird.

3.4 Grenzflächen
3
3.4.1 Kohäsion
Moleküle halten zusammen; zwischen ihnen
..      Abb. 3.23 Blutdruckmessung nach Riva-Rocci herrschen „zwischenmolekulare Kräfte“ kur­
(Einzel im Text, Zeichnung nach Rein-Schneider)
zer Reichweite, mit denen sie sich gegenseitig
anziehen. Dies nenn man Kohäsion. Diese
Kräfte gewinnen an den Grenz- und Oberflä­
früher mit einem Gummibällchen von Hand chen der Flüssigkeiten besondere Bedeutung.
auf (. Abb. 3.23), heute bevorzugt man Wenn ein Kristall schmilzt, nimmt norma­
eine Motorpumpe. Der Schlauch drückt lerweise die Dichte ab, aber nicht sehr stark.
dann Arm und Ärmel des Patienten zusam­ Auch in der Schmelze liegen die Moleküle
men und mit ihnen die Arteria brachialis. noch „dicht an dicht“; die zwischenmolekula­
Übersteigt der Manschettendruck p den ren Kräfte existieren nach wie vor, die Wärme­
systolischen Druck ps, so wird die Arterie bewegung ist allerdings so heftig geworden,
völlig zugedrückt und die Blutversorgung dass sich die Bindung an feste Gitterplätze
des Unterarms unterbrochen: In der Beuge nicht länger aufrechterhalten lässt: Die Mole­
des Ellbogengelenks, wo das Gefäß dicht küle sind jetzt frei verschiebbar; die Flüssigkeit
unter der Haut verläuft, ist mit Stethoskop hat keine Schubfestigkeit, für eine Zerreißfes­
oder Mikrofon nun kein Pulsgeräusch mehr tigkeit reichen die Kräfte der Kohäsion aber
wahrzunehmen. Lässt man jetzt über ein noch. Ein Ölfilm zwischen zwei Aluminium­
kleines Ventil Luft aus der Manschette ent­ platten mit etwa 20 cm Durchmesser vermag
weichen, so kann von dem Moment an, in ein Kilogramm zu tragen (. Abb. 3.24); herz­
dem der Druck p den systolischen Blutdruck lich wenig, wenn man an den Kupferdraht in
ps unterschreitet, dieser für kurze Zeit 7 Rechenbeispiel 3.1 denkt.
die Arterie öffnen. Deren anschließendes Am deutlichsten verspüren die oberflä­
Zu­ sammenschlagen unter dem Druck chennahen Teilchen die zwischenmolekula­
der Manschette liefert ein unverkennbares ren Kräfte der Kohäsion. Denn oberflä­
­Geräusch im Ellbogengelenk. Es verstummt chennahe Teilchen versuchen nicht nur,
wieder, wenn p den diastolischen Druck pd Moleküle zurückzuhalten, die in den Gas­
unterschreitet, weil die Arterie jetzt ständig raum ausbrechen möchten, sie behindern
offenbleibt. Über das akustische Signal las­
sen sich auf dem Manometer der Man­
schette die beiden Grenzwerte ps und pd ab­
lesen (Blutdruckmessung nach Riva-Rocci).
Dabei lässt sich allerdings ein systemati­
scher Fehler nicht vermeiden. Das Herz
schlägt ja nicht gerade in dem Moment, wenn
der Manschettendruck den systolischen un­
terschreitet. Beim ersten hörbaren Pulsge­ ..      Abb. 3.24 Zerreißfestigkeit eines Ölfilms zwischen
räusch liegt deshalb p bereits etwas unter ps zwei Metallplatten. Die obere trägt einen Randwulst,
und entsprechend beim letzten Geräusch um ein Abgleiten der unteren zur Seite zu verhindern
3.4 · Grenzflächen
99 3

..      Abb. 3.25 Kohäsion. Die zwischenmolekularen


Kräfte wirken im Innern der Flüssigkeit allseitig, be­
hindern aber bereits das Eintreten eines Moleküls in
die letzte Lage unter der Oberfläche und vor allem den
Übertritt in den Gasraum

schon deren Eindringen in die letzte Mole­


küllage (. Abb. 3.25).
Moleküle meiden darum die Oberfläche
und halten diese so klein wie möglich: Die
natürliche Form des Tropfens, der keinen
äußeren Kräften unterliegt, ist die Kugel.
Gießt man Quecksilber aus einem feinen
Röhrchen in ein Uhrglas, so bildet es zu­
nächst viele winzige Tröpfchen; diese schlie­
ßen sich aber rasch zu größeren zusammen,
bis nur ein einziger Tropfen übrig bleibt, wo­
durch sie ihre gemeinsame Oberfläche ver­
..      Abb. 3.26 Oberflächenspannung. Quecksilber­
ringern. . Abb. 3.26 zeigt diesen Vorgang tropfen verringern ihre gemeinsame Oberfläche, indem
in einigen Momentaufnahmen. sie sich zu einem einzigen Tropfen zusammenschlie­
Die Kräfte der Kohäsion wirken auf die ßen. Momentaufnahmen im Abstand von jeweils 10
Moleküle wie eine sie einschließende, ge­ Sekunden; der Vorgang wird durch ein Gemisch von
spannte Haut. Für kleine Insekten kann sie Wasser und Glyzerin verlangsamt. Große Tropfen
können unrund erscheinen, wenn sie im Moment der
lebensgefährlich werden; nicht alle sind Belichtung noch schwingen, weil sie kurz zuvor einen
stark genug, sich aus einem Wassertropfen kleinen Tropfen aufgenommen haben (adaptiert nach
zu befreien, der sie benetzt hat. Umgekehrt R. W. Pohl)
können Wasserläufer sich auf der Oberflä­
che halten, indem sie die „Haut“ ein wenig
eindellen (. Abb. 3.27).
Vergrößert man die Oberfläche einer
Flüssigkeit, so müssen Moleküle, die sich
anfangs noch im Innern aufhalten durften,
an die Oberfläche gebracht werden. Das be­
deutet Arbeit gegen die Kräfte der Kohä­
sion; für jedes neue Flächenelement A eine
bestimmte Energie WA. Man definiert:


Oberflachenspannung

Oberflachenenergie WA
s= .

Oberflache A ..      Abb. 3.27 Wasserläufer. Die Wirkung der Oberflä­
chenspannung erscheint wie eine Haut auf dem Wasser,
Sie hat die SI-Einheit 1 J/m2 = 1 N/m = 1 kg/s2. die das Insekt trägt (© focus finder – Fotolia.com)
100 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

>>Merke Praktikum 3.2


Oberflächenspannung:

Oberflachenenergie WA Messung der Oberflächenspannung
s= .
 A
Oberflache Es gibt drei Hauptmethoden, Oberflä­
chenspannungen zu messen: Ringtensio­
77Patient „am Tropf“ meter, Stalagmometer und Messung der
3 Bei Patienten, die „ihre Tropfen nehmen“,
Steighöhe in einer Kapillare.
dient die Oberflächenspannung zur Dosie­ Ringtensiometer:
rung von Medikamenten (. Abb. 3.28). Da­ Ein leichter Ring wird an einer Feder­
bei verlässt man sich darauf, dass alle vom waage aufgehängt (. Abb. 3.29) und in
Schnabel der Flasche fallenden Tropfen un­ die zu untersuchende Flüssigkeit einge­
gefähr die gleiche Größe haben. In manchem taucht. Bewegt man ihn nun mitsamt der
Medizinerpraktikum wird so die Oberflä­ Waage vorsichtig nach oben, so zieht er
chenspannung bestimmt (7 Praktikum 3.2). einen Flüssigkeitsfilm hinter sich her.
Die Tropfengröße hängt auch entscheidend Dieser hat die Form eines Zylinderman­
vom Durchmesser des Rohres ab, aus dem die tels und hält dank seiner Oberflächen­
Flüssigkeit tropft. Eine Tropfflasche mit be­ spannung den Ring fest mit einer Kraft
schädigtem Schnabel dosiert falsch. Dafür, F, die zusätzlich zur Gewichtskraft von
dass die Flüssigkeit dann auch noch gegen der Waage angezeigt wird. Man liest ih­
den Blutdruck ins Blut geht, sorgt der Schwe­ ren Grenzwert Fσ in dem Moment ab,
redruck im Schlauch zum hochgehängten In­ wenn die Kraft der Federwaage den
fusionsbeutel. Mit einer Klemme an diesem Ring aus der Flüssigkeit reißt. Der Ring
Schlauch wird der Strömungswiderstand ein­ hat z. B. den Durchmesser d, also den
gestellt und damit, wie schnell die Tropfen Umfang d · π. Zieht er die zylinderman­
tropfen. Das dient dem Pflegepersonal als telförmige Flüssigkeitshaut um das
Maß für den Volumenstrom. ◄ Stückchen Δx weiter nach oben heraus,
so vergrößert er deren Oberfläche um
DA = 2p × d × Dx

..      Abb. 3.28 Infusion. Der Schweredruck aus der


hochgehängten Infusionsflasche drückt die Infusion in
die Blutbahn. Wie schnell das geht, lässt sich mit den ..      Abb. 3.29 Messung der Oberflächenspannung mit­
Tropfen aus dem Schnabel erkennen und kontrollieren hilfe eines eingetauchten Rings und einer Federwaage;
(. Abb. 3.29) (© tungphoto – Fotolia.com) Einzelheiten im Text
3.4 · Grenzflächen
101 3

FG = r × g × VT
Der Faktor 2 rührt daher, dass die Haut
eine Haut ist: Sie hat nicht nur eine Ober­
(ρ = Dichte der Flüssigkeit) den gleichen
fläche „nach außen“, sondern auch eine
Betrag wie die haltende Kraft Fσ erreicht
zweite (praktisch ebenso große) „nach in­
hat. Ein vorgegebenes Volumen V0 der
nen“, d. h. mit Blickrichtung zur Zylinder­
Flüssigkeit bildet also n = V0/VT Trop­
achse. Die zur Schaffung der neuen Ober­
fen:
fläche ΔA nötige Energie ΔW beträgt
g r
DW = s × DA = 2p × s × d × Dx. n= × V0 × .
p ×d s
Für die Waage bedeutet dies eine Zusatz­ Kennt man ρ und d, lässt auf diese Weise
kraft die Oberflächenspannung bestimmen:
DW
Fs = 2p × s × d = . g × V0 × r
Dx s=
p ×d ×n
Die Messung von Fσ erlaubt also die
Oberflächenspannung σ zu bestimmen. Messung der Steighöhe in einer Kapillare:
Die Rechnung zeigt zugleich, dass sich Vgl. 7 Abschn. 3.4.2. Die Kräfte zwischen
eine gespannte Flüssigkeitslamelle nicht Flüssigkeit und Rohrwand (Adhäsions­
so verhält wie eine Gummihaut oder eine kräfte) heben die Flüssigkeit um eine Steig­
Feder: Fσ ist unabhängig von x, die Kraft höhe h an. Für eine kreisrunde Kapillare
wächst nicht mit der Dehnung. mit dem Innendurchmesser 2r lässt sich h
leicht angeben. Angenommen, das Wasser
Stalagmometer:
benetze die Kapillarwand vollkommen,
Tropfen aus einem Rohr wie bei dem
dann bildet seine Oberfläche in der Kapil­
„Tropf“. An einem Röhrchen mit dem Au­
lare im Wesentlichen eine Halbkugel mit
ßendurchmesser d kann sich ein Tropfen
dem Radius r (. Abb. 3.33). Die Folge ist
festhalten, weil er beim Abfallen erst einmal
ein Druck mit Kräften in Richtung Kugel­
zusätzliche Oberfläche schaffen muss, und
mittelpunkt, erzeugt von der Oberflächen­
zwar für einen Zylinder mit dem Umfang d
spannung σ:
· π (. Abb. 3.30). Dazu gehört die Kraft:
2 ×s
Fs = p × d × s ps =
r

Der Tropfen reißt ab, sobald sein Volu­ An diesen Kräften kann sich der Flüssig­
men VT so groß geworden ist, dass seine keitsfaden so lange aufhängen, wie sein
Gewichtskraft Schweredruck
pS = r × g × h

kleiner als pσ bleibt. Die Steighöhe ver­


mag also einen Grenzwert nicht zu über­
schreiten:
2 ×s
h<
r×r×g
Leider muss man bei dieser Rechnung
voraussetzen, dass die Flüssigkeit die
..      Abb. 3.30 „Tropf“. Die Oberflächenspannung
hält einen Tropfen am Röhrchen fest, weil dieser beim Rohrwand vollkommen benetzt, was
Abfallen zunächst zusätzlich Oberfläche für einen Zy­ eher ausnahmsweise der Fall ist.
linder vom Röhrchendurchmesser schaffen müsste
102 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

In einem Tropfen vom Radius r erzeugt die über den Molekülen in der festen Oberflä­
Oberflächenspannung einen Binnendruck: che: Die Adhäsion muss die Kohäsion
übertreffen.
2 ×s Das tut sie oft, aber keineswegs immer.
p=
r Man braucht eine Glasplatte nur hauch­
dünn einzufetten und schon perlt das Was­
3 In einer Seifenblase ist er doppelt so hoch, ser, das vorher noch benetzte, in dicken
da sie eine Außen- und eine Innenoberfläche Tropfen ab: Die zunächst hydrophile Ober­
hat. Allgemein gilt: Je kleiner Tropfen oder fläche ist hydrophob geworden. Ob eine
Blase, desto größer der Binnendruck. Flüssigkeit benetzt oder nicht, sieht man an
der Form ihrer Oberfläche: Zieht sie sich an
Rechenbeispiel 3.4 einer Gefäßwand hoch, so überwiegt die
Aufgabe. Wie groß ist der Binnendruck Adhäsion; wird die Oberfläche herunterge­
in einem kugelförmigen Wassertropfen drückt wie beim Quecksilber, so ist die Ko­
mit 1 cm Radius? Die Oberflächenspan­ häsion stärker (. Abb. 3.31). Sind Benet­
nung sauberen Wassers beträgt ca. zung oder Nichtbenetzung vollkommen, so
72 mN/m. Ist der Binnendruck in einer kommt die Oberfläche asymptotisch an die
gleich großen Seifenblase kleiner oder Gefäßwand heran, wenn nicht, so stoßen
größer? beide in einem bestimmten Winkel aufein­
Lösung. Die Oberflächenspannung ander (. Abb. 3.32).
trägt folgenden Anteil bei: Stehen sich zwei Gefäßwände auf hinrei­
chend kurzem Abstand gegenüber, so kann
144 × 10-3 N / m sich eine benetzende Flüssigkeit an beiden
ps = = 14, 4 Pa
0, 01 m zugleich „hinaufhangeln“ und so im Gefäß
aufsteigen. Besonders wirksam funktioniert
Dazu kommt noch der äußere Luftdruck
dies in feinen Röhren: Bäume transportieren
von ca. 1000 hPa. Bei der Seifenblase
mithilfe der Kapillarwirkung Wasser von
trägt die Oberflächenspannung zwar dop­
den Wurzeln zu den Blättern.
pelt bei, da sie eine innere und eine äußere
Oberfläche hat. Durch die Seife im Was­
ser ist aber die ­Ober­flächenspannung auf
etwa 30 mN/m herabgesetzt, sodass in der
Summe der Binnenüberdruck in der Sei­
fenblase niedriger ist. Deshalb geht das
„Seifenblasenblasen“ mit reinem Wasser
sehr schlecht: Der Binnenüberdruck ist
viel höher und die Blase platzt zu leicht.
..      Abb. 3.31 a, b. Benetzung. Benetzende a und
nichtbenetzende Flüssigkeit b an einer Gefäßwand

3.4.2 Adhäsion
Jedes Gerät zur Bestimmung der Oberflä­
chenspannung enthält einen Bauteil aus ei­
nem festen Körper, an dem die Flüssigkeit
haftet: Sie muss ihn „benetzen“. Eine Flüs­
sigkeit benetzt, wenn die Kohäsionskräfte,
die ihre Moleküle aufeinander ausüben, ge­ ..      Abb. 3.32 Unvollkommene Benetzung. Die Flüs­
ringer sind als die Adhäsionskräfte gegen­ sigkeit bildet einen Winkel φ mit der Gefäßwand
3.5 · Strömung
103 3

Rechenbeispiel 3.5: Loch im Blatt


Aufgabe. Bäume saugen Wasser aus den
Wurzeln in die Blätter, wo es tagsüber in
die Luft verdampft. Ein großer Baum
verdampft leicht 200 l pro Stunde. Der
Saugdruck wird durch Kapillareffekt er­
zeugt: In Zellzwischenräumen (den Sto­
mata) bildet sich ein Wasserfilm, dessen
Oberfläche einen hinreichend kleinen
konkaven Krümmungsradius (wie in
..      Abb. 3.33 Kapillaranhebung und -depression (links . Abb. 3.33 links) aufweisen muss. Wie
bzw. rechts; Einzelheiten im Text) klein muss er sein bei einem 10 m hohen
Baum?
Lösung. Die Oberflächenspannung
Benetzt die Flüssigkeit nicht, so kommt muss ein pσ von etwa 1000 hPa aufbrin­
es zu einer Kapillardepression (. Abb. 3.33 gen. Bei reinem Wasser hieße das für den
rechts). Auf diese muss man achten, wenn Krümmungsradius:
man ein Quecksilbermanometer abliest.
2 × 72 mN / m
Bestimmt wird die Oberflächenspan­ r< = 1, 4 × 10-6 m = 1, 4 m m
nung von den vergleichsweise wenigen Mo­ 105 N / m 2
lekülen, die sich wirklich in der Oberfläche
herumtreiben. Manche Molekülsorten ha­ Da im Pflanzensaft Stoffe gelöst sind,
ben sich darauf spezialisiert: Wenige Trop­ die die Oberflächenspannung herabset­
fen eines modernen Spülmittels genügen, zen, muss der Radius eher noch kleiner
um Wasser so zu „entspannen“, dass es ein sein. Diese Abmessung entspricht in
Weinglas gleichmäßig benetzt, also keine etwa der Größe der Zellen im Blatt.
Tropfen bildet und damit beim Verdunsten
auch keine Tropfränder. Eine Ente, in ent­
spanntes Wasser gesetzt, wundert sich sehr, 3.5 Strömung
weil sie nicht schwimmen kann: Das Was­
ser drängt sich zwischen ihre sorgsam ge­ 3.5.1 Ideale Strömung !!
fetteten Bauchfedern und vertreibt dort das
Luftpolster, dessen Auftrieb die Natur bei Die Strömung von Flüssigkeiten und Gasen
der Konstruktion der Ente einkalkuliert ist meistens sehr komplex, nämlich turbu-
hat. Spülmittel im Abwasser sind nicht un­ lent. Sie enthält dann viele Wirbel und
bedingt umweltfreundlich, Spülmittel, vom schnell wechselnde Bewegungen, so wie es
Teller in die Nahrung gelangt, nicht unbe­ das Foto des aus einem Wasserhahn fließen­
dingt gesundheitsfördernd. den Wassers in . Abb. 3.34 rechts zeigt.
Luftwirbel hinter Masten lassen Fahnen im
>>Merke Winde flattern; Strudel in Flüssen bringen
55 Kohäsion: Wirkung zwischenmole­ Gefahr nicht nur für Schwimmer; Zyklone
kularer Kräfte in einer Flüssigkeit können ganze Landstriche verwüsten. Solch
55 Adhäsion: Wirkung zwischenmole­ eine Strömung im Computer nachzurech­
kularer Kräfte zwischen Flüssigkeit nen, fällt selbst ausgeklügelter Spezialsoft­
und Festkörper ware schwer. Besser ist es mit glatter, lami-
55 Benetzung: Adhäsion überwiegt narer Strömung, in der die Flüssigkeit ruhig
104 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

Druck nicht ändern. Für Flüssigkeiten ist


das immer eine gute Annahme, aber sogar
bei Gasen kann man das annehmen, wenn
die Strömungsgeschwindigkeiten hoch sind.
Eine solche Flüssigkeit ströme nun durch
ein Rohr mit variablem Durchmesser
3 (. Abb. 3.36). Die Strömung kann zunächst
mit dem Volumenstrom I beschrieben wer­
den, der angibt, wie viel Flüssigkeit pro Zeit
durch das Rohr fließt:

dV
Volumenstrom I = = A × Vm
dt

Dabei ist A die Querschnittsfläche des Roh­


res und vm die mittlere Strömungsgeschwin­
digkeit. Die Einheit des Volumenstromes ist
m3/s. Diese SI-Einheit der Volumenstrom­
..      Abb. 3.34 Wasser aus dem Wasserhahn. Bei fast stärke passt zu Flüssen. Der Rhein bei Em­
zugedrehtem Hahn ist die Strömung laminar (links); merich bringt es im Schnitt auf etwa 2,3 ·
dreht man stärker auf, so wird sie turbulent (rechts) 103 m3/s, der Blutkreislauf des Menschen
aber nur auf rund 10−4 m3/s. Da führt eine
entlang glatter Linien strömt. Beim Wasser­ kleinere Einheit zu handlicheren Maßzah­
hahn gibt es diese Art von Strömung, wenn len: Blutstromstärke Ib ≈ 6 l/min. Wer statt­
man ihn fast zudreht (. Abb. 3.34 links). dessen sagt, das „Herzminutenvolumen“ des
. Abb. 3.35 zeigt eine solche laminare Menschen betrage ungefähr 6 Liter, muss
Strömung entlang Stromfäden bei der Um­ daran denken, dass er von einer Volumen­
strömung einer Platte. Diese Bilder entstan­ stromstärke redet und nicht von einem Volu­
den, indem eingefärbtes Wasser per Kapil­ men.
lareffekt sehr langsam durch Löschpapier Da dieser Volumenstrom überall im
strömte. Ob eine Strömung laminar oder Rohr gleich sein muss, strömt die Flüssigkeit
turbulent ausfällt, lässt sich mit der dort, wo die Querschnittsfläche kleiner ist,
Reynolds-­Zahl (7 Abschn. 3.5.3) abschät­ schneller. Die Strecke Δx (. Abb. 3.36),
zen. welche die Flüssigkeit in der Zeit t zurück­
Wird eine Strömung nicht durch Pum­ legt, ist entsprechend größer. Es gilt die Kon-
pen oder Gefälle angetrieben, kommt sie tinuitätsgleichung:
früher oder später zum Erliegen. Das liegt
an der inneren Reibung in Flüssigkeiten. Wie vm1·A1 = vm2 ·A2 ,
jede Reibung bremst sie die Bewegung ab.
Auch das macht die Berechnung einer Strö­ die eben besagt, dass der Volumenstrom
mung komplizierter. konstant ist.
Einige Grundtatsachen werden deshalb Interessantes passiert bei der Quer­
hier zunächst an der idealen Strömung klar­ schnittsänderung mit dem Druck in der
gemacht, einer Strömung, die laminar ist Flüssigkeit. Strömung überträgt mechani­
und in der die innere Reibung vernachlässigt sche Arbeit. Das kann man sich ganz gut
werden kann. anschaulich machen, wenn man sich vor­
Außerdem soll die Flüssigkeit inkom- stellt, dass in beiden Enden des Rohres Kol­
pressibel sein, also ihr Volumen mit dem ben stecken. Der eine fährt in das Rohr hin­
3.5 · Strömung
105 3

..      Abb. 3.35 Stromfäden laminarer Strömung um ein Hindernis (adaptiert nach R. W. Pohl)

..      Abb. 3.37 (Video 3.1) Überraschend: Wo die Strö­


mung schneller ist, ist der Druck kleiner (https://doi.
..      Abb. 3.36 Kontinuitätsgleichung. Ein Volumenele­ org/10.1007/000-07y)
ment ΔV strömt durch ein Rohr. Ist das Rohr enger, so
strömt es schneller
Teilen durch ΔV liefert eine Druckdifferenz:

ein und drückt mit der Kraft F1 = p1 · A1 ins 1 1


Dp = p1 - p2 = r × vm2 2 - r × vm2 1.
Rohr. Er leistet dabei die Volumenarbeit 2 2

W1 = p1·A1·Dx1 = p1·DV . Umstellen liefert eine Summe, die an beiden


Rohrenden gleich ist:
Am anderen Ende wird der Kolben gegen
die Kraft F2 = p2 · A2 herausgedrückt und die 1 2 1
p1 + r × vml = p2 + r × vm2 2
Flüssigkeit leistet an ihm die Arbeit 2 2
(. Abb. 3.37):
Diese Formel sagt etwas Bemerkenswertes:
W2 = p2 ·A2 ·Dx2 = p2 ·DV . Wo die Geschwindigkeit hoch ist, also das
Rohr eng, ist der Druck klein, wo die Ge­
Ist hineingesteckte und herauskommende schwindigkeit klein ist, ist der Druck hoch.
Arbeit gleich? Nein! Denn da das Rohr sich Da man es intuitiv vielleicht umgekehrt ver­
verengt, muss die Flüssigkeit schneller wer­ mutet hätte, wird dies das hydrodynamische
den, ihre kinetische Energie wird größer. Paradoxon genannt (. Abb. 3.38). Wird der
Diese kinetische Energie muss von der Volu­ Querschnitt wieder größer und die Flüssig­
menarbeit geliefert werden, sodass weniger keit langsamer, so steigt der Druck wieder
Arbeit (aber nicht weniger Energie) heraus­ an. Man kann auch allgemeiner sagen:
kommt als hineingesteckt wurde:
p + ½ r·v 2 =
1
W1 - W2 = DEkin =
2
(
( r × DV ) × vm2 2 - vm2 1 ) konstant entlang eines Stromfadens.
106 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

an spitzen Fingern mit etwa 10 cm Abstand


voneinander vor den Mund: Pusten treibt
sie nicht etwa auseinander, durch den Un­
terdruck im Luftstrom werden die Blätter
vielmehr zusammengedrückt.
Dass der Term p + ½ρ · v2 entlang der
3 Strömung konstant bleibt, stimmt nur, so­
..      Abb. 3.38 Hydrodynamisches Paradoxon. In der lange die innere Reibung in der Flüssigkeit
Querschnittsverengung nimmt der statische Druck ab vernachlässigt werden kann. Reibung ent­
(die Zeichnung unterstellt, dass sich die innere Rei­ nimmt der Strömung mechanische Energie
bung der Flüssigkeit vernachlässigen lässt). Siehe auch und wandelt sie in Wärme um. Auch dies
Video zu . Abb. 3.37
führt dazu, dass die am einen Rohrende hi­
neingesteckte Arbeit nicht ganz am anderen
Ende ankommt und deshalb der Druck
auch bei einem Rohr mit konstantem Quer­
schnitt sinkt. Die innere Reibung wird
durch die Materialgröße Zähigkeit oder
Viskosität beschrieben. Darum geht es in
7 Abschn. 3.5.2.
..      Abb. 3.39 Staurohr. Das Manometer misst den
Staudruck als Differenz von statischem und Gesamt­
druck; das umgebende Medium strömt von links an. Rechenbeispiel 3.6: Staudruck am
Der Staudruck ist ein Maß für die Strömungsge­ Flugzeug
schwindigkeit des Mediums
Aufgabe. Welchen Staudruck wird ein
Staurohr an einem Passagierflugzeug,
Dieser Zusammenhang gilt nicht nur für das mit 900 km/h fliegt, in etwa anzei­
die Strömung in einem Rohr, sondern für gen?
jede beliebige Strömung und nennt sich Lösung. Wir müssen die Dichte der
Bernoulli-­Effekt. Er wird zuweilen auch fol­ Luft kennen. Diese ist wegen ihrer Pro­
gendermaßen formuliert: Der Druck p wird portionalität zum Luftdruck (Gasgesetz,
statischer Druck genannt, der Term ½ρ · v2 7 Abschn. 5.2.1) sehr höhenabhängig.
Staudruck. Der Gesamtdruck p0 = stati­ Der Luftdruck ist ein Schweredruck, der
scher Druck p + Staudruck bleibt in rei­ mit zunehmender Höhe exponentiell ab­
bungsfreien Flüssigkeiten konstant. nimmt. In 5 km Höhe beträgt die Luft­
Den Namen Staudruck macht das Stau- dichte etwa 0,5 kg/m3 und damit der ge­
rohr verständlich. . Abb. 3.39 zeigt es im messene
Schnitt, der Luftstrom komme von links. Staudruck p = ½ρ · v2 = 156 hPa.
Dann herrscht an den seitlichen Öffnungen
nur der statische Druck p. Vorn am Staurohr
wird aber die Strömungsgeschwindigkeit
auf null abgebremst, dort steht also der Ge­ 3.5.2 Zähigkeit (Viskosität) !
samtdruck p0. Das Flüssigkeitsmanometer
zeigt als Differenz den Staudruck an. Flug­ Ohne Wasser hätte sich irdisches Leben
zeuge können so ihre Geschwindigkeit mes­ nicht entwickeln können, jedenfalls nicht zu
sen. der heutigen Form. Wasser transportiert be­
Der Bernoulli-Effekt lässt sich im Hand­ reitwillig alles, was darauf und darin
experiment leicht demonstrieren: Man schwimmt, auch gelöste Moleküle. Pflanzen
nehme zwei Blatt Papier und hänge sie sich nehmen so ihre Nährstoffe aus dem Boden
3.5 · Strömung
107 3
auf. Mit den Blättern verdunsten sie reines
Wasser; was zuvor darin gelöst war, dürfen
sie für sich behalten.
Der Mensch und andere Vertebraten ha­
ben das Verfahren technisch weiterentwi­
ckelt. Sie betreiben einen geschlossenen
Blutkreislauf mit eigenem Pumpwerk und
ungemein kompliziertem Röhrensystem.
Das Pumpen ist sehr wichtig, denn die zwi­
schenmolekularen Kräfte in Flüssigkeiten
..      Abb. 3.40 Viskosität. Gedankenversuch zur Defi­
führen zu innerer Reibung. Ohne ständig
nition der Zähigkeit η für einen (übertrieben dick ge­
treibendes Druckgefälle kommt eine strö­ zeichneten) Flüssigkeitsfilm, der zwischen zwei paral­
mende Flüssigkeit bald zur Ruhe: Von der lelen Platten eine Fläche A ausfüllt. Eine
Strömung wird Volumenarbeit in Reibungs­ Scherspannung F/A führt zu einem linearen Geschwin­
wärme übergeführt. digkeitsgefälle dv/dx = v0/d = F/(η · A)
Die Vorgänge in Zusammenhang mit der
Reibung aber sind komplex, unübersichtlich dv v0
=
im Detail und Modellvorstellungen nur dx d
schwer zugänglich. Darum fasst man sie für
Flüssigkeiten zu einer recht summarischen Ändert man in einer Messreihe lediglich den
Größe zusammen, Zähigkeit oder Viskosi- Plattenabstand d, so findet man eine Pro­
tät genannt. Diese ist eine Materialkenn­ portionalität zwischen v0 und d. Die benö­
größe, die mit steigender Temperatur meist tigte Kraft F ihrerseits wächst proportional
deutlich abnimmt. Ihre Definition merkt zur benetzten Fläche A und vor allem zur
man sich am leichtesten anhand eines Ge­ Zähigkeit η der Flüssigkeit: F = η · A · v0/d.
dankenexperiments, das zwar auf dem Auflösen nach η gibt die Definitionsglei­
­Papier einleuchtet, praktisch aber nur in ab­ chung für die Zähigkeit:
gewandelter Form durchzuführen ist:
Gegeben seien zwei ebene Platten im Ab­ F ×d
h= .
stand d, zwischen ihnen die Flüssigkeit in v0 × A
einer solchen Menge, dass sie auf beiden
Platten die Fläche A benetzt. Hält man nun Ihre SI-Einheit ist Ns/m2; deren zehnter Teil
die untere Platte fest und zieht die obere mit wird (nach J. L. Poiseuille, 1799–1869) als
einer Kraft F zur Seite, so gleitet diese ab, Poise (P) bezeichnet.
ganz am Anfang beschleunigt, bald aber we­ Gemessen wird die Zähigkeit in Viskosi-
gen der inneren Reibung im Flüssigkeitsfilm metern, technischen Geräten, zu denen der
nur noch mit einer konstanten Geschwindig­ Hersteller Gebrauchsanweisung und Eichung
keit v0. Als Folge der Adhäsion haftet der mitliefert. Dem Gedankenversuch sehr nahe
Film an beiden Platten: An der unteren kommt ein Kreiszylinder, der in einer Röhre
Platte bleibt er demnach in Ruhe, oben be­ mit etwas größerem Durchmesser koaxial ro­
wegt er sich mit v0. Dazwischen gleiten ebene tiert. Die zu untersuchende Flüssigkeit kommt
Flüssigkeitsschichten aufeinander und bil­ in den Hohlraum zwischen beiden. Primär
den ein lineares Geschwindigkeitsprofil aus: werden das Drehmoment und die mit ihm er­
v steigt proportional mit dem Abstand x von zielte Drehfrequenz gemessen. Weniger ge­
der unteren Platte an, bis es bei x = d den naue Messmethoden sind beliebte Versuche
Wert v0 erreicht. Es bildet sich ein konstantes im Physikpraktikum und werden in 7 Prakti­
Geschwindigkeitsgefälle (. Abb. 3.40): kum 3.3 (7 Abschn. 3.5.3) besprochen.
108 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

>>Merke
Zähigkeit = Viskosität; Maß für die in­
nere Reibung eines Fluids; Messung in
geeichten Viskosimetern; Einheit: Ns/m2.

Man kann es niemandem verargen, wenn er


3 Glas als Festkörper bezeichnet. Der Augen­
schein spricht dafür und der allgemeine
Sprachgebrauch ebenfalls. Trotzdem han­
delt es sich streng genommen um eine Flüs­
sigkeit, wenn auch um eine extrem zähe.
Kristallografen stellen keine kristalline
Struktur fest.
Mit weniger Aufwand kann man sich
aber auch selbst überzeugen, indem man ei­
nen Glasstab erhitzt: Er wird weicher und ..      Abb. 3.41 Geschwindigkeitsprofil einer in einem
weicher, lässt sich schon bald plastisch bie­ kreisrunden Rohr strömenden Flüssigkeit. Oben: Ro­
tationsparaboloid bei laminarem Strom, dessen ebener
gen, danach zu einem dünnen Faden auszie­ Schnitt eine Parabel ist. Unten: Bei turbulenter Strö­
hen und beginnt schließlich wie eine richtige mung flacht das Profil ab
Flüssigkeit zu tropfen. Mit steigender Tem­
peratur nimmt die Zähigkeit kontinuierlich Wirbel und Fluktuationen schaffen ge­
ab. genüber laminarer Strömung zusätzliche Rei­
Ein Festkörper aber schmilzt: Bei einer bungsflächen zwischen Flüssigkeitsschichten
bestimmten Temperatur bricht sein Kristall­ und setzen so vermehrt kinetische Energie in
gitter plötzlich zusammen, die Substanz Wärme um. Eine turbulente Strömung wird
wechselt am Schmelzpunkt abrupt vom fes­ durch die Viskosität also stärker gebremst
ten in den flüssigen Aggregatzustand und und ist deshalb in Rohren ungünstiger. Der
kehrt später beim Abkühlen genauso abrupt Natur ist es gelungen, die Strömung im Blut­
wieder in den festen Zustand zurück. kreislauf fast überall laminar zu halten. Die
Luftströmung in den großen Bronchien der
Lunge ist aber turbulent. Warum, das sehen
3.5.3  eale Strömung durch
R wir am Ende dieses Abschnitts.
Rohre !! Als Folge ihrer Viskosität entwickelt jede
strömende Flüssigkeit Reibungskräfte gegen
Das Gedankenexperiment weiter oben in die­ die Strömung, die diese bremsen; eine
sem Abschnitt ist so übersichtlich, weil die Pumpe muss die Reibungskräfte kompensie­
einfache Geometrie für ein lineares Ge­ ren, indem sie einen erhöhten Eingangs­
schwindigkeitsprofil sorgt. Schon bei der druck aufrechterhält. Ein Druckabfall Δp
Strömung durch Rohre wird es komplizierter: längs der Röhre wird gebraucht, um die Vo­
Auch hier haftet die Flüssigkeit an der Wand lumenstromstärke I gegen den
und fließt dann konsequenterweise am
schnellsten in der Rohrmitte. Im kreisrunden Dp

Stromungswiderstand R=
Rohr nimmt das Geschwindigkeitsprofil die I
Form eines Rotationsparaboloids an, wenn
die Strömung laminar ist, bei turbulenter aufrechtzuerhalten (Einheit Ns/m5). Den
Strömung ist es abgeflachter (. Abb. 3.41). Kehrwert 1/R bezeichnet man als Leitwert.
3.5 · Strömung
109 3
>>Merke sammen, sondern weit überwiegend mit

Stromungswiderstand R=
den Gitterbausteinen des Metalls.
55 Flüssigkeitsmoleküle stehen sich immer
Druckdifferenz Dp
gegenseitig im Weg.
 e l
Volumenstromstark

Im Fall laminarer Strömung ist R oft vom Das hat zwei Konsequenzen:
Druck unabhängig. Dann ist I proportional 55 Ein elektrischer Widerstand hängt von ei­
zu Δp und es besteht eine formale Analogie ner Materialkenngröße (der Resistivität)
zum Ohm’schen Gesetz der Elektrizitäts­ des Drahtes ab, in dem die Elektronen
lehre (7 Abschn. 6.2.2). Einen elektrischen sich bewegen, ein Strömungswiderstand
Widerstand, definiert als Quotient aus elek­ aber nicht von einer Mate­rialeigenschaft
trischer Spannung und elektrischer Strom­ der Röhre, sondern der Flüssigkeit (von
stärke, nennt man ohmsch, wenn er von der Viskosität nämlich).
Strom und Spannung unabhängig ist. Flüs­ 55 Im Draht driften alle Elektronen mit
sigkeiten, die das Ohm’sche Gesetz der Hyd­ gleicher Geschwindigkeit (ebenes Ge­
rodynamik erfüllen, heißen newtonsch. Blut schwindigkeitsprofil); die elektrische
gehört nicht zu ihnen; schließlich enthält es Stromstärke ist darum der Elektronen­
rote Blutkörperchen mit einem beträchtli­ anzahl direkt proportional und damit
chen Volumengehalt (Hämatokrit genannt). auch der Querschnittsfläche des Drahtes,
Folge: Δp wächst überproportional zu I unabhängig von dessen Form; Flüssig­
(. Abb. 3.42). keitsmoleküle haften an der Wand und
In zwei Punkten unterscheiden sich die driften umso schneller, je weiter sie von
wandernden Teilchen in der Flüssigkeits­ dieser entfernt sind: Die Strömungsge­
strömungen allerdings markant von den schwindigkeit wächst mit dem Wandab­
Elektronen des elektrischen Stroms: stand, d. h. mit dem Rohrdurchmesser.
55 Elektronen sind sehr viel kleiner als Mo­
leküle und es gibt nur eine Sorte von ih­ Im einfachen Fall eines Rohres mit der
nen. Auf ihrem Marsch durch den Draht Länge l und einer kreisförmigen Quer­
stoßen sie kaum mit ihresgleichen zu­ schnittsfläche mit dem Radius r gilt bei la­
minarer Strömung das Gesetz von Hagen-­
Poiseuille:

p × r 4 Dp A2 Dp
I= × = × .
8h l 8 × p ·h l

Die Gleichung leuchtet ein. Es kann nicht


überraschen, wenn die Volumenstromstärke
direkt proportional zum Druckgefälle ist
und umgekehrt proportional zur Zähigkeit.
Weiterhin wächst die im Rohr vorhandene
Flüssigkeitsmenge proportional zu dessen
Querschnittsfläche und somit zum Quadrat
des Radius. Genau so wächst, des paraboli­
..      Abb. 3.42 Strömungsverhalten von Blut. Strom­ schen Geschwindigkeitsprofils wegen, aber
stärke- Druckdifferenz-Diagramm des menschlichen
Blutes, halbschematisch; Parameter ist der Hämato­
auch die maximale Strömungsgeschwindig­
krit (Volumengehalt der Blutzellen) keit in der Rohrmitte und mit ihr die mitt­
110 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

lere Geschwindigkeit. Beide Effekte zusam­


men liefern einen Anstieg der Stromstärke (Stokes-Gesetz) – hier ist F der Anteil
mit dem Quadrat der Fläche und mit der 4. der Gewichtskraft, den das archimedi­
Potenz des Radius. Den Zahlenfaktor be­ sche Prinzip (7 Abschn. 3.3.3) den Ku­
kommt man allerdings nur durch geln wegen ihres Dichteüberschusses ge­
mathematisch-­formale Integration. genüber der Flüssigkeit noch lässt.
3 Die 4. Potenz im Zähler signalisiert eine Zusammen mit der Formel für die Auf­
ungemein starke Abhängigkeit der Strom­ triebskraft ergibt sich dann:
stärke und des Widerstands vom Radius der 2 × r2
h= × g × ( r K - r F1 ) ,
Röhre: Deren Aufweitung um nur 20 % ver­ 9 × v0
doppeln schon Strom und Leitwert!
wobei ρK die Dichte der Kugel und ρFl die
>>Merke Dichte der Flüssigkeit ist.
Für kreisrunde Röhren (Radius r, Länge Rote Blutkörperchen haben Scheib­
l) gilt bei laminarer Strömung das Gesetz chenform und sinken darum nach ei­
von Hagen-Poiseuille: nem komplizierteren Gesetz zu Boden.
p r 4 Dr Man braucht es zum Glück nicht zu
I= × kennen, um bei erhöhter Blutsenkungs-
8h Dl
geschwindigkeit eine Infektion zu diag­
nostizieren.
Praktikum 3.3

Viskosität und Strömung 77Das „Rohrsystem“ im Körper


Üblicherweise bestimmt man die Visko­ Das Gesetz von Hagen-Poiseuille erlaubt
sität von Wasser und höher viskosen der Natur, den Durchmesser von K ­ apillaren
Flüssigkeiten auf zwei Arten: Strömung und die Durchblutung des betroffenen Or­
durch ein Rohr und Anwenden des gans mit kleinen Änderungen wirksam zu
Hagen-­Poiseuille-Gesetzes sowie Fall ei­ steuern. Bei der Haut ist das für die Rege­
ner Kugel. lung der Körpertemperatur wichtig. Die
Strömung durch ein Rohr und Anwenden vom Organismus entwickelte Wärme muss
des Hagen-Poiseuille-Gesetzes: ja unbedingt an die Umgebung abgegeben
werden, und zwar exakt und nicht nur eini­
p r 4 Dp
h= × × germaßen, denn auf längere Zeit kann der
8 l I
Körper keine Wärme speichern. Darum
Der Radius r des durchströmten Rohrs ziehen sich die Blutgefäße der Haut bei
muss sehr genau gemessen werden, den Kälte ein wenig zusammen, vermindern
treibenden Druck Δp besorgt man sich als kräftig die Durchblutung und senken so
Schweredruck und den Volumenstrom I mit der Oberflächentemperatur die Wär­
misst man mit Messbecher und Stoppuhr. meabgabe.
Täten sie es nicht, könnte der Mensch er­
Fall einer Kugel: frieren. Diese Gefahr besteht ganz ernsthaft
Kleine Kugeln (Radius r) sinken, wenn sie für einen Betrunkenen in kalter Winter­
sich gegenseitig nicht stören, mit der nacht, denn Alkohol erweitert die Blutge­
Geschwindigkeit fäße, wirkt also dem physiologischen Regel­
F 2r 2 prozess entgegen. Obendrein verschafft er
v0 = = g × Dr
6p × h × r 9 × h den Thermorezeptoren in der Haut ein un­
gerechtfertigtes Wärmegefühl.
3.5 · Strömung
111 3
Das Gefäßsystem des Menschen ist un­
gemein verzweigt. Je feiner es sich verästelt, schnell strömt das Blut durch sie (mitt­
desto größer wird seine gesamte Quer­ lere Strömungsgeschwindigkeit)?
schnittsfläche: Die Aorta ist ein dicker Lösung. Die Querschnittsfläche der
Schlauch mit etwa 4,5 cm2; die Arterien Aorta beträgt:
bringen es zusammen schon auf ≈ 20 cm2, 2
A = p × (1 cm ) = 3,14 × 10-4 m 2
die Arteriolen auf rund 400 cm2 und die Ka­
pillaren schließlich auf etwa 4500 cm2. Ent­ A mal die Strecke s, die das Blut in einer
sprechend sinkt die mittlere Strömungsge­ Sekunde zurücklegt, ist das Volumen,
schwindigkeit, denn die gesamte Stromstärke das in 1 s durch die Aorta fließt. Für den
muss ja konstant bleiben. Für Druckabfall Volumenstrom gilt also:
und Strömungswiderstand gilt das keines­ ds
wegs: Vom verfügbaren Blutdruck bean­ I = A × = A × vm
dt
spruchen Aorta und Arterien nur wenig, die
Arteriolen das meiste. ◄ und für die Geschwindigkeit:
10-4 m3 / s
Das Gesetz von Hagen-Poiseuille gilt frei­ vm = = 32 cm / s.
3,14 × 10-4 m 2
lich nur für laminare Strömungen. In den
großen Bronchien der Lunge geht es jedoch
turbulent zu. Ob eine Strömung laminar
oder turbulent sein wird, lässt sich mit der
Rechenbeispiel 3.8: Reynolds-Zahl in
Reynolds-Zahl Re abschätzen:
der Aorta
r × vm × 2r Aufgabe. Blut sollte besser laminar strö­
Re = .
h men. Spricht die Reynolds-Zahl für die
Situation in der Aorta dafür? Die Visko­
Hierin ist ρ die Dichte der Flüssigkeit. Liegt sität des Blutes beträgt etwa
die dimensionslose Zahl Re für die betrach­ η = 4 · 10−3 Pa · s, die Dichte entspricht
tete Strömung über ca. 2200, so ist mit tur­ etwa der des Wassers. Die Geschwindig­
bulenter Strömung zu rechnen: Die Strö­ keit haben wir gerade ausgerechnet.
mung von Blut im Blutkreislauf oder von Öl
in einer Hydraulik ist laminar, denn die Lösung.
Flüssigkeiten sind zäh und die Rohrdurch­ 1000 kg / m3 × 0, 32 m / s × 0, 02 m
Re = = 1600.
messer und Strömungsgeschwindigkeiten 4 × 10-3 Pa × s
eher klein. Die Strömung von Luft in der
Lunge ist im Bereich der großen Bronchien Das ist tatsächlich kleiner als 2200. Da
dagegen turbulent, denn die Viskosität ist die Strömungsgeschwindigkeit mit dem
klein, Rohrdurchmesser und Strömungsge­ Herzschlag aber um den Mittelwert
schwindigkeit eher groß. Tief in der Lunge schwankt, kann es unter Umständen zu
wird der Luftstrom dann aber auch laminar, kurzen turbulenten Stößen kommen.
weil die Bronchien dann ganz dünn werden.

Rechenbeispiel 3.7: Wie schnell strömt


Rechenbeispiel 3.9: Viele kleine Rohre
das Blut?
Aufgabe. Wenn ein kreisrundes Rohr
Aufgabe. Die Hauptschlagader hat einen
vorgegebener Länge und Querschnitts­
Durchmesser von ca. 2 cm und transpor­
fläche aufgeteilt wird in 100 parallel ge­
tiert etwa 6 Liter Blut pro Minute. Wie
schaltete, ebenfalls kreisrunde Röhrchen
112 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

gleicher Länge, gleicher Gesamtquer­


schnittsfläche und mit untereinander
gleichen Einzelquerschnitten, um wel­
chen Faktor steigt der Strömungswider­
stand gegenüber einer Newton’schen
3 Flüssigkeit bei laminarer Strömung? a
Lösung. Nach Hagen-Poiseuille ist der
Strömungswiderstand umgekehrt propor­
tional zur Querschnittsfläche im Quadrat:
R ~ 1/A2. Die Querschnittsfläche des Ein­
zelröhrchens ist 100-mal kleiner als die des
Rohrs, sein Strömungswiderstand also
10.000-mal größer. 100 Röhrchen parallel
haben dann einen 100-mal höheren Strö­ b
mungswiderstand als das Rohr.
..      Abb. 3.43 Stromlinienform. Der Bereich turbulen­
ter Strömung ist hinter einem Ball (oben) größer als
hinter einem stromlinienförmigen Körper (unten)
3.5.4 Umströmung von
Hindernissen beginn noch der Fall ist, so tritt gar keine
nach oben gerichtete Auftriebskraft auf. Bei
Umströmung von Hindernissen tritt in der einer solchen Potenzialströmung müssen die
Praxis vor allem dann auf, wenn sich ein Tier Stromlinien an der Hinterkante der Tragflä­
oder Fahrzeug durch Luft oder Wasser be­ che aber scharf nach oben abknicken. Schar­
wegt. Um Energie zu sparen, wäre es hier wün­ fes Abknicken der Stromlinien bedeutet ei­
schenswert, wenn möglichst geringe Luftrei­ nen hohen Druckgradienten senkrecht zu
bung aufträte. Ganz verhindern lässt diese sich den Stromlinien. Dieser Druckgradient lie­
wegen der inneren Reibung nie. Wesentlich für fert die für das Umlenken der Luft notwen­
den Luft- bzw. Wasserwiderstand sind aber dige Kraft. Weit weg von der Tragfläche
vor allem Turbulenzen hinter dem Fahrzeug, herrscht Luftdruck. An der Hinterkante der
die mechanische Energie vernichten; wie viel, Tragfläche herrscht wegen des Druckgradi­
das kann man durch die Form beeinflussen. enten also starker Unterdruck. Unterdruck
Denn die Bildung von Turbulenzen hängt sehr bedeutet hohe Strömungsgeschwindigkeit
wesentlich von der Geometrie der Strömung (der Bernoulli-Effekt rückwärts sozusagen).
ab. Darum können Vögel, Fische, Verkehrs­ Aufgrund der inneren Reibung kann die
flugzeuge und manche Autos durch Stromli- Luft so nah an der Tragfläche aber gar nicht
nienform energiefressende Wirbelbildung am so schnell strömen. Dies führt zum Einrollen
Heck vermindern (. Abb. 3.43). eines Anfahrwirbels (. Abb. 3.44 Mitte).
Flugzeuge und Vögel wollen zwar auch Ein solcher Wirbel hat einen Drehimpuls,
durch Reduktion der Wirbelbildung den den er mit sich fortträgt. Da der Drehimpuls
Luftwiderstand vermindern – um überhaupt bei der Wirbelentstehung aber erhalten blei­
loszufliegen, brauchen sie am Anfang aber ben muss, bildet sich gleichzeitig ein entge­
unbedingt eine Wirbelbildung. gengesetzt rotierender Wirbel, der die ganze
Wird eine Tragfläche rein laminar um­ Tragfläche umströmt und damit das ganze
strömt (. Abb. 3.44 links), wie es in den ers­ Stromlinienbild um die Tragfläche herum
ten Sekundenbruchteilen nach Bewegungs­ grundlegend verändert (. Abb. 3.44 rechts):
3.6 · In Kürze
113 3

..      Abb. 3.44 Fliegen. Das Ablösen eines Anfahrwirbels verändert drastisch die Strömung um die Tragfläche
und bedingt den Auftrieb

Nun kann die Luft an der hinteren Tragflä­ 3.6 In Kürze
chenkante glatt abströmen. Eine gewisse
kontinuierliche Wirbelbildung gibt es dort zz Elastische Verformung eines Festkörpers
trotzdem, die der Übersichtlichkeit halber in Um einen Festkörper zu verformen, muss
der Zeichnung weggelassen wurde. man eine mechanische Spannung (Einheit:
Entscheidend ist, dass die Luft im Be­ Kraft durch Fläche) ausüben. Das führt zu
reich der Tragfläche jetzt nach unten abge­ einer Dehnung des Festkörpers. Ist dieser
lenkt wird. Der Rückstoß treibt das Flug­ elastisch, gilt das Hooke-Gesetz: Spannung
zeug nach oben. Der nun vorhandenen und Dehnung sind einander proportional.
Auftriebskraft entsprechen die Druckver­ Dehnt man einen Körper zu stark, wird er
hältnisse an der Tragfläche. Ein gekrümmter plastisch, d. h. dauerhaft verformt, oder er
Stromlinienverlauf erfordert wie gesagt ein reißt.
Druckgefälle senkrecht zur Strömung, das
die Kraft zum Umlenken der Luft aufbringt. Mecha­ Dl Δl: Längenände­
An der Außenseite der Krümmung ist der nische rung [m]
l0
Dehnung l0: Anfangslänge [m]
Druck höher als an der Innenseite. Die
Oberseite der Tragfläche liegt an der Innen­ Mecha­ F σ: mechanische
nische s= Spannung
seite der Stromlinienkrümmung. Der Druck A
Span­ éNù
oben an der Tragfläche ist deshalb kleiner nung êë m 2 úû
als der umgebende Luftdruck. An der Un­
F: Kraft auf A [N]
terseite, die außen an der Krümmung liegt, A: Querschnittsflä­
ist der Druck höher. Das passt auch mit dem che [m2]
Bernoulli-Effekt zusammen, denn oberhalb
Hooke’­ Dl E: Elastizitätsmo­
der Tragfläche strömt die Luft schneller als sches s = E× dul é N ù
unterhalb: Das ergibt der Wirbel um die l0
Gesetz êë m 2 úû
Tragfläche. Weiter hinten hinter der Tragflä­
che und schon außerhalb der Zeichnungen
von . Abb. 3.44 krümmen sich die Strom­ zz Druck
linien wieder zurück nach oben in ihre alte Druck kann durch einen Stempel (Kolben)
Bahn vor der Tragfläche. Man kann also sa­ in einer Pumpe erzeugt werden, entsteht
gen, dass die Luft das Flugzeug „trägt“. aber auch durch das Eigengewicht der Flüs­
114 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

sigkeit (Schweredruck). Je tiefer man im tiefe bewirken etwa 1 bar Schweredruck. Be­
Wasser taucht, umso höher wird der Schwe­ merkenswerterweise hängt der Schweredruck
redruck. Für Wasser gilt: Je 10 m Wasser­ nicht von der Gefäßform ab.

Druck F
p= p: Druck é N = Pa,Pascal ù
A êë m 2 úû
3 10 Pa ≈ 1 bar = 760 mmHg.
5

F: Kraft [N]
A: Stempelfläche [m2]
Schweredruck p=ρ⋅g⋅h
é kg ù
ρ: Dichte der Flüssigkeit ê 3 ú
ëm û

émù
g: Fallbeschleunigung ê 2 ú
ës û
h: Tiefe unter Oberfläche [m]

zz Auftrieb Körper eine ähnliche Dichte wie die umge­


Schweredruck ist auch die Ursache für die bende Flüssigkeit, so kompensiert diese
Auftriebskraft, die auf alle Körper in einer Kraft fast die Gewichtskraft.
Flüssigkeit oder einem Gas wirkt. Hat der
Auftriebskraft F = VK ⋅ ρfl ⋅ g F: Auftriebskraft [N]
(gleich dem Gewicht der verdrängten Flüssig­ VK: verdrängtes Volumen [m3]
keit)
ρfl: Dichte der Flüssigkeit é kg ù
êë m3 úû

émù
g: Fallbeschleunigung ê 2 ú
ës û

zz Strömung dünner, so erhöht sich dort die Strömungsge­


Soll eine Flüssigkeit durch ein Rohr strömen, schwindigkeit (Flüssigkeiten sind praktisch
so muss sie mit einer Druckdifferenz Δp zwi­ inkompressibel) und zugleich sinkt dort der
schen den Rohrenden durch das Rohr ge­ Druck (hydrodynamisches Paradoxon). Über­
drückt werden. Dies liegt an der inneren Rei­ schreitet die Strö­mungsgeschwindigkeit eine
bung in der Flüssigkeit, die ihr eine Zähigkeit bestimmte Grenze, wird die Strömung turbu­
η verleiht. Es gelten ähnliche Beziehungen wie lent und der Strömungswiderstand steigt stark
im elektrischen Stromkreis. Wird ein Rohr an.

Volumenstromstärke DV 3
I= I: Volumenstromstärke éê m ùú
Dt
ë s û
Gesetz von Hagen-­ l: Rohrlänge [m]
p × r 4 × Dp
Poiseuille I= r: Rohrradius [m]
8 ×h × l
(laminare Strömung
é Ns ù
durch ein Rohr) oder η: Viskosität ê 2 ú
ëm û
8 × l ×h Δp: Druckdifferenz [Pa]
Dp = × vm
r2 vm: mittlere Strömungsgeschwindigkeit
3.7 · Fragen und Übungen
115 3

Strömungswiderstand Dp R: Strömungswiderstand
R=
I é Ns ù
êë m5 úû

Für Strömungswiderstände gelten die gleichen Regeln wie für elektrische:


Addition bei Reihenschaltung, Addition der Kehrwerte bei Parallelschaltung
Gesetz von Bernoulli Gesamtdruck gleich statischer Druck plus Staudruck

1 pges: Gesamtdruck [Pa]


pges = p0 + r × v2 p0: statischer Druck [Pa]
2
ρ: Dichte é kg ù
êë m3 úû
v: Strömungsgeschwindigkeit [m/s]

zz Oberflächen und Grenzflächen küle zusammen. Man spricht von Kohäsion.


An der Oberfläche einer Flüssigkeit werden Auch zwischen einer Flüssigkeit und der
die Moleküle nach innen gezogen. Deshalb Gefäßwand bestehen anziehende Kräfte
bedarf es mechanischer Arbeit und damit (Adhäsion). Ist die Adhäsion stärker als die
Energie, die Oberfläche einer Flüssigkeit zu Kohäsion, so wird die Gefäßwand benetzt
vergrößern. Ein Maß hierfür ist die Oberflä­ und es kann z. B. zur Kapillarwirkung kom­
chenspannung σ (Energie pro Fläche). Auch men. Ist die Kohäsion stärker, so benetzt die
im Inneren der Flüssigkeit halten die Mole­ Flüssigkeit nicht.

Kohäsion Kräfte zwischen den Molekülen der Flüssigkeit


Adhäsion Kräfte zwischen Flüssigkeit und Wand
Oberflächenspannung WA é J ù
s= σ: Oberflächenspannung ê 2 ú
A ëm û
WA: Oberflächenenergie [J]
A: Oberfläche [m2]

3.7 Fragen und Übungen größerer Tiefe befindet. Ist die Auftriebs­
kraft bei A und B gleich?
3.7.1 Verständnisfragen 3.4 Zwei identische Gläser sind bis zur
gleichen Höhe mit Wasser gefüllt. Ein Glas
3.1 Warum sind die größeren Knochen röh­ enthält Eiswürfel, die im Wasser schwim­
renförmig? men. Welches Glas wiegt mehr? Wenn nun
3.2 Die horizontale Querschnittsfläche die Eiswürfel schmelzen, in welchem Glas
Ihres Kopfes sei 100 cm2. Wie groß ist das steht dann der Wasserspiegel höher?
Gewicht der Luft über Ihrem Kopf ? 3.5 Stellen Sie sich einen Gegenstand
3.3 Stellen Sie sich vor, Sie halten zwei vor, der in einem Wasserbehälter schwimmt.
identische Ziegelsteine unter Wasser. Ziegel­ Ändert sich seine Position, wenn der Behäl­
stein A befindet sich genau unter der Was­ ter in einem Fahrstuhl platziert wird, der
seroberfläche, während sich Ziegelstein B in nach oben beschleunigt?
116 Kapitel 3 · Mechanik deformierbarer Körper

3.6 Kleine Seifenblasen sind immer ex­ 3.7 ⧫⧫ Ein Eimer Wasser wird mit
akt rund. Große Seifenblasen können durch 3,5-­
facher Fallbeschleunigung nach oben
Wind oder Anpusten verformt werden. beschleunigt. Wie groß ist die Auftriebskraft
­Warum? auf einen 3-kg-Granitstein? Wird er schwim­
3.7 Wenn man in die Seite eines mit Was­ men? Die Dichte von Granit ist 2,7 g/cm3.
ser gefüllten Behälters ein Loch sticht, dann
3 fließt Wasser heraus und folgt einer parabo­ zz Oberflächenspannung
lischen Bahn. Was geschieht mit dem Was­ 3.8 ⧫⧫ Ein Aluminiumring (50 mm Durch­
serstrom, wenn man den Behälter im freien messer, Masse 3,1 g) wird entsprechend
Fall fallen lässt? . Abb. 3.30 in Wasser getaucht und lang­
3.8 Der Wasserstrahl aus einem Wasser­ sam herausgezogen. In dem Moment, wenn
hahn wird nach unten hin dünner der Wasserfilm reißt, zeigt die Waage 53 mN
(. Abb. 3.34). Warum? an. Wie groß ist die Oberflächenspannung
3.9 Rauch steigt in einem Schornstein des Wassers?
schneller auf, wenn Wind über den Schorn­ 3.9 ⧫⧫ Wenn die „Füße“ eines Insekts
stein weht. Warum? einen Radius von 0,03 mm haben und das
Insekt 0,016 g wiegt, würden Sie erwarten,
dass es mit seinen sechs Beinen (wie ein
3.7.2 Übungsaufgaben Wasserläufer) auf der Wasseroberfläche ste­
hen kann?
(⧫ leicht; ⧫⧫ mittel; ⧫⧫⧫ schwer)
zz Strömung
zz Elastizität 3.10 ⧫ Wie ist der Strömungswiderstand ei­
3.1 ⧫ Ein Stahldraht mit einer 1 cm2 Quer­ nes Rohres definiert?
schnittsfläche wird mit einer Kraft von 1 kN 3.11 ⧫ Wie erhöht sich die Volumen­
gedehnt. Welche Zugspannung in der Ein­ stromstärke einer laminar strömenden Flüs­
heit N/m2 herrscht im Draht? sigkeit in einem Rohr, wenn man den Radius
3.2 ⧫ Wie groß ist der Elastizitätsmodul verdoppelt?
des Kupfers? Siehe dazu . Abb. 3.4. 3.12 ⧫⧫⧫ Die mechanische Leistung P,
3.3 ⧫ Eine 1,6 m lange Klaviersaite aus die benötigt wird, um einen Volumenstrom I
Stahl habe einen Durchmesser von 0,2 cm. durch ein Rohr zu drücken, ist P = I · Δp.
Wie groß ist die Zugkraft, wenn sich die Dabei ist Δp die Druckdifferenz zwischen
Saite beim Spannen um 3 mm dehnt? Der Rohranfang und -ende. Begründen Sie dies.
Elastizitätsmodul von Stahl sei 2 · 1011 N/ 3.13 ⧫⧫ Welche mittlere mechanische
m2. Leistung muss das Herz eines Menschen er­
bringen, wenn es bei 174 hPa Druck am
zz Druck und Auftrieb Auslauf (Aorta) eine mittlere Blutstrom­
3.4 ⧫⧫ In einer Injektionsspritze muss man stärke von 6 l/min aufrechterhalten soll?
den Kolben 15 mm vorschieben, um 1 ml zu Das Blut tritt ohne nennenswerten Druck in
injizieren. Der Arzt drückt mit 15 N auf den das Herz ein.
Kolben. Mit welchem Druck wird injiziert? 3.14 ⧫⧫ Wie hoch stehen die Flüssig­
3.5 ⧫⧫ Wie groß ist der Gesamtdruck in keitssäulen in den Röhrchen (. Abb. 3.45),
1 m Wassertiefe? wenn eine zähe Flüssigkeit das untere Rohr
3.6 ⧫ Die Dichte von Eis beträgt 917 kg/ von links nach rechts durchströmt?
m3, die von Seewasser 1,025 kg/m3. Wie viel 3.15 ⧫⧫⧫ Wasser fließe mit 0,65 m/s durch
Prozent des Volumens eines Eisbergs ragen einen Schlauch mit dem Innendurchmesser
aus dem Wasser? 3 cm. Der Durchmesser einer Düse am Ende
3.7 · Fragen und Übungen
117 3
des Schlauchs betrage 0,3 cm. Mit welcher
Geschwindigkeit tritt das Wasser aus der
Düse aus? Die Pumpe auf der einen Seite
und die Düse auf der anderen Seite des
Schlauchs befinden sich auf gleicher Höhe,
der Strom wird also nicht durch einen Schwe­
redruck unterstützt. An der Ausgangsseite
der Düse herrsche Atmosphärendruck. Wel­
chen Druck muss die Pumpe erzeugen (rei­
..      Abb. 3.45 Zu Frage 3.14 bungsfreie Strömung angenommen)?
119 4

Mechanische Schwingungen
und Wellen
Inhaltsverzeichnis

4.1 Mechanische Schwingungen – 120


4.1.1  lles, was schwingt – 120
A
4.1.2 Harmonische Schwingungen ! – 120
4.1.3 Gedämpfte Schwingungen – 124
4.1.4 Erzwungene Schwingungen – 125
4.1.5 Überlagerung von Schwingungen – 126

4.2 Wellen – 128


4.2.1  ellenarten – 128
W
4.2.2 Harmonische Seilwellen !! – 131
4.2.3 Intensität und Energieübertragung ! – 133
4.2.4 Stehende Wellen – 134
4.2.5 Schallwellen ! – 136
4.2.6 Schallwahrnehmung !! – 138
4.2.7 Doppler-Effekt – 141

4.3 In Kürze – 144

4.4 Fragen und Übungen – 146


4.4.1  erständnisfragen – 146
V
4.4.2 Übungsaufgaben – 146

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial,


das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_4. Die
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U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_4
120 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

Der Mensch informiert sich über den mo­ Wenn ein Pendel schwingt, kommt es in
mentanen Zustand seiner Umwelt mithilfe regelmäßigen Zeitabständen an seiner Ru­
seiner fünf Sinne. Die beiden bestentwickel­ helage vorbei. Die Bewegung wiederholt
ten Sinne benutzen zur Informationsüber­ sich periodisch, die Zeitabstände der Wie­
tragung Wellen: der Gesichtssinn die elek­ derholung heißen Periode der Schwingung.
tromagnetischen des Lichts, das Gehör die Uhren werden auf Konstanz dieser Zeitab­
mechanischen des Schalls. Wellen transpor­ stände hin getrimmt, mit beachtlichem Er­
tieren Energie, aber keine Materie. Ein Emp­ folg. Eine Armbanduhr, die am Tag um
4 fänger nimmt diese Energie auf und beginnt nicht mehr als eine Zehntelsekunde falsch
dann zu schwingen. geht, ist gar nicht mal so sehr gut. Aber sie
hält ihren relativen Fehler bei ≈ 10−6. Ein
1 m langer Zollstock müsste bei gleicher
4.1 Mechanische Schwingungen Präzision auf ein Tausendstelmillimeter
(1 μm) genau sein.
4.1.1 Alles, was schwingt

Das Pendel einer alten Standuhr kann 4.1.2 Harmonische


schwingen, eine Klaviersaite auch; beide Schwingungen !
sind dafür gebaut. Ein Dachziegel ist das
nicht. Trotzdem kann er sich lockern und, Ein besonders einfach zu verstehendes
wenn er im Wind klappert, eine Art von schwingungsfähiges Gebilde in der Mecha­
Schwingung ausführen. Die Vielfalt all des­ nik ist das Federpendel (. Abb. 4.1a). Es
sen, was da schwingen kann, ob es das nun besitzt einen Klotz mit der Masse m, der
soll oder nicht, ist so groß, dass man bei all­ längs einer Schiene (etwa nach Art des Luft­
gemeinen Betrachtungen gern auf die farb­ kissenfahrzeugs der . Abb. 2.47 von
lose Bezeichnung schwingungsfähiges Ge­ 7 Abschn. 2.3.1) „reibungsfrei“ streng ho­
bilde oder Oszillator ausweicht. rizontal gleiten kann, dies aber zunächst
Das Pendel der Standuhr kann man nicht tut, weil er von einer Schraubenfeder
schwingen sehen. Quarzuhren und Compu­ in seiner Ruhestellung x = 0 gehalten wird.
ter bekommen ihren Takt von einem kleinen Dort kann er bleiben, kräftefrei, denn die
schwingenden Quarzkristall vorgegeben. Der Feder ist entspannt und die Gewichtskraft
ist gut verbaut und nicht zu sehen. Aber nicht wird von der Schiene aufgefangen.
nur Gegenstände können schwingen, son­ Um das Pendel in Gang zu setzen, kann
dern auch z. B. der Luftdruck in einer Schall­ man den Klotz per Hand zur Seite ziehen
welle oder das elektromagnetische Feld in ei­ (. Abb. 4.1b), ihm also eine Auslenkung x
ner Lichtwelle. Die Physik der Schwingungen (hier = A0) verpassen. Dabei spannt man die
kann durchaus kompliziert werden. Feder. Sie soll dem linearen Kraftgesetz
Ein schwingungsfähiges Gebilde kann (7 Abschn. 2.2.1) gehorchen, also entspre­
schwingen, muss aber nicht. Ein jedes be­ chend ihrer Federkonstanten D den Pendel­
sitzt eine Ruhelage, in der es beliebig lange körper mit der Kraft
verharrt, wenn es nicht gestört wird. Wird es
gestört, so muss es seine Ruhelage in F ( x) = –D × x
mindestens einer Richtung verlassen kön­
nen, meistens sind es aber zwei: rechts- in Richtung Ruhelage zurückziehen. Die
links, oben-unten, vorn-hinten, hoch-tief, Kraft bekommt ein negatives Vorzeichen,
stärker-schwächer, hin und zurück. Man­ da sie immer entgegen der Auslenkung x
chen Pendeln sind noch mehr Richtungen wirkt: Sie ist eine rücktreibende Kraft.
erlaubt. Lässt man den Klotz bei der Auslenkung A0
4.1 · Mechanische Schwingungen
121 4

..      Abb. 4.2 Harmonischen Schwingung mit der Amp­


litude A0 der Auslenkung x(t) und der Schwingungs­
dauer T

helage x = 0 erreicht. Dort bleibt er aber


nicht stehen, sondern läuft, für den Moment
kräftefrei, mit momentan konstanter Ge­
schwindigkeit weiter nach links, als Folge
seiner Trägheit (. Abb. 4.1c). Von da ab
wird die Schraubenfeder gestaucht, x und F
wechseln ihre Vorzeichen und die Kraft
bleibt, jetzt nach rechts gerichtet, rücktrei­
bende Kraft. Sie bremst den Pendelkörper
ab, bis er im linken Umkehrpunkt der
Schwingung, also bei –A0, momentan zur
Ruhe kommt (. Abb. 4.1d). Dort hat die
Kraft ihren (momentanen) Höchstwert und
beschleunigt den Pendelkörper, jetzt nach
rechts. Wieder durchläuft er kräftefrei die
Ruhelage (. Abb. 4.1e), jetzt weiter nach
rechts, und dehnt die Feder, bis deren rück­
treibende Kraft ihn im rechten Umkehr­
punkt bei +A0 momentan zur Ruhe bringt
(. Abb. 4.1f). Eine Schwingungsdauer T ist
..      Abb. 4.1 (Video 4.1) Federpendel; Ablauf einer abgelaufen. Von nun ab wiederholt sich der
Schwingungsdauer (https://doi.org/10.1007/000-­081)
ganze Vorgang periodisch, d. h. in immer
gleicher Weise in immer gleichen Zeitspan­
los, so verlangt die Grundgleichung der nen.
Mechanik, also das 2. Newton’sche Gesetz Diese Bewegung der Masse lässt sich mit
(7 Abschn. 2.3.1), dass sich der Klotz einer Sinusfunktion beschreiben (. Abb.
nach links in Bewegung setzt, und zwar mit 4.2):
der Beschleunigung
æ 2p ö
x ( t ) = A0 × sin ç × t + j0 ÷
F ( A0 ) A0 × D èT ø
a0 = =- . = A0 × sin (w × t + j0 )
m m

Folge: Die Auslenkung x wird kleiner, der Man könnte auch die Kosinusfunktion neh­
Betrag der rücktreibenden Kraft F(x) auch. men. Eine solche Bewegung, die durch Ko­
Aber die nach links gerichtete Geschwindig­ sinus oder Sinus beschrieben wird, nennt
keit v(t) wird größer, bis der Klotz seine Ru­ man harmonische Schwingung.
122 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

>>Merke >>Merke
Die Winkelfunktionen Sinus und Kosi­ Kenngrößen der harmonischen Schwin­
nus beschreiben harmonische Schwin­ gung:
gungen. 55 Amplitude = Maximalausschlag
55 Schwingungsdauer T
Für die Schwingungsdauer T eines Pendels
55 Frequenz f = 1/T
ist es gleichgültig, ob man sie von Umkehr­
55 Kreisfrequenz ω = 2π · f
punkt zu Umkehrpunkt (auf der gleichen
Seite), von Nulldurchgang zu Nulldurch­
4 gang (in gleicher Richtung) oder von irgend­
Die Amplitude, mit der das Federpendel
schwingt, kann man offenbar frei wählen.
einer Auslenkung dazwischen zur nächsten Man startet die Bewegung eben mit einer
gleichen danach zählt. Den Kehrwert der mehr oder weniger starken Auslenkung.
Schwingungsdauer f = 1/T nennt man die Auch der Startpunkt der Schwingung, also
Frequenz der Schwingung. Sie gibt an, wie der Phasenwinkel, ist frei wählbar. Die
viele Perioden in einer Sekunde ablaufen Schwingungsdauer sucht sich das Pendel
und hat die SI-Einheit 1/s = s−1. Es ist üb­ aber selbst. Wie lange dauert nun eine
lich, diese Einheit Hertz zu nennen und mit Schwingungsdauer T? So viel kann man sich
Hz abzukürzen. denken: Je größer die Masse m des Pendel­
körpers, desto langsamer kommt sie in Bewe­
>>Merke gung und wieder heraus. In einer Formel für
Einheit der Frequenz: Hertz = Hz = 1/s. T wird man m über dem Bruchstrich erwar­
Da die Mathematiker der Sinusfunktion ten. Umgekehrt, je stärker die Feder, desto
schneller die Schwingung: In der Formel für
æ 2p ö
x ( t ) = A0 × sin ç × t + j0 ÷ T wird man die Federkonstante D unter dem
è T ø Bruchstrich vermuten. Dass freilich
= A0 × sin (w × t + j0 )
m
T = 2p ×
eine Periode von 2π gegeben haben, steht in D
der Klammer (im Argument) nicht einfach
die Frequenz vor der Zeitvariablen t, son­ herauskommt, kann man sich auf solche
dern Frequenz mal 2π: ω = 2π ∙ f; ω wird Weise nicht überlegen; dazu muss man rech­
Kreisfrequenz genannt. Dieser Name kommt nen.
daher, dass eine Kreisbewegung mit der Die Schwingungsgleichung
Winkelgeschwindigkeit ω, auf eine Bewe­ Definitionsgemäß ist beim Federpendel die Beschleu­
gungsrichtung projiziert, eine Schwingung nigung a gleich der 2. Ableitung d2x/dt2 der Auslen­
mit der Kreisfrequenz ω ergibt (. Abb. 1.17). kung nach der Zeit. Die Formel für die rücktreibende
Vor der Sinusfunktion steht die Ampli­ Kraft F = –D·x führt zusammen mit der Grundglei­
chung der Dynamik (2. Newton’sches Gesetz) auf die
tude A0. Sie entspricht gerade der maxi­ Gleichung:
malen Auslenkung aus der Ruhelage
x = 0, denn die Sinusfunktion nimmt ma­ d2 x F D
= = - × x (t ).
ximal den Wert 1 an. In der Klammer dt 2 m m
steht noch der Phasenwinkel φ0, der be­
Eine Gleichung, die neben der Variablen (hier x) auch
stimmt, wo die Schwingung zur Zeit t = 0 einen ihrer Differenzialquotienten enthält, heißt Dif­
startet. Meistens interessiert dieser Pha­ ferenzialgleichung. Die Lösung einer solchen Glei­
senwinkel nicht. chung ist nicht einfach eine Zahl, sondern eine Funk­
4.1 · Mechanische Schwingungen
123 4
tion x(t). Diese Lösungsfunktion beschreibt eben
gerade die Bewegung des Pendels. Der Mathematiker
löst eine Differenzialgleichung mit Scharfsinn, Phan­
tasie und festen Regeln; der mathematische Laie, auch
der Physiker, schlägt die Lösung in entsprechenden
Büchern nach.
Im vorliegenden Fall geht es um die Schwingungs­
differenzialgleichung in ihrer einfachsten Form. Sie
wird durch eine Sinusfunktion x(t) = A0·sin(ω·t) ge­
löst. (Es darf auch der Kosinus sein und es darf auch
noch ein Phasenwinkel φ0 in der Klammer stehen.)
Davon überzeugt man sich durch Ableiten und Ein­
setzen. Es gilt:
Wenn
x ( t ) = A0 × sin (w × t ) ,
dann

dx ( t )
= v ( t ) = A0 × w × cos (w × t )
dt

und

d2 x (t )
= a ( t ) = - A0 × w 2 × sin (w × t ) = -w 2 × x ( t ) .
dt 2 
..      Abb. 4.3 Fadenpendel. Die Gewichtskraft FG
Den Faktor ω bei jeder Ableitung schleppt die Ketten­ kann in zwei zueinander senkrechte Komponenten
regel der Differenziation herein. In der letzten Glei­ zerlegt werden, von denen die eine ( F ) rücktreibend
chung muss nun nur noch ω2 = D/m gesetzt werden wirkt und die andere vom Faden aufgefangen wird.
und die Schwingungsdifferenzialgleichung steht da. Bei kleinen Ausschlägen kann sin α = α gesetzt wer­
Also löst die Sinusfunktion die Differenzialgleichung den. Dann schwingt das Pendel harmonisch mit der
wenn Schwingungsdauer T = 2p × l / g . Siehe Auch Video
zu . Abb. 4.1
2p D
w= = w0 =
T m
Bei sehr kleinen Winkeln macht das freilich
gesetzt wird. ω0 nennt man Eigenkreisfrequenz oder nichts aus; sin(4,4°) = 0,076719 ist gegen­
charakteristische Kreisfrequenz des Pendels. über 4,4° im Bogenmaß (= 0,076794) erst
um ein Promille zurückgeblieben, da darf
Das Federpendel schwingt gemäß einer Si­ man noch sin α = α setzen, vorausgesetzt,
nusfunktion, also harmonisch, weil die man drückt den Winkel α in Bogenmaß aus
rücktreibende Kraft proportional zur Aus­ (. Abb. 1.15). Für kleine Winkel schwingt
lenkung ist. Ohne diese Proportionalität das Fadenpendel doch fast harmonisch und
funktioniert die ganze Rechnung nicht. Eine eine Rechnung entsprechend der obigen lie­
Schwingung kann immer noch herauskom­ fert:
men, aber keine harmonische.
Eben deswegen ist das technisch so ein­ g
w0 = .
fache Fadenpendel, also ein mit langem Fa­ l
den aufgehängter Stein, genau betrachtet,
kein harmonisch schwingendes Gebilde. Bemerkenswerterweise hängt die Kreisfre­
Das Fadenpendel zweigt seine rücktreibende quenz also nur von der Pendellänge l und
Kraft F von der Gewichtskraft FG der Pen­ der Fallbeschleunigung g ab, aber nicht von
delmasse ab und da besteht keine Proportio­ der Masse m.
nalität zum Auslenkwinkel α, sondern zu Experimentell kann man sich leicht über­
dessen Winkelfunktion sin α (. Abb. 4.3). zeugen, dass die Schwingungsdauer bei gro­
124 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

ßen Auslenkungswinkeln aber auch noch folglich spielt die Richtung der Geschwin­
von der Amplitude abhängt. Dies ist ein un­ digkeit keine Rolle. In den Umkehrpunkten
trügliches Zeichen für eine nichtharmoni­ ist der Pendelkörper momentan in Ruhe:
sche Schwingung, denn bei der Sinusfunk­ Wkin = 0. Folglich muss die Feder die Schwin­
tion sind Amplitude und Frequenz völlig gungsenergie allein tragen. Das kann sie
unabhängig voneinander. auch, denn sie ist ja mit der Amplitude ±A0
maximal gedehnt oder gestaucht. A0 geht
quadratisch in Wpot ein, folglich spielt das
Rechenbeispiel 4.1: Fahrwerksfeder
4 Aufgabe. Eine vierköpfige Familie mit
Vorzeichen keine Rolle. Für die vier genann­
ten Positionen darf man also schreiben:
200 kg Gesamtmasse steigt ins Auto mit
1200 kg Masse. Das Auto senkt sich um m 2 D 2
3 cm. Wie groß ist die Federkonstante Schwingungsenergie Ws0 = × v0 = A0 .
2 2
der vier Fahrwerksfedern zusammenge­
nommen? Mit welcher Frequenz beginnt Eine harmonische Schwingung erreicht im­
das Auto zu schwingen, wenn es durch mer wieder die gleiche Amplitude A0; dem­
ein Schlagloch fährt? nach hat die Schwingungsenergie Ws zumin­
Lösung. Die zusätzlich Gewichtskraft dest alle halbe Schwingungsdauer den
beträgt 200 kg·9,81 m/s2 = 1962 N. Die genannten Wert. Da darf man erwarten,
Federkonstante ist also: dass es zwischendurch nicht anders ist und
1962 N sich Wpot und Wkin bei jeder momentanen
D= = 6, 54 × 104 N / m.
3 × 10-2 m Auslenkung x(t) ständig zum gleichen Ws
Bei einer Gesamtmasse von 1400 kg ist addieren:
dann die Eigenfrequenz des Autos:
Ws = Wkin ( t ) + Wpot ( t )
1 D
f0 = = 1,1Hz. m D
2p m = × v 2 ( t ) + × x 2 ( t ) = konstant.
2 2

Mit anderen Worten:


4.1.3 Gedämpfte Schwingungen
>>Merke
Wie sieht es mit der mechanischen Energie Beim harmonisch schwingenden Oszilla­
bei einer Schwingung aus? Wenn eine tor wechselt die volle Schwingungsener­
Masse m sich mit der Geschwindigkeit v be­ gie ständig zwischen der potenziellen
wegt, besitzt sie die kinetische Energie Energie der Feder und der kinetischen
Wkin = ½m · v2. Wenn eine Feder mit der Fe­ Energie des Pendelkörpers hin und her.
derkonstanten D um das Stück x gedehnt
oder gestaucht wird, ändert sich die poten­ Die harmonische Schwingung hält ihre Am­
zielle Energie um Wpot = ½D · x2. Folglich plitude A = A0, der harmonische Oszillator
besitzt ein Federpendel eine Schwingungs­ seine Schwingungsenergie Ws eisern kon­
energie Ws, die sich irgendwie aus Wkin und stant, auf immer und ewig. Das ist graue
Wpot zusammensetzt. Wie? Theorie. In Wirklichkeit schwingt ein Pendel
Beim Nulldurchgang ist die Feder mo­ aus: Jede folgende Amplitude bleibt um ein
mentan entspannt: Wpot = 0. Folglich muss Stückchen ΔA kleiner als die vorhergehende,
der Pendelkörper die Schwingungsenergie die Schwingung ist gedämpft und verliert
allein tragen. Das kann er auch, denn er be­ Schwingungsenergie. Das darf man so sa­
wegt sich ja mit seiner Höchstgeschwindig­ gen, obwohl Energie als solche selbstver­
keit ±v0. Die geht quadratisch in Wkin ein, ständlich nicht kleiner wird. Das verbietet
4.1 · Mechanische Schwingungen
125 4
der Energiesatz. Es wird lediglich Schwin­ vor allem die Instrumentenbauer bemühen.
gungsenergie in eine andere Energieform Eine Waage soll ihren Messwert ja möglichst
umgewandelt, üblicherweise in Wärme. Un­ rasch anzeigen und nicht lange um ihn her­
ter bestimmten Bedingungen bleibt der umpendeln. Die Instrumente im Armatu­
Quotient ΔA/A von Schwingung zu Schwin­ renbrett des Autos müssen grobe Erschütte­
gung konstant. Dann fallen die Amplitude rungen ertragen. Darum dämpft man sie bis
A(t) und die Schwingungsenergie Ws(t) ex­ in den sog. Kriechfall, in dem sie nur betont
ponentiell mit der Zeit ab, und zwar A mit langsam auf den Messwert zumarschieren.
der Dämpfungskonstanten –δ: Die . Abb. 6.84 im Elektrizitätskapitel
zeigt die Fälle im Überblick.
A ( t ) = A0 × e -d ×t Ein Kind, zum ersten Mal auf eine
Schaukel gesetzt, muss angestoßen wer­
und Ws, weil dem Amplitudenquadrat pro­ den und nach wenigen Schwingungen wie­
portional, mit −2δ: der. Es lernt aber bald, die Schaukel durch
geschickte Bewegung des Oberkörpers
Ws ( t ) = Ws 0 × e -d ×t . und der Beine in Gang zu halten, also ver­
lorene Schwingungsenergie durch Mus­
. Abb. 4.4 zeigt eine in dieser Weise ge­ kelarbeit zu ersetzen, ohne im Geringsten
dämpfte Schwingung grafisch. Ihre Formel zu verstehen, wie das eigentlich funktio­
niert.
x ( t ) = A0 × e -d ×t × cos (w × t ) Die rhythmische Energiezufuhr muss
nicht gefühlsmäßig oder gar durch Nach­
benutzt zwar weiter die Winkelfunktion Ko­ denken besorgt werden, eine rein mecha­
sinus, um eine harmonische Schwingung nisch oder auch elektromechanisch vom
handelt es sich aber nicht mehr, nicht einmal Pendel selbst ausgelöste Selbststeuerung tut
um einen periodischen Vorgang. es auch, wie alle Uhren beweisen.
Mit wachsendem δ kommt das ge­
dämpfte Pendel immer schneller zum Still­
stand, bis es schließlich, ohne auch nur ein­ 4.1.4 Erzwungene Schwingungen
mal durch zu schwingen, auf schnellstem
Weg in die Ruhelage zurückkehrt. Das ist Die regelmäßige Energiezufuhr für eine
der sog. aperiodische Grenzfall, um den sich ungedämpfte Schwingung muss nicht vom
Pendel selbst ausgelöst werden, sie kann
auch von einem unabhängigen Erreger
ausgehen. Wird z. B. das linke Ende der
Pendelfeder in . Abb. 4.5 von irgendeiner
Mechanik periodisch hin- und hergezogen,
so schwingt der Pendelkörper auch jetzt
ungedämpft, allerdings nicht mit seiner
Eigenfrequenz f0, sondern mit der Fre­

..      Abb. 4.4 Gedämpfte Schwingung. Die rot gezeich­ ..      Abb. 4.5 Erzwungene Schwingung. Das linke Ende
nete Kurve läuft durch die Maximalausschläge der des Federpendels wird mit vorgebbarer Frequenz und
Schwingung und ist eine Exponentialfunktion Auslenkung sinusförmig hin- und herbewegt
126 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

quenz f des Erregers: Das Pendel führt eine chen Zeitpunkt: Sie schwingen in Phase,
erzwungene Schwingung aus. Dabei hat es ohne Phasenverschiebung also, d. h. mit
seine Eigenfrequenz freilich nicht verges­ dem Phasenwinkel φ = 0.
sen; zumeist schwingt es nämlich mit umso 55 Erhöht man die Frequenz des Erregers,
größerer Amplitude, je näher beieinander f so wächst im Allgemeinen die Amplitude
und f0 liegen. Nicht selten klappert ein al­ des Oszillators. Sie erreicht ihren Höchst­
tes Auto bei einer ganz bestimmten Ge­ wert etwa bei dessen Eigenfrequenz und
schwindigkeit besonders laut: Irgendein geht von da ab asymptotisch auf null zu­
4 Stück Blech hat sich gelockert, ist dadurch rück. Erreger und Pendel schwingen
schwingungsfähig geworden und gerät in schließlich in Gegenphase (φ = π).
Resonanz, wenn der Motor seine Eigenfre­ 55 In unglücklichen Fällen kann die Reso­
quenz erreicht. nanzamplitude so groß werden, dass der
Eine genauere Untersuchung erzwunge­ Oszillator dabei zu Bruch geht (Reso­
ner Schwingungen führt zu den Resonanz­ nanzkatastrophe).
kurven (. Abb. 4.6):
55 Bei kleinen Frequenzen folgt der Oszilla­ Letzterer hat Günter Grass mit seinem
tor dem Erreger unmittelbar, beide errei­ Blechtrommler Oskar Matzerath, der glä­
chen ihre Maximalausschläge zum glei­ serne Gegenstände aller Art „zersingen“
kann, zu literarischem Ruhm verholfen.
Physikalisch setzt die Resonanzkatastrophe
Oszillatoren mit extrem geringer Dämpfung
voraus. Bis in den Kriechfall hinein ge­
dämpfte Resonatoren sind zu einer Reso­
nanzüberhöhung über die Amplitude des
Erregers hinaus gar nicht fähig.

4.1.5 Überlagerung von


Schwingungen

Addiert man die momentanen Auslenkungen


mehrerer gleichzeitig ablaufender Schwin­
gungen, so spricht man von einer Überlage­
rung von Schwingungen. Rein mathematisch
geht es also um die Summe:

x ( t ) = åAn × sin (wn × t + jn ) .


n

Der Phasenwinkel φ schiebt die zugehörige


Teilschwingung in die richtige Position auf
..      Abb. 4.6 Resonanzkurven. Der Oszillator hat die
der Zeitachse. Am besten lässt man sich die
Eigenfrequenz f0 (sie ist zugleich Einheit der Abszisse). Summe von einem Computer nicht nur aus­
Einheit der Ordinate ist die Amplitude A0 der Aus­ rechnen, sondern gleich als Kurve auf den
lenkung bei kleinen Frequenzen. Mit stärkerer Dämp­ Bildschirm aufzeichnen. Dabei handelt es
fung nimmt die Resonanzüberhöhung ab und die Pha­ sich keineswegs um eine mathematische
senverschiebung zwischen Erreger und Resonator zu.
Das Maximum der Resonanzkurve verschiebt sich zu
Spielerei; die Überlagerung von Schwingun­
kleinen Frequenzen. Bei sehr starker Dämpfung (blau) gen hat durchaus praktische Bedeutung, wie
gibt es gar keine Resonanz mehr sich noch herausstellen wird.
4.1 · Mechanische Schwingungen
127 4
In besonders einfachen Fällen kann man Vorzeichen. Folglich ist die Summe zu
auch ohne Rechnung herausfinden, was bei jedem Zeitpunkt null; die Schwingungen
einer Überlagerung von Schwingungen he­ löschen sich gegenseitig aus: destruktive
rauskommen muss, etwa bei der Addition Interferenz (. Abb. 4.7a).
zweier Sinusschwingungen gleicher Ampli­ 55 Jeder andere Phasenwinkel führt zu ei­
tude und Frequenz, d. h. bei: nem Ergebnis zwischen diesen beiden
Grenzfällen; . Abb. 4.7c zeigt ein Bei­
x ( t ) = A0 {sin (w × t ) + sin (w × t + j )}. spiel.

Hier darf der Phasenwinkel φ auf keinen Bemerkenswert ist die Überlagerung zweier
Fall vergessen werden; er spielt eine ent­ Schwingungen von nicht genau, aber fast
scheidende Rolle: gleicher Frequenz: Sie führt zur Schwebung
55 Bei φ = 0 sind beide Schwingungen in (. Abb. 4.8). Verstärken sich die beiden
Phase, ihre Auslenkungen stimmen zu Schwingungen zu irgendeinem Zeitpunkt,
jedem Zeitpunkt nach Betrag und Vor­ weil sie gerade gleiche Phase haben, so wird
zeichen überein. Demnach ist auch die ein Weilchen später die eine Schwingung der
Summe mit beiden Schwingungen in anderen um genau eine halbe Schwingungs­
Phase, hat aber doppelte Amplitude dauer davongelaufen sein: Beide geraten in
(. Abb. 4.7b); man spricht von kon­ Gegenphase und löschen sich aus. Dieses
struktiver Interferenz. Spiel wiederholt sich regelmäßig und zwar
55 Bei φ = π = 180° befinden sich beide mit der halben Differenzfrequenz, der hal­
Schwingungen in Gegenphase; ihre Aus­ ben Differenz der beiden Einzelfrequenzen.
lenkungen stimmen nur noch im Betrag Etwas schwieriger zu übersehen ist die
überein, haben aber entgegengesetzte Überlagerung zweier Schwingungen im Fre­
quenzverhältnis 1:2. Auch hier hängt das

..      Abb. 4.7 a–c. Überlagerung zweier Schwingungen


mit gleicher Frequenz und Amplitude der Auslenkung.
a Auslöschung bei Gegenphase: destruktive Interfe­
renz; b Amplitudenverdopplung bei Überlagerung in ..      Abb. 4.8 Schwebung. Überlagerung zweier Schwin­
Phase: konstruktive Interferenz; c mittlere Amplitude gungen mit gleicher Auslenkungsamplitude und nahezu
und Phasenlage bei Fällen zwischen beiden Extremen gleichen Frequenzen
128 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

..      Abb. 4.10 (Video 4.2) Fourieranalyse. Auch die


Grenzkurve eines (geeigneten) Scherenschnittes kann
in Sinusschwingungen zerlegt werden (sofern man sich
..      Abb. 4.9 Überlagerung zweier Schwingungen glei­ diesen periodisch wiederholt vorstellt). Die Fou­
cher Auslenkungsamplitude im Frequenzverhältnis 1:2. rier-Analyse des gezeichneten Profils lautet:
Die Phasenbeziehung ist wesentlich. Animation im Web y = 0,9432 + 1,0402 sin(x – 1,02) + 0,1531 sin(2x –
1,89) + 1,2800 sin(3x – 3,09) + 0,1198 sin(4x –
1,24) + 1,1088 sin(5x – 1,39) + 0,0951 sin(6x –
Resultat wesentlich von der Phasenlage ab 1,06) + 1,0043 sin(7x – 2,96) + 0,0455
(. Abb. 4.9). Natürlich kann man auch sin(8x – 1,93) + 1,0324 sin(9x – 2,21) + 0,0105
mehr als zwei Schwingungen überlagern. sin(10x – 3,04) + 1,0302 sin(11x – 0,76) + 0,0112
Treibt man es weit genug, so kann man sin(12x – 1,20) + 1,0086 sin(13x – 2,63) + 0,0092
sin(14x – 1,36) + 1,0129 sin(15x – 2,79) + 0,0045
grundsätzlich jeden periodisch ablaufenden sin(16x – 1,65) + 1,0008 sin(17x – 2,87) + 0,0052
Vorgang, jede noch so komplizierte Schwin­ sin(18x – 0,46) + 1,0043 sin(19x – 0,52) + 0,0068
gungsform aus einzelnen Sinusschwingun­ sin(20x – 2,60) + 1,0007 sin(21x – 0,59) + 0,0053
gen zusammensetzen (Fourier-Synthese) sin(22x – 3,11) + 1,0044 sin(23x – 1,02) + 0,0029
oder in sie zerlegen (Fourier-Analyse). sin(24x – 0,71) + 1,0003 sin(25x – 2,67) (https://doi.
org/10.1007/000-080)
In mathematischer Strenge lässt sich be­
weisen: Die Frequenz f0, mit der sich ein be­
liebiger Vorgang periodisch wiederholt, er­ >>Merke
scheint in der Analyse als Frequenz der Nichtharmonische Schwingungen kön­
Grundschwingung. Ihr überlagern sich Ober­ nen als Überlagerung harmonischer
schwingungen, deren Frequenzen ganzzah­ Schwingungen aufgefasst werden.
lige Vielfache der Grundfrequenz f0 sind.
Über die Phasenwinkel dieser sog. Harmoni­
schen lässt sich Allgemeines nicht aussagen, 4.2 Wellen
sie hängen vom Einzelfall ab. Dies gilt auch
für die Amplituden, die allerdings normaler­ 4.2.1 Wellenarten
weise mit steigender Frequenz schließlich
einmal monoton gegen null gehen. So lässt Steckt man einen Finger ins Wasser
sich z. B. das Profil einer Frau, das man sich (. Abb. 4.12) und bewegt ihn periodisch
allerdings periodisch fortgesetzt denken auf und ab, so schwingt die Finger mit einer
muss, durch Überlagerung von Sinusfunktio­ bestimmten Frequenz und Amplitude. Das
nen synthetisieren (. Abb. 4.10 und 4.11). Wasser um den Finger herum macht etwas
4.2 · Wellen
129 4
Komplizierteres. Die Wasseroberfläche hebt derholt wird, entsteht eine kreisförmige
und senkt sich im Takt des Fingers, aber die­ periodische Welle.
ses Heben und Senken findet nicht nur di­ Diese Welle hat die gleiche Frequenz wie
rekt am Finger statt, sondern es breitet sich die Bewegung des Fingers. Die Amplitude,
aus. Wurde die Wasseroberfläche durch die also die Höhe der Hebung und Senkung der
Bewegung des Fingers gerade etwas angeho­ Wasseroberfläche, hängt von der Ampli­
ben, so breitet sich nun diese Anhebung tude des Fingers ab. Die Geschwindigkeit,
mehr oder weniger gleichmäßig in alle Rich­ mit der sich die Welle ausbreitet, hat aber
tungen mit einer bestimmten Geschwindig­ nichts mit dem Finger zu tun, sondern ist
keit aus. Da dieser Vorgang periodisch wie­ eine Eigenschaft der Wasseroberfläche. Auf
dem Foto sieht man eine räumlich periodi­
sche Struktur mit charakteristischer Länge,
den Abstand von Wellenberg zu Wellen­
berg. Dies ist die Wellenlänge λ der Welle.
Was genau breitet sich aus? Die Wasser­
moleküle bleiben im Wesentlichen am Ort.
Läuft die Welle an ihnen vorbei, so bewegen
sie sich auf Kreisbahnen (. Abb. 4.13).
Materie wird also nicht transportiert, aber
Energie. Findet am Meeresboden ein starkes
Erdbeben statt, so erzeugt dies eine riesige
Welle (Tsunami), die so viel kinetische Ener­
gie mit sich trägt, dass sie ganze Küstenland­
..      Abb. 4.11 Analyse und Synthese. Oben: Fourier-­ striche zerstören kann.
Analyse: Zeichnungen der ersten 26 Fourier-Glieder
des vorgegebenen Profils; unten: Fourier-Synthese: Die
Fourier-Glieder werden nacheinander von rechts nach >>Merke
links aufaddiert. (Computerrechnung und -zeichung Wellen transportieren Energie, aber
von W. Steinhoff). Siehe auch Video zu . Abb. 4.10 keine Materie.

..      Abb. 4.12 Wasserwelle. Der Finger wird auf und ab bewegt und erzeugt eine kreisförmige Wasserwelle
130 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

..      Abb. 4.13 Kreise. In einer Wasserwelle bewegen sich die Wassermoleküle auf Kreisbahnen

..      Abb. 4.14 Schallwelle. Periodische Dichteschwan­


kung in der Luft. Die Luftmoleküle schwingen beim
Durchlaufen der Welle in Ausbreitungsrichtung hin
und her

Wasserwellen kann man sehr gut sehen und


..      Abb. 4.15 Materiewelle. Auf einer Kristallober­
ihre Ausbreitung anschaulich studieren fläche sind Atome im Kreis angeordnet. Im Inneren
(7 Abschn. 7.1.3). Das gilt für die meisten des Kreises sieht man die stehende Materiewelle von
Wellen nicht. Wenn wir miteinander spre­ Oberflächenelektronen. Das verwendete Rastertunnel­
chen, senden und empfangen wir Schallwel­ mikroskop macht die Aufenthaltswahrscheinlichkeit
len. Das sind periodische Druck- und Dich­ von Elektronen und damit auch einzelne Atome sicht­
bar (Bildrechte: D. Eigler, IBM)
teschwankungen in der Luft (. Abb. 4.14).
Auch sie transportieren Energie, die das
Trommelfell im Ohr zu Schwingungen an­ men angeordnet. In seinem Inneren sieht
regt. Schallwellen sind gut hundertmal man ringförmige Wellen. Diese entsprechen
schneller als Wasserwellen. Wie schnell eine der Aufenthaltswahrscheinlichkeit von Lei­
Welle läuft, hängt vom Medium ab, in dem tungselektronen an der Kristalloberfläche.
sie sich ausbreitet. In der Quantenmechanik haben auch Teil­
Schallwellen und Wasserwellen sind me­ chen wie Elektronen Wellencharakter. Diese
chanische Wellen. Für unsere Sinneswahrneh­ quantenmechanischen Wellen beschreiben
mung auch ganz wichtig sind Lichtwellen. Das die Aufenthaltswahrscheinlichkeit an ver­
sind elektromagnetische Wellen, bei denen schiedenen Orten. In 7 Abschn. 7.6
nichts mechanisch schwingt, sondern elektri­ und 8.1.2 werden wir darauf zurückkom­
sche und magnetische Felder (. Abb. 7.3). men.
Das ist schon viel abstrakter und wird in Wellen aller Wellenarten werden durch
7 Kap. 6 und 7 erklärt. ihre Amplitude, Frequenz, Ausbreitungsge­
Vielleicht noch abstrakter ist die in schwindigkeit und Wellenlänge beschrieben
. Abb. 4.15 gezeigte Welle. Es handelt sich und folgen den gleichen mathematischen
um die Aufnahme einer Metallkristallober­ Regeln. Um diese kennenzulernen, betrach­
fläche mit einem Rastertunnelmikroskop. ten wir nun eine ebenfalls gut sichtbare me­
Auf der Oberfläche ist ein Kreis von Ato­ chanische Welle, die Seilwelle.
4.2 · Wellen
131 4
4.2.2 Harmonische Seilwellen !! Ruhelage. Auch so entsteht eine Welle im
Seil, eine longitudinale Welle (Auslenkung
Nehmen wir ein Seil oder einen Gummi­ in Ausbreitungsrichtung die Wellen). Die
schlauch, binden ein Ende irgendwo fest, Welle mit transversaler Auslenkung heißt
spannen es etwas, und lenken das andere transversale Wellen (Auslenkung senkrecht
Ende kurz seitlich aus, so läuft diese Auslen­ zur Ausbreitungsrichtung der Welle). Es
kung das Seil entlang zum angebundenen sind natürlich auch Mischformen denkbar.
Ende, wird dort reflektiert und kommt wie­ Die Wassermoleküle der Wasserwelle von
der zurück. Das ist eine rudimentäre Seil­ . Abb. 4.13 werden auf ihrer Kreisbahn
welle. Wie sie entsteht, versteht man am bes­ gleichzeitig transversale und longitudinal
ten, wenn man sich das Seil als Abfolge von ausgelenkt.
Federn und Massen vorstellt, wie in
. Abb. 4.16 dargestellt. >>Merke
Die Massen können ihre Ruhelage in 55 Longitudinale Welle: Oszillatoren
Richtung des Seils verlassen (. Abb. 4.17 schwin­gen in Ausbreitungsrichtung.
oben) oder senkrecht dazu (. Abb. 4.17 un- 55 Transversale Welle: Oszillatoren schwin­
ten). gen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung.
In beiden Fällen gibt es eine in die Ruhe­
Man spricht auch von longitudinaler
lage rücktreibende Kraft. Ist die Masse
oder transversaler Polarisation der Wel­
senkrecht zum Seil ausgelenkt (man nennt
len.
dies „transversale“ Auslenkung), so wird sie
von der Zugspannung im Seil zurückgezo­ Bleiben wir aber erst einmal bei der trans­
gen. Da die Masse aber träge ist, wird sie versalen Welle auf dem Seil. Lenken wir das
nicht nur bis zur Ruhelage zurücklaufen, eine Seilende periodisch seitlich aus, so ent­
sondern wie bei einer Schwingung darüber steht eine sinusförmige Welle mit Bergen
hinaus. So entsteht die Welle. Ist die Masse und Tälern. Das klappt allerdings nicht sehr
in Richtung des Seils ausgelenkt („longitu­ lange, denn wenn die Welle das festgebun­
dinale“ Auslenkung), so treibt sie die Feder­ den Ende erreicht, wird sie reflektiert und
kraft der benachbarten Federn wieder in die die rücklaufende Welle überlagert sich mit

..      Abb. 4.16 Modellbild eines Seils

..      Abb. 4.17 Longitudinale und transversale Welle. „Momentaufnahmen“


132 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

der einlaufenden Welle zu einer sog. stehen­ Auch in Richtung der Ortsvariablen x ist die
den Welle. Über stehende Wellen wollen wir Welle periodisch, und zwar mit der Perio­
aber erst in 7 Abschn. 4.2.4 reden und den­ denlänge λ. Wie wir in . Abb. 4.18 sehen,
ken uns das Seil deshalb zunächst sehr lang. schreitet die Welle in einer Periodedauer T
Die das Seil entlanglaufende Welle wird ma­ gerade um eine Periodenlänge λ in positiver
thematisch durch folgende Formel beschrie­ x-Richtung fort. Daraus ergibt sich die Ge­
ben: schwindigkeit der Welle:
æ 2p ö
4 u ( x,t ) = u0 × sin ç w × t - × x ÷. l
è l ø c= 
= l × f = WellenlangemalFrequenz.
T
Mit u bezeichnen wir die Auslenkung aus
Das ist die wichtigste Grundformel für Wel­
der Ruhelage und mit u0 die Amplituden.
len.
Die Auslenkung ist hier eine Funktion von
zwei Variablen: von der Zeit t und vom Ort x
auf dem Seil. Eine solche Funktion mit >>Merke
zwei Variablen können wir z. B. wie in Ausbreitungsgeschwindigkeit = Wellen­
. Abb. 4.18 darstellen, indem wir die Aus­ länge mal Frequenz c = λ · f.
lenkung als Funktion des Ortes untereinan­ Die Ausbreitungsgeschwindigkeit c der
der für verschiedene Zeiten zeichnen. Welle auf dem Seil wird durch die Eigen­
ω ist die uns bekannte Kreisfrequenz schaften des Seils bestimmt und durch ihre
und T die zugehörige Periodendauer: Polarisation.
Es gibt auch Medien, bei denen die oben
2 ×p
w= . beschriebene Ausbreitungsgeschwindigkeit
T noch von der Frequenz bzw. der Wellen­
länge abhängt. Das ist z. B. bei einer Wasser­
welle der Fall. Man spricht dann von Dis­
persion. Diese wird in der Optik noch sehr
wichtig, denn auch bei Lichtwellen in Glas
tritt diese Wellenlängenabhängigkeit der
Ausbreitungsgeschwindigkeit auf. Dort wie
bei Wasser nimmt die Ausbreitungsge­
schwindigkeit mit steigender Frequenz (sin­
kender Wellenlänge) ab.

Rechenbeispiel 4.2: Was für eine Welle?


Aufgabe. Welche Ausbreitungsgeschwin­
digkeit hat eine Welle mit der Frequenz
1010 Hz und 3 cm Wellenlänge?
Lösung. c = λ · f = 3 · 108 m/s. Das ist
eine ziemlich hohe Geschwindigkeit, tat­
sächlich die höchste, die es gibt: die von
Licht im Vakuum. Es handelt sich wohl
..      Abb. 4.18 (Video 4.3) Welle. Sie läuft in der
Schwingungsdauer T um eine Wellenlänge λ weiter:
um eine elektromagnetische Mikrowelle
Fortpflanzungsgeschwindigkeit c = λ · f (https://doi. (7 Abschn. 7.1).
org/10.1007/000-07z)
4.2 · Wellen
133 4
4.2.3 Intensität und
Energieübertragung !

Ein ganz wichtiger Aspekt von Wellen ist,


dass sie Energie übertragen. Bei einer Seil­
welle lässt sich dies einfach durch eine Leis­
tung, also Energie pro Zeit, beschreiben: An
einer bestimmten Stelle auf dem Seil läuft in
einer gewissen Zeit eine gewisse Energie vor­
bei. Schwieriger wird das, wenn wir es mit
einer Welle auf einer Oberfläche (Wasser­
wellen) oder im Raum (Schallwellen) zu tun
haben. Deren Form müssen wir erst einmal
klar beschreiben. Das tut man mit sog. Pha­
senflächen. Das sind Flächen im Raum, auf
denen die Phase der Welle konstant ist. Als
Phase bezeichnet man das, was im Argu­
ment der Sinusfunktion steht:

æ 2p ö
u( x, t ) = u0 × sin ç w × t - × x + j0 ÷ .
èlø
Phase

. Abb. 4.19 zeigt solche Phasenflächen für


spezielle dreidimensionale Wellen.
Am besten stellt man sich die Flächen als
Position der Wellenberge vor. Die einfachste
Struktur hat eine ebene Welle, bei der die
Phasenflächen Ebenen sind (. Abb. 4.19
oben). Die Ausbreitungsrichtung der Welle
ist überall im Raum gleich und steht überall
senkrecht auf den Phasenflächen. Dass die
Ausbreitungsrichtung an jedem Ort senk­
recht auf der Phasenfläche steht, ist auch bei
den anderen abgebildeten Wellenformen so
und gilt fast immer für alle Wellenformen.
Die Energieübertragung in einer solchen
Welle beschreibt man mit einer Art Dichte.
Wir stellen uns vor, dass wir ein kleines Flä­
chenstück senkrecht zur Ausbreitungsrich­
tung in die Welle hineinstellen. Wir fragen ..      Abb. 4.19 Phasenflächen für eine ebene Welle, eine
nun, wie viel Energie pro Sekunde durch Kugelwelle und eine Zylinderwelle
dieses Flächenstück tritt. Das hängt natür­
lich vom Flächeninhalt des Flächenstücks Welle beschreibt, indem wir die Energie E
ab. Deshalb bekommen wir eine Größe, die durch den Flächeninhalt A und die Zeit t tei­
uns die Stärke der Energieübertragung der len:
134 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

E J W beschreiben. Das wird in 7 Abschn. 7.3.1


I= ; Einheit : 1 2 = 1 2 . besprochen.
A×t m ×s m

Diese Größe I wird präzise mit Energiefluss- Rechenbeispiel 4.3: Erdbebenstärke


dichte bezeichnet, viel häufiger aber mit In- Aufgabe. Die Intensität einer Erdbeben­
tensität. welle 100 km von der punktförmigen
Quelle entfernt sei I1 = 1, 0 ⋅ 106W/m2.
>>Merke
4 Energie
Wie hoch ist sie 400 km von der Quelle
entfernt?

Intensitateiner Welle = ;
 × Zeit
Flache Lösung. Die Intensität sinkt mit eins
durch Abstand ins Quadrat, also:
W
Einheit : 1 . 100 km
m2 I2 = × 106 W / m 2 = 6, 2 × 104 W / m 2 .
400 km
Bei der ebenen Welle ist die Intensität über­
all gleich und verändert sich auch nicht mit
Fortschreiten der Welle, es sei denn, das Me­
4.2.4 Stehende Wellen
dium, in dem sich die Welle ausbreitet, ab­
sorbiert einen Teil der Energie. Anders ist
Bei der Besprechung der Seilwellen wurde es
dies bei der Kugelwelle (. Abb. 4.19 Mitte),
schon erwähnt: Läuft die Welle gegen das
die von einem Punkt gleichmäßig in alle
festgebundene Ende des Seils, so wird sie re­
Richtungen ausgeht. Die Punktquelle sen­
flektiert. Einlaufende und reflektierte Welle
det mit einer gewissen Leistung, die sich mit
überlagern sich dann zu einer sog. stehenden
zunehmendem Abstand auf zunehmend
Welle. . Abb. 4.20 will das verdeutlichen.
größere Phasenflächen verteilt. Die Intensi­
Die Summen der beiden gegenläufigen
tät nimmt also in dem Maße ab, in dem der
Wellen sind rot gezeichnet. An manchen
Flächeninhalt der Phasenflächen zunimmt.
Stellen bleibt das Seil ständig in Ruhe, sie
Die Oberfläche einer Kugel wächst mit dem
liegen in Schwingungsknoten; andere Stellen
Radius r ins Quadrat, die Intensität sinkt
sind in maximaler Bewegung, sie liegen in
also mit eins durch den Radius ins Quadrat:
Schwingungsbäuchen. Der Abstand zwi­
1 schen benachbarten Knoten oder Bäuchen
I~ .
r2 beträgt eine halbe Wellenlänge, der zwischen
Knoten und Bauch eine Viertelwellenlänge.
Man nennt dies quadratisches Abstandsge­
Diese Schwingungsstruktur bleibt ortssta­
setz für die Intensität von Wellen, die von
bil, deshalb der Name „stehende“ Welle.
Punktquellen ausgehen. Man kennt dies aus
dem Alltag vom Licht einer Lampe, das mit
>>Merke
zunehmendem Abstand schwächer wird,
Zwei gegenläufige Wellen gleicher Amp­
oder von der Stimme eines Sprechers, die
litude und Frequenz liefern eine stehende
mit zunehmendem Abstand leiser wird.
Welle mit ortsfesten Schwingungsbäu­
Auch bei der von einer Linienquelle ausge­
chen und -knoten.
henden zylinderförmigen Welle (. Abb. 4.19
unten) nimmt die Intensität mit dem Ab­ Edelste Form der Musikerzeugung ist für
stand r von der Quelle ab, hier aber nur pro­ viele die mit der Geige. Ihre Saiten schwin­
portional zu 1/r. gen in der Form stehender Seilwellen. Da
Insbesondere in der Lichtmesstechnik eine Saite an beiden Enden fest eingespannt
gibt es noch andere Größen, die die Energie­ ist, müssen dort Schwingungsknoten lie­
übertragung und die Helligkeit einer Welle gen. Sie haben den Abstand einer halben
4.2 · Wellen
135 4

..      Abb. 4.21 Geigensaite in ihrer Grundschwingung


und den beiden ersten Oberschwingungen

..      Abb. 4.20 Stehende Welle. Zwei gegenläufige Wel­


len mit gleicher Auslenkungsamplitude und gleicher ..      Abb. 4.22 (Video 4.4) Offene Pfeife (Blockflöte).
Frequenz ergeben eine stehende Welle mit ortsfesten Der Luftdruck p hat an beiden Enden einen Knoten
Schwingungsknoten (Ruhe) und ortsfesten Schwin­ und schwankt im Schwingungsbauch ein ganz klein
gungsbäuchen (maximale Amplitude der Auslen­ wenig um den Barometerdruck p0 (https://doi.
kung). Siehe Video zu . Abb. 4.22 org/10.1007/000-082)

Wellenlänge und liefern damit den einen auf je einem Drittel der wirksamen Länge
bestimmenden Faktor (Saitenlänge l ) zur (. Abb. 4.21). Unterteilen können die Kno­
Grundfrequenz f0 der Saitenschwingung: ten ihre Saite aber nur in ganzzahligen
c c 2c Bruchteilen; die zugehörigen Frequenzen
f0 = = = . sind demnach ganzzahlige Vielfache der
l l/2 l
Grundfrequenz. Derartige Obertöne erzeugt
Diese Frequenz lässt sich erhöhen, wenn jedes Musikinstrument, sie machen seine
man die wirksame Länge der Saite verkürzt: Klangfarbe aus.
So werden Geigen gespielt. Die Grundfre­ Auch in einer Blockflöte gibt es stehende
quenz steigt aber auch, wenn man die Saite Wellen; hier sind es Druckwellen (. Abb. 4.22).
straffer spannt, denn damit erhöht man die Die Blockflöte ist an beiden Enden offen: Dort
Ausbreitungsgeschwindigkeit c der Seil­ ist der Druck immer gleich Umgebungsdruck.
welle: So werden Geigen gestimmt. Die For­ In der Mitte der Flöte schwingt der Druck hin­
derung nach Knoten an den Enden der Saite gegen, hier liegt der Schwingungsbauch der
verbietet nicht, dass weitere Knoten auftre­ stehenden ­Schallwelle. Wieder ist die Wellen­
ten, z. B. einer genau in der Mitte oder zwei länge gleich der doppelten Flötenlänge.
136 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

Welche Frequenz zur Wellenlänge ge­ mit dem Kompressionsmodul Q (7 Abschn.


hört, bestimmt die Schallgeschwindigkeit in 3.3.6). Bei Festkörpern oder Flüssigkeiten
der Luft; bläst man eine Blockflöte mit He­ wäre hier das Elastizitätsmodul einzusetzen.
liumgas an, steigt ihre Tonhöhe um mehr als Die Schallgeschwindigkeit in Luft beträgt
eine Oktave, weil die Schallgeschwindigkeit ungefähr 340 m/s. Heliumgas hat eine viel
in diesem leichten Gas viel höher ist. Ein be­ geringere Dichte, darin beträgt die Ge­
liebter Versuch in der Vorlesung ist die He­ schwindigkeit 980 m/s. Die Schallgeschwin­
liumstimme. Atmet man Heliumgas ein und digkeiten in Wasser (1480 m/s) und Alumi­
4 spricht dann, hört es sich an wie Micky­ nium (5000 m/s) sind viel höher, da die
maus. Stimmhöhe und Klangfarbe der Materialien viel steifer sind als Gase.
Stimme werden durch stehende Wellen im Im Prinzip breiten sich Schallwellen nach
Rachenraum bestimmt und damit auch den gleichen Gesetzen aus wie sichtbares
durch die Schallgeschwindigkeit. Licht: Welle ist Welle. Schallwellen zeigen
alle Erscheinungen der Beugung, Brechung
und Interferenz, die in 7 Abschn. 7.4 für
4.2.5 Schallwellen ! Licht ausführlich besprochen werden; nur
verlangen die vergleichsweise großen Wel­
Druckwellen in Luft wie bei der Blockflöte, lenlängen größere Apparaturen. Für die
aber auch in Flüssigkeiten und Festkörpern Schallreflexion des Echos nimmt man am
bezeichnet man als Schall. In Gasen und besten gleich eine ganze Bergwand; für ech­
Flüssigkeiten sind das immer longitudinale ten Schattenwurf sind normale Häuser
Wellen (. Abb. 4.14). Im Festkörper kön­ schon zu klein. Immerhin dringt der tiefe,
nen Schallwellen auch transversal sein. d. h. langwellige Ton der großen Trommel
Schallwellen im Frequenzbereich von einer Blaskapelle leichter in Seitenstraßen
etwa 16 Hertz bis etwa 16 Kilohertz (kHz) ein als die hohen Töne der Querflöten.
kann der Mensch hören; man nennt sie Hör­ Alles, was sich in Luft bewegt, erzeugt
schall. Schwingungen kleinerer Frequenz Schall; bewegt es sich periodisch und im Be­
werden als Bewegungen empfunden, unter reich des Hörschalls, so erzeugt es einen Ton
3 Hz lassen sie sich unmittelbar abzählen; in oder Klang; bewegt es sich nichtperiodisch,
der Akustik nennt man sie Infraschall. Die so gibt es nur ein Geräusch. Die Zähne einer
obere Hörgrenze hängt vom Lebensalter ab Kreissäge greifen periodisch ins Holz und
und geht mit den Jahren zurück. Schall, des­ kreischen dementsprechend; die Tonhöhe
sen Frequenz über der Hörgrenze liegt, heißt sinkt, wenn es dem Motor Mühe macht, das
Ultraschall. Sägeblatt durchzuziehen. Auch Drehbewe­
gungen sind periodische Bewegungen; der
>>Merke Bohrer des Zahnarztes singt penetrant und
55 Hörschall: Frequenzen zwischen ca. drehzahlabhängig.
16 Hz und ca. 16 kHz, Vielseitigste Form der Schallerzeugung
55 Ultraschall: Frequenzen über dem ist die mit der Membran eines ­Lautsprechers:
Hörbereich. Sie vermag Stimmen von Mensch und Tier
zu imitieren sowie alle Musikinstrumente.
Die Schallgeschwindigkeit wird durch die Dazu wird eine meist konische Membran
Elastizität und die Dichte ρ des Mediums aus starkem Papier von einem Elektromag­
bestimmt. Für Gase gilt: neten gewaltsam hin und her gezogen, und
zwar im Takt eines Wechselstromes, den ein
Q
c= elektronischer Verstärker liefert. Bewegt
r sich die Membran momentan nach rechts,
4.2 · Wellen
137 4
so schiebt sie dort Luftmoleküle zusammen,
erzeugt also einen (geringen) Überdruck;
entsprechend führt eine Bewegung in Ge­
genrichtung zu einem Unterdruck. Über-
wie Unterdruck breiten sich mit Schallge­
schwindigkeit aus:

>>Merke
Schallwellen in Gasen und Flüssigkeiten
sind Druckwellen.

Die für den Menschen wichtigste Form der


Schallerzeugung ist die mit dem Kehlkopf.
Dieser besitzt zwei Stimmbänder, die er über
den Stellknorpel willkürlich anspannen
kann. Durch die Stimmritze zwischen ihnen ..      Abb. 4.23 Sonogramm. Ultraschallaufnahme eines
ungeborenen Kindes (© Mikael Damkier – Fotolia.com)
wird beim Sprechen und Singen Luft ge­
presst. Die in Grenzen einstellbaren Eigen­
frequenzen der Stimmbänder bestimmen die zwischen Wasser und Knochen stärker. Ge­
Tonlage, nicht aber den Laut, der den Mund nerell gilt: Die Schallgeschwindigkeit ist
verlässt. Hier spielen Unterkiefer und vor al­ umso höher, je geringer die Dichte und umso
lem die bewegliche Zunge die entscheiden­ härter das Material ist.
den Rollen: Sie legen die momentane Form Die Schallreflektionen an verschiedensten
des Rachenraumes fest und damit die Eigen­ Grenzflächen nutzt die Sonografie, um ein
frequenzen dieses Hohlraumes, die von den Schnittbild durch den Körper zu gewinnen.
Stimmbändern zu Resonanz angeregt wer­ Dazu verwendet man einen Schallkopf (die
den können. Sonde, . Abb. 4.24), in dem längs einer Linie
Der Mensch zwar nicht, aber Fleder­ viele piezoelektrische Wandler (Kristalle, die
mäuse und Delfine können Schallwellen sich bei Anlegen einer elektrischen Spannung
wie Radar einsetzen. Sie senden kurze verformen und bei Verformung eine elektri­
Laute aus und hören dann, wann und aus sche Spannung erzeugen (7 Abschn. 6.2.4)
welcher Richtung Echos zurückkommen. angeordnet sind. Diese senden über die Breite
So nehmen Sie Hindernisse oder auch des Schallkopfes Ultr­aschall in den Körper
Beute wahr und bestimmen deren Entfer­ und empfangen die Echos, also den reflektier­
nung. U-Boote mit ihrem Sonargerät kön­ ten Schall. Die geschieht in sehr kurzen Pul­
nen das auch. Mediziner erzeugen mit Ult­ sen, sodass sich aus der Laufzeit des Echos
raschallreflexen sogar Abbildungen innerer die Tiefe der reflektierenden Grenzschicht be­
Organe oder noch nicht geborener Kinder stimmen lässt. So entsteht ein zweidimensio­
(. Abb. 4.23). nales Schnittbild (. Abb. 4.23).
Da der Schallkopf unten eine gekrümmte
77Ultraschalldiagnostik Fläche hat, ergibt sich ein fächerförmiges
An einer Grenzfläche zwischen Materialien Bild. Für weitere Anwendungen gibt es an­
mit unterschiedlicher Schallgeschwindigkeit ders geformte Schallköpfe. Das ungeborene
wird der Schall immer reflektiert. Das ge­ Kind ist von Fruchtwasser umgeben, das
schieht auch schon, wenn der Unterschied strukturlos ist und damit im Ultraschallbild
so gering ist wie zwischen Muskel- und Fett­ dunkel, da es nicht reflektiert. Insbesondere
gewebe. Die Reflexion ist bei größeren Un­ die Oberfläche des Kopfes und Knochen re­
terschieden in der Schallgeschwindigkeit wie flektieren stark und erscheint somit hell.
138 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

Damit der Schall nicht schon gleich an


der Oberfläche des Schallkopfes reflektiert
wird, muss jeder Luftspalt zwischen Schall­
kopf und Haut vermieden werden. Jede Ult­
raschalldiagnostik beginnt deshalb mit dem
Aufbringen eines Gels, um einen möglichst
reflexionsfreien Durchgang des Schalls zu
erreichen. In . Abb. 4.24 quillt das Gel un­
4 ter dem Schallkopf hervor.
Das Auflösungsvermögen eines Sono­
gramms ist in der Tiefe etwas höher als in
der Breite und variiert zwischen 0,2 und
3 mm. Es ist umso besser, je höher die Fre­
quenz, je kleiner also die Wellenlänge. Des­
wegen und nicht nur der Lärmbelästigung
wegen nimmt man Ultraschall zwischen 1
und 40 MHz. Das Auflösungsvermögen ei­
nes Röntgenbildes ist in aller Regel höher,
die Röntgenstrahlung sind aber auch viel ge­
fährlicher. 9

Rechenbeispiel 4.4: Echolot


Aufgabe. Der Delfin nutzt Schallwellen,
um Beute zu lokalisieren. Ein 10 cm gro­ ..      Abb. 4.24 Schallkopf. Dieser Schallkopf ist ge­
ßes Objekt kann er so auf 100 m Entfer­ krümmt und liefert ein fächerförmiges Bild. Etwas Gel
nung wahrnehmen und diese Entfernung zur Schallankopplung quillt unter dem Schallkopf
hervor (© Sly – Fotolia.com)
aus der Laufzeit des Reflexes bestimmen.
Wie lange ist eine Schallwelle zum Ob­
Damit steht die Natur vor einem Problem:
jekt und zurück dann unterwegs?
Wie bei der Ultraschalldiagnostik bespro­
Lösung. Die Schallgeschwindigkeit
chen, wird der Schall an der Grenzfläche
im Wasser beträgt etwa 1500 m/s. Für
zwischen Medien mit unterschiedlicher
200 m braucht ein Schallpuls also etwa
Schallgeschwindigkeit immer reflektiert. Im
0,13 s.
Ohr soll aber der Schall aus der Luft mög­
lichst ohne Reflexion und vollständig ins
Wasser der Schnecke geleitet werden. Die
4.2.6 Schallwahrnehmung !! Schallgeschwindigkeit in der Luft ist relativ
klein, man spricht von einem schallweichen
77Das Ohr des Menschen Medium.
Das Organ, mit dem der Mensch Schall­ Im Wasser ist der Schall viel schneller, es
schwingungen in Nervensignale überführt, ist ein schallhartes Medium.
ist das Corti-Organ, mechanisch gekoppelt Um den Schall reflexionsfrei von der
an die Basilarmembran in der Schnecke des schallweichen Luft ins schallharte Wasser zu
Innenohres. Als überaus empfindliches übertragen, hat die Natur das zierliche He­
Häutchen kann die Basilarmembran nur in belsystem des Mittelohres mit den drei Ge­
einer Flüssigkeit aufbewahrt werden. Des­ hörknöchelchen Hammer, Amboss und
halb ist die gesamte Schnecke wassergefüllt. Steigbügel (. Abb. 4.25) entwickelt. Diese
4.2 · Wellen
139 4
werden bewegt vom eigentlichen Schallauf­ Als ein Warnsystem, das auch im Schlaf
nehmer, dem Trommelfell, einer dünnen, nicht abgeschaltet wird, hat das Gehör seine
schallweichen Haut, die quer im Gehörgang Empfindlichkeit bis an die Grenze des Sinn­
steht; die Gehörknöchelchen geben ihre Be­ vollen gesteigert; noch ein wenig mehr und es
wegungen weiter an die Haut des ovalen müsste die thermische Bewegung der
Fensters, hinter der sich die Flüssigkeit der Luftmoleküle als permanentes Rauschen
­
Schnecke befindet. Dabei verwandeln sie wahrnehmen. Zum Hörschall normaler
eine Schwingung mit großer Amplitude und Sprechlautstärke gehören Druckschwankun­
kleiner Kraft in eine Schwingung mit kleiner gen, Schalldruck oder Schallwechseldruck
Amplitude und großer Kraft. genannt, deren Amplituden in der Größen­
Das Trommelfell selbst ist nur dann ordnung Zentipascal (10−2 Pa) liegen. Sie be­
schallweich, wenn es auf beiden Seiten an deuten Schwingungen der Moleküle mit Am­
Luft angrenzt. Der Luftraum des Mitteloh­ plituden im Bereich 10 nm und mit
res hinter dem Trommelfell muss Verbindung Geschwindigkeitsamplituden von 0,1 mm/s.
zur Außenwelt haben. Denn sonst würde das Man bezeichnet sie als Schallschnelle. Sie hat
Trommelfell auf jede langsame Änderung mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit der
des Luftdruckes reagieren wie die Membran Schallwellen nichts zu tun, wohl aber mit der
eines Dosenbarometers (. Abb. 3.18). Diese von der Schallwelle transportierten Energie,
Verbindung besorgt die Eustachi-Röhre. Sie genauer mit ihrer Intensität.
ist nicht selten durch Flüssigkeiten eines Ka­ Geräte zur Messung von Schallintensitä­
tarrhs verstopft. Dann spürt man zuweilen ten benötigen grundsätzlich ein Mikrofon,
bereits einen „Druck“ auf den Ohren, wenn einen Verstärker und einen Anzeigemecha­
man in einem Hochhaus mit dem Fahrstuhl nismus. Die Eichung in W/m2, der Einheit
fährt oder mit einem Auto den Berg hinunter. der Intensität, macht im Prinzip keine
Der Luftdruck fällt ja mit der Höhe über Schwierigkeiten. Dem Arbeitsphysiologen
dem Meeresspiegel. Schluckbewegungen hel­ aber, der sich für den Lärm in einer Kessel­
fen, die Eustachi-Röhre kurz zu öffnen und schmiede interessiert oder die Störung der
den „Druck“ zu mindern. 9 Nachtruhe durch den benachbarten Flug­
platz, ist damit wenig gedient.
Schall stört nur, wenn man ihn hört:
Ultra­schall macht keinen Lärm (was nicht
heißt, dass er harmlos ist). Auch im Hörbe­
Steigbügel reich wertet das Ohr Schall verschiedener
Frequenzen höchst unterschiedlich. Seine
höchste Empfindlichkeit liegt bei 3 kHz;
Reissner- nicht ohne Grund brüllen Babys bevorzugt
Membran auf dieser Frequenz: Hier hört die Mutter
bereits eine Schallintensität von 10−12 W/m2.
Schon bei 1 kHz erfordert die Hörschwelle
Basilarmembran zehnfache Schallintensität. Den Frequenz­
gang des normalen menschlichen Gehörs
versucht man durch eine weitere Messgröße
zu berücksichtigen, durch die Lautstärke
mit der Einheit Phon.
Im empfindlichsten Bereich des Gehörs
..      Abb. 4.25 Mittelohr. Der Schall versetzt zunächst
das Trommelfell in Schwingungen. Hammer, Amboss
liegen zwischen Hör- und Schmerzschwelle
und Steigbügel übertragen diese auf die Haut des ova­ ungefähr 12 Zehnerpotenzen der Schallin­
len Fensters tensität. Kein Gerät mit linearer Skala über­
140 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

deckt einen derart großen Bereich. Das gilt dann verlangt die Rechenvorschrift einen
auch für Sinnesorgane. Folglich reagieren Faktor 20 zum Logarithmus. So verfährt die
sie in etwa logarithmisch (Weber-­Fechner-­ Größe Schallpegel, auch Schalldruckpegel
Gesetz). Dieses Gesetz hat bei der Festle­ genannt:
gung der Schallpegelskala und der Phons­
kala Pate gestanden, der das in der Technik æ p ö
Schallpegel Lp = 20 × lg ç S ÷ .
übliche Pegelmaß zugrunde liegt. Es wird in è pSO ø
Dezibel (dB) angegeben.
4 Wem das Dezibel nicht geläufig ist, dem Hier ist pS der aktuelle Schalldruck und
kann es Kummer bereiten. Der Name lässt pS0 = 2 · 10−5 Pa ein Bezugsschalldruck, der
eine Einheit vermuten, tatsächlich handelt etwa der Hörschwelle entspricht. Die Be­
es sich aber eher um eine Rechenvorschrift. zeichnung der Schallpegeleinheit ist 1 dB
Ist eine Energie W1 im Laufe der Zeit auf (SPL) (sound pressure level). Da ein Fak­
irgendeine Weise auf W2 = 0,01 · W1 herun­ tor 20 vor dem Logarithmus steht, ist der
tergegangen, so beträgt der Unterschied der Schallpegel ein logarithmisches Maß der
beiden Pegel 20 dB. Um das herauszufinden, Schallintensität. Die Bezeichnung Schall­
bildet man zunächst den Bruch W1/W2, log­ druckpegel ist deshalb irreführend.
arithmiert ihn dekadisch und multipliziert Da das Ohr für verschiedene Frequenzen
anschließend mit 10. Das Ergebnis ist der verschieden empfindlich ist, weicht die Laut­
Pegelunterschied in Dezibel: stärkeskala, die das Lautstärkeempfinden
nachstellen soll und in Phon [oder dB(A)]
W1
= 100;lg 100 = 2;10 × 2 = 20; gemessen wird, von der Schallintensitäts­
W2 skala in der Weise ab, wie es . Abb. 4.26
darstellt. Bei 1000 Hz ist die Phonskala
also 20 dB Pegelunterschied. identisch mit der Schallpegelskala und pro­
Ein „Unterschied“ der Pegel von 0 dB portional zum Logarithmus der Schallinten­
bedeutet W1 = W2, weil sität. Bei anderen Frequenzen hingegen folgt
die Phonskala den roten Linien im Dia­
lg 1 = 0 = 10 × lg 1. gramm, die jeweils zu einem bestimmten
Phonwert gehören. Das Diagramm stellt
Bei linearem Kraftgesetz der Schraubenfe­ also die Empfindlichkeit eines offiziellen
der ist die Schwingungsenergie W des Feder­ „Normalohrs“ dar.
pendels dem Quadrat der Amplitude A pro­ . Tab. 4.1 fasst die Schallgrößen zusam­
portional: men. Einige Anhaltswerte zur Phonskala
liefert die folgende Aufstellung:
W1 A12
= . Lautstärken über 120 Phon schmerzen.
W2 A22 Eine Lautstärke ist übrigens nur für den Ort
des Empfängers definiert, nicht etwa für
Daraus folgt eine Schallquelle.

æW ö æ A2 ö æ A1 ö >>Merke
10 × lg ç 1 ÷ = 10 × lg çç 12 ÷÷ = 20 × lg ç ÷ . Die Lautstärke mit der Einheit Phon ist
è W2 ø è A2 ø è A2 ø
ein an die spektrale Empfindlichkeit des
menschlichen Gehörs angepasstes und
Man kann das Pegelmaß also auch aus im Wesentlichen logarithmisches Maß
dem Amplitudenverhältnis bestimmen, aber der Schallintensität.
4.2 · Wellen
141 4

L
..      Abb. 4.26 Spektrale Empfindlichkeit des mensch­ Schallstärke einen Zuwachs von 20 Phon in der Laut­
lichen Gehörs. Töne gleicher Lautstärke (in Phon) wer­ stärke. Das grüne Feld stellt den typischen Frequenz-
den als gleich laut empfunden. Bei 1000 Hz ist die und Lautstärkenbereich der menschlichen Sprache
Lautstärke streng logarithmisch zur Schallstärke dar
(Schallintensität); dort bringt ein Faktor 100 in der

..      Tab. 4.1 Geräusche auf der Phonskala Rechenbeispiel 4.5: Schalldämmung


Aufgabe. Eine Schalldämmmauer redu­
Blätterrauschen 10 Phon
ziert den Schallpegel von 70 auf 50 dB. Um
Flüstern 20 Phon welchen Faktor wird die Schallintensität
Umgangssprache 50 Phon reduziert?
Lösung. Maßgeblich ist der Pegelun­
Starker Straßenlärm 70 Phon
terschied von −20 dB. Es ist:
Presslufthammer in der Nähe 90 Phon 20
l1 l -
Motorrad in nächster Nähe 100 Phon -20dB = 10 × lg Þ 1 = 10 10 = 0, 01.
l0 l0
Flugzeugmotor 3 m entfernt 120 Phon
Am besten lernt man das auswendig:
20 dB sind ein Faktor 100.

Die Phonskala birgt Überraschungen für je­


den, dem der Umgang mit Logarithmen
nicht geläufig ist. Knattert ein Moped in ei­ 4.2.7 Doppler-Effekt
niger Entfernung mit 62 Phon, so schaffen
vier vom gleichen Typ zusammen nicht mehr Normalerweise hört das Ohr einen Ton mit
als 68 Phon. Umgekehrt kann der Hersteller derjenigen Frequenz, mit der ihn die Schall­
von Schalldämmstoffen schon ganz zufrie­ quelle ausgesandt hat. Das muss aber nicht
den sein, wenn es ihm gelingt, von 59 auf so sein. In dem Moment, in dem die Feuer­
39 Phon herunterzukommen, denn das be­ wehr an einem vorbeifährt, sinkt die Ton­
deutet die Reduktion der Schallintensität höhe des Martinshorns, für den Passanten
auf 1 %. auf der Straße, nicht für die mitfahrenden
142 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

und hinter der Quelle:


æ ö
c c 1 ç 1 ÷ 1
f = = = ×ç ÷ = f0 ×
l c × T0 + v × T0 T0 ç 1 + v ÷ 1+
v
ç ÷
è cø c
Ist v/c sehr viel kleiner als eins, so kann man diese
Terme in eine Taylor-Reihe entwickeln und erhält nä­
herungsweise:
1 æ vö
4 ..      Abb. 4.27 Doppler-Effekt. Bewegt sich die Schall­
quelle auf den Beobachter B zu, registriert dieser eine
f = f0 ×
1-
v
» f 0 × ç1 + ÷
è cø
erhöhte Schallfrequenz c
und
1 æ vö
Feuerwehrmänner. Die Ursache dieses f = f0 × » f 0 × ç1 - ÷
v è cø
1+
Doppler-Effekts liegt in der Relativbewe­ c
gung der Schallquelle gegenüber Luft und Damit können wir das Ergebnis recht einfach so
Hörer. Fährt die Quelle auf einen zu, so tref­ schreiben:
fen die Druckmaxima das Ohr in rascherer Dv
Folge, als sie vom Horn ausgesandt werden, Df = f 0 ×
c
denn der Schallweg wird immer kürzer Dabei ist Δv positiv zu nehmen, wenn die Quelle auf
(. Abb. 4.27). Folge: Man hört einen zu ho­ mich zukommt, und negativ, wenn sie sich wegbewegt.
hen Ton. Das Umgekehrte tritt ein, wenn Die gleiche Formel ergibt sich, wenn die Schallquelle
sich die Schallquelle fortbewegt. ruht, der Hörer sich aber auf sie zu oder von ihr weg
bewegt.
Das kann man so verstehen: Ist der Hörer in
>>Merke Ruhe, kommen in der Zeit Δt f · Δt Wellenmaxima bei
Als Doppler-Effekt bezeichnet man die ihm vorbei und er hört die Frequenz f0. Bewegt der
Frequenzverschiebung, die ein Wellen­ Hörer sich mit Geschwindigkeit v auf die Quelle zu,
empfänger bei einer Relativgeschwindig­ Dt × v
kommen zusätzliche Wellenmaxima vorbei und
keit zwischen Wellenquelle und Wellen­ l0
er hört die Frequenz:
empfänger wahrnimmt.
V æ Vö
f = f0 + = f0 × ç1 + ÷
l0 è cø
Die Formeln dazu Denn die gehörte Frequenz ist:
So kann man nachrechnen, wie groß der Effekt ist: ZahlderWellenmaxima
Die Schallquelle sendet ein Wellenmaximum in der f = ;
Dt
Zeit T0 = 1/f0. Dieses breitet sich mit der Geschwindig­
keit c aus. Daher haben die Wellenmaxima den Ab­ c
l0 = ist die Wellenlänge.
stand λ0 = c · T0, wenn die Quelle ruht. Bewegt sich die f0
Quelle, so wird der Abstand vor der Quelle um v · T0 Entfernt sich der Hörer, so setzen wir entspre­
kürzer und hinter der Quelle um v · T0 länger. Also chend ein Minuszeichen:
haben wir vor der Quelle: v æ vö
f = f0 - = f 0 × ç1 - ÷ .
l = c × T0 - v × T0 = l0 - v × T0 , l0 è cø
und hinter der Quelle:

l = c × T0 + v × T0 = l0 + v × T0 . Delfine können mit der „Schall-­ Radar-­


Also ist die Frequenz vor der Quelle Methode“ nicht nur die Position eines
æ ö
Objekts feststellen, sie können auch
­
c c 1 ç 1 ÷ 1 die Doppler-Verschiebung des reflektierten
f = = = ×ç ÷ = f0 ×
l c × T0 - v × T0 T0 ç 1 - v ÷ 1-
v Schallsignals wahrnehmen und damit grob
ç ÷
è cø c die Geschwindigkeit bestimmen. Kardiolo­
4.2 · Wellen
143 4

..      Abb. 4.29 Kopfwelle eines mit der Geschwindig­


keit v nach links fliegenden Überschallflugzeugs (c =
Schallgeschwindigkeit). Die Kopfwelle ist die Einhül­
lende der vom Flugzeug ständig ausgesandten Kugel­
wellen

gleicher Richtung nebeneinander herlaufen,


geben sie zusammen eine beobachtbare,
Doppler-verschobene, reflektierte Schall­
welle ab. Mit dem Doppler-Effekt kann aber
auch die Geschwindigkeit von Gewebebewe­
gung ermittelt werden. . Abb. 4.28 zeigt als
Beispiel den Geschwindigkeitsverlauf der
Bewegung einer Herzklappe. 9
..      Abb. 4.28 Doppler-Sonografie. Ultraschallbild ei­
nes Herzens. Oben: Zwei Herzklappen; unten: Verlauf
der gemessenen Geschwindigkeit einer Herzklappe Wer mit mehr als Schallgeschwindigkeit
dargestellt; ganz unten: Zugehöriges EKG. (Bildrechte: durch die Luft fliegt, kann nach vorn keinen
M. Lutz, Uni Heidelberg) Schall mehr abstrahlen. Dafür erzeugt er ei­
nen Druckstoß, den er als kegelförmig sich
gen vermögen das Gleiche mit ihrem Ultra­ ausbreitende Kopfwelle hinter sich herzieht
schallgerät: Es kann die Blutstromgeschwin­ (. Abb. 4.29). Eine plötzliche Druckände­
digkeit und die Gewebegeschwindigkeit an rung empfindet das Ohr als Knall. Über­
verschiedenen Stellen des Herzens messen schallflugzeuge lösen mit ihrer Kopfwelle
(. Abb. 4.28). einen mindestens lästigen Überschallknall
aus, und zwar nicht in dem Moment, wenn
77Doppler-Ultraschalldiagnostik sie die Schallgeschwindigkeit überschreiten
Auch der Doppler-Effekt wird zur medizini­ („die Schallmauer durchbrechen“), sondern
schen Diagnostik benutzt – zur Bestimmung von da ab. Sie ziehen eine Knallschleppe hin­
der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes in ter sich her, solange sie schneller sind als der
Gefäßen. Blut emittiert von sich aus zwar Schall.
keinen Ultraschall und die zahllosen Blut­ Im Bereich des Druckstoßes ist die
zellen sind viel zu klein für eine sonografi­ Dichte der Luft erhöht und damit auch ihre
sche Ortung, aber sie streuen den Schall Brechzahl für Licht. Mit einem speziellen
ähnlich diffus wie Schwebeteilchen in diesi­ Abbildungsverfahren kann man das sicht­
ger Luft das Sonnenlicht. Weil sie so viele bar machen. . Abb. 4.30 zeigt die Kopfwel­
sind, alle von der gleichen Welle angeregt len zweier Gewehrkugeln in fast schon
werden und mit gleicher Geschwindigkeit in künstlerischer Qualität.
144 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

Rechenbeispiel 4.6: Doppler-­


Verschiebung
Aufgabe. Die Beute bewege sich mit
3 m/s auf unseren Delfin zu. Welche Fre­
quenzverschiebung ergibt das im reflek­
tierten Signal, wenn die Schallwelle eine
Frequenz von 5000 Hz hat?
4 Lösung. Tatsächlich gibt es hier zwei
Doppler-Verschiebungen: An der Beute
hat die Welle eine höhere Frequenz, da
die Beute sich auf die Quelle zu bewegt.
Die Beute reflektiert die Welle auch mit
dieser höheren Frequenz. Sie ist dann
selbst wieder eine bewegte Quelle, deren
Signal am Ort des Delfins frequenzer­
höht wahrgenommen wird. Also bekom­
men wir:
3m/s
Df = 2 × f 0 × = 20, 3Hz.
1480 m / s

..      Abb. 4.30 Überschallknall. Aufnahme zweier flie­


gender Gewehrkugeln. Die spezielle Aufnahmetechnik
macht Dichteschwankungen der Luft sichtbar (Bild­
rechte: G. S. Settles, PSU)

4.3 In Kürze (. Abb. 4.4). In einfachen Fällen klingt die


Amplitude exponentiell ab. Durch periodi­
zz Harmonische Schwingungen sches Anstoßen des schwingenden Systems
Harmonische Schwingungen werden durch kann diese Dämpfung kompensiert werden.
eine Sinus- oder Kosinusfunktion beschrie­ Der Oszillator führt dann eine erzwungene
ben. Nichtharmonische Schwingungen las­ Schwingung mit der Frequenz aus, mit der
sen sich mathematisch immer als Überlage­ er angestoßen wird. Entspricht diese Fre­
rung solcher sinusförmiger Schwingungen quenz seiner Eigenfrequenz, so liegt Reso­
auffassen. Mechanische Schwingungen sind nanz vor und der Oszillator schwingt beson­
fast immer durch Reibungskräfte gedämpft ders stark (. Abb. 4.6).

Harmonische A0: Amplitude [m]


æ 2p ö
Schwingungen x ( t ) = A0 × sin ç ×t ÷ f: Frequenz [Hz (Hertz)]
è T ø
T = 1/f: Schwingungsdauer,
= A0 × sin ( 2p × f × t ) Periodendauer [s]
= A0 - sin (w × t ) ω = 2π⋅f: Kreisfrequenz [1/s]

Gedämpfte x(t) = A0 ⋅ e−δ ⋅ t ⋅ sin (ω ⋅ t) δ: Dämpfungskonstante [1/s]


Schwingung Tritt bei der Schwingung ein Energieverlust ein,
ist die Schwingung gedämpft (. Abb. 4.4)
4.3 · In Kürze
145 4
zz Pendel Materie. An jedem Ort in der Welle schwin­
Welche Schwingungsdauer sich einstellt, gen die Teilchen des Mediums. Schwingen
hängt beim harmonischen schwingenden sie senkrecht zur Ausbreitungsrichtung der
Oszillator nur von seiner Bauart ab. Beim Welle, so spricht man von einer transversa­
Federpendel wird die Schwingungsdauer len Welle, schwingen sie in Ausbreitungs­
von der Masse und der Federkonstante be­ richtung, von einer longitudinalen Welle.
stimmt. Die Frequenz f der Welle wird von der er­
zeugenden Quelle bestimmt. Die Ausbrei­
Federpendel ωc: charakte­ tungsgeschwindigkeit c hingegen, mit der
D ristische
wc = Wellenberge und -täler fortschreiten, ist für
m Frequenz
D: Federkons­ das Medium charakteristisch. Der Energie­
Fadenpendel transport der Welle wird durch die Intensi­
g tante [N/m]
wc =
l m: Masse tät beschrieben, die proportional zum Qua­
g: Fallbe­ drat der Amplitude ist. Präzise gesprochen
schleunigung
l: Fadenlänge
ist sie eine Energiestromdichte und gibt an,
wie viel Energie in einer bestimmten Zeit
durch eine bestimmte Fläche senkrecht zur
zz Harmonische Wellen (Schall, Licht) Ausbreitungsrichtung hindurchtritt. Ist die
Mechanische Wellen breiten sich in einem Quelle der Welle punktförmig, so sinkt die
Medium (Luft, Wasser, Festkörper) aus. Intensität umgekehrt proportional zum Ab­
Dabei transportieren sie Energie, aber keine stand r von der Quelle ins Quadrat: I ~ 1/r2.

Phasengeschwindigkeit c=λ·f c: Phasengeschwindigkeit [m/s]


λ: Wellenlänge [m]
f: Frequenz [Hz]
Polarisation Transversal – Auslenkung senkrecht zur Ausbreitungsrichtung der Welle
Longitudinal – Auslenkung parallel zur Ausbreitungsrichtung der Welle
Intensität é J ù
Intensität I einer Welle: Energiestromdichte ê 2 ú
ëm sû

Quadratisches 1
Abstandsgesetz I~ : Abstand punktförmiger Quelle
r2

zz Schall tor 100 (entsprechend einer Erhöhung der


Schall ist eine longitudinale Druckwelle Amplitude des Schalldrucks um Faktor 10)
(Ausbreitungsgeschwindigkeit: in Luft ca. entspricht einer Pegelerhöhung um 20 dB.
330 m/s; in Wasser: ca. 1500 m/s). Das Schallwellen breiten sich in Medien un­
menschliche Ohr ist empfindlich für Fre­ terschiedlicher Dichte und Härte unter­
quenzen etwa zwischen 16 Hz und 16 kHz schiedlich schnell aus. Tritt eine Schallwelle
und kann Schallintensitäten über ca. von einem in ein anderes Medium über, so
12 Größenordnungen hinweg wahrnehmen. wird deshalb ein Teil von ihr an der Grenz­
Dieser gewaltige Intensitätsbereich ist mög­ fläche zwischen den Medien reflektiert. Die­
lich, da das Ohr in etwa logarithmisch re­ ser Effekt ist die Basis der Sonografie,
agiert. Entsprechend wird die Lautstärke im die mithilfe reflektierter Ultraschallwellen
logarithmischen Pegelmaß angegeben. Eine (nichthörbarer Schall hoher Frequenz) ein
Erhöhung der Intensität um einen Fak­ Bild vom Körperinneren erzeugt. Bewegen
146 Kapitel 4 · Mechanische Schwingungen und Wellen

sich Schallquelle, Empfänger oder auch eine Auch dies lässt sich diagnostisch nutzen, um
reflektierende Grenzfläche, so treten Fre­ z. B. die Strömungsgeschwindigkeit von
quenzverschiebungen auf (Doppler-Effekt). Blut im Körper zu messen.

Schallpegel Für die Schallausbreitung gilt weitgehend das Gleiche L: Schallpegel [dB
wie in der Optik für Licht (Brechungs-, Reflexionsge­ (SPL)]
setz). Aber: Schall ist eine longitudinale Welle.
I: Intensität é J ù
4 L = 10 × lg -12
1 êë m 2 × s úû
10 W / m 2

Lautstärke Mit der Ohrempfindlichkeit gewichteter Schallpegel [Phon]


Pegelmaß (Dezibel) Intensitätserhöhung um Faktor 100 entspricht Pegelerhöhung um 20 Dezibel
(dB).
Doppler-­Effekt Bewegen sich Quelle und Empfänger aufeinander zu, so erhöht sich die Frequenz
beim Empfänger, entfernen sich beide voneinander, so erniedrigt sich die
Frequenz.

4.4 Fragen und Übungen 4.5 Die Schallgeschwindigkeit hängt


nicht von der Frequenz des Tones ab. Kön­
4.4.1 Verständnisfragen nen Sie das aus Ihrer Erfahrung belegen?
4.6 Warum gibt es in einem Gas nur lon­
4.1 Eine an einer Feder aufgehängte Masse gitudinale Wellen?
schwingt auf und ab. Gibt es einen Zeit­ 4.7 Warum nimmt die Amplitude einer
punkt, an dem die Masse ruht, aber be­ kreisförmigen Wasserwelle mit zunehmen­
schleunigt ist? Gibt es einen Zeitpunkt, an dem Radius ab?
dem die Masse ruht und nichtbeschleunigt 4.8 Selbst bei ruhiger Hand kann es ei­
ist? nem leicht passieren, dass beim Gehen der
4.2 Können bei einer Schwingung fol­ Kaffee im Becher, den man trägt, heraus­
gende Größen gleichzeitig in dieselbe Rich­ schwappt. Was hat das mit Resonanz zu tun
tung weisen: Geschwindigkeit und Beschleu­ und was könnte man dagegen unternehmen?
nigung; Auslenkung und Geschwindigkeit;
Auslenkung und Beschleunigung?
4.3 Ein Objekt hängt bewegungslos an 4.4.2 Übungsaufgaben
einer Feder. Wird es nach unten gezogen
wird, wie ändert sich dann die Summe der (⧫ leicht; ⧫⧫ mittel; ⧫⧫⧫ schwer)
elastischen potenziellen Energie der Feder
und der potenziellen Energie der Masse des zz Schwingungen
Objekts? 4.1 ⧫⧫ Die Amplitude einer ungedämpften
4.4 Bei der Formel für die Eigenfrequenz harmonischen Schwingung betrage 5 cm,
des Federpendels wurde angenommen, dass die Schwingungsdauer 4 s und der Phasen­
die Feder selbst näherungsweise masselos winkel π/4. Welchen Wert besitzt die
ist. Wie ändert sich die Frequenz, wenn die Auslenkung und die Geschwindigkeit zum
Masse der Feder doch zu berücksichtigen Zeitpunkt t = 0. Welche maximale Beschleu­
ist? nigung tritt auf ?
4.4 · Fragen und Übungen
147 4
4.2 ⧫ Als Sekundenpendel bezeichnet 4.6 ⧫ Warum muss bei einer Ultraschall­
man ein Fadenpendel, das genau eine Se­ untersuchung Gel zwischen Ultraschallkopf
kunde braucht, um von einem Umkehr­ und Körper appliziert werden?
punkt zum anderen zu kommen. Wie groß 4.7 ⧫ Für ein Taschenlampenbirnchen
ist seine Pendellänge? wird in 10 cm Abstand eine Lichtintensität
4.3 ⧫⧫ Eine kleine Fliege (0,15 g) wird in von 1 W/m2 gemessen. Wie groß ist die In­
einem Spinnnetz gefangen. Dort schwingt tensität in 20 cm Abstand?
sie mit etwa 4 Hz. Wie groß ist die effektive 4.8 ⧫ Wenn jeder der 65 Chorsänger den
Federkonstante des Netzes? Mit welcher Chorleiter mit 65 Phon „beschallt“, mit wel­
Frequenz würde ein Insekt mit 0,5 g Masse cher Lautstärke hört der Chorleiter den
schwingen? ganzen Chor?
4.4 ⧫⧫ Zwei Federpendel haben gleiche 4.9 ⧫⧫ Was ergibt 0 dB + 0 dB?
Masse und schwingen mit gleicher Fre­ 4.10 ⧫⧫ Sie gehen mit einer Tasse Kaffee
quenz. Wenn eines die 10-fache Schwin­ (Tassendurchmesser 8 cm) die Treppe hin­
gungsenergie des anderen hat, wie verhalten auf und machen dabei in jeder Sekunde ei­
sich dann beide Amplituden? nen Schritt. Der Kaffee schaukelt sich in der
Tasse auf und nach ein paar Schritten kle­
zz Wellen ckert er Ihnen auf die Schuhe. Welche Ge­
4.5 ⧫ Die Schallquellen der Ultraschallge­ schwindigkeit haben die Oberflächenwellen
räte beim Arzt arbeiten meist bei Frequen­ auf Ihrem Kaffee?
zen in der Größenordnung 1 MHz. Wie groß 4.11 ⧫⧫ Sie stehen zwischen zwei Musi­
ist die zugehörige Wellenlänge im Gewebe? kern, die beide den Kammerton A spielen.
(Zur Abschätzung darf die Schallgeschwin­ Einer spielt ihn richtig mit 440 Hz, einer
digkeit im Gewebe mit der des Wassers (ca. falsch mit 444 Hz. Mit welcher Geschwin­
1500 m/s) gleichgesetzt werden.) Nur Ob­ digkeit müssen Sie sich auf welchen Musiker
jekte, die größer sind als die Wellenlänge, zu bewegen, um beide Töne mit gleicher
können abgebildet werden. Tonhöhe zu hören?
149 5

Wärmelehre
Inhaltsverzeichnis

5.1 Grundlegende Größen – 151


5.1.1  ärme ! – 151
W
5.1.2 Temperatur ! – 152
5.1.3 Temperaturmessung – 153
5.1.4 Wahrscheinlichkeit und Ordnung – 155
5.1.5 Entropie – 156
5.1.6 Wärmekapazität !! – 157

5.2 Ideales Gas – 160


5.2.1  ustandsgleichung !! – 160
Z
5.2.2 Partialdruck – 163
5.2.3 Energie im Gas – 163

5.3 Transportphänomene – 165


5.3.1  ärmeleitung – 165
W
5.3.2 Konvektion – 166
5.3.3 Wärmestrahlung – 167
5.3.4 Diffusion – 170
5.3.5 Osmose – 172

5.4 Phasenumwandlungen – 174


5.4.1  mwandlungswärmen – 174
U
5.4.2 Schmelzen oder Aufweichen? – 175
5.4.3 Schmelzen und Gefrieren – 176
5.4.4 Lösungs- und Solvatationswärme – 178
5.4.5 Verdampfen und Kondensieren !! – 179
5.4.6 Luftfeuchtigkeit – 181

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial,


das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_5. Die
Videos lassen sich mit Hilfe der SN More Media App abspielen, wenn Sie die gekennzeichneten Ab-
bildungen mit der App scannen.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_5
5.4.7  ustandsdiagramme – 182
Z
5.4.8 Absorption und Adsorption – 184

5.5 Wärmenutzung – 185


5.5.1  ärmehaushalt des Menschen – 185
W
5.5.2 Warum kostet Energie? – 187
5.5.3 Wärme- und Entropiehaushalt der Erde – 188

5.6 In Kürze – 190

5.7 Fragen und Übungen – 192


5.7.1  erständnisfragen – 192
V
5.7.2 Übungsaufgaben – 192
5.1 · Grundlegende Größen
151 5
Materie besteht aus Atomen und Molekülen
und die sind ständig in Bewegung. Die Wärme-
lehre handelt von dieser thermischen Bewe-
gung und der Energie, die in ihr steckt. Die
Temperatur ist ein Maß für die Stärke der Be-
wegung. Die Wärmelehre ist im Prinzip Me-
chanik, aber doch anders: Da es um die Me-
chanik sehr vieler Moleküle auf einmal geht,
kommen Statistik und Wahrscheinlichkeiten
ins Spiel. Daher laufen hier viele Prozesse im-
mer nur in einer Richtung hin zum wahr-
scheinlicheren Zustand ab. Wärme strömt frei-
willig von warm nach kalt, nicht umgekehrt.

5.1 Grundlegende Größen

5.1.1 Wärme !

Zu unseren Sinnen gehört der Sinn für


warm und kalt. In der Haut haben wir sogar
zwei verschiedene Nervensensoren, einen
für warm und einen für kalt. Aber was regis-
trieren diese Sensoren?
Sie registrieren die Bewegung der Atome
und Moleküle in der Haut. Alle Atome und
Moleküle in jedwedem Gegenstand führen
eine thermische Bewegung aus. Man kann
diese schon mit einem einfachen Kinder-
mikroskop sehen, durch das man sich einen
Tropfen Milch anschaut. In der höchsten
Vergrößerung sind gerade schon die Fett-
tröpfchen in der Milch zu sehen. Diese zittern
im Gesichtsfeld herum, da sie ständig von
den im Mikroskop natürlich nicht sichtbaren
Wassermolekülen herumgeschubst werden
(Brown’sche Molekularbewegung). Albert
Einstein hat diese Bewegung als Erster vor
100 Jahren theoretisch analysiert und damit
auch die letzten Skeptiker von der Existenz
..      Abb. 5.1 (Video 5.1) Thermische Bewegung. Spur-
der Atome überzeugt. . Abb. 5.1 vermittelt bilder der thermischen Bewegung von Atomen in Fest-
eine Idee von dieser thermischen Bewegung körper (oben), Flüssigkeit (Mitte) und Gas (unten).
der Atome für die verschiedenen Aggregat- Simulation für einen Argonkristall mit MOLDYN
zustände. Die Bilder zeigen die Spur der Be- (https://doi.org/10.1007/000-086)
wegung in einer Computersimulation:
55 Im Festkörper bewegen sich die Atome Bewegung zu heftig, lockern sich die che-
um ihre Gleichgewichtslage, die ihnen mischen Bindungen und der Festkörper
die Kristallstruktur zuweist. Wird die schmilzt.
152 Kapitel 5 · Wärmelehre

55 In der Flüssigkeit bleiben die Atome Normmenschen beträgt etwa 100 W, also
noch beieinander, haben aber keinen fes- 100 Joule in jeder Sekunde, so viel wie bei
ten Platz mehr und wandern herum. einem e-Bike.
Wird die Bewegung heftiger, reißen die
Bindungskräfte vollständig auf und die >>Merke
Flüssigkeit verdampft. Der Begriff thermische Energie oder
55 Im Gas fliegen die Atome oder Moleküle thermische innere Energie (U) bezeichnet
frei umher, stoßen aber noch aneinander. die Energie, die in der thermischen Wim-
melbewegung der Atome und Moleküle
Mit dieser thermischen Bewegung ist Ener- steckt. Mit Wärme (Q) bezeichnet man
5 gie verbunden: kinetische Energie der Bewe-
gung, im Festkörper und in der Flüssigkeit
Energie, die von einem Gegenstand auf
einen anderen übertragen wird.
zusätzlich potenzielle Energie in der Ab-
weichung aus der Gleichgewichtslage. Diese
Energie wollen wir in diesem Buch thermi- 5.1.2 Temperatur !
sche Energie oder genauer thermische innere
Energie U dieses Gegenstands nennen. Die Wie warm oder wie kalt ein Gegenstand ist,
gesamte innere Energie eines Gegenstands kann an seiner thermischen inneren Energie
umfasst auch noch die Bindungs- oder che- bemessen werden. Da diese aber auch von
mische Energie. der Größe des Körpers und seiner inneren
Zuweilen wird die thermische Energie Beschaffenheit abhängt, muss hier ein bes-
auch Wärme, Wärmeenergie oder Wärme- seres Maß gefunden werden. Letztlich geht
inhalt genannt. Das führt leicht zu Verwir- es darum, die „Stärke“ der thermischen Be-
rung. Denn streng genommen (und so soll es wegung anzugeben. Wie sich herausgestellt
auch in diesem Buch sein) ist die Wärme Q hat, ist dafür die Energie schon das richtige
jegliche Energie, die von einem Gegenstand Maß, aber nicht die des ganzen Gegenstands,
auf einen anderen übertragen wird, außer es sondern die mittlere Energie der einzelnen
handelt sich dabei um mechanische Arbeit. Atome oder Moleküle. Genauer gesagt: Die
Das ist eine durchaus etwas verworrene Be- absolute TemperaturT ist proportional zur
griffsbildung, an die man sich gewöhnen mittleren kinetischen Energie der Schwer-
muss. Klar ist aber: Alle Begriffe bezeichnen punktbewegung der einzelnen Moleküle.
Energien und werden in Joule gemessen. In der thermischen Bewegung tauscht jedes
Die thermische innere Energie des Molekül laufend kinetische Energie mit den
Menschen beträgt bei 75 kg Masse etwa Nachbarn aus, deshalb muss zeitlich gemit-
10.000 kJ, normale Körpertemperatur vo- telt werden. Als Formel geschrieben:
rausgesetzt. Man könnte ihn auch so weit
abkühlen, ihm Wärme entziehen, bis sich 3 m
die Moleküle nicht mehr bewegen. Dann kB × T = v 2
2 2
­befände er sich am absoluten Temperatur-
nullpunkt und seine thermische Energie Hier bezeichnet die spitze Klammer eine
wäre null. zeitliche Mittelung und m die Masse des
Selbst wenn der Mensch ruhig im Moleküls. Die absolute Temperatur wird in
Bett liegt, liefert sein Stoffwechsel weitere Kelvin (Einheitszeichen: K) gemessen und
Wärme an den Körper, die der Mensch nicht in Joule, deshalb taucht in der Formel
durch Schwitzen, Konvektion und Wärme- ein Umrechnungsfaktor auf, die Boltzmann-­
strahlung laufend abgeben muss, um seine Konstante kB. Die typische Zimmertempe-
Temperatur und seine innere Energie kons- ratur beträgt knapp 300 Kelvin, die mittlere
tant zu halten. Dieser Grundumsatz unseres kinetische Energie eines Moleküls ist wegen
5.1 · Grundlegende Größen
153 5
seiner geringen Masse sehr klein. Deshalb >>Merke
hat auch die Boltzmann-Konstante einen Die Kelvin-Skala zählt vom absoluten
sehr kleinen Wert: Nullpunkt der Temperatur aus. Man er-
hält ihre Maßzahl, indem man die der
J Celsius-Skala um 273,15 erhöht.
kB = 1, 38 ×10-23
K
Lässt man eine schöne heiße Tasse Kaffee
Dass vor der Boltzmann-Konstante noch stehen, so wird der Kaffee kalt. Genauer:
ein Faktor 3/2 steht, hat praktische Gründe, Er hat nach einer Weile die gleiche Tempe-
die wir später verstehen werden. ratur wie das Zimmer drumherum. Dies ist
eine zentrale Eigenschaft der Temperatur:
>>Merke Innerhalb eines Gegenstands und zwischen
Die absolute Temperatur T ist ein Maß für Gegenständen, die irgendwie miteinander in
die Stärke der thermischen Bewegung. Sie Kontakt sind, gleicht sich die Temperatur
ist proportional zur mittleren kinetischen über kurz oder lang an. Die thermische Be-
Energie der einzelnen Moleküle. Die Einheit wegung sorgt dafür, dass sich die thermische
heißt Kelvin (1 K). Am absoluten Tempera- Energie gleichmäßig auf alle Atome und
turnullpunkt T = 0 K gibt es keine thermi- Moleküle verteilt. Wie lange dieses Anglei-
sche Bewegung mehr. Kälter geht es nicht. chen der Temperatur dauert, hängt davon
ab, wie schnell sich die Wärme in einem Ge-
Sie werden nun vielleicht einwenden, dass genstand und zwischen Gegenständen aus-
es in ihrem Zimmer nur 20 Grad warm ist breitet. Diesen Wärmetransport besprechen
und nicht 300 Grad heiß ist. Im täglichen wir in 7 Abschn. 5.3.
Leben wird die Temperatur in Grad Celsius
gemessen, in einer Skala, die schon älter ist >>Merke
und sich an den Eigenschaften des Wassers Gegenstände, die in thermischem Kon-
orientiert (0 °C: schmelzen; 100 °C: kochen). takt sind, gleichen ihre Temperatur an.
Die absolute Temperatur mit der Kelvin-­
Skala orientiert sich direkter an der Physik
dahinter. Am absoluten Temperaturnull- 5.1.3 Temperaturmessung
punkt bei 0 K gibt es gar keine thermische
Bewegung mehr, kälter geht es nicht, nega- Die kinetische Energie eines Moleküls kann
tive absolute Temperaturen gibt es also nicht. man nicht im Mikroskop nachgucken. Wie
In Grad Celsius gemessen liegt der absolute misst man also Temperatur? Man nutzt aus,
Temperaturnullpunkt bei −273,15 °C. Prak- dass bestimmte Materialeigenschaften von
tischerweise haben aber beide Temperatur- der Temperatur abhängen. Der Klassiker ist
skalen die gleiche Gradeinteilung, eine Tem- die thermische Ausdehnung. Ein Metallstab
peraturdifferenz von 1 °C ist also auch eine der Länge l0 z. B. ändert seine Länge ein we-
Temperaturdifferenz von 1 K. Man kann nig um Δl, wenn sich seine Temperatur än-
deshalb beide Skalen leicht in einander um- dert:
rechnen: wenn T die absolute Temperatur
und t dieselbe Temperatur in Grad Celsius Dl = a × l0 × DT .
ist, so gilt:
Hierbei ist α der lineare Ausdehnungskoef-
K fizient des Materials. Der Effekt ist klein,
T = t × + 273,15 K und
C der Ausdehnungskoeffizient in der Größen-
ordnung von 10−5 K−1. Ein 1 m langer Stab
C
t =T × - 273,15 °C. würde sich also bei 1 Grad Temperatur-
K erhöhung nur um ein Hundertstelmillimeter
154 Kapitel 5 · Wärmelehre

(10 μm) ausdehnen. Will man daraus ein nen Metalldraht auf eine kleine Spule und
Thermometer machen, so nimmt man eine misst seinen elektrischen Widerstand. Mit
Flüssigkeit in einem kleinen Glasbehälter, steigender Temperatur steigt sein Wider-
auf den eine feine Kapillare aufgesetzt ist, in stand, da die stärkere thermische Bewegung
der die Flüssigkeit hochsteigt, wenn sie sich den Fluss der Elektronen behindert.
ausdehnt. So werden auch kleine Volumen- Über einen weiten Temperaturbereich
änderungen gut sichtbar. ist der Zusammenhang zwischen Tempe-
ratur und Widerstand linear. Aber wie bei
Volumenänderung der thermischen Ausdehnung ist der Effekt
Bei einer Volumenänderung dehnt sich die Flüssigkeit
klein. Man braucht eine recht empfindliche
in alle drei Raumrichtungen aus, der Volumenausdeh-
5 nungskoeffizient ist deshalb dreimal so groß wie der Elektronik. Bei einem Halbleiterelement
ist die Temperaturabhängigkeit des Wider-
lineare:
stands viel stärker und umgekehrt: Mit stei-
DV = 3 × a × V0 × DT .
gender Temperatur nimmt der Widerstand
ab. Der Zusammenhang ist leider gar nicht
Ein anderer Trick ist es, zwei Streifen aus verschiede- linear, sodass hier ins Thermometer noch
nen Metallen mit verschiedenen Ausdehnungskoeffizi-
ein Mikroprozessor zum Umrechnen hinein
enten aneinanderzukleben. Dieser Bimetallstreifen ist
bei der Temperatur, bei der er zusammengeklebt muss.
wurde, gerade, verbiegt sich aber zur einen oder ande- Eine interessante, aber teurere Methode
ren Seite, wenn die Temperatur kleiner oder größer der Temperaturmessung ist die Messung der
wird (. Abb. 5.2). Wärmestrahlung (7 Abschn. 5.3.3). Jeder
Gegenstand, der nicht gerade am absoluten
Das ist ein recht starker Effekt, der genutzt Temperaturnullpunkt ist, strahlt elektroma-
werden kann, Ventile zu betätigen (Ther- gnetische Wellen im Infrarotbereich ab. Wie
mostatventil am Heizkörper) oder elektri- stark er strahlt und mit welcher Wellenlänge,
sche Schalter zu schließen (Thermostaten in hängt von der Temperatur ab. Mit einem
Zimmern oder Waschmaschinen). Empfänger, der das messen kann, lässt sich
Die Ausdehnungsthermometer sind bis also die Temperatur bestimmen. Die Mes-
auf die Bimetallvariante eher selten ge- sung erfolgt berührungslos und sehr schnell,
worden, denn meistens möchte man gern da man gar nicht mehr warten muss, bis das
eine elektronische Anzeige der Temperatur. Thermometer seine Temperatur an die des
Dann verwendet man zur Temperaturmes- Gegenstands angeglichen hat. Sie hat aber
sung die Temperaturabhängigkeit der elek- auch ihre Tücken (7 Abschn. 5.3.3).
trischen Leitfähigkeit von Metallen oder . Abb. 5.3 zeigt drei Fieberthermome-
Halbleitern. Man wickelt also z. B. einen fei- ter, die die verschiedenen Messmethoden
nutzen: Das linke Quecksilberthermometer
war vor 40 Jahren noch Standard. Das mitt-
lere Thermometer mit einem elektrischen
Widerstand in der Sensorspitze piept, wenn
sich die Temperatur der Spitze kaum noch
ändert, sie also praktisch Körpertemperatur
angenommen hat. Das dauert je nach Bau-
art 20 s bis 1 min, viel zu lang für eine ge-
stresste Pflegekraft in der Klinik. Deshalb
wird dort fast nur noch das rechte Strah-
..      Abb. 5.2 Bimetall. Ein Bimetallstreifen biegt sich
lungsthermometer verwendet, dessen Spitze
bei Änderung der Temperatur wie gezeichnet, wenn man ins Ohr einführt. Dort „sieht“ es auf
sich das linke Metall stärker ausdehnt als das rechte das Trommelfell, das sich ziemlich genau
5.1 · Grundlegende Größen
155 5
5.1.4 Wahrscheinlichkeit und
Ordnung
An einer heißen Kaffeetasse kann man gut
die Hände wärmen, den Wärme fließt be-
reitwillig von heiß nach warm. Dass man
den Kaffee aber mit seinen Händen wieder
zum Kochen bringt, wird niemals passieren.
Dazu müsste thermische Energie aus der
Hand in den Kaffee fließen, doch Wärme
fließt nie von warm nach heiß. Warum?
Es liegt an der Wahrscheinlichkeit. Al-
les strebt in den Zustand mit der höchsten
Wahrscheinlichkeit. So ist die Wahrschein-
lichkeit definiert. Jeder kennt es von seinem
Schreibtisch: Unordnung ist wahrscheinli-
cher als Ordnung. Das gilt auch in der Na-
..      Abb. 5.3 Fieberthermometer. Klassisches Flüssig- tur: Ein System aus vielen Teilen wird sich so
keitsthermometer (links), elektrisches Widerstands- lange wandeln, bis es den wahrscheinlichsten
thermometer (Mitte) und Strahlungsthermometer
Zustand, und das ist der Zustand höchsten
(rechts)
Unordnung, erreicht hat. Dann befindet es
sich im thermodynamischen Gleichgewicht
und verändert sich nicht mehr.
auf Körpertemperatur befindet. Ein Druck
Auf dem Weg zum thermodynamischen
auf den Auslöser und die Temperatur ist
Gleichgewicht gibt es keinen Umweg zurück
vermessen.
in einen unwahrscheinlicheren Zustand. Das
ist das Gesetz der großen Zahl. Ein System
mit wenigen Teilen, sagen wir zwei Würfel,
Rechenbeispiel 5.1: Stahlbrücke mit denen gewürfelt wird, kann auch mal
Aufgabe. Der freitragende Teil einer in einen unwahrscheinlichen Zustand kom-
Stahlbrücke sei bei 20 °C 200 m lang. Wie men, z. B. wenn beide Würfel die gleiche
viel Längenspiel müssen die Konstruk- Zahl zeigen. Würfelt man mit 10 Würfeln,
teure einplanen, wenn die Brücke Tempe- so müsste man schon an die 10 Mio. Mal
raturen von −20 °C bis +40 °C ausgesetzt würfeln, um eine reelle Chance zu haben,
ist? Der Ausdehnungskoeffizient von Ei- dass alle Würfel einmal die gleiche Zahl zei-
sen beträgt 12 · 10−6 K−1. gen. Würfelt man mit 1 Mio. Würfeln, kann
Lösung. Da die Kelvin-Skala die glei- man sicher sein, dass das wahrscheinlichste
che Gradeinteilung hat wie die Celsius-­ Ergebnis, dass nämlich alle Zahlen in etwa
Skala, könnte man die Einheit des Aus- gleich oft vorkommen, immer eintritt. Die
dehnungskoeffizienten auch in °C−1 Gegenstände unserer Umgebung bestehen
schreiben. Die Schrumpfung der Brücke aus mindestens 1020 Atomen. Da kann man
im kältesten Fall wäre: völlig sicher sein, dass sie zielstrebig ihrem
Δl = α · 100 m · (−20 °C) = −4,8 cm, wahrscheinlichsten Zustand entgegengehen.
die Ausdehnung Δl = α · 200 m · Ein wichtiger Punkt ist, dass die Tem-
(−40 °C) = −9,6 cm. peratur im thermodynamischen Gleichge-
Es muss also insgesamt ein Spiel- wicht überall gleich ist. Deshalb wird der
raum von 14,4 cm eingeplant werden. Kaffee auf die Dauer die Temperatur der
Hände haben und nicht wieder anfangen
156 Kapitel 5 · Wärmelehre

zu kochen. Wie lange es aber dauert, bis physikalische Größe gewidmet: die Entropie.
Kaffee und Hände im thermodynamischen Sie ist ein Maß für diese Wahrscheinlichkeit.
Gleichgewicht sind, hängt von den Details Es ginge über den Rahmen dieses Buches
ab; wie gut z. B. die Kaffeetasse isoliert. Es hinaus, wenn hier genau erklärt würde, wie
kann sehr lange dauern. Seit dem Urknall man Wahrscheinlichkeiten eigentlich misst
sind schon 14 Mrd. Jahre vergangen und oder berechnet, um dann eine neue physi-
trotzdem ist das Weltall noch lange nicht im kalische Größe definieren zu können. Hier
wahrscheinlichsten Zustand. seien nur die wichtigsten Eigenschaften der
Aber wie ist es mit dem Menschen? Der Entropie aufgeführt:
ist doch ein hochkomplex organisiertes Sys- 55 Die Entropie eines Körpers steigt mit der
5 tem von Molekülen, also sehr unwahrschein-
lich? Der Mensch hat einen Trick: Er nimmt
Wahrscheinlichkeit seines Zustands. Ein
von der Umwelt völlig isolierter Körper
ständig Energie in sehr geordneter Form strebt in den Zustand mit höchster Wahr-
(z. B. Schwarzwälder Kirschtorte) zu sich scheinlichkeit, seine Entropie steigt also
und gibt sie in sehr ungeordneter Form wie- an. Sie sinkt niemals. Hat sein Zustand die
der ab. Damit ist weniger das Resultat auf höchste Wahrscheinlichkeit erreicht, so ist
der Toilette gemeint als vielmehr die Wär- er im thermodynamischen Gleichgewicht
meenergie, die der Mensch ständig abgibt und seine Entropie bleibt konstant.
(100–200 Joule pro Sekunde). Diese Energie 55 Die Entropie ist als additive Größe defi-
bezieht er aus der Schwarzwälder Kirsch- niert. Macht man den Körper doppelt so
torte. Dadurch erhöht der Mensch die Un- groß, ohne ihn sonst zu verändern, ver-
ordnung der Umgebung, um bei sich selbst doppelt sich seine Entropie.
die hohe Ordnung aufrechtzuerhalten oder 55 Unordnung ist wahrscheinlicher als Ord-
noch zu erhöhen. Mensch und Umgebung nung. Die Entropie flüssigen Wassers ist
zusammengenommen bleiben aber tatsäch- höher als die Entropie von zu Eiskristal-
lich auf dem Weg zu höherer Unordnung. len gefrorenem Wasser, denn in der Flüs-
Thermische Energie ist kinetische Ener- sigkeit sind die Atome ungeordnet.
gie in ungeordneter Form. Sie lässt sich 55 Überträgt man Wärme von einem Kör-
nicht ohne Weiteres in geordnete Bewegung, per auf einen anderen, so wird auch En-
so wie sie ein Motor zur Verfügung stellt, tropie übertragen. Zugeführte Wärme
umwandeln. Auch der Motor muss dazu verstärkt die atomare Wimmelbewegung
Energieträger in einer geordneteren Form, und erhöht damit Unordnung und En-
wie z. B. Benzin, verwenden. Einfach nur tropie. Genau gilt: Eine Wärme Q, die
der Umgebung Wärme entziehen und da­ einem Körper mit der Temperatur T zu-
raus mechanische Arbeit gewinnen, das geht geführt wird, erhöht dessen Entropie um
nicht. Ein solcher Motor könnte dann ja Q
DS =
z. B. eine Klimaanlage betreiben, die Wär- T
meenergie endlos von kalt nach warm trans- 55 Den Umstand, dass im isolierten System
portiert und damit alles vom wahrscheinli- die Entropie (also die Wahrscheinlich-
cheren Zustand wegtreibt. keit des Zustands) nicht sinken kann, be-
zeichnet man als 2. Hauptsatz der Ther-
modynamik, also:
5.1.5 Entropie
DS ³ 0 imisolierten System.
Die Wahrscheinlichkeit des Zustands eines
Systems ist also eine sehr wichtige Größe, Mit der Größe Entropie kann man sehr
wenn man den Ablauf thermischer Prozesse handfest arbeiten und rechnen. Dies tun
verstehen will. Deshalb wird ihr eine eigene vor allem die Chemiker, die wissen wollen,
5.1 · Grundlegende Größen
157 5
wie Stoffe chemisch miteinander reagieren. Die beiden werden zuweilen nicht ganz kor-
Auch dies bestimmt die Entropie. In diesem rekt, aber kürzer „spezifische Wärme“ und
Buch wird die Entropie bei den Phasenüber- „Molenwärme“ genannt. Diese sind bei Ele-
gängen (7 Abschn. 5.4) wieder auftauchen, fant und Kaninchen in etwa gleich, da beide
denn die sind auch chemische Reaktionen. aus ähnlichem Körpergewebe bestehen.

>>Merke
5.1.6 Wärmekapazität !! Wärmekapazität
J
C = Q / DT , Einheit : 1 .
K
Ein Tauchsieder soll Wasser erwärmen, also
dessen Temperatur erhöhen. Dazu holt er spezifische Wärmekapazität
elektrische Energie „aus der Steckdose“, setzt J
c = C / m, Einheit : 1 .
sie in thermische Energie um und gibt sie an kg × K
das Wasser weiter, in dem sie mikroskopisch molare Wärmekapazität
betrachtet als kinetische Energie in der Wim- J
cn = C / n, Einheit : 1 .
melbewegung der Atome gespeichert wird. mol × K
In leidlicher Näherung ist die erzielte
Wärme bestimmt man im Kalorimeter, indem
Temperaturerhöhung ΔT (zu messen in Kel-
man die Temperaturänderung einer Subs-
vin) der zugeführten Wärme Q (zu messen in
tanz mit bekannter Wärmekapazität misst.
Joule) proportional. Die Beziehung
Favorisierte Kalorimetersubstanz ist Was-
Q = C × DT ser, in abgemessener Menge eingefüllt in ein
Gefäß mit guter Wärmeisolierung. Bewährt
definiert die Wärmekapazität C eines be- haben sich die Dewar-Gefäße (sprich: Djuar),
stimmten festen, flüssigen oder auch gasför- doppelwandige Glasflaschen mit evakuier-
migen „Körpers“. Zu ihr gehört die Einheit ter Wandung (. Abb. 5.4): Als thermische
J/K. Je mehr Atome ein Gegenstand ent- Bewegung von Molekülen ist Wärme an
hält, umso größer ist seine Wärmekapazi- Materie gebunden, Vakuum unterbindet
tät, denn man braucht mehr Energie, wenn jede Wärmeleitung. Im Haushalt bezeichnet
mehr Atome in stärkere Bewegung versetzt man Dewar-Gefäße als Thermosflaschen.
werden sollen. Ein Elefant ist größer als ein In keinem Physikpraktikum für Medizi-
Kaninchen; für die Wärmekapazitäten der ner fehlt ein Kalorimeterversuch. In der Regel
beiden gilt das auch. Bezieht man C auf die
Masse m des Körpers, so erhält man die
C
  c =
spezifische Warmekapazitat
m
J
Einheit : 1 ;
kg × K

bezieht man C auf die Stoffmenge n, erhält


man die
..      Abb. 5.4 Dewar-Gefäß (Thermosflasche), doppel-
C wandiges Gefäß mit guter Wärmeisolation. Der Zwi-
  cn =
molareWarmekapazitat
n schenraum zwischen beiden Wänden ist evakuiert, um
Wärmeverluste durch Wärmeleitung zu reduzieren; die
J Wände sind verspiegelt, um Wärmeverluste durch Strah-
Einheit : 1 . lung zu reduzieren. Dewar-Gefäße können „implodie-
mol × K ren“ und gehören deshalb in einen stabilen Behälter
158 Kapitel 5 · Wärmelehre

wird die Wärmekapazität einer Substanz be-


stimmt. Entweder wird elektrisch mit einem
Tauchsieder eine bestimmte Wärme zugeführt
und die Temperaturerhöhung gemessen. Oder
es wird eine Mischungstemperatur bestimmt.
Näheres beschreibt 7 Praktikum 5.1.

Praktikum 5.1

Kalorimeter
5 Es gilt die Energie zu ermitteln, die benö-
tigt wird, um eine feste oder flüssige Probe
um eine gewisse Temperaturdifferenz zu
erwärmen, also um die Bestimmung einer
Wärmekapazität. Für alle Messungen
braucht man ein gut gegen Wärmeaus-
tausch isoliertes Gefäß, ein Kalorimeter.
..      Abb. 5.5 Versuchsanordnung zur Bestimmung der
Auch bei guter Isolation hat das Kalori-
spezifischen Wärmekapazität des Wassers
meter (+ Thermometer + Rührer) selbst
eine bestimmte Wärmekapazität CW, die
bei der Rechnung zu berücksichtigen ist. Q = ( mFl × cFl + CW ) × (T1 - T0 ) .
(Man nennt CW auch Wasserwert: Wenn
man in Kalorien (statt Joule) pro Kelvin In 7 Rechenbeispiel 5.2 wird das am
rechnet (was man aber nicht mehr tut) gibt Beispiel des Wassers durchgerechnet.
der Wasserwert an, wie vielen Gramm
Wasser das Kalorimeter entspricht.)
Man führt nun einer Flüssigkeit Praktikum 5.2
(Masse mFl) im Kalorimeter mittels eines
Tauchsieders (elektrischen Widerstands) Ermittlung einer Mischtemperatur
eine bestimmte elektrische Energie Ist die spezifische Wärmekapazität des
(. Abb. 5.5). Legt man für die Zeitspanne Wassers, nämlich
Δt eine elektrische Spannung U0 an den c ( H 2O ) = 4,18J / ( g × K )
Tauchsieder, so fließt der Strom I0 und bekannt, so können die Wärmekapazitä-
setzt (wie in 7 Abschn. 6.1.3 erläutert ten anderer Substanzen nach folgendem
werden wird) die elektrische Energie Schema ausgemessen werden: Man
W = U 0·I 0·Dt hängt z. B. einen Kupferring (Masse mK)
in die Wärme Q um. Diese heizt die Flüs- zunächst in siedendes Wasser (Tempera-
sigkeit entsprechend ihrer spezifischen tur T3) und bringt ihn dann ins Kalori-
Wärmekapazität cFl bis zur Endtempera- meterwasser; dessen Temperatur steigt
tur T1 auf: dadurch von T1 auf T2. Die dafür not-
DQ = mFl·cFl·(T1 - T0 ) . wendige Wärme muss der Ring durch
Allerdings hat das Kalorimeter (Ge- Abkühlung geliefert haben. Der Kupfer-
fäß + Thermometer + Heizwendel) selbst ring liefert also die Wärme:
eine gewisse Wärmekapazität CW, die bei QK = mK × cK × (T3 - T2 ) .
genauer Rechnung berücksichtigt werden Wasser und Kalorimeter erhalten die
muss: Wärme:
5.1 · Grundlegende Größen
159 5
umsatz von etwa 80 W, also ungefähr 7 MJ/
QW = ( m ( H 2O ) × c ( H 2O ) + CW ) × (T2 - T1 ) . Tag oder 1650 kcal/d. Er ist erforderlich, um
lebenswichtige Funktionen wie Atmung und
Im thermischen Gleichgewicht sind diese Herzschlag, aber die Körpertemperatur auf-
beiden Wärmen gleich: rechtzuerhalten. Der Mensch besitzt ferner
QW = Qk . eine Wärmekapazität; da er im Wesentlichen
Das lässt sich dann nach der spezifischen aus Wasser besteht, darf man bei 70 kg Kör-
Wärmekapazität von Kupfer ck auflösen: permasse getrost schreiben:
( c ( H 2O ) × m ( H 2O ) + CW ) × (T1 - T2 ) .
ck = C ( Mensch ) » 70 kcal / K » 0, 3 MJ / K.
mk (T2 - T3 )
Die Mischtemperatur T2 berechnet sich Das heißt nun wieder: Könnte man einen
gemäß: Menschen völlig wärmeisolieren, so würde
æ c ( H 2O ) × ö ihn sein Grundumsatz mit einer Geschwin-
ck × mk × T3 + çç ÷÷ × T1 digkeit von etwa 1 K/h aufheizen. Viel
è m ( H 2 O ) + C Wø
T2 = . schneller kann Fieber aus rein wärmetechni-
ck × mk + c ( H 2O ) × m ( H 2O ) + CW
schen Gründen nicht steigen.
Das Angleichen der Temperatur kann et- Mensch und Tier beziehen die zum Leben
was dauern. Verliert das Kalorimeter in notwendige Energie aus der Nahrung, also
dieser Zeit doch etwas Wärme, so muss aus komplizierten organischen Molekülen.
man den Temperaturverlauf auftragen Diese bestehen aber im Wesentlichen aus
und extrapolieren. Atomen des Kohlenstoffs (C) und des Was-
7 Rechenbeispiel 5.3 gibt ein Bei- serstoffs (H). Letzten Endes werden sie in
spiel zum Einsatz dieser Formeln. Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O) über-
Wenn man schon mal ein Kalorimeter geführt, d. h. mit Sauerstoff (O) aus der At-
und einen Tauchsieder bei der Hand hat, mung oxidiert. Der Weg der chemischen Um-
kann man natürlich auch noch die Schmelz- setzung ist kompliziert und läuft in vielen
wärme (7 Abschn. 5.4.3) z. B. von Wasser Einzelschritten ab; zu jedem gehört eine Ener-
messen, in dem man einem Wasser-Eis-Ge- gieumwandlung. Schließlich und endlich wird
misch bei 0 °C so lange Wärmeenergie zu- aber immer Wärme daraus, und zwar insge-
führt, bis das gesamte Eis geschmolzen ist. samt genau so viel wie bei schlichter Verbren-
nung in der Retorte; auf den Energiesatz ist
Verlass. Deshalb kann man ganz unabhängig
Im Zusammenhang mit Wärme und der in von einem lebenden Organismus den Brenn-
Lebensmitteln enthaltenen Energie taucht wert von Nahrungsmitteln im Laboratorium
zuweilen noch eine alte Energieeinheit auf, messen, den Betrag der chemischen Energie
die an die spezifische Wärme von Wasser an- also, die bei der Oxidation z. B. eines Pfeffer-
gepasste Einheit Kalorie (cal), definiert zu: steaks frei wird; Beispiele: 2300 kJ bei 100 g
Schokolade, 188 kJ bei 100 g Bier. 9
1 cal = 4,1840 J.

Sie gehört nicht zu den SI-Einheiten und


verschwindet deshalb allmählich von der Rechenbeispiel 5.2: Nachgemessen
Bildfläche. Aufgabe. Wasser wird mit einem Tauch-
sieder im Dewar-Gefäß aufgewärmt. Im
77Energie zum Leben Experiment wurden die folgenden Werte
Leben braucht Energie; es setzt Energie um ermittelt: m = 200 g, U0 = 10 Volt,
und das nicht nur, wenn man sich bewegt, I0 = 4,7 Ampere, Δt = 50 s, T1 = 18,3 °C,
also mechanische Arbeit produziert. Auch T2 = 21,1 °C. Kommt der Wert für die
im Schlaf hat der Mensch noch einen Grund-
160 Kapitel 5 · Wärmelehre

Wärmekapazität des Wassers c(H2O) tat- indem er eine 50-kg-Hantel stemmt. Sagen
sächlich wie oben angegeben heraus? wir, er kann sie 2 m h ­ ochheben. Wie oft
Der Wasserwert des Kalorimeters sei muss er sie heben, um die 8370 kJ wieder
vernachlässigbar. Anmerkung: Ein Volt zu verbrauchen? Dabei ist zu beachten,
mal Ampere entspricht einem Watt. dass der Mensch keine sehr effiziente me-
Lösung: chanische Maschine ist. Er muss etwa
Q U × l × Dt 5-mal mehr Energie verbrennen als die me-
c ( H 2O ) = = 0 0 chanische Arbeit, die er leistet. Sein Wir-
m × DT m (T2 - T1 )
kungsgrad beträgt nur etwa 20 %.
47 W × 50s J
Lösung. Der Student leistet bei
5 =
200 g × 2, 8 K
= 4, 2
g×K
.
N-maligem Stemmen die Arbeit
W = N · m · g · h und verbrennt 5-mal
so viel Energie. Also ist:
Rechenbeispiel 5.3: Kalorimeter 8, 37 × 106 J
N= = 1706
Aufgabe. Eine Probe mit der Masse 5, 50 kg × 9, 81m / s 2·2 m
mP = 46 g und der Temperatur TP = 100 °C
wird in ein Kalorimeter geworfen, das
200 g Wasser bei 20 °C enthält. Der Be- Rechenbeispiel 5.5: Im Saloon
hälter aus Kupfer hat eine Masse von Aufgabe. Ein Cowboy schießt mit seiner
100 g. Es stellt sich 23,6 °C Mischtempe- Pistole eine 2-g-Bleikugel mit 200 m/s in
ratur ein. Wie groß ist die spezifische die Holzwand, wo sie stecken bleibt. An-
Wärmekapazität cP der Probe? Sie brau- genommen, die freiwerdende Energie
chen die spezifischen Wärmekapazitäten bliebe vollständig in der Kugel. Wie heiß
von Wasser (4,18 J/g · K) und von Kupfer wird sie dann? (Wärmekapazität von Blei:
(0,39 J/g · K). c(Pb) = 0,13 J/g · K)
Lösung. Die von der Probe abgege- Lösung. Die freiwerdende Energie ist
bene Wärme muss gleich der vom Wasser 1
und Behälter aufgenommenen Wärme m × v 2 = 40 J Wir bekommen also
2
sein, also gilt: die Temperaturänderung:
CP × mP × (TP - TM ) = cP × 46g × 76, 4 K Q 40 J
DT = = = 154 K
= 200 g × 4,18 J / gK × 3, 6 K + m × c 2 g × 0,13J / g × K
100 g × 0, 39 J / gK × 3, 6 K Betrug die Zimmertemperatur 20 °C, so
= 3139 J. bedeutet dies 174 °C.
Auflösen nach cP ergibt:
3139 J
CP = = 0, 893J / gK
46 g × 76, 4 K 5.2 Ideales Gas
Das könnte Aluminium sein.
5.2.1 Zustandsgleichung !!
Den Zusammenhang zwischen makrosko-
Rechenbeispiel 5.4: Schlankwerden
pisch messbaren Größen wie Temperatur,
auf die harte Tour
Druck, Volumen und der mikroskopischen
Aufgabe. Ein Student isst ein Mittagessen,
thermischen Bewegung der Moleküle lässt
dessen Brennwert mit 8370 kJ angegeben
sich besonders einfach am Beispiel der Gase
worden ist. Er will das wieder abarbeiten,
nachvollziehen.
5.2 · Ideales Gas
161 5
Thermische Energie ist die Energie in zu Wand. Der Druck p ist also proportional
der Wimmelbewegung der Atome und Mo- zur Anzahldichte N/V der Moleküle im Gas:
leküle. Diese Wimmelbewegung gehorcht
natürlich den Gesetzen der Mechanik, die N
p~ .
wir in 7 Kap. 2 besprochen haben. Deshalb V
sollte es also grundsätzlich möglich sein, die
mit der thermischen Energie zusammen- Verdoppelt man die mittlere Geschwindigkeit
hängende Eigenschaften aus diesen Geset- der Moleküle im Gas, so passiert zweierlei:
zen der Mechanik abzuleiten. Am besten 55 Die Moleküle stoßen doppelt so häufig
geht dies für Gase, in denen die Atome und mit den Wänden, da sie doppelt so
Moleküle wie Pingpongbälle durch die Luft schnell durch den Behälter sausen.
fliegen. Sie stoßen zuweilen aneinander oder 55 Die Stöße werden heftiger; doppelter Im-
gegen die Wände des Gefäßes. puls (Masse mal Geschwindigkeit) be-
Durch die Stöße mit den Wänden ent- deutet doppelte Kraft beim Stoß, so lehrt
steht dort ein Druck, also eine Kraft auf die uns das 2. Newton’sche Gesetz.
Wand. Die Stöße gehorchen dem 2. New-
ton’schen Gesetzen und dem Impulserhal- Durch beide Effekte wird der Druck ins-
tungssatz. Und alles gehorcht natürlich dem gesamt 4-mal so groß, er ist also propor-
Energieerhaltungssatz. Besonders einfach tional zur mittleren Geschwindigkeit ins
ist die Situation dann, wenn die anziehen- Quadrat:
den Kräfte zwischen den Atomen vernach-
lässigt werden können. Man spricht dann p ~ v2 .
von einem idealen Gas. Die Luft, die wir
Die mittlere Geschwindigkeit ins Quadrat ist
atmen, ist z. B. praktisch ein solches ideales
aber wiederum proportional zur mittleren
Gas. Natürlich gibt es zwischen ihren Mo-
kinetischen Energie der Moleküle und damit
lekülen doch schwache anziehende Kräfte.
proportional zur Temperatur T des Gases:
Diese führen dazu, dass Luft bei ca. −200 °C
flüssig wird. Von dieser Temperatur sind wir p ~ T.
aber normalerweise so weit entfernt, dass
diese anziehenden Kräfte vernachlässigbar Der Druck ist also einerseits proportional
sind. zur Anzahldichte und andererseits zur Tem-
Bei einem idealen Gas wird außerdem peratur T. Das bedeutet, der Druck ist pro-
noch angenommen, dass das Volumen der portional zum Produkt aus beidem:
Pingpongbälle viel kleiner ist als die Zwi-
schenräume zwischen ihnen. Auch das ist N
p = kB × ×T.
bei Gasen meistens erfüllt. Für dieses ideale V
Gas kann nun eine wichtige Zustandsglei-
chung gefunden werden. Das geht so: Eine genauere Rechnung (siehe z. B.: Gerth-
Verdoppelt man die Zahl N der Moleküle sen: Physik) zeigt, dass die Proportionalitäts-
des Gases in einem Behälter mit Volumen V, konstante gerade die Boltzmann-­Konstante
verdoppelt man also die Gasmenge im Be- kB ist. Damit das so hinkommt, stand in der
hälter, so verdoppelt sich auch die Häufig- Definition der Temperatur in 7 Abschn. 5.1.2
keit, mit der die Moleküle an die Wände des der Faktor 3/2. Man schreibt die so gewon-
Behälters trommeln. Damit verdoppelt sich nene Gleichung üblicherweise etwas anders
auch die mittlere Kraft auf die Wände, also hin. Für die Stoffmenge gibt man statt der
der Druck. Das Gleiche passiert auch, wenn Zahl der Teilchen N die Zahl der Mole n an.
man das Volumen halbiert, denn dann ha- Das Volumen schreibt man auf die andere
ben die Moleküle kürzere Wege von Wand Seite. So erhalten wir:
162 Kapitel 5 · Wärmelehre

auftreten und auf diese ähnlich wirken wie eine Er-


p × V = kB × N A × n × T = R × n × T .
höhung des äußeren Druckes. Der Einfluss wächst,
wenn die Moleküle dichter zusammenrücken, wenn
Boltzmann-Konstante mal Avogadro-­also das Molvolumen abnimmt. Andererseits steht
Konstante (Zahl der Teilchen in einem Mol) dieses Molvolumen der thermischen Bewegung der
nennt man die universelle Gaskonstante R: Moleküle nicht voll zur Verfügung; sie sind ja keine
ausdehnungslosen Punkte im Sinn der Mathematik,
sondern kleine Kügelchen mit einem Eigenvolumen.
J
R = kB × N A = 8, 31 . Mit der zweiten Materialkenngröße b wird es von V
mol × K abgezogen. Mit sinkender Dichte der Gasteilchen ver-
lieren beide Korrekturglieder an Bedeutung: Das van-­
der-­Waals-Gas nähert sein Verhalten immer mehr dem

5 >>Merke des idealen Gases an.


Gasgesetz (Zustandsgleichung der idea-
len Gase)
p·V = N ·kB·T = n·R·T . Rechenbeispiel 5.6: Wie viele Moleküle
kB = Boltzmann-Konstante = 1,38 · 10−23 in einem Atemzug?
J K−1. Aufgabe. Ungefähr wie viele Moleküle at-
R = allgemeine Gaskonstante = 8,31 J mol−1 met man bei einem 1-Liter-Atemzug ein?
K−1. Lösung. Luft unter Normalbedingun-
gen ist in guter Näherung ein ideales Gas.
Der Quotient V/n ist das Molvolumen Vn. Das Molvolumen (6,02 · 1023 Moleküle)
Unter Normalbedingungen, d. h. bei einem ist also 22,4 l.
Druck p = 101,3 kPa und der Temperatur Man atmet also etwa
T = 0 °C, beträgt das Molvolumen eines 1l Moleküle ein.
idealen Gases 22,4 l/mol. × 6 × 1023 = 2, 7 × 1022
22, 4 l
Hat man ein Gas nicht auf Normalbe-
dingungen, so kann man mit dem Gasgesetz
leicht auf diese umrechnen, denn es verlangt Rechenbeispiel 5.7: Reifendruck
bei einer abgeschlossenen Gasmenge, dass Aufgabe. Ein Reifen ist bei 10 °C auf ei-
p · V ~ T, dass also p · V/T konstant sein nen Überdruck von 200 kPa aufgepumpt.
muss. Daraus folgt z. B. für die Umrechnung Nachdem das Auto 100 km gefahren ist,
des Volumens in zwei Zuständen 1 und 2: ist die Reifentemperatur auf 40 °C gestie-
gen. Welcher Überdruck herrscht nun im
T2 p1
V2 = V1. Reifen?
T1 p2 Lösung. Das Volumen des Reifens
bleibt etwa konstant. Wir haben also:
Wichtig für alle Berechnungen mit der Zu-
p1 p2
standsgleichung ist: In der Gleichung steht = .
T1 T2
die absolute Temperatur in Kelvin. Ist die
Temperatur zunächst in Grad Celsius ge- Um diese Formel nutzen zu können,
geben, so muss sie erst noch umgerechnet müssen wir zwei Dinge tun: die Tempe-
werden. raturen in absolute Temperaturen um-
rechnen (273 K addieren) und zum
Reales Gas Überdruck den Luftdruck (101 kPa) ad-
Nicht ganz so ideale Gase folgen der Zustandsglei-
dieren, um auf den Gesamtdruck zu
chung von van der Waals (Johannes Diderik van der
Waals, 1837–1923) kommen. Dann bekommen wir:

( p + a / V )·(V – b ) = n·R·T .
2
313K
p2 = × 301kPa = 333kPa.
Sie berücksichtigt mit der Materialkenngröße a die 283K
anziehenden Kräfte, die auch zwischen Gasmolekülen
5.2 · Ideales Gas
163 5
5.2.3 Energie im Gas
Dies entspricht dann wieder einem Über-
druck von 233 kPa. Das ist ein Anstieg Die thermische Energie in einem idealen
um immerhin 15 %. Deshalb soll man Gas steckt praktisch vollständig in der
Reifendrücke immer im kalten Zustand kinetischen Energie der Moleküle. Das ist
messen. zunächst einmal die kinetische Energie, die
in der Schwerpunktbewegung steckt. Das ist
die geradlinige Bewegung der Moleküle
5.2.2 Partialdruck durch den Behälter. Natürlich bewegen sich
nicht alle Moleküle mit gleicher Geschwin-
Dass sich Luft im Wesentlichen aus Stick- digkeit. . Abb. 5.6 zeigt die Geschwin-
stoff (80 %) und aus Sauerstoff (20 %) zu- digkeitsverteilung im thermodynamischen
sammensetzt, dass diese Elemente zwei- Gleich­gewicht für zwei verschiedene Tempe-
atomige Moleküle bilden, die Atome der raturen. Die grundlegende Form (Maxwell’-
Edelgase aber für sich allein bleiben, küm- sche Geschwindigkeitsverteilung) ist für alle
mert das Gasgesetz nicht: Ihm sind alle Mo- Gase und alle Temperaturen gleich.
leküle gleich und Atome hält es auch für Moleküle können jedoch mehr als nur
Moleküle. Ihm geht es nur um deren Anzahl herumfliegen. Sie können sich auch noch
N. Bei einem Gasgemisch aus n Komponen- drehen und sie können schwingen. Es ist
ten darf man deren Molekülanzahlen N1 bis wichtig, diese weiteren Bewegungsmöglich-
Nn darum einfach aufaddieren: keiten aufzuzählen. Dazu gibt es in der Phy-
sik den Begriff der Freiheitsgrade. Die Auf-
n
zählung geht so:
p × V = ( N1 + N 2 +¼+ N n ) × kBT = kBT × å Ni .
i =1

Auch das Produkt aus Druck p und Volu-


men V auf der linken Seite der Gleichung
darf man den Komponenten zuordnen.
Dies tut man vor allem für den Druck:
n
( p1 + p2 +¼+ pn ) ×V = kBT × å Ni .
i =1

Jeder Molekülsorte steht das gesamte Volu-


men V zur Verfügung; also trägt jede Kom-
ponente mit dem Partialdruck pi ihren An-
teil zum Gesamtdruck p bei:
n
..      Abb. 5.6 Verteilung der thermischen Geschwindig-
p = p1 + p2 +¼+ pn = å pi . keiten von Stickstoffmolekülen für zwei Temperaturen
i =1 (Maxwell-Geschwindigkeitsverteilung). Als Ordinate
ist die Häufigkeit H aufgetragen, mit der Moleküle in
Definitionsgemäß stehen die Partialdrücke einem Geschwindigkeitsintervall der Breite Δv zu er-
untereinander in den gleichen Verhältnissen warten sind. Stecken in dem Intervall ΔN Moleküle, so
wie die Molekülanzahlen: haben die an der Gesamtanzahl N den Anteil ΔN/N
und die Häufigkeit H = ΔN/(N · Δv). Wegen des Ge-
p1 : p2 : p3 = N1 : N 2 : N3 . schwindigkeitsintervalls unter dem Bruchstrich kommt
der Häufigkeit hier die Einheit s/m zu
164 Kapitel 5 · Wärmelehre

Mindestenergien gelten. Ist die Temperatur


zu niedrig, werden diese Mindestenergien
nicht erreicht und das Molekül rotiert oder
schwingt nicht. Man nennt dies „Ausfrie-
ren“ von Freiheitsgraden. Ist aber ein Frei-
heitsgrad aktiv, so trägt er im thermodyna-
mischen Gleichgewicht immer die mittlere
kinetische Energie:

1
Ekin = kb × T .
2
5
Das sagt der wichtige Gleichverteilungssatz:
..      Abb. 5.7 (Video 5.2) Zweiatomiges, hantelförmi- Durch die Stöße der Moleküle m ­ iteinander
ges Molekül. Es besitzt zwei Achsen, zwei Freiheits- verteilt sich die thermische Energie im Mit-
grade, in denen es Rotationsenergie unterbringen kann tel gleichmäßig auf alle Freiheitsgrade.
(https://doi.org/10.1007/000-084) Die thermische Energie eines Gases, das
aus einem Mol einzelner Atome besteht, ist
55 Atome können sich geradlinig in die drei demnach:
Raumrichtungen bewegen. Man sagt: Sie
haben drei Freiheitsgrade. 1 1
U th = 3 × N A × × kB × T = 3 × R × T ,
55 Die zweiatomigen Moleküle des Stick- 2 2
stoffs (N2) bilden dagegen Hanteln, die
zusätzlich um zwei zueinander senkrechte da die Atome in ihm ja drei Freiheitsgrade
Achsen rotieren können (. Abb. 5.7); haben. Für die molare Wärmekapazität ei-
Drehung um die Hantelachse ist aus nes einatomigen Gases heißt das:
quantenmechanischen Gründen nicht
3
möglich. Die Rotation liefert zwei zusätz- cn = R.
liche Freiheitsgrade, zusammen fünf. 2
55 Dreiatomige Moleküle können sich um Für Luft sind es zwei Freiheitsgrade der Ro-
Achsen in allen drei Raumrichtungen tation mehr:
drehen, haben also drei Freiheitsgrade
der Rotation: zusammen sechs. 5
55 Komplizierter wird es, wenn ein Molekül cn ( Luft ) = R.
2
auch noch in sich schwingt; jede Möglich-
keit bringt gleich zwei Freiheitsgrade, ei- Die Wärmekapazität der Luft ist also höher
nen für die kinetische, einen für die poten- als z. B. die des Argons, da es für die Luft-
zielle Energie der Schwingung. Das gilt moleküle mehr Bewegungsmöglichkeiten
dann auch für die Schwingungen der Git- gibt als für die Argonatome.
terbausteine eines Kristalls: Atome im
Kristall haben sechs Freiheitsgrade für Im Kristall
die Schwingung in drei Raumrichtungen. In Metallen z. B. schwingen die Atome im Kristall-
gitter in drei Raumrichtungen: Macht zwei Freiheits-
grade pro Richtung, also insgesamt sechs. Die molare
Die Quantenmechanik legt fest, dass für Wärmekapazität ist dann:
Rotation und Schwingungen bestimmte cn =
6 (Regel von Doulong-Petit).
R
2
5.3 · Transportphänomene
165 5
5.3 Transportphänomene ratur hat. Kupfer hat von den Materialien
die höchste Wärmeleitfähigkeit, die anderen
5.3.1 Wärmeleitung Stäbe sind nach sinkender Wärmeleitfähig-
keit sortiert.
Lange bevor sich ein Gasmolekül in der
thermischen Bewegung ernsthaft von seinem >>Merke
Ausgangspunkt entfernt hat, ist es schon mit Wärmeleitung: Wärmeübertragung ohne
unzähligen Artgenossen unter Austausch Materietransport.
von Energie und Impuls zusammengesto-
ßen. Die Gitterbausteine des Kristalls kön- Durch die thermische Bewegung wird eine

Warme Q,
nen thermische Energie sogar weitergeben,
ohne ihren Platz zu verlassen. gemessen in Joule, von einem Ort zu einem
Steckt man Stäbe aus verschiedenen Ma- anderen gebracht. Das entspricht einem
terialien in heißes Wasser, so kann man mit dQ

Warmestrom IQ = ,
der Wärmebildkamera gut verfolgen, wie dt
schnell die Wärme die Stäbe hochsteigt. Die
fünf Stäbe in . Abb. 5.8 sind von rechts J
Einheit : 1 = 1Watt , er repräsentiert eine
nach links aus Kupfer, Aluminium, Mes- s
sing, Graphit und Kunststoff. Das Wasser Leistung. Der Wärmestrom entsteht, wenn
im flachen Behälter ist ca. 45 °C warm. Der die Temperatur von Ort zu Ort verschieden
Kupferstab ist nach einer Minute schon ist. Er wird also angetrieben durch eine Tem-
gleichmäßig etwa 30 °C warm, während peraturdifferenz ΔT. Schon Newton hatte
man den Kunststoffstab praktisch noch gar erkannt, dass der Wärmestrom proportional
nicht sieht, weil er noch Umgebungstempe- zur Temperaturdifferenz ist. Den genauen
Zusammenhang wollen wir uns an einer
Fensterscheibe klar machen. Dabei denken
wir nicht an eine moderne doppelglasige
Scheibe aus Wärmeschutzglas („Thermo-
pane“), sondern an ein einglasiges Fenster.
Der Wärmestrom durch dieses Fenster wird
also mit steigender Temperaturdifferenz
zwischen drinnen und draußen steigen.
Außerdem ist er natürlich umso größer, je
größer die Fläche A der Fensterscheibe ist.
Ist die Glasscheibe dicker, so ist die Tempe-
raturänderung pro Länge (man spricht vom
Temperaturgradienten) kleiner. Das redu-
ziert auch den Wärmestrom. Und natürlich
spielt die Materialeigenschaft des Glases,
..      Abb. 5.8 (Video 5.3) Wärmeleitfähigkeit. Dieses Wär- seine Wärmeleitfähigkeit λ, eine Rolle. Alles
mebild zeigt die Temperatur in unterschiedlichen Farbtö-
zusammen ergibt die Formel:
nen, wie auf der Skala rechts abzulesen. Fünf Stäbe ste-
cken seit 3 min in warmem Wasser. Der Kupferstab
(rechts) ist schon recht warm. Dann kommen mit abneh- DT
mender Wärmeleitfähigkeit Aluminium, Messing, Gra- IQ = l × A × .
phit und Kunststoff (https://doi.org/10.1007/000-085)
d
166 Kapitel 5 · Wärmelehre

Dabei ist A Fläche der Glasscheibe und d


ihre Dicke. Die Wärmeleitfähigkeit λ wird 1W / mK × 2 m 2
P= × 1K = 667 W
in W/(m · K) gemessen und hängt oft auch 0, 003m
noch etwas von der Temperatur ab. transportiert. Da muss ein kräftiger
Heizstrahler gegenheizen. Also lieber
>>Merke doppelt verglasen, denn das Gas zwi-
Wärmeleitungsgleichung: schen den Scheiben eines typischen Iso-
Wärmestrom: lierglasfensters hat eine Wärmeleitfähig-
DT keit von nur 0,023 W/m · K.
IQ = l × A ×
d
5 mit der Wärmeleitfähigkeit λ.

Auch die Elektronen, die im Metall den 5.3.2 Konvektion


elektrischen Strom transportieren, nehmen
an der Wärmebewegung teil. Gute elekt- Misst man z. B. mit einem Strahlungsther-
rische Leiter wie Silber und Kupfer sind mometer die Temperatur einer Fenster-
deshalb auch gute Wärmeleiter; Kochlöffel scheibe auf der Innen- und Außenseite, so
fertigt man seit jeher aus dem elektrischen stellt man fest, dass die Fensterscheibe im
Nichtleiter Holz, damit man sich nicht die Winter auf der Innenseite kälter und auf der
Hand verbrennt. Außenseite wärmer als die umgebende Luft
Gase haben schon wegen ihrer geringen ist. Tatsächlich muss die Wärme, die durch
Dichte auch nur geringe Wärmeleitfähig- das Fenster strömt, ja auch zum Fenster hin
keit. Deshalb sind Fenster fast immer aus und vom Fenster weg gelangen. Dies ge-
doppelglasigen Scheiben mit einem Gas- schieht durch Konvektion.
raum zwischen dem Scheiben. Je schwerer Die Luft strömt an der Fensterscheibe
die Gasatome sind, umso langsamer be- entlang und gibt dabei Wärme an die Scheibe
wegen sie sich und transportieren Wärme ab, wenn sie wärmer ist als die Scheibe, oder
entsprechend schlechter. Besonders gute sie nimmt Wärme auf, wenn sie kälter ist.
Isolierglasscheiben haben zwischen den Glä- Die Luftströmung wird durch Auftrieb ver-
sern das schwere Edelgas Xenon. Bei nor- ursacht. Im Winter wärmt die Fensterscheibe
malen Scheiben ist es in der Regel Argon. zunächst durch Wärmeleitung die Außenluft
Am besten wäre es natürlich, zwischen an ihrer Oberfläche an. Diese warme Luft
den Gläsern wäre gar nichts (Vakuum). Das steigt wegen ihrer geringeren Dichte nach
funktioniert aber nur bei Thermosflaschen. oben und transportiert damit die thermische
Fensterscheiben würden wegen der großen Energie vorm Fenster weg. Auf der Innen-
Fläche dem Luftdruck nicht standhalten. seite des Fensters sinkt entsprechend kältere
Luft an der Scheibenoberfläche nach unten
Rechenbeispiel 5.8: Wärmeverlust und transportiert so wärmere Luft zum
durchs Fenster Fenster hin. Der Wärmetransport ist hier
Aufgabe. Welcher Wärmeverlust entsteht also mit Materietransport verbunden.
an einem 2 m2 großen Fenster (einglasig, Auch für den Temperaturhaushalt des
Glasdicke 3 mm), wenn an der Innenseite Menschen ist Konvektion wichtig. . Abb.
15 °C und auf der Außenseite 14 °C Term- 5.9 zeigt die mit einer besonderen Schat-
peratur herrscht. Die Wärmeleitfähigkeit tentechnik sichtbar gemachte aufsteigende
von Glas ist etwa 1 W/m · K. warme Luft bei einer Frau. Besonders an
Lösung. Durch die Scheibe wird eine der warmen Hand steigt die Luft, während
Leistung von die Konvektion an der kühleren Blusenober-
fläche schwächer ist.
5.3 · Transportphänomene
167 5
tale warme Fläche bringt es auf hcv ≈ 9 W/
(m2 · K), eine vertikale auf hcv ≈ 5,5 W/
(m2 · K).

>>Merke
Wärmeübergang mit Konvektion:

Warmestrom I Q = A × hcv × DT
mit Wärmeübergangszahl hcv.
Der Eisbär muss die Konvektion an seiner
Hautoberfläche unterbinden. Eben dazu
dient sein Fell. Und der Mensch zieht sich
warm an. Im Vakuum gibt es weder Kon-
..      Abb. 5.9 Konvektion. Aufsteigende warme Luft vektion noch Wärmeleitung. Die Thermos-
bei einer Frau. Man kann auch erkennen, dass sie ge- flasche nutzt das aus.
rade durch die Nase ausatmet. Durch eine spezielle
Schattenwurftechnik werden kleine Unterschiede im
Brechungsindex der Luft sichtbar gemacht (Bild- Rechenbeispiel 5.9: Frierender Mensch
rechte: G. S. Settles, PSU) Aufgabe. Der Mensch hat eine Oberfläche
von etwa 1,5 m2. Wie groß wäre sein Wär-
Wie beim Menschen ist der Wärmetrans- meverlust durch Konvektion, wenn er unbe-
port durch Konvektion meistens viel effekti- kleidet in einem 15 °C kalten Raum stünde?
ver als reine Wärmeleitung. Die notwendige Lösung. Die Temperatur der Haut-
Strömung kann natürlich auch aktiv ange- oberfläche wird nicht ganz 37 °C betra-
trieben werden. Der Kühler eines Autos tut gen, vielleicht nur 33 °C. Dann ist ca.
dies gleich zweimal: Ein Ventilator bläst die W
P = 5, 5 2 × 1, 5m 2 × 18 °C = 149 W
kühlere Umgebungsluft durch einen Wär- m ×K
metauscher („Kühler“), durch den wiede- Das allein ist schon mehr als der Grund-
rum das Kühlwasser zum Motor gepumpt umsatz eines ruhenden Menschen
wird. Im Wärmetauscher und im Motor (7 Abschn. 5.5.1). Daher zittert der frie-
muss die Wärme aber wieder durch Wärme- rende Mensch, um seinen Stoffwechsel-
leitung vom Kühlwasser zur Luft gelangen. umsatz zu erhöhen.
Die Wirkung der freien, durch Auftrieb
erzeugten thermischen Konvektion korrekt
auszurechnen, ist nahezu unmöglich, dazu 5.3.3 Wärmestrahlung
sind die Strömungsverhältnisse viel zu kom-
pliziert. Unabhängig von den Details wird Vakuum unterbindet jeden Temperaturaus-
aber der Wärmestrom im Großen und Gan- gleich durch Wärmeleitung oder Konvektion;
zen proportional zur Differenz der Tempe- das gilt für die Doppelwand des Dewar-Ge-
raturen von Luft und fester Oberfläche sein. fäßes und für den Weltraum. Trotzdem bleibt
Es gilt ungefähr: eine Form des Wärmeaustausches möglich:
der durch Wärmestrahlung nämlich. Ohne
I Q = A × hcv × DT diese elektromagnetische Strahlung gäbe es
auf der Erde kein Leben; seine Energiequelle
Hierbei ist A der Flächeninhalt der um- ist die Sonne, durch den leeren Weltraum von
strömten Fläche und hcv ein Wärmeüber- ihm getrennt.
gangskoeffizient. Für Zimmerluft gibt es Elektromagnetische Strahlung entsteht
brauchbare Erfahrungswerte. Eine horizon- immer, wenn sich geladene Teilchen beschleu-
168 Kapitel 5 · Wärmelehre

5
..      Abb. 5.11 (Video 5.5) Wärmebild des Autors. Die
Brille ist relativ kalt, die Infrarotstrahlung dringt nicht
durch das Glas. Der Mund ist auch relativ kalt, weil
ich gerade eingeatmet habe. Die Skala zeigt an, wel-
cher Farbton zu welcher Temperatur gehört (https://
doi.org/10.1007/000-087)

..      Abb. 5.10 (Video 5.4) Spektrum der Wärmestrah-


lung für drei verschiedene Temperaturen (https://doi. der Temperatur und der Wellenlänge, bei
org/10.1007/000-083) der ein Gegenstand am stärksten strahlt, das
Wien-Verschiebungsgesetz
nigt bewegen. Atome bestehen aus gelade- 2898 µm × K .
nen Teilchen und sind immer in thermischer lmax =
T
Bewegung (außer am absoluten Temperatur-
nullpunkt). Daher strahlt alles, was wärmer Setzt man nun hier die Oberflächentempe-
als 0 K ist, elektromagnetische Wellen, also ratur eines Menschen ein, also ca. 300 K,
Licht im weitesten Sinne, ab. Und elektro- so kommt für die Wellenlänge 10 μm her-
magnetische Wellen transportieren Energie. aus. Das liegt im „fernen Infrarot“. Solches
Daher spricht man von Wärmestrahlung. Licht kann man mit Wärmebildkameras fo-
Unsere Augen sind auf das Sonnenlicht tografieren (. Abb. 5.11). In normalen Di-
adaptiert, also auf die Strahlung eines gitalkameras sind auf einem etwa 5 × 4 mm
5800 K heißen Gegenstandes. Die Wellen- großen Siliziumchip einige Millionen licht-
länge dieses sichtbaren Sonnenlichtes liegt empfindliche Dioden angeordnet. In Wär-
bei 0,5 μm. Genauer ergibt sich eine Wel- mebildkameras (man spricht auch von
lenlängenverteilung, ein Spektrum, das die Thermographie), die meist für Infrarotlicht
. Abb. 7.4 zeigt. Je niedriger die Tempera- mit Wellenlängen zwischen 8 μm und 13 μm
tur des Gegenstandes ist, umso größer sind empfindlich sind, geht es viel komplizierter
die Wellenlängen, mit denen er strahlt. Die zu. Auf dem Silizium-Chip werden durch
. Abb. 5.10 zeigt, dass eine 3000 K heißer Ätztechnik etliche Quadratmikrometer
Glühdrahtes in einer Glühbirne am stärks- große freistehende Brücken aus einem leitfä-
ten um eine Wellenlänge von 1 μm strahl, higen Material gebaut, die von der Infrarot-
also jenseits des sichtbaren roten Lichtes im strahlung erwärmt ihre Leitfähigkeit ändern
sogenannten Infrarot. Daher ist die Glüh- (Mikrobolometer). Auf einem Chip sind
birne ein so ineffizienter Spender sichtbaren aber bestenfalls 100.000 solcher Brücken,
Lichtes, kann aber gut als Infrarotleuchte die Auflösung einer Wärmebildkamera ist
einen steifen Hals erwärmen. Es gibt einen also viel schlechter. Durch Glas geht diese
sehr einfachen Zusammenhang zwischen Infrarotstrahlung gar nicht hindurch, des-
5.3 · Transportphänomene
169 5
halb ist die Objektivlinse aus dem Halblei- wichtigste am Stefan-­Boltzmann-­Gesetz ist
ter Germanium gefertigt. Das alles macht aber die gewaltig starke Temperaturabhän-
Wärmebildkameras zehn- bis hundertmal gigkeit der Strahlungsleistung mit T4. Die
teurer als Kameras für sichtbares Licht. In . Abb. 5.10 machte dies schon deutlich.
der Technik eingesetzt werden sie vor allem Wegen dieser starken Temperaturabhängig-
auf Baustellen zur Kontrolle der Wärme- keit kann die Wärmebildkamera die gemes-
isolation von Gebäuden und in Fabriken sene Helligkeit gut in Temperaturen um-
zur Kontrolle elektrischer Stromkreise auf rechnen. Die Genauigkeit wird nur dadurch
Überhitzung. begrenzt, dass der Emissionskoeffizient doch
Die . Abb. 5.11 zeigt ein Falschfarben- von Oberfläche zu Oberfläche ein klein wenig
bild, jedem Farbton ist eine Temperatur schwanken kann.
zugeordnet. Die Kamera sieht eigentlich
nur Helligkeitsstufen, die von der Elektro- >>Merke
nik in Temperaturen umgerechnet werden. Wärmestrahlung:
Das wird im hinterlegten Video deutlich. Jeder Körper verliert Energie durch Ab-
Dahinter steckt das wichtigste Gesetz für strahlung von Licht (im weitesten Sinn des
die Wärmestrahlung, das Stefan-Boltz- Wortes). Der Energiestrom wächst mit der
mann-Gesetz. Es gibt an, welche Strah- 4. Potenz der Temperatur und verschiebt
lungsleistung einen Gegenstand bei einer dabei seinen Schwerpunkt zu kürzeren
bestimmten Oberflächentemperatur insge- Wellenlängen.
samt abstrahlt:

P = e × A ×s ×T 4 Rechenbeispiel 5.10: Der Mensch friert


noch mehr
Hier ist A die Oberfläche des Gegenstan- Aufgabe. Außer durch Konvektion ver-
des und σ eine Naturkonstante, die Stefan-­ liert der unbekleidete Mensch Wärme
Boltzmann-­Konstante: σ = 5,67⋅10−8 W/ auch durch Strahlung. Wie viel?
m2⋅K4. Lösung. Die meisten Menschen sind
ε ist der Emmissionskoeffizient der Ober- zwar nicht schwarz, aber doch in guter
fläche, der üblicherweise bei 0,95, also nahe Näherung ein schwarzer Strahler, also
bei dem größten Wert eins liegt. Im sichtba- nehmen wir den Emmissionskoeffizient
ren bedeutet ein Emmissionskoeffizient nahe zu eins. Die Stefan-Bolzmann-Gleichung
eins, dass die Oberfläche schwarz wirkt, man ist also:
4
spricht vom „schwarzen Strahler“. Im Infra- P = 1, 5 m 2 × s × ( 306 K ) = 746 W.
rot ist fast alles schwarz. Eine wichtige Aus-
Diese gewaltige Strahlungsleistung lässt
nahme sind silbrige, spiegelnde Oberflächen.
den Menschen aber nur erkalten, wenn
Bei ihnen ist der Emissionskoeffizient nahe
er einsam durch die Weiten des Weltalls
null, sie strahlen also fast gar nicht. Deswe-
schwebt. Das 15 °C kalten Zimmer
gen sind die Innenoberflächen in Thermos-
strahlt ja auch auf ihn zurück, und zwar
kanne und Dewar-Gefäßen immer verspie-
mit:
gelt. Auch dem Bergsteiger hilft es, wenn in 4
seinem Schlafsack eine Silberfolie mit ein P = 1, 5 m 2 × s × ( 288 K ) = 585 W.
genäht ist, denn dann strahlt er kaum noch Nur die Differenz von 161 W lässt den
etwas ab. Tatsächlich gibt ein Mensch nor- Menschen frieren. Diese Verlustleistung
malerweise etwa die Hälfte der thermischen entspricht recht genau den 149 W, die
Energie, die sein Stoffwechsel ständig pro- durch Konvektion verlorengehen (7 Re-
duziert, in Form von Wärmestrahlung ab chenbeispiel 5.9)
(siehe 7 Rechenbeispiele 5.9 und 5.10). Das
170 Kapitel 5 · Wärmelehre

5.3.4 Diffusion links überqueren, einfach weil rechts keine


vorhanden sind. Auch eine Weile später wer-
Die thermische Bewegung wirbelt die Mo- den sie dort noch in der Minderzahl sein und
leküle eines Gases ständig durcheinander deshalb überwiegend von links nach rechts
und verteilt sie gleichmäßig im Gelände, diffundieren (. Abb. 5.12b). Erst wenn sich
auch und vor allem dann, wenn mehrere die Anzahldichten der beiden Molekülsor-
Molekülsorten gleichzeitig herumschwirren: ten nach längerer Zeit völlig ausgeglichen
Sie werden auf die Dauer homogen durch- haben, werden sich auch die Anzahlen der
mischt. Im Gedankenversuch kann man ein Grenzgänger in beiden Richtungen ausglei-
Gefäß mit einer herausnehmbaren Trenn- chen.
5 wand unterteilen und z. B. auf der linken
>>Merke
Seite Sauerstoff, auf der rechten Stickstoff
einfüllen, beide Gase unter gleichem Druck Diffusion: Transport von Molekülen durch
(. Abb. 5.12a). Entfernt man die Trenn- thermische Bewegung.
wand, so werden im ersten Augenblick nur Letztlich gibt es immer dann Diffusion, wenn
Sauerstoffmoleküle die alte Grenzfläche von ein Konzentrationsgefälle vorliegt, Moleküle
an einem Ort häufiger sind als am Nachbar-
ort. Man beschreibt das wie bei einer Tempe-
ratur mit Konzentrationsänderung pro Länge
(einem Konzentrationsgradienten) Δc/Δx. Wie
bei der Wärmeleitung ist der Teilchenstrom
der Diffusion proportional zu diesem Kon-
zentrationsgradienten und auch zur durch-
strömten Fläche A. Das Diffusionsgesetz für
den Teilchenstrom IT sieht der Wärmeleitungs-
gleichung sehr ähnlich:
Dc
IT = D × A × ,
Dx
mit dem Diffusionskoeffizienten D. Seine
SI-Einheit ist m2/s, oft wird er aber in cm2/s
angegeben.

>>Merke
Diffusionsgesetz: Teilchenstrom proporti-
onal zum Konzentrationsgradienten
Dc
IT = D × A × .
Dx
Mit steigender Temperatur wird die ther-
mische Bewegung immer heftiger; kein
Wunder, dass mit ihr auch der Diffusions-
koeffizient zunimmt. Leichte Moleküle sind
bei gegebener Temperatur schneller: Kein
..      Abb. 5.12 Diffusion im molekularen Bild. Im ersten Wunder, dass der Diffusionskoeffizient von
Moment nach Entfernen der Trennwand können die Wasserstoff größer ist als der von Sauer-
beiden Molekülsorten nur jeweils von einer Seite aus die
alte Grenzfläche überschreiten. Erst wenn sich die Kon-
stoff oder Stickstoff. Dieses Faktum lässt
zentrationen ausgeglichen haben, verschwinden auch sich sinnfällig demonstrieren; man braucht
die Nettoströme der Teilchen. Siehe Video zu . Abb. 5.13 dazu einen hohlen und porösen Tonzylin-
5.3 · Transportphänomene
171 5
sorgen. Besser ist es umzurühren, d. h. die
Diffusion durch Konvektion zu ersetzen.
Die geringe Diffusionsgeschwindigkeit
in Flüssigkeiten hat erhebliche Konsequen-
zen für die Konstruktion von Mensch und
Tier. Die von Muskeln und Organen benö-
tigten Nährstoffe können zwar vom Blut-
kreislauf durch Konvektion „vor Ort“ an-
geliefert werden, das letzte Wegstückchen
müssen sie aber durch Diffusion zurückle-
gen. Dieses soll nach Möglichkeit klein sein
und die Querschnittsfläche des Diffusions-
stromes nach Möglichkeit groß. Darum ist
das System der Blutgefäße so unglaublich
fein verästelt, darum sind die Lungenbläs-
..      Abb. 5.13 (Video 5.6) Versuch zur Diffusion von Ga- chen so winzig und so zahlreich.
sen. Das Becherglas wird von unten mit Wasserstoff ge-
füllt. Da er schneller in den porösen Tonzylinder hin-
77Diffusion durch die Zellmembran
eindiffundiert als Luft hinaus, entsteht im Zylinder
vorübergehend ein Überdruck (https://doi.org/10.1007/ Besondere Bedeutung für lebende Organis-
000-088) men hat die Diffusion durch eine Zellmemb-
ran. Es kann nicht verwundern, dass hier die
der, an den unten ein gläserner Stutzen mit Diffusionskoeffizienten noch wesentlich
einem Wassermanometer angeschmolzen kleiner sind als in der reinen Zellflüssigkeit.
ist (. Abb. 5.13). Stülpt man jetzt ein mit Liegt an der Zellwand eine Konzentrations-
gasförmigem Wasserstoff gefülltes Becher- differenz Δc irgendeiner Substanz, so erhal-
glas von oben über den Zylinder, so signa- ten wir einen Teilchenstrom dieser Substanz
lisiert das Manometer Überdruck: H2 dif- durch die Membran gemäß:
fundiert schneller in den Zylinder hinein als Dc
Luft heraus. IT = A × D × = A × P × Dc.
d
Was den Gasen recht ist, ist den Flüssig-
Dabei ist A die Membranfläche und d die
keiten billig und vor allem auch den in ihnen
Membrandicke. P = D/d nennt man den Per-
gelösten Stoffen. Deren Moleküle haben
meabilitätskoeffizienten. Man kann ihn mes-
aber in ihrer thermischen Bewegung sehr viel
sen, ohne d zu kennen. Eine anständige
kleinere freie Weglängen und darum sehr
Membran (Einheitsmembran) ist 5 nm dick
viel kleinere Diffusionskoeffizienten als die
und hat bei Körpertemperatur für Glukose
Gasmoleküle. Füllt man einen meterhohen
ein P von ungefähr 6 mm/s, der Diffusions-
Zylinder zur Hälfte mit Wasser, schichtet
koeffizient beträgt 3 · 10−5 mm2/s. 9
vorsichtig unter sorgsamer Vermeidung von
Wirbeln Tinte darüber, lässt das Ganze ru-
hig stehen und schaut nach einem Jahr wie-
der nach, so ist die scharfe Grenzfläche zwar Rechenbeispiel 5.11: Hechelndes
durchaus um einige Zentimeter auseinan- Insekt?
dergelaufen. Von einer homogenen Durch- Aufgabe. Ein Insekt atmet nicht aktiv, der
mischung kann aber selbst nach 100 Jahren Sauerstoff diffundiert hinein. O2 diffun-
noch nicht die Rede sein. Wer Milch in den diert von der Körperoberfläche durch
Kaffee gießt, trinkt gern ein leidlich homo- kleine Röhren, die Tracheen. Diese seien
genes Gemisch. Im Grunde braucht er nur 2 mm lang mit 2 · 10−9 m2 innerer Oberflä-
zu warten, die Diffusion wird es schon be-
172 Kapitel 5 · Wärmelehre

che. Angenommen, die Sauerstoffkonzent-


ration im Insektenkörper ist halb so groß
wie in der Luft, welcher Sauerstofffluss
geht durch die Trachea? Die O2-Konzent-
ration der Luft ist etwa 8,7 mol/m3 und die
Diffusionskonstante D = 10−5 m2/s.
Lösung. Der Sauerstofffluss ist
Dc
I = A× D ×
Dx
4, 35 mol / m3
5 = 2 × 10-9 m 2 × D ×
0, 002 m
Bei einer Lungeninnenfläche von ca. 70 m2
kommt der Mensch „nur“ auf einen Sau-
erstofffluss von etwa 3 ⋅ 10−4 mol/s.

..      Abb. 5.14 Osmose. Einfaches Modell der Entste-


5.3.5 Osmose hung des osmotischen Druckes. Die feinen Membran-
poren lassen nur die kleinen Moleküle des Lösungs-
mittels hindurch, nicht aber die dicken der gelösten
Der Teilchenstrom aufgrund von Diffusion Substanz. Demnach kann nur das Lösungsmittel sei-
kann zu einem Überdruck dort führen, wo er nem Konzentrationsgefälle folgen und in die Lösung
hinfließt. Dies geschieht dann, wenn eine se- diffundieren, und zwar grundsätzlich so lange, bis der
lektiv permeable Membran, die nur Teilchen dort entstehende Überdruck (≈ Δh) einen Rückstrom
durch die Membran auslöst, der den Diffusionsstrom
einer Sorte hindurchlässt, einen entsprechen-
kompensiert
den Gegenstrom verhindert. In Gasen gibt es
so etwas praktisch nicht. Anderes gilt in Flüs-
>>Merke
sigkeiten.
Osmose: Diffusion durch eine selektiv per-
Gerade lebende Organismen setzen in
meable, für verschiedene Moleküle unter-
unglaublicher Vielfalt selektiv permeable
schiedlich durchlässige Membran.
Membranen ein, Membranen also, die
z. B. Wassermoleküle passieren lassen, ge- Notwendigerweise ist die Anzahldichte der
löste Zuckermoleküle aber nicht (man H2O-Moleküle in einer Zuckerlösung gerin-
spricht auch von „Semipermeabilität“; ger als in destilliertem Wasser. Sind beide
dieser Name ist eher unglücklich gewählt, Flüssigkeiten durch eine nur für Wasser
bedeutet in wörtlicher Übersetzung doch durchlässige selektiv permeable Memb-
„Halbdurchlässigkeit“). Im einfachsten Fall ran getrennt, so diffundiert Wasser durch
darf man sich eine solche Membran als ein die Membran in die Lösung, versucht also,
Sieb mit molekülfeinen Poren vorstellen diese zu verdünnen. Dadurch erhöht sich
(. Abb. 5.14): Die gelösten Moleküle sind dort der Druck, und zwar grundsätzlich bis
einfach zu dick, um hindurch zu gelangen. zu einem Grenzwert, der osmotischer Druck
Spezialisierte Membranen entwickeln aller- genannt wird.
dings eine Fülle selektiver Fähigkeiten, die
sich so einfach nicht erklären lassen; viele >>Merke
Biomembranen können nicht nur sortieren, Osmotischer Druck: mögliche (potenzi-
sondern sogar aktiv pumpen, also von sich elle) Druckdifferenz aufgrund von Os-
aus einen Konzentrationsunterschied auf mose durch eine selektiv permeable Mem-
ihren beiden Seiten aufbauen. bran.
5.3 · Transportphänomene
173 5
Es kann lange dauern, bis sich dieser Grenz- müssen wegen ihrer selektiv permeablen Bio-
wert posm wirklich einstellt; zudem platzt die membranen auf die Dichten der osmotisch
Membran nicht selten vorher. Insofern kann wirksamen Teilchen in ihren verschiedenen
man posm als „potenziellen“ Druck bezeich- Gefäßen achten und der Arzt zuweilen auch:
nen, der oft gar nicht erreicht wird. Trotz- Wollte man den Blutverlust eines Unfall-
dem lohnt es sich, nach einer Formel zu patienten durch Leitungswasser ersetzen,
suchen, die erlaubt, ihn auszurechnen. Da- weil gerade nichts Besseres zur Hand ist, so
bei zeigt sich überraschenderweise, dass es brächte man ihn auf der Stelle um: Die roten
letztendlich nur auf die Stoffmengendichte Blutkörperchen sind die Zusammensetzung
(Molarität) n/V (oder die Anzahldichte N/V) des Blutplasmas gewohnt, ihr eigener Inhalt
der gelösten Moleküle ankommt, nicht auf hat die entsprechende Konzentration. Kom-
deren Natur und auch nicht auf die der Mo- men sie in reines Wasser, so dringt dies durch
leküle des Lösungsmittels. (Allerdings muss ihre Zellmembran ein und bringt sie zum
die Membran beide Sorten unterscheiden Platzen. Umgekehrt werden sie von einer zu
können). Aus quantitativer Rechnung, die konzentrierten Lösung ausgetrocknet. Bei
hier nicht vorgeführt werden soll, folgt als mikroskopisch kleinen Zellen geht das
gute Näherung die van’t-Hoff-Gleichung schnell. Blutersatzmittel müssen deshalb iso-
n tonisch gegenüber Blut sein, d. h. die gleiche
posm = R × T .
V Stoffmengendichte osmotisch wirksamer
Sie liefert den potenziellen osmotischen Teilchen aufweisen.
Druck einer Lösung gegenüber reinem Lö- Für den osmotischen Druck ist es aller-
sungsmittel. Stehen sich an der Membran dings gleichgültig, welche Moleküle ihn er-
zwei Lösungen gegenüber, so kann sich zeugen, sofern sie die Membran nur nicht
höchstens die Differenz der beiden osmoti- durchdringen können. Die Zellmembran der
schen Drücke ausbilden. Erythrozyten vermag z. B. Kochsalzionen
von Wassermolekülen zu unterscheiden. Des-
>>Merke
halb kann die berühmte physiologische Koch-
van’t-Hoff-Gleichung für den osmoti-
salzlösung im Notfall als Blutersatz dienen.
schen Druck:
Wesentlich Neues geschieht, wenn die
n
posm = R × T . Membran positive und negative Ionen unter-
V
scheiden kann, wenn sie ionensensitiv ist,
Formal stimmt die van’t-Hoff-Gleichung mit denn dann baut sie statt des osmotischen
dem Gasgesetz überein (7 Abschn. 5.2.1). Druckes eine elektrische Membranspannung.
Dies kann zu der falschen Deutung verlei- Auch diesen Effekt setzen lebende Organis-
ten, nur die gelösten Moleküle trommelten men virtuos ein, etwa bei der Nervenleitung.
auf die für sie undurchdringliche Membran Er gehört aber in die Elektrizitätslehre
wie Gasmoleküle auf die Gefäßwand, wäh- und wird deshalb erst in 7 Abschn. 6.7.1 be-
rend die Moleküle des Lösungsmittels quasi handelt. 9
frei durch die Membran hindurchschlüpf-
ten. Warum sollte dann aber das Lösungs-
mittel in die Lösung einzudringen und sie zu Rechenbeispiel 5.12: Kochsalzlösung
verdünnen versuchen? Das Bild ist falsch. Aufgabe. Wie groß ist der osmotische
Druck physiologischer Kochsalzlösung
77Leitungswasser ist tödlich (0,9 Gewichtsprozent NaCl) bei Körper-
Lösungsmittel können Fremdmoleküle be- temperatur? Holen Sie sich die notwendi-
trächtlich dichter packen als Gase unter Nor- gen Daten für die molare Masse von
malbedingungen; osmotische Drücke sind NaCl aus dem Anhang.
entsprechend hoch. Lebende Organismen
174 Kapitel 5 · Wärmelehre

H2O kommt in der Natur in allen drei


Lösung. Wir wenden die van-t’Hofft-­ Aggregatzuständen vor, als Eis oder Schnee,
Gleichung an: als Wasser und als Wasserdampf. Das weiß
n
posm = R × T . jeder. Allenfalls muss man erwähnen, dass
V Wasserdampf ein unsichtbares Gas ist.
R = 8,31 J/(mol · K); T = 37 °C = 310 K. ­Wolken und Nebel enthalten bereits flüssi-
Wir brauchen die molare Masse: ges Wasser, zu kleinen Tröpfchen konden-
M(Na) = 23,0 g/mol; M(Cl) = 35,5 g/ siert. Schnee kann schmelzen (Übergang
mol; also M(NaCl) = 58,5 g/mol. Physio- von fest nach flüssig), Wasser zu Eis erstar-
logische Kochsalzlösung enthält 0,9 Ge- ren (Übergang von flüssig nach fest); Was-
wichtsprozent NaCl in H2O. Da 1 l Was- ser kann verdampfen (Übergang von flüssig
5 ser recht genau 1 kg Masse hat, bedeutet nach gasförmig) und Wasserdampf kann
das 9 g/l Kochsalz. Dann ist die Molari- kondensieren (Übergang von gasförmig
tät: nach flüssig). Wer gut beobachtet, sieht aber
n ( NaCl ) 9 g / Liter auch, dass Schnee an sonnigen Wintertagen
= = 0,154 mol / Liter.
V M ( NaCl ) verschwindet, ohne zu schmelzen: Er subli-
miert (Übergang von fest nach gasförmig).
Es sind aber beide Ionensorten osmo- Auch der Übergang in Gegenrichtung wird
tisch wirksam, was den Wert für die Os- Sublimation genannt.
mose verdoppelt: Die Alchimisten des Mittelalters wa-
n ( Ionen ) ren bitter enttäuscht, als sie beim Versuch,
= 0, 308 mol / Liter.
V viele kleine Diamanten zu einem großen
Damit folgt: zusammenzuschmelzen, wertlose Krümel
posm = 793J / Liter = 7, 9 × 105 J / m3 von Graphit erhielten. Kohlenstoff kommt
= 0, 79 MPa. ja in diesen beiden Kristallisationsformen
vor (7 Abschn. 3.2.1) und kann grundsätz-
Das ist 8-mal höher als der Luftdruck. lich von der einen in die andere Form über-
Spült man sich die Nase mit Leitungs- gehen (in die des Diamanten allerdings nur
wasser, bekommt man diesen hohen unter extrem hohem Druck). Analoges gilt
Druck sehr unangenehm zu spüren. Man für viele andere Substanzen. Alle diese mög-
nimmt also besser eine Salzlösung. Im lichen Erscheinungsformen einer Substanz
Körper kompensieren sich die osmoti- bezeichnet man in der Thermodynamik als
schen Drücke weitgehend. Phasen. Zwischen ihnen gibt es Phasenüber-
gänge; die wichtigsten sind die Wechsel der
Aggregatzustände.
Die anziehenden Kräfte zwischen den
5.4 Phasenumwandlungen Molekülen reichen nicht weit. In Gasen
spielen sie der großen Molekülabstände
5.4.1 Umwandlungswärmen wegen nur eine untergeordnete Rolle. Wenn
sie als gar nicht vorhanden angesehen wer-
Fast alle Stoffe können unter geeigneten Be- den dürfen, spricht man vom idealen Gas
dingungen fest, flüssig oder gasförmig sein. (7 Abschn. 5.2). Moleküle einer Flüssig-
Der Wechsel des Aggregatzustands ist im keit spüren dagegen die Kräfte der Kohä-
Prinzip eine chemische Reaktion, bei der sion sehr deutlich und bilden ihretwegen
Bindungen zwischen Molekülen gebildet Tropfen. In Festkörpern geben sie den Git-
oder aufgebrochen werden. Dabei nimmt der terbausteinen sogar feste Plätze vor, um die
Stoff immer Energie (Umwandlungswärme, sie nur ein wenig schwingen dürfen. Bei der
latente Wärme) auf oder wer gibt sie ab. Sublimation werden Moleküle gegen diese
5.4 · Phasenumwandlungen
175 5
scher an die Umgebung ab. In flüssigem
Zustand strömt der Stoff dann zurück ins
Kühlschrankinnere. Durch ein Drossel-
ventil wird der Druck der Flüssigkeit dort
wieder abgesenkt und der Stoff verdampft
erneut. So wird ständig Wärme aus dem
Kühlschrank herausgepumpt und innen
kann sich eine niedrige Temperatur halten.

5.4.2 Schmelzen oder Aufweichen?

Ein Glasbläser sitzt neben einem etwa


1100 °C heißen Ofen. Im Ofen befindet sich
ein Behälter mit orange glühendem zähflüs-
sigem Glas. Mit einem Rohrende nimmt der
Glasbläser einen dicken Tropfen Glas und
..      Abb. 5.15 Die drei Aggregatzustände und ihre
Umwandlungswärmen kann nun durch Blasen in das Rohr z. B.
eine Flasche formen. Das geht, weil das
Glas beim Kälterwerden langsam immer
Kohäsionskräfte voneinander getrennt. Das
fester wird, bis es bei knapp 800 °C seine
kostet Energie; sie muss als Sublimations-
endgültige Form erreicht. Mit Wasser ginge
wärme von außen zugeführt werden. Bei
das nicht. Wasser bleibt bis 0 °C dünnflüssig
späterer Kondensation zu Wasser und an-
und erstarrt dann schlagartig zu Eis. Eigent-
schließender Kristallisation zu Eis wird sie
lich leuchtet das Verhalten des Glases mehr
in zwei Schritten wieder frei. Umwandlungs-
ein: Mit sinkender Temperatur nimmt die
wärmen (auch latente Wärme genannt) tre-
thermische Bewegung kontinuierlich ab und
ten bei allen Phasenübergängen in der einen
die anziehenden Kräfte zwischen den Mole-
oder anderen Richtung auf. . Abb. 5.15
külen können diese immer fester aneinander
nennt ihre Namen.
binden. Warum erstarrt Wasser so plötzlich?
Das hat etwas mit der Entropie zu tun.
>>Merke
Wie wir in 7 Abschn. 5.1.5 gelernt haben, ist
Zu Phasenumwandlungen gehören Um-
die Entropie ein Maß für die Wahrscheinlich-
wandlungsenergien (. Abb. 5.15).
keit des Zustands eines Materials. Je größer
Eine ganz wichtige Anwendung finden die Unordnung, umso höher die Wahrschein-
diese Umwandlungswärmen in Kühl- lichkeit und damit die Entropie. Im flüssigen
schränken und Klimaanlagen. Ein Arbeits- Wasser sind die Moleküle ungeordneter als
stoff (in der Regel eine Fluorverbindung) im Eis. Deswegen hat Wasser in Form von Eis
wird durch Änderung seines Drucks lau- eine kleinere Entropie als flüssiges Wasser.
fend kondensiert und wieder verdampft. Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik
Das Verdampfen findet im Kühlschrank sagte nun, dass die Entropie immer steigt.
statt, sodass der Stoff dort Umwandlungs- Wieso kann Wasser dann überhaupt zu Eis
wärme aufnimmt und diese Energie im werden? Das liegt an der Umwandlungs-
gasförmigen Zustand nach außen trans- wärme. Die gibt das Wasser ja ab, wenn es
portiert. Mit einem Kompressor wird das zu Eis erstarrt. Damit erhöht es aber die
Gas dann auf hohen Druck gebracht. Entropie der Umgebung, da dort die ther-
Dabei kondensiert es erneut und gibt die mische Bewegung heftiger wird. Wenn
Umwandlungswärme in einem Wärmetau- Wasser erstarrt, senkt es also seine eigene
176 Kapitel 5 · Wärmelehre

Entropie ab, erhöht aber die Entropie der


Umgebung. Die spannende Frage ist nun:
Was ist größer, die Entropieerhöhung in der
Umgebung oder die Entropieabsenkung im
Wasser? Das hängt von der Temperatur ab.
In 7 Abschn. 5.1.5 stand für die Entropie-
erhöhung bei Wärmezufuhr:

Q
DS = .
T ..      Abb. 5.16 Erwärmungs- und Abkühlungskurve für
H2O. Während des Haltepunkts bleibt die Temperatur
5 Je tiefer also die Temperatur, umso größer konstant, weil Schmelz- bzw. Erstarrungswärme den
Wärmeaustausch mit der Umgebung decken
die Entropieänderung in der Umgebung
durch die Zufuhr der Umwandlungswärme.
Bei einer ganz bestimmten Temperatur, eben 5.4.3 Schmelzen und Gefrieren
bei 0 °C, ist beim Erstarren die Entropieerhö-
hung in der Umgebung gerade genauso groß Wenn man ein kleines Becherglas mit Was-
wie die Entropieabsenkung im Wasser. Un- ser füllt, ein Thermometer hineinstellt, das
ter 0 °C erstarrt Wasser, denn dann erhöht Ganze in einer Tiefkühltruhe einfriert und
das Erstarren insgesamt die Entropie. Über danach herausholt, kann man zusehen, wie
0 °C bleibt Wasser flüssig, denn ein Erstarren die Temperatur langsam wieder ansteigt. Zu-
würde die Entropie insgesamt absenken und nächst kommt das Thermometer aber nur bis
das erlaubt der 2. Hauptsatz der Thermody- auf 0 °C, bleibt dort längere Zeit stehen und
namik nicht. Deswegen ist für Wasser 0 °C klettert erst weiter, wenn das Eis geschmol-
eine ganz besondere Temperatur, bei der eine zen ist (. Abb. 5.16 links). Auch während
Phasenumwandlung stattfindet. dieses Haltepunkts nimmt das kalte Becher-
Na gut, und warum wird das Glas dann glas ständig Wärme aus der Umgebung auf;
langsam fest? Die Moleküle im Glas bleiben es steckt sie aber nicht in die Wärmekapazi-
auch beim Erstarren ungeordnet. Glas ist ein tät seines Inhalts, s­ondern nutzt sie, Eis zu
sog. amorphes Material. Es besteht im We- schmelzen. Die einströmende Wärme wird
sentlichen aus Siliziumoxid (SiO2). Auch diese als Schmelzwärme gebraucht und kann des-
Moleküle wollen eigentlich einen Kristall bil- halb die Temperatur nicht erhöhen.
den, einen Quarzkristall. Dessen Bildung er- Analoges hätte man auch vorher beim
folgt aber sehr langsam. Das Abkühlen beim Abkühlen beobachten können. Hier gab
Glasbläser geht zu schnell. Deswegen bleiben das Becherglas ständig Wärme an den Kühl-
dort die Siliziumoxidmoleküle auch beim Er- schrank ab; zu Beginn und am Ende wurde
starren in einem ungeordneten Zustand. sie der Wärmekapazität des Wassers ent-
Im thermodynamischen Gleichgewicht nommen, für die Dauer des Haltepunkts
wäre Siliziumoxid bei Zimmertemperatur ein aber von dessen Erstarrungswärme geliefert
Kristall. Glas befindet sich also nicht im ther- (. Abb. 5.16 rechts).
modynamischen Gleichgewicht, sondern in Nur am Schmelzpunkt können Kristall
einem metastabilen Zustand. In Museen kann und Schmelze nebeneinander existieren: Ein
man zuweilen Trinkgläser aus römischer Zeit Zehntelgrad mehr und alles ist geschmolzen;
bewundern. Diese haben manchmal irgendwo ein Zehntelgrad weniger und alles ist erstarrt
ein Loch. Dort ist das Glas nach 2000 Jahren (im thermodynamischen Gleichgewicht we-
tatsächlich zu Quarzkristallen kristallisiert nigstens). Beim Schmelzen oder Erstarren
und dabei zu Staub zerbröselt. muss die Umwandlungswärme allerdings
5.4 · Phasenumwandlungen
177 5
von der Umgebung beschafft oder an sie
abgegeben werden und das kostet Zeit. So-
lange Eisstückchen im Wasser schwimmen,
steht die Temperatur zuverlässig auf 0 °C
(nahe der Oberfläche wenigstens; am Boden
des Teiches können, der Dichteanomalie des
Wassers wegen, 4 °C herrschen).

>>Merke
Haltepunkt: Bei gleichmäßiger Zu- oder
Abfuhr von Wärme bleibt die Temperatur
einer Probe während einer Phasenum-
wandlung konstant. ..      Abb. 5.17 Unterkühlung. Der Erstarrungspunkt
Ts wird zunächst unterschritten, bis die nach Einsetzen
Die spezifische Schmelzwärme cs des Ei- der Erstarrung plötzlich freiwerdende Erstarrungs-
ses lässt sich leicht im Wasserkalorimeter wärme T wieder auf Ts anhebt
messen. Man gibt einen mit Filterpapier
getrockneten Eiswürfel (Masse mE) in Was- die Unterkühlung nicht schon zu weit her-
ser (Masse mW, spezifische Wärmekapazität untergeführt hat.
cw, Temperatur T0) und bestimmt die neue Umwandlungen der Aggregatzustände
Temperatur T1, wenn der Würfel gerade ge- sind sog. Keimbildungsprozesse; sie müssen
schmolzen ist. Dann ist dem Kalorimeter- nicht nur thermodynamisch möglich sein, sie
wasser die Wärme müssen eigens ausgelöst werden, und zwar
durch einen Keim, der sich im statistischen
DQ = mW ·cW ·(T0 – T1 ) Zufall bildet. Ein Beispiel sind die im Handel
erhältlichen „Taschenwärmer“. Der Plastik-
entzogen und dazu verwendet worden, zu- beutel enthält eine wässrige Lösung von Na-
nächst das Eis zu schmelzen und dann das triumacetat in unterkühltem Zustand. Aus
Schmelzwasser auf T1 aufzuwärmen: Gründen, die nicht ganz klar sind, liefert das
„Knackplättchen“ im Beutel die notwendi-
ë ( )
DQ = mE écS + cW T1 - 0° C ù .
û gen Keime für eine Verfestigung der Lösung
(Hydratisierung des N ­ atriumacetats). Dann
Heraus kommt cs = 333 kJ/kg. Wasser hat wird der Beutel durch die Umwandlungs-
nicht nur eine ungewöhnlich hohe spezi- wärme schön warm.
fische Wärmekapazität, sondern auch eine
ungewöhnlich hohe spezifische Schmelz- >>Merke
wärme. Die Erstarrung ist ein Keimbildungspro-
Schmelz- und Erstarrungspunkt liegen zess; dies macht die Unterkühlung einer
bei der gleichen Temperatur Ts. Aber nicht Schmelze möglich.
immer erstarrt eine Schmelze, sobald diese
Temperatur von oben her erreicht wird: Anomalie des Wassers
Viele Substanzen kann man mit etwas Vor- Die allermeisten Substanzen dehnen sich beim Schmel-
sicht unterkühlen, d. h. eine Weile deutlich zen aus; ihr Kristall hat eine größere Dichte als ihre
unter dem Erstarrungspunkt flüssig halten. Flüssigkeit. Ein hoher äußerer Druck bringt deshalb
den festen Aggregatzustand in Vorteil und hebt den
Irgendwann setzt die Kristallisation aber
Schmelzpunkt ein wenig an. Das ist aber kein Natur-
doch ein; dann wird plötzlich viel Erstar- gesetz, sondern nur eine Regel. Regeln haben Ausnah-
rungswärme frei, die Temperatur springt men und wieder ist die „pathologische“ Substanz H2O
auf Ts und wartet dort die reguläre Dauer dabei:
des Haltepunkts ab (. Abb. 5.17), sofern
178 Kapitel 5 · Wärmelehre

Eisberge schwimmen, folglich sinkt der Eispunkt


unter Druck, zur Freude der Schlittschuhläufer. Sie
stehen mit voller Gewichtskraft auf schmalen Kufen.
(
W = mw × cw × 20° C - 0° C )
Das bedeutet hohen lokalen Druck und örtlich = 250 kJ entziehen.
schmelzendes Eis: Der Schlittschuh gleitet auf einer
Um das Eis auf 0 °C zu erwärmen und
dünnen Schicht flüssigen Wassers, allerdings auch we-
gen der höheren Temperatur der Kufe. dann zu schmelzen, brauchen wir
W = mE × cE × 10° C + mE × cS
Der Gefrierpunkt einer Flüssigkeit wird = 10, 5 kJ + 167 kJ = 177, 5 kJ.
immer erniedrigt, wenn man eine andere
Der Tee bleibt also flüssig, denn das
Substanz in ihr löst. Dies nutzt aus, wer Salz
Schmelzen des Eises entzieht dem Tee
streut, statt Schnee zu schippen. Er will eine
5 wässrige Salzlösung erzeugen, deren Ge-
nicht genügend Energie. Die resultie-
rende Temperatur T stellt sich so ein,
frierpunkt unter der aktuellen Lufttempe-
dass das Aufwärmen des Eises genau so
ratur liegt und die folglich flüssig bleibt. Es
viel Energie benötigt, wie das Abkühlen
mag überraschen, soll hier aber ohne weitere
des Tees liefert:
Begründung lediglich festgestellt werden:
Die Gefrierpunkterniedrigung ΔTs hängt 177, 5 kJ + 0, 5 kg × cw × T = 3kg × cw ×
nur vom Lösungsmittel und der Konzentra- ( 20 C - T ).
°

tion der gelösten Teilchen ab, nicht aber von


deren Art, also von der gelösten Substanz: Daraus ergibt sich T = 5,1 °C. Das ist gut
getroffen.
DTs = K k ·cm .

Hier bei ist Kk die kryoskopische Konstante 5.4.4 Lösungs- und


des Lösungsmittels und cm die Molalität des Solvatationswärme
gelösten Stoffes (Zahl der Mole pro Kilo-
gramm Lösungsmittel). Schmelzen ist nicht die einzige Möglich-
keit, ein Kristallgitter kleinzubekommen:
>>Merke In einer passenden Flüssigkeit kann man
Die Gefrierpunkterniedrigung ist nahezu einen Kristall auch auflösen. Weil dabei
proportional zur Konzentration der ge- Arbeit gegen die Kräfte der Gitterbindung
lösten Substanz. geleistet werden muss, liegt die Erwartung
nahe, dass sich eine Lösung, nachdem man
sie angesetzt hat, zunächst einmal abkühlt.
Rechenbeispiel 5.13: Eistee Bei KNO3 (Salpeter) in Wasser ist das auch
Aufgabe. Für eine Feier soll Eistee produ- so. Es kann aber auch anders kommen, denn
ziert werden. Dazu werden zu 3 l auf 20 °C möglicherweise lagern sich die Moleküle des
abgekühltem Tee 500 g − 10 °C kaltes Eis Lösungsmittels an gelöste Teilchen an und
gegeben. Führt das zu einer erwünschten bilden so eine Solvathülle (beim Wasser Hy-
Temperatur oder gibt es gar Tee-Eis? Ne- drathülle genannt).
ben der Schmelzwärme (cs = 333 kJ/kg) be- In gewissem Sinn entspricht dieser Vorgang
nötigen wir die spezifischen Wärmekapazi- einer lokalen Erstarrung des Lösungsmittels,
täten von Wasser [cw = 4,18 J/(g · K)] und bei der dann Solvatationsenergie frei wird.
Eis [cE = 2,1 J/(g · K)]. Dies kann schon bei der Mischung zweier
Lösung. Zunächst stellen wir fest, ob Flüssigkeiten geschehen; Lösen ist im Grunde
der Tee flüssig bleibt. Um den Tee auf ja eine Sonderform des Mischens. Gießt man
0 °C abzukühlen, müssen wir die Energie. Alkohol oder Schwefelsäure in Wasser, so er-
wärmt sich die Mischung. Die Lösungswärme,
5.4 · Phasenumwandlungen
179 5
die sich unmittelbar beobachten lässt, ist die klima, gemäßigten Temperaturwechsel des
Differenz von freigesetzter Solvatationsenergie Seeklimas: Jede Änderung der Wassertem-
und gegebenenfalls aufzubringender Energie peratur verlangt viel Verdampfungswärme
zum Aufbrechen eines Kristallgitters, kann oder liefert viel Kondensationswärme.
also positiv oder negativ sein.
77Kälte macht gefühllos
>>Merke
Medizinisch gern genutzt wird die Verdamp-
Beim Ansetzen einer Lösung kann es zur
fungswärme des Chlorethans. Der Arzt hat
Abkühlung oder Erwärmung kommen.
es in Glasampullen, die mit einem Federven-
til verschlossen sind. Ein Druck auf dessen
Hebel, und schon spritzt das Chlorethan,
5.4.5 Verdampfen und
vom eigenen Dampfdruck getrieben, in fei-
Kondensieren !! nem Strahl heraus. An der Luft verdunstet
es rasch und entzieht seiner Umgebung die
Auch die Moleküle einer Flüssigkeit ver-
Verdampfungswärme, die es dazu braucht.
teilen ihre thermischen Geschwindigkeiten
So kann man ein Furunkel leicht so weit ab-
um einen temperaturbedingten Mittelwert;
kühlen, dass die Nerven empfindungslos
es gibt schnelle und langsame Teilchen. Zu-
werden: ein einfaches Verfahren zur kurz-
dem werden immer einige oberflächennahen
fristigen Lokalanästhesie („Vereisung“). 9
Moleküle versuchen, in den Gasraum aus-
zubrechen; aber nur den schnellsten wird
Im thermodynamischen Gleichgewicht treten
dies gelingen, denn an der Oberfläche wir-
aus einer Flüssigkeitsoberfläche genauso viele
ken die zwischenmolekularen Kräfte ja ein-
Flüssigkeitsmoleküle aus wie ein. Das setzt
seitig und halten die langsameren Moleküle
voraus, dass die Konzentration der Flüssig-
fest. Umgekehrt kann aber jedes Molekül
keitsmoleküle in der Luft (der Dampfdruck)
aus dem Dampf in die Flüssigkeit zurück-
einen ganz bestimmten Wert hat. Diese Kon-
kehren, wenn es nur die Oberfläche erreicht.
zentration ist nichts a­ nderes als der Partial-
Eine Flüssigkeit kann also bei allen Tem-
druck des Dampfes im Gleichgewicht. Die-
peraturen verdampfen, nicht nur beim Siede-
ser für das Gleichgewicht charakteristische
punkt. In der Tat trocknet eine regennasse
Partialdruck wird Gleichgewichtsdampfdruck
Straße auch bei normaler Lufttemperatur,
oder Sättigungsdampfdruck der Flüssigkeit
allerdings umso schneller, je wärmer es ist.
genannt. Er ist für jede Flüssigkeit charakte-
Weil nur die schnellsten Moleküle ver-
ristisch und hängt stark von der Temperatur
dampfen, haben die verbleibenden Mole-
ab (. Abb. 5.18).
küle im Mittel eine niedrigere Geschwindig-
keit, die Flüssigkeit kühlt also ab. Um die
>>Merke
Moleküle von der Flüssigkeitsoberfläche
Beim Gleichgewichtsdampfdruck pD (Sätti-
loszureißen, bedarf es also einer gewissem
gungsdampfdruck) stehen Flüssigkeit und
Verdampfungswärme. Diesen Effekt nutzt
Dampf im thermodynamischen Gleichge-
der Mensch, wenn er schwitzt; sein Hund
wicht.
kann nicht schwitzen und muss darum he-
chelnd Wasser verdampfen. Mit 2,4 MJ pro Zum Gleichgewichtsdampfdruck pD ge-
Kilogramm verdampften Wassers liegt Was- hört eine Gleichgewichtsdampfdichte ρD, zu
ser mit seiner Verdampfungswärme wieder messen beispielsweise in g/cm3. Sie muss
einmal ungewöhnlich hoch. Das hilft dem gesondert bestimmt werden, denn auf das
Menschen, wenn er seinen Wärmehaushalt Gasgesetz kann man sich hier nicht ver-
durch Transpiration reguliert. Es sorgt auch lassen: Dämpfe im Gleichgewicht mit ihrer
für die, verglichen mit dem Kontinental- Flüssigkeit sind keine idealen Gase. Für die
180 Kapitel 5 · Wärmelehre

..      Abb. 5.18 Gleichgewichtsdampfdruckkurven ei-


niger Flüssigkeiten

wichtige Substanz Wasser steht eine Tabelle


im Anhang.

Die Dampfdruckkurve ist eine e-Funktion


Die Verdampfung gehört zu den thermisch aktivierten
Prozessen: Ein Molekül braucht, um die Flüssigkeit ..      Abb. 5.19 Arrhenius-Diagramm des Gleichge-
verlassen zu können, im Mittel eine Aktivierungsener- wichtsdampfdruckes von Wasser; die Steigung der Ge-
gie w, die ihm die Temperaturbewegung liefern muss. raden entspricht 43 kJ/mol molarer Verdampfungsen-
Dem entspricht eine molare Verdampfungswärme thalpie. Genaue Messungen über einen größeren
W = w · NA. Allen thermisch aktivierten Prozessen ist Bereich liefern eine leicht gekrümmte Kurve: Mit stei-
nun eine charakteristische Temperaturabhängigkeit gender Temperatur nimmt die Verdampfungsenthalpie
gemeinsam. Sie wird durch den sog. Boltzmann-­ ein wenig ab (vgl. Tabelle im 7 Anhang)
Faktor e -W / ( kB ·T ) = e -W / ( R·T ) beschrieben. Demnach
gilt für den Gleichgewichtsdampfdruck spitze, also in 2960 m Höhe, siedet Wasser schon bei
W 90 °C, zu früh, um in 5 min ein Hühnerei frühstücks-
-
pD (T ) = p0 × e R ×T . weich zu kochen.

Hier ist p0 ein hypothetischer Gleichgewichtsdampf-


druck bei unendlich hoher Temperatur. (Diese würde Grundsätzlich ist der Gleichgewichtsdampf-
den Exponenten zu null, die e-Funktion zu eins ma- druck als solcher eine Kenngröße der Flüs-
chen.) Die Verdampfungswärme muss deshalb nicht sigkeit; geringfügig hängt er aber auch von
selbst gemessen werden; sie lässt sich der Gleichge- Beimengungen ab. Löst man z. B. Zucker in
wichtsdampfdruckkurve entnehmen. Dazu empfiehlt
Wasser, so sinkt der Gleichgewichtsdampf-
sich eine Auftragung im Arrhenius-Diagramm (Svante
Arrhenius, 1859–1927): logarithmisch geteilte Ordi- druck und der Siedepunkt steigt. Wie beim
nate über dem Kehrwert der Temperatur längs der Gefrierpunkt geht es auch hier nur um die
Abszisse. Wie . Abb. 5.19 zeigt, erhält man eine fal- Anzahldichte n der gelösten Moleküle, nicht
lende Gerade. Deren Steigung ist zur Verdampfungs- um deren Art. Demnach gilt (in guter Nä-
wärme proportional.
herung):
Übersteigt der Gleichgewichtsdampfdruck einer
Flüssigkeit den äußeren Luftdruck (und den jeweili-
gen Schweredruck dazu), so können sich Dampfbla-
Gleichgewichtsdampf -
sen auch innerhalb der Flüssigkeit bilden: Diese kocht. druckerniedrigung DpD ~ n.
Der Siedepunkt hängt deutlich vom Außendruck ab.
Darum repräsentiert Wasser mit seinem Siedepunkt Die Proportionalitätskonstante ist im Ein-
nur beim offiziellen Normaldruck von 1013 hPa den zelfall abhängig vom Lösungsmittel und
oberen Fixpunkt der Celsius-Skala. Auf der Zug- dem aktuellen Dampfdruck.
5.4 · Phasenumwandlungen
181 5
Bringt man eine Lösung zum Sieden, so 55 Zum andern verlangt der Energiehaus-
dampft im Wesentlichen das Lösungsmittel halt des Menschen eine ständige Abgabe
ab; die Lösung wird immer konzentrierter, von Wärme an die Umgebung; dazu
bis sie sich schließlich übersättigt und der nutzt der Körper auch die Verdamp-
gelöste Stoff auszukristallisieren beginnt. So fungswärme des Wassers, das von den
gewinnt man seit Jahrhunderten Salz. Auch Schweißdrüsen der Haut je nach Bedarf
die Komponenten eines Flüssigkeitsgemischs abgegeben wird. Die Verdampfung funk-
verdampfen unterschiedlich leicht. Man tioniert aber nicht mehr, wenn die Luft
kann sie durch Destillation voneinander schon mit Wasserdampf gesättigt ist.
trennen. Weinbrand lässt sich nur so, durch Feuchte Wärme empfindet der Mensch
Brennen nämlich, herstellen; er besitzt Alko- daher als unangenehme Schwüle.
hol in höherer Konzentration, als die Hefe
verträgt, die ihn produziert hat. Die Tren- Beide Effekte hängen weniger vom tatsäch-
nung gelingt allerdings nicht vollkommen. lichen Dampfdruck p des Wasserdampfes in
Der Alkohol, der im Kühler kondensiert, der Luft ab als von seinem Verhältnis zum
enthält auch nach wiederholter Destillation Sättigungsdampfdruck pD, also von der sog.
noch rund 4 % Wasser (azeotropes Gemisch). relativen Luftfeuchtigkeit p/pD. Ein Wert von
Der Vollständigkeit halber wird hier er- 70–80 % ist dem Menschen am zuträglichs-
wähnt: Auch Festkörper haben einen Dampf- ten. Bei 100 % beginnt das Nebelnässen.
druck (und einen Gleichgewichtsdampfdruck), Manche Frisuren reagieren auf Luftfeuch-
denn sonst könnten sie nicht sublimieren. tigkeit; Haarhygrometer nutzen diesen Ef-
fekt zur Messung. Sehr genau sind sie nicht.
5.4.6 Luftfeuchtigkeit >>Merke

Wälder und Wiesen, Flüsse und Seen geben Relative Feuchte


ständig große Mengen Wasserdampf an die aktueller Wasserdampfdruck
= .
Luft ab. Dessen Dampfdruck bleibt meist un- 
Sattigungsdamp fdruck
ter dem zur lokalen Temperatur gehörenden
Sättigungsdampfdruck pD; erreicht er ihn, so Die technisch gängigste Methode zur Mes-
ist die Luft mit Wasserdampf gesättigt. In den sung der relativen Luftfeuchtigkeit nutzt
frühen Morgenstunden wird es draußen kühl, aus, dass gewisse poröse Kunststoffe Was-
sodass der zugehörige Grenzwert pD schon serdampf aus der Luft je nach Feuchtigkeit
mal unter den tatsächlichen Dampfdruck ge- verschieden stark aufnehmen und dann ihre
raten kann. Dann ist die Luft übersättigt, der elektrische Permittivität (7 Abschn. 6.6.5)
Wasserdampf möchte kondensieren. Dazu ändern. Baut man mit diesem Material
braucht er aber Kondensationskeime. Zuwei- einen Kondensator (7 Abschn. 6.2.4), so
len findet er sie im Staub der Luft, dann gibt kann man seine Käpazitätsänderung messen
es Morgennebel; immer findet er sie an den und damit die Luftfeuchtigkeit bestimmen.
Blättern der Pflanzen, dann fällt Tau.
Die Feuchtigkeit der Luft hat für das Rechenbeispiel 5.14: Wasser in der Luft
Wohlbefinden des Menschen große Bedeu- Aufgabe. Wie viel Wasser enthält die Luft
tung, vor allem aus zwei Gründen: eines Wohnraumes (30 m2 Grundfläche,
55 Einmal benötigen die empfindlichen Lun- 2,7 m hoch) bei 20 °C und 75 % relativer
genbläschen mit Wasserdampf gesättigte Luftfeuchtigkeit? (Tabelle im Anhang be-
Luft; die Schleimhäute der Atemwege nutzen.)
müssen dazu das Wasser liefern. Ist die Lösung. Die Sättigungsdichte von Was-
Außenluft zu trocken, dann macht ihnen serdampf bei 20 °C beträgt ρD = 17,3 g/m3.
das Mühe und sie fühlen sich gereizt.
182 Kapitel 5 · Wärmelehre

Das Volumen des Raumes ist V = 81 m3.


Also ist die Masse des Wassers:
m = 0, 75 × r D × V = 1, 05 kg.
Sie entspricht also einem Liter.

..      Abb. 5.20 Drei Parameterdarstellungen des Zu-


standsdiagramms idealer Gase. Isothermen im p-V-­
5.4.7 Zustandsdiagramme Diagramm (links), Isobaren im V-T-Diagramm
(Mitte), Isochoren im p-T-Diagramm (rechts). Solange
die Achsen keine Zahlenwerte bekommen, ist es
5 Thermodynamisch ist der „Zustand“ eines
Gases durch seine Zustandsgrößen Druck p, gleichgültig, ob man unter „Volumen“ das Volumen V
einer abgeteilten Gasmenge versteht oder das spezifi-
Temperatur T, Volumen V und Anzahl der sche Volumen Vs = V/m oder das stoffmengenbezo-
Mole (Anzahl der Teilchen) vollständig be- gene (molare) Volumen Vn = V/n
schrieben. Zustandsgrößen sind nicht unab-
hängig voneinander; gibt man drei vor, stellt nannt (sie sind ebenfalls Geraden): Alle drei
sich die vierte ein. Den Zusammenhang Diagramme der . Abb. 5.20 besagen das-
beschreibt im Einzelfall eine Zustandsglei- selbe, und zwar dasselbe wie das Gasgesetz.
chung. Das Gasgesetz
>>Merke
p ×V = n × R × T
55 Isobare: Kurve konstanten Druckes
55 Isotherme: Kurve konstanter Tempe-
ist die Zustandsgleichung der idealen Gase.
ratur
Gleichungen idealisieren. Wenn man
55 Isochore: Kurve konstanten Molenvo-
die Realität mit ihnen nicht mehr gut ge-
lumens
nug beschreiben kann, zeichnet man einen
Graphen, ein Diagramm. Ein Zustandsdia- Überschreitet der Druck eines Gases den
gramm muss den Zusammenhang zwischen Gleichgewichtsdampfdruck der zugehörigen
drei Zustandsgrößen darstellen; es braucht Flüssigkeit, so beginnt die Kondensation:
ein dreidimensionales Koordinatenkreuz Viel Gasvolumen verschwindet, wenig Flüs-
und liefert darin ein räumliches Modell. Das sigkeitsvolumen entsteht. Druck und Tem-
ist mühsam herzustellen und lässt sich auf peratur bleiben konstant; lediglich die Kon-
dem Papier nur in perspektivischer Zeich- densationswärme muss abgeführt werden.
nung wiedergeben. Darum weicht man gern Im Koexistenzbereich von Gas und Flüs-
in die sog. Parameterdarstellung aus: Man sigkeit kann eine vorgegebene Substanz-
trägt im ebenen, zweiachsigen Koordina- menge jedes angebotene Volumen dadurch
tenkreuz Kurven ein, zu denen jeweils feste ausfüllen, dass sie sich passend auf die bei-
Werte der dritten Größe als Parameter ge- den Aggregatzustände verteilt. Deren spe-
hören. zifische oder auch Molenvolumina bestim-
Als Beispiel diene das p-V-Diagramm ei- men die Grenzen des Koexistenzbereichs
nes idealen Gases (. Abb. 5.20 links): Nach (. Abb. 5.21). Kondensation und Ver-
Aussage der Zustandsgleichung sind die Iso- dampfung erfolgen genau beim (temperatur-
thermen, die Kurven gleicher Temperatur abhängigen) Gleichgewichtsdampfdruck pD:
also, Hyperbeln der Form p ~ 1/V. Ebenso Hier ist die Isotherme zugleich Isobare, ho-
gut könnte man im V-T-Diagramm Isobaren rizontal im p-V-Diagramm (. Abb. 5.22).
eintragen, also Kurven konstanten Druckes Nach Abschluss der Kondensation existiert
(sie sind Geraden) oder im p-T-­Diagramm nur noch die flüssige Phase. Sie ist nahezu
Kurven konstanten Volumens, Isochoren ge-
5.4 · Phasenumwandlungen
183 5
der Gleichgewichtsdampfdruck, und zwar
kräftig. Mit ihm steigt aber auch die Dampf-
dichte, spezifisches und Molenvolumen neh-
men also ab. Bei der Flüssigkeit nehmen sie
aber zu, denn die dehnt sich bei Erwärmung
aus. (Wegen der geringen Kompressibilität
kommt die Druckerhöhung nicht dagegen
an.) Folglich werden die Dichte der Flüs-
sigkeit und die des Gases einander immer
ähnlicher. Die Dichte ist es aber gerade, die
Flüssigkeit und Gas voneinander unter-
..      Abb. 5.21 Koexistenzbereich. Entspricht der scheiden.
Stempeldruck p genau dem Dampfdruck pD, so bleibt Bei einem bestimmten Temperaturwert
der Stempel bei jedem gewünschten Volumen inner- verschwindet der Dichteunterschied dann
halb des Koexistenzbereiches stehen. Ein kleines Zu-
satzgewicht lässt den Dampf vollständig kondensie-
vollständig, Flüssigkeit und Gas unterschei-
ren, ein kleines Entlastungsgewicht die Flüssigkeit den sich nicht mehr. Dies ist die sog. kriti-
vollständig verdampfen sche Temperatur. Im p-V-Diagramm wan-
dern die Volumina von beiden Seiten her
aufeinander zu und engen den Koexistenz-
bereich immer mehr ein, bis er am kritischen
Punkt verschwindet: Die Gleichgewichts-
dampfdruckkurve hat ein oberes Ende.
Zur kritischen Temperatur Tk gehören
ein kritischer Druck und ein kritisches Mol-
volumen. Oberhalb Tk unterscheiden sich
Dampf und Flüssigkeit nicht mehr, ihre
Dichten sind gleich geworden: Die kriti-
sche Isotherme (T = Tk) hat beim kritischen
Druck pk nur noch einen horizontalen Wen-
..      Abb. 5.22 p-V-Diagramm der Phasenumwandlung. depunkt, den kritischen Punkt. Darüber be-
Mit steigender Temperatur und steigendem Dampf- sitzt sie kein horizontales Stück mehr. Dort
druck engt sich der Koexistenzbereich (Grenze im lin- lässt sich ein Gas nicht verflüssigen, es ist
ken Teilbild gestrichelt) immer mehr ein, bis er am zum permanenten Gas geworden und wird
kritischen Punkt verschwindet. Bei der kritischen
mit steigender Temperatur einem idealen
Temperatur Tk und dem kritischen Druck pk endet die
Dampfdruckkurve (rechts) Gas immer ähnlicher (. Abb. 5.22).

>>Merke
inkompressibel und dehnt sich bei Erwär- Im Koexistenzbereich existieren Flüssig-
mung nur geringfügig aus. keit und Dampf nebeneinander. Er wird
Nur beim Gleichgewichtsdampfdruck oben durch den kritischen Punkt begrenzt:
pD können Gas und Flüssigkeit nebeneinan- Flüssigkeit und Dampf unterscheiden sich
der im thermodynamischen Gleichgewicht nicht mehr.
existieren. Überwiegt der Stempeldruck p
auch nur minimal, so kondensiert der ganze Analog zur Gleichgewichtsdampfdruck-
Dampf. Ist p auch nur ein wenig zu klein, so kurve lassen sich im p-T-Diagramm Grenz-
verdampft die gesamte Flüssigkeit. kurven zwischen den anderen Aggregat-
Es gibt nun einen sehr merkwürdigen Ef- zuständen zeichnen; sie markieren die
fekt: Erhöht man die Temperatur, so steigt Druckabhängigkeit des Schmelzpunktes
184 Kapitel 5 · Wärmelehre

tur ab und mit steigendem Partialdruck des


Gases zu. Schon vor dem Sieden perlt die
vom Wasser absorbierte Luft auf.
Sektflaschen haben feierlich vertäute Kor-
ken, denn ihr Inhalt steht unter Druck. Der
von Limonadenflaschen mit prosaischem
Kronkorken tut das freilich auch. Lässt man
den Druck entweichen, so ist die Lösung
übersättigt und schäumt auf, nicht gerade ex-
plosionsartig, denn auch hier handelt es sich
..      Abb. 5.23 Phasendiagramm (doppelt-­logarithmische
5 Darstellung). Die Grenzkurven der drei Phasenbereiche
um einen Keimbildungsprozess, der seine
Zeit braucht. Immerhin ist der Effekt inter-
treffen sich im Tripelpunkt, nur dort können die drei Ag-
gregatzustände nebeneinander (im thermodynamischen essant genug, um auch noch aus einem mitt-
Gleichgewicht) existieren. Die Dampfdruckkurve (Grenze leren Wein ein festliches Getränk zu machen.
Gas/Flüssigkeit) endet im kritischen Punkt. Den rosa Be- Die Konzentration des in der Flüssigkeit
reich nennt man überkritisch
gelösten Gases ist in etwa proportional zum
Partialdruck des Gases in der Luft. Dabei
und den Sublimationsdruck des Festkörpers. nimmt aber die Löslichkeit, also die Propor-
Alles wird im Phasendiagramm zusammen- tionalitätskonstante, wie schon gesagt, mit
gefasst, das schnelle Auskunft darüber gibt, steigender Temperatur deutlich ab. Dieser
unter welchen Bedingungen welche Aggre- Zusammenhang wird Henry-Dalton-Gesetz
gatzustände gegeben sind (. Abb. 5.23). genannt und gern mit einer dimensionslosen
Alle drei Kurven treffen sich im Tripelpunkt, Proportionalitätskonstante α ausgedrückt:
dem einzigen Punkt, in dem die drei Aggre-
gatzustände gleichzeitig existieren, im ther- a
cgas = pgas .
modynamischen Gleichgewicht jedenfalls. 760
Dabei ist cgas die Konzentration in ml Gas
>>Merke
pro ml Flüssigkeit und pgas der Partialdruck
Nur beim Tripelpunkt können alle drei Ag-
in der Druckeinheit mmHg. Dem aufrech-
gregatzustände nebeneinander existieren.
ten Physiker graut etwas vor solch einer For-
Wenn an einem kalten Wintertag ein Bach, mel, weil sie sich nicht an die SI-­Einheiten
auf dem Eisschollen schwimmen, sichtbar hält und man eben sehr genau dazusagen
dampft, befindet er sich nicht am Tripel- muss, was gemeint ist. So sind die Milliliter
punkt, aber auch nicht im Gleichgewicht. Gas bei Normalbedingungen (Luftdruck,
Der Tripelpunkt des Wassers lässt sich so 0 °C) gemeint. Wenn man das alles weiß, ist
genau feststellen, dass er zum Fixpunkt der die Formel aber ganz praktisch und deshalb
Kelvin-Skala erhoben wurde: 273,16 K; er bei Physiologen beliebt. Für Sauerstoff in
liegt 0,01 K über dem Eispunkt. Wasser z. B. beträgt α 0,031 bei 20 °C und
0,024 bei 37 °C.

5.4.8 Absorption und Adsorption >>Merke


Henry-Dalton-Gesetz: Konzentration des
Nicht nur Festkörper, auch Gase können
gelösten Gases ist proportional zum Par-
sich in Flüssigkeiten lösen. Man spricht hier
tialdruck in der Luft.
von Absorption. Das vielleicht bekannteste
Beispiel liefert das Kohlendioxid in Bier, Dieses Gesetz kann Sporttauchern durch-
Sprudelwasser und Sekt. Die Löslichkeit ist aus gefährlich werden – dann nämlich, wenn
begrenzt, sie nimmt mit steigender Tempera- sie mit einem Atemgerät in größere Tiefen
5.5 · Wärmenutzung
185 5
vorstoßen. Dort lastet der Schweredruck Wärmekapazität und können sich nur durch
des Wassers auf ihnen. Sie müssen deshalb eine mächtige Speckschicht vor lebens-
ihrer Lunge Atemluft von gleichem Druck gefährlicher Auskühlung schützen. Land-
zuführen; anders könnten sie ihren Brust- säuger kommen mit weniger Speck aus. Sie
korb nicht heben. Das ist an sich unbedenk- stehen nur mit Luft in unmittelbarem Wär-
lich, denn der Sauerstofftransport zu den mekontakt; die aber bietet, wie alle Gase, nur
Organen wird sowieso vom Hämoglobin be- vergleichsweise wenige Moleküle zu Wär-
sorgt und nicht etwa durch das im Blut ab- metransport und -speicherung an. Schwimm-
sorbierte Gas. vögel wie die Enten nutzen diese Eigenschaft
Gefahr droht aber beim Auftauchen, der Gase aus: Sie gehen nicht unmittelbar mit
wenn der Luftdruck in der Lunge dem Was- warmem Bauch ins kalte Wasser, sondern
serdruck entsprechend zurückgenommen packen ein wärmeisolierendes Luftpolster
werden muss. Geschieht dies zu schnell, so dazwischen, eingeschlossen in sorgsam ge-
wird das Blut übersättigt und scheidet Luft- fettete und deshalb nichtbenetzbare Federn.
bläschen aus, die zu einer Embolie führen Mit Konvektion kann aber auch Luft recht
können. Ähnliches droht Astronauten, wenn viel Wärme transportieren. Um dies zu unter-
ein plötzliches Leck in ihrer Kapsel den ge- binden, trägt der Eisbär sein Fell.
wohnten Luftdruck zu schnell herabsetzt.
Gas- und Flüssigkeitsmoleküle können 77Je größer, desto verfressener
auch an der Oberfläche von Festkörpern Ein Bernhardiner hat – wen wundert’s – ei-
festgehalten, wie man sagt, adsorbiert wer- nen höheren Grundumsatz P0 als ein Zwerg-
den, besonders wirksam natürlich, wenn die pinscher. Ganz naiv könnte man erwarten,
Oberfläche groß, der Körper also feinkörnig dass P0 proportional zur Körpermasse m ei-
porös ist. Als eine Art Allerweltssubstanz nes Warmblüters ansteigt und damit im We-
erfreut sich hier die Aktivkohle besonderer sentlichen auch proportional zum Körper-
Beliebtheit, eine nachbehandelte Holz- oder volumen V. Denn die mittlere Dichte aller
Knochenkohle, die es bis auf 400 m2/g spezi- Tiere entspricht ungefähr der des Wassers.
fische Oberfläche bringt. Der Arzt verordnet Nun muss aber die vom Körper entwi-
sie bei manchen Darmbeschwerden, um we- ckelte Wärme durch die Körperoberfläche A
nigstens die Symptome zu lindern. abgeführt werden. Man könnte also auch
P0 proportional A erwarten. A steigt aber
>>Merke nur proportional zu V2/3, jedenfalls bei ein-
Absorption: Lösung von Gasmolekülen ander (im Sinne der Mathematik) „ähnli-
in einer Flüssigkeit; chen“ Körpern. Tatsächlich schlägt die Na-
Adsorption: Bindung von Gasmole- tur einen Mittelweg ein und entscheidet sich
külen an Festkörperoberflächen. für
P0 proportional m3 / 4 .

5.5 Wärmenutzung Wie . Abb. 5.24 zeigt, gilt diese Beziehung


erstaunlich genau, von der Maus bis zum
5.5.1 Wärmehaushalt des Elefanten. 9
Menschen
77Raucher strahlen weniger
Wie jeder Warmblüter muss auch der Mensch Auch die unsichtbare Temperaturstrahlung,
seine Körpertemperatur gegen die meist käl- ausgesandt von Körpern, die zum Glühen
tere Umwelt verteidigen. Wale haben es be- noch nicht heiß genug sind, ist Licht. Man
sonders schwer: Sie leben in einem Medium kann mit ihr fotografieren, sofern man ent-
mit relativ hoher Wärmeleitfähigkeit und sprechend sensibilisierte Filme verwendet.
186 Kapitel 5 · Wärmelehre

(Die muss man dann möglicherweise im es auch. Für den Wärmehaushalt des Men-
Kühlschrank aufbewahren, um sie nicht schen spielt seine Eigenstrahlung eine wich-
schon mit der Strahlung der Zimmertempe- tige Rolle. Für den Wärmehaushalt der Erde
ratur zu belichten.) . Abb. 5.25 zeigt die gilt dies erst recht; er lässt sich überhaupt
Hand eines Menschen, fotografiert im Ei- nur durch Strahlung in sein Fließgleichge-
genlicht, und zwar vor (links) und bald nach wicht bringen (7 Abschn. 5.5.3). 9
dem Rauchen einer Zigarette (Mitte, rechts):
Energietransport durch Wärmeleitung, durch
Nikotin verengt die Blutgefäße und senkt
Konvektion und durch Temperaturstrahlung
damit die Oberflächentemperatur der Haut.
läuft immer nur von warm nach kalt. Wie
Umgekehrt macht sich eine Mandelent-
hält der Mensch seine Körpertemperatur von
5 zündung durch erhöhte Temperaturstrah-
lung der entsprechenden Halspartie bemerk-
37 °C bei „45 Grad im Schatten“? Er schwitzt,
weniger vulgär ausgedrückt: Er transpiriert.
bar. Ein Wettersturz kann den passionierten
Physikalischer ausgedrückt: Er hält seine Haut
Bergsteiger dazu zwingen, auf dem Glet-
so feucht, dass er Wärme als Verdampfungs-
scher zu übernachten. Dazu muss er sich
enthalpie loswerden kann.
warm einwickeln. Wolldecken sind schwer
Wasser verdampft auch in heiße Luft hi-
und belasten den Rucksack. Eine leichte, re-
nein, vorausgesetzt sie ist nicht schon was-
flektierend metallisierte Kunststoffplane tut
serdampfgesättigt. Darum ist die trockene
Hitze der Wüste leichter zu ertragen als die
Schwüle tropischer Regenwälder. Die rela-
tive Luftfeuchtigkeit (7 Abschn. 5.4.6) hat
großen Einfluss auf die Verdampfungsge-
schwindigkeit und damit auf den Wärme-
strom, der sich durch Schwitzen abgeben
lässt. Wer sich freilich den Schweiß aus der
Stirn wischt, vergeudet Verdampfungsen-
thalpie: Sie kühlt auch jetzt, aber nicht die
Stirn, sondern das Taschentuch.
Nordländer provozieren den Schweiß-
ausbruch in der Sauna, und zwar zunächst
in trockener Hitze. Auch wenn die kalte
Außenluft mit Wasserdampf gesättigt sein
sollte, mit steigender Temperatur steigt auch
..      Abb. 5.24 Grundumsatz und Körpermasse. Beide
der Sättigungsdampfdruck. Weil aber der
folgen bei Warmblütern recht genau einem Potenzge- Partialdruck konstant bleibt, sinkt die re-
setz mit dem Exponenten ¾ lative Luftfeuchtigkeit. Der Mensch in der

..      Abb. 5.25 Raucher. Hand eines Menschen im Infra- chens einer Filterzigarette aufgenommen: Nikotin verengt
rotlicht ihrer eigenen Temperaturstrahlung. Das Wärme- die Blutgefäße und senkt mit der Durchblutung auch die
bild wurden im Abstand von 2 min während des Rau- Temperatur der Haut. (Bildrechte: W. Stürmer, Erlangen)
5.5 · Wärmenutzung
187 5
Sauna schwitzt in thermodynamisch wie etwa 1,3 Mrd. Kubikkilometer Wasser. Des-
physiologisch sinnvoller Weise. sen Temperatur beträgt im Mittel 5 °C oder
Zum echten Saunagenuss gehört jetzt 278 K und die Wärmekapazität ist 4,18 kJ/
aber ein kräftiger Guss kalten Wassers auf kg · K. Das macht etwa 1,5 · 1027 Joule Ener-
die heißen Steine. Urplötzlich ist die Luft mit gie. Die Menschheit „verbraucht“ gegenwär-
Wasserdampf gesättigt und der Schweiß fließt tig etwa 5 · 1020 Joule Energie pro Jahr. (Das
in Strömen. Nur hilft das thermodynamisch ist übrigens etwa so viel, wie die Pflanzen der
nichts: Verdampfung ist nicht mehr möglich, Erde für ihre Fotosynthese brauchen.) Die
Verdampfungsenthalpie kann nicht aufge- thermische Energie in den Meeren würde also
bracht werden. Es kommt zum Wärmestau im für 10 Mrd. Jahre reichen.
Organismus. Seine Wärmekapazität muss ihn Auch die Sonne liefert ja pro Jahr mit ih-
auffangen: Die Körpertemperatur steigt. Das rer Strahlung etwa 5 · 1024 J, also ­10.000-­mal
erlaubt dann den letzten Saunagenuss: Wälzen mehr, als die Menschheit „verbraucht“.
im Schnee (die Skandinavier haben ihn). Außerdem wird Energie nicht verbraucht,
Einem stabilen Kreislauf kann man das sondern nur von einer Form in eine andere
alles zumuten, es trainiert und stärkt ihn umgewandelt. Warum also redet man von
möglicherweise sogar. Wer freilich in der einem Energieproblem und warum kostet
Sauna bewusstlos wird, überlebt nur noch Energie überhaupt was und immer mehr?
mit fremder Hilfe. Eigentlich geht es gar nicht um die Ener-
gie. Wir wollen Temperaturdifferenzen. Im
Winter soll es im Haus wärmer sein als drau-
Rechenaufgabe 5.15: schwitzender
ßen und im Sommer oft umgekehrt. Viele
Mensch bei 37 Grad
industrielle Prozesse brauchen hohe Tem-
Aufgabe. Bei einer Umgebungstempera-
peraturen, die viel höher sind als die Um-
tur von 37 °C kann sich der Mensch der
gebungstemperatur. Soll ein Motor mecha-
Wärmeproduktion seines Grundumsat-
nische Arbeit verrichten, so muss auch sein
zes (mit ca. 100 W Leistung, . Abb. 5.24)
Arbeitsgas in der Regel eine hohe Tempera-
nur noch durch Transpiration entledi-
tur haben. Wie wir aber aus 7 Abschn. 5.1.4
gen. Wie viel Wasser müsste er dazu am
wissen, strebt alles dem thermodynamischen
Tag ausschwitzen?
Gleichgewicht entgegen und da gibt es keine
Lösung. Ein Tag hat 86.400 Sekun-
Temperaturunterschiede. Diesem Drang ins
den; 100 W Grundumsatz entspricht
thermodynamische Gleichgewicht müssen
also 8,64 · 106 Joule pro Tag. Die Ver-
wir also widerstehen oder ihn gar umkeh-
dampfungsenthalpie von Wasser beträgt
ren. Das geht, wenn es irgendwo ein starkes
2,4 · 106 J/kg. Unser schwitzender
thermodynamisches Ungleichgewicht gibt,
Mensch muss also etwa 3,6 Liter Wasser
das wir „anzapfen“ können.
verdampfen. Im Extremfall kann ein
Es ist die Sonne. Ihre Oberfläche ist
Mensch diese Menge sogar in 2–3 Stun-
etwa 5800 K heiß und strahlt deshalb im
den ausschwitzen. Die „normale“ Was-
Wesentlichen sichtbares Licht ab. Bündelt
serabgabe durch Atmung und Wasserdif-
man dieses Licht mit Spiegeln auf eine
fusion aus der Haut beträgt 0,5–0,8 Liter
kleine Fläche, so kann man dort leicht
pro Tag.
Temperaturen von 1000 °C und mehr er-
reichen. In Solarkraftwerken nutzt man
das zur Stromerzeugung aus. Wie man
5.5.2 Warum kostet Energie? die Strahlung der Sonne nutzt, ist eine
Frage der Technik. Im Moment nutzt die
Thermische Energie gibt es in Hülle und Fülle. Menschheit im Wesentlichen einen an sich
Nehmen wir z. B. die Weltmeere: Sie enthalten komplizierten Weg:
188 Kapitel 5 · Wärmelehre

Pflanzen wachsen mithilfe der Fotosyn- von 100 %, aber der wird aus technischen
these und verrotten unter bestimmten Be- Gründen und zum Teil auch wegen des
dingungen zu Öl oder Kohle. Über Jahrmil- 2. Hauptsatzes nie erreicht. Der mensch-
lionen haben sich so große Mengen fossiler liche Muskel erreicht einen Wirkungsgrad
Brennstoffe angesammelt. Es ist technisch von etwa 20 %, wobei seine Arbeitsleistung
besonders einfach, diese Brennstoffe zu ver- natürlich auf die eingesetzte chemische
feuern und dadurch die gewünschten hohen Energie bezogen wird. Damit ist er im-
Temperaturen zu erreichen. Leider ist der merhin genau so gut wie ein Automotor.
Vorrat begrenzt und wird wohl bestenfalls Moderne ­Kohlekraftwerke schaffen knapp
noch 200–300 Jahre reichen. Außerdem er- 50 % und Gaskraftwerke 60 %. Dann ist
5 höht das Verbrennen leider den CO2-Anteil
der Atmosphäre und stört damit das Strah-
aber Schluss. Höhere Wirkungsgrade wer-
den praktisch nicht erzielt.
lungsgleichgewicht („Treibhauseffekt“),
dass die Durchschnittstemperatur der Erd-
oberfläche bestimmt (7 Abschn. 5.5.3). 5.5.3  ärme- und Entropiehaus-
W
Deshalb wird man immer mehr dazu über- halt der Erde
gehen müssen, die Strahlung der Sonne di-
rekter zu nutzen.
Dass sich das Leben auf der Erde so ent-
Ein gutes Drittel des gesamten Energie-
wickeln konnte, wie es sich entwickelt hat,
verbrauchs entfällt auf das Erzeugen me-
verdankt es der Sonne. Sie liefert Energie
chanischer Arbeit. Dies geschieht letztlich
in Form von elektromagnetischer Strah-
immer dadurch, dass man ein Arbeitsgas
lung und was sehr wichtig ist: Sie liefert eine
stark erhitzt und damit seinen Druck er-
Strahlung, die eine relativ niedrige Entropie
höht, sodass es eine Turbine oder einen Kol-
mitbringt. Auch eine elektromagnetische
benmotor antreiben kann. Wie effizient lässt
Welle transportiert Entropie neben Ener-
sich die thermische Energie im Arbeitsgas in
gie. Abgestrahlt wird die Energie von der
mechanische Arbeit umwandeln?
ca. 5800 K heißen Sonnenoberfläche. Ein so
Natürlich muss der Energieerhaltungs-
heißer Strahler strahlt relativ wenig Entro-
satz erfüllt bleiben, der in diesem Zusam-
pie pro abgestrahlter Energie. Das ermög-
menhang so formuliert wird:
licht es, mit der Sonnenstrahlung nützliche
DU = Q + W . Energieträger zu schaffen.
Der mit Abstand wichtigste Prozess
Eine Verminderung der inneren Energie ΔU ist dabei die Fotosynthese, die im Chloro-
des Arbeitsgases führt zu Arbeitsleistung phyll der Pflanzen abläuft und letztlich die
W, kann aber auch durch eine Abfuhr von gesamte Nahrung für alle Tiere (auch den
Wärme Q erfolgen. Man nennt das aus his- Menschen) sowie den Luftsauerstoff zum
torischen Gründen auch den 1. Hauptsatz Atmen und Autofahren liefert. Die Fotosyn-
der Thermodynamik. these hat über Jahrmillionen das gesamte
Wie effizient die innere Energie im Ar- Öl, Gas und die Kohle erzeugt, die wir heute
beitsgas in Arbeit umgewandelt wird, gibt verfeuern. Wir tun dies viel schneller als die
der Entstehung fossiler Energieträger erfolgte.
Das Gleichgewicht zwischen Erzeugung
W und Verbrauch von O2, zwischen Verbrauch
Wirkungsgrad h =
DU und Erzeugung von CO2 ist deshalb seit ei-
nigen Jahrzehnten erkennbar gestört: Der
einer Maschine an. Man hätte natür- CO2-Gehalt der Erdatmosphäre steigt ra-
lich gern η = 1, also einen Wirkungsgrad santer als je zuvor.
5.5 · Wärmenutzung
189 5

..      Abb. 5.26 Strahlungsströme. Die von der Sonne Unter der rechten Wolke rot gezeichnet sind die bei-
kommende Strahlung wird reflektiert, absorbiert, um- den Strahlungsflüsse des Treibhauseffekts, die die
gewandelt und letztlich wieder in den Weltraum abge- Oberflächentemperatur der Erde auf ca. 5 °C halten.
strahlt. Alle Wege sind mit Prozentzahlen versehen, (Adaptiert nach K. Stierstadt, Thermodynamik, 2010)
100 % ist die Einstrahlung von 342 W/m2 am Tag.

Damit greift die Menschheit in ein kom- auf die Erdoberfläche gibt. Diese nennt man
pliziertes Fließgleichgewicht in der Atmo- Treibhauseffekt, eine Art Strahlungskurz-
sphäre und am Boden ein. . Abb. 5.26 schluss zwischen Boden und Atmosphäre.
zeigt die Vielzahl der Wege, welche die ein- Ohne Treibhauseffekt wäre es auf der
gestrahlte Energie der Sonne nimmt. Diese Erde vielleicht etwa so kalt wie auf dem
Energie muss auch wieder weg, sonst heizt Mars (−55 °C) mit seiner sehr dünnen At-
sich die Erde immer weiter auf. Loswerden mosphäre. Vor allem der Wasserdampf in
kann der Erdball diese Energie nur dadurch, der Erdatmosphäre sorgt dafür, dass diese
dass er sie in den Weltraum zurückstrahlt, für die Infrarotstrahlung, mit der der Erd-
aus dem sie kommt. boden strahlt, ziemlich undurchlässig ist
Dazwischen passiert aber allerlei und ein und sich der Treibhauseffekt entwickelt.
für unser Leben besonders wichtiger Pro- Aber auch das CO2 trägt bei und deshalb
zess ist in . Abb. 5.25 rot eingezeichnet. steigt die mittlere Oberflächentemperatur
Die Oberfläche der Erde hat eine mittlere der Erde mit dem CO2 aus den Schornstei-
Temperatur von ca. 5 °C. Mit dem Stefan-­ nen und Abgasrohren langsam an. Das glo-
Boltzmann-­Gesetz (7 Abschn. 5.3.3) er- bale Experiment läuft und ließe sich, selbst
gibt sich, dass der Erdboden im Mittel etwa wenn man wollte, nicht mehr ganz stoppen.
340 W/m2 abstrahlt und das ist gerade so Wie hoch der Temperaturanstieg ausfallen
viel, wie die Sonne einstrahlt. Am Boden und was das für Folgen haben wird, ist bei
kommt aber von der Sonneneinstrahlung einem so komplexen System kaum zuverläs-
nur knapp die Hälfte an. Die Erdoberfläche sig vorherzusagen.
kann deshalb nur so viel abstrahlen, weil es Auch unabhängig von diesem Prob-
eine starke Rückstrahlung der Atmosphäre lem gilt: Will die Menschheit auch in Zu-
190 Kapitel 5 · Wärmelehre

kunft ihren Energiebedarf decken, kann sie 5.6 In Kürze


nicht nur auf Produkte der Fotosynthese
zurückgreifen, schon allein, weil Öl und
­ zz Absolute Temperatur
Kohle irgendwann aufgebraucht sein wer- Soll die Temperatur direkt proportional zur
den. Sie wird immer stärker auf andere, mittleren kinetischen Energie der Atome
direktere Möglichkeiten zurückgreifen sein, so nimmt man die absolute Temperatur
müssen, die „heiße“ Strahlung der Sonne in Kelvin (Symbol: K). Zu dieser gehört der
zu nutzen. Das können alte Methoden wie absolute Temperaturnullpunkt, der dann
Wind- und Wasserräder sein oder neuere, erreicht ist, wenn sich nichts mehr bewegt.
wie Solarkraftwerke und Solarzellen. Gebräuchlicher ist die Celsius-Skala, bei der
5 Alle Energie, die durch die heiße Sonnen-
strahlung auf die Erde gelangt, wird von der
der Schmelzpunkt von Eis als Nullpunkt
festgelegt ist. Der absolute Temperaturnull-
Erde als wesentlich kältere Strahlung wieder punkt liegt dann bei −273,15 °C.
abgestrahlt. Die kältere Rückstrahlung trägt
Abso- T = Temperatur in T: absolute
wesentlich mehr Entropie von der Erde weg, lute °C + 273,15 K Temperatur
als die Sonnenstrahlung mitgebracht hat. Tem- [K, Kelvin]
Diese negative Entropiebilanz ermöglicht peratur
die ganze komplexe Strukturbildung des Le-
bens auf der Erdoberfläche.
Wir wissen heute, dass es auf dem Mars zz Wärme (Q)
auch einmal fließendes Wasser und damit Die mit der thermischen Wimmelbewegung
vielleicht Leben gab. Aber das ist wohl schon von Atomen und Molekülen verbundene ki-
2 Mrd. Jahre her. Warum die Marsoberflä- netische und potenzielle Energie bezeichnet
che dann wieder so kalt und tot wurde, der man als Wärme. Will man die Temperatur
Mars also seine Atmosphäre und mit ihr den eines Stoffes erhöhen oder erniedrigen, so
lebenswichtigen Treibhauseffekt verlor, wis- muss man Energie zu- bzw. abführen. Wie
sen wir nicht. viel, das sagt die Wärmekapazität C oder die
spezifische Wärmekapazität c = C/Masse,
die eine Materialkonstante ist.

Wärmekapazität Q C: Wärmekapazität [J/K]


C= Q: Wärme [J, Joule]
DT
ΔT: Temperaturänderung durch Zuführen
von Q
Spezifische Wärmekapazität C
c=
m
é J ù
Wärmekapazität bezogen C: spez. Wärmekapazität ê ú
auf die Masse Wasser: m: Masse [kg] ë kg × K û

kJ
c = 4, 2
kg × K

zz Gasgesetz Raumtemperatur ist ein ideales Gas. Wenn


Das Gasgesetz gilt für ein ideales Gas, bei man ein Gas so weit abkühlt, dass es schon
dem anziehende Kräfte zwischen den Ato- fast verflüssigt, spielen die anziehenden
men vernachlässigt werden können. Luft bei Kräfte selbstverständlich eine große Rolle
5.6 · In Kürze
191 5
und das Gas kann nicht mehr als ideal be- zeigt das Phasendiagramm (. Abb. 5.23).
trachtet werden. Längs der Grenzlinien können zwei Aggre-
Gas- p·V=n·R p: Druck [Pa]
gatzustände koexistieren. Praktisch wichtig
gesetz ·T V: Volumen [m3] ist oft die Dampfdruckkurve, die die Grenze
n: Anzahl der Mole zwischen gasförmig und flüssig markiert.
[mol] Die Dampfdruckkurve des Wassers be-
Gaskonstante: stimmt die Sättigungsdampfdichte (thermo-
J dynamisches Gleichgewicht) in der Luft und
R = 8, 31
mol × K damit die Luftfeuchtigkeit.
Relative r ρ: Dichte des Wassers in
Feuchte fr =
rs é kg ù
zz Phasenumwandlung der Luft ê 2 ú
ëm û
Bei einer Temperaturänderung kann es zu ei-
ρs: Sättigungsdichte
ner Änderung des Aggregatzustandes kom-
men, der Stoff kann z. B. schmelzen. Dies
nennt man eine Phasenumwandlung. Beim
Schmelzen muss eine Umwandlungswärme
aufgebracht werden, die bei der umgekehr- zz Wärmetransport
ten Phasenumwandlung (z. B. Erstarren) Erwärmen oder Abkühlen geschieht über
wieder frei wird (. Abb. 5.15). Bei welchem Wärmeleitung, Konvektion oder Wärme-
Druck und welcher Temperatur sich ein strahlung. Bei Wärmeleitung und Konvek-
Stoff in welchem Aggregatzustand befindet, tion ist der Wärmetransport zwischen zwei
Orten proportional zur Temperaturdifferenz.

Wärmeleitung dQ DT IQ: Wärmestrom [J/s]


IQ = = A×l ×
dt l A: Fläche, durch die der Wärmestrom geht
W ù
λ: Wärmeleitfähigkeit éê
ë m × k úû
ΔT: Temperaturdifferenz über die Länge l
Konvektion lQ = A ⋅ hCV ⋅ ΔT hCV: Wärmeübergangskoeffizient
A: Fläche, an der die Temperaturdifferenz ΔT
auftritt
Strahlung (schwarzer P = A ⋅ σ ⋅ T4 P: Strahlungsleistung [W]
Strahler) W
A: strahlende Fläche s = 5, 67 × 10-8
m2 × K 4
T: Temperatur der strahlenden Fläche [K]

zz Diffusion und Osmose Die Proportionalitätskonstante heißt Diffu-


Sind die Komponenten eines Gases oder sionskoeffizient. Er steigt mit der Tempera-
einer Flüssigkeit zunächst in verschiedenen tur und ist für kleine Moleküle größer. Beim
Behältern und werden diese dann verbun- Durchmischen kann noch eine Lösungs-
den, so kommt es aufgrund der Wimmelbe- wärme auftreten. Befindet sich zwischen
wegung zu einer Durchmischung aufgrund Flüssigkeiten oder Gasen unterschiedlicher
von Diffusion. Die Diffusionsgeschwin- Zusammensetzung eine selektiv permeable
digkeit (genauer: Teilchenstromdichte) ist Membran, so baut sich ein osmotischer
proportional zum Konzentrationsgefälle. Druck auf.
192 Kapitel 5 · Wärmelehre

Van’t-­Hoff-­ n 5.7 Kann man Wasser zum Kochen brin-


Gleichung Dp = R ×T gen, ohne es zu erwärmen?
V
5.8 Werden die Kartoffeln schneller gar,
wenn man das Wasser stärker kochen lässt?
Druckdifferenz einer Lösung
mit n Mol aktiven Teilchen 5.9 Warum ist ein heißer, schwüler Tag
gegenüber dem reinen viel unangenehmer als ein heißer, trockener
Lösungsmittel Tag?
5.10 Sie wollen eine bestimmte Menge
Gas mit einer möglichst geringen Wärme
zz 1. Hauptsatz der Thermodynamik um 10 Grad erwärmen. Erreichen Sie das
5 (Energieerhaltungssatz) am besten bei konstantem Druck oder bei
konstantem Volumen?
Energie- ΔU = Q + W Q: Wärme [J]
erhaltungs- U: innere 5.11 Zwei gleiche Behälter mit Wasser bei
satz Energie [J] Raumtemperatur stehen auf einem Tisch. In
W: mechani- einem ist doppelt so viel Wasser wie im ande-
sche Arbeit [J] ren. Wir führen beiden die gleiche Wärme zu
und lassen sie dann wieder auf Raumtempe-
ratur abkühlen. Wenn die Wärmeleitung zur
Tischplatte der wesentliche Verlustmecha-
5.7 Fragen und Übungen nismus für die Wärme ist, welcher Behälter
ist schneller wieder auf Raumtemperatur?
5.7.1 Verständnisfragen 5.12 Wenn der Kaffee lange warm blei-
ben soll: Gibt man Milch und Zucker lieber
5.1 Ein Gas in einem senkrecht stehenden gleich rein oder erst direkt, wenn man ihn
Zylinder wird durch das Gewicht eines Kol- trinken will?
bens zusammengedrückt. Wird ein Gewicht 5.13 Warum hält das Bärenfell den Bä-
auf den Kolben gelegt, reduziert sich das ren warm?
Volumen von 500 ml auf 400 ml. Legt man 5.14 Warum müssen Thermometer, mit
ein weiteres gleiches Gewicht dazu, redu- denen man die Lufttemperatur messen will,
ziert sich das Volumen des Gases dann um im Schatten sein?
weitere 100 ml?
5.2 Wenn sich die Moleküle in einem Gas
anziehen, ist der Druck höher, gleich oder 5.7.2 Übungsaufgaben
niedriger, als es die ideale Gasgleichung vor-
hersagt? (⧫ leicht; ⧫⧫ mittel; ⧫⧫⧫ schwer)
5.3 Was passiert mit einem heliumgefüll- 5.1 ⧫ Wenn ein Stahlband (Ausdehnungs-
ten Kinderballon, wenn das Kind ihn los- koeffizient im Anhang) um die Erde gelegt
lässt und er aufsteigt. Dehnt er sich aus oder würde, sodass es bei 20 °C gerade passt, wie
schrumpft er? Steigt er immer weiter oder hoch würde es über dem Erdboden schwe-
steigt er nur bis zu einer bestimmten Höhe? ben (überall gleicher Abstand), wenn man es
5.4 Was hat eine höhere Dichte: trockene auf 30 °C erwärmt?
Luft oder Luft hoher Feuchtigkeit? 5.2 ⧫ Ein Gas befindet sich auf einer
5.5 Warum sind die Temperaturschwan- Temperatur von 0 °C. Auf welchen Wert
kungen übers Jahr am Meer geringer als im muss man die Temperatur erhöhen, um die
Landesinneren? mittlere Geschwindigkeit der Moleküle zu
5.6 Zunächst befinden sich Wasser und verdoppeln?
trockene Luft in einem geschlossenen Behäl- 5.3 ⧫ Um welchen Faktor steigt der
ter. Was passiert nun? Druck eines in einem bestimmten Volumen
5.7 · Fragen und Übungen
193 5
eingeschlossenen Edelgases, wenn die mitt- ben die Hersteller an das Problem gedacht
lere kinetische Energie der Atome verdop- und irgendwo ein kleines Loch zum Druck-
pelt wird? ausgleich eingebaut. Wie viel Luft strömt
5.4 ⧫⧫ Unter Normalbedingungen wiegt durch dieses in den Kühlschrank?
ein Liter Luft 1,293 g. Wie groß ist die mitt-
lere Molekülmasse? zz Wärmekapazität
5.5 ⧫ Das beste im Labor erreichbare Va- 5.12 ⧫ Wie lange braucht ein Tauchsieder
kuum ist etwa 10−10 Pa. Wie viel Moleküle mit 350 W elektrischer Leistungsaufnahme,
befinden sich dann etwa in einem Kubikzen- um eine Tasse Suppe (250 ml) von 20 auf
timeter bei 20 °C? 50 °C zu heizen?
5.13 ⧫ Es werden 1 Liter Wasser bei 0 °C
zz Dampfdruck mit 2 Liter Wasser bei 100 °C zusammenge-
5.6 ⧫ Wie groß ist der Luftdruck, wenn Was- mischt. Welche Mischtemperatur stellt sich
ser schon bei 90 °C kocht? ein?
5.7 ⧫⧫ Es ist Winter und Sie sind in einem 5.14 ⧫ Um einen Kupferklotz von 20 auf
Raum bei 20 °C und 52 % Luftfeuchtigkeit. 40 °C zu erwärmen, werden 2 kJ gebraucht.
Sie beobachten, dass das Fenster beschlägt. Wie groß ist seine Wärmekapazität?
Welche Temperatur hat dann die Glasober- 5.15 ⧫⧫ Ein gepflegtes Bier soll mit 8 °C
fläche höchstens? (Benutzen Sie die Wasser-­ serviert werden. Ehe der Organismus die in
Tabelle im Anhang). ihm gespeicherte 1,88 kJ/g chemische Ener-
gie verwerten kann, muss er es auf Körper-
zz Gasgesetz temperatur aufwärmen. Welcher Bruchteil
5.8 ⧫ Eine halbleere Sprudelflasche habe des Brennwertes wird dafür gebraucht? Bier
bei 20 °C 1,5 bar Innendruck. Sie wird in besteht im Wesentlichen aus Wasser.
die Sonne gestellt und die Temperatur steigt 5.16 ⧫⧫⧫ Für die Reibungswärme des
auf 50 °C. Auf etwa welchen Wert steigt der Blutstroms bringt das Herz des Menschen
Druck in der Flasche? eine Pumpleistung P0 von ungefähr 1,6 W
5.9 ⧫ Eine Gasmenge wird so weit abge- auf (Aufgabe 3.13). Angenommen, es arbeite
kühlt, dass sich sowohl ihr Volumen als auch mit einem Nutzeffekt von 25 %, welche Leis-
ihr Druck halbiert. Um welchen Faktor hat tung P muss es dann von seiner Energiequelle
sich die absolute Temperatur vermindert? anfordern? Weiter angenommen, es beziehe
5.10 ⧫⧫ Aus einer 50-l-Druckflasche mit diese Leistung vollständig aus der Verbren-
Helium werden Kinderluftballons aufgebla- nung von Glukose (Heizwert 17 kJ/g), wel-
sen. Ursprünglich waren 28 bar in der Fla- cher Massenstrom dm/dt von Glukose muss
sche, nach vielen Ballons sind nur noch 5 bar dann ständig angeliefert werden? Weiter-
Druck auf der Flasche. Wie viel Prozent der hin angenommen, Glukose sei im Blut mit
ursprünglichen Gasmenge sind noch in der einer Massendichte c = 100 mg/dl gelöst,
Flasche? Etwa wie viele Ballons (Durchmes- mit welcher Blutstromstärke I muss sich das
ser 30 cm) wurden aufgeblasen? Herz mindestens selbst versorgen? Im letz-
5.11 ⧫⧫ Ein Kühlschrank mit 155l Volu- ten Schritt wird der Glukosestrom dm/dt
men hat eine Tür mit 0,32 m2 Innenfläche, die per Diffusion durch eine Gefäßwand trans-
offen steht. Der Kühlschrank ist abgeschal- portiert. Setzt man den Diffusionsweg Δx
tet und deshalb ist es in ihm 20 °C warm bei kurzerhand mit 0,1 mm an und die Glukose-
1 bar. Nun wird die Tür geschlossen und das konzentration im Gewebe des Herzmuskels
Gerät angeschaltet. Die Innentemperatur der Einfachheit halber gleich null, welcher
sinkt auf 7 °C. Angenommen, der Schrank Konzentrationsgradient dc/dx steht der Dif-
ist luftdicht, welche Kraft braucht man, um fusion dann zur Verfügung? Messungen le-
die Tür wieder aufzureißen? Tatsächlich ha- gen nahe, den Diffusionskoeffizienten D der
194 Kapitel 5 · Wärmelehre

Glukose im Muskelgewebe auf den runden mittel von einem zweiten mit einer Lösung.
Wert 1 · 10−6 cm2/s zu schätzen. Welche Dif- Die Temperatur beträgt 20 °C. Wie stark er-
fusionsfläche A ist dann für die Versorgung höht sich der osmotische Druck, wenn die
des Herzens mindestens notwendig? Zwei- Konzentration der osmotisch wirksamen
fellos kann man mit derart groben Annah- Teilchen um 0,2 mol/Liter erhöht wird?
men nur Größenordnungen herausfinden; 5.19 ⧫ Um welchen Faktor erhöht sich
es lohnt nicht, zu den Zehnerpotenzen auch der osmotische Druck über einer selektiv
noch Faktoren mit dem Taschenrechner zu permeablen Membran, wenn man die Tem-
bestimmen. Trotz aller Ungenauigkeit sollte peratur von 0 auf 273 °C erhöht?
man aber den Nutzen solcher Überschlags-
zz Wärmeaustausch
5 rechnungen nicht unterschätzen.
5.20 ⧫⧫ Die Erde erhält von der Sonne eine
zz Osmose Leistung von ca. 1000 W pro Quadratmeter
5.17 ⧫ Eine wässrige Salzlösung und reines senkrecht angestrahlter Fläche und strahlt
Wasser sind durch eine selektiv permeable diese wieder in den Weltraum ab. (Sie ist im
Membran getrennt, die Salzionen nicht Gleichgewicht.) Angenommen, die Erde ist
durchlässt. Auf welcher Seite steigt der Was- ein schwarzer Strahler, welche mittlere Ober-
serspiegel? flächentemperatur der Erde ergibt sich? Be-
5.18 ⧫ Eine selektiv permeable Membran denken Sie, dass immer nur die halbe Erde an-
trennt einen Behälter mit reinem Lösungs- gestrahlt wird, aber die ganze Erde abstrahlt.
195 6

Elektrizitätslehre
Inhaltsverzeichnis

6.1 Grundlagen – 197


6.1.1 L adung und Strom ! – 197
6.1.2 Kräfte zwischen geladenen Teilchen ! – 199
6.1.3 Elektrisches Feld – 200
6.1.4 Feld und Spannung – 203
6.1.5 Elektrisches Potenzial ! – 204

6.2 Materie im elektrischen Feld – 206


6.2.1 I nfluenz und elektrische Abschirmung – 206
6.2.2 Elektrischer Strom ! – 208
6.2.3 Leitfähigkeit und Resistivi tät ! – 209
6.2.4 Permittivität (Dielektrizitätskonstante) – 210
6.2.5 Gasentladung – 212

6.3 Stromkreis – 213


6.3.1 S trom und Spannung messen – 213
6.3.2 Leistung und Energie !! – 214
6.3.3 Elektrischer Widerstand !! – 216
6.3.4 Wärme bei Stromdurchgang – 217
6.3.5 Kondensator !! – 219
6.3.6 Feld im Kondensator – 220
6.3.7 Energie des geladenen Kondensators – 221
6.3.8 Energie des elektrischen Fel des – 222

6.4 Wechselspannung – 223


6.4.1 E ffektivwerte – 223
6.4.2 Kapazitiver Widerstand – 224

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial,


das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_6. Die
Videos lassen sich mit Hilfe der SN More Media App abspielen, wenn Sie die gekennzeichneten Ab-
bildungen mit der App scannen.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_6
6.5 Elektrische Netzwerke – 226
6.5.1  iderstände in Reihe und parallel ! – 226
W
6.5.2 Spannungsteiler – 228
6.5.3 Innenwiderstände – 230
6.5.4 Hoch- und Tiefpass – 232
6.5.5 Kondensatorentladung und e-Funktion !! – 233
6.6 Elektrochemie – 235
6.6.1  issoziation – 235
D
6.6.2 Elektrolyte – 237
6.7 Grenzflächen – 240
6.7.1  embranspannung – 240
M
6.7.2 Galvani-Spannung – 241
6.7.3 Thermospannung – 243
6.8 Elektrophysiologie – 244
6.8.1  uswertung des EKG nach Einthoven – 244
A
6.8.2 Elektrische Unfälle – 246
6.8.3 Schutzmaßnahmen – 247
6.9 Magnetische Felder – 250
6.9.1 E inführung – 250
6.9.2 Kräfte im Magnetfeld – 253
6.9.3 Erzeugung von Magnetfel dern – 255
6.10 Induktion – 257
6.10.1 E inführung – 257
6.10.2 Transformatoren – 260
6.10.3 Selbstinduktion – 261
6.10.4 Induktiver Widerstand – 264
6.11 Elektrische Schwingungen – 265
6.11.1 S chwingkreis ! – 265
6.11.2 Geschlossene elektrische Feldlinien – 268
6.11.3 Schwingender elektrischer Dipol – 269
6.12 In Kürze – 270
6.13 Fragen und Übungen – 275
6.13.1  erständnisfragen – 275
V
6.13.2 Übungsaufgaben – 275
6.1 · Grundlagen
197 6
Elektrische Energie ist heutzutage die „hand­
lichste“ aller Energieformen. Sie lässt sich
vielseitig nutzen und nahezu überall bereit­
halten, sofern ein dichtes Netz von Kraftwer­
ken, Überlandleitungen, Umspannstationen,
Kabeln und Steckdosen erst einmal installiert
worden ist. Allerdings kann der Mensch auch
diesen technischen Komfort nur unter Gefahr
für Leib und Leben nutzen: Die Verhütung
elektrischer Unfälle verlangt permanente
Aufmerksamkeit. Die Natur hat organisches
Leben untrennbar mit elektrischen Erschei­
nungen verknüpft. Das ermöglicht Unfälle,
aber auch segensreiche Geräte für Diagnostik
..      Abb. 6.1 Elektrokardiogramm eines gesunden Men­
(EKG) und Therapie (Herzschrittmacher).
schen (© Ilya Akinshin – 7 Fotolia.­com)
Zwischen elektrischen und magnetischen Fel­
dern besteht eine so enge Verbindung, dass
der Magnetismus ebenfalls in diesem Kapitel
behandelt wird.

6.1 Grundlagen

6.1.1 Ladung und Strom !

Um ein Elektrokardiogramm (EKG) aufzu­


zeichnen, muss der Arzt seinem Patienten
mindestens drei Elektroden anschnallen, an
beide Handgelenke und ein Fußgelenk,
meist auch noch einige mehr auf die Brust. ..      Abb. 6.2 Stromkreis. Batterie und Glühbirne als
Alle werden durch elektrisch leitende Kup­ geschlossener Stromkreis
ferlitzen mit dem Kardiografen verbunden.
Wenn alles in Ordnung ist, zeichnen die
Schreibstifte des Kardiografen mehrere
Kurven auf seinen Registrierstreifen
(. Abb. 6.1). Ihre medizinische Bedeutung
braucht hier nicht behandelt zu werden. Je­
denfalls zuckt der Schreibstift synchron zum
Puls des Patienten. Offensichtlich ist das
Herz nicht nur eine pulsierende Pumpe für
das Blut, sondern auch eine pulsierende ..      Abb. 6.3 Schaltskizze zur . Abb. 6.2
Quelle elektrischer Energie.
Wer sich Grundkenntnisse in einem ihm mit den Polen eine Taschenlampenbatterie,
neuen Gebiet aneignen will, beginnt zweck­ so leuchtet das Lämpchen auf (. Abb. 6.2).
mäßigerweise nicht mit so Kompliziertem. Elektrotechniker beschreiben diesen einfa­
Schraubt man ein Taschenlampenbirn­ chen Stromkreis mit einer Schaltskizze nach
chen in eine passende Fassung und verbin­ Art der . Abb. 6.3. Das liegende Kreuz im
det man deren Klemmen durch Kupferdrähte Kreis steht für eine Glühbirne, die beiden
198 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

ungleichen Querstriche entsprechen der Bat­ Die Elektronen können durch den Me­
terie, die Drähte werden durch gerade Li­ talldraht strömen und als Stromstärke (die
nien repräsentiert. Weil es übersichtlicher man der Einfachheit halber oft einfach
ist, setzt man sie aus senkrechten und waa­ Strom nennt) bezeichnet man die Antwort
gerechten Geraden zusammen, auch wenn auf die Frage, welche Ladung Q pro Zeitein­
die Drähte krumm und schief im Gelände heit durch einen Draht oder ein Gerät hin­
liegen. In der Skizze ist zusätzlich ein Schal­ durchfließt:
ter eingezeichnet. Öffnet man ihn, so erlischt
die Glühbirne. In der fotografierten Schal­ Q
Strom I = .
tung würde man zu diesem Zweck einen der t
beiden Drähte an einem seiner beiden En­
den abklemmen. Dabei ist die Ladung Q die Zahl der Elek­
tronen, die pro Zeiteinheit durch den Draht
6 >>Merke fließen, multipliziert mit dem Ladungswert
Ein elektrischer Strom fließt nur in einem der Elektronen, der sogenannten Elemen­
geschlossenen Stromkreis und er fließt tarladung (siehe nächster Abschnitt).
nur, wenn eine elektrische Spannung im
Kreis ihn dazu anhält. >>Merke
Diese Formulierungen erwecken den Ein­ Strom: Ladung pro Zeit
druck, als wisse man, dass in einem Strom­ Q
kreis etwas „Elektrisches“ in ähnlicher I= ; Einheit A ( Ampere ) .
t
Weise ströme wie z. B. Wasser in einer Was­
serleitung oder Blut in den Gefäßen eines Die Einheit hat ihren Namen von André
Menschen. Das ist auch richtig: Im Metall­ Marie Ampère (1775–1836). Wir reden hier
draht strömen Elektronen. Das sind Ele­ vom elektrischen Strom bzw. von der elek­
mentarteilchen, die viel kleiner sind als Was­ trischen Stromstärke. Das „elektrisch“ lässt
sermoleküle oder gar Blutkörperchen und man meistens dann weg, wenn es aus dem
die tatsächlich zwischen den Metallatomen Zusammenhang klar ist, dass es sich nicht
hindurchschlüpfen können. um einen anderen Strom (etwa von Bon­
Eigentlich sind Elektronen Teil dieser bons) handelt.
Atome, denn diese haben eine Elektronen­ Eigentlich sind die Elektronen fest an ihr
hülle und einen Kern aus Protonen und Atom gebunden durch die anziehende Kraft
Neutronen. Zusammengehalten wird ein der Atomkerne. Bei den meisten Materialien
Atom von einer besonderen Eigenschaft der ist das so und deshalb können sie auch kei­
Elektronen und der Protonen: Sie tragen nen elektrischen Strom leiten, man nennt sie
elektrische Ladung. Es gibt zwei Arten La- Isolatoren. Bei Metallen ist das anders:
dung: negative Ladung (Elektronen) und Etwa ein Elektron pro Metallatom kann sei­
positive Ladung (Protonen). Dass es positiv nen Platz an ein Elektron vom Nachbar­
und negativ heißt, hat folgenden Grund: atom abgeben und so können diese Lei-
Zwei negativ oder zwei positiv geladene Teil­ tungselektronen durch den ganzen Draht
chen stoßen sich ab, ein positiv und ein ne­ wandern. Tatsächlich sind sie in thermischer
gativ geladenes Teilchen ziehen sich an. Bewegung ständig unterwegs, aber wild
Diese Anziehung hält die Elektronen im durcheinander in allen Richtungen. Um da
Atom am Kern. Da genauso viele Elektro­ eine Richtung hineinzubringen, einen Strom
nen wie Protonen im Atom sind, übt das zu erzeugen, braucht es eine Spannungs­
Atom auf ein geladenes Teilchen außerhalb quelle.
fast keine Kraft aus, es ist neutral, die Ge­ Wie jede mechanische Bewegung von ei­
samtladung „addiert sich zu null“. nem Reibungswiderstand behindert wird, so
6.1 · Grundlagen
199 6
ist es auch mit diesem Strom. Die strömen­ wir in diesem Buch auch oft so machen. Das
den Leitungselektronen stoßen quasi mit hat aber den Nachteil, dass der Leser aus
den Atomen zusammen und heizen dabei dem Zusammenhang erschließen muss, ob
den Draht auf (Stromwärme 7 Abschn. mit Ladung nun ein Objekt oder die physi­
6.3.4). Die Spannungsquelle muss also eine kalische Größe Ladungswert Q gemeint ist
Kraft und eine Energie liefern und die Elek­ oder beides, wie im folgenden Merke-­
tronen irgendwie in eine Richtung durch den Kasten.
Draht treiben. Mit Einschränkungen kann
man sich das so vorstellen, dass die Lei­ >>Merke
tungselektronen durch den Draht gescho­ Coulomb-Gesetz:
ben werden, denn sie stoßen sich ja gegen­ Zwischen zwei Punktladungen Q1 und
seitig ab. Für eine präzisere Beschreibung Q2 im Abstand r herrscht die Coulomb-­
müssen wir erst einmal die Kräfte zwischen Kraft
geladenen Teilchen genauer betrachten. 1 Q1 × Q2
FC = .
4p × e 0 r 2
6.1.2  räfte zwischen geladenen
K Ladungen gleichen Vorzeichens stoßen
Teilchen ! sich ab, bei verschiedenen Vorzeichen
ziehen sie sich an.
Die Formel für die Kraft zwischen zwei ge­ Ziehen sich Elektron und Proton z. B. nun
ladenen Teilchen im Abstand r mit den La­ stärker elektrisch an oder stärker aufgrund
dungswerten Q1 und Q2 erinnert stark an der Gravitationskraft (eine Masse haben sie
das Gravitationsgesetz für zwei Massen ja auch)? Dazu müssen wir wissen, welchen
(7 Abschn. 2.2.2): Ladungswert diese Teilchen tragen. Vom Be­
trag her tragen beide die gleiche Ladung, die
1 Q1 × Q2
FC = . zugleich der kleinste überhaupt mögliche
4p × e 0 r 2 Ladungwert ist, die sog. Elementarladung:

Hier erscheint die e0 = 1, 60219 ×10-19 A × s.


elektrische Feldkonstante Die Einheit der Ladung ist Ampere mal Se­
A ×s kunde, denn Ampere ist die Einheit vom
e 0 = 8, 854 ×10-12 . Strom (Ladung pro Zeit). Es gibt natürlich
V×m
auch größere Ladungwerte, diese sind aber
ε0 ist eine Naturkonstante. Dass in der obi­ immer ein Vielfaches der Elementarladung.
gen Gleichung noch ein Faktor 1/4π einge­
fügt ist, erweist sich in späteren Formeln als >>Merke
praktisch. Praktisch ist jetzt auch das Vor­ Elektrische Ladung Q: eine Eigenschaft
zeichen der Ladung: So ist die abstoßende von Ladungsträger mit positivem oder
Kraft bei Ladungen gleichen Vorzeichens negativem Wert.
positiv und die Kraft bei sich anziehenden Einheit der Ladung:
Ladungen verschiedenen Vorzeichens nega­ 1 A · s = 1 C (Coulomb)
tiv. Das kann man im geeigneten Koordina­ Kleinstmögliche Ladung:
tensystem dann in Kraftrichtungen überset­ Elementarladung
zen. e0 = 1, 60219 × 10-19 A × s
Statt von einem „geladenen Gegenstand
mit der Ladungswert Q“ spricht man gern Wenn nun unser Elektron und Proton
einfach von einer „Ladung Q“. Das werden 1 mm auseinanderliegen, kommt für die
200 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Coulomb-Kraft 2,3 · 10−22 N heraus: kleine tionsfeld. Aber erst mit Einsteins Relativi­
Teilchen, kleine Kraft. Und die Gravitation? tätstheorie haben diese Felder eine ganz ei­
Das Proton hat wesentlich mehr Masse als gene Realität gewonnen.
das Elektron. Multipliziert man die beiden
Massen, so kommt etwa 10−58 kg2 heraus
Rechenbeispiel 6.1: Die Pyramiden
und die Gravitationskonstante macht es
hochheben
dann noch kleiner. Genau ergibt sich für die
Aufgabe. Ein Stück Tafelkreide enthält
gravitative Anziehung 1,02 · 10−61 N. Diese
etwa 1021 Moleküle. Angenommen, wir
Kraft ist sage und schreibe 39 Größenord­
könnten jedem hundertstem Molekül ein
nungen kleiner als die Coulomb-Kraft.
Elektron entziehen und diese Elektronen
Trotzdem merken wir von der elektrischen
einem zweiten Stück Tafelkreide zufüh­
Kraft im Alltag fast gar nichts, ganz im Ge­
ren. Mit welcher Kraft würden sich beide
gensatz zur Gewichtskraft. Das liegt daran,
 6 dass die Coulomb-Kraft nur innerhalb der
Stücke anziehen, wenn sie 1 m voneinan­
der entfernt wären? (Ein Elektron trägt die
Atome stark ist. Da die Atome gleich viele
Elementarladung e0 = 1,6 · 10−19 A · s).
negative wie positive Ladungen enthalten,
Lösung. Die Ladung auf einem Stück
merkt man von außen nichts. Und die Ge­
Kreide wäre 1,6 A · s. Dann ist die Kraft:
wichtskraft ist nur deshalb so groß, weil wir
die gewaltige Erde unter den Füßen haben. 1
2
(1,6 A × s ) = 2, 3 × 1010 N.
Das bisher Gesagte ist noch nicht die FC = ×
ganze Wahrheit über die Kräfte zwischen
4p × e 0 (1 m )2
Ladungen. Die Coulomb-Kraft allein wirkt
Das reicht locker, um die Pyramiden in
nur, wenn die geladenen Teilchen ruhen. Be­
Ägypten hochzuheben. Die Größe dieser
wegen sie sich beide mit Geschwindigkeiten
  Kraft verhindert zugleich, dass sie prak­
v1 und v2 , so wirkt eine zusätzliche Kraft
tisch auftritt:
z. B. auf das zweite Teilchen:
Es gelingt nicht, ein Kreidestück tat­
  1  sächlich derart aufzuladen.
F2 = Q2 × v2 ´ 2 v1
c0
  
Q1 × ( r1 - r2 ) × (1 - v1 / c0 )
2

´ . Rechenbeispiel 6.2: Viele Elektronen


  2   
4p × e 0 r1 - r2 - ( ( r1 - r2 ) ´ v1 / c0 )
2
Aufgabe. Durch eine Energiesparlampe
fließt ein Strom von 100 mA. Wie viele
Elektronen pro Sekunde sind das?
(Diese Formel müssen Sie unbedingt für die N × e0
Prüfung lernen ;-). Lösung. I = 0,1 A = . Dann ist
1s
Dahinter verbirgt sich die magnetische die Zahl
Kraft, die zwischen elektrischen Strömen der Elektronen pro Sekunde
wirkt und es uns ermöglicht, Elektromoto­ N = 0,1 As / e0 = 6, 2 × 1017.
ren zu bauen. Wir werden sie im
7 Abschn. 6.9 behandeln.
Wie die Gravitationskraft sind diese 6.1.3 Elektrisches Feld
elektrischen und magnetischen Kräfte Fern-
wirkungskräfte. Die Teilchen brauchen sich Es reicht, wenn wir erst einmal über ein Feld
nicht zu berühren. Dem haftet etwas Un­ reden, das magnetische wird nachgereicht
heimliches an. Deshalb hat man sich schon (7 Abschn. 6.9).
ganz früh etwas dazwischengedacht, das Die wichtigste Erkenntnis der Relativi­
elektrische Feld, magnetische Feld, Gravita­ tätstheorie ist, dass sich eine Kraftwirkung
6.1 · Grundlagen
201 6
nur mit endlicher Geschwindigkeit von ei­ (Die Einheit Volt durch Meter müssen wir
nem Gegenstand zum anderen ausbreitet, später klären.)
nämlich mit der Lichtgeschwindigkeit: Mit diesem Wissen können wir die elekt­
rische Feldstärke bei einer punktförmigen
c0 = 299.797.458 m / s. Ladung Q direkt aus dem Coulomb-Gesetz
ableiten:
Das sind ziemlich genau 300.000 km/s, ist also
sehr schnell. Aber trotzdem heißt das Folgen­  1 Q
E = ,
des: Wenn wir ganz schnell hinschauen, gilt 4p × e 0 r 2
das 3. Newton’sche Gesetz (Kraft = Gegen­
kraft) nicht sofort, denn z. B. eine Positions­ wobei r der Abstand von der Ladung ist.
änderung der einen Ladung macht sich bei Wenn wir das mit einer zweiten Ladung q
der anderen erst nach einer Verzögerungszeit multiplizieren, haben wir gerade das 
bemerkbar. In dieser Verzögerungszeit ist so­ Coulomb-­ Gesetz. Die Richtung von E
wohl der Impulserhaltungssatz als auch der weist von der Ladung Q weg, da eine zweite
Energieerhaltungssatz verletzt, wenn wir Im­ positive Ladung abgestoßen wird. Man
puls und Energie der beiden Ladungsträger stellt die Situation gern mit einem Feldli-

betrachten. Der fehlende Impuls und die nienbild dar, das diese Richtungen von E
eventuell fehlende Energie müssen irgendwo zeigt (. Abb. 6.4). Da sich die Coulomb-­
stecken: Sie stecken im Feld. So kommen wir Kräfte einfach addieren, addieren sich die
zu der Aussage, dass das Feld sowohl Energie Felder mehrerer Ladungen einfach auf.
als auch Impuls enthält. Damit wird das Feld Das gibt dann neue Feldlinienbilder.
„real“. Wir sagen in der Physik heute: Im Uni­ . Abb. 6.5 zeigt das Feldlinienbild für ei­
versum gibt es zwei Dinge: Materie und Feld. nen sog. elektrischen Dipol, eine positive
Jeder geladene Gegenstand ist von einem und eine negative Punktladung nebeneinan­
elektrischen Feld umgeben. Nahe am Ge­
genstand ist es stärker, weiter weg schwächer.

An jedem Ort wird es durch einen Vektor E
beschrieben, der folgende Eigenschaft hat:
Bring man einen zweiten Gegenstand mit
Ladung q in dieses Feld, so ist die Coulomb-­
Kraft
 auf
 diesen zweiten Gegenstand
Fc = q × E . Auch der zweite Gegenstand ist
von einem Feld umgeben. Da es aber um die
Kraft geht, die der andere Gegenstand aus­
übt, zählt sein eigenes Feld hier nicht mit.

>>Merke
Eine elektrische Ladung ist von einem
elektrischen Feld umgeben. 
Ein elektrisches Feld ( E ) ist ein
Raumzustand, in dem auf eine zweite
elektrische Ladung
 (q) eine Cou­
lomb-Kraft ( FC ) ausgeübt wird:
 
FC = q × E ,
 ..      Abb. 6.4 (Video 6.1) Punktladung. Feldlinien einer
elektrische Feldstärke E , Einheit: Punktladung, notwendig zur Berechnung der Cou­
N V. lomb-Kraft zwischen zwei Ladungen (https://doi.
1 =
A ×s m org/10.1007/000-089)
202 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

..      Abb. 6.7 Dipol. Schema eines Dipols mit dem Di­



polmoment p = q × I

..      Abb. 6.5 Feldlinien des Dipols. Sie suggerieren die


Anziehung ungleichnamiger Ladungen

..      Abb. 6.8 Dipol im inhomogenen Feld

beschrieben, wobei l von der negativen zur


positiven Ladung weist (. Abb. 6.7).
In einem äußeren Feld dreht sich der Di­
pol in Richtung der Feldlinien und wird in
den Bereich mit stärkerem Feld gezogen
(. Abb. 6.8). Folge: Schwimmen in einer
wässrigen Lösung Ionen, z. B. die des NaCl,
so bilden die Wassermoleküle Hydrathüllen
..      Abb. 6.6 Wassermolekül, schematisch (7 Abschn. 5.4.4); um die Na+-Ionen drän­
geln sie sich mit dem O-Atom voran, um die
der. Die Pfeile an den Feldlinien zeigen zur Cl−-Ionen umgekehrt.
negativen Ladung hin, denn nach dort Auch das schlagende Herz kann als sich
würde eine dritte positive Ladung gezogen. ständig ändernder und drehender Dipol
Dipole haben eine hohe Bedeutung in aufgefasst werden. Das ist die Grundlage für
der Chemie, denn viele Moleküle sind kleine das Elektrokardiogramm (7 Abschn. 6.8.1).
Dipole, insbesondere das Wassermolekül
(. Abb. 6.6). Das Sauerstoffatom zieht die
Elektronen in der Hülle etwas zu sich hinü­ Rechenbeispiel 6.3: Fotokopierer
Aufgabe. In einem Fotokopierer oder La­
ber, sodass die beiden Wasserstoffatome et­
serdrucker wird das Schriftbild zunächst
was positiv wirken.
als Muster positiver Ladungen auf einer
Formal wird ein Dipol durch ein Dipol­
Trommel aus Halbleitermaterial „einge­
moment
prägt“. Leicht negativ geladene To­
  ner(farb)partikel werden dann von diesen
p = q ×l
6.1 · Grundlagen
203 6

Ladungen auf die Trommel gezogen und E , wird ein Elektron, nachdem es durch
anschließend durch Abrollen mechanisch den Draht gelaufen ist, die Arbeit
auf das Papier übertragen. Nehmen wir  
an, dass die Partikel 9 · 10−16 kg Masse W = FC × l = e0 × E × l = DWpot
haben und im Mittel 20 Überschusselekt­
ronen als negative Ladung tragen (das be­ geleistet haben und sein potenzielle Energie
deutet: q = 20 · 1,6 · 10−19 As). Welches hat sich um diesen Betrag vermindert. Es ist
Feld muss die Trommel am Ort des To­ sehr nützlich in der Elektrizitätslehre, diese
ners erzeugen, um eine zuverlässige Kraft Änderung der potenziellen Energie einer
von mindestens zweimal dem Eigenge­ Ladung durch die Ladung zu teilen: Das
wicht der Tonerpartikel aufzubringen? nennt man dann Spannung:
Lösung. Für das minimale Feld gilt q ·
E = 2 · m · g, wobei die Ladung der Toner­ DWpot 
Spannung U = = E × l.
partikel q = 32 · 10−19 As ist. Das ergibt: Q
2 × 9 × 10-16 kg × 9, 81 m / s 2
E= Die Spannung hat also die Einheit Joule pro
32 × 10-19 A × s
Amperesekunde. Weil die Spannung so wich­
N V
= 5, 5 × 103 = 5500 . tig ist, bekommt die Einheit einen eigenen
A ×s m Namen: Volt V (zu Ehren von Alessandro
Giuseppe Antonio Anastasio Volta, 1745–
1827). Das Praktische ist nun, dass wir leicht
angeben können, wie viel Leistung (Energie
6.1.4 Feld und Spannung pro Zeit) in einem Stromkreis umgesetzt wird:
Kehren wir zu unserer Ausgangsfrage zu­ DWpot DWpot Q
rück: Wie treibt die Spannungsquelle die Leistung P = = × =U ×I
t Q t
Elektronen durch den Draht? Wir wissen
nun: Sie bewirkt ein elektrisches Feld längs
Wir müssen also nur die Spannung der
des Drahtes, das die Elektronen gegen die
Spannungsquelle mit dem im Stromkreis
Reibung durch den Draht zieht. Je höher
fließenden Strom multiplizieren.
das Feld, umso stärker der Strom. Und wa­
rum heißt es dann nicht Feldquelle? Die
>>Merke
Kraft auf die Elektronen interessiert uns
Elektrische Spannung: Energieverlust
nicht wirklich. Uns interessiert die Energie,
der Ladung
die der Strom zur Verfügung stellen kann.
Das führt auf den Spannungsbegriff. DWpot
U= ; Einheit 1 V ( Volt ) .
Mit den Elektronen im Feld ist es ähn­ Q
lich wie mit einem Regentropfen, der durch
Umgesetzte Leistung im Stromkreis:
die Luft fällt. Er verliert ständig potenzielle
P = U · I, Einheit: 1 V · A = W (Watt).
Energie und mit dieser Energie wird letztlich
die umgebende Luft aufgeheizt, so wie der Wie erzeugt die Spannungsquelle eine Span­
Elektronenstrom den Draht aufheizt. Wie nung bzw. ein Feld? Es gibt Batterien, die
viel potenzielle Energie verloren geht, kön­ das auf elektrochemischem Weg tun
nen wir mit der Arbeit („Kraft mal Weg“, (7 Abschn. 6.7.2), und es gibt Generatoren,
7 Abschn. 2.2.4) berechnen. Hat der Draht die die Spannung mit magnetischer Induk­
die Länge l und herrscht im Draht das Feld tion herbeiführen (7 Abschn. 6.10.1).
204 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Warum Spannungsquellen meistens ei­ (Um diese Definition eindeutig zu machen,


nen Plus- und einen Minus-Anschluss ha­ muss noch festgelegt werden, dass es um die
ben, klären wir jetzt. potenzielle Energie einer positiven Ladung
geht.) Die Spannung ist dann also eine Po-
tenzialdifferenz. Am Pluspol der Span­
Rechenbeispiel 6.4: Gewaltige Energie
nungsquelle ist die potenzielle Energie für
Aufgabe. Unsere beiden Stück Tafel­
eine positive Ladung hoch und am Minus­
kreide aus 7 Rechenbeispiel 6.1 ziehen
pol niedrig. Für die negativen Elektronen ist
sich an. Wie viel Arbeit können sie leis­
es genau umgekehrt und deshalb fließen sie
ten, wenn wir sie vom Abstand 1 m auf
im Stromkreis vom Minus- zum Pluspol.
0,5 m zusammenrücken lassen?
Hat man eine Ladungsanordnung im
Lösung. Für die Arbeit gilt gemäß
Raum, kann man für jeden Ort ein elektri­
letztem Kapitel: ΔW = Q · ΔU. Wir den­
sches Potenzial angeben, das die potenzielle
6 ken uns also die eine Kreide bewegt im
Energie einer dritten positiven Ladung an
durch die andere Kreide erzeugten Po­
dieser Stelle liefert. In . Abb. 6.9 ist das für
tenzial. Die Potenzialdifferenz zwischen
eine positiv geladene Scheibe neben einem
1 und 0,5 m Abstand beträgt:
negativ geladenen Balken perspektivisch
Q æ 1 1 ö 10 dargestellt. Nach oben ist das Potenzial auf­
DU = ç - ÷ = 1, 44 × 10 V.
4pe 0 è 0, 5m 1m ø getragen. Die Linien sind Linien, auf denen
das Potenzial konstant ist. Sie sind wie Hö­
Damit ergibt sich die Arbeit zu
henlinien auf einer Landkarte (. Abb. 6.10).
ΔW = 2,3 · 1010 J = 6,4 · 103 kWh. Das ist
Diese Höhenlinien ermöglichen eine
in etwa der halbe Jahresbedarf einer Fa­
Darstellung des Potenzials auch in Aufsicht
milie an elektrischer Energie.
senkrecht von oben wie in . Abb. 6.11.
Man nennt diese Linien konstanten Poten­
zials Äquipotenziallinien. Malt man nun
auch noch die Feldlinien in dieses Bild mit
Rechenbeispiel 6.5: Energie gespart
hinein (. Abb. 6.12), dann sieht man, dass
Aufgabe. In 7 Rechenbeispiel 6.2 flos­
die Feldlinien immer senkrecht auf den
sen 100 mA durch eine Energiespar­
Äquipotenziallinien stehen. Das macht
lampe. Welche Leistung setzt sie dann
Sinn. Die Feldlinien zeigen ja in die Rich­
(bei 230 V Netzspannung) um?
Lösung. Leistung U · I = 0,1
A · 230 V = 23 W. Damit ist sie ungefähr
so hell wie eine 100-W-Glühbirne, deren
Produktion wegen ihrer viel schlechteren
Lichtausbeute inzwischen verboten ist.

6.1.5 Elektrisches Potenzial !

Die potenzielle Energie einer Ladung kann


auch absolut angegeben werden, daher lässt
sich die Größe wie folgt definieren:
..      Abb. 6.9 Potenzialgebirge. Perspektivische Zeich­
Wpot nung des Potenzialgebirges für eine positiv geladene
elektrisches Potenzial j = . kreisförmige Elektrode (rot) und einem negativ gela­
Q denen Balken (blau)
6.1 · Grundlagen
205 6

..      Abb. 6.12 Potenziallinien und Feldlinien. Elektro­


denanordnung der . Abb. 6.9 mit Potenziallinien
(grün) und Feldlinien (gelb)

..      Abb. 6.10 Landkarte mit Höhenschichtlinien. Ge­


schlossene Linien bezeichnen Hügel wie den Kram-­ Potenzialfeld
Berg. Das Gelände ist umso steiler, je dichter die Li­ Der Vektor E zeigt in die Richtung des größten Po­
nien beieinander liegen. (Grundlage: Topografische tenzialgefälles. Mathematisch nennt man so etwas ei­
Karte 1:25.000, Blatt 4425 Göttingen; Druck mit nen Gradienten und schreibt

­Genehmigung des Niedersächsischen Landesverwal­ E = – grad U .
tungsamtes – Landesvermessung – vom 26.02.1974) Hier handelt es sich um eine besondere Form der Diffe­
renziation, die zu einem Vektor führt. Die Umkehrung

ist das sog. Linienintegral. Es wird längs eines Weges s
ausgeführt, der im Grundsatz beliebig krumm sein
darf. Im elektrischen Feld liefert er die Potenzialdiffe­
 
renz ΔU zwischen zwei Punkten s1 und s2 :
s2
  
DU = ò E ( s ) × ds .
s1

Dabei spielt es keine Rolle, auf welchem Wege man


 
von s1 und s2 : kommt. Das ist aber eine Spezialität
des Potenzialfeldes; es gilt nicht generell für alle Li­
nienintegrale.

. Abb. 6.13 zeigt eine technisch wichtige


Ladungsverteilung: zwei parallele Platten,
..      Abb. 6.11 Äquipotenziallinien des Potenzialgebirges
die an eine Spannungsquelle angeschlossen
sind. Man nennt das einen Kondensator,
über dessen Funktion wir später noch mehr
tung der Kraft auf eine Ladung. Bewegt
lernen werden (7 Abschn. 6.3.5). Damit
man die Ladung in diese Richtung, verliert
zwischen den Platten eine Potenzialdiffe­
sie wegen „Kraft mal Weg“ potenzielle
renz, eine Spannung, entsteht, muss zwi­
Energie, das Potenzial sinkt. Bewegt man die
schen den Platten ein Feld herrschen. Da
Ladung senkrecht zur Kraftrichtung,
dies, wie . Abb. 6.13 zeigt, einigermaßen
kommt für die geleistete Arbeit null heraus
gleichmäßig (homogen) ist, gilt:
(weil das Skalarprodukt null ist;
7 Abschn. 2.2.4) und das Potenzial bleibt 
gleich. U0 = E × d.
206 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

elelktr Potential

..      Abb. 6.13 Kondensator. Feldlinien (gelb) und


Schnitte von Potenzialflächen (grün) im weitgehend
homogenen Feld zwischen zwei entgegengesetzt gleich
geladenen Platten und der zugehörige Verlauf des Po­
tenzials auf einer geraden Feldlinie

Damit dieses Feld existiert, müssen die Plat­


ten natürlich geladen sein, auf der linken
Seite negativ, auf der rechten positiv. Außer­
halb der beiden Platten ist das Feld (außer
im Randbereich) null, da sich dort das Feld
der negativen Platte und das der positiven
Platte zu null addieren. Der Potenzialver­ ..      Abb. 6.14 Potenzial auf der Haut. Äquipotenzial­
linien zu einem bestimmten Zeitpunkt im Herzzyklus,
lauf zwischen den Platten ist linear; die gezeichnet auf die Körperoberfläche des Patienten
Äquipotenziallinien verlaufen parallel zu
den Platten und haben gleiche Abstände.
Der Kondensator bietet eine gute Mög­ nien. Das EKG zeichnet diese sich periodisch
lichkeit, ein homogenes, gleichmäßiges elek­ wiederholende Potenzialverteilung mit vielen
trisches Feld zu erzeugen. Das werden wir Elektroden auf (7 Abschn. 6.8.1). 9
nutzen, wenn wir nun betrachten, wie Mate­
rie auf ein elektrisches Feld reagiert.
6.2 Materie im elektrischen Feld
77Potenziallinien auf dem Rücken
Das Herz ist ein in Stärke und Richtung va­ 6.2.1 I nfluenz und elektrische
riabler elektrischer Dipol, der ein Feld um Abschirmung
sich erzeugt und damit auch einen Potenzial­
verlauf. Dieser wird im EKG gemessen. Erscheint ein Gegenstand nach außen elekt­
. Abb. 6.14 zeigt die Äquipotenziallinien risch neutral, so heißt dies nicht, dass er
auf Brust und Rücken für einen bestimmten keine elektrischen Ladungen enthielte, son­
Zeitpunkt im Herzzyklus. Der „Herzdipol“ dern nur, dass sich bei ihm positive und nega­
liegt schräg im Brustkorb, seine Achse zielt in tive Ladungen gerade kompensieren. Elekt­
die Zentren der geschlossenen Potenzialli­ rische Ströme transportieren Ladungen.
6.2 · Materie im elektrischen Feld
207 6

..      Abb. 6.15 a-c. Influenzversuch. In das (nicht not­ Feld mehr besteht c. Trennt man die Platten im Feld
wendigerweise homogene) Feld E0 a werden zwei elek­ und zieht man sie in den feldfreien Außenraum hinaus,
trisch leitend verbundene kleine Platten gebracht b. so steht jetzt zwischen ihnen ein Feld mit dem Betrag
Folge: Ladungstrennung im Feld E0, bis beide Platten E0, aber in entgegengesetzter Richtung d
auf gleichem Potenzial liegen und zwischen ihnen kein

In elektrischen Leitern müssen deshalb frei >>Merke


bewegliche Ladungsträger sein. In Metallen Influenz: Ladungstrennung durch ein
sind dies die Elektronen. Das macht es mög­ äußeres elektrisches Feld.
lich, zwei Metallplatten entgegengesetzt auf­
zuladen, ohne sie mit einer Spannungsquelle Die Platten des Luftkondensators müssen
in Berührung zu bringen. beim Influenzversuch nur das äußere Feld lie­
Ganz ohne Spannungsquelle geht es na­ fern. Im Übrigen sind sie unbeteiligt, sie ver­
türlich nicht. Diese wird aber nur gebraucht, lieren insbesondere auch keine Ladung. Nun
um zwischen zwei großen Kondensatorplat­ kann es nicht verboten sein, die beiden kleinen
ten ein elektrisches Feld E0 zu erzeugen Platten, nachdem man sie aus dem Luftkon­
(. Abb. 6.15a). Bringt man jetzt zwei klei­ densator entfernt hat, wieder elektrisch zu ver­
nere Platten in dieses Feld, so geschieht so binden. Dann fließt ein Stromstoß, der Strom­
lange nichts, wie sie nicht leitend miteinan­ wärme erzeugt. Erlaubt die Influenz etwa, ein
der verbunden werden. Sind sie das aber, fol­ Perpetuum mobile zu konstruieren? Keines­
gen die Elektronen den Coulomb-Kräften. wegs! Wenn man die Platten aus dem Feld he­
Sie erzeugen im Drahtbügel einen Strom rausholt, muss man mit seinen Muskeln gegen
(. Abb. 6.15b), der gerade so lange anhält, elektrostatische Kräfte an arbeiten.
bis beide Platten auf gleichem Potenzial an­ Solange beim Influenzversuch die beiden
gekommen sind, bis also kein Feld mehr kleinen Platten elektrisch miteinander ver­
zwischen ihnen liegt (. Abb. 6.15c). Anders bunden sind, herrscht zwischen ihnen kein
ausgedrückt: Die Ladungen auf den kleinen Feld, gleichgültig was außen geschieht. Das
Platten erzeugen ein Gegenfeld exakt in der gilt erst recht für den Innenraum einer
Größe, dass es das Hauptfeld E0 kompen­ Blechdose: Mit ihrer Hilfe kann man emp­
siert. Das Gegenfeld besteht zwischen den findliche Messinstrumente von störenden
Platten weiter, wenn man sie aus dem Haupt­ elektrischen Feldern abschirmen. Die Dose
feld herauszieht (. Abb. 6.15d). Diese La­ darf Löcher haben, sie darf sogar zu einem
dungstrennung durch ein äußeres elektri­ Käfig aus Maschendraht degenerieren
sches Feld nennt man Influenz. (Faraday-­Käfig). Ein äußeres Feld reicht
208 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

dann zwar ein wenig durch die Maschen nen gebildet. Die abgegebenen Elektronen
hindurch, aber eben doch nicht sehr weit. können sich zwischen ihnen „quasifrei“ be­
Das Deutsche Museum in München be­ wegen; richtig frei sind sie ja nicht, weil sie
sitzt einen derartigen Käfig, groß genug, ei­ den Draht nicht verlassen dürfen (zumin­
nen sitzenden Menschen aufzunehmen. Der dest nicht so ohne Weiteres). Diese quasi­
Käfig wird zwischen die Elektroden einer freien Elektronen sorgen für die hohe elekt­
Hochspannungsanlage gehängt: Meterlange rische Leitfähigkeit der Metalle.
Entladungen schlagen oben und unten in Zunächst einmal sind die Elektronen in
den Käfig hinein (. Abb. 6.16). Der Mensch ständiger thermischer Bewegung; sie ist sta­
darin registriert dies nur optisch und akus­ tistisch gleichmäßig auf alle Raumrichtun­
tisch; elektrisch spürt er nichts, denn er sitzt gen verteilt und kompensiert sich deshalb im
ja im feldfreien Raum. Wehe nur dem, der Mittel zu null. Sobald aber längs des Drah­
eine neugierige Nase durch die Maschen tes ein elektrisches Feld erscheint, laufen sie
6 nach außen steckt! ihm nach, genauer: Sie laufen ihm entgegen,
ihrer negativen Ladung wegen.

6.2.2 Elektrischer Strom ! >>Merke


Metalle transportieren einen Strom
In einem Kupferdraht spaltet jedes Atom durch bewegliche Elektronen.
ein Elektron aus seiner Hülle ab. Das Kris­
Im Draht bewegen sich die Elektronen wie
tallgitter wird also von positiven Kupferio­
der Löffel im Sirup: unter starker Reibung.
Deshalb folgen sie der angelegten Span­
nung, d. h. der Coulomb-Kraft des angeleg­
ten Feldes E, nicht beschleunigt, sondern
mit einer konstanten

Driftgeschwindigkeit vd = m × E.

(Die Größe μ wird Beweglichkeit genannt.)


Diese Driftgeschwindigkeit ist übrigens er­
staunlich klein: einige Zehntelmillimeter
pro Sekunde, natürlich abhängig vom
Strom.
Der Strom I ist zu vd proportional, aber
auch zur Anzahl N der beweglichen Elektro­
nen bzw. zu deren Anzahldichte n = N/V.
Für den Strom I kommt am Ende heraus:

I = e0 × n × A × m × E.

Hierin ist e0 die Elementarladung, also die


von den Elektronen getragene Ladung, und
A die Querschnittsfläche des Drahtes.

Herleitung
In der Zeitspanne Δt laufen alle Elektronen den Weg
Δs = vd · Δt = μ · E · Δt weit. An einer bestimmten
..      Abb. 6.16 Faraday-Käfig zum Abschirmen eines Stelle des Drahtes kommen dabei alle ΔN = n · A · Δs
Menschen vom Feld einer Hochspannungsanlage Elektronen vorbei, die dazu weniger als Δs marschie­
6.2 · Materie im elektrischen Feld
209 6
ren mussten. Sie haben mit der Ladung ΔQ = ΔN · e0 6.2.3 Leitfähigkeit und
den Strom I = ΔQ/Δt transportiert:
Resistivi tät !
I = Dt = e0 × DN = e0 × n × A × Ds = e0 × n × A × vd × Dt
= e0 × n × A × m × E × Dt. Für den elektrischen Widerstand R eines
Nun muss nur noch Δt heraus gekürzt werden.
Drahtes mit Länge l und Querschnittsfläche
A ergibt sich aus dem eben Gesagten:
In 7 Abschn. 6.1.4 hatten wir gesehen, dass l
in einem Draht der Länge l, an dem eine R= r×
A
Spannung U anliegt, die Feldstärke E = U/l
herrscht. So können wir den Strom auch in mit dem spezifischen elektrischen Wider-
Abhängigkeit von der Spannung angeben: stand ρ, der kürzer Resistivität genannt
wird. Ihm gebührt die SI-Einheit Ωm. Sein
U s ×A Kehrwert ist die elektrische Leitfähigkeit σ
I = e0 × n × A × m × = ×U .
l 1 (7 Abschn. 6.2.2).
σ und ρ sind Materialkenngrößen der
Mit der sog. Leitfähigkeit des Metalls
Substanz, aus der ein Leiter besteht. Sind sie
s = e0 × n × µ. konstant, d. h. unabhängig von der angeleg­
ten elektrischen Spannung, so erfüllt der
Diese Leitfähigkeit hängt nicht vom Feld Leiter das Ohm’sche Gesetz. Denn wenn
oder der Spannung ab. Dies ist der Inhalt sein spezifischer Widerstand nicht von der
des Ohm’schen Gesetzes: Strom und Span­ Spannung abhängt, so kann es sein Wider­
nung sind einander proportional. Man stand auch nicht.
drückt dies gern mit dem Begriff des elektri­ Kaum eine andere physikalische Größe
schen Widerstands R aus: überdeckt einen so weiten messbaren Be­
s ×A U U reich: glatt 30 Zehnerpotenzen von den gut
I= ×U = oder R = . leitenden Metallen bis zu den guten Isolato­
l R I
ren (. Abb. 6.17). Dabei sind die Supralei­
ter noch nicht einmal mitgezählt: Deren spe­
>>Merke
zifischer Widerstand fällt bei tiefen
U Temperaturen auf einen Wert, der sich expe­
Elektrischer Widerstand R = ;
I rimentell von null nicht unterscheiden lässt.
V Außerhalb dieses Bereiches nimmt ρ bei
Einheit : 1 = 1 W ( Ohm ) . praktisch allen Metallen mit der Temperatur
A
T zu. Dies ist der Grund für das nicht­
ohm’sche Verhalten einer Glühbirne
Das Ohm’sche Gesetz ist nicht diese Glei­
(7 Abschn. 6.3.3): Mit steigender Span­
chung, sondern die Aussage, dass der Wider­
nung steigt der Strom, steigt die Entwick­
stand nicht von Strom und Spannung ab­
lung von Stromwärme, steigt die Tempera­
hängt. In 7 Abschn. 6.3.3 werden wir
tur und mit ihr der Widerstand.
lernen, dass das Ohm’sche Gesetz nicht im­
mer gilt, z. B. nicht für einen Strom durch
>>Merke
einen Menschen.
Spezifischer Widerstand ρ und elektri­
sche Leitfähigkeit σ = 1/ρ sind tempera­
>>Merke
turabhängige Kenngrößen elektrischer
Ohm’sches Gesetz: In einem Metalldraht
Leiter.
sind Strom und Spannung proportional
⇒ Der elektrische Widerstand ist unab­ Den spezifischen Widerstand kann man zur
hängig von Strom und Spannung. Temperaturmessung ausnutzen – im Wider­
210 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Lösung. Spezifischer Widerstand des


Kupfers: ρ = 1,7 · 10−8 Ωm. Also ist der
Widerstand (zwei Adern):
4m
R = 2× r × = 0,18 W.
0, 75 mm 2

6.2.4 Permittivität
(Dielektrizitätskonstante)

Ein leitender Gegenstand schirmt ein äuße­


6 res Feld ab, weil die beweglichen Leitungs­
elektronen sich so verteilen, dass im Inneren
des Leiters kein Feld mehr herrscht, es sei
denn, der Leiter ist an eine Spannungsquelle
angeschlossen und es fließt ein dauernder
Strom. Aber auch im Isolator befinden sich
viele Ladungen: die positiv geladenen Atom­
kerne und die negativ geladenen Elektronen
in der Hülle. Wie reagieren sie auf ein äuße­
..      Abb. 6.17 Spezifische Widerstände. Der Bereich res Feld? Sie wollen eigentlich das Gleiche
vorkommender spezifischer Widerstände; der Restwi­
tun wie die Leitungselektronen im Metall,
derstand ist der Tieftemperaturwiderstand vor Einset­
zen der Supraleitung können ihr Atom aber nicht verlassen. Doch
können sie sich ein bisschen verschieben.
Die Folge ist eine Asymmetrie in den Ato­
standsthermometer. Dieses besteht meist men: Sie bekommen ein elektrisches Dipol­
aus einem dünnen, in Glas eingeschmolze­ moment (7 Abschn. 6.1.3). Im Isolator
nen Platindraht. Oft werden auch Halbleiter liegen dann lauter in gleicher Weise
zur Temperaturmessung verwendet. Bei ih­ ausgerichtete Dipole nebeneinander
nen sinkt aber der elektrische Widerstand (. Abb. 6.18). Weil das äußere Feld Ladun­
mit steigender Temperatur. gen innerhalb der Atome, Moleküle, Mole­
Die große technische Bedeutung von külkomplexe verschoben hat, nennt man das
Halbleitern (z. B. Silizium) beruht darauf, Verschiebungspolarisation und sagt, der Iso­
dass der spezifische Widerstand sich durch lator sei polarisiert. Maß dafür ist die sog.

verschiedene chemische Zusätze über einen Polarisation P , die als Dipolmomentdichte,
weiten Bereich einstellen und in Bauelemen­ also Dipolmoment pro Volumen, definiert
ten wie Dioden und Transistoren von einer ist.
angelegten Spannung steuern lässt. Hat die Polarisation Auswirkungen auf
das Feld im Inneren des Isolators? Ja, das
Rechenbeispiel 6.6: Anschlussleitung Feld wird zwar nicht völlig abgeschirmt wie
Aufgabe. Die Anschlussleitung einer im Metall, aber es wird abgeschwächt.
Stehlampe sei 4 m lang und die Kupfer­ Hier muss nun einmal genau gesagt wer­
drähte haben 0,75 mm2 Querschnittsflä­ den, was mit „Feld im Isolator“ oder „Feld
che je Ader. Wie groß ist der Widerstand im Metall“ eigentlich gemeint ist. Macht
der Leitung? (An den Anhang denken!) man sich ganz klein und setzt sich z. B. zwi­
schen Atomkern und Hülle, so beobachtet
6.2 · Materie im elektrischen Feld
211 6
man dort natürlich immer ein sehr starkes
Feld, da man zwischen der positiven La­
dung des Kerns und der negativen Ladung
der Hülle quasi wie in einem Kondensator
sitzt. Als Ganzes ist das Atom aber neutral,
außerhalb des unpolarisierten Atoms ist
kein Feld. Mittelt man also das Feld über
größere Längen (etwa einen Mikrometer),
so ist es im unpolarisierten Material null.
Wenn über das Feld in einem Material ge­
sprochen wird, ist immer dieses über viele
Atome gemittelte Feld gemeint.
Befindet sich der Isolator in einem äuße­
ren Feld E0 , so herrscht im Inneren zu­
nächst auch dieses Feld. Die zu Dipolen
polarisierten Atome umgeben sich aber zu­
sätzlich alle mit einem Dipolfeld. Denkt
man sich den Isolator zwischen zwei Kon­
densatorplatten (. Abb. 6.18), so verur­
sacht die Polarisation in der Summe an den
Oberflächen des Isolators effektive Oberflä­
chenladungen, negative gegenüber der posi­
tiv geladenen Kondensatorplatte, positive
gegenüber der negativen Kondensatorplatte.
Diese Oberflächenladungen erzeugen ein
dem äußeren Feld E0 entgegengesetztes

Feld, sodass die Feldstärke E im Inneren ..      Abb. 6.18 Polarisation. Im durch die geladenen
des Isolators kleiner ist als das äußere Feld. Platten erzeugten Feld werden aus den Atomen Dipole
(oben). Dies führt zu Oberflächenladungen am Isola­
In den meisten Materialien ist die Polarisa­ tor, die das Feld im Inneren abschwächen (unten)
tion und damit auch das Feld im Inneren
proportional zum äußeren Feld:
  entsprechend kleiner. Das bedeutet aber
e r ·E = E0 . eine um den Faktor εr größere Kapazität
C = Q/U (7 Abschn. 6.3.5).
Die Proportionalitätskonstante ist die schon Grundsätzlich muss das äußere Feld die
erwähnte relative Permittivität εr. (Die alte atomaren oder molekularen Dipole nicht un­
Bezeichnung Dielektrizitätskonstante wird bedingt selbst erzeugen. Sie können, wie im
aber gelegentlich noch verwendet.) Die Per­ Wasser (7 Abschn. 6.1.3), von vornherein
mittivität ist eine Materialkenngröße des vorhanden sein und sich nur deswegen nach
Isolators. Bei gängigen Kunststoffen liegt εr außen nicht sofort bemerkbar machen, weil
meist zwischen 2 und 5. Dieser Faktor hilft ihre Dipolmomente ständig in ungeordneter
den Herstellern von Kondensatoren, die me­ thermischer Bewegung sind. Ein äußeres Feld
tallisch beschichteten Folien zu Paketen auf­ kann diesem Durcheinander aber eine ge­
zuwickeln. Denn befindet sich zwischen den wisse Vorzugsrichtung geben, mit steigender
Kondensatorplatten ein Isolator mit der Feldstärke immer ausgeprägter. Man nennt
Permitivität εr, so ist das Feld im Kondensa­ diesen Mechanismus Orientierungspolarisa-
tor um diesen Faktor abgeschwächt und da­ tion. Diese führt zu deutlich höheren Werten
mit auch die Spannung zwischen den Platten der Permittivität. Wasser bringt es auf εr = 80.
212 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

>>Merke normalerweise aus neutralen Molekülen


Durch Polarisation wird das elektrische und zum Stromfluss braucht es geladene
Feld in Isolatoren abgeschwächt. Teilchen. Daher muss erst irgendetwas Dra­
55 Verschiebungspolarisation: Feld er­ matisches geschehen, damit Luft elektrisch
zeugt durch Influenz molekulare Di­ leitend wird. Das passiert in Blitzen.
pole. Sehr hohe Spannungen bedeuten sehr
55 Orientierungspolarisation: Feld richtet hohe Feldstärken. Ab ca. 1 Mio. Volt pro
polare Moleküle aus. Meter passiert Folgendes: Es gibt in der
Luft aus verschiedenen Gründen immer ein
Der Piezoeffekt paar wenige Moleküle mit einem Elektron
Es gibt noch weitere mit der Polarisation zusammen­
zu wenig. Dieses fliegt als freies Elektron he­
hängende Effekte. Technisch wichtig sind Isolatoren,
die polarisiert werden, wenn man sie mechanisch belas­ rum. Im hohen Feld wird es so stark be­
tet, sie also z. B. zusammendrückt. Man nennt diesen schleunigt, dass es aus dem nächsten Mole­
6 Effekt Piezoelektrizität („Piëzo…“ ausgesprochen). Ge­ kül, mit dem es zusammenstößt, weitere
läufig ist er vielleicht aus Feuerzeugen, die das Brenngas Elektronen herausschlägt, die dann ihrer­
dadurch entzünden, dass mit einem Schnappmechanis­
seits stark beschleunigt werden: Eine Elekt-
mus auf einen piezoelektrischen Würfel geschlagen
wird. Aufgrund der plötzlichen Polarisation entsteht ronenlawine bricht los. Der Strom wächst
eine so hohe Spannung, dass ein Funke überschlägt. entsprechend einer e-Funktion mit positi­
Ein Effekt wie die Piezoelektrizität funktioniert vem Exponenten, die Wärmeentwicklung
immer in beiden Richtungen: Wird an ein piezoelekt­ tut dies auch. Die Gasmoleküle werden
risches Material ein äußeres Feld angelegt, so zieht es
elektronisch angeregt und fangen an zu
sich zusammen, als wäre es gedrückt worden. Dies be­
nutzt man gern, um extrem kleine Verrückungen ext­ leuchten: Ein Blitz zuckt durch den Himmel.
rem präzise auszuführen. Beim sog. Tunnelmikroskop Man nennt dies eine Gasentladung.
tastet eine feine Spitze die zu untersuchende Oberflä­ In einer Leuchtstoffröhre brennt ein ge­
che kontrolliert in Schritten ab, die kleiner sein kön­ bändigter Blitz. Wenn man den Gasdruck
nen als Atomabstände.
auf etwa ein Tausendstel des Luftdruckes
vermindert, haben die Elektronen mehr Zeit
Rechenbeispiel 6.7: Oberflä- zu beschleunigen, bis sie das nächste Mole­
chenla dung kül treffen. Daher kommt man mit viel klei­
Aufgabe. Zwei parallele Metallplatten neren Feldern und der Spannung aus der
seien mit einer Ladung von plus bzw. mi­ Steckdose aus. Begrenzt man mit einem Vor­
nus 10−5 C aufgeladen. Zwischen den widerstand außerdem den Strom, kann eine
Platten befinde sich ein Isolator mit konstante Gasentladung brennen. Es fließt
εr = 2. Wie groß ist die effektive Ober­ dann ein Strom durch das Gas in der Röhre,
flächenladung auf dem Isolator? der von Elektronen, aber auch von gelade­
Lösung. Der Isolator schwächt das nen Molekülen getragen wird. In der
Feld zwischen den Platten auf die Hälfte Leuchtstoffröhre hat das den Sinn, dass
ab. Dazu muss die Hälfte der Ladungen Quecksilberatome im Gas elektronisch an­
auf den Platten durch entsprechende geregt werden. Sie strahlen dann blaues und
Gegenladung auf der Isolatoroberfläche ultraviolettes Licht ab (7 Abschn. 7.5.2).
kompensiert werden. Also beträgt diese Ultraviolettes Licht kann man nicht se­
Oberflächenladung 5 · 10−6 C. hen: Hier kommt der „Leuchtstoff“, die
weiße Beschichtung des Glasrohrs, zum Ein­
satz. Er besteht aus Fluoreszenzfarbstoff.
6.2.5 Gasentladung Das sind Moleküle, die durch UV-Licht an­
geregt werden, dann aber sichtbares Licht
Strom kann nicht nur durch Metalle fließen, abstrahlen. So wird das ultraviolette in sicht­
sondern auch durch Luft. Luft besteht aber bares verwandelt. Energiesparlampen sind
6.3 · Stromkreis
213 6
Leuchtstoffröhren „in klein“. Der Leucht­ dem Lämpchen geschaltet werden
stoff hat eine besonders hohe Leuchtdichte: (. Abb. 6.20). Die Batterie hat eine Span­
viel Licht aus kleiner Fläche. nung zu liefern, damit der Strom fließen
kann. Sie muss eine Spannungsquelle sein,
>>Merke aber ebenso auch eine Stromquelle.
Gasentladung: Freie Elektronen lösen Nicht nur die Spannungsquelle hat einen
durch Stoßionisation eine Elektronenla­ Plus- und einen Minuspol. Strom- und
wine aus. Mit einer Strombegrenzung Spannungsmessgeräte haben das auch. Sie
kann sie kontinuierlich brennen. zeigen nämlich Strom und Spannung mit
einem Vorzeichen an. Diese Vorzeichen sind
mit einer Konvention festgelegt, die ein
6.3 Stromkreis Elektrotechniker genau kennen muss. Hier
reichen ein paar Hinweise:
6.3.1  trom und Spannung
S Ein Strom gilt als positiv, wenn er außer­
messen halb der Spannungsquelle vom Pluspol zum
Minuspol fließt und innerhalb der Span­
Wer sich noch nicht auskennt, den mag nungsquelle vom Minus- zum Pluspol. Da­
überraschen, dass er in Laboratorien häufig bei wird immer so getan, als ob positiv ge­
sog. Vielfachinstrumente vorfindet, die nicht ladene Ladungsträger fließen. Man nennt
nur über mehrere Messbereiche verfügen, das die konventionelle Stromrichtung, denn
sondern sowohl Ströme als auch Spannun­ die Elektronen im Metall fließen wegen ihrer
gen zu messen vermögen. Wieso sie beides negativen Ladung in entgegengesetzter
können, wird erst später klar. Folgendes Richtung. Der Strommesser wird den Strom
überlegt man sich aber leicht: Ein Strom­ dann positiv anzeigen, wenn sein Pluspol
messer misst nur denjenigen Strom, der zum Pluspol der Spannungsquelle orientiert
durch das Messwerk zwischen seinen beiden ist und sein Minuspol zum Minuspol der
Anschlussklemmen hindurchläuft, das Inst­ Spannungsquelle. Beim Spannungsmesser
rument muss im Stromkreis liegen, in unse­ ist es genauso, denn die Konvention fordert,
rem einfachen Stromkreis der . Abb. 6.2 dass die Potenzialdifferenz in die Stromrich­
mit Batterie und Glühbirne in Reihe (oder tung außerhalb der Spannungsquelle zu
auch in Serie). nehmen ist. Alte Messinstrumente mit me­
. Abb. 6.19 zeigt die zugehörige Schalt­ chanischem Zeiger darf man nicht
skizze. Es ist gleichgültig, auf welcher Seite ­falschherum polen, sonst schlägt der Zeiger
der Strommesser sich im Stromkreis befin­ in die falsche Richtung. Bei digitalen Instru­
det, rechts oder links. Ein Spannungsmesser menten wird bei falscher Polung nur ein ne­
hingegen soll die Spannung der Batterie un­
beeindruckt vom restlichen Stromkreis mes­
sen. Er muss parallel zu der Batterie und

..      Abb. 6.19 Strommesser. Er wird in Reihe mit dem ..      Abb. 6.20 Spannungsmesser. Er wird parallel zu
„Verbraucher“ geschaltet Batterie und Glühbirne („Verbraucher“) geschaltet
214 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

gativer Wert angezeigt, was meistens nicht Spannung einer Batterie mit einem Kardio­
weiter stört. grafen überprüfen? Der Besitzer des Viel­
Dass es nützlich ist, die Klemmen der fachinstruments darf bedenkenlos das ihm
Batterie mit den mathematischen Vorzei­ zukommende Experiment ausführen und
chen + und – zu bezeichnen, zeigt sich, wenn sich überzeugen: Es geht nicht. Der Besitzer
man mehrere Batterien elektrisch hinterein­ des Kardiografen aber sei gewarnt: Mögli­
anderschaltet, wenn man sie also in Reihe cherweise muss sein kostbares Gerät an­
schaltet: Bei richtiger Polung, immer Plus an schließend zur Reparatur. Herz und Batterie
Minus, addieren sie ihre Spannungen haben schon etwas miteinander zu tun, nur
(. Abb. 6.21); liegt aber eine Batterie falsch liegen die Spannungen, die sie abgeben, um
herum (. Abb. 6.22), so subtrahiert sie ihre rund einen Faktor Tausend auseinander; der
Spannung von der Summe der anderen. Ma­ Vielfachmesser ist nicht empfindlich genug
thematisch ist eine Subtraktion aber nur für das EKG und der Kardiograf zu emp­
6 eine Addition mit negativen Vorzeichen. findlich für die Batterie.
Darum darf man die Gesamtspannung U Im Bereich Mikrovolt (μV) liegen die Si­
einer Reihe hintereinander geschalteter gnale, die Antennen aus der Luft fischen;
Spannungsquellen als Summe der Einzel­ Muskelkontraktionen erzeugen Millivolt
spannungen U1, U2 usw. schreiben: (mV) bis Zehntelvolt. Einige Volt sind für
den Menschen ungefährlich, solange sie
n
über die Haut angelegt werden (und nicht
U = U1 + U 2 + U 3 +¼+ U n = åU i .
i =1
etwa über einen Herzkatheter!). Die 230 V
der Steckdose sind aber keineswegs mehr
An dieser Stelle sei die misstrauische Frage harmlos. Hochspannungsleitungen im Be­
erlaubt: Haben denn nun Wirbeltierherz reich Kilovolt (kV) bekommen bereits
und Taschenlampenbatterie wirklich etwas Warnschilder. Überlandleitungen bevorzu­
miteinander zu tun? Kann man etwa ein gen 340 kV = 0,34 MV (Megavolt); Berüh­
EKG auch mit einem Vielfachinstrument rung ist tödlich. Röntgenröhren werden
beobachten? Kann man umgekehrt die nicht selten mit ähnlich hohen Spannungen
betrieben. Blitze können es auf viele Giga­
volt bringen.

6.3.2 Leistung und Energie !!

„Elektrizität“ ist vielseitig verwendbar. Man


..      Abb. 6.21 Batterien in Reihe. Drei Taschenlam­ kann mit ihr eine Armbanduhr betreiben,
penbatterien in Reihe geschaltet: Ihre Einzelspannun­ seinen Schreibtisch beleuchten, Brot rösten,
gen U0 addieren sich zu U = 3 U0 ein Zimmer heizen oder einen Hochge­
schwindigkeitszug betreiben. Diese fünf
Beispiele sind hier nach „steigendem Ver­
brauch“ aufgelistet, zuweilen „Stromver­
brauch“ genannt. Was ist damit gemeint?
Ausdrücklich sei betont: Der elektrische
Strom fließt in einem geschlossenen Strom­
kreis. Er wird dabei nicht „verbraucht“.
..      Abb. 6.22 Batterien in Reihe. Eine der drei Batte­
rien liegt „verkehrt herum“; sie subtrahiert ihre Span­
Häufig dient das Wort „Strom“ als Ersatz
nung von der Summenspannung der beiden anderen: für die sprachlich unbequemere „elektrische
U = 2 U0 – U0 = U0 Energie“. Auch Energie lässt sich nicht „ver­
6.3 · Stromkreis
215 6
brauchen“ in dem Sinne, dass sie ver­ >>Merke
schwände; sie lässt sich aber von einer Form Elektrische Energie (Leistung mal Zeit).
t1 t1
in eine andere umwandeln. Dabei ist elektri­
sche Energie höherwertig, weil besser ver­ DWel = òP ( t ) × dt = òU ( t ) × l ( t ) × dt.
t0 t0
wendbar als z. B. die Wärme der Zimmer­
luft, die man zwar aus elektrischer Energie
Die Einheiten Volt und Ampere wurden so
gewinnen, aber nur schwer vollständig in sie
definiert, dass die elektrische Energieeinheit
zurückverwandeln kann. Letzten Endes ist
Wattsekunde mit dem Joule übereinstimmt.
eine derartige „Entwertung“ elektrischer
Energie gemeint, wenn man von Energie-
>>Merke
oder gar Strom „verbrauch“ redet.
1 Wattsekunde = 1 Joule = 1 Newtonme­
Eine anfahrende Lok verlangt mehr
ter;
Energie in kürzerer Zeit als eine leuchtende
1 Ws = 1 J = 1 Nm.
Glühbirne: Die oben aufgelisteten fünf
Möglichkeiten sind nach steigender Leis­ Diese Beziehung muss man sich merken.
tung geordnet. Elektrische Leistung P wird Auf jeden Fall braucht man sie, wenn man
immer dann umgesetzt, wenn bei einer in irgendeiner Formel zwischen elektrischen
Spannung U ein Strom I fließt; P ist zu bei­ und mechanischen Größen und ihren Ein­
den proportional: elektrische Leistung heiten hin- und herrechnen muss. Das
P = I·U (Einheit 1 Watt = 1 W = 1 V · A). kommt gar nicht so selten vor.
Polt man die Spannungsquelle um, wechselt Für praktische Zwecke sind Wattsekunde
auch der Strom sein Vorzeichen. Für die und Joule unangenehm klein. Elektrizitäts­
Leistung hat das an dieser Stelle keine Be­ werke rechnen in Kilowattstunden (1 kWh
deutung: Als Produkt von U und I bleibt sie = 3,60 MJ) und verlangen derzeit dafür einen
positiv. Minus mal minus gibt plus, sagt die Arbeitspreis von ungefähr 25 Cent.
Mathematik. Der obige Vergleich der Einheiten für die
Energie wirft nun allerdings die Frage auf,
>>Merke was Spannung mal Strom mal Zeit (also
Elektrische Leistung Spannung mal Ladung) denn mit Kraft mal
P =U ×I Weg zu tun hat. Tatsächlich kann man sich
Einheit: 1 Watt = 1 W = 1 V · A. den Stromfluss mechanisch vorstellen: Die
Elektronen werden im Stromkreis von der
Die Typenschilder elektrischer Geräte können Batterie herumgepumpt. Dabei muss ein
ein gewisses Gefühl für physikalische Leis­ Widerstand, der sich aus Stößen der Elekt­
tung vermitteln. Für ein Fernsehgerät sind ronen mit den Atomen im Metall ergibt,
20–50 W reichlich. Der Mensch vermag sie überwunden werden. Eine Kraft muss die
mit seiner Beinmuskulatur leicht zu liefern. Er Elektronen vorantreiben. Die Spannung ist
versagt aber beim Kilowatt (kW) eines kleinen sowohl ein Maß für diese elektrische Kraft
Heizlüfters. Kraftwerke werden heutzutage als auch ein Maß für den Weg, den die Elek­
für Leistungen über 1000 Megawatt = Giga­ tronen zurücklegen. So hatten wir die Span­
watt = 109 W ausgelegt. Sinnesorgane wie nung in 7 Abschn. 6.1.4 definiert.
Auge und Ohr sprechen, wenn sie gesund und
ausgeruht sind, bereits auf Signalleistungen
Rechenbeispiel 6.8: Wie viel ist ein Blitz
von 1 Picowatt = 1 pW = 10−12 W an.
wert?
Der Stromkunde muss dem Versor­
Aufgabe. Ein anständiger Blitz hat eine
gungsunternehmen die elektrische Energie
Spannung von vielleicht 1 GV, führt ei­
ΔWel bezahlen, also das Zeitintegral der
nen Strom der Größenordnung 105 A
elektrischen Leistung P(t).
216 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

. Abb. 6.24 zeigt die Strom-­Spannungs-­


und dauert ungefähr 100 μs an. Welche Kennlinie der Glühbirne. Mit steigender
Energie setzt er ungefähr um und was Spannung wird die Kurve immer flacher, I
wäre sie im Kleinhandel wert? steigt weniger als proportional zu U: Der
Lösung. Wir nehmen mal an, der Leitwert nimmt ab, der Widerstand zu, weil
Strom wäre über die ganze Zeit kons­ der Glühdraht heiß wird. Das muss nicht so
tant. Das ist dann eine Energie: W = U · sein. Bei lebenden Organismen kommt ge­
I · Δt = 109 V · 105 A · 10−4 s = 1010 rade das Umgekehrte häufig vor. Alle Men­
Ws = 2800 kWs. Das entspricht bei 25 ct schen sind verschieden und darum gibt es
pro kWh etwa 700 Euro, wenn man die auch nicht den elektrischen Widerstand des
Energie denn nutzen könnte. Menschen; aber man kann doch Grenzwerte
bestimmen, gemessen z. B. über großflächige
Elektroden an beiden Handgelenken.
6 6.3.3 Elektrischer Widerstand !! . Abb. 6.25 zeigt das Ergebnis einer solchen
Messung, durchgeführt an den Leichen frisch
Welche Leistung ein Kunde seinem Elektri­ verstorbener Menschen. Vor einem Nach­
zitätswerk abnimmt, hängt von der Span­ messen an lebendigen Versuchspersonen sei
nung an der Steckdose ab: ohne Spannung dringend gewarnt! Die Ströme sind tödlich.
weder Strom noch Leistung. Ist die Span­
nung aber vorhanden, dann entscheidet der
Kunde selbst, insofern nämlich, als das Ge­
rät, das er anschließt, einen bestimmten
Leitwert besitzt, der einen Stromfluss er­
laubt, oder, umgekehrt formuliert, dem
Stromfluss einen bestimmten Widerstand
(7 Abschn. 6.2.2) entgegensetzt.

>>Merke
Elektrischer Widerstand
U ..      Abb. 6.23 Kennlinie. Schaltung zur Messung der
R= Strom- Spannungs-Kennlinie einer Glühbirne (Wel­
I
mit der Einheit 1 Ohm = 1 Ω = 1 V/A. ches der beiden hier mit 1 und 2 bezeichneten Instru­
Elektrischer Leitwert mente ist der Spannungsmesser?)
I 1
G= =
U R
mit der Einheit 1 Siemens = 1/Ω.

Es ist nicht üblich, aber durchaus möglich,


eine Nachttischlampe (230 V, 15 W) mit
Taschenlampenbatterien zu betreiben: 51
von ihnen, in Reihe geschaltet, liefern
229,5 V. Das halbe Volt Unterspannung
stört nicht. Für 15 W Leistung benötigt die
Glühbirne, wie man leicht nachrechnet,
65 mA Strom. Das entspricht einem Wider­
stand von 3,5 kΩ. Nimmt man jetzt eine Ta­
schenlampenbatterie nach der anderen her­
aus (. Abb. 6.23), so gehen mit der ..      Abb. 6.24 Strom-Spannungs-Kennlinie einer
Spannung auch Strom und Leistung zurück. Glühbirne (220–230 V, 15 W)
6.3 · Stromkreis
217 6

..      Abb. 6.26 Ohm’scher Widerstand. Strom-Spannungs-


Kennlinie eines Ohm’schen Widerstands; sie ist immer
eine Gerade durch den Nullpunkt

..      Abb. 6.25 Widerstand des Menschen. Grenzkur­


che Schulbücher so tun, als gäbe es nichts
ven der Widerstandskennlinien menschlicher Leichen; anderes. Metalldrähte etwa, ob nun gerade
obere Grenzkurve: zarte Gelenke, trockene Haut; un- gespannt oder auf einen Keramikzylinder
tere Grenzkurve: starke Gelenke, feuchte Haut aufgewickelt, sind ohmsch, allerdings dabei
abhängig von der Temperatur. Auch die
Glühbirne hätte eine ohmsche Kennlinie,
Beide Beispiele zeigen, dass der Wider­
wenn sich der Glühfaden nicht erhitzte. In
stand sich mit der Spannung bzw. dem Strom
Schaltskizzen bekommt der Widerstand ein
ändern kann. In wichtigen Fällen ist das aber
flaches Rechteck als Symbol. (Es erscheint
nicht so, z. B. bei Metalldrähten, die sich, an­
zum ersten Mal in . Abb. 6.36.) Wenn nicht
ders als in der Glühbirne, nicht sehr erhitzen.
ausdrücklich etwas anderes gesagt wird, ist
Sie haben eine schnurgerade Kennlinie wie in
damit ein Ohm’scher Widerstand gemeint.
. Abb. 6.26, der Widerstandswert hängt
Auch zwischen den Klemmen eines Viel­
nicht von Strom und Spannung ab.
fachinstruments liegt ein – meist ohmscher –
Viele vor allem technische Widerstände,
(Innen-)Widerstand. Eben deshalb kann es
wie sie in der Elektronik verwendet werden,
Ströme wie Spannungen messen, denn zu
erfüllen diese Bedingung; man bezeichnet
jedem Strom gehört eine bestimmte Span­
sie deshalb als Ohm’sche Widerstände. Hier
nung und umgekehrt. Durch eine geeignete
muss auf eine Besonderheit der deutschen
Anpassung der internen Schaltung im Inst­
Sprache aufmerksam gemacht werden: Sie
rument muss man nur für den richtigen In­
verwendet die Vokabel „Widerstand“ so­
nenwiderstand sorgen (7 Abschn. 6.5.3).
wohl für das Objekt, das man anfassen und
in eine Schaltung einlöten kann, als auch für
dessen physikalische Kenngröße R. Das er­
laubt die Behauptung, ein Widerstand habe
6.3.4 Wärme bei Stromdurchgang
einen Widerstand. Die Angelsachsen kön­
Elektrische Erscheinungen sind schnell. Wenn
nen zwischen dem Gegenstand „resistor“
man das Licht im Wohnzimmer mit dem
und der Größe „resistance“ sprachlich
Schalter neben der Tür anknipst, leuchtet die
­unterscheiden.
Lampe sofort auf. Das heißt aber nicht, dass
da beim Schalter Elektronen in den Startlö­
>>Merke
chern gestanden hätten und wie der Blitz zu
Ohm’sches Gesetz: Strom und Spannung
der Lampe gerannt wären. Wozu auch?
sind proportional.
Marschbereite Elektronen finden sich überall
Ohm’sche Widerstände kommen in Technik im Metall, auch in den Glühdrähten. Schnell
und Laboratorium so häufig vor, dass man­ war nur die Übermittlung des Marschbefehls;
218 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

er läuft praktisch mit Lichtgeschwindigkeit tieren, durch Wärmeleitung. Das bedeutet


den Draht entlang, vom Schalter zur Lampe. nicht nur Verluste, sondern auch eine beson­
Elektronen im Draht müssen sich müh­ dere thermische Belastung der Haut. Man
sam zwischen dessen atomaren Bausteinen, kann sie ­vermeiden, indem man den Patien­
den Ionen des jeweiligen Metalls, hindurch­ ten unmittelbar elektrisch heizt, an der rich­
quälen. Da kommt es ständig zu Stößen, die tigen Stelle Stromwärme entwickelt, aller­
einerseits den Bewegungsdrang der Elektro­ dings nicht durch unmittelbaren Anschluss
nen dämpfen: Sie kommen nur einige Zehn­ an die Steckdose. Mit beträchtlichem techni­
telmillimeter pro Sekunde voran und keines­ schem Aufwand lässt sich erreichen, dass der
wegs mit Lichtgeschwindigkeit. Andererseits Patient wirklich nur geheizt wird und ihm
fachen die Stöße die ungeordnete thermi­ darüber hinaus nichts Böses geschieht. Das
sche Bewegung der um ihre Gitterplätze Verfahren heißt Diathermie oder Kurzwel­
schwingenden Ionen an: Elektrische Energie lenbestrahlung. 9
6 wird laufend in thermische Energie, in
Wärme, umgesetzt. Man bezeichnet sie auch Unvermeidlich entwickeln auch Kabel und
als Joule’sche Wärme oder Stromwärme. Zuleitungen Stromwärme. Für die Energie­
Von manchen „Verbrauchern“ wie Heiz­ wirtschaft bedeutet das Verlustwärme, die
kissen oder Toaströster wird nichts anderes aus ökonomischen Gründen bestmöglich zu
erwartet: Sie sollen die ganze, der Steckdose vermeiden ist. Eben deswegen stehen Über­
entnommene elektrische Leistung in Wärme landleitungen unter lebensgefährlich hohen
umwandeln. Man darf sie auch auf den Wi­ Spannungen. Transportiert werden muss
derstand R beziehen; nach dessen Definition eine bestimmte Leistung P, weil sie von den
R = U/I gilt: „Stromabnehmern“ einer Stadt einfach ver­
langt wird. Je höher die Spannung U ist, mit
U2 der transportiert wird, umso kleiner kann
P = I 2 ·R = .
R der benötigte Strom
I = P/U gehalten werden, umso kleiner
Beides ist grundsätzlich nicht auf Ohm’sche auch die Verlustleistung PV = I2 · RL. Anders­
Widerstände beschränkt. herum: einen umso größeren Leitungswider­
stand RL kann sich die Elektrizitätsgesellschaft
>>Merke noch leisten, umso weniger Kupfer muss sie in
Stromwärme: durch elektrischen Strom ihre Überlandleitungen investieren.
entwickelte Wärme.
Leistung P = U · I = I2 · R = U2/R.
Rechenbeispiel 6.9: Überlandleitung
Aufgabe. Eine kleine Großstadt verlange
77Warm durch Kurzwellenbestrahlung zu ihrer Energieversorgung eine elektri­
Wärme hilft bei Entzündungen und rheuma­ sche Leistung von 100 MW. Welchem
tischen Schmerzen. Ein altes Hausmittel ist Gesamtstrom entspricht das in einer
das Katzenfell (lokale Behinderung der Ab­ Überlandleitung mit 380 kV? Wie groß
gabe von Körperwärme), nützlich sind aber darf der Ohm’sche Widerstand dieser
auch Wärmflasche und Heizkissen (lokale Überlandleitung sein, wenn die Verlust­
Wärmezufuhr von außen) oder Bestrahlun­ leistung 1 % der übertragenen Leistung
gen mit infrarotem Licht (lokale Erzeugung nicht überschreiten soll?
von Wärme aus Strahlungsenergie). Lösung. Strom:
In allen diesen Fällen muss der Patient P 108 W
I= = = 263A .
aber die Wärme von der Oberfläche zum tie­ U 3, 8 × 105 V
fer liegenden Ort des Geschehens transpor­
6.3 · Stromkreis
219 6
kurz, fließt der Strom auch nur für kurze
Bei 1 % Verlustleistung (also 106 W) Zeit, es handelt sich um einen
ist der Widerstand:
106 W Stromstoß ò I ( t ) × dt,
RL = = 14, 4 W.
l2
also um eine elektrische Ladung Q. Sie wird
beim Aufladen an den Kondensator abgegeben
6.3.5 Kondensator !! und fließt beim Entladen wieder zurück. Diese
Ausdrucksweise ist verkürzt. Korrekt muss
Zwei Metallplatten, auf kurzem Abstand man sagen: Beim Aufladen (Wechselschalter
elektrisch isoliert einander gegenübergestellt oben) entzieht die Batterie der rechten Konden­
(. Abb. 6.27), bilden einen Kondensator. satorplatte elektrische Ladung Q und drückt
Was geschieht, wenn man ihn an eine Batte­ sie auf die linke Platte; beim Entladen (Wech­
rie legt? Ein Strom kann durch das isolie­ selschalter unten) fließt Q wieder auf die rechte
rende Dielektrikum Luft zwischen den bei­ Platte zurück. Insgesamt enthält ein geladener
den Platten ja wohl nicht fließen. Ein Kondensator also genau so viel Ladung wie ein
Dauerstrom fließt auch wirklich nicht; man ungeladener, nur verteilt sie sich anders: Die
kann aber mit hinreichend empfindlichem Platte am Pluspol der Batterie hat positive La­
Strommesser beobachten, wie dessen Zeiger dung bekommen, der anderen Platte wurde
kurz zur Seite zuckt, wenn man zum ersten positive Ladung entzogen, sie trägt jetzt nega­
Mal Spannung an den Kondensator legt. tive Ladung vom gleichen Betrag.
Schließt man die Platten anschließend wie­ Kondensatoren sind wichtige Bauelemente
der kurz, so zuckt das Instrument in entge­ der Elektronik. Ihr Äußeres verrät nicht viel
gengesetzter Richtung. Eine empfehlens­ über ihren inneren Aufbau, sie haben aber
werte Schaltung zeigt . Abb. 6.28; sie prinzipiell die gleichen Eigenschaften wie der
benutzt einen Wechselschalter, der erlaubt, Luftkondensator von . Abb. 6.27. Ihre Kapa­
die linke Platte des Kondensators wahlweise zität ist jedoch meist viel größer und darum
an den positiven Pol der Batterie zu legen leichter zu untersuchen. Weiterhin hält die mo­
oder mit der rechten Platte kurzzuschließen. derne Messelektronik Geräte bereit, die einen
Wenn der Zeiger eines Amperemeters Stromstoß gleich über die Zeit integrieren, also
ausschlägt, fließt ein Strom. Zuckt er nur die Ladung Q unmittelbar anzeigen. Damit
lässt sich dann ohne große Mühe herausfin­
den: Die von einem technischen Kondensator
gespeicherte elektrische Ladung Q ist propor­
tional zur Spannung U, auf die der Kondensa­
tor aufgeladen wurde. Als dessen Kenngröße
definiert man dementsprechend die

..      Abb. 6.28 Kondensator im Stromkreis. Schaltung


zur Beobachtung des elektrischen Verhaltens eines
..      Abb. 6.27 Plattenkondensator für den Hörsaal Kondensators - rechts sein Schaltzeichen
220 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Q
Kapazitat
 C =
U

mit der Einheit:

1 Farad = 1 F = 1 C / V = 1 A × s / V.

Hier muss man aufpassen: Das kursive C


steht für die physikalische Größe Kapazität,
das gerade C für die Einheit Coulomb. Das
Farad ist eine recht große Einheit. Schon 1 μF
bedeutet einen ziemlich „dicken“ Kondensa­
tor, auch nF sind im Handel, während unver­
6 meidliche und darum ungeliebte „Schaltka­
pazitäten“ zwischen den Drähten einer
Schaltung zuweilen an pF herankommen.
..      Abb. 6.29 Kondensator. Feldlinien (gelb) und
Schnitte von Potenzialflächen (grün) im weitgehend ho­
>>Merke mogenen Feld eines Plattenkondensators sowie zugehö­
Kapazität riger Verlauf des Potenzials auf einer geraden Feldlinie
Q
C= ,
U wie schon im Metalldraht.
C A× s
Einheit: 1 Farad = 1 F = 1 = 1 .
V V >>Merke
Homogenes elektrisches
 Feld im flachen
Plattenkondensator: E0 = konstant;
6.3.6 Feld im Kondensator U
Betrag E = .
d
So leicht sich Feld- und Potenziallinien quali­
tativ zeichnen lassen, die quantitative Rech­ Erzeugt wird dieses Feld von den positiven
nung erfordert einen mathematischen Auf­ und negativen Ladungen auf den Metall­
wand, der nur in besonders einfachen Fällen platten. Je mehr Ladung auf den Platten, je
einfach bleibt. Ein solcher einfacher Fall ist dichter die Ladungen auf den Platten ge­
der Plattenkondensator, dessen Feld wir schon drängt, umso größer die Feldstärke. Es
in 7 Abschn. 6.1.5 betrachtet hatten. Im fast leuchtet ein, dass die Feldstärke wohl pro­
homogenen Feld laufen die Feldlinien parallel portional zu der Flächendichte der Ladun­
zueinander geradewegs von einer Elektrode gen auf den Platten mit der Fläche A ist.
zur anderen; die Potenziallinien stehen senk­ Tatsächlich ergibt eine genaue Rechnung,
recht auf ihnen, also parallel zu den Elektro­ die hier nicht vorgeführt werden kann:
den (. Abb. 6.29). Marschiert man längs ei­
ner Feldlinie von links nach rechts, so wächst 1 Q
E= × .
das Potenzial U linear an, mit konstanter Stei­ e0 A
gung also, und zwar von null bis zur Batterie­
spannung U0. Die Länge der Feldlinien ent­ Mit dieser Beziehung lässt sich nun auch die
spricht dem Plattenabstand d. Demnach Kapazität des Kondensators aus seiner Geo­
betragen Potenzialgefälle und Feldstärke metrie berechnen:

U0 Q e0 × E × A A
Ehom = , C= = = e0 × .
d U E ×d d
6.3 · Stromkreis
221 6
Die Kapazität ist also umso größer, je grö­ aber ohne deren komplizierte Elektrochemie.
ßer die Plattenfläche und je kleiner der Plat­ Warum dann der Aufwand bei den Lithiu­
tenabstand. Dies verwundert nicht. mionenakkus im Smartphone? Könnte man
Zum Glück der Hersteller von Konden­ sie durch die technisch einfacheren Konden­
satoren gibt es Isolatoren, die für technische satoren ersetzen?
Zwecke weit besser geeignet sind als Luft. In Man kann zwar inzwischen sog. Superkon­
7 Abschn. 6.2.4 hatten wir die Polarisation densatoren mit 10.000 F Kapazität bauen, die
von Isolatoren im elektrischen Feld behan­ dann eine ähnliche Energie speichern könnte,
delt, die das Feld im Inneren des Isolators sie sind aber etwa 10-mal so groß. Technisch
abschwächt. Das reduziert dann bei gleicher interessant sind die Superkondensatoren da,
Ladung auf den Platten die Spannung. Da­ wo man die Energie sehr schnell herausholen
mit erhöht sich die Kapazität um die Permit­ will, denn das geht viel schneller als bei Akkus.
tivitätszahl εr: C = εr · ε0 · A/d. Werte um 3 45 Ah = 162 kC bei 12 V sind für einen Akku
sind keine Seltenheit. nichts Besonderes; ein Kondensator müsste
Wie . Abb. 6.29 zeigt, ist das Feld im dafür 162 kC/12 V = 13,5 kF aufbringen.
Plattenkondensator am Rand nicht ganz Wie viel Energie W0 ist bei einer Ladungs
homogen. Insofern gelten alle Beziehungen Q0 gespeichert? Beim Akku lässt sie sich
auch nur näherungsweise. Am Rand dringt leicht ausrechnen, weil er seine Klemmen­
das Feld etwas in den Außenraum außer­ spannung Uk konstant hält:
halb der Platten. Im Außenraum ist das Feld
aber sehr klein, da sich die Felder der nega­ W0 = U K × Q0 .
tiven Ladungen auf der einen Platte und die
der positiven Ladungen auf der anderen Beim Kondensator geht aber die Spannung
Platte außen aufheben. Von außen betrach­ mit der entnommenen Ladung zurück. Um­
tet ist der Kondensator elektrisch neutral. gekehrt wächst U(Q), der Kapazität C ent­
sprechend, beim Aufladen proportional zu
an, bis mit dem Endwert Q auch der End­
Rechenbeispiel 6.10: Große Platten wert U0 = Q0/C erreicht wird. Die gespei­
Aufgabe. Welche Plattenfläche müsste cherte Energie W kann man jetzt nur noch
ein Luftkondensator haben, wenn er bei durch Integration erhalten:
1 mm Plattenabstand 1 μF Kapazität ha­
ben soll? Q0
Lösung. Fläche W = ò U ( Q ) × dQ
0
C ×d 10-6 As / V × 10-3 m
A= = = 110 m 2 Q0 Q
e r × e 0 1, 0 × 8, 9 × 10-12 C / Vm. Q 1 0 Q2
= ò C
dQ = ò Q × dQ = 0
C 0 2C
0
1 1
= C × U 02 = U 0 × Q0 .
6.3.7  nergie des geladenen
E 2 2
Kondensators
Die Integration bringt hier den Faktor ½ ge­
Mit der Ladungsverschiebung zwischen sei­ nauso herein, wie sie es in 7 Abschn. 2.1.2
nen beiden Platten bekommt der Kondensa­ beim freien Fall (s = ½ · g · t2) und bei der
tor vom Ladestrom Energie übertragen. Er Energie der gespannten Schraubenfeder tat
speichert sie und liefert sie bei der Entladung (W = ½ · D · x2). Die grafische Darstellung
wieder ab. Insofern verhält er sich ähnlich (. Abb. 6.30) macht den Faktor unmittel­
wie eine wiederaufladbare Batterie, arbeitet bar anschaulich.
222 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

erst plausibel, wenn man schon einmal im


Vorgriff auf die Optik an elektromagneti­
sche Wellen (also Licht) denkt.
Elektromagnetische Wellen bestehen aus
elektrischen und magnetischen Feldern und
pflanzen sich durch den leeren Raum fort. Je­
der, der schon mal die Erwärmung seiner
..      Abb. 6.30 Vergleich Batterie – Kondensator. Ab­ Hand gespürt hat, wenn er sie nah an eine
hängigkeit der Spannung von der entnommenen La­ Glühbirne hält, weiß, dass Licht Energie
dung bei einer Batterie (links) und beim Kondensator transportiert, eben durch den leeren Raum.
(rechts) im Schema; die blaue Fläche entspricht der
gespeicherten Energie
Und dies kann ja nur sein, wenn in diesen
elektrischen und magnetischen Feldern Ener­
gie steckt. Beschreiben kann man das mit ei­
6 >>Merke ner Energiedichte (Energie pro Volumen) des
Im Kondensator gespeicherte Energie: Feldes. Für das elektrostatische Feld können
1 1
W = U 0 × Q0 = C × U 02 . wir die Energiedichte w mithilfe der Formeln
2 2 für den Kondensator ausrechnen:
Die Energie im geladenen Kondensator
ist:
Rechenbeispiel 6.11: Kurz, aber heftig
Aufgabe. Ein elektronisches Blitzgerät 1
speichert die Energie für den Blitz in ei­ W = U × Q.
2
nem 150-μF-Kondensator mit 200 V La­
despannung. Ein Blitz dauert etwa eine Diese steckt im Feld mit der Feldstärke:
Tausendstelsekunde. Welche Leistung
wird in dieser Zeit erreicht? 1 Q
E= .
Lösung. Die gespeicherte Energie be­ e0 A
trägt moderate W = ½C · U2 = 3,0 J. We­
gen der kurzen Blitzzeit entspricht das Dieses Feld herrscht nur im Inneren des
aber einer Leistung von 3000 W. Das ist Kondensators zwischen den Platten. Das ist
der Vorteil des Kondensators als Ener­ bei einer Plattenfläche A und einem Platten­
giespeicher: Er kann die Energie sehr abstand d ein Volumen
schnell abgeben.
V = A × d.

6.3.8  nergie des elektrischen


E Also ergibt sich für die Energiedichte des
Fel des Feldes im Kondensator:

W 1 U ×Q 1 Q U
Es hat sich als sehr nützliche und wichtige w= = = e0 ×
Vorstellung erwiesen, dass die Energie im V 2 A × d 2 e0 × A d
elektrischen Feld im Kondensator gespei­ 1 U 1
= e0 × E × = e0E2 ,
chert ist. Man sagt also: Wo ein elektrisches 2 d 2
Feld ist, ist auch Energie. Auch der ansons­
ten „leere“ Raum, der keine Materie enthält, denn es gilt: E = U/d. Befindet sich noch ein
kann doch Energie enthalten, sofern dort Isolator mit einer Permittivität εr zwischen
ein elektrisches Feld herrscht. Diese zu­ den Platten, so wird diese Energiedichte et­
nächst etwas merkwürdige Vorstellung wird was modifiziert:
6.4 · Wechselspannung
223 6

..      Abb. 6.32 Wechselspannung der Steckdose auf


dem Bildschirm eines Oszillografen; Ordinatenmaß­
..      Abb. 6.31 Energie des Feldes. Zusammenhang stab: 130 V/cm; Abszissenmaßstab: 11,9 ms/cm
zwischen Energiedichte und Feldstärke bei einem elek­
trischen Feld in Luft (εr = 1,00); zur Sicherheit sei da­ nusförmige Wechselspannung, Schwin­
ran erinnert, dass Wattsekunde und Joule gleich sind;
gungsdauer 20 ms (Frequenz demnach
das Diagramm endet bei der Durchbruchfeldstärke
trockener Luft 50 Hz), Spannungsamplitude 325 V (!).
Wieso darf das Elektrizitätswerk behaup­
ten, es halte die Netzspannung auf 230 V?
1 Diese Angabe meint den sog. Effektiv-
w = er ×e0 × E2.
2 wert Ueff der Wechselspannung, definiert
durch folgende Festlegung: In einem Ohm’­
Die Energie im Feld steigt also quadratisch schen Widerstand soll eine sinusförmige
mit der Feldstärke (. Abb. 6.31). Wechselspannung Ueff im Mittel die gleiche
Stromwärme erzeugen wie eine Gleichspan­
nung U0 mit gleicher Maßzahl.
6.4 Wechselspannung
Berechnung
6.4.1 Effektivwerte Beim Ohm’schen Widerstand R sind Strom und Span­
nung zueinander proportional:
51 Taschenlampenbatterien in Reihe können
I ( t ) = U ( t ) / R.
für eine Nachttischlampe die Steckdose er­
setzen; beide Spannungsquellen halten Zu einer sinusförmigen Wechselspannung
230 V bereit. Ein Vielfachinstrument, auf U ( t ) = U s sin (w × t )
den richtigen Spannungsmessbereich ge­
mit der Amplitude Us gehört also der sinusförmige
schaltet, zeigt die Spannung der Batterie­ Wechselstrom
kette bereitwillig an. Legt man es aber im
I ( t ) = I s sin (w × t ) .
gleichen Messbereich an die Steckdose, so
wird nichts mehr angezeigt. Der Grund: Die mit der Amplitude Is = Us/R. Strom und Spannung ha­
Steckdose liefert nicht wie eine Batterie zeit­ ben ihre Nulldurchgänge zu gleichen Zeitpunkten, zu
denen dann auch keine Leistung umgesetzt wird. Da­
lich konstante Gleichspannung, sondern
zwischen wechseln U und I ihre Vorzeichen gemein­
eine Wechselspannung. Da muss der Mess­ sam; die Leistung bleibt positiv; Stromwärme wird
bereich umgeschaltet werden. immer nur entwickelt und niemandem entzogen. P(t)
Ein Oszillograf (7 Praktikum 6.1, pendelt mit doppelter Frequenz zwischen 0 und ihrem
7 Abschn. 6.5.5) kann den zeitlichen Ver­ Maximalwert
lauf der Spannung aber leicht auf seinen U s2
Ps = U s × ls =
Bildschirm zeichnen; . Abb. 6.32 zeigt das R
Resultat: Die Steckdose präsentiert eine si­ (. Abb. 6.33). Ihr Mittelwert liegt in der Mitte:
224 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Fällen muss man schon den ganzen Verlauf


registrieren. Beim EKG interessiert ohnehin
nur der zeitliche Verlauf der Spannung und
nicht ihr Betrag; Elektrokardiografen wer­
den gar nicht erst geeicht.

>>Merke
Sinusförmige Wechselspannung: Effek­
tivwert
U
U eff = s ,
2
sinusförmiger Wechselstrom: Effektiv­
6 wert
I
leff = s .
2

..      Abb. 6.33 Leistung des Wechselstromes. Zeitlicher


Die Stromwärme einer an die Steckdose an­
Verlauf von Spannung U, Strom I und Leistung P bei geschlossenen Glühbirne wird pulsierend er­
einem Ohm’schen Widerstand zeugt, pulsierend mit einer Frequenz von
100 Hz (. Abb. 6.33). Entsprechend pul­
siert ihre Helligkeit. Das menschliche Auge
ist zu träge, um diesem Flimmern zu folgen.
1 1 U2
P = PS = × S . Wedelt man aber eine reflektierende Strick­
2 2 R
nadel im Schein der Lampe hin und her,
Definitionsgemäß soll aber die Gleichspannung U0 in
R die gleiche Leistung umsetzen:
sieht man hellere und dunklere Streifen.
U2
Deutlicher als Glühbirnen zeigen Energie­
P = P (U 0 ) = 0 . sparlampen diesen Effekt einer stroboskopi-
R
Daraus folgen U02 = ½ US2 und damit ergibt sich die schen Beleuchtung, denn bei ihnen wird die
Effektivspannung zu: Lichtentwicklung nicht durch die thermi­
Us sche Trägheit des Glühfadens nivelliert.
U eff = .
2

Das Elektrizitätswerk hat Recht: Zum Ef­ 6.4.2 Kapazitiver Widerstand


fektivwert Ueff = 230 V der Wechselspan­
nung gehört die Spannungsamplitude Legt man eine Gleichspannung an einen un­
U eff = U s × 2 = 325V. Die gleichen Überle­ geladenen Kondensator, so fließt ein kurzer
gungen gelten übrigens auch für den Strom Stromstoß; schließt man danach den Kon­
und seinen Effektivwert, also: densator kurz, so fließt der Stromstoß wie­
I der zurück, in Gegenrichtung also. Polt man
I eff = S . jetzt die Spannungsquelle um, so fließt er­
2
neut ein Stromstoß zum Aufladen, jetzt aber
Der Definition entsprechend kann man ver­ in der gleichen Richtung wie der letzte Ent­
nünftigerweise nur bei sinusförmigen Wech­ ladestromstoß. Schließt man noch einmal
selspannungen und -strömen von Effektiv­ kurz, so fließt der Stromstoß wieder in der
werten reden. Kompliziertere zeitliche gleichen Richtung wie der erste.
Abläufe lassen sich zwar im Prinzip als Dieses Spiel mit einem Polwender von
Überlagerung mehrerer Sinusschwingungen Hand zu betreiben, ist langweilig. Eine
auffassen (7 Abschn. 4.1.5), aber in solchen Wechselspannung am Kondensator bewirkt
6.4 · Wechselspannung
225 6
Vergleichbares: Sie lädt und entlädt den Begründung
Kondensator entsprechend ihrer Frequenz Die Behauptung RC = 1/(ω · C) mag einleuchten, muss
aber durch quantitative Rechnung bestätigt werden.
und löst damit einen frequenzgleichen
Definitionsgemäß ist die elektrische Ladung das Zeit­
Wechselstrom aus, einen kapazitiven Strom. integral des Stromes:
Zumindest bei technischen Kondensatoren
ist er sinusförmig wie die Spannung. Es be­ DQ = ò I ( t ) × dt.
steht aber ein markanter Unterschied zum Daraus folgt rein mathematisch, dass der Strom der
Wechselstrom durch einen Ohm’schen Wi­ Differenzialquotient der Ladung nach der Zeit ist:
derstand: Der kapazitive Strom wird null, I (t ) =
dQ
.
wenn der Kondensator mit dem einen oder dt
anderen Vorzeichen voll geladen ist, also bei Die Ladung folgt ihrerseits der Wechselspannung
jedem Extremwert der Spannung. Umge­ U(t) = US sin(ω · t) mit der Kapazität C als Faktor:
kehrt hat der Strom seine Extremwerte im­ Q ( t ) = C × U ( t ) = C × U S × sin (w × t ) .
mer dann, wenn der Kondensator leer und
Ob man den Sinus oder den Kosinus schreibt, hat nur
die Spannung null ist. Im Ohm’schen Fall für die hier uninteressante Anfangsbedingung eine Be­
waren U und I in Phase, beim Kondensator deutung; . Abb. 6.34 ist für den Sinus gezeichnet.
sind sie um 90° = π/2 gegeneinander phasen­ Differenziert ergibt er den Kosinus; die Kettenregel
verschoben, der kapazitive Strom eilt der der Differenziation (7 Abschn. 4.1.2) liefert zusätz­
Spannung voraus (. Abb. 6.34). lich ein ω als Faktor:
Es kann nicht verwundern, dass der Ef­ dQ ( t )
= I ( t ) = w × C × U s × cos (wt ) = I s × cos (wt ) .
fektivwert des kapazitiven Stromes Ieff dem dt
Effektivwert der Spannung Ueff proportional Sinus und Kosinus sind um 90° gegeneinander phasen­
ist. Es liegt deshalb nahe, auch einen kapazi- verschoben. Wer will, darf deshalb auch schreiben:
tiven Widerstand mit dem Betrag RC = Ueff/Ieff (
I ( t ) = I S × sin w × t + 90° .)
zu definieren. Wie groß wird er sein? Hohe
Kapazität C hat hohe Ladung zur Folge, Der Quotient Us/Is der beiden Spitzenwerte ist dem
Quotienten Ueff/Ieff der beiden Effektivwerte und da­
hohe Kreisfrequenz ω ein häufiges Umla­
mit dem Betrag des Wechselstromwiderstands RC
den. Beides vergrößert den Strom und ver­ gleich:
ringert den Widerstand: Der kapazitive Wi­ U U 1
derstand eines Kondensators hat den Betrag RC = eff = s = ,
leff Is w × C

U eff U s 1 wie vermutet.


RC = = = .
I eff Is w × C
>>Merke
Betrag des kapazitiven Widerstands
1
RC = ,
w ×C
Der Strom eilt der Spannung um π/2 vo­
raus.

Die Phasenverschiebung zwischen Wechsel­


spannung und kapazitivem Wechselstrom
hat für die Leistung eine wichtige Konse­
quenz. In jeder Viertelschwingungsdauer, in
der der Kondensator aufgeladen wird, haben
Strom und Spannung gleiches Vorzeichen,
..      Abb. 6.34 Kondensator im Wechselstromkreis. positiv oder negativ. Folglich ist die Leistung
Beim Kondensator eilt der Wechselstrom der Wechsel­ positiv; die Spannungsquelle gibt Energie an
spannung um 90° oder π/2 voraus den Kondensator ab. In den Viertelschwin­
226 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

genüber technischem Wechselstrom


(50 Hz)?
1 V ×s
Lösung. RC = = 3, 2 k W .
314 × 10-6 A × s

..      Abb. 6.35 Blindleistung. Beim Kondensator wech­


selt die Leistung bei Wechselstrom das Vorzeichen (Zeit­
maßstab und Phasenlage entsprechen . Abb. 6.34) 6.5 Elektrische Netzwerke
gungsdauern dazwischen wird der Konden­ 6.5.1  iderstände in Reihe und
W
sator entladen, Strom und Spannung haben parallel !
entgegengesetztes Vorzeichen, die Leistung
ist negativ, der Kondensator gibt die gespei­ Der Schaltplan eines Fernsehempfängers
cherte Energie wieder an die Spannungs­
6 quelle zurück (. Abb. 6.35). Diese braucht
zeigt eine verwirrende Vielfalt von Leitun­
gen, Widerständen, Kondensatoren und al­
also im zeitlichen Mittel gar keine Energie zu lerlei anderen Schaltelementen. Freilich, der
liefern, sie muss sie nur kurzfristig ausleihen. „Stromverteilungsplan“ vom Brustkorb ei­
Insgesamt ist der kapazitive Strom (verlust) nes Menschen mit dem Herzen als Batterie
leistungslos; man bezeichnet ihn als Blind- und einem Gewirr relativ gut leitender Blut­
strom. Wie sich in 7 Abschn. 6.10.4 heraus­ gefäße und schlecht leitender Rippen sähe
stellen wird, können Blindströme auch mit nicht einfacher aus. Zum Glück lässt sich
Spulen erzeugt werden. das EKG auch ohne diesen Stromvertei­
Ohm’sche und kapazitive Wechselströme lungsplan auswerten. Aber wie kompliziert
stellen zwei Grenzfälle dar, mit den Phasen­ eine Schaltung auch immer aufgebaut sein
winkeln φR = 0° und φc = 90° gegenüber der mag, stets müssen sich Ströme und Span­
Spannung nämlich. In der Technik können nungen an zwei im Grunde triviale Gesetze
Phasenwinkel dazwischen ebenfalls vor­ halten:
kommen. In solchen Fällen setzen Strom 1. Strom wird nicht „verbraucht“, er fließt
und Spannung tatsächlich nur die nur im Stromkreis herum. Treffen meh­
Wirkleistung Pw = U eff × I eff × cos j rere Leiter in einem Punkt, einem Kno­
ten, zusammen, so müssen die einen ge­
um. rade so viel Strom abführen wie die
Elektrizitätswerke haben Blindströme anderen heranführen. Wertet man die in
nicht gern. Sie müssen, wie jeder andere konventioneller Stromrichtung zuflie­
Strom auch, über die Fernleitungen herange­ ßenden Ströme positiv und die abfließen­
bracht werden und produzieren dort, wie je­ den negativ, so schreibt sich die
der andere Strom auch, Verlustwärme. Ener­
gie, die dem Kunden berechnet werden Knotenregel : åIi = 0.
i
könnte, liefern sie aber nicht. Bei Großabneh­
mern wird deshalb der „Kosinus Phi“ nach­ sie wird auch 1. Kirchhoff-Gesetz ge­
gemessen und gegebenenfalls mit einem Zu­ nannt.
schlag zum Arbeitspreis in Rechnung ­gestellt. 2. Spannungen liegen nur zwischen zwei
Punkten einer Schaltung; kein Punkt
kann eine Spannung gegen sich selbst ha­
Rechenbeispiel 6.12: Kapazitiver
ben.
Widerstand
Aufgabe. Welchen Wechselstromwider­ Elektromasche
stand hat ein Kondensator mit 1 μF ge­ Läuft man in einer Masche einer Schaltung
(. Abb. 6.36) einmal herum zum Ausgangspunkt zu­
6.5 · Elektrische Netzwerke
227 6

..      Abb. 6.37 Parallelschaltung von drei Widerstän­


den

..      Abb. 6.36 Masche im Schaltbild. Zur Maschenre­


gel; flache Rechtecke sind die Schaltsymbole von Wi­
derständen (meist als ohmsch angenommen)

rück, so müssen sich alle Spannungen, über die man


hinweggelaufen ist, zu null addiert haben:

Maschenregel : åU i = 0,
i
sie wird auch 2. Kirchhoff-Gesetz genannt. ..      Abb. 6.38 Serienschaltung (Reihenschaltung) von
Bei der Anwendung der Maschenregel muss man drei Widerständen
aufpassen, dass man vorzeichenrichtig addiert. Alle
Spannungen zählen, ob sie von Batterien herrühren,
über geladenen Kondensatoren liegen oder als Span­ U0 U U U
nungsabfälle über stromdurchflossenen Widerständen, I0 = = I1 + I 2 + I 3 = 0 + 0 + 0 .
bei denen es auf die Stromrichtung ankommt. Bezogen Rges R1 R2 R3
werden die Vorzeichen auf die Marschrichtung, mit der
man seine Masche in Gedanken durchläuft; ob mit Der Gesamtwiderstand der Parallelschal­
oder gegen den Uhrzeigersinn, ist letztlich egal, nur
muss man bei der einmal gewählten Richtung bleiben.
tung ergibt sich also zu:
Dies klingt alles ein wenig abstrakt und kann auch zu
sehr komplizierten Gleichungssysteme führen, wenn 1 1 1 1
= + + .
die Schaltung entsprechend kompliziert ist. Rges R1 R2 R3

Hier sollen nur zwei wichtige einfache Situa­ Man kann auch sagen: Die Leitwerte addie­
tionen betrachtet werden, die Parallelschal­ ren sich.
tung und die Reihenschaltung von Wider­
ständen: kReihenschaltung von Widerständen
In . Abb. 6.38 liegen die drei Widerstände
kParallelschaltung von Widerständen in Reihe mit der Batterie. Der Strom läuft
In . Abb. 6.37 liegen drei Widerstände par­ durch alle Widerstände mit gleicher Stärke
allel geschaltet an einer Batterie, nach deren I0. Die Batteriespannung hingegen teilt sich
Zeichenschema jeweils Plus oben und Minus auf die Widerstände auf gemäß:
unten liegt. Es ist klar: Der Gesamtstrom I0,
den die Batterie abgibt, verteilt sich auf die
Widerstände: U 0 = U1 + U 2 + U 3
= I 0 × R1 + I 0 × R2 + I 0 × R3 = I 0 × Rges .
I 0 = I1 + I 2 + I 3 .

Andererseits liegt an allen Widerständen die Der Gesamtwiderstand einer solchen Rei­
gleiche Batteriespannung U0. Also ergibt hen- (oder Serien-)Schaltung ist also die
sich: Summe der Einzelwiderstände.
228 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

>>Merke
Parallelschaltung: Leitwerte addieren Die Spannungen können nun gemäß
sich: U = R · I berechnet werden. Zwischen 1
1 1 1 1 und 2 bzw. 3 und 4 liegen 2,4 V, zwischen
= + + + ¼.. 2 und 3 1,2 V. Das Spannungsmessgerät
Rges R1 R2 R3
misst also an den Punkten 1 bis 4: 0 V,
Reihenschaltung: Widerstände addieren 2,4 V, 3,6 V und 6 V.
sich:
Rges = R1 + R2 + R3 + ¼.

Rechenbeispiel 6.13: Ein Stromkreis


6 Aufgabe. Die Widerstände im Strom­ ..      Abb. 6.40 Variabler Widerstand. Konstruktions­
kreis in . Abb. 6.39 mögen alle den glei­ schema und Schaltzeichen
chen Widerstand 2 Ω haben. Wie groß ist
der Gesamtwiderstand? Welcher Strom 6.5.2 Spannungsteiler
fließt im Kreis? Welcher Strom fließt
durch einen der parallel geschalteten Wi­ Der elektrische Widerstand R eines homoge­
derstände? Welche Spannungen misst nen Drahtes ist zu seiner Länge l proportio­
der eingezeichnete Spannungsmesser an nal. Dabei zählt selbstverständlich nur die
den Punkten 1 bis 4? vom Stromkreis genutzte Länge; der Draht
Lösung. Der Gesamtwiderstand der muss ja nicht an seinen Enden angeschlossen
beiden parallel geschalteten Wider­ werden. Man kann ihn sogar auf einen isolie­
stände beträgt 1 Ohm. Zusammen mit renden Träger aufwickeln und mit einem
den beiden in Reihe geschalteten Wider­ Schleifkontakt der Länge l auch R von Hand
ständen ergibt sich der gesamte Wider­ einstellen – nicht ganz kontinuierlich, sondern
stand zu 5 Ω. Der Strom durch den Kreis nur von Windung zu Windung. Aber bei ein
ist also paar hundert Windungen spielt das keine
U 6V Rolle mehr. Man erhält so einen variablen
I= = = 1, 2 A.
R 5W Schiebewiderstand (. Abb. 6.40). Ist der Trä­
Zwischen den beiden parallel geschalte­ ger ein Ring, wird das Wickeln etwas mühsa­
ten Widerständen teilt sich dieser Strom mer, dafür kann der Schleifkontakt mit einem
in gleiche Teile, also jeweils 0,6 A auf. Drehknopf bewegt werden (. Abb. 6.41).
Wer eine vorgegebene Spannung U0 hal­
bieren will, legt sie in Reihe mit zwei glei­
chen Widerständen. Sind diese ohmsch, so
teilen sie jede Gleich- oder Wechselspan­
nung im Verhältnis 1:1. Sind die Wider­
stände nicht gleich, so teilen sie die Span­
nung in ihrem Widerstandsverhältnis. Eine
derartige Schaltung heißt Spannungsteiler
oder Potenziometer. Der Schleifkontakt der
. Abb. 6.40 unterteilt den aufgewickelten
Draht in zwei Bereiche, deren elektrische
..      Abb. 6.39 Schaltkreis zu 7 7 Rechenbei­
Widerstände R1 und R2 sich zum Gesamtwi­
spiel 6.13 derstand R0 addieren (. Abb. 6.42). Alle
Widerstände werden vom gleichen Strom
6.5 · Elektrische Netzwerke
229 6

..      Abb. 6.43 Belasteter Spannungsteiler. In sein Tei­


lungsverhältnis geht die Parallelschaltung von R1 und
Rx ein

..      Abb. 6.41 Drehpotenziometer Praktikum 6.1

Elektrischer Widerstand, Gleichstrom­


kreis
In der Regel geht es darum, elektri­
schen Widerstand zu ermitteln, und zwar
in zwei Varianten:
55 Kennlinie
55 Wheatstone-Brücke
..      Abb. 6.42 Spannungsteiler (Potenziometer),
Konstruktionsschema und Schaltskizze Kennlinie:
Im Versuch wird der Strom als Funk­
I = U0/R0 durchflossen; jeder verlangt für tion der Spannung entweder mit einem
sich den Spannungsabfall x-y-Schreiber oder manuell aufgetragen.
Beim Ohm’schen Widerstand ergibt das
Rn eine Gerade (. Abb. 6.26), deren Steigung
U n = I × Rn = U 0 × . den Kehrwert des Widerstands liefert. Bei
R0
nichtohmschen Widerständen ergibt sich
Demnach lässt sich durch Verschieben des eine gebogene Kurve (. Abb. 6.24
Schleifkontakts die Spannung U1 auf jeden und 6.25). Als nichtohmsche Widerstände
beliebigen Wert zwischen 0 und U0 einstel­ können z. B. die Haut, Ionenleiter oder
len. Streng gilt das allerdings nur für den un- Elektrolyte (7 Abschn. 6.3.3) dienen.
belasteten Spannungsteiler, denn wenn z. B. Trägt man die Klemmenspannung
neben R1 noch ein Lastwiderstand Rx liegt UK einer Batterie gegen den Strom im
(. Abb. 6.43), dann zählt für die Span­ Stromkreis auf, so lässt sich aus der Stei­
nungsteilung der Gesamtwiderstand der Pa­ gung der Innenwiderstand der Batterie
rallelschaltung und der ist kleiner als R1. ermitteln (. Abb. 6.47). Misst man bei
dem Strom I die Klemmenspannung UK,
>>Merke so ergibt sich der Innenwiderstand zu:
Ein Spannungsteiler (Potenziometer) U - UK
Ri = 0 .
teilt die angelegte Spannung im Verhält­ I
nis der Widerstände: Die Leerlaufspannung liefert der Ach­
U1 R1 R1 senabschnitt bei I = 0.
= U1 = ×U0.
U 2 R2 R1 + R2 Wheatstone-Brücke:
230 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Dies ist eine antiquierte Methode, den


Widerstandswert eines Widerstands zu er­
mitteln, wenn drei andere Widerstands­
werte bekannt sind. Die Methode stammt
aus einer Zeit, als empfindliche Spannungs­
messgeräte (Drehspulinstrumente) noch re­
lativ niedrige Innenwiderstände hatten, die
die Messung verfälschten. Mit modernen
elektronischen Spannungsmessern ist das
kein Problem mehr. Die Kompensations­ ..      Abb. 6.44 Spannungsmessung in Kompen-
methode nach Wheatstone findet nur noch sation. Ein geeichter Spannungsteiler erzeugt
in ­Hochpräzisionsmessgeräten und dann mithilfe der bekannten Spannung U0 eine
6 mikroprozessorgesteuert Anwendung.
ebenfalls bekannte Teilspannung U′, und
zwar so, dass sie die unbekannte Spannung
Zunächst soll betrachtet werden, wie Ux kompensiert: Das Instrument zeigt dann
eine unbekannte Spannung Ux in Kom­ nichts an (Nullinstrument)
pensation gemessen wird. . Abb. 6.44
zeigt die Schaltung: Die Spannung am
Spannungsteiler und Ux stehen gegenein­
ander. Sind sie gleich, zeigt das Instru­
ment (ein Strommesser) null an. Es
braucht nicht geeicht zu sein, als Nullins­
trument muss es ja nur die null erkennen.
Es darf aber auf hohe Empfindlichkeit
geschaltet werden, wenn die Kompensa­
..      Abb. 6.45 Wheatstone-Brücke zur Präzisi­
tion erst einmal ungefähr erreicht worden
onsmessung von Widerständen; sie ist abgegli­
ist. Ein Vorteil des Messverfahrens liegt chen, wenn die Brückenbedingung
in seiner hohen Präzision, der andere da­ R1/R2 = R3/R4 erfüllt ist
rin, dass Ux stromlos gemessen wird.
Es ist nicht verboten, die Spannung
Ux der Kompensationsschaltung aus ei­ 6.5.3 Innenwiderstände
nem zweiten Spannungsteiler zu beziehen
und diesen an die gleiche Spannungs­ Für die Autobatterie bedeutet das Anlassen
quelle zu legen wie den ersten. Man er­ des Motors Schwerarbeit. Sie meldet dies
hält dann die Wheatstone-Brücke, deren durch einen Rückgang ihrer Klemmenspan­
Schaltskizze traditionell als auf die nung: Alle eingeschalteten Lämpchen werden
Spitze gestelltes Quadrat gezeichnet wird dunkler, solange der Anlasser läuft. Ursache
(. Abb. 6.45; man muss das nicht tun). ist der Innenwiderstand Ri der Batterie, bedingt
Das Brückeninstrument zeigt null, die durch deren Elektrochemie. Räumlich lässt er
Brücke ist abgeglichen, wenn beide Span­ sich von der Spannungsquelle nicht trennen,
nungsteiler die Batteriespannung U0 im auch wenn man ihn im Ersatzschaltbild abge­
gleichen Verhältnis unterteilen, wenn setzt von der (als widerstandslos angesehenen)
also die Brückenbedingung erfüllt ist: Spannungsquelle zeichnet. An den „Draht“,
R1 / R2 = R3 / R4. der die beiden in . Abb. 6.46 elektrisch ver­
bindet, kann man nicht herankommen. Der
Kennt man drei Widerstände, so kann gestrichelte Kasten soll dies andeuten.
man den vierten ausrechnen. U0 wird Verlangt man jetzt von der Batterie einen
dazu nicht einmal gebraucht. Strom I, so erzeugt dieser über dem Innen­
6.5 · Elektrische Netzwerke
231 6

..      Abb. 6.46 Innenwiderstand. Der Innenwiderstand


Ri einer Spannungsquelle mit der Leerlaufspannung
U0 setzt die Klemmenspannung Uk um den Span­
nungsabfall I · Ri gegenüber U0 herab. U0 und Ri sind
räumlich nicht voneinander getrennt; Zuleitungen er­
..      Abb. 6.47 Innenwiderstand einer Batterie. Gemes­
reichen nur die Klemmen (Ersatzschaltbild)
senes Absinken der Klemmenspannung einer Taschen­
lampenbatterie bei Belastung
widerstand einen Spannungsabfall, sodass
von der Urspannung U0 nur noch die tätswerke schützen sich durch Sicherungen
vor ihm: Sie schalten den kurzgeschlossenen
Klemmenspannung U k = U 0 - I × Ri
Stromkreis kurzerhand ab. Taschenlampen­
batterien können das nicht, sie senken ihre
übrig bleibt. Messen lässt sich nur Uk; diese
Klemmenspannung (. Abb. 6.47). Ist der
Spannung stimmt aber im Leerlauf, d. h. bei
Innenwiderstand ohmsch, so fällt UK linear
hinreichend kleinem Strom, praktisch mit
mit I ab.
U0 überein. Die Urspannung wird deshalb
Technische Spannungsquellen werden
auch Leerlaufspannung genannt.
auf kleine Innenwiderstände gezüchtet: Sie
sollen ihre Spannung konstant halten, von
>>Merke
der Last so unabhängig wie möglich. Der
Der Innenwiderstand Ri einer Span­
Fernsehempfänger darf nicht wegen Unter­
nungsquelle senkt bei Belastung mit dem
spannung ausfallen, weil die Nachbarin in
Strom I die Klemmenspannung auf
ihrer Küche drei Kochplatten eingeschaltet
U k = U 0 - I × Ri ,
hat. Demgegenüber ist das Herz des Men­
U0 = Leerlaufspannung.
schen primär als Blutpumpe konstruiert und
Schließt man die Klemmen einer Span­ nur nebenbei als Spannungsquelle für das
nungsquelle kurz, so zwingt man die Klem­ EKG. Sein Innenwiderstand ist so hoch,
menspannung auf null; das gesamte U0 fällt dass die Konstrukteure von Elektrokardio­
über dem Innenwiderstand ab; die Batterie grafen an ihn denken müssen.
liefert den höchsten Strom, den sie über­ Vielfachmessinstrumente können Strom
haupt liefern kann, den wie Spannung messen, weil der Widerstand
zwischen ihren Anschlussbuchsen den
U0 Strom nicht ohne eine Spannung zulässt.
Kurzschlussstrom I k = .
Ri Mit seinem Innenwiderstand darf ein Mess­
gerät die Belastbarkeit einer Spannungs­
Im Leerlauf wie im Kurzschluss gibt die Bat­ quelle nicht überfordern; er muss groß ge­
terie keine Leistung nach außen ab: im Leer­ genüber deren Innenwiderstand sein. Will
lauf nicht, weil kein Strom fließt, im Kurz­ man mit dem Vielfachmessinstrument hin­
schluss nicht, weil sie ihre volle Leistung im gegen einen Strom messen, so soll sein In­
Innenwiderstand verheizt. Keine Span­ nenwiderstand verglichen mit allen Wider­
nungsquelle hat Kurzschluss gern. Elektrizi­ ständen im Stromkreis sehr klein sein, denn
232 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

es wird ja selbst in den Stromkreis hineinge­


schaltet und soll den Strom nicht reduzie­
ren.

>>Merke
Innenwiderstand:
55 Beim Spannungsmesser muss er groß
gegenüber dem Innenwiderstand der
Spannungsquelle sein.
..      Abb. 6.48 RC-Glied als frequenzabhängiger Span­
55 Beim Strommesser muss er klein ge­ nungsteiler: Wirkung als Tiefpass bei Abgriff von UC
genüber allen Widerständen im Strom­ über dem Kondensator; Wirkung als Hochpass bei
kreis sein. Abgriff von UR über dem Widerstand

6 Bei den üblichen digitalen Multimetern


1
braucht man sich meist keine Gedanken RC =
-1
= ( 2p × f × C ) .
über deren Innenwiderstände zu machen. w ×C
Im Spannungsmessbereich liegt er bei eini­
gen Megaohm und im Strommessbereich bei Hohe Frequenzen erscheinen deshalb vor­
einigen Mikroohm. Nur wenn noch die alten wiegend über dem Ohm’schen Widerstand
analogen Instrumente mit Zeiger verwendet RR:
werden, muss man aufpassen, denn dort hat
U R > U C wegen RR > RC
man es mit Kiloohm bzw. Milliohm zu tun.
und tiefe vorwiegend über dem Kondensa­
Rechenbeispiel 6.14: Schwächelnde tor. Für den, der nur UR elektronisch weiter­
Batterie verarbeitet, ist das RC-Glied ein Hochpass,
Aufgabe. Wie groß ist der Innenwider­ und ein Tiefpass für den, den nur UC interes­
stand der Batterie von . Abb. 6.47? siert. Die Grenze zwischen „hoch“ und
Lösung. Der Innenwiderstand ist der „tief“ liegt bei der Frequenz f∗, für die UR
Betrag der Steigung der Geraden im und UC gleich werden, freilich nicht gleich
Diagramm. Dieser berechnet sich zu: der halben angelegten Wechselspannung U0.
U 4, 5 Die Phasenverschiebung zwischen Strom
Ri = 0 = = 1, 2 W. und Spannung beim Kondensator hat
I max 3, 8 A
Das ist für eine Taschenlampenbatterie U R ( f *) = U C ( f *) = 0, 707 U 0
ein recht großer Innenwiderstand. Die
Batterie ist schon recht leer. Eine frische zur Folge. Legt man ein Frequenzgemisch
Batterie bringt es auf ca 0,3 Ω. U(t) an das RC-Glied, so erscheint UC(t) als
„geglättet“, weil es von den Zappeleien der
hohen Frequenzen befreit ist. Eben dies ist
6.5.4 Hoch- und Tiefpass die Wirkung eines Tiefpasses.
Passverhalten ist nicht auf elektrische
Auch die Serienschaltung von Widerstand Schaltungen begrenzt. Die Aorta wirkt we­
und Kondensator, RC-Glied genannt gen ihrer Windkesselfunktion gegenüber
(. Abb. 6.48), bildet einen Spannungsteiler. dem periodisch wechselnden Blutdruck als
Er ist aber frequenzabhängig, denn der Tiefpass: Wie . Abb. 3.22 in 7 Abschn. 3.3.7
Wechselstromwiderstand der Kapazität C gezeigt hat, sinkt der Blutdruck während der
nimmt umgekehrt proportional zu f und ω Diastole zwar in der Herzkammer auf na­
ab (7 Abschn. 6.4.2): hezu null ab, nicht aber in der Aorta. Erst
6.5 · Elektrische Netzwerke
233 6
recht in der Bauchaorta erscheint der Druck­ d d d
verlauf deutlich „geglättet“. I (t ) = Q (t ) = (C ×U C (t )) = C × U C (t )
dt dt dt

und ferner
6.5.5 Kondensatorentladung und
e-Funktion !! d
U R (t ) = R × I (t ) = R × C × UC (t ) ,
dt
In der Schaltung der . Abb. 6.49 wird der
Kondensator momentan aufgeladen, wenn also auch
man den Wechselschalter nach links legt.
Legt man ihn anschließend nach rechts, so d 1
UC (t ) = - UC (t ).
entlädt sich die Kapazität C des Konden­ dt R ×C
sators über den Ohm’schen Widerstand
R. Die zugehörige Mathematik lässt sich Jetzt wird die Mathematik schwieriger,
zunächst leicht hinschreiben. Kondensa­ denn dies ist eine Differenzialgleichung.
tor und Widerstand bilden eine Masche Von der Schwingungsdifferenzialgleichung
(7 Abschn. 6.5.1); folglich verlangt die Ma­ (7 Abschn. 4.1.2) unterscheidet sie sich
schenregel zu jedem Zeitpunkt t: nur um einen kleinen Unterschied: Bei den
Schwingungen ging es um den zweiten Diffe­
UC (t ) + U R (t ) = 0 renzialquotienten d2x(t)/dt2 der Auslenkung
x(t) nach der Zeit, hier geht es um den ersten
oder zeitlichen Differenzialquotienten dUC(t)/dt.
Der Unterschied ist folgenschwer:
U C ( t ) = -U R ( t ) . Die Gleichung verlangt, die Spannung
UC(t) solle mit einer Geschwindigkeit dUC(t)/
Ohne Batterie ist die Batteriespannung null. dt abfallen, die zu ihr selbst proportional ist.
Andererseits gilt für den von der Ladung Dass diese Forderung von Schwingungen
Q(t) des Kondensators gelieferten Entla­ nicht erfüllt werden kann, zeigt der Ver­
dungsstrom gleich zwischen Sinus und Kosinus. Die
Funktion, die das schon nach der ersten Dif­
ferenziation tut, muss eigens erfunden wer­
den: Es ist die Exponentialfunktion, von der
schon in 7 Abschn. 1.5.2 die Rede war. Per
definitionem gilt:
x
d x
e = e x = ò ej dj .
dx -¥

Denn eine Funktion, die bei der Differenzia­


tion sich selbst ergibt, tut dies bei der Integ­
ration auch. Wenn ex von der Zeit t abhän­
gen soll, hat t im Exponenten zu erscheinen.
Weil dieser aber dimensionslos sein muss,
geht das nur zusammen mit einem Faktor,
der auch 1/τ heißen kann und negativ sein
..      Abb. 6.49 Entladung eines Kondensators über ei­
darf. Daraus folgt aber wegen der Kettenre­
nen Ohm’schen Widerstand; sie führt zur e-Funktion gel der Differenziation (7 Abschn. 4.1.2)
234 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

t t 1 % gegenüber U0 ab auf 99 V. Dadurch ver­


d -t 1
e = - et . ringert sich aber auch der Entladestrom um
dx t 1 % auf 0,99 mA. Er braucht jetzt 1,01 ms,
um das zweite Mikrocoulomb aus dem Kon­
Die Differenzialgleichung der Kondensator­
densator herauszuholen. Nach dieser Zeit
entladung lässt sich also mit dem Ansatz
sind Ladung, Spannung und Strom auf
t 98 % ihrer Ausgangswerte abgefallen, sodass
-
UC = U0 × e t für das dritte Mikrocoulomb schon 1,02 ms
gebraucht werden, für das zehnte 1,105 ms
lösen: und für das zwanzigste 1,22 ms; die Entla­
dung wird immer langsamer.
d d - U -
t t ö 1 Nach dieser Vorstellung könnte man den
UC (t ) = U 0 × e t = - 0 e t ÷ = - U C (t ). Verlauf der Entladung als Polygonzug aus
÷
6 dt dt t ø t
lauter kleinen Geraden zusammensetzen
(. Abb. 6.50). Tatsächlich bleibt der Entla­
Demnach sind 1/τ und 1/(R · C) gleich. So­
destrom freilich in keiner Millisekunde kons­
mit gilt für die Zeitkonstante τ der Konden­
tant; deshalb hält sich die echte Entladung
satorentladung
an die e-Funktion. Sie ist eine glatte, gebo­
t = R × C. gene Kurve, deren Funktionswerte nume­
risch ausgerechnet werden müssen – ein er­
müdendes Geschäft für den Menschen, eine
>>Merke Zehntelsekundenarbeit für den Taschenrech­
Kondensatorentladung: ner. Den Graphen der fallenden e-­Funktion
t
- zeigt . Abb. 6.51 (wie auch schon früher
U (t ) = U 0 × e t
. Abb. 1.20). Ihr folgen beim RC-­Glied La­
Zeitkonstante τ = R · C.
dung Q(t), Spannung U(t), Strom I(t) und
Die Exponentialfunktion ist in gewissem Sinne alle ihre Änderungsgeschwindigkeiten, d. h.:
die wichtigste mathematische Funktion in der t
-
Physik, vielleicht sogar in der ganzen Natur. U (t ) = U 0 × e t ,
Wem sie nach der soeben vorgeführten etwas
formalen Herleitung immer noch ein bisschen -
t
unheimlich vorkommt, dem soll sie am Bei­ Q ( t ) = Q0 × e t ,
spiel der ­Kondensatorentladung etwas an­
schaulicher, dafür aber nur halbquantitativ er­
läutert werden:
Angenommen, ein Kondensator mit
1 μF (C) wird auf 100 V (U0) aufgeladen; er
enthält dann 0,1 mC Ladung (Q0). Über­
brückt man seine Kondensatorplatten mit
100 kΩ (R), so beginnt die Entladung mit
einem Strom von 1 mA (I0). Flösse dieser
Strom konstant weiter, so wäre der Konden­
sator nach 100 ms leer. Diese Zeitspanne
entspricht genau der Zeitkonstanten τ des
RC-Gliedes. Tatsächlich nimmt I0 aber
schon in der ersten Millisekunde 1 μC an
Ladung mit, immerhin 1 % von Q0. Damit ..      Abb. 6.50 Polygonzug als Annäherung an die e-­
sinkt die Spannung am Kondensator um Funktion (Einzelheiten im Text)
6.6 · Elektrochemie
235 6

enten dar. Mit dem Oszillografen, dessen


Bedienung Sie im Praktikum erlernen
sollen, will man irgendwas Sinnvolles
messen, in der Regel eine Zeit. Es gibt
drei beliebte Varianten:
55 Die eben besprochene Kondensator­
entladung: Wenn man alles richtig
gemacht hat, bekommt man eine
e-Funktion auf den Bildschirm, die
es auszuwerten gilt.
55 Sie vermessen den Wechselstromwi­
..      Abb. 6.51 e-Funktion der Kondensatorentladung.
derstand (Impedanz; 7 Abschn.
Jede zu einem beliebigen Zeitpunkt t0 angelegte Tan­ 6.5.4, 6.10.4 und 6.11.1) einer Schal­
gente trifft die Abszisse um die Zeitkonstante τ nach t0 tung mit Kondensator und/oder Spule
und Ohm’schem Widerstand.
t 55 Sie vermessen einen Schalllaufzeitun­
-
I (t ) = I0 × e t terschied zur Demonstration der Funk­
tionsweise eines bildgebenden Ultra­
schallgerätes (7 Abschn. 4.2.5).
usw.
Für jede dieser Größen zielt die (negative)
Anfangssteigung ihres Graphen an der Abs­
zisse auf die Zeitkonstante τ, in der die Größe
Rechenbeispiel 6.15: Zeitkonstante
selbst allerdings erst auf den e-ten Teil ihres
Aufgabe. Welcher Widerstand muss in
Ausgangswertes abfällt (. Abb. 6.50). Die
einem RC-Glied zu einem Kondensator
Zeitspanne τ darf auch mitten in die lau­
mit C = 2 μF hinzugeschaltet werden,
fende Entladung hineingelegt werden: In der
um die Zeitkonstante τ = 0,4 s herauszu­
Spanne zwischen den Zeitpunkten t0 und
bekommen?
(t0 + τ) fällt jede der genannten Größen auf
Lösung.
den e-ten Teil desjenigen Wertes ab, den sie t 0, 4 s
zum Zeitpunkt t0 besaß. Formal kann dieser R= = = 200 kW .
C 2 ·10-6 AsN
Tatbestand durch die Gleichung

U ( t0 ) = e × U ( t0 + t )
6.6 Elektrochemie
beschrieben werden. Bei solchen Formeln
muss man aufpassen, den Funktionswert 6.6.1 Dissoziation
U(t0 + τ) nicht mit dem (sinnlosen) Produkt
U · (t0 + τ) zu verwechseln, das U · t0 + U · τ Luft ist ein Isolator. Die ionisierende Strah­
betrüge. lung aus der Umwelt bringt ihr keine we­
sentliche Leitfähigkeit. Reines Wasser iso­
liert ebenfalls, wenn auch bei weitem nicht
Praktikum 6.2 so gut. Mit seinem spezifischen Widerstand
in der Größenordnung Megaohm steht es an
Oszillograf
der Grenze zwischen Leitern und Isolatoren
Der Oszillograf dient dem Darstellen
(7 Abschn. 6.2.3). Es ist aber gar nicht ein­
schneller Zeitverläufe. In jeder Intensiv­
fach, Wasser rein darzustellen und rein zu
station stellt er den Pulsschlag des Pati­
erhalten. In Kontakt mit Luft nimmt es ei­
236 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

nige Gasmoleküle auf (Henry-Dalton-­ >>Merke


Gesetz). Den Zerfall eines Moleküls in Bestand­
Luft besteht im Wesentlichen aus Stick­ teile bezeichnet man als Dissoziation,
stoff (drei Viertel) und Sauerstoff (ein den entgegengesetzten Vorgang als Re­
Fünftel). Beide wirken sich in gelöster kombination. Die Bestandteile können
Form auf die Leitfähigkeit des Wassers Ionen sein, müssen es aber nicht.
nicht nennenswert aus, wohl aber eines der c
Dissoziationsgrad xD = D .
Spurengase, obwohl es nur mit 0,04 % ver­ c0
treten ist: Kohlendioxid. Einige der gelös­
ten CO2-­Moleküle lagern ein H2O-Molekül Dahinter steckt das Massenwirkungsgesetz.
an und bilden damit Kohlensäure (H2CO3). Jedes Lehrbuch der Chemie behandelt es
Deren Moleküle zerfallen aber sofort in ausführlich. Für ein Molekül AB, das sich
zwei positiv geladene Wasserstoffionen aus den Bestandteilen A und B zusammen­
6 (H+) und ein doppelt negativ geladenes setzt und in sie zerfällt, besagt es:
Karbonation (CO32−). Jedes H+-Ion lagert c ( A ) × c ( B)
sofort ein H2O-Molekül an und bildet ein = K (T ) .
+
c ( AB )
H3O -Ion. Das hat aber nur in Sonderfäl­
len Bedeutung, weshalb man ruhig weiter Hier bedeutet c(AB) die Konzentration der
von positiv geladenen Wasserstoffionen undissoziiert gebliebenen Moleküle, also
spricht. nicht die Konzentration c0 der ursprünglich
Einen derartigen Zerfall eines Moleküls vorhandenen, die im Nenner des Dissoziati­
in einige Bestandteile – sie müssen nicht onsgrades steht. Die temperaturabhängige
elektrisch geladen sein – bezeichnet man als Massenwirkungskonstante K(T) ist eine
Dissoziation. Der Vorgang läuft auch um­ Kenngröße der (Zerfalls- und Rekombinati­
gekehrt; die Bestandteile können wieder ons-)Reaktion.
zum Molekül rekombinieren. Zwischen Ein Molekül Kohlensäure spaltet zwei
Dissoziation und Rekombination stellt sich positive Wasserstoffionen ab; dafür trägt das
ein Gleichgewicht ein und bestimmt den Karbonation zwei negative Elementarla­
Quotienten aus Anzahlen, Anzahldichten dungen. Die Stoffmengendichten (Molari­
oder Stoffmengendichten, also kurz den täten) cn unterscheiden sich also um einen
Konzentrationen cD der dissoziierten und c0 Faktor 2:
der ursprünglich vorhandenen Moleküle.
Er heißt ( ) (
cn H + = 2cn CO32- . )
cD Für die Dichten der Elementarladungen gilt
Dissoziationsgrad xD = das nicht, denn die Elektroneutralität bleibt
c0
bei der Dissoziation selbstverständlich ge­
und ist eine dimensionslose Zahl zwischen 0 wahrt. Deshalb spricht man zuweilen neben
und 1 (keine bzw. vollständige Dissoziation). der Molarität einer Lösung auch von ihrer
Moleküle werden durch Bindungsenergie Normalität, bei der doppelt geladene, also
zusammengehalten; für die Dissoziation zweiwertige Ionen doppelt zählen, dreiwer­
muss deshalb eine Dissoziationsenergie tige dreifach usw.
aufgebracht werden. Sie entstammt nor­ Bei Wasser tritt diese Komplikation nicht
malerweise der thermischen Energie: Der auf; es dissoziiert in H+-Ionen und OH−-Io­
Dissoziationsgrad steigt mit wachsender nen, beide einwertig, beide einfach geladen.
Temperatur, oftmals freilich kaum erkenn­ Die hohe Resistivität ist Folge eines geringen
bar, wenn nämlich xD den Wert 1 fast schon Dissoziationsgrades: xD(H2O) ≈ 1,9 · 10−9
erreicht hat. bei 25 °C. In einem solchen Fall lässt sich
6.6 · Elektrochemie
237 6
das Massenwirkungsgesetz vereinfachen, 6.6.2 Elektrolyte
weil dessen Nenner, die Konzentration der
undissoziierten Moleküle, praktisch kons­ Ionen im Wasser folgen einem von außen
tant bleibt und darum in die Massenwir­ angelegten Feld ähnlich wie Elektronen im
kungskonstante hineinmultipliziert werden Draht. Beide müssen sich zwischen neutra­
kann: K*(T) = c0 · K(T). Für Wasser bei Zim­ len Molekülen hindurchdrängeln, bewegen
mertemperatur kommt heraus: sich also wie unter starker Reibung. Folglich
driften auch die Ionen mit konstanter, zur
( ) ( )
cn H + × cn OH - » 10-14 ( mol / l ) , also
2
Feldstärke proportionaler Geschwindigkeit,
sodass sich für sie ebenfalls eine Beweglich-
cn ( H ) = c ( OH ) » 10
+
n
- -7
mol / l.
keit definieren lässt. Sie bekommt meist den
Buchstaben u statt des bei Elektronen übli­
In „neutralem“ Wasser liegen die Stoff­ chen μ. Ionen machen ihre Wirtsflüssigkeit
mengendichten beider Ionensorten bei zum Elektrolyten, sie geben ihm eine elektri­
ziemlich genau 10−7 mol/l: „pH 7“. Als pH- sche, eine elektrolytische Leitfähigkeit.
Wert bezeichnet man den negativen deka­
dischen Exponenten der Maßzahl der Was­ >>Merke
serstoffionenkonzentration zur Einheit Elektrolytische Leitung: Stromtransport
Mol/Liter. durch Ionen.
In einer Flüssigkeit können mehrere
Ionen gibt es in vielerlei Arten und mit bei­
Massenwirkungsgesetze gleichzeitig gelten.
derlei Vorzeichen. Die positiven Ionen lau­
Löst man NaOH (Ätznatron) in Wasser, so
fen zur Kathode und heißen darum Katio-
dissoziiert es nach seinem eigenen Massen­
nen, die negativen laufen zur Anode und
wirkungsgesetz vollständig in Na+- und
heißen darum Anionen. Dies ist ehrwürdiger
OH−-Ionen. Damit greift es aber in das
chemischer Sprachgebrauch; der Physiker
Massenwirkungsgesetz der Wasserdissozia­
muss sich merken, dass er hier mit der Vor­
tion ein:
silbe „kat“ nicht so ohne Weiteres das nega­
55 Wenn cn(OH−) steigt (z. B. auf
tive Vorzeichen der Kathode verbinden darf.
10−5 mol/l), geht cn(H+) zurück, im Bei­
Der Stromtransport kann von Kationen
spiel auf 10−9 mol/l ⇒ pH 9, die Lösung
und Anionen in gleicher Weise übernommen
ist eine Lauge (alkalisch = basisch).
werden: Die konventionelle Stromrichtung
55 Umgekehrt dissoziiert HCl in H+ und
fragt nicht, ob negative Ladungsträger ihr
Cl−, erhöht also cn(H+) auf z. B.
entgegen oder positive zu ihr parallel laufen.
10−3 mol/l und drängt dementsprechend
Alle Ionensorten addieren grundsätzlich
cn(OH−) auf 10−11 mol/l zurück ⇒ pH 3,
ihre Beiträge zur elektrolytischen Leitfähig­
die Lösung reagiert sauer.
keit:

s = e0 × å ( zi × ni × ui ) .
>>Merke i
pH-Wert:
negativer dekadischer Logarithmus der Diese Formel berücksichtigt, dass verschie­
Wasserstoffionenkonzentration cn(H+) in dene Ionensorten (durch die Laufzahl i ge­
mol/l; kennzeichnet) unterschiedliche Beweglich­
55 pH < 7: sauer, cn(H+) groß, keiten u, unterschiedliche Anzahldichten n
55 pH = 7: neutral, cn(H+) = 10−7 mol/l, und unterschiedliche Ladungen q haben
55 pH > 7: alkalisch, cn(H+) klein. können – die Wertigkeit z entspricht der An­
238 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

zahl der Elementarladungen eines Ions un­ der Front in das klare Wasser, sofern er Ka­
abhängig vom Vorzeichen: ±q = z · e0. Der thode ist (. Abb. 6.52).
Wert von u liegt weit unter dem des μ der Die Wolke macht kehrt, wenn man die
Elektronen im Metall und steigt mit der Spannung umpolt. Das Marschkommando
Temperatur. Vom Modell her ist das ver­ des elektrischen Feldes breitet sich mit
ständlich: Ionen sind weit dicker als Elektro­ Lichtgeschwindigkeit aus, die Marschko­
nen, sie schwimmen wie Fremdkörper in ei­ lonne der Ionen gehorcht momentan, aber
nem Medium, dessen Zähigkeit mit die Marschgeschwindigkeit bleibt so gering,
wachsender Temperatur abnimmt. dass man sie leicht mit Lineal und Stoppuhr
bestimmen kann. So lässt sich wenigstens
>>Merke bei „bunten“ Ionen die Beweglichkeit leicht
Anionen laufen zur Anode, sind also ne­ ermitteln.
gativ geladen; Kennt man die Beweglichkeit, so kann
6 Kationen laufen zur Kathode, sind also man sie auch zur qualitativen chemischen
positiv geladen. Analyse heranziehen – beliebtes Verfahren
in manchen Bereichen der organischen Che­
Die elektrolytische Leitung durch Ionen ist
mie (Elektrophorese): Man tränkt einen lan­
immer mit einem Materietransport verbun­
gen Streifen Fließpapier mit einem neutra­
den. Man kann unmittelbar zusehen, wie die
len Elektrolyten, malt ihm quer einen Strich
negativen MnO4-Ionen des Kaliumperman­
der zu untersuchenden Flüssigkeit auf und
ganats im Feld laufen. Hierzu setzt man eine
legt ein elektrisches Feld an. Die bunten Io­
etwa 1 mm dicke Wasserlamelle zwischen
nen marschieren ab und sind nach einiger
zwei Glasplatten, die an den Enden durch
Zeit, ihren Beweglichkeiten entsprechend,
zwei schmale Streifen Fließpapier auf Ab­
mehr oder weniger weit gekommen. In ana­
stand gehalten werden. Dort sitzen auch die
logem Verfahren können dissoziierende Me­
Elektroden, die an eine Batterie angeschlos­
dikamente mit elektrischen Feldern durch
sen sind. Tränkt man zuvor den einen Pa­
die Haut eines Patienten transportiert wer­
pierstreifen mit Permanganatlösung, so
den (Ionophorese).
wandert aus ihm eine blaue Wolke mit gera­

>>Merke
Elektrolytische Leitung ist mit dem
Transport chemischer Stoffe verbunden.

Nur selten besteht ein Stromkreis allein aus


Elektrolyten; fast immer sind Messinstru­
mente, Widerstände und Kabel, sind metal­
lische Leiter mit im Spiel. Dies erfordert
Elektroden, an deren Oberfläche der Lei­
tungsmechanismus wechselt: Die quasi­
freien Elektronen des Metalls müssen auf
Ionen umsteigen und umgekehrt. Damit
sind allemal elektrochemische Prozesse ver­
bunden, in schier unüberschaubarer Viel­
falt.
Ein besonders einfaches Beispiel liefern
zwei Silberelektroden in einer wässrigen
..      Abb. 6.52 Ionenwanderung, schematisch (Einzel­ AgNO3-­ Lösung; Silbernitrat dissoziiert
heiten im Text) praktisch vollständig in Ag+ und NO3−
6.6 · Elektrochemie
239 6
I­onen. Im Endeffekt läuft der Stromtrans­ Dm = N × mM und DQ = N × z × e0 .
port so ab, als werde er nur von den Ag+-Io­
nen getragen (. Abb. 6.53). Vorhanden Es ist also nicht schwer, die Atommasse mM
sind sie auch im Metall der Elektroden; bei elektrolytisch zu bestimmen und danach
der Anode können sie den Kristallverband durch Division mit der Avogadro-­
verlassen und in den Elektrolyten hinein­ Konstanten NA die molare Masse M auszu­
schwimmen. Sie werden dazu von der Span­ rechnen. Wer sich nur für M interessiert,
nungsquelle ermutigt, die ja der Anode kann von vornherein stoffmengenbezogen
Elektronen entzieht, sodass diese versuchen rechnen und statt der Elementarladung die
muss, auch positive Ladungen loszuwerden.
Umgekehrt schließen sich Ag+-Ionen der Faraday - Konstante
Lösung dem Kristallgitter der Kathode an, F = N A × e0 = 96.484 C / mol
weil sie hier von Elektronen erwartet wer­
den, die der Leitungsstrom im Draht inzwi­ verwenden:
schen angeliefert hat.
Die Elektroneutralität im Elektrolyten Dm
muss gewahrt bleiben: Die Anzahlen gelös­ M = z×F × .
DQ
ter Anionen (NO3−) und gelöster Kationen
(Ag+) ändern sich insofern nicht, als für je­ Hinter diesen Überlegungen stehen die bei­
des Silberion, das an der Anode in Lösung den Faraday-Gesetze. Das 1. Gesetz besagt:
geht, ein anderes an der Kathode abgeschie­ Die abgeschiedene Masse ist zur transportier­
den wird. Dazu läuft eine Elementarladung ten Ladung proportional. Das 2. Gesetz lau­
durch den Draht. Das Experiment bestätigt tet: Die abgeschiedene Masse ist zur molaren
die Erwartung des Modells: Es besteht eine Masse der Ladungsträger proportional.
strenge Proportionalität zwischen der Masse Wenn man es genau nimmt, kommen für
Δm des elektrolytisch abgeschiedenen Sil­ mM und M Mittelwerte heraus, weil die be­
bers und der vom Elektronenstrom trans­ teiligten Ionen ein und derselben Art nicht
portierten Ladung ΔQ. Am Transport wa­ unbedingt gleiche Massen haben müssen; an
ren N Ionen mit der Einzelmasse mM und ihnen können verschiedene Isotope eines
der Einzelladung z · e0 beteiligt: chemischen Elements beteiligt sein
(7 Abschn. 8.2.2).

>>Merke
1. Faraday-Gesetz: Δm ~ ΔQ,
2. Faraday-Gesetz: Δm ~ M,

Δm = elektrolytisch transportierte Masse,


ΔQ = elektrisch transportierte Ladung,
M = molare Masse der Ionen.

Nur selten liegen die Verhältnisse so einfach


wie beim Silbernitrat, wo einwertige Metall­
ionen ohne ernsthafte Schwierigkeiten bei
der Anode in Lösung gehen und bei der Ka­
..      Abb. 6.53 Elektrolytische Abscheidung von Silber thode abgeschieden werden. Im Allgemei­
aus wässriger Silbernitratlösung. Ag+ -Ionen gehen bei
der Anode in Lösung und werden an der Kathode ab­
nen kommt es an den Elektroden zu mehr
geschieden, während die entsprechende Ladung als oder weniger komplizierten chemischen Re­
Elektronenstrom durch den Metalldraht fließt aktionen.
240 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Die elektrolytische Zersetzung reinen eines Nervensignals, für das „Feuern“ eines
Wassers funktioniert wegen dessen geringer Nervenimpulses (Aktionspotenzials), von
Leitfähigkeit σ nur sehr langsam. Setzt man ihr verlangt wird. Hinter diesen Eigenschaf­
NaCl als Leitsalz zu, so steigt σ; der Strom ten stecken die sog. Ionenkanäle lebender
wird aber nicht von den H+- und OH−-Io­ Membranen, die, in den 1950er-Jahre ent­
nen des Wassers getragen, sondern von de­ deckt, in ihrer Vielfalt die Forschung noch
nen des Leitsalzes. Trotzdem perlt an der längere Zeit beschäftigen werden. Wer nur
Kathode Wasserstoff (H2) auf und an der die Membranspannung studieren will, hält
Anode Sauerstoff (O2). Das geschieht der sich darum besser an eine der technisch her­
Formel H2O entsprechend im Stoffmengen- gestellten, leblosen Membranen, die der
und Volumenverhältnis 2:1. Dies zu erklä­ Fachhandel in allerlei Varianten bereithält.
ren, ist Sache der Chemie. Eine solche ionenselektiv-permeable
Membran lässt die positiven Natriumionen
6 einer Kochsalzlösung hindurch, nicht aber
6.7 Grenzflächen die negativen Chlorionen. Die im Konzent­
rationsgefälle vorgepreschten Na+-Ionen
6.7.1 Membranspannung sammeln sich in dünner Schicht hinter der
Membran, festgehalten von den Coulomb-­
Die Membran der roten Blutkörperchen ist Kräften der Cl−-Ionen, die sich notgedrun­
selektiv-permeabel: Sie lässt die Moleküle gen vor der Membran sammeln müssen. Die
des Wassers hindurch, hält aber beide Io­ Situation ähnelt der eines geladenen Plat­
nensorten des NaCl zurück. Sind die Flüs­ tenkondensators.
sigkeiten auf ihren beiden Seiten nicht iso­ Wie das Δp der Osmose ist auch die Mem­
tonisch, so diffundiert das Wasser seinem branspannung UM eine Folge der selektiven
eigenen Konzentrationsgefälle nach in die Permeabilität der Membran und der unter­
konzentriertere Lösung hinein, baut dort schiedlichen Konzentrationen der Lösungen
einen osmotischen Überdruck Δposm auf auf ihren beiden Seiten. Man spricht deshalb
und bremst damit seinen Diffusionsstrom auch vom Konzentrationspotenzial UM. Aller­
(7 Abschn. 5.3.5). dings hängt es nicht wie Δp von der Konzent­
Demgegenüber ist die Zellmembran, die rationsdifferenz ab, sondern vom Konzentra­
eine Nervenfaser umhüllt, „ionensensitiv“: tionsverhältnis, genauer: von dessen
Sie lässt die eine Ionensorte hindurch und Logarithmus. Dies besagt die Nernst-Formel:
die mit dem anderen Vorzeichen nicht. Wie­
der diffundieren die Teilchen, die es können, k ×T R ×T
UM = ln ( c1 / c2 ) = ln ( c1 / c2 ) .
ihrem Konzentrationsgefälle entsprechend; z × e0 z×F
diesmal tragen sie aber elektrische Ladung
und bauen mit ihr eine Membranspannung Diese Schreibweise liefert nur den Betrag
UM auf, die jetzt die Diffusion bremst. der Membranspannung; das Vorzeichen
Freilich kann die Nervenfasermembran überlegt man sich leicht: Auf welcher Seite
noch viel mehr: Sie unterscheidet z. B. K+-Io­ der Membran sammeln sich welche Ionen?
nen und Na+-Ionen trotz gleicher Ladung; Da die Formel nur nach dem Verhältnis der
sie kann sogar aktiv „pumpen“, d. h. Ionen Konzentrationen fragt, spielt es keine Rolle,
unter Energieaufwand gegen deren Konzen­ ob man Anzahl-, Stoffmengen- oder Mas­
trationsgefälle auf die andere Seite bringen sendichten einsetzt.
und so unterschiedliche Konzentrationen Verwundern mag auch, dass die Ionen­
aufbauen – und sie kann alle diese Fähigkei­ ladung, ohne die es keine Membranspan­
ten auf Kommando kurzfristig und vorüber­ nung gäbe, unter dem Bruchstrich erscheint;
gehend so ändern, wie das für den Transport doppelt geladene Ionen liefern, wenn sie von
6.7 · Grenzflächen
241 6
der Membran durchgelassen werden, nur Zimmertemperatur ungefähr 59 mV Memb­
die halbe Membranspannung. Wer sich an ranspannung. Real existierende Membranen
die nötige Mathematik herantraut, erkennt, liefern meist ein paar Millivolt weniger. An
dass es anders gar nicht sein kann. den Logarithmus muss man sich gewöhnen:
Eine Verzehnfachung des Konzentrations­
Die Mathematik dazu
Quer zur Membran (Ortskoordinate x, Dicke d) exis­ verhältnisses bringt keineswegs einen Fak­
tiert für die Ionen, die durchgelassen werden, ein Kon­ tor 10 in der Membranspannung, sondern
zentrationsgefälle dc/dx – weil es nur um den Betrag nur ein Plus von 59 mV.
von ΔU gehen soll, braucht sich die Rechnung um
Vorzeichen nicht zu kümmern. Zum Gefälle gehört
die Diffusionsstromdichte (7 Abschn. 5.3.4): >>Merke
Membranspannung (Nernst-Formel):
dc
jD = D × . R × T æ c1 ö
dx UM = lg ç ÷ ,
Sie ist eine Teilchenstromdichte mit der Einheit z × F è c2 ø
m−2 · s−1 und soll im Gleichgewicht kompensiert wer­ speziell bei Körpertemperatur und ein­
den von der elektrisch erzeugten Teilchenstromdichte wertigen Ionen:
dU æc ö
jE = u × c ( x ) × E = u × c ( x ) ×
. U M » 59 mV × lg ç 1 ÷ .
dx è c2 ø
(Zu dieser gehört die elektrische Stromdichte jE · z · e0, weil
jedes Teilchen die Ladung z · e0 trägt; 7 Abschn. 6.7.2.)
Gleichsetzen und Auflösen nach dU führt zu: 6.7.2 Galvani-Spannung
D dc
dU = .
u c Das Entstehen einer Konzentrationsspan­
Man erhält U durch Integration über die Dicke der nung lässt sich, wie 7 Abschn. 6.7.1 gezeigt
Membran, auf deren beiden Seiten die Teilchendich­ hat, recht gut verstehen, zumindest qualita­
ten c1 und c2 herrschen: tiv. Eine zuverlässige Messung macht schon
c
D 2 dc D æ c1 ö
mehr Mühe. Das Messinstrument verlangt
u cò c
U= = ln ç ÷ . allemal metallische Zuleitungen und damit
u è c2 ø
1
metallische Elektroden in beiden Kammern
Hinter dem letzten Gleichheitszeichen steht reine Ma­
des Elektrolyten. Auch an deren Oberflä­
thematik; ganz allgemein führt die Integration über
1/x zu ln x. Diffusionskonstante D und Beweglich­ chen bilden sich Potenzialunterschiede aus,
keit u sind eng miteinander verwandt; generell gilt im Grunde nach dem gleichen Schema:
D/u = k · T/(z · e0), was hier nicht ausführlich nachge­ Grenzflächenspannungen treten immer dort
wiesen werden soll. Setzt man dies ein, so bekommt auf, wo von den zwei Sorten von Ladungs­
man die Nernst-Formel.
trägern, die wegen der Elektroneutralität ja
Es macht etwas Mühe, den Faktor R · T/(z · mindestens vorhanden sein müssen, die eine
F) aus Tabellenwerten auszurechnen. Da leichter durch die Phasengrenze hindurch­
sich biologische Prozesse aber häufig etwa kommt als die andere.
bei Zimmertemperatur abspielen, lohnt es, Ein Beispiel gibt das Silberblech in der
sich den hierfür zuständigen Zahlenwert zu Silbernitratlösung. Das Metall besitzt
merken und dabei zugleich noch vom natür­ Ag+-Ionen und Elektronen, der Elektrolyt
lichen Logarithmus auf den etwas bequeme­ ebenfalls Ag+-Ionen und dazu -Ionen. Aus
ren dekadischen überzuwechseln: chemischen Gründen können nur die Silber­
ionen aus der einen Phase in die andere
1 æc ö überwechseln; die Elektronen dürfen das
U M = 59mV × lg ç 1 ÷ .
z è c2 ø Metall nicht verlassen und die negativen Io­
nen nicht die Lösung. Folglich baut sich eine
Je Zehnerpotenz, je Dekade im Konzentra­ Galvani-Spannung zwischen Elektrode und
tionsverhältnis liefern einwertige Ionen bei Elektrolyt auf.
242 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Die Galvani-Spannung hat einen be­ In diesem Fall liegen die Galvani-­Spannungen
trächtlichen Schönheitsfehler: Man kann sie so, dass Kupferionen stark in die Lösung hi­
nicht messen, und zwar prinzipiell nicht! neindrücken und ihrer zweifach positiven
Dazu wäre ja eine zweite Elektrode in der Ladung wegen doppelt so viele Silberionen
Nitratlösung nötig. Besteht sie ebenfalls aus verdrängen, günstigenfalls in deren Elekt­
Silber, so entwickelt sie die gleiche Galvani-­ rode hinein. Insgesamt muss die Elektroneu­
Spannung, aber in entgegengesetzter Rich­ tralität ja gewahrt bleiben. Dabei laufen
tung, und lässt für das Messinstrument Elektronen im Draht vom Kupfer zum Silber
nichts übrig – besteht sie aus einem anderen und können dort Arbeit leisten. Für den Au­
Metall, so bildet dies seine eigene Galvani-­ ßenkreis ist das Kupferblech negativer Pol,
Spannung aus und das Instrument bekommt für den Elektrolyten positiver Pol.
nur die Differenz. Das ist interessant genug, In der Praxis läuft dieser Versuch freilich
misst aber keine der beiden Galvani-­ meist so ab, dass sich das verdrängte Silber
6 Spannungen für sich allein. unmittelbar auf dem Kupferblech abschei­
det. Ist dieses schließlich voll versilbert, so
>>Merke tritt zwischen den Elektroden keine
Kontaktspannung (Kontaktpotenzial, Spannung mehr auf: Die Klemmenspan­
­
Galvani-Spannung): nung geht also rasch gegen null. Die Technik
elektrische Grenzflächenspannung zwi­ muss Systeme finden, bei denen sich derar­
schen zwei Leitern; nur Differenzen sind tige unerwünschte Reaktionen unterdrücken
messbar. lassen. Immer ist die technische Verwirkli­
chung, die auf vielerlei Nebenbedingungen
Die Differenz zweier (oder auch mehrerer)
Rücksicht zu nehmen hat, weit komplizierter
Galvani-Spannungen erscheint als Klem­
als ihr physikalisches Prinzip.
menspannung eines galvanischen Elements,
Wer verdrängt eigentlich wen aus der Lö­
z. B. einer Taschenlampenbatterie. Ein im
sung? Dies ist eine Frage an die Chemie. Pri­
Modell übersichtliches, praktisch freilich
mär geht es um die positiven Kationen, die
bedeutungsloses Beispiel geben ein Silber-
relativ leicht durch die Phasengrenze zwi­
und ein Kupferblech, leitend durch einen
schen Elektrode und Elektrolyt hindurchtre­
Draht miteinander verbunden und gemein­
ten können; wer verdrängt wird, lädt seine
sam eingetaucht in eine wässrige Silbernit­
Elektrode notwendigerweise positiv auf,
ratlösung (. Abb. 6.54).
bringt sie also auf eine positive Spannung
gegenüber der anderen Elektrode. Im Leer­
lauf und unter normalisierten Bedingungen
gibt diese Spannung Antwort auf die ein­
gangs gestellte Frage.
So kann man alle Ionensorten in eine
Spannungsreihe ordnen, für deren Zahlen­
werte freilich eine gemeinsame Bezugselekt­
rode vereinbart werden muss. Aus hier nicht
zu erörternden Gründen hat man sich auf
die Wasserstoffelektrode geeinigt, repräsen­
tiert durch ein von gasförmigem Wasserstoff
umspültes, oberflächenpräpariertes Platin­
blech – auch der Wasserstoff bildet ja Kat­
ionen. Die Position in der Spannungsreihe
..      Abb. 6.54 Galvanisches Element (Beispiel; Einzel­ legt fest, wie edel ein Metall ist; Gold und
heiten im Text) Silber liegen obenan. In der Elektrochemie
6.7 · Grenzflächen
243 6
gilt, dass der Unedle den Edleren verdrängt. wegliche Mechanik wie ein Generator. Alles
Man soll daran keine philosophischen Be­ was sie braucht, sind zwei Metalle mit unter­
trachtungen knüpfen, dem Grundsatz ge­ schiedlicher Beweglichkeit ihrer Leitungs­
treu, in kein Wort mehr „hineinzugeheim­ elektronen und eine Temperaturdifferenz
nissen“ als hineindefiniert wurde. (. Abb. 6.55). Bringt man die Enden eines
Galvani-Spannungen lassen sich nicht Metalldrahtes auf verschiedene Temperatu­
vermeiden, auch nicht bei den Sonden, mit ren, so ist die thermische Bewegung der Lei­
denen z. B. Aktionspotenziale von Nervenfa­ tungselektronen am warmen Ende schneller
sern gemessen werden. In manchen Fällen ge­ und am kalten Ende langsamer. Das führt
nügt es, wenn die Grenzflächenspannungen zu einer Art Diffusion der schnelleren Elek­
der Sonden lediglich für die Dauer des Expe­ tronen auf die kalte Seite. Auf der kalten
riments konstant bleiben; dann kommt man Seite sind also mehr Leitungselektronen als
mit einfachen Platindrähtchen aus. Wenn auf der warmen, das kalte Ende lädt sich
aber mehr verlangt wird, muss man zu eigens also gegenüber dem warmen negativ auf.
für bestimmte Zwecke entwickelten Normal- Dies führt zu einem elektrischen Feld im
elektroden greifen. Die „Kalomel-­Elektrode“ Draht und zu einer Spannung zwischen den
z. B. ist darauf gezüchtet, die Wasserstoffio­ Drahtenden (die Thermospannung).
nenkonzentration nicht zu bemerken, im ex­ Diese Spannung beträgt bei 10°C Tem­
akten Gegensatz zur „Glaselektrode“. Die peraturdifferenz nur Bruchteile von Milli­
Spannung zwischen beiden erlaubt, pH- volt, ist also reichlich klein. Wie groß sie für
Werte elektrisch zu messen. Wie man das er­ ein Metall ist, hängt vor allem von der Be­
reicht, ist Sache der Experten; dem Anwender weglichkeit der Leitungselektronen ab.
bleibt nicht mehr als sich strikt an die mitge­ Diese Beweglichkeit bestimmt auch in ho­
lieferte Gebrauchsanweisung zu halten. hem Maß die Leitfähigkeit des Metalls
Überaus wichtige Anwendung der (7 Abschn. 6.2.3). Das Ganze nennt sich
Galvani-­Spannung sind natürlich Batterien Seebeck-­Effekt und seine Stärke für ein be­
und Akkus für elektronisches Gerät und stimmtes Metall ist der Seebeck-Koeffizient.
Spielzeug: Verbindet man man zwei Drähte mit ver­
55 In handelsüblichen Batterien entsteht die schiedenen Seebeck-Koeffizienten in einen
Galvani-Spannung praktisch immer zwi­ Stromkreis und bringt die Enden beider
schen Elektrodenpaaren, die chemische Drähte auf verschiedene Temperaturen
Verbindungen enthalten. Die nicht wie­ (. Abb. 6.55), so kann man eine Spannung
der aufladbaren Batterien sind heute messen und einen Strom ziehen. Die Anord­
meist „Alkali-Mangan-Zellen“ mit der nung in der Abbildung dient dem Messen
Paarung Zink/Manganoxid (Galvani-­ einer Temperatur Tx und wird Thermoele-
Spannung 1,5 V). ment genannt.
55 Gängigste wiederaufladbaren Batterien Der Mars-Rover „Curiosity“, der auf
(Akkumulatoren) sind die Lithiumione­ dem Mars herumfährt, benutzt zu seiner
nakkus mit z. B. der Paarung Lithiumko­ Energieversorgung eine ähnliche Anord­
baldoxid/Lithium-Graphit-Interkalat nung mit sehr vielen hintereinander geschal­
(Galvani-Spannung 3,6 V). teten Metall-Halbleiter-Paaren. Dies nennt
man thermoelektrischer Generator. Den nö­
tigen Temperaturunterschied liefert ein hei­
6.7.3 Thermospannung ßer radioaktiver Klotz Plutonium. Für
grüne Marsmännchen wäre das also durch­
Es gibt eine Spannungsquelle, die ganz be­ aus gefährlich.
sonders robust ist. Sie braucht keine flüssige Auch beim Kontakt verschiedener Me­
Chemie wie die Batterie und auch keine be­ talle miteinander tritt eine Galvani-­
244 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Augenblick mit einem anderen elektrischen


Feld, dessen Grundtyp aber stets dem der
. Abb. 6.7 mit verschwindend kleiner Di­
pollänge entspricht. Das stimmt so gewiss
nicht, aber der Einfachheit halber sei es ein­
mal angenommen.
Bei der Aufnahme eines Elektrokardio­
gramms (EKG) liegt der Patient still auf
einem Ruhebett: Befände sich die Achse
des Herzdipols in der Körperebene, so läge
sie jetzt horizontal. Auch das stimmt nicht,
wie . Abb. 6.14 gezeigt hat, aber der Ein­
fachheit halber sei es einmal so angenom­
6 men. Die Elektroden zum Kardiografen
werden dem Patienten an Hand- und Fuß­
gelenke geschnallt. Wären seine Extremitä­
ten dünne, gut leitende Drähte, so übernäh­
men sie jeweils von einem Punkt in den
..      Abb. 6.55 Temperaturmessung. Messung der Tem­ Schultergelenken und im Zentrum des Be­
peratur mit einem in °C eichbaren Thermoelement: ckens das Potenzial, das vom Herzen an
Die Vergleichslötstelle wird durch Eiswasser auf 0°C diesen Punkten angeliefert wird, und führ­
gehalten. Das Instrument darf über eine lange Leitung
ten es zum Kardiografen. Dem ist nicht so,
angeschlossen werden (Fernthermometer)
aber der Einfachheit halber sei es einmal
angenommen.
Spannung auf. Diese ist aber gar nicht mess­ Bei einem normal gebauten Menschen
bar, selbst dann, wenn Kontakte verschiedene bilden Schultergelenke und Becken ein
Temperatur haben. Deshalb ist die Thermo­ gleichschenkliges Dreieck; es ist kein gleich­
spannung keine Galvani-­ Spannung, auch seitiges Dreieck, aber das wäre einfacher
wenn das öfter behauptet wird (früher auch und darum sei es angenommen. Schließlich
in diesem Buch). sitzt das Herz etwas nach links verschoben
im Brustkorb, also nicht genau im Zentrum
des gleichseitigen Dreiecks. Das wäre aber
6.8 Elektrophysiologie einfacher und darum sei auch dies angenom­
men. Vom Patienten verbleibt nach all dem
6.8.1  uswertung des EKG nach
A ein flaches Strichmännchen (. Abb. 6.56).
Einthoven Sinn aller Annahmen ist, dass man jetzt
so tun darf, als produziere das Herz ein un­
Das schlagende Herz ist eine pulsierende gestörtes Dipolfeld nach Art der . Abb. 6.5,
Quelle elektrischer Spannungen. Man darf von dem drei Potenziale zum Kardiografen
es als eine kleine Batterie im Brustkorb an­ abgeleitet werden aus Punkten, die symmet­
sehen, die allerdings Position und Spannung risch um den Dipol liegen, mit diesem in ei­
im Laufe eines Herzzyklus ständig wechselt ner Ebene. Zeigte nun die Achse dieses Di­
und den Wechsel periodisch wiederholt. pols exakt vom Kopf zu den geschlossenen
Man kann sie formal als pulsierenden elekt­ Füßen, so dürfte zwischen den Elektroden
rischen Dipol ansehen. Wäre dieser oben­ an den Handgelenken keine Spannung auf­
drein klein und läge in einem weit ausge­ treten: Aus Symmetriegründen lägen ihre
dehnten Elektrolyten mit homogener Ableitungspunkte ja immer auf gleichen
Leitfähigkeit, so umgäbe er sich in jedem Potenziallinien (grün in . Abb. 6.57).
6.8 · Elektrophysiologie
245 6

..      Abb. 6.56 Patient als Dreieck. Reduktion des Pa­


tienten zum gleichseitigen Dreieck mit fadenförmigen ..      Abb. 6.57 Einthoven-Dreieck. Potenzialverteilung
Extremitäten zur Auswertung des EKG nach Eintho­ eines vertikalen Dipols: Zwischen den Schultergelen­
ven ken tritt keine Spannung (Potenzialdifferenz) auf

Da in Wirklichkeit aber eine Spannung


auftritt, muss der Dipol gedreht sein
(. Abb. 6.58). Seine Lage bestimmt man
dadurch, dass man längs der Seiten des
Einthoven-­Dreiecks (. Abb. 6.59) zent­
rierte Pfeile aufträgt, deren Längen propor­
tional zu den zwischen den entsprechenden
Elektroden gemessenen Spannungen sind,
und die Pfeile als senkrechte Projektionen
des gesuchten Dipolmomentvektors auf die
Dreiecksseiten auffasst. Das wäre in aller
mathematischen Strenge korrekt, wenn all
die eingangs gemachten Annahmen wirklich
zuträfen.
Es mag verwundern, dass die Auswer­
..      Abb. 6.58 Einthoven-Dreieck. Bei schräg liegen­
tung eines EKG nach Willem Einthoven
dem Dipol kommt es zu einer Spannung zwischen den
(1860–1927) trotz der kühnen Annahmen Schultergelenken
verwendbare Ergebnisse liefert, etwa über
die Verlagerung des Herzens durch Atembe­ tierende Messung ist allemal besser als gar
wegungen. Aber die Natur folgt quantitati­ keine Messung. Kritisch würde es freilich,
ven Gesetzen; eine auch nur grob interpre­ wollte jemand behaupten, sein Herz führe
246 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

6
..      Abb. 6.59 Zur Auswertung des EKG (Einzelheiten
im Text)

bei jedem Schlag einen doppelten Looping


aus, bloß weil der Summenvektor seines
nach Einthoven ausgewerteten EKG dies
tut. Wer Modelle benutzt, muss ihre Gren­
zen kennen.
Tatsächlich begnügt man sich heute nicht ..      Abb. 6.60 Patient am EKG. Gut zu sehen sind die
nur mit drei Elektroden wie Herr Einthoven, Elektroden über dem Herzen (© Klaus Epple –
sondern legt z. B. noch fünf „Ableitungen“ 7 Fotolia.­com)
quer übers Herz (. Abb. 6.60). Dann sind
auch genauere Analysen möglich. Besondere Gefahr droht dem Herzen.
Seine Funktion verlangt eine koordinierte
Kontraktion aller Herzmuskelfasern in der
6.8.2 Elektrische Unfälle Systole und eine ebenso koordinierte Er­
schlaffung danach. Beides hat nach dem
Im Elektrolyten, also auch im Menschen, Kommando des Steuerzentrums zu erfol­
transportieren elektrische Ströme nicht nur gen, das den Puls regelt. Fällt die Koordinie­
Ladung, sondern auch Materie. Das führt zu rung aus, so kann es zu meist tödlichem
Konzentrationsverschiebungen in den Kör­ Kammerflimmern kommen. Herzkammer­
perzellen, die aber harmlos sind, solange sie flimmern lässt sich elektrisch auslösen.
sich in den von der Natur vorgesehenen Gefährlich sind demnach vor allem
Grenzen halten. Schließlich darf der Mensch Ströme, deren Bahnen von Hand zu Hand
sein eigenes EKG nicht spüren. Geringfügige quer durch den Brustkorb laufen. Wer im La­
Störungen werden auch dann stillschwei­ boratorium mit ungeschützten hohen Span­
gend überspielt, wenn eine äußere Spannung nungen zu tun hat, hält darum nach alter Ex­
der Auslöser war. Starke Störungen können pertenregel immer eine Hand fest in der
aber leicht zu Dauerschäden führen und so­ Hosentasche, denn dann geht ein Schlag al­
gar zum Tod. Auf jeden Fall tun sie weh. lenfalls von der anderen Hand in den Fuß
6.8 · Elektrophysiologie
247 6
und nicht ganz so dicht am Herzen vorbei. pers (. Abb. 6.25). Steckdosen sind keines­
Robuste Elektriker prüfen zuweilen mit wegs harmlos!
Zeige- und Mittelfinger, ob „Strom in der Lei­
tung ist“. Zumal mit öligen Händen kann das 77Hochfrequenz ist ungefährlicher
gut gehen, weil kein lebenswichtiges Organ im Wer mit technischer Wechselspannung Sil­
Stromkreis liegt. Wer einen elektrischen ber elektrolytisch abzuscheiden versucht,
Schlag bekommt, unterbricht meist durch wird enttäuscht:
seine Schreckreaktion den Stromkreis. Wer Was sich an einer Elektrode während ei­
aber einen defekten Tauchsieder voll umfasst, ner Halbwelle abscheidet, geht in der nächs­
dessen Hand verkrampft sich möglicherweise ten wieder in Lösung. In dieser Beziehung
so, dass er nicht wieder loslassen kann. sind lebende Organismen empfindlicher, aber
Ausgelöst werden elektrische Unfälle bei hinreichend hohen Frequenzen werden
von Spannungsquellen; die physiologische selbst stärkere Ströme auch für sie ungefähr­
Wirkung rührt aber vom Strom her – folg­ lich. Übrig bleibt dann nur die Entwicklung
lich hat der Widerstand im Stromkreis er­ von Joule-­Wärme. Dies ist das Ziel der Dia­
hebliche Bedeutung und mit ihm die Frage: thermie, also der Kurzwellenbestrahlung:
Wie kommt der Strom vom spannungsfüh­ Der Patient kommt als „Dielektrikum“ zwi­
renden Metallteil durch das Unfallopfer zur schen die Platten eines Kondensators und der
Erde? Dicke Schuhsohlen, weiche Teppiche, influenzierte Wechselstrom entwickelt Wärme
Holz-, Kunststoff- und Fliesenböden mögen dort, wo sie medizinisch gebraucht wird. Sie
hier manches Schlimme schon gemildert ha­ muss nicht wie beim Heizkissen mühsam
ben. Die feuchten Kacheln des Badezim­ durch die Haut herangeschleppt werden. 9
mers sind da weniger gut. Wer aber großflä­
chig geerdet in der Badewanne sitzt, muss
alle elektrischen Geräte meiden; schon der
6.8.3 Schutzmaßnahmen
kleinste Isolationsfehler im Griff eines
Haartrockners kann gefährlich werden. Bis
Schaltskizzen idealisieren. Sie tun so, als be­
0,4 mA braucht man nichts zu befürchten;
stünden die gezeichneten elektrischen Ver­
ab 100 mA muss man aber mit dem
bindungen aus widerstandslosen Leitern; sie
Schlimmsten rechnen.
tun vor allem so, als seien diese Leiter ge­
geneinander vollkommen isoliert. Tatsäch­
>>Merke
lich vagabundieren aber in jeder praktisch
Wechselstrom von 50 Hz:
ausgeführten Schaltung unbeabsichtigte
55 < 0,4 mA: Keine spürbare Wirkung
Leckströme herum; in den Wänden einer
55 0,4–4 mA: Geringe, aber merkliche Wir­
Wohnung können sie etliche Milliampere
kung
betragen und bei schadhaften Geräten le­
55 5–25 mA: Erhebliche Störungen
bensgefährlich werden. Die moderne Elekt­
55 25–80 mA: Bewusstlosigkeit, reversibler
rifizierung der Haushalte ist nur zu verant­
Herzstillstand
worten, wenn strenge Sicherheitsvorschriften
5 5 100 mA: Verbrennungen, Herzstill­
konsequent eingehalten werden. Beim Ein­
stand
satz elektrischer Geräte in der Arztpraxis
Welche Spannungen gehören zu diesen Strö­ gilt das in erhöhtem Maße und bei operati­
men? Das hängt sehr vom Einzelfall ab. Eine ven Eingriffen in Herznähe erst recht.
gewisse Abschätzung erlaubt aber die Wi­ Vor einer Taschenlampenbatterie braucht
derstandskennlinie des menschlichen Kör­ man sich nicht zu schützen. Spannungen bis
248 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

24 V mit den Händen anzufassen, bedeutet


für den Menschen im Allgemeinen keine
ernstliche Gefahr; sie sind sogar für Puppen­
stuben und Modelleisenbahnen zugelassen.
Das gilt aber nur für Zuleitungen an den
„Körperstamm“, nicht für Körperhöhlen
oder gar das Körperinnere (und für die sehr
niederohmige Erdung in der Badewanne
ebenfalls nicht). Einen Haushalt kann man
mit 24 V leider nicht versorgen. Schon dem
Toaströster müssten 20 Ampere angeliefert
werden, über ein dickes und unhandlich stei­ ..      Abb. 6.61 Schuko-Steckdose mit Anschlüssen für
fes Kabel. Phase, Nullleiter und Schutzkontakt; Phase und Null­
6 Die 230 V der Steckdose sind alles an­ leiter können vertauscht sein (© Eddi – 7 Fotolia.­
dere als harmlos. Auf jeden Fall darf man com)
den Spannung führenden Phasenleiter nicht
versehentlich berühren können. Er muss
sorgfältig gegen das Gehäuse eines elektri­
schen Gerätes isoliert sein – kein Problem,
wenn das Gehäuse selbst zuverlässig isoliert.
In kondensierendem Wasserdampf (Haar­
trockner im Badezimmer) tut es das nicht
unbedingt. Da man nicht wissen kann, wel­
che der beiden Litzen Nullleiter ist, welche
Spannung führt (ob der Netzstecker näm­
lich so oder anders herum in der Steckdose
steckt), müssen beide Leitungen vom Ge­
häuse elektrisch getrennt sein. Für den
Hausgebrauch genügt die sog. Betriebsiso­
lierung, in Sonderfällen wird eine zusätzli­
che „Schutzisolierung“ verlangt. Ist das Ge­
häuse des Gerätes aus Kunststoff, so reichen
zwei Kontakte am Stecker aus.
Hat das Gerät hingegen ein Metallge­
häuse, dann wird dieses mit einem dritten
Schutzkontakt geerdet. Käme es zu einem
Isolationsfehler beim Phasenleiter, könnte
das Gerät sonst lebensgefährlich werden.
Alle Steckdosen und viele Stecker haben da­
her einen dritten Kontakt, den Schutzkon-
..      Abb. 6.62 a–c Funktionen des Schutzkontakts. Im
takt (. Abb. 6.61). Haushalt ist der Schutzkontakt (SK) mit dem Nulllei­
Der Schutzkontakt wird vor der Steck­ ter (0) verbunden a; ein Isolationsfehler des Phasen­
dose (vom Kraftwerk aus gesehen) elekt­ leiters (R) führt zum Kurzschluss. Der Fehlerstrom­
risch mit dem Nullleiter verbunden schutzschalter (FI) unterbricht die Stromversorgung,
(. Abb. 6.62a), hinter dem Stecker mit dem wenn die Differenz zwischen den Strömen in Phasen-
und Nullleiter einen Grenzwert überschreitet b. Das
Gehäuse des Gerätes. Damit liegt dieses be­ Erdschlussüberwachungsgerät (ISO) gibt ein Warnsig­
rührungssicher auf Erdpotenzial. Kapazi­ nal, wenn der Isolationswiderstand zwischen Phasen-
tive und andere Leckströme führt der und Erdleiter einen Grenzwert unterschreitet c
6.8 · Elektrophysiologie
249 6
Schutzleiter zuverlässig ab. Wird aber die es genügt, alle Geräte in seiner Reichweite,
Isolation des Phasenleiters ernsthaft be­ also Heizkörper, Wasserhähne, Schränke
schädigt, so gibt es Kurzschluss über den usw., ausdrücklich mit dem Nullleiter in
Schutzleiter und die Sicherung vor der oder vor der Steckdose zu verbinden – und
Steckdose „fliegt heraus“. Ein Kabelbruch das Gehäuse des Kardiografen auch (für
im Schutzleiter führt zu der Situation, die den Fall eines Kabelbruchs in seinem Null­
anfangs noch allgemein akzeptiert wurde. leiter nämlich). Man nennt das Potenzial-
Erst Kabelbruch plus Isolationsfehler wer­ ausgleich.
den gefährlich; man nennt das doppelte Si- Besonders kritisch wird es bei operati­
cherheit. ven Eingriffen in der Nähe des Herzens –
Tritt dieser doppelte Fehler tatsächlich und hierzu gehört bereits das Einschieben
ein, so bekommt man bei Berührung des eines Herzkatheters durch die Vene. So et­
Gehäuses einen elektrischen Schlag und was sollte nur in speziell geschützten Räu­
zieht normalerweise die Hand instinktiv zu­ men geschehen, in denen die gesamte
rück, bevor Ernsthaftes geschieht. Die Elek­ Stromversorgung über einen „Trenntrans­
troden des Elektrokardiografen werden dem formator“ läuft: Nur dessen Primärspule
Patienten aber fest angeschnallt – er kann hängt am Netz, die Sekundärspule ist zu­
sie nicht loslassen. Das erfordert eine ge­ nächst einmal erdfrei und lässt sich deshalb
nauere Begrenzung der Leckströme. Dafür unabhängig vom Nullleiter des Netzes be­
sorgt ein Fehlerstromschutzschalter („FI-­ sonders sorgfältig nach dem Prinzip des Po­
Schutzschalter“), der vor der Steckdose fest tenzialausgleichs erden. Für Sicherheit
installiert wird. Elektrisch liegt er hinter der sorgt jetzt ein Erdschlussüberwachungsgerät
Verbindung von Schutz- und Nullleiter („ISO-­Wächter“,. Abb. 6.62c), das hinter
(. Abb. 6.62b). Der FI-Schutzschalter ver­ dem Trenntransformator den Widerstand
gleicht die beiden Ströme in Phasen- und des Phasenleiters gegen Erde laufend kont­
Nullleiter miteinander; im Idealfall müssen rolliert. Unterschreitet dieser Widerstand
sie gleich sein. Besteht eine Differenz, so einen Grenzwert, so gibt der ISO-Wächter
kann sie harmlos über den Schutzleiter ab­ ein Warnsignal, schaltet aber nicht ab, da­
geflossen sein, möglicherweise aber auch mit er den Eingriff des Arztes nicht von sich
nicht ganz so harmlos über den Patienten. aus abrupt unterbricht.
Wird ein Grenzwert überschritten (meist Bleibt zusammenzufassen: Alle Maß­
30 mA), so unterbricht der Schutzschalter nahmen zur elektrischen Sicherheit haben
die Stromversorgung der Steckdose(n) und dafür zu sorgen, dass ungewollte Ableit­
schaltet so die angeschlossenen elektrischen ströme und Berührungsspannungen gewisse
Geräte ab. Grenzwerte nicht überschreiten.
Der FI-Schutzschalter bemerkt freilich
keine Fehlerströme, die der Arzt möglicher­ >>Merke
weise einschleppt, wenn er seinen Patienten Obere Grenzwerte für Ableitströme:
berührt. Um das zu verhindern, müssen 55 Gehäuse: 500 μA
beide in vergleichbarer Weise geerdet sein. 55 Patient:
Der Patient ist dies dadurch, dass eine der 55 Extrakardial (EKG): 100 μA
ihm angeschnallten Elektroden in leitender 55 Intrakardial (Katheter): 10 μA
Verbindung mit dem Gehäuse steht, das sei­
Obere Grenzwerte für Spannungen:
nerseits über Stecker und Steckdose am
55 Am Körperstamm: 24 V
Nullleiter hängt. Der Arzt braucht mit kei­
55 In Körperhöhlen: 6 V
ner speziellen Erdleitung verbunden zu sein;
55 Am Herzen: 10 mV
250 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

6.9 Magnetische Felder >>Merke


Magnetische Felder sind wie elektrische
6.9.1 Einführung Felder qualitativ durch Feldlinien
­darstellbar.
Schon im Mittelalter navigierten Kapitäne Einigermaßen kräftige Magnetfelder kann
und Seeräuber nicht nur nach Sonne und man sichtbar machen. Man legt einen glat­
Gestirnen, sondern auch nach dem Kom­ ten Karton z. B. auf einen Hufeisenmagne­
pass, also einem kleinen Stabmagneten, der ten und streut Eisenfeilspäne darüber. Wenn
sich einigermaßen zuverlässig in Nord-Süd-­ man durch vorsichtiges Klopfen ein wenig
Richtung einstellt, wenn man ihm erlaubt, nachhilft, ordnen sich die Späne zu einer Art
sich reibungsarm um eine vertikale Achse zu Feldlinienbild; legt man noch eine Kom­
drehen. Er tut dies als kleiner magnetischer passnadel dazu, so meint man zu „sehen“,
Dipol im großen Magnetfeld der Erde
6 (. Abb. 6.63).
wie die Feldlinien versuchen, die Nadel als
magnetischen Dipol in Feldrichtung zu dre­
Ganz analog würde sich ein elektri­ hen (. Abb. 6.64).
scher Dipol einstellen (7 Abschn. 6.1.3), Ein Magnetfeld ist ein Raumzustand, in
wenn die Erde ein entsprechendes elektri­ dem auf einen magnetischen Dipol ein
sches Feld besäße. Wie dieses lässt sich Drehmoment ausgeübt wird. Analoges kann
auch ein magnetisches Feld mithilfe von man vom elektrischen Feld ebenfalls be­
Feldlinien darstellen; eine Kompassnadel haupten. Die dort übliche Formulierung
stellt sich nach Möglichkeit zu ihnen par­ vom „Raumzustand, in dem auf eine elekt­
allel. Nur laufen sie nicht von Plus nach rische Ladung eine Kraft ausgeübt wird“,
Minus, sondern von Nord nach Süd – Be­ darf man freilich nicht auf das Magnetfeld
zeichnungen dürfen frei vereinbart wer­ übertragen, und zwar aus folgendem Grund:
den. Die noch genauer zu definierende ma­ 55 Ein makroskopischer elektrischer Dipol
gnetische Feldstärke ist auf jeden Fall ein besteht aus zwei entgegensetzt geladenen
Vektor. Auch in magnetischen Feldern zie­ Kugeln, die von einem isolierenden Stab
hen sich ungleichnamige Pole an, gleichna­ auf Distanz gehalten werden. Zerbricht
mige stoßen sich ab. man den Stab, kann man die beiden La­
dungen im Prinzip beliebig weit ausein­
anderziehen (. Abb. 6.65 oben); man
muss nur die dazu nötige Arbeit gegen
die Coulomb-Kraft aufbringen.
55 Zerbricht man hingegen einen makros­
kopischen magnetischen Dipol, also ei­
nen Stabmagneten, so bekommt man
zwei kleinere magnetische Dipole, beide
vollständig mit Nord- und Südpol aus­
gestattet (. Abb. 6.65 unten).

Es gibt also keine magnetischen Einzella­


dungen im Sinne der elektrischen, die z. B.
durch Ionen repräsentiert werden können.
Kompassnadeln reagieren nicht nur auf
Magnete, sie reagieren auch auf elektrische
Ströme: Sie stellen sich so gut, wie es ihre Lage­
..      Abb. 6.63 Magnetfeld der Erde rung erlaubt, quer zum Draht (. Abb. 6.66).
6.9 · Magnetische Felder
251 6

..      Abb. 6.65 Dipole. Oben: Bricht man einen elektri­


schen Dipol auseinander, so bekommt man zwei Mo­
nopole. Unten: Bricht man einen magnetischen Dipol
(Stabmagneten) auseinander, so bekommt man zwei
kleine Dipole

..      Abb. 6.66 Magnetische Kraft. Eine Kompassna­


del stellt sich quer zu einem elektrischen Strom I

..      Abb. 6.64 Magnetische Feldlinien lassen sich mit Gebiet zwischen den Drähten und kompen­
Eisenfeilspäne sichtbar machen: Hufeisenmagnet sieren sich mehr oder weniger im Außen­
ohne (oben) und mit Kompassnadel (unten) raum. Man kann auch gleich einen einzigen
Draht zur Schleife biegen; sein Feld ähnelt
Tatsächlich umgibt sich ein Strom mit kreisför­ dem eines kurzen Stabmagneten – nur kann
mig-konzentrischen magnetischen Feldlinien, man jetzt gewissermaßen in dessen Inneres
die weder Anfang noch Ende haben blicken. Setzt man einige solcher Schleifen,
(. Abb. 6.67 oben); die Feldlinien hüllen den parallelgeschaltet und von gleichen Strömen
stromdurchflossenen Draht wie ein Schlauch durchflossen, hintereinander, so wird der
ein. Für ihren Umlaufsinn gilt die Rech­ „Stabmagnet“ länger (. Abb. 6.68): Viele
te-Hand-Regel (. Abb. 6.67 unten). kleine, parallel orientierte Dipole ergeben
Stellt man parallel zum ersten Draht ei­ einen großen.
nen zweiten, der aber in Gegenrichtung vom Setzt man die Schleifen dicht genug und
Strom durchflossen wird, so überlagern sich macht man die Reihe lang gegenüber dem
beide Ringsysteme; sie verstärken sich im Durchmesser, so laufen die Feldlinien im
252 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

..      Abb. 6.67 Gerader Draht. Ein stromdurchflosse­


ner Leiter umgibt sich mit ringförmig geschlossenen
magnetischen Feldlinien, hier durch Eisenfeilspäne
sichtbar gemacht (nach Orear). Für den Umlaufsinn
der Feldlinien gilt die Rechte- Hand-Regel: Strom in ..      Abb. 6.68 Stromschleife. Magnetfeld einer Strom­
Richtung des Daumens, Feldlinien in Richtung der ge­ schleife (oben) und von drei in gleicher Richtung von
krümmten Finger Strom durchflossenen Schleifen (unten)

Inneren praktisch parallel: Sie liefern ein Alle Beispiele zeigen: Magnetische Feld­
homogenes magnetisches Feld in Längs­ linien bilden immer in sich geschlossene
richtung der Schleifenreihe (. Abb. 6.69). Schleifen, ganz anders als elektrische Feld­
Im Außenraum ergibt sich das gleiche Feld linien, die immer auf elektrischen Ladungen
wie bei einem entsprechend geformten Per­ starten oder enden. Dies liegt eben daran,
manentmagneten. Im Innenraum gilt das dass es keine magnetischen Ladungen gibt.
auch, aber wie die Feldlinien im Inneren ei­
nes Permanentmagneten verlaufen, lässt >>Merke
sich nur mit sehr trickreichen Messverfah­ Magnetische Feldlinien bilden immer ge­
ren ­herausfinden. schlossene Schleifen.
6.9 · Magnetische Felder
253 6

..      Abb. 6.69 Spule. Im Innern einer gestreckten 


Spule herrscht ein homogenes Magnetfeld ..      Abb. 6.70 Lorentz-Kraft. Auf einen vom Strom I
durchflossenen Draht, der quer im Magnetfeld  B
liegt, wirkt eine zu beiden senkrechte Kraft FL

Wo ist Norden?
Frage. Der Nordpol einer Kompassnadel
die nicht nur zur Stärke des Magnetfeldes B
zeigt nach Norden. Wo also liegt der
und zum Strom I proportional ist, sondern
Nordpol des Erdmagnetfeldes?
auch zur Länge l, mit der sich der Draht im
Antwort. In der Antarktis, also am
Feld befindet, sei es, weil er nicht länger ist,
Südpol; denn der Nordpol eines Magne­
sei es, weil das Feld nicht weiter reicht. Der
ten wird vom Südpol des anderen ange­
Zusammenhang für die Beträge ist in diesem
zogen und umgekehrt. Dass Atlanten
Fall denkbar einfach:
ihn in die Arktis verlegen, ist zwar physi­
kalisch falsch, aber trotzdem sinnvoll: FL = l × I × B.
Man müsste sonst zu viel erklären.
Verläuft der Draht allerdings unter einem
Winkel α schräg zum Feld, so kommt noch
6.9.2 Kräfte im Magnetfeld ein Sinus herein:

Wenn der Stabmagnet „Kompassnadel“ auf FL = l × I × B × sin a .


das Magnetfeld der Erde reagiert, dann re­
agiert auch eine stromdurchflossene Spule Ganz allgemein wird die Lorentz-Kraft
auf eine andere und sogar ein einzelner durch das Kreuzprodukt beschrieben, dass
stromdurchflossener Draht auf einen ande­ über die Rechte-Hand-Regel (7 Abschn. 1.4)
ren. Auf welchem technischen Weg die Mag­ auch gleich die Richtung eindeutig festlegt:
netfelder entstehen, kann schließlich keinen r r s
grundsätzlichen Unterschied ausmachen. Lorentz - Kraft FL = l × I ´ B.
Die einfachste Geometrie erhält man, 
wenn man einen horizontalen Draht quer zu Da diese Gleichung den Strom I zum Vek­
einem ebenfalls horizontalen, homogenen tor ernennt, kann sie die Drahtlänge l nur
Magnetfeld spannt. Schickt man jetzt einen als skalaren Faktor werten. Die Größe B ist
Gleichstrom durch den Draht, so versucht ein Maß für die Stärke des magnetischen
er, nach oben oder unten aus dem Feld her­ Feldes; sie bekommt den Namen magneti-
auszukommen. Auf ihn wirkt eine vertikale sche Flussdichte und die Einheit Vs/m2 = T
Kraft, genannt Lorentz-Kraft (. Abb. 6.70), (Tesla).
254 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre


Warum nennt man B nicht „magneti­ zum Feld, die Kräfte möchten die Leiter­
sche Feldstärke“? Man tut es zuweilen und schleife auseinanderziehen; das verhindert
vielleicht setzt sich diese Bezeichnung mit aber ihre mechanische Festigkeit. Schaltet
der Zeit offiziell durch. Historisch
 wurde der man den Strom kurz vor Erreichen dieser
Name aber an eine zu B proportionale und Stellung ab und kurz danach in Gegenrich­
im Vakuum  als Vektor parallel gerichtete tung wieder ein, so dreht sich die Schleife
Größe H mit der Einheit A/m vergeben. dank ihrer mechanischen Trägheit über den
Diese Größe ist für das ingenieurmäßige Totpunkt hinweg und dann unter Kraftwir­
Rechnen von Bedeutung. kung im alten Drehsinn weiter. Nach diesem

Prinzip arbeiten viele Elektromotoren: Ein
Mehr zu H mit der Achse fest verbundener Polwender
Unter bestimmten  technisch wichtigen Bedingungen schaltet den Strom in der Schleife immer im
sind B und H immer proportional gemäß
richtigen Moment auf Gegenrichtung um.
6  
B = m r × m0 × H ; Zur Verstärkung der Kraft wird der Draht
dabei ist μ0 eine magnetische Feldkonstante und μr in vielen Windungen zu einer Drehspule ge­
eine Materialkonstante für magnetische Materialien, wickelt und bekommt zusätzlich einen
die relative Permeabilität. Liegt diese Proportionalität
Weicheisenkern.
vor, so ist es gleichgültig, ob man
 die Gesetzmäßig­

keiten des Magnetismus mit  B oder H formuliert.
Im allgemeinen Fall aber ist B die eigentliche magne­ Die Kraft im Detail
tische Feldgröße. Deshalb wird die Stärke magneti­ Die Drehspule bildet einen stromabhängigen magneti­
scher Felder allgemein in Tesla angegeben. schen Dipol. Analog zum elektrischen Dipol ordnet

man ihm ein sog. magnetisches Moment m zu, ein
magnetisches Dipolmoment also, und schreibt für das
>>Merke wirkende Drehmoment:
Kraft auf Strom im Magnetfeld:   
T = m ´ B.
Lorentz-­Kraft
   Gibt man einer Drehspule mit Spiralfedern eine Ruhe­
FL = l × I ´ B. stellung vor und setzt sie quer in ein Magnetfeld, so
wird sie zum Strommesser: Mit wachsendem I wächst
Biegt man den Draht zu einer rechteckigen ihr Dipolmoment, mit diesem das Drehmoment, mit
Schleife, drehbar um eine horizontale Achse diesem der Auslenkwinkel. So arbeiten alle analog an­
gelagert, so dreht er sich bis in die Stellung zeigenden Drehspulinstrumente (. Abb. 6.72). Pri­
mär reagiert ein solches Instrument auf die Kraft, die
der . Abb. 6.71. Dann hört die Bewegung
ein stromdurchflossener Leiter im Magnetfeld erfährt,
auf: Alle Leiterteile stehen jetzt senkrecht also auf Strom; es kann aber zum Spannungsmesser
umgeeicht werden, weil der Widerstand der Drehspule
bekannt und ohmsch ist.
Fließt ein Strom im Metalldraht, so wandern
Elektronen. Auch ein Strahl freier Elektronen, z. B. in
einer Fernsehbildröhre, bedeutet einen Strom, auf den
die Lorentz-Kraft wirkt. In der Tat wird der Elektro­
nenstrahl in einer Fernsehbildröhre mit Magnetfel­
dern gesteuert. Die Formel für die Lorentz-Kraft auf
ein einzelnes Elektron lautet:
  
FL = e0 × v ´ B.
Diese Gleichung ist ein Teil der komplizierten Glei­
chung in 7 Abschn. 6.1.2. Hierbei ist e0 die Elemen­
tarladung des Elektrons und seine Geschwindigkeit.
Weil hiernach die Lorentz-Kraft immer senkrecht auf
der Geschwindigkeit steht, wird ein Elektronenstrahl
..      Abb. 6.71 Kraft auf Leiterschleife. Eine um eine in einem homogenen Magnetfeld auf eine Kreisbahn
horizontale Achse drehbare Leiterschleife dreht sich abgelenkt und irgendwelche anderen frei fliegenden
bei Stromfluss bis in die gezeichnete Stellung geladenen Teilchen (Ionen) auch. Aus dem Durchmes­
6.9 · Magnetische Felder
255 6
ser der Kreisbahn lässt sich die Masse des Teilchens zeigt, dass für die Stärke des Magnetfeldes
bestimmen. Zu diesem Zweck hat die Technik komfor­ im Abstand r vom Draht gilt:
table Massenspektrometer entwickelt, die auf ge­
schickte Weise die Ablenkung geladener Teilchen in
I
elektrischen und magnetischen Feldern kombinieren. B = m0 .
2p × r
Was aber ist mit der Kompassnadel, die die­
sen Abschnitt eingeleitet hat? Offensichtlich Das Feld wird also mit wachsendem Ab­
übt das Magnetfeld der Erde ein Drehmo­ stand schwächer. μ0 ist die
ment auf sie aus. Folglich muss sie ein mag­
magnetische Feldkonstante :
netisches Moment besitzen. Das können ihr
nur die Atome gegeben haben, aus denen sie µ0 = 1, 256 ×10-6 Vs / Am.
besteht. Normalerweise sind es Atome des
Elements Eisen. Der Umlaufsinn des Feldes folgt der Rech­
te-Hand-Regel (. Abb. 6.67).
Wickelt man den Draht zu einer Spule
6.9.3  rzeugung von Magnet-
E auf, so addieren sich die Felder der einzel­
fel dern nen Schleifen, wie es . Abb. 6.68 und 6.69
anschaulich machen. Das Feld im Inneren
Die einfachste Anordnung, mit der man ein einer langen zylindrischen Spule ist homo­
Magnetfeld erzeugen kann, ist ein simpler gen und hat die Stärke:
stromdurchflossener Draht. Die Magnet­
feldlinien laufen in konzentrischen Kreisen N ×I
B = m0 × m r × .
um ihn herum (. Abb. 6.67). Nachmessen l

Dabei ist N die Windungszahl und l die


Länge der Spule. μr ist die relative Permeabi­
lität eines eventuell vorhandenen Eisenker­
nes in der Spule, von dem gleich noch die
Rede sein wird.
Wie aber kommt ein Permanentmagnet
zu seinem Feld? Das müssen die Atome, üb­
licherweise Eisenatome, aus denen er be­
steht, liefern. Um genau zu verstehen, wie
sie das tun, müsste man Quantenphysik be­
treiben. In einem ganz einfachen klassischen
Bild ist die Vorstellung erlaubt, die Elektro­
nen der Atomhülle kreisten um den Atom­
kern, bildeten also einen atomaren Ring­
strom. Dieser erzeugt dann wie eine Spule
ein Magnetfeld.
Diese atomaren Ringströme können au­
ßerordentlich groß werden und das Feld ei­
..      Abb. 6.72 Drehspulinstrument. Ein starker Hufei­ ner Spule erheblich verstärken. Schraubt
senmagnet erzeugt mit Polschuhen und zylinderförmi­ man einen Elektromotor auseinander, so
gem Weicheisenkern ein konstantes Magnetfeld, das stellt man fest, dass alle Spulen in ihm um
im Wesentlichen radialsymmetrisch auf die Achse der
Drehspule zuläuft. Diese ist reibungsarm in Spitzen
Eisenkerne gewickelt sind. Eisen ist ein ferro-
gelagert und wird von zwei Spiralfedern gehalten, die magnetisches Material, das das magnetische
zugleich als Stromzuführungen dienen Feld in der Spule um einen Faktor μr ver­
256 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Ferromagnetika. Der glatte Karton hingegen diente


..      Tab. 6.1 Vergleich der Felder nur als mechanische Unterlage; im Vergleich zu den
Ferromagneten darf man ihn als unmagnetisch anse­
Elektrisches Feld Magnetisches Feld hen. So ganz ist er das freilich nicht.
Atome bestehen aus einem winzigen Kern, der
Erzeugung durch Erzeugung durch von einer vergleichsweise großen Elektronenhülle um­
Ladungen Ströme geben ist. Auch wenn das Bild nicht genau stimmt,
darf man zuweilen so tun, als kreisten die Elektronen
Feldlinien beginnen Feldlinien bilden
in dieser Hülle um den Kern herum wie Planeten um
an positiven und geschlossene Ringe
eine Sonne. Ein kreisendes Elektron repräsentiert aber
enden an negativen um Ströme
einen elektrischen Kreisstrom und damit einen ele­
Ladungen
mentaren magnetischen Dipol. Dabei gibt es nun zwei
Kraft auf Ladungen Kraft auf bewegte grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten:
Ladungen (Ströme) 55 Die verschiedenen Elektronen einer Hülle können
ihre Kreisbahnen so legen, dass sich ihre magneti­
Coulomb-Kraft steht Lorentz-Kraft steht
6 parallel zu den senkrecht zu den
schen Dipolmomente kompensieren und sich nur
in einem äußeren Feld mehr oder weniger ausrich­
Feldlinien
 und hängt Feldlinien
 und hängt ten; dann ist das Atom als Ganzes unmagnetisch,
an E an B kann aber magnetisiert werden – solche Substan­
zen nennt man diamagnetisch.
55 Die Kompensation kann aber auch von vornherein
misslingen; dann besitzt das einzelne Atom ein ma­
stärkt, der relative Permeabilität heißt und gnetisches Moment, das nur deswegen makrosko­
bei guten Materialien einen Wert von 1000 pisch nicht in Erscheinung tritt, weil die thermische
bis 10.000 annehmen kann. Erst diese enorme Bewegung die Richtungen aller Dipole ständig
Verstärkung des magnetischen Feldes und durcheinanderwirbelt; ein äußeres Feld kann sie
aber ausrichten – solche Substanzen nennt man
damit der Lorentz-Kräfte macht kleine und
paramagnetisch (elektrische Analogie wäre die Ori­
preiswerte Elektromotoren möglich. Der entierungspolarisation; 7 Abschn. 6.2.4). Parama­
Kernspintomograf (7 Abschn. 8.2.1), bei gnetische Atome geben z. B. die Signale, die bei der
dem der Patient in ein hohes Magnetfeld ge­ Kernspinresonanztomografie (7 Abschn. 8.2.1)
bracht wird, kann diesen Verstärkungseffekt beobachtet werden.
leider nicht nutzen, da ja der Patient in die
Ob diamagnetisch, ob paramagnetisch – die Magne­
Spule muss. Unter anderem auch deshalb ist
tisierung durch ein äußeres Feld bleibt gering. Man­
das Gerät so teuer. che paramagnetischen Atome richten sich aber spon­
Oft wird das magnetische Feld mit dem tan im Feld ihrer Nachbarn aus und bilden dann im
elektrischen verglichen und dabei werden Kristall Domänen gleichgerichteter Magnetisierung.
die Ähnlichkeiten herausgestellt. Aber Solange viele Domänen durcheinander liegen, macht
sich auch das zunächst nach außen kaum bemerkbar.
eigentlich sind die Felder recht verschieden.
In einem äußeren Feld wachsen aber die Domänen
. Tab. 6.1 vergleicht die Felder miteinander. mit „richtig gerichteter“ Magnetisierung auf Kosten
der anderen. Das geht relativ leicht, denn kein Atom
Magnetische Materialien braucht dafür seinen Gitterplatz zu verlassen. Die
Verschiedene Substanzen können höchst unterschied­ Magnetisierung ist kräftig und kann bis zur vollstän­
liche magnetische Eigenschaften haben. Eine Kom­ digen Ausrichtung, bis zur Sättigung, steigen. Je
passnadel stellt einen permanenten magnetischen Di­ mehr Magnetisierung nach Abschalten des äußeren
pol dar; einmal aufmagnetisiert behält sie ihre Feldes übrigbleibt, desto „härter“ ist das Ferromag­
Magnetisierung (weitgehend) bei – Substanzen dieser netikum. Freilich steht die thermische Bewegung der
Art bezeichnet man als harte Ferromagnetika (auch Domänenbildung entgegen; oberhalb seiner Cu­
wenn sie gar kein Eisen enthalten). Die Eisenfeilspäne, rie-Temperatur wird jeder Ferromagnet zum Parama­
die auf glattem Karton Feldlinienbilder produzierten, gneten.
liefern ebenfalls kleine, aber durchaus makroskopi­ Das magnetische Feld im Innern einer gestreckten
sche magnetische Dipole, dies aber nur, solange sie Spule ist homogen, variabel und berechenbar, aber es
sich in einem äußeren Magnetfeld befinden; im feld­ ist schwer zugänglich: Die Spule steht im Wege. Voll­
freien Raum verlieren sie (weitgehend) ihre Magneti­ ends unzugänglich wird das magnetische Feld, wenn
sierung – Substanzen dieser Art nennt man weiche man zur Erhöhung der Flussdichte einen ferromagne­
6.10 · Induktion
257 6
tischen „Weicheisenkern“ mit hoher Permeabilität ein­
schiebt (aus magnetisch, nicht mechanisch weichem 13 N = 0,65 Nm. Das schafft ein Mecha­
Eisen): Jetzt kann man nur noch im äußeren Streufeld niker mit seinem Schraubenschlüssel mit
experimentieren. Aber auch dieses Feld lässt sich ho­
mogen machen, wenn man nämlich den Eisenkern zu
Leichtigkeit. Eine Straßenbahn be­
einem U biegt und seinen Schenkeln Polschuhe auf­ kommt man damit nicht in Bewegung.
setzt, die sich auf kurzem Abstand mit planparallelen Deshalb findet sich in einem Elektromo­
Oberflächen gegenüberstehen. Das Magnetfeld läuft, tor immer ferromagnetisches Eisen, das
soweit ihm das irgend möglich ist, im Bereich hoher das Feld verstärkt.
Permeabilität, also im Eisen. An den Polschuhen hilft
es ihm aber nichts, es muss in die Luft übertreten und
nun bei μr = 1 eine vergleichsweise hohe magnetische
Feldstärke erzeugen. Schneidet man die Polschuhe 6.10 Induktion
schräg an, so lassen sich auch Felder mit definierter
Inhomogenität erzeugen. 6.10.1 Einführung

Für die Lorentz-Kraft hat nur die Bewegung


Rechenbeispiel 6.16: Luftspule der Ladungsträger Bedeutung, nicht deren
Aufgabe. Eine Spule mit 1000 Windun­ Ursache. Liegt sie, wie in 7 Abschn. 6.2.2
gen sei 10 cm lang und werde von einem besprochen, in einem elektrischen Feld, das
Strom von 10 A durchflossen. Welche die Elektronen einen Draht entlang zieht, so
magnetische Flussdichte ergibt sich im weichen sie im Magnetfeld quer zum Draht
Inneren? aus und nehmen ihn mit; Resultat ist eine
Lösung. mechanisch nachweisbare Kraft.
1000 × 10 A A . Denkbar wäre aber auch dies: Man be­
B = m0 = m0 × 105 = 0,126 T wegt den Draht „von Hand“ quer zu sich
0,1 m m
selbst durch das Magnetfeld, nimmt also die
Elektronen mechanisch mit. Wieder wei­
chen sie quer zu Feld und Bewegung aus,
Rechenbeispiel 6.17: Motor aus Draht diesmal also in Längsrichtung des Drahtes,
und Luft und sammeln sich an seinem Ende. Resultat
Aufgabe. Wir wollen einmal abschätzen, ist eine Spannung und, wenn der Leiterkreis
was ein Elektromotor ohne Eisen schaf­ außerhalb des Feldes geschlossen ist, ein
fen kann. Wir nehmen die Anordnung elektrischer Strom (. Abb. 6.73).
der . Abb. 6.78 und setzen sie in das Die Vorhersage des Modells lässt sich
eben berechnete Magnetfeld. Statt einer leicht experimentell bestätigen. Mit der
Leiterschleife nehmen wir eine recht­ drehbaren Leiterschleife aus . Abb. 6.71
eckige Spule mit 1000 Windungen und kann man den Versuch sogar periodisch
den Abmessungen 10 cm in Drehachsen­ wiederholen; man ersetzt die Spannungs­
richtung und 5 cm senkrecht zur Dreh­ quelle durch einen Spannungsmesser und
achse. Welche Kräfte und welches Dreh­ dreht die Schleife mit einer Handkurbel
moment wirken maximal auf diese (. Abb. 6.74). Ergebnis ist eine Wechsel­
Drehspule, wenn 1 A hindurchfließt? spannung. Nach diesem Prinzip arbeiten die
Lösung. Die Lorentz-Kraft auf einen Generatoren der Elektrizitätswerke in aller
achsenparallelen Teil der Spule beträgt Welt. Wer freilich die Schleife nicht dreht,
1000-mal die Kraft auf einen einzelnen sondern nur in Richtung der Feldlinien par­
Leiter: FL = 1000 · 0,1 m · 1 allel verschiebt (. Abb. 6.75), der darf
A · 0,126 T = 13 N. Das maximale Dreh­ keine Spannung erwarten: Für die Lo­
moment ist dann T = 5 cm · rentz-Kraft zählt ja nur eine Bewegungs­
komponente quer zum Feld.
258 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

6 ..      Abb. 6.73 Induktion. Bewegt man einen Draht mit


..      Abb. 6.75 Zur Induktion. Keine Spannung wird
induziert, wenn man die Schleife parallel zum Magnet-
der Geschwindigkeit v quer zu einem Magnetfeld (das feld bewegt
im Bild nach hinten weist), so wird an seinen Enden
eine Spannung induziert. Ist der Leiterkreis außerhalb
des Magnetfeldes geschlossen, so fließt ein Strom I

..      Abb. 6.76 Zur Induktion. Keine Spannung wird


..      Abb. 6.74 Generator. Dreht man eine Leiter­ induziert, wenn man die Schleife parallel zu sich selbst
schleife im Magnetfeld wie gezeichnet, so wird eine in einem homogenen Magnetfeld verschiebt
Wechselspannung induziert. Animation im Web

Es mag auf den ersten Blick überra­ inhomogenen Feld tun sie dies nicht; sie sind
schen, aber auch dann, wenn man die kom­ ja nicht gleich.
plette Drahtschleife quer zum Feld ver­ Denkbar wäre schließlich noch, dass
schiebt (. Abb. 6.76), erhält man keine man die beiden in Frage stehenden Draht­
Spannung, jedenfalls so lange nicht, wie stücke in entgegengesetzten Richtungen ver­
man im homogenen Teil des Magnetfeldes schiebt (. Abb. 6.77); das geht nur mit Ge­
verbleibt. Eine genauere Überlegung besagt: walt, weil man die Schleife verbiegen muss.
Wohl zieht die Lorentz-Kraft die Elektro­ Immerhin weisen die Lorentz-Kräfte in die­
nen im oberen und im unteren Horizontal­ sem Fall geografisch in entgegengesetzte
draht der Schleife zur Seite, aber beide Male Richtungen und addieren die von ihnen er­
in der gleichen geografischen Richtung; im zeugten Spannungen in der Masche.
Umlaufsinn der Maschenregel stehen die Die Ergebnisse der fünf Gedankenversu­
Spannungen darum gegeneinander und he­ che, die man alle praktisch ausführen kann,
ben sich, da ihre Beträge gleich sind, auf. Im sind in . Tab. 6.2 zusammengefasst.
6.10 · Induktion
259 6

Gibt es einen übergeordneten Gesichts­ tor und den Magnetfeldlinien. Steht B
punkt, der die beiden spannungsliefernden senkrecht auf der Fläche, sind B und A
Fälle von den anderen unterscheidet? Ja, es also parallel, so ist dieses Skalarprodukt ein­
gibt ihn. Eine Spannung tritt immer dann fach gleich
  dem Produkt der Beträge B und
auf, wenn der magnetische Fluss Φ, der die A: F = B × A .
Schleife durchsetzt, sich ändert. Der magne­ Dreht die Schleife aber im Magnetfeld um
tische Fluss ist, grob gesprochen, die Zahl den Winkel α, dann wird Φ kleiner – von der
der Feldlinien, die durch die Schleife hin­ tatsächlichen Fläche zählt ja nur die Kompo­
durchtreten. Mathematisch präziser ist er nente, die quer im Feld steht und wirklich
das Skalarprodukt
 aus der magnetischen
 von ihm durchsetzt wird. Rotiert die Schleife,
Flussdichte B und der Fläche A , die von wie in Fall 1 der . Tab. 6.2, so ändert sich
der Schleife umrandet wird: der magnetische Fluss also periodisch. Im 4.
 Fall bleibt A konstant, B aber nicht, und im
F = B × A = B × A × cos a . 5. Fall wird A gewaltsam verändert.
Diese Deutung verleitet zu einer kühnen
Hier ist diese Fläche als Vektor angegeben. Hypothese: Wenn es nur auf eine Änderung
Dieser Vektor soll senkrecht auf der Fläche des wirksamen Flusses Φ ankommt, dann
stehen und sein Betrag ist der Flächeninhalt. muss man eine Spannung auch ohne jede
α ist der Winkel zwischen dem Flächenvek­ mechanische Bewegung induzieren können,
indem man eine Induktionsschleife zwischen
die Windungen einer Magnetspule schiebt
und den Spulenstrom ein- oder ausschaltet.
In der Tat: Das Experiment bestätigt diese
Erwartung! Genaue Messungen führen zum
Induktionsgesetz:

Induzierte Spannung U ind = dF / dt.

(Oft steht hier in Lehrbüchern ein negatives


Vorzeichen. Dies ist nur eine Frage der Vor­
zeichenkonvention).

>>Merke
..      Abb. 6.77 Zur Induktion. Spannung wird indu­ Induktionsgesetz: In eine Leiterschleife
ziert, wenn man die Leiterschleife im Magnetfeld ver­ induzierte Spannung
biegt

..      Tab. 6.2 Ergebnisse der fünf Gedankenversuche

Gedankenversuch Schleife Feld Resultat

1 Rotiert Homogen oder inhomogen Wechselspannung


2 Gleitet parallel zum Feld Homogen oder inhomogen Keine Spannung
3 Gleitet quer zum Feld Homogen Keine Spannung
4 Gleitet quer zum Feld Inhomogen Spannung
5 Wird verformt Homogen oder inhomogen Spannung
260 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

U ind = dF / dt.
diesen Querschnitt variiert mit dem Dre­
Magnetischer Fluss Φ: „Zahl der Feldli­
hen der Spule gemäß Φ = B ⋅ A ⋅ sin (ω ⋅ t).
nien durch die Leiterschleife“.
Die Zeitableitung ist gemäß Kettenregel
Das ist die in einer einzelnen Leiterschleife dF
= w × B × A × cos (w × t ) . Die maximale
induzierte Spannung. Eine Spule mit N dt
Windungen besteht aus N solcher Leiter­ Flussänderung ist also:
schleifen hintereinander. In sie wird also die æ dF ö
ç ÷ = w × B × A = 100s -1 × 0,126T × 5 ×10-3 m 2
N-fache Spannung induziert: è dt ømax
T × m2
dF = 0, 063 = 0, 063 V.
Spule : U ind =N× . s
dt Da die Drehspule 1000 Windungen hat,
ist die induzierte Spannung 1000-­mal so
6 Sind die Enden der Induktionsspule über
groß: 63 V. Richtige Generatoren mit
einen Widerstand leitend miteinander ver­
Eisenkern können etliche Kilovolt lie­
bunden, so gehört zu der induzierten Span­
fern.
nung auch ein Strom und als Produkt beider
eine in Stromwärme umgesetzte elektrische
Leistung. Sie muss, dem Energiesatz ent­
sprechend, von demjenigen aufgebracht 6.10.2 Transformatoren
werden, der z. B. die Spule im Magnetfeld
dreht. Dies fällt umso schwerer, je höher der Wer die Spule eines Elektromagneten mit
Leitwert des Widerstandes ist: Durch In­ Wechselspannung „füttert“, bekommt ein
duktion kann mechanische Energie in magnetisches Wechselfeld, in das er nur eine
­elektrische umgewandelt werden, unmittel­ zweite Spule hineinzuhalten braucht, um in
bar und ohne Zeitverzögerung. ihr eine frequenzgleiche Wechselspannung
Darin liegt die Aufgabe der Elektrizitäts­ induziert zu erhalten. Die Spannung wird
werke und ihr Problem zugleich: Sie können umso größer ausfallen, je mehr Windungen
elektrische Energie nicht auf Vorrat halten; die Sekundärspule hat und je vollständiger
die Turbine, die den Generator dreht, muss sie vom magnetischen Fluss der Primärspule
jederzeit just diejenige Leistung an ihn ab­ durchsetzt wird. Um eine vorgegebene
liefern, die alle Verbraucher zusammen am Wechselspannung auf einen anderen Effek­
anderen Ende der Leitung elektrisch verlan­ tivwert zu transformieren, wickelt man am
gen (plus Leitungs- und Reibungsverluste). besten beide Spulen auf die Schenkel eines
geschlossenen Eisenkerns (. Abb. 6.78).
Rechenbeispiel 6.18: Generator aus Es leuchtet auf den ersten Blick ein, dass
Luft und Draht der Effektivwert US der in der Sekundär­
Aufgabe. Die in 7 Rechenbeispiel 6.17 spule induzierten Wechselspannung propor­
als Motor betrachtete Anordnung kann tional zu deren Windungszahl NS ist. Kei­
auch als Generator gedacht werden, der neswegs auf den ersten Blick leuchtet freilich
eine Wechselspannung liefert. Wie groß ein, dass US zur Windungszahl NP der Pri­
ist ihr Maximalwert, wenn die Rechteck­ märspule umgekehrt proportional ist. Eine
spule mit einer Winkelgeschwindigkeit korrekte Begründung erfordert mehr Auf­
ω = 100 s−1 rotiert? wand als die damit gewinnbare Erkenntnis
Lösung. Die Querschnittsfläche der rechtfertigt – Hinweise gibt der folgende
Spule beträgt A = 0,1 m · 0,05 m = 5 · 7 Abschn. 6.10.3. Jedenfalls erlaubt ein
10−3 m2. Der magnetische Fluss durch Transformator, Wechselspannungen nicht
nur herabzusetzen (das könnte ein Span­
6.10 · Induktion
261 6
Steckdosen liefern Wechselstrom, weil mit
Gleichspannung keine Transformatoren be­
trieben werden können. Die sind aber nach
dem heutigen Stand der Technik unerläss­
lich für die allgemeine Versorgung mit elekt­
rischer Energie. Nur sie erlauben den Um­
spannwerken, die Leistung, die eine Stadt
mit 230 V umsetzen will, aus der Fernleitung
mit 340 kV zu beziehen, also mit rund einem
Tausendstel des Stromes und rund einem
Millionstel an Leitungsverlusten durch
Stromwärme.
..      Abb. 6.78 Experimentiertransformator mit win­
dungsreicher Primärspule (links) und windungsarmer
Sekundärspule (rechts) zur Erzeugung hoher Ströme Rechenbeispiel 6.19: Hoher Strom aus
bei kleiner Spannung. Hier wird mit etwa 300 A ein
der Steckdose
Nagel zum Glühen gebracht und durchgeschmort
Aufgabe. Der Transformator in . Abb.
6.78 habe primärseitig 500 und sekundär­
nungsteiler ja ebenfalls), er vermag sie auch
seitig fünf Windungen und werde an die
heraufzusetzen. Das Übersetzungsverhält­
Steckdose (230 V) angeschlossen. Welche
nis zwischen Primärspannung UP und Se­
Spannung ergibt sich ungefähr auf der
kundärspannung US entspricht dem Ver­
Sekundärseite und welcher Strom kann
hältnis der Windungszahlen NP und NS:
sekundärseitig gezogen werden, bevor die
U S NS 16 A Sicherung hinter der Steckdose „he­
= . rausfliegt“?
U P NP
Lösung. Das Windungsverhältnis ist
100:1. An der Sekundärseite ist die
Genau gilt dies allerdings nur, wenn die Spannung etwa 2,3 V und der Strom
Ohm’schen Widerstände der Spulen ver­ kann bis auf ca. 1500 A ansteigen. Es ist
nachlässigt werden. ein schöner Vorlesungsversuch, mit die­
Da die elektrische Leistung P = U · I, die sem Trafo einen dicken Eisennagel
in den Transformator hineingeht, auch wie­ durchzuschmelzen.
der herauskommen muss, gilt für die Ströme
an Primär- und Sekundärseite gerade das
Umgekehrte: 6.10.3 Selbstinduktion
IS N P
= . Fließt durch eine Spule ein Strom, so erzeugt
I P NS dieser ein Magnetfeld in der Spule und damit
auch einen magnetischen Fluss durch die
Deshalb kann der Transformator in Spule. Ändert sich dieser Strom, so ändern
. Abb. 6.78 auf der Sekundärseite sehr sich auch das Magnetfeld und der Fluss. Ein
hohe Ströme liefern. sich ändernder magnetischer Fluss induziert
aber eine Spannung in die Spule, auch dann,
>>Merke wenn die Spule den Fluss selbst verursacht.
Übersetzungsverhältnis des Transforma­
Hier beißt sich die Spule sozusagen in den
tors:
eigenen Schwanz. Das nennt man dann
U S NS
= . Selbstinduktion. Mathematisch sieht das so
U P Np aus: Das Feld in der Spule ist
262 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

N ×I
B = m0 × m r × .
l

Der Fluss durch die Spule ist dieses Feld mal


der Querschnittsfläche A der Spule. Die in­
duzierte Spannung ist dann:

dF Am m N dI dI
U ind = N × =N× 0 r = L× .
dt l dt dt

Die Abkürzung L nennt man die Induktivi­


tät der Spule mit der Einheit 1 Vs/A = 1 H
(Henry).
6
>>Merke
Selbstinduktion: Induktion einer Spule
auf sich selbst
dl
U ind = L ×
dt
L = Induktivität der Spule
Nun hat eine Spule auch immer einen Ohm’­
schen Widerstand R. Die gesamte Spannung
an der Spule ist immer die Summe aus der
induzierten Spannung und dem Spannungs­
abfall UR am Ohm’schen Widerstand:
..      Abb. 6.79 Selbstinduktion. Die Batteriespannung
dI U0 teilt sich so in induzierte Spannung Ui(t) und
U 0 = U R + U ind = R×I + L . Ohm-Spannungsabfall UR(t) auf, dass der Strom I(t)
dt träge auf seinen Endwert I0 zuläuft (nicht maßstabs­
gerechte Skizze)
Wird nun die Spannung U0 z. B. einer Batte­
rie an die Spule gelegt, so kann Uind diese funktion ihre Hand im Spiel hat, wie
Batteriespannung U0 nicht überschreiten, . Abb. 6.79 zeigt. Durch die Selbstinduk-
sonst hätten wir gerade ein Perpetuum mo­ tion wird der elektrische Strom träge, der In­
bile erfunden, das die Batterie aus dem duktionsvorgang wirkt seiner Ursache ent­
Nichts auflädt. Wenn aber Uind einen Höchst­ gegen (Lenz’sche Regel).
wert nicht überschreiten kann, dann können
es die Anstiegsgeschwindigkeiten des Flus­ Magnetische Feldenergie
ses und des Stromes dI/dt auch nicht. Folg­ Die Energie, die I und UR zusammen im Widerstand
lich steigt der Strom beim Einschalten mit der Spule umsetzen, wird zu Joule’scher Wärme, nicht
begrenzter Geschwindigkeit an. Wenn er aber die zu I und Uind gehörende Energie: Diese findet
sich im magnetischen Feld wieder. Ganz analog zum
aber steigt, dann verlangt der Spulenwider­ elektrischen besitzt auch ein magnetisches Feld der
stand R einen mit der Zeit wachsenden An­ Stärke B eine
teil an der Batteriespannung U0 als Span­ 1
Energiedichte w = B2.
nungsabfall UR. Für Uind bleibt immer m r × m0
weniger übrig, Die zugehörige Feldenergie wird beim Abschalten ei­
dI/dt muss immer kleiner werden. Wen nes Magnetfeldes frei; für große Elektromagneten ist
wundert’s, dass auch hier die Exponential­ das durchaus ein Problem. Schaltet man nämlich den
6.10 · Induktion
263 6
Spulenstrom plötzlich ab, so versucht die Selbstinduk­ addieren sie sich zum Gesamtwiderstand R,
tion auch jetzt, ihre eigene Ursache zu behindern, den so gilt zu jedem Zeitpunkt t:
Abbau des Feldes also – d. h. aber, dass sie jetzt die
Batteriespannung unterstützt. Dem sind jedoch keine
Grenzen nach oben gesetzt: Möglicherweise reicht die
U ind ( t ) + R × I ( t ) = 0.
induzierte Spannung aus, einen Lichtbogen über dem
Schalter zu zünden, der diesen zerstört – das Magnet­ Uind(t) hängt aber über L an dI/dt. Daraus
feld aber (zunächst) erhält. Große Elektromagnete folgt
lassen sich nur langsam abschalten.
dI ( t ) R
Wer die Trägheit des Stromes als Folge der =- × I (t ).
dt L
Selbstinduktion beobachten will, dem sei
die Schaltung der . Abb. 6.80 empfohlen. Mit anderen Buchstaben ist diese Differen­
Hier muss zwar die Batterie neben dem zialgleichung schon häufiger aufgetaucht,
Strom durch die Spule auch noch einen zuletzt bei der Kondensatorentladung in
zweiten durch den Schutzwiderstand RS lie­ 7 Abschn. 6.5.5. Deshalb kann die zugehö­
fern, das Instrument misst ihn aber nicht rige e-Funktion leicht hingeschrieben wer­
mit. Der allein gemessene Strom in der Spule den:
steigt nach dem Einschalten so träge an, wie
er es ohne den Schutzwiderstand auch täte; -
t
jetzt kann man aber den Schalter gefahrlos I (t ) = I0 × e t

öffnen. Für die Spule wird der Stromkreis ja


nicht unterbrochen, sie kann sich über den mit der Zeitkonstanten τ = L/R.
Schutzwiderstand „entladen“. Vom Instru­
ment angezeigt, fließt der Strom noch eine >>Merke
Weile „träge“, nämlich in der alten Rich­ RL-Glied aus Spule und Widerstand:
t
tung, weiter (. Abb. 6.81). -
I (t ) = I0 × e t
Wenn man in . Abb. 6.80 den Schalter
öffnet, so muss von diesem Moment an die t = L / R = Zeitkonstante;
selbstinduzierte Spannung Ui ganz allein „Trägheit des elektrischen Stromes“.
den Strom nicht nur durch die Spule, son­
dern auch durch den Schutzwiderstand trei­ Schneller runter
ben. Sind beide Widerstände ohmsch und Frage. Warum fällt in . Abb. 6.81 der
Strom mit kürzerer Zeitkonstanten ab,
als er zuvor angestiegen ist?

..      Abb. 6.80 Schaltung zur Beobachtung der Selbst-


induktion. Der Schutzwiderstand RS gestattet die all­ ..      Abb. 6.81 Trägheit des Stromes. In der Schaltung
mähliche „Entladung“ der Induktionsspule nach Öff­ der . Abb. 6.80 steigt der Strom nach Schließen des
nen des Schalters. Rechts: Schaltzeichen eines Schalters träge auf seinen Endwert und fällt nach Öff­
Elements mit (merklicher) Induktivität nen mit kürzerer Zeitkonstante wieder ab
264 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Er steigt mit der Kreisfrequenz ω der Wech­


Antwort. In der Anstiegszeitkonstan­ selspannung an, hat also den gerade entge­
ten steht nur der Ohm’sche Widerstand gengesetzten Frequenzgang wie RC.
der Spule (wenn wir die Innenwiderstände
von Batterie und Strommesser vernach­ >>Merke
lässigen können). In der Zeitkonstanten Induktiver Widerstand
für den Stromabfall steht zusätzlich RS. RL = w × L.
Der Strom hinkt der Spannung um 90°
nach.
6.10.4 Induktiver Widerstand Weiterhin führt ein rein induktiver Wider­
stand wie ein kapazitiver einen im zeitlichen
Verlangt man von einer Spule ohne Ohm’­ Mittel leistungslosen Blindstrom: Er entzieht
6 schen Widerstand, aber mit der Induktivität der Spannungsquelle für eine Viertelschwin­
L, dass sie einen Wechselstrom gungsdauer Energie, um das Magnetfeld auf­
zubauen, und liefert sie in der nächsten Vier­
I ( t ) = I 0 × sin (w × t ) telschwingungsdauer aus dem zerfallenden
Magnetfeld wieder zurück (. Abb. 6.82).
führt, dann verlangt sie ihrerseits eine von Allerdings lassen sich nur für relativ hohe
einem Generator anzuliefernde Wechsel­ Frequenzen Spulen wickeln, deren ohmscher
spannung Widerstand klein gegenüber dem induktiven
ist. Wird aber in merklichem Umfang Strom­
U g ( t ) = U 0 × sin (w × t + j ) . wärme entwickelt, so bekommt die Span­
nungsquelle nur einen Teil der in der letzten
die der auf sich selbst induzierten Spannung Viertelschwingung abgegebenen Energie in
Uind entspricht. Nach den Überlegungen des
vorigen 7 Abschn. 6.10.3 gilt:

dI ( t )
U g = U ind ( t ) = L × = w × L × I 0 cos (w × t )
dt
æ pö
= w × L × I 0 sin ç w × t + ÷ .
è 2ø

Im Gegensatz zum Kondensator führt die


Spule einen um 90° nachhinkenden Wechsel­
strom, nämlich eine dem Strom vorausei-
lende Wechselspannung. Analog zum kapa­
zitiven Widerstand RC eines Kondensators
(7 Abschn. 6.4.2) lässt sich demnach für die
Spule ein induktiver Widerstand RL definie­
ren:
..      Abb. 6.82 Blindleistung. Bei rein induktiver Last
U eff U 0 läuft die Spannung dem Strom um 90° voraus; im zeit­
RL = = = w × L.
I eff I0 lichen Mittel fließt ein leistungsloser Blindstrom (vgl.
. Abb. 6.34 und 6.35)
6.11 · Elektrische Schwingungen
265 6
der nächsten wieder ­zurück. Die Folge ist ein einem Wechselstromwiderstand (Impedanz),
Phasenwinkel φ < 90° und eine der einen komplizierten Frequenzgang hat
und bei dem auch die Phasenverschiebung
Wirkleistung P = U eff × I eff × cos j . frequenzabhängig wird.

Beim Transformator hat die Belastung der


Sekundärspule Einfluss auf den Phasenwin­ 6.11 Elektrische Schwingungen
kel und damit auf die Leistungsaufnahme
im Primärkreis. Die Formel für die Wirkleis­ 6.11.1 Schwingkreis !
tung gilt übrigens allgemein, also auch für
Kondensatoren mit Leckwiderständen. Bei Eine besonders interessante Situation ergibt
rein Ohm’scher Last ist φ = 0 und somit sich, wenn man eine Spule und ein Konden­
φ = 1. sator zusammenschaltet. Dann entsteht ein
Schaltungstechnisch stellen Kondensa­ schwingungsfähiges Gebilde, ein elektri­
tor und Spule Wechselstromwiderstände mit sches Pendel sozusagen. Wie dieses Schwin­
gegenläufigem Frequenzgang und Phasen­ gungen ausführen kann, soll anhand
verschiebung dar. Schaltet man beide ir­ . Abb. 6.83 erläutert werden, und zwar zu­
gendwie mit Ohm’schen Widerständen zu­ nächst nur mit den linken Teilbildern. Die
sammen, so erhält man eine Schaltung mit rechten Teilbilder dienen später dem Ver­

..      Abb. 6.83 Elektrischer Schwingkreis in Analogie zum Federpendel. Einzelheiten im Text. Beim Schwingkreis
pendelt die Energie zwischen dem E-Feld im Kondensator und B-Feld in der Spule hin und her
266 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

gleich mit dem mechanischen Federpendel Schwingkreis hat eine volle Schwingung
(7 Abschn. 4.1.2). absolviert.
Zunächst soll der Kreis noch unterbro­ Die rechten Teilbilder der . Abb. 6.83
chen und der Kondensator von außen auf zeigen die Analogie zum mechanischen Fe­
eine bestimmte Spannung U0 aufgeladen derpendel (. Abb. 4.1); es ändert nichts am
sein. Schließt man jetzt den Stromkreis Prinzip, dass hier die Pendelmasse zwischen
(. Abb. 6.83, oben links), so entlädt sich der zwei Schraubenfedern eingespannt ist: Sie
Kondensator. Wäre die Spule nur ein ver­ addieren lediglich ihre Federkonstanten.
schwindend kleiner Ohm’scher Widerstand, Wie der Vergleich zeigt, entspricht die
so gäbe es einen kurzen und kräftigen Spannung UC am Kondensator der Auslen­
Stromstoß – und alles wäre vorbei. Hierzu kung x des Federpendels, die Energie WE
gehörte aber ein sehr steiler Anstieg des des elektrischen Feldes der potenziellen
Stromes auf hohe Werte, unmittelbar ge­ Energie Wpot in den Federn und die Energie
6 folgt von einem kaum weniger steilen Ab­ WB des magnetischen Feldes in der Spule
fall; dagegen wehrt sich die Spule mit ihrer der kinetischen Energie Wkin der Pendel­
Selbstinduktion aber ganz entschieden: masse. Es kann kaum überraschen, dass
In dem Moment, in dem die Spule ange­ dann auch Kapazität C und Federkonstante
schlossen wird, übernimmt sie die volle Span­ D einerseits sowie Induktivität L und Masse
nung U0, die der Kondensator ja zunächst m des Pendelkörpers andererseits einander
noch hat. Damit erlaubt sie dem Strom eine entsprechen. Wer dies nicht glauben will,
ganz bestimmte, durch ihren Selbstindukti­ kann den mathematischen Beweis weiter
onskoeffizienten L begrenzte Anstiegsge­ unten nachlesen.
schwindigkeit dI/dt = U0/L. Dementspre­
chend entlädt sich der Kondensator und ist >>Merke
nach einer Weile leer. Ein elektrischer Schwingkreis besteht
Aus der Perspektive des Kondensators aus Kondensator und Spule (Kapazität
könnte alles vorbei sein, aber wieder erhebt und Induktivität).
die Spule Einspruch: Sie hat inzwischen ein Grundsätzlich sollte der Schwingkreis rein
Magnetfeld aufgebaut (2. Teilbild), das sinusförmige Schwingungen konstanter Am­
nicht einfach und folgenlos wieder zerfal­ plitude ausführen (. Abb. 6.84 oben). Das
len kann. Es verlangt, dass der Strom noch kann er freilich nur, wenn er nirgendwo
eine Weile in der alten Richtung weiter­ Wärme entwickelt und (wie sich später noch
fließt, schwächer werdend, aber immerhin. herausstellen wird) keine elektromagnetische
Damit wird der Kondensator aber wieder Welle abstrahlt.
aufgeladen. Tatsächlich geht ihm Schwingungs­
Ist das Magnetfeld verschwunden, hat energie verloren, die Spannungsamplitude
der Kondensator seine alte Spannung, nur am Kondensator wird von Mal zu Mal
mit entgegengesetztem Vorzeichen (3. Teil- kleiner: Die Schwingung ist gedämpft (2.
bild). Jetzt muss die Spule einen Strom in Teilbild).
Gegenrichtung erlauben. Durch einen variablen Widerstand im
Hat sich der Kondensator erneut entla­ Kreis lässt sich die Dämpfung einstellen. Er­
den, ist auch das Magnetfeld wieder vor­ höht man sie, so kann die Schwingung ganz
handen, aber in umgekehrter Richtung unterbleiben (aperiodischer Grenzfall, 3.
(unten links). Um zerfallen zu können, er­ Teilbild) und schließlich in den exponentiel­
zwingt es in der Spule wieder einen Strom, len Abfall der Kondensatorentladung des
der den Kondensator auflädt – just bis in reinen RC-Gliedes übergehen (Kriechfall,
die Situation, die zu Beginn vorlag: Der unten).
6.11 · Elektrische Schwingungen
267 6

..      Abb. 6.85 Schwingkreis. Prinzipschaltung eines


Schwingkreises mit variablem „Drehkondensator“ zur
Einstellung der Frequenz und variablem Widerstand
zur Einstellung der Dämpfung

und mit variablen Schwingkreisen erzeugen.


Die Prinzipschaltung eines solchen Schwing­
kreises mit einstellbarer Frequenz und Dämp­
fung zeigt . Abb. 6.85. Aus technischen Grün­
den hält man die Induktivität der Spule meist
unverändert oder schaltet sie in groben Stufen.
Die einzelnen Kurven der . Abb. 6.84 sind so
entstanden und von einem Speicheroszillogra­
fen abfotografiert worden.
Auch ein gedämpfter elektrischer
Schwingkreis kann – ganz analog zum me­
chanischen Pendel – ungedämpfte freie
Schwingungen ausführen, wenn man über
eine Selbststeuerung immer wieder im richti­
gen Augenblick die verloren gegangene Ener­
gie nachliefert. Dazu zweigt man z. B. von der
Induktionsspule eine kleine Hilfsspannung
ab und gibt sie auf die Steuerelektrode eines
Transistors. Erfolgt dies phasenrichtig, kann
die vom Transistor geschaltete Spannungs­
quelle den Kondensator jeweils im rechten
Moment auf die volle Ausgangsspannung
aufladen. Dann ist die Schwingung zwar
nicht exakt sinusförmig, bei kleiner Dämp­
fung spielt die Abweichung aber keine Rolle.
Die Frequenz der freien Schwingung liegt bei

1
w0 = .
..      Abb. 6.84 Dämpfung. Spannung am Kondensator L ×C
eines elektrischen Schwingkreises; die Figuren sind
vom Bildschirm eines Speicheroszillografen abfoto­ Dies ist die Eigenfrequenz des elektrischen
grafiert. Von oben nach unten: ungedämpfte Schwin­ Schwingkreises.
gung, gedämpfte Schwingung, aperiodischer Grenz­
fall, Kriechfall
>>Merke
Elektrischer Schwingkreis:
Elektrische Schwingungen lassen sich recht 1
bequem mit einem Oszillografen beobachten Eigenfrequenz w0 = .
L×C
268 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Schwingungsgleichung elektrisch
Die Analogie zwischen mechanischen und elektri­ stiftstummel wickeln (3 cm lang, 7,5 mm
schen Schwingungen lässt sich mathematisch begrün­ Durchmesser). Wie viele Windungen
den: Beide halten sich an dieselbe Differenzialglei­
braucht er?
chung, wenn auch mit unterschiedlichen Buchstaben
und entsprechend unterschiedlichen physikalischen Lösung. Der Schwingkreis soll
Bedeutungen. schwingen mit:
Beim reibungslosen mechanischen Federpendel 1
w = 2p × 108 s -1 = .
löst die Auslenkung x(t) eine rücktreibende und da­ L×C
rum negative Kraft
Also brauchen wir ein
F ( x ) = - D × x (t ) 1 1
L= =
aus (D = Federkonstante). Diese Kraft beschleunigt
die Pendelmasse m nach dem Grundgesetz der Mecha­
( w2 × C ) ( 3,95 × 1017 s -2 × 2,5 × 10-11 F )
-7 2
nik = 1, 0 × 10 H = mr × m0 × N × A / l.
6 d2
a (t ) = 2 x (t ) =
F (t ) D
= - × x (t ). Der Bleistift ist nicht ferromagnetisch,
dt m m
also μr = 1. Die Querschnittsfläche ist
Das ist die einfachste Form der Schwingungsdifferen­
A = π ⋅ (1/2 ⋅ 7, 5 mm)2 = 4, 5 ⋅ 10−5m2.
zialgleichung.
Lädt man einen Kondensator auf die Spannung Dann gilt für die Zahl der Windun­
U(t), so enthält er die elektrische Ladung (C = Kapa­ gen: N2 = L ⋅ l ⋅ μ0 ⋅ A = 52,7, also
zität): n = 7,3.
Q (t ) = C ×U (t ).
Weil sich die Ladung mit der Zeit t ändert, fließt der
Strom:
6.11.2 Geschlossene elektrische
d
l (t ) = Q (t ). Feldlinien
dt
Da der einfache Schwingkreis keine Batterie enthält,
ist die Summe der Spannung am Kondensator und der
Schwingkreise für hohe Frequenzen kom­
Spannung an der Spule (Induktivität L) gleich null: men mit kleinen Kapazitäten und Induktivi­
Q (t ) d Q (t ) d2
täten aus; möglicherweise genügen der Spule
+ L × (t ) = + L × 2 Q ( t ) = 0. schon wenige Windungen. Noch höhere
C dt C dt
Auch dies ist die Schwingungsdifferenzialgleichung,
Frequenzen erreicht man ganz ohne Spule:
jetzt in der Form: Auch ein zum Kreis gebogener Draht, der
d2 1
zwei Kondensatorplatten verbindet, hat eine
Q (t ) = - × Q (t ). Induktivität, denn stromdurchflossen um­
dt 2 L ×C
So wie beim Federpendel die Eigenfrequenz
gibt er sich mit einem Schlauch magneti­
scher Feldlinien (. Abb. 6.86), die auf ihn
D
w0 = eine Spannung induzieren, sobald sich Feld­
m
stärke und Flussdichte zeitlich ändern. Sie
war, ist sie also für den Schwingkreis
tun dies notwendigerweise, wenn sich der
1 Kondensator entlädt, denn dann bleibt der
w0 = .
L ×C Strom ja nicht konstant.
Was geschieht mit dem schlauchförmigen
Rechenbeispiel 6.20: Radiobastler Magnetfeld bei den Kondensatorplatten? Es
Aufgabe. Ein Radiobastler möchte einen endet dort nicht, es weitet sich lediglich auf:
Schwingkreis für den UKW-Bereich her­ Obwohl zwischen den Kondensatorplatten
stellen, also für ca. 100 MHz. Er besitzt kein Strom fließt, herrscht dort ein schlauch­
einen Kondensator von 25 pF. Die Spule förmiges Magnetfeld! Dieses wird dadurch
will er mit dünnem Draht auf einen Blei­ hervorgerufen, dass sich im Kondensator
6.11 · Elektrische Schwingungen
269 6
das elektrische Feld mit einer Änderungsge­ 6.11.3 Schwingender elektrischer
schwindigkeit dE/dt der elektrischen Feld­ Dipol
stärke zwischen den Platten ändert. Dem­
nach haben I und dE/dt die gleiche Wirkung: Will man die Eigenfrequenz eines Schwing­
Ein Strom umgibt sich mit geschlossenen kreises erhöhen, so muss man Kapazität und
magnetischen Feldlinien, ein sich änderndes Induktivität verringern. Gegebenenfalls
elektrisches Feld tut das auch. kann man auf die Induktionsspule ganz ver­
Auch wenn man es nicht auf den ersten zichten, wie 7 Abschn. 6.11.2 ja gezeigt hat:
Blick sieht: Diese Erscheinung ist analog zur Auch der Drahtbügel, der zwei Kondensa­
magnetischen Induktion (7 Abschn. 6.10.1). torplatten verbindet, besitzt eine Induktivi­
Magnetische Induktion bedeutet nämlich, tät. Will man mit der Frequenz noch weiter
dass ein sich änderndes magnetisches Feld hinauf, muss man den Kondensator ver­
sich mit einem elektrischen Feld umgibt. kümmern lassen: Zwei parallele Drähte ha­
Dieses elektrische Feld ist die Ursache für ben immer noch eine Kapazität gegeneinan­
die induzierte Spannung in eine Leiter­ der. Auch eine Haarnadel bildet einen
schleife, die man um das Magnetfeld herum­ Schwingkreis, obwohl man Kondensator
legt. Magnetische Induktion findet aber und Spule nicht mehr so recht voneinander
auch ohne Leiterschleife statt, eben in Ge­ trennen kann. Wem die Frequenz immer
stalt dieses ringförmigen elektrischen Fel­ noch nicht hoch genug ist, dem bleibt als
des. letztes Mittel, die Haarnadel aufzubiegen
Und hier zeigt sich noch etwas Neues: (. Abb. 6.87). Mehr als strecken kann man
Elektrische Feldlinien müssen nicht immer, sie allerdings nicht. Die höchstmögliche Ei­
wie bisher behauptet, auf einer positiven genfrequenz besitzt ein Leiter vorgegebener
Ladung beginnen und auf einer negativen Länge in der Form des geraden Drahtes. Er
Ladung enden; sie können auch genau wie vermag als elektrischer Dipol elektrisch zu
magnetische Feldlinien geschlossene Kreise schwingen.
bilden. Das tun sie aber eben nur dann, . Abb. 6.88 zeigt grobschematisch die
wenn sie von einem sich ändernden Magnet­ Situationen nach jeweils einer Viertelschwin­
feld erzeugt werden. gung des Dipols:
9. In Bildteil a ist der Dipol gerade durch
eine äußere Spannungsquelle aufgela­
den worden; es existiert ein inhomoge­
nes elektrisches Feld zwischen seinen
Hälften.
10. Dieses Feld löst aber einen Strom aus, der
wegen der Selbstinduktion nur ein wenig

..      Abb. 6.86 Elektrische Induktion. Der Draht, der


die Platten eines geladenen Kondensators verbindet,
umgibt sich, solange der Strom fließt, mit einem
Schlauch geschlossener magnetischer Feldlinien; das ..      Abb. 6.87 Haarnadel. Auch eine Haarnadel bildet
sich ändernde elektrische Feld im Dielektrikum des noch einen Schwingkreis; die Eigenfrequenz lässt sich
Kondensators tut dies auch weiter erhöhen, wenn man die Haarnadel aufbiegt
270 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

..      Abb. 6.88 Schwin-


gender Dipol,
Einzelheiten im Text

träge ansteigen kann. Dabei baut er ein und sichtbares Licht vermitteln uns das Bild,
konzentrisches Magnetfeld auf. Nach ei­ das wir uns von unserer Umwelt machen;
ner Viertelschwingungsdauer ist das E- Grund genug, dem Licht ein eigenes großes
Feld verschwunden und das B-Feld auf Kapitel „Optik“ zu widmen (7 Kap. 7).
6 seinem Maximum (. Abb. 6.88b).
11. Von nun an bricht das B-­Feld seinerseits
Rechenbeispiel 6.21: Handy-Antenne
zusammen und zwingt den Strom, in der
Aufgabe. Der Handy-Funkverkehr spielt
alten Richtung weiterzulaufen und den
sich bei einer Frequenz von etwa 1 GHz
Dipol mit entgegengesetztem Vorzei­
ab. Was ist dann die optimale Sendean­
chen wieder aufzuladen. Ist das B-Feld
tennenlänge?
verschwunden, so kehrt das neue E-Feld
Lösung. 1 GHz entspricht einer Peri­
die Stromrichtung um (. Abb. 6.88c).
odendauer von 10−9 s. In dieser Zeit legt
12. Anschließend verschwindet das E-Feld
das Licht 0,3 m zurück. Die optimale
wieder (. Abb. 6.88d) und wird vom
Länge des strahlenden Dipols beträgt
weiterfließenden Strom in der ursprüng­
also etwa 15 cm.
lichen Richtung wieder aufgebaut.

Ist die Ausgangssituation (von Dämpfungs­


verlusten einmal abgesehen) wieder erreicht, so 6.12 In Kürze
ist eine volle Schwingung abgelaufen. Die zu­
gehörige Zeit T wird von der Dipollänge l und zz Ladung
der Lichtgeschwindigkeit c bestimmt; es gilt: Es gibt zwei Sorten von Ladungen, positive
und negative. In der Natur sind die Träger
2×l positiver Ladung fast immer die Protonen
T= .
c im Atomkern und die Träger negativer La­
dung sind die Elektronen in der Atomhülle.
Erst die Überlegungen in 7 Kap. 7 können Diese tragen den kleinstmöglichen Ladung­
diese etwas überraschende Beziehung ver­ wert, die Elementarladung e0 = 1,6 · 10−19
ständlich machen. Grundsätzlich dürfte die­ As. Die Ladung wird in Ampere mal Se­
ses Kapitel hier unmittelbar und ohne neue kunde (Coulomb) angegeben. Die Gesamt­
Überschrift angeschlossen werden, denn ladung eines abgeschlossenen Systems ist
wenn ein elektrischer Dipol schwingt, dann immer konstant. Will man einen Körper ne­
strahlt er auch eine elektromagnetische Welle gativ aufladen, so muss man ihm Elektronen
ab. Ein schmaler Spektralbereich dieser Wel­ zuführen, für positives Aufladen Elektronen
len hat aber für den Menschen eine ganz be­ entziehen. Gleichnamige Ladungen stoßen
sondere Bedeutung: Unser wichtigstes Sin­ sich ab, ungleichnamige Ladungen ziehen
nesorgan reagiert auf elektromagnetische sich an. In beiden Fällen wird die Kraft zwi­
Wellen mit Wellenlängen von etwa einem schen zwei Ladungen q1 und q2 durch das
halben Mikrometer. Vor allem Gesichtssinn Coulomb-Gesetz bestimmt.
6.12 · In Kürze
271 6

Cou­ FC: Cou­ in Wärme umgewandelt. Der Verlust an po­


1 q1 × q2
lomb- FC = × lomb-Kraft [N] tenzieller Energie, den ein Elektron erleidet,
4pe 0 r 2
Kraft q1, q2: Punktla­ wenn es von einem Ende eines Drahtes zum
dungen [A·s] anderen bewegt, wird durch die elektrische
r: Abstand der
Spannung oder Potenzialdifferenz U zwi­
Ladungen [m]
ε0: elektrische schen den Drahtenden beschrieben.
Feldkonstante
ε0 = 8,8 · 10−12 Span­ Wpot = e0 ⋅ U Wpot: Verlust an
As/Vm nung potenzieller Energie
eines Elektrons
e0: Elementarladung
U: Spannung [V,
zz Elektrisches Feld
Volt]
Man kann die Kraft zwischen zwei Ladun­
gen auch so beschreiben: Eine Ladung Q er­ Strom DQ ΔQ: pro Zeit
I= strömende Ladung
zeugt ein elektrischesFeld um sich herum Dt
[A · s = C, Coulomb]
mit einer Feldstärke E und die andere La­ t: Zeit [s]
dung q erfährt in diesem Feld eine Kraft:

Elektri­  F
  zz Widerstand
E= C E : elektrische
sches
q
Je höher die Spannung zwischen den Drah­
Feld Feldstärke [V/m]
q: „Probeladung“[A · s] tenden, umso stärker das Feld und die Kraft
auf die Elektronen. Diese werden dann
schneller und der elektrische Strom wird
Das elektrische Feld wird veranschaulicht größer. Für einen Metalldraht und generell
durch Feldlinien, die bei den positiven La­ für Ohm’sche Widerstände ist der Strom I
dungen beginnen und auf den negativen La­ proportional zur Spannung U, der elektri­
dungen enden. Vor allem im Zusammenhang sche Widerstand R.
mit elektromagnetischen Wellen zeigt sich die
volle Bedeutung des Feldbegriffs. Elektrische Wider­ U R: Wider­
stand R= stand [Ω,
und magnetische Felder enthalten Energie I
Ohm]
und können diese transportieren. U: Spannung
[V, Volt]
zz Strom und Spannung I: Strom [A,
Wenn ein elektrischer Strom durch einen Ampere]
Metalldraht fließt, so bedeutet dies, dass ge­ Ohm­ In vielen Fällen
ladene Teilchen, hier Elektronen, durch den sches ist R unabhängig
Draht strömen. Da Stöße mit den Atomen Gesetz von U bzw. I
diesen Fluss behindern, muss eine Kraft auf
die Elektronen ausgeübt werden, um den
Strom aufrechtzuerhalten. Diese wird von zz Stromkreis
einem elektrischen Feld ausgeübt, das in Im Stromkreis fließen die Ladungsträger im
diesem Draht herrscht. Strömen Elektronen Kreis herum. Sie können dabei nicht verlo­
unter der Wirkung des elektrischen Feldes ren gehen (Knotenregel) und wenn sie ein­
durch den Draht, so verlieren sie g­ enau wie mal herum geflossen sind, befinden sie sich
ein Stein, der unter der Wirkung der Schwer­ wieder auf demselben elektrischen Poten­
kraft herunterfällt, potenzielle Energie. zial, haben dieselbe potenzielle Energie
Diese wird durch die Stöße mit den Atomen (Maschenregel). Das bedeutet z. B. für in
272 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Serie geschaltete Widerstände R1, R2, … an abfallenden Spannungen gleich der Batterie­
einer Batterie, dass die Summe der an ihnen spannung sein muss.

Spannungs­ U1 + U2 + … = U0 U1: Spannung am Wider­


teiler stand R1 [V]
R1
v1 = ×U 0 U0: Spannung der Batterie
Rges

Reihenschal­ Rges = R1 + R2 + R3 + … Rges: Gesamtwiderstand [Ω]


tung Strom I durch alle Widerstände gleich.
Parallelschal­ 1 1 1 1 Rges: Gesamtwiderstand [Ω]
tung = + + +¼ I1: Strom durch R1 [A]
Rges R1 R2 R3
I0: Strom durch Rges
Spannung U an allen Widerständen gleich. Strom I1
6 z. B. durch R1:
Rges
l1 = × l0
R1

Die Spannungsquelle (z. B. die Batterie) Innenwiderstand hat, der möglichst klein
hält die Spannung im Stromkreis aufrecht sein sollte. Sie muss ständig Energie liefern,
und „pumpt“ die Elektronen im Kreis he­ also eine Leistung erbringen, die in den Wi­
rum. Der Strom fließt also auch durch die derständen im Stromkreis wieder verheizt
Spannungsquelle selbst, die einen gewissen wird.

Leistung P: Leistung [W, Watt]


U2
P = U × I = R ×l2 = U: Spannung [V]
R
I: Strom [A]
R: Widerstand [Ω]

zz Kondensator platten mit Fläche A bilden einen Konden­


Zwei parallel im Abstand d liegende Metall­ sator.

Kapazität Q éA ×s ù
C= C: Kapazität ê = F,Farad ú
U ë V û
Q: Ladung auf dem Kondensator [A · s]
U: Spannung am Kondensator [V]
Energie im Kondensator 1 W: Energie im Kondensator [J]
W = Q ×U
2

Kapazität eines Plattenkonden­ A εr: relative Permittivität des Isolators


sators C = e re 0 × ε0: elektrische Feldkonstante
d
A: Plattenfläche [m2]
Elektrisches Feld im Kondensa­ d: Plattenabstand [m]
U E: elektrisches Feld im Kondensator [V/m]
tor E=
d
6.12 · In Kürze
273 6
Wird ein Kondensator über einen Wider­ Auch beim Aufladen ergeben sich exponen­
stand entladen, so sinken Ladung, Span­ tielle Verläufe.
nung und Entladestrom exponentiell ab.

Kondensatorentladung über Widerstand R τ=R⋅C τ: Zeitkonstante [s]

Die weiteren Formeln zum Kondensator werden beim IMPP üblicherweise nicht abgefragt.

Bringt man ein Metallstück in ein elekt­ Fertigt man die beiden Elektroden, die
risches Feld, so strömen die Leitungselekt­ man in die Lösung taucht, aus zwei verschie­
ronen so lange im Metall, bis das Innere denen Metallen, so tritt auch ohne äußere
feldfrei ist. Man nennt diese Erscheinung Spannungsquelle eine Galvani-Spannung
Influenz und kann sie zur Abschirmung zwischen ihnen auf. Dies beruht darauf,
elektrischer Felder nutzen. In Isolatoren dass an beiden Elektroden unterschiedlich
gibt es keine freien Ladungsträger. Elektro­ stark Metallionen in Lösung gehen und
nen und Atomkerne werden aber durch ein Elektronen hinterlassen. Verbindet man die
elektrisches Feld etwas verschoben und Elektroden elektrisch, so fließt ein Strom,
schwächen es dadurch ab. Dies nennt man um die unterschiedliche Elektronenkonzent­
Polarisation und kann es z. B. dazu nutzen, ration auszugleichen. Dies ist die Basis für
die Kapazität eines Kondensators zu erhö­ alle Batterien.
hen. Beschrieben wird die Feldabschwä­
chung durch die relative Permittivität εr. zz Magnetisches Feld
Ein elektrischer Strom, sei es ein Strom
zz Elektrochemie durch eine Spule oder atomare Kreisströme
Viele Moleküle, insbesondere Salze, Säuren in einem Permanentmagneten, umgibt sich
und Laugen, zerfallen beim Lösen in Wasser mit einem magnetischen Feld. Seine Stärke
in Ionen, sie dissoziieren. Entstehen dabei  so benannte) ma-
wird durch die (historisch
H+-Ionen oder OH−-Ionen, so verändert gnetische Flussdichte B beschrieben. Die
dies den pH-Wert des Wassers, der der nega­ magnetischen Feldlinien sind immer ge­
tive dekadische Logarithmus der H+-Ionen­ schlossen, da es keine magnetischen Ladun­
konzentration, gemessen in mol/l, ist. Ionen gen gibt, auf denen sie enden könnten. Ein
im Wasser führen zu einer hohen Leitfähig­ stromdurchflossener Draht ist deshalb mit
keit. Fließt ein Strom durch eine Lösung kreisförmigen Magnetfeldlinien umgeben.
(Elektrolyt), so wird dieser durch die Ionen Die Flussdichte nimmt umgekehrt propor­
getragen und an den eingetauchten Elektro­ tional zum Abstand ab. Ein Magnetfeld übt
den scheiden sich die entsprechenden Subs­ seinerseits auf einen elektrischen Strom I
tanzen ab (Elektrolyse). Dies nutzt man z. B. durch einen Draht eine Kraft, die Lo-
großtechnisch, um aus Kochsalz Chlor und rentz-Kraft FL , aus, die senkrecht auf
Natrium zu gewinnen. Strom und Magnetfeld steht.

Magnetische Kraft auf    


F = l ×l ´ B FL : magnetische Kraft auf einen Leiter [N]
einen Leiter
l: Länge des Leiters [m]

I : Strom (mit Richtung) [A]
 é N ù
B : magnetische Flussdichte ê = T,Tesla ú
ëA×m û
274 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

zz Induktion geschwindigkeit des magnetischen Flusses Φ


Ändert man das durch eine Leiterschleife durch die Leiterschleife ab. Der magnetische
hindurchtretende Magnetfeld, so wird zwi­ Fluss ergibt sich aus der von der  Leiter­
schen den Drahtenden eine Spannung indu- schleife eingeschlossenenFläche A , der ma­
ziert. In einer geschlossenen Leiterschleife gnetischen Flussdichte B und dem ­Winkel
fließt dann ein induzierter Strom. Die indu­ α, unter dem das Magnetfeld durch die Lei­
zierte Spannung hängt von der Änderungs­ terschleife tritt.

 
Magnetischer F = B × A = B × A × cos a Φ:
 magnetischer Fluss [T · m ]
2

Fluss A : Fläche der Leiterschleife [m2]


B : Magnetfeld durch die Leiterschleife [T]
Induktionsspan­ dF Uind ist die in eine einzelne Leiterschleife, die vom
U ind =
6 nung dt Fluss Φ durchsetzt wird, induzierte Spannung [V]

zz Wechselspannung „fließen“, indem die Platten immer wieder


Technisch werden sehr häufig Wechselspan­ umgeladen werden. Strom und Spannung
nungen und Wechselströme verwendet, die ei­ sind am Kondensator phasenverschoben: Der
nen sinusförmigen Zeitverlauf haben. Die Strom läuft der Spannung voraus. Bei einer
Frequenz der Netzspannung beträgt 50 Hz Spule ist es wegen der Selbstinduktion gerade
und ihr Effektivwert 230 V. In einen ohm­ umgekehrt: Der Strom hinkt der Spannung
schen Widerstand verlaufen Wechselstrom hinterher. Frequenzabhängige Widerstände
und Wechselspannung synchron. Auch durch werden genutzt, um elektrische Frequenzfilter
einen Kondensator kann ein Wechselstrom (Hochpass, Tiefpass) zu bauen.

Wechselspannung U(t) = Us sin (ω ⋅ t) Us: Spannungsamplitude [V]


ω: Kreisfrequenz [1/s]
t: Zeit [s]
Effektivspannung US Ueff: Effektivspannung [V]
U eff =
2

Kapazitiver Widerstand 1 RC: kapazitiver Widerstand


(Kondensator) RC = [s/F]
w ×C
C: Kapazität des Kondensa­
Strom eilt Spannung um 90° tor [F]
voraus.
Induktiver Widerstand (Spule) RL = ω ⋅ L RL: induktiver Widerstand
Strom hinkt Spannung um 90° [s/H]
nach. L: Induktivität der Spule [H]
6.13 · Fragen und Übungen
275 6
6.13 Fragen und Übungen 6.11 Was passiert, wenn eine Glühbirne
durchbrennt?
6.13.1 Verständnisfragen 6.12 Ist ein elektrischer Widerstand ein
„Stromverbraucher“? Was verbraucht er?
6.1 Üblicherweise bemerkt man weder etwas 6.13 Kann man ein ruhendes Elektron
von der Gravitationskraft zwischen Körpern mit einem Magnetfeld in Bewegung setzen?
noch von einer elektrostatischen Kraft. Wa­ 6.14 Ein Magnet zieht im Wesentlichen
rum? nur Gegenstände aus Eisen an und nicht be­
6.2 Mit einem durch Reibung elektrisch liebige Metalle. Warum?
aufgeladenen Plastiklineal kann man kleine
Papierschnitzel anziehen. Warum? Manche
angezogenen Papierschnitzel hüpfen gleich 6.13.2 Übungsaufgaben
wieder weg. Warum?
6.3 Warum können sich elektrische Feld­ (⧫ leicht; ⧫⧫ mittel; ⧫⧫⧫ schwer)
linien nie kreuzen?
6.4 Was kann man über das elektrische zz Strom, Spannung, Leistung
Feld in einem Bereich sagen, in dem das 6.1 ⧫ Vier Taschenlampenbatterien mit je
elektrische Potenzial konstant ist? 4,5 V lassen sich auf mehrerlei Weise hinter­
6.5 Wenn eine Batterie mit einem Plat­ einanderschalten. Welche Gesamtspannun­
tenkondensator verbunden wird, laden sich gen kann man dadurch mit ihnen erzeugen?
beide Platten mit dem gleichen Ladungsbe­ 6.2 ⧫ Welchen Strom zieht ein Fernseh­
trag auf. (Nur das Vorzeichen ist verschie­ gerät mit 125 W Leistung aus der Steckdose?
den.) Warum? Sind die Ladungsbeträge Welche Leistung setzt eine Röntgenröhre
auch gleich, wenn die Platten verschieden um, die mit 80 kV Hochspannung und 5 mA
groß sind? Röhrenstrom betrieben wird?
6.6 Wenn man die Platten eines aufgela­ 6.3 ⧫ Eine Kilowattstunde elektrische
denen Plattenkondensators auseinander­ Energie kostet 24 Cent. Wie viel kostet es,
zieht, ändert sich dann die gespeicherte elek­ eine 40-W-Glühbirne ein ganzes Jahr bren­
trostatische Energie? nen zu lassen?
6.7 Sie fallen aus einem Hubschrauber 6.4 ⧫ Wie viele 100-W-Glühbirnen kann
und können Ihren Fall durch beherztes Fest­ man gleichzeitig an einer Steckdose betrei­
halten an einer Hochspannungsleitung stop­ ben, wenn diese mit einer 16-A-Sicherung
pen. Bringt Sie die Hochspannung um? abgesichert ist?
6.8 Warum könnte ein guter elektrischer 6.5 ⧫ Mathematisch wird Wechselspan­
Leiter auch ein guter Wärmeleiter sein? nung der Steckdose durch die Gleichung
6.9 Warum hat ein längerer Draht einen U(t) = Us cos(ω · t) beschrieben. Welche
höheren elektrischen Widerstand? Werte sind für Us und ω einzusetzen?
6.10 Wann wird es bei gleicher Span­
nungsquelle heller: wenn man zwei gleiche zz Widerstand
Glühbirnen in Reihe schaltet oder wenn 6.6 ⧫ Welchen Strömen entsprechen die bei­
man sie parallelschaltet? den Grenzkurven in . Abb. 6.25 bei 400 V?
276 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

6.7 ⧫ Ein 1-Ω-Widerstand und ein 6.13 ⧫⧫⧫ In den 1930er-Jahren kam in
2-Ω-Widerstand sind in Reihe geschaltet. Deutschland aus den Steckdosen noch
Wie verhalten sich die in den Widerständen 110 V Gleichspannung. Wollte man da eine
umgesetzten Leistungen zueinander? Wie 12-V-, 50-W-Glühbirne eines Filmprojek­
verhalten sich die Leistungen, wenn die Wi­ tors betreiben, so konnte man nicht wie
derstände parallelgeschaltet sind? heute einen Transformator einbauen, der die
6.8 ⧫⧫ Acht gleiche Glühbirnen sind in Spannung heruntertransformiert, sondern
Reihe an einer Steckdose angeschlossen. man schaltete einen Vorwiderstand in Reihe
Welche Spannung liegt an jeder Birne? Wenn mit der Glühbirne. Welchen Widerstand
ein Strom von 0,4 A fließt, welchen Wider­ musste dieser haben und welche Leistung
stand hat jede Birne und welche Leistung wurde in ihm verheizt?
setzt sie um?
6.9 ⧫⧫ Es gibt mehrere Möglichkeiten, zz Feld und Potenzial
6 vier gleiche Widerstände zusammenzuschal­ 6.14 ⧫⧫ Wie verlaufen die Feld- und Poten­
ten. . Abb. 6.89 zeigt acht von ihnen. Sie ziallinien zu der Elektrodenanordnung in
lassen sich ohne genaue Rechnung nach stei­ . Abb. 6.90 ungefähr?
gendem Gesamtwiderstand ordnen. Wie? 6.15 ⧫ Das „Ruhepotenzial“ einer nicht
Und was liefert die genaue Rechnung? „feuernden“ Nervenfaser liegt etwas über
6.10 ⧫⧫ Wie teilt ein 6-kΩ-Potenziometer, 70 mV; die Dicke normaler Membranen, die
dessen Schleifkontakt 3 kΩ abgreift, eine z. B. auch Nervenfasern umgeben, beträgt
Spannung von 60 V auf, wenn es nicht belastet
(a) und mit 3 kΩ belastet wird (b)?
6.11 ⧫⧫ Wenn in der Wheatstone-Brücke
(. Abb. 6.45) der Widerstand R1 7352 Ω be­
trägt, R2 6248 Ω und R3 5000 Ω, wie groß ist
bei abgeglichener Brücke dann R4?
6.12 ⧫⧫ Die Spannung an einer 12-V-­
Autobatterie sinkt auf 10 V, wenn der An­
lasser betätigt wird. Der Anlasser zieht einen
Strom von 60 A. Wie groß ist der Innenwi­
derstand der Batterie? Welchen Widerstand
hat der Anlassermotor? ..      Abb. 6.90 Zu Frage 6.14

..      Abb. 6.89 Zu
Frage 6.9
6.13 · Fragen und Übungen
277 6
zirka 5 nm. Welche Feldstärke erzeugt das ser von 20 auf 95 °C zu erhitzen. Welche
Ruhepotenzial in der Membran? Spannung liegt am Kondensator?
6.16 ⧫ Wie groß ist die Kraft zwischen
dem Kern eines Eisenatoms (Q = 26 · e0) und zz Stromleitung, Elektrochemie
dem kernnächsten Elektron, wenn wir einen 6.25 ⧫⧫⧫ In welcher Größenordnung liegt
Abstand von 1,5 · 10−12 m annehmen? die Geschwindigkeit, mit der die Elektronen
6.17 ⧫⧫ Mit welcher Geschwindigkeit in der Zuleitung zu einer Schreibtischlampe
treffen die freien Elektronen in der Bildröhrehin- und herpendeln? (Leistung 60 W, Kup­
eines alten Fernsehgeräts auf dem Bild­ ferquerschnitt 0,75 mm2, Molare Masse
schirm auf, wenn die Elektronen einer Span­ M(Cu) = 63,54 g/mol).
nung von 2 kV ausgesetzt werden? 6.26 ⧫⧫ Wieso führt der Dissoziations­
grad xD = 1,9 · 10−9 beim Wasser zu pH 7?
zz Kondensator 6.27 ⧫⧫ Welche Wasserstoffionenkonzen­
6.18 ⧫ Die Ladung auf einem Kondensator tration gehört zu pH 2,5?
steigt um 15 μC, wenn die Spannung von 97 6.28 ⧫⧫ Bei der elektrolytischen Abschei­
auf 121 V erhöht wird. Wie groß ist die Ka­ dung von Silber aus Silbernitrat (AgNO3)
pazität des Kondensators? wurde gemessen: Δm/ΔQ = 11,179 mg/C.
6.19 ⧫ Trockene Luft hat eine Durch­ Welche molare Masse M(Ag) und welche
bruchfeldstärke von 3 · 106 V/m. Wie viel Atommasse mM(Ag) folgen daraus? Silber
Ladung kann auf einen Plattenkondensator ist hier einwertig.
gebracht werden, wenn der eine Plattenflä­ 6.29 ⧫⧫⧫ Lässt sich anschaulich einse­
che von 50 cm2 hat? hen, dass in der Nernst-Formel die Ladung
6.20 ⧫ Ein Kondensator mit 1 μF Kapa­ der durchtretenden Ionen unter dem Bruch­
zität entlädt sich über einen 1-kΩ-­ strich steht, also die Membranspannung
Widerstand. Wie groß ist die Zeitkonstante? verringert?
6.21 ⧫ Wie verändert sich die Kapazität 6.30 ⧫⧫ Welche Spannung entsteht bei
eines Luftkondensators, wenn man den Ab­ Zimmertemperatur über einer Membran,
stand der Platten verdoppelt und ihn gleich­ die Na+-Ionen hindurchlässt und Cl−-Ionen
zeitig mit einem Isolator mit der Permittivi­ vollständig zurückhält, wenn sich auf ihren
tät εr = 4 füllt? beiden Seiten NaCl-Lösungen in den folgen­
6.22 ⧫⧫ In einen geladenen Plattenkon­ den Konzentrationen befindet?
densator wird ein Isolator mit der Permitti­ a) Links 0,1 molar und rechts 1,0 molar,
vität εr = 2 geschoben. Wie ändern sich Ka­ b) Links 0,01 molar und rechts 1,0 molar,
pazität, Spannung und Ladung auf den c) Links 0,1 molar und rechts 0,001 mo­
Platten, wenn der Kondensator: lar,
a) isoliert ist? d) Links 0,1 molar und rechts 0,2 molar
b) noch an der Spannungsquelle ange­ Vorzeichen?
schlossen ist? 6.31 ⧫⧫⧫ Welche Spannung läge nach der
6.23 ⧫⧫ Wie ändert sich die in einem Nernst-Formel über einer ionenselektiv per­
Kondensator gespeicherte Energie, wenn: meablen Membran, wenn man sie auf der
a) die Spannung verdoppelt wird? einen Seite in physiologische Kochsalzlö­
b) die Ladungen auf den Platten verdop­ sung und auf der anderen in absolut reines
pelt wird? Wasser taucht?
c) der Plattenabstand verdoppelt wird,
während der Kondensator mit einer Span­ zz Magnetfeld
nungsquelle verbunden bleibt? 6.32 ⧫⧫ Ein längerer Draht befindet sich in
6.24 ⧫⧫ Ein großer 4-F-Kondensator hat einem Magnetfeld von 10−4 T und verläuft
genug Energie gespeichert, um 2,5 kg Was­ senkrecht zu den Feldlinien. Nun wird ein
278 Kapitel 6 · Elektrizitätslehre

Strom von 5 A durch den Draht geschickt. schwindigkeit parallel zu sich selbst genau
Wo und in welchem Abstand vom Draht ist entlang der Symmetrieebene des Feldes ge­
dann die Feldstärke null? zogen, aus dem feldfreien Raum in den feld­
6.33 ⧫⧫ Ein langer Draht, durch den 12 freien Raum. Wie sieht der Verlauf der in­
A fließen, übt auf einen 7 cm entfernten pa­ duzierten Spannung, bezogen auf die
rallelen Draht eine anziehende Kraft von 8,8 momentane Position der Probespule, quali­
· 10−4 N pro Meter aus. Wie groß ist der tativ aus?
Strom im zweiten Draht und welche Rich­ 6.37 ⧫⧫ Jede Schule mit physikalischer
tung hat er? Sammlung besitzt einen „Experimentier­
6.34 ⧫ Wie groß ist die Kraft auf ein trafo“, bestehend aus einem U-Kern mit
Flugzeug, dass mit 120 m/s senkrecht zum aufsetzbarem Joch und einem Satz auswech­
Erdmagnetfeld von 5 · 10−5 T fliegt und 155 selbarer Spulen. Vorhanden seien Spulen
As elektrische Ladung trägt? mit 24, 250, 500, 1000 und 25.000 Windun­
6 gen. Welche Kombination wird der Lehrer
zz Induktion wählen, wenn er für einen Versuch ca. 12 kV
6.35 ⧫⧫ In einer geschlossen Spule mit 100 Hochspannung haben möchte und für einen
Windungen, 25 cm2 Querschnittsfläche und anderen 6 V Niederspannung. Primäre
25 Ω Widerstand wird ein Magnetfeld paral­ Spannungsquelle ist die Steckdose (230 V).
lel zur Spulenachse in 2 Sekunden von 0 auf
1 T erhöht. Welcher induzierte Strom fließt zz Schwingkreis
dabei im Mittel durch die Spule? 6.38 ⧫⧫ Welche Größen im elektrischen
6.36 ⧫⧫ Zwischen den Polschuhen eines Schwingkreis entsprechen der Auslenkung x
großen Elektromagneten (. Abb. 6.91) des Federpendels, der Geschwindigkeit v sei­
wird eine Probespule mit konstanter Ge­ nes Pendelkörpers, der potenziellen und der
kinetischen Energie?

..      Abb. 6.91 Zu Frage 6.36


279 7

Optik
Inhaltsverzeichnis

7.1 Elektromagnetische Wellen – 281


7.1.1 S trahlender Dipol – 281
7.1.2 Spektralbereiche !! – 283
7.1.3 Wellenausbreitung ! – 284

7.2 Geometrische Optik – 286


7.2.1 L ichtbündel – 286
7.2.2 Spiegelung – 289
7.2.3 Brechung ! – 291
7.2.4 Dispersion – 295
7.2.5 Linsen ! – 296
7.2.6 Abbildung mit Linsen ! – 299
7.2.7 Abbildungsgleichungen !! – 301
7.2.8 Abbildung durch einfache Brechung – 304
7.2.9 Auge – 305
7.2.10 Fehlsichtigkeit und Brillen – 306
7.2.11 Optische Instrumente ! – 309

7.3 Intensität und Farbe – 312


7.3.1 S trahlungs- und Lichtmessgrößen – 312
7.3.2 Optische Absorption !! – 314
7.3.3 Farbsehen – 317

7.4 Wellenoptik – 320


7.4.1  olarisiertes Licht – 320
P
7.4.2 Interferenz – 322
7.4.3 Kohärenz – 324

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial,


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U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_7
7.4.4  ünne Schichten und Beugungsgitter – 326
D
7.4.5 Beugungsfiguren und Auflösungsvermögen !! – 329

7.5 Quantenoptik – 331


7.5.1 L ichtquant – 331
7.5.2 Energiezustände und Spektren – 333
7.5.3 Laser – 335
7.5.4 Röntgenstrahlen !! – 337
7.5.5 Compton-Effekt – 341
7.5.6 Röntgendiagnostik – 342

7.6 Elektronenoptik – 344


7.6.1 E lektronenbeugung – 344
7.6.2 Elektronenmikroskope – 345
7.6.3 Unschärferelation – 346

7.7 In Kürze – 347

7.8 Fragen und Übungen – 350


7.8.1  erständnisfragen – 350
V
7.8.2 Übungsaufgaben – 350
7.1 · Elektromagnetische Wellen
281 7
Optik ist die Lehre vom Licht, vor allem von
der Lichtausbreitung. Als Licht bezeichnet
man zunächst einmal diejenigen elektromag-
netischen Wellen, die das Auge des Men-
schen wahrnimmt, also in einem sehr schma-
len Spektralbereich. In erweitertem Sinn
werden auch die benachbarten Gebiete als
Licht bezeichnet. Kennzeichen der Wellen-
ausbreitung sind Interferenz und Beugung.
Allerdings machen sie sich im Alltag makro-
skopisch meist gar nicht bemerkbar, weil die
Wellenlänge sichtbaren Lichtes zu klein ist.
Dann gelten die Regeln der geometrischen
Optik. Licht überträgt Energie. Der selekti-
ven Empfindlichkeit des menschlichen Au-
ges wegen müssen für den Strahlungsfluss
einer elektromagnetischen Welle und den
Lichtstrom diverse Messverfahren und Ein-
heiten definiert werden. Sichtbares Licht
wird von Atomen und Molekülen emittiert
und absorbiert. Weil sie so klein sind und die
kurzen Wellenlängen hohe Frequenzen zur
Folge haben, spielt hier eine Eigenschaft der
Natur eine bedeutsame Rolle, die sich im
Alltag sonst nicht bemerkbar macht: die
Quantelung der Energie.

7.1 Elektromagnetische Wellen ..      Abb. 7.1 Schwingender Dipol. Verlauf der elektri-
schen Feldlinien; realistischer als in . Abb. 6.88 ge-
7.1.1 Strahlender Dipol zeichnet. Von oben nach unten fortschreitende Zeit

Die Bilderreihe von . Abb. 6.88 macht ten Nulldurchgang (4. Teilbild) ist der Dipol
zwar plausibel, wieso ein gerader Draht als selbst feldfrei; das Feld hat sich von ihm ge-
elektrischer Dipol schwingen kann und eine löst und bildet in der Zeichenebene ein Sys-
Eigenfrequenz besitzt, aber sie schematisiert tem geschlossener Feldlinien, räumlich aber
die Feldverteilung doch zu sehr. Auch Feld- einen torusähnlichen Schlauch mit dem Di-
linien breiten sich nur mit endlicher, näm- pol als Achse. Danach entstehen neue Feld-
lich mit Lichtgeschwindigkeit, aus. Außer- linien gleicher Gestalt, aber mit entgegenge-
dem lösen nicht nur die Ladungen des setztem Vorzeichen und drängen die alten
Dipols ein elektrisches Feld aus, dasselbe nach außen ab. Diese nehmen zunächst nie-
tut auch das sich ändernde Magnetfeld um renförmige Gestalt an, passen sich aber mit
den Dipol herum. Resultat: Die elektrischen wachsendem Abstand immer mehr Kreis-
Feldlinien lösen sich in einer Weise vom Di- ausschnitten an. Das zugehörige Magnet-
pol ab, wie dies . Abb. 7.1 etwas realisti- feld läuft mit, in Form konzentrischer
scher darstellt, und zwar durch Teilbilder in Kreise, die mit periodisch wechselndem
zeitlichen Abständen von jeweils T/6, dem Umlaufsinn gewissermaßen aus dem Dipol
Sechstel einer Schwingungsdauer. Beim ers- herausquellen.
282 Kapitel 7 · Optik

. Abb. 7.2 zeigt eine „Momentauf- Lichtgeschwindigkeit vom Dipol weg, dabei
nahme“ für die Symmetrieebene des Dipols. nehmen beide Felder ihre Energieinhalte
In ihr sind die beiden Felder am stärksten, mit: Der Dipol strahlt eine elektromagneti-
nach oben und unten werden sie schwächer sche Welle ab und muss die entsprechende
und in der Längsrichtung des Dipols ge- Leistung liefern. Auch wenn er selbst keine
schieht gar nichts mehr. Praktisch strahlt Stromwärme entwickelte, kämen seine
der Dipol in alle Richtungen, aber er strahlt Schwingungen durch Strahlungsdämpfung
nicht homogen. rasch zur Ruhe, würden sie nicht durch ei-
Elektromagnetische Wellen entstehen, nen passenden Wechselspannungsgenerator
weil ein sich änderndes elektrisches Feld sich immer wieder aufgefrischt.
mit magnetischen Feldlinien umgibt und
umgekehrt. Greift man ganz willkürlich eine >>Merke
einzige Ausbreitungsrichtung heraus, so Elektromagnetische Welle: Ein elektri-
kann man in räumlicher Darstellung die sches und ein magnetisches Wechselfeld
Stärken der beiden Felder, wieder als Mo- schwingen synchron zueinander; sie ste-
7 mentaufnahme, grafisch aufzeichnen. hen (im Wesentlichen) senkrecht aufein-
. Abb. 7.3 zeigt das Ergebnis, nämlich ein ander und senkrecht auf der Fortpflan-
elektrisches Wechselfeld parallel zur Dipol- zungsrichtung.
achse und ein magnetisches Wechselfeld
In jeder halben Schwingungsdauer kommt
senkrecht dazu. Beide schwingen synchron,
die Welle um eine ganze Dipollänge weiter.
sie haben ihre Maxima und ihre Nulldurch-
Dem entspricht die schon am Ende des letz-
gänge zur gleichen Zeit am gleichen Ort.
ten Kapitels genannte Beziehung T = 2 · l/c
Maxima wie Nulldurchgänge laufen mit
zwischen Ausbreitungsgeschwindigkeit c,
Dipollänge l und Schwingungsdauer T,
denn die allgemeine Beziehung

l
c =l× f =
T

gilt für elektromagnetische Wellen genauso


wie für alle anderen.
..      Abb. 7.2 Schwingender Dipol. Verlauf der magne-
tischen Feldlinien in der Symmetrieebene eines
schwingenden Dipols, Momentaufnahme
>>Merke
Für alle Wellen gilt:
Ausbreitungsgeschwindigkeit ist gleich
Wellenlänge mal Frequenz:
c =l× f.

Lichtgeschwindigkeit und Feldkonstanten


Elektromagnetische Wellen entstehen, weil ein sich
änderndes elektrisches Feld sich mit magnetischen
Feldlinien umgibt und umgekehrt. In den entspre-
chenden Formeln tauchen die beiden Materialkenn-
größen εr und μr des Mediums, in dem die Welle läuft,
und die beiden Naturkonstanten ε0 und μ0 auf. Ver-
..      Abb. 7.3 Elektromagnetische Welle. Augenblicks-
wunderlich wäre es nicht, wenn diese vier Größen die
diagramm einer nach hinten laufenden elektromagne-
Ausbreitungsgeschwindigkeit bestimmten. Multipli-
tischen Welle
ziert man ihre Einheiten miteinander, so erhält man:
7.1 · Elektromagnetische Wellen
283 7
VsAs s2 Bei einer Folgefrequenz von 25 Hz und mehr
1 =1 2 , verschmelzen ­diskrete Bilder zu einem kon-
AmVm m
tinuierlichen Eindruck – Film und Fernse-
also den Kehrwert des Quadrats der Einheit der Ge-
schwindigkeit. Das legt die Vermutung nahe, für die hen nutzen dies aus.
Lichtgeschwindigkeit im Vakuum könne gelten: Auf jeden Fall aber liefert der Gesichts-
c = 1 / e 0 × m0 . sinn dem Menschen weit vollkommenere In-
formationen über seine Umwelt als die vier
In einem Medium wären dann noch dessen relative
Permittivität εr und relative Permeabilität μr in die anderen Sinne zusammen. Voraussetzung ist
Wurzel hinein zu multiplizieren. Selbstverständlich natürlich, dass der Sinneseindruck „Licht“
kann eine solche Dimensionsanalyse einen physikali- durch das physikalische Phänomen „Licht“
schen Zusammenhang nicht nachweisen; sie kann ausgelöst wird und nicht durch mechanische
aber Hinweise geben, wo es sich lohnen könnte, mit
Reize oder gar durch Rauschgifte. Die bei-
genauen Rechnungen einem möglichen Zusammen-
hang nachzuspüren. den Bedeutungen des Wortes Licht müssen
deshalb sorglich auseinandergehalten wer-
den; sie sind zwar eng miteinander ver-
knüpft, können aber unabhängig voneinan-
7.1.2 Spektralbereiche !! der existieren. Licht im physikalischen Sinn
war in der Welt, lange bevor es Augen gab. ◄
77Von Sternen und weißen Mäusen
Der Gesichtssinn des Menschen reagiert Konstruiert ist das Auge des Menschen für
nicht auf Licht allein. Wem so sehr mit der den Nachweis elektromagnetischer Wellen,
Faust aufs Auge geschlagen wird, dass er deren Länge etwa ein halbes Mikrometer
„Sterne sieht und die Funken stieben“, der beträgt. Die für den Normalsichtigen damit
sieht die Sterne und die Funken wirklich, verbundenen Farbeindrücke sind die Regen-
aber sie sind die Folgen eines mechanischen bogenfarben, die . Abb. 7.68 versucht wie-
Reizes und keines optischen. Man kann es derzugeben, so gut das im Buchdruck mög-
auch weniger gewalttätig haben: Schon lich ist. Grob gemessen reicht der sichtbare
leichter Druck auf den ausgeruhten, lichtab- Spektralbereich von etwa 400 nm (violett)
geschirmten Augapfel löst im Gehirn das bis etwa 700 nm (rot). Das ist nicht viel, just
Signal „Licht“ aus, wie man leicht selbst eine Oktave im Sinne der Akustik. Tierau-
nachprüfen kann. gen geht es da nicht besser.
Zum Gesichtssinn gehört nicht nur das Der Grund: Es lohnt nicht, auf der Erde
Auge mit Hornhaut, Linse, Glaskörper und einen größeren Empfindlichkeitsbereich zu
Netzhaut, sondern auch der Sehnerv mit- entwickeln. Die Sonne strahlt zwar noch
samt dem visuellen Kortex, dem für das Se- weit außerhalb dieses Bereichs Licht ab,
hen zuständigen beträchtlichen Teil des aber dieses kommt auf der Erde nicht mehr
Großhirns. Alles zusammen vermittelt dem an: Das kurzwellige Ultraviolett wird vor al-
Menschen Eindrücke von einer bei ausrei- lem vom Ozon der hohen Atmosphäre ab-
chendem Licht bunten, immer aber räumli- gefangen, während der Wasserdampf we-
chen Welt, und das, obwohl die Netzhaut sentliche Teile vom langwelligen Infrarot
nur flächenhafte Bilder aufnehmen kann. herausnimmt. Augen sehen also in dem rela-
Hier lässt sich der Gesichtssinn denn auch tiv schmalen Spektralbereich, der von der
täuschen: Zumal in ebene Bilder interpre- irdischen Lufthülle durchgelassen wird
tiert er virtuos räumliche Vorstellungen hin- (. Abb. 7.4).
ein, sofern die Perspektive auch nur einiger- Es ist üblich, nicht nur die Strahlung im
maßen stimmt – Maler und Fotografen sichtbaren Spektralbereich als Licht zu be-
nutzen das aus. Der Gesichtssinn hat nur zeichnen, sondern auch die angrenzenden
eine begrenzte Aufnahmegeschwindigkeit: Gebiete. Was dann weiter außen liegt, heißt
284 Kapitel 7 · Optik

auf der kurzwelligen Seite Strahlung (Rönt- Es ist erlaubt, sich stattdessen 3 · 108 m/s
gen- und γ-Strahlung) und auf der anderen oder auch 300.000 km/s zu merken.
Seite Welle (Millimeter-, Meter-, Kurz-,
Mittel- und Langwelle im Radiobereich). >>Merke
Physikalisch handelt es sich dabei um immer Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum)
die gleiche Erscheinung: um elektromagneti- c ≈ 3 · 108 m/s
sche Wellen, nur durch Frequenz und Wel- (wichtige Naturkonstante).
lenlänge voneinander unterschieden
(. Abb. 7.5). Darum ist auch die Ausbrei-
tungsgeschwindigkeit im ganzen Spektrum 7.1.3 Wellenausbreitung !
prinzipiell dieselbe, die
Alle Wellen breiten sich nach den gleichen
zz Vakuum-Lichtgeschwindigkeit Gesetzen aus. Darum ist es durchaus er-
c = 299.792,458 m/s. laubt, auch die Ausbreitung des Lichts am
Modell der Wasserwellen zu studieren; die
7 Wellenwanne (. Abb. 7.6) ist ein nützliches
Hilfsmittel im Bereich der Optik. Sie redu-
ziert zugleich die immer ein wenig unüber-
sichtliche Wellenausbreitung im Raum auf
die leichter überschaubaren Verhältnisse der
Ebene. Die Wellentäler und Berge erschei-
nen in den mit der Wellenwanne gewonne-
nen Bildern (. Abb. 7.7, 7.8, 7.9, 7.10, 7.11
und 7.12) hell bzw. dunkel. Man sieht des-
halb die Wellenfronten, die z. B. den Verlauf
der Wellenberge markieren, sehr deutlich.

>>Merke
Die Wellenfronten stehen immer senk-
recht auf der Ausbreitungsrichtung der
Welle.
..      Abb. 7.4 Sonnenspektrum. Die Sonne glüht bei
5778 K und sendet entsprechende Temperaturstrah- Bei hinreichend großem Abstand von der
lung (. Abb. 5.10) mit einem Maximum bei ca.
Wellenquelle, vom Wellenzentrum, sind
500 nm Wellenlänge. Die Intensitätseinbrüche bei
manchen Wellenlängen beruhen auf der Absorption Wellen immer kugel- bzw. kreisförmig
des Lichtes durch diverse Gase in der Erdatmosphäre. (. Abb. 7.7); wenn nichts im Wege steht,
(Adaptiert nach Nicolas L. Stokes) breiten sie sich gleichmäßig nach allen Rich-

..      Abb. 7.5 Spektrum der elektromagnetischen Wellen


7.1 · Elektromagnetische Wellen
285 7

..      Abb. 7.6 Skizze einer Wellenwanne im Schnitt. Ein


Stift tippt periodisch in ein flaches Wasserbecken

..      Abb. 7.9 Kleines Hindernis (Pfeil) wird zum Wel-


lenzentrum

..      Abb. 7.7 Kreiswellen in einer Wellenwanne

..      Abb. 7.10 Großes Hindernis wirft einen Schatten

..      Abb. 7.8 Ebene Wellen in einer Wellenwanne

..      Abb. 7.11 Kleines Loch wird zum Wellenzentrum


tungen aus. Geht man sehr weit weg, so er-
scheinen sie in einem hinreichend schmalen 55 Ist es klein gegenüber der Wellenlänge,
Bereich der Beobachtung als ebene Wellen wird es zu einem sekundären Wellenzen-
mit gerader Front in der Wanne (. Abb. 7.8). trum (. Abb. 7.9).
Lässt man die Welle an einem Hindernis 55 Ist es sehr groß, so entsteht hinter ihm
vorbeilaufen, so hängt das Resultat sehr von ein Schattenraum, der, wenn man nicht
dessen Größe ab: allzu genau hinsieht, durch Geraden be-
286 Kapitel 7 · Optik

sen Wellenlänge ist in der normalen Umge-


bung des Menschen verschwindend klein.
Darum hat es auch so lange gedauert, bis man
seine Wellennatur erkannte. Derjenige Teil
der Optik, der sich um diese nicht kümmert,
heißt geometrische Optik (7 Abschn. 7.2).
Wellen können sich, wie Schwingungen,
bei der Überlagerung verstärken, schwächen
und sogar auslöschen. Dies nennt man In-
..      Abb. 7.12 Größeres Loch liefert ein begrenztes terferenz (7 Abschn. 7.4.2). Zusammen mit
Wellenbündel
der Beugung führt Interferenz zu Beugungs-
figuren (7 Abschn. 7.4.5). Das Wort
grenzt wird, vom Wellenzentrum aus „Strahl“, das gerade Bündelbegrenzung,
über die Kanten des Hindernisses hin- scharfe Schatten und gleichmäßige Aus-
weg gezeichnet (. Abb. 7.10). leuchtung des schattenfreien Raumes ein-
7 schließt, wird diesen Erscheinungen nicht
Sieht man aber genauer hin, so dringt die mehr gerecht.
Welle doch etwas in den Schattenraum ein. Interferenz und Beugung machen sich
Das ist auch beim umgekehrten Fall eines umso deutlicher bemerkbar, je näher die
breiten Spaltes so (. Abb. 7.12). Macht man Wellenlänge λ an die Abmessungen der „Ge-
einen solchen Spalt schmaler, so wird dieser räte“ des Experiments herankommt: Die
Effekt immer stärker. Im Grenzfall, wenn die Langwelle des Deutschlandfunks (λ ≈ 1 km)
Spaltbreite klein ist verglichen mit der Wel- läuft über Berg und Tal und wirft keine
lenlänge, gibt es hinter dem Spalt gar keinen Schatten, die Ultrakurzwelle der Fernseh-
Schatten mehr und die Welle breitet sich als sender (λ ≈ 3 m) lässt sich zwar von Bäumen
Kreiswelle überall hin aus (. Abb. 7.11). kaum stören, ist aber tief unten in schmalen
Auch das ganz kleine Hindernis von Tälern nicht unmittelbar zu empfangen.
. Abb. 7.9 warf ja keinen Schatten. Und die nur zentimeterlangen Wellen des
Wellen können also „um die Ecke“ ge- w-Lan haben schon Mühe, durch eine Wand
hen. Diese Erscheinung nennt man Beu- zu kommen. Derartige Effekte behandelt die
gung. Sie ist umso ausgeprägter, je kleiner Wellenoptik (7 Abschn. 7.4): Als weiter-
die Abmessungen der Hindernisse gegen- führende Theorie schließt sie alle Aussagen
über der Wellenlänge sind. Für Schallwellen der geometrischen Optik ein, eben in der
ist das aus dem Alltag geläufig. Man kann Näherung vernachlässigbarer Wellenlänge –
jemanden, der hinter einem Baum steht, vernachlässigbar im Vergleich zu den Ab-
durchaus etwas zurufen und er hört es, weil messungen der Objekte im Wellenfeld.
die Schallwellenlänge eher größer als der
Baumdurchmesser ist und der Schall „um
den Baum herumgeht“. Ist das Hindernis 7.2 Geometrische Optik
hingegen groß (ein Haus), dann wirft es ei-
nen Schatten und hinter dem Hindernis ist 7.2.1 Lichtbündel
es wirklich dunkel (bzw. still). Ist die Licht-
wellenlänge vernachlässigbar gegenüber al- Ein geometrisches Gebilde, das, von einem
len Lineardimensionen des Experiments, so Punkt ausgehend, gerade durch den Raum
ist der Ausdruck Lichtstrahl mit scharfer läuft und nur in dieser einen Richtung aus-
Bündelbegrenzung gerechtfertigt. gedehnt ist, heißt in der Mathematik Strahl.
Für Röntgenstrahlen gilt dies in höherem Physikalisch lässt sich ein solcher Strahl nicht
Maß als für sichtbares Licht, aber auch des- realisieren, das Lichtbündel eines Lasers
7.2 · Geometrische Optik
287 7
(7 Abschn. 7.5.3) kommt ihm aber einiger- hinter steht eine gewisse Abstraktion, denn
maßen nahe (. Abb. 7.13). Es hat zwar ei- wirklich existierende Lichtquellen sind im-
nen durchaus nachweisbaren Durchmesser, mer ausgedehnt und werfen von einem Hin-
aber der ist doch vergleichsweise klein. dernis neben dem eigentlichen Kernschatten
Mit wachsendem Laufweg wird er aller- einen Halbschatten, in den sie mit einem Teil
dings immer größer, denn das Lichtbündel ihrer strahlenden Oberfläche hineinleuchten
auch des besten Lasers ist immer noch di- (. Abb. 7.15).
vergent, es hat einen nicht verschwindenden
Öffnungswinkel ω, (näherungsweise) defi- >>Merke
d
niert als Quotient aus Bündeldurchmesser d Öffnungswinkel eines Lichtbündels: w =.
l
und Abstand l von der als punktförmig an- Divergent: Lichtbündel läuft auseinan-
gesehenen Lichtquelle (. Abb. 7.14). Da- der.
Konvergent: Lichtbündel wird schmaler
und läuft in einem Punkt zusammen.

Der Mensch sieht Licht nur dann, wenn es


in seine Augen fällt. Bündel, die quer zur
Blickrichtung laufen, bleiben unbemerkt.
Man kann sie deshalb nur dadurch sichtbar
machen, dass man ihnen Fremdkörper wie
Staub, Wasserdampf oder Tabakrauch in
den Weg bringt: Sie streuen Licht aus dem
Bündel hinaus und zum kleinen Teil in ein
Auge oder in die Linse eines Fotoapparates
hinein. Auch die handfesten Gegenstände
der täglichen Umwelt werden, wenn man sie
beleuchtet, zu unselbstständigen Sekundär-
..      Abb. 7.13 Lichtbündel eines grünen Lasers, durch lichtquellen, die Licht aus dem Primärbün-
Rauch deutlicher sichtbar gemacht (Bildrechte: S. Lehr)
del seitlich hinauswerfen.

..      Abb. 7.14 Bündelbegrenzungen eines „schlanken“ divergenten Bündels. Hier gilt für in guter Näherung: Öff-
nungswinkel ω = Bündeldurchmesser d/Laufweg l

..      Abb. 7.15 Mondschatten. Dort, wo der von der nis beobachten. Im Bereich des Halbschattens deckt
Sonne geworfene Kernschatten des Mondes die Erd- der Mond nur einen Teil der Sonnenscheibe ab (parti-
oberfläche trifft, kann man eine totale Sonnenfinster- elle Sonnenfinsternis)
288 Kapitel 7 · Optik

In der Welt der frühen Menschen gab es delbegrenzungen, wie sie durch Blenden
im Wesentlichen nur eine Primärlichtquelle, festgelegt werden – und das nicht nur hinter,
die Sonne. Auch wenn sie nicht „scheint“, sondern auch vor der Blende, als wüsste das
genügt das Streulicht der Wolken, um die Bündel schon, was ihm noch widerfahren
Szene hinreichend zu erhellen. Selbst bei wird (. Abb. 7.16).
klarem Himmel reicht das Streulicht, die an- Zuweilen wird auch diese Methode noch
deren Primärlichtquellen des Kosmos, die zu unübersichtlich; dann zeichnet man nur
Fixsterne, völlig zu überstrahlen. Man lasse den Zentralstrahl längs der Bündelachse,
sich hierdurch nicht irreleiten: Lichtbündel der die Hauptrichtung des Bündels mar-
verschiedener Quellen durchsetzen sich ge- kiert. In jedem Fall stehen Lichtstrahlen,
genseitig, ohne sich (nennenswert) zu beein- auf Papier gezeichnet, für Ausschnitte aus
flussen. Auch am Tage sind die Sterne „da“, elektromagnetischen Kugelwellen bis hin
aber das Auge nimmt ihr schwaches Licht zum Grenzfall des Parallellichtbündels, das
nicht wahr, weil es vom hellen zu sehr bean- mit dem Öffnungswinkel null eine (streng
sprucht wird. genommen nicht realisierbare) ebene Welle
7 darstellt (. Abb. 7.17).
>>Merke
Eine Primärlichtquelle erzeugt Licht, Öffnungswinkel genau
eine Sekundärlichtquelle streut Licht. Zumeist sind optisch genutzte Lichtbündel so schlank,
dass man für ihre Öffnungswinkel ω = d/l schreiben
Sekundärstrahler sind naturgemäß weit- darf. Die korrekte Formel lautet freilich.
tan(ω/2) = d/(2 l),
aus lichtschwächer als der primäre Strah-
wie . Abb. 7.18 zeigt. Zuweilen wird auch ω/2 als
ler, der sie beleuchtet. Der Gesichtssinn ist Öffnungswinkel bezeichnet.
zur Wahrnehmung von Sekundärstrahlern
entwickelt worden, mit entsprechender
Empfindlichkeit. Direktes Sonnenlicht
blendet nicht nur, es kann die Netzhaut
schädigen. Auch künstliche Primärstrahler
wie ­Glühbirnen sollten durch Mattglas ab-
gedeckt werden oder einen Raum indirekt
beleuchten.
..      Abb. 7.16 Divergentes Lichtbündel, aus dem Licht
Aus den unzähligen, diffus in alle Rich- der allseitig strahlenden Punktlichtquelle L von der
tungen durcheinander laufenden Sekundär- Blende B herausgeblendet. Die Bündelbegrenzungen
lichtbündeln blendet das Auge nur einen werden schon vor der Blende gezeichnet
verschwindend kleinen Bruchteil für sich
selbst heraus. Es handelt sich um schlanke,
divergente Bündel, mit von der Pupille be-
stimmten kleinen Öffnungswinkeln. Die
Ausgangspunkte dieser Bündel vermag das
Hirn zu erkennen; es setzt aus ihnen ein
räumliches Bild der Umwelt zusammen.
Wollte man bei einem konkreten, opti-
schen Problem alle benutzten Lichtbündel ..      Abb. 7.17 Divergentes und Parallellichtbündel.
auf Papier zeichnen, die Linienfülle würde Lichtstrahlen repräsentieren als Bündelbegrenzungen
wie als Zentralstrahlen Ausschnitte aus elektromagne-
unüberschaubar. Darum beschränkt man tischen Kugelwellen (Wellenfronten hier rot gezeich-
sich auf ganz wenige besonders wichtige net, „Momentaufnahme“). Grenzfall: Parallellicht-
Bündel und zeichnet von ihnen nur die Bün- bündel, ebene Welle
7.2 · Geometrische Optik
289 7

..      Abb. 7.19 Reflexionsgesetz

..      Abb. 7.18 Öffnungswinkel. Zur Herleitung der


korrekten Formel für den Öffnungswinkel

7.2.2 Spiegelung

Nur im Sonderfall einer matt getünchten


Oberfläche streut ein Körper das Licht, das
ihn trifft, völlig diffus nach allen Seiten. Im
Allgemeinen gibt er dem Licht eine mehr
oder weniger ausgeprägte Vorzugsrichtung
mit, die von der Einfallsrichtung abhängt. Je
ausgeprägter dies geschieht, desto blanker
und glänzender erscheint die Fläche. Ideali- ..      Abb. 7.20 90°-Winkelspiegel. Er wirft in der Zei-
sierter Grenzfall ist die reguläre Reflexion chenebene anlaufendes Licht parallel zu sich selbst
eines vollkommenen Spiegels: Das einfal- zurück
lende Licht wird vollständig zurückgewor-
fen und bleibt dabei so scharf ausgerichtet, aus welcher Richtung sie auftreffen, sofern dies nur in
wie es ankam. Einfallender und reflektierter der Zeichenebene der . Abb. 7.20 geschieht. Will
man sich von dieser Einschränkung freimachen, muss
Strahl liegen zusammen mit dem Einfallslot, man drei Spiegel zusammensetzen wie die Ecke einer
der Flächennormalen am Auftreffpunkt, in Kiste. Nach diesem Prinzip arbeiten die Rückstrahler
einer Ebene; Einfallswinkel α und Ausfalls- an Fahrzeugen und Fahrbahnmarkierungen („Kat-
winke β , zum Lot gemessen, sind gleich zenaugen“).
(. Abb. 7.19). Dies ist die Aussage des Re-
flexionsgesetzes. Bei senkrechter Inzidenz Bei einem ebenen Spiegel stehen alle Ein-
(α = β = 0) läuft ein Strahl in sich selbst zu- fallslote parallel. Ein divergent einfallendes
rück; in dem anderen Grenzfall der streifen- Bündel behält deshalb nach der Reflexion
den Inzidenz (α = β = 90°) wird er gar nicht seinen Öffnungswinkel bei: Zentralstrahl
abgelenkt. wie Randstrahlen folgen dem Reflexionsge-
setz (. Abb. 7.21). Das reflektierte Bündel
>>Merke scheint deshalb von einem Punkt herzukom-
Reflexionsgesetz: Einfallswinkel = Aus- men, der im gleichen Abstand hinter dem
fallswinkel. Spiegel liegt wie die wahre Lichtquelle vor
ihm. Genau diesen Punkt meldet das Auge
seinem Gehirn als Ausgangspunkt des re-
Katzenauge
Setzt man zwei Spiegel im rechten Winkel zusammen, flektierten Bündels: Ein Mensch sieht ein
so erhält man einen 90°-Winkelspiegel, der schlanke virtuelles Bild an einer Stelle, an der sich tat-
Bündel parallel zu sich selbst zurückwirft, gleichgültig sächlich etwas ganz Anderes befindet.
290 Kapitel 7 · Optik

..      Abb. 7.22 Gewölbter Spiegel. Er vergrößert den


Öffnungswinkel des reflektierten Bündels gegenüber
dem des einfallenden. Ein Auge meldet ein verkleiner-
tes, etwas an den Spiegel herangerücktes, virtuelles
..      Abb. 7.21 Reflexion am ebenen Spiegel. Ein im re- Spiegelbild P’ der Lichtquelle P
flektierten Bündel platziertes Auge meldet das virtu-
7 elle Spiegelbild P’ der Lichtquelle P als Ausgangs-
punkt des Bündels ans Gehirn

Spiegelbilder sind seitenverkehrt. Dies ist


nicht eine Eigentümlichkeit der Optik, son-
dern der Richtungsbegriffe des Menschen:
Wer von Ost nach West in einen Spiegel schaut
und seine rechte Hand hebt, hebt seine nörd-
liche Hand; sein Spiegelbild hebt ebenfalls die
nördliche Hand, aber weil es von West nach
Ost schaut, ist es die linke. Zwei Menschen,
die sich gegenüberstehen, sind gleicher Mei- ..      Abb. 7.23 Hohlspiegel bei kleinem Objektabstand.
nung bezüglich oben und unten, aber entge- Der Öffnungswinkel wird verkleinert, bleibt aber posi-
gengesetzter bezüglich rechts und links. tiv: virtuelles, vergrößertes und vom Spiegel wegge-
Ist ein Spiegel vorgewölbt, so stehen die rücktes Bild P’ der Lichtquelle P
Einfallslote nicht mehr parallel nebenein-
ander; der Öffnungswinkel des reflektier- Bündel divergent und der Betrachter
ten Bündels ist größer als der des einfallen- sieht wieder ein virtuelles Bild
den und das virtuelle Bild erscheint (. Abb. 7.23), diesmal vergrößert und
verkleinert und an den Spiegel herange- vom Spiegel abgerückt: Prinzip des Ra-
rückt (. Abb. 7.22). Verkehrsspiegel an sierspiegels.
unübersichtlichen Einfahrten nutzen das 55 Bei hinreichend großem Abstand der
aus; sie liefern ein vergleichsweise großes Lichtquelle ist der Öffnungswinkel des
Bildfeld, erschweren aber die Abschätzung einfallenden Bündels aber so klein, dass
von Entfernungen. der des reflektierten negativ wird. Das ge-
Anders ist es beim Hohlspiegel: Hier spiegelte Bündel bleibt nicht divergent, es
wird der Öffnungswinkel verkleinert. Das läuft konvergent auf einen Punkt zu und
kann zwei verschiedenen Konsequenzen ha- erst hinter diesem divergent weiter
ben: (. Abb. 7.24). Von nun ab verhält es
55 Liegt die Lichtquelle hinreichend nahe sich, als sei es im Konvergenzpunkt ent-
am Spiegel, so bleibt das reflektierte standen; ein Auge meldet diesen Punkt
7.2 · Geometrische Optik
291 7

Umkehrbar?
Frage. In . Abb. 7.24 ist in Punkt P eine
Lichtquelle und in Punkt P’ ihr reelles
Bild. Setzen wir nun die Lichtquelle in
den Punkt P’. Gibt es dann auch ein reel-
les Bild? Und wenn ja, wo?
Antwort. Bei der Reflexion ist Ein-
fallswinkel gleich Ausfallswinkel. Der
Vorgang ist vollkommen symmetrisch
und läuft genau umgekehrt ab, wenn
..      Abb. 7.24 Hohlspiegel bei großem Objektabstand.
Der Öffnungswinkel wird bis ins Negative verkleinert.
man die Richtung des Lichtstrahls um-
Das reflektierte Bündel läuft konvergent auf den reel- kehrt. Deshalb ergibt sich ein reelles Bild
len Bildpunkt P’ der Lichtquelle P zu und erst hinter P’ genau im Punkt P, wo die Lichtquelle
wieder divergent auseinander vorher war.

als Ausgangspunkt des reflektierten Bün-


dels, der Mensch sieht ein reelles Bild an 7.2.3 Brechung !
einer Stelle, an dem sich die Lichtquelle
zwar nicht befindet, das Licht aber im- In Glas läuft Licht langsamer als im Va-
merhin gewesen ist. Es scheint nicht nur kuum; für jedes andere lichtdurchlässige
von dort zu kommen, wie beim virtuellen Medium gilt das auch, sogar für die Luft,
Bild, es kommt wirklich von dort. wenn man genau genug misst. Infolgedessen
durchsetzt Licht eine Glasplatte nur bei
>>Merke senkrechtem Einfall ohne Richtungsände-
Ein virtuelles Bild wird von divergenten rung; bei schrägem Einfall wird es gebro-
Lichtbündeln erzeugt und lässt sich nur chen. Fällt, wie in . Abb. 7.25 gezeichnet,
durch abbildende Systeme (Auge, Ka- ein Parallellichtbündel von oben rechts, aus
mera) wahrnehmen. dem Vakuum mit der Lichtgeschwindigkeit
Ein reelles Bild wird von konvergenten
Lichtbündeln erzeugt und lässt sich auf
einem Bildschirm auffangen.

Die Erzeugung reeller Bilder realer Objekte


heißt in der Optik Abbildung. Vornehmlich
die Teleskope der Astronomen benutzen
hierfür tatsächlich Hohlspiegel; anderswo in
Physik und Technik bevorzugt man die Ab-
bildung durch Linsen. Auch die Natur hat
sich bei der Konstruktion der Augen höhe-
rer Tiere für dieses Verfahren entschieden.
Wer die Abbildung durch Linsen beherrscht
(sie wird ab 7 Abschn. 7.2.6 ausführlich be-
sprochen), kann seine Kenntnisse leicht auf
die Abbildung durch Hohlspiegel übertra- ..      Abb. 7.25 (Video 7.1) Brechung. Zur Herleitung
gen. Dies braucht hier also nicht näher be- des Brechungsgesetzes, Einzelheiten im Text (https://
handelt zu werden. doi.org/10.1007/000-08b)
292 Kapitel 7 · Optik

c kommend, unter dem Einfallswinkel α auf sin a1 n2


die ebene Oberfläche eines brechenden Me- = .
sin a 2 n1
diums, so kommt zunächst einmal der untere
Randstrahl ein klein wenig früher an als der Tritt Licht vom optisch „dünneren“ Me-
obere, nämlich um die Zeitspanne: dium (dem mit der kleineren Brechzahl) in
ein „dichteres“ über, so wird es zum Lot hin
s1 gebrochen, andernfalls vom Lot weg. Beim
Dt = .
c Durchgang durch eine planparallele Glas-
platte heben sich beide Brechungen gegen-
Im Medium herrscht die Lichtgeschwindig- seitig auf; ein Lichtbündel wird lediglich pa-
keit v < c; das Licht kann in Δt deshalb nur rallelversetzt (. Abb. 7.26). Den Blick
die Strecke durchs Fenster stört das nicht.
Anderes gilt bei einem Teich. Hier ist das
s1 × v brechende Medium Wasser dick und die Se-
s2 = v × Dt =
c kundärlichtquelle, etwa die Rückenflosse ei-
7 durchlaufen. Im Glas gilt aber wie in der
nes Goldfischs, befindet sich mitten darin.
Das divergente Lichtbündel kommt nicht so
Luft: Die Wellenfront (rot in . Abb. 7.25) geraden Weges beim Auge an, wie der Ge-
steht immer senkrecht auf der Ausbrei- sichtssinn vermutet; darum wird die Flosse
tungsrichtung. Deshalb ändert sich mit der an einer anderen Stelle „gesehen“, als sie sich
Richtung der Wellenfront auch die Ausbrei- befindet, und der Rest des Fisches auch. Das
tungsrichtung des Parallelbündels. Den führt zu markanten Verzerrungen, vor allem
Ausfallswinkel β liefern die beiden aus Bün- bei schräger Blickrichtung (. Abb. 7.27).
delbegrenzung und Wellenfront gebildeten Nach ihrer Definition können Einfalls-
Dreiecke der . Abb. 7.25, und zwar durch und Ausfallswinkel den Wert 90°, kann ein
die Gleichung Sinus den Wert 1 nicht überschreiten. Dem-
zufolge erlaubt das Brechungsgesetz beim
sin a1 s1 c
= = = n; Übertritt aus einem dünnen in ein dichteres
sin a 2 s2 v Medium keinen Austrittswinkel β, der grö-
ßer wäre als durch die Ungleichung
der Quotient c/v wird Brechzahl n oder Bre-
chungsindex des Glases genannt. Gebrochen n1
wird Licht nicht nur beim Übertritt vom Va- sin b £ <1
n2
kuum in ein brechendes Medium, sondern
auch beim Wechsel zwischen zwei Medien
mit unterschiedlichen Brechzahlen n1 und
n2. Darum gibt man dem Brechungsgesetz
besser die vollständige Form:

sin a1 n2
= .
sin a 2 n1

>>Merke
Brechzahl n
Lichtgeschwindigkeit c imVakuum ..      Abb. 7.26 Planparallele Glasplatte. Beim Durch-
= > 1. gang durch eine planparallele Glasplatte werden par-
Lichtgeschwindigkeit v imMedium allele wie divergente Lichtbündel lediglich parallelver-
Brechungsgesetz: setzt
7.2 · Geometrische Optik
293 7

..      Abb. 7.27 Blick ins Wasser. Das vom Auge ausge-


blendete Bündel einer Lichtquelle, die sich in einem
brechenden Medium befindet (Goldfisch im Teich),
scheint von einer Stelle zu kommen, an der sie sich
nicht befindet; „gesehen“ wird der Goldfisch senkrecht
über seiner wahren Position. Denn der Gesichtssinn
registriert Entfernungen nicht über den Öffnungswin-
kel des Lichtbündels (d. h. über die „Akkommoda-
tion“ des Auges, 7 Abschn. 7.2.9), sondern durch den
Konvergenzwinkel der Augen (7 Abschn. 7.2.11)

..      Abb. 7.28 Dunkelheit. Leuchtet man von außen in


einen Glasblock hinein, ist der im Bild dunkel gehal-
tene Bereich vom Licht nicht erreichbar. Der Winkel β
ist zugleich der Grenzwinkel der Totalreflexion ..      Abb. 7.29 Totalreflexion. Fällt ein Lichtstrahl von
(. Abb. 7.29) innen auf die Oberfläche eines Glasblocks, so wird es
mit steigendem Einfallswinkel immer stärker reflek-
tiert. Ab dem Grenzwinkel der Totalreflexion wird es
vollständig reflektiert. Siehe auch Video zu . Abb. 7.25
vorgegeben. Im dichteren Medium gibt es
demnach einen Winkelbereich, den Licht
von außen nicht erreichen kann (dunkelblau
in . Abb. 7.28). das dichtere Medium nicht verlassen – es
Was geschieht mit Licht, das, aus diesem verbleibt unter Totalreflexion auf der dich-
Bereich stammend, von der Seite des dichte- teren Seite der Grenzfläche (. Abb. 7.29).
ren Mediums aus die Grenzfläche anläuft Das Reflexionsvermögen lässt sich hier von
und heraus möchte? Gezeichnete Strahlen- 1 kaum noch unterscheiden, allenfalls wird
gänge sagen nichts über die Marschrichtung es ein wenig durch möglicherweise vorhan-
des Lichtes aus: Lichtwege sind umkehrbar. dene Streuteilchen und Absorptionsschich-
Daraus folgt notwendigerweise: Kann Licht ten an der Grenzfläche beeinträchtigt. Der
aus dem dünneren Medium nicht in einen Winkel β der . Abb. 7.28 heißt Grenzwinkel
bestimmten Bereich des dichteren hinein, so der Totalreflexion. Man kann ihn zur Be-
kann umgekehrt Licht aus diesem Bereich stimmung von Brechzahlen verwenden.
294 Kapitel 7 · Optik

>>Merke
Totalreflexion: Licht kann optisch dich-
teres Medium nicht verlassen, wenn der
Grenzwinkel der Totalreflexion βgrenz
überschritten wird:
1
sin b grenz =
n
(bei Übertritt in Vakuum oder Luft). ..      Abb. 7.30 Lichtleiter, schematisch. Das durch
eine Stirnfläche eingedrungene Licht kann wegen der
Totalreflexion erst an deren anderen Stirnfläche wie-
der hinaus
77Endoskopie
In der Medizin wird die Totalreflexion beim
sog. Lichtleiter angewendet, um Körperhöh-
len, etwa den Magen, für fotografische Zwe-
cke auszuleuchten. Man nehme ein Bündel
7 feiner Glasfäden, der einzelne vielleicht
30 μm im Durchmesser; er lässt sich dann
leicht um den Finger wickeln, ohne zu bre-
chen. Gibt man durch seine Stirnfläche Licht
in ihn hinein, so kann es nur durch die Stirn-
fläche am anderen Ende wieder heraus: Auf
Seitenflächen trifft es auch in der Biegung
immer nur mit Winkeln jenseits des Grenz-
winkels der Totalreflexion auf (. Abb. 7.30).
..      Abb. 7.31 Endoskop zum Betrachten von Darm oder
Zwischen zwei Reflexionen kommt das Licht
Magen (© Kalumet, this work with the titel „Flexibles
nicht weit; ehe es das andere Ende eines me- Endoskop.jpg“ [7 http://commons.­wikimedia.­org/wi­
terlangen Glasfadens erreicht, hat es einige ki/File:Flexibles_Endoskop.­jpg] is licenced under CC-
tausend Spiegelungen hinter sich gebracht. BY-SA-3.0-DE [7 http://creativecommons.­org/licen-
Läge das Reflexionsvermögen auch nur um ses/by-sa/3.­0/deed.­en], no modification were made)
ein Promille unter der 1, käme kaum noch
Licht an. Rechenbeispiel 7.1: „Girls best friend“
Mit Lichtleitern bekommt man viel Aufgabe. Die Lichtgeschwindigkeit in
Licht ins Dunkel des Körpers, was mit wei- Diamant beträgt 1,24 · 108 m/s. Was
ßen Leuchtdioden (noch) nicht hinreichend heißt das für die Brechzahl?
geht. Früher wurde sogar das Bild mit Glas- 3 × 108 m / s
Lösung. n = = 2, 42.
fasern optisch übertragen, heute hat man 1, 24 × 108 m / s
eine winzig kleine Kamera, wie man sie vom Im Vergleich zu Glas (n ≈ 1,5) ist das eine
Handy kennt, am Ende des Endoskops. sehr hohe Brechzahl. Es gibt kaum ein
. Abb. 7.31 zeigt ein flexibles Endoskop, durchsichtiges Material mit einem höhe-
mit dem man sich wahlweise den Magen ren Wert. Die Brechzahl bestimmt auch
oder den Dickdarm ansehen kann. das Reflexionsvermögen durchsichtiger
Das heute übliche schnelle Internet wäre Stoffe. Bei senkrechtem Lichteinfall re-
übrigens gar nicht möglich, wären die Tele- flektiert Diamant 17 % des Lichtes, Glas
fonanschüsse in den Stadtteilen nicht auch nur 4 %. Das macht den ganzen Charme
über Lichtleiter zur Nachrichtenübertra- des Diamanten aus: Er glitzert so schön.
gung miteinander verbunden. ◄
7.2 · Geometrische Optik
295 7
Mit doppelter Brechung an einem Prisma ist
Rechenbeispiel 7.2: der Effekt noch stärker.
Mit den Augen eines Fisches . Abb. 7.33 zeigt schematisch ein Paral-
Aufgabe. Wasser hat die Brechzahl lellichtbündel, das ein 60°-Prisma symmet-
n = 1,33. Wie groß ist der Grenzwinkel risch durchsetzt: Brechung zum Lot beim
der Totalreflexion? Was sieht man, wenn Eintritt, hier ein Abknicken nach rechts be-
man von unter Wasser nach oben auf deutend; Brechung beim Austritt vom Lot
eine völlig glatte Wasserfläche schaut? weg, wieder ein Abknicken nach rechts be-
1 deutend, denn die beiden Lote sind ja um
Lösung. b grenz = arcsin = 49°.
1, 33 den Prismenwinkel γ gegeneinander gekippt.
Die Welt oberhalb des Wasserspiegels ist
auf ein kreisrundes Sichtfeld mit einem >>Merke
Blickwinkel von 49° zur Senkrechten Dispersion:
komprimiert. Jenseits von 49° sieht man Abhängigkeit der Brechzahl von der
Reflexionen vom Boden des Sees. Wellenlänge, d. h. n = n(λ).

Es leuchtet ein, dass der Ablenkwinkel δ


7.2.4 Dispersion nicht nur vom Einfallswinkel α und vom
Prismenwinkel γ abhängt, sondern auch von
Brechzahlen sind von Frequenz und Wellen- der Brechzahl n und damit von deren Dis-
länge abhängig; meist fallen sie mit wach- persion n(λ). . Abb. 7.33 kann deshalb nur
sendem λ ab. Man bezeichnet diesen Effekt nach einem Laserexperiment gezeichnet
als Dispersion. Er ist nicht groß, wie die Or- worden sein: Laserlicht ist monochroma-
dinate der . Abb. 7.32 zeigt. Trotzdem lässt tisch, es enthält praktisch nur Licht einer
er sich bei hohem Brechungswinkel leicht Wellenlänge, sodass sich die Dispersion
demonstrieren. In . Abb. 7.29 kann man nicht auswirkt. Lässt man aber ein schmales
kurz vor der Totalreflexion schon die Far- Bündel Sonnenlicht auf das Prisma fallen,
bigkeit des gebrochenen Strahles erkennen. so wird das ursprünglich „weiße“ Licht in
alle Farben des Regenbogens aufgespaltet
(. Abb. 7.34). Vom Gesichtssinn als weiß
empfundenes Licht ist normalerweise ein
homogenes Gemisch aus allen Wellenlängen
des sichtbaren Spektralbereichs, wie es etwa

..      Abb. 7.33 Glasprisma. Ein Parallellichtbündel


durchsetzt symmetrisch ein 60°-Glasprisma; Einfalls-
..      Abb. 7.32 Dispersionskurve von Flintglas winkel α, Ablenkwinkel δ
296 Kapitel 7 · Optik

..      Abb. 7.35 Linse als Prismenstapel. Ein Prismensta-


pel zieht Parallellichtbündel, deren Zentralstrahlen von
einem Punkt P stammen, in einem Punkt P’ zusam-
men – sofern die brechenden Winkel richtig gewählt
werden

..      Abb. 7.34 Regenbogenfarben. Mit einem Prisma


7 lässt sich Licht in die verschiedenen Wellenlängen zer-
legen. Im Regenbogen geschieht dies durch Brechung
an der Oberfläche von Regentropfen

von Wolken als Sekundärstrahlern abgege-


ben wird. Im blauen Himmel überwiegen die
..      Abb. 7.36 Prismen sammeln Licht. Parallel anlau-
kürzeren, im Abendrot die größeren Wellen-
fende Bündel werden nach F’ gesammelt
längen. Das Prisma kann ein Wellenlängen-
oder auch Frequenzgemisch spektral zerle-
gen, in sein Spektrum zerlegen.

>>Merke
Spektrale Zerlegung: Aufteilung eines
Wellenlängengemischs in einzelne Wel-
lenlängen. ..      Abb. 7.37 Zylinderlinse. Eine Zylinderlinse liefert
einen Bildstrich

7.2.5 Linsen ! vom Punkt P ausgehen, in einen Punkt P’


hinein sammeln. Auch parallel ankom-
Von der Seite gesehen muss ein optisches mende Bündel würden sie sammeln, aber
Prisma nicht unbedingt die Form eines Drei- auf kürzeren Abstand, also in den Punkt F’
ecks haben. Für das in . Abb. 7.33 gezeich- der . Abb. 7.36. Mit schmaleren Prismen
nete Bündel hat die Spitze des Prismas keine ließe sich eine größere Anzahl von Bündeln
Bedeutung, sie kann gekappt werden. Wich- erfassen; im Grenzfall wird dann die Ober-
tig ist nur der brechende Winkel γ ; mit ihm fläche des Glaskörpers nicht mehr von Fa-
wächst der Ablenkwinkel δ. cetten gebildet, sondern von zwei Zylinder-
Zumindest im Gedankenversuch kann mänteln mit horizontaler Achse. Es ändert
man sich einen Stapel aufeinandergesetzter sich nichts Wesentliches, wenn man den ei-
Prismen nach Art der . Abb. 7.35 vorstel- nen zur Ebene entarten lässt: Eine derartige
len. Ihre brechenden Winkel sollen so ge- Zylinderlinse zieht ein anlaufendes Parallel-
wählt sein, dass sie die (gezeichneten) Zent- lichtbündel zu einem horizontalen Strich zu-
ralstrahlen von Parallellichtbündeln, die alle sammen (. Abb. 7.37).
7.2 · Geometrische Optik
297 7


..      Abb. 7.38 Zwei Zylinderlinsen mit gleichen
Brennweiten und zueinander senkrechten Zylinder-
achsen bilden ab wie eine sphärische Linse

..      Abb. 7.40 Zerstreuungslinse. Eine Zerstreuungs-


F linse weitet parallel einfallende Strahlen auf. Diese
Strahlen auf der rechten Seite scheinen aus einem
Punkt zu kommen. Den Abstand dieses Punktes von
der Linse nennt man auch Brennweite und gibt ihm
einen negativen Wert
f

..      Abb. 7.39 Sammellinse. Parallel einfallende Strah- Grundsätzlich kann eine sphärische
len werden in den Brennpunkt fokussiert. Der Abstand
Linse in ihrer Mitte dünner sein als am Rand.
des Brennpunktes von der Linse ist die Brennweite f
Einfallende Parallellichtbündel werden dann
nicht gesammelt, sondern zu divergenten
Setzt man dicht hinter die Linse eine Bündeln aufgeweitet (. Abb. 7.40); sie schei-
zweite mit vertikaler Zylinderachse, so wird nen von Punkten zu kommen, die auf einer
das Bündel zu einem Punkt, dem Brenn- Ebene vor der Linse liegen. Es ist deshalb
punkt, zusammengezogen (. Abb. 7.38). sinnvoll, einer solchen konkaven oder Zer-
Dieses Resultat kann man auch in einem streuungslinse eine negative Brennweite zuzu-
Schritt haben, wenn man den Glaskörper ordnen.
durch zwei Kugelflächen begrenzt; er bildet „Starke“ Linsen mit stärker gekrümmten
dann eine sphärische Linse, und zwar eine Oberflächen haben kurze Brennweite, wer-
bikonvexe Sammellinse. Wieder ändert sich den also durch eine Kenngröße mit kleiner
nichts Wesentliches, wenn die eine Fläche Maßzahl charakterisiert. Wem das missfällt,
zur Ebene entartet (Plankonvexlinse). Aber der bevorzugt zur Kennzeichnung den
nicht die äußere Form ist das Entschei- Brechwert, er ist als Kehrwert der Brenn-
dende an einer Linse, sondern ihre Brenn- weite definiert. Seine Einheit heißt Dioptrie
weite. (dpt), sie entspricht dem Kehrwert eines
Als Brennweite f bezeichnet man den Meters:
Abstand des Brennpunktes von der Linse
(. Abb. 7.39). Tatsächlich werden auch pa- 1 dpt = 1 m –1.
rallele Strahlen, die nicht senkrecht, sondern
schräg auf die Linse fallen, in einen Brenn- Jeder, der eine Brille trägt, weiß, dass Augen-
punkt fokussiert, der den gleichen Abstand optiker immer mit Dioptrien rechnen. Das
von der Linse hat. Alle Brennpunkte liegen liegt vor allem daran, dass sich die Brech-
auf einer Brennebene. Auf ihr liegen dann werte zweier dicht hintereinander gesetzter
auch die reellen Bilder, welche die Linse von Linsen (wie Auge und Brille) näherungs-
weit entfernten Objekten entwirft. weise addieren.
298 Kapitel 7 · Optik

>>Merke 55 Astigmatismus: Wer schräg auf eine


Konvexe Linse = Sammellinse: Linse schaut, sieht sie perspektivisch ver-
positive Brennweite f kürzt und schätzt darum die Krümmung
Konkave Linse = Zerstreuungslinse: ihrer Oberfläche in der einen Richtung
negative Brennweite höher ein als in der anderen. Die Folge:
Brechwert = Kehrwert der Brennweite Ein schräg einfallendes Parallellichtbün-
(Einheit: Dioptrie, 1 dpt = 1 m–1) del wird gar nicht in einem Punkt zusam-
Bei dünnen Linsen, die dicht hinterein- mengezogen, sondern in zwei zueinander
ander stehen, addieren sich näherungs- senkrechte Striche mit verschiedenen
weise die Brechwerte. Entfernungen von der Linse.
Dies gilt erst recht (und dann auch für
Eine Sammellinse bildet Parallellichtbündel achsenparallel einfallende Bündel), wenn
in eine einzige Ebene ab, die im Abstand der zumindest eine Oberfläche der Linse
Brennweite liegt. Streng genommen ist die- ­tatsächlich in der einen Richtung stärker
ser Satz keine Feststellung, sondern ein Pos- gekrümmt ist als in der dazu senkrechten
7 tulat, das keine existierende Linse exakt zu anderen. Die Linse ist dann keine sphäri-
erfüllen vermag. Man sagt deshalb, sie habe sche Linse mehr, sondern hat einen Zylin-
Linsenfehler: deranteil. So entsteht der Astigmatismus
55 Chromatische Aberration = Farbfehler: des Auges, eine Fehlsichtigkeit, die sich
Dieser gut nachvollziehbare Linsenfehler durch ein Brillenglas mit entsprechendem
ist eine Folge der Dispersion des Linsen- Zylinderanteil korrigieren lässt. Schließlich
materials: Rotes Licht hat eine größere liegen die Bildpunkte eines ebenen Gegen-
Brennweite als blaues. stands nicht notwendigerweise selbst in ei-
55 Sphärische Aberration = Öffnungsfehler: ner Ebene – man spricht dann von Bild-
Dieser Fehler stört besonders bei großen feldwölbung („Fischaugeneffekt“).
Linsen mit kleiner Brennweite. (Rand-
nahe Bündel haben eine etwas kleinere . Abb. 7.41 illustriert die wichtigsten Lin-
Brennweite als zentrumsnahe.) senfehler.

..      Abb. 7.41 a–c Lin-


senfehler. a Öffnungs-
fehler (sphärische Ab-
erration): Strahlen, die
am Rand der Linse
eintreten, haben einen a
anderen Brennpunkt; b
Farbfehler (chromati-
sche Aberration): Licht
unterschiedlicher Wel-
lenlänge hat verschie-
dene Brennpunkte; c b
Eine astigmatische
Linse (sphärisch mit
Zylinderanteil) liefert
zwei senkrecht aufein-
ander stehende Bild-
striche

c
7.2 · Geometrische Optik
299 7

..      Abb. 7.42 Grundtypen optischer Linsen im Schnitt.


Von links: bikonvex, plankonvex, konkavkonvex (Sam-
mellinsen); bikonkav, plankonkav, konvexkonkav
(Zerstreuungslinsen)

>>Merke
..      Abb. 7.43 Wesentliche Elemente einer dünnen Linse
Wichtigste Linsenfehler:
55 Öffnungsfehler = sphärische Aberra-
tion, von der aus die Abstände zu Gegen-
55 Farbfehler = chromatische Aberra- stand und Bild gemessen werden müs-
tion, sen; sie heißt Hauptebene. Senkrecht zu
55 Astigmatismus (Zylinderlinse). ihr durch die Linsenmitte läuft die opti-
sche Achse. Ein achsenparallel einfallen-
Die Abbildungsgleichung fragt nicht danach,
des Parallellichtbündel wird von der
auf welchem technischen Weg die Brennweite
Linse in den Brennpunkt F’ zusammen-
einer Linse „gemacht“ wird; bei den Linsen-
gezogen, er liegt auf der Achse im Ab-
fehlern kann die Linsenform aber eine be-
stand der Brennweite f von der Haupt-
trächtliche Rolle spielen. . Abb. 7.42 zeigt die
ebene (. Abb. 7.43).
Grundtypen dieser Formen. Will man ein weit
entferntes Objekt abbilden, so ist eine plan- Der Merksatz oben enthält im Grunde alles,
konvexe Linse besser als eine bikonvexe, sofern was man über die Abbildung durch (fehler-
man die ebene Seite dem Bild zudreht (und freie) Linsen wissen muss; den Rest kann
nicht umgekehrt!). Man soll immer versuchen, man sich leicht überlegen:
mit seinem Licht so symmetrisch wie möglich 1. Linsen wirken symmetrisch – unmittel-
durch eine Linse hindurchzukommen. bar einleuchtend bei einer bikonvexen
Linsenfehler lassen sich korrigieren, durch Linse – d. h., die Brennweiten auf beiden
Kompensation nämlich. Mehrere Linsen, aus Seiten der Hauptebene sind gleich.
verschiedenen Glassorten geschliffen und ge- 2. Lichtwege sind umkehrbar – d. h., das
schickt zusammengesetzt, können ihre Fehler divergente Lichtbündel einer Quelle, die
gegenseitig weitgehend aufheben und insge- im Brennpunkt liegt, verlässt die Linse
samt trotzdem noch wie eine abbildende Linse als achsenparalleles Parallelbündel.
wirken. Speziell gegen die sphärische Aberra- 3. Zentralstrahlen, d. h. Strahlen durch den
tion und Bildfeldwölbung helfen asphärische Schnittpunkt von Achse und Haupt-
Linsen, also solche mit z. B. parabolisch ge- ebene, werden auch dann nicht gebro-
krümmten Oberflächen. Smartphone-Kame- chen, wenn sie schräg einfallen. Damit
raobjektive sind aus typisch 5 asphärischen lässt sich der für die Bildkonstruktion
Linsen zusammengesetzt. Diese Linsen wer- wichtige Tatbestand auch folgenderma-
den preisgünstig aus Kunststoff gepresst. ßen formulieren:

>>Merke
7.2.6 Abbildung mit Linsen ! 55 Jeder achsenparallele Strahl wird an
der Hauptebene zum Strahl durch
>>Merke den Brennpunkt und umgekehrt.
Einer hinreichend dünnen Linse kann 55 Jeder Zentralstrahl läuft geradeaus
man zuverlässig die Ebene zuordnen, weiter.
300 Kapitel 7 · Optik

. Abb. 7.44 illustriert dies. Nun weiß eine wege umkehrbar sind, könnte sie auch die
Linse nicht, ob ein achsenparallel bei ihr an- auf dem Kopf stehende Flamme in die Ge-
kommender Strahl (etwa der rot gezeichnete genrichtung abbilden. Nach diesem Schema
in . Abb. 7.44) zu einem Parallellichtbün- lässt sich zu jedem Punkt eines Gegenstands
del gehört und damit einer sehr fernen der zugehörige Bildpunkt konstruieren. Da
Lichtquelle entstammt oder ob er Teil eines grundsätzlich drei Strahlen für die Konst-
divergenten Bündels ist, das von der Kerzen- ruktion zur Verfügung stehen, kann man
flamme ausgeht; in jedem Fall knickt der sogar seine Zeichengenauigkeit überprüfen.
Strahl an der Hauptebene zum Brennpunkt Es ist keineswegs notwendig, dass die zur
hin ab. Zum divergenten Bündel der Kerzen- Bildkonstruktion auf dem Papier verwende-
flamme gehört auch der blau gezeichnete ten Strahlen im praktischen Versuch als
Strahl, wenn auch in Gegenrichtung durch- Lichtbündel tatsächlich realisiert werden.
laufen. Er ist links der Hauptebene ein Strahlen dürfen auch weit außerhalb der Lin-
Strahl durch den Brennpunkt, also rechts senfassung auf die Hauptebene treffen, Licht-
achsenparallel. Er trifft den roten im Bild bündel laufen nur durch die Linsenöffnung;
7 der Flamme und dies gilt für alle Strahlen auf jeden Fall wird aber alles, was vom Ge-
des divergenten Bündels, das bei der Flamme genstandspunkt ausgeht, im Bild gesammelt,
startet, der grüne Zentralstrahl zeigt es un- sofern es nur durch die Linse hindurchkommt.
mittelbar: Die Linse bildet die Kerze in ein Deren Durchmesser bestimmt den Öffnungs-
auf dem Kopf stehendes Bild ab. Weil Licht- winkel des abbildenden Bündels, nicht aber
die Lage des Bildpunktes. Auch ein Elefant
lässt sich fotografieren, obwohl er viel größer
ist als Linse und Kamera (. Abb. 7.45).
Alle Abbildungen dieses Kapitels sind
bisher stillschweigend für Sammellinsen ge-
zeichnet worden, obwohl im Text schlicht
von „Linsen“ die Rede war. Tatsächlich gel-
ten die aufgestellten Sätze auch für Zer-
streuungslinsen, sofern man nur Folgendes
beachtet: Im üblichen Zeichenschema kons-
truierter Strahlengänge liegt der Gegen-
stand links, das Bild rechts der Hauptebene
Entsprechendes gilt für den gegenstandssei-
tigen Brennpunkt F und den bildseitigen F’;
eine Zerstreuungslinse aber hat negative
Brennweite, bei ihr liegt im Schema F’ links
und F rechts. Die Bildkonstruktion läuft
f f f f

..      Abb. 7.44 (Video 7.2) Bildkonstruktion. Die rot


gezeichneten, von links achsenparallel einlaufenden
Strahlen werden rechts von der Hauptebene zu Strah-
len durch den Brennpunkt; für die blau gezeichneten
Strahlen ist es gerade umgekehrt: Weil sie links durch
den Brennpunkt laufen, sind sie rechts achsenparallel.
Die grün gezeichneten Zentralstrahlen werden nicht
abgeknickt. Man kann die Zeichnungen als Konstruk- ..      Abb. 7.45 Abbildung mit kleiner Linse. Strahlen-
tion des Bildes links vom Gegenstand rechts denken gang zu Bildkonstruktion (schwarz) und abbildendes
oder auch umgekehrt (https://doi.org/10.1007/000- Bündel (rot) vom Elefantenohr bei der Fotografie;
08a) schematisch
7.2 · Geometrische Optik
301 7
dann nach dem gleichen Verfahren ab Lage des virtuellen Bildes ergibt sich, wenn
(. Abb. 7.46b), sie führt zu einem virtuellen man sich die Strahlen, die die Linse verlas-
Bild im Schnittpunkt der gestrichelt fortge- sen, rückwärts gerade fortgesetzt denkt (ge-
setzten roten und blauen Strahlen, verklei- strichelt gezeichnet). Das virtuelle Bild, das
nert und an die Hauptebene herangerückt. sich dann ergibt, ist aufrecht und vergrößert:
Auch Sammellinsen können virtuelle Bil- So funktioniert eine Lupe.
der geben, dann nämlich, wenn der Gegen- Wie schon in 7 Abschn. 7.2.2 bespro-
stand innerhalb der Brennweite f liegt. Auch chen, bilden auch gewölbte Spiegel ab. In
jetzt wird das Bild nach dem gleichen . Abb. 7.47 sieht sich der Fotograf einmal
Schema konstruiert (. Abb. 7.46a). Die im reelen und einmal im virtuellen Bild.

7.2.7 Abbildungsgleichungen !!

Man kann nach dem Schema in


7 Abschn. 7.2.6 den Zusammenhang zwi-
schen Gegenstandsweite g, Bildweite b und
Brennweite f mühsam und Punktweise
durch Konstruktion mit Bleistift und Lineal
gewinnen, man kann ihn aber auch ausrech-
nen mithilfe der Abbildungsgleichung:

1 1 1
+ =
g b f

..      Abb. 7.46 a, b Bildkonstruktion virtueller Bilder. Herleitung


Bezeichnungen wie in . Abb. 7.43. a Sammellinse In . Abb. 7.48 sind zusätzlich zu den bisher genann-
(Lupe): Gegenstandsweite kleiner als Brennweite, vir- ten Elementen der optischen Abbildung der Linsen-
tuelles Bild groß. b Zerstreuungslinse (Spion in der mittelpunkt M sowie die Abstände G und B der
Tür): negative Brennweite, bildseitiger Brennpunkt F’ Punkte P und P’ von der optischen Achse eingetragen.
links von der Hauptebene, virtuelles Bild klein. Siehe Auf der Gegenstandsseite enthält der Strahlengang
auch Video zu . Abb. 7.44 drei ähnliche rechtwinklige Dreiecke mit dem blauen
Strahl durch den Brennpunkt als Hypotenuse. Das
kleinste mit dem rechten Winkel bei M hat Achse und
Hauptebene als Katheten, ihre Längen betragen f und
B. Das mittlere Dreieck hat seine spitzen Ecken bei P
und F, seine Katheten sind x = g – f und G. Diese bei-
den Dreiecke sind einander ähnlich, darum stehen ei-
nander entsprechende Seiten untereinander im glei-
chen Verhältnis:
G B
= ,
g- f f
also
B f
..      Abb. 7.47 Reell und Virtuell. Der Hohlspiegel = .
links wirkt wie eine Sammellinse und wirft ein auf dem G g- f
Kopf stehendes reelles Bild in den Raum vor den Spie- B und G sind aber Messwerte für die Größen von Bild
gel, das die Kamera sieht. Der Wölbspiegel rechts und Gegenstand. Deshalb liefert diese Gleichung den
wirkt wie eine Zerstreuungslinse und zeigt ein verklei- Vergrößerungs- bzw. Verkleinerungsfaktor der Abbil-
nertes virtuelles Bild des Fotografen dung.
302 Kapitel 7 · Optik

Praktikum 7.1

Linse (Augenmodell)
In der Regel wird eine Brennweite be-
stimmt. Es gibt drei Verfahren, die
Brennweite einer Sammellinse zu bestim-
men: einfache Abbildung, Bessel-­
Verfahren und Autokollimation:
Einfache Abbildung. Man bildet einen
..      Abb. 7.48 Zur Herleitung der Abbildungsglei- Gegenstand scharf auf einen Schirm ab,
chung (Einzelheiten im Text) misst Gegenstandsweite und Bildweite und
berechnet mit der Abbildungsgleichung
Eine weitere Gleichung liefert ein Vergleich der recht- die Brennweite. Problem: Man muss die
winkligen Dreiecke mit spitzen Winkeln bei P und M genaue Lage der Hauptebene der Linse
bzw. P’ und M:
kennen. Bei symmetrischen Bikonvexlin-
B b
7 = .
G g
sen (. Abb. 7.42) ist die Hauptebene ein-
fach in der Mitte, bei anderen Formen ist
Beide Gleichungen zusammen ergeben:
die Position nicht offensichtlich.
f b
= . Bessel-Verfahren. Bei festgelegtem
g- f g
Abstand zwischen Gegenstand und
Auf beiden Seiten den Kehrwert nehmen und durch b Schirm gibt es immer zwei verschiedene
teilen liefert schon fast die Abbildungsgleichung.
Positionen der Linse, die zu einer schar-
fen Abbildung führen, einmal ein verklei-
>>Merke nertes und einmal ein vergrößertes Bild.
Für die Berechnung der reellen Abbil- Der Grund liegt in der Umkehrbarkeit
dung mit dünner Linse: von Strahlengängen. Aus dem Abstand s
Abbildungsgleichung: der beiden Linsenpositionen und dem
1 1 1
+ = . Abstand g von Gegenstand zu Schirm
g b f lässt sich die Brennweite f berechnen:
Vergrößerung:
B b f g 2 - s2
= = . f =
G g g- f 4× g

Über die Lage der Hauptebene verrät


Ist g = 2f, so ist der Abbildungsmaßstab ge- das Verfahren nichts.
rade 1:1 und es gilt: Bildweite gleich Gegen- Autokollimation. Sie ermöglicht das
standsweite. Auffinden der Hauptebene. Hier bildet
Das Bild sehr weit entfernter Objekte man einen punktförmigen Gegenstand in
liegt hingegen in der Brennebene, denn es sich selbst ab, indem auf der anderen
sendet praktisch Parallellichtbündel zur Seite der Linse ein Spiegel das Licht zu-
Linse. Daraus ergibt sich ein einfaches Ver- rückwirft und der Gegenstand im Brenn-
fahren, die Brennweite einer Linse zu be- punkt der Linse liegt. Er liegt dann genau
stimmen: Man misst den Abstand, mit dem im Brennpunkt, wenn auf der anderen
man die Linse vor die Zimmerwand halten Seite der Linse ein Parallellichtbündel
muss, um das gegenüberliegende Fenster- austritt und deshalb ein Verschieben des
kreuz scharf abzubilden. Besonders genau Spiegels die Abbildung nicht ändert. Man
ist die Methode allerdings nicht. Genauere misst nun den Abstand des Gegenstands
Methoden werden in vielen Medizinerprak- zur vermuteten Position der Hauptebene,
tika durchgeführt (Praktikum 7.1).
7.2 · Geometrische Optik
303 7

dreht dann die Linse herum, stellt wieder


scharf und misst noch einmal. Hat man
die Lage der Hauptebene richtig vermu-
tet, misst man denselben Abstand, sonst
liegt die Hauptebene im Mittelwert der
beiden Distanzen.

..      Abb. 7.49 Dicke Linse. Nur ein längs der opti-


Jeder einzelne Bildpunkt eines weit entfern- schen Achse laufender Strahl kommt geraden Weges
ten Objekts liegt dort, wo der Zentralstrahl durch die Linse; schräg anlaufende Zentralstrahlen
werden parallelversetzt. Bei dünnen Linsen darf man
die Brennebene kreuzt. Notwendige Folgen: diese Versetzung vernachlässigen
je größer die Brennweite, desto größer das
Bild, je kleiner die Brennweite, desto größer
das Bildfeld (das etwa von einem vorgegebe-
nen Filmformat erfasst wird). Fotografen
benutzen deshalb für Fernaufnahmen Tele- Rechenbeispiel 7.3: Scharfstellen
objektive mit großer Brennweite und für In- Aufgabe. Das „Normalobjektiv“ ei-
nenaufnahmen Weitwinkelobjektive mit ner Profikamera hat die Brennweite
kurzer. Die Industrie verkauft auch sog. f = 50 mm. Dem entspricht auch der Ab-
Zoomobjektive („Gummilinsen“) mit konti- stand zwischen bildseitiger Hauptebene
nuierlich einstellbarer Brennweite. Mit ihnen und Bildsensor bei „Normaleinstellung
kann der Amateurfilmer „Fahraufnahmen“ auf Unendlich“. Um wie viel Millimeter
vortäuschen, ohne sich vom Fleck zu bewe- muss das Objektiv zur Scharfeinstellung
gen: Durch Verlängerung der Brennweite auf einen 45 cm entfernten Gegenstand
wird das Objekt scheinbar „herangeholt“. vorgeschoben werden?
Rückt ein Gegenstand tatsächlich aus Lösung. Für „Normaleinstellung auf
dem Unendlichen immer näher heran, so Unendlich“
wächst die Bildweite. Entsprechend schiebt lautet die Abbildungsgleichung
der Fotograf für Nahaufnahmen das Objek- 1 1 1
+ = und deshalb b = f = 50 mm.
tiv seiner Kamera zur Scharfeinstellung vor, b ¥ f
denn die Position der Bildebene ist ihm ja Für g = 45 cm ergibt
-1
durch den Film konstruktionsbedingt vor- æ1 1ö
sich b = ç - ÷ = 56, 23mm. Also
gegeben. Auf reale Objektive einer Kamera, è f gø
die immer aus mehreren Linsen bestehen, ist muss das Objektiv um 6,23 mm verscho-
die oben formulierte Abbildungsgleichung ben werden. Die Profikamera hat einen
allerdings nicht direkt anwendbar. Sie gilt sehr großen Bildsensor und deshalb eine
nur für dünne Linsen, bei denen z. B. zu große Brennweite. Bei kleinen Kameras
Recht der Parallelversatz des Zentralstrahles mit kleinerer Brennweite wird auch die-
bei schrägem Einfall (. Abb. 7.49) vernach- ser Verschiebeweg kleiner. Das nützen
lässigt werden kann. Bei Linsensystemen Autofokuskameras gern aus: Die Ver-
und dicken Linsen berücksichtigt man den schiebemechanik kann bei kleiner
Parallelversatz dadurch, dass man zwei Brennweite (z. B. 15 mm) einfacher und
Hauptebenen einführt. Wie das funktio- ungenauer werden. Ist die Kamera gar
niert, gehört zur technischen Optik, die eine so klein wie im Handy, kann ganz auf
Wissenschaft für sich ist und deshalb hier das Scharfstellen verzichtet werden.
nicht vertieft wird.
304 Kapitel 7 · Optik

fernt; eine Brille muss sie ersetzen, erlaubt


Rechenbeispiel 7.4: Teleobjektiv aber keine Scharfeinstellung mehr.
Aufgabe. Ein Tierfreund möchte einen
scheuen Hasen auf 3 m Distanz bildfül- Abbildungsgleichung für einfache Brechung
lend auf seinen Profibildsensor (Bild- Was sich bei einer Abbildung mit nur einer brechen-
den Fläche im Wesentlichen gegenüber einer Linse
maße 24 × 36 mm) bannen. Welche
ändert, zeigt . Abb. 7.50: Vor und im Glaskörper er-
Brennweite muss sein Objektiv dazu ha- geben sich unterschiedliche Brennweiten f und f’. Da-
ben? durch modifiziert sich die Abbildungsgleichung. Lie-
Lösung. Sagen wir mal, der Hase ist gen Bild und Bildweite b im Glaskörper, so ergibt sich:
f f¢
30 cm hoch, also G = 30 cm. Die Bild- Abbildungsgleichung + = 1
g b
höhe soll B = 26 mm sein. Die Gegen-
Sie herzuleiten ist nicht sonderlich schwer, aber etwas
standsweite ist g = 3 m. Jetzt müssen wir
mühsam und wenig ergiebig.
nur noch die Glei- Die beiden Brennweiten f und f’ stehen im gleichen
B f Verhältnis wie die Brechzahlen n und n’ der Medien, in
chung = nach f auflösen. denen sie liegen. Man kann deshalb der Brechwert so
G g- f
7 Ergebnis:
definieren, dass er auf beiden Seiten gleich wird:
n n¢
Brechwert D = =
-1 f f¢
æG ö
f = g × ç + 1÷ = 24 cm. Bei der Linse ist die Brechzahl des Mediums drumherum
èB ø (Luft) gleich eins, sodass die Brechwert, wie in
7 Abschn. 7.2.5 gesagt, der Kehrwert der Brennweite ist.
Aus welcher Richtung man eine Kugel auch im-
mer anschaut, sie zeigt sich stets in gleicher Gestalt.
Von wo ein Lichtbündel auch anläuft, auf jeden Fall
7.2.8  bbildung durch einfache
A besitzt es eine optische Achse, auf der ein Lichtstrahl
Brechung durch das Kugelzentrum zum Bildpunkt läuft. Die
Brennfläche einer brechenden Kugel ist deshalb selbst
Eine Linse hat immer zwei Oberflächen: Das eine Kugelfläche; beide Kugeln haben den gleichen
Licht, das sie durchsetzt, wird zweimal ge- Mittelpunkt, wie . Abb. 7.50 zeigt.
Diese Zeichnung hat freilich einen etwas akademi-
brochen. Unerlässlich für eine optische Ab- schen Charakter: Man braucht nämlich eine für sicht-
bildung ist das nicht. Zur Abbildung genügt bares Licht ungewöhnlich hohe Brechzahl > 2, um die
bereits eine einzige gekrümmte brechende Brennfläche in die brechende Kugel hineinzubekom-
Fläche. Allerdings kann das Licht auf sei- men. Mit Diamant ginge es: n = 2,41. Eben das macht
nem Weg zum reellen Bildpunkt dann den ihn für Schmuckstücke so beliebt: Zu großem n gehört
ein kleiner Grenzwinkel der Totalreflexion. Er erlaubt,
Glaskörper nicht mehr verlassen; ein Bild- Diamanten zu Brillanten mit vielen glitzernden Flä-
schirm, ein fotografischer Film müsste sich chen zu schleifen. Organisches Leben, das Augen bil-
in dessen Innerem befinden, allenfalls unmit- den will, kann diese Brechzahlen aber nicht verwirkli-
telbar auf der Rückseite – keine gute Lösung chen. Die Hornhaut ist deshalb vorn stärker gekrümmt
für die Technik, wohl aber für die Natur: als die Oberfläche des Augapfels sonst.
Sie kann die lichtempfindliche Netz-
haut(Retina) durchaus auf der Rückseite
des Augapfels anwachsen lassen. Mit dieser
Konstruktion wird die Abbildung durch nur
eine brechende Fläche nahegelegt und so
macht es die Natur im Wesentlichen auch.
Die Hornhaut (Kornea) übernimmt den
Hauptteil der Abbildung, die Augenlinse
..      Abb. 7.50 Abbildende Kugel (Augenmodell). Paral-
sorgt lediglich für einen gewissen Komfort lelbündel aus verschiedenen Richtungen werden von
bei der Scharfeinstellung. Bei einer Opera- einer brechenden Kugel in eine zu ihr konzentrische
tion des grauen Stars wird diese Linse ent- Kugelfläche (Brennfläche, gestrichelte Linie) abgebildet
7.2 · Geometrische Optik
305 7
7.2.9 Auge

Das Auge des Menschen besteht im Wesent-


lichen aus einer lichtdurchlässigen Kugel
mit ca. 24 mm Durchmesser, dem Glaskör-
per (Bulbus oculi). Seine Rückseite ist mit
der lichtempfindlichen Netzhaut belegt, der
Retina. Man könnte nun hoffen, eine solche
Kugel erlaube, zumindest die halbe Welt mit
einem einzigen „Panoramablick“ zu erfas-
sen, denn die Optik der brechenden Kugel
bevorzugt ja keine Blickrichtung. Im vori-
gen 7 Abschn. 7.2.8 hatte sich aber gezeigt:
Um die Brennfläche einer Kugel auf ihre ei-
gene Oberfläche zu legen, braucht man ein
..      Abb. 7.51 Menschliches Auge. Horizontaler Schnitt
Material mit der Brechzahl 2. Das steht der
Natur im Bereich der organischen Substan-
tige „auf Unendlich“. Von dem dafür
zen nicht zur Verfügung; beim Glaskörper
notwendigen Brechwert liefert die Hornhaut
muss sie sich mit n = 1,34 zufriedengeben.
den Löwenanteil, nämlich 43 Dioptrien
Folglich wölbt sie die Hornhaut, die Kornea,
(dpt), während die Linse nur 15 dpt hinzu-
deutlich vor, verringert dadurch den Radius
tut. Wird sie bei einer Staroperation ent-
der brechenden Kugelfläche und mit ihm die
fernt, so braucht die Starbrille nur diese 15
Brennweite. Der Panoramablick geht verlo-
dpt zu ersetzen, denn der Brechwert der
ren; er wird durch hohe Rotationsbeweglich-
Hornhaut bleibt erhalten. Die Fähigkeit zur
keit des Auges ersetzt.
Akkommodation geht freilich verloren, aber
Mit der vorgewölbten Hornhaut wäre das
das tut sie in höherem Lebensalter ohnehin.
Auge freilich fest auf eine ganz bestimmte
Sehweite eingestellt (± Schärfentiefe): Kor-
>>Merke
nea und Retina können ja nicht gegeneinan-
Auge des Menschen:
der verschoben werden. Für die Akkommo-
55 Brechwert der Hornhaut: ca. 43 dpt
dation, für die Scharfeinstellung auf nahe
55 Brechwert der Linse: ca. 15 dpt
Objekte, baut die Natur dem Menschenauge
55 Akkommodation: Scharfeinstellung
deshalb noch eine Augenlinse ein, bestehend
des Auges durch Änderung der Linsen-
aus einer gallertartigen Masse mit der Brech-
krümmung
zahl 1,41. Sich selbst überlassen möchte sie
unter der Wirkung der Oberflächenspannung Im Vergleich zum Objektiv selbst eines ein-
Kugelform annehmen. Daran wird sie aber fachen Fotoapparats nehmen sich die opti-
von radial angreifenden Spannfasern (Zonu- schen Eigenschaften des Auges recht
lafasern) gehindert. Diese ziehen sie flach, so- kümmerlich aus. Der Industrie stehen im
­
dass sie eine echte Bikonvexlinse bildet. Au- Bereich der unbelebten Natur einfach die
ßen hängen die Spannfasern an einem besseren Materialien zur Verfügung. Die
Ringmuskel, dem Ziliarmuskel (. Abb. 7.51). Natur hat andere Möglichkeiten, diesen
Kontrahiert er, so geben die Fasern nach und Nachteil auszugleichen. Vor allem kann sie
die Linse wird kugeliger, ihr Brechwert steigt dem Auge eine große Beweglichkeit verlei-
→ Akkommodation auf kleinere Sehweite. hen, mit dem der Augapfel in der Augen-
Bei „entspanntem Auge“, d. h. entspann- höhle herumrollt. Das erlaubt es, an anderer
tem Ringmuskel und gespannt flach gezoge- Stelle sehr rationell zu arbeiten: Nur ein
ner Linse akkommodiert der Normalsich- kleiner Teil der Netzhaut, die Sehgrube oder
306 Kapitel 7 · Optik

Fovea centralis, ist dicht mit Sehzellen be- 7.2.10 Fehlsichtigkeit und Brillen
legt, die ihre eigenen „Nervenleitungen“ ins
Gehirn besitzen. Dort liegen die Konver- Ein gesundes Auge sieht die Sterne scharf,
genzpunkte derjenigen Lichtbündel, die nur sein Fernpunkt liegt im Unendlichen. Die
wenig gegen die optische Achse geneigt sind, kürzeste individuell noch scharf einstellbare
sodass sich Linsenfehler auch nur relativ we- Sichtweite entspricht dem jeweiligen Nah-
nig auswirken. punkt. Zwischen beiden liegt die „Akkom-
Auch im peripheren Gesichtsfeld vermag modationsentfernung“. Es hat etwas für
die Retina durchaus noch Einzelheiten visu- sich, nicht sie selbst anzugeben, sondern ih-
ell wahrzunehmen. Hohes Auflösungsver- ren Kehrwert, die Akkommodationsbreite,
mögen der Sehzellen lohnt hier aber nicht und zwar in Dioptrien.
mehr, weil es sich optisch doch nicht errei- Wer auf alles akkommodieren kann, was
chen lässt. Dafür erlaubt die hohe Beweg- sich zwischen 12,5 cm und unendlich vor sei-
lichkeit, das Auge rasch in die jeweils inter- nem Auge befindet, hat eine Akkommodati-
essanteste Blickrichtung zu drehen. Wer ein onsbreite von 8 dpt. Scharfeinstellung auf
7 Buch liest, vermag kaum mehr als ein einzel- sehr kurze Entfernung strengt den Ring-
nes Wort gleichzeitig scharf zu sehen; seine muskel um die Augenlinse auf die Dauer an.
Augen folgen dem Text auch im Zeilen- Immerhin vermag der normalsichtige
sprung allemal so schnell, wie das Gehirn Mensch aber stundenlang zu lesen, d. h. auf
den Inhalt des Gelesenen zu erfassen ver- die übliche Leseentfernung von ca. 35 cm zu
mag. Nur der Ungeübte nimmt hierbei den akkommodieren.
Finger zu Hilfe. Die Kugelform der Augen Mit dem Lebensalter lassen aber die
ist nicht aus optischen Gründen zweckmä- Elastizität der Augenlinse und die Spann-
ßig, sondern aus mechanischen. kraft des Ziliarmuskels nach: Die Akkom-
Dieses Verfahren, das wirksame Ge- modationsbreite nimmt ab und der Nah-
sichtsfeld durch rasche Augenbewegung zu punkt entfernt sich (. Abb. 7.52). Wenn
erweitern, stellt übrigens beträchtliche An- sein Kehrwert 3 dpt unterschritten hat, wird
forderungen an den Mechanismus, mit dem das Lesen mühsam; man muss die Zeitung
die Signale der Sehzellen neural verarbeitet
werden, bis sie ins Bewusstsein vordringen.
Jede Bewegung der Augäpfel lässt ja das op-
tisch erzeugte Bild über die Netzhaut glei-
ten, meist weit schneller, als dies bei starrem
Blick aus dem Zugfenster geschieht.
Trotzdem registriert ein ruhender Beob-
achter seine Umgebung ganz korrekt als ru-
hend und der fahrende ebenso korrekt als
fahrend. Das ist nur möglich, wenn ein Neu-
rocomputer die Signale der Sehnerven der
Augenbewegung entsprechend korrigiert,
ehe er sie auf der Ebene des Bewusstseins
ankommen lässt. Dazu werden dem Com-
puter die an die zuständige Augenmuskula-
tur geleiteten Befehle mitgeteilt. Wer seine
Augen „von Hand“ bewegt, etwa indem er
mit dem Zeigefinger vorsichtig am rechten ..      Abb. 7.52 Akkommodationsbreite. Abnahme der
Augenwinkel zieht, der sieht die Welt wa- Akkommodationsbreite mit dem Lebensalter. Der rote
ckeln. Bereich deutet die Schwankungen in der Bevölkerung an
7.2 · Geometrische Optik
307 7

..      Abb. 7.54 Brillenglas. Brillengläser, die einer Ku-


gelfläche um den Augendrehpunkt D angepasst sind,
umgehen den Astigmatismus einer Linse gegenüber
..      Abb. 7.53 a, b Lesebrille. Altersweitsichtigkeit
schräg einlaufenden Bündeln
schiebt den Nahpunkt über die Bezugssehweite hinaus
a; dort liegende Objekte werden hinter die Netzhaut
abgebildet und unscharf gesehen. Abhilfe durch eine der Netzhaut (. Abb. 7.55 oben) und kön-
Sammellinse als Brille b; Abbildung auf die Netzhaut nen durch kein Akkommodationsbemühen
auch bei Akkommodation auf unendlich
auf sie gebracht werden. Nur hinreichend
nahe Gegenstände erscheinen scharf
weiter weghalten und schließlich werden die (. Abb. 7.55 unten): Der Fernpunkt ist her-
Arme zu kurz und die Schrift wird zu klein. angerückt – z. B. auf 25 cm entsprechend 4
Weil das beim Menschen meist im Laufe sei- dpt. Man nennt ein solches Auge kurzsich-
nes 5. Lebensjahrzehnts einsetzt, spricht tig. Dass bei voll erhaltener Akkommodati-
man hier von Altersweitsichtigkeit. Sie lässt onsbreite der Nahpunkt ebenfalls heran-
sich mit einer Sammellinse als Brille kom- rückt, nützt dem Träger des Auges nicht viel,
pensieren (. Abb. 7.53). Es ist nur eine denn hier bringen 4 dpt mehr nur wenige
­Lesebrille, die ihr Träger absetzen muss, will Millimeter.
er in die Ferne schauen. Die lebenswichtigen hohen Sehwei-
ten lassen sich aber durch eine Brille mit
>>Merke Zerstreuungslinsen zurückgewinnen. Ein-
Akkommodationsbreite ΔD: Differenz fallende Parallelbündel müssen derart di-
der Brechwerte des entspannten und des vergent aufgeweitet werden, dass ihre Kon-
voll akkommodierten Auges, vergenzpunkte hinter der Hornhaut bei
ΔD nimmt im Laufe des Lebens von entspanntem Auge gerade auf die Netzhaut
etwa 12 dpt auf etwa 1 dpt ab (Alters- fallen (. Abb. 7.55 Mitte).
weitsichtigkeit). Auch das Umgekehrte kommt vor: Der
Augapfel ist zu kurz, die Krümmung der
Bestünden Brillengläser aus flachen, hier Hornhaut zu gering. Einen zu kleinen
also bikonvexen Linsen, so beeinträchtigte Brechwert des weitsichtigen Auges kann
deren Astigmatismus (7 Abschn. 7.2.5) den eine Brille mit Sammellinsen korrigieren, in
Blick, sobald die Augen nicht starr gerade- Grenzen aber auch einfache Akkommoda-
aus sehen, sondern nach oben, unten oder tion.
zur Seite gerollt werden. Zur Abhilfe passt
man die Gläser einer Kugelfläche an, in de-
ren Zentrum der Augendrehpunkt liegt >>Merke
(. Abb. 7.54). Der Blick geht dann immer 55 Kurzsichtig: Brechwert im Vergleich
halbwegs senkrecht durch das Brillenglas. zum Augapfel zu groß, Fernpunkt <
Bei manchen Menschen ist der Augapfel ∞, Brille konkav.
ein wenig zu groß oder zu lang für die Krüm- 55 Weitsichtig: Brechwert im Vergleich
mung der Hornhaut; auch bei völlig ent- zum Augapfel zu klein, Brille (wenn
spanntem Auge liegen Bilder vom Mond vor nötig) konvex.
308 Kapitel 7 · Optik

Auch bei kurzsichtigen Menschen nimmt 30 cm liegt, der kann nach wie vor bequem
die Akkommodationsbreite mit dem Le- und ohne Brille lesen. Wer dieses Glück
bensalter ab. Wessen Fernpunkt zufällig bei nicht hat, muss dann, wenn seine zuvor nor-
malsichtigen Altersgenossen Sammellinsen
als Lesebrillen aufsetzen, die Zerstreuungs-
linsen seiner Fernbrille durch weniger starke
ersetzen.
Nicht notwendigerweise bildet die Horn-
haut eine kugelförmige Oberfläche aus. An
sich sollte sie von einem schießscheibenähn-
lichen Objekt ein Spiegelbild aus ebenfalls
konzentrischen Kreisen entwerfen. Sieht der
Arzt im keratoskopischen Bild Ellipsen
(. Abb. 7.56), so ist das Auge vermutlich
astigmatisch. Dabei handelt es sich um eine
7 Fehlsichtigkeit, die sich mit einem selbst as-
tigmatischen Brillenglas korrigieren lässt,
einem Glas also, in das ein Zylinderanteil
bewusst eingeschliffen worden ist. Auf die
richtige Position der Zylinderachse muss
dann beim Einsetzen in die Brillenfassung
..      Abb. 7.55 Kurzsichtigkeit. Bei einem kurzsichti-
geachtet werden. Starke Unebenheiten der
gen Auge muss der zu hohe Brechwert der Hornhaut Hornhaut (. Abb. 7.56c) lassen sich nur
(oben) durch eine Zerstreuungslinse reduziert werden. durch Haftschalen einigermaßen ausglei-
Sie weitet ein achsenparallel einfallendes Parallellicht- chen, die auch „normal“ Fehlsichtige un-
bündel gerade so stark auf, dass es von der Hornhaut mittelbar auf die Hornhaut setzen.
auf das Zentrum der Retina fokussiert wird (Mitte).
Das von der Linse aufgeweitete Bündel entspricht ei-
Der Augenarzt findet sein endgültiges
nem divergenten Bündel, das aus dem fernsten für das Brillenrezept im Wesentlichen durch Probie-
kurzsichtige Auge noch scharf abbildbaren Punkt ren. Dazu braucht er nicht alle denkbaren
stammt (unten) Brillengläser vorrätig zu halten; er darf

..      Abb. 7.56 a–c Hornhautverformung. Schießschei- schen Auges b. Unebenheiten der Hornhaut c lassen
benähnliches Objekt, gespiegelt an der Hornhaut ei- sich nicht durch eine Brille und nur begrenzt durch
nes leidlich normalsichtigen a und eines astigmati- eine Haftschale korrigieren (nach Landois-­Rosemann)
7.2 · Geometrische Optik
309 7
kombinieren. Linsen, die dicht hintereinan- lare, das beidäugige Sehen: Da beide Augen
der stehen, addieren (im Wesentlichen) ihre aus etwas unterschiedlichem Gesichtswinkel
Brechwerte, ob sie nun Sammel-, Zerstreu- schauen, übermitteln sie auch leicht ver-
ungs- oder Zylinderlinsen sind. schiedene Bilder des gleichen Objekts; das
Gehirn deutet diese Unterschiede räumlich.
Stereoskopische Doppelaufnahmen nut-
7.2.11 Optische Instrumente ! zen diese Fähigkeit; sie erlauben sogar, den
Eindruck der Tiefe kräftig zu übertreiben,
Wie groß ein Spaziergänger eine Pappel wenn die beiden Bilder nämlich aus Positio-
sieht, hängt nicht nur von der Höhe des nen aufgenommen wurden, die weit mehr
Baumes ab, sondern auch von seiner Entfer- als nur einen Augenabstand auseinanderla-
nung. Entscheidend ist die Größe des Bildes gen. Die räumliche Interpretation gelingt
auf der Netzhaut und die wird vom Sehwin- aber auch bei einem flachen Bild mühelos,
kel bestimmt, dem Winkel zwischen den sofern es nur die Perspektive einigermaßen
Zentralstrahlen der abbildenden Bündel von richtig wiedergibt. Ein ferner Gegenstand
Fuß und Gipfel der Pappel (. Abb. 7.57). muss kleiner gezeichnet werden, denn in der
Sonne und Mond erscheinen dem irdischen Natur käme ihm ein kleiner Sehwinkel zu.
Beobachter gleich groß – sie sind es nicht, Wer einen Gegenstand genauer betrach-
aber ihre Sehwinkel sind es. Wenn man ein ten will, muss den Sehwinkel vergrößern.
Objekt „mit einem Blick“ erfassen kann, be- Gängiges Verfahren: näher herangehen. Ist
trägt der Sehwinkel nur einige Grad. Dann man aber schon so nahe, dass das Auge
darf man in guter Näherung schreiben: nicht mehr scharfstellen kann, hilft eine
Lupe. Im einfachsten Fall besteht sie aus
AbmessungendesObjekts einer Sammellinse von wenigen Zentime-
Sehwinkel =
EntfernungdesObjekts tern Brennweite. Von allen Gegenstands-
punkten in ihrer Brennebene erzeugt sie
Der Mensch sieht, was auf seiner Netzhaut Parallellichtbündel, die das entspannte
erscheint: ein flaches Bild der Umwelt. Der Auge auf seine Netzhaut abbildet, als kä-
Gesichtssinn hat aber gelernt, dieses Bild men sie von unendlich fernen Gegenstän-
räumlich zu interpretieren. Bei hinreichend den. Die Sehwinkel werden jetzt aber von
nahen Gegenständen hilft dabei das binoku- der Lupe vorgegeben; sie sind so groß, als
könne das Auge auf deren Brennebene
scharfstellen (. Abb. 7.58). Der Abstand
zwischen Lupe und Auge spielt der Parallel-
bündel wegen keine grundsätzliche Rolle.
Nur wenn man ihn klein hält, erlaubt die
Lupe ein größeres Gesichtsfeld, denn dieses
wird von der Linsenfassung begrenzt.

..      Abb. 7.57 Sehwinkel. Je näher der Beobachter an


die Pappel herangeht, umso größer wird der Sehwin-
kel, unter dem sie ihm erscheint ..      Abb. 7.58 Strahlengang einer Lupe
310 Kapitel 7 · Optik

Den Vergrößerungsfaktor Γ eines opti-


schen Instruments bezieht man auf die von
ihm bewirkte Vergrößerung des Sehwinkels:

Sehwinkelmit Instrument
G= .
Sehwinkel ohne Instrument

Bei der Lupe entspricht der Gewinn an Seh-


winkel dem Gewinn an Nähe zum Objekt.
Dabei bezieht man den Sehwinkel ohne Ins-
trument auf die offizielle Bezugssehweite
von 25 cm (sie wird zuweilen nicht ganz
glücklich „deutliche Sehweite“ genannt).
Folglich gilt:

7 G=
25cm
.
f Lupe
..      Abb. 7.59 Mikroskop, grundsätzlicher Strahlen-
gang; das Objektiv entwirft mit seiner kurzen Brenn-
>>Merke weite fobj ein vergrößertes reelles Zwischenbild im Ab-
stand der „optischen Tubuslänge“ t (meist 180 mm)
Optische Instrumente: hinter seiner bildseitigen Hauptebene, das Okular
Vergrößerungsfaktor Γ macht daraus Parallelbündel für das Auge des Be-
Sehwinkelmitlnstrument trachters. In der Nähe dieser Ebene befindet sich meist
= . eine konvexe Feldlinse, die der Vergrößerung des über-
Sehwinkelohne Instrument
schaubaren Bildfeldes dient. Das Objekt befindet sich
AbmessungendesObjekts etwas unterhalb der dingseitigen Brennebene, weil das
Sehwinkel = . Zwischenbild nicht im Unendlichen liegt; der Effekt
EntfernungdesObjekts
ist zu gering, um in der Zeichnung maßstabsgerecht
dargestellt werden zu können
Auf weniger als Nasenlänge kann man ein
Objekt nur schwer an das Auge heranführen;
dadurch ist der Bereich sinnvoller Lupen- Die optische Industrie hat sich darauf geei-
brennweiten nach unten begrenzt. Niemand nigt, das Zwischenbild des Mikroskops
muss aber das Objekt seines Interesses un- normalerweise 180 mm hinter die Haupt-
mittelbar unter die Lupe nehmen: Es genügt ebene des Objektivs zu legen; dadurch
ein reelles Bild, entworfen von einem Objek- kommt der Mikroskoptisch mit dem Ob-
tiv in handlichem Abstand vor der Nasen-
jekthalter in handliche Entfernung. Dem-
spitze. Deckt sich dieser Abstand ungefähr nach ist das Zwischenbild gegenüber dem
mit der Brennweite des Objektivs, so ist der Objekt ziemlich genau um den Abbildungs-
betrachtete Gegenstand weit weg, ein ver- maßstab Γobj = 180 mm/fobj vergrößert. Es
kleinertes Bild liegt in der Brennebene und wird mit einer Lupe betrachtet, die jetzt
das Instrument ist ein Fernrohr. Hat das Ob- Okular heißt und den Vergrößerungsfaktor
jektiv demgegenüber eine kurze Brennweite, Γok = 250 mm/fok mitbringt. Daraus ergibt
dann liegt das Objekt nahezu in seiner sich für die Gesamtvergrößerung des Mik-
Brennebene, ein vergrößertes Bild auf Ab- roskops:
stand dahinter in Nasennähe und das Instru-
180 mm 250 mm
ment ist ein Mikroskop. Das Grundsätzliche G M = G obj × G ok = ×
seines Strahlenganges zeigt . Abb. 7.59. f obj f ok
7.2 · Geometrische Optik
311 7
Γobj und Γok sind auf den Mikroskopobjekti-
ven und -okularen eingraviert. Das Zwi-
schenbild schwebt frei im Tubus des Mikro-
skops. Man kann an seine Position eine
Glasplatte bringen, in die ein Maßstab ein-
geritzt ist, ein sog. Okularmikrometer: Der
Beobachter sieht es zusammen mit dem Ob-
jekt scharf. Das Zwischenbild „steht auf
dem Kopf“, es ist gegenüber dem Objekt um
180° gedreht, aber es ist nicht seitenverkehrt
wie ein Spiegelbild. Der Kopfstand stört
nicht und man lernt rasch, wie man ein Ob-
..      Abb. 7.60 Fluoreszenzmikroskopie. Im Bild sind Zel-
jekt auf dem Mikroskoptisch verschieben len von Mäusen zu sehen, an die sich mit Fluoreszenz-
muss, um es richtig ins Bildfeld zu bekom- farbstoff markierte Antikörper angelagert haben (hell).
men. Wissenschaftler erfahren auf diese Weise, dass und wo
sich die Antikörper anlagern (Bildrechte: M. Hafner)
Beleuchtung im Mikroskop
Mikroskope können sich erheblich darin unterschei- Man muss aber die Parallelbündel, die man
den, wie das Objekt beleuchtet wird:
seinem Auge mit vergrößertem Sehwinkel
55 Durchsichtige Objekte kann man von unten be-
leuchten (Hellfeld). anbieten will, nicht unbedingt mit einer
55 Man kann sie und Oberflächen auch von der Seite Sammellinse herstellen, die hinter dem Zwi-
beleuchten und sieht dann helle Strukturen auf schenbild liegt; eine Zerstreuungslinse vor
dunklem Untergrund (Dunkelfeld). ihm tut es auch. Dann werden die Sehwinkel
55 Man kann mit dem Licht auch von oben durch
nicht umgekehrt und das Bild erscheint auf
das Objektiv kommen (Auflicht).
der Netzhaut in gewohnter Stellung. So ar-
Mit der komplizierteren Phasenkontrastmikroskopie beitet das Opernglas.
kann man nicht nur Hell-Dunkel-Unterschiede in Ob- Hohe Vergrößerungen verlangen beim
jekten sehen, sondern auch Brechzahlunterschiede im Fernrohr langbrennweitige Objektive und
Objekt. Das ist gerade für dünne Zellschnitte interes- entsprechend große Lichtwege. Trotzdem
sant. In der Biologie ist es auch sehr beliebt, bestimmte
kann man mit kleiner Baulänge auskom-
Strukturen in Zellen z. B. selektiv mit Fluoreszenz-
farbstoffen zu markieren. Beleuchtet man dann mit men, wenn man den Strahlengang durch
unsichtbarer Ultraviolettstrahlung, so leuchten diese mehrfache Reflexionen zusammenfaltet.
Farbstoffe im sichtbaren Bereich und verdeutlichen so Der Prismenfeldstecher benutzt hierfür to-
die Strukturen (. Abb. 7.60). In Scanning-­ Laser- talreflektierende Prismen, mit denen er das
Mikroskope kann man gar nicht mehr hineinschauen.
Bild auch gleich noch aufrichtet.
Ein elektronisch gesteuerter Lichtstrahl tastet das Ob-
jekt ab und liefert eine perspektivische Darstellung Vom Standpunkt der geometrischen Op-
der dreidimensionalen Struktur einer Oberfläche auf tik sind den Vergrößerungsfaktoren opti-
einen Computerbildschirm. scher Instrumente keine Grenzen gesetzt.
Tatsächlich wird die noch sinnvolle Vergrö-
Auch beim astronomischen Fernrohr wird ßerung aber durch Beugungserscheinungen
das Objekt kopfüber abgebildet. Alle Mond- bestimmt, die von der Wellenlänge des Lich-
karten haben den Südpol oben, also so, wie tes abhängen (7 Abschn. 7.4.5): Details von
man den Mond von der Nordhalbkugel der Objekten, die unter 1 μm groß sind, lassen
Erde im umkehrenden astronomischen sich im Lichtmikroskop kaum noch auflö-
Fernrohr sieht. Darauf muss nicht achten, sen. Das entspricht einer Grenzvergröße-
wer seinen Feldstecher benutzt. Der ist ja für rung von etwa 1000, genug für Einzeller und
terrestrische Beobachtung gebaut und darf viele Bakterien, zu wenig für zelluläre De-
sein Bild eben nicht auf den Kopf stellen. tails und Viren.
312 Kapitel 7 · Optik

Hintergrundinformation
Beim Betrachten von Gewebezellen z. B. würde man Lösung. Wenn die Tubuslänge (und
sich eine bessere Auflösung wünschen. Also nehme
damit die Gegenstandsweite) 180 mm ist,
man statt sichtbarem Licht Röntgenlicht mit z. B.
3 nm Wellenlänge. Einfach ist das allerdings nicht, gilt:
denn eine Glaslinse lässt Röntgenlicht völlig unbeein- f = 180 mm / 100 = 1, 8 mm.
druckt. Dennoch gibt es Röntgenmikroskope als hoff- Wie dicht die Frontlinse herangeführt
nungsvolle Neuentwicklung im Forschungsstadium. werden muss, lässt sich genau erst sagen,
Wegen der notwendigen sehr intensiven Röntgenlicht-
wenn man die Lage der gegenstandsseiti-
quelle sind sie extrem teuer. Es gibt gegenwärtig auf
der Welt etwa ein halbes Dutzend. gen Hauptebene kennt. Auf jeden Fall
muss das Objekt ziemlich genau in die
gegenstandsseitige Brennebene gebracht
Praktikum 7.2 werden, also 1,8 mm an die Hauptebene
heran. Um eine möglichst hohe Auflö-
Mikroskop
sung zu erlangen (7 Abschn. 7.4.5),
Zwei Aufgaben stehen im Praktikum typi-
muss das Objektiv einen möglichst gro-
scherweise an: Ausmessen eines sehr klei-
7 nen Objekts mithilfe eines Objektmikrome-
ßen Winkelbereich erfassen. Deshalb ist
der Glaskörper der Linse bei so stark
ters und der Okularskala sowie Bestimmung
vergrößernden Objektiven tatsächlich
von Objektiv- und Gesamtvergrößerung:
oft nur noch wenige Zehntelmillimeter
55 Die Vergrößerung des Objektivs lässt
vom Objekt entfernt. Die Gefahr, beim
sich im Prinzip sehr genau messen, da
Scharfstellen das Objekt zu beschädigen,
es ein reelles Zwischenbild in den Tubus
ist dann groß.
wirft. Um das Zwischenbild zu sehen,
muss eine Mattscheibe in den Tubus
eingebracht werden. Man vergleicht
dann eine Skala auf der Mattscheibe 7.3 Intensität und Farbe
mit dem Bild des Objektivmikrometers.
55 Schwieriger ist es mit der Gesamtver- 7.3.1 Strahlungs- und
größerung, da das Okular nur ein vir- Lichtmessgrößen
tuelles Bild liefert. Man muss jetzt mit
einem Auge durch das Mikroskop auf Eine elektromagnetische Welle transportiert
das Objektmikrometer sehen und Energie. Sie tut dies mit einer Leistung, die
gleichzeitig mit dem anderen Auge Strahlungsleistung (Strahlungsfluss) ge-
auf eine 25 cm entfernte Vergleichs- nannt wird, üblicherweise den Buchstaben Φ
skala. Das erfordert etwas Übung und erhält und in Watt gemessen werden kann.
liefert kein sehr genaues Ergebnis. In einem schmalen Frequenzbereich trans-
portiert die Welle sichtbares Licht, dieses
mit einem Lichtstrom, der ebenfalls den
Buchstaben Φ bekommt, aber in Lumen
Rechenbeispiel 7.5: (lm) gemessen wird.
Vorsicht mit dem Objektiv Bei der Strahlungsmessung zählt nur die
Aufgabe. Ein Mikroskop Objektiv Leistung, unabhängig von ihrer spektralen
habe den Vergrößerungsfaktor 100. Wel- Verteilung. Bei der Lichtmessung wird die
chen Wert hat die Brennweite des Objek- spektrale Verteilung entsprechend der spek-
tivs? Wie dicht muss man die Frontlinse tralen Empfindlichkeit des normalen
ans Objekt heranführen? menschlichen Auges bewertet. Strahlungs-
leistung im Grünen trägt viel zum Licht-
7.3 · Intensität und Farbe
313 7
>>Merke
Strahlungsmessgrößen: wellenlängenun-
abhängig;
Lichtmessgrößen: an die spektrale Emp-
findlichkeit des Auges angepasst.

Die Feinheiten
Seit vielen Jahrmillionen liefert die Sonne über die
Distanz des Erdbahnradius Strahlung mit der extra-
terrestrischen Solarkonstanten (Intensität)
φS = 1,36 kW/m2; auf der Erdoberfläche kommt davon
..      Abb. 7.61 Schräger Lichteinfall. Bei schrägem noch ungefähr 1 kW/m2 an, aber nur auf einer Emp-
Lichteinfall verteilt sich die Strahlungsleistung aus fängerfläche, die quer in der prallen Mittagssonne
dem Bündelquerschnitt A0 auf die größere Empfän- steht. Steht sie schräg, wird sie also unter dem Ein-
gerfläche A fallswinkel α vom Sonnenschein getroffen, so erfasst
ein Bündel mit der Querschnittsfläche A0 eine Emp-
fängerfläche A, die um den Faktor 1/cos α größer ist
strom bei, im Blauen und Roten weniger, im (. Abb. 7.61). Dementsprechend definiert man die
Ultraviolett und Infrarot gar nichts.
F
Die schon beim Schall besprochene In- BestrahlZungsstärke Ee = = l × cos a ,
A
tensität (Strahlungsflussdichte, Energie-
ebenfalls mit der Einheit W/m2. Die gleiche Einheit
stromdichte) ist eine Strahlungsleistung pro besitzt schließlich noch die gesamte Strahlung eines
senkrecht zur Strahlrichtung stehenden Strahlers, wenn man sie auf seine Fläche A’ bezieht,
Querschnittsfläche A0 (. Abb. 7.61): also die
F
spezifische Ausstrahlung M = .
F A¢
I=
A0 Jedes von einer punktförmigen Strahlenquelle ausge-
hende divergente Bündel erfasst einen bestimmten
Sie hat die Einheit Watt durch Quadratmeter Raumwinkel ω. In Analogie zum Bogenmaß des ebenen
Winkels, also zum Quotienten aus erfasster Bogen-
(1 W/m2). Ist der Strahler so klein, dass
länge und Kreisradius mit der dimensionslosen „Ein-
er als punktförmig angesehen werden darf, heit“ Radiant, definiert man den Raumwinkel als Quo-
so nimmt die Querschnittsfläche des diver- tienten aus erfasster Kugelfläche und Quadrat des
genten Bündels mit dem Quadrat des Ab- Kugelradius (. Abb. 7.62) und gibt ihm die ebenfalls
stands r zur Strahlenquelle zu und die Inten- dimensionslose „Einheit“ Steradiant (sr = m2/m2).
Die Oberfläche einer Kugel beträgt 4π · r2; größer
sität entsprechend ab:
als 4π kann ein Raumwinkel also nicht werden. Eine
ebene Strahlerfläche hat über sich nur den Halbraum
1
I~ 2π. Im Allgemeinen leuchtet sie ihn nicht gleichmäßig
r2 aus. Man muss also damit rechnen, dass die (als Diffe-
renzialquotient definierte)
Das ist das quadratische Abstandsgesetz für dF
Strahlstärke I e = mit der Einheit 1 W/sr von
dw
die Intensität, von dem schon in der Ausstrahlungsrichtung abhängt. Für einen ausge-
7 Abschn. 4.2.3 beim Schall die Rede war. dehnten Strahler kann man für jeden Punkt der strah-
Eine ganze Reihe weiterer Strahlungs- lenden Oberfläche die Strahlstärke pro Fläche, die bei
und Lichtmessgrößen beschreibt die Eigen- schräger Blickrichtung (. Abb. 7.61) noch perspekti-
visch verkürzt erscheint, angeben und kommt so zur:
schaften eines Strahlers (Lampe) oder das dF
Licht am Ort des Empfängers. Sie sind wohl Strahldichte Le = mit der Einheit 1
d w × A¢ × cos a
W/m2 · sr.
nur für Experten interessant. Weil der Ge-
Alle Strahlungsmessgrößen hängen von der Wel-
genstandskatalog einige aber aufführt, seien lenlänge des ausgesandten Lichtes ab. Bezieht man sie
sie weiter unten im Kleingedruckten erläu- auf ein kleines Wellenlängenintervall, so kann man
tert. ein Spektrum der Strahlung auftragen. . Abb. 7.67
314 Kapitel 7 · Optik

..      Tab. 7.1 Strahlungsmessgrößen

Strahlungsmessgröße Einheit Lichtmessgröße Einheit

Q Strahlungsenergie J Lichtmenge lm h
Φ = dQ/dt Strahlungsfluss W Lichtstrom lm
Ie = Φ/ω Strahlstärke W/sr Lichtstärke cd
Le = I/A0 Strahldichte W/(m2sr) Leuchtdichte cd/m2
Ee = Φ/A Bestrahlungsstärke W/m2 Beleuchtungsstärke lx

zeigt z. B. die Wellenlängenabhängigkeit der spezifi-


schen Ausstrahlung eines schwarzen Strahlers. Gegen
die Wellenlänge ist hier die spektrale spezifische Aus-
strahlung aufgetragen:
dM e
7 M el =
dl
Für den Bereich sichtbaren Lichts wird zu jeder Strah-
lungsmessgröße eine korrespondierende, dem mensch-
lichen Auge angepasste Lichtmessgröße definiert. Sie
bekommt einen eigenen Namen und eine eigene Ein-
heit, üblicherweise aber das gleiche Buchstabensym-
bol. Das Candela (cd) ist die Einheit der Lichtstärke,
das Lumen (lm = cd·sr) die des Lichtstromes und das
Lux (lx = lm/m2) die der Beleuchtungsstärke. Auf der
Verpackung von LED-Leuchtmitteln findet man die
Helligkeitsangabe in Lumen. 2000 Lumen ist gegen-
wärtig (2020) in etwa das hellste, was man bekommt.
. Tab. 7.1 fasst das Wichtigste zusammen.
Die Lichtstärke ist Grundgröße des SI; die Einheit ..      Abb. 7.62 Zur Definition des Raumwinkels
Candela wird so definiert, dass für schmelzendes Pla-
tin eine Leuchtdichte von 6 · 105 cd/m2 herauskommt.
Für das menschliche Auge liegt dieser Wert hart an Nachbar. Farben im Sinne des lateinischen
der Grenze der Blendung. Von Schwelle bis Blendung
Wortes „pigmentum“ kann man kaufen. Es
überdeckt der Gesichtssinn acht Zehnerpotenzen der
Leuchtdichte. Als Anhaltswerte können gelten: handelt sich um Farbstoffe, die Licht unter-
schiedlicher Wellenlänge unterschiedlich
absorbieren. Diese Eigenschaft ist nicht auf
10–2 cd/m2 Schwelle (ohne Farberkennung)
den sichtbaren Spektralbereich beschränkt
10 cd/m2 ausreichend zum Lesen
und lässt sich zuverlässig ausmessen – am
103 cd/m2 gute Schreibtischbeleuchtung einfachsten bei Farbfiltern aus buntem
106 cd/m2 Blendung Glas.
Geeignete Messgeräte sind unter dem
Namen Spektrometer (Spektralfotometer)
7.3.2 Optische Absorption !! im Handel. Ihr wichtigster Teil ist der Mo-
nochromator (. Abb. 7.63): Das weiße
Farben im Sinne des lateinischen Wortes Licht einer Glühbirne wird vom Kondensor
„color“ sind subjektive Sinneseindrücke, auf den schmalen Eingangsspalt Sp.1 kon-
allenfalls mit Worten beschreibbar, aber zentriert, vom Kollimator als Parallelbündel
keiner rein physikalischen Messung zu- auf ein Prisma gegeben, dort spektral zer-
gänglich. Niemand kann wissen, ob er das legt und in die Brennebene einer weiteren
Rot einer Rose geradeso sieht wie sein Linse zusammengezogen. Hier entsteht ein
7.3 · Intensität und Farbe
315 7

..      Abb. 7.63 Spektrometer. Schematischer Strahlengang; Einzelheiten im Text

Spektrum aus dicht an dicht liegenden, nach Sie liegt notwendigerweise zwischen 0 (voll-
der Wellenlänge sortierten Bildern des Ein- ständige Absorption) und 1 (keine Absorp-
gangsspaltes. Der Ausgangsspalt Sp.2 fischt tion).
einen schmalen Wellenlängenbereich her- Senkt ein bestimmtes Filter die Intensität
aus, sog. monochromatisches Licht. I für eine bestimmte Wellenlänge auf die
Die Optik hinter dem Ausgangsspalt und Hälfte ab, so reduziert ein zweites Filter glei-
die Fotozelle machen diesen Monochroma- cher Eigenschaft I auf ein Viertel, ein Drit-
tor zum Spektrometer. Dabei trifft mono- tes auf ein Achtel usw.: Optische Filter, hin-
chromatisches Licht auf eine weitere Linse, tereinander gestellt, multiplizieren ihre
die das divergente Bündel wieder parallel Durchlässigkeit D. Dass sie außerdem ihre
ausrichtet und durch das auszumessende Dicken d addieren, hat dann Bedeutung,
Filter oder auch eine Küvette schickt, wie in wenn sie aus gleichem Material gefertigt
. Abb. 7.63 gezeigt. (Diese kann eine Flüs- sind und folglich Durchlässigkeit und Ab-
sigkeit enthalten, deren Absorption unter- sorption in gleicher Weise spektral verteilen,
sucht werden soll.) Eine letzte Linse sam- wie etwa homogene Flüssigkeiten in der Kü-
melt schließlich das durchgelassene Licht vette der . Abb. 7.63. Dann gilt nämlich
auf die nachweisende Fotozelle. Die Abbil- das sog. Lambert-Gesetz:
dung kann alternativ durch Spiegel, die
D ( l ,d ) = e ( )
- k l ×d
spektrale Zerlegung durch ein Beugungsgit-
ter (7 Abschn. 7.4.4) erfolgen. (Vorteil: Die
Absorption im Glas wird vermieden.) mit der Extinktionskonstanten k(λ). Diese
Man vergleicht jetzt die von der Küvette ist eine Materialkenngröße mit der SI-Ein-
durchgelassene Intensität I(λ) mit der einfal- heit m–1. Ihr Kehrwert wird Eindringtiefe
lenden Intensität I0(λ) – wegen der Reflexi- a(λ) genannt. Bei sog. Graufiltern sind a und
onsverluste am Glas zieht man die Küvette k unabhängig von der Wellenlänge, zumin-
nicht einfach aus dem Strahlengang heraus, dest im sichtbaren Spektralbereich.
sondern vertauscht sie mit einer leeren. Di- Absorbiert wird Licht einzelner Atome,
vision liefert die Durchlässigkeit: Ionen, Moleküle, Molekülkomplexe, die z. B.
in wässriger Lösung schwimmen. Jede Teil-
 I ( l )
durchgelassene Intensitat chenart bevorzugt bestimmte Wellenlängen-
D (l ) = .
 I 0 ( l )
einfallende Intensitat bereiche und trägt ihr ­Absorptionsspektrum
wie eine Visitenkarte mit sich herum: Hämo-
316 Kapitel 7 · Optik

konstanten k(λ) selbst erlaubt aber auch eine


quantitative Analyse, denn zumindest bei
nicht zu hohen Konzentrationen erweist sich
das k einer bestimmten Wellenlänge als zur
Konzentration c der absorbierenden Teil-
chen in der Lösung proportional. Dies be-
sagt das Beer-Gesetz:

k ( l ) = K ( l ) × c,

(. Abb. 7.65). Zusammen mit dem Lambert-­


Gesetz ergibt es das Lambert-­Beer-­Gesetz:

I ( l ,c,d ) = I 0 × e ( ) .
- K l ×c × d

7
77Analyse im Labor und am Körper
Von Lambert-Beer-Gesetz „leben“ viele me-
..      Abb. 7.64 Absorptionsspektrum von Hämoglobin
(schwarz) und Oxyhämoglobin (rot)
dizinische Laboratorien geradezu, denn es
erlaubt, nach entsprechender chemischer
Vorbehandlung aus der Blutprobe eines Pa-
tienten die Konzentration von Sauerstoff,
Glukose, Ethanol (Blutalkohol), diesem
oder jenem Cholesterin, Blutfetten oder
sonst einer gerade interessanten Substanz im
Blut zu bestimmen. Wieso?
Dass vor allem komplizierte Moleküle
häufig ein charakteristisches Absorptions-
spektrum besitzen, lässt sich anschaulich be-
gründen. Sie bestehen nun einmal aus Ato-
men, die unter Beteiligung von
Coulomb-Kräften chemisch aneinander ge-
..      Abb. 7.65 Beer-Gesetz bunden sind. Viele Moleküle stellen deshalb
elektrische Dipole dar. Ein äußeres elektri-
globin, zuständig für den Sauerstofftransport sches Feld versucht nicht nur, die Moleküle
im Blut, hat in oxidierter Form als Oxyhämo- zu drehen, es „biegt auch an ihnen herum“.
globin ein deutlich anderes Absorptionsspek- Nun sind die Molekülteile nicht vollkom-
trum als in reduzierter Form (. Abb. 7.64). men starr miteinander verbunden: Sie kön-
Deshalb sieht das sauerstoffbeladene arteri- nen mit einer durch Masse und Bindungs-
elle Blut hellrot aus und das venöse bläuli- kräfte festgelegten Eigenfrequenz gedämpft
cher: Zufällig liegen die wesentlichen Ab- um ihre Normallage schwingen. Passt die
sorptionen im sichtbaren Spektralbereich. Frequenz des elektrischen Wechselfeldes, so
Das Absorptionsspektrum sagt zunächst kommt es zu Resonanz und Energieübertra-
nur etwas über die spektrale Verteilung der gung. Die Frequenzen der meisten Molekül-
optischen Absorption und ermöglicht da- schwingungen liegen im Bereich infraroten
mit, bestimmte Substanzen in einer Lösung Lichts – die Folge ist Infrarotabsorption. In
zu identifizieren, also eine qualitative chemi- Computerdatenbanken sind die Spektren
sche Analyse. Die Messung der Extinktions- zahlloser Substanzen mit ihren Werten für
7.3 · Intensität und Farbe
317 7
>>Merke
Optische Absorption:
55 Durchlässigkeit
l (l )
D (l ) =
l0 ( l )
55 Lambert-Gesetz:
D ( l ,d ) = e ( )
- k l ×d

k(λ) = Extinktionskonstante
d: Schichtdicke
55 Beer-Gesetz:
k (l ) = K (l ) × c
(für kleine Konzentrationen c)
Lambert-Gesetz und Beer-Gesetz bilden
zusammen:
55 Lambert-Beer-Gesetz:
- K ( l )× c × d
l ( l ,c,d ) = l0 × e

..      Abb. 7.66 Pulsoxymeter. Das Pulsieren des arteri-


ellen Blutes führt zu Transparenzschwankungen des
Fingers (Kurve im Display), mit deren Hilfe Puls und Rechenbeispiel 7.6: Grau in Grau
Absorption des arteriellen Bluts bei 640 und 880 nm Aufgabe. Zwei Graufilter haben die
gemessen wird. Daraus lässt sich die Sauerstoffkonzen- Durchlässigkeiten D1 = 0,60 und
tration bestimmen. Unten: Geöffneter Pflastersensor.
D2 = 0,35. Welche Durchlässigkeit haben
Man sieht das Licht der roten Leuchtdiode bei 640 nm
sie, wenn man sie hintereinander setzt?
K(λ) gesammelt – unentbehrliches Hilfsmittel Lösung. Hintereinander gesetzte op-
der chemischen Absorptionsspektralanalyse. tische Filter multiplizieren ihre Durch-
Die relativ einfache Analyse des Sauerstoff- lässigkeiten:
gehaltes des Bluts aus der Färbung des Hämo- D = D1 · D2 = 0,21.
globins (. Abb. 7.64) geht sogar direkt am Fin-
ger mit dem Pulsoxymeter (. Abb. 7.66). ◄
7.3.3 Farbsehen
Praktikum 7.3
Die Welt ist gar nicht bunt, sie sieht nur so
Spektrometer, Interferenz, Beugung aus. Ohne Augen gäbe es keine Farben, son-
Die Versuche an den Universitäten zu dern nur elektromagnetische Wellen unter-
diesem Themenbereich sind leider sehr schiedlicher Wellenlänge. Dass bei Nacht
unterschiedlich. Jeder muss sich das Pas- alle Katzen grau sind, liegt auch nicht an
sende heraussuchen. den Katzen, sondern an der Netzhaut. Von
Licht kann mithilfe von Farbfiltern, deren Sensoren sprechen bei schwachem
einem Prisma (7 Abschn. 7.2.4) oder ei- Licht nur die Stäbchen an, die lediglich
nem Beugungsgitter (7 Abschn. 7.4.2 Grautöne vermelden, und nicht die für das
und 7.4.5) in seine Farbanteile (Wellen- Farbsehen zuständigen Zapfen. Beim Men-
längen) zerlegt werden. All diese Effekte schen gibt es drei Gruppen von Zapfen, sen-
können bei der Konstruktion eines Spek- sibilisiert durch jeweils verschiedene Farb-
trometers verwendet werden. stoffe (Sehpurpur) für lange, mittlere bzw.
kurze Wellen des sichtbaren Spektrums
318 Kapitel 7 · Optik

..      Abb. 7.67 Farbempfinden des normalsichtigen Menschen bei verschiedenen Wellenlängen sichtbaren Lichts

7
..      Abb. 7.68 Farbdreieck (schematisch). Trägt man
die relative Erregung rr des Rezeptors für rot längs der
Abszisse und die des Rezeptors für grün rg längs der
Ordinate auf, so entspricht der Abstand eines Punkts
von der Hypotenuse des Farbdreiecks der relativen Er-
regung rb des Rezeptors für blau. Punkte außerhalb
des Dreiecks sind grundsätzlich nicht erreichbar,
Punkte nahe den Dreiecksseiten tatsächlich nicht

(. Abb. 7.67). Weil dem so ist, lässt sich


eine Farbmetrik entwickeln, obwohl Farben
nur subjektive Empfindungen sind und ..      Abb. 7.69 Farbdreieck. Für das Auge möglich ist nur
keine physikalischen Größen. Die folgende der Bereich, der von der Kurve der Spektralfarben und
Darstellung hält sich an die Young- der Purpurgeraden eingegrenzt wird (D65 = Weiß-
punkt). Ein guter Monitor stellt bestenfalls die Farben
Helmholtz-­Farbentheorie. innerhalb des schwarzen Dreiecks dar. (By Fi-
Normalerweise, wenn es denn hell genug le:CIExy1931.svg: Sakuramboderivative work Grand-
ist, empfängt der visuelle Kortex (Sehrinde) Drake – File:CIExy1931.svg, CC BY-SA 3.0, 7 https://
Nervensignale von allen drei Sensoren gleich- commons.­wikimedia.­org/w/index.­php?curid=46686806)
zeitig. Deren Summe bestimmt die Helligkeit
der Wahrnehmung, während die drei relati- dann nur Punkte erreichbar, die innerhalb
ven Anteile an dieser Summe, rr für Rot, rg des Dreiecks der . Abb. 7.68 liegen. Denn
für Grün und rb für Blau, den wahrgenom- jeder Punkt außerhalb würde für mindestens
menen Farbton ergeben – unabhängig von einen Rezeptor negative Erregung bedeuten.
der Gesamthelligkeit, denn definitionsgemäß Tatsächlich kann aber keine realisierbare
addieren sie sich als relative Anteile zu 1: Farbe die Dreiecksseiten exakt erreichen,
denn dort würde mindestens ein Rezeptor
rr + rg + rb = 1. nicht erregt. Dafür überlappen sich aber de-
ren Empfindlichkeitsbereiche zu sehr.
Deshalb braucht die Farbmetrik nur zwei . Abb. 7.69 zeigt das für das Auge reale
von ihnen, um einen Farbton zu kennzeich- Farbdreieck, so gut dies im Druck möglich ist.
nen. Üblicherweise trägt man in einem recht- Der zugängliche Bereich ist größtenteils be-
winkligen Koordinatenkreuz rr nach rechts grenzt durch die Kurve der monochromati-
und rg nach oben auf. Grundsätzlich sind schen Spektralfarben; diese besitzen die maxi-
7.3 · Intensität und Farbe
319 7
male Farbsättigung, d. h. die größtmögliche Komplementärfarbe, die, im richtigen Ver-
Entfernung vom Weißpunkt (rr = rg = rb = 0,33). hältnis additiv zugemischt, Weiß ergibt. Für
Damit kann das Auge deutlich mehr Farben die drei Grundfarben Rot, Grün und Blau
sehen, als ein Display (Fernseher, Smartphone) gilt dies auch (. Abb. 7.70).
darstellen kann (schwarzes Dreieck). Additive Farbmischung ist im Farbdrei-
Projiziert man das Licht zweier mono- eck leicht zu beschreiben. Technisch genutzt
chromatischer Quellen übereinander, so wird sie heute bei den meisten Lichtquellen
mischt man ihre Spektralfarben additiv. Im und Bildschirmen. . Abb. 7.71 zeigt die
Farbdreieck liegt dann die Mischfarbe auf Spektren verschiedener Lichtquellen und
der Verbindungslinie zwischen den beiden ge- Bildschirme, die alle in etwa weiß aussehen:
mischten Farben, und zwar in einer Position, 55 Das Spektrum oben gehört zu einer Glüh-
die den beiden Helligkeiten quasi nach dem birne. Rot ist stärker als blau, daher ist das
Hebelgesetz entspricht, also dichter bei der Licht etwas gelblich, was allgemein als
helleren. Diese Mischungsregel gilt auch „warm“ und „gemütlich“ empfunden wird.
dann, wenn die beiden zu mischenden Farben 55 Daher hat auch das viel kompliziertere
bereits ungesättigte Mischfarben sind. Jede Spektrum einer Leuchtstoffröhre oder
additive Farbmischung führt näher an den Energiesparlampe (Mitte oben) einen re-
Weißpunkt heran, mindert also die Farbsätti- lativ starken Rotanteil, damit ein „war-
gung – mit Ausnahme der Purpurgeraden: Sie mes“ Licht entsteht.
verbindet die beiden Enden des sichtbaren 55 Das 3. Spektrum (Mitte unten) ist das Weiß
Spektrums und begrenzt die zugängliche eines modernen Smartphone-­Displays mit
Farbfläche nach unten. Purpurtöne sind im organischen Leuchtdioden (OLED). Man
Spektrum selbst nicht enthalten. erkennt deutlich die drei Farben Blau
Grundsätzlich lässt sich jede ungesättigte (460 nm), Grün (530 nm) und Rot
Farbe durch mehr als ein Rezept additiver (630 nm). Hier ist nun Blau stärker, sodass
Farbmischung erreichen; ein bestimmter dieses Licht „härter“ wirkt und damit eher
subjektiver Farbeindruck sagt noch nichts dem Sonnenlicht (. Abb. 7.4) entspricht.
über die spektrale Verteilung des ihn auslö- 55 Weiße Leuchtdioden, die auch Compu-
senden Lichts aus. Insbesondere muss der termonitore erleuchten (. Abb. 7.71 un-
Eindruck Weiß nicht durch das breite Spek- ten), liefern ebenfalls bläulicheres Licht,
trum des Sonnenlichts erzeugt werden: Zu wenn sie Weiß darstellen.
jeder Spektralfarbe gibt es eine bestimmte
Die subtraktive Farbmischung wird im
Druck und vom Maler verwendet sowie bei
jeglicher Farbgebung von Oberflächen, die
nicht selbst leuchten. Weißes Licht durch-
setzt nacheinander mehrere Farbstoffschich-
ten, mehrere Farbfilter also, die jeweils be-
stimmte Spektralbereiche durch Absorption
stärker schwächen als andere: Was durch-
geht oder reflektiert wird, ist bunt. Zwei
Monochromatfilter mit schmalen Durchläs-
sigkeitsbereichen würden für sich nahezu ge-
sättigte Farben ergeben, in subtraktiver Mi-
..      Abb. 7.70 (Video 7.3) Additive Farbmischung. Die schung aber Schwarz, weil jedes das vom
drei Farben Rot, Grün und Blau ergeben zusammen
weiß. Die Überlagerung von zwei der drei Grundfar-
anderen durchgelassene Licht festhält. Auch
ben ergibt die Komplementärfarbe zur dritten (https:// die drei Grundfarben Rot, Grün und Blau
doi.org/10.1007/000-08c) geben subtraktiv Schwarz (. Abb. 7.72).
320 Kapitel 7 · Optik

..      Abb. 7.72 Subtraktive Farbmischung. Im Druck

7 werden die Komplementärfarben Magenta, Cyan und


Gelb subtraktiv überlagert. Eine Überlagerung der drei
Farben mit gleicher Stärke ergibt Schwarz oder Grau

ralen Zusammensetzung des auffallenden


Lichtes bestimmt wird. Monochromatisch
(etwa mit einer Natriumdampflampe) be-
leuchtet kann das schönste Ölgemälde nur
grau in grau erscheinen. Glühbirnen senden
spektral anders zusammengesetztes Licht
aus als Leuchtstoffröhren und beide anderes
als die Sonne. Daran muss denken, wer Klei-
der oder Krawatten bei künstlicher Beleuch-
tung kauft (oder trägt!).
Mit dem Farbdreieck ist zwar etwas zur
Farbmetrik ausgesagt, fast nichts aber zur
Physiologie des Farbsehens. Der subjektive
Farbeindruck, den eine farbige Fläche er-
zeugt, hängt nämlich noch wesentlich von
Farbe und Helligkeit des Umfelds ab. Zu-
dem können die Rezeptoren ermüden: Hält
man eines seiner Augen für einige Zeit ge-
schlossen und das andere nicht, so kann das
geschlossene sich ausruhen und meldet, wie-
..      Abb. 7.71 Alles Weiß. Licht mit diesen Spektren der geöffnet, zunächst ein wenig andere Far-
vermittelt den Farbeindruck weiß. Von oben nach un-
ten: Glühlampe, Energiesparlampe, Smartphone-­
ben als das belastete Auge.
Display, weiße Leuchtdiode/Computerbildschirm

Weiß lässt sich subtraktiv nicht erreichen, 7.4 Wellenoptik


Schwarz additiv nicht.
Es „leuchtet ein“, dass die spektrale Zu- 7.4.1 Polarisiertes Licht
sammensetzung des von Filtern durchgelas-
senen Lichtes (und damit der ausgelöste Licht gehört zu den transversalen Wellen:
Farbeindruck) entscheidend von der spekt- Die beiden Vektoren des elektrischen und des
7.4 · Wellenoptik
321 7
magnetischen Feldes stehen senkrecht auf
der Ausbreitungsrichtung (. Abb. 7.3). Da-
mit sind die Richtungen der beiden Vektoren
aber noch nicht festgelegt, sondern nur ein-
geschränkt: Dem einen Feld steht eine ganze
Ebene zur Verfügung, in der es grundsätzlich
seine Schwingungsrichtung frei wählen kann;
das andere muss dann den rechten Winkel
einhalten. In der Symmetrieebene des
schwingenden Dipols liegt der elektrische
Vektor parallel zur Dipolachse (. Abb. 7.1):
Die abgestrahlte Welle ist polarisiert, ge-
nauer, sie ist linear polarisiert. (Es gibt auch ..      Abb. 7.73 Lineare Polarisation. Natürliches Licht
zirkulare und elliptische Polarisation; beide nutzt mit seinem elektrischen Vektor die Ebene senk-
brauchen hier nicht besprochen zu werden.) recht zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit voll und
Von einer normalen Lampe darf man sa- gleichmäßig aus (links im oberen Teilbild). Ein Polari-
gen, sie sei aus unzähligen Dipolen zusam- sator lässt nur eine, hier vertikale Schwingungsrich-
tung hindurch (rechts im oberen Teilbild). Ein Analy-
mengesetzt, die unabhängig voneinander in sator mit gleicher Polarisationsrichtung hindert den
allen nur denkbaren Richtungen schwingen. Durchgang polarisierten Lichtes nicht (2. Teilbild); er
Was sie gemeinsam abstrahlen, ist unpolari- lässt kein Licht mehr durch, wenn man ihn um 90°
siertes natürliches Licht, in dem alle Polari- dreht („gekreuzte Polarisatoren“, 3. Teilbild). In Zwi-
sationsrichtungen in unauflösbar rascher schenstellungen wird das Licht mehr oder weniger
stark durchgelassen (unten); die Richtung seines elekt-
Zeitfolge vorkommen. Keine wird im Mittel rischen Vektors hält sich an die Vorgabe des letzten
bevorzugt. Polarisators
Ein bequemes Verfahren, natürliches
Licht zu polarisieren, bieten Polarisationsfo-
lien. Sie bestehen aus einem Material, dessen toren sind gekreuzt. Auch in den Stellungen
Absorption von der Polarisationsrichtung dazwischen absorbiert die zweite Folie Licht,
des einfallenden Lichtes abhängt. So wird mit wachsendem Drehwinkel immer mehr.
der ganze sichtbare Spektralbereich etwa für Die Schwingungsrichtung des durchge-
eine bestimmte Richtung des ­ elektrischen lassenen Lichtes dreht sich mit; sie folgt im-
Vektors nahezu ungehindert hindurchgelas- mer dem Befehl des letzten Polarisators.
sen, für die dazu senkrechte Richtung aber . Abb. 7.73 versucht, diesen Tatbestand
schon auf weniger als einem Millimeter Di- schematisch zu skizzieren. Nach altem
cke fast vollständig abgefangen. Sprachgebrauch wird der zweite Polarisator
Eine solche Folie erscheint dem Auge gern Analysator genannt; physikalisch un-
grau: Nur knapp die Hälfte vom Lichtstrom terscheidet er sich nicht vom ersten, dem
des natürlichen Lichtes lässt sie passieren. Polarisator.
Erst eine zweite Folie im Strahlengang
macht deutlich, dass es sich nicht um einfa- >>Merke
che Graufilter handelt: Möglicherweise 55 Natürliches Licht: unpolarisiert, d. h.
schwächt die zweite Folie den Lichtstrom Schwingungsrichtung des elektri-
allenfalls durch die unvermeidlichen Refle- schen Vektors wechselt rasch und re-
xionsverluste. Dann stehen die beiden Pola- gellos.
risatoren parallel. Dreht man die zweite Fo- 55 (Linear) polarisiertes Licht: Schwin-
lie in ihrer eigenen Ebene aber um 90°, dann gungsrichtung wird über längere Zeit
lässt sie kein Licht mehr durch: Die Polarisa- konstant gehalten.
322 Kapitel 7 · Optik

Praktikum 7.4 7.4.2 Interferenz


Polarisation des Lichtes (Saccharimetrie) Indirekt folgt die Wellennatur des Lichtes
Einige der komplizierten organi- bereits aus seiner Polarisierbarkeit: Nur
schen Moleküle, z. B. manche Zucker, transversale Wellen lassen sich so, wie be-
sind optisch aktiv; sie drehen den elektri- schrieben, polarisieren. Den offenkundigen
schen Vektor des sie durchsetzenden Beweis liefert aber erst die Interferenz, die
Lichtes auch dann, wenn sie in Wasser Überlagerung zweier Wellenzüge gleicher
gelöst sind – der magnetische Vektor Wellenlänge und Frequenz. Es müssen nicht
dreht sich selbstverständlich mit. Bringt Lichtwellen sein; Wasser- und Schallwellen
man eine mit Zuckerwasser gefüllte Kü- interferieren genauso. Man kann sogar an
vette zwischen gekreuzte Polarisatoren, einem rein geometrischen Modell recht an-
so hellt sich das Gesichtsfeld auf. Man schaulich erläutern, was bei der Überlage-
bekommt wieder Dunkelheit, wenn man rung zweier Kreiswellen (als ebenem Schnitt
den Analysator um einen Winkel δ nach- zweier Kugelwellen) passieren muss.
7 dreht – man hätte auch den Polarisator Die Momentaufnahme einer Kreiswelle
um den gleichen Winkel in Gegenrich- sei dargestellt durch ein System konzentri-
tung drehen können. δ ist proportional scher Kreise gleicher Strichbreite, abwech-
der Länge der Küvette sowie der Kon- selnd jeweils schwarz und hell auf transpa-
zentration der aktiven Moleküle: Mess- rente Folie gezeichnet; sie sollen Wellentäler
verfahren der Saccharimetrie zur ra- und -berge repräsentieren. Legt man zwei
schen Bestimmung des Zuckergehalts im derartige Systeme um 12 „Wellenlängen“
ausgepressten Saft einer Zuckerrübe. gegeneinander versetzt übereinander, so er-
Die Durchführung und die Berech- hält man die Figur der . Abb. 7.74. Sie
nungen im Versuch sind einfach, die suggeriert, was bei einer entsprechenden
Theorie optisch aktiver Substanzen hin- Überlagerung zweier Wellen tatsächlich he-
gegen sehr kompliziert. Wer hier etwas rauskommt: ein System heller und dunkler
mehr wissen will, sei auf das Lehrbuch Interferenzstreifen. . Abb. 7.75 bringt den
„Gerthsen Physik“ verwiesen. Optische experimentellen Beweis für Wasserwellen.
Aktivität hat heute vor allem Bedeutung
in Flüssigkristallanzeigen von Uhren
und sonstigem elektronischem Gerät.

Es sei noch erwähnt, dass die Stärke der


Reflexion von Licht an Oberflächen bei
schrägem Lichteinfall polarisationsabhän-
gig ist. Licht mit einer elektrischen Feld-
richtung senkrecht zur Oberfläche wird
schwächer reflektiert als solches mit paral-
lelem Feldvektor. Sonnenbrillen mit einge-
bautem Polarisationsfilter unterdrücken
Reflexe des Sonnenlichts z. B. von Wasser-
flächen. Es gibt sogar einen bestimmten ..      Abb. 7.74 Modellversuch zur Interferenz. Zwei
von der Brechzahl des reflektierenden Ma- Wellenfelder werden durch zwei Systeme konzentri-
scher Kreise simuliert. Auslöschung dort, wo helle und
terials ­abhängigen Winkel, unter dem senk-
dunkle Streifen alternierend aufeinandertreffen, also
recht polarisiertes Licht gar nicht reflektiert Berg auf Tal und Tal auf Berg: destruktive Überlage-
wird (Brewster-Winkel, bei Glas etwa 57°). rung der lokal ausgelösten Schwingungen
7.4 · Wellenoptik
323 7
Es ist nicht zu leugnen: Die Vorhersage des
Modells widerspricht der alltäglichen opti-
schen Erfahrung, denn sie behauptet, dass
Licht plus Licht unter Umständen Dunkelheit
ergeben könnte. Trotzdem soll das Modell hier
weiter verfolgt werden, und zwar quantitativ:
Angenommen, die beiden Wellenzentren
schwingen nicht nur mit gleicher Frequenz
und Amplitude, sondern auch in gleicher
Phasenlage. Dann hängt die Phase der von je-
dem Wellenfeld ausgelösten lokalen Schwin-
gung nur vom Laufweg ab, von der Entfer-
nung des „Aufpunkts“ vom Wellenzentrum:
55 Beträgt er ein ganzzahliges (nämlich n-­
faches) Vielfaches der Wellenlänge λ, so
sind Zentrum und lokale Schwingung in
Phase;
55 beträgt er ein ungeradzahliges (2n + 1)-
Faches von λ/2, so sind sie in Gegenphase.
..      Abb. 7.75 Interferenz zweier Wasserwellen in der
Wellenwanne
Das gilt gegenüber beiden Wellenzentren.
Wie eine Überlagerung sich auswirkt, be-
stimmt demnach der Gangunterschied x der
Zur Begründung sei an die Überlagerung beiden Wellen, die Differenz der beiden
von Schwingungen erinnert (7 Abschn. Laufwege. Es kommt zu Verstärkung und
4.1.5). Eine jede Welle löst überall in ihrem Maximum, wenn
Wellenfeld lokale Schwingungen aus; über-
lagern sich zwei Wellenfelder, so überlagern x = n × l;
sich auch deren Schwingungen. Konstruk-
tive Interferenz verstärkt, destruktive min- es kommt zu Auslöschung, wenn
dert die Amplitude der Auslenkung und
löscht im Grenzfall die Schwingung aus.
l
Im Modell der konzentrischen Kreise er- x = ( 2 × n + 1) × .
scheinen die Minima dort, wo schwarze und 2
helle Streifen sich gegenseitig abdecken; die
Am leichtesten zu erkennen ist dies in Rich-
Folien lassen kein Licht hindurch. Bei den
tung der verlängerten Verbindungslinie bei-
Maxima fällt schwarz auf schwarz und hell
der Wellenzentren. In . Abb. 7.74 beträgt ihr
auf hell; Licht kann durchtreten.
Abstand genau 12 Wellenlängen, geradzahli-
ges Vielfaches von λ/2: Verstärkung oben und
>>Merke
unten. In . Abb. 7.76 ist dieser Abstand auf
Interferenz: Überlagerung zweier Wellen
12,5 Wellenlängen erhöht, ungeradzahliges
gleicher Wellenlänge;
Vielfaches von λ/2: Auslöschung.
55 Maximum: Beide Wellen am Ort in
Phase, Wellenberg trifft auf Wellen-
berg und Tal auf Tal; >>Merke
55 Minimum: Beide Wellen am Ort in Ge- Gangunterschied: Differenz der Ab-
genphase, Wellenberg trifft auf Wellen- stände von den beiden Wellenzentren
tal und umgekehrt. zum gemeinsamen Aufpunkt.
324 Kapitel 7 · Optik

Alle Punkte auf der Mittellinie zwischen den allel. Ihren Gangunterschied x bis zum Treff-
Wellenzentren (horizontale gestrichelte Linie punkt findet man, indem man von einem
in . Abb. 7.77) zeichnen sich dadurch aus, Zentrum ein Lot auf den Strahl des anderen
dass sie zu beiden Zentren gleichen Abstand fällt. Zwischen diesem Lot und der Verbin-
haben; der Gangunterschied ist null: Auf der dungslinie der Zentren liegt der gleiche Win-
Symmetrieebene liegt das Maximum 0. Ord- kel α wie zwischen der Richtung der Strahlen
nung. Der Winkel αn, um den das Maximum und der Symmetrieebene. Aus der Definition
n-ter Ordnung gegen diese Ebene versetzt ist, der Winkelfunktionen im rechtwinkligen
lässt sich für hinreichend große Abstände Dreieck folgt dann:
leicht anhand . Abb. 7.77 ausrechnen. Die
beiden beim fernen Punkt interferierenden x
sin (a ) =
Strahlen verlassen die Zentren praktisch par- d

(d = Abstand der Zentren). Mit x = n · λ er-


gibt sich als Bedingung für das Maximum
7 n-ter Ordnung:

n×l
sin (a n ) = .
d

Aus dieser Beziehung kann man die Wellen-


länge λ bestimmen, wenn man αn und d ge-
messen hat.

7.4.3 Kohärenz

Wenn Licht eine elektromagnetische Welle


ist, warum gehören dann optische Interfe-
renzen nicht zu den alltäglichen Erfahrun-
gen, die jedermann geläufig sind? In realen,
makroskopischen Lampen senden Atome
und Moleküle Licht aus. Sie tun dies, grob
gesprochen, in Form von Wellenpaketen. Je-
des Atom oder Molekül strahlt unabhängig
..      Abb. 7.76 Modellversuch zur Interferenz. Gegen-
über . Abb. 7.74 ist der Abstand der Wellenzentren von den anderen zu einer zufälligen Zeit, so-
um eine halbe Wellenlänge erhöht worden dass das ausgesandte Licht aus einer zufälli-

..      Abb. 7.77 Gangunterschied. Zur Herleitung der Beziehung für den Winkel α zwischen der Symmetrieebene
zweier Wellenzentren und der Richtung eines Interferenzmaximums
7.4 · Wellenoptik
325 7
gen Überlagerung von Wellenpaketen be- (. Abb. 7.79). Je nach Gangunterschied x
steht. . Abb. 7.78 versucht dies darzustellen: verstärken oder schwächen sie sich auf
Die Wellenpakete addieren sich zu einem Dauer: Die Interferenzfigur steht still, das
Wellenzug. Man kann erkennen, dass in die- Licht ist für hinreichend kleine Gangunter-
sem Wellenzug nicht nur die Amplitude schiede kohärent. Je größer der Gangunter-
schwankt, sondern auch die Wellenlänge. schied aber wird, umso schwächer wird der
Überlagern sich solche Wellenzüge aus zwei Interferenzkontrast. In . Abb. 7.79 sieht
verschiedenen Quellen an einem Ort, so man das gut beim unteren Foto einer keil-
wird die Helligkeit dort sehr schnell förmigen Seifenhaut. Diese wird nach rechts
­schwanken. Das Auge nimmt aber nur eine dicker. Dadurch nimmt der Gangunter-
mittlere Helligkeit (Intensität) war und diese schied zwischen dem an der Vorderseite und
ist einfach die Summe der Helligkeit der ein- an der Rückseite reflektierten Licht zu. Man
zelnen Quellen. Man sagt: Das Licht ist in- erkennt gut, wie die Interferenzstreifen nach
kohärent. rechts schwächer werden. Die Streifen sind
Dagegen hilft nur folgendes: Man muss noch bunt, da das Licht weiß und nicht ein-
ein Lichtbündel aufspalten und die beiden farbig ist, wie in den Schemazeichnungen
Teilbündel einander überlagern. Auch dann angenommen. Den Gangunterschied, bei
besteht jedes Teilbündel aus der unregelmä- dem sich der Interferenzkontrast etwa hal-
ßigen Folge kurzer Wellenpakete, aber diese
Folge ist in beiden Bündeln die gleiche

Zufällige
Überlagerung Addieren und
x quadrieren

Intensitä t

Addieren
0 x

..      Abb. 7.79 Interferenz durch Aufspaltung. Spaltet


man einen Lichtstrahl auf und überlagert die Teil-
..      Abb. 7.78 Inkohärentes Licht. Die Lichtwelle, die strahlen mit nicht zu hohem Gangunterschied x, so
eine normale Lampe aussendet, schwankt schnell be- kommt es zur Interferenz. Unten ist das Muster an ei-
züglich ihrer Amplitude und Wellenlänge, da sie sich ner Seifenhaut fotografisch dargestellt, die nach rechts
aus Wellenpaketen (Lichtquanten) zusammensetzt dicker wird
326 Kapitel 7 · Optik

biert hat, nennt man Kohärenzlänge. Diese


ist ungefähr so lang wie ein Wellenpaket.

>>Merke
Kohärenz: feste Phasenbeziehung zwi-
schen zwei interferierenden Wellenzü-
gen.
Kohärenzlänge: Länge im Wellenzug, in
der die Wellenlänge einigermaßen kons-
tant bleibt.

7.4.4  ünne Schichten und Beu-


D
gungsgitter

7 Experimentell gibt es viele Möglichkeiten,


ein Lichtbündel aufzuspalten, z. B. durch
Reflexion an Vorder- und Rückseite eines
dünnen Glimmerblattes (Dicke d). Eine
Lichtquelle bekommt dadurch zwei virtuelle
Spiegelbilder, die im Abstand 2d hinterein-
anderstehen. Die Kohärenzlänge des Lich-
tes einer Quecksilberdampflampe genügt,
um ein stehendes Interferenzfeld zu bilden,
das auf der Wand metergroße Ringe erzeugt
(. Abb. 7.80).
Die Interferenzmaxima bilden spitze Ke-
gel, aus denen die Zimmerwand Kreise her-
ausschneidet. Deren Zentrum liegt in Rich-
tung größten Gangunterschieds der
interferierenden Wellen; dort befindet sich ..      Abb. 7.80 Interferenzversuch nach R. W. Pohl.
das Maximum oder Minimum der höchsten Das Licht einer Quecksilberdampflampe wird an Vor-
Ordnung. Solche Interferenzeffekte treten der- und Rückseite eines Glimmerblattes der Dicke d
immer dann auf, wenn zwei reflektierende reflektiert. Es entsteht ein Wellenfeld, das von den bei-
den virtuellen Spiegelbildern der Lampe herzurühren
Grenzflächen nur wenige Lichtwellenlän- scheint. Sie stehen im Abstand 2d, strahlen kohärent
gen, also wenige Mikrometer auseinan- und liefern an der Wand metergroße Interferenzringe,
derliegen. Da die Interferenzbedingungen gestört durch den Schatten der Lampe und ihrer Hal-
wellenlängenabhängig sind, sind solche terung. Dass die Ringe in vier schmalen Zonen fehlen,
Erscheinungen meistens bunt. Besonders hängt mit einer optischen Spezialität des Glimmers zu-
sammen, der sog. Doppelbrechung
prachtvoll zeigt sich das z. B. bei dünnen Öl-
filmen auf Wasser, bei denen die Interferenz
zwischen dem von der Oberseite und der Kameraobjektiven interferieren sich Reflexi-
Unterseite des Ölfilms reflektierten Licht onen im sichtbaren Spektralbereich weitge-
schillernde Farben hervorruft. Entsprechen- hend weg. Statt Reflexionsverminderung
des sieht man bei Seifenblasen. kann aber auch Reflexionsverstärkung er-
Interferenz an dünnen Schichten wird reicht werden. Die Reflektoren moderner
auch technisch genutzt. Bei reflexvermin- Halogenlampen sind nicht, wie man meinen
dernden Schichten auf Brillengläsern und könnte, mit Metall beschichtet, sondern mit
7.4 · Wellenoptik
327 7
einem ganzen Stapel dünner Interferenz-
schichten. Diese bewirken, dass das sichtbare
Licht reflektiert wird, die Wärmestrahlung
des infraroten Lichtes aber hindurchgeht
und dadurch das beleuchtete Objekt nicht so
stark erwärmt wird (Kaltlichtquellen). Dieses
Beispiel lässt schon vermuten, dass so auch
Filter gebaut werden können, die nur einen
ganz bestimmten, schmalen Wellenlängenbe-
reich durchlassen (Interferenzfilter).
Eine weitere Methode, mit Licht kleiner
Kohärenzlänge Interferenzerscheinungen zu
beobachten, nutzt die Beugung aus. In
7 Abschn. 7.1.3 wurde diese Erscheinung
schon beschrieben. Lässt man insbesondere
Licht durch ein sehr kleines Loch oder einen
Spalt hindurchtreten, so kommt auf der an-
deren Seite eine Welle mit kreisförmigen Wel-
lenfronten heraus (. Abb. 7.12). Schneidet
man also zwei schmale Schlitze in ein Blech,
in geringem Abstand und parallel zueinan-
der (Doppelspalt), und beleuchtet dieses von
der einen Seite, so interferieren die auf der
anderen Seite austretenden kreisförmigen
Wellen (. Abb. 7.81). Die Schlitze strahlen
kohärent, weil sie von praktisch der gleichen
Primärwelle angeregt werden. Folglich lie- ..      Abb. 7.81 Interferenzstreifen eines Doppelspaltes
fern sie ein System paralleler Interferenz-
streifen mit der 0. Ordnung in der Mitte. Der
Streifenabstand ergibt sich aus den Überle-
gungen zu . Abb. 7.77. Entsprechende
Messungen zeigen, dass die Wellenlängen
sichtbaren Lichtes tatsächlich in einem rela-
tiv schmalen Bereich um 0,5 μm liegen.

>>Merke
Beugung und Interferenz am Doppel-
spalt und Beugungsgitter:
55 Maximum n-ter Ordnung:
l
sin (a n ) = n ×
d
55 Minimum n-ter Ordnung:
æ 1ö l ..      Abb. 7.82 Beugungsgitter (schematisch). Die
sin (a n ) = ç n + ÷ × . Richtungen der Interferenzmaxima sind die gleichen
è 2ø d
wie beim Doppelspalt; die Maxima selber sind aber
wesentlich schärfer ausgeprägt, weil sich auch die Wel-
Wenn man den Doppelspalt zu einem Beu- lenzüge weit entfernter Spalte mit entsprechend höhe-
gungsgitter aus vielen äquidistanten Spalten ren Gangunterschieden gegenseitig auslöschen kön-
erweitert (. Abb. 7.82), so ändert sich an nen
328 Kapitel 7 · Optik

den Richtungen der Interferenzmaxima terferenzmaximums. Ähnlich den Prismen


nichts, wohl aber an der Strahlungsleistung können auch Beugungsgitter Licht spektral
zwischen ihnen: zerlegen (Gitterspektrometer). Aus dem täg-
55 Beim Doppelspalt fällt sie allmählich auf lichen Leben kennt man das von den Com-
den Wert null und erreicht ihn genau in pact Discs zur Musikwiedergabe. Die digi-
der Mitte zwischen zwei Maxima. tale Information ist auf einer CD in Rillen
55 Beim Gitter sind die Maxima deutlich mit jeweils 1,6 μm Abstand gespeichert. Das
schärfer und durch breite, dunkle Streifen liefert ein gutes Beugungsgitter und lässt die
voneinander getrennt, umso deutlicher, CDs auf der Abspielseite bunt schillern.
je mehr Gitterspalten beleuchtet werden
(. Abb. 7.83).
Rechenbeispiel 7.7: Kohärenzlänge
Aufgabe. Angenommen, . Abb. 7.80 sei
Warum? Der Doppelspalt liefert lediglich
mit dem grünen Licht der Quecksilber-
zwei Wellenzüge; nur bei einem Gangunter-
dampflampe (λ = 546 nm) und einem
schied von λ/2 (oder einem ungeradzahligen
0,11 mm dicken Glimmerblatt erzeugt
7 Vielfachen davon) löschen sie sich vollkom-
worden. Von ungefähr welcher Ordnung
men aus. Bei einem Gitter mit 1000 Spalten
wäre dann das zentrale Maximum? Wie
genügt aber schon ein Gangunterschied von
groß müsste die Kohärenzlänge der
einem Tausendstel λ zwischen Nachbarn zur
Lampe mindestens gewesen sein?
Auslöschung, denn dies bedeutet eine halbe
Lösung. Der kleinste Gangunter-
Wellenlänge Gangunterschied zwischen den
schied entspricht dem Abstand der virtu-
Spalten 1 und 501, zwischen 2 und 502 usw.:
ellen Spiegelbilder, also zweimal die
Zu jedem Wellenzug aus einem Spalt findet
Glimmerdicke.
sich schon jetzt ein zweiter, der die zur Inter-
Für die Ordnung gilt also:
ferenzauslöschung notwendige halbe Wel-
lenlänge Gangunterschied mitbringt. n = 2 × d / l = 0, 22 mm / 546 nm » 400.
Optische Gitter haben praktische Bedeu-
Die Kohärenzlänge muss 2 · d = 0,22 mm
tung: Beleuchtet man sie mit einem Parallel-
deutlich übersteigen.
bündel weißen Lichtes, so fächern sie es in
wellenlängensortierte Parallelbündel auf,
ein jedes ausgesandt in Richtung seines In-

Rechenbeispiel 7.8:
Die Spektren überlappen
Aufgabe. Weißes Licht mit Wellen-
längen zwischen 400 und 750 nm fällt
auf ein Beugungsgitter mit 400 Spalten
pro Zentimeter. Zeigen Sie, dass das
Blau (λ = 450 nm) der 3. Ordnung mit
dem Rot (λ = 700 nm) der 2. Ordnung
überlappt.
Lösung. Der Abstand der Spalte im
Gitter beträgt d = (1/40)cm = 2,5 μm.
Für die Lage des 3. Interferenzmaxi-
mums des blauen Lichts ergibt sich: sin
α3 = 3 · (450 nm/2,5 μm) = 0,54,
das gibt α3 = 33°. Für Rot ergibt sich:
..      Abb. 7.83 Beugungsfiguren von Gittern mit 4, 10
und 250 Spalten
7.4 · Wellenoptik
329 7
mer dann, wenn der Gangunterschied zwi-
sin α3 = 2 · (700 nm/2,5 μm) = 0,56, schen den Randstrahlen ein ganzzahliges
das gibt α3 = 34°. Vielfaches der Wellenlänge wird. Dazwischen
bleibt ein Teil elementarer W
­ ellenzentren üb-
rig, die keinen Partner zur Interferenzlö-
7.4.5  eugungsfiguren und Auflö-
B schung finden. Ein einzelner Spalt mit der
sungsvermögen !! Breite D liefert demnach Beugungsminima in
Richtungen, die der Beziehung
Gleichmäßige Beugung aus einem Loch
oder Spalt heraus in den ganzen Halbraum n×l
sin (a n ) =
hinein (. Abb. 7.11) setzt einen Lochdurch- d
messer, eine Spaltbreite voraus, die gegen-
über der Wellenlänge klein ist. Bei Wasser- gehorchen. Diese ähnelt der Formel für die
wellen lässt sich das noch einigermaßen Interferenzmaxima zweier punktförmiger
erreichen, bei sichtbarem Licht würden die Wellenzentren.
Interferenzfiguren aber zu dunkel für eine
bequeme Beobachtung. Folglich macht man >>Merke
die Spalte breiter. Beugung am Spalt: Minimum bei
Ein breiter Spalt liefert aber schon für n×l
sin (a n ) = .
sich allein eine Beugungsfigur (. Abb. 7.84). d
Um dies zu verstehen, nimmt man an, in der Bemerkenswert an dieser Formel ist: Je
Spaltebene lägen elementare Wellenzentren schmaler der Spalt, je kleiner D, umso größer
dicht an dicht, die vom (senkrecht einfallen- wird α, umso breiter also das zentrale Maxi-
den) Primärlicht zu gleichphasigen Schwin- mum im Beugungsmuster. Diese paradox an-
gungen angeregt werden und entsprechend
abstrahlen (Huygens-Elementarwellen). Hat
der Spalt die Breite D, so beträgt der Gang-
unterschied zwischen den beiden unter dem
Winkel α emittierten Randstrahlen x = D ·
sinα. Deckt sich x mit der Wellenlänge λ, so
erhält ein Randstrahl gegenüber dem des
Elementarzentrums in der Spaltmitte den
Gangunterschied λ/2 und beide löschen sich
durch Interferenz aus (. Abb. 7.85).
Demnach lässt sich zu jedem Elementar-
zentrum in der einen Spalthälfte ein korres-
pondierendes in der anderen finden, dessen
..      Abb. 7.85 Zur Beugung am Spalt. In der Spalt-
Welle sich mit der seinen weginterferiert: α
ebene werden elementare Wellenzentren als Ausgangs-
bestimmt die Richtung des 1. Minimums in punkte von Huygens-Elementarwellen angenommen.
der Beugungsfigur des Einzelspaltes. Ver- 1. Interferenzminimum bei einer vollen Wellenlänge
gleichbare Situationen wiederholen sich im- Gangunterschied zwischen den Randstrahlen

..      Abb. 7.84 Beugungsfigur eines Spaltes. Zur Vermeidung von Überstrahlungen wurde die Bildmitte ausge-
blendet
330 Kapitel 7 · Optik

..      Abb. 7.87 Beugung an der Halbebene

..      Abb. 7.86 Auflösungsvermögen eines Mikroskops.


Überlappende Beugungsscheibchen zweier Bildpunkte ,wobei d0 die kleinste noch auflösbare Dis-
tanz ist. Sehr gute Objektive erreichen eine
mutende Tatsache ist wichtig, um das Auflö- numerische Apertur von etwa 0,9. Die auf-
sungsvermögen optischer Instrumente zu lösbare Länge d0 ist also immer etwas größer
verstehen. Grundsätzlich liefert jedes Loch als die Lichtwellenlänge λ. Die Verwendung
eine Beugungsfigur, auch die Fassung einer kurzwelligen blauen Lichtes bringt die beste
7 Linse. Selbst ein ideales, im Sinne der geo- Auflösung.
metrischen Optik fehlerfreies Objektiv bildet Beugung tritt nicht nur an Spalten oder
deshalb einen Gegenstandspunkt nicht in ei- Löchern auf, sondern an beliebigen Kanten.
nen Bildpunkt ab, sondern als ausgedehntes Das Licht dringt dort etwas in den Schatten
Beugungsscheibchen. Dessen Durchmesser ein und im hellen Bereich bildet sich ein
bestimmt das Auflösungsvermögen z. B. ei- Streifenmuster (. Abb. 7.87).
nes Mikroskops: Zwei Detailpunkte des Ob-
jekts sind allenfalls dann noch getrennt Rechenbeispiel 7.9: Breit, aber dunkel
wahrnehmbar, wenn das Beugungsscheib- Aufgabe. Das Licht eines He-Ne-Lasers
chen des einen mit seinem Zentrum auf das (λ = 633 nm) fällt auf einen 1 μm wei-
1. Minimum des anderen fällt (. Abb. 7.86). ten Spalt. Wie breit ist das Beugungsma-
Will man ein hohes Auflösungsvermögen, ximum gemessen in Winkelgrad bzw. in
so muss also der Durchmesser der Objektiv- Zentimetern auf einem 20 cm entfernten
linse möglichst groß sein. Eine genauere Be- Schirm?
trachtung zeigt, dass das Verhältnis von Lin- Lösung. Das 1. Minimum erscheint
sendurchmesser zu Brennweite möglichst unter dem Winkel:
groß sein muss. Deshalb rückt das Objektiv
l 633 × 10-9 m
umso dichter an das Objekt heran, je höher sin a = = = 0, 633 Þ a = 39°.
d 10-6 m
die Vergrößerung gewählt wird. Bei maxima-
ler Vergrößerung ist der Abstand zuweilen Die halbe Breite x auf dem Schirm er-
nur noch ein Zehntelmillimeter oder kleiner, gibt sich aus dem Tangens dieses
um die nötige Auflösung zu erreichen. ­Winkels:
Maß für das Auflösungsvermögen ist die x
tan a = Þ x = 20 cm × 0, 82 = 16, 4 cm.
numerische Apertur des Objektivs. Sie gibt 20 cm
an, Licht aus welchem Winkelbereich das
Die volle Breite hat den doppelten Wert.
Objektiv erfassen kann. Dieser hängt eng
Das Maximum ist also sehr breit, aber
mit dem Verhältnis Durchmesser zu Brenn-
auch sehr lichtschwach, denn durch
weite zusammen. Es gilt nun in etwa:
1 μm gelangt nicht viel Licht. Um das im
l Hörsaal vorzuführen, muss man sehr gut
numerische Apertur = , abdunkeln.
d0
7.5 · Quantenoptik
331 7
7.5 Quantenoptik

7.5.1 Lichtquant

Licht transportiert Energie; grundsätzlich


muss deshalb ein Elektron, das sein Metall
verlassen möchte, sich die dafür nötige Aus-
trittsarbeit auch von absorbiertem Licht ge- ..      Abb. 7.88 Vakuumfotozelle, schematisch
ben lassen können. Praktisch geschieht dies in
der sog. „Vakuumfotozelle“, einem evakuier-
ten Glaskolben mit einer großflächigen Foto-
kathode und einer unscheinbaren Anode ge-
genüber, die einfallendem Licht möglichst
wenig im Weg stehen soll. Legt man zwischen
beide eine Spannung mit richtigem Vorzei-
chen, misst man bei passender Beleuchtung in
der Tat einen Fotostrom (. Abb. 7.88); polt
man um, fließen allenfalls Leckströme. Dies
..      Abb. 7.89 Spannung an der Fotozelle. Abhängig-
ist der lichtelektrische Effekt (Fotoeffekt).
keit der Leerlaufspannung UL einer Vakuumfotozelle
Die Vakuumfotozelle vermag sogar eine in Abhängigkeit von der Frequenz f des Lichtes. Die
Spannung zu erzeugen. Ein Elektron kann Grenzfrequenz fg, bei der der Fotoeffekt einsetzt,
nämlich vom absorbierten Licht mehr als hängt vom Material der Fotokathode, nicht aber von
nur die exakte Austrittsarbeit übernehmen, der Bestrahlungsstärke des Lichtes ab
den Überschuss als kinetische Energie ins Rad, ein schwingendes Pendel, kurz jedes
Vakuum mitnehmen und so bei passender System, das einen periodischen Vorgang mit
Startrichtung die Anode nicht nur ohne der Frequenz f ausführt, kann die Energie
Nachhilfe durch äußere Spannung errei- dieses Vorgangs nicht kontinuierlich ändern,
chen, sondern sogar eine Gegenspannung wie die klassische Physik annimmt, sondern
überwinden. Diese stellt sich als Leerlauf- nur in Sprüngen mit der
spannung UL dann von selbst ein, wenn man Quantenenergie ΔWQ = h ⋅ f.
Batterie und Strommesser aus dem Außen- Das Planck’sche Wirkungsquantum h, be-
kreis herausnimmt und den Kreis über einen nannt nach seinem Entdecker Max Planck, er-
hochohmigen Spannungsmesser schließt. weist sich als fundamentale Naturkonstante:
Das Ergebnis sorgfältiger Messreihen
überrascht: UL hängt nicht von der Bestrah- h = 6, 6262 ×10-34 Js = 4,1357 ×10-15 eVs.
lungsstärke der Fotokathode ab, sondern
von der Wellenlänge des Lichts, besser von Sie wird Wirkungsquantum genannt, denn
dessen Frequenz f. Unterhalb einer Grenz- die Joulesekunde ist Einheit der physikali-
frequenz fg passiert gar nichts, oberhalb fg schen Größe Wirkung (Energie mal Zeit).
steigt UL linear mit f an (. Abb. 7.89). Mit
dem „klassischen“ Bild einer elektromagne- >>Merke
tischen Welle ist dieses experimentelle Fak- Quantenhypothese: Ändern kann ein pe-
tum nicht zu verstehen, denn deren Leistung riodischer Vorgang mit der Frequenz f
und Energie hängt nur  von den
 Amplituden seine Energie nur in Quantensprüngen
der beiden Felder E und B ab und nicht DWQ = h × f ;
von der Frequenz f. Was tun? Planck’sches Wirkungsquantum
Deuten lässt sich der äußere Fotoeffekt h ≈ 4 · 10–15 eVs.
mit der Quantenhypothese: Ein rotierendes
332 Kapitel 7 · Optik

Dass sie nicht früher entdeckt wurde, liegt Photonen interpretieren, als „Quanten-
an ihrer Kleinheit. Das Pendel von Großva- strom“ oder „Photonenstrom“, gemessen
ters Standuhr schwingt mit etwa einem als Anzahl durch Sekunde. Allerdings ist es
Hertz. Die zugehörige Quantenenergie von völlig unanschaulich, dass die Frage, wo das
weniger als 10–33 J entzieht sich jeder Mes- Lichtteilchen (Photon) denn hinfliegt, durch
sung. Wenn die Uhr abgelaufen ist, schwingt Wellenfunktionen beschrieben wird. Da-
das Pendel nach einer e-Funktion aus; durch gibt es Beugung und Interferenz.
Quantensprünge kann niemand erkennen. Dahinter steckt der berühmte Dualismus
Molekülschwingungen absorbieren oder von Welle und Korpuskel, der in den
emittieren meist infrarotes Licht; dazu gehö- 1920er-Jahren schier zu einem „Umsturz im
ren dann Frequenzen in der Größenordnung Weltbild der Physik“ führte – so der Titel
1014 Hz und Quantenenergien im Bereich eines Buches aus jener Zeit – und die Grenze
0,1 eV – für makroskopische Systeme immer der bis dahin betriebenen (und bisher in die-
noch blitzwenig, aber für ein einzelnes Mo- sem Buch behandelten) sog. klassischen
lekül keineswegs. Bei Zimmertemperatur Physik markiert. Diese Physik ist nicht
7 liegt die ihm zustehende mittlere thermische falsch, in ihrem Geltungsbereich liefert auch
Energie nur in der gleichen Größenordnung, die „moderne Physik“ keine anderen Ergeb-
nicht etwa weit darüber. nisse; sie tut es nur auf kompliziertere und
Die Quantenhypothese macht Beobach- weniger anschauliche Weise. Die Welt der
tungen nach Art der . Abb. 7.89 geradezu Quanten bleibt freilich der klassischen Phy-
selbstverständlich: Liegt die Austrittsarbeit sik verschlossen.
WA des Metalls über der Quantenenergie WQ
des Lichtes, kann das Elektron mit ihr nichts >>Merke
anfangen; liegt sie darunter, bleibt dem Licht besteht aus Photonen, deren Aus-
Elektron die Differenz, um die Leerlauf- breitung aber durch Wellen beschreiben
spannung UL aufzubauen: wird.

h· f = WQ = e0 ·U L + WA .
Rechenbeispiel 7.10:
Das ist die Gleichung eines linearen Zusam- Photonen aus der Glühlampe
menhanges. Mit der Grenzfrequenz fg lässt Aufgabe. Wie viele sichtbare Photo-
sich demnach die Austrittsarbeit messen: nen kommen größenordnungsmäßig aus
einer 100-W-Glühbirne?
WA = h· f g .
Lösung. Wir nehmen eine mittlere
Wellenlänge von 500 nm für das sicht-
Im Bereich der elektromagnetischen Wellen bare Licht. Das liefert eine Energie des
versteht man unter energiereicher Strahlung einzelnen Photons
eine kurzwellige Strahlung mit hoher Quan-
WQ = h × f = h × c / l
tenenergie, nicht etwa eine „intensive“
Strahlung mit hoher Strahlungsstärke. Bei = 6 × 6 × 10-34 Js × 6 × 1014 Hz = 4 × 10-19 J.
der Fotokathode bewirkt eine Steigerung Da unsere Glühbirne pro Sekunde 100 J
der Bestrahlungsstärke lediglich, dass mehr abgibt, wären das etwa 1020 Photonen.
Quantenenergien absorbiert werden und Tatsächlich gehen aber nur etwa 5 % der
mehr Elektronen austreten können: Der Fo- Leistung in sichtbares Licht (der Rest ins
tostrom steigt, nichts sonst. Infrarot). Deshalb ist 1019 eine bessere
So gesehen, darf man einen Strahlungs- Schätzung.
fluss (Watt) als Strom von Quanten, von
7.5 · Quantenoptik
333 7
7.5.2  nergiezustände und Spekt-
E das Niveauschema, das man für jedes chemi-
ren sche Element in mühsamer Kleinarbeit aus
dem Spektrum seines Atoms hat erschließen
Moleküle sind nicht starr; ihre Teile können müssen.
gegeneinander schwingen und, da sie meist Zunächst einmal befindet sich ein Atom
nicht elektrisch neutral sind, als schwin- im Zustand niedrigster Energie, im Grund-
gende Dipole elektromagnetische Wellen zustand. Dort passiert so lange nichts, wie
abstrahlen oder mit ankommenden in Reso- dem Atom keine Anregungsenergie zugeteilt
nanz geraten. Die Eigenfrequenzen organi- wird, mit der es mindestens in einen ange-
scher Moleküle liegen im Bereich bis etwa regten Zustand übergehen kann. Woher
1014 Hz hinauf, entsprechen also Infrarot- diese Energie stammt, spielt keine Rolle; sie
licht. Jede Molekülsorte besitzt ein charak- darf der thermischen Energie einer Flamme
teristisches Spektrum, das, meist in Absorp- entstammen, dem Elektronenstoß in einer
tion beobachtet, gern zur chemischen Gasentladung oder auch einem genau pas-
Absorptionsspektralanalyse benutzt wird senden Quant.
(7 Abschn. 7.3.2). Führt die Anregung nur in den ersten an-
Soweit das Bild der klassischen Physik. geregten Zustand, so hat das Atom keine
Die Quantenphysik fügt nur noch ergän- Wahl: Es kann nur mit dem gleichen Quan-
zend hinzu: Auch ein molekularer Oszillator tensprung in den Grundzustand zurückkeh-
kann seine Schwingungsenergie nur in ren, mit dem es ihn verlassen hat. Ist das
Quantensprüngen ändern; ihm sind nur dis- Atom aber in einen höheren angeregten Zu-
krete Energiezustände erlaubt, die man in stand gelangt, darf es unter Beachtung be-
vertikaler Energieskala wie die Sprossen ei- stimmter Auswahlregeln entscheiden, ob es
ner Leiter übereinanderzeichnen kann. in einem großen Sprung, also unter Emis-
Auch Atome emittieren Licht. Die an sion eines relativ energiereichen „kurzwelli-
sich farblose Flamme des Bunsenbrenners gen“ Quants, zurückkehrt oder in mehreren
wird leuchtend gelb, wenn Spuren von Sprüngen mit mehreren Quanten. Zuweilen
Kochsalz in sie hineingeraten. Ein Fingerab- geht das bis zum Grenzfall des Hoppelns
druck auf einem sauberen Stab aus Quarz- von Sprosse zu Sprosse, von Niveau zu Ni-
glas genügt bereits. Eine spektrale Zerlegung veau.
liefert zwei eng benachbarte, scharfe Linien Die Abstände der Sprossen sind nicht
bei 589,0 und 589,6 nm, die sog. D-Linien gleich wie bei einer Leiter, sie werden nach
des Natriums. Atome anderer Elemente füh- oben immer kleiner, die zugehörigen Quan-
ren zu anderer Flammenfärbung, die in ein- ten immer „langwelliger“. Das macht die
fachen Fällen eine durchaus praktikable Übersetzung eines beobachteten Spektrums
Methode zur qualitativen chemischen Ana- in das zugehörige Niveauschema so müh-
lyse liefert. In den raffinierten Techniken der sam. Relativ leicht gelingt dies noch beim
Emissionsspektralanalyse ist dieses Verfah- einfachsten aller Atome, dem des Wasser-
ren zu hoher technischer Vollkommenheit stoffs; . Abb. 7.90 zeigt einen zeichnerisch
entwickelt worden. etwas reduzierten Ausschnitt aus seinem
Beim Atom fällt es der klassischen Phy- Spektrum:
sik schwer, einen mechanischen Oszillator Man erkennt zwei Serien mit kurzwelli-
mit Rückstellkraft und geladener Pendel- gen Seriengrenzen, vor denen sich die Spek-
masse zu identifizieren; darum verzichtet trallinien so drängeln, dass sie sich nicht
man auf sie ganz und hält sich gleich an die mehr getrennt zeichnen lassen. Zur Emis-
Energiezustände der Quantenmechanik, an sion von Linien der Lyman-Serie im Ultra-
334 Kapitel 7 · Optik

..      Abb. 7.90 Spektrum des Wasserstoffs (Ausschnitt); die stärkeren Linien sind hier von Hand gezeichnet; zu
kurzen Wellen folgen noch zahlreiche, dichter beieinander liegende schwächere Linien

mente sehen die Niveauschemata kompli-


zierter aus. Führt man einem H-Atom im
Grundzustand mehr als die Quantenenergie
zur Lyman-Grenze, also mehr als 13,59 eV,
zu, verliert es sein Hüllenelektron und wird
7 zum H+-Ion: Die Lyman-Grenze entspricht
der Ionisierungsenergie. Dies legt die Ver-
mutung nahe, dass alle Niveauschemata et-
was mit den Elektronenhüllen der Atome zu
tun haben. Davon wird später noch die Rede
sein (7 Abschn. 8.1.1).

>>Merke
Niveauschema:
55 Grafische Darstellung der einem
Atom von der Quantenmechanik er-
laubten Energiezustände mit Grund-
zustand und angeregten Zuständen.
55 Quantensprünge zwischen diesen Zu-
ständen entsprechen Linien im Emissi-
ons- oder Absorptionsspektrum.

Im Licht einer Natriumdampflampe wirft


kalter Natriumdampf tiefschwarze Schat-
..      Abb. 7.91 Niveauschema des Wasserstoffatoms ten. Das gleiche Licht, das ein Atom emit-
(1 eV = 1,6 10-19 J) tiert, wird auch von ihm absorbiert. Fällt das
so angeregte Atom nach kurzer Zeit wieder
violetten gehören Quantensprünge in den in den Ausgangszustand zurück, emittiert es
Grundzustand, zu der ins Sichtbare reichen- das Quant, das es eben erst absorbiert hatte;
den Balmer-Serie Sprünge in den ersten an- das eingestrahlte Licht wird ohne Frequenz-
geregten Zustand. Die infrarote Paschen-­ änderung gestreut. Zwischen den Quanten-
Serie mit Sprüngen in den zweiten sprüngen von Emission und Absorption ver-
angeregten Zustand ist in der Abbildung geht aber eine gewisse Zeit; diese hängt von
nicht mehr enthalten. der mittleren Lebensdauer des angeregten
. Abb. 7.91 zeigt das Niveauschema des Zustands ab. Die beiden Quanten wissen
Wasserstoffs. Bei Atomen „höherer“, also also nichts voneinander und die Phasen der
im Periodensystem (7 Abschn. 8.1.1 und beiden zugehörigen Wellen auch nicht: Die
7 Abschn. 8.1.3) weiter oben stehender Ele- Streuung erfolgt inkohärent.
7.5 · Quantenoptik
335 7
Führt der Quantensprung der Anregung 7.5.3 Laser
in einem Schritt über mehrere Niveaus hin-
weg, darf das Atom bei der Abregung in Normalerweise führen die Atome einer Gas-
mehreren Quantensprüngen von Niveau zu entladung ihre Quantensprünge völlig unab-
Niveau zurückkehren. Jedes der emittierten hängig voneinander aus; entsprechend ist
Quanten ist dann „kleiner“, jede emittierte das ausgesandte Licht inkohärent. Von die-
Strahlung langwelliger als bei der Absorp- ser Regel gibt es aber eine markante Aus-
tion. Der Energiesatz muss nur in summa nahme: der Laser. Sie sei am Beispiel des
befolgt werden. Leuchtstoffe werden auf Helium-Neon-Lasers besprochen.
diesen Mechanismus hin geradezu gezüch- Helium (He) dient hier nur der leichte-
tet. Sie erlauben, kurzwelliges ultraviolettes ren Anregung. Aus nicht näher zu erörtern-
oder Röntgenlicht sichtbar zu machen: Ein den Gründen nehmen Heliumatome beson-
solcher Leuchtstoff wird von energiereichen ders gern eine ganz bestimmte Energie
Quanten angeregt und strahlt dafür energie- durch Elektronenstoß auf und geben sie als
ärmere Quanten im sichtbaren Spektralbe- angeregte Atome beim nächsten Treff be-
reich wieder ab. vorzugt an Neonatome unmittelbar weiter.
Liegt die Lebensdauer der angeregten Dabei geht das He-Atom strahlungslos in
Zustände unter 10 Nanosekunden, so seinen Grundzustand zurück. Es hat seine
spricht man von Fluoreszenz, andernfalls Schuldigkeit getan. Das so angeregte Ne-
von Phosphoreszenz. Oberbegriff zu beiden Atom bevorzugt nun einen Abregungs-
ist Lumineszenz. Glühwürmchen betreiben schritt, der nicht zum Grundzustand zu-
Biolumineszenz, hier erfolgt die Anregung rückführt, sondern lediglich ein infrarotes
chemisch. Quant emittiert. Damit landet das Atom
Die Anregung durch Elektronenstoß in aber in einer Sackgasse: Sein neuer Anre-
der Gasentladung hat große technische Be- gungszustand ist metastabil, er hat eine un-
deutung, denn sie erzeugt wenig Wärme und gewöhnlich lange Lebensdauer. Infolgedes-
wenig infrarotes Licht, hat also einen we- sen geraten ungewöhnlich viele Atome in
sentlich höheren Wirkungsgrad als die diesen Zustand; sie möchten heruntersprin-
Glühbirne. Nur ist ihr Licht so farbig, dass gen, trauen sich aber nicht.
man es allenfalls zur Straßenbeleuchtung Irgendwann riskiert es ein Atom im me-
und besser zur Lichtreklame in „Neonröh- tastabilen Zustand aber doch. Dann sendet
ren“ verwenden kann (die nur selten wirk- es ein Quant der Laserlinie von 632,8 nm
lich Neon enthalten). Wellenlänge aus (helles Rot). Dieses Quant
Quecksilberdampflampen emittieren verbreitet nun die Kunde von dem mutigen
blaugrünes und vor allem ultraviolettes Springer mit der Folge, dass andere Atome
Licht. Man kann es zur Bräunung der Haut es auch wagen. Weil sie aber nicht spontan
verwenden; in Leuchtstoffröhren und Ener- heruntergesprungen sind, sondern auf Ab-
giesparlampen fängt man das UV-Licht im ruf gewartet haben, gibt das erste Quant die
Glaskolben ab und setzt es mit geeigneten Phasenlage vor: Alle anderen Quanten
Leuchtstoffen in sichtbares Licht um. Durch schließen sich an.
deren geschickte Mischung wird eine spekt- . Abb. 7.92 versucht, diesen Vorgang
rale Verteilung zu erreichen, die das mensch- der stimulierten Emission schematisch dar-
liche Auge als angenehm empfindet. Bei wei- zustellen. Von ihr hat der Laser seinen Na-
ßen Leuchtdioden ist es ähnlich, denn die men: Light Amplification by Stimulated
Leuchtdiode ist eigentlich blau und wird Emission of Radiation. Weil sich die Strah-
erst durch Fluoreszenzfarbstoff über der lung der abgerufenen Quanten in der Phase
Diode weiß. an die des auslösenden Quants anschließt,
336 Kapitel 7 · Optik

verfahren möglich: die Holografie. Dazu


muss das schmale Laserbündel zunächst mit
einer Linse so stark aufgeweitet werden,
dass es den abzubildenden Gegenstand voll
ausleuchtet. Danach überlagert man das
von diesem zurückgestreute Licht einem Re-
ferenzbündel, das vom gleichen Laser
stammt, also zur Streustrahlung kohärent
..      Abb. 7.92 Stimulierten Emission beim Laser. Das ist. Man kann sich das Referenzbündel
vom linken Atom bei Übergang aus dem metastabilen
Zustand emittierte Quant ruft die anderen Quanten
durch einen Spiegel besorgen, den man an
phasenrichtig ab eine Stelle im Laserbündel stellt, an der er
nicht stört.
Die Überlagerung liefert (sofern nichts
wackelt) eine stationäre Interferenzfigur.
Stellt man eine fotografische Platte irgendwo
7 hinein, so hält sie das Interferenzmuster fest,
das sich an ihrem Ort befindet – sofern ihr
..      Abb. 7.93 Aufbau eines He-Ne-Lasers, schema- Korn fein genug für Strukturen in den Ab-
tisch. Die lange Röhre des Entladungsgefäßes steht messungen der Lichtwellenlänge ist. Die
zwischen zwei Spiegeln, die den wirksamen Lichtweg
für die stimulierte Emission verlängern. Der eine Spie-
entwickelte Fotoplatte enthält dann das Ho-
gel ist zu wenigen Prozent lichtdurchlässig; bei ihm logramm des abgebildeten Gegenstands.
tritt das Laserbündel aus Beleuchtet man das Hologramm mit La-
serlicht, das dem Referenzbündel entspricht,
bekommt das Laserlicht eine ungewöhnlich so entsteht ein virtuelles Beugungsbild, das
hohe Kohärenzlänge, bis in die Größenord- dem Objekt entspricht. Man sieht es, wenn
nung Meter. Dies macht seine Besonderheit man durch das Hologramm hindurchschaut
aus; es erlaubt ungewöhnliche Interferenz- wie durch ein Fenster. Dabei darf man seine
versuche. Position wechseln und das Beugungsbild aus
Die Abrufwahrscheinlichkeit im He-Ne-­ verschiedenen Richtungen betrachten: Es
Laser ist nicht so sehr hoch; das abrufende zeigt sich jeweils so, wie es das Original auch
Quant muss gewissermaßen dicht am war- getan hätte. Hologramme minderer Qualität
tenden Atom vorbeilaufen. Man baut den lassen sich auch in Reflexion und für weißes
Laser deshalb als langes, dünnes Entla- Licht herstellen. Dazu benutzt man Kunst-
dungsrohr und verlängert den Lichtweg stoffe, die eine mikrometerfeine Riffelung
noch durch zwei Spiegel, zwischen denen ihrer Oberfläche erlauben: fälschungssiche-
das Licht dann hin- und hergejagt wird res Merkmal z. B. von Geldscheinen.
(. Abb. 7.93). Der eine Spiegel ist zu weni- Die große Kohärenzlänge des Laserlich-
gen Prozent lichtdurchlässig. Bei ihm tritt tes erlaubt nicht nur interessante Interferenz-
der scharf gebündelte, hochkohärente La- versuche; die zugehörige scharfe Bündelung
serstrahl aus, den . Abb. 7.13 gezeigt hatte. führt zu extremen Bestrahlungsstärken E:
Nur ein Quant, das in dieser Richtung star- 5 mW konzentriert auf 0,1 mm2 bedeutet
tet, hat die Chance, Laserlicht abzurufen; E = 50 kW/m2. Diese Intensität ist für das
wer in Querrichtung läuft, verlässt das Ent- Auge auf jeden Fall gefährlich. Daher tragen
ladungsrohr zu früh, bleibt allein und emit- alle Laser ein Warnschild (. Abb. 7.94) und
tiert inkohärentes Licht, wie jede andere sind in Gefährlichkeitsklassen eingeteilt.
Gasentladung auch. Laserpointer haben bei 1 mm2 Strahl-
Die hohe Kohärenzlänge des Laserlich- durchmesser eine Lichtleistung unter 1 mW
tes macht ein bemerkenswertes Abbildungs- und gehören damit in Schutzklasse 2. Diese
7.5 · Quantenoptik
337 7
gilt als gerade noch ungefährlich, weil man für jeden, der eine leidlich anschauliche Vor-
das Auge normalerweise reflexhaft schließt, stellung vom Mechanismus eines Lasers ha-
wenn ein solcher Strahl hineinfällt. Für Al- ben möchte, ohne den korrekten Gedanken-
koholisierte mit reduzierten Reflexen kann und Rechnungsgang der Quantenmechanik
ein Laserpointer schon gefährlich sein. nachzuvollziehen. Über die Brücke zu gehen
Was das Augenlicht gefährdet, kann bei ist aber nur erlaubt, weil die korrekten
chirurgischen Eingriffen aber auch nützlich Quantenmechaniker festgestellt haben, dass
sein wie etwa beim „Anschweißen“ einer man auch so zum richtigen Ziel gelangt.
sich ablösenden Netzhaut (Laserchirurgie). Selbstverständlich ist das nicht. Wer ein
Generell bluten „Schnitte“ mit dem Laser Modell überzieht, muss sich beim Fach-
nicht so stark wie Schnitte mit dem Messer, mann erkundigen, inwieweit das erlaubt ist.
kariöse Zahnregionen lassen sich weniger
schmerzhaft herausbrennen als herausboh-
ren. Zudem konzentriert sich das Licht auf 7.5.4 Röntgenstrahlen !!
einen sehr schmalen Spektralbereich.  Die
Folge
 sind derart hohe Feldstärken E und In der Vakuumfotozelle geben Quanten
B , dass es in manchen optischen Substan- Energie an Elektronen ab. Das Umgekehrte
zen zu „nichtlinearen Effekten“ wie Fre- geschieht in der Röntgenröhre: Elektronen
quenzverdopplungen kommen kann. erzeugen Quanten. Die Elektronen stam-
men aus einer Glühkathode, werden durch
>>Merke eine hohe Spannung beschleunigt und auf
Laser: die Anode geschossen (. Abb. 7.95).
55 „Light amplification by stimulated . Abb. 7.96 zeigt die Anordnung in natura
emission of radiation“, für eine Röntgenröhre ähnlich der beim
55 Licht hoher Kohärenzlänge, spektraler Zahnarzt. Die Anode bremst die Elektronen
Schärfe und Intensität. in wenigen Atomabständen wieder ab; dabei
geht der größte Teil der Elektronenenergie
So oder so: Licht wird in Quanten emittiert
in Wärme über. Nur ein kümmerlicher Rest
und absorbiert, breitet sich aber als Welle
in der Größenordnung Prozent wird von
aus. Das hier zur Erläuterung der stimulier-
Quanten übernommen.
ten Emission benutzte Bild vom geradeaus
fliegenden, reflektierten und Artgenossen
kohärent abrufenden Quant verquickt die
beiden Aspekte in unzulässiger Weise. Trotz-
dem liefert es eine brauchbare Eselsbrücke

..      Abb. 7.95 Aufbau und Schaltung einer Röntgen-


röhre, schematisch. Aus der Glühkathode, geheizt mit
..      Abb. 7.94 Warnung vor Laserlicht. Ab 1 mW der Heizspannung UH, treten Elektronen aus, die, von
Lichtleistung (heller als ein Laserpointer) wird der La- der Anodenspannung U beschleunigt, mit der kineti-
serstrahl als für das Auge gefährlich eingestuft schen Energie e0 · U auf die Anode (orange) treffen
(Schutzklasse 3 und höher) (© markus marb – und dort bei der Abbremsung Röntgenquanten erzeu-
7 Fotolia.­com) gen
338 Kapitel 7 · Optik

..      Abb. 7.96 Die Kathode glüht. Kleine Röntgen-


röhre, wie Zahnärzte sie verwenden. Rechts sieht man ..      Abb. 7.97 Bremsspektrum einer Röntgenröhre,
das Austrittsfenster für die Röntgenstrahlung (vgl. das schematisch. Der Abfall zu kleinen Quantenenergien
7 zugehörige Schema in . Abb. 7.101) ist eine Folge der Filterung durch das Strahlfenster; im
Vakuum der Röhre setzt sich das Spektrum entspre-
chend den gestrichelten Geraden fort. Eine Erhöhung
Jedes Elektron bezieht die kinetische der Anodenspannung verschiebt die Gerade parallel
Energie Wkin, die es an der Anode abgibt, zu sich selbst nach rechts (untere und mittlere Kurve);
aus der Anodenspannung U: eine Erhöhung des Anodenstromes dreht die Gerade
im Uhrzeigersinn um ihren Schnittpunkt mit der Abs-
Wkin = e0 ·U . zisse (mittlere und rechte Kurve). Dieser Schnittpunkt
markiert die kurzwellige Grenze des Bremsspektrums

Wegen dieser Formel wird im Zusammen-


hang mit Strahlung im Röntgen und Gam-
ma-Bereich gern die Energieeinheit E-Volt Material der Anode unabhängig, abhängig
1eV = 1,6 10–19 J verwendet. aber von der Anodenspannung U. Steigert
Genau genommen kommt die thermische man diese, so verschiebt sich der Schwer-
Energie, mit der es die Glühkathode verlas- punkt des Spektrums zu kürzeren Wellen:
sen hat, noch hinzu; sie kann aber als klein Die Strahlung wird härter. Zugleich wird sie
vernachlässigt werden. Im günstigsten Fall intensiver, weil die von den Elektronen um-
übergibt ein Elektron beim Abbremsen seine gesetzte Leistung zunimmt.
ganze Energie einem einzigen Quant, häufi- Die Intensität lässt sich aber auch unab-
ger aber nur einen Bruchteil, meistens gar hängig von der Anodenspannung durch den
nichts – dann erzeugt es nur Wärme. Folge: Heizstrom der Glühkathode steuern: Dieser
Für die Quantenenergie der Röntgenstrahlen bestimmt deren Temperatur und damit den
existiert eine obere, für die Wellenlänge eine Emissionsstrom. Die Anodenspannungen
untere, eine kurzwellige Grenze. In Formeln: medizinisch genutzter Röntgenröhren begin-
nen bei etwa 20 kV und reichen über 120 kV
WQ = h × f £ Wkin = e0 × U , hinaus. Dem entsprechen Wellenlängen von
0,1 nm abwärts, d. h. von Atomdurchmes-
und sern abwärts, jenseits vom U ­ ltraviolett.

h×c >>Merke
l³ .
e0 × U Röntgenröhre, Röntgenstrahlen:
Freie Elektronen aus einer Glühkathode
Das vollständige Bremsspektrum einer werden mit einer Spannung U > 10 kV
Röntgenröhre zeigt . Abb. 7.97. Es ist vom auf eine Anode geschossen und erzeugen
7.5 · Quantenoptik
339 7
dort bei ihrer Abbremsung energiereiche Gesetz (7 Abschn. 7.3.2), wenn auch nicht
Quanten. Das Bremsspektrum hat eine ganz genau, weil sie stärker gestreut werden
kurzwellige Grenze bei WQ = e0 · U. als sichtbares Licht. Statt des Absorptions-
koeffizienten k definiert man im Röntgenbe-
77Genaueres zur Röntgenröhre
reich einen Schwächungskoeffizienten μ:
In einer Röntgenröhre wird die elektrische
I = I 0 ·e(
- m ·d )
Energie überwiegend in Wärme umgesetzt;
der Nutzeffekt ist schlecht. Kleinere Röh-
ren, wie etwa die beim Zahnarzt, dürfen des- (I = durchgelassene, I0 = auffallende Strah-
halb immer nur sekundenweise eingeschaltet lungsleistung, d = Schichtdicke).
werden (das genügt für eine Aufnahme) und Röntgenstrahlen werden von Atomen
brauchen längere Abkühlpausen. Der Dau- absorbiert, und zwar unabhängig von che-
erbetrieb einer Therapieröhre verlangt dem- mischen Bindungen, unabhängig also von
gegenüber eine intensive Zwangskühlung dem Molekül, zu dem das Atom gehört. Da-
durch Wasser oder Öl. Auf jeden Fall ist die durch lässt sich die Absorption von Rönt-
thermische Belastung am Ort des Brenn- genlicht in mancher Beziehung einfacher be-
flecks, auf den die Elektronen konzentriert handeln als die von sichtbarem. Es geht nur
werden, beträchtlich. Medizinisch genutzte um die Atome von rund hundert chemischen
Röhren tragen dort meist ein kräftiges Stück Elementen, nicht um die Moleküle der zig-
Wolfram mit dem hohen Schmelzpunkt von tausend chemischen Verbindungen.
3650 K. Es wird in massives Kupfer einge- Die Anzahldichte, mit der eine (mit dem
setzt, das eine hohe Wärmeleitfähigkeit be- Index j gekennzeichnete) Atomsorte in ir-
sitzt. Der Brennfleck soll möglichst klein gendeinem Material vertreten ist, bedeutet
sein, damit der Schattenwurf im Röntgen- auch eine Massendichte ρj, mit der sie sich
bild scharf wird (7 Abschn. 7.5.6). an der gesamten Massendichte ρ des Mate-
Das volle Röntgenbremsspektrum lässt rials beteiligt. Kennt man dessen chemische
sich nur in Spezialapparaturen ausmessen; Zusammensetzung, so lassen sich die einzel-
normalerweise nimmt allein schon der Glas- nen ρj über die Atomgewichtstabellen leicht
kolben der Röhre den langwelligen Teil her- bestimmen. Weil sich die Röntgenabsorptio-
aus. . Abb. 7.97 hat dies bereits berück- nen der verschiedenen Atomsorten einfach
sichtigt. In der Klinik werden zusätzliche addieren, genügt es, für alle chemischen Ele-
Filter (etwa eine Aluminiumscheibe) in den mente die (wellenlängenabhängigen) Mas-
Strahlengang gesetzt, die ebenfalls bevor- senschwächungskoeffizienten
zugt die langen Wellen absorbieren. Ziel ist,
die Strahlung insgesamt kurzwelliger, also mj
härter und durchdringungsfähiger zu ma-
mm =
rj
chen. Denn damit sinkt die Strahlenbelas-
tung für den Patienten. Nur Energie, die ab-
(Schwächungskoeffizient durch Dichte) zu
sorbiert wird, hat biologische Wirkung, tabellieren. Man kann dann für jede Subs-
kann Strahlenschäden auslösen. Ein Teil der
tanz und jedes Substanzgemisch über die
Energie muss freilich absorbiert werden,Dichteanteile der Komponenten den Schwä-
chungskoeffizienten μ berechnen.
denn sonst gäbe es keine Kontraste im Rönt-
genbild. Knochen erscheinen im fotografi- Röntgenstrahlen werden weit stärker ge-
schen Negativ hell; sie absorbieren stärker
streut als sichtbares Licht. Für Röntgenau-
und sind deshalb auch stärker gefährdet. ◄
gen wären Menschen zwar in gewissem
Grad durchsichtig, die Luft erschiene aber
Auch Röntgenstrahlen folgen beim Durch- neblig trüb; die Welt läge in einem dichten
gang durch die Materie dem Lambert-­Beer-­ Dunstschleier. Der Schwächungskoeffizient
340 Kapitel 7 · Optik

μm setzt sich deshalb additiv aus einem ech- gilt in hohem Maße für den Fotoeffekt, bei
ten Absorptionskoeffizienten τm und einem dem ein einzelnes Elektron die gesamte
Streukoeffizienten σm zusammen. Weil Quantenenergie auf einen Schlag über-
Strahlung, die durch Streuung aus einem nimmt.
Lichtbündel ausgetreten ist, durch Vielfach- In biologischem Gewebe wird der Mas-
streuung wieder eintreten kann, hält sich die senschwächungskoeffizient bis etwa 50 keV
Schwächung auch monochromatischer vom Fotoeffekt bestimmt, ab 80 keV herrscht
Röntgenstrahlung nicht exakt an eine der weniger von der Quantenenergie abhän-
e-Funktion. gige Compton-Effekt (7 Abschn. 7.5.5),
den oberhalb 10 MeV die Paarbildung ab-
>>Merke löst (. Abb. 7.99). Paarbildung heißt: Die
Schwächungskoeffizient μ: Energie des Photons ist so hoch, dass daraus
I = I0 · e(–μ · d), Materie (Elektron und Positron) entstehen
Massenschwächungskoeffizient μm: kann (7 Abschn. 8.2.8).
mj
mm =
7 rj Praktikum 7.5

Leider erschwert die Streuung den medizini- Meistens wird die Absorption der Strah-
schen Strahlenschutz: Es genügt nicht, dass lung in Abhängigkeit von der Dicke des
sich die Röntgenschwester aus dem direk- absorbierenden Materials ausgemessen.
ten, auf den Patienten gerichteten Strahlen- Da die Intensität im Material exponen-
bündel heraushält; sie muss sich schon hin- tiell absinkt, lässt sich die Absorption
ter eine Schutzmauer ins Nebenzimmer charakterisieren mit einer
begeben: Der Bestrahlungsraum ist völlig
von Streulicht durchsetzt und hat deshalb
das Röntgenwarnschild (. Abb. 7.98) schon
an der Tür.
Die leichten Atome am Anfang des Pe-
riodensystems der Elemente absorbieren
Röntgenstrahlung kaum; mit steigender
Atomnummer nimmt das Schwächungsver-
mögen ganz erheblich zu. Langwellige, also
weiche Röntgenstrahlung, wird allgemein
stärker absorbiert als kurzwellige harte. Das

..      Abb. 7.99 Massenschwächungskoeffizient μm des


Wassers. (Er stimmt praktisch mit dem von biologi-
..      Abb. 7.98 Warnung vor Röntgenstrahlen und schem Gewebe überein.) Bei kleinen Quantenenergien
Strahlung aus Radioaktivität. Da die Röngtenquanten überwiegt der Fotoeffekt, bei mittleren der Comp-
ihre ganze Energie auf einzelne Moleküle übertragen, ton-Effekt und bei großen die Paarbildung. Bei schwe-
zerstören oder schädigen sie diese, was zu Fehlfunktio- reren Atomen rücken die Bereiche von Fotoeffekt und
nen in den Körperzellen führt (© T. Michel – Fotolia. Paarbildung aufeinander zu und engen den Bereich
com) des Compton-Effekts ein
7.5 · Quantenoptik
341 7
ln2 dem mechanischen Impuls auf einen Absor-
Halbwertsdicke d1/2 = ber oder einen Spiegel übertragen, kann auf
m
den ersten Blick überraschen – auf den zwei-
Vielleicht sind für Sie auch ten aber schon nicht mehr, denn nach der
7 Abschn. 8.1.4 zum Röntgenspektrum Relativitätstheorie sind Energie und Masse
sowie 7 Abschn. 9.1.1 und 9.1.2 zur Do- ja eng miteinander verwandt: Licht trans-
simetrie interessant. portiert lediglich keine Ruhemasse. Seine
Quanten verleihen ihm aber Eigenschaften,
die durchaus an Korpuskeln erinnern.
Rechenbeispiel 7.11: Obwohl man weiß, dass sich Licht als
Fast alles bleibt stecken Welle mit Beugung und Interferenz ausbrei-
Aufgabe. Welcher Anteil der Strah- tet und dass da keine Quanten durch die Ge-
lungsenergie steht bei einer Durchleuch- gend fliegen, kann es zuweilen nützlich sein,
tung des Magen-Darm-Trakts für die Be- so zu tun, als täten sie dies doch, als wären
lichtung des Röntgenfilms schätzungsweise die Quanten Teilchen mit der kinetischen
noch zur Verfügung, welcher Teil wird im Energie WQ = h · f und dem mechanischen
Gewebe absorbiert? Zur Vereinfachung
der Abschätzung wird angenommen: Die Wirkungsquantum h
Röntgenstrahlung ist monochromatisch Impuls pQ =

Wellenlange l
mit 50 keV Quantenenergie; das Gewebe
verhält sich wie Wasser und besitzt eine Trifft in diesem Sinn ein Quant auf ein frei
gleichmäßige Schichtdicke von 20 cm. vagabundierendes Elektron, so stößt es mit
Zum Massenschwächungskoeffizient siehe ihm ganz nach den Regeln der klassischen
. Abb. 7.99. Mechanik für einen elastischen Stoß: Es
Lösung. Für die Abschwächung der überträgt Energie und Impuls, achtet dabei
Strahlung aber streng auf deren Erhaltungssätze. Trifft
I
gilt: = e(
- m ×d ) das Quant zentral, so wird es zurückgewor-
mit μ = μm · ρ. Wir
I0 fen; trifft es schief, so wird es zur Seite ab-
­
haben ange-nommen: d = 20 cm = 0,2 m; gelenkt und das Elektron zur anderen Seite
Modellsubstanz Wasser: Massenschwä- (. Abb. 7.100). Weil man Quanten nicht ge-
chungskoeffizient μm = 0,02 m2/kg und zielt abschießen kann, lassen sich die Ab-
ρ = 1 · 103 kg/m3. Dann ist lenkwinkel nicht vorhersagen, wohl aber
μ = 20 m–1 und μ · d = 4, also nachmessen – und dazu die Energie, die das
I Elektron mitbekommen hat. Diese Energie
= e -4 = 0, 02 oder 2 %. 98 % der Rönt-
I0 fehlt dem Quant: Es muss seine Frequenz er-
genenergie werden also vom Gewebe ab-
sorbiert! Nach dieser Abschätzung wun-
dert man sich vielleicht etwas weniger
darüber, dass die zivilisationsbedingte
Strahlenbelastung in den Industrielän-
dern im Wesentlichen von der medizini-
schen Röntgendiagnostik herrührt.

..      Abb. 7.100 Compton-Effekt (schematisch). Ein


7.5.5 Compton-Effekt Röntgenquant stößt mit einem Elektron (blau) zusam-
men und überträgt ihm nach den Regeln des elasti-
schen Stoßes Impuls und Energie: Das gestreute
Elektromagnetische Wellen transportieren Quant gehört zu einer weicheren Strahlung als das
Energie, aber keine Masse. Dass sie trotz- stoßende Quant
342 Kapitel 7 · Optik

niedrigen und seine Wellenlänge erhöhen; zwischen sozusagen Digitalkameras, bei de-
der Betrag hängt mit dem Streuwinkel zu- nen das Röntgenbild sofort digital vorliegt.
sammen. Für Röntgenlicht lassen sich keine Linsen
Messungen mit Röntgenstrahlen haben schleifen, denn in seinem Spektralbereich
ergeben, dass sich dieser Compton-Effekt weichen die Brechzahlen aller Substanzen
genannte Vorgang wirklich an die Stoßge- nicht nennenswert von eins ab. Die Röntgen-
setze hält. Dabei muss das gestreute Elekt- diagnostik ist deshalb zunächst einmal auf
ron nicht einmal frei sein; die Energie eines lebensgroße Schattenbilder angewiesen.
Röntgenquants ist groß genug, um ein paar Scharfer Schattenwurf erfordert kleine
Elektronenvolt für die Ionisation, für die Lichtquellen, in der Röntgenröhre also einen
Abspaltung eines der äußeren Hüllenelekt- kleinen Brennfleck (. Abb. 7.101), auf den
ronen des Atoms, unauffällig zu liefern. die Elektronen konzentriert werden müssen.
Compton-Streuung spielt bei der Schwä- Dort setzen sie ihre kinetische Energie fast
chung der medizinisch genutzten Röntgen- vollständig in Wärme um. Die Folge ist eine
strahlen schon ab 50 keV eine gewichtige hohe thermische Belastung. Man setzt des-
7 Rolle (. Abb. 7.99). Wie beim Fotoeffekt halb an den Ort des Brennflecks ein hoch-
werden schnelle Elektronen erzeugt, nur schmelzendes Material wie Wolfram, bettet
verschwindet das Quant nicht völlig. Es es in gut wärmeleitendes Kupfer ein und
fliegt mit kleinerer Energie („errötet“, wenn kühlt dieses mit Wasser.
man so will) zur Seite weiter. Quanten sind Nur relativ bescheidene Röhren wie etwa
nicht so unwandelbar wie Elektronen, wie die bei Zahnärzten kommen mit der Wärme-
„richtige“ Partikel. kapazität ihrer Anode aus, brauchen aber
Quanten besitzen ja auch keine Ruhe- nach einigen wenigen Aufnahmen eine län-
masse wie richtige Partikel, sondern nur gere Ruhepause zur Abkühlung. Die ther-
Energie. Weil aber nach der Relativitätstheo- mische Belastung des Wolframs lässt sich
rie Energie und Masse äquivalent sind dadurch mindern, dass man die Anode in
(7 Abschn. 8.2.3), unterliegt Licht doch der Richtung des Nutzstrahlbündels abschrägt
Gravitation. Im Labor ist das nur mit (. Abb. 7.101): Die perspektivische Verkür-
beträchtlichem Aufwand nachzuweisen.
­ zung erlaubt es, dem Brennfleck eine grö-
Selbst im Weltraum ziehen nur große Him- ßere Fläche zu geben.
melskörper vorbeilaufendes Licht merklich Chemisch besteht der Mensch überwie-
an. Es scheint aber auch Himmelskörper zu gend aus Wasser und komplizierten Kohlen-
geben, deren Masse so groß ist, dass ihr eige-
nes Licht sie nicht verlassen, ihrer Gravita-
tion nicht entfliehen kann, und ankommen-
des Licht unrettbar eingefangen wird. Die
Astrophysiker nennen sie „schwarze Lö-
cher“, zu Recht, denn schwärzer kann ein
Loch nicht sein.

7.5.6 Röntgendiagnostik

Mit Röntgenlicht kann man fotografieren;


die chemische Industrie hat dafür spezielle
..      Abb. 7.101 Röntgenröhre. Verkleinerung der für
Filmemulsionen entwickelt. Mit Röntgenfil- den Schattenwurf wirksamen Fläche des Brennflecks
men arbeiten zunehmend aber nur noch durch perspektivische Verkürzung (vgl. das Foto in
kleine Praxen, z. B. der Zahnarzt. Es gibt in- . Abb. 7.96)
7.5 · Quantenoptik
343 7
wasserstoffen. Die Massenschwächungsko- diffizilere Untersuchungen hilft man mit ei-
effizienten für Röntgenstrahlungen reagieren nem Kontrastmittel nach, das schwere
nicht auf Moleküle, sondern nur auf deren Atome in physiologisch möglichst unbe-
Atome; sie steigen im Wesentlichen mono- denklichen Verbindungen enthält.
ton mit der Atomnummer Z an. Für die Im Schattenbild überdecken sich Organe
Röntgendiagnostik besteht der Mensch also des Patienten, die in Strahlrichtung hinter-
überwiegend aus den relativ leichten Ele- einander liegen. Im Gegensatz zum Lichtmi-
menten Wasserstoff (Z = 1), Kohlenstoff kroskop erlaubt der Schattenwurf, nicht nur
(Z = 6) und Sauerstoff (Z = 8). eine Ebene des Objekts scharf abzubilden;
Als leichtestes aller Atome spielt H kaum seine Schärfentiefe lässt sich nicht begren-
eine Rolle, die Kernladungszahlen von C zen. Hier hilft die Röntgentomografie (Com-
und O unterscheiden sich kaum. Darum putertomografie, CT). Bei ihr werden im
werfen nur die Knochen deutlich sichtbare Prinzip ganz viele Röntgenbilder aus vielen
Schatten im Röntgenbild: Sie enthalten das verschiedenen Richtungen gemacht: Die
immer noch leichte, aber hier vergleichs- Röntgenröhre und der Detektor kreisen um
weise schwere Kalzium (Z = 20). Metallteile, den Patienten. Ein trickreicher mathemati-
wie Amalganfüllungen des Autors in scher Algorithmus berechnet aus all den
. Abb. 7.102 treten natürlich noch deutli- Einzelaufnahmen ein Schnittbild quer durch
cher hervor, da sie die Röntgenstrahlen den Patienten (. Abb. 7.103). Tatsächlich
praktisch gar nicht mehr hindurchlassen. rast die Röntgenröhre mit hoher Geschwin-
Zähne haben eine hohe Dichte und heben digkeit um den Patienten. Für ein Schnitt-
sich auch dann gegen den Kieferknochen bild vom Herzen muss die ganze Prozedur
ab, wenn sie ganz in ihm verborgen sind wie im Bruchteil eines Herzschlags fertig sein.
der quer liegende Weisheitszahn. Wie immer man im Detail vorgeht:
Um erkennbare Kontraste in Muskel- Schwarzweißbilder, also auch Röntgenbil-
und Fettgewebe zu erhalten, muss man rela- der, verlangen Kontrast. Die einzelnen Or-
tiv weiche Strahlung mit hohen Schwä-
chungskoeffizienten benutzen, die den
größten Teil ihrer Dosisleistung im Patien-
ten lassen und nicht im Röntgenfilm. Für

..      Abb. 7.102 Röntgenaufnahme mit einer kleinen


Röntgenröhre beim Zahnarzt. Röntgenbilder sind in
der Regel Negativbilder wie dieses: Die das Röntgen-
licht vollständig absorbierenden Amalgamfüllungen ..      Abb. 7.103 Röntgentomografie eines Kopfes (Schä-
erscheinen weiß del-­CT)
344 Kapitel 7 · Optik

gane, die man erkennen will, müssen unter-


schiedlich absorbieren:
55 Es hat also keinen Sinn, extrem harte,
durchdringende Strahlen zu verwenden.
Sie werden fast gar nicht geschwächt,
also auch nicht unterschiedlich. Man
vermeidet sie leicht, indem man sie mit
hinreichend niedriger Anodenspannung
gar nicht erst erzeugt. ..      Abb. 7.104 Elektronenbeugung an der Halbebene,
fotografisches Positiv; vgl. . Abb. 7.87
55 Es hat aber auch keinen Sinn, sehr weiche
Strahlen zu verwenden; sie kommen beim
Röntgenfilm nicht an, sondern „bleiben streifen, die ein zur Hälfte von einem Blech
im Patienten stecken“. Folglich belasten mit scharfer Kante abgedecktes Elektronen-
sie nur den Patienten, ohne bei der Diag- bündel erzeugt hat; das Muster entspricht
nosefindung zu helfen. Der allzu weiche dem mit Licht erzeugten in . Abb. 7.87. Ein
7 Anteil der Röntgenbremsstrahlung muss Zweifel ist nicht mehr möglich: Auch Elekt-
also herausgefiltert werden, z. B. durch ronen unterliegen Beugung und Interferenz,
ein paar Millimeter Aluminium. auch materielle Teilchen breiten sich als Wel-
len aus. Man nennt sie Materiewellen.
Am Ende ist es dennoch immer so, dass nur Damit stellt sich die Frage der Wellen-
ein kleiner Teil der „eingeschossenen“ Dosis länge λ eines Bündels freier Elektronen.
den Film belichtet und der große Rest den Diese ist von deren Geschwindigkeit abhän-
Patienten belastet. Wer eine Röntgenauf- gig, genauer von deren mechanischem Im-
nahme anordnet, muss bedenken, ob der dia- 
puls p . Die Gleichung
gnostische Nutzen den zugehörigen Strah-
lenschaden rechtfertigt. Gerade bei der l =h/ p
Computertomografie ist die Strahlenbelas-
tung wegen der vielen Aufnahmen sehr hoch. gilt nicht nur für Elektronen, sie gilt auch
Eine zunehmend wichtige Alternative ist des- für schwerere Teilchen und sogar für Photo-
halb und wegen anderer Kontrastmöglich- nen. Licht überträgt auf einen Absorber
keiten die Kernspin- oder Magnetresonanz- nicht nur Energie, sondern auch Impuls; es
tomografie (MRT, 7 Abschn. 8.2.1). übt einen Lichtdruck aus.
Was „wellt“ bei einer Materiewelle? Wer
hat da eine Amplitude?
 Beim
 Licht sind es
7.6 Elektronenoptik die beiden Felder E und B . Ihre Amplitu-
den sind ein Maß für die Strahlungsleistung,
7.6.1 Elektronenbeugung für die Photonenstromdichte, die einen Ab-
sorber erreicht, und damit ein Maß für die
Licht ist als kontinuierliche elektromagneti- Wahrscheinlichkeit, in einer Zeitspanne Δt
sche Welle unterwegs; bei Emission und Ab- auf einem Flächenstück ΔA ein Photon an-
sorption benehmen sich die Photonen aber zutreffen. Analog ist die Amplitude der Wel-
wie diskrete Teilchen. Da wäre es nicht mehr lenfunktion einer Materiewelle ein Maß für
als recht und billig, wenn sich echte Teil- die Wahrscheinlichkeit, ein Elektron (oder
chen, Elektronen etwa, unterwegs wie Wel- ein anderes von der Welle repräsentiertes
len benähmen. Sie tun dies in der Tat. Teilchen) anzutreffen. In diesem Sinn spricht
Auch Elektronen können eine fotografi- man auch von Wahrscheinlichkeitswellen. Je
sche Emulsion schwärzen. . Abb. 7.104 schwerer ein Teilchen, desto größer sein Im-
zeigt das fotografische Positiv der Beugungs- puls, desto kürzer die Wellenlänge seiner
7.6 · Elektronenoptik
345 7
Materiewelle. Je kleiner λ, desto unauffälli- schirm ein reelles Elektronenbild erzeugt,
ger die Beugungserscheinungen, desto rich- das sich durch ein optisches Mikroskop mit
tiger das Bild der klassischen Physik von großem Objektabstand betrachten lässt.
geradeaus fliegenden Partikeln. Das Auflösungsvermögen eines Mikros-
kops wird grundsätzlich durch die Beugung
beim Objektiv begrenzt. Die Beschleuni-
7.6.2 Elektronenmikroskope gungsspannungen moderner Elektronenmik-
roskope liegen meist im Bereich von 120–
Mit passend angeordneten Magnetfeldern 400 kV. Wer nun erwartet, mit
lassen sich Elektronenstrahlbündel in ähnli- Elektronenwellenlängen im Bereich Picome-
cher Weise ablenken wie Lichtbündel mit ter (pm = 10–12 m) könne man die Auflösung
Linsen. Das erlaubt, z. B. Elektronenmikro- gegenüber dem Lichtmikroskop (λ ≈ 500 nm)
skope zu konstruieren. Deren Strahlengänge um rund fünf Zehnerpotenzen verbessern
(. Abb. 7.105) entsprechen denen der und so Details vom inneren Aufbau der
Lichtmikroskope, besitzen also Strahlen- Atome sichtbar machen, der wird enttäuscht.
quelle, Kondensor, ein zwischenbilderzeu- Die optische Industrie hat gelernt, die Linsen-
gendes Objektiv und statt des Okulars eine fehler von Objektiven vorzüglich zu korrigie-
„Projektionsspule“, die auf dem Leucht- ren und auf diese Weise hohe Aperturen zu
erreichen. Bei Elektronenlinsen gelingt das je-
doch nicht; sie erlauben nur kleine Öffnungs-
winkel und ein entsprechend geringeres Auf-
lösungsvermögen. Trotzdem liegt dieses noch
weit über dem des besten Lichtmikroskops.
Elektronenoptik ist nur im Vakuum
möglich; in Luft kommen die Elektronen
nicht weit. Das verhindert die Beobachtung
lebender oder auch nur wasserhaltiger Ob-
jekte; sie müssen ja mit ins Vakuum hinein.
Elektronenmikroskopische Bilder wie
. Abb. 7.106 stammen nicht unmittelbar
vom abgebildeten Objekt, sondern von einer
dünnen Metallschicht, die schräg auf einen
Lackfilm aufgedampft worden ist. Der Lack
war zuvor auf das Objekt aufgebracht und
nach dem Trocknen vorsichtig wieder abge-
zogen worden. Die Präparationstechnik der
Elektronenmikroskopie ist eine Kunst für
sich.
Nicht mit dem Elektronenmikroskop
verwechselt werden darf das Rasterelektro-
nenmikroskop (REM). Bei ihm wird ein fei-
ner Elektronenstrahl dazu benutzt, das Ob-
jekt zeilenweise abzutasten (Strahlablenkung
nach dem Prinzip der Oszillografenröhre).
Alle Punkte der Objektoberfläche emittieren
dann so, wie sie vom Elektronenstrahl ge-
..      Abb. 7.105 Strahlengang eines Elektronenmikro- troffen werden, nacheinander Sekundär-
skops elektronen, also einen elektrischen Strom,
346 Kapitel 7 · Optik

..      Abb. 7.106 Elektronenmikroskopisches Bild vom ..      Abb. 7.107 Riechschleimhautzellen im Rasterelek-


Genom eines Bakteriophagen; die DNA befindet sich tronenmikroskop. Drüsen- und Flimmerzellen der Mu-
normalerweise dicht gepackt im Kopf des Virus. Vi- cosa olfactoria eines Goldfischs (Bildrechte: von Brei-
ruslänge: 0,2 μm; Genomlänge: 34 μm pohl, Bijvank und Zippel)

der sich verstärken und zu einer Art „Fern- Hingegen muss eine Schwingung, die nur
sehbild“ zusammensetzen lässt. Das Auflö- eine begrenzte Zeitspanne Δt andauern soll,
sungsvermögen wird durch die Bündelung mathematisch durch Überlagerung aus vie-
des abtastenden Elektronenstrahls begrenzt; len Einzelschwingungen zusammengesetzt
es ist geringer als beim normalen Elektro- werden, die sich vor und nach Δt weginter-
nenmikroskop. Die große Schärfentiefe des ferieren. Ihre Frequenzen müssen einen Be-
Rasterelektronenmikroskops erlaubt aber reich Δω dicht an dicht ausfüllen – je kleiner
Aufnahmen, die überraschend plastisch wir- Δt, desto größer Δω und umgekehrt. „Dicht
ken (. Abb. 7.107). an dicht“ heißt kontinuierlich; die Mathe-
matik braucht unendlich viele Einzelschwin-
gungen mit unendlich kleinen, aber doch
7.6.3 Unschärferelation unterschiedlichen Amplituden. Sie muss ei-
nigen Aufwand treiben, um eine realistische
Die reine Sinusschwingung Situation korrekt zu beschreiben.
Was den Schwingungen recht ist, ist den
y ( t ) = y0 × sin (w × t ) Wellen billig. Ein begrenzter Wellenzug der
Länge Δx entspricht der Überlagerung un-
hat weder Anfang noch Ende, denn die Am- endlich vieler unendlicher Wellen, deren
plitude y0 der Auslenkung y(t) ändert sich Wellenlängen λ einen Bereich Δλ dicht an
mit der Zeit t ausdrücklich nicht. Die dicht mit unendlich kleinen, aber unter-
Schwingung war schon da, als die Welt ge- schiedlichen Amplituden ausfüllen. Je klei-
schaffen wurde, und dauert über den jüngs- ner Δx, desto größer Δλ und umgekehrt. Zu
ten Tag hinaus unentwegt an. Realistisch ist den großen Kohärenzlängen des Laserlichts
das nicht, aber mathematisch leicht zu be- gehören mit mathematischer Notwendigkeit
schreiben. besonders schmale Spektrallinien.
7.7 · In Kürze
347 7
Auch die Materiewelle, die ein Elektron lungswelt des Menschen; Elektronen und
repräsentiert, braucht als Wellenpaket der Quanten kennen die Naturgesetze und rich-
Länge Δx einen Wellenlängenbereich Δλ, ten sich nach ihnen. Die Natur ist nicht ver-
wenn das Elektron auf den Bereich Δx loka- pflichtet, ihre Gesetze dem Gehirn des Men-
lisiert sein soll. Zu Δλ gehört aber ein Be- schen anzupassen.
reich Δp des mechanischen Impulses und ein
Bereich Δv der Geschwindigkeit. Je geringer
die Ortsunschärfe Δx, desto größer die Im-
pulsunschärfe Δp und umgekehrt. Wie Wer- 7.7 In Kürze
ner Heisenberg herausfand, kann das Pro-
dukt beider Unschärfen nicht kleiner sein zz Licht
als die Planck-Konstante h: Licht ist eine elektromagnetische Welle. Die
Feldstärken stehen senkrecht zur Ausbrei-
Dp × Dx ³ h, tungsrichtung; die Welle ist damit transver-
sal und kann mit einem Polarisationsfilter
und das prinzipiell, nicht etwa wegen man- linear polarisiert werden. Reflexion und
gelnder Messtechnik (deren Messungenau- Streuung kann polarisationsabhängig sein.
igkeiten meist viel größer sind). Diese Un-
Vakuumlichtge- c=3·
schärferelation gilt für alle Paare
schwindigkeit 108 m/s
physikalischer Größen, deren Produkt die
physikalische Größe Wirkung ergibt, sich Sichtbares Licht λ = 0,4– λ: Wellen-
0,8 μm länge [m]
also in der Einheit kg · m2/s messen lässt –
etwa auch für Energie- und Zeitunschärfe:

DWQ × Dt ³ h; zz Lichtintensität
Die Intensität einer Welle ist die Energie, die
je größer die mittlere Lebensdauer Δt eines pro Zeiteinheit durch eine Fläche hindurch-
angeregten Zustands im Atom, desto schär- tritt, die senkrecht zur Ausbreitungsrich-
fer die emittierte Spektrallinie. tung steht (Energiestromdichte). Die Inten-
Wer Atommodelle entwirft, darf die Un- sität nimmt bei einer punktförmigen
schärferelation nicht vergessen; auch in Ge- Lichtquelle mit dem Quadrat des Abstands
danken darf man ein Elektron nicht genauer von der Lichtquelle ab. Für die Strahlungs-
lokalisieren, als die Unschärferelation er- leistung einer Lampe gibt es physikalische
laubt. Anschaulich ist das nicht, denn in der Einheiten (Watt, Watt pro Raumwinkel,
makroskopischen Welt, in der sich das Watt pro Quadratmeter) und mit der spekt-
menschliche Anschauungsvermögen entwi- ralen Empfindlichkeit des Auges bewertete
ckelt hat, spielt das Plank’sche Wirkungs- Einheiten (Lumen, Candela, Lux).
quantum h keine nennenswerte Rolle, weil es Quadratisches I: Intensität [W/
1
so klein ist. Das Zusammenspiel von elekt- Abstandsgesetz I~ m 2]
r2
romagnetischer Welle und Quant, von Parti- (punktförmige r: Abstand von
kel und Materiewelle bleibt unanschaulich; Quelle) der Quelle [m]
man kann sich allenfalls durch häufigen Ge-
brauch daran gewöhnen. Dies mag der
Grund sein, warum zuweilen vom Dualis- zz Absorption
mus von Welle und Korpuskel gesprochen Die meisten Substanzen absorbieren Licht,
wird, als handele es sich um einen unauflös- und zwar unterschiedlich stark bei unter-
lichen Widerspruch in der Natur. Der Wi- schiedlichen Wellenlängen. Diese Wellenlän-
derspruch existiert aber nur in der Vorstel- genabhängigkeit der Absorption ist charak-
348 Kapitel 7 · Optik

teristisch für die Anregungszustände der in Ab- I(d) = I0 · I: Intensität [W/m2]


der Substanz enthaltenen Atome. Innerhalb sorp- e(–k · d) I0: einfallende
einer absorbierenden Substanz nimmt die tion Intensität
Intensität exponentiell mit der Eindringtiefe k: Absorptionskoeffizi-
ent [1/m]
ab, abhängig von der Konzentration der ab-
d: Eindringtiefe [m]
sorbierenden Atome. Dies wird zur qualitati-
ven und quantitativen chemischen Analyse
genutzt (Absorptionsspektroskopie).
zz Brechung Materials. Die Brechzahl hängt meistens
In Materie ist die Lichtgeschwindigkeit v re- von der Frequenz bzw. Wellenlänge des
duziert. Darauf ist das Phänomen der Bre- Lichtes ab. Dies wird ausgenutzt, wenn man
chung zurückzuführen. Das Verhältnis c/v mit einem Prisma Licht in seine Farben zer-
= n heißt Brechzahl (Brechungsindex) des legt.

7 Brechzahl c n: Brechzahl (Brechungsindex), dimen-


n= sionslos
v
v: Lichtgeschwindigkeit im Medium [m/s]
c: Vakuumlichtgeschwindigkeit
Reflexionsgesetz Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel
Brechungsgesetz sin a1 n2 α1: Einfallswinkel Medium 1
= n1: Brechzahl Medium 1
sin a 2 n1
α2: Einfallswinkel Medium 2
n2: Brechzahl Medium 2

Beim Übergang von einem optisch dün- Frequenz, wohl aber ihre Wellenlänge, was
nen Medium (kleine Brechzahl) in ein op- wiederum zu einer Änderung der Ausbrei-
tisch dichteres Medium (größere Brechzahl) tungsrichtung führt. Wird beim Übergang
wird ein Lichtstrahl zum Lot hin gebrochen, von einem dichteren Medium in ein dünne-
im umgekehrten Fall vom Lot weg. Dies be- res Medium der Ausfallswinkel größer als
ruht darauf, dass die Lichtwelle im optisch 90°, so wird alles einfallende Licht an der
dichteren Medium eine niedrigere Geschwin- Grenzfläche reflektiert ­(Totalreflexion).
digkeit hat. Dadurch ändert sich nicht ihre

Grenzwinkel αgrenz n2 αgrenz: Grenzwinkel der Totalreflexion


sin a grenz =
n1

zz Linse kleiner als die Brennweite (Lupe), ergibt sich


Sammellinsen können ein reelles Bild eines kein reelles, sondern nur ein durch die Linse
Gegenstands auf einen Schirm werfen. Ist hindurch sichtbares virtuelles Bild. Dies gilt
bei einer Sammellinse die Gegenstandsweite auch für alle Zerstreuungslinsen.
7.7 · In Kürze
349 7

Brennweite Abstand des Punkts hinter der Linse, in dem sich Strahlen, die vor der Linse
parallel laufen, treffen (Sammellinse, . Abb. 7.39)
Brechwert 1 f: Brennweite [m]
D= D: Brechwert
f
é1 ù
D positiv: Sammellinse êë m = dpt,Dioptrie úû
D negativ: Zerstreuungslinse
Setzt man mehrere Linsen dicht hintereinander, so addieren sich die Brech-
werte. Dabei ist der Brechwert von Zerstreuungslinsen negativ zu nehmen.
Abbildungsgleichung 1 1 1 f: Brennweite [m]
+ = ; gilt für das reelle g: Gegenstandsweite [m]
g b f
b: Bildweite [m]
Bild einer dünnen Sammellinse
Vergrößerungsfaktor Bildgroße B f
= =
Gegenstandsgroße G g - f

Vergrößerungsfaktor 180 mm 250 mm fObjektiv: Objektivbrennweite


eines ­Mikroskops GM = × [m]
f Objektiv f Okular
fOkular: Okularbrennweite [m]

Max. Auflösungsvermögen entspricht der Wellenlänge des verwendeten Lichts

zz Wellenoptik derliegender Quellen (z. B. im Beugungsgit-


Tritt Licht durch einen sehr schmalen Spalt, ter) erzeugt ein Interferenzmuster, das, wenn
so „geht es dort um die Ecke“. Diese Beu- weißes Licht eingestrahlt wird, immer farbig
gung ist dafür verantwortlich, dass das Auf- ist. Beispiele aus dem Alltag sind die Schil-
lösungsvermögen eines Lichtmikroskops in lerfarben bei einer Compact Disc, bei Vogel-
der Größenordnung der Lichtwellenlänge federn und Schmetterlingen.
liegt. Licht gleichmäßig dicht nebeneinan-

Beugung Licht, das durch einen hinreichend schmalen Spalt fällt, geht „um die Ecke“.
Interferenz Wenn sich Licht aus verschieden Richtungen überlagert, so entsteht ein Interferenz-
muster aus hellen und dunklen Gebieten.
Beugungsgitter Viele Spalten nebeneinander bewirken ein Interferenzmuster αn: Winkel des
mit ausgeprägten, scharfen Intensitätsmaxima unter den Intensitätsmaximums
Winkeln: n: Nummer der
n×l Ordnung
sin a n = λ: Wellenlänge [m]
g
g: Gitterkonstante [m]
(Spaltabstand)
350 Kapitel 7 · Optik

zz Röntgenstrahlen 7.4 Könnte man aus Eis eine Linse for-


Röntgenstrahlen sind wie Licht elektromag- men, die durch das Fokussieren von Son-
netische Wellen, nur mit wesentlich kürzerer nenlicht ein Feuer entfacht?
Wellenlänge, höherer Frequenz und damit 7.5 Warum sieht ein Schwimmer nur
höherer Quantenenergie. Deswegen durch- ganz verschwommen, wenn er unter Wasser
dringen sie biologisches Gewebe, schädigen die Augen aufmacht?
es aber auch. In der Röntgenröhre werden 7.6 Die Linse in einem Overhead-­
Röntgenstrahlen beim Beschuss einer Anode Projektor bildet ein Bild auf einer Folie auf
mit hochenergetischen Elektronen erzeugt. einer Projektionsleinwand ab. Wie muss die
Typische Beschleunigungsspannungen sind Linse verschoben werden, wenn man die
20–120 kV. Das Spektrum wird geprägt durch Leinwand näher zum Projektor rückt?
die Bremsstrahlung und die charakteristische 7.7 Mit Laserlicht wird das Beugungs-
Strahlung (. Abb. 8.5, 7 Abschn. 8.1.4). muster eines Spaltes auf einen Schirm ge-
Maximale WQ = e0 ⋅ U e0: Elementar-
worfen. Wenn das Beugungsmuster entlang
Quanten- ladung [A · s] einer senkrechten Linie verläuft, wie liegt
7 energie U: Beschleuni- dann der Spalt?
gungsspannung 7.8 Warum kann man Interferenzexperi-
(10–500 kV) mente viel besser mit einem Laser durchfüh-
ren als mit Glühlampen?
7.9 Warum können Sie jemanden, der
zz Quanten hinter einer Hausecke steht, zwar hören,
In manchen Zusammenhängen kann Licht aber nicht sehen?
auch als ein Strom von Lichtquanten (Pho- 7.10 Licht welcher Farbe liefert bei vor-
tonen) mit einer Energie WQ = h · f (h: gegebenem Linsendurchmesser die höchste
Planck’sches Wirkungsquantum, f: Fre- Auflösung bei einem Mikroskop?
quenz) aufgefasst werden. Atome strahlen 7.11 Warum verwenden moderne astro-
Licht mit charakteristischen Quantenener- nomische Teleskope nur noch Hohlspiegel
gien ab. Dies wird für Analysezwecke ge- und keine Linsen?
nutzt (Spektralanalyse, Absorptionsspekt-
roskopie). Umgekehrt kann auch ein
Teilchen in gewissen Zusammenhängen als 7.8.2 Übungsaufgaben
Materiewelle betrachtet werden (Dualismus
von Welle und Korpuskel). (⧫ leicht; ⧫⧫ mittel; ⧫⧫⧫ schwer)

zz Geometrische Optik
7.8 Fragen und Übungen 7.1 ⧫ Der Glaskörper des menschlichen Au-
ges hat die Brechzahl 1,34. Welcher Grenz-
7.8.1 Verständnisfragen winkel der Totalreflexion gegenüber Luft
(n ≈ 1,00) gehört dazu?
7.1 Welches Farbe hätte der Himmel, wenn 7.2 ⧫ Ein Lichtstrahl tritt von einem op-
die Erde keine Atmosphäre besäße? tisch dünneren Medium in ein optisch dich-
7.2 Welche Werte einer Lichtwelle än- teres. Ändert sich seine Wellenlänge und
dern sich, wenn sie von Luft in Glas eintritt, wenn ja, wie?
welche nicht? 7.3 ⧫⧫ Ein Lichtstrahl trifft aus Luft auf
7.3 Warum kann man einen Tropfen eine Glasoberfläche (n = 1,52) und wird teil-
Wasser auf dem Tisch sehen, obwohl Was- weise reflektiert und teilweise gebrochen.
ser transparent und farblos ist? Der Reflexionswinkel ist doppelt so groß wie
7.8 · Fragen und Übungen
351 7
der Winkel des gebrochen Strahls. Wie groß 7.13 ⧫⧫ Wie weit sind Objekt und reelles
ist der Einfallswinkel? Bild auseinander, wenn die abbildende Linse
eine Brennweite von 75 cm hat und das Bild
æ 1 ö um den Faktor 2,75 vergrößert ist?
ç sin 2a = sin a × cos a ÷
è 2 ø 7.14 ⧫⧫ Welche Brennweite hat eine Lupe
mit der Aufschrift „8ד?

zz Abbildung mit Linsen zz Strahlungsmessgrößen


7.4 ⧫ Wenn Sie Ihr Spiegelbild in einer Weih- 7.15 ⧫ In welchen Raumwinkel strahlt die
nachtsbaumkugel betrachten, sehen Sie Sonne?
dann ein reelles oder ein virtuelles Bild? 7.16 ⧫ Die extraterrestrische Solarkons-
7.5 ⧫ Sie wollen sich selbst im Spiegel tante (φS = 1,36 kW/m2) bezeichnet die In-
fotografieren. Der Spiegel befindet sich tensität des Sonnenlichtes am Ort der Erde.
1,5 m vor Ihnen. Auf welchen Abstand müs- Wie wird diese Strahlungsmessgröße noch
sen Sie fokussieren? bezeichnet?
7.6 ⧫ Ein Brillenglas hat eine Brenn- 7.17 ⧫⧫ Welche Leistung strahlt die
weite von 50 cm. Wie groß ist sein Brech- Sonne in Form elektromagnetischer Wellen
wert? ab? (Sie strahlt außerdem noch Teilchen-
7.7 ⧫ Für welche Bildweite ist das von ströme ab.) Berechnen Sie das mithilfe der in
einer dünnen Linse erzeugte reelle Bild ge- der vorherigen Aufgabe angegebenen Solar-
nau so groß wie der Gegenstand? konstante und astronomischen Daten aus
7.8 ⧫ Ist das Zwischenbild in einem dem Anhang.
Lichtmikroskop reell oder virtuell?
7.9 ⧫ Wie verändert sich die Vergröße- zz Wellenoptik
rung eines Mikroskops, wenn die Brenn- 7.18 ⧫ Welche Auflösung hat ein normales
weite des Objektivs verkleinert wird? Lichtmikroskop bestenfalls?
7.10 ⧫⧫ Ein Fotograf will einen 22 m ho- 7.19 ⧫ Eine elektromagnetische Mikro-
hen Baum aus 50 m Entfernung fotografie- welle habe eine Wellenlänge von 3 cm. Wel-
ren. Welche Brennweite muss er für sein Ob- ches ist ihre Frequenz?
jektiv wählen, damit das Bild des Baumes 7.20 ⧫⧫ Einfarbiges Licht fällt auf einen
den 24 mm hohen Film gerade ausfüllt? Doppelspalt, bei dem die Spalte 0,04 mm
7.11 ⧫⧫ Wenn ein Teleobjektiv mit Abstand haben. Auf einem 5 m entfernten
135 mm Brennweite Objekte zwischen 1,5 m Schirm liegen die Interferenzmaxima 5,5 cm
und ∞ scharf abbilden soll, über welche auseinander. Welche Wellenlänge und wel-
Strecke muss es dann relativ zur Filmebene che Frequenz hat das Licht?
verfahrbar sein? 7.21 ⧫⧫ Ein Lehrer steht ein Stück hinter
7.12 ⧫⧫ Konstruieren Sie (am besten auf einer 80 cm breiten Tür zum Schulhof und
Karopapier) für eine Sammellinse mit bläst in seine Trillerpfeife, die einen Ton von
f = 30 mm den Bildpunkt P’ zu einem Ge- etwa 750 Hz aussendet. Angenommen, auf
genstandspunkt P, der 6 cm vor der Haupt- dem Schulhof reflektiert nichts, unter wel-
ebene und 2,5 cm neben der optischen Achse chem Winkel wird man die Trillerpfeife
liegt. Konstruieren Sie für die gleiche Linse draußen kaum hören?
den Bildpunkt eines Parallelbündels, dessen 7.22 ⧫⧫ Die Flügel eines tropischen Fal-
Zentralstrahl durch einen Punkt 6 cm vor ters schillern in wunderschönem Blau, wenn
der Hauptebene und 2 cm unter der opti- man sie unter etwa 50° zur Senkrechten be-
schen Achse läuft. trachtet. Dieser Farbeindruck entsteht, weil
352 Kapitel 7 · Optik

die Flügeloberfläche ein Reflexionsbeu- 7.26 ⧫ Die Anodenspannung einer Rönt-


gungsgitter darstellt. Wenn wir annehmen, genröhre wird verdoppelt. Wie ändert sich
dass das gebeugte Licht senkrecht auf den die maximale Quantenenergie der Strah-
Flügel eingefallen ist, welche Gitterkonstante lung?
hat das Beugungsgitter auf dem Flügel etwa? 7.27 ⧫ Eine Röntgenröhre beim Arzt
werde mit 150 kV Anodenspannung und
zz Absorption 20 mA Elektronenstrom betrieben.
7.23 ⧫ Wenn ein Graufilter nur 50 % des ein- a) Wie groß ist die höchste Quantenenergie
fallenden Lichtes durchlässt, um welchen im Bremsspektrum?
Faktor schwächen dann vier solche Filter b) Welche Leistung wird in der Röhre um-
hintereinander das Licht ab? gesetzt?
7.24 ⧫ Der Schwächungskoeffizient von c) In welcher Größenordnung liegt die
Blei für eine γ-Strahlung sei 1 cm–1. Wie Strahlungsleistung der erzeugten Rönt-
groß ist die Halbwertsdicke von Blei? genstrahlen?

7 zz Röntgenstrahlen
7.25 ⧫ Welche Anodenspannung einer Rönt-
genröhre ist bei medizinischen Anwendun-
gen typisch?
353 8

Atom- und Kernphysik


Inhaltsverzeichnis

8.1 Aufbau des Atoms – 354


8.1.1  ohr’sches Atommodell – 354
B
8.1.2 Elektronenwolken – 355
8.1.3 Pauli-Prinzip – 356
8.1.4 Charakteristische Röntgenstrahlung – 357

8.2 Aufbau des Atomkerns – 358


8.2.1  ernspinresonanztomografie (MRT) – 358
K
8.2.2 Nukleonen und Nuklide !! – 359
8.2.3 Massendefekt – 361
8.2.4 Radioaktivität !! – 361
8.2.5 Nachweis radioaktiver Strahlung – 363
8.2.6 Zerfallsgesetz !! – 366
8.2.7 Kernspaltung und künstliche Radioaktivität – 370
8.2.8 Antimaterie ! – 371

8.3 In Kürze – 372

8.4 Fragen und Übungen – 373


8.4.1  erständnisfragen – 373
V
8.4.2 Übungsaufgaben – 373

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial,


das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_8. Die
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U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_8
354 Kapitel 8 · Atom- und Kernphysik

Materie besteht aus Molekülen, ein Molekül >>Merke


aus Atomen, ein Atom aus Kern und Hülle, Im Atom ist die Masse auf den kleinen
die Hülle aus Elektronen und der Kern aus Atomkern konzentriert, während der
Nukleonen, aus Protonen und Neutronen Durchmesser von der lockeren Elektro-
nämlich. An chemischen Reaktionen sind nur nenhülle bestimmt wird.
die Hüllenelektronen beteiligt. Die (positive)
Elektronen sind negativ elektrisch geladen.
Kernladung bestimmt aber, wie viele Elektro-
Nach außen erscheint ein Atom elektrisch
nen in die Hülle gehören, und damit auch, zu
neutral. Das ist nur möglich, wenn der Kern
welchem chemischen Element das Atom ge-
ebenso viele positive Elementarladungen be-
hört. Bei Kernreaktionen wird pro Atom sehr
sitzt wie die Hülle. In der Tat erweist sich die
viel mehr Energie umgesetzt als bei chemi-
Kernladungszahl Z als wichtigste Kenngröße
schen Reaktionen. Kernumwandlungen er-
des Atoms. Sie wird deshalb auch Ordnungs-
folgen vor allem beim radioaktivem Zerfall
zahl genannt und bestimmt die Position des
und emittieren dann ionisierende Strahlung.
Atoms im Periodensystem der Elemente.
Warum aber ist ein Atom stabil? Warum
folgen die Hüllenelektronen nicht der
8.1 Aufbau des Atoms
Coulomb-­Kraft des Kerns und stürzen in ihn
8 hinein? Das Bohr’sche Atommodell (Niels
8.1.1 Bohr’sches Atommodell
Bohr, 1885–1962) macht da eine Anleihe bei
der Astronomie: Warum stürzen die Planeten
In einem Metall liegen die Atome so dicht
nicht in die Sonne? Weil sie auf geschlossenen
nebeneinander, dass sie sich praktisch be-
Bahnen um sie herumlaufen und so die Kraft
rühren. Ihre Durchmesser bleiben knapp
der Gravitation mit der Zentrifugalkraft
unter einem Nanometer. Eine Aluminium-
kompensieren. Analog laufen im Bohr’schen
folie, wie man sie zum Grillen verwendet, ist
Atommodell die Elektronen der Hülle auf
immer noch viele Hundert Atomlagen dick.
geschlossenen Bahnen um den Kern herum.
Für einen Strahl schneller Elektronen sollte
da kein Durchkommen sein.
>>Merke
Das Experiment widerspricht. Die aller-
Bohr’sches Atommodell: Die Hüllen-
meisten der eingeschossenen Elektronen
elektronen laufen auf Bohr-Bahnen um
durchdringen die Folie, als habe ihnen gar
den Kern wie Planeten um die Sonne.
nichts im Wege gestanden; nur einige wenige
sind auf Hindernisse gestoßen, die sie aus Nach den Vorstellungen der klassischen
ihrer Bahn geworfen haben. Atome können Physik müsste freilich ein auf einer Bohr-­
deshalb keine Kügelchen aus homogener Bahn umlaufendes Elektron eine seiner Um-
Materie sein; zumindest aus Sicht schneller lauffrequenz entsprechende elektromagneti-
Elektronen sind sie im Wesentlichen „leer“. sche Welle abstrahlen; es würde Energie
Nur wenn ein Elektron auf den Atom- verlieren und auf einer Spiralbahn doch in
kern trifft, wird es abgelenkt. Das geschieht den Kern hineinstürzen. Weil es das offen-
selten, denn dessen Durchmesser liegt in der sichtlich nicht tut, half es Bohr gar nichts:
Größenordnung 10−14 m. Ihn umgibt eine Er musste ohne nähere Begründung postu-
Hülle aus Elektronen mit einer Größe von lieren, dass dem Elektron lediglich einige
ca. 10−10 m. Stellt man sich den Kern als stabile Bahnen erlaubt sind, auf denen es
Stecknadelkopf (ca. 1 mm) vor, so hätte die nicht strahlt, während es die ihm verbotenen
Hülle einen Durchmesser von 10–100 m! Bereiche dazwischen nur im Quantensprung
Die Masse der Elektronen ist klein gegen- überqueren darf.
über der des Kerns; von durchfliegenden Die zu einer Bohr-Bahn gehörende Ener-
Elektronen wird die Hülle kaum bemerkt. gie lässt sich berechnen. Spektrum und Ni-
8.1 · Aufbau des Atoms
355 8

..      Abb. 8.2 Materiewellen. Auf einer Kristalloberflä-


che sind Atome in einem Kreis angeordnet. Im Inne-
..      Abb. 8.1 Bohr’sches Atommodell. Maßstabsge- ren des Kreises sieht man die stehende Materiewelle
rechte Zeichnung der Bohr-Bahnen für das H-Atom; von Oberflächenelektronen. Das verwendete Raster-
der Kern ist in diesem Maßstab nicht zu erkennen tunnelmikroskop macht die Aufenthaltswahrschein-
lichkeit von Elektronen und damit auch einzelne
Atome sichtbar. (Bildrechte: D. Eigler, IBM, aus Na-
veauschema eines Atoms (7 Abschn. 7.5.2) noEthics, Vol. 5, Issue 2)
gestatten somit Aussagen über die erlaubten
Bahnen. Für das einfachste aller Atome, das
nes kugelsymmetrischen Feldes; die Feldli-
des Wasserstoffs (Z = 1, ein einziges Elektron
nien laufen radial nach außen, die Potenzial-
in der Hülle) kommen ganz vernünftige
flächen sind konzentrische Kugeln. Wie weit
Bahnradien heraus (. Abb. 8.1). Die in-
sich das Hüllenelektron entfernen kann,
nerste Bahn des Grundzustands erhält den
hängt von seiner Energie ab.
Kennbuchstaben K, die größeren Bahnen der
In der Quantenphysik wird die Wahr-
angeregten Zustände folgen alphabetisch.
scheinlichkeit, dass sich das Elektron an ei-
ner bestimmten Stelle befindet, durch eine
>>Merke
Welle beschrieben. Diese (Materie-)Welle
Ein Atomkern besitzt positive Elemen-
wird durch das elektrische Feld des Atom-
tarladungen; die Kernladungszahl Z ist
kerns eingesperrt. Es entsteht dadurch eine
zugleich die Ordnungszahl im Perioden-
stehende Welle genau so, wie im
system der Elemente.
7 Abschn. 4.2.4 für eine Geigensaite oder
So recht befriedigen kann das Bohr’sche Flöte besprochen.
Atommodell freilich nicht. Das ist auch kein Ein schönes Beispiel für eine zweidimensi-
Wunder, denn liefe ein Elektron tatsächlich onale stehende Materiewelle zeigt . Abb. 8.2.
auf einer Bohr-Bahn, so wären zu jedem Es handelt sich um eine tunnelmikroskopische
Zeitpunkt Ort und Geschwindigkeit, Impuls Aufnahme, die direkt die Aufenthaltswahr-
und Energie gemeinsam genauer bekannt, scheinlichkeit von Elektronen auf der Ober-
als es die Unschärferelation erlaubt. Niels fläche eines Metallkristalls zeigt. Auf der
Bohr konnte das nicht wissen. Als er sein Kristalloberfläche wurde ein Ring aus einzel-
Modell aufstellte, ging Werner Heisenberg nen Atomen angeordnet. Im Inneren hat sich
(1901–1976) noch zur Schule. eine stehende Elektronenwelle ausgebildet.
Wenn Sie ihre gefüllte Kaffeetasse am Rand
anstoßen, sehen sie für kurze Zeit eine ähnli-
8.1.2 Elektronenwolken che stehende Welle auf der Kaffeeoberfläche.
Eigentlich handelt es sich um ein zweidimen-
Als elektrische „Punktladung“ sitzt der sionales Schwarzweißbild, das hier mit Bild-
Atomkern des Wasserstoffs im Zentrum ei- verarbeitung „aufgehübscht“ wurde.
356 Kapitel 8 · Atom- und Kernphysik

Energie zulassen. Die Kreisbahnen werden


zu Elektronenschalen zusammengefasst. Die
Buchstaben L, M, N usw. bezeichnen derar-
tige Schalen. Nur die K-Schale muss sich al-
lein mit einer Kreisbahn zufriedengeben.

8.1.3 Pauli-Prinzip
Das einsame Hüllenelektron des Wasser-
stoffs darf sich auf jede Bohr-Bahn seines
Atoms setzen, sofern es sich die dazu nötige
Energie beschaffen kann. Sobald sich aber
der Kernladungszahl Z entsprechend meh-
rere Elektronen in einer Hülle versammeln,
müssen sie das Pauli-Prinzip beachten: Es
erlaubt immer nur zwei Elektronen, gemein-
sam auf einer Bohr-Bahn umzulaufen, und
8 keinem weiteren.

>>Merke
Pauli-Prinzip: Jede Bohr-Bahn darf von
nicht mehr als zwei Hüllenelektronen be-
setzt werden.
..      Abb. 8.3 Elektronenwolken. Sie kennzeichnen die Eine K-Schale besitzt nur eine einzige Bahn,
Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Hüllenelektrons
die Kreisbahn. Sie hat also nur für zwei
in verschiedenen angeregten Zuständen
Elektronen Platz. Das genügt dem Wasser-
stoff (Z = 1) und dem Helium (Z = 2). Das
Dreidimensionale stehende Wellen kön- nächste Element im Periodensystem, das Li-
nen noch viel kompliziertere Formen anneh- thium, muss sein drittes Elektron bereits in
men. Leider können die stehenden Materie- die L-Schale setzen. Diese fasst mit Kreis-
wellen des Hüllenelektrons eines Atoms und Ellipsenbahnen zusammen acht Elekt-
nicht mit einem Mikroskop sichtbar ge- ronen, reicht also bis zum Neon mit Z = 10.
macht werden, aber man kann sie berechnen Natrium (Z = 11) braucht bereits einen Platz
und als wolkige Gebilde darstellen, wie das in der M-Schale.
in . Abb. 8.3 versucht wurde. Dort wo es Darüber wird es komplizierter. Zuweilen
blau ist, ist die Aufenthaltswahrscheinlich- setzt sich ein neues Elektron „vorzeitig“ in
keit für das Elektron hoch. Man spricht von eine höhere Schale, und die innere wird erst
einer Elektronenwolke. Jedes Bild zeigt ei- bei Elementen mit größerer Atomnummer
nen Schnitt durch diese Wolke für verschie- aufgefüllt. Chemisch zeigt sich eine Syste-
dene Energiezustände des Wasserstoffatoms. matik:
Erhellend sind solche Bilder nur in Gren- 55 Alle Elemente, deren Elektronen eine
zen. Darum spricht man gern weiter von so Schale voll besetzen, eine Schale „ab-
anschaulichen Bohr-Bahnen, obwohl man schließen“, sind reaktionsunwillige Edel-
weiß, dass es sie, genau genommen, gar nicht gase:
gibt. Dabei muss man dann neben den Kreis- 55 ihre Nachbarn zu beiden Seiten entwi-
bahnen der . Abb. 8.1 auch noch elliptische ckeln demgegenüber besondere chemi-
Bahnen mit halbwegs gleicher Größe und sche Aggressivität.
8.1 · Aufbau des Atoms
357 8
55 Elemente, denen nur noch ein Elektron
zur abgeschlossenen Schale fehlt, sind
Halogene. Sie bilden gern negative Io-
nen:
55 Diejenigen, die ein Elektron zu viel be-
sitzen, sind Alkalimetalle, Sie bilden
gern positive Ionen, denn dann sind ihre
Elektronenschalen abgeschlossen.

Die chemische Natur eines Elements hängt


weitgehend von seinem äußersten Elektron
..      Abb. 8.4 Emission der Kα-Linie im Bohr’sche
ab; dieses wird Leuchtelektron genannt, weil Atommodell
es auch für das optische Linienspektrum des
Atoms zuständig ist. Die inneren Elektro-
nen haben ja keine freien Bahnen in ihrer
Nähe, in die sie mit den Quantenenergien
des Spektrums hineinspringen könnten.

>>Merke
Bohr’sches Atommodell und Pauli-­
Prinzip machen nicht nur die Atomspek-
tren, sondern auch das Periodensystem
der Elemente verständlich.

8.1.4 Charakteristische Röntgen-


strahlung ..      Abb. 8.5 Bremsspektrum mit überlagerter charak-
teristischer Strahlung. Der Abfall zu kleinen Quanten-
Das Niveauschema eines Atoms wird übli- energien wird durch Aluminiumfilter hervorgerufen;
obere Kurve: Filterdicke 1 mm; untere Kurve: 2 mm
cherweise nur für das Leuchtelektron ge-
zeichnet. Alle anderen Elektronen haben
über sich nur besetzte Bahnen und können schen Strahlung, charakteristisch für das
deshalb ihre Plätze nur mit relativ hohem Material am Ort des Brennflecks (. Abb.
Energieaufwand verlassen. Immerhin bringt 8.5). Die Quantenenergien der Linien
das freie Elektron, das in der Röntgenröhre wachsen nahezu proportional mit dem
(7 Abschn. 7.5.4) auf die Anode zujagt, ge- Quadrat der Kernladungszahl.
nug Energie mit, um auch einmal einen Art- Besondere Bedeutung hat das Linien-
genossen aus der K-Schale eines Anoden- spektrum für die Röntgenstrukturanalyse.
atoms herauszuschlagen. Dessen Platz bleibt Technisch ist es nicht ganz einfach, Beu-
aber nicht lange frei, z. B. kann ein Elektron gungsgitter für das Röntgengebiet herzustel-
aus der L-Schale nachrücken. Dabei wird len; die kurzen Wellen verlangen arg schmale
dann ein energiereiches Quant aus dem Strukturen. Die Natur liefert aber von sich
Spektralgebiet der Röntgenstrahlen emit- aus passende Objekte: Die Gitterkonstanten
tiert, es gehört zur Kα-Linie des Atoms der Kristalle liegen gerade in der richtigen
(. Abb. 8.4). Größenordnung. Freilich ist es nicht leicht,
Dem kontinuierlichen Bremsspektrum die Beugungsfigur eines zunächst ja unbe-
der Röntgenröhre (. Abb. 7.98) überlagert kannten dreidimensionalen Raumgitters
sich das Linienspektrum der charakteristi- richtig zu interpretieren. Dabei kann man
358 Kapitel 8 · Atom- und Kernphysik

sogar Aussagen über die Struktur der Git-


terbausteine gewinnen, selbst wenn die so
kompliziert gebaut sind wie das Molekül des
Insulins. Auch die Doppelhelix der Desoxy-
ribonukleinsäure (DNA), der Trägerin aller
Erbinformationen irdischen Lebens, wurde
so gefunden.

8.2 Aufbau des Atomkerns

8.2.1 Kernspinresonanztomogra-
fie (MRT)

Mit der nötigen Vorsicht darf man nicht nur


das Bohr’sche Atommodell benutzen,
­sondern auch den Atomkern für eine kleine, ..      Abb. 8.6 Präzession eines makroskopischen
8 rotierende Kugel halten. Dank seiner Masse ­Kreisels
besitzt er dann einen Drehimpuls und dank
seiner Ladung ein magnetisches Moment – Moment wie auch für die Äquivalente von
eine rotierende elektrische Ladung ent- Kegelwinkel und Präzessionsfrequenz. Zu
spricht einem Kreisstrom, bildet also einen einer Resonanzabsorption kommt es aber
kleinen Magneten. Gerät ein solcher Kern in tatsächlich. Die zugehörigen Quantenener-
ein äußeres magnetisches Feld, so möchte er gien liegen im Bereich der Nachrichtentech-
sein Moment zur Feldrichtung parallel stel- nikern geläufigen Mikrowellen. Sie hängen
len. Daran hindert ihn aber sein Drehim- von der Stärke des stationären Magnetfeldes
puls. Wäre er ein makroskopischer Kreisel, ab und vor allem von den Eigenschaften des
so begänne er eine Präzession: Er ließe seine betroffenen Kerns. Die Kernspinresonanz
Drehachse auf einem Kegel rotieren, dessen erlaubt also, ganz bestimmte Kerne zu er-
Achse zum Magnetfeld parallel läge kennen. Medizinisch besonders interessant
(. Abb. 8.6). ist hier der Wasserstoff.
Die Drehfrequenz (Präzessionsfrequenz) Dass der Mensch Wasserstoffkerne in
hinge von der Feldstärke ab, vom Kegelwin- großer Anzahl enthält, weiß man allerdings
kel, vom magnetischen Moment und vom sowieso. Es geht um deren räumliche Vertei-
Drehimpuls. Legte man jetzt ein magneti- lung, die z. B. im Tumor eine andere ist als
sches Wechselfeld quer zum konstanten im gesunden Gewebe drumherum. Dem
Hauptfeld, so käme es immer dann zu einer kann man über die Kernspinresonanz mit
Resonanzabsorption, wenn die Wechselfre- einer freilich ziemlich komplizierten Steue-
quenz mit der Präzessionsfrequenz überein- rung des Magnetfeldes beikommen:
stimmte. Zunächst legt man den Patienten der
Die Konjunktive im letzten Absatz sollen Länge nach in ein hohes, konstantes und
daran erinnern, dass die Regeln für einen homogenes Hauptfeld. Diesem wird ein pa-
makroskopischen Kreisel in den nun schon ralleles Feld überlagert, das in Richtung des
subatomaren Dimensionen des Atomkerns Patienten einen Gradienten besitzt. Da-
modifiziert werden müssen. Alle wesentli- durch kann es im Patienten nur noch in einer
chen Größen sind hier gequantelt, können Ebene quer zum Feld zu Resonanzen kom-
also nur wenige diskrete Werte annehmen. men, wenn die Frequenz der Mikrowellen
Das gilt für Drehimpuls und magnetisches fest und unveränderlich eingestellt wird.
8.2 · Aufbau des Atomkerns
359 8
Die Kernspinresonanz ist auch ein wich-
tiges Hilfsmittel der chemischen Analyse, da
das Signal auch ein wenig vom chemischen
Bindungszustand abhängt. Eine verwandte
Spielart magnetischer Resonanz ist die Elek-
tronenspinresonanz (ESR), die das gleiche
Spiel mit den Hüllenelektronen der Atome
treibt und daher ebenfalls sehr empfindlich
„auf die Chemie“ ist. Sie eignet sich z. B. zur
Untersuchung von Metallkomplexen in der
Lebensmittelchemie.

8.2.2 Nukleonen und Nuklide !!

Auch der Atomkern, so klein er ist, lässt sich


noch in Nukleonen zerlegen. Von ihnen gibt
..      Abb. 8.7 MRT-Bild. Schnitt durch Kopf und
Auge des Autors. Der wässrige Augeninhalt tritt hell es aber nur zwei Sorten: die positiv gelade-
hervor nen Protonen und die ungeladenen Neutro-
nen. Ihre Massen sind nahezu gleich. Wenn
Durch Steuerung des Zusatzfeldes kann man sich mit drei Dezimalstellen begnügt,
man die Ebene verschieben, ohne Patient darf man schreiben:
oder Maschine bewegen zu müssen. Mit ei-
nem dritten, quer gestellten Feld pickt man mp » mn » 1, 67 ×10-27 kg.
nun aus der Ebene einen schmalen Balken
heraus, der sich seinerseits durch reine Steu- Als makroskopische Einheit führt das Kilo-
erung des Feldes verschieben sowie drehen gramm in der Welt der Atome zu unhandli-
lässt. Ein Computer schiebt jetzt den Balken chen Zehnerpotenzen. Deshalb definiert
in zwei verschiedene Orientierungen über man für diesen Bereich eine
die Patientenebene, speichert die Stärke der
Resonanzsignale zusammen mit den Steuer- atomare Masseneinheit
signalen der Felder und setzt daraus ein Bild u = 1, 66057 ×10-27 kg
der Protonenverteilung in der untersuchten
Patientenebene zusammen – wie sich im und bekommt mit ihr
nächsten 7 Abschn. 8.2.2 herausstellen
wird, sind die Atomkerne des normalen mp = 1, 007265 uund mn = 1, 008650 u.
Wasserstoffs Protonen.
. Abb. 8.7 zeigt eine solche Aufnahme Immerhin ist das Neutron um rund 1,5 Pro-
der Kernspinresonanztomografie. Das Wort mille und damit fast zwei Elektronenmassen
ist unhandlich, darum redet man lieber von schwerer als das Proton. Das hat physikali-
MRT (Magnetresonanztomografie). Das sche Bedeutung.
Bild zeigt einen senkrechten Schnitt durch Das häufigste chemische Element ist der
den Kopf auf Höhe eines Auges. Durch ein Wasserstoff: ein Proton im Kern, ein Elekt-
spezielles Verfahren ist hier die Wasserkon- ron in der Hülle, kein Neutron, Z = 1. Wieso
zentration hervorgehoben, wodurch die sind andere Elemente überhaupt möglich?
Struktur des Auges schön sichtbar wird: Die Zwei oder gar mehr Protonen im Kern müs-
relativ wasserarme Augenlinse hebt sich sen sich doch mit der Coulomb-Kraft ihrer
dunkel gegen die Augenflüssigkeit ab. positiven Elementarladungen abstoßen. Sie
360 Kapitel 8 · Atom- und Kernphysik

können in der Tat nur zusammenbleiben, Helium-3, He-3, 3He, 32 He mit Z = 2, N = 1,


weil zwischen Nukleonen eine Kernkraft A = 3,
herrscht, nach deren Natur hier nicht ge- Helium-4, He-4, 4He, 42 He mit Z = 2, N = 2,
fragt werden soll; sie lässt sich nur durch A = 4.
wellenmechanische Rechnung korrekt erfas- Hier sind die gebräuchlichsten Schreib-
sen. Jedenfalls bewirkt sie eine kräftige, von weisen zusammengestellt. Das chemische
der Ladung unabhängige Anziehung, aller- Symbol steht für alle Isotope eines Elements.
dings nur auf extrem kurze Distanz: Die Zu ihrer Unterscheidung fügt man die jewei-
Nukleonen müssen sich gewissermaßen „be- lige Massenzahl A oben links an. Die Kern-
rühren“, wenn sie Atomkerne, wenn sie Nu- ladungszahl unten links kann man sich
klide bilden wollen. grundsätzlich sparen, da sie ja schon im che-
Zwei Zahlen kennzeichnen ein Nuklid: mischen Element zum Ausdruck kommt.
55 Die Protonenanzahl Z und die Neutro-
nenanzahl N. Als Kernladungszahl be- >>Merke
stimmt Z die Anzahl der Elektronen in Isotope sind Nuklide mit gleicher Proto-
der Hülle und über sie die chemischen nenanzahl Z, aber unterschiedlicher
Eigenschaften des Atoms. Deshalb ist Z Neutronenanzahl und damit Massen-
8 zugleich die Atomnummer des chemi- zahl.
schen Elements im Periodensystem.
55 Die Neutronen bestimmen zusammen
zz Isotope des Wasserstoffs
mit den Protonen die Masse des Kerns
Eine gewisse Sonderrolle unter den Isotopen
und des ganzen Atoms. Darum wird die
spielen die des Wasserstoffs. Bei einem Kern,
Nukleonenanzahl A = Z + N auch Mas-
der nur aus einem Proton besteht, verdop-
senzahl genannt. Mit ihr unterscheidet
pelt ein hinzukommendes Neutron die
man üblicherweise die Isotope eines Ele-
Masse gleich. Dadurch ändern sich zwar
ments, also Nuklide gleicher Protonen-,
nicht die chemischen, wohl aber die physika-
aber unterschiedlicher Neutronenanzahl.
lischen Eigenschaften so sehr, dass2 es sich
Wie kommt es dazu?
lohnt, dem schweren Wasserstoff 1 H einen
eigenen Namen und ein eigenes 2
chemisches
Symbol zu geben: Deuterium 1 D. Der Atom-
>>Merke
kern heißt Deuteron. Sogar ein überschwerer
Kenngrößen des Nuklids:
Wasserstoff mit zwei Neutronen existiert,
Z = Protonenanzahl, Kernladungszahl,
lebt aber nicht allzu lang. Er bekommt eben-
Ordnungszahl
falls einen eigenen3 Namen und ein eigenes
N = Neutronenanzahl
Symbol: Tritium, 1 T , Triton.
A = Z + N = Massenzahl
Alle denkbaren Nuklide, ob sie nun exis-
Schreibweise: AZ X ; X: Kürzel des Ele-
tieren oder nicht, lassen sich übersichtlich
ments, z. B. 42 He .
in der sog. Nuklidtafel zusammenfassen.
Die anziehende Kernkraft zwischen zwei Dafür weist man jedem von ihnen ein quad-
Protonen reicht nicht aus, die abstoßende ratisches Kästchen zu und stapelt diese wie
Coulomb-Kraft zwischen zwei positiven Schuhkartons im Regal, Isotope mit glei-
Elementarladungen zu überwinden. Min- chem Z nebeneinander, gleiche Neutronen-
destens ein Neutron muss mit seiner Kern- anzahlen N übereinander. Gleiche Nukleo-
kraft hinzukommen, zwei sind besser. Es nenanzahlen A liegen dann in Diagonalen
gibt also zwei stabile Isotope des zweiten von oben links nach unten rechts. Den Be-
Elements im Periodensystem, des Edelgases reich der leichtesten Elemente bis Z = 4
Helium: (Beryllium) zeigt . Abb. 8.8. Abweichend
8.2 · Aufbau des Atomkerns
361 8
aber bedeutsam ist er durchaus. Hinter ihm
steht nämlich die Feststellung der Relativi-
tätstheorie, Masse m und Energie E seien
äquivalent entsprechend der Gleichung:

E = m × c2 .

Die Lichtgeschwindigkeit c ist groß, ihr


Quadrat erst recht. Demnach wiegt Energie
nicht viel. Umgekehrt repräsentiert ein
Gramm irgendwelcher Materie bereits 89,9
TJ oder 25.000 kWh. Um einen Kern des
..      Abb. 8.8 Unteres Ende der Nuklidtafel. Rote Helium-4 in seine Nukleonen zu zerlegen,
Kreise symbolisieren Protonen, offene Neutronen. muss man ihm seinen Massendefekt zurück-
Siehe auch . Abb. 8.9 geben, d. h. 27,3 MeV Energie zuführen, im-
merhin 6,8 MeV pro Nukleon. Sie wurden
von der Norm ist hier das Tritium als insta- zuvor als Bindungsenergie abgegeben.
biles Nuklid nicht aufgeführt. Diese für die Stabilität eines Nuklids
wichtige Größe kann man also gewisserma-
ßen „mit der Waage“ bestimmen. Bei chemi-
Rechenbeispiel 8.1: Kernreaktion schen Reaktionen gilt grundsätzlich das-
Aufgabe. Welcher weitere Kern X ist an selbe. Nur liegen hier die freiwerdenden
folgender Reaktion beteiligt? Bindungsenergien lediglich im Bereich eini-
6 ger Elektronenvolt pro Molekül. Der zuge-
3 Li +10 n = X +13 H
hörige Massendefekt ist auch für die beste
Lösung. Auf einen Lithiumkern wird Analysenwaage viel zu klein. Insofern haben
also ein Neutron geschossen. Bei einer die Chemiker recht, wenn sie behaupten, bei
Kernreaktion müssen die Gesamtzahlen ihren Reaktionen blieben die Massen der be-
der Ladung und der Masse erhalten blei- teiligten Partner erhalten.
ben. Vorher ist die Gesamtmassenzahl 7 Vom Massendefekt des 4He „lebt“ die
und die Ladungszahl 3. Also muss X die Erde, ihre Flora und Fauna sogar im unmit-
Massenzahl 7–3 = 4 und die Ladungs- telbaren Sinn des Wortes, der Mensch nicht
zahl 3–1 = 2 haben. Das ist ein Helium- ausgenommen. Seit rund 5 Mrd. Jahren
kern oder α-Teilchen. Also: „verbrennt“ die Sonne Wasserstoff zu He-
6
+10 n = 42 He +13 H. lium und strahlt die dabei durch Massende-
3 Li
fekt freiwerdende Energie in den Weltraum
Neben Helium entsteht überschwerer hinaus. Das wird vermutlich noch einmal
Wasserstoff ( 31T , Tritium), der radioak- 5·109 Jahre so weitergehen, bis sich die
tiv ist. Sonne sterbend zum „roten Riesen“ auf-
bläht, über die Erdbahn hinaus.

8.2.3 Massendefekt
8.2.4 Radioaktivität !!
Es überrascht, aber die Masse des häufige-
ren Helium-Isotops 42 He liegt mit 4,0020 u In einem stabilen Atomkern müssen Kern-
etwas unter der gemeinsamen Masse der vier und Coulomb-Kräfte in einem ausgewogenen
Nukleonen, die es bilden. Mit knapp 2 % Verhältnis stehen. Viel Spielraum lässt die Na-
springt dieser Massendefekt nicht ins Auge, tur ihnen nicht: In der Nuklidtafel
362 Kapitel 8 · Atom- und Kernphysik

..      Abb. 8.10 Die wichtigsten Kernumwandlungen im


Schema der Nuklidtafel

In der Nuklidtafel bedeutet das einen


Sprung über zwei Zeilen und zwei Spalten
im Winkel 45° nach unten links
(. Abb. 8.10). Diese Art radioaktiver
..      Abb. 8.9 Nuklidtafel. Auf der durchgezogenen Li- Strahlen wurde als Erste entdeckt; man
nie liegen die stabilen Isotope (stabile Rinne). Die brauchte einen Namen und nannte sie,
8 Punkte abseits dieser Linie sind meist instabile (also weil man nichts Besseres wusste,
radioaktive) Isotope α-Strahlen. Entsprechend heißen im
α-Zerfall emittierten 42 He Kerne bis heute
(. Abb. 8.9) besetzen sie nur eine recht α-Teilchen.
schmale stabile Rinne. Leichtere Kerne benö- 55 Auch das berühmte Radium-226, von
tigen ungefähr ein Neutron pro Proton, Marie Curie (1867–1934) erstmals che-
schwerere aber mit wachsendem Z einen im- misch isoliert, ist ein α-Strahler. Mit sei-
mer größeren Neutronenüberschuss. Die sta- ner Ordnungszahl 86 kann es freilich die
bile Rinne verläuft zu Beginn unten links un- stabile Rinne nicht in einem einzelnen
ter einem Winkel von 45°, sie wird nach oben Sprung erreichen; dem ersten α-Zerfall
immer steiler und endet beim letzten stabilen müssen sich weitere anschließen. Die
Nuklid Wismut-209 mit 83 Protonen und 126 führen aber, ihrer 45° wegen, in der Nuk-
Neutronen (. Abb. 8.9). Befindet sich ein lidtafel unter die stabile Rinne. Darum
Atomkern außerhalb dieser stabilen Rinne, so wird ab und an ein β-Zerfall eingescho-
versucht er früher oder später, durch Abspal- ben (s. u.). Er ändert die Massenzahl
ten von Teilchen das Verhältnis von Protonen- nicht, erhöht aber die Ordnungszahl. In
zahl zu Neutronenzahl in den stabilen Bereich der Nuklidtafel entspricht er einem
zu manövrieren. Dann ist das Atom radioak- Sprung auf das Nachbarfeld oben links.
tiv. Auf diese Weise zieht ein schweres Atom
. Abb. 8.10 zeigt, welche Möglichkeiten eine ganze Zerfallsreihe hinter sich her.
ein abseits der stabilen Rinne befindlicher . Abb. 8.11 zeigt die Zerfallsreihe des
Atomkern im Prinzip hat: Radium-226. Sie verfehlt das stabile Wis-
55 α-Zerfall. Um die stabile Rinne zu errei- mut-Isotop 83 209
Bi und endet beim
chen, müssen die schweren Elemente jen- 206
seits des Wismut, die alle radioaktiv sind, Blei-Isotop 82 Pb .
vor allem Nukleonen loswerden: Dazu 55 β− -Zerfall. Nuklide, die zu viele Neut-
stoßen sie einen vollständigen Atomkern ronen besitzen, betreiben β-Zerfall (ge-
ab, den des Helium-4. Dadurch reduzieren nauer: β− -Zerfall, s. u.) Tatsächlich
sich die Protonen- und Neutronenanzahl kann sich ein Neutron in ein Proton
je um 2, die Nukleonenanzahl also um 4. umwandeln, dabei ein Elektron absto-
8.2 · Aufbau des Atomkerns
363 8

..      Tab. 8.1 Radioaktive Zerfallsarten

Zerfallsart Emittiert ΔZ ΔN ΔA
wird

α −2 −2 −4
4
2 He

β− Elektron +1 −1 0
β+ Positron −1 +1 0
K-­ – −1 +1 0
Einfang
γ Quant 0 0 0

..      Abb. 8.11 Zerfallsreihe des Radium-226


ronen, zu den β-Teilchen; zur Unter-
ßen und ihm noch das Äquivalent der scheidung spricht man je nach Ladungs-
verbleibenden Masse als kinetische vorzeichen von β− – und β+ – Strahlern.
Energie mitgeben. Aus historischen
Gründen bezeichnet man ein solches, Für das betroffene Atom ist sein radioakti-
praktisch lichtschnelles Elektron, als ver Zerfall ein höchst aufregender Vorgang.
β-Teilchen. Als man den β-Zerfall ent- Mit seiner Kernladungszahl ändert es seine
deckte und ihm einen Namen geben chemische Natur; es muss seine Nukleonen
musste, konnte man seine Natur noch im Kern und seine Elektronen in der Hülle
nicht feststellen. neu arrangieren. Der neue Kern entsteht in
55 β+ -Zerfall. Was machen Kerne, die, aus einem angeregten Zustand und sucht nun
welchen Gründen auch immer, oberhalb seinen Grundzustand. Er erreicht ihn nach
der stabilen Rinne entstehen? α- und der gleichen Methode wie die Hülle auch:
β-Zerfall nützen ihnen nichts, sie müssen durch Emission von Quanten. Nur geht es
Protonen loswerden. Sie tun dies durch im Kern um wesentlich höhere Energien.
Umwandlung eines Protons in ein Neut- Entsprechend kurzwellig ist die emittierte
ron. Dazu haben sie grundsätzlich zwei elektromagnetische Welle. Man nennt sie
Möglichkeiten, die beide in der Nuklid- γ-Strahlung. Mit ganz wenigen ­Ausnahmen
tafel einen Sprung in das Nachbarfeld wird bei einem α- oder β-Zerfall immer auch
unten rechts bewirken: ein γ-Quant ausgesandt.
55Mancher Kern fängt ein Elektron ein, . Tab. 8.1 fasst die radioaktiven Zer-
und zwar von dort, wo es ihm am nächs- fallsarten prägnant zusammen.
ten ist, aus der K-Schale seiner eigenen
Hülle: K-Einfang.
55Der zweite Weg bringt etwas grundsätz- 8.2.5 Nachweis radioaktiver
lich Neues: Hier stößt der Kern ein Posi- Strahlung
tron aus, ein „Elektron mit positiver La-
dung“. Es gehört nicht in das Kernumwandlungen betreffen immer nur
Sonnensystem, denn es ist ein Teilchen einzelne Atome, einzelne Kerne. Diese sind
der hierzulande nicht „lebensfähigen“ durch die Elektronenhülle weitgehend von
sog. Antimaterie, von der in der Außenwelt abgeschirmt. Ihre Umwand-
7 Abschn. 8.2.8 kurz die Rede sein lungen lassen sich nicht beeinflussen; sie
wird. Positronen gehören, wie die Elekt- ­reagieren weder auf Druck noch auf Tempe-
364 Kapitel 8 · Atom- und Kernphysik

rade eben noch nicht zündet. Sie wird dann


aber von einem einzelnen schnellen Teilchen
ausgelöst, wenn dieses sich durch das emp-
findliche Volumen dicht um den Draht be-
wegt: Es zieht den Ionenschlauch hinter sich
her, dessen Elektronen die Lawine starten.
Ein hoher Schutzwiderstand stoppt sie so-
..      Abb. 8.12 Geiger-Müller-Zähler
fort wieder; mehr Ladung als die in der Ka-
pazität des Zähldrahtes gespeicherte steht
ratur oder chemische Bindung. Wie will man nicht zur Verfügung. Wenn die Spannung
herausbekommen, was ein einzelner Atom- über dem Zählrohr für die Dauer der Ent-
kern tut? Man kann es nur, weil der Energie- ladung zusammenbricht, erscheint sie
umsatz bei Kernprozessen vergleichsweise gleichzeitig über dem Schutzwiderstand und
hoch ist. Die Teilchen und Quanten radioak- kann elektronisch registriert, gezählt und
tiver Strahlung verfügen meist über Energien durch ein Knacken im Lautsprecher hörbar
zwischen 0,1 und 1 MeV. Damit kann man gemacht werden: „Der Geiger-Zähler tickt.“
zigtausend Moleküle ionisieren. Wenn ein
„radioaktiver Strahl“ durch die Luft fährt,
8 hinterlässt er auf seiner Bahn einen nach-
>>Merke
Geiger-Müller-Zählrohr: Ein einzelnes
weisbaren „Ionenschlauch“. Dieser „berich- ionisierendes Teilchen löst eine Elektro-
tet“ von einem einzelnen Kernprozess. nenlawine aus, die nach weniger als einer
Dies tut auch der Halbleiterzähler: Hier Millisekunde gestoppt wird.
setzt der Strahl normalerweise gebundene
Elektronen für kurze Zeit zu Leitungselekt- Das Auge ist des Menschen bestes Sinnesor-
ronen frei. Im Szintillationszähler erzeugen gan; er möchte die Spuren radioaktiven Zer-
ähnliche Elektronen per Lumineszenz einen falls sehen. Auch das erlauben ihm die Ionen-
Lichtblitz. schläuche, und zwar mithilfe der Nebelkammer.
Wichtigstes Messinstrument der Kern- Sie nutzt aus, dass die Kondensation einer
physik ist das Geiger-Müller-Zählrohr, das Flüssigkeit zu den ­Keimbildungsprozessen ge-
einen Zwitter zwischen selbstständiger und hört (7 Abschn. 5.4.5) und dass Ionen ausge-
unselbstständiger Gasentladung nutzt zeichnete Kondensationskeime bilden. Zuvor
(7 Abschn. 6.2.5). Es ist so empfindlich, muss der Dampf freilich kondensationswillig
dass es ein einzelnes ionisierendes Teilchen gemacht, d. h. übersättigt werden. Dies er-
nachweisen kann. Ein Geiger-Zähler sperrt reicht man durch Unterkühlung, ausgelöst
ein passend ausgesuchtes Gas unter vermin- durch eine rasche und damit praktisch „adia-
dertem Druck in ein Rohr mit einem dünnen batische“ (d. h. ohne Wärmeaustausch mit der
Draht in dessen Achse (. Abb. 8.12). Eine Umgebung einhergehende) Expansion. Dar-
Nadel tut es auch („Spitzenzähler“). Wich- aus ergibt sich das Konstruktionsprinzip einer
tig ist der kleine Krümmungsradius der Nebelkammer (. Abb. 8.13).
Elektrode, der schon bei mäßigen Spannun- Bewegt sich z. B. ein α-Teilchen unmittel-
gen zu hohen Feldstärken führt. Das Rohr bar nach der Expansion durch die Kammer,
muss dünnwandig sein oder ein spezielles so kondensieren Nebeltröpfchen an seinem
Strahlenfenster haben, damit es ionisierende Ionenschlauch und markieren die Bahn als
Teilchen überhaupt hereinlässt. weißen Strich, deutlich sichtbar in kräftigem,
Die elektrische Spannung zwischen seitlichem Licht. Die Nebelspur steht für
Zähldraht und Wand wird nun so einge- eine knappe Sekunde – lange genug, sie zu
stellt, dass die selbstständige Entladung ge- fotografieren – und löst sich dann wieder auf.
8.2 · Aufbau des Atomkerns
365 8

..      Abb. 8.13 Wilson-Nebelkammer. Die eigentliche


Beobachtungskammer enthält einen mit Alkohol oder
Wasser getränkten Filz (blau), der ständig für Sätti-
gungsdampfdruck sorgt. Durch einen kurzen Zug am ..      Abb. 8.14 Bahnen von α-Teilchen. Das einzelne
Kolben (orange) wird die Temperatur in der Kammer Teilchen mit überhöhter Reichweite stammt von ei-
in adiabatischer Expansion abgesenkt und der Dampf nem angeregten Atomkern
übersättigt. Er kondensiert bevorzugt an den von radio-
aktiver Strahlung ausgelösten Ionenschläuchen (rot)
gleiche Energie mitbekommen. Ihre Be-
deutung in der Strahlentherapie ist sehr
>>Merke begrenzt: Einigen Zentimetern Reichweite
Nachweisgeräte für einzelne radioaktive in Zimmerluft entsprechen allenfalls
Strahlen: Zehntelmillimeter in Wasser oder Gewebe.
55 Zählrohr und Halbleiterzähler regist- 55 β-Strahlen ionisieren weitaus schwächer,
rieren jeden „Strahl“ als elektrischen besonders wenn sie noch schnell und
Impuls, Szintillationszähler als Licht- energiereich sind, denn dann haben sie
blitz, gewissermaßen nur wenig Zeit, im Vor-
55 die Nebelkammer bildet Teilchenbah- beifliegen ein Luftmolekül zu ionisieren.
nen ab. In der Nebelkammer hinterlassen sie
lange, oft unterbrochene, selten gerade
In der Nebelkammer hinterlassen die ver- und zumal gegen Ende verschlungene
schiedenen Teilchenarten charakteristische Spuren (. Abb. 8.15): Das leichte Elek-
Spuren: tron wird von jedem Molekül, auf das es
55 Typisch für die α-Teilchen sind kurze, einigermaßen zentral trifft, aus seiner
kräftige, gerade Bahnen einheitlicher Bahn geworfen. Entsprechend gering ist
Länge (. Abb. 8.14). Der Heliumkern ist seine Reichweite in Wasser und biologi-
so schwer, dass er sich nicht leicht aus sei- schem Gewebe. Medizinisch genutzt
ner Bahn werfen lässt. Eben deshalb hat er werden β-Strahlen deshalb nur dann,
aber auch eine hohe Ionisationsrate, ver- wenn man das radioaktive Präparat un-
liert seine anfängliche kinetische Energie mittelbar an den Ort des Geschehens
darum verhältnismäßig rasch und läuft bringen kann. Ein Beispiel liefert 198Au,
sich schon nach wenigen Zentimetern tot. das, z. B. als Goldchlorid physiologi-
Seine Reichweite ist ein Maß für seine scher Kochsalzlösung zugesetzt und in
Startenergie. Der „Pinsel“ der . Abb. 8.14 die Bauchhöhle eines Patienten ge-
lässt erkennen, dass alle aus gleichen bracht, dort vagabundierende Krebszel-
Kernprozessen stammende α-Teilchen len abtöten soll.
366 Kapitel 8 · Atom- und Kernphysik

Leider emittieren (fast) alle β-Strahler auch ten irgendwo im Wellenbündel und laufen
durchdringende Quanten, der Patient wird seitlich aus ihm heraus (. Abb. 8.16).
also zu einer lebenden γ-Quelle. Glückli- α-, β- und γ-Strahlen sind zwar die
cherweise klingt die Aktivität des Goldprä- wichtigsten Produkte radioaktiver Kern-
parats mit einer Halbwertszeit von rund 3 umwandlungen, nicht aber die einzigen.
Tagen ab (auch in der Kanalisation, in die . Abb. 8.17 zeigt die Spuren von Protonen.
einige der strahlenden Kerne sicherlich ent- Dass die Bahnen gekrümmt sind, hat einen
wischen). γ-Quanten und Röntgenstrahlen äußerlichen Grund: Die Nebelkammer be-
hinterlassen in der Nebelkammer unmittel- findet sich in einem Magnetfeld mit den
bar keine Spuren. Sie lösen aber bei der Ioni- Feldlinien in Blickrichtung der Kamera.
sation energiereiche Elektronen aus, die Folglich wird jedes hindurchfliegende Teil-
β-Teilchen entsprechen. Deren Spuren star- chen, sofern es elektrisch geladen ist, von
der Lorentz-Kraft auf eine Kreisbahn ge-
zwungen (7 Abschn. 6.9.2).
Der Drehsinn der Kreisbahn hängt vom
Vorzeichen der Ladung, der Bahnradius von
Geschwindigkeit und spezifischer Ladung
8 q/m ab. Die schweren α-Teilchen werden da-
rum weniger stark abgelenkt als die leichten
Elektronen – und in entgegengesetzter Rich-
tung zudem. . Abb. 8.18 setzt demnach die
Existenz eines Magnetfeldes stillschweigend
voraus.

8.2.6 Zerfallsgesetz !!

Ein instabiler Kern zerfällt nicht sofort nach


seiner „Geburt“. Jedes radioaktive Nuklid
besitzt seine eigene mittlere Lebensdauer τ.
..      Abb. 8.15 Bahnen von β-Teilchen. Die gerade,
nichtgeschlossene Nebelspur stammt von einem
Ist sie zu groß, als dass sie sich messen ließe,
schnellen Teilchen, die verschlungenen von langsamen gilt das Nuklid als stabil; ist sie für eine Mes-
(Bildrechte: Rutherford) sung zu klein, gilt das Nuklid als nichtexis-

..      Abb. 8.16 Nebelkammeraufnahme. Quanten hin- hen aber Spuren nach Art von β-Teilchen seitlich aus
terlassen keine eigenen Spuren in der Nebelkammer; dem Quantenbündel heraus
die von ihnen aus Atomen gestoßenen Elektronen zie-
8.2 · Aufbau des Atomkerns
367 8
tent und sein Kästchen in der Nuklidtafel
bleibt leer.
Die Radioaktivität wird vom Zufall re-
giert: Niemand kann vorhersagen, welcher
Kern in einem radioaktiven Präparat als
nächster zerfallen wird. Auch der Zufall
wird von mathematischen Gesetzen regiert:
Man kann recht genau vorhersagen, wie
viele Kerne eines bekannten radioaktiven
Präparats in der nächsten Sekunde, Minute,
Stunde oder Woche zerfallen werden. Den
Quotienten aus Anzahl ΔN und Zeitspanne
Δt, die Zerfallsrate, bezeichnet man als

DN

Aktivitat A=
Dt

eines radioaktiven Präparats. Sie ist eine re-


ziproke Zeit; ihre SI-Einheit 1/s erhält den
Namen Becquerel (Bq).
..      Abb. 8.17 Bahnen von Protonen in der Nebelkam-
mer. Sie sind gekrümmt, weil bei der Aufnahme ein zz Kleinere Werte mit Curie
Magnetfeld in Blickrichtung der Kamera bestand. Die Die reziproke Sekunde 1/s dient auch als Einheit der
Aufnahme diente dem Nachweis schneller Neutronen, Frequenz, dies aber unter dem Namen Hertz. Weshalb
die als neutrale Teilchen nicht ionisieren und darum die Unterscheidung? Eine Schwingung ist ein kausaler
keine Bahnspuren hinterlassen. Bei hinreichend zent- Vorgang, der radioaktive Zerfall ein zufallsbedingter
ralem Stoß übertragen sie ihre kinetische Energie auf stochastischer Prozess.
die in der Kammer in Form von Wasserstoffgas vor- Atome sind klein und zahlreich, auch die instabi-
handenen Protonen. (Bildrechte: Radiation Labora- len. Die Aktivitäten üblicher Präparate für Medizin und
tory, University of California) Technik erhalten, in Bq gemessen, unangenehm hohe
Maßzahlen. Sogar ein normaler erwachsener Mensch
strahlt mit „erschreckenden“ 5000 Bq, ohne deswegen
als radioaktiv zu gelten. Zu kleineren Maßzahlen führt
die vor Einführung des Système International übliche
Einheit Curie = Ci = 3,77·1010 Bq. Da bleiben dem
Menschen nur noch harmlos klingende 0,14 μCi.

Es leuchtet ein: Die Aktivität A eines Präpa-


rats ist proportional zur Anzahl N der in
ihm versammelten radioaktiven Atome und
proportional zu deren Zerfallskonstanten λ,
nämlich umgekehrt proportional zur Le-
bensdauer τ = 1/λ:

 A = l × N = N / t .
Aktivitat
..      Abb. 8.18 Spuren radioaktiver Strahlen im Mag-
netfeld. Quanten werden gar nicht, Elektronen nach Das gilt so für ein einheitliches Präparat,
der einen und Heliumkerne nach der anderen Seite ab-
gelenkt. Die Zeichnung ist nicht maßstabgerecht: Ein
dessen Nuklid mit einem einzigen Sprung
Feld, das Elektronen in der angegebenen Weise ab- die stabile Rinne erreicht. Zieht es eine Zer-
lenkt, würde α-Teilchen nicht erkennbar beeinflussen fallsreihe mit n vergleichsweise kurzlebigen
368 Kapitel 8 · Atom- und Kernphysik

Folgenukliden hinter sich her, so erhöht sich


A auf das n-fache.
Wegen der Aktivität nimmt N als N(t)
mit der Zeit ab, und zwar mit der Geschwin-
digkeit dN/dt = −A (negatives Vorzeichen
wegen der Abnahme). Die Anzahl N(t) der
zum Zeitpunkt t noch vorhandenen, nicht
zerfallenen Kerne folgt demnach der Diffe-
renzialgleichung:

dN N (t )
=- .
dt t

Rein mathematisch ist das die Differenzial-


gleichung der Kondensatorentladung von
7 Abschn. 6.5.5, nur stand dort anstelle der
Teilchenanzahl N(t) die elektrische Span-
8 nung U(t). Den mathematischen Formalis-
mus kümmern Buchstaben und ihre physi-
kalischen Bedeutungen nicht. Was U recht
ist, ist N billig. Folglich gilt für N(t) das

Gesetzdesradioaktiven Zerfalls
..      Abb. 8.19 a, b (Video 8.1) Radioaktiver Zerfall am
N ( t ) = N 0 × e( – t /t ) = N 0 × e( – l ×t ) . Beispiel von Radon-222; Halbwertszeit 3,825 Tage,
Lebensdauer 5,518 Tage; a Darstellung in linearem
Maßstab; b einfach-logarithmische Darstellung
Die abfallende e-Funktion besagt: In glei- (https://doi.org/10.1007/000-08d)
chen Zeitspannen Δt geht N(t) von jedem
Ausgangswert N0 auf dessen gleichen Bruch-
teil hinunter, insbesondere in der Halbwerts- gendeinem Zeitpunkt t0 angelegt, schneidet
zeit T½ auf ½N0. Aus alter Gewohnheit wird die Abszisse zum Zeitpunkt t0 + τ, d. h. um
in Tabellenbüchern meist die Halbwertszeit 1,4472 Halbwertszeiten nach t0. Teilt man
und nicht die mittlere Lebensdauer angege- die Ordinate logarithmisch, so streckt sich
ben. Rein mathematisch gilt: die Kurve zur Geraden.

Halbwertszeit >>Merke
T½ = Lebensdauert × ln 2 = 0, 6931 ×t . Gesetz des radioaktiven Zerfalls:

N ( t ) = N 0 × e( – t /t ) = N 0 × e( – l ×t ) .
Grafisch liefert der radioaktive Zerfall in li-
nearem Maßstab die schon bekannte abfal- 55 Kenngrößen des radioaktiven Zer-
lende Kurve der Exponentialfunktion falls:
(. Abb. 1.19, 7 Abschn. 1.5.2), die an der 55 Mittlere Lebensdauer τ,
Ordinate startet und asymptotisch auf die 55 Zerfallskonstante λ = 1/r,
Abszisse zuläuft, ohne sie jemals zu errei- 55 Halbwertszeit T½ = τ ·ln2,
chen (. Abb. 8.19). Eine Tangente, zu ir- 55 Aktivität
8.2 · Aufbau des Atomkerns
369 8
N (t ) Praktikum 8.1
A ( t ) = dN / dt =
t
= l × N ( t ) = Zerfallsrate; Radioaktiver Zerfall, Absorption
Die Versuche dienen dazu, den Ge-
Einheit: Becquerel = Bq = 1/s; Cu- brauch von Nachweisgeräten (Zählrohr
rie = Ci = 3,77·1010 Bq. oder Szintillationszähler) und den Um-
Die Lebensdauern und Halbwertszeiten der gang mit radioaktiven Stoffen zu erfah-
Nuklide reichen von 0 (nichtexistent) bis ∞ ren. Die Hochschulen setzen die ver-
(stabil). Einige Beispiele seien hier aufge- schiedensten radioaktiven Proben ein.
führt: Man kann auch etwas über Statistik ler-
nen, da der radioaktive Zerfall gezählt
Kalium-40 T½ = 1,28 · 109 Jahre wird und zufällig verläuft.
Kohlenstoff-14 T½ = 5730 Jahre Da die Aufgaben an den einzelnen
Universitäten variieren, kann hier nur
Radon-222 T½ = 5,825 Tage
auf die relevanten Kapitel verwiesen
Freies Neutron T½ = 18 min werden:
Tantal-181 T½ = 6,8 μs
Strahlung 7 Abschn. 8.2.4
radioaktiver
Kerne, Zerfalls-
77Natürliche Strahlungsaktivität des Menschen reihe
Seit Anbeginn der Welt, seit dem Urknall
Nachweis der 7 Abschn. 8.2.5
vor etwa 14 Mrd. Jahren, hat Kalium-40 Strahlung,
noch keine 15 Halbwertszeiten erlebt. Zehn Zählrohr
Halbwertszeiten bringen den Faktor 1024.
Zerfallsgesetze dieser Abschnitt
Gewiss: K-40 ist seither deutlich weniger ge-
worden, es ist aber immer noch so viel vor- Absorption von 7 Abschn. 7.5.4
Strahlung
handen, dass es ganz natürlicherweise in
Pflanze, Tier und Mensch vorkommt. 80 %
der natürlichen Aktivität des Menschen
stammen vom K-40.
Auch Kohlenstoff-14 (C-14)kommt in der
Natur vor, durch Kernprozesse in der hohen Rechenbeispiel 8.2: Alter Knochen
Atmosphäre ständig erzeugt. Er dient den Ar- Aufgabe. Ein Tierknochen in einer ar-
chäologen zur Altersbestimmung von Fund- chäologischen Ausgrabungsstätte ent-
stücken, die biologisches Material enthalten. hält 200 g Kohlenstoff. Er weist eine Ak-
Das Edelgas Radon-222 gehört zur Zer- tivität von 15 Zerfällen pro Sekunde auf,
fallsreihe des Radium-226, einer Allerwelts- die von dem Kohlenstoff-14 Isotop her-
substanz, die in Spuren überall vorkommt und kommt. Wie alt ist der Knochen? Dazu
z. B. auch zur Aktivität des Menschen mess- muss man wissen, dass das Verhältnis
bar, wenn auch unwesentlich beiträgt. Ra- 14 12
6 C zu 6 C zum Zeitpunkt, als das Tier
don-222 kriecht aus Mauersteinen und kann in noch atmete und fraß 1,3 · 10−12 war (na-
Zimmern, zumal in schlecht gelüfteten, durch- türliche Zusammensetzung in der Luft
aus bedenkliche Konzentrationen erreichen: und den Pflanzen).
Wenn es eingeatmet zum nicht mehr gasförmi- Lösung. Als das Tier noch lebte, ent-
gen Polonium-218 zerfällt, wird es nicht wieder sprachen 200 g Kohlenstoff
ausgeatmet und liefert die Strahlung des Res-
tes der Zerfallsreihe in der Lunge ab. 9
370 Kapitel 8 · Atom- und Kernphysik

Kernreaktoren liefern nicht nur Energie, sondern zu-


23
weilen auch spaltbares Material wie das Plutonium-­
6 × 10 Atome Isotop 239Pu, das als sog. Transuran zu instabil ist, um
N0 = × 200 g × 1, 3 × 1012
12 g auf der Erde noch natürlich vorzukommen. Alle heu-
tigen Reaktoren nutzen die Spaltung schwerer Kerne
= 1, 3 × 1013 Atome 14
6 C. zur Gewinnung nutzbarer Energie.
Die Sonne macht es anders: Sie betreibt Kernver-
Die Aktivität damals war: schmelzung am unteren Ende des Periodensystems; sie
„verbrennt“ Wasserstoff nuklear zu Helium. Auch da-
ln 2 1
A0 = l × N 0 = × N 0 = 1, 6 × 109 = 50s -1. bei wird Energie frei, im Vergleich zur eingesetzten
T1/ 2 a Masse sogar sehr viel. Des Menschen Bemühen, es der
Sonne gleichzutun, hat schon früh zur Wasserstoff-
Nach der gesuchten Zeit sind nur noch 15 bombe geführt, aber erst in Ansätzen zu nützlichem
Gebrauch bei der Energieversorgung.
Zerfälle pro Sekunde und entsprechend
weniger 146 C - Atome übrig geblieben. Es
ist also: Kernreaktoren brauchen nur einen Teil der
freigesetzten Neutronen für ihre Kettenreak-
15s -1 æ ln 2 × t ö tion. Der Rest lässt sich grundsätzlich nutz-
= 0, 3 = e - lt = exp ç ÷Þ bringend verwenden: Nahezu jede Substanz,
50s -1 è T1/ 2 ø
in einen Strom langsamer Neutronen gehal-
8 t=-
ln 0, 3
× T1/ 2 = 9950Jahre. ten, wird radioaktiv. Sie bildet durch Neut-
ln 2
roneneinfang neue Kerne, die in der Natur
nicht mehr vorkommen, weil sie, wenn es sie
je gab, längst zerfallen sind. Silber bildet
z. B. unter Neutroneneinfang gleich zwei β−
8.2.7  ernspaltung und künstli-
K -aktive Isotope, die wieder zum Element Sil-
che Radioaktivität ber gehören, weil ein Neutron mehr im Kern
ja die Atomnummer nicht ändert.
Kernreaktor
Einige besonders schwere Nuklide sind nicht nur ra-
>>Merke
dioaktiv, sondern auch noch spaltbar. Statt ein α- oder
β-Teilchen zu emittieren, teilt sich ein solcher schwerer Künstliche Radioaktivität:
Kern hin und wieder in zwei mittelschwere. Weil die Durch Neutroneneinfang geht ein stabi-
stabile Rinne gekrümmt ist (. Abb. 8.9), bleiben da- les Nuklid in ein meist radioaktives Iso-
bei ein paar Neutronen übrig. top über.
Diese überzähligen Neutronen sind technisch in-
teressant. Die Kernspaltung muss nämlich nicht spon-
tan erfolgen, sie lässt sich auch provozieren, und zwar 77Diagnostik mit Tracern
gerade durch Neutronen. Damit wird eine Kettenreak-
tion zumindest grundsätzlich möglich: Die bei einer
Künstlich radioaktive Chemikalien erlauben
Spaltung freigesetzten Neutronen lösen neue Spaltun- es, komplizierte Reaktionen wie etwa die des
gen aus. Wenn das in unkontrollierter Lawine ge- organischen Stoffwechsels zu verfolgen. Che-
schieht, explodiert eine Atombombe. misch verhält sich ja ein aktiviertes Atom bis
So ganz leicht ist die Kettenreaktion allerdings zu seinem Zerfall nicht anders als ein stabiles
nicht zu erreichen:
55Die Spaltung liefert energiereiche, „schnelle“ Neut-
vom gleichen Element; durch seine Strahlung
ronen, braucht aber zur Auslösung langsame, „ther- verrät es aber als radioaktiver Tracer, wohin
mische“ Neutronen. es während seiner Lebensdauer durch den
55Das spaltbare Isotop 235U ist in Natururan nur zu Stoffwechsel gebracht wurde. Spritzt man
0,7 % vorhanden. etwa einem Kaninchen radioaktives Jod in
55Natururan enthält aber 238U, das besonders gern
Neutronen einfängt, ohne sich zu spalten. Um Uran
den Oberschenkel, kann man mit einem
bombenfähig zu machen, muss man deshalb das Iso- Zählrohr die Aktivität nahe der Einstichstelle
top 235U hochgradig anreichern – das ist sehr teuer. leicht nachweisen. Wenig später hat sie aber
8.2 · Aufbau des Atomkerns
371 8
der Blutkreislauf gleichmäßig über das ganze
Tier verteilt, es strahlt von Kopf bis Schwanz.
Wieder einige Zeit später findet sich die Akti-
vität bevorzugt in der Schilddrüse, denn die-
ses Organ hat eine Vorliebe für Jod. 9

8.2.8 Antimaterie !

Im Gegensatz zu Luft und Wasser, Kohle


und Eisen gehören die Positronen, die proto-
nenreiche Kerne emittieren, nicht zur Mate-
rie, sondern zur Antimaterie. Zu jeder Art
materieller Teilchen gibt es grundsätzlich
auch Antiteilchen, zum Proton das Antipro-
ton, zum Neutron das Antineutron und zum
Elektron das „Antielektron“, eben das Posi-
tron. Die beiden Massen sind jeweils gleich.
Sobald ein Teilchen auf sein Antiteilchen
trifft, zerstrahlen beide: Sie setzen ihre gemein-
same Masse in Quantenenergie um. Die elekt-
rische Ladung macht keine Probleme; Teil-
chen und Antiteilchen tragen, wenn sie schon
geladen sind, entgegengesetzte Ladungen.
Denkbar sind sogar Atome aus Antimaterie,
denn physikalisch ist es egal, ob sich ein positi- ..      Abb. 8.20 Nebelkammeraufnahme einer Paarbil-
dung. Elektron und Positron verlassen eine Bleiplatte
ver Kern mit Elektronen umgibt oder ein ne- auf im Magnetfeld entgegengesetzt gekrümmten Bah-
gativer mit Positronen. Man kann also einer nen. Das γ-Quant, das sie erzeugt hat, hinterlässt keine
fernen Galaxie nicht ansehen, ob sie mögli- Spur (Bildrechte: Fowler und Lauritsen)
cherweise aus Antimaterie besteht. Nur darf
sie sich dann der Milchstraße nicht zu stark Bahnen gleicher Ionisationsdichte ausge-
annähern. In einer Welt aus Materie kann sich löst, eben die Bahnen eines Elektrons und
Antimaterie nicht lange halten. Positronen le- eines Positrons.
ben in Wasser allenfalls eine Nanosekunde, in
Metallen nicht einmal das, in gutem Vakuum 77Den Metastasen auf der Spur
aber so viel länger, dass man mit ihnen experi- Alle Kernprozesse müssen nicht nur auf den
mentieren kann. Gleiches gilt für Materie in Energiesatz achten, sondern auch auf die
einer Welt aus Antimaterie. Erhaltung von Impuls und Drehimpuls. Die
Auch der Umkehrprozess zur Zerstrah- Paarbildung braucht dafür einen schweren
lung, die Erzeugung von Materie aus Quan- Kern, im Beispiel des Nebelkammerbildes
tenenergie, kommt vor. Man nennt sie Paar- Blei; bei der Positronenvernichtung entstehen
bildung, denn wegen der Ladungsbilanz zwei Quanten, die diametral, mit entgegen-
muss immer gleich ein Elektron-­ Positron-­ gesetzten Impulsen also, auseinanderfliegen.
Paar entstehen. . Abb. 8.20 zeigt ein ent- Beide besitzen genügend Energie, um
sprechendes Nebelkammerbild: Das Quant leicht aus dem Menschen herauszukommen.
ist von unten gekommen und hat in einer Gerade diese beiden diametral auseinander
Bleiplatte (horizontaler heller Balken) zwei fliegenden Quanten machen Positronenstrah-
im Magnetfeld entgegengesetzt gekrümmte ler als radioaktive Tracer medizinisch interes-
372 Kapitel 8 · Atom- und Kernphysik

sant. Legt man einen Patienten, der diese Po-


Massenzahl A A: Anzahl der Nukleonen im
sitronenstrahler im Körper hat, in eine Röhre Kern
mit vielen ringförmig angeordneten Quan-
tendetektoren, so werden, wenn ein Tracer Ordnungszahl Z: Anzahl der Protonen im
Z Kern oder der Elektronen in
zerfällt und das entstehende Positron gleich (Kernla- der Hülle
wieder vernichtet wird, zwei einander gegen- dungszahl)
überliegende Detektoren genau gleichzeitig
Neutronen- N = A–Z: Anzahl der
ansprechen (Koinzidenzmessung). Der Tra- anzahl N Neutronen im Kern
cer muss genau auf der Verbindungslinie zwi-
schen den beiden Detektoren gewesen sein. Isotope Atome mit gleicher
Ordnungs-, aber verschiede-
Mit dieser Ortsinformation kann man Tomo- ner Massenzahl
gramme mit einer leidlichen Ortsauflösung
Schreibung, 4 He: oben: Massenzahl;
von etwa 5 mm berechnen. Die Schnittbilder 2
z. B. Helium unten: Ordnungszahl
zeigen dann die Konzentrationsverteilung des
Tracers. Diese Positronenemissionstomografie
(PET) ist noch aufwendiger als die Kernspin-
tomografie (7 Abschn. 8.2.1) und die Rönt-
zz Radioaktivität
Wenn ein Atomkern zerfällt, sendet er Teil-
8 gentomografie (7 Abschn. 7.5.6), vor allem
chen aus und ändert ggf. die Kernladungs-
deshalb, weil die als Positronenstrahler ver-
wendeten Isotope Halbwertszeiten von Mi- zahl Z, die Neutronenzahl N und die
nuten bis Stunden haben und vor Ort in ei- Massenzahl A. Es ist nicht möglich vorher-
nem Beschleuniger erzeugt werden müssen. zusagen, wann ein bestimmter instabiler
Das ist so teuer, das die Methode fast nur zu Atomkern zerfallen wird. Man kann nur
Forschungszwecken in der Krebsdiagnose eine mittlere Lebensdauer τ für eine be-
eingesetzt wird. Da die Positronenstrahler stimmte Kernsorte angeben.
aber in alle möglichen Moleküle, Proteine
und sogar Medikamente eingebaut werden Aktivität Zerfälle pro [Bq, Bequerel]
können, ist die Sache auch sehr universell. Sekunde
Für die Krebsdiagnose baut man Fluor-­18-­
Zerfalls- N(t) = N: Anzahl
Isotope als Positronenstrahler in Zuckermo-
gesetz N0 · e(−t/τ) radioaktiver
leküle ein. Da die Zellen in Krebstumoren Atome
schnell wachsen und viel Zucker verbrau- N0: Anfangszahl
chen, reichern sich die Fluorisotope in den t: Zeit [s]
Tumoren und Metastasen an und machen sie τ: Zeitkonstante
[s]
im Tomogramm sichtbar. 9
Halb- T½ = τ ·ln 2 T1/2: Zeit, in der
wertszeit die Hälfte der
8.3 In Kürze Atome zerfällt [s]

zz Atom
Ein Atom hat eine Hülle aus Elektronen und zz Radioaktive Strahlung
einen Kern aus Protonen und Neutronen. Zerfallsart Emittiert ΔZ ΔN ΔA
Die Hülle bestimmt die Größe des Atoms wird
und seine chemischen Eigenschaften, der
4
Kern die Masse und die Stabilität. Die Zahl α 2 He −2 −2 −4
der Elektronen und Protonen ist gleich und β− Elektron +1 −1 0
heißt Kernladungszahl. Sie bestimmt das
β+ Positron −1 +1 0
chemische Element.
8.4 · Fragen und Übungen
373 8

Zerfallsart Emittiert ΔZ ΔN ΔA 8.4.2 Übungsaufgaben


wird
(⧫ leicht; ⧫⧫ mittel; ⧫⧫⧫ schwer)
K-­Einfang – −1 +1 0
8.1 ⧫ Der Kern des Sauerstoffatoms ent-
γ Quant 0 0 0 hält acht Protonen und acht Neutronen.
Wie lautet die symbolische Schreibweise?
8.2 ⧫ Wie viele Elektronen hat 108
47 Ag in
zz Antimaterie seiner Schale?
Treffen ein Positron und ein Elektron zusam- 8.3 ⧫ Woraus besteht α-Strahlung?
men, setzen sie ihre gemeinsame Masse in 8.4 ⧫⧫ In welche Nuklide kann das Bi-­
Energie in Form zweier diametral auseinander- 214 in der Zerfallsreihe des Radium-226
laufender γ-Quanten um (Paarvernichtung). übergehen und durch welchen Zerfall?
8.5 ⧫⧫ Natürliches Silber besteht aus den
Isotopen Ag-107 und Ag-109. Welche radio-
8.4 Fragen und Übungen aktiven Nuklide entstehen bei Neutronen-
aktivierung?
8.4.1 Verständnisfragen 8.6 ⧫ Welche Teilchen entstehen bei der
sog. Paarbildung?
8.1 Warum sind die in Periodentafeln ange- 8.7 ⧫ Die Aktivität einer Probe beträgt
gebenen Massenzahlen vieler Elemente 100 Bq und eine Stunde später nur noch
nicht ganzzahlig? 50 Bq. Wie groß ist sie nach 2 Stunden?
8.2 Eine radioaktive Substanz hat eine 8.8 ⧫. Wie lange (Angabe in Halbwerts-
Halbwertszeit von einem Monat. Ist sie nach zeiten) muss man warten, bis die Aktivität
2 Monaten verschwunden? Oder wie viel einer radioaktiven Probe auf 1 % ihres Aus-
bleibt übrig? gangswertes abgesunken ist?
8.3 Kann man mit der C-14-Methode 8.9 ⧫ Warum lässt sich mittels Positro-
zur Altersbestimmung das Alter von Steinen nenemissionstomografie der Ort eines Paar-
bestimmen? zerfalls so gut feststellen?
375 9

Ionisierende Strahlung
Inhaltsverzeichnis

9.1 Dosimetrie – 376


9.1.1 E nergie- und Äquivalentdosis !! – 376
9.1.2 Ionendosis – 377
9.1.3 Aktivität und Dosis !! – 378

9.2 Strahlennutzen, Strahlenschaden – 378


9.2.1  adioaktive Tracer – 378
R
9.2.2 Strahlentherapie – 380
9.2.3 Natürliche Exposition – 381
9.2.4 Zivilisationsbedingte Exposition – 382
9.2.5 Strahlenschutz – 383

9.3 In Kürze – 384

9.4 Übungen – 385


9.4.1 Übungsaufgaben – 385

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_9
376 Kapitel 9 · Ionisierende Strahlung

Ionisierende Strahlung überträgt im Ele- α-Teilchen sind wegen ihrer hohen Ioni-
mentarprozess der Absorption relativ viel sationsdichte (kurze, kräftige Spuren in der
Energie auf ein einzelnes Molekül. Man Nebelkammer) biologisch wirksamer als
spricht darum von „energiereicher Strah- schnelle Elektronen; sie haben eine andere
lung“, die deshalb aber noch keine „inten- Strahlenqualität. Man berücksichtigt dies
sive Strahlung“ sein muss. Sie kann kompli- durch einen Strahlungs-Wichtungsfaktor wR
zierte Großmoleküle zerreißen und so in und definiert die
wichtige Funktionen des lebenden Organis-
mus störend eingreifen. Im Laufe der Evolu- Äquivalentdosis H = wR · D
tion konnten nur Organismen überleben, die
der Exposition durch natürliche ionisierende mit der Einheit Sievert = Sv. Weil wR eine
Strahlung standhielten. dimensionslose Zahl ist, entspricht auch das
Sievert einem J/kg. Der hundertste Teil wird
jetzt Rem genannt und rem „abgekürzt“:
9.1 Dosimetrie
1Sv = 100 rem = 1J / kg.
9.1.1 Energie- und
Äquivalentdosis !! >>Merke
Dosisdefinitionen:
Keiner der fünf Sinne spricht auf Röntgen-
9 und radioaktive Strahlen an. Das macht 55 Energiedosis D =
E
die ionisierende Strahlung vielen Menschen m
unheimlich und rückt sie in die Nähe ande- 55 Einheiten Gray = Gy = 100 Rad
rer geheimnisvoller „Strahlen“, die man- = 100 rd (= J/kg)
gels Existenz von den Sinnesorganen gar 55 Äquivalentdosis H = wR ⋅ D
nicht wahrgenommen werden können. Die 55 Einheiten Sievert = Sv = 100
biologischen Wirkungen der ionisierenden Rem = 100 rem
Strahlen haben hingegen einen handfesten 55 Strahlenqualität: Strahlungs-Wich-
Grund: Sie beruhen auf der von der Strah- tungsfaktor wR (dimensionslos)
lung auf den Absorber übertragenen Ener- 55 Schnelle Elektronen: wR = 1
gie. Darum macht man diese Energie denn 55 Schnelle Ionen: wR = 20
auch zur Grundlage der Dosimetrie.
Es leuchtet ein, dass ein Elefant mehr ver- Auch die Zeit, in der eine bestimmte Dosis
tragen kann als eine Mücke. Dementsprechend appliziert wird, spielt für die biologische
bezieht man die absorbierte Energie E auf die Wirkung eine Rolle. Ganz grob darf man sa-
Masse m des Absorbers und definiert so die gen: je kürzer, desto wirksamer. Es geht also
nicht nur um die Dosen D und H, sondern
E auch um die
Energiedosis D = Dosisleistung ΔD/Δt und ΔH/Δt
m
mit den Einheiten Gy/s und Sv/s, die
mit der Einheit Gray = Gy = J/kg. Ihr hun- beide W/kg bedeuten.
dertster Teil wird Rad genannt und mit rd
abgekürzt: >>Merke
Dosisleistung:
1Gy = 100 rd = 1J / kg. 55 Energiedosisleistung, Einheit Gy/s,
55 Äquivalentdosisleistung, Einheit Sv/s.
Man darf das Rad = rd nicht mit der Einheit
des ebenen Winkels (Radiant = rad) ver- Energie, die nicht absorbiert wird, hat auch
wechseln. keine Wirkung. Die extrem harte Höhen-
9.1 · Dosimetrie
377 9
strahlung aus dem Weltraum braucht der
Mensch nicht zu fürchten: Was davon auf
der Erdoberfläche noch ankommt, durch-
dringt auch ein paar Zentimeter Gewebe
ohne nennenswerte Absorption. Aber auch
Strahlen geringer Reichweite sind insofern
relativ harmlos, weil man sich leicht vor ih-
nen schützen kann. Bei α-Teilchen genügt
schon eine Pappschachtel. Nur sollte man
einen α-Strahler weder durch Atmung (In-
halation) noch mit der Nahrung (Ingestion)
in seinen Körper bringen.

9.1.2 Ionendosis

Die Energiedosis, so wichtig und einleuch- ..      Abb. 9.1 Umrechnungsfaktor f zwischen Ionendo-
tend sie ist, hat einen schwerwiegenden sis in Luft und Energiedosis in menschlichem Kno-
Nachteil: Sie lässt sich nicht unmittelbar chen-, Muskel-und Fettgewebe für Quantenenergien
messen. 40 Gray, einem Menschen am gan- von 10 keV bis 10 MeV
zen Körper rasch und gleichmäßig appliziert,
sind allemal tödlich; aufheizen würden sie Er beträgt etwa 1,0 rd/R, und zwar für
ihr Opfer aber lediglich um 10 mK („ein Quantenenergien von 10 keV bis 10 MeV. Im
Hundertstelgrad“). Von der Wärmeentwick- Bereich der Röntgendiagnostik unter
lung geht die Wirkung ionisierender Strah- 100 keV bekommen Knochen mehr Energie-
lung nicht aus. Auch für eine praktische Do- dosis ab als andere Gewebe (. Abb. 9.1) –
simetrie ist sie zu gering. Darum hält man eben dadurch entsteht der Kontrast im
sich lieber an die markante Eigenschaft der Röntgenbild.
Strahlung, die Ionisation, und misst sie dort,
wo das am leichtesten geht: in Luft. Dort
>>Merke
trennt man die gebildeten Ionenpaare durch
Ionendosis I = Q/m,
ein hinreichend hohes elektrisches Feld, zieht
sie aus einem definierten Volumen mit der C A ×s
Einheiten: 1 =1 , gemessen in Luft.
Luftmasse m heraus, bestimmt die Ladung Q kg kg
der Ionen eines Vorzeichens und misst so die
Dosismessung
zz Ionendosis
Mögliche Instrumente der Dosimetrie sind demnach
I = Q / m; Einheit 1 C / kg = 1 A·s / kg. Ionisationskammern; sie werden von der Industrie in
vielfältigen Formen für vielfältige Zwecke angeboten.
Eine alte Einheit ist das Röntgen = Soweit sie als Eichinstrumente der Reproduktion von
Dosiseinheiten dienen, ist bei ihrer Konstruktion vor
allem auf zwei Punkte zu achten:
· -4 C / kg
R = 2, 5810 55 Das wirksame Messvolumen muss genau be-
kannt sein. Das erfordert eine dicke Bleiblende
Medizinisch wichtig ist der Umrechnungs- zur Festlegung des wirksamen Bündelquer-
faktor: schnitts sowie eine Messelektrode definierter
Länge. Nahe ihren Enden sorgen zwei Hilfselek-
troden für ein unverzerrtes Feld, ohne die von
EnergiedosisimGewebe
f = . ihnen aufgesammelten Ionen zur Messung abzu-
Ionendosis inderLuft liefern (. Abb. 9.2).
378 Kapitel 9 · Ionisierende Strahlung

unbedenklich halten als der Säugling, der


sich ausschließlich von Milch ernährt. Wei-
terhin kann es zunächst nur eine Beziehung
zwischen Aktivität und Dosisleistung geben.
Man braucht zusätzliche Kenntnisse über
die Dauer der Bestrahlung: Wie lange lebt
der Strahler (physikalische Halbwertszeit),
wie lange bleibt er im Körper, bis er ausge-
schieden wird (biologische Halbwertszeit)?
Man muss unterscheiden zwischen
Ganzkörperdosis und Organdosis (die
..      Abb. 9.2 „Fasskammer“ zur Dosimetrie. Rotes Schilddrüse sammelt Jod), zwischen Klein-
Raster: Messvolumen kind und Erwachsenem (der Übergang ist
fließend). Letzten Endes kann der Dosisfak-
55 Nur solche Ionen dürfen ins Messvolumen gelan- tor D/A nur abgeschätzt werden. Das ge-
gen, die durch die unmittelbare Wirkung der schieht konservativ, nämlich so, dass die
Strahlung in der Kammerluft entstanden sind, Realität vermutlich harmloser ist als die
nicht aber von Blenden usw. Alle bestrahlten Me- Schätzung – was wiederum Ängste bei dem
tallteile müssen deshalb so weit vom Messvolu-
men entfernt sein, dass sich die von ihnen ausge-
auslösen kann, der die Schätzung als Reali-
tät nimmt.
9 henden Fotoelektronen und Streustrahlen nicht
störend bemerkbar machen. Von Dosisschätzungen hat man wenig,
wenn man die biologischen Folgen nicht
kennt. Das ist ein vielschichtiges Problem,
9.1.3 Aktivität und Dosis !! aber keines der Physik. Darum sollen an die-
ser Stelle zwei Angaben genügen:
Die Aktivität eines radioaktiven Präparats 55 Die natürliche spezifische Aktivität des
lässt sich mit Zählrohren relativ leicht mes- Menschen liegt bei etwa 70 Bq/kg, ent-
sen. Über potenzielle Strahlenwirkungen sprechend 5000 Bq pro Person (Kali-
sagt sie freilich nichts aus, denn sie bezieht um-­40, Kohlenstoff-14, Radium-226).
sich auf den Strahler; die Wirkung hängt da- 55 Bei rascher homogener Ganzkörperbe-
gegen von der Dosis ab und die bezieht sich strahlung gelten 4 Sv als Letaldosis, als
auf den Strahlungsempfänger, den Absor- „LD50“ – ein gesunder Erwachsener
ber, den Menschen. Wenn Mensch und überlebt sie mit 50 %iger Wahrschein-
Strahlenquelle nicht zusammenkommen, lichkeit.
führt auch die größte Aktivität zu keiner
Dosis (z. B. Sonne).
Trotzdem möchte man umrechnen, denn 9.2 Strahlennutzen,
wer z. B. Grenzwerte für Nahrungsmittel Strahlenschaden
festlegen will, kann dies nur für die allein
messbaren Aktivitäten (Einheit Bq) und spe- Siehe auch 7 Abschn. 7.5.6 zur Röntgendi-
zifischen Aktivitäten (Einheit Bq/kg) tun agnostik.
und muss von ihnen auf mögliche Strahlen-
wirkungen schließen. Einfach ist das nicht
und schon deswegen unsicher, weil man 9.2.1 Radioaktive Tracer
dazu Kenntnisse über die Essgewohnheiten
braucht. Wer sich als Erwachsener täglich Chemisch unterscheiden sich die verschiede-
nur ein paar Tropfen Milch in den Kaffee nen Isotope eines Elements nicht voneinan-
gießt, kann eine höhere Kontamination für der, biochemisch also auch nicht. Ob sie sta-
9.2 · Strahlennutzen, Strahlenschaden
379 9
bil sind oder radioaktiv, am Stoffwechsel des 1960er-Jahre hat man mit oberirdischen
Menschen nehmen sie in der gleichen Weise Kernwaffentests beträchtliche Mengen Cäsi-
teil (bis zum Zerfall, versteht sich; danach um-­137 in der Erdatmosphäre verstreut und
sind sie ja in neue Elemente übergegangen). über die ganze Welt verteilt. Die Substanz-
Man kann demnach die Wege des Stoff- mengen reichten, um z. B. in Deutschland
wechsels mit einem Zählrohr verfolgen, das Nuklid auch im Menschen nachzuwei-
wenn man den stabilen Nukliden einer inte- sen. Es hat eine physikalische Halbwertszeit
ressanten Substanz instabile zumischt; letz- von 32 Jahren und eine biologische von ca.
tere werden radioaktive Tracer genannt. 100 Tagen. Aus den Menschen war es aber
Zu den Konsequenzen des Stoffwechsels erst ein paar Jahre nach dem zwischen den
gehört die Ausscheidung. Normalerweise Großmächten vereinbarten Teststopp wie-
erfolgt sie exponentiell, d. h. mit einer „bio- der verschwunden. Warum?
logischen“ Halbwertszeit Tb. Zusätzlich ver- In diesem Fall wird die zeitbestimmende
schwinden Tracerkerne durch radioaktiven Größe von den Wurzeln der Gräser gelie-
Zerfall, also mit der „physikalischen“ Halb- fert. Das Cs wird zunächst vom Regen aus
wertszeit T½. Vom Zählrohr beobachten der Atmosphäre ausgewaschen und in den
lässt sich nur die aus beiden resultierende Boden eingetragen, von den Wurzeln der
effektive Halbwertszeit Te, mit der die Akti- Weidepflanzen aufgenommen, von den Kü-
vität des Patienten insgesamt abklingt. Die hen gefressen und an die Milch weitergege-
Kehrwerte der beiden vorgegebenen Halb- ben. Schließlich kommt es in Butter und
wertszeiten addieren sich zum Kehrwert der Käse auf den Esstisch. Der Pfad ist unter-
effektiven Halbwertszeit: brochen, wenn späterer, nichtkontaminier-
ter Regen das Cs so tief in den Boden ge-
1 1 1 spült hat, dass die Wurzeln der Gräser nicht
= + .
Te T1/ 2 Tb mehr herankommen. 1986 hat die Reaktor-
katastrophe von Tschernobyl wieder Cs-­
137 in die Atmosphäre gebracht, diesmal im
Herleitung Vergleich zu den Kernwaffentests relativ we-
Die drei Halbwertszeiten T½, Tb und Te sind proporti- nig und regional begrenzt. In den alten deut-
onal zu den Kehrwerten der zugehörigen Zerfallskon- schen Bundesländern wurde der Fallout ge-
stanten λ, λb und λe. Ohne biologischen Abbau nähme nau gemessen und dokumentiert. Er lag, mit
die der Aktivität proportionale Anzahl N der aktiven
Kerne im Blut von ihrem Ausgangswert N∗ ab nach
regionalen Unterschieden, in der gleichen
der Gleichung Größenordnung wie in den 1960er-Jahren.
N ( t ) = N * × e - l ×t . Radiojod wird nicht nur diagnostisch,
sondern auch zur Therapie der Schilddrü-
Ohne den radioaktiven Zerfall sorgte der biologische
Abbau für eine Abnahme von N∗ nach:
senüberfunktion eingesetzt. Dann ist die
biologische Strahlenwirkung gesuchte Ei-
N * ( t ) = N 0 × e - lb ×t . genschaft und nicht mehr unangenehme
Beide Prozesse zusammen liefern: Beigabe. Dadurch ändern sich die Anforde-
rungen, die man an das Isotop stellt. Bei der
N ( t ) = N 0 × e(
- l ×t - lb ×t )
= N 0 × e - le ×t .
Diagnostik sollen die Strahlen außerhalb
Daraus folgt über des Körpers nachgewiesen werden, sie müs-
le = lb + l sen also den Patienten verlassen. Das tun
nur Quanten. Am besten wären also reine
das erwartete Ergebnis. γ-­Strahler; es gibt sie, denn K-Einfang und
„isomere Umwandlung“ aus einem ange-
Im radioaktiven Alltag kann die Situation regten Zustand des Kerns setzen keine Teil-
noch komplizierter werden. Anfang der chen frei. Weiterhin wäre es für den Patien-
380 Kapitel 9 · Ionisierende Strahlung

ten am besten, wenn die Aktivität nach versuchen, den Tumor aus verschiedenen
Abschluss der Beobachtung abrupt abbrä- Richtungen zu bestrahlen, sodass sich bei
che. Das erlaubt die e-Funktion nicht; sie ihm alle Dosen kumulieren und das vor und
kann ­allenfalls eine kurze Halbwertszeit in hinter ihm liegende Gewebe immer nur eine
der Größenordnung Stunde liefern. Aller- Teildosis abbekommt.
dings erschwert das die Handhabung: Für Dies lässt sich mit einer einzigen Strah-
den Transport des Präparats vom Hersteller lungsquelle erreichen, die man nach vorge-
zum Patienten stehen auch nur wenige gebenem Bestrahlungsplan um den Patien-
Stunden zur Verfügung. Demgegenüber ten herumschwenkt. Diesen Plan zu erstellen
wünscht die Therapie vor allem eine Kon- erfordert nicht nur Sachkenntnis, sondern
zentration der Strahlenwirkung auf das be- auch Fingerspitzengefühl. Ohne Computer
troffene Organ; hier sind die kurzen Reich- geht es sowieso nicht. In den Rechner müs-
weiten der α- und β-Strahlen interessant sen zunächst die Körperform des Patienten
und die Quanten lästige Beigabe. Die Halb- und die genaue Lage des Tumors eingegeben
wertszeit darf gern etliche Tage oder auch werden, ferner Schwächungs- und Streuko-
Wochen betragen. effizienten der verwendeten Strahlung, Öff-
nungswinkel des Strahlenbündels und die
genaue Lage der Quelle. Wenn man dann
Rechenbeispiel 9.1: Strahlender einen Bestrahlungsplan eingibt, errechnet
Patient der Computer die Verteilung der Dosisleis-
9 Aufgabe. Einem Patienten wird ein Prä- tung im Patienten. Anhand der Ergebnisse
parat mit dem Isotop 59Fe (physikalische muss man den Bestrahlungsplan dann durch
Halbwertszeit T1/2 ≈ 46 d) in die Vene ge- kluge Änderungen und Neuberechnung
spritzt. Nach 3 Tagen ist die Aktivität schrittweise zu optimieren. Das kann even-
des Patienten auf 50 % abgefallen. Wie tuell auch der Rechner tun.
groß sind biologische und effektive Bei Bestrahlung von außen wird
Halbwertszeit? γ-Strahlung aus Geräten verwendet, die im
Lösung. Die effektive Halbwertszeit Prinzip wie eine Röntgenröhre funktionie-
beträgt 3 Tage und die physikalische ren. Da man oft sehr hochenergetische
46 Tage. Also ist die biologische Halb- Strahlung verwenden möchte, reicht eine
wertszeit: normale Röntgenröhre aber nicht. Die Elek-
æ1
-1 tronen werden erst in einem Beschleuniger
1 ö
Tb = ç - ÷ = 3, 21Tage. mit hohen Spannungen (üblich sind 0,6–
è Te T1/ 2 ø 23 Mio. Volt) beschleunigt, bevor sie die
Zum Glück funktioniert hier die Verdau- Anode treffen.
ung besser als die Physik. In manchen Fällen (Lunge, Magen-­
Darm-­Trakt) kann der Tumor von innen zu-
gänglich sein, etwa über eine Körperöffnung
oder operativ. Dann kann man ein radioak-
9.2.2 Strahlentherapie tives Präparat in die Nähe des Tumors brin-
gen und ihn so bestrahlen.
An die Strahlentherapie mit energiereicher Eine neue vielversprechende Strahlen-
Strahlung möchte man Forderungen stellen, art sind hochenergetische ionisierte Atome
die sie nicht erfüllen kann: Bösartigem Ge- (z. B. Kohlenstoffionen). Diese haben die
webe soll sie eine tödliche Dosis applizieren freundliche Eigenschaft, fast ihre ganze
und das gesunde Gewebe drumherum unbe- Energie in einer bestimmten Eindringtiefe
helligt lassen. Tatsächlich kann man nur abzuliefern, die von der Ionenenergie ab-
9.2 · Strahlennutzen, Strahlenschaden
381 9
hängt, also steuerbar ist. Darüberliegendes nem Anteil von nur etwa 0,001 % in allem
Gewebe wird dabei weitgehend geschont. Kalium der Welt enthalten, also auch in den
Der technische Aufwand (ein Ionenbe- rund 140 g im Körper des erwachsenen
schleuniger) ist gewaltig und gewaltig Menschen (70 kg); Kalium ist kein Spuren-
teuer. In Heidelberg wurde ein solcher Be- element. Wegen der extrem langen Halb-
schleuniger nur für medizinische Zwecke wertszeit (1,25 · 109 Jahre) liefern die 1,4 mg
gebaut und behandelt etwa 750 Patienten 40K eine konstante Dosisleistung von unge-

pro Jahr. fähr 0,17 mSv/Jahr. Zusammen mit anderen


Die Möglichkeiten sind aber begrenzt. Nukliden wie Kohlenstoff-14 und der Aller-
Oft muss man zufrieden sein, wenn wichtige, weltssubstanz Radium-226 bringt es die
aber unbeteiligte Organe nur 10 % von der menschliche Eigenstrahlung auf etwa
Dosis im Tumor abbekommen. Die notwen- 0,3 mSv/Jahr.
digen Dosen sind hoch, sie betragen leicht
einige Sievert, selbst wenn der Tumor nicht kHöhenstrahlung
abgetötet, sondern nur in seinem Wachstum Ihre Dosisleistung ist vor allem davon ab-
gehemmt werden soll. hängig, wie viel Erdatmosphäre man noch
über sich hat – dazu aber auch von der geo-
grafischen Breite des Aufenthaltsorts und
ein wenig sogar von der Fleckenaktivität
9.2.3 Natürliche Exposition der Sonne. Beträgt auf Meereshöhe in Mit-
teleuropa etwa 0,3 mSv/Jahr; in 12 km
Auch wenn am Anfang der Welt niemand
Höhe im Flugzeug sind es bereits über
dabei war: Nach allem, was man heute weiß,
15 mSv/a, gut 30 μSv pro Atlantiküberque-
ist es plausibel anzunehmen, dass die ioni-
rung.
sierende Strahlung von Anfang an dabei
war, lange bevor Sonne, Mond und Erde kBodenstrahlung
entstanden. Als sich später auf der Erde Le-
Sie hängt in hohem Maße von den örtlichen
ben entwickelte, fand es die Strahlung be-
Gegebenheiten ab und kann sich schon
reits vor und musste damit fertig werden.
über wenige Meter merklich ändern, in
Kein Zweifel, es ist damit fertig geworden.
Wohnungen auch von Zimmer zu Zimmer.
Es geht nicht um die Strahlung an sich, es
In Deutschland schwanken die über grö-
geht um die Strahlendosis.
ßere Flächen gemittelten Messwerte zwi-
Bei der natürlichen Exposition lassen
schen 0,25 und 1,5 mSv/Jahr (Durchschnitt
sich drei Anteile unterscheiden:
ca. 0,4 mSv/Jahr). Anderswo kommen in
55 Höhenstrahlung: Kommt aus dem Welt-
bewohnten Gegenden auch mehr als
raum und hat die Atmosphäre der Erde
10 mSv/Jahr vor, zuweilen sogar mehr als
durchdrungen.
100 mSv/Jahr. Dies gilt im Freien. In Woh-
55 Bodenstrahlung (besser: Umgebungs-
nungen ist die Dosisleistung höher, weil das
strahlung): Inklusive der Strahlung aus
Baumaterial radioaktive Beimengungen
Häuserwänden.
enthält. Allgemein muss man mit einem
55 Eigenstrahlung: Von naturgemäß im
Zuschlag von 20–40 % zur Strahlung im
Körper vorhandenen radioaktiven Ato-
Freien rechnen.
men.
Eine Sonderrolle spielt das Edelgas Ra-
don-­222, der erste Folgekern in der Zerfalls-
kEigenstrahlung reihe des Radium-226 (. Abb. 8.11). Spu-
Einen wesentlichen Beitrag hierzu liefert das renweise ist Radium auch in Häuserwänden
bereits erwähnte Kalium-40. Es ist mit ei- enthalten. Dort bildet sich also Radon, das
382 Kapitel 9 · Ionisierende Strahlung

mit 3,8 Tagen Halbwertszeit ausreichend 9.2.4 Zivilisationsbedingte


Gelegenheit hat, heraus- und in die Zimmer- Exposition
luft zu diffundieren. Aktive Atome, die vom
Menschen ein- und wieder ausgeatmet wer- Die einzige Sparte menschlicher Tätigkeit,
den, schaden nichts; Atome aber, die in der die professionell Äquivalentdosen in ver-
Lunge zerfallen, gehören nicht mehr zum gleichbarem Umfang wie die Natur an die
Edelgas, bleiben in der Lunge sitzen und Bevölkerung verteilt, ist die Medizin und
spulen dort den Rest der Zerfallsreihe bis hier speziell die Röntgendiagnostik. Das
zum Blei ab. Es hängt von den persönlichen mag überraschen, weil die Expositionszei-
Lebensgewohnheiten ab, welchen Anteil sei- ten bei Röntgenaufnahmen allenfalls nach
nes Lebens man im Freien bzw. in Häusern Sekunden bemessen werden, die natürliche
verbringt. Man schätzt sparsam, wenn man Bestrahlung hingegen Tag und Nacht an-
für die Umgebungsstrahlung 0,5 mSv/Jahr dauert. Röntgenröhren sind aber nun ein-
ansetzt. mal unglaublich intensive Quellen ionisie-
Zählt man alles zusammen, so landet render Strahlung. Das Millisievert, für das
man in Deutschland bei einer natürlichen die Natur rund ein Jahr braucht, liefert sie
Strahlenexposition von 1,1 mSv/Jahr im leicht im zehnmillionsten Teil dieser Zeit,
Schnitt. Örtlich werden aber 2 mSv/Jahr in einer Sekunde (1 Jahr = 3,16 · 107 s), ab.
deutlich überschritten. Dort, wo die Erde Generell ist je nach Organ mit Dosen zwi-
Uran enthält, muss man, auch wenn es nicht
9 abbauwürdig ist, mit weit mehr rechnen. Im
schen 0,1 und 10 mSv pro Aufnahme zu
rechnen.
Laufe seines Lebens sammelt ein Mitteleu- So ganz gering sind die diagnostischen
ropäer also allemal 100 mSv Ganzkörperbe- Dosen also nicht. Allerdings handelt es sich
strahlung auf. Die Natur hält soliden Ab- um Organdosen und nicht, wie bei der na-
stand von den ungefähr 4 Sv der Letaldosis. türlichen Exposition um Ganzkörperdosen.
Zudem bezieht sich die Letaldosis auf eine Will man vergleichen, braucht man Zahlen-
kurzzeitige Exposition, während sich die werte für den Risikoanteil des einzelnen
Dosis der Umweltstrahlung auf ein ganzes Körperteils am ganzen Körper. Es kann
Leben verteilt und darum vermutlich weni- sich nur um grobe Schätzwerte handeln.
ger wirksam ist. Der Verlust einer Hand ist nicht tödlich; die
Genau lässt sich die Wirkung solcher Gonadendosis betrifft erst die nächste Ge-
Kleindosisstrahlung auf den Menschen nicht neration. Zur Umrechnung von Organdosis
feststellen. Dazu müsste man Versuchsper- auf Ganzkörperäquivalent benutzt man die
sonen jahrzehntelang hinter Beton und Blei Wichtungsfaktoren der . Tab. 9.1.
von der Umgebungsstrahlung abschirmen. Wenn man jetzt alle in einem Jahr in
Die einfachste Annahme postuliert einen li- Deutschland diagnostisch applizierten Or-
nearen Zusammenhang zwischen Dosis und gandosen abschätzt, auf Ganzkörperäqui-
Wirkung unabhängig von der Zeit, als sei valent umrechnet, zusammenzählt und
der Organismus grundsätzlich nicht in der durch die Bevölkerungszahl teilt, kommt
Lage, auch den geringsten Strahlenschaden man in die Nähe von 0,5 mSv, freilich mit
zu reparieren. Daraus folgt die Aussage: gut und gerne ±50 % Unsicherheit. So sehr
„Jede noch so kleine Dosis schadet, alle gut werden diagnostische Dosen nicht do-
Schäden akkumulieren sich.“ Dies ist eine kumentiert, zudem verteilen sie sich extrem
sog. konservative Annahme, kein empiri- inhomogen auf die Bevölkerung. Seit die
scher Befund. Röntgenreihenuntersuchung zur Früherken-
9.2 · Strahlennutzen, Strahlenschaden
383 9
für andere Anwendungen radioaktiver
..      Tab. 9.1 Wichtungsfaktoren fur das
Ganzkorperaquivalent
Stoffe und ionisierender Strahlen in For-
schung, Technik und Haushalt. Damit be-
Organ Wichtungsfaktor kommt man als Summe der zivilisationsbe-
dingten Strahlenexposition in Deutschland
Brust 15 % ca. 0,6 mSv/Jahr heraus.
Rotes Knochenmark 12 %
Lunge 12 %
9.2.5 Strahlenschutz
Schilddruse 3%
Knochenoberflache 3% Es hat keinen Sinn, im Zelt zu überwintern,
Restkorper insgesamt 30 % um der Strahlung der Zimmerwände zu ent-
gehen, wenn man sich dabei eine Lungen-
Genetisches Risiko der 25 %
Gonadendosis
entzündung holt. Auch beim Strahlenschutz
geht es um das Abschätzen von Risiken.
Dies vermag der Einzelne freilich nicht im-
mer für sich allein und in freier Entschei-
nung der Lungentuberkulose nicht mehr dung zu tun, weil er sich regionalen und vor
Pflicht ist, braucht sich so mancher jahre- allem weltweiten Expositionen ja nicht ent-
lang keiner Durchleuchtung zu unterziehen. ziehen kann. Regional sind die Regierungen
Andere bekommen dafür umso mehr ab. gefordert, international müssen Abkommen
Immerhin ist festzuhalten: Die medizinische getroffen werden.
Röntgendiagnostik belastet den Mitteleuro- Eine Richtschnur kann die natürliche
päer im Mittel seines Lebens mit ungefähr Exposition liefern, der sich ja niemand ent-
0,5 mSv/Jahr. ziehen kann, und die sicher nicht lebensge-
Die Strahlentherapie setzt im Einzelfall fährlich ist. Wenn man sie mit den runden
weit höhere Dosen ein als die Diagnostik; Werten von 1 mSv/Jahr und 100 mSv für ein
schließlich will sie wucherndes Gewebe ab- volles Menschenleben ansetzt, hat man ge-
töten oder doch zumindest am Wachstum wiss nicht zu hoch gegriffen. Das Doppelte
hindern. Dass sie dazu mit Millisievert nicht und Dreifache kommt in der Natur ebenfalls
auskommt, sondern ganze Sievert braucht, vor, auch mal das Hundertfache, und das al-
kann nicht verwundern. Für die mittlere les ohne erfassbare Gesundheitsschäden bei
Strahlenbelastung der Gesamtbevölkerung den Menschen, die dort wohnen.
spielt sie trotzdem keine große Rolle, weil Die deutsche Strahlenschutzverordnung
nur relativ wenige Einzelpersonen betroffen verlangt Aufmerksamkeit, sobald die Mög-
sind. Darum trägt sie schätzungsweise unter lichkeit besteht, dass jemand im Laufe eines
0,01 mSv/Jahr zur gesamten Strahlendosis Jahres mehr als 1,0 mSv ungewollt aus
bei. Den gleichen Schätzwert ordnet man künstlichen Strahlenquellen aufnimmt. Be-
der Nuklearmedizin zu. reiche, in denen dies geschehen kann, müs-
Ebenfalls maximal 0,01 mSv/Jahr wer- sen als „Strahlenschutzbereiche“ gekenn-
den für die Kernkraftwerke angesetzt (so- zeichnet sein (. Abb. 7.99). Wer dort
lange sie ordnungsgemäß arbeiten!), maxi- arbeitet, gilt als „Angehöriger strahlenexpo-
mal das Doppelte für den Fallout längst nierter Berufe“ und ist verpflichtet, seine
vergessener Kernwaffentests in der offenen Personendosis laufend zu kontrollieren, im
Atmosphäre und das Gleiche noch einmal Allgemeinen durch eine Plakette am Hemd,
384 Kapitel 9 · Ionisierende Strahlung

die einen strahlenempfindlichen Film ent- 55 Dosis reduzieren – d. h. nicht mehr ein-
hält. Dieser wird von einer staatlichen Stelle strahlen als für den medizinischen Zweck
in regelmäßigen Abständen ausgetauscht absolut unerlässlich ist.
und ausgewertet.
Wer im Laufe eines Jahres mehr als
50 mSv aufgenommen hat, muss seinen Ar- 9.3 In Kürze
beitsplatz wechseln. Dies muss auch, wer es
in 13 aufeinanderfolgenden Wochen als zz Dosis
Frau auf 15 mSv und als Mann auf 30 mSv Ionisierende Strahlung wirkt zerstörend auf
gebracht hat. Innerhalb dieser Grenzen für lebende Organismen. Als Maß für die Dosis
die Ganzkörperdosis dürfen den Extremitä- an Strahlung, die jemand abbekommen hat,
ten (Füße, Knöchel, Hände und Unterarme) dient zunächst die Energiedosis (absorbierte
höhere Teildosen zugemutet werden: maxi- Energie pro Masse, Einheit Gray 1 Gy = 1 J/
mal 0,75 Sv im Laufe eines Jahres und maxi- Kg). Da verschiedene Strahlen auch bei glei-
mal 0,40 Sv im Laufe eines Vierteljahres. cher Energiedosis verschieden stark schädi-
Wer, um Komplikationen zu vermeiden, die gen, gibt es Strahlungs-Wichtungsfaktoren,
Plakette nicht regelmäßig trägt, muss das mit denen man die Energiedosis multiplizie-
selbst verantworten. ren kann, um zur Äquivalenzdosis (Einheit:
Gegen unnötige Strahlenexpositionen in Sievert, Rem: 1 Sv = 100 rem) zu kommen,
der Medizin gibt es drei wirksame Maßnah- die direkter ein Maß für die mögliche Schä-
9 men zur Vorbeugung: digung gibt. Die Intensität einer Strahlungs-
55 Weggehen – das quadratische Abstands- quelle wird als Dosisleistung (Dosis pro
gesetz bietet immer noch den zuverläs- Zeit) angegeben. Die natürliche Strahlenbe-
sigsten Strahlenschutz. lastung beträgt ca. 1 mSv pro Jahr, der
55 Abschirmen – z. B. durch eine Blei- Grenzwert für berufliche Exposition 50 mSv
schürze. Die Bedienungspulte von Rönt- pro Jahr. Medizinische Diagnostik belastet
genanlagen befinden sich in einem strah- die Bevölkerung in Deutschland derzeit im
lendichten Nebenraum, dessen Tür Mittel mit 2 mSv pro Jahr. Die Dosis einer
während der Bestrahlung geschlossen Röntgenaufnahme kann einige Millisievert
sein muss. betragen.

Energiedosis W é J ù
D= D ê = Gy,Gray ú
m ë kg û
W: absorbierte Energie [J]
m: Masse des Absorbers [kg]
Äquivalenzdosis Bewertete Energiedosis: H [Sv, Sievert,
H = wR · D 1 Sv = 100 rem]
wR: Strahlungs-Wichtungsfaktor (abhängig Äquivalenzdosis: bewertete Energie-
von den Teilchen in der Strahlung) dosis D
9.4 · Übungen
385 9
zz Abschwächung abschirmen, z. B. mit einer Bleischürze. Im
Will man die Strahlenexposition verringern, Blei nimmt die Strahlungsintensität expo-
so kann man zum einen weggehen: Für nentiell ab. Die Abschirmwirkung kann des-
Punktquellen gilt das quadratische Ab- halb mit einer Halbwertsdicke (Dicke einer
standsgesetz (ein Viertel der Intensität bei Bleischürze, die die Intensität halbiert) be-
doppeltem Abstand). Außerdem kann man schrieben werden.

Im Vakuum bei Punktquellen gilt auch für radioak- 1 r: Abstand von der Punkt-
tive Strahlen das quadratische Abstandsgesetz D~ quelle [m]
r2

In absorbierendem Material (Blei, Beton) gilt d D0: Anfangsdosis [Gy]


-
exponentielle Abschwächung, charakterisiert durch D = D0 × e d1/ 2 d: Eindringtiefe [m]
eine Halbwertsdicke d1/2: Halbwertsdicke [m]

9.4 Übungen ropäer durch die natürliche Umgebungs-


strahlung ungefähr ausgesetzt?
9.4.1 Übungsaufgaben 9.3 ⧫ Welcher mittleren Äquivalentdosis-
leistung darf sich ein Mensch höchstens
(⧫ leicht; ⧫⧫ mittel; ⧫⧫⧫ schwer) aussetzen, wenn er im Laufe seines Lebens
9.1 ⧫ Wie ist die Energiedosis definiert? nicht mehr als 1 % der Letaldosis aufneh-
9.2 ⧫ Welcher mittleren Äquivalentdosis- men will?
leistung ist der durchschnittliche Mitteleu-
387 10

Antworten und Lösungen


Inhaltsverzeichnis

10.1 7 Kap. 1 – 388

10.2 7 Kap. 2 – 389

10.3 7 Kap. 3 – 391

10.4 7 Kap. 4 – 393

10.5 7 Kap. 5 – 394

10.6 7 Kap. 6 – 396

10.7 7 Kap. 7 – 401

10.8 7 Kap. 8 – 403

10.9 7 Kap. 9 – 403

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6_10
388 Kapitel 10 · Antworten und Lösungen


10.1 7 Kap. 1 M 46 g / mol
mM = =
N A 6, 02 ×1023 mol
zz Antworten auf Verständnisfragen
= 7, 64 ×10-23 g.
1.1 Es ist die Standardabweichung des
Mittelwertes, denn der Mittelwert 1.5 Die Molmasse von Wasser ist:
wird ja als beste Schätzung des wahren M(H2O) = (2 + 16) g/mol = 18 g/mol.
Wertes genommen. Andererseits ist die Dichte von Wasser
1.2 Die relative Unsicherheit ändert sich ρ = 1 g/cm3. Also nimmt 1 Mol Wasser
nicht, da die absolute Unsicherheit 18 cm3 ein.
auch durch 3 zu teilen ist. 1.6 Die an den Rüben haftende Erde verur­
1.3 Eine Richtung haben Kraft und sacht einen Fehler, der näherungsweise
Geschwindigkeit, also sind sie proportional zum Gesamtgewicht sein
Vektoren. Auch die Bewertung einer dürfte und darum am besten als rela­
Fernsehsendung kann als Vektor ge­ tiver Fehler angegeben wird. Bei einer
schrieben werden: Soundso viele geben Messwiederholung verrät er sich nicht
die Note 1, soundso viele die Note 2 und ⇒ systematischer Fehler.
so weiter. Das sind die Koordinaten. 1.7 In die Flächenberechnung geht der
1.4 Charakteristisch für die Exponen­ Radius quadratisch ein. Deswegen ist
tialfunktion ist, dass sie in gleichen nach Regel 2 der Fehlerfortpflanzung
Zeiträumen immer um den gleichen zwei Mal die Unsicherheit des Radius
Faktor sinkt. Wenn der Wert also in Δt anzusetzen: relative Unsicherheit der
auf ein Drittel sinkt, so sinkt er im dar­ Fläche: 1 %
10 auf folgenden Zeitraum Δt noch einmal 1.8 Leistung ist Strom mal Spannung; Die
auf ein Drittel, also insgesamt auf ein relativen Unsicherheiten sind zu multi­
Neuntel oder um acht Neuntel. plizieren. Also: 10 % (Strom) plus 5 %
(Spannung) macht 15 %.
zz Lösungen der Übungsaufgaben 1.9 Die Dauer des Vorgangs ist t2 – t1.
1.1 1a = 365 d = 365 · 24 · 60 min Hier addieren sich die absoluten
= 525.600 min; Unsicherheiten. Die Dauer ist also auf
1 Mikrojahrhundert = 100 · μa 2 Zehntelsekunden genau bekannt.
= 10−4 a ≈ 53 min. 1.10 Vektorprodukt: Vektoren parallel:
1.2 r = d/2 = 10 cm; sin 0°= 0.
Halbkugel:V = 1/2 ⋅ 4/3π ⋅ r3 ≈ Skalarprodukt: Vektoren senkrecht:
2000 cm3 = 2 Liter. cos 90°= 0.
1.3 Oberfläche eines Zylindermantels: 1.11 Exponentielles Wachstum bringt in
AM = 2π ⋅ r ⋅ h; gleichen Zeitspannen gleiche Faktoren.
Oberfläche einer Endscheibe: Ak = πr2; Die Weltbevölkerung wuchs in den
Gesamte Oberfläche: ersten 50 Jahren um den Faktor
Ag = AM + 2 ⋅ Ak = 2π ⋅ r(h + r). 1,61/1,17 = 1,38, in den zweiten 50
1.4 Die Molmassen M sind gemäß Jahren um 2,50/1,61 = 1,55, also schnel­
Serviceteil: ler als nur exponentiell.
M(H) = 1 g/mol; M(H2) = 2 g/mol 1.12 Ja. In einfach logarithmischer Darstell­
⇒ 3,5 mol H2 = 7 g ung fällt die Zahl der Tropfen längs
M(C) = 12 g/mol; M(O) = 16 g/mol einer Geraden ab, und zwar um den
M(C2H5OH) = (24 + 6 + 16) g/ Faktor Z = 100 in t = 50 s.
mol = 46 g/mol
Für die Masse eines einzelnen lg 2
Halbwertszeit T1/ 2 = t × = 7, 5s.
Moleküls gilt dann: lg Z
10.2 · Kap. 2
389 10

10.2 7 Kap. 2 zz Lösungen der Übungsaufgaben
2.1 1m / s
v ( t ) = v0 - a × t Þ t = = 1s.
zz Antworten auf Verständnisfragen 1m / s 2
2.1 MomentaneundmittlereGeschwindigkeit
2.2 Zunächst sollte man die Geschw­
sind gleich für eine Bewegung mit kon­
indigkeit in Meter pro Sekunde um­
stanter Geschwindigkeit, im Weg-Zeit-
rechnen, um dann die Beschleunigung
Diagramm eine Gerade.
in Meter pro Sekunde zum Quadrat
2.2 Nein. Wenn ein Auto um die Kurve
ausrechnen zu können. Dazu muss
fährt, ändert es ständig die Richtung
man die Maßzahl durch 3,6 teilen:
seiner Geschwindigkeit und ist deshalb
beschleunigt. Ohne Reibungskraft 100 m m
kommt es nicht um die Kurve. v= = 27, 8 .
3, 6 s s
2.3 Die Geschwindigkeit ist null, die
Beschleunigung gleich der Fallbes­ Die Beschleunigung ist dann:
chleunigung.
2.4 Die senkrechte Geschwindigkeits­ 27, 8 m / s m
a= = 4, 63 2 ,
komponente ist bei Stein und Ball 6s s
gleich, aber der Ball hat noch eine ho­ also knapp halb so groß wie die
rizontale Geschwindigkeit, ist also in Fallbeschleunigung.
der Vektorsumme schneller.
g
2.5 Ein Körper ist dann in Ruhe, wenn 2.3 s = t 2 = 19, 62 m.
die Vektorsumme aller Kräfte und 2
Drehmomente auf ihn null ist. Es müs­ 2.4 50 km/h = 13, 89 m/s = g ⋅ t ⇒ Fallzeit
sen nicht alle Kräfte null sein. t = 1,42 s;
2.6 Nein, denn der Stiel hat den längeren
Hebelarm. Das Bürstenteil hat den g 2
Höhe h = t = 9, 83m .
kürzeren und muss schwerer sein. 2
2.7 Um das Gleichgewicht halten zu kön­ Das entspricht etwa einem Fall aus
nen, muss der Schwerpunkt in etwa dem 3. Stock.
über den Füßen sein. 2.5 Fallhöhe Δh = 1,5 m; Bremsweg
2.8 Die Abbremsung kann nicht stärker Δs = 0,005 m.
sein, als es die Reibungskraft zulässt. Die Fallzeit sei Δt. Die maximale
Versucht man mehr, blockieren die Geschwindigkeit bei konstanter
Räder und rutschen. Dann kann man Beschleunigung:
nicht mehr steuern, denn dazu muss die v2 = g2 ⋅ Δt2 = g2 ⋅ 2 ⋅ Δh/g = 2g ⋅ Δh
Reibung senkrecht zur Fahrtrichtung = 2a ⋅ Δs
größer sein als in Fahrtrichtung.
2.9 Beim Anfahren braucht man die Kraft a Dh
zum Beschleunigen, bei konstanter ⇒ = = 300;
g Ds
Geschwindigkeit muss nur noch die
Reibung kompensiert werden. Die Beschleunigung des Schädels ist
2.10 Zwei mal Pi durch 60 Sekunden macht gewaltig: a = 300 ⋅ g!
etwa 0,105 s−1. 2.6 Er muss senkrecht herübersteuern
2.11 Nein, nicht bei konstanter Winkelges­ und sich abtreiben lassen. Dann ist die
chwindigkeit. Geschwindigkeitskomponente quer
zum Fluss maximal.
390 Kapitel 10 · Antworten und Lösungen

2.7 Für die Zuggeschwindigkeit v gilt: 2.13 Das schwere Kind setzt sich etwa auf
den halben Abstand wie das leichte,
v
tan 60° = , also damit in etwa Gleichgewicht herrscht
8m / s (Hebelgesetz).
v = 13,9 = 50 km/h. 2.14 Arbeit: ΔW = m ⋅ g ⋅ 16 ⋅ 0, 17 m = 1, 87 kJ;
Leistung P = 500 W = 0,5 kJ/s;
2.8 Die Fallzeit t1 aus 1,5 m Höhe ist: Δt = ΔW/p = 3, 8   s.
2.15 Das hängt von Ihrer Masse (sagen wir
g 2 70 kg) und der Höhe des Stockwerks (sa­
1, 5 m = t1 ⇒ t1 = 0,55 s.
2 gen wir 3 m) abW = m ⋅ g ⋅ h ≈ 2100   J.
Das ist gerade die halbe Sprungzeit, m
2.16 Q = v 2 = 0, 5 J.
den Aufsteigen und Fallen im Sprung 2
sind symmetrisch. 2 · t1 ist die gesamte 2.17 Die kinetische Energie von Jane wird
Sprungzeit, in der das Känguru 6 m vollständig in potenzielle Energie um­
weit kommt. Damit ist die gewandelt:
Horizontalgeschwindigkeit:
m 2 v2
v = m× g ×h Þ h = = 1, 6 m.
6m 2 2g
v0 x = = 5, 45 m / s.
2 × t1 Das funktioniert immer, solange die
Liane nicht kürzer als 0,8 m ist.
2.9 „70 Kilo“ bedeutet: m = 70 kg; 2.18 Es ist egal, denn in beiden Fällen
FG = m ⋅ g = 686, 7 N. bleibt das Auto stehen und die ganze
10 2.10 Im Buchdruck beträgt die Höhe h der kinetische Energie muss umgesetzt
Stufe etwa 11 mm (Gegenkathete) werden.
und der Abstand s zwischen den 2.19 Unmittelbar nach dem Stoß bewegen sich
Auflagepunkten der Bohle 43 mm beide Autos mit halber Geschwindigkeit
(Hypotenuse). weiter (doppelte Masse), also mit der hal­
F1 h ben kinetischen Energie. Nur die Hälfte
= sin a = = 0, 26. der kinetischen Energie des auffahrenden
FG s
Autos wird umgewandelt.
Da beide Autos stehen bleiben, geht
Die Krafteinsparung beträgt also 74 %. die ganze Energie ins Blech.
2.11 a) F = 1 1 F1 = 1, 25 × F1 . 2.20 Ist die Beschleunigung linear, so re­
4 agiert die Balkenwaage gar nicht, da die
b) Weniger stark, denn wenn zwei Trägheitskräfte gleicher Massen immer
Vektoren nicht parallel liegen, ist gleich sind. Rotiert das Bezugssystem,
der Betrag des Summenvektors klei­ so hängen die Trägheitskräfte auch
ner als die Summe der Beträge der von der Lage ab und Waage wird wahr­
einzelnen Vektoren. scheinlich reagieren.
2.12 Die Waage zeigt eine höhere als ihre 2.21 Die Armbanduhr schwenkt immer
tatsächliche Masse an, da die nach un­ in Richtung der Resultierenden aus
ten gerichtete Bewegung ihres Körpers Fallbeschleunigung und Flugzeug­
abgebremst werden muss und die da­ beschleunigung aF, also:
für notwendige Kraft zusätzlich zur
aF
Gewichtskraft von der Personenwaage tan 25° = Þ aF = 4, 57 m / s 2
aufzubringen ist. g
10.3 · Kap. 3
391 10

Startgeschwindigkeit der Tiefe schneller, also muss der


Strömungsquerschnitt abnehmen.
v = aF ×18s = 82, 3m / s = 300 km / h. 3.9 Bernoulli-Effekt: In bewegter Luft
2.22 Umlaufzeit T = 1 a = 3, 154 ⋅ 107 s herrscht Unterdruck, also entsteht eine
Bahnradius r = 1,49 · 1011 m. Druckdifferenz längs des Schornsteins.
Umlauffrequenz f = 1/T = 3,17 · 10−8 s−1;
Kreisfrequenz ω = 2π · f = 1,99 · zz Lösungen der Übungsaufgaben
10−7 s−1; 3.1 Die Zugspannung ist 107 N/m2.
Bahngeschwindigkeit
3.2 E = SteigungderHooke¢schen Geraden
v = 2π ⋅ r ⋅ f = 29, 7 km/s = 107.000 km/h.
2.23 az = ω2 ⋅ r, die Beschleunigung vervier­ 7, 5 ×107 N / m 2
= = 7, 5 ×1010 N / m 2 ,
facht sich also. 1 ×10 -3

denn die Gerade geht z. B. durch den



10.3 7 Kap. 3 Punkt mit
σ = 7, 5 ⋅ 107N/m2 und Δl/l = 10–3.
zz Antworten auf Verständnisfragen 3.3 Zugkraft F:
F 0, 003m
3.1 Das ist wie beim T-Träger: Dort, wo 2
= 2 ×1011 N / m 2 ×
beim Balkenbiegen die neutrale Faser p × ( 0,001m ) 1, 6 m
ist, braucht kein Material zu sein. Þ F = 1177 N.
Röhren sind sehr stabil bei geringem
3.4 Druck p = F/A; F = 15 N.
Materialaufkommen.
3.2 Das Gewicht der Luft ist Druck mal
DV 1ml
Fläche: 100.000 N/m2 entspricht Fläche A = = = 6, 67 ×10-5 m 2 .
1000 N pro 100 cm2. Ds 15 mm
3.3 Ja, denn die Dichte des Wassers steigt p = 2, 25 · 105 Pa.
fast nicht mit der Tiefe. 3.5 Zum Luftdruck kommt noch etwa 1/10
3.4 Tatsächlich ist in beiden Gläsern gleich Luftdruck hinzu: 1,1 · 105 Pa.
viel Wasser. Das Eis schaut nur über 3.6 Auftriebskraft = Schwerkraft:
die Oberfläche, weil seine Dichte klei­ Vunter ⋅ 1025 kg/m3 ⋅ g = Vgessm ⋅ 917 kg/
ner als die von Wasser ist. m3 ⋅ g.
3.5 Nein. Scheinbare Gewichtskraft und Also verhält sich der Volumenteil unter
Auftriebskraft nehmen in gleicher Wasser zum Gesamtvolumen wie die
Weise zu, beide sind proportional zur Dichte des Eises zur Dichte des Wassers:
Fallbeschleunigung g. Vunter
3.6 Kleine Seifenblasen haben einen = 0, 895.
Vgesamt
höheren Innendruck aufgrund der
Oberflächenspannung. Deshalb re­ Also ist ein Anteil von 0,105 oder
agieren sie weniger auf variierende 10,5 % über Wasser.
Druckkräfte von außen. 3.7 Die normale Gewichtskraft FG auf den
3.7 Dann ist der Behälter schwerelos und Granitstein ist:
es kommt kein Wasser mehr aus dem FG = V × 2700 kg / m3 × g = 3kg × g
Loch.
= 29, 4 N Þ V = 1111cm3 .
3.8 Wegen der Kontinuitätsgleichung:
Das Wasser fällt mit zunehmen­ Die Auftriebskraft FA für den Granits­
tein im beschleunigten Eimer:
392 Kapitel 10 · Antworten und Lösungen

FA = V ⋅ 1000 kg/m³ ⋅ (g + 3, 5 ⋅ g) = 49 N.
Sie ist also höher als die normale
Gewichtskraft. Schwimmen wird der
Stein trotzdem nicht, denn er muss ja
auch nach oben beschleunigt werden
und hat eine entsprechend größere
scheinbare Gewichtskraft.
3.8 Oberflächenspannung
..      Abb. 10.1 Zu Aufgabe 3.14
Fs F - m× g
s= =
2 × 2p × r 2p × d
( 53 - 30 ) mN 3.13 Die vom Herz zu erbringende Leistung
= = 7, 3 ×10-2 N / m. ist:
2p × 0, 05 m Volumenarbeit p × dV
P= =
Das dieser berechnete Wert dem Zeit dt
Tabellenwert für destilliertes Wasser = p × Volumenstrom I .
entspricht, ist eher Zufall. Eigentlich
muss noch berücksichtigt werden, Der Volumenstrom ist I = 61/ min
dass auch ein Wassermeniskus geho­ = 10−4m3/s.
ben wird, dessen Gewichtskraft her­ Einsetzen liefert: P = 1,73 Pa · m3/s =
auszukorrigieren wäre. Andererseits 1,73 Watt. Das ist so viel, wie ein
wurde die Messung mit normalem Taschenlampenbirnchen verbraucht.
10 Leitungswasser gemacht, das aufgrund 3.14 . Abb. 10.1.
von Verunreinigungen eine deutlich 3.15 Der Volumenstrom I = A ⋅ v muss in
verminderte Oberflächenspannung der Düse der gleiche sein wie im Rohr.
hat. Beide Effekte haben sich in Deshalb verhalten sich die Geschwindig­
. Abb. 3.30 ungefähr kompensiert. keiten zueinander ­umgekehr­t wie die
3.9 Sechsmal der Fußumfang ist: Querschnittsflächen, hier wie 100:1. Die
s = 6 ⋅ 2π ⋅ 3 ⋅ 10−5m = 1, 1 ⋅ 10−3m. Geschwindigkeit in der Düse ist also
Diese Zahl multipliziert mit der 65 m/s. Da wir Reibungsfreiheit ange­
Oberflächenspannung ergibt die nommen haben, muss die Pumpe nur die
Tragfähigkeit: Beschleunigungsarbeit liefern:
F = 1, 1 ⋅ 10−3m ⋅ 70 mN/m = 7, 7 ⋅ 10−5N. I ⋅ Δp = I ⋅ (1/2ρ ⋅ (65 m/s)2 − 1/2ρ
Das reicht nicht annähernd, um die ⋅ (6, 5 m/s)2).
Gewichtskraft von etwa 0,16 N zu tra­ Anders gesagt: Die Pumpe muss den
gen. Das Insekt ist zu fett. Atmosphärendruck plus die Differenz
3.10 Volumenstromstärke durch Druckdiff­ im Staudruck liefern:
erenz. æ ( 65m / s )2 ö
p = 105 Pa + 1 / 2 r ç
3.11 Um den Faktor 24 = 16. ç -(0,65 m / s) ÷÷
2
3.12 Wenn das Rohr die Querschnittfläche è ø
A hat, resultiert eine Kraft ΔF = A ⋅ Δp » 105 Pa + 1 / 2 ×1000 kg /
2
auf das Flüssigkeitsvolumen im Rohr. m3 × ( 65 m / s )
Mechanische Leistung erhalten wir, wenn
wir diese Kraft mit der Geschwindigkeit = 2, 2 ×106 Pa.
v = I/A der Flüssigkeit multiplizieren: Das ist etwa der 20-fache Atmosphä­
P = v ⋅ ΔF = v ⋅ A ⋅ Δp = I ⋅ Δp. rendruck.
10.4 · Kap. 4
393 10

10.4 7 Kap. 4 Die Geschwindigkeit:

v ( t = 0 ) = A0 × w × cos (p / 4 )
zz Antworten auf Verständnisfragen
4.1 Bei maximaler Auslenkung ruht die 2p
= A0 × × cos (p / 4 ) = 5, 55cm / s.
Masse und ist maximal beschleunigt. T
Geschwindigkeit und Beschleunigung Maximale Beschleunigung:
sind nur bei stehendem Pendel gleich­
zeitig null. amax = A0 ⋅ ω2 = 12, 3cm/s2.
4.2 Auslenkung und Beschleunigung ha­
ben immer entgegengesetzte Richtung,
denn das gilt auch für Auslenkung und T2
4.2 T = 2 s (!) ; l = g × = 0, 99 m.
Federkraft. Sonst sind auch gleiche
( 2p )2
Richtungen möglich.
4.3 Die Summe steigt: Die potenzielle
Energie der Schwerkraft sinkt linear D
mit der Auslenkung, die der Feder aber 4.3 2p × 4 Hz =
steigt quadratisch mit der Auslenkung. 1, 5 ×10-4 kg
Deshalb muss ich Arbeit leisten, um Þ D = 0, 095 N / m.
die Feder nach unten zu ziehen.
4.4 Die Feder selbst und ihre Masse 1 D
schwingen mit, also sinkt die Frequenz. f2 = = 2, 2 Hz.
2p 0, 5g
4.5 Hinge die Schallgeschwindigkeit von
der Tonhöhe ab, so würde die Stimme
eines entfernten Rufers verzerrt klin­ 4.4 Die maximal auftretende Geschwindi­
gen. Das ist nicht der Fall. Allerdings gkeit ist v = A0 ⋅ ω. Die Schwingungs­
werden hohe Frequenzen stärker ge­ energie ist gleich der maximal auf­
dämpft, sodass ferne Geräusche etwas tretenden kinetischen Energie beim
tiefer klingen. Durchgang durch die Ruhelage
4.6 Für eine Schwingung braucht es immer 2
und folglich proportional zu A0 .
eine Rückstellkraft. Gas entwickelt bei
Scherung aber keine. Zehnfache Energie bedeutet also 10
4.7 Weil die Intensität abnimmt. Die -fache Amplitude. Man kann genauso
Leistung der Quelle verteilt sich auf auch mit der maximalen potenziellen
eine immer größere Linie. In diesem Energie bei maximaler Dehnung der
zweidimensionalen Fall nimmt die Feder argumentieren.
Intensität mit 1/r ab und die Amplitude 4.5 c ≈ 1,5 km/s (siehe Serviceteil).
mit 1/ r . 1500 m / s
4.8 Auch für die Schwingung des Kaffees l =c/ f = = 1, 5 mm.
106 s -1
im Becher gibt es Resonanzfrequenzen.
Man müsste die Schwingung stär­ 4.6 Aufgrund der sehr unterschiedlichen
ker dämpfen. Wie wär’s mit einem Schallgeschwindigkeit in Wasser und
Schwamm im Becher? in Luft würde sonst schon ein gerin­
ger Luftzwischenraum zu starken
zz Lösungen der Übungsaufgaben Reflexionen des Ultraschalls führen.
4.1 Die Auslenkung bei t = 0: 4.7 Auch Licht ist eine Welle und es gilt
x(t = 0) = A0 ⋅ sin (π/4) = das quadratische Abstandsgesetz: Ver­
5 cm ⋅ 0, 707 = 3, 54 cm. doppelt sich der Abstand, sinkt die
Intensität auf ein Viertel: 0,25 W/m2.
394 Kapitel 10 · Antworten und Lösungen

4.8 Er hört die 65-fache Intensität; zu den 32 g). Da die Wassermoleküle die klei­
65 Phon addieren sich 10 ⋅ lg 65 = nere Masse haben, sinkt die Luftdichte
18, 1 dB; gibt zusammen 83,1 dB. mit steigender Feuchtigkeit.
4.9 0 dB bedeutet, dass der Pegel gleich ir­ 5.5 Das Meer hat eine hohe
gendeinem Referenzpegel ist. Addiere Wärmekapazität und ändert deshalb
ich den gleichen Pegel dazu, bekomme seine Temperatur nur langsam.
ich den doppelten Pegel und das ergibt 5.6 Besonders schnelle Wassermoleküle
10 ⋅ lg 2 = 3 dB: werden die Wasseroberfläche verlassen
0 dB + 0 dB = 3 dB. und in die Luft gehen. Von dort kön­
4.10 Es bildet sich eine stehende Welle in nen sie auch wieder zurückkehren. Es
Grundschwingung. Das heißt: Der stellt sich ein Fließgleichgewicht mit
Tassendurchmesser entspricht etwa dem für die Temperatur geltenden
der halben Wellenlänge: Dampfdruck in der Luft ein (100 %
l = 0,16 mund f = 1Hz Luftfeuchte).
Þ c = l × f = 0,16 m / s. 5.7 Ja. Man muss mit dem Luftdruck un­
ter den Dampfdruck von Wasser bei
4.11 Sie wollen die Tonhöhen um 2 Hz her­ Zimmertemperatur (2400 Pa).
auf bzw. herabsetzen: 5.8 Nein. Wenn Wasser kocht, hat es bei
v Normaldruck 100 °C, egal wie stark es
2 Hz = 442 Hz × Þ v = 1, 5 m / s.
330 m / s kocht.
5.9 An heißen Tagen gibt der Mensch über­
Sie müssen in Richtung des tieferen schüssige Wärme ab, indem er Schweiß
10 Tons gehen. verdampft. Bei 100 % Luftfeuchte geht
das nicht mehr.
5.10 Besser bei konstantem Volumen. Dann

10.5 7 Kap. 5 müssen Sie nur die innere Energie lie­
fern, bei konstantem Druck auch noch
zz Antworten auf Verständnisfragen die Volumenarbeit der Auslenkung.
5.1 Nach dem Gasgesetz ist das Volumen 5.11 Der Behälter mit weniger Wasser wird
umgekehrt proportional zum Druck. heißer. Da der Wärmeverlust proporti­
Ein weiteres Gewicht wird das Volumen onal mit der Temperaturdifferenz geht,
also nicht mehr so stark reduzieren. verliert er die Wärme aber schneller.
5.2 Der Druck sinkt, da weniger Kraft Diese gegenläufigen Effekte führen
nach außen wirkt. dazu, dass beide Behälter etwa gleich­
5.3 Da der Außendruck sinkt, dehnt sich zeitig Raumtemperatur erreichen.
der Ballon aus. Mit dem Druck sinkt 5.12 Besser gleich, denn dann sinkt die
die Dichte der Atmosphäre. Wenn die Temperatur gleich ein Stück und der
Dichte innen und außen etwa gleich Kaffee verliert die Wärme danach
ist, steigt der Ballon nicht mehr weiter. langsamer.
5.4 Da nach dem Gasgesetz die Zahl 5.13 Weil das Fell die Konvektion direkt am
der Teilchen in einem Volumen nur Körper verhindert und die Abstrahlung
vom Druck und der Temperatur ab­ reduziert, da die Felloberfläche nahe
hängt, verdrängen die Wassermoleküle der Umgebungstemperatur bleibt.
(Molmasse: 18 g) in feuchter Unsere Kleidung wirkt genauso.
Luft die sonst mehr vorhandenen 5.14 Weil die Strahlung von der Sonne das
Stickstoffmoleküle (Molmasse: 28 g) Thermometer sonst viel zu stark er­
und Sauerstoffmoleküle (Molmasse: wärmt.
10.5 · Kap. 5
395 10
zz Lösungen der Übungsaufgaben Sättigungsdampfdichte, also ist ihre
5.1 Umfang der Erde: 2π · 6,38 · 106 m = Temperatur höchstens 10 °C.
4,0 · 107 m. Verlängerung des 5.8 Nach dem idealen Gasgesetz ist der
Stahlbandes bei ΔT = 10 K: Druck proportional zur absoluten
Δl = αFe · ΔT · 4,0 · 107 m = 4800 m. Temperatur, steigt also bei uns um ca.
Das gibt eine Radiusänderung von 10 % auf 1,65 bar.
4800 m 5.9 p ⋅ V = n ⋅ R ⋅ T, also geht die absolute
Dr = = 764 m. Temperatur auf ¼ des ursprünglichen
2p
Wertes.
So hoch würde das Stahlband über der 5.10 p ⋅ V ist bei konstanter Temperatur
Erdoberfläche schweben. proportional zur Gasmenge, also sind
5.2 Die Temperatur ist proportional zur ki­ noch 100 % · 5 bar/28bar = 18 % in der
netischen Energie der Moleküle, also pro­ Flasche. Das entnommene Gas füllt
portional zum Geschwindigkeitsquadrat. ein Volumen von 50 l · 23 = 1150 l.
Doppelte Geschwindigkeit heißt 4-mal Ein Ballon hat ein Volumen von
höhere Temperatur (absolut). 0 °C ent­ 4/3π ⋅ r3 = 14, 11. Macht etwa
spricht 273 K. 80 Ballons.
4 · 273 K = 1092 K entspricht 819 °C. 5.11 Der Druck sinkt auf
5.3 Der Druck verdoppelt sich. Nach dem
280 K
Gasgesetz ist der Druck proportional p2 = ×1bar = 0, 9556 bar.
zur absoluten Temperatur und diese 293K
ist definitionsgemäß proportional
Der Differenzdruck zwischen innen
zur mittleren kinetischen Energie der
und außen ist dann: Δp = 4,4 · 103 Pa.
Schwerpunktbewegung der Atome.
Kraft auf die Tür F = Δp ⋅
5.4 Das Molvolumen ist 22,4 l. Ein Mol
0, 32 m2 = 1420 N. Da muss man sich
sind 6,02 · 1023 Moleküle.
Mittlere Molekulmasse
 : schon heftig stemmen. Bei konstantem
293K
1, 293g × 22, 4 Druck passt bei 7 °C = 1, 0464
m= 23
= 4, 81 ×10-23 g. 280 K
6, 02 ×10 -mal mehr Luft in den Schrank als bei
5.5 Bei 105 Pa gehen in 22,4 l ein Mol Gas. 20 °C. Die Volumendifferenz ist
In 1 cm3 gehen dann
ΔV = 0, 0464 ⋅ 155 l = 7, 2 l.
0, 0011 c ( H 2 O ) × 250 g × 30 K
× 6, 02 ×1023 = 2, 7 ×1019 Molekule
 .
22, 41 5.12 Dt = = 90s.
350 W
Ist der Druck 14 Größenordnungen 5.13 Es stellt sich eine Temperatur von 66,6 °C
kleiner, so ist es auch die Zahl der ein.
Moleküle: N/cm3 = 270.000. Immer
noch ganz schön viele! 2000 J J
5.14 Die Wärmekapazität ist: = 100 .
5.6 Aus 7 Abb. 5.18 kann man ablesen 20 K K
p ≈ 0,7 · 105 hPa. Das ist in etwa der 5.15 Das Bier muss auf 37 °C erwärmt wer­
Luftdruck auf einem 3000 m hohen den. Pro g benötigte Energie:
Berg. W = c(H2O) ⋅ 29 K ⋅ 1 g = 122 J.
5.7 Sättigungsdampfdruck bei 20 °C: Das sind etwa 6,5 % von 1880 J.
23,4 hPa; 52 % davon: 12,2 hPa. An 5.16 Leistung P0 = 1,6 W; Nutzeffekt
der Fensteroberfläche ist dies die η = 0,25;
396 Kapitel 10 · Antworten und Lösungen

benötigte Energiezufuhr: kW
P = P0/η = 6, 4 W. p × rE2 ×1
T = 4 m2
Heizwert Glukose HG = 17 kJ/g;
4p × rE × 5, 67 ×10-8 W / m 2 K 4
benötigter Massenstrom der Glukose:
Δm/Δt = P/HG = 0, 38 mg/s. = 4, 4092 ×109 K 4 .
Konzentration der Glukose im Blut: Wir bekommen: T = 258 K, dies ent­
c = 1 mg/ml = 1 mg/cm3; erforderlicher spricht −15 °C. Die tatsächliche durch­
Blutstrom: schnittliche Temperatur der Erdoberflä­
I = 0,38 cm3/s. che wird mit +5 °C angegeben. Für die
Membrandicke Δx = 0,01 cm; Abstrahlung ist aber zu berücksichtigen,
Konzentrationsgradient der Glukose: dass ein Teil der Erde immer mit viel käl­
c' = c/Δx = 100 mg/cm4. teren Wolken bedeckt ist, von denen ein
Diffusionskonstante der Glukose: Teil der Ausstrahlung ausgeht.
D ≈ 10−6 cm2/s;
Diffusionsstromdichte
mg 
10.6 7 Kap. 6
j = D × c¢ = 10-4 ;
cm 2 × s
benötigte Fläche: zz Antworten auf Verständnisfragen
Dm / Dt 6.1 Die Gravitationskraft ist zu schwach
A= = 4000 cm 2 = 0, 4 m 2 . und die meisten Objekte sind elekt­
j risch neutral, sodass auch keine elek­
5.17 Wassermoleküle treten in die trostatischen Kräfte wirken.
10 Salzlösung, um die Konzentration des 6.2 Im Feld der Ladung werden die
Salzes zu vermindern. Dort steigt also Papierschnitzel polarisiert und dann,
der Wasserspiegel. weil das Feld inhomogen ist, auch
5.18 Van’t-Hoff-Gleichung: angezogen. Springt bei Berührung
Δp = 0, 2 mol/1 ⋅ R ⋅ 293 K = 487 Pa. mit dem Kamm Ladung auf den
Beachte, die absolute Temperatur ist Papierschnitzel über, wird er gleich
einzusetzen! wieder abgestoßen.
5.19 Nach der van’t-Hoff-Gleichung ist der 6.3 Elektrische Feldlinien beschreiben die
osmotische Druck proportional zur resultierende Kraftwirkung auf eine
absoluten Temperatur, er verdoppelt Ladung. Die hat nur eine eindeutige
sich also gerade. Richtung.
5.20 Die von der Sonne zugeführte 6.4 Das Feld ist dort null, sonst kann das
Leistung berechnet sich mit der Potenzial nicht konstant sein.
Querschnittsfläche der Erde: 6.5 Die Ladungsbeträge sind immer gleich,
kW denn die Gesamtneutralität muss ge­
Pein = p × rE2 ×1 2 . wahrt bleiben. Batterien können keine
m
Überschussladung herbeizaubern.
Die durch Wärmestrahlung abgege­ 6.6 Ja, sie wird größer, denn es muss Arbeit
bene Leistung berechnet sich hingegen geleistet werden und der feldgefüllte
mit der gesamten Erdoberfläche: Raum nimmt zu.
6.7 Nein, denn nur hoher Strom ist gefähr­
Paus = 4p × rE2 × s × T 4 .
lich. Zur Rettung müssen Sie wieder ab­
springen und dürfen nicht gleichzeitig
Im Gleichgewicht ist Pein = Paus, also:
Leitung und etwas Geerdetes berühren.
10.6 · Kap. 6
397 10
6.8 Weil die Leitungselektronen nicht nur 6.3 Ein Jahr brennen lassen:
Strom, sondern auch Wärme transpor­ W = 365 · 24 h · 40 W = 350 kWh,
tieren. macht zirka 84 Euro.
6.9 Weil bei gleicher Potenzialdifferenz 6.4 Eine 100-W-Birne zieht 0,43 A. Also
zwischen den Drahtenden das den lassen sich mit 16 A 36 solche
Strom antreibende Feld im längeren Glühbirnen betreiben.
Draht kleiner ist.
6.10 Bei Parallelschaltung wird es heller, da 6.5 U S = 2 × 230 V = 325 V; w = 2p × 50 Hz
dann an beiden Glühbirnen eine hö­ = 314s -1.
here Spannung anliegt. Es sei denn, die 6.6 Obere Grenzkurve: R = 1,9 kΩ, also
Birnen brennen dann schon durch. I = U/R = 0,21 A.
6.11 An einer Stelle des Glühdrahtes, die Untere Grenzkurve: R = 0,75 Ω, also
zufällig etwas dünner ist, wird es be­ I = 0,53 A.
sonders heiß, da dort der Widerstand 6.7 Bei Reihenschaltung fließt durch beide
etwas höher ist, mehr Spannung ab­ Widerstände der gleiche Strom, am
fällt und mehr Leistung umgesetzt 2-Ω-Widerstand fällt aber die doppelte
wird. Durch die höhere Temperatur Spannung ab. Deshalb wird in ihm
steigt der Widerstand an dieser Stelle auch die doppelte Leistung umgesetzt.
und ein Teufelskreis beginnt, der den Bei Parallelschaltung liegt an beiden
Draht dort zum Schmelzen bringt. Widerständen die gleiche Spannung,
6.12 Es geht genauso viel Strom rein wie durch den 1-Ω-Widerstand fließt aber
raus: Strom verbraucht er nicht. Er der doppelte Strom, also setzt er auch
setzt elektrische Energie in Wärme die doppelte Leistung um.
um, eine Energieform mit niedrigerer 6.8 An jeder Birne liegt ein Achtel der
Entropie in eine Energieform mit hö­ Spannung: 28,75 V. Der Widerstand ist
herer Entropie um, die schlechter ge­ 28, 75 V
nutzt werden kann. R= = 72 W
0, 4 A
6.13 Eine Lorentz-Kraft wirkt ja nicht. Aber
wenn sich das Magnetfeld ändert, ent­ und die Leistungsaufnahme P = 28,75
steht durch Induktion ein elektrisches V · 0,4 A = 11,5 W.
Feld, das das Elektron in Bewegung 6.9 In der Reihenfolge der Schwierigkeit:
setzt.
6.14 Eisen wird im Magnetfeld des Schaltung Leitwert Widerstand Rang­
Magneten magnetisiert, also selbst platz
zu einem Magneten, automatisch
a) 4R 8
mit der zur Anziehung passenden
Polarität. Nur Magnete ziehen sich an. g) 4G ¼R 1
Schwächer geht es auch mit Kobalt. b) 2½ R 7
c) R 4
zz Lösungen der Übungsaufgaben
6.1 Alle gleiche Richtung: 18 V; eine in h) 2½ G 0,4 R 2
Gegenrichtung: 9 V; zwei in Gegen­ e) (1 + 1/3) 0,75 R 3
richtung: 0 V. G
P 125 W f) (1 + 1/3) R 5
6.2 Fernsehgerät: I = = = 0, 54 A.
U 230 V d) (1 + 1/3) R 6
Röntgenröhre:
P = 8 · 104 V · 5 · 10−3 A = 400 W.
398 Kapitel 10 · Antworten und Lösungen

6.10 Der Spannungsteiler ist genau in der


Mitte geteilt, liefert also 30 V.
Eine Parallelschaltung zweier 3-kΩ-
Widerstände liefert den halben
Widerstandswert: 1,5 kΩ. Dieser ist
mit 3 kΩ in Reihe geschaltet. Das lie­
fert die Spannung:
1, 5 k W
U= 60 V = 20 V.
3k W + 1, 5 k W
R2
6.11 R4 = R3 × = 4249 W.
R1
12 V - 10 V
6.12 Ri = = 0, 033W;
60 A
10 V
Anlasser : RA = = 0,166W. ..      Abb. 10.2 Zu Aufgabe 6.14
60 A
1 26 × e02
FC = × 2
6.13 Widerstand der Glühbirne: 4pe 0 r
U 2 144 V 2
( )
-19 2
RG = = = 2, 9 W. Vm 26 × 1,6 ×19 As
P 50 W 9
10 6.16 = 9, 0 ×10 ×
( )
2
As 1,5 ×10-12 m
Vorwiderstand RV:
RG 12 V = 2, 66 ×10-3 N.
= Þ RV = 23, 7 W.
RV 110 V - 12 V

me 2
Damit ergibt sich ein Strom 6.17 v = e0 × 2000 V Þ v = 2, 6 ×107 m / s.
2
110 V
I= = 4,1A Das ist immerhin ein Zehntel der
26, 6 W
Lichtgeschwindigkeit.
und eine Leistung im Vorwiderstand
6.18 Da C = Q/U für beliebige Ladungen
P = U ⋅ I = 98 V ⋅ 4, 1 A = 401 W.
und Spannungen gilt, gilt auch
Im Vorwiderstand wurde achtmal
so viel Leistung „verbraten“ wie DQ 15 m C
C= = = 0, 62 m F .
in der Glühbirne; eine beachtliche DU 24 V
Energieverschwendung.
6.19 Feld im Kondensator:
6.14 . Abb. 10.2
1 Q
E=
7 ×10-2 V V e0 A
6.15 E = = 1, 4 ×107 . Das ist grö­ V As
5 ×10-9 m m Þ Q = 3 ×106 × 8, 85 ×10-12 × 0, 005 m 2
ßer als die Durchschlagfeldstärke in m Vm
Luft! = 1, 33 ×10-7 As.
10.6 · Kap. 6
399 10
6.20 τ = R ⋅ C = 1 ms. r ( Cu )
6.21 Der doppelte Plattenabstand halbiert ne = × NA
M ( Cu )
die Kapazität, der Isolator erhöht sie
um den Faktor 4. Insgesamt verdop­ 8, 93g / cm3
= × 6, 02 ×1023 mol-1
pelt sich die Kapazität. 63, 54 g / mol
6.22 a) Die Ladung auf den Platten bleibt
gleich. Deshalb geht das Feld um = 8, 41 ×1022 cm -3 .
einen Faktor 2 herunter und damit
auch die Spannung. Die Kapazität 60 W
geht um einen Faktor 2 herauf. Der Strom ist I = = 0, 26 A
230 V
b) Die Spannung bleibt konstant und
also auch das Feld. Damit das Feld und die Stromdichte
I
konstant bleiben kann, muss die j = = 0, 35 A / mm 2 = 35 A / cm 2 .
Ladung einen Faktor 2 heraufge­ A
hen. Für die Kapazität gilt natür­ j
lich das Gleiche wie unter a). Also vd = e × n = 0, 0026 cm / s . Das
0 e
6.23 a) Doppelte Spannung bedeutet dop­ ist ganz schön langsam.
pelte Ladung und Feldstärke: dop­
pelte Energie. 6.26 M(H2O) = 18 g/mol; ρ(H2O) = 1000 g/l.
b) Doppelte Energie. Stoffmen­gendichte:
c) Doppelter Plattenabstand bedeutet
r
halbe Kapazität und bei gleicher cn ( H 2 O ) = = 55, 6 mol / 1 .
Spannung halbe Ladung: Energie M
halbiert. cn(H+) = xD ⋅ cn(H2O) = 1, 06 ⋅ 10−7mol/1.
6.24 Um das Wasser zu erhitzen brauchen Dies entspricht pH 7.
wir 6.27 Nur dimensionslose Zahlen können
logarithmiert werden; cn(H+) zunächst
W = m × c ( H 2 O ) × DT durch die Einheit teilen. Dann be­
deutet pH 2,5: lg(cn · l/mol) = −2,5;
J
= 2, 5 kg × 4, 2 ×103 × 75 K = 787 kJ. cn · l/mol = 10−2,5 = 3,16 · 10−3,also
kg × K cn(H+) = 3, 16 mmol/1.
6.28 mM(Ag) = F ⋅ Δm/ΔQ = 107, 87 g/mol.
Energie im Kondensator: M(Ag) = e0 ⋅ Δm/ΔQ = 1, 7911 ⋅
1 10 – 25 kg.
W = C × U 2 Þ U = 2W / C = 627 V. 6.29 Die Diffusionsstromdichte jD der
2
durchtretenden Ionen ist von deren
I Ladung unabhängig, der kompen­
6.25 Die Stromdichte ist j = = e0 × ne × vd . sierende Feldstrom jE steigt aber mit
A
z · e0, weil die elektrische Kraft und
Um daraus die Driftgeschwindigkeit mit ihr die Beweglichkeit μ dies auch
vd zu gewinnen, müssen wir die tun. Mehrwertige Ionen können also
Leitungselektronendichte ne kennen. jD mit geringerer Feldstärke und klei­
Jedes Kupferatom spaltet etwa ein nerer Membranspannung kompen­
Leitungselektron ab: sieren.
400 Kapitel 10 · Antworten und Lösungen

æc ö
6.30 U M = 59 mV × lg ç 1 ÷ , also:
è c2 ø
(c1/c2) lg UM (mV)

a 10 1 59

b 100 2 118

c 0,01 −2 −118

d 2 0,3 18

Da die positiven Ionen durch


..      Abb. 10.3 Zu Aufgabe 6.36
die Membran gelangen, laden
sie die Lösung mit der kleineren
U ind 1 DB
Konzentration positiv auf. 6.35 I ind = = ×100 × A × = 5 mA.
6.31 UM = ∞ (!) – entweder weil c1/0 = ∞ R 25W Dt
oder wegen ln(0) = –∞: Im Sinne der 6.36 . Abb. 10.3
Nernst’schen Formel gibt es kein „ab­ n
6.37 U S = S 230 V;
solut reines“ Wasser. nP
6.32 Das Magnetfeld verschwindet längs nP = 500;   nS = 25.000;   US = 11, 5 kV;
einer Linie parallel zum Draht, wo das
nP = 1000;   nS = 24;   Us = 5, 52 V.
vom Draht erzeugte Magnetfeld mit
10 gerade der gleichen Magnetfeldstärke 6.38 Federpendel Schwingkreis
dem äußeren Feld entgegensteht. Die
Linie hat den Abstand r:
m0 × I d2 x d 2Q
B = 10-4 T = Þ m× + D×x = 0 L× +Q/C =0
2p × r dt 2 dt 2
Vs
1, 26 ×10-6 × 5A x Q
r= Am = 1cm.
2p ×10-4 T dx dQ
=v =I
dt dt
6.33 Feld am Ort des zweiten Drahtes: Potenzielle Elektrische
Energie der Energie des
m0 ×12 A
B= = 3, 44 ×10-5 T. gespannten Feder geladenen
2p × 0, 07 m Kondensators

Kraft auf den zweiten Draht: 1 1


Wpot = D × x2 Wel = Q 2 / C
FL = 8, 8 ×10-4 N = 1m × I 2 × B 2 2

Þ I 2 = 25, 6 A. Kinetische Magnetische


Energie der Energie der
Der Strom im zweiten Draht fließt in Pendelmasse stromdurch­
flossenen Spule
gleicher Richtung wie im ersten.

1 1
FL = Q × v × B = 155 As ×120 m / s × 5 ×10-5 T Wkin =
2
m × v2 W=
2
L×I2
6.34
= 0, 93 N.
10.7 · Kap. 7
401 10

10.7 7 Kap. 7 7.11 Für eine hohe Auflösung muss die
Linse oder der Spiegel einen mög­
zz Antworten auf Verständnisfragen lichst großen Durchmesser aufweisen.
7.1 Schwarz wie auf dem Mond, da kein Moderne Teleskope haben Spiegel mit
Sonnenlicht von Molekülen gestreut 8–10 m Durchmesser. Derart große
wird. Linsen kann man nicht bauen.
7.2 Es ändert sich die Lichtgeschwindigkeit
und damit die Wellenlänge, da die zz Lösungen der Übungsaufgaben
7.1 1
Frequenz gleich bleibt. Außerdem än­ sin b grenz = = 0, 75 Þ b grenz = 48, 3°.
dern sich die elektrische und magneti­ 1, 34
sche Feldstärke, also die Amplituden, 7.2 Die Wellenlänge wird kürzer, da die
da ein Teil des Lichtes an der Lichtgeschwindigkeit kleiner wird.
Oberfläche reflektiert wird. 7.3 Für die Reflexion gilt: Einfallswinkel
7.3 Weil das Wasser an seiner Oberfläche gleich Ausfallswinkel. Also bedeutet
Licht reflektiert. die Forderung, dass der Einfallswinkel
7.4 Ja, das ginge. Das Eis würde gar αein doppelt so groß ist wie der Winkel
nicht so schnell schmelzen, da das des gebrochenen Strahles αbrech.
Sonnenlicht an der Linse nicht so eine Brechungsgesetz:
hohe Intensität hat wie im ­Brennpunkt
sin a ein sin 2a brech
und weil das Eis nur einen kleinen Teil =
des Lichts absorbiert. Um ein Feuer zu sin a brech sin a brech
entfachen, fokussiert man am besten 2 × sin a brech × cos a brech
=
auf dünnes, schwarzes Papier. sin a brech
7.5 Das reelle Bild auf der Netzhaut wird
= 2 × cos a brech = n = 1, 52;
vor allem durch die stark gekrümmte
vordere Hornhautoberfläche erzeugt. Also: αbrech = arccos 0, 76 = 41, 4° und
Ist vor dieser Wasser statt Luft, wird αein = 82,8°.
die Brennweite viel länger als der 7.4 Sie sehen ein verkleinertes virtuelles
Augendurchmesser und man kann Bild (. Abb. 7.22).
nicht mehr scharf sehen. 7.5 Sie müssen auf drei Meter fokussieren.
7.6 Dann wird die Bildweite kürzer und Der Spiegel liefert ein virtuelles Bild in
die Gegenstandsweite muss länger wer­ diesem Abstand (. Abb. 7.21).
den. Die Linse muss also von der Folie 1
wegbewegt werden. 7.6 Brechwert = = 2 dpt.
0, 5 m
7.7 Horizontal.
7.7 Bildweite muss gleich Gegenstandsweite
7.8 Wegen der großen Kohärenzlänge.
sein. Das ist dann der Fall, wenn die
Beim Licht der Glühlampe darf der
Bildweite zweimal die Brennweite ist.
Gangunterschied der interferierenden
7.8 Es ist reell, also auf dem Kopf. Das
Strahlen nur zwei bis drei Wellenlängen
Okular liefert dem Auge ein virtuelles
betragen.
Bild.
7.9 Schall und Licht werden an der Hausecke
7.9 Die Vergrößerung nimmt zu.
gebeugt. Da die Wellenlänge des Schalls
aber Größenordnungen größer ist, wird B 0, 24 m f
Schall stärker gebeugt und kann deshalb 7.10 = = Þ f = 54, 4 mm.
G 22 m 50 m - f
gut „um die Ecke gehört“ werden.
7.10 Licht mit der kürzesten Wellenlänge, 7.11 Bildweite für g = ∞: b = f = 135 mm.
also blaues Licht.
402 Kapitel 10 · Antworten und Lösungen

..      Abb. 10.4 Zu Aufgabe 7.12

Bildweite für g = 1,5 m: φS = extraterrestische Solarkonstante


æ1 1ö
-1 im Abstand Erde – Sonne
b = ç - ÷ = 152 mm. AR = Oberfläche einer Kugel mit dem
è f gø Radius R der Erdbahn.
Differenz: 17 mm. Infos aus dem Serviceteil:
10 7.12 . Abb. 10.4. φS = 1,36 kW/m2
7.13 B = 2, 75 = 0, 75 m Þ g = 1, 02 m; R = 1,49 · 1011 m
G g - 0, 75 m AR = 4π R2 = 2,79 · 1023 m2
PS = 3,8 · 1026 W.
b 26 Zehnerpotenzen werden von den
= 2, 75 Þ b = 2, 81m; g + b = 3, 83m. Vorsilben zu den SI-Einheiten nicht
g
mehr erfasst. Sie übersteigen mensch­
7.14 Der Vergrößerungsfaktor Γ = 8 be­ liches Vorstellungsvermögen.
deutet die Reduktion der Sehweite (= 7.18 Das Auflösungsvermögen entspricht in
Brennweite f der Lupe) auf ein Achtel etwa der Lichtwellenlänge im sichtba­
der Bezugssehweite von 25 cm: ren Bereich: 0,5 μm.
f – 250/8 mm = 31, 25 mm.
c 3 ×108 m / s
7.15 Die Sonne strahlt nach allen 7.19 f = = = 1010 Hz.
Seiten, also in den größtmöglichen l 0, 03m
Raumwinkel ωmax = 4π.
7.20 Der Winkelabstand der Maxima be­
7.16 Die Solarkonstante ist eine Strahlungs­
trägt etwa Δα = 5,5 cm/5 m = 0,011 rad.
flussdichte oder Energies­ tromdichte
Dies entspricht 0,63°. Wellenlänge: λ
und keine Bestrahlung­sstärke, die den
= 4 · 10−5 m · sinΔα = 0,44 μm. Das ist
Einfallswinkel auf eine schräg gestellte
tiefes Blau.
Empfängerfläche berücksichtigen
7.21 1. Minimum bei Beugung an einem
müs­ste.
Spalt:
7.17 Strahlungsleistung der Sonne:
sinα = λ/d. Die Spaltbreite ist hier
PS = φS ⋅ AR
d = 0,8 m.
10.9 · Kap. 9
403 10
Die Wellenlänge ergibt sich mit der zz Lösungen der Übungsaufgaben
Schallgeschwindigkeit von c = 330 m/s 8.1 Die Ordnungszahl ist 8 und die
zu λ = c/ρ = 0, 44 m. Massenzahl 16:.
Damit ergibt sich für den Winkel des 1. 8.2 Die Elektronenzahl ist gleich der
Minimums α = 33°. Ordnungszahl: 47.
7.22 Das Beugungsmaximum 1. Ordnung 8.3 Aus Heliumatomkernen.
liegt bei: 8.4 Nach 7 Abb. 8.11 sind dem Bi-214
sinα = λ/g.Blaues Licht hat eine (A = 214, Z = 83, N = 131) folgende
Zerfälle möglich:
Wellenlänge von etwa 480 nm. Also 55 α-Zerfall in Tallium-210:
4, 8 ×10-7 m A = 210, Z = 81, N = 129;
g= = 0, 63 m m . Die 55 β-Zerfall in Polonium-214:
sin 50°
Struktur auf dem Flügel ist also A = 214, Z = 84, N = 130.
selbst in der Größenordnung der
Lichtwellenlänge. 8.5 Neutroneneinfang bedeutet: ΔA =
+1, ΔZ = 0, ΔN = +1, führt also von
4 Ag-107 zu Ag-108 und von Ag-109 zu
1 1
7.23 Um den Faktor æç ö÷ = . Ag-110. (Beide sind β-Strahler mit den
è 2 ø 16 Halbwertszeiten 2,44 min und 24,17 s.)
8.6 Ein Elektron und ein Positron.
ln 2 8.7 Die Aktivität fällt exponentiell ab. Die
7.24 d1/ 2 = » 0, 7 cm.
m Halbwertzeit ist 1 Stunde, also beträgt
7.25 Etwa 10–500 kV. die Aktivität nach 2 Stunden 25 Bq.
ln 2t
7.26 Sie verdoppelt sich ebenfalls -
T1/ 2 ln 2 × t
(7 Abschn. 7.5.4). 8.8 e = 0, 01 Þ - = ln 0, 01
T1/ 2
7.27 a) Wmax = 150 keV.
b) P = I · U = 20 mA · 150 kV = 3 kW. 4, 6
= -4, 6 Þ t = × T1/ 2 = 6, 64 × T1/ 2 .
c) Φ ≈ 0,01 · P = 30 W. ln 2
8.9 Bei dem Paarzerfall entstehen zwei
γ-Quanten, die in genau entgegenge­

10.8 7 Kap. 8 setzte Richtung davonfliegen. Es re­
agieren dann zwei Detektoren gleich­
zz Antworten auf Verständnisfragen zeitig und der Zerfall muss auf einer
8.1 Weil viele Elemente in der Natur mit Linie zwischen ihnen erfolgt sein.
verschiedenen Isotopen vorkommen
und die Massenzahl als Mittelwert an­
gegeben wird. 
10.9 7 Kap. 9
8.2 Nach 1 Monat ist die Hälfte der
Substanz noch übrig. Nach 2 Monaten zz Lösungen der Übungsaufgaben
ist es die Hälfte der Hälfte, also ein 9.1 Eingestrahlte und absorbierte Energie
Viertel. geteilt durch die Masse des Körpers.
8.3 Nein, da die Bestimmung nur für Tiere 9.2 Ein Jahr sind etwa 3 · 107 Sekunden.
und Pflanzen geeignet ist, die einmal Die durchschnittliche Belastung sind
Kohlenstoff aus der Luft aufgenom­ etwa 1,5 mSv pro Jahr, also etwa
men haben, bevor sie starben. 5 · 10−11 Sv/s.
404 Kapitel 10 · Antworten und Lösungen

9.3 Wenn Sie das gesegnete Alter von dH 0, 01 × 4Sv Sv


100 Jahren erreichen, dann leben Sie = 9
= 1, 33 ×10-11 .
dt 3 ×10 s s
ca. 3 · 109 s. Die Lethaldosis ist etwa 4 Sv.
Die gewünschte maximale Dosisleistung Wie in der vorherigen Aufgabe berech­
wäre also: net, bekommen Sie leider mehr ab.

10
405

Serviceteil
Physikalische Formelsammlung – 406
Stichwortverzeichnis – 415

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


U. Harten, Physik für Mediziner, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61356-6
406 Physikalische Formelsammlung

Physikalische Formelsammlung
..      Tab. A.1 Système International d’Unités (SI) – Die Grundgrößen und ihre Einheiten

Größe Einheit Größe Einheit

Länge m = Meter Temperatur K = Kelvin


Masse kg = Kilogramm Stoffmenge mol = Mol
Zeit s = Sekunde Lichtstärke cd = Candela
Elektr. Strom A = Ampere

..      Tab. A.2 Abgeleitete Einheiten mit eigenem Namen

Größe Einheit

Volumen l = Liter = 10−3 m3


Zeit min = Minute = 60 s
h = Stunde = 60 min = 3600 s
d = Tag = 24 h = 86.400 s
a = Jahr = 365,24 d = 3,156 · 107 s
Frequenz Hz = Hertz = 1/s
Kraft N = Newton = 1 kg·m/s2
Leistung W = Watt = 1 kg·m2/s3 = 1 J/s
Energie J = Joule = 1 kg·m2/s2 = 1 N · m
Druck Pa = Pascal = 1 N/m2
Winkel rad = Radiant =1
Raumwinkel sr = Steradiant =1
Elektr. Spannung V = Volt = 1 W/A
Elektr. Widerstand Ω = Ohm = 1 V/A
Elektr. Leitwert S = Siemens = 1 A/V = 1/Ω
Elektr. Ladung C = Coulomb =1A·s
Kapazität F = Farad = 1 C/V
Magnet. Fluss Wb = Weber =1V·s
Magnet. Flussdichte T = Tesla = 1 Wb/m2
Induktivität H = Henry = 1 Wb/A
Aktivität Bq = Becquerel = 1/s
Energiedosis Gy = Gray = 1 J/kg
407
Physikalische Formelsammlung

..      Tab. A.2 (Fortsetzung)

Größe Einheit

Äquivalentdosis Sv = Sievert = 1 J/kg


Lichtstrom lm = Lumen = 1 cd · sr
Beleuchtungsstärke lx = Lux = 1 lm/m2

..      Tab. A.3 Einige ältere Einheiten außerhalb des Système International

Größe Einheit

Energie cal = Kalorie = 4,18400 J


Druck bar = Bar = 1,000 · 105 Pa
Torr = Torr = 133,3 Pa
mmHg = mm Quecksilber ≈ 1 Torr
mmH2O = mm Wasser = 9,81 mPa
Magnet. Flussdichte G = Gauß = 10−4 T
Aktivität Ci = Curie = 3,77 · 1010 Bq
Ionendosis R = Röntgen = 2,58 · 10−4 As/kg
Energiedosis rd = Rad = 0,01 Gy
Äquivalenzdosis rem = Rem = 0,01 Sv

..      Tab. A.4 Energieeinheiten

Joule = Newtonmeter = Wattsekunde =J=N·m=W·s


Kilowattstunde = kWh = 3,600 · 106 J
Elektronenvolt = eV = 1,602 · 10−19 J

..      Tab. A.5  Einige Naturkonstanten

Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum) c = 299.792.458 m/s


≈ 300.000 km/s
Elementarladung e0 = 1,60219 · 10−19 C
Elektrische Feldkonstante ε0 = 8,8541878 · 10−12 As/(Vm)
Magnetische Feldkonstante μ0 = 1,2566371 · 10−6 Vs/(Am)
Elektronenmasse me = 9,109382 · 10−31 kg

(Fortsetzung)
408 Physikalische Formelsammlung

..      Tab. A.5 (Fortsetzung)

Protonenmasse mp = 1,6726216 · 10−27 kg


Neutronenmasse mn = 1,6749272 · 10−27 kg
Planck-Konstante h = 6,6262 · 10−34 J · s
= 4,1357 · 10−15 eV · s
Avogadro-Konstante NA = 6,0220 · 1023 mol−1
Boltzmann-Konstante kB = 1,3807 · 10−23 J/K
Gaskonstante R = 8,3144 J/(mol · K)
Faraday-Konstante F = 96.484 C/mol
Atomare Masseneinheit u = 1,66057 · 10−27 kg
Elektronenmasse me = 9,10956 · 10−31 kg
Gravitationskonstante G = 6,673 · 10−11 Nm2 kg−2

..      Tab. A.6 Sonnensystem

Himmelskörper Radius Bahnradius Fallbeschleunigung

Erde 6,38 · 106 m 1,49 · 1011 m 9,81 m/s2


Mond 1,74 · 106 m 3,84 · 108 m 1,67 m/s2
Sonne 6,95 · 108 m

Extraterrestrische Solarkonstante φS = 1,36 kW/m2

..      Tab. A.7 Kernladungszahlen Z und molare Massen M einiger natürlicher Isotopengemische

Symbol Element Z M Symbol Element Z M


[g/mol] [g/mol]

H Wasserstoff 1 1,0079 Na Natrium 11 22,997


He Helium 2 4,0026 Al Aluminium 13 26,8915
Li Lithium 3 6,939 Cl Chlor 17 35,475
C Kohlenstoff 6 12,0112 Ca Kalzium 20 40,08
N Stickstoff 7 14,0067 Ag Silber 47 107,868
O Sauerstoff 8 15,9994 Pb Blei 82 207,19
409
Physikalische Formelsammlung

..      Tab. A.8 Einige Eigenschaften des Wassers

T ρ ρD pD WD c εr ρel σ η
[°C] [g/ml] [μg/ml] [hPa] [kJ/g] [J/(g·K)] [kΩ · m] [mN/m] [mN · s/m2]

0 0,9998 4,85 6,10 2,50 4,218 87,90 633 75,63 1,87


4 1,0000 6,40 8,13 2,49 4,205 85,90 472 75,01 1,57
10 0,9998 9,40 12,27 2,48 4,192 83,95 351 74,22 1,31
20 0,9983 17,3 23,4 2,46 4,182 80,18 202 72,75 1,002
37 0,9914 45,4 62,7 2,42 4,178 74,51 87 69,97 0,692
50 0,9881 83,0 123,2 2,38 4,181 69,88 53 67,91 0,547
100 0,9583 600 1013 2,26 4,216 55,58 58,90 0,282
130 1122 2699 2,17
Tripelpunkt: 0,0075 °C 610 Pa
Kritischer Punkt: 374,2 °C 22,11 MPa
Bei 0 °C
Molare Schmelzwärme: 6,02 · 103 J/mol
Wärmeleitfähigkeit: 0,54 J/(m · s · K)
Bei 20 °C
Ausdehnungskoeffizient: 1,8 · 10−4 K−1
Schallgeschwindigkeit: 1,48 km/s
Bei 25 °C
Wellenlänge: λ/nm 320,3 402,6 601,5 667,8
Brechzahl: n(λ) 1,54 1,42 1,36 1,33

Dichte ρ, Dampfdichte ρD, Dampfdruck pD, spez. Verdampfungsenthalpie WD, spez. Wärmekapazität c,
Dielektrizitätszahl εr, Resistivität ρel, Oberflächenspannung σ gegen Luft, Viskosität η

..      Tab. A.9 Einige Materialkenngrößen

Dichte Spez. Widerstand Spez. Wärmekapazität


[g/ml] [10−8 Ω·m] [J/(g·K)]

Aluminium 2,70 2,8 0,90


Eisen 7,86 9,8 0,42
Kupfer 8,93 1,7 0,39
Silber 10,50 1,6 0,23
Blei 11,34 22 0,13
Quecksilber 13,60 96 0,14

(Fortsetzung)
410 Physikalische Formelsammlung

..      Tab. A.9 (Fortsetzung)

Dichte Spez. Widerstand Spez. Wärmekapazität


[g/ml] [10−8 Ω·m] [J/(g·K)]

Gold 19,23 2,4 0,13


Platin 21,46 4,8 0,13
Konstantan 8,8 50
Linearer Ausdehnungskoeffizient (bei 100 °C)
Quarzglas 0,5 · 10−6 K−1
Jenaer Glas 8,1 · 10−6 K−1
Eisen 12,0 10−6 K−1
Kupfer 16,7 10−6 K−1
Aluminium 23,8 10−6 K−1
Wärmeleitfähigkeit
Quarzglas 1,38 J/(m·s·K)
Seide 0,04 J/(m·s·K)
Luft 0,025 J/(m·s·K)
Aluminium 230 J/(m·s·K)
Schallgeschwindigkeit
Luft 334 m/s
Wasserstoff 1306 m/s
Aluminium 6420 m/s
Permittivität (Dielektrizitätszahl)
Luft 1,000576
Quarzglas 3,7
Glas 5–10
Physiologischer Brennwert
Kohlenhydrate 17,2 kJ/g
Fett 38,9 kJ/g
Eiweiß 17,2 kJ/g
Schokolade ~23 kJ/g
Bier 1,9 kJ/g
Farben des sichtbaren Spektrum
Violett 400–440 nm
Blau 440–495 nm
Grün 495–580 nm
411
Physikalische Formelsammlung

..      Tab. A.9 (Fortsetzung)

Dichte Spez. Widerstand Spez. Wärmekapazität


[g/ml] [10−8 Ω·m] [J/(g·K)]

Gelb 580–600 nm
Orange 600–640 nm
Rot 640–750 nm

Griechische Buchstaben

(Die in diesem Buch häufig verwendete


Buchstaben sind fett gedruckt.)

A α Alpha I ι Iota Ρ ρ Rho


B β Beta Κ κ Kappa Σ σ Sigma
Γ γ Gamma Λ λ Lambda T τ Tau
Δ δ Delta M μ My Υ υ Ypsilon
E ε Epsilon N ν Ny Φ φ Phi
Z ζ Zeta Ξ ξ Xi X χ Chi
H η Eta Ο ο Omikron Ψ ψ Psi
Θ θ Theta Π π Pi Ω ω Omega

Formelzeichen cm - Molalität (Einheit: mol/kg)


cn - molare Wärmekapazität
a - Jahr cp - molare Wärmekapazität bei konstantem Druck
a - Gegenstandsweite (Optik) cV - molare Wärmekapazität bei konstantem Volumen
A - Ampere (Stromeinheit) C - elektr. Kapazität, Wärmekapazität
A - Fläche(ninhalt) C - Coulomb (Ladungseinheit; ≙ A · s)
A0 - Amplitude (Schwingung) d - Tag
  
a , b , c - Vektoren d - Abstand, Durchmesser (Kugel)

a , (a) - Beschleunigung, (Betrag) dpt - Dioptrie (Optik)


az , (az) - Zentralbeschleunigung (bei Kreisbewegung) D - Federkonstante
b - Bildweite (Optik) dB - Dezibel
B - Bildgröße (Optik) e - Euler-Zahl

B , (B) - magnetische Flussdichte, (Betrag) e0 - Elementarladung
c - Phasengeschwindigkeit (einer Welle) E - Elastizitätsmodul
c - Stoffmengendichte, spez. Wärmekapazität (pro Masse)

E , (E) - elektr. Feldstärke, (Betrag)
412 Physikalische Formelsammlung

f - Brennweite (einer Linse), Frequenz M - molare Masse



f - Grenzfrequenz (eines Hoch- oder ­Tiefpasses) n - Brechungsindex (Optik)
F - Farad (Einheit der elektr. Kapazität) n - Anzahldichte

F , (F) - Kraft, (Betrag) N - Anzahl

FC - Coulomb-Kraft N - Newton (Krafteinheit)

FG - Schwerkraft NA - Avogadro-Konstante, Loschmidt-Zahl

FL - Lorentz-Kraft p - Druck

FN - Normalkraft (senkrecht zur Ebene) pD - Dampfdruck
 
FR - Reibungskraft p , (p) - Impuls, Dipolmoment, (Betrag)

FZ - Zentripetalkraft (bei einer Kreisbewegung) P - Leistung
g - Fallbeschleunigung Pa - Pascal (Druckeinheit)
G - Gravitationskonstante, elektr. Leitwert Q, q - Ladungswert
g - Gegenstandsweite (Optik) Q - Wärmemenge, Kompressionsmodul
G - Gegenstandsgröße (Optik) r - Abstand, Radius

v , (v) - Geschwindigkeit, (Betrag) R - elektr. Widerstand, Strömungswiderstand
h - Stunde RC - kapazitiver Widerstand
h - Höhe, Planck‘sches Wirkungsquantum Ri - Innenwiderstand
Δh - Höhenunterschied RL - induktiver Widerstand

H , (H) - magnetische Feldstärke R - Gaskonstante, Reflexionsvermögen (Optik)
H - Äquivalenzdosis Re - Reynolds-Zahl
I - elektr. Strom, Wärmestrom, Volumenstromstärke s - Sekunde (Zeiteinheit)
I - Schallstärke, Intensität s - Standardabweichung
I - Trägheitsmoment s - Strecke
j - Teilchenstromdichte s - Teilchenstrom
jQ - Wärmestromdichte s0 - Anfangsort
J - Joule (Energieeinheit) t - Zeit
k - Kompressibilität T1/2 - Halbwertszeit
k, kB - Boltzmann-Konstante T - Schwingungsdauer, Periode
k(λ) - Extinktionskonstante (Optik) T - Temperatur
K - Kelvin (Temperatureinheit) T - Tesla (Magnetfeldeinheit)

kg - Kilogramm (Masseneinheit) T , (T) - Drehmoment, (Betrag)
l, Δl - Länge, Längenänderung u - atomare Masseneinheit
leff - effektiver Hebelarm u(X) - Messunsicherheit der Größe X

L , (L) - Drehimpuls, (Betrag) U - elektr. Spannung, innere Energie
L - Induktivität Ueff, Ieff - Effektivwerte von Spannung und Strom
m - Masse v0 - Anfangsgeschwindigkeit

m - magnetisches Moment V - Volt (Spannungseinheit)
m - Meter (Längeneinheit) V - Volumen
min - Minute Vn - Molvolumen
413
Physikalische Formelsammlung

VS - spez. Volumen (Kehrwert der Dichte) μ - elektrische Beweglichkeit


w - Energiedichte μ0 - magnetische Feldkonstante
W - Watt (Leistungseinheit) μGl - Gleitreibungskoeffizient
W - Arbeit μH - Haftreibungskoeffizient
Wel - elektrische Energie μm - Massenschwächungskoeffizient (Röntgenstrahlen)
Wkin - kinetische Energie μr - relative Permeabilität
Wpot - potenzielle Energie ρ - Massendichte
Z - Kernladungszahl ρ - Reflexionsvermögen (Optik)
α - linearer Ausdehnungskoeffizient ρ - spezifischer elektr. Widerstand
α - Wärmeübergangszahl, Absorptionsvermögen ρD - Dampfdichte
α, β, γ - Winkel σ - elektrische Leitfähigkeit
β - Volumenausdehnungskoeffizient σ - mechanische Spannung, Oberflächenspannung
βgrenz - Grenzwinkel der Totalreflexion σ - Strahlungskonstante (Optik)
Γ - Vergrößerung (Optik) τ - Zeit, Zeitkonstante
δ - Dämpfungskonstante (Schwingungen) Φ - magnet. Fluss, Strahlungsfluss (Optik)
ε - Energiedichte φ0 - Phasenwinkel (gesprochen: fi)
ε0 - elektrische Feldkonstante ω - (= 2π · f) Kreisfrequenz
εr - relative Permittivität (Dielektrizitätskonstante) ω - Öffnungswinkel (Optik)
η - Nutzeffekt, Wirkungsgrad, Viskosität Ω - Ohm (Einheit d. elektr. Widerstands)
λ - Wellenlänge, Wärmeleitfähigkeit
415 A–B

Stichwortverzeichnis

Arbeit 48
A Arkusfunktion 18
Arrhenius-Diagramm 180
Abbildung
Astigmatismus 298
–– einfache Brechung 304
Atmung 95
–– Linse 299
Atom 354
–– optische 299
Atomkern 354
Abbildungsgleichung 301
Atommodell, Bohr‘sches 354
Abbildungsmaßstab 302
Atomorbital (Elektronenwolke) 355
Aberration, chromatische vs. sphärische 298
Atomprozent 8
Ableiten 30
Atomspektrum 333
Ableitung 30
Aufenthaltswahrscheinlichkeit 355
Ablenkwinkel 295
Auflicht 311
Abschirmung, elektrische 206
Auflösungsvermögen, optische Instrumente 330
Absorption 184
Auftrieb 91
Absorptionskonstante 315
Augenlinse 304
Absorptionsspektralanalyse 317
Ausbreitungsgeschwindigkeit 132
Absorptionsspektrum 315
Ausdehnungskoeffizient 153
Abstandsgesetz, quadratisches 134
Ausdehnung, thermische 153
Achse
Ausfallswinkel 292
–– freie 71
ausgewuchtet 71
–– optische 299
Auslenkung 120
actio = reactio 62
Ausstrahlung, spezifische 313
Adhäsion 102
Auswahlregel 333
Adsorption 185
Autokollimation 302
Äquipotenziallinie 204
Avogadro-Konstante 6
Äquivalentdosis 376
Axiom 60
Äquivalentdosisleistung 376
Aggregatzustände 81
Akkommodation 305
Akkommodationsbreite 306
B
Aktivität 367 Bahnbeschleunigung 33
–– optische 322 Balkenwaage 58
–– Radio- 361 Balmer-Serie 334
Akustik 136 Bar 88
alkalisch 237 Barometer 94
Alpha-Teilchen 362 Basis 20
Altersbestimmung (C-14) 369 Basiseinheit 24
Altersweitsichtigkeit 307 Batterie 243
amorph 176 Becquerel 367
Ampere 198 Beer-Gesetz 316
Amplitude 122 Benetzung 102
Analysator 321 Beobachtersystem 65
Analyse 316 Bernoulli-Effekt 106
Anfahrwirbel 112 Beschleunigung 33
Anfangsbedingung 36 –– Bahn- 33
Anion 237 –– Erd- 34
anisotrop 86 –– Fall- 34
Anode 238 –– Radial- 33
Anomalie des Wassers 177 –– Tangential- 33
Anregungsenergie 333 –– Winkel- 70
Antimaterie 371 –– Zentral- 39
Apertur, numerische 330 –– Zentripetal- 68
Aräometer 91 Beschleunigungssensor 41
416 Stichwortverzeichnis

Bessel-Verfahren 302 Destillation 181


Bestrahlungsstärke 313 Deuterium 360
Beta-Teilchen 363 Dewar-Gefäß 157
Betrag 15 Dezibel (dB) 140
Beugung 327 diamagnetisch 256
Beugungsgitter 317, 327 Diamantgitter 83
Beweglichkeit 208 Diathermie 218
Bewegung Dichte 7
–– gleichförmig beschleunigte 34 Dielektrikum 219
–– thermische 151 Dielektrizitätskonstante 211
Bewertungsfaktor 376 Differenzenquotient 30
Bezugssystem 65 Differenzialgleichung 122, 123
Biegung 85 Differenzialquotient 30
bikonvex 297 Differenziation 30
Bikonvexlinse 302 –– Kettenregel 225
Bild Diffraktion (Beugung) 327
–– keratoskopisches 308 Diffusionsgesetz 170
–– reelles 291 Diffusionskoeffizient 170
–– virtuelles 289 Dimension 5
Bildkonstruktion 299 dimensionslos 5
Bildweite 301 Dioptrie 297
Bimetallstreifen 154 Dipol
Blindstrom 226 –– elektrischer 201
Blutdruckmessung 97 –– magnetischer 250
Blutsenkung 92 –– strahlender 281
Bogenmaß 18 Dipolmoment 202
Bohr-Bahn 354 Dispersion 132, 295
Bohr’sches Atommodell 354 Dissoziation 236
Boltzmann-Konstante 152 Dissoziationsenergie 236
Boyle-Mariotte-Gesetz 96 Dissoziationsgrad 236
Brechungsgesetz 292 divergent 287
Brechwert 297 Doppelspalt 327
Brechzahl 292 Doppel-T-Träger 85
Bremsspektrum 338 Doppler-Effekt 141
Brennfleck 339 Doppler-Ultraschalldiagnostik 143
Brennweite 297 Dosimetrie 376
Brennwert 159 Dosisleistung 376
Brewster-Winkel 322 Doulong-Petit-Regel 164
Brown’sche Molekularbewegung 151 Drehachse, momentane 40
Bulbus oculi 305 Drehbewegung 67
Drehfrequenz 38
Drehimpuls 70
C Drehimpulserhaltungssatz 71
Compton-Effekt 341 Drehmoment 56
Computertomografie 343 Drehspulinstrument 254
Corti-Organ 138 Drehzahl 38
Coulomb-Gesetz 199 Driftgeschwindigkeit 208
Curie 367 Drillung 85
Curie-Temperatur 256 Druck 87
–– Blut- 97
–– hydrostatischer 88
D –– Licht- 344
–– osmotischer 172
Dämpfungskonstante 125 –– Schallwechsel- 139
Dampfdruck 179 –– statischer 106
Dampfdruckerniedrigung 180 –– Stau- 106
Dehnung 43, 84 –– Stempel- 87
Stichwortverzeichnis
417 B–F
Dualismus von Welle und Korpuskel 332, 347 –– Strahlungs- 49
Dunkelfeld 311 –– thermische 152
Durchbruchfeldstärke 212 Energiedichte 222
Durchlässigkeit 315 Energiedosis 377
Energieerhaltungssatz 49
Energieflussdichte 134
E Energieniveau 333
Ebene, schiefe 35, 44 Energiestromdichte 313
Edelgase 356 Energiezustand 333
Effekt Entropie 156
–– lichtelektrischer 331 Entspiegelung 326
Effektivwert 223 Erdbeschleunigung 34
e-Funktion 20 Erdschlussüberwachungsgerät 249
Eichfehler 9 Erdung 248
Eigenfrequenz 267 Ersatzschaltbild 230
Eigenkreisfrequenz 123 (ESR Elektronenspinresonanz) 359
Eigenvolumen 162 Euler-Zahl 20
Eindringtiefe 315 Exponentialfunktion 19
Eingangsspalt 314 Exposition
Einheit 2 –– natürliche 381
Einheitsvektor 15 –– zivilisationsbedingte 382
Einthoven-Dreieck 245 Extinktionskonstante 315
Eisenkern 260
EKG 244
Elastizitätsmodul 84
F
Elektrokardiogramm (EKG) 244 Fadenpendel 123
Elektrolyt 237 Fallbeschleunigung 34
Elektromasche 226 Fall, freier 34
Elektromotor 254 Fangpendel 52
Elektron 198 Farad 220
–– freies 213 Faraday-Gesetze 239
Elektronenbeugung 344 Faraday-Käfig 207
Elektronenlawine 212 Faraday-Konstante 239
Elektronenmikroskop 345 Farbdreieck 318
Elektronenschale 356 Farbfehler 298
Elektronenspinresonanz (ESR) 359 Farbmischung, additive vs. subtraktive 319
Elektronenwolke 355 Farbsehen 317
Elektrophorese 238 Farbton 318
Elementarladung 199 Faser, neutrale 85
Elementarwelle, Huygens- 329 Faseroptik 294
Elementarzelle 82 Federkonstante 43
Element, galvanisches 242 Federpendel 120
Emissionsspektralanalyse 333 Fehler
Emission, stimulierte 335 –– systematischer vs. zufälliger 9
Emmissionskoeffizient 169 Fehlerbalken 10
E-Modul (Elastizitätsmodul) 84 Fehlerfortpflanzung 14
Endoskopie 294 Fehlerstromschutzschalter 249
Energie 47 Feld
–– chemische 49 –– elektrisches 201
–– Dissoziations- 236 –– homogenes 220
–– elastische potenzielle 49 –– im Kondensator 220
–– elektrische 215 –– magnetisches 250
–– kinetische 52 Feldenergie 262
–– mechanische 49 Feldkonstante
–– potenzielle 47 –– elektrische 199
–– Quanten- 331 –– magnetische 255
–– Schwingungs- 124
418 Stichwortverzeichnis

Feldlinie 202 gesättigt 181


–– geschlossene elektrische 268 Geschwindigkeit 30
–– magnetische 252 –– momentane 30
Feldlinienbild 201 Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm 31
Feldstärke Gesetz
–– elektrische 201 –– Beer- 316
–– magnetische 254 –– Lambert- 315
Fernrohr 311 –– Lambert-Beer- 316
Fernwirkungskraft 200 –– Weber-Fechner- 140
Ferromagnetikum 256 Gewichtskraft 45
ferromagnetisch 256 Gewichtsprozent 8
Festkörper 82 Gitter, kubisches 83
Feuchte (Luftfeuchtigkeit) 181 Gitterspektrometer 328
Fischaugeneffekt 298 Glasfaser 294
FI-Schutzschalter 249 Glaskörper 305
Flächennormale 17 Gleichgewicht 57
Flammenfärbung 333 –– indifferentes 59
Flaschenzug 48 –– stabiles vs. labiles 59
Fliegen 112 –– thermodynamisches 155
Fliehkraft (Zentrifugalkraft) 68 Gleichgewichtsdampfdruck 179
Flüssigkeit Gleichspannung 223
–– newtonsche 109 Gleichstromkreis 229
Flüssigkeit, interpleurale 95 Gleichung
Flüssigkeitsmanometer 93 –– algebraische 23
Fluoreszenz 335 –– Größen- 5
Flussdichte, magnetische 253 –– quadratische 23
Fluss, magnetischer 259, 260 –– umformen und auflösen 23
Fotoeffekt 331 –– Zahlenwert- 5
Fotokathode 331 Gleichverteilungssatz 164
Fotostrom 331 Gleitreibung 46
Fotosynthese 188 Gleukometer 91
Fourier-Analyse 128 Graphit 83
Fourier-Synthese 128 Gravitation 45
Fovea centralis 306 Gravitationsgesetz 45
Freiheitsgrad 163 Gravitationskonstante 45
Frequenz 19, 122 Gray 376
Grenzfall, aperiodischer 125
Grenzflächenspannung 241
G Grenzwinkel der Totalreflexion 293
Galvani-Spannung 241 Größe
Gamma-Quant 363 –– abgeleitete 3
Gamma-Strahlung 363 –– physikalische 2
Gangunterschied 323 Größengleichung 5
Ganzkörperäquivalent 383 Grundformel für Wellen 132
Ganzkörperdosis 378 Grundfrequenz 135
Gasentladung 212 Grundgleichung der Mechanik 61
Gas, ideales 161 Grundgröße 3
Gaskonstante, universelle 162 Grundschwingung 128
Gefrierpunkterniedrigung 178 Grundumsatz 185
Gegenstandsweite 301 Grundzustand 333
Gehalt 7
Geiger-Müller-Zählrohr 364
Gelenk 39
H
Gemisch, azeotropes 181 Hämoglobin 315
Genauigkeit (Messunsicherheit) 12 Haftreibung 46
Generator, thermoelektrischer 243 Hagen-Poiseuille-Gesetz 109
geostationär 67 Halbleiterzähler 364
Stichwortverzeichnis
419 F–K
Halbschatten 287 Ion 236
Halbwertszeit 21, 368 Ionendosis 377
–– biologische 378 Ionisationskammer 377
–– effektive 379 Ionophorese 238
Harmonische 128 Isobare 182
Hauptebene 299 Isochore 182
Hauptsatz Isolator 198
–– erster 188 Isotherme 182
–– zweiter der Thermodynamik 156 isotonisch 173
Hebel 54 Isotop 360
Hebelarm 54 isotrop 86
–– effektiver 56
Hebelgesetz 54
Helium-Neon-Laser 335 J
Hellfeld 311 Joule 48
Henry 262 Joule’sche Wärme 218
Henry-Dalton-Gesetz 184
Hertz 122
Hochpass 232 K
Höhenformel, barometrische 90
Höhenstrahlung 376 Kalomel-Elektrode 243
Hörgrenze 136 Kalorie 159
Hörschall 136 Kalorimeter 157
Hohlspiegel 290 Kalorimeterversuch 157
Hologramm 336 Kammerflimmern 246
Hooke’sches Gesetz 84 Kapazität 219
Hornhaut 304 Kapillare 101
Hubarbeit 47 Kapillarwirkung 102
Huygens-Elementarwelle 329 Kathode 238
hydrophil 102 Kation 237
hydrophob 102 Katzenaugen 289
Kehlkopf 137
Keimbildungsprozess 177
I K-Einfang 363
Kelvin 152
Impedanz 265 Kelvin-Skala 153
Impuls 63 Kennlinie 216
Impulssatz 63 Kernkraft 360
Impulsunschärfe 347 Kernladungszahl 354
Induktionsgesetz 259 Kernreaktion 361
Induktivität 262 Kernreaktor 370
Inertialsystem 66 Kernschatten 287
Influenz 207 Kernspaltung 370
Infrarot 283 Kernspinresonanztomografie 358, 359
Infraschall 136 Kernverschmelzung 370
Inkohärenz 325 Kettenreaktion 370
inkompressibel 104 Kettenregel der Differenziation 225
Innenohr 138 Kilogramm 6
Innenwiderstand 230 Kilowattstunde 48, 215
Integral 31 Kirchhoff-Gesetz, 1. und 2. 226
–– bestimmtes 31 Klangfarbe 135
–– Linien- 205 Kleindosisstrahlung 382
Integrationsgrenze 31 Klemmenspannung 231
Intensität 134 Knotenregel 226
Interferenz 322 Kochen 180
–– konstruktive 323 Kochsalzlösung, physiologische 173
–– konstruktive vs. destruktive 127 Koexistenzbereich 182
Interferenzfilter 327 Kohärenz 325
420 Stichwortverzeichnis

Kohärenzlänge 326 Ladungsträger 199


Kohäsion 98 Lageenergie 49
Kohlenstoff-14 369 Lagerkraft 57
Kolbenpumpe 94 Laktometer 91
Kollimator 314 Lambert-Beer-Gesetz 316
Kompensationsmethode 230 Lambert-Gesetz 315
Komponentenzerlegung 16 laminar 103
Kompressibilität 96 Laser 335
Kompressionsmodul 96 –– He-Ne- 335
Kondensator 219 Lastarm 54
Kondensatorenentladung 233 Lautstärke 139
Kondensor 314 LD50 379
Konfidenzintervall 13 Lebensdauer 366
konkav 297 Leckstrom 247
Konstante, kryoskopische 178 Leerlaufspannung 231
Kontaktpotenzial 242 Leerstelle 84
Kontaktspannung 242 Leistung 51
Kontinuitätsgleichung 104 –– elektrische 215
Kontrastmittel 343 Leitfähigkeit
konvex 298 –– elektrische 209
Konzentration 7 –– elektrolytische 237
Konzentrationspotenzial 240 Leitungselektron 198
Koordinatensystem 16 Leitungswiderstand 218
Kopfwelle 143 Leitwert, elektrischer 216
Kornea 304 Lenz’sche Regel 262
Kortex, visueller 283 Letaldosis 379
Kosinus 18 Leuchtelektron 357
Kotangens 18 Leuchtstoffröhre 335
Kräftepolygon 44 Licht
Kraft –– polarisiertes 320
–– magnetische 200 –– sichtbares 347
–– resultierende 74 Lichtbogen 263
–– rücktreibende 120 Lichtbündel 286
Kraftgesetz, lineares 43 Lichtdruck 344
Kraftwirkungslinie 56 Lichtgeschwindigkeit 201
Kreisbewegung 38 Lichtleiter 294
Kreisfrequenz 19, 38, 122 Lichtmessgrößen 312
–– charakteristische 123 Lichtmessung 312
Kreisstrom 256 Lichtquant 331
Kreuzprodukt 17 Lichtstrahl 286
Kriechfall 125 Lichtstrom 312
Kristallgitter 82 Linienintegral 205
K-Schale 356 Linsenfehler 298
Kugelwelle 134 Linse, sphärische 297
Kurzschlussstrom 231 Lösungswärme 178
kurzsichtig 307 Logarithmus 20
Kurzwellenbestrahlung 218 –– natürlicher 20
kurzwellige Grenze 338 –– natürlicher vs. dekadischer 20
Kα-Linie 357 Lorentz-Kraft 253
Loschmidt‘sche Zahl (Avogadro-Zahl) 6
Luftdruck 90
L Luftfeuchtigkeit 181
Ladung –– relative 181
–– elektrische 199 Lumen 312
–– negative 198 Lumineszenz 335
–– positive 198 Lunge 95
–– positive vs. negative 198 Lupe 301, 309
Stichwortverzeichnis
421 K–P
Lux 314 Netzhaut 304, 317
Lyman-Serie 333 Netzwerk 226
neutral 237
Neutron 359
M Neutron, thermisches 370
Magnetfeld 250 Newton 42
Magnetisierung 256 Newtonmeter 48
Magnetresonanztomografie (MRT) 359 newtonsch 109
Manometer 93 Newton’sche Gesetze 60
Maschenregel 227 Newton’sches Gesetz, zweites 61
Masse Niveauschema 333
–– molare 7 Normalbedingung 162
–– schwere vs. träge 62 Normalelektrode 243
Massendefekt 361 Normalität 236
Massendichte 8 Normalkraft 47
Masseneinheit, atomare 359 Normalspannung 86
Massengehalt 7 Normalverteilung 10
Massenmittelpunkt 58 Nukleon 359
Massenschwächungskoeffizient 339 Nuklid 360
Massenspektrometer 255 Nuklidtafel 360
Massenwirkungsgesetz 236 Nullinstrument 230
Massenwirkungskonstante 236 Nullleiter 248
Massenzahl 360 Nutzeffekt 188
Maßstab, linearer vs. logarithmischer 21
Maßzahl 2
Materiewelle 344
O
Mechanik, Grundgleichung 61 Oberflächenspannung 99
Membran, ionenselektiv-permeable 240 Oberschwingung 128
Membranpumpe 94 Obertöne 135
Membranspannung 240 Öffnungsfehler 298
Messfehler 9 Öffnungswinkel 287
Messunsicherheit, absolute vs. relative 12 ohmsch 109
metastabil 176 Ohm‘scher Widerstand 217
Mikrobolometer 168 Ohm‘sches Gesetz 209
Mikroskop 310 –– Hydr. 109
Minuspol 204, 213 Ohr 138
Mischtemperatur 158 Okularmikrometer 311
Mittelwert 10 Optik
–– Standardabweichung 13 –– geometrische 286
mmHg 4 –– Quantenoptik 331
Mohr’sche Waage 91 –– Wellenoptik 320
Mol 6 optisch aktiv 322
Molalität 8 Orbital 355
Molarität 173 Ordnungszahl 354
Molekularbewegung, Brown’sche 151 Organdosis 378
Molenwärme 157 Orientierungspolarisation 211
Molmasse 7 Ortsunschärfe 347
Molvolumen 162 Oszillator 120
Moment, magnetisches 254 Oszillograf 235
monochromatisch 295 Oxyhämoglobin 316
Monochromator 314
MRT (Magnetresonanztomografie) 359
P
Paarbildung 371
N Paradoxon, hydrodynamisches 105
Nebelkammer 364 Parallellichtbündel 288
Nernst-Formel 240 Parallelschaltung 227
422 Stichwortverzeichnis

paramagnetisch 256 Proton 359


Partialdruck 163 Prozess, thermisch-aktivierender 180
Pascal 94 Pulsoxymeter 317
Paschen-Serie 334 Pumpen 94
Pauli-Prinzip 356 Punkt, kritischer 183
Pegelmaß 140 Punktladungen 199
Periode 120 Purpurgeraden 319
Periodensystem der Elemente 354, 355, 357, 360 Pythagoras, Satz des 32
Permanentmagnet 252
Permeabilität, relative 256
Permeabilitätskoeffizient 171 Q
Permittivität, relative 211 Quant 347
PET (Positronenemissionstomografie) 372 Quanten 363
Phase 133, 174 Quantenenergie 331
Phasendiagramm 184 Quantenhypothese 331
Phasenfläche 133 Quantenoptik 331
Phasengeschwindigkeit 145
Phasenkontrastmikroskopie 311
Phasenleiter 248 R
Phasenübergang 174
rad 18
Phasenwinkel 122
Radialbeschleunigung 33
Phon 139
Radiant 18
Phosphoreszenz 335
radioaktiver Tracer 370
Photon 332
Radioaktivität 361
pH-Wert 237
Rasterelektronenmikroskop (REM) 345
Piezoelektrizität 212
Raum, absoluter 41
Pitot-Rohr (Staurohr) 106
Raumwinkel 313
Planck’sches Wirkungsquantum 331
RC-Glied 232
Plankonvexlinse 297
Rechte-Hand-Regel 17, 251, 255
Plattenkondensator 219, 220
Reflexionsgesetz 289
Pluspol 204, 213
Reflexionsverminderung 326
Poise 107
Regel von Doulong-Petit 164
Polarisation 131, 212
Reibung 46
Polarisationsfolie 321
–– innere 46, 107
Polarisator 321
Reibungskoeffizient 47
Polkurve 40
Reibungskraft 46
Polschuhe 257
Reihenschaltung 227
Polung 213
Rekombination 236
Polwender 224
Relativitätstheorie 41
Polymerisation 86
Resistivität 209
Positron 363, 371
Resonanz 126
Positronenemissionstomografie (PET) 372
Resonanzabsorption 358
Positronenvernichtung 371
Resonanzkatastrophe 126
Potenzfunktion 22
Resonanzkurve 126
Potenzialdifferenz 204
Retina 304, 305, 317
Potenziometer 228
Reynolds-Zahl 111
Präzession 358
Ringtensiometer 100
Praktikum
Rinne, stabile 362, 370
–– Statistik 11
Riva-Rocci 98
Presse, hydraulische 88
Röhre, kommunizierende 90
Primärlichtquelle 288
Röntgendiagnostik 342
Primärspule 260
Röntgenmikroskop 312
Prinzip, archimedisches 91
Röntgenröhre 337
Prisma 295
Röntgenstrahlen 337
Prismenwinkel 295
Röntgenstrahlung, charakteristische 357
Produkt, vektorielles 17
Röntgenstrukturanalyse 357
Proportionalität 43
Röntgentomografie 343
Stichwortverzeichnis
423 P–S
Rollreibung 46 Sedimentation 93
Rotation 70 Seebeck-Effekt 243
Rückstrahler 289 Sehpurpur 317
Ruhelage 120 Sehwinkel 309
Seilwelle 131
Sekundärlichtquelle 287
S Sekundärspule 260
Saccharimetrie 322 Selbstinduktion 261
Sättigung 256 selektiv permeabel 172
Sättigungsdampfdruck 179 Siedepunkt 180
Saiten 134 SI-Einheit 3
Sammellinse, bikonvexe 297 Siemens 216
Satz des Pythagoras 32 Sievert 376
sauer 237 Sinus 18
Schalldruck 139 Skala 153
Schallgeschwindigkeit 136 –– logarithmische vs. doppelt-logarithmische 22
Schallintensität 139 Skalar 15
Schallkopf 137 Skalarprodukt 17
Schallmauer 143 Snellius-Gesetz (Brechungsgesetz) 292
Schallpegelskala 140 Solarkonstante, extraterrestrische 313
Schallschnelle 139 Solvatationsenergie 178
Schallwechseldruck 139 Solvathülle 178
schallweich 138 Sonografie 137
Schallwelle 130, 136 Spannung 203, 204
Schaltskizze 197, 213 –– mechanische 84
Schaltzeichen Spannungsmesser 213
–– Batterie 213 Spannungsquelle 213
–– Glühbirne 213 Spannungsreihe 242
–– Messgerät 213 Spannungsteiler 228
–– Schiebewiderstand 228 Spektralanalyse
–– Spule 263 –– Absorptions- 316
Scheinkraft 66 –– Emmissions- 333
Schiebewiderstand 228 Spektralbereich, sichtbarer 283
Schmelzpunkt 176 Spektralfarben 318
Schmelzwärme 176 Spektralfotometer 314
Schraubenfeder 42 Spektrallinie 333
Schubspannung 86 Spektrometer 314
Schutzkontakt 248 Spektrum 333
Schwächungskoeffizient 339 Spiegelung 289
Schwebung 127 Spitzenzähler 364
Schweredruck 88 spröde 84
Schwerelosigkeit 67 Stäbchen 317
Schwerkraft 46 Stalagmometer 101
Schwerpunkt 58 Standardabweichung 10
Schwingkreis 266 Standardabweichung des Mittelwerts 13
Schwingung Statistik 9
–– anharmonische 124 Staudruck 106
–– erzwungene 126 Staurohr 106
–– gedämpfte 124 stehende Welle 134
–– harmonische 121 Steighöhe 100
–– nichtharmonische 124 Steigung 29
Schwingungsbauch 134 Steigungsdreieck 29
Schwingungsdauer 19, 121 Stempeldruck 87
Schwingungsdifferenzialgleichung 123 Steradiant 313
Schwingungsenergie 124 Stichprobe 10
Schwingungsknoten 134 Stimmbänder 137
Schwingungsüberlagerung 126 Stoffmenge 6
424 Stichwortverzeichnis

Stoffmengengehalt 8 Thermodynamik
Stokes-Gesetz 47, 110 –– 1. Hauptsatz 188
Stoß 64 –– 2. Hauptsatz 156
–– elastischer vs. vollständig inelastischer 65 Thermoelement 243
–– inelastischer vollständig 65 Thermographie 168
Stoßionisation 213 Thermospannung 243
Strahldichte 313 Tiefpass 232
Strahlengänge 293 Tomografie
Strahlenschutz 383 –– Kernspin- (MRT) 358
Strahlenschutzverordnung 383 –– Positronenemmisions- 372
Strahlentherapie 380 –– Röntgen (CT) 343
Strahlstärke 313 Torr 88
Strahlung Torsion 85
–– ionisierende 376 Totalreflexion, Grenzwinkel 293
Strahlungsenergie 49 Tracer 370
Strahlungsfluss 312 Trägheit 61
Strahlungsflussdichte 313 Trägheitskraft 65
Strahlungsleistung 312 Trägheitsmoment 70
Strahlungsmessung 312 Tragfläche 112
Streubalken 11 Transformator 260
Streumaß 10 Transpiration 186
Streuung 9 Treibhauseffekt 189
Strömung Tripelpunkt 184
–– ideale, laminare, turbulente 103 Tritium 360
–– reale 108 Trommelfell 139
Strömungswiderstand 111 Tropf 100
Strom 198 Tropfflasche 100
–– elektrischer 198 Tubuslänge 312
–– kapazitiver 225 Tunnelmikroskop 355
Stromfäden 104 turbulent 103
Stromkreis 226
Stromlinienform 112
Strommesser 213 U
Stromquelle 213 Überlagerung von Schwingungen 126
Stromrichtung, konventionelle 213 Überlandleitungen 218
Strom-Spannungs-Kennlinie 216 übersättigt 181
Stromstärke 198 Ultraschall 136
–– elektrische 198 Ultraschalldiagnostik 137
Stromwärme 218 Ultraviolett 283
Stufenversetzung 84 Umlaufzeit 39
sublimieren 174 Umwandlungswärme 174
Suspension 92 Unschärferelation 346
Symmetrieachse 83 unselbstständig 364
Système International d’Unités 3 unterkühlen 177
Szintillationszähler 364 Urometer 91

T V
Tangens 18 Vakuum-Lichtgeschwindigkeit 284
Tangente 30 van’t-Hoff-Gleichung 173
Tangentialbeschleunigung (Bahnbeschleunigung) 33 Varianz 10
Teleobjektiv 303 Vektor 15
Temperatur, absolute 152 Vektoraddition 32
Temperaturnullpunkt, absoluter 152 verdampfen 179
Temperaturskala 153 Verdampfungswärme 179
Termschema (Niveauschema) 333 Verformung
Tesla 253 –– elastische 83
Stichwortverzeichnis
425 S–Z
–– plastische 84 –– elektrischer 216
Vergrößerung 302 –– induktiver 264
Vergrößerungsfaktor (Mikroskop) 310 –– kapazitiver 225
Verlustleistung 218 –– ohm’scher 217
Verschiebungspolarisation 210 –– spezifischer elektrischer 209
Versetzung 85 Widerstand, elektrischer 216
Vielfachinstrumente 213 –– spezifischer 209
Viskosimeter 107 Wien-Verschiebungsgesetz 168
Viskosität 107 Winkelbeschleunigung 70
Volt 203 Winkelfunktion 18
Volumenarbeit 88 Winkelgeschwindigkeit 19, 38
Volumenausdehnungskoeffizient 154 Winkelgrad 18
Volumengehalt 8 Winkelspiegel 289
Volumenprozent 8 Wirkleistung 226, 265
Volumen, spezifisches 7 Wirkungsgrad 188
Volumenstrom 104 Wirkungsquantum, Planck’sches 331
Vorsilben 4 Wurf
–– schiefer 36
–– senkrechter 35
W Wurfparabel 36
Wärme
–– latente 175
–– spezifische 157
Y
Wärmebildkamera 168 Young-Helmholtz-Farbentheorie 318
Wärmekapazität 157
–– spezifische vs. molare 157
Wärmeleitfähigkeit 165 Z
Wärmestrahlung 167 Zähigkeit 107
Wärmeübergangskoeffizient 167 Zählrohr 364
Wassermolekül 202 Zahlengerade 4
Wasserwert 158 Zahlenwertgleichung 5
Watt 51 Zapfen 317
Wattsekunde 48 Zeitkonstante 234
Weber-Fechner-Gesetz 140 Zeitkonstante 21
Wechselspannung 223 Zentralbeschleunigung 39
Wechselstromwiderstand 225, 235 Zentralstrahl 299
Weg-Zeit-Diagramm 30 Zentrifugalkraft 68
Weicheisen 257 Zentrifuge 69, 93
Weißpunkt 319 Zentripetalbeschleunigung 68
weitsichtig 307 Zentripetalkraft 68
Welle Zerfall, radioaktiver 363
–– ebene 133 Zerfallsgesetz 366
–– elektromagnetische 270, 282 Zerfallskonstante 367
–– Kugel 134 Zerfallsreihe 367
–– longitudinale 131 Zersetzung, elektrolytische 240
–– longitudinale vs. transversale vs. stehende 131 zerstrahlen 371
–– stehende 134 Zerstreuungslinse 297
–– transversale 131 zufälliger Fehler 25
Welle-Korpuskel-Dualismus 332, 347 Zusammenhang, linearer 43
Wellenfront 284 Zustandsdiagramm 182
Wellengrundformel 132 Zustandsgleichung 182
Wellenlänge 129 –– van der Waals‘sche 162
Wellenoptik 320 Zustandsgrößen 182
Wellenpaket 347 Zwerchfell 95
Wheatstone-Brücke 229 Zwischenbild (Mikroskop) 310
Wichtungsfaktor 383 Zylinderlinse 296
Widerstand

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