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Prof. Dr.

Stephan Paul
Institut für Experimentalphysik E18

Priv. Doz. Dr. Norbert Kaiser


Prof. Dr. Wolfram Weise
Institut für theoretische Physik T39

Entstanden nach der gleichnamigen Vorlesung


am Physik-Department der
Technischen Universität München

Autoren: Stefan Fritsch, Bernhard Kirchlechner, Robert Wagner


Graphiken: Michael Kuckein, Roland Kuhn
Konzeption: Niklas Beisert
Überarbeitung: Bernhard Bittner, Norman Hauke, Patrick Michelberger
Entstanden nach der gleichnamigen Vorlesung von

Professor Dr. Stephan Paul


Institut für Experimentalphysik E18, Technische Universität München
James-Franck-Straße, D-85747 Garching
E-Mail: stephan.paul@physik.tu-muenchen.de

Dr. habil. Norbert Kaiser


Institut für Theoretische Physik T39, Technische Universität München
James-Franck-Straße, D-85747 Garching
E-Mail: norbert.kaiser@physik.tu-muenchen.de

Professor Dr. Wolfram Weise


Institut für Theoretische Physik T39, Technische Universität München
James-Franck-Straße, D-85747 Garching
E-Mail: wolfram.weise@physik.tu-muenchen.de

Online-Version verfügbar im World Wide Web:


http://www.e18.physik.tu-muenchen.de/∼skript/

Verbesserungsvorschläge, Berichtigungen und Kommentare an:


skript@e18.physik.tu-muenchen.de

3., durchgesehene und erweiterte Auflage 2005

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die des Nachdrucks,
des Vortrags, der Vervielfältigung zu anderen Zwecken als der privaten Verwendung sowie der Speicherung in Da-
tenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses
Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmun-
gen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden
Fassung zulässig.

c
Copyright ⃝2005 Technische Universität München, Physik-Department, Institut für Experimentalphysik
E18. Für die Angaben in diesem Skript wird keine Gewähr im rechtsverbindlichen Sinne übernommen.

Druck und Vervielfältigung:


Fachschaft Mathematik/Physik/Informatik
Studierendenvertretung der Technischen Universität München
Arcisstraße 13
D-80333 München
Telefon: (089) 289–22997
Vorwort

Vorwort zur ersten Auflage:


Dieses Skript ist während der Vorlesung Teilchen und Kerne“ von Professor Dr. Stephan Paul,

Professor Dr. Wolfram Weise und Priv. Doz. Dr. Norbert Kaiser entstanden, die am Physik-
Department der Technischen Universität München im Wintersemester 1998/99 und im Som-
mersemester 1999 für Studierende zu Beginn des Hauptstudiums angeboten wurde.
Die Veranstaltung versuchte, Kapitel aus der Experimentalphysik mit solchen aus der theoreti-
schen Physik zu kombinieren. Ergänzt wurden die vier wöchentlichen Vorlesungsstunden durch
eine zweistündige Arbeitsgruppe, in der vertiefende Aufgaben zu den behandelten Themenge-
bieten diskutiert wurden.
Beim vorliegenden Skript handelt es sich um einen großteils der Vorlesung folgenden Text. Im
Wintersemester wurden zunächst überblicksmäßig Beschleuniger und Detektoren, das experi-
mentelle Handwerkszeug der Teilchenphysik, besprochen, und dann der Bogen über die relativ
tiefgehende Betrachtung von Streuprozessen, der elektromagnetischen Wechselwirkung und der
Struktur des Nukleons sowie der starken Wechselwirkung bis hin zu den Quarks geschlagen.
Der konzeptionelle Weg von den elementaren Wechselwirkungen und den Teilchen hin zur
Kernphysik wurde auch im Sommersemester weiter beschritten, indem der schwachen Wech-
selwirkung und einem Kapitel über Teilchenoszillationen Abschnitte über Nukleon-Nukleon-
Wechselwirkung, Kernmodelle, Zerfälle bis hin zu kollektiven Kernanregungen folgten.
Die Anhänge entstanden aus zwei ergänzenden Vorlesungen im Wintersemester, die von Dr.
Lars Schmitt und Dipl. Phys. Philippe Morath gehalten wurden.
Die Gliederung und die wesentlichen Inhalte dieses Textes entsprechen in der Regel der Vorle-
sung. Die meisten Abschnitte wurden allerdings um erläuternden Text und zahlreiche Grafiken
ergänzt. An wenigen Stellen wurden der Systematik halber Abschnitte vor- oder zusammen-
gezogen, wobei die Gliederung von der in der Vorlesung abweicht; dies schien speziell in den
Kernphysik-Kapiteln (Kap. 10 und 11) sinnvoll.
Schließlich wurde der Text mit Übungsaufgaben aus der Arbeitsgruppe abgerundet. Die Aufga-
ben spiegeln ebenso wie die Vorlesung eine gesunde Mischung aus Theorie und Praxis wieder;
wichtig zu erwähnen ist allerdings, daß erst durch eingehende Diskussion dieser Übungen ein
wirklicher Lernerfolg erzielt werden kann. Darum haben wir uns bewußt auf den Abdruck der
Aufgaben beschränkt, nicht aber der Lösungen.
Dieser Text existiert neben dieser Version auf gutem, altem Papier auch als Online-Skript im
World Wide Web. Hier hat der Leser die Möglichkeit, neben einem linearen“ Blättern durch

iii
Teilchen und Kerne
iv Vorwort

die einzelnen Kapitel jederzeit zum Inhaltsverzeichnis zurückzukehren, um auf einzelne, aus-
gewählte Seiten zu gelangen oder per Stichwort- oder Volltextsuche bestimmte Begriffe im
Text zu recherchieren. Zudem wurden viele Links ins WWW eingefügt, sowie einige farbige
bzw. andere, für die Bildschirmdarstellung besser geeignete Bilder und Grafiken verwendet. Die
WWW-Version soll auch als Test“ für die Möglichkeit dienen, Online-Skripten zu Vorlesungen

zur Verfügung zu stellen. Leider wurde unser ursprüngliches Ziel, das Skript in der Tat parallel
zum Fortschritt der Vorlesung zur Verfügung zu stellen, nicht erreicht. Wir denken aber, dies
mit der Ausführlichkeit des vorliegenden Textes wenigstens ein bißchen entschädigt zu haben.
Kritik, Fehlerberichtigungen, Kommentare und Ergänzungen bitten wir, am besten per Mail, an
die Autoren zu schicken. Wir freuen uns über Feedback aus der Leserschaft.
Zu guter Letzt möchten wir den Dozenten für die freundliche Atmosphäre während der ge-
samten zwei Semester und vor allem für die absolut reibungslose Zusammenarbeit während
der Erstellung dieses Textes danken, ebenso Lars Schmitt für seine stete Unterstützung und für
das Überlassen der Übungsaufgaben. Schließlich möchten wir es nicht versäumen, den Autoren
und Verlagen der Bücher und Texte herzlich zu danken, aus denen wir zahlreiche Abbildungen,
Skizzen und Diagramme übernehmen durften.

Garching, Juni 1999 Die Autoren

Vorwort zur zweiten Auflage:


Im Studienjahr 2005- 2006 wurde die Vorlesung zur Kern- und Teilchenphysik erneut durch
das Professorenduo Stephan Paul und Wolfram Weise gelesen. Hierzu bot sich natürlich eine
Überarbeitung des mittlerweile bereits etablierten Skriptes an, für welche sich die Studenten
Bernhard Bittner, Norman Hauke und Patrick Michelberger bereit fanden.
In der aktuellen Version wurden vornehmlich die inhaltlichen Fehler, sowie aber auch die Recht-
schreibfehler ausgebessert. Weiterhin wurde der Inhalt an kritischen Stellen mit ausfühlicheren
Erklärungen ergänzt, sowie einige neue Sachverhalte und Thematiken aus der Vorlesung hinzu-
gefügt.
Ein besonderes Anliegen war ebenfalls die Ausstaffierung des Skriptes mit noch mehr Bildern,
einerseits von modernen Experimenten in der Kern- und Teilchenphysik, andererseits um kom-
plexe Sachverhalte dem Leser greifbarer zu machen.
Letztendlich wurden auch die Übungsaufgaben einer Korrektur unterzogen, welche sich vor
allem an den Diskussionsaufgaben zum Übungsbetrieb, geleitet von Roland Kuhn, orientierte.
Hierbei fanden auch einige spezielle Zusatzinformationen aus der Übung von Axel Müller Ein-
gang in das Vorlesungsskript.
Summa summarum stellt dieses Skript einen, an manchen Stellen doch ziemlich detailierten,
Überblick über die Kern- und Teilchenphysik dar, wodurch dessen Lektüre dem Studierenden
gerade im Hinblick auf eine etwaige Prüfungsvorbereitung nur ans Herz gelegt werden kann.
Zu guter letzt sei auch von unserer Seite angemerkt, daß das vorliegende Werk, trotz allen
Mühen unsererseits, lediglich einen zweiten Iterationsschritt auf dem Weg hin zu einer per-
fekten, vorlesungsbegleitenden Literatur darstellt. Somit erheben wir keinen Anspruch auf uni-
verselle Richtigkeit aller Informationen im Skript, freuen uns jedoch über konstruktive Kritik,
Teilchen und Kerne
Vorwort v

sowie etwaige Verbesserungsvorschläge.

München, Mai 2006


Die Korrekteure:
Bernhard Bittner
Norman Hauke
Patrick Michelberger

Hier geht’s zur Teilchenphysik. . . (aus Spektrum d. Wissenschaft, August 1999)


Teilchen und Kerne
vi Vorwort
Inhaltsverzeichnis

Präludium 1

1 Einführung 5
1.1 Größenordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2 Energien und Impulse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.3 Elementarteilchen und fundamentale Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . 9
1.3.1 Quarks und Leptonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.3.2 Fundamentale Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.4 Zusammengesetzte Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.4.1 Hadronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.4.2 Kerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

I Teilchen 17
2 Beschleuniger und Detektoren 19
2.1 Beschleuniger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.1.1 Wozu benötigt man Beschleuniger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.1.2 Natürliche Beschleuniger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.1.3 Einfache elektrische Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.1.4 Ablenkung eines Teilchens im Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.1.5 Betatron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.1.6 Zyklotron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.1.7 Synchrotron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.1.8 Linearbeschleuniger (LINACs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
2.1.9 Schwerpunktsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2.1.10 Collider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.1.11 Sekundärstrahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
2.2 Nachweis von Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2.2.1 Elektrisch geladene Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.2.2 Energieverlust eines Teilchens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.2.3 Szintillation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.2.4 Photomultiplier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.2.5 Nachweis der erzeugten Ionisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
2.2.6 Vielfachstreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

vii
Teilchen und Kerne
viii Inhaltsverzeichnis

2.2.7 Nachweis von Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66


2.2.8 Blasenkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
2.2.9 Kalorimetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
2.2.10 Moderne Detektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

3 Streuprozesse 77
3.1 Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
3.2 Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3.2.1 Relativistische Kinematik von Streuprozessen . . . . . . . . . . . . . . 79
3.2.2 Lorentz-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.3 Reaktionswahrscheinlichkeit und Fermis Goldene Regel“ . . . . . . . . . . . 83

3.4 Beispiel: Elastische Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
3.5 Beispiel: Streuung am Yukawa- und Coulombpotential . . . . . . . . . . . . . 85
3.6 Wechselwirkung durch Austausch von Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.6.1 Vorbereitung: Coulomb-Wechselwirkung zweier statischen Ladungsver-
teilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.6.2 Yukawa-Austauschwechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.7 Elastische Elektronenstreuung an einer Ladungsverteilung . . . . . . . . . . . 90
3.7.1 Differentieller Wirkungsquerschnitt und Formfaktor . . . . . . . . . . 91
3.7.2 Eigenschaften von Formfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
3.7.3 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
3.8 Messung von Formfaktoren spinloser Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
3.8.1 Kerne: Gebundene Vielteilchensysteme aus Nukleonen . . . . . . . . . 95
3.8.2 Messung von Formfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
3.8.3 Kernradien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
3.8.4 Magnetspektrometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
3.8.5 Messungen an instabilen Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

4 Elektromagnetische Wechselwirkung 109


4.1 Relativistische Wellengleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
4.1.1 Klein-Gordon-Gleichung für Spin-0-Teilchen . . . . . . . . . . . . . . 109
4.1.2 Dirac-Gleichung für Spin- 12 -Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
4.1.3 Lösungen der freien Dirac-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
4.2 Grundzüge der QED . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
4.2.1 Berechnung von Wirkungsquerschnitten . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
4.3 Elementare Prozesse der QED . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
4.3.1 Streuung von relativistischen Elektronen an einer Punktladung ohne Spin 122
4.3.2 Elektronenstreuung an (punktförmigen) Spin-0- und Spin- 21 -Teilchen . 123
4.3.3 Streuung geladener Leptonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
4.3.4 Paarvernichtung in Photonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
4.3.5 Compton-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
4.4 Präzisionstests der QED . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
4.4.1 Magnetische Momente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
4.4.2 Lamb-Shift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
Teilchen und Kerne
Inhaltsverzeichnis ix

Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

5 Struktur des Nukleons 147


5.1 Elektromagnetische Formfaktoren des Nukleons . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
5.1.1 Magnetische und elektrische Formfaktoren des Protons . . . . . . . . . 147
5.1.2 Messung der Formfaktoren des Protons . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
5.1.3 Messung der Formfaktoren des Neutrons . . . . . . . . . . . . . . . . 156
5.2 Quasielastische und inelastische Elektronenstreuung . . . . . . . . . . . . . . 162
5.2.1 Quasielastische Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
5.2.2 Inelastische Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
5.3 Angeregte Zustände des Nukleons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
5.4 Tiefinelastische Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
5.5 Das Partonmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
5.6 Callan-Gross-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
5.7 Quarkverteilungen im Nukleon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

6 Starke Wechselwirkung 185


6.1 Die Quarks bekennen Farbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
6.2 Symmetrien und Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
6.2.1 Noether-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
6.2.2 Symmetrien in der Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
6.2.3 Innere Symmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
6.3 Das Quarkmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
6.4 Quark-Wellenfunktionen der Mesonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
6.5 Diskrete Symmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
6.5.1 Raumspiegelung bzw. P -Parität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
6.5.2 Zeitumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
6.5.3 Ladungskonjugation bzw. C -Parität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
6.5.4 Das CPT-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
6.6 Von Quarks zu Hadronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
6.6.1 Hadronisierung aus dem Vakuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
6.7 Quarkonia (qq̄-Zustände) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
6.7.1 Resonante Produktion von Vektormesonen . . . . . . . . . . . . . . . 212
6.7.2 Zerfall von Vektormesonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
6.7.3 Leptonische Zerfälle von Vektormesonen . . . . . . . . . . . . . . . . 215
6.7.4 Schwere Vektormesonen (Quarkonia) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
6.7.5 Quarkonia und die Zweig-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
6.8 Das Potential der starken Wechselwirkung für Quarks . . . . . . . . . . . . . . 223
6.8.1 Wasserstoffatom und Positronium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
6.8.2 Vergleich von Positronium und Quarkonium . . . . . . . . . . . . . . . 226
6.9 Baryonen im Quarkmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
6.9.1 Baryonen als Zustände aus drei Quarks . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
6.9.2 Nichtrelativistisches Konstituentenquarkmodell für Baryonen . . . . . 234
6.9.3 Magnetische Momente der Oktett-Baryonen . . . . . . . . . . . . . . . 236
6.10 Streuung von Hadronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Teilchen und Kerne
x Inhaltsverzeichnis

6.10.1 Nichtrelativistische Potentialstreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239


6.10.2 Partialwellenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
6.10.3 Resonanzstreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
6.10.4 Inelastische Streuung und Argand-Diagramme . . . . . . . . . . . . . 243
6.10.5 Streuung von Spin-0- an Spin-1/2-Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . 244
6.11 Erzeugung von Hadronenresonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
6.11.1 Formationsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
6.11.2 Produktionsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
6.12 Hadronstreuung bei hohen Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
6.12.1 Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
6.12.2 Optisches Modell der Hadronenstreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
6.13.1 Vorbereitung: Eichinvarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
6.13.2 Quarks mit Farbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
6.13.3 Gluonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
6.13.4 Lagrangedichte der QCD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
6.13.5 Laufende Kopplungsstärke der QCD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
6.13.6 Skalenbrechung in der tiefinelastischen Streuung . . . . . . . . . . . . 267
6.13.7 Darstellung in der “zweiten Quantisierung“ . . . . . . . . . . . . . . . 272
6.13.8 Perturbative QCD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
6.13.9 QCD auf dem Gitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
6.14 Streuprozesse der starken Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
6.14.1 Streuprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
6.14.2 Teilchenerzeugung bei hohen Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
6.14.3 Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
6.15 Hochenergiereaktionen und Konstituenten der Hadronen . . . . . . . . . . . . 284
6.15.1 Leptonpaar Produktion in hadronischen Kollisionen . . . . . . . . . . . 284
6.16 Elastische Quarkstreuung bei hohen Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
6.16.1 Analogie zur e+ e− -Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
6.16.2 Quarkstreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
6.17 Bestimmung magnetischer Momente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

7 Schwache Wechselwirkung 307


7.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
7.1.1 Eigenschaften der schwachen Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . 308
7.1.2 Grundlegende Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
7.2 Leptonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
7.3 Paritätsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
7.4 Die V–A-Theorie der schwachen Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . 318
7.4.1 Der Axialvektorstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
7.4.2 Kopplungen der Leptonen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
7.5 Anwendungen der V–A-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
7.5.1 Elektronenspektrum im Myonzerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
7.5.2 Berechnung des R-Verhältnisses beim -Zerfall. . . . . . . . . . . . . . 324
Teilchen und Kerne
Inhaltsverzeichnis xi

7.5.3 Paritätsverletzung bei - und -Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326


7.5.4 -Zerfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
7.5.5 Zerfall schwerer Mesonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
7.6 Neutronenzerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
7.7 Hadronische Zerfälle seltsamer Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
7.7.1 ∆I = 1/2 – Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
7.7.2 ∆S = 1 – Übergänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
7.8 Kopplung der W-Bosonen an die Quarkfamilien . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
7.8.1 Cabibbo-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
7.8.2 Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
7.9 Axiale und vektorielle Ladung beim Nukleon . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
7.10 -Lepton-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
7.10.1 Was passiert bei der Streuung an Antineutrinos? . . . . . . . . . . . . 350
7.10.2 Tiefinelastische -Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
7.10.3 Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
7.10.4 Wie realisiert man -Streuung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
7.11 Vereinheitlichung von elektromagnetischer und schwacher Wechselwirkung . . 358
7.11.1 Eichtheorie der elektro-schwachen Wechselwirkung . . . . . . . . . . 359
7.11.2 Wechselwirkung mit geladenen Strömen: . . . . . . . . . . . . . . . . 362
7.11.3 Einbeziehung der Quarks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
7.11.4 Masse des W ± - und Z 0 -Bosons: der Higgs-Mechanismus . . . . . . . . 365
7.12 Bestimmung einiger Parameter des Standardmodells . . . . . . . . . . . . . . 369
7.12.1 Bestimmung des Weinberg-Winkels für neutrale Ströme . . . . . . . . 369
7.12.2 Bestimmung der Massen von W+ , W− und Z0 . . . . . . . . . . . . . . 371
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376

8 Teilchenoszillationen 387
8.1 Das Zweizustandsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
8.2 Das K0 -System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
8.2.1 Lebensdauer von K0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
8.2.2 Seltsamkeitsoszillationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
8.2.3 Regeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
8.3 CP-Verletzung im K0 -System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
8.3.1 CP -Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
8.3.2 Der Parameter ε in der CP -Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
8.3.3 Zerfall von K0 und K̄0 in + − : Zeitevolution . . . . . . . . . . . . . . 401
8.3.4 Direkte CP -Verletzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
8.4 Neutrino-Oszillationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
8.4.1 Zustandsmischung bei Neutrinos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
8.4.2 Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

II Kerne 417
9 Nukleon-Nukleon-Wechselwirkung 419
Teilchen und Kerne
xii Inhaltsverzeichnis

9.1 Struktur des Nukleon-Nukleon-Potentials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420


9.2 Nukleon-Nukleon-S-Wellen-Streuphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
9.3 Das Ein-Pion-Austausch-Potential (OPE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424
9.3.1 Wechselwirkung durch Bosonen (-Mesonen) Austausch . . . . . . . . 424
9.3.2 Pion-Austausch und langreichweitige NN-Wechselwirkung . . . . . . . 424
9.3.3 Pion-Nukleon-Kopplungskonstante und Goldberger-Treiman-Relation . 425
9.3.4 Spin-Isospin-Struktur des OPE-Potentials . . . . . . . . . . . . . . . . 426
9.4 Das Deuteron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
9.4.1 Wellenfunktion des Deuterons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
9.4.2 Radius und Quadrupolmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
9.4.3 Magnetisches Moment des Deuterons . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

10 Kernmodelle 433
10.1 Experimentelle Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
10.1.1 Radien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
10.1.2 Bindungsenergien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
10.1.3 Massenbestimmung in Kernreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
10.1.4 Massenbestimmung mit Penning-Falle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436
10.1.5 Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436
10.2 Tröpfchenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
10.3 Fermigasmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
10.4 Schalenmodell des Atomkerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
10.4.1 Hamilton-Operator des Kerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
10.4.2 Phänomenologisches Kernpotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
10.4.3 Spin-Bahn-Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
10.4.4 Relativistisches (Dirac-)Schalenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
10.4.5 Einfache Vorhersagen des Schalenmodells . . . . . . . . . . . . . . . . 451
10.4.6 Isospin von Atomkernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456

11 Zerfälle 461
11.1 -Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462
11.2 Elektroneneinfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465
11.3 Typische -Zerfalls-Lebensdauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466
11.4 Kern- -Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466
11.4.1 Drehimpulse und β -Zerfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
11.4.2 Darstellung des -Zerfalls im Kurie-Plot . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
11.5 -Zerfall von Atomkernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470
11.5.1 Theorie des -Zerfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
11.6 Kernspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476
11.6.1 Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476
11.6.2 Spontane Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476
11.6.3 Induzierte Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
11.6.4 Spaltprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
Teilchen und Kerne
Inhaltsverzeichnis xiii

12 Radioaktivität, Strahlenwirkung, Kernreaktoren 483


12.1 Strahlungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
12.2 Zellschädigung durch ionisierende Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
12.2.1 Strahlenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
12.2.2 Radiobiologische Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
12.2.3 Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
12.3 Natürliche und künstliche Strahlungsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
12.4 Kernreaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
12.4.1 Spaltmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
12.4.2 Spaltprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
12.4.3 Moderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490
12.4.4 Vier-Faktor-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490
Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492

13 Deformierte und angeregte Kerne 495


13.1 Deformierte Kerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495
13.1.1 Deformationen im Schalenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
13.2 Rotationszustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498
13.3 Kollektive Dipolschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501
13.3.1 Elektrische Dipolanregungen im Schalenmodell . . . . . . . . . . . . . 501
13.3.2 Kollektive Zustände im Schalenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . 504
13.3.3 Weitere Typen von kollektiven Anregungen . . . . . . . . . . . . . . . 507
13.4 Höhere Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508

14 Kernreaktionen 509
14.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509
14.2 Coulombanregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
14.3 Einfang Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512
14.4 Transfer Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
14.4.1 Stripping-Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514
14.4.2 Pick-up Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
14.4.3 Tiefinelastische Streuung und Fusionsreaktionen . . . . . . . . . . . . 517

15 Phasen stark Wechselwirkender Materie 521


15.1 Kernmaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
15.2 Hadronische Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
15.3 Quark-Gluon-Plasma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
15.4 Rapiditätsverteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
15.5 Thermodynamik von Ensembles relativistischer Teilchen . . . . . . . . . . . . 527

16 Sternentwicklung und Elementsynthese 531


16.1 Primordiale Elementsynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
16.2 Sternentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
16.3 Wasserstoffverbrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
16.4 Heliumverbrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
16.5 Verbrennung zum Eisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
Teilchen und Kerne
xiv Inhaltsverzeichnis

16.6 Stern-Kollaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537


16.7 Synthese schwerer Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538

A Addition von Drehimpulsen und Helizität 541


A.1 Clebsch-Gordan-Zerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
A.2 Helizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543

B Relativ interessante Ergänzungen 547


B.1 Lorentztransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547
B.2 Comptonstreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548

C Einige Beschleuniger und Detektoren 551

D Forschungsreaktor FRM-II 553

E Etwas Fachenglisch 559

Literatur 583
Präludium

Historisches:

• Leukipp und Demokrit hatten bereits im 5. Jahrhundert vor Chr. folgende Idee:

Die Wirklichkeit besteht aus Atomen (kleinsten, unteilbaren Teilchen) und leerem Raum ( Va-

kuum“).

Der griechische Philosoph Leukipp gilt zusammen mit seinem Schüler Demokrit als Be-
gründer des Atomismus. Demnach besteht die Welt aus leerem Raum und Materie. Der leere
Raum wird notwendig, da sich die Materie ohne ihn nicht bewegen könnte. Durch Umord-
nung der kleinsten Teilchen, der Atome (gr.: unteilbar, das Kleinste), entsteht Veränderung.
Alles Stoffliche setzt sich somit aus den Atomen zusammen, durch deren Umordnungen eine
makroskopische Veränderung erklärt werden kann.
In manchen Historiker-Kreisen wird behauptet, dass Leukipp nie existiert habe. Angeblich
soll Demokrit diesen Namen als Pseudonym benutzt haben; die heutige wissenschaftliche
Lehre unterstützt diese Meinung allerdings nicht.

• Sir Isaac Newton (1642-1727) über die Wechselwirkung von Teilchen:

“Now the smallest particles of matter may cohe-


re by the strongest attractions, and compose big-
ger particles of weaker virtue. . . There are therefo-
re agents in nature able to make the particles of bo-
dies stick together by very strong attractions. And
it is the business of experimental philosophy to find
them out.”

1
Teilchen und Kerne
2 Inhaltsverzeichnis

Interessante Fragen, die nach Lektüre des Skripts beantwortet werden können:

• Woher kennen wir das Alter des Universums?


• Woher kommt die Elementverteilung auf der Erde?
• Warum sind Meteoriten aus Eisen?
• Warum zerfällt das freie Neutron...ist im Kern aber stabil?
• Was ist die kosmische Strahlung und warum sind in ihr kaum Elektronen aber viele Myonen
enthalten?
• Warum gibt es keine Antiwelt?
• Warum gibt es Kernkraft?
• Was ist Strahlung?
• Worin liegt der Nutzen von Radioaktivität außerhalb der Physik?
• Was sind die grundlegenden Bausteine der Natur und wie wechselwirken sie miteinander?

Wie zu erkennen ist, decken diese Fragen alle Größenordungen vom Universum selbst (1026
Meter) bis zum kleinsten Teilchen (10−19 Meter) ab. Dabei muss die Geschichte von der Ent-
stehung des Universums bis heute berücksichtigt werden, in der sich nach und nach der uns
bekannte Teilchenzoo entwickelt hat. Die Entwicklung des Universums und der Elementarteil-
chen ist Abbildung 1 aufgezeigt.
Interessant ist die Energieverteilung des Universums. Die für uns sichtbare Materie, sprich Ster-
ne bzw. Galaxien, macht nur etwa 5% der gesamten Energie aus. Der Großteil setzt sich aus
noch nicht näher definierter dunkler Materie und dunkler Energie zusammen

Literaturempfehlungen:

• H. Frauenfelder, E. M. Henley, Subatomic Physics, 4th Edition, Prentice Hall, New Jersey
1999 [Fr91]
• F. Halzen, A. D. Martin, Quarks and Leptons, Wiley & Sons, New York 1984 [Ha84]
• E. Lohrmann, Hochenergiephysik, 5. Auflage, Teubner, Stuttgart 2005 [Lo86]
• B. R. Martin, G. Shaw, Particle Physics, 2nd Edition, Wiley & Sons, New York 1997 [Ma97]
• D. H. Perkins, Introduction to High Energy Physics, 3rd Edition, Addison-Wesley, New Jer-
sey 1987 [Pe87]
• B. Povh, K. Rith, C. Scholz, F. Zetsche, Teilchen und Kerne, 5. Auflage, Springer Akademi-
scher Verlag, Berlin 2004 [Po99]
• W. S. C. Williams, Nuclear and Particle Physics, Oxford Science Publ., Oxford 1991 [Wi91]
• L. Bergmann, C. Schaefer, Teilchen, de Gruyter, Berlin 1992
Teilchen und Kerne
Inhaltsverzeichnis 3

Abb. 1: Entwicklung des Universums


Teilchen und Kerne
4 Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1

Einführung

In diesem einführenden Kapitel werden zunächst relevante Begriffe aus den Vorlesungen des
Grundstudiums wiederholt, sowie einige grundlegende Begriffe der Teilchen- und Kernphysik
erläutert. Zu Beginn wollen wir uns einen Überblick verschaffen über die Längenskalen (Kap.
1.1) und die Energieskalen (Kap. 1.2), auf deren Basis wir im Rahmen der Kern- und Teilchen-
physik Untersuchungen anstellen. Danach wollen wir in den Abschnitten 1.3 und 1.4 in einem
ersten Crashkurs“ diejenigen Teilchen und deren Wechselwirkungen kennenlernen, mit denen

wir es im folgenden zu tun haben werden.
Das Ziel der Teilchenphysik ist die Erforschung der elementaren Bausteine der Materie und ih-
rer fundamentalen Wechselwirkungen. Die dazu verfolgte Methode – der Einsatz hoher Energi-
en – gewährleistet ein hohes Auflösungsvermögen. Den experimentellen Zugang stellen Streu-
prozesse dar (Abb. 1.1). Hierbei wird ein Strahl aus Teilchen mit dem Impuls ⃗p an einem Objekt
mit Ausdehnung R gestreut.
Um Objektstrukturen mit der räumlichen Ausdehnung R auflösen zu können, folgt unter Beach-
tung des Welle-Teilchen-Dualismus und der Heisenberg’schen Unschärferelation

⃗p = ⃗k (λ = 2 /k, = 1.055 ⋅ 10−34 Js), ∆⃗p ⋅ ∆⃗x ! (1.1)


2
die Bedingung:

k⋅R!1 bzw. p ⋅ R !

Teilchenstrahl Objekt
(Impuls ⃗p) (target)

Abb. 1.1: Experimenteller Zugang: Streuprozesse

5
Teilchen und Kerne
6 Einführung

1.1 Größenordnungen

typisches
System
Energiespektrum

eV

Atom
Kern 3,0

e-Hülle

0
10−10 m Na-Atom

MeV

Kern
3,0

Protonen und
Neutronen
0
10−14 m 208
Pb-Kern

GeV

Proton
0,3

Quark

0
10−15 m Proton

Abb. 1.2: Längenskalen und Hierarchie der Strukturen im Atom. Daneben sind typische Anregungsenergien und
-spektren gezeigt. Je kleiner die gebundenen Systeme sind, desto größer sind ihre Anregungsenergien.
Teilchen und Kerne
1.2 Energien und Impulse 7

Es ist sinnvoll, entsprechend der Längenskalen der zu betrachtenden Teilchen (Abb. 1.2), wie
z.B. Kerne oder Protonen, sich passende, natürliche“ Einheiten, zu wählen. Einige Beispiele:

• natürliche Längeneinheit:

1 fm ( Fermi) = 10−15 m = 10−13 cm


• Energie-Einheiten:

1 eV = 1.602 ⋅ 10−19 J
1 MeV = 106 eV
1 GeV = 103 MeV = 109 eV

• Lichtgeschwindigkeit

c = 2.998 ⋅ 108 ms−1

Als nützlich erweist es sich, folgenden Zahlenwert im Kopf zu behalten: ⋅ c = 197 MeV⋅fm.

Beispiel: Wie groß muß der Strahlimpuls ⃗p mindestens sein, um etwa Strukturen R < 0.1fm –
beispielsweise im Inneren eines Protons – zu erforschen?

c 0.2 GeV GeV


p! = ≈ =2
R 0.1 fm ⋅ c 0.1 c c

Rationalisierte Einheiten. Ähnlich, wie man in der Elektrodynamik gerne zum Gauß-System
greift, weil sich dieses als am angemessensten erweist, sind in der Teilchenphysik die sog. ra-
tionalisierten Einheiten sehr nützlich, bei denen = 1 und c = 1 gesetzt wird. Energie, Impuls,
Masse und inverse Zeit besitzen dann dieselbe Einheiten. Zur Umrechnung sind folgende Werte
nützlich: c ≈ 0.197 GeV fm; c ≈ 3 ⋅ 1023 fm s−1 . Daneben kennt man noch die Weißkopfeinhei-
ten mit zusätzlich = 1, die allerdings nicht so weit verbreitet sind. Hinweis: Eine ausführliche
Diskussion über Sinn und Unsinn von Einheitensystemen neben den SI-Einheiten findet sich in
[Fl97].

1.2 Energien und Impulse


In der Regel werden wir es in der Kern- und Teilchenphysik häufig mit relativistischen Teilchen
zu tun bekommen, deren Kinematik durch die spezielle Relativitätstheorie bestimmt ist. Die
Energie eines Teilchens mit Masse m und Impuls ⃗p ergibt sich zu:
!
E= m2 c4 + p2 c2 (p = |⃗p|) (1.2)
Teilchen und Kerne
8 Einführung

• Das Photon besitzt keine Ruhemasse, m = 0, und damit gilt:

E = pc (p = k) (1.3)
Diese Gleichung gilt auch für Teilchen mit endlicher Ruhemasse bei hohen Geschwindigkei-
ten, wo die Ruheenergie klein gegenüber dem Impuls ist.
• Für nichtrelativistische Teilchen mit Masse m und Impuls ⃗p (Geschwindigkeit V ν ≪ c) ergibt
sich:

p2
2
" #
E = mc + + O p4 , (1.4)
2m
2 2
mc stellt dabei die Ruheenergie, der Term p /(2m) die kinetische Energie dar.

Erhaltungssätze für Energie und Impuls: Jedes freie Teilchen der Masse m ist charakteri-
siert durch seinen Impuls ⃗p und seine Energie E:
!
E= m2 c4 + ⃗p 2 c2 .

Energie und Impuls werden zusammengefaßt im Viererimpuls


$ %
E/c
P=
⃗p

mit p0 = E/c; pi = Impulskomponente i = 1, 2, 3 und der Eigenschaft

P2 = P ⋅ P = E2 /c2 − ⃗p 2 = m2 c2 .

Der Viererimpuls kann in ko- und kontravarianter Schreibweise dargestellt werden:


pµ = (p0 , p1, p2 , p3 ) = (E/c,⃗p) (kontravariante Darstellung)
pµ = (p0 , p1, p2 , p3 ) = (E/c, −⃗p) (kovariante Darstellung)
& 2
P2 = 3µ =0 pµ pµ ≡ pµ pµ = Ec2 − ⃗p 2 (Skalarprodukte von Vierervektoren)
In der letzten Zeile wurde die Einstein-Summenkonvention eingeführt: Treffen zwei gleiche
Indizes aufeinander (einer oben, einer unten), so wird über alle möglichen Werte des Index
summiert. Tritt ein Index nur einfach auf, so gilt die Gleichung für jeden Wert des Index. Es
handelt es sich also eigentlich um mehrere Gleichungen bzw. eine Vektorgleichung.

• Neben dem Viererimpuls gibt es noch die Orts-Zeit-Vierervektoren xµ = (ct,⃗x)


• Mit der Minkowski-Metrik gµν ergibt sich folgender Zusammenhang zwischen ko- und kon-
travarianten Vierervektoren:
⎛ ⎞
1 0 0 0
⎜ 0 −1 0 0 ⎟
gµν = ⎜⎝ 0 0
⎟ = gµν , pµ = gµν pν , pµ = gµν pν
−1 0 ⎠
0 0 0 −1
Teilchen und Kerne
1.3 Elementarteilchen und fundamentale Wechselwirkungen 9

a a′ d

a c

b b′ b

Abb. 1.3: Zweiteilchen-Streuprozesse Abb. 1.4: Zerfall eines Teilchens

• Bei allen Reaktionen von Teilchen a + b → c + d + e + . . . ist die Summe der Viererimpulse
im Anfangs- und Endzustand eine Erhaltungsgröße. Es gilt
Energiebilanz:

Ea + Eb = Ec + Ed + …
und Impulsbilanz:

⃗pa + ⃗pb = ⃗pc + ⃗pd + …


Beispiele:
1. Zweiteilchenprozesse a + b → a′ + b′ (Abb. 1.3)

Ea + Eb =Ea′ + Eb′
⃗pa + ⃗pb =⃗pa′ + ⃗pb′

2. Zerfälle von Teilchen a → b + c + . . . (Abb. 1.4)

Ea =Eb + Ec + · · · = ma c2
⃗pa =⃗pb + ⃗pc + · · · = 0 (falls Teilchen a ruht)

1.3 Elementarteilchen und fundamentale Wechsel-


wirkungen
Im Folgenden wollen wir eine erste Übersicht über Elementarteilchen und deren Wechselwir-
kungen geben.

1.3.1 Quarks und Leptonen


Quarks und Leptonen sind Elementarteilchen mit Spin (Eigendrehimpuls) S = 21 . Zu jedem in
Tab. 1.1 aufgeführten Teilchen gibt es ein entsprechendes Antiteilchen mit gleicher Masse und
entgegengesetzter Ladung: Q(Antiteilchen) = −Q(Teilchen).
Teilchen und Kerne
10 Einführung

Quarksorte (flavour) Ladung [e] Masse [GeV/c2 ]


u (up) +2/3 ∼ 10−2
d (down) −1/3 ∼ 10−2
s (strange) −1/3 ∼ 10−1
c (charm) +2/3 1.0 − 1.6
b (bottom) −1/3 4.1 − 4.5
t (top) +2/3 170 − 190

Lepton (Sorte) Ladung [e] Masse [MeV/c2 ]


e− (Elektron) −1 0.511
e (Elektron-Neutrino) 0 ∼ 0 (?)

(Myon) −1 105.66
(Myon-Neutrino) 0 < 0.17

( -Lepton) −1 1777
( -Neutrino) 0 < 18.2

Tab. 1.1: Quarks und Leptonen, die elementaren Spin- 21 -Teilchen

Die Quarks werden nicht im Sinne freier Teilchen beobachtet. Die hier angegebenen Massen
entsprechen Werten, die mittels der Theorie der starken Wechselwirkung (Kap. 6) für quasi-

freie“ Quarks aus entsprechenden Experimenten deduziert werden. Hierzu später mehr. . .

1.3.2 Fundamentale Wechselwirkungen


Darstellung durch Feynman-Streudiagramme: Feynman-Diagramme sind eine sehr effizi-
ente Methode, das Matrixelement eines Prozesses anzuschreiben. Die Feynman-Regeln geben
an, wie dieses aus einem Feynman-Graph abgeleitet werden kann. Die Eleganz des Verfahrens
wird einem jedoch erst bewußt, nachdem man einige Matrixelemente zu Fuß“ ausgerechnet

hat. Wie allgemein in der Teilchenphysik üblich, werden wir im Verlauf des Textes von diesem
Hilfsmittel regen Gebrauch machen, und wollen die Übersicht in diesem Abschnitt auch direkt
mit Feynman-Diagrammen beginnen.

Gravitation: Die Gravitation spielt eine singuläre Rolle im Kanon der Wechselwirkungen,
und wird eingehend in der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) [Fl98] behandelt.

Elektromagnetische Wechselwirkung: Diese bestimmt beispielsweise die Physik der Atom-


hülle (Coulomb-Kräfte) und wird durch Photonen vermittelt, den Quanten des elektromagneti-
schen Feldes.

• Die Wechselwirkung zweier Elektronen durch Austausch eines Photons (Masse mPh = 0) ist
als Beispiel eines Feynman-Diagramms der elektromagnetischen Wechselwirkung in Abb.
1.5 zu sehen.
Teilchen und Kerne
1.3 Elementarteilchen und fundamentale Wechselwirkungen 11

• Die Stärke der Wechselwirkung wird durch die Feinstruktur-Konstante charakterisiert.

e2 1
≡ e = ≈ (übliche Konvention: 0 = 1)
4 0 c 137

e− e−
Photon

Elektron Elektron

Abb. 1.5: Beispiel: Wechselwirkung zweier Elektronen – Feynman-Diagramm

Starke Wechselwirkung: Sie bestimmt zum Beispiel die innere Struktur von Proton und
Neutron; ferner die Physik der Atomkerne. Vermittelt wird die starke Wechselwirkung durch
Gluonen.

• Ein Beispiel eines Feynman-Diagramms ist in Abb. 1.6 zu sehen: Wechselwirkung durch
Austausch eines Gluons (Masse mg = 0).
• Stärke der Wechselwirkung:
-
g2s ≈ 101 bei hohen Impulsen Q " 10 GeV/c
αs = =
4 c "1 bei niedrigen Impulsen Q < 0.2 GeV/c

g
gs gs
Gluon

Quark Quark

Abb. 1.6: Beispiel: Wechselwirkung zweier Quarks – Feynman-Diagramm

Schwache Wechselwirkung: Diese bestimmt unter anderem den -Zerfall des Neutrons: n→
p+ e− + ¯ e ; sie wird vermittelt durch W± - und Z0 -Bosonen.

• Beispiele für typische Feynman-Diagramme sind die Wechselwirkung zwischen Quarks und
Leptonen durch Austausch eines W-Bosons ( geladener Strom“, da Ladung übertragen wird),

mit mW = (80.4 ± 0.1) GeV/c2 (Abb. 1.7) und die Wechselwirkung von Leptonen durch Aus-
tausch eines Z0 -Bosons ( neutraler Strom“) mit mZ0 = (91.187 ± 0.007) GeV/c2 (Abb. 1.8).

Teilchen und Kerne
12 Einführung

schwach elektromagnetisch stark


Quarks:
u, d, c, s, t, b # # #
Leptonen:
e, , # # –
e, , # – –
Austauschteilchen ( Bosonen“) W± , Z0 8 Gluonen

Tab. 1.2: Teilchen und ihre Wechselwirkungen

• Stärke der Wechselwirkung:

GW = 1.023 ⋅ Mp−2 ⋅ 10−5 ≈ 10−5 GeV−2 c4

u-Quark e−
e−

W
Z0

e
d-Quark e−

Abb. 1.7: Beispiel: Austausch eines W-Bosons im Abb. 1.8: Beispiel: Austausch eines Z0 -Bosons im
Feynman-Diagramm Feynman-Diagramm

• Die Reichweite der Wechselwirkung wird durch die Masse des Austauschteilchens bestimmt.
Heisenbergs Unschärferelation darf hierbei nicht verletzt werden, daher sinkt die Lebensdau-
er mit zunehmender Masse und damit auch die Reichweite des Austauschteilchens.
• Die elektromagnetische und die schwache Wechselwirkung können zur elektroschwachen
Wechselwirkung zusammengefasst werden.
• Weiterhin kann die elektroschwache Wechselwirkung mit der starke Wechselwirkung im
Standardmodell der Elementarteilchenphysik zusammengefaßt werden.
• Die drei fundamentalen Wechselwirkungen der Elementarteilchen werden durch Austausch
von Vektorbosonen (Teilchen mit Spin 1) vermittelt:

– Photonen, W- und Z0 -Bosonen für die elektroschwache Wechselwirkung,


– Gluonen für die starke Wechselwirkung.

Welche der in Abschn. 1.3.1 besprochenen Teilchen an elektromagnetischer, starker und schwa-
cher Wechselwirkung teilnehmen, ist in Tab. 1.2 zusammengefaßt.
Teilchen und Kerne
1.4 Zusammengesetzte Systeme 13

Abb. 1.9: Die -stabilen Kerne in der Z-N-Ebene (nach [Bo69])

1.4 Zusammengesetzte Systeme

1.4.1 Hadronen
Gebundene Systeme aus Quarks und Gluonen werden als Hadronen bezeichnet. Man unter-
scheidet:

• Baryonen sind aus drei Valenzquarks zusammengesetzte |qqq〉-Systeme mit halbzahligem


Spin (J = 21 , 32 ), wie beispielsweise die Nukleonen (Proton mit Quarkinhalt |uud〉 und Ladung
Q = e, Neutron mit Quarkinhalt |udd〉 und Ladung Q = 0).
• Mesonen sind Systeme aus Quark-Antiquark-Paaren |qq̄〉, mit ganzzahligem Spin (J = 0, 1),
wie beispielsweise das Pion + , 0 , − mit Drehimpulsquantenzahl J = 0 oder das Rho-
Meson + , 0 , − mit J = 1 (beide konstituieren sich aus u und d-Quarks).

1.4.2 Kerne
Kerne sind gebundene Vielteilchensysteme aus Nukleonen. Für die Kernmassenzahl A gilt:

Kernmassenzahl A = Protonenzahl Z + Neutronenzahl N

Eine Übersicht der bekannten Nuklide ( Nuklidkarte“) findet sich in Abb. 1.9. Nuklide mit

gleicher Massenzahl A werden als Isobare bezeichnet, diejenigen mit gleicher Ladungszahl Z
als Isotope und solche mit gleicher Neutronenzahl N als Isotone.
Für die Bindungsenergie im Nukleon ergibt sich

. " # /
B = Z Mp + me + NMn − M(A, Z) c2 (1.5)
Teilchen und Kerne
14 Einführung

mit Mp = 938.27 MeV/c2 , Mn = 939.57 MeV/c2 und me = 0.51 MeV/c2 . Man erhält also die
Summe der Ruheenergien der einzelnen Atombausteine von der eine Defektmassenenergie ab-
gezogen wird. Für die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon ergibt sich damit:

B
≈ 8 MeV.
A
Teilchen und Kerne
Übungen 15

Übungen zu Kapitel 1
Übung 1.1: Energiebilanz beim Pionzerfall. Wie groß sind die (totalen) Energien des My-
ons und des Antineutrinos, die sich aus dem -Zerfall eines ruhenden Pions gemäß − → − + ¯
ergeben? (Masse des Pions: m − = 139.6 MeV/c2 ; Masse des Myons: m = 105.7 MeV/c2 )

Übung 1.2: -Zerfall des Elektrons. Das gemessene Energiespektrum von Elektronen beim
Zerfall des Neutrons hat die in Abb. 1.10 gezeigte Form.

a) Zeigen Sie, daß diese empirische Tatsache mit einem reinen Zweikörperzerfall n → p + e−
nicht zu vereinbaren ist.
b) Bei einer Koinzidenzmessung mit einem ruhenden Proton im Endzustand wird die maxi-
male totale Energie des Elektrons experimentell zu E0 ≈ 760 keV bestimmt. Ermitteln Sie
für das Teilchen X die Masse, die sich aus dem Dreikörperzerfall n → p + e− + X ergibt
(Massen: mp = 938.27 MeV/c2 , mn = 939.57 MeV/c2 , me = 0.511 MeV/c2 ).
c) Überlegen Sie sich, wie sich das Energiespektrum qualitativ bei -Zerfällen in Kernen
verändert.
N(E)

E0

0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1


N(E) vs. E Ee/MeV

Abb. 1.10: Energiespektrum der Elektronen beim -Zerfall


Teilchen und Kerne
16 Übungen
Teil I

Teilchen

17
Kapitel 2

Beschleuniger und Detektoren

Abb. 2.1: Das Bild zeigt einen Ausschnitt des Atlas- Detektors, welcher zur Messung des Higgs- Bosons am LHC
(CERN) in Genf verwendet wird

Literaturempfehlungen zu diesem Kapitel:

• F. Hinterberger, Physik der Teilchenbeschleuniger, Springer Akademischer Verlag, Heidel-


berg 1997 [Hi97]
• C. Grupen, Teilchendetektoren, B. I.-Wissenschaftsverlag, Mannheim 1993 [Gr93]
• G. Musiol, J. Ranft, R. Reif, D. Seelinger, Kern- und Elementarteilchenphysik, 2. Auflage,
Verlag Harri Deutsch, Thun, Frankfurt am Main 1995 [Mu95]
• K. Wille, Physik der Teilchenbeschleuniger, Teubner, Stuttgart 1992 [Wi92]

19
Teilchen und Kerne
20 Beschleuniger und Detektoren

2.1 Beschleuniger
Dieses Kapitel bietet einen Überblick über verschieden Arten von Beschleunigern. Zunächst
wird das Verhalten von geladenen Teilchen in elektrischen und magnetischen Feldern näher be-
schrieben, worauf die Bewegung eines Teilchens in einem Beschleuniger basiert. Dann werden
die verschiedenen Beschleunigertypen mit ihren Eigenheiten erläutert. Am Ende des Kapitels
wird die Detektion von Strahlung behandelt, womit Rückschlüsse auf das Verhalten der be-
schleunigten Teilchen gezogen werden können.
2.1.1 Wozu benötigt man Beschleuniger?
Beschleuniger sind eine einfache Möglichkeit Teilchen mit hohen Energien zu erhalten, die für
verschiedene Anwendungen benötigt werden:
• Bei der Suche nach dem Kleinsten. Um hier hohe Auflösungen zu erziehlen, werden kleine
Wellenlängen benötigt. Um dies zu erreichen ist ein großer Impuls nötig (λ ∼ 1/p).
• Erzeugung neuer Teilchen und Teilchensorten.

Mneu > Mstabil


Die Masse der neuen Teilchen muss aus der Energie der Anfangsteilchen genommen werden.

E ≃ p ⋅ c ≥ Mneu c2
• Manipulation von Teilchen

2.1.2 Natürliche Beschleuniger


Natürliche Beschleunigsmechanismen spielen in der heutigen Physik nur noch eine untergeord-
nete Rolle und werden nur noch bei einigen speziellen Aufgaben verwendet. Historisch stellen
diese aber die ersten verwendbaren Teilchenstrahlen dar.
2.1.2.1 Kosmische Strahlung

Mit diesem Beschleuniger wurden die ersten Versuche an hochenergetischen Teilchen durch-
geführt, z.B. der erste Nachweis des Pions.
Die primäre kosmische Strahlung, Protonen und γ -Strahlung, trifft auf Atome in der Atmo-
sphäre und erzeugt dort sekundäre Teilchen. Diese erzeugen einen Teilchenfluss Φ (etwa ein
Teilchen pro Minute und cm2 ) auf der Erdoberfläche mit den Experimente möglich sind.
2.1.2.2 Gravitation

Die Gravitation spielt bei Beschleunigern auf Grund der hohen Energien und kleinen Teilchen-
massen fast keine Rolle. Eine Ausnahme spielt hier die Beschleunigung von ultrakalten Neu-
tronen.
Neutronen mit Energien E $ 300neV können mit Materiewänden und magnetischen Feldern
eingefangen werden. Um sie zu detektiern, müssen sie aber diese Barriere überwinden: bei
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 21

einem Fall von 1 Meter Höhe gewinnen die Neutronen ∆E ∼ 100neV. Dieser Energieunterschied
reicht aus, um die Falle zu verlassen.
2.1.3 Einfache elektrische Felder
Generell werden elektrische Felder durch Potentialdifferenzen bzw. Ladungen erzeugt. Elektri-
sche Felder sind Vektorfelder - an jedem Raumpunkt haben sie also sowohl einen Betrag als
auch eine Richtung definiert. Es gilt folgender Zusammenhang zwischen der Potentialdifferenz
U und dem elektrischen Feld E⃗ :
0
U= E⃗ (⃗x)d⃗x

Vakuumrohr
⃗E-Feld Target
Teilchen- Teilchen-
U
strahl
quelle

Hoch-
spannungs-
generator

Abb. 2.2: Schema eines Hochspannungs-Beschleunigers

In einem Hochspannungs-Beschleuniger wird ein Teilchen mit Ladung q im elektrischen Feld


E⃗ beschleunigt (Abb. 2.2). Für die Kraft ⃗F auf eine Ladung q im Feld E⃗ gilt:

⃗F(x) = qE⃗ (x)

Dabei gewinnen sie die Energie


0 0
E= ⃗F(x) d⃗x = qE⃗ (x) d⃗x (2.1)

Für ein konstantes elektrisches Feld vereinfacht sich (2.1) zu

E = qE ∆x (2.2)
Cockcroft-Walton-Beschleuniger: Dieses Verfahren wird zum Beispiel im Cockcroft-Walton-
Beschleuniger (Nobelpreis1 1961 für Cockcroft und Walton) (Abb. 2.3) oder im Van-de-Graaff-
Beschleuniger (Abb. 2.4) verwendet.
Für den Cockcroft-Walton-Beschleuniger haben seine Erfinder eine eigene Hochspannungs-
quelle entwickelt, den Cockcroft-Walton-Generator.
1
http://www.nobel.se/laureates/physics-1961.html
Teilchen und Kerne
22 Beschleuniger und Detektoren

Abb. 2.3: Cockcroft-Walton-Beschleuniger

Van-de-Graaff-Beschleuniger: Im Van-de-Graaff-Beschleuniger wird elektrische Ladung auf


mechanischem Wege in einen feldfreien Raum der Beschleunigungselektrode gebracht.Die hieraus
entstehende Spannung wird zur Beschleunigung benutzt. In der verbreitetste Methode der Rea-
lisierung bedient man sich eines umlaufenden Bandes, auf das wahlweise positive oder negati-
ve Ladung abgestreift wird (vgl. Bandgenerator) Die Ladung wird dann durch das Band zum
Pol transportiert und über Nadeln zur Poloberfläche (meist in Form einer Kugel) abgesaugt.
Eine eingebrachte Ionenquelle emittiert schließlich Ionen, welche in einem evakuierten Rohr
durch die entstandene Potentialdifferenz beschleunigt und durch einen Magneten auf das Tar-
get hin abgelenkt werden. Siehe hierzu auch Abb. 2.4. Die maximal erreichbare Feldstärke
im Van-de-Graaff-Beschleuniger beträgt E dx = 20 ⋅ 106 V. Damit werden Endenergien von
E = 20⋅106 eV = 20 MeV für q = e erreicht. Diese Feldstärken sind aber nur unter Luftabschluss
erreichbar, da sonst schon bei relativ niedrigen Spannungen ein Überschlag stattfinden würde.
Als hochspannungsfestes Gas zur Luftverdrängung eignet sich z.B. SF6 . Der Van-de-Graaff-
Beschleuniger ist der weitverbreitetste Niedrigenergiebeschleuniger und erreicht die höchsten
Spannungen aller Potentialbeschleuniger. Außerdem weißt er die höchste Spannungskonstanz
auf, was für eine kleine Energieunschärfe ∆E der beschleunigten Teilchen sorgt.
Zwei Van-de-Graaff-Beschleuniger mit Umladung bezeichnet man als Tandem-Beschleuniger.
Dieser benötigt negativ geladene Ionen, die man erzeugt, indem man den (aus der Quelle emit-
tierten) Ionenstrahl zunächst durch einen Wasserstoffstrahl laufen lässt. Hierbei findet Elektro-
neneinfang statt, wodurch negativ geladenen Ionen entstehen. Diese werden durch ein elek-
trisches Potential beschleunigt und treffen dann auf eine dünne Folie, wodurch sie Hüllen-
elektronen verlieren ( stripping“) und zu positiv geladenen Ionen werden. Dadurch kann die

Beschleunigungsspannung noch einmal wirksam werden, und somit eine höhere Endenergie er-
reicht werden. Dieses Verfahren ist vor allem für Ionen mit Z ≫ 1 nützlich, da diese bei der
Umladung mehrfach positiv ionisiert werden können und dadurch natürlich stärker beschleu-
nigt werden. Hierdurch sind Energien von Eion ≈ 1 GeV erreichbar. Der Tandem-van-de-Graaff-
Beschleuniger am Münchner Beschleunigerlaboratorium2 (Abb. 2.5) besitzt eine Endenergie
von 14 MeV bei Protonen.
2
http://www.bl.physik.tu-muenchen.de/
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 23

Abb. 2.4: Schema eines Van-de-Graaff-Beschleunigers (aus [Wi92])

Abb. 2.5: Der Tandem-Van-de-Graaff-Beschleuniger am Münchener Beschleunigerlaboratorium


Teilchen und Kerne
24 Beschleuniger und Detektoren

2.1.4 Ablenkung eines Teilchens im Magnetfeld


Im Magnetfeld bewegt sich ein geladenes Teilchen auf einer Kreisbahn. Hierfür ist das Gleich-
gewicht aus Lorentzkraft und Zentripetalkraft verantwortlich:
Für die Lorentzkraft gilt:
1 2
⃗FLorentz = V⃗ × ⃗B ⋅ q (2.3)

wobei ⃗p = m0 γ V ⃗ γ (für kleine Energien wird dies zu ⃗p = mV


⃗ = m0 cβ ⃗ wegen γ ≈ 1) und
⃗ =ω
V ⃗ × ⃗r gilt.
Die Lorentzfaktoren β und γ sind aus der speziellen Relativitätstheorie bekannt und genügen
den Relationen:

γ=3
1 ⃗ =V
β
c
1 + β⃗2
⃗ ⊥ ⃗r und V
Für V ⃗ ⊥ ⃗B gilt dann:

V
ω= und F = (V ⋅ B) ⋅ q (2.4)
r
Desweiteren gilt für die Zentrifugalkraft:

mV 2
FZentr = = ω 2r ⋅ m (2.5)
r

⃗B

Im Gleichgewicht ergibt sich dann:


R

FZ = FL F⃗L

mω 2 r = V ⋅ B ⋅ q ⃗v

V
m =B ⋅ q
r Abb. 2.6: Lorentzkraft. Die Kreu-
p
⇒ =r ze deuten an, daß das ⃗B-Feld in
qB die Blattebene hineingeht. Entspre-
chend müßte ein auf der Bahn krei-
sendes Teilchen positive Ladung
besitzen (z. B. ein Positron).

Für q = e, p in GeV, r in m und B in T vereinfacht sich dies zu

p
≈ r ⋅ 0.3 (2.6)
B
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 25

Dies ist die Standardgleichung für Teilchen im Magnetfeld.


Wie lange benötigt das Teilchen für einen Umlauf?

∆s 2π r p c ⋅ m0 ⋅ β ⋅ γ
τ= = mit r = =
V V |q| ⋅ B |q| ⋅ B

2 π ⋅ m0 ⋅ γ
⇒τ =
|q|B

Für V ≪ c gilt: γ → 1 und damit gilt für τ :

2 π ⋅ m0
τ=
|q|B

In dieser Näherung gilt für die Umlauffrequenz ωc , auch


Zyklotronfrequenz genannt:
|q|B γ →1 |q|B
ω= ≡ ωc =
γ m0 m0

Es zeigt sich, dass die Umlauffrequenz unabhängig vom Inpuls ⃗p des Teilchens ist, solange die
Näherung γ ≈ 1 gilt.
2.1.5 Betatron
Das Betatron wurde 1940 an der University of Illinois von D. Kerst entwickelt. Im Betatron,
auch Elektronenschleuder genannt, werden die Elektronen nicht mit Hilfe von Beschleuni-
gungselektroden oder -resonatoren, sondern im elektrischen Wechselfeld eines Transformator-
kerns beschleunigt.

Fe
Vakuumröhre
50 Hz

freie Elektronen

Abb. 2.7: Schematische Darstellung eines Betatrons

Nach dem Induktionsgesetz entsteht um die Feldlinien eines zeitlich veränderlichen Magnetfel-
des ein elektrisches Wirbelfeld. Befinden sich frei bewegliche Elektronen in dem induzierten
elektrischen Feld, dann werden sie beschleunigt. Das zeitlich veränderliche Magnetfeld erzeugt
man im Betatron in einem Transformatorkern mit einem Wechselstrom von 50 bis 500 Hz, der
durch die Primärwicklung fließt.
Eine schematische Darstellung geben Abb. 2.7 und 2.8. Als Sekundärwicklung des Transfor-
mators dient der Elektronenstrahl, der in ein gut evakuiertes Ringrohr eingeschossen wird. Das
Teilchen und Kerne
26 Beschleuniger und Detektoren

Magnetfeld, welches den Strahl auf der Kreisbahn hält, muß so gewählt werden, daß die be-
schleunigten Elektronen bei allen vorkommenden Energien im Beschleunigungsrohr auf dem
Sollkreisradius Rs gehalten werden. Man nennt dieses Magnetfeld das Führungs- oder Halte-
feld.
Da aufgrund der Beschleunigung durch die Wirbelfelder der Impuls der Elektronen zunimmt,
erhöht sich bei konstantem Haltefeld der Radius der Kreisbahn. Um dem entgegen zu wirken,
muss das Haltefeld mit der Zeit zunehmen. Im Folgenden wird nun die Beziehung für eine
stabile Bahn abgeleitet:
• Für die Vergrößerung des Impulses gilt:
d
m ⋅ V = F = e ⋅ Eϕ
dt
• mit: m ⋅ V = p = |q|RB = eRB

→ e ⋅ E ϕ = eṘB + eRḂ
• Dem zeitlich variierenden Magnetfeld kommen hierbei zwei Aufgaben zu:

⃗ auf der Kreisbahn.


– Das B- Feld hält Elektronen mit der Geschwindigkeit V
– Die zeitliche Variation von B beschleunigt die Elektronen.

• Das Elektron soll die Vakuumkammer nicht verlassen, d.h: R(t) = const = Rs
mit
ds = 2π Rs ; dF = 2π R ⋅ dR
4 5
• verwende 3.Maxwell-Gleichung: E ϕ ds = − ∂∂t BdF

0Rs

⇒ E ϕ ⋅ Rs = R ⋅ B(R)dR
∂t
0

• mit der Ersetzung E ϕ = Rs ⋅ Ḃ

0Rs

→ R2s ⋅ Ḃ(Rs ) = R ⋅ B(R)dR
∂t
0

5Rs R2s
• sowie der Definition: R ⋅ B(R)dR = Bind ⋅ 2
0
• folgt die Beziehung für eine stabile Bahn (konstanter Radius):
1
BHalte (R = Rs ) = Bind (R = Rs ) über die Zeit konstant,
2

wobei der radiale Mittelwert


5 Rs des Induktionsfeldes 2bis zum Abstand des Sollkreisradius vom
Kern gegeben ist durch: 0 RB(R)dR = Bind (Rs ) ⋅ Rs /2. Das Haltefeld muss also bei der Vaku-
umröhre halb so groß sein, wie der Mittelwert des induzierten magnetischen Feldes.
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 27

Abb. 2.8: Betatron a) Schnitt durch die Symmetrieachse b) Aufsicht (aus [Ko55])

Stabilitätsbedingung: Um Teilchen, die von der Sollbahn abweichen, wieder auf die vor-
gesehene Flugbahn zu bringen muss das Betatron so konstruiert sein, dass auf abweichende
Teilchen eine rücktreibende Kraft in Richtung Sollbahn wirkt.

• Radiale Stabilität:
Nach Abb. 2.9 wirken auf ein Teilchen im Betatron die Zentrifugalkraft: FZ = mV 2 /r so-
wie die rücktreibende Lorentzkraft: FL = eVB(r). Wir wollen nun die Bedingung für ein
Magnetfeld finden, das folgendes leistet: Auf der Sollbahn der Teilchen befinden sich Zen-
trifugalkraft und Lorentzkraft im Kräftegleichgewicht. Weichen die Teilchen nach außen ab,
so wirke die Lorentzkraft rücktreibend, weichen die Teilchen nach innen ab, so sollen sie via
Zentrifugalkraft wieder weiter nach außen kommen. Dies wird erfüllt für:

Abb. 2.9: radiale Stabilität im Betatron (aus [Ko55])


Teilchen und Kerne
28 Beschleuniger und Detektoren

R < RS : FZ > FL
R > RS : FZ < FL
FL muss also weniger schnell mit R abfallen als FZ . Um dies zu realisieren, muss das Ma-
gnetfeld wie folgt beschaffen sein:

B(r) ∝ R−n , n<1

B-Feld muß langsamer mit R abfallen als 1/R

• Axiale Stabilität:
z
e−
BR Durch die Krümmung der Magnetfeldlinien
BR
nach außen wird bei einer axialen Auslenkung
eine rücktreibende Kraft in z-Richtung zu z = z0
Bz erzeugt.
F
R Vz ≠ 0 ⇒ FLz = e ⋅ Vz BR
Die Stabilität im Betatron wird dann durch
B(r) ∝ R−n mit n > 0 gewährleistet. Andernfalls
würde durch eine Krümmung nach Innen die
zusätzliche Kraft in die falsche Richtung wirken
und die axiale Auslenkung noch vergrößert.
Abb. 2.10: Axiale Stabilitätsbedingung

Insgesamt erhalten wir also folgende Bedingung für eine stabile Bahn im Betatron:

B-Feld muß mit R abfallen wie B(r) ∝ R−n mit 1 > n > 0

Eine grundlegende Eigenschaft aller Kreisbeschleuniger sind die Schwingungen um die Soll-
Lage, die sogenannte Betatronschwingung. Beim Betatron ist sie für 0 < n < 1 vorhanden,
wobei gilt: ωBetatron < ωUmlauf .
Die Bedingung 0 < n < 1 wird auch zweite Stabilitätsbedingung genannt und gilt für alle
Kreisbeschleuniger.

Betriebsmodus: Typische Werte für den Betriebs eines Betatrons sind:

2 R 1
β ≈ 1 2 R ≈ 1m tUmlauƒ = = s = 3 ⋅ 10−9 s
c 3 ⋅ 108
Für die Beschleunigungsdauer ∆t gilt: die Beschleunigung erfolgt nur in der ersten Viertel-
Periode der Schwingung (Abb. 2.11), da ein Anstieg des Feldes für die Induktion benötigt wird
und das Feld eine positive Stärke haben muss, da sonst der Strahl in die falsche Richtung vom
Haltefeld abgelenkt wird. Es gilt also bei einer Erregerfrequenz von 50 Hz:
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 29

B(t)

ein aus ein aus ein aus

hl.

hl.

hl.
sc

sc

sc
Be

Be

Be
Zeit

0.01 0.02 0.03 0.04

1
t
1
200 s

Abb. 2.11: Phasendiagramm, ω ≈ 50 Hz

1 1 1
∆t = ⋅ Wiederholfrequenz−1 = = s
4 4 ⋅ 50Hz 200
1 ∆t 1
⇒ in ∆t = s gibt es = ≈ 1.5 ⋅ 106 Umläufe
200 tUmlauf 6 ⋅ 10−7
Geht man also in einer Idealisierung davon aus, dass die Elektronen schon zu Beginn der Be-
schleunigungsphase praktisch ihre Endgeschwindigkeit erreicht haben, dann erfolgen in der
kurzen Phase über eine Million Umläufe.
Für die Energie gilt:

∆E
≈ 10 eV
Umlauf

EEnde ≈ 1.5 ⋅ 107 eV = 15 MeV


3
2
Für große Energien ist die relativistische Massenzunahme m = γ m0 = m0 / 1 − Vc2 zu beach-
ten. Die Betatronschwingungen werden durch die Massenzunahme des Elektrons gedämpft (die
Amplitude nimmt auf etwa ein 1/20 bis 1/30 ihrer ursprünglichen Höhe ab).
Beim größten Betatron, 1952 von D. Kerst konstruiert, hat man etwa 105 Umläufe erreicht,
sowie einen Energiegewinn von ∆E = 3 keV pro Umlauf.

Emax ≈ 300 MeV bei 1 m Radius

Im medizinischen Einsatz sind heute Energien von E ≈ 20 MeV typisch. Die Elektronen werden
aus ihrer Bahn ausgelenkt und auf ein Target geleitet. Mit der dabei entstehenden Bremsstrah-
lung oder direkt mit den Elektronen lassen sich dann Bestrahlungen durchführen.

Betatrons sind nicht für Protonen geeignet, da


Teilchen und Kerne
30 Beschleuniger und Detektoren

1. eine Dämpfung der Schwingung fehlt, aufgrund der geringeren relativistischen Massen-
zunahme
2. Protonen zu langsam umlaufen, d. h. zu wenig Umläufe/Periode ausführen und dadurch
1
zu wenig effektive Beschleunigung erfahren (Vp ≤ 10 Ve , EpEnde ≈ 1 MeV)

Wie erhält man höhere Energien? Beispielsweise durch mehrmaliges Durchlaufen einer
Beschleunigungsstrecke. Dies wird in Kreisbeschleunigern wie Zyklotron, Mikrotron oder Syn-
chrotron ausgenutzt, welche wir in den folgenden Abschnitten besprechen wollen.

2.1.6 Zyklotron

Eine weitere Beschleunigerart ist das sog. Zyklotron. Ein Zyklotron hat gegenüber dem Be-
tatron den Vorteil, dass Haltefeld und Beschleunigungsfeld entkoppelt sind. Dabei kann die
Beschleunigungsstrecke mehrmals durchlaufen werden. Dadurch werden höhere Endenergien
erreicht. Auch hier werden mit Hilfe eines Magnetfeldes geladene Teilchen auf eine Kreisbahn
gelenkt. Aus dem Gleichgewicht von Lorentz- und Zentrifugalkraft erhält man die Zyklotron-
umlauffrequenz ωc :

mV qB
mω 2 r = ⋅ ω r = VB ⋅ q ⇒ ωc = (2.7)
r m
Das Teilchen wird im Zentrum eines Magneten eingeschossen (R ≈ 0) und durchläuft nun die
Beschleunigerstrecke und gewinnt dadurch Energie. Dann tritt es in ein Magnetfeld ein und
wird um 180 Grad abgelenkt. Nun durchläuft es die Beschleunigungsstrecke in entgegengesetz-
ter Richtung. Um auch hier das Teilchen wieder zu beschleunigen muss die Beschleunigungs-
spannung umgepolt werden: das Teilchen erfährt eine erneute Beschleunigung. Dieser Vorgang
wiederholt sich bei jedem Umlauf, so daß das Teilchen pro Umlauf 2x eine Beschleunigungs-
strecke durchläuft. Dabei gewinnt es bei jedem Durchlauf durch die Potentialdifferenz an Ener-
gie und Impuls. Dies führt zu einem Anwachsen des Radius, jedoch bleibt die Umlauffrequenz
ωc unabhängig von r, E und p konstant. Deshalb sind im Zyklotron Beschleunigungsfrequenz
(HF) und Umlauffrequenz konstant und gleich:

ωHF = ω = ωc (Zyklotronfrequenz) (2.8)


Für das Beschleunigungsfeld gilt:

E (t) = E 0 sin(ωHF ⋅ t).

Damit ist also gesichert, dass das Teilchen bei jedem Durchlauf der Beschleunigungsstrecke
auch wirklich beschleunigt wird. Für einen maximalen Radius r = Rmax erfolgt dann die Ejekti-
on des Strahls.
Betriebsmodus Die maximale Energie im Zyklotron (nicht-relativistisch) ist nur durch B und
R2max aus (2.6) gegeben. Sie ist dann erreicht, wenn der Radius maximal wird:
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 31

Abb. 2.12: Schema eines Zyklotrons (aus [Ko55])


Teilchen und Kerne
32 Beschleuniger und Detektoren

R2max 2 p2max
Emax = q2 B = (2.9)
2m0 2m

Die Umlauffrequenz für Protonen im nichtrelativistischen Fall beträgt:

ω qB
ƒ= = = 15.2 ⋅ B (2.10)
2 2 m0

wobei ƒ in MHz und B in Tesla (T) gemessen wird. Aus (2.9) und (2.10) erhalten wir für die
maximale Energie:

Emax = 2 2 R2max ƒ2 m0 (2.11)

Mit Btyp ≈ 1.5 T, ƒ ≈ 22, 8 MHz und einer typischen Spannung auf der Beschleunigungsstrecke
zwischen den Duanden (den D“s bzw. in der amerikanischen Literatur oft auch einfach Dees

genannt, siehe Abb. 2.12) von 200–500 kV ergeben sich 20–25 MeV Endenergie bei ca. 50- 400
Umläufen.
Da man fast einen (HF-modulierten) Dauerstrom erreichen kann, erhält man mit 108 –109 Ionen/Teil-
chenwelle im Mittel hohe Ströme der Größenordnung mA (das sind 1016 Teilchen/Sekunde).
Dies stellt einen Vorteil von Zyklotrons dar.

Relativistischer Massenanstieg: Ein Problem stellt der relativistische Massenanstieg dar:

m0 m0 V E
m = γ m0 = 3 =! , β= , γ=
1− V2 1 − β2 c m0 c2
c2

mit ωHF ≈ ωc nur konstant für γ ≈ 1

!
E p2 c2 + m2 c4
γ= = ⇒ p≪m
m0 c2 mc2

Dies liegt daran, dass sich die Umlauffrequenz mit der Massenzunahme verringert. Da die Mas-
senzunahme bei Elektronen aufgrund der hohen Geschwindigkeiten eine größere Rolle spielt,
kann ein Zyklotron nicht für Elektronen verwendet werden (me = 0.511 MeV), wohl aber für
Protonen und Ionen.
Bei gleicher Umlauffrequenz erreichen Deuteronen doppelt so hohe Energien wie Protonen,
" -Teilchen (q = 2,# d. h. im Spalt hat man ∆E = 2eU) viermal so viel, da hier m0 c2 größer ist
m0 c2D = 2 ⋅ m0 c2H .
Hierbei ist zu beachten, daß zwar die selben Einstellungen für Deuteronen und -Teilchen be-
nutzt werden können, da sie die gleiche spezifische Ladung q/m besitzen, aber für Protonen
muss das Zyklotron angepasst werden.
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 33

Höhere Energien: Diese können erreicht werden, indem ωHF variiert wird oder man das Ma-
gnetfeld B mit der Geschwindigkeit ansteigen lässt, um die Umlauffrequenz konstant zu halten:

• ωHF variabel: Beim sog. Synchrozyklotron wird ωHF mit dem Massenzuwachs reduziert, die
Teilchen können dadurch auf der Bahn gehalten werden und bleiben in Takt mit der HF-
Spannung. Man erreicht in etwa 104 –105 Umläufe.
Beispiel: Einige technische Details des 187”-Zyklotrons in Berkeley3 . Hier beträgt die Fre-
quenzmodulation ∆ωHF /ωHF = 50% für Protonen und 25% für Deuteronen. Bei einem Durch-
messer von 4.7 mdwird eine Endenergie von Emax = 730 MeV bei 100 Hz Modulation er-
reicht. Vorteilhaft: Durch viele Umläufe ist nur eine kleine Potentialdifferenz an den Duan-
den nötig: ∆E ≈ 5 keV/Umlauf und ωp ≈ 20–40 MHz gepulst. Einen Nachteil stellt das kurze
Zeitfenster für die Injektion dar, man erhält nur in etwa ≈ 1/1000 der bei Zyklotrons üblichen
Ströme.
• B steigt mit r an: Isochronzyklotron. Da hier dB/dr > 0 gilt, ist eine komplizierte Feldanord-
nung erforderlich, weil analog zum Betatron eine Feldabhängigkeit im Exponenten von n < 0
zu Instabilitäten führt. Meist wird das Feld in alternierenden Gradienten angeordnet.
Hier bleibt also der Teilchenumlauf aufgrund der Feldstärkeerhöhung synchron mit ωHF , was
den Namen Isochronzyklotron“ verständlich macht. Mit pmax ≈ 600 MeV/c erhält man hohe

Ströme. Auch liefert dieses Zyklotron eine hohe Endernergie (Emax ∼ 1GeV).
Am PSI4 (Paul-Scherrer-Institut) wird ein Isochronzyklotron zur Produktion von Neutronen
eingesetzt.

2.1.7 Synchrotron

Das Prinzip des 1945 von Veksler, McMillan und Wideroë konstruierten Synchrotrons besteht
darin, die Beschleunigungsfrequenz ωHF (t) und das Magnetfeld B(t) synchron so zu verändern,
daß die Teilchen, deren Umlauffrequenz und Impuls aufgrund der Beschleunigung sinkt bzw.
anwächst, in den Beschleunigungszellen immer eine beschleunigende Spannung erfahren und
gleichzeitig weiterhin auf der vorgegebenen Bahn im Vakuum gehalten werden.
Auch hier berechnet sich der höchste erreichbare Impuls wieder nach der Formel

pmax = q ⋅ Rs ⋅ Bmax .

Um den Energiegewinn W pro Umlauf zu berechnen, betrachtet man zunächst die Gesamtener-
gie eines Teilchens in Abhängigkeit von der Kreisfrequenz:

qB qc2 B qc2 B
ωTeilchen = = ⇒E=
m E ωTeilchen
Energiegewinn
Daraus folgt für W = Umlauf
:
3
http://www.berkeley.edu/
4
http://www.psi.ch/
Teilchen und Kerne
34 Beschleuniger und Detektoren

Abb. 2.13: Schema eines Synchrotrons (aus [Wi92])

$ %
dE 2 2 d B
W= ⋅ = qc2 = qU − Verluste
dt ωTeilchen ωTeilchen dt ωTeilchen
Man berechnet also das Produkt aus Energieänderung pro Sekunde und Sekunden pro Umlauf
um auf den Energiegewinn pro Umlauf zu kommen. Dies entspricht der Ladung des Teilchens
multipliziert mit der pro Umlauf durchlaufenen Spannung. Abzuziehen für dieses ideale Ergeb-
nis sind natürlich eventuelle Verlustfaktoren (z.B. durch Strahlung).
⇒ B- Feld muss mit t ansteigen. Die Auslenkung erfolgt bei

B = Bmax → pmax = q ⋅ RS ⋅ Bmax

• Was passiert mit der Frequenz ωTeilchen , wenn die Energie des Teilchens zunimmt?
Annahme: VTeilchen = c

2π c2 dB
⇒ VTeilchen = const ⇒ β =1 ⇒ ωTeilchen = const. ⇒ W= 2
⋅q⋅ = q⋅U−Verluste.
ωTeilchen dt
• Wie gross muss ωHF sein?
V
ωHF = k ⋅ ωTeilchen = k ⋅ wobei k eine ganze Zahl ist.
R
Unter Verwendung von
|q| ⋅ B |q| ⋅ B |q| ⋅ B E0
ωHF = k ⋅ =k⋅ =k⋅ ⋅ mit E0 = m0 c2
mTeilchen γ ⋅ m0 m0 E
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 35

und Ausdrücken von E durch p (bzw. duch B) erhält man:


|q| ⋅ B
⇒ ωHF = k ⋅ 6 1 22
m0 1 + cqBRE0

Da RS oft sehr groß und ωTeilchen klein ist → wähle k ≫ 1 damit HF-Kavitäten (= HF-
Hohlraumschwingungen) günstige Grössen haben (Grösse ∼ λHF ∼ ω1HF ) Beispiel: 2π R =
typ
27km(LHC) → ωTeilchen ∼ 10kHz, ωHF ∼ 400MHz.

Bei hohen Geschwindigkeiten gilt: β ≈ 1 konstant ⇒ ωTeilchen = konstant ⇒ dB(t)/dt = kon-


stant.
Die Fokussierung erfolgt durch B(r) ∼ r−n und 0 < n < 1 im Magnetfeldgradienten, wie bereits
beim Betatron in Abschn. I diskutiert.
Derzeit werden die größten Beschleunigungen am Tevatron des FNAL erreicht. Hier wird bei
einem Magnetfeld von Bmax ≈ 4, 2 T und einem Radius von R = 1 km ein Maximalimpuls von
Pmax = 900 GeV/c erreicht. Geplant ist am CERN der Large Hadron Collider5 (LHC) mit supra-
leitenden Magneten mit Bmax ≈ 8, 4 T, einem Radius von R ≈ 4.3 km und einem Maximalimpuls
von Pmax = 7000 GeV/c = 7 TeV/c.

2.1.7.1 Phasenstabilität

Um die Teilchen zu beschleunigen wird eine hochfrequente Wechselspannung an der Beschleu-


nigungsstrecke angelegt. Die Frequenz muss mit der Umlauffrequenz der Teilchen abgeglichen
werden, damit immer ein beschleunigendes Feld durchlaufen wird.

ωHF = kωTeilchen k∈

Die Umlauffrequenz wurde oben schon berechnet. Damit ergibt sich für ωHF :

|q| ⋅ B |q| ⋅ B |q| ⋅ B E0 |q| ⋅ B


ωHF = k =k =k ⋅ =k⋅ 7
mT m0 ⋅ γ m0 E 1 22 8 21
c⋅|q|⋅B⋅R
m0 1+ E0

Da Rs oft sehr groß ist, wird ωTeilchen klein. Um dennoch eine für normale HF-Kavitäten gut
erreichbare Frequenz der Beschleunigungsspannung zu haben werden große k verwendet.
Verschiedene Teilchen, die nicht auf ihrer Sollbahn fliegen, legen unterschiedliche Weglängen
zurück, was eine Phasenverschiebung bezüglich ωHF und damit eine Energieverschmierung zur
Folge hat. Um dem entgegenzuwirken, erfolgt die Beschleunigung im abfallenden Teil der HF-
Hochspannung, wodurch eine Schwingung, die Synchrotronschwingung, um die Sollbahn er-
zeugt wird (Abb. 2.14).
Kommt ein Teilchen mit zu kleiner Kreisbahn zu früh, sieht es ein höheres Feld. Dadurch erhält
es mehr Energiezuwachs, der Radius wächst und die Umlaufzeit erhöht sich im Vergleich zu
5
http://wwwlhc01.cern.ch/
Teilchen und Kerne
36 Beschleuniger und Detektoren

Abb. 2.14: Phasendiagramm für Synchrotron (aus [Ko55])

B(t) I(t)

t1 t t1 t
t0 t0

Abb. 2.15: Stärke des Magnetfeldes und Intensität des Teilchenstrahles während eines Umlaufes. Bei t = 0 wer-
den die Teiclhen eingeschossen, bei t0 ist die Beschleunigung beendet und mit der Extraktion der Teilchen wird
begonnen. Diese ist bei t1 abgeschlossen.

Teilchen auf der Sollbahn. Dies wirkt sich vor allem bei sehr hohen Energien aus, da hier fast
nur Massenzuwachs (und damit Impuls- und Radiuszuwachs) und kaum mehr Geschwindig-
keitszuwachs erfolgt.
Ein Teilchen auf einer zu großen Kreisbahn legt einen längeren Weg zurück und kommt zu spät.
Deshalb sieht es ein niedrigeres Feld, erhält weniger Energiezuwachs und der Radius und die
Umlaufzeit werden kleiner.
Im Synchrotron gilt: HF-Frequenz > Umlauffrequenz. Wenn man also in ein Synchrotron kon-
tinuierlich Teilchen einschießt, bilden sich Teilchenpakete ( bunches“), wobei innerhalb dieser

Pakete Synchrotronschwingung auftritt.
Spills: Da das Magnetfeld immer an die aktuelle Energie der Teilchen angepasst werden muss,
kann kein durchgehender Strahl erzeugt werden. So entstehen immer Zyklen (Beschleunigung
und Extraktion )von 15 bis 30 Sekunden, wobei die Extraktionszeiten 2 bis 20 Sekunden betra-
gen. Die Teilchen während einer Extraktion nennt man Spill (siehe Abb. 2.15).

2.1.7.2 Schwache und starke Fokussierung

Wie hält man einen Strahl zusammen, der ca. 105 mal umläuft und dabei 106 km Weg zurück-
legt?
• schwache Fokussierung:
Aufgrund der Betatronschwingungen variiert der Radius R der Teilchenbahn. Für die maxi-
male Abweichung gilt:
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 37

a
∆Rmax = √ R (für 0 < n < 1); n: Feldindex
1−n
Dabei bedeutet a den Winkel der Teilchenbahn zur Tangente der Kreisbahn am Anfang der
Schwingung. Da n klein ist, wird ∆R sehr groß. Deshalb benötigt man hierfür große Vaku-
umkammern, wodurch der Aufwand und die Kosten explodieren (Beispiel: Synchrotron in
Dubna).
• starke Fokussierung:
Alternierende Sektionen mit stark fokussierenden (n ≫ 1) und defokussierenden (n ≪ 0)
Eigenschaften (|n| ≈ 400) werden nacheinander durchlaufen (analog zur Optik: Eine Kom-
bination aus Sammel- und Zerstreuungslinsen; Beispiel: AGS (alternating gradient synchro-
tron) am CERN und Brookhaven. Wie man solche Sektionen konkret realisiert, werden wir
im Folgenden noch besprechen).
Dadurch erhält man viele Schwingungsperioden pro Umlauf, wobei die Phase Φ stabil und
∆R klein bleibt:
a
ΦBetatron ≪ 2 , ∆Rmax = ⋅R≪R
sqrt1 − n

schwache Fokussierung des Synchrotrons


Dubna Argonne
Max. Energie 10 GeV 12.5 GeV
Vakuumkammer 150 cm × 40 cm 78 cm × 13 cm
Maximales Feld 1.3 T 2.1 T
Radius 30 m 24 m
erbaut 1957 1962

starke Fokussierung des Synchrotrons


DESY CERN
für Elektronen für Protonen (PS)
Max. Energie 6 GeV 28 GeV
Vakuumrohr 13 cm × 9 cm 13 cm × 7 cm
Maximales Feld 0.85 T 1.3 T
Radius 35 m 70 m
Tab. 2.1: Beispiele für Synchrotrons

Stabilitätspunkt: Betrachtet man die Abhängigkeit der Umlauffrequenz vom Impuls, wenn
dieser geändert wird, so ergibt sich:
$ %
dτ 1 1 dp
= − 2 ⋅ mit α = 1 − n
τ α γ p
Bei schwacher Fokussierung gilt für den Parameter α :
2 dτ dp
α = |1 − n| ⇒ γinjekt ≫ α, ∝
τ p
Teilchen und Kerne
38 Beschleuniger und Detektoren

Für die Phasenlage gilt die Diskussion aus Abschnitt 2.1.7.1.


Bei starker Fokussierung ist α > 1 möglich. Folglich gilt bei kleinem γ (Einschußenergie):

2
γinjekt <α

Nach einem Teil der Beschleunigung wächst γ und dτ /τ ∝ dp/p wie bei der schwachen Fokus-
sierung. Für niedrige Energien ist dann die Phasenlage auf dem ansteigenden, für hohe Energien
wegen des Vorzeichenwechsels auf dem abfallenden Ast von UHF .
Daher erhält man einen Phasensprung bei bei einer gewissen Energie E = Ekrit . Wegen dieses
Phasensprungs und der Betatronschwingung erfolgt hier eine sukzessive Beschleunigung in
verschiedenen Anlagen.

→ bei Einschuß: dτ
τ
∼ − dp
p
Phasenlage auf ansteigendem Ast der Hochfrequenz (2.12)
dτ dp
→ nach γ > γkrit : τ
∼ p Phasenlage auf abfallendem Ast der Hochfrequenz (2.13)

Synchrotronschwingung: Die Bewegung der Phasenlage der Teilchen um den Arbeitspunkt“



führt zu Schwingungen, sogenannten Synchrotronschwingungen mit ωSynch ≪ ωT . Dies wird als
langsame Atmung der Bahn bezeichnet. Die Schwingungen sind mit der Zeit (d. h. im Laufe
der Beschleunigung) gedämpft. Für die radialen Schwingungen gilt:

7 81/4
∆r Umax
δr ∝ δE ⇒ = −const
rSoll (1 − n)3 rSoll
3

Auch die Betatronschwingung ist stark mit der Zeit gedämpft.

Magnetische Linsen: Für die starke Fokussierung verwendet man heute, den Methoden der
Optik entsprechend, magnetische Linsen anstelle von combined function“ Magneten mit alter-

nierenden n.

Ablenkmagnete: Zur Ablenkung des Teilchenstrahls verwendet man magnetische Dipole, wie
in Abb.2.16 gezeigt.
Linsen: Als konvexe und konkave Linsen zum Beispiel zur Fokussierung des Strahls verwen-
det man Quadrupole (Abb. 2.17). Diese fungieren als Zerstreuungslinse in die eine Rich-
tung und als Sammellinse in die andere. Dicke Linsen werden dadurch erreicht, daß man
zwei gegeneinander gedrehte Quadrupole verwendet, die dann in beide Richtungen fo-
kussierend wirken.
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 39

Φ = +Φ0 Eisenjoch
Spule
(n ⋅ I)
N
Bz
parallele
h
Eisenpole

S
Φ = −Φ0

Abb. 2.16: Dipolmagnete Abb. 2.17: Quadrupolmagnete (aus [Wi92])

Abb. 2.18: Magnetsektion eines Beschleunigers mit Dipolenmagneten und Quadrupoldupletts (aus [Po96]).

Einen typischen, maßstabsgetreuen Ausschnitt eines Synchrotrons in der Aufsicht zeigt Abb.
2.18. Man erkennt die wesentlichen Beschleunigungs- und Magnetelemente sowie das Strahl-
rohr (durchgezogene Linie). Hochfrequenzbeschleunigungsröhren (K) sind im allgemeinen nur
an wenigen Stellen des Synchrotrons angeordnet. Das Feld der Dipolmagnete (D), die die Teil-
chen auf der Kreisbahn halten, steht senkrecht zur Bildebene. Jeweils zwei Quadrupolmagente
bilden ein Duplett, welches eine fokussierende Wirkung auf den Strahl hat. Dies ist durch die
gestrichelte Linie angedeutet, die die Strahleinhüllende (in vergrößertem Maßstab) darstellt. In
der gezeigten Ebene haben die mit QF bezeichneten Quadrupole fokussierende (n ≫ 1) und die
mit QD bezeichneten Quadrupole defokussierende (n ≪ 1) Wirkung.

Beispielwerte: Am Proton-Synchrotron (PS) am CERN beträgt Emax = 30 GeV, Ekrit = 6.7 GeV.
Diese Werte erreicht man mit n = 392 sowie ω = 5 … 16 MHz. Die Injektionsenergie beträgt
Einj = 50 MeV.

Betatronschwingung bei starker Fokussierung: Betatronschwingungen können gezielt mit-


tels Störmagneten angeregt werden, um Strahlen aus dem Synchrotron zu extrahieren. Dies kann
man in Abb.2.19 erkennen. Hierbei ist zu beachten, daß die Frequenz dieser “neuen“ Schwin-
gung kein Vielfaches der Umlauffrequenz ist (ωBetatron ≠ m ⋅ ωUmlauƒ ).
Teilchen und Kerne
40 Beschleuniger und Detektoren

Orbit

Dipolmagnet
mit Feldfehler

Teilchenbahn

Abb. 2.19: Teilchenbahnen

2.1.7.3 Elektronensynchrotrons

Die radiale Ablenkung einer Ladung bedeutet eine Beschleunigung einer Ladung und damit
einen Energieverlust durch Strahlung. Eine beschleunigte Ladung strahlt Synchrotronstrahlung
ab, deren Energie (und damit der Energieverlust des beschleunigten Teilchens) vom Krümmungs-
radius R und dem Verhältnis von Teilchenenergie zu Teilchenmasse wie folgt abhängig ist:

4 2 2 γ4 E4 1
∆Esynch = eβ ∝ 4⋅ (2.14)
3 R m R

Aufgrund der m−4 -Abhängigkeit der abgestrahlten Energie in (2.14) erhält man für Elektronen
dramatisch höhere Verluste als beispielsweise für Protonen:

1
me ≈ ⋅ mp ⇒ ∆Esynch, e ≈ 1.6 ⋅ 1013 ∆Esynch, p
2000
Dadurch ergibt sich eine obere Energiegrenze für Elektronensynchrotrons, nämlich wenn der
Energiegewinn genau so groß ist wie der Verlust durch Strahlung: ∆EHF = ∆Esynch .
Um diese Verluste zu minimieren, verwendet man folgende Techniken:
• hohe HF-Leistung mit supraleitenden HF-Strukturen
• großer Krümmungsradius (1/R-Term in Gleichung 2.14).

Im Elektronensynchrotron liegt die höchsten, bisher erreichten Energien bei ein Impulsen von
pElektron
max ≈ 100 GeV/c (LEP II6 1999). Zum Vergleich: für Protonen erhält man einen Maxima-
limpuls von 7000 GeV/c (am LHC).
6
http://www.cern.ch/CERN/Divisions/SL/lep2page.html
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 41

Abb. 2.20: Synchrotonringe am Fermilab aus der


Vogelperspektive Abb. 2.21: Innenansicht eines Tunnels (Fermilab
Double Ring)

Abb. 2.22: Schema eines Protonen-LINACs (aus [Wi92])

2.1.8 Linearbeschleuniger (LINACs)


Ein weiterer Typ von Beschleunigern sind die Linearbeschleuniger. Hier werden, wie man schon
aus dem Namen erahnen kann, die Teilchen auf einer linearen Bahn beschleunigt.

2.1.8.1 Protonen-LINACs

Wir betrachten eine Serie von leitenden Röhren, welche über eine Hochfrequenz miteinander
gekoppelt sind (siehe Abb. 2.22).Die eingeschossenen Protonen werden zwischen den Röhren
(z.B. Röhre 1 und 2 in Abb. 2.22) beschleunigt. Vor dem Auftreffen in Röhre 2 muß dann das E-
Feld umgepolt werden, um eine erneute Beschleunigung zu gewährleisten. Dies wird erreicht,
indem eine Wechselspannung der passenden Frequenz an die sog. Driftröhren angelegt wird.
Während des Umpolens würde das Teilchen ein “falsches“ Feld sehen, es wird aber durch die
Driftröhren abgeschirmt und sieht das Feld erst wieder nach dem Austritt aus der Röhre. Bis
dahin ist das Feld aber schon umgepolt.
Teilchen und Kerne
42 Beschleuniger und Detektoren

Abb. 2.23: Protonen-LINACs

Die Teilchen werden allerdings schneller. Um ωHF noch konstant zu halten, muß die Flug-
strecke zwischen den HF-Spalten zunehmen. Deshalb gibt es für die Beschleunigung der Pro-
tonen ein Limit durch die bautechnischen Grenzen der Länge der Abschirmung. Die Länge der
Driftröhren ergibt sich aus:

V ⋅ THF V 2π π ⋅V
li = = ⋅ = ⇒ Emax ≈ 50 MeV
2 2 ωHF ωHF
Aus diesem Grund werden LINACs bei Protonen nur noch als Vorbeschleuniger benutzt. Solche
Strukturen heißen Wideroë oder Alvarez, je nachdem, ob die HF in aufeinanderfolgenden Spu-
len phasengleich oder phasenverschoben (φ = ) ist. Typische Energien für Protonen-LINACs
sind 50 − 100 MeV.
2.1.8.2 Elektronen-LINACs

Anders als schwere Protonen erreichen Elektronen bereits nach dem Durchlaufen weniger Drift-
röhren Geschwindigkeiten nahe an der Lichtgeschwindigkeit V ∼ c. Damit würde die Länge
der Driftröhren sehr groß und ihre Struktur damit sehr unhandlich. Daher nutzt man nun die
fast konstante Geschwindigkeit der Elektronen für eine alternative Struktur zu deren Beschleu-
nigung.
Erzeugt man in einem Hohlleiter eine stehende Welle mit einer Phasengeschwindigkeit VPh < c
und stimmen die Geschwindigkeiten der Elektronen und der Welle überein (VTeilchen = VPh ), so
sieht das Elektron ein zeitlich konstantes Feld. Dies führt bei korrekter Phase zu einer stetigen
Beschleunigung (analog zum Wellenreiten).
Da die Elektronen allerdings nicht exakt Lichtgeschwindigkeit erreichen, ist die Phasenge-
schwindigkeit einer freien Welle zu groß (VTeilchen < VWelle ). Dieses Problem kann man aber um-
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 43

Abb. 2.24: Runzelröhre

gehen, indem man die Impedanz des Hohlleiters erhöht. Deshalb verwendet man bei Elektronen-
LINACs Runzelröhren (loaded wave guides, Abb. 2.24), mit welchen man die Impedanz regu-
lieren kann.
2.1.8.3 Phasenstabilität im LINAC

Wir betrachten Abb. 2.29.


• Kommt ein Teilchen zu früh an, sieht es ein schwächeres E-Feld, und erhält dadurch weniger
Beschleunigung, die Phase bewegt sich nach +t.
• Kommen Teilchen zu spät, erfahren sie ein stärkeres E-Feld also eine höhere Beschleunigung
und die Phasenbewegung verläuft in Richtung −t.

Dies bewirkt eine longitudinale Schwingung. (Man beachte: Im Synchrotron benutzt man zur
Stabilisierung den absteigenden Ast der Hochfrequenzspannung, hier beim Linearbeschleuniger
wird der aufsteigende Ast verwendet.)

2.1.8.4 Räumliche Fokussierung

Die räumliche Fokussierung im Elektronen-LINAC ist schwierig zu erreichen, aber die relativi-
stische Raumkontraktion hilft:
" #
Bei 30 GeV γ = E/(mc2 ) ≈ 60000 wird die Länge eines Labors von (LLabor ≈ 3 km) auf eine
effektiven Länge von (LLINAC ≈ 50 cm) kontrahiert, d.h. die Elektronen ,,sehen” eine sehr stark
,,verkürzte” Flugstrecke. Darüberhinaus haben die E -Felder zwischen den Elektroden eine fo-
kussierende Wirkung.
2.1.9 Schwerpunktsenergie
Die nutzbare Energie
√ in einer Reaktion von zwei Teilchen wird bestimmt durch die Schwer-
punktsenergie s, mit:

S = (P1 + P2 )2
Teilchen und Kerne
44 Beschleuniger und Detektoren

Abb. 2.25: Beamlines am Fermilab (Tevatron)

Abb. 2.26: Elektronen-LINAC am SLAC


Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 45

Abb. 2.27: Luftaufnahme vom SLAC- Gelände

Abb. 2.28: Größter weltweiter Zyklotron: Triumpf


Teilchen und Kerne
46 Beschleuniger und Detektoren

Spannung
U0
Us

Us′
∆ Zeit
s

Abb. 2.29: Phasendiagramm für LINAC (Momentaufnahme)

Hierbei stellen Pi die Vierimpulse der Teilchen dar.


Bei der Kollision zweier Teilchen gibt es zwei Möglichkeiten:
• Beschießen eines ruhenden Targets:

E 2 = m2
E1 , p⃗1 p⃗2 = 0
Abb. 2.30: ruhendes Target

gegeben sind dabei: E1 , ⃗p1 , E2 = m2 , ⃗p2 = 0 (Wir benutzen die in Abschn. 1.1 besprochenen
rationalisierten Einheiten: c = = 1).

$ %2
E 1 + m2
S = = (E1 + m2 )2 − p21
⃗p1
= E12 − p21 +m22 + 2E1 m2
9 :; <
m21

= m21 + m22 + 2E1 m2


Für zwei Protonen (mp = m1 = m2 = 0.938 GeV) ergibt sich beispielsweise die Schwerpunkt-
senergie zu
√ 3
W = s = 2m2p + 1.87 GeV ⋅ E1 .
√ √
Für E ≫ m ist dann s = 1.87 GeV ⋅ E1 . Der Rest der Energie geht in die kinetische
Energie des Schwerpunkts.

Für E = 450 GeV ist s ≈ 29 GeV.
• Kollision zweier Teilchen im Schwerpunktsystem:

E1 , p⃗1 E2 , p⃗2
Abb. 2.31: ruhender Schwerpunkt
Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 47

$ %2
E1 + E2
S= = (E1 + E2 )2 mit ⃗p1 = −⃗p2
⃗p1 + ⃗p2

⇒W= s = E1 + E2
Hierbei wird die kinetische Energie besser genutzt, da der Schwerpunkt ruht und deshalb
keine kinetische Energie für dessen Bewegung aufgewendet werden muß.

2.1.10 Collider
Das Prinzip des ruhenden Schwerpunkts wird in Collidern verwirklicht. Bei ihnen werden zwei
Teilchenstrahlen gleicher Masse aber entgegengesetzter Ladung in einem Ring, der aus einer
Vakuumröhre besteht, gegeneinander beschleunigt und treffen dann aufeinander (Abb. 2.34)
Einige Beispiele:
e+ e− -Collider : LEP II7 mit 100 + 100 GeV
pp̄-Collider : FNAL8 mit 0.9 + 0.9 TeV
pp-Collider : LHC9 mit 7 + 7 TeV (2 Ringe, getrennte Vakuumkammern, trickreiche Magnete)
Im Collider werden
• die Teilchen auf ihre Endenergie beschleunigt.
• die Teilchen bei ihrer Endenergie gespeichert und eventuell Energie nachgeführt (bei Elek-
tronen, wegen Synchrotronstrahlung).
• Teilchenpakete (sog. bunches) an ,,Wechselwirkungspunkten” zur Kollision gebracht.
Aber: Die Anzahl der Kollisionen ist viel kleiner als die Anzahl der Teilchen im Ring; dadurch
gehen nur wenige Teilchen durch Wechselwirkung verloren (vorausgesetzt, man hat ein gutes
Vakuum in der Röhre, < 10−11 mbar , um Stöße mit dem Restgas zu vermeiden).
Die ersten Collider, so auch LEP am CERN (Abb. 2.32), benutzten ein Synchrotron für bei-
de Teilchenarten. Hierbei wird ausgenutzt, daß Antiteilchen und Teilchen sich auf gleicher
Bahn bewegen, lediglich orts- und zeitgespiegelt. Jedoch sind bei getrennten Ringen höhere
Ströme erreichbar. Bei Protonen-Collidern ohne Antiteilchen werden getrennte Ringe benötigt
(pp-Collider-LHC).

Nachteile: Die Zahl der produzierten und gespeicherten Antiteilchen ist gering. Die Reakti-
onsrate in Kollisionen ist gegeben durch:

N1 ⋅ N2
R=σ ⋅L L=ƒ⋅n⋅
A
σ : Wirkungsquerschnitt für die Reaktion [Fläche: cm2 → barn]
L : Luminosität [1/(Fläche ⋅ Sekunde)]
ƒ : Umlauffrequenz
A : Querschnitt der sich überlappenden Strahlen
N1 , N2 : Anzahl der Teilchen in den sich kreuzenden Paketen
n : Anzahl der Teilchenpakete im Ring
Teilchen und Kerne
48 Beschleuniger und Detektoren

ƒ und n sind dabei durch die Beschleunigerstrukturen gegeben.

In sogenannten fixed-target-Experimenten ist die Reaktionsrate gepulst (Wiederholfrequenz des


Beschleunigungszyklus), aber wesentlich höher; abhängig von der Dicke des Targets.

Um große Reaktionsraten zu erhalten, sollten

• N1 , N2 groß sein. Dies wird begrenzt durch die Wechselwirkung der Teilchen im Paket
( bunch“) untereinander und die komplizierte Herstellung bzw. Speicherung von Antiteil-

chen.

• A klein sein, d.h. hohe Fokussierung an den Wechselwirkungspunkten, was durch die Strahl-
Strahl-Wechselwirkung (z.B. Coulombabstoßung) begrenzt wird.

Typische Werte: L = 1032 cm−2 s−1 (Cornell, FNAL)


angestrebt für LHC: L = 1034 cm−2 s−1
SLAC/KEK L = 1033 cm−2 s−1

In “fixed-target“-Experimenten ist die Targetdicke nahezu beliebig wählbar. Typische Werte für
die Luminosität sind L ≈ 1037 cm−2 s−1 .

Abb. 2.32: CERN’s Chain of Accelerators


Teilchen und Kerne
2.1 Beschleuniger 49

Abb. 2.33: CERN in Vogelperspektive

Abb. 2.34: Prinzip eines Colliders (aus [Wi92])


Teilchen und Kerne
50 Beschleuniger und Detektoren

Abb. 2.35: Bild aus dem LEP (CERN)

2.1.11 Sekundärstrahlen
Da instabile Teilchen zerfallen lassen sie sich nicht in normalen Beschleunigern beschleunigen.
Um diese instabilen Teilchen für Experimente verwenden zu können, müssen sie kurz vor der
Verwendung erzeugt werden.
Antiprotonen p̄: Protonen mit einer Engergie von E = 28GeV werden auf ein langes Target
(60cm Beryllium) geschickt. Mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von 10−3 bis 10−4
werden p̄ erzeugt. Diese werden gesammelt und zur Energiefokussierung gekühlt. Kurz
vor dem Experiment werden sie dann auf die gewünschte Energie beschleunigt.
Pionen ± : Hierfür lässt sich wieder obiger Aufbau verwenden. Nur die Wahrscheinlichkeit für
die Erzeugung der Pionen ist höher.
Die Pionen werden nach ihrer Entstehung durch einen Impulsfilter (Magnetkanal) dem
Experiment zugeleitet.
Kaonen K± werden wie die Pionen hergestellt, aber in 20 mal kleineren Intensitäten.
Bei hohen Energien sind Pionen und Kaonen physikalisch nicht seperabel; die Teilchen-
differenzierung muss also im Strahl erfolgen (siehe dazu das nächste Kapitel).
Pionen und Kaonen haben eine kurze Lebensdauer (τ ∼ 10−8 s). Dies ist aber die Eigenzeit.
Im Laborsystem habe sie bei Energien von E ∼ 100GeV eine Lebensdauer von
Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 51

τLab = τ ⋅ γ ⇒ LFlug = c ⋅ τLab ∼ km.


Myonen ± lassen sich am einfachsten als Tertiärstrahl erzeugen: es wird ein Strahl von Pionen
erzeugt und gewartet bis dieser zerfällt.

→ +
Im Laborsystem fliegen die Myonen auch wieder nach “vorne“. Über ein Magnetsystem
lässt sich nur eine Impulsselektierung durchführen. Insgesamt lassen sich Intensitäten von
108 Myonen pro Spill erreichen.

Zuletzt soll hier noch ein kurzer Überblick über die Vor- und Nachteile eines Fixed Target
Experiments und eines Colliders gegeben werden:
Experiment Vorteil Nachteil
Fixed Target höhere Reaktionsrate Kühlung
robuster Strahl Boosteffekte
hohe Statistik
Detektor um Strahlrohr konzipierbar
Collider höhere Energien Kleinwinkelbereich der Streuung
problematisch
Strahl mehrfach verwendbar geringe Reaktionsrate

2.2 Nachweis von Strahlung


Um Informationen über beschleunigte Teilchen und ihrer Interaktion, zum Beispiel bei einer
Kollision, zu erhalten, muss die emittierte Strahlung näher untersucht werden. Aus Instensität,
Winkelverteilung, Energieabhängigkeiten,etc. lassen sich allerhand Rückschlüsse ziehen.
Das Hauptziel: Die Bestimmung des 4-Vektors eines Teilchens, sowie dessen Lage im Raum,
d. h. neben (x0 , y0 , z0) eine der folgenden Messgrößenkombinationen:
$ %
" 2 # ⃗p 2
(E,⃗p), m c ,⃗p , E, , mc , etc.
|⃗p|

1 E V pc
mit γ = ! = und β = =
1 − β2 mc2 c E

Zur Messung können folgende Methoden beitragen:

• Positionsempfindliche Detektoren −→ Richtung und Lage des 4-Impulses


• Ablenkung im Magnetfeld −→ |⃗p|
• Energie: Teilchen setzen im aktiven Medium eines Kalorimeters gesamte Energie um (teil-
weise Sichtbarmachung), mit Eichung erhält man E.
Teilchen und Kerne
52 Beschleuniger und Detektoren

• m: Nur ganz bestimmte Massen kommen als stabile Teilchen in der Natur vor (e, p, n, ,
etc.), d. h. die Trennung verschiedener Massenbereiche reicht, um die absolute Masse eines
bekannten Teilchens zu bestimmen.
• Čerenkovstrahlung, Flugzeit −→ β
• Übergangsstrahlung −→ γ
• charakteristischer Zerfall eines Teilchens, Nachweis der Sekundärprodukte.

Der Nachweis eines Teilchens erfolgt durch Wechselwirkung mit einem Medium. Dabei unter-
scheidet man:

• elektromagnetische Wechselwirkung mit ∆E ≪ E


• Wechselwirkung mit ∆E ≈ E (Kalorimetrie)

2.2.1 Elektrisch geladene Teilchen


Der Nachweis elektrisch geladener Teilchen erfolgt durch Wechselwirkung des Coulombfeldes
des Teilchens mit den Hüllenelektronen des Nachweismaterials (Coulomb-WW). Dabei sind
folgende Fälle möglich:
• Anregung der Atome −→ Lichtemission
• Ionisation der Atome −→ Nachweis der freigesetzten Ladungsträger
• Polarisation des Mediums −→ Čerenkovstrahlung, Übergangsstrahlung

2.2.2 Energieverlust eines Teilchens


Der Energieverlust geschieht beispielsweise durch inelastische Stöße mit der Elektronenhülle
der Atome im Absorber.
Der Impulsverlust berechnet sich klassisch zu:
0 +∞
1
∆p = FCoulomb dt setze =1 (2.15)
−∞ 4π 0

Da sich die longitudinale Komponente der Wechsel-


wirkung bei der Integration herausmittelt (symme-
trisch für ±x), spielen nur die transversalen Kräfte
eine Rolle, für die gilt:
b b
Fc⊥ = Fc ⋅ cos ϑ = Fc ⋅ = Fc √
|⃗r| x2 + b2
Dabei bezeichnet b den Impakt- bzw. Stoß-
Parameter (Abb. 2.36). Hieraus erhält man durch
Ausführen der Integration in (2.15):
Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 53

Projektil x

r b

Hüllenelektron

Abb. 2.36: Stoßparameter

0 +∞ 0 +∞ 0 +∞
dt dx 2z ⋅ e2
∆p = Fc⊥ dt = Fc⊥ dx = Fc⊥ = (2.16)
−∞ −∞ dx −∞ V V ⋅b
dx b
Hierbei wurde verwendet, daß: x = b ⋅ tan ϑ dϑ
dϑ = cos2 ϑ
dϑ sowie dx = b

z ⋅ e2 z ⋅ e2
⇒ Fc⊥ = Fc ⋅ cos ϑ = cos ϑ = cos3 ϑ (2.17)
r2 b2
0 + π2
z ⋅ e2 b 1 z ⋅ e2
⇒ ∆p = 2 cos3 ϑ ⋅ ⋅ d ϑ = 2 ⋅ (2.18)
b − π2 V cos2 ϑ b⋅V

Dies gilt auch relativistisch.

∆p2 2z2 e4
∆E(b) = = , (2.19)
2me me V 2 b2
wobei V die Geschwindigkeit des Teilchens und z seine Ladung ist. Für den gesamten Energie-
verlust ∆E ergibt sich mit der Wichtung für jedes b durch P(b):
0 bmax
∆E = ∆E(b)P(b)db
bmin

Um den Wichtungsfaktor zu bestimmen,


betrachten wir einen Zylinder der Länge
dx um die Teilchenbahn (= differentieller
Materieausschnitt). Die Wahrscheinlich-
keit ein Elektron in Intervall [b, b+db] auf
der Strecke dx anzutreffen ist:
Abb. 2.37: Differentieller Materieausschnitt

Z
P(b)db = 2π bdb ⋅ ⋅ Na ⋅ ρ ⋅ dx
9A :; <
Anzahl der e− pro Einheitsfläche

mit der Ordnungszahl Z, dem Atomgewicht A, der Avogadrozahl Na und der Dichte ρ .
Für ∆E ergibt sich folglich:
Teilchen und Kerne
54 Beschleuniger und Detektoren

0 bmax
4π z2 e4 Z bmin
∆E = ∆E(b)P(b)db = ⋅ ⋅ Na ⋅ ρ ln ⋅ dx (2.20)
bmin me V 2 A bmax

Aus dem maximalen Impulsübertrag im Stoß ∆pmax = 2me V bzw. dem minimalen Energieübert-
rag ∆Emin = I, der mindestens der Ionisierungsenergie I des Hüllenelektrons entsprechen muss,
ergibt sich der minimale bzw. maximale Stoßparameter zu:

6
ze2 ze2 2
bmin = ; bmax = (2.21)
mV 2 V me I

∆E
Setzt man nun die Werte für bmin und bmax in Gl. 2.20 ein und stellt die Gleichung nach dx
um
so erhält man für ∆E → dE den spezifischen Energieverlust:

6
dE 4 z2 e4 Z 2me V 2
− = ⋅ N0 ⋅ ln (2.22)
dx mV 2 A I

Dieser Energieverlust erfolgt durch Anregung oder Ionisation der Atome in der Materie. Führt
man eine quantenmechanische Ableitung mit relativistischen Korrekturen durch, so ergibt sich
die Bethe-Bloch-Formel, die den mittleren Energieverlust in Materie angibt:

7 8
dE Z z2 e4 2me V 2 " 2
# 2 cK
− = 4 N0 ⋅ ln − ln 1 − β − β − (2.23)
dx A mV 2 I Z

Mit:
N0
A
: Anzahl der Atome/Volumeneinheit
z : Ladung des einlaufenden Teilchens
A : Ordnungszahl (z. B. für 12 C: 12)
Z : Ladungszahl (z. B. für 12 C: 6)
x : durchlaufene Schichtdicke [g/cm2 ]
I : effektives Ionisationspotential (≈ 10 ⋅ Z eV)
Z
A
≈ 0.5 : für viele praktische Materialien (Abschn. 10.2)
cK : Korrektur für Bindungsenergie der Elektronen auf der K-Schale
Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 55

dE
dx

plateau
Fermi
1.6

1.5
relative to minimum
ionizing particles

relativistic
rise
1.4

1.3 minimum
ionizing
1.2

1.1

1 10 100 1000 10000

Abb. 2.38: Energieverlust durch Ionisation

• Das Minimum des Energieverlustes liegt bei β γ ≈ 3, also bei E ≈ 3me c2 . Abbildung 2.38
zeigt die Abhängigkeit des Energieverlusts pro Einheitslänge von der Größe β γ des Teil-
chens.
• Für leichte Teilchen (Elektronen), wird dE/dx größer, da der maximale Impulstransfer an das
Hüllenelektron für schwere Teilchen kleiner ist als für Elektronen.
• Für kleine Energien gilt: dE/dx ∝ 1/E ∝ 1/V 2. Der Kurvenverlauf nach dem Minimum lässt
sich folgendermaßen erklären:

Relativistischer Anstieg: Die transversale


Feldstärke steigt proportional zur Lorentzkon-
traktion (E ⊥ ∝ γ ). Abbildung 2.39 veranschau-
licht dies: durch die Bewegung des geladenen
Teilchens werden die transversalen Feldlinien
zusammengezogen. Dadurch wächst die Reich-
weite des Feldes, also auch der Stoßparameter.
Es wird somit mehr Energie abgegeben. ruhend bewegt
Sättigung. Wenn b in etwa dem Abstand der
Atome entspricht, schirmen sich die nächsten ⃗
−→ V
Nachbarn gegenseitig ab und der Anstieg von
E ⊥ bleibt wirkungslos. Damit erhält man eine
Abb. 2.39: Feldlinien einer bewegten Punktladung
Sättigung.
Teilchen und Kerne
56 Beschleuniger und Detektoren

Das Verhältnis von Sättigungsenergieabnahme


zu minimaler Energieabnahme wächst mit dem
Material dE/dx|min [MeV/cm]
Atomabstand. Deshalb ist
Plexiglas 2.3
= =
dE == dE == Eisen 11.65
R= / Uran
dx =Sätt dx =min 20.66
Xenon (Gas) 7.3 ⋅ 10−3
groß für Gase (wegen des großen Atomab-
stands; ≈ 1.8 für Xenon) und klein für Tab. 2.2: typische Werte für Energieabnahme in
Festkörper. Typische Werte sind in Tab. 2.2 an- verschiedenen Materialien
gegeben.
Der Energieverlust ist die Summe vieler Einzelprozesse. Man erhält daher statistische Schwan-
kungen für die Anzahl der Prozesse und Details des Streuprozesses (Energieübertrag auf Elek-
tronen).
Für dicke Schichten ist die Verteilung der Häufigkeit von dE der dabei erzeugten Elektronen um
den mittleren Energieverlust fast gaußförmig (Abb. 2.40). Für dünne Schichten ergeben sich
dagegen starke Schwankungen (langer Schwanz der Verteilung zu großen Energieverlusten).
Diese stammen von seltenen Einzelprozessen mit hohem Energieübertrag. Diese Elektronen
nennt man Delta-Elektronen.
Die entstehende Verteilung des Energieverlustes läßt sich mit Hilfe der Landau-Verteilung
nähern:

1
P(∆E − ∆Emp ) = √ e− 2 (λ +e )
1 −λ
(2.24)
2
∆E⋅∆E
λ : ξ mp
∆Emp : wahrscheinlichster Energieverlust
ξ : materialabhängige Konstante
Für Argon mit ξ ≈ 0.125 keV erhält man beispielsweise folgende Daten: Bei 1 cm Wegstrecke
ergibt sich ∆Emp ≈ 1.2 keV und ein mittlerer Energieverlust von ∆Em = 2.69 keV
Es gibt noch weitere Prozesse, die zum Energieverlust bei Durchgang durch Materie führen:

• Leichte Teilchen werden bei Wechselwirkung mit dem Coulombfeld des Atomkerns ge-
bremst. Die so beschleunigten Ladungen strahlen Bremsstrahlung ab. Dieser Effekt ist nur
wichtig für Elektronen, da dE ∝ 1/m2 ( Abschütteln eines Photons aus dem Feld des Elek-

trons durch Richtungsänderung“). Ein Beispiel ist die in Röntgenröhren erzeugte Röntgen-
bremsstrahlung.
$ 2 %2
dE Z2 2 e
∝ ⋅z ⋅ ⋅ E ⋅ ƒ(z) (2.25)
dxBrems A mc2
Aus den Formeln für die Bremsstrahlung ergibt sich die Strahlungslänge x0 = E′ /E0 .
• Kern-Wechselwirkung schwerer Projektile: Der Kern wird hierbei aufgebrochen, und neue
Teilchen werden produziert. Dies ist also ein stark inelastischer Prozeß. Bei hoher Energie
kommt es zur Schauerentwicklung, einem lawinenartigen Anwachsen der Teilchenzahl, was
in der Kalorimetrie von größter Bedeutung ist.
Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 57

relative probability

mean
energy
loss

energy loss ∆
most
probable
loss

Abb. 2.40: Fluktuationen im Energieverlust: Landau-Verteilung

50

40
[keV/cm]

30

20 d
dE
dx

e− p
10

0
10−2 10−1 1 10 102 103 104
kinetische Energie [MeV]

Abb. 2.41: Emulsionen, Teilchenidentifizierung LEP


Teilchen und Kerne
58 Beschleuniger und Detektoren

• Wenn die Geschwindigkeit der Teilchen VTeilchen größer ist als die Lichtgeschwindigkeit im
Medium cMedium = cVakuum /n wird Strahlung emittiert, die sogenannte Čerenkov-Strahlung .
Diese wird in Analogie zum Machschen Schallkegel unter einem bestimmten Winkel

cos ΘC = 1/(β n)

emittiert. Die Messung des Emissionswinkels ergibt β . Aus der Ablenkung des Teilchen-
strahls im Magnetfeld (Impulsbestimmung) erhält man dann die Masse m via p = β E (c=1).

Erklärung für das Auftreten der Strahlung: Ein geladenes Teilchen fliege durch ein po-
larisierbares Medium und erzeugt entlang seiner Flugrichtung Polarisation. Für V/c < 1 ist
diese Polarisation sphärisch symmetrisch (Atome vor und hinter dem Teilchen sprechen“

miteinander; Informationsaustausch ist für Geschwindigkeiten kleiner c möglich).
Für V/c > 1 ist die Polarisation hingegen asym-
metrisch dipolartig (Atome vor und hinter dem
Teilchen können nicht schnell genug kommu-
” A
nizieren“). Die Relaxation bewirkt eine Ab-
strahlung, da sich das Dipolmoment mit der Zeit
Θ
ändert.

Teilchen

90◦ C

Abb. 2.42: Teilchen im polarisierten Medium (aus


[Ma66]) Abb. 2.43: Čerenkov-Abstrahlung

2.2.3 Szintillation
Prinzip: In Szintillatoren wird die Anregung eines Festkörpers durch Energieverlust in sicht-
bares Licht konvertiert. Dieses wird in optischen Empfängern wie zum Beispiel dem Photomul-
tiplier oder der Photodiode gemessen.
Als Szintillationsmaterialien dienen anorganische Kristalle wie NaI(Tl),CsI(Tl), organische Stof-
fe, Plastik oder Gase. In organischen Verbindungen wird ein Fluoreszenzstoff angeregt (z.B.
Naphtalin). In Kristallen wird zunächst ein Elektron aus dem Valenzband ins Leitungsband an-
gehoben (5–10 eV) und damit ein Exziton (ein gebundenes Elektron-Loch-Paar) erzeugt. Ent-
weder wird bei der Rekombination Licht emittiert oder die Energie an den Aktivator (Tl) übert-
ragen, der sich dann durch Phononen- bzw. Photo-Emission abregt (Abb. 2.44).
Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 59

Leitfähigkeitsband
Elektron
Exzitonenband

Aktivator- Aktivator-
Energie
Zustände Zustände

Exziton
Valenzband Loch

Abb. 2.44: Anregungen im NaI(Tl)-Kristall

Lichtausbeute: In NaI(Tl) ergeben sich 4 ⋅ 104 Photonen pro MeV Energieverlust, in Plastik
hingegen nur 20 bis 30% von NaI.

Wellenlänge: Die Abstrahlung erfolgt im nahen UV- oder im sichtbaren Bereich.

Wellenlängenverschiebung: Bei der Szintillation werden in einem Material (organische Mo-


leküle) Hüllenelektronen angeregt, was zu einer Lichtemission führt (zum Beispiel UV-Licht).
Die Selbstabsorption des Lichts im Material verringert allerdings die Anzahl der beobachteten
Lichtquanten am Rande des Materials und die Ausbeute ist postitionsabhängig, da am Rand
emittierte Photonen eher das Material verlassen können. Dadurch ist die Weglänge des Lichts
im Szintillator sehr kurz.
Ausweg: Durch die Beimischung anderer Farbmoleküle wird eine Frequenzverschiebung er-
reicht. Emission und Absorption durch elektronische An- und Abregung erfolgen dabei mit
unterschiedlichen Wellenlängen (siehe Abb. 2.45).
Ohne diese Frequenzverschiebung wird die starke Lichtemission durch die elektrischen Über-
gänge in allen Niveaus von Rotations- und Vibrationsbanden absorbiert.
Durch die Verschiebung des Absorptions- zum Emissionsband (λSzintillator < λWellenschieber ) wird
die Reichweite der Wellenschieberfrequenzen viel größer als die Reichweite der Szintillatorfre-
quenzen (λWellenschieber ≫ λSzintillator ).
Die Verschiebung erfolgt zu kleineren Frequenzen hin. Zum Beispiel wird eine Emission von
Szintillatorlicht im UV- Bereich mit einem Wellenlängenschieber in den grünen Bereich ver-
schoben und dann vom Photomultiplier detektiert, dessen maximale Empfindlichkeit im Wel-
lenlängenbereich von 400 − 500nm liegt.

2.2.4 Photomultiplier
Lichtquanten werden über photosensitive Detektoren nachgewiesen. Dazu eignet sich zum Bei-
spiel eine Kathode, aus der mittels Photoeffekt Elektronen ausgelöst werden. Für einzelne Pho-
Teilchen und Kerne
60 Beschleuniger und Detektoren

Abb. 2.45: Elektronische An- und Abregung in Molekülen

grüner Wellenlängenschieber
PM
Luftspalt

blaues
Fluoreszenslicht
UV
Emission
ionisierendes
Teilchen Szintillator

Abb. 2.46: Schema eines Szintillationszählers


Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 61

Abb. 2.47: Schema eines Photomultipliers (aus [Gr93])

tonen ist das Signal jeoch zu schwach - es muss also verstärkt werden. Dazu wird im Photo-
multiplier eine Dynodenanordnung verwendet, wie in Abbildung 2.47 gezeigt. Zwischen den
Dynoden sind Spannungen angelegt. Die Dynoden bestehen dabei aus einem Material mit ei-
ner niedrigen Austrittsarbeit. Dadurch erhöht sich mit jedem Auftreffen der Elektronen auf die
nächste Dynode die Anzahl der ausgelösten Elektronen. Es tritt eine Lawineneffekt auf. Am
Ende erhält man ein gut messbares Signal.

Die Pulse von organischen Szintillatoren sind mit einigen Nanosekunden sehr schnell (τAnstieg ≈
10−9 s). Die von den Photomultipliern erreichte Zeitauflösung von 100–200 ps reicht aus, um
diese schnellen Pulse getrennt zu detektieren.

2.2.5 Nachweis der erzeugten Ionisation

Der Nachweis der im Detektor hervorgerufenen Ionisation kann zum Beispiel geschehen durch:

• Gasproportionalzähler (Abb. 2.49): Bei dem Durchgang eines geladenen Teilchens durch ein
Gas werden freie Ladungsträger produziert. Diese werden dann durch ein elektrisches Feld
getrennt (Drift der Ladungsträger im Gas) und der induzierte Strom wird am Widerstand
R über einen Verstärker gemessen. Bei sauberer Handhabung haben die Ladungsträger eine
lange Lebensdauer.

• Gasverstärkung: Elektronen werden im hohen elektrischen Feld eines dünnen Drahtes (Durch-
messer 10 − 50 m) oder einer GEM- Folie innerhalb eines Gasvolumens beschleunigt (Abb.
2.50). Die elektrische Feldstärke im Zählrohr beträgt:

1
E (r) = V0 ⋅
r ⋅ ln rr12
Teilchen und Kerne
62 Beschleuniger und Detektoren

S1 S2

Teilchen

PMT PMT

DIS DIS
VKA
STOP

TAC
START
Zeit

Abb. 2.48: Anwendung: Flugzeitmessung

x-Achse −U0
gasdichtes Gehäuse

Kathode
Zählgas

d
− − + + − + + − − + − + − + − + −+ ionisierendes
+ + − − + − − + + − + − + − + − +− Teilchen
x0
Anode

Abb. 2.49: Schema eines Gasproportionalzählers


Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 63

leitendes Rohr mit r2


Zähldraht
mit r1

U0

Abb. 2.50: Schema eines Gasproportionalzählers

Hierdurch wird das Elektron zum Draht hingezogen


und in der Nähe des Drahtes beschleunigt. Die Fol-
ge ist die Ionistaion von Gasmolekülen, wodurch
neue Ladungsträger entstehen, die wiederum be-
schleunigt werden. So entsteht ein Lawineneffekt
(Abb. 2.51). Die Gasverstärkung erreicht hierbei ca.
105 zusätzlich produzierte Elektronen. Empfindli-
che Ladungsverstärker registrieren ein Signal von Abb. 2.51: Elektronenlawine zur Gas-
105 … 107 Elektronen. verstärkung

• Geiger-Müller-Zähler: Das eben beschriebene Prinzip findet im sogenannten Geiger-Müller-


Zähler Anwednung. Der Geiger-Müller-Zähler, schlicht auch Geigerzähler genannt, ist ein
Detektor für ionisierende Strahlung. Darunter fallen z.B. α −, β −, γ − und Röntgenstrahlen. Er
wurde 1928 von den Physikern Hans Geiger und Walther Müller in Kiel erfunden. Der Zähler
wird heutzutage hauptsächlich eingesetzt um radioaktive Substanzen zu erkennen und deren
Strahlungsintensität abzuschätzen.

Ortsinformation: Um Informationen über den Ort der Ereignisse zu erhalten kann man ent-
weder eine Anordnung vieler unabhängiger Zählrohre wählen (“strawtube- System“), oder vie-
le Drähte als Anode verwenden (Abb. 2.52; MWPC: Multi Wire Proportional Chamber). Ein
Vorverstärker an jedem Draht liefert dann Informationen über den Weg des Elektrons. Hiermit
kann aufgrund des Wegunterschiedes eine Ortsauflösung σx = √∆x12 (Varianz einer Rechtecksver-

teilung ⇒ 1/ 12) erreicht werden (Nobelpreis10 1992 für G. Charpak). Typische Drahtabstände
sind 2 bis 4 mm. Somit lässt sich eine Ortsauflösung von 0,6 bis 1,2mm erreichten.
Ein Vorteil ist die Möglichkeit hohe Zählraten zu messen. Nachteilig wirken sich die geringe
Ortsauflösung und die vielen nötigen Vorverstärker aus.
10
http://www.nobel.se/laureates/physics-1992.html
Teilchen und Kerne
64 Beschleuniger und Detektoren

Kathode

d
Anodendrähte Kathode

Abb. 2.52: Schema einer Vieldrahtkammer

Verfeinerung: Statt viele Anodendrähte zu verwen-


den, kann man auch den Zeitpunkt der aufgesammelten
Elektronen messen.
Ein Teilchen stößt im Abstand d vom Anodendraht
durch den Zähler. Die erzeugten Elektronen brauchen
eine Zeit t = d/V um zum Draht zu gelangen, wobei
die typische Driftgeschwindigkeit VDrift ≈ 5 cm/ s be-
trägt (der Beschleunigung im elektrischen Feld wirken
Stöße mit Gasmolekülen entgegen). Die Zeitauflösung
der Vorverstärker liegt bei ca. 1 ns.
Gemessen wird die Zeitdifferenz zwischen den Szintil-
latorblitzen eines zeitgebenden Detektors (t = 0) und
der Ankunft der ersten Elektronen am Draht. Dadurch
ist der Abstand d der Ionisation zum Draht genau be-
kannt. Die hierdurch erreichte Ortsauflösung beträgt
σ ≈ 100 m–200 m bei einem Drahtabstand von 2 bis
4 cm.

5
x= v− (t) dt

Kathode
− +
+ −
− +
Anode
+ −
− +
+ −
x

Teilchen

Abb. 2.53: Driftprinzip

In Collider-Detektoren werden typischerweise zylindrische Driftkammern (Abb. 2.54) verwen-


det, in denen durch zusätzliche Potentialdrähte das Driftfeld erzeugt wird.
Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 65

Potentialdraht

Anodendraht

Potentialdraht

Anodendraht

Abb. 2.54: Schema einer zylindrischen Driftkammer

2.2.6 Vielfachstreuung

Beim Durchlaufen eines Teilchens durch Materie finden viele Streuprozesse statt, die jeweils
eine Richtungsänderung bewirken (Abb. 2.55). Dadurch erhält man eine Auffächerung eines
Teilchenstrahls.

x0

ausgehender
Strahl
einfallender
Strahl
Θ "#!rms
x
Θ

0 !

Abb. 2.55: Vielfachstreuung und Winkelverteilung

6 $ %
13, 6MeV ∆x ∆x
σϑ = ϑrms = ż ⋅ 1 + 0, 038 ln
β ⋅c⋅p x0 x0
x0 ist die Strahlungslänge, p der Impuls der Teilchen.
Vor allem für Elektronen ist dieser Prozeß wichtig wegen deren kleiner Masse und daher großer
möglicher Richtungsänderung. Er verfälscht die Richtungsmessung in Detektorsystemen und
auch der Energieverlust muss berücksichtigt werden.
Teilchen und Kerne
66 Beschleuniger und Detektoren

2.2.7 Nachweis von Licht


Für den Nachweis von Licht bzw. allgemein elektromagnetischer Strahlung sind hauptsächlich
drei Effekte von Bedeutung, die stark material- und energieabhängig sind:
Photoeffekt ( + Atom −→ e + Atom): Ein -Quant wird von einem Atom absorbiert und ein
Elektron aus seiner Schale geworfen“. Dieser Prozeß ist stark abhängig von der Kernla-

dungszahl Z des Atoms. Für den Wirkungsquerschnitt σ gilt (eine ausführliche Beschrei-
bung des Wirkungsquerschnitts folgt in Kapitel 3):

σph ∝ Z 4.5 .
Außerdem ergeben sich Resonanzphänomene durch die Schalenstruktur des Atoms (E =
e
ESchale ). Der Photoeffekt ist hauptsächlich bei kleinen Energien im keV Bereich von In-
teresse. Um die Energie des Photons zu erhalten, genügt der Nachweis der Elektronen-
energie.
Comptonstreuung ( + Atom −→ + e + Ion): Ein Photon wird an einem quasifreien Elek-
tron gestreut. Die Bindungsenergie der Elektronen im Atom muß bei diesem Prozeß klein
gegenüber der Energie des -Quants sein. Der Comptoneffekt dominiert bei Photonen-
energien um einige 100 keV bis in den niedrigen MeV-Bereich. Durch den Nachweis der
Richtung und der Energie des Elektrons erhält man die Energie des -Quants. Für den
Wirkungsquerschnitt ergibt sich:
ln E
σc ∝ ⋅Z (inkohärente Streuung an den Hüllenelektronen)
E
Paarbildung ( + Atom −→ e− + e+ + Atom): Das Photon konvertiert in ein Elektron und
ein Positron, wobei der Kern den Restimpuls aufnimmt. Hier muß die Photonenenergie
größer als die Ruheenergie von Elektron und Positron sein (E > 2me = 1.022 MeV). Der
Nachweis der Elektronen-Positronen-Energie liefert wieder die Energie des -Quants.
Für den Wirkungsquerschnitt erhält man:

σp ∝ Z 2 (kohärente Streuung am Kern)

Der Nachweis von sekundären Elektronen bzw. deren Ionisation oder weiteren Wechselwirkun-
gen wird in Siliziumzählern oder Kalorimetern (siehe Abschn. 2.2.9) verwendet. Eine Übersicht
der charakteristischen Absorptionskoeffizienten in Blei ergibt sich direkt aus den eben bespro-
chenen Wirkungsquerschnitten und ist in Abb. 2.56 wiedergegeben. Es zeigt sich, dass mit
steigender Photonenenergie der Absorptionskoeffizient leicht sinkt, um dann sprunghaft wie-
der anzusteigen (K- bzw. L-Kante). Dies liegt daran, dass die Photonen mit steigender Energie
plötzlich auch an Elektronen weiter innen liegender Schalen absorbiert bzw. gestreut werden
können. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich eine Unterstruktur, die auf die Energieverteilung
in den Unterschalen zurückzuführen ist.

2.2.8 Blasenkammer
1952 entwickelt, ist die Blasenkammer schon alt aber immer noch anschaulich (Abb. 2.57). Mit
ihr wurden viele wertvolle Entdeckungen gemacht.
Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 67

Abb. 2.56: Energieabhängigkeit des Absorptionskoeffizienten (aus [He66])


Teilchen und Kerne
68 Beschleuniger und Detektoren

Überdruck Unterdruck

Kompression- Expansions-
ventil Gas ventil

Stempel
Blitzlampen Blitzlampen

Flüssigkeit

Druckfenster

Kamera
Abb. 2.57: Schema einer Blasenkammer

Zum Prinzip: In einem Behälter mit sauberer, überhitzter Flüssigkeit (z. B. Wasserstoff, Propan
(C3 H8 ), Freon) bilden sich an Kristallisationszentren“, die durch Ionisation entstehen, Blasen.

Die Blasen entlang der Spur eines geladenen Teilchens werden photographiert. Es lassen sich
Rückschlüsse auf die Flugbahn von ionisierenden Teilchen ziehen.
Um sich diesen Effekt zu veranschaulichen, kann man eine einfache Analogie bemühen, die
aus dem Chemielabor bekannt sein dürfte: Bei destilliertem Wasser in einem sauberen Gefäß ist
der Siedeverzug zu beachten (TSiede > 100 ◦C). Um dies zu verhindern, werden Siedesteinchen
zugegeben, an denen sich wiederum Blasen bilden.
Der Prozeß läßt sich in vier Schritte unterteilen:
1. Teilchen fliegt durch Flüssigkeit (Druck ≈ 5–20 bar)
2. Dekompression (ausgelöst durch ein externes Detektorsignal) durch einen Kolben führt
zu einer kurzzeitigen Überhitzung
3. Blasenbildung an Ionisationspunkten
4. Mit Kamera und Blitzlicht wird ein Blasenkammerbild erzeugt. Mit vielen Kameras läßt
sich ein dreidimensionales Bild erstellen.

Die Wiederholung dieses Prozesses ist etwa einmal pro Sekunde möglich. Wenn sich die Kam-
mer in einem Magnetfeld befindet (B ≈ 2–3 T), wird die Krümmung der Spuren sichtbar und
man erhält daraus den Impuls der jeweiligen ionisierenden Teilchen. Eine typische Blasenkam-
mer-Aufnahme und ihre Interpretation zeigt Abbildung 2.58.
Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 69

Abb. 2.58: Bilder einer Blasenkammer (BEBC, Big European Bubble Chamber am CERN

2.2.9 Kalorimetrie
In einem Kalorimeter wird die gesamte Energie des einfallenden Teilchens im Medium depo-
niert. Das Medium besteht hierbei aus aktiven oder aus einer Mischung aus passiven (Absorber)
und aktiven Materialien. In passiven Materialien finden hauptsächlich Bremsstrahlungs- und
Paarbildungsprozesse statt. Das aktive Medium dient zum Nachweis der Energie.
Es treten dabei verschiedene Kaskaden-Prozesse auf:
• Elektromagnetische Prozesse (Abb. 2.59): Hierzu sind Materialien mit hoher Kernladungs-
zahl Z von Vorteil, da die meisten Prozesse mit Z 2 ansteigen.
Die beiden hier alternierenden Hauptprozesse sind Paarbildung und Bremsstrahlung. Diese
treten auf, bis die gesamte Energie “verbraucht“ ist, also die letzten neu erzeugten Teilchen
selber keine weitere Bremsstrahlung oder Paarbildung mehr zeigen.
Die Sichtbarmachung erfolgt durch:

– Ionisation im aktiven Material (Pb-Argon-Zähler)


– Anregung von Szintillationslicht (Pb-Szintillationszähler)
– Emission von Čerenkovstrahlung (Pb-Glas-Zähler)

• Hadronische Prozesse (Abb. 2.60): Hier sind Materialien mit hoher Massenzahl A notwendig,
da die meisten Prozesse ∝ A oder ∝ A2/3 ansteigen.
Es werden neue Teilchen durch Kernstöße oder inelastische Streuung an Nukleonen erzeugt.
Diese Sekundärteilchen setzen die Lawine fort oder zerfallen (wie 0 ) und erzeugen eine
elektromagnetische Kaskade. Die Sichtbarmachung erfolgt wie bei den elektromagnetischen
Prozessen. Die erhaltene Signalhöhe an Licht oder Ladung ist proportional zur Anfangsener-
gie der Teilchen. Die Auflösungen der einzelnen Kalorimeter sind in Tabelle 2.3 dargestellt.
Teilchen und Kerne
70 Beschleuniger und Detektoren

E0 /2 E0 /4 E0 /8 E0 /16

0 1 2 3 4 5 6 7 t [x0 ]
Abb. 2.59: Elektromagnetische Kaskade im Kalorimeter

σ (E)
Kalorimeter E

2−5%
e.m. Kalorimeter ( , e± ) √
E
± 30−80%
hadron. Kalorimeter (p, n, ) √
E

Tab. 2.3: Energieauflösung


Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 71

Zum Schluß sei noch kurz eine kompakte Darstellung über die Vorteile eines Szintillatorzählers
und eines Halbleiterzählers gegeben:
Detektortyp Eigenschaft
Szintillator + großflächig (Kunststofffolien oder aufgedampfte Kristalle)
+ billig
+ robust (keine Deckschicht notwendig)
− ungenau, bzw. viele Teilchen notwendig
Halbleiter + sehr genau und scharf
− im Allgemeinen teuer
− eventuell Kühlung erforderlich
(z.B. durch Schutzschicht, Leitungsschicht) ⇒ Todschicht/ hohe Signalverluste

Abb. 2.60: Hadronische Kaskade im Kalorimeter (aus [Gr93])

2.2.10 Moderne Detektoren

Moderne Detektoren wie z. B. COMPASS (Abb. 2.63) oder DELPHI am LEP (Abb. 2.64) be-
stehen aus vielen Detektorsystemen:
• Ortsmessung: Sie wird durch räumliche Separation der Ereignisdichte bewerkstelligt. Hierzu
verwendet man z.B. Gasdedektoren (100 bis 200 m) oder Halbleiterdetektoren (2 bis 5 m).
• Impulsmessung: Aus einer Ortsmessung im Magnetfeld erhält man den Impuls (B ≈ 1 − 2T).
• Teilchenidentifizierung: Aus der Energie E oder der Geschwindigkeit V und dem Impuls p
erhält man die Masse m des Teilchens.
• Photonennachweis: Die Photonen werden in Kalorimetern nachgewiesen.
• Neutronen: Sie werden in hadronischen Kalorimetern nachgewiesen.
Teilchen und Kerne
72 Beschleuniger und Detektoren

Abb. 2.62: Schematische Darstel-


Abb. 2.61: 3-d Ansicht des Hades- lung des Rich-Detektor (Teil des
Experiments Hades Experiments)

Abb. 2.63: Beispiel eines modernen Detektors in fixed- target Geometrie: COMPASS
Teilchen und Kerne
2.2 Nachweis von Strahlung 73

Abb. 2.64: Beispiel eines modernen Detektors für Collider: DELPHI


Teilchen und Kerne
74 Beschleuniger und Detektoren

Abb. 2.65: Schematische Skizze Abb. 2.66: Schematische Skizze


des CMS- Detektors am LHC; des Atlas- Detektors am LHC;
Bild aus Physik Journal, Ausgabe Bild aus Physik Journal, Ausgabe
2,2006 2,2006

Abb. 2.67: Der CMS- Detektor am CERN; Bild aus Physik Journal, Ausgabe 2,2006

Abb. 2.68: Der CMS- Detektor am CERN


Teilchen und Kerne
Übungen 75

Übungen zu Kapitel 2
Übung 2.1: Energien von Teilchenbeschleunigern
a) Das Super-Proton-Synchrotron am CERN bei Genf beschleunigt Protonen auf eine
√ Ener-
gie von E = 450 GeV. Wie groß ist die invariante Schwerpunktsenergie W = s beim
Stoß dieser Protonen auf ein ruhendes Wasserstofftarget?
b) Am Fermilab bei Chicago werden im Tevatron Protonen und Antiprotonen auf jeweils
E = 1000 GeV beschleunigt und an Kreuzungspunkten zur Kollision gebracht. Wie groß
ist die Schwerpunktsenergie in diesem Fall? Auf welche Energie müßte man einen Pro-
tonenstrahl bringen, um bei der Reaktion mit einem ruhenden Zielteilchen die gleiche
Schwerpunktsenergie zu haben?
c) Am PEP II am SLAC in Stanford werden Elektronen mit einer Energie von 9.0 GeV mit
Positronen mit einer Energie von 3.11 GeV zur Kollision gebracht. Wie groß ist hierbei
die Schwerpunktsenergie? Schlagen Sie nach, welcher Teilchenmasse diese Energie ent-
spricht.

Übung 2.2: Der unten abgebildete Aufbau stellt ein einfaches Magnetspektrometer dar. Ge-
ladene Teilchen mit einem Impuls von 6 GeV/c durchlaufen ein Feldintegral von 1 Tm. Orts-
empfindliche Detektoren zeichnen die Spur der Teilchen vor und hinter dem Magneten auf.

Teilchen

Detektoren Magnet Detektoren

a) Berechnen Sie den Ablenkwinkel, den diese Teilchen erfahren.


b) Wie gut muß die Winkelauflösung der hinter dem Magneten aufgestellten Spurdetektoren
mindestens sein, um den Impuls auf 1% genau zu bestimmen?
c) Welche Mindestortsauflösung ergibt sich bei Detektoren, die im Abstand von 1 m zuein-
ander und im Abstand von 2 m hinter dem Zentrum des Magneten angeordnet sind?
(Annahme: Der Strahl laufe parallel in den Magneten ein und sei dort beliebig genau bestimmt.)

Übung 2.3: In einem Szintillator werden ca. 100 eV Energieverlust eines durchlaufenden
Teilchens benötigt, um ein Photon im sichtbaren Bereich zu erzeugen, wobei allerdings nur ca.
2% dieses Lichts im Photomultiplier nachgewiesen werden. In einer Halbleiterdiode werden ca.
3.6 eV benötigt, um ein Elektron-Loch-Paar zu erzeugen, in einem Gas erfordert eine Ionisation
30 eV.
a) Wie groß ist die relative Auflösung δ E/E bei einem Energieverlust von 1 MeV?
b) Wie dick müssen die jeweiligen Zähler für diesen Energieverlust sein?
Teilchen und Kerne
76 Übungen

Übung 2.4: Ein geladenes Teilchen, das sich durch ein Medium mit einer Geschwindig-
keit bewegt, die größer ist als die Lichtgeschwindigkeit in diesem Medium, erzeugt Čerenkov-
Strahlung. Die Strahlung wird auf einem Kegelmantel ausgesendet für dessen Öffnungswinkel
die folgende Beziehung gilt:
1
cos θ =
βn
v
wobei n der Brechungsindex des Mediums ist und β = c
die Geschwindikeit des Teilchens in
Einheiten der Lichtgeschwindigkeit.

a) Berechnen Sie die Schwelle in γ = √ 1 ab der Teilchen in den unten angegebenen Ra-
1−β 2
diatormaterialien Čerenkov-Licht aussenden. Welchen Impulsen entspricht dies für gela-
dene Pionen?
Medium N2 C4 F10 Aerogel Quarz
Brechungsindex (n − 1) 1.205 × 10−6 1.53 × 10−3 0.05 0.458
b) In einem Schwellenčerenkovzähler werden Teilchenarten unterschieden, indem der Bre-
chungsindex über den Gasdruck so eingestellt wird, daß bei gegebenem Impuls eine Teil-
chensorte Licht erzeugt, die andere aber nicht. Bestimmen Sie die optimalen Brechungs-
indizes um bei 10 GeV/c Teilchenimpuls Pionen von Kaonen und Kaonen von Protonen
trennen zu können.

Hinweis: m + = 139.6 MeV/c2 , mp = 938.27 MeV/c2 , mK− = 493.7 MeV/c2


Kapitel 3

Streuprozesse

Streuexperimente sind das Mittel zur Untersuchung der Struktur von Atomkernen und anderen
Teilchen. Deshalb widmen wir ein ganzes Kapitel der eingehenden Betrachtung von Streupro-
zessen. Dabei gehen wir zunächst auf die relativistische Kinematik ein. Dann betrachten wir
Streuungen an verschiedenen Ladungsverteilungen, wobei wir erstmals dem Formfaktor begeg-
nen werden. Abschließend werden wir als Beispiel die Bestimmung von Kernradien behandeln.

3.1 Wirkungsquerschnitt
Wir betrachten die Streuung von Teilchen der Sorte A an einem Target aus Teilchen der Sorte
B:

Abb. 3.1: Streuung an einem Target der Dichte nb

Im Folgenden werden einige wichtige Grundbegriffe der Streutheorie erläutert:

Fluss:
Ṅa Zahl
J = n a ⋅ Va = =
F Zeit ⋅ Fläche
Hier ist na die Dichte und Va die Geschwindigkeit der einfallenden Teilchen.

77
Teilchen und Kerne
78 Streuprozesse

Zahl der Target-Teilchen innerhalb des Strahlquerschnitts:

Nb = nb ⋅ F ⋅ d

Mit F Fläche des Strahlquerschnittes.


Luminosität:
L = J ⋅ Nb
Reaktionsrate:
R = L ⋅ σr

σr : Wirkungsquerschnitt für die Reaktion r

Totaler Wirkungsquerschnitt:
>
σ= σr
r

Differentieller Wirkungsquerschnitt: Winkelverteilung einzelner produzierter oder gestreu-


ter Teilchen

x Φ

Θ
z

Abb. 3.2: Definition der Streuwinkel

dσr (θ , φ )
dR(θ , φ ) = L ⋅ ⋅ dΩ
dΩ
Reaktionsquerschnitt:
0 2π 0 1
dσr
σr = dφ d cos θ (θ , φ )
0 −1 dΩ

3.2 Kinematik
Man kann viel über Teilchen, Strukturen und Wechselwirkungen aus Streuprozessen lernen.
Dabei wird zwischen elastischer und inelastischer Streuung unterschieden.
Teilchen und Kerne
3.2 Kinematik 79

a c
d
e

···
b

Abb. 3.3: Ein Streuprozeß

Klassifizierung: Stoßprozesse lassen sich in 2 Klassen einteilen:

Reaktion Klasse
a + b −→ a + b elastische Streuung
alle anderen Prozesse inelastische Streuung

3.2.1 Relativistische Kinematik von Streuprozessen


Die Teilchen a und b seien charakterisiert durch ihre Energien und Impulse, dargestellt im
Vierervektor:

$ %
Ea
Pµa≡ Pa = ,⃗pa
c
$ %
µ Eb
Pb ≡ Pb = ,⃗pb
c

Dann ist das Skalarprodukt der Viererimpulse:

1
P ⋅ P′ = EE′ − ⃗p ⋅ ⃗p ′
c2
E2
P2a = 2a − ⃗pa2 = m2a c2
c
Eb2
Pb = 2 − ⃗pb2 = m2b c2
2
c

Darin sind ma und mb die sog. invariante Massen, die lorentzinvariant, also in jedem Interti-
alsystem gleich sind. Sie entsprechen den Ruhemassen. Diese Invarianz gilt allgemein für das
Quadrat jedes Viererimpulses, insbesondere auch für:

$ %2
Ea Eb
2
S = (Pa + Pb ) = + − (⃗pa + ⃗pb )2
c c
Teilchen und Kerne
80 Streuprozesse

Man definiert das Schwerpunktsystem (CM-System, center of mass-System) als das System,
in dem der Gesamtdreierimpuls verschwindet:

⃗pa = −⃗pb, d. h. ⃗P = ⃗pa + ⃗pb = 0


Im Schwerpunktsystem gilt:

√ W (Ea + Eb )
s= =
c c

s ist die totale Energie im Schwerpunktsystem, sie ist diejenige Energie, welche bei der Re-
aktion von Teilchen zur Erzeugung neuer Teilchen zur Verfügung steht. Als Invariante bleibt
diese Größe auch in allen anderen Bezugssystemen unverändert.

Transformation vom Laborsystem in das Schwerpunktsystem


Da die Schwerpunktsenergie unter Transformation erhalten bleibt, können wir nun die Energien
der Teilchen in verschiedenen Bezugssystem miteinander verknüpfen.

Laborsystem: das Teilchen a ( Projektil“) mit der Energie Ea = γ ma c2 und dem Impuls ⃗pa

trifft auf das Teilchen b ( Target“), welches sich in Ruhe befindet (⃗pb = 0) und die Energie

Eb = mb c2 besitzt.

Schwerpunktsystem: hier gilt: ⃗pa∗ = −⃗pb∗ ≡ ⃗p ∗


Laborsystem: Schwerpunktsystem:
" #2
$ %2 Ea∗ + Eb∗
Ea S=
S= + mb c − ⃗pa2 c2
c
Ea2
= 2 − ⃗pa2 + m2b c2 + 2Ea mb
"c #
= m2a + m2b c2 + 2Ea mb

Da S in allen Systemen konstant ist, gilt folglich:

√ 3"
Ea∗ Eb∗ #
s= + = m2a + m2b c2 + 2Ea mb
c c

Beispiel: Beim Stoß zweier Teilchen mit gleicher Masse (ma = mb ≡ m; Ea∗ = Eb∗ ≡ E∗ ) gilt:

√ 3 " #

W = c s = 2E = c 2m Ea + mc2
Teilchen und Kerne
3.2 Kinematik 81

3.2.2 Lorentz-Transformation

t t′
S S′

z z′


−→ V
Abb. 3.4: Die Bezugssysteme S und S′

System S′ bewege sich relativ zu System S mit der Geschwindigkeit V entlang der positiven z-
Achse. Die z-Achse wird hierbei im allgemeinen in die Strahlachse gelegt. Dann transformiert
sich der Orts-Zeit-Vierervektor folgendermaßen:

x′ = x, y′ = y

$ ′% $ %$ %
z γ −β γ z
′ =
ct −β γ γ ct

V " #− 1 1
β= , γ = 1 − β2 2 = !
c 1 − β2

• Transformation der Energien und Impulse:


Analog werden die Viererimpulse transformiert:
$ % $ %
′ E′ ′ E
P = ,⃗p , P= ,⃗p ; p′x = px , p′y = py
c c

$ ′% $ %$ %
pz γ −β γ pz
E′ = E
c
−β γ γ c

• Transformation vom Laborsystem (L) ins Schwerpunktsystem (CM):


Stoß zweier Teilchen im Laborsystem: a + b → c + …
Teilchen und Kerne
82 Streuprozesse

c
⃗p

ΘL
a b z ⇒ z
(EL ,⃗pL ) (mb c2 , ⃗0)

(E,⃗p )
!
E = m2c c4 + ⃗p 2 c2

Abb. 3.5: Stoß zweier Teilchen im Laborsystem

Die Lorentztransformation vom L-System in das CM-System (Impulse ⃗p ∗ = (0, 0, p∗)) ergibt:

" #
p∗a = γ pL − cV2 EL
p∗a + p∗b = 0
p∗b = −mb V γ
pL c EL + mb c2
⇒β = , γ =
E + m c2 W
3L" b #
W= m2a + m2b c4 + 2EL mb c2

• Transformation des Streuwinkels:


Der Streuwinkel des Teilchens c im Laborsystem sei θL . Wir transformieren diesen Winkel
nun in das Schwerpunktsystem. Der Impuls des Teilchens c ist im L-System bei geeigneter
Wahl der Koordinatenachsen (siehe Abb. 3.5)

⃗p = (0, p sin θL , p cos θL ).


Die Lorentztransformation in das CM-System sieht dann folgendermaßen aus:

p∗x = px = 0
p∗y = py = p sin θL
$ %
∗ VE
pz = γ p cos θL − 2
c

Der CM-Impuls ist, ausgedrückt durch den CM-Winkel θCM ,


" #
⃗p ∗ = 0, p∗ sin θCM , p∗ cos θCM
Also:

p∗y p sin θL
tan θCM = ∗
= " VE
#
pz γ p cos θL − c2
Teilchen und Kerne
3.3 Reaktionswahrscheinlichkeit und Fermis Goldene Regel“ 83

3.3 Reaktionswahrscheinlichkeit und Fermis


Goldene Regel“

Quantenmechanisch wird ein Streuprozeß oder eine Reaktion durch den Hamiltonoperator H int
der Wechselwirkung und den (normierten) Wellenfunktionen des Anfangs- und des Endzustan-
des ψi bzw. ψf beschrieben.
Das Matrixelement (Streuamplitude) ist:

M fi = 〈ψf |H int |ψi 〉

• Die Übergangswahrscheinlichkeit (i → f) pro Zeit wird bestimmt durch Fermis goldene


Regel


Wi→f = |M fi |2 ρ (Ef ) (3.1)

mit der Dichte der Endzustände


dn(E)
ρ (E) =
dE
Beispiel: Wir betrachten ein Teilchen, das in das Impulsintervall [p, p + dp] gestreut wird:

4π p2
dn(p) = VVol dp (VVol : Volumen)
(2π )3
Der Faktor (2π1 )3 ergibt sich aus der Heisenberg‘schen Unschärferelation in 3 Dimensionen:
∆⃗x ⋅ ∆⃗p = h3 = (2π )3 . Für die Dichte der Zustände folgt damit durch Transformation auf
3 2 2
Kugelkoordinaten: dn(⃗p) = Vvol ⋅ (2dπ ⃗p)3 9:;<
= Vvol ⋅ (2pπdp)3 dΩ = Vvol ⋅ (24ππ p)3 dp
Kugelkoord.
Mit der Beziehung zwischen Energie und Impuls

dE = Vdp (V: Geschwindigkeit),


die sowohl nicht-relativistisch als auch relativistisch gilt, erhalten wir:

VVol p2
ρ (E) =
V 2π 2 3
• Der Wirkungsquerschnitt für eine Reaktion a + b → … ist definitionsgemäß
Reaktionsrate R Na Nb
σi→f = = Wi→f
Luminosität L L
Mit der goldenen Regel (Gl. 3.1) ergibt sich:

σi→f = |M fi |2 ρ (Ef )V
Va
Das Volumen VVol in dieser Formel wird durch Einsetzen der normierten Wellenfunktionen
aus dem Matrixelement gekürzt.
Teilchen und Kerne
84 Streuprozesse

3.4 Beispiel: Elastische Streuung


Hier soll insbesondere die Potentialstreuung in Bornscher Näherung (Potential U; Teilchenmas-
se m, nichtrelativistischer Impuls p = mV) betrachtet werden.
Wenden wir nun unsere gewonnenen Kenntnisse auf den Fall der elastischen Streuung an. Ge-
geben seien normierte Wellenfunktionen und das Matrixelement:
$ % $ % 0
1 ⃗pi ⋅ ⃗r 1 ⃗pf ⋅ ⃗r
ψi = √ exp , ψf = √ exp , d3 r ψ ∗ ψ = 1
VVol VVol VVol

0 $ % $ % 0
1 3 − ⃗pf ⋅ ⃗r ⃗pi ⋅ ⃗r 1 ⃗q⋅⃗r
M fi = d r exp U(⃗r) exp = d3 r U(⃗r) (3.2)
VVol VVol
Wie man leicht sehen kann, handelt es sich bei dem letzten Integral in 3.2 um die Fourier-
transformierte des Wechselwirkungspotentials in den Raum des übertragenen Impulses ⇒ vgl.
optischer Abbildung des Potentialprofils des Targetteilchens.
Bei der Streuung wird folgender Impuls übertragen: ⃗q = ⃗pi − ⃗pf ; |⃗pi | = |⃗pf | = p. Die erste
Beziehung wurde auch in Gl. (3.2) verwendet.

⃗pf
!⃗q θ
Θ q = 2p sin
2
⃗pi

Abb. 3.6: Der bei der Streuung übertragene Impuls

Dabei wurde beachtet, dass die Winkelhalbierende senkrecht auf der Verbindungsachse der Im-
pulse steht.
Die Dichte der Endzustände im Impulsintervall [p, p + dp] und Raumwinkelintervall dΩ ist:

VVol p2 VVol p2
dn = dpdΩ = dEdΩ
(2π )3 (2π )3 V
dn VVol p2 dΩ
ρf = =
dE V(2π )3
Der differentielle Wirkungsquerschnitt ist dann

2 2
dσ 2π 2 VVol p m2 VVol
2
= |M fi | 3
= 2 4
|M fi |2 (3.3)
dΩ V V(2π ) 4π
bzw.

=0 =2
dσ 2 m2 == =
= |ƒ(θ , E)| = d3 r ⃗q⋅⃗r
U(⃗r)== (3.4)
dΩ Born 4π 2 4 =
Teilchen und Kerne
3.5 Beispiel: Streuung am Yukawa- und Coulombpotential 85

Mit der (Born-)Streuamplitude:

mVVol
ƒ(θ , E) = − M fi (3.5)
2π 2
Hinweis: Die Verallgemeinerung für 2-Teilchen-Reaktionen (a + b → c + d) im Schwerpunkt-
system mit relativistischer Kinematik (Geschwindigkeiten V/c = pc/E; Relativimpulse ⃗pi bzw.
⃗pf im Anfangs- bzw. Endzustand) ergibt:

2 2
dσ VVol pf
= 2 4
|M fi |2
dΩ 4π Vi Vf

3.5 Beispiel: Streuung am Yukawa- und Coulombpotential

Masse $

Abb. 3.7: Modell der Wechselwirkung durch Austausch eines Teilches mit Masse µ

Wir betrachten hier die Streuung eines nicht-relativistischen Teilchens (Masse m, kinetische
Energie Ekin = p2 /2m) in Bornscher Näherung am sog. Yukawa- bzw. abgeschirmten Coulomb-
potential:

λ −µ r
U(r) = , r = |⃗r|
r
Es gilt:

0 0 ∞ 0 +1
3 ⃗q⋅⃗r 2 qr cos θ
dr U(r) = 2π dr r U(r) d cos θ =
0 −1
0
4π ∞
= dr r sin qr U(r) =
q 0
0
4πλ ∞ 4πλ
= dr sin qr −µ r = 2 (3.6)
q 0 q + µ2

Bei der Berechnung dieses Intergals wurde der sehr nützliche Trick verwendet, das Koordina-
tensystem so zu wählen, dass ⃗ez = |⃗⃗qq| gilt, das heißt die z- Achse in Richtung des ausgetauschten
Teilchen und Kerne
86 Streuprozesse

Impulses zeigt. Als Modell für die Wechselwirkung der Teilchen a und b lässt sich das Modell
des Austausches eines Teilchens der Masse µ verwenden (siehe Abb. 3.7).

• Der differentielle Wirkungsquerschnitt ist gegeben durch:


=0 =2
dσ m2 == =
= 2 4 = dr3 ⃗q⋅⃗r
U(r)==
dΩ 4π
Mit Gl. (3.6) ergibt sich schließlich:

$ %2
dσ 4m2 λ
= 4
dΩ q2 + µ 2
θ
q = 4p2 sin2
2 2
(3.7)
2
Man kann also durch eine gemessene Winkelverteilung den Abschirmparamter des Coulomb-
Potentials µ berechnen.
• Bei Streuung eines nicht-relativistischen Punktteilchens mit Ladung Z1 e am Coulombpoten-
tial einer Punktladung Z2 e gilt:
$ %
Z1 Z2 e2 Z1 Z2 e2
Uc (r) = λ= ∼ Z1 Z2 c, µ = 0, ε0 := 1
4π r 4π
p2
Somit ergibt sich aus (3.7) die Rutherford-Streuung: (E = 2m
)
$ %2 $ %2 2 2
dσ 2mZ1 Z2 c Z1 Z2 c p2
= = Ekin = (3.8)
dΩ 2 q2 4Ekin sin4 θ
2
2m

• Für hohe Energien ergibt sich dann der Rutherford-Streuquerschnitt mit relativistischer
Kinematik (V ≈ c, E ≈ |⃗p|c):

dσ Z12 Z22 2 ( c)2


= (3.9)
dΩ 16E2 sin4 θ2

3.6 Wechselwirkung durch Austausch von Teilchen

3.6.1 Vorbereitung: Coulomb-Wechselwirkung zweier statischen Ladungs-


verteilungen
Die potentielle Energie einer Ladungsverteilung ρ1 im Potential φ einer anderen Ladungsver-
teilung ρ2 ist:
0 0 0
U= 3
d xρ1 (⃗x)φ (⃗x) = 3
dx d3 x′ ρ1 (⃗x)G(⃗x,⃗x ′ )ρ2 (⃗x ′ )
Teilchen und Kerne
3.6 Wechselwirkung durch Austausch von Teilchen 87

Aus den Maxwell-Gleichungen ergibt sich für das Potential φ die Poisson-Gleichung

⃗ 2 φ (⃗x) = −ρ2 (⃗x),


die sich mit Hilfe einer Green-Funktion

1
G(⃗x,⃗x′ ) =
4π |⃗x − ⃗x′ |
mit der Eigenschaft

⃗ 2 G(⃗x,⃗x′ ) = −δ 3 (⃗x − ⃗x′ )


∇ x

lösen lässt. Man erhält damit für das Potential:


0
ρ2 (⃗x ′ )
φ (⃗x) = d3 x′
4π |⃗x − ⃗x′ |
Beim Beispiel zweier Punktteilchen mit Ladungen ±e und den Ladungsdichten

ρ1 = +eδ 3 (⃗x − ⃗r1 ), ρ2 = −eδ 3 (⃗x − ⃗r2 )

ist die Lösung besonders einfach. Die potentielle Energie ist dann nämlich:

−e2
U(⃗r1 ,⃗r2) = −e2 G(⃗r1 ,⃗r2 ) =
4π |⃗r1 − ⃗r2 |
Das Matrixelement M fi für die Streuung von Teilchen 1 mit der Wellenfunktion Ψi an Teilchen
2 mit der Wellenfunktion Ψƒ ergibt sich aus der Gleichung
0
M fi = d3 rΨ∗ƒ (⃗r)U(⃗r)Ψi (⃗r) mit ⃗r = ⃗r1 − ⃗r2

%f
%i

Abb. 3.8: Ein- und Auslaufende Wellenfunktionen Ψi und Ψƒ

Als Ansatz für die (normierte) Wellenfunktionen eignet sich:

1 i ⃗pi,ƒ ⋅⃗r
Ψi,ƒ (⃗r) = √ e
VVol
Teilchen und Kerne
88 Streuprozesse

Dies entspricht dem Ansatz einer ebenen Welle. Somit folgt für die Matrixelemente:
0 0
1 ⃗pƒ ⋅⃗r
i
⃗pi ⋅⃗r 1
M fi = 3
d re −i
⋅ U(⃗r) ⋅ e = d3 rei⃗q⋅⃗r ⋅ U(⃗r) mit ⃗q = ⃗pi − ⃗pƒ
VVol VVol
Mit der Bornschen Näherung ergibt sich dann die Streuamplitude zu:
0 ⃗q⋅⃗r
e2 e2
M fi ∝ − d3 r =− (⃗r = ⃗r1 − ⃗r2 )
4π |⃗r| |⃗q|2

Dies entspricht dem Ergebnis des Yukawa-Potentials mit µ = 0 und λ = 1. Feldtheoretisch läßt
sich dies als Austausch eines virtuellen Photons interpretieren:

1
⃗q 2

Propagator

1 2

Abb. 3.9: Austausch eines Photons

Allgemein braucht bei virtuellen Teilchen aufgrund der Unschärferelation die Energie-Impuls-
Beziehung E2 = ⃗p 2 c2 + m2 c4 nicht erfüllt zu sein. Man kann deshalb annehmen, daß das ausge-
tauschte Photon E = ω = 0 hat und (trotzdem) den übertragenen Impuls ⃗q transportiert. Der
Term |⃗q1|2 wird auch als Propagator bezeichnet.

3.6.1.1 Einführung in die Quantenfeldtheorie

In der QFT wird ein Vektor immer als Vierervektor mit der Frequenz ω und dem Wellenvektor
⃗k des Teilchens beschrieben:

$ %
ω
q= ⃗k

Die Potentialfunktion Φ(⃗x) ist nun nicht mehr nur eine Funktion des Orts, sondern auch der
Zeit:

Potential Φ(⃗x) −→ Feld Φ(x) = Φ(t,⃗x)

Eine der wichtigsten Merkmale der QFT ist die Feldquantisierung:


0
1 d4 q . −iq⋅x /
Φ(x) = 4
aq e + a†q e+iq⋅x
V (2π )
Teilchen und Kerne
3.6 Wechselwirkung durch Austausch von Teilchen 89

aq und a†q sind hier als Operatoren, nämlich als Quantenerzeuger und -vernichter zu verstehen.
?
Sie wirken auf dem Vakuumzustand |0〉, bzw. einen Feldzustand |Φq . Man sieht hier, dass
durch die Ersetzung der klassischen Amplituden durch quantenmechanische Operatoren die
Feldamplitude automatische quantisiert wird ⇒ Quantenfeld.
?
Erzeugungsoperator für ein Feldquant mit dem Impuls q a†q |0〉 =
? |Φq
Vernichtungsoperator für ein Feldquant mit dem Impuls q aq |Φq = |0〉
Die aus der Elektrodynamik bekannte Greensfunktion G(⃗x,⃗x′ ) wird in der QFT durch einen
Propagator G(x, x′ ) (mit Vierervektoren) ersetzt. Der Operator heißt Zeitordnungsoperator
und ist für die zeitlich richtige Anwendung der Operatoren notwendig.

G(⃗x,⃗x′ ) −→ G(x, x′ )
G(x, x′ ) = −i 〈0| Zeitordnung Vernichtung am Zeitpkt.x1 Erzeugung zum Zeitpkt.x2 |0〉
9 :; <9 :; <9 :; <
Φ(x1 ) Φ† (x2 )

3.6.2 Yukawa-Austauschwechselwirkung
Wir betrachten den Austausch eines Teilchens mit Masse m und Energie-Impuls-Beziehung
E2 = p2 c2 + m2 c4 . Hinweis: Diese Wechselwirkung ist im allgemeinen spinabhängig, was wir
jedoch hier systematisch ignorieren.
Die passende Feldgleichung ist die Klein-Gordon-Gleichung:
1 2 mc
⃗ 2 − µ 2 φ (⃗x) = −gδ 3 (⃗x − ⃗r1 );
∇ µ=

(statischer Fall (E = 0) mit punktförmiger Quelle und Kopplungskonstante g)


Diese lösen wir wieder mit Hilfe einer Green-Funktion:

1 2 −µ |⃗x−⃗x ′ |
⃗ 2 − µ 2 G(⃗x,⃗x ′ ) = −δ 3 (⃗x − ⃗x ′ );
∇ ′
G(⃗x,⃗x ) =
4π |⃗x − ⃗x ′ |

Das Potential ist dann

g2 −µ |⃗r1 −⃗r2 |
U(⃗r1 ,⃗r2) = g2 G(⃗r1 ,⃗r2 ) =
4π |⃗r1 − ⃗r2 |

und die Streuamplitude folgt abermals aus der Bornschen Näherung:


0 −µ r
g2 ⃗q⋅⃗r −g2
M fi ∝ − d3 r =
4π r ⃗q 2 + µ 2

Ein negatives Vorzeichen des Matrixelements bedeutet dabei eine repulsive Wirkung des Poten-
tials. Die Reichweite der Wechselwirkung ist gegeben durch:
Teilchen und Kerne
90 Streuprozesse

∆ = µ −1 =
mc √g
4
√g
4
1
(Compton-Wellenlänge des ⃗q 2 +µ 2

Austauschteilchens)
Die Spinabhängigkeit, welche wir ja vernachlässigt haben, entscheidet hier letztlich über At-
traktion oder Repulsion der Wechselwirkung.

Beispiel 1: Nukleon-Nukleon-Wechselwirkung durch Austausch eines Pions

Pion Reichweite:

∆= ≈ 1.4 fm
mπ c
Nukleon Nukleon
Beispiel 2: Schwache Wechselwirkung durch Austausch eines W-Bosons (z. B. -Zerfall)

W-
g2W
M fi ∝ 2 c2
Boson
⃗q 2 + MW 2

Quark Lepton

2
Für |⃗q 2 | ≪ MW
2 2
c geht dies über in g2W
GW ∼ MW2
die Fermi-Kopplung:

3.7 Elastische Elektronenstreuung an einer


Ladungsverteilung
Wir betrachten im folgenden die Streuung von Elektronen an einer Ladungsverteilung (Abb.
3.10) und verwenden hier aus Gründen der Übersichtlichkeit wieder natürliche Einheiten.

Ladungsdichte eρ (⃗r) mit


0
d3 rρ (⃗r) = Z
e− Ladungsdichte

Abb. 3.10: Feynmangraph der Elektronenstreuung


Teilchen und Kerne
3.7 Elastische Elektronenstreuung an einer Ladungsverteilung 91

Der Viererimpuls bleibt wie immer erhalten:

′ ′
p + P = p ′ + P′ ; p2 = p 2 = m2e , P2 = P 2 = M 2

Daraus erhält man die Rückstoßenergie bei elastischer Streuung:


" #2
(p + P)2 = s = p′ + P′

m2e + M 2 + 2 p ⋅ P = m2e + M 2 + 2 p′ ⋅ P′

" #
p ⋅ P = p′ ⋅ P′ = p′ ⋅ p + P − p′ = p′ ⋅ p + p′ ⋅ P − m2e

Für relativistische Elektronen mit E ≈ |⃗p| ≫ me gilt die Näherung:

" #
E − E′ M = E′ E − ⃗p ′ ⋅ ⃗p ≈ E′ E(1 − cos θ )

E
E′ = E
1+ Mc2
(1 − cos θ )

p′ = (E′ ,⃗p ′ )

e−
Z
e− ⇒
Θ
z
p = (E,⃗p )
P = (M, 0)

P′

Abb. 3.11: Elektronenstreuung im Laborsystem

3.7.1 Differentieller Wirkungsquerschnitt und Formfaktor


Für relativistische Elektronen (Abschn. 3.4 und 3.5) ergibt sich für den differentiellen Wir-
kungsquerschnitt:

$ %2 =0 =2
dσ E′ =
= d3 r
=
= ⃗q⋅⃗r
U(⃗r)== (3.10)
dΩ 2π 2 c2 =
Teilchen und Kerne
92 Streuprozesse

Für das Potential einer ausgedehnten Ladungsverteilung (mit ε0 = 1) gilt:


0
e2 ρ (⃗r ′ )
U(⃗r) = − d3 r ′
4π |⃗r − ⃗r ′ |
Mit der Verwendung von

⃗q⋅⃗r 1 ⃗2 ⃗q⋅⃗r ⃗2 1
=− ∇ ; ∇ ′
= −4πδ 3 (⃗r − ⃗r ′ )
⃗q 2 |⃗r − ⃗r |
und zweimaliger partieller Integration lässt sich der letzte Teil von Gl. 3.10 fourietrransformie-
ren. Hierbei muss als Randbedingung das Verschwinden der Ladungsverteilung im Unendlichen
gefordert werden.

0 0 0 0
3 ′ ρ (⃗r ′ )
⃗q⋅⃗r 1 ⃗2 1 =
dr dr 3

= − 2 d r d3 r′ ⃗q⋅⃗r ρ (⃗r ′ )∇
3
|⃗r − ⃗r | ⃗q |⃗r − ⃗r ′ |
0 0 0 0
1 ⃗ 2 ⃗q⋅⃗r ρ (⃗r ′ ) 1 = − 1 ⃗2 1
= − 2 d3 r d3 r ′ ∇ ′
d3 r d3 r′ ⃗q⋅⃗r ρ (⃗r ′ )∇
⃗q |⃗r − ⃗r | ⃗q 2 |⃗r − ⃗r ′ |
0
4π ′
= 2 d3 r′ ⃗q⋅⃗r ρ (⃗r ′ )
⃗q

Der Formfaktor der Ladungsverteilung ist wie folgt definiert:

0
1 ⃗q⋅⃗r
F(⃗q) = d3 r ρ (⃗r)
Z

Durch Vergleich mit dem differentiellen Wirkungsquerschnitt einer Punktladung erhält man:

$ %
dσ dσ
= |F(⃗q)|2
dΩ dΩ Punkt

Wobei (dσ /dΩ)Punkt der Wirkungsquerschnitt für die Streuung an einer Punktladung ist (ohne
Spin, siehe Rutherfordstreuung in Abschnitt 3.5):
$ %
dσ Z 2 2 ( c)2
=
dΩ Punkt 4E2 sin4 θ2

3.7.2 Eigenschaften von Formfaktoren


Alle Formfaktoren haben folgende Normierungseigenschaft:
0
1
F(⃗q = 0) = d3 rρ (⃗r) = 1
Z
Teilchen und Kerne
3.7 Elastische Elektronenstreuung an einer Ladungsverteilung 93

Für kugelsymmetrische Ladungsverteilungen ρ (⃗r) = Zƒ(r) (mit r = |⃗r| und q = |⃗q|) gilt:

0 0 ∞ 0 +1
3 ⃗q⋅⃗r 2 qr cos θ
F(⃗q) = dr ƒ(r) = 2π drr ƒ(r) d(cos θ ) =
0 −1
0 ∞

F(q2 ) = dr r sin(qr)ƒ(r)
q 0

Dabei soll die Schreibweise F(q2 ) verdeutlichen, daß F nur vom Betrag von ⃗q abhängt. Durch
Entwicklung nach q erhält man daraus eine Potenzreihe in q2 :

0 ∞ $ %
24π 1 3 3
F(q )= dr r qr − q r + … ƒ(r) =
q 0 6
2 0 ∞
q
=1− ⋅ 4π dr r4 ƒ(r) + … (3.11)
6 0

Aus (3.11) läßt sich der mittlere quadratische Radius


0
@ 2? 1
r = d3 r r2 ρ (⃗r)
Z
folgendermaßen berechnen:

=
@ 2? dF(q2 ) ==
r = −6 (3.12)
dq2 =q2 =0

Dieser Ausdruck ist experimentell gut bestimmbar, da Messungen bei kleinen q2 relativ einfach
sind.

3.7.3 Beispiele
Eine homogen geladene Kugel mit der Ladungsverteilung
-
3
4π R3
r≤R
ƒ(r) =
0 r>R

besitzt den Formfaktor

3 1 2 @ 2? 3 2
F(q) = sin(qR) − qR cos(qR) ; r = R (3.13)
(qR)3 5
Durch Messung des Wirkungsquerschnitts lassen sich theoretisch berechnete Formfaktoren
überprüfen. Beispielsweise bedingt die erste Nullstelle des Formfaktors ein Beugungsminimum
in dσ /dΩ bei q ≈ 4.5/R. Weitere Beispiele sind in Tabelle 3.1 angegeben.
Teilchen und Kerne
94 Streuprozesse

Ladungsverteilung ƒ(r) Formfaktor F(q2 )

δ (r)
Punkt 1 konstant
4π r 2
$ %−2
a3 q2
exponentiell ⋅ exp (−ar) 1+ 2 Dipol
8π a
$ 2 %3/2 $ 2 2% $ 2%
a −a r −q
Gauß ⋅ exp exp Gauß
2π 2 2a2
-
C r≤R 3 α −3 (sin α − α cos α )
homogene Kugel oszillierend
0 r>R (mit α = qR)

Tab. 3.1: Ladungsverteilungen und die zugehörigen Formfaktoren (aus [Po96])


Teilchen und Kerne
3.8 Messung von Formfaktoren spinloser Teilchen 95

3.8 Messung von Formfaktoren spinloser Teilchen


Bei Streuung von e− an spinlosen Teilchen mit Z = 1 ist der Wirkungsquerschnitt:
$ % 0
dσ dσ = 2 =2
= =F(q )= 2
mit F(q ) = d3 rρ (⃗r) ⃗q⋅⃗r
dΩ dΩ Mott

Dabei ist ⃗q der Impulsübertrag (rationalisierte Einheiten). Es gilt:

θ∗
⃗q = ⃗p − p⃗′ = 2|⃗p∗ | sin
2
⃗p∗ und θ ∗ sind Impuls und Winkel im Schwerpunktsystem. Für kugelsymmetrische Ladungs-
verteilungen ƒ(r) gilt:
0
sin(qr) 2
F(⃗q) → F(|⃗q|) = 4π ƒ(r) r dr Symbolisch: F(|q|) = F(q2 )
qr
Normierung:
0 0 ∞ 0 10 2π 0 ∞
3 2
1= d rƒ(r) = drd cos θ dϕ ƒ(r) ⋅ r = 4π ƒ(r)r2 dr
0 −1 0 0

3.8.1 Kerne: Gebundene Vielteilchensysteme aus Nukleonen


Interessant ist die Massenverteilung von Elektronen und Nukleonen. Ein Mensch besteht z.B.
zu 70 kg aus Nukleonen und nur zu 35 g aus Elektronen.

Kernmassenzahl A = Protonenzahl Z + Neutronenzahl N

Nuklide mit gleicher . . . sind . . .


Massenzahl A Isobare
Ladungszahl Z Isotope
Neutronenzahl N Isotone

Die Bindungsenergie B eines Atomkerns ist


1 " # 2
B = Z ⋅ Mp + m e + N ⋅ Mn − M(A, Z) ⋅ c2

mit

Mp = 938.7MeV/c2 Mn = 939.57MeV/c2 me = 0.51MeV/c2

Die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon ist


Teilchen und Kerne
96 Streuprozesse

siehe auch http://www.dne.bnl.gov/CoN/index.html

Abb. 3.12: Nuklidkarte (Übersicht)

Abb. 3.13: Anfang der Nuklidkarte


Teilchen und Kerne
3.8 Messung von Formfaktoren spinloser Teilchen 97

B
≈ 8MeV
A
Nomenklatur:

A
X X ist ein beliebiges Element

z.B. 4 He, 12 C, 14 C (14 C ist radioaktiv mit einer Lebensdauer von ca. 5000 Jahren)

3.8.2 Messung von Formfaktoren


(von spinlosen Teilchen)

Betrachten wir z. B. Kerne. Zunächst interessiert uns, welche Energie wir brauchen, um sie zu
untersuchen. Dabei nehmen wir an, daß wir noch Strukturen in der Größenordnung der Wel-
lenlänge des ausgetauschten Photons auflösen können. Also:

λ
= λ̄ = = ( q ist Impuls des ausgetauschten Photons)
2π q p
Aus der Optik kennen wir die Beziehung λ̄ ≤ r. Oft wird auch die Größe q̃ eingeführt:

q
q̃ = [fm−1 ]

Mit der obigen Beziehung gilt nun: q̃ ≥ r−1 . Atomkerne mit Massen von ca. 1 − 200 GeV/c2
1
haben Radien von r ≈ 1 − 10 fm (r ≈ r0 A 3 ). Der nötige Impulsübertrag ist daher

c q̃ 200MeV ⋅ fm 1
= ⋅ ⇒ q̃ = q ≥ 50MeV
c c r
1
Atomkerne mit Massen von ca. 1 − 200 GeV/c2 haben Radien von r ≈ 1 − 10 fm (r ≈ r0 A 3 ). Der
nötige Impulsübertrag ist daher

c
c q≥ ≈ 50MeV
r
Dabei gilt für q:
!
q = |⃗p − ⃗p′ | = p2 + (p′ )2 − 2pp′ cos θ

Für Elektronen bei so hohen Energien ist die Näherung pc ≈ E, also eine Vernachlässigung der
Ruhemasse, sinnvoll.
! !
c q̃ = cq = c p2 + (p′ )2 − 2pp′ cos θ ≈ E2 + (E′ )2 − 2EE′ cos θ (3.14)
Teilchen und Kerne
98 Streuprozesse

Zusammen mit (M ist die Masse des Streuzentrums)

E
E′ = E (3.15)
1+ Mc2
(1 − cos θ )

lassen sich aus (3.14) die möglichen E und θ bestimmen. E′ ist minimal bei θ = 180◦ (cos θ =
−1). Wählt man nun z. B. E ≈ 800 MeV und A ≈ 12 (E ≪ Mc2 ), erhält man

′ 800 MeV
Emin = 0.8
≈ 700 MeV
1 + 11.2 ⋅2

Mit (3.14) ergibt sich also q ≈ 1500 MeV/c. Analog erhält man q ≈ 1060 MeV/c für θ = 90◦ ,
q ≈ 400 MeV/c für θ = 30◦ und q ≈ 130 MeV/c für θ = 10◦ . Die gewählte Energie ist also gut
zum Abtasten von Kernstrukturen geeignet.

3.8.3 Kernradien
Die
" Ladungsverteilung
# ƒ(r) läßt sich theoretisch als Fouriertransformation aus dem Formfaktor
F q2 berechnen:
0 ∞
1 " # − ⃗q⋅⃗r 3 1
ƒ(r) =
9:;< F q2 d q= ρ (r) (3.16)
(2π )3 0 Z
9:;<
Fourierrücktrafo
ges.Ladung Kern

Leider ist q2 = (⃗p − ⃗p′ )2 nicht lorenzinvariant. Nur der Vierervektor Q2 = (P − P′ )2 = (E − E′ )2 −


(⃗p − ⃗p′ )2 ist invariant. Für einen kleinen Rückstoß mit E ∼ E′ gilt, auch im Laborsystem:

q2 = −Q2
" #
Ebenfalls erfordert die Berechnung von Gl. (3.16) die Kenntnis von F q2 über einen großen
Bereich von q2 , da von 0 bis Unendlich integriert werden muss. Bei großen q2 ist das sehr
schwierig, da der Wirkungsquerschnitt sehr klein wird (dσ /dΩ ∝ 1/q4). In der Praxis decken
deshalb die Experimente keinen" ausreichend
# großen q2 -Bereich ab, so daß man Modellannah-
men über ƒ(r) macht, daraus F q2 berechnet und mit den Meßwerten vergleicht (Tab. 3.1 auf
Seite 94).
Stellt man sich den Kern als homogene Kugel vor, ergibt sich (Abschn. 3.7.3) ein Formfaktor
von

3
F(q2 ) = (sin q̃R − q̃R cos q̃R) (3.13’)
(q̃R)3

Es stellt sich nun die Aufgabe, aus einer Messung von F(q2 ) den Kernradius R zu bestimmen.
Im Falle der homogenen Kugel treten Beugungsminima und -maxima auf. Das erste Minimum
befindet sich bei:
Teilchen und Kerne
3.8 Messung von Formfaktoren spinloser Teilchen 99

Abb. 3.14: Wirkungsquerschnitt bei Streuung an 12 C (aus [Po96])

q̃R = 4.5
Bei 40 Ca (siehe Abb. 3.15) ist beispielsweise im 1. Minimum q̃ ≈ 1/fm, also R ≈ 4.5 fm. Aus
Kernmodellen erhält man die Formel

1 1
R = R0 ⋅ A 3 = 1.21 fm ⋅ A 3 (3.17)
Daraus ergibt sich für 40 Ca ein Radius von R ≈ 4.1 fm. Analog dazu ist in Abb. 3.14 der Form-
faktor von 12 C abgebildet. Das Minimum liegt dort bei q = 2p∗ sin(θ ∗ /2) = 355MeV.
Führt man die Messungen an verschiedenen Kernen durch, findet man die erwartete Verschie-
bung des Minimums mit der Kerngröße (Abb. 3.15).

Merke: ein kleiner Radius (also im Ortsraum scharf definiert) zieht eine Verbreite-
rung von F(q2 ) (im Impulsraum schlecht definiert) nach sich.
1
∆x ∝
∆p
Genauere Messungen von ρ (r) = Z ⋅ ƒ(r) zeigen, daß Kerne keine Kugeln mit scharf definierter
Oberfläche sind. Typisch für die Ladungsverteilung ρ (r) ist dagegen ein Plateau (Kugel) mit ei-
nem sich daran anschließenden Gaußschen Abfall (diffuser Rand). Diese Verteilung wird durch
die sog. Fermiverteilung mit zwei Parametern

1
ρ (r) = ρ0 (r−c)/a
1+
gut beschrieben. Dabei sind (s. Abb. 3.16):
ρ0 : Normierungskonstante
c: Radius der halben Dichte
a: beschreibt Oberflächendichte
Teilchen und Kerne
100 Streuprozesse

Abb. 3.15: Streuung an verschiedenen Ca-Isotopen. Zur besseren Darstellung wurden die Wirkungsquerschnitte
jeweils mit 10 bzw. 10−1 multipliziert. Die durchgezogenen Linien entsprechen Ladungsverteilungen, die man an
die Daten angepaßt hat (aus [Po96]).

Abb. 3.16: Fermiverteilung mit zwei Parametern (aus [Po96])


Teilchen und Kerne
3.8 Messung von Formfaktoren spinloser Teilchen 101

• Die sog. Hautdicke t ist die Dicke des Bereichs, in dem die Ladungsdichte von 90% auf 10%
des Maximalwerts absinkt:
= =
= =
t = r= ρ − r= ρ = 2a ln 9
ρ0
=0.1 ρ0
=0.9

Für alle schweren Kerne ist sie ungefähr gleich groß und beträgt

t ≈ 2.4 fm
Abweichungen hiervon gibt es bei leichten Kernen, insbesondere bei 4 He, 6 Li, 7 Li und 9 Be –
das ist bereits ein Hinweis auf eine spezielle Struktur dieser Kerne. Die Ladungsverteilungen
einiger Kerne sind in Abb. 3.17 dargestellt.
• Die Halbwertsdicke c hängt folgendermaßen von der Nukleonenzahl ab:
1
c = 1.07 fm ⋅ A 3
• Aus der Ladungsdichte ρ (r) können wir außerdem den mittleren quadratischen Ladungs-
radius errechnen:
0 ∞
@ 2 ?
rem = 4π r2 ρ (r)r2 dr
0
Für mittlere und schwere Kerne erhalten wir:
@ 2 ? 21 1
rem = r0 A 3 mit r0 = 0.94 fm
Daraus können wir folgern, daß
4π R3
1. das Kernvolumen V = 3
∝ A (Anzahl der Nukleonen) ist.
2. die Kerndichte näherungsweise konstant ist, d. h. Kerne verhalten sich in dieser Beziehung
wie Festkörper oder Flüssigkeiten.
Unser Ergebnis können wir nun nochmals mit dem Modell der scharf begrenzten Kugel“ mit

Dichte ρ = 1/VVol und Radius R vergleichen. Aus
0 R
@ 2 ? 3 2 2 3
rem = 4π 3
r ⋅ r dr = R2
4π:;R <
0 9 5
Normierung

ergibt sich dann die bekannte Radiusformel

R = R0 ⋅ A1/3 mit R0 = 1.21 fm (3.17’)

Insgesamt haben die Messungen einen großen Einfluß auf die Modelle zur Beschreibung von
Kernen, insbesondere die Abweichungen bei den leichten Kernen.
Ein Studium des Formfaktors hin zu hohen Wellenzahlen (q ≈ 3 … 4 fm−1 ) erlaubt außerdem
den Zugang zu kurzwelligeren Fourierkomponenten, d. h. die Strukturen können mit höherer
Genauigkeit bestimmt werden. Eine Analyse, freilich nicht mehr auf Basis der Fermiverteilung,
zeigt dann Änderungen in der Ladungsverteilung für verschiedene Kerne.
Teilchen und Kerne
102 Streuprozesse

Abb. 3.17: Ladungsverteilung verschiedener Kerne (aus [Po96])

3.8.4 Magnetspektrometer

e− ′

e−
dünnes Target

Abb. 3.18: Streuung von e− an einem dünnen Target

Um bei der in Abb. 3.18 abgebildeten Elektronenstreuung q2 zu bestimmen, muß man den Streu-
winkel ϑ , sowie die Impulse von e− und e− ′ messen. Bei guten Elektronenbeschleunigern ist
∆p/p klein, so daß Richtung und Impuls des einfallenden Teilchens mit einer kleinen Ungenau-
igkeit bestimmt sind. Für die Messung der gleichen Größen beim gestreuten Elektron benutzt
man Magnetspektrometer, deren Prinzip in Abb. 3.19 dargestellt ist. Dabei wird zuerst mit ei-
nem Paar von Positionsmessung der Streuwinkel bestimmt. Danach durchläuft das Teilchen
einen Ablenkmagneten und ein weiteres Detektorpaar zur erneuten Positionsbestimmung. Aus
dem Ablenkwinkel, bewirkt durch das Magnetfeld, kann dann der Impuls errechnet werden.
Teilchen und Kerne
3.8 Messung von Formfaktoren spinloser Teilchen 103

Magnet

e−

Positionsmessung

Abb. 3.19: Prinzip eines Magnetspektrometers

Allerdings wird die Impulsmessung dadurch verschlechtert, daß das Elektron seine Energie
verändert, bevor es in den Magneten gelangt. Dabei spielt sowohl Bremsstrahlung als auch
der gewöhnliche elektronische Energieverlust dE/dx beim Durchlaufen jeglicher Materie eine
Rolle.
Eine mögliche Abhilfe ist, in einem abbildenden Spektrometer (Abb. 3.20) zuerst den Impuls
und dann den Winkel zu messen. Dabei werden alle Teilchen in einem bestimmten Winkel-
bereich (θ1 < θ < θ2 ), welche denselben Impuls p0 haben, auf einen Punkt in der Bildebene
abgebildet (Abb. 3.22). Vor dem Durchgang durch die magnetische Optik wird die Energie der
Strahlteilchen durch keinen Detektor verändert.

Magnet

bleistiftdünner
Strahl
Bildpunkt
Wechselwirkungs-
punkt

Abb. 3.20: Prinzip eines abbildenden Magnetspektrometers

Das Prinzip ist das gleiche wie in der Optik. Durch die Dispersion liegen die Brennpunkte für
verschiedene Wellenlängen an unterschiedlichen Positionen.

weißes Licht Brennpunkt mit weißes Licht blau rot


−→
Dispersion

Linse Linse

Abb. 3.21: Dispersion in der Optik

In unserem Fall baut man also eine Magnetoptik mit maximaler Dispersion. Man nutzt eine
Kombination aus Sammellinse und Prisma (Quadrupol und Dipol), wodurch für einen Objekt-
punkt verschiedene Wellenlängen auf verschiedene Bildpunkte abgebildet werden.
Teilchen und Kerne
104 Streuprozesse

e−
Target P1 P 2 P3
positionsempfindlicher
Detektor

Abb. 3.22: Impulsdetektion mit Hilfe einer magnetischen Optik

Durch Bestimmung des Auftreffpunktes und Kenntnis des Objektpunktes (aus Strahllage und
Targetposition) erhält man schließlich den Impuls p. Dabei ist ∆p/p proportional zur Größe des
Bildpunktes, d. h. man benötigt einen guten Positionsnachweis und damit eine gute Optik. Zum
Ortsnachweis verwendet man meistens Driftkammern (Nobelpreis1 1992 für G. Charpak, siehe
auch Abschnitt I).
Durch eine geschickte Anordnung der Magnete ist die Abbildung in der anderen Projektion,
d. h. senkrecht zur Ablenkrichtung des Magnetspektrometers, nicht vom Impuls p abhängig,
sondern nur vom Emissions- bzw. Streuwinkel θ , der so auch bestimmt werden kann.
Ein Beispiel für ein Magnetspektrometer ist das MAMI-B-Experiment in Mainz (A1-Kollabo-
ration, Abb. 3.23), ein 3-Achsen Spektrometer für Koinzidenzmessungen. Die Winkelbestim-
mung erfolgt durch die Position des Detektors, der sich auf einem Kreis um das Target bewegen
lässt. Hier wird eine p-Auflösung von ∆p/p ≈ 2 ⋅ 10−4 bei einer Impulsakzeptanz von 20% je
Messung erreicht. Die Strahlfleckgröße ist 500 m bei einer Impulsunschärfe des Strahls von
∆p/p ≈ 10−4 .

3.8.5 Messungen an instabilen Teilchen


Ein -Meson, welches z.B. durch Beschießen eines Targets mit Protonen entsteht, hat eine Le-
bensdauer von nur τ ≈ 2.6⋅10−8 s. Aufgrund dieser kurzen Lebensdauer sind Targets aus Pionen
nicht möglich. Bewegt sich das Pion schnell, so wird die Lebensdauer im Laborsystem jedoch
durch die Zeitdilatation verlängert:

τLabor = τ ⋅ γ

Für E ≈ 100 GeV ergibt sich damit:

β≈1
E 100
γ≈ 2
= = 719.4
mc 0.139
⇒ τLabor = 1870.5 ⋅ 10−8 s = 1.87 ⋅ 10−5 s

Mit dieser Lebensdauer kann es


1
http://www.nobel.se/laureates/physics-1992.html
Teilchen und Kerne
3.8 Messung von Formfaktoren spinloser Teilchen 105

Abb. 3.23: Aufbau von MAMI–B (aus [Po96])

λ = τ ⋅ c = 5.61 km

weit fliegen, d. h. 1/ der Pionen überleben diese Strecke. Das bedeutet, daß man ohne große
Probleme Strahlen aus nicht stabilen Teilchen erzeugen kann.
Elektromagnetische Untersuchungen von solchen Strahlen laufen ähnlich ab, wie bei Streuung
von Neutronen an Kernen. Beispielsweise streut man Pionen an Wasserstoff. Im Endzustand
beobachtet man dabei Pion und Elektron, um den Prozeß e → e zu selektieren.

−q2 = Q2 = 2me c2 Ee

Aus der Messung des Wirkungsquerschnittes dσ /dΩ lässt sich der Formfaktor bestimmen. Aus
der Steigung des Formfaktors bei q2 = 0 ist der mittlere quadratische Radius 〈r2 〉 bestimmbar.

=
2 dF(q2 ) ==
〈r 〉 = −6
dq2 =q2 =0

Da die Masse des Pions wesentlich größer ist als die Masse des Elektrons (m c2 ≫ me c2 ) ist
der Impulsübertrag nur sehr klein.

E2 ,K
Q2max = 4m2e c2
M 2,K c4 + 2me c2 E ,K
Teilchen und Kerne
106 Übungen

Abb. 3.24: Formfaktoren von Pionen und Kaonen (aus [Po96])

M [MeV] Q2max [GeV]


±
139 0.318
für EStrahl = 300 GeV:
K± 493 0.166

1196 0.064
Somit ergibt ich für den mittleren Radius 〈r2 〉:

!
〈r2 〉 = 0, 49 ± 0, 02fm2 ⇒ 〈r2 〉 = 0, 67 ± 0, 02fm
!
〈r2 〉K = 0, 34 ± 0, 05fm2 ⇒ 〈r2 〉K = 0, 58 ± 0, 04fm

Hieraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen:

1. Beim Pion ist die Ladung anders verteilt als beim Kaon.
2. Pionen und Kaonen sind keine Elementarteilchen, da ihr Radius größer Null ist.

Übungen zu Kapitel 3
Übung 3.1: Bei der Streuung zweier Teilchen endlicher Masse muß beachtet werden, daß
das Projektilteilchen A Impuls auf das Targetteilchen B überträgt. Die Berücksichtigung dieses
Effekts wird sehr einfach, wenn man in das Schwerpunktsystem mit P⃗A = −P⃗B übergeht.

a) Berechnen Sie mit Hilfe der Energie- und Impulserhaltung nichtrelativistisch Impuls und
kinetische Energie T der Teilchen im Schwerpunktsystem für die elastische Streuung
(TA + TB = TA′ + TB′ ), wenn die Energie im Laborsystem gegeben ist. Wie groß ist die
kinetische Energie des Schwerpunktes, die beim Stoß der Teilchen nicht dem Reaktions-
mechanismus zur Verfügung steht?
Teilchen und Kerne
Übungen 107

b) Bei Streuvorgängen der Form A + B → C + D werden oft die lorentzinvarianten Größen


s, t und u, die sogenannten Mandelstam-Variablen, zur Beschreibung des Streuprozesses
verwendet, die als folgende 4-Impuls-Quadrate definiert sind:

s = (pA + pB )2 t = (pA − pC )2 u = (pA − pD )2


Berechnen Sie s, t und u im Labor- und im Schwerpunktsystem. Zeigen Sie, daß nur zwei
der drei Mandelstam-Variablen unabhängig sind, da

s + t + u =m2A + m2B + m2C + m2D


c) Der Wirkungsquerschnitt wird teilweise in der lorentzinvarianten Form dσ /dt angegeben.
Wie hängt er mit dem Wirkungsquerschnitt im Schwerpunktsystem d2 σ /dΩ zusammen?

Übung 3.2: Streuwinkel im Laborsystem und im CM-System. Zirkular polarisierte Pho-


tonen aus einem YAG-Laser (λ = 532 nm) treffen in einem Speicherring frontal auf Elektronen
mit einem Impuls von Ee = 27 GeV/c.

a) Welche Energie hat das einlaufende Photon im Ruhesystem des Elektrons?


b) Betrachten Sie die Streuung des Photons um 90◦ und 180◦ im Ruhesystem des Elektrons.
Welche Energie hat das gestreute Photon in beiden Fällen? Wie groß sind die Energien
und Streuwinkel im Laborsystem?
c) Wie gut muß die Ortsauflösung eines Kalorimeters in 50m Ab stand sein, damit diese
Photonen räumlich getrennt werden können?

Übung 3.3: Der gemessene differentielle Wirkungsquerschnitt für die Streuung langsamer
Neutronen am Proton hat im Schwerpunktssystem folgende Form:

a) Zeigen Sie, daß das Wechselwirkungspotential V(r) zwischen Neutron und Proton nicht
vom Coulomb-Typ V(r) = const./r sein kann.
b) Man schätze die Reichweite R der Neutron-Proton-Wechselwirkung ab, unter der Annah-
me, daß diese durch ein Potential
-
∞ für r < R
V(r) = Streuung an einer harten Kugel“
0 für r ≥ R ”
dargestellt wird. Kommentieren Sie das Ergebnis.
Teilchen und Kerne
108 Übungen

c) Die gemessenen differentiellen Wirkungsquerschnitte für Proton-Neutron- und Neutron-


Neutron-Streuung sind nahezu identisch. Welche Folgerungen ziehen Sie daraus?
d) Überlegen Sie sich qualitativ, wie sich der differentielle Wirkungsquerschnitt bei höheren
Energien verändert.

Hinweis: Einheiten des Wirkungsquerschnitts: 1 barn = 10−24 cm2 , 1 mbarn = 10−27 cm2 =
0.1 fm2
Kapitel 4

Elektromagnetische Wechselwirkung

Die elektromagnetische Wechselwirkung ist die Wechselwirkung, die in den Größenbereichen


des täglichen Lebens dominiert. In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit ihrer Theorie, der
Quantenelektrodynamik. Diese ist die derzeit am genauesten überprüfte physikalische Theorie,
wie die im letzten Abschnitt vorgestellten Präzisionstests belegen.

4.1 Relativistische Wellengleichungen


Zunächst betrachten wir zwei relativistische Verallgemeinerungen der Schrödinger-Gleichung,
die ja in der relativistischen Behandlung von Problemen ihre Gültigkeit verliert.

4.1.1 Klein-Gordon-Gleichung für Spin-0-Teilchen


Wir erinnern uns zunächst, wie man zur zeitabhängigen Schrödingergleichung,

2
∂ ⃗ 2ψ ,
ψ = H Sψ = − ∇ (4.1)
∂t 2M
gelangt. Und zwar geht man von der nichtrelativistischen Energie-Impuls-Beziehung aus und
ersetzt in dieser Energie und Impuls durch Differentialoperatoren:

⃗p 2
E=
2M
∂ ⃗
E −→ , ⃗p −→ − ∇ Quantisierungsvorschrift“
∂t ”

Die Wahrscheinlichkeitsdichte

ρ = ψ ∗ ψ = |ψ |2 > 0

109
Teilchen und Kerne
110 Elektromagnetische Wechselwirkung

und der Wahrscheinlichkeitsstrom


1 2
⃗j = − ψ ∗∇ ⃗ ψ∗
⃗ ψ − ψ∇
2M
erfüllen die Kontinuitätsgleichung:

∂ ⃗ ⋅ ⃗j = 0
ρ +∇
∂t
Die Schrödingergleichung (4.1) ist offensichtlich nicht lorentzinvariant, da sie erster Ordnung
in der Zeit, aber zweiter Ordnung in den Raumdimensionen ist.
Um zu einer relativistischen Wellengleichung zu kommen, gehen wir von den Zeit-Orts-Vierer-
vektoren aus:

xµ = (ct,⃗r ) xµ = (ct, −⃗r )

Wir definieren entsprechend die ko- und kontravarianten Ableitungen, die auch Vierergradient
genannt werden
$ % $ %
∂ 1∂ ⃗ µ ∂ 1∂ ⃗
∂µ = µ = ,∇ ∂ = = , −∇ ,
∂x c ∂t ∂ xµ c ∂t
und ordnen dem Viererimpuls analog zur Schrödingergleichung folgenden Differentialoperator
zu:
$ %
µ E
p = ,⃗p −→ ∂µ (4.2)
c

Die relativistische Energie-Impulsbeziehung pµ pµ = m2 c2 führt dann auf die Klein-Gordon-


Gleichung:
1 2
2
∂µ ∂ µ + m2 c2 φ (x) = 0

⃗ 2 erhält man die kompakte Form:


Mit dem d’Alembert-Operator ✷ = ∂µ ∂ µ = 1/c2 ∂ 2 /∂ t2 − ∇
$ 1 mc 22 %
✷+ φ (x) = 0 (4.3)

Es ergibt sich ein erhaltener 4-Strom:


" #
jµ = φ ∗∂ µ φ − φ ∂ µ φ ∗ mit ∂µ jµ = 0 (4.4)

Dabei ist jedoch ein Problem, daß die 0-Komponente,

" ∗ #
ρ = j0 = φ φ̇ − φ φ̇ ∗ ,
Teilchen und Kerne
4.1 Relativistische Wellengleichungen 111

zwar reell aber nicht positiv definit ist. Folglich ist eine Interpretation von ρ als Wahrschein-
lichkeitsdichte nicht möglich!
Gelöst wird die Klein-Gordon-Gleichung durch ebene Wellen:

− pµ xµ /
φ (x) = N
!
pµ pµ = m2 c2 , E = p0 c = ± m2 c4 + ⃗p 2 c2

Etwas überraschend ist zunächst die Existenz von Lösungen mit negativer Energie, was auch
einer der Gründe für Dirac
! war, nach einer alternativen Wellengleichung zu suchen. Für die
Energie
! ergibt sich E = ± ⃗p 2 c2 + m2 c4 und somit für den Hamiltonoperator die Gleichung H =
⃗ 2 c2 + m2 c4 . Probleme macht hierbei die Wurzel der Ableitung, da diese mathematisch
− 2∇
nicht definiert ist.
In der Quantenfeldtheorie interpretiert man die Lösungen als Feldoperatoren. (Wir verwenden
ab jetzt die rationalisierten Einheiten mit c = = 1, siehe auch den Hinweis am Anfang von
Kapitel 4.2.)
0
d3 p 1 − pµ xµ + pµ xµ
2 !
φ (x) = a(⃗p) + b† (⃗p) mit p0 = + m2 + ⃗p 2
(2 )3 2p0 ↑ ↑
Teilchen- Antiteilchen-
vernichter erzeuger

Die Klein-Gordon-Gleichung und -Felder beschreiben freie Spin-0-Teilchen. Für halbzahligen


Spin verwendet man die Dirac-Gleichung.

4.1.2 Dirac-Gleichung für Spin- 12 -Teilchen


Dirac versuchte 1928 eine Schrödingergleichung“ zu finden, bei der der Hamiltonoperator li-

near in den Ortsableitungen ist, um die negativen Energien bei der Lösung zu eliminieren (was
ihm letztendlich misslang). Er wählte als Ansatz für den Hamiltonoperator eine Linearkombi-
nation des Impules und der Masse.

∂ ⃗ + βM
ψ = H Dψ ⃗ ⋅ ⃗p + β m = − α
mit H D = α ⃗ ⋅∇
∂t
$ %
∂ψ ∂ ∂ ∂
⇒ =− α1 + α2 + α3 ψ + β mψ
∂t ∂ x1 ∂ x2 ∂ x3

Da die Teilchen die relativistische Energie-Impuls-Beziehung erfüllen, soll sich durch zweima-
liges Anwenden genau diese ergeben:

∂2 1 2
⃗ 2 − M(α
⃗ ⋅ ∇)
− 2 ψ = H D H D ψ = −(α ⃗ β + βα
⃗ ⋅∇ ⃗ + β 2M2 ψ
⃗ ⋅ ∇)
∂ t<
9 :; 9 :; <
! ⃗ 2 +M 2 b
= E2
b =−∇ = ⃗p 2 +M 2
Teilchen und Kerne
112 Elektromagnetische Wechselwirkung

Daraus ergibt sich, daß die αi und β keine Zahlen sein können, sondern Matrizen sein müssen,
die folgende Bedingungen erfüllen:

β 2 = 4×4 , αi2 = 4×4 ,


αi β + β αi = 0,
αi αj + αj αi = 2δij

Es zeigt sich, daß die Matrizen mindestens die Größe 4 × 4 haben müssen. Eine mögliche
Lösung ist:
$ % $ % $ %
2×2 0 1 0 ⃗
0 σ
β= mit 2×2 = , ⃗ =
α
0 − 2×2 0 1 ⃗ 0
σ

mit den Pauli-Spin-Matrizen

$ % $ % $ %
0 1 0 − 1 0
σ1 = , σ2 = , σ3 = ,
1 0 0 0 −1
σi σj = δij + εijk σk

Die Wellenfunktion ψ (x) besitzt 4 Komponenten. Man bezeichnet diese Struktur als Dirac-
Spinor, nicht als Vierervektor!
In der Praxis ist es sinnvoll, statt den αi und β die Dirac’schen γ -Matrizen einzuführen.
$ % ⎫
0 2×2 0 ⎪
γ0 = γ = β = ⎪

0 − 2×2 γ µ = (γ 0 , ⃗γ )
$ %
0 σ⃗ ⎪
⎪ γµ = gµν γ ν = (γ 0 , −⃗γ )
⃗γ = β α
⃗ = ⎭
−σ⃗ 0

Diese erfüllen folgende fundamentale Antikommutatorbeziehung:

{γ µ , γ ν }+ = γ µ γ ν + γ ν γ µ = 2gµν (4.5)

Damit ergibt sich die Lorentz-kovariante Form der Dirac-Gleichung:


7 8
∂ ⃗ + β M)ψ
β⋅ ⃗ ⋅∇
ψ = (− α
∂t

∂ ⃗ − M)ψ = 0
( γ0 ⃗ ⋅∇
ψ + βα
∂t

( γ µ ∂µ − M ⋅ 4×4 )ψ =0 (4.6)
Teilchen und Kerne
4.1 Relativistische Wellengleichungen 113

oder " #
̸∂ −M ψ =0 (4.7)

wobei hier die Feynman Notation ̸ a = γµ aµ benutzt wurde.


Außerdem führt man den adjungierten Dirac-Spinor ein:

ψ̄ = ψ † γ 0 = (ψ1∗ , ψ2∗ , −ψ3∗ , −ψ4∗ ) (4.8)

Der Viererstrom ist erhalten und erfüllt die Kontinuitätsgleichung:

jµ = ψ̄γ µ ψ ∂µ jµ = 0 (4.9)

Teilchendichte: ρ = j 0 = ψ̄γ 0 ψ = ψ † ψ > 0


Stromdichte: ⃗j = ψ̄⃗γ ψ = ψ † α
⃗ψ

ψ̄γ µ ψ transformiert sich unter Lorentztransformationen wie ein 4-Vektor. ψ̄ψ = ψ † γ 0 ψ ist ein
Lorentzskalar, d.h. eine lorentzinvariante Größe.
Zu den Lösungen der freien Dirac-Gleichung (4.6) gelangt man mit dem Ansatz ebener Wellen:

− pµ xµ
ψ (x) = u(p)

Die Dirac-Gleichung wird damit zu


$ %
µ χ ← große“ Komponente
(γµ p − M)u(p) = 0 u(p) = ”
ϕ ← kleine“ Komponente

In Matrixschreibweise erhält man
$ %$ % $ %
E − M −σ ⃗ ⋅ ⃗p χ 0
= ,
⃗ ⋅ ⃗p −E − M
σ ϕ 0

woraus sich

⃗ ⋅ ⃗p
σ
ϕ= χ
E+M
" #2
ergibt. Mit σ⃗ ⋅ ⃗p = ⃗p 2 kommt man auf die, wegen E2 − M 2 = ⃗p 2 stets erfüllte, Gleichung
$ %
⃗p 2
E−M− χ =0
E+M
χ ist ein 2-komponentiger (Pauli-)Spinor. Bezüglich der 3-Richtung entsprechen dabei die fol-
genden χ den verschieden Spinzuständen:
Teilchen und Kerne
114 Elektromagnetische Wechselwirkung

$ % $ % $ %
1 0 1 0
χ= spin-up, χ = spin-down bzgl. σ3 =
0 1 0 −1

Eine gute Quantenzahl des freien Dirac-Teilchens ist die sog. Helizität, d.h. die Projektion des
Spins auf die Impulsrichtung.
$ %
σ⃗ ⋅ p̂ 0
h = ⃗Σ ⋅ p̂ = , h2 = 4×4
0 ⃗ ⋅ p̂
σ

wobei Σ der wie folgt definierte Spin- Operator ist:


$ %
σ⃗ 0
Σ=

0 σ

Die Eigenwerte von h sind ±1 und es gilt:


E F
[H D , h] = α⃗ ⋅ ⃗p + β M, ⃗Σ ⋅ p̂ = 0

Für massive Dirac-Teilchen ist die Helizität allerdings keine Lorentz-Invariante, da sich immer
ein Bezugssystem finden läßt, in dem sich die Impulsrichtung umkehrt.
Mit der Normierung ū(p, s)u(p, s′) = 2M δss′ ergibt sich für u (in abkürzender Schreibweise, u ist
natürlich ein Vierer-Spinor):
$ %
√ 1 !
u(p, s) = E+M ⃗
σ ⋅⃗p χs E=+ M 2 + ⃗p 2
E+M

Die Antiteilchen-Lösungen (mit formal negativer Energie) sind:

! ∂
ipµ xµ
ψ (x) = v(p, s) M 2 + ⃗p 2 = E
p0 = + → −p0
$ ⃗σ ⋅⃗p % ∂t

v(p, s) = E + M E+M χs
1

Das heißt:

u(p, s) ⇔ Teilchen v(p, s) ⇔ Antiteilchen

In der Quantenfeldtheorie wird ψ (x) wie das Klein-Gordon-Feld als Feldoperator interpretiert:

>0 d3 p 1 2
− pµ xµ † + pµ xµ
ψ (x) = b(p, s)u(p, s) + d (p, s)v(p, s)
Elektronfeld s=±1/2 (2 )3 2p0 ↑ ↑
vernichtet erzeugt
Elektron Positron

ψ̄ (x) macht genau das Umgekehrte.


Teilchen und Kerne
4.1 Relativistische Wellengleichungen 115

4.1.3 Lösungen der freien Dirac-Gleichung


(a) Teilchen in Ruhe (⃗p = 0 und E = ±m) 1

⎛⎞ ⎛ ⎞
1 0
⎜ 0 ⎟ − mt ⎜ 1 ⎟ − mt
E>0 Ψ>+ = N ⎜ ⎟
⎝ 0 ⎠e Ψ>− = N ⎜ ⎟
⎝ 0 ⎠e
0 0
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
0 0
⎜ 0 ⎟ ⎜ 0 ⎟
E<0 Ψ<+ = N ⎜ ⎟ + mt
⎝ 1 ⎠e Ψ<− = N ⎜ ⎟ + mt
⎝ 0 ⎠e
0 1

$ %
⃗ 0
σ
Diese Lösungen sind Eigenfunktionen des Spinoperators ⃗Σ = zum Eigenwert 1/2.

0 σ
$ % G H
σ3 0 ↑ ”spin up” (sz = +1/2)
Σ3 Ψ± = Ψ± = ±Ψ± Spin 1/2
0 σ3 ↓ ”spin down” (sz = −1/2)

Dirac-Teilchen tragen den Spin 1/2, sie sind also Fermionen.

(b) Teilchen mit beliebigen Impuls ⃗p

Ψ> = N uS (p) e− p⋅x Ψ< = N v−S (p) e p⋅x

!
mit den Dirac-Spinoren (Ep = + ⃗p 2 + m2 ):

I J I J $ % $ %
⃗ ⋅⃗p
σ
χS Ep +m S
χ 1 0
us (p) = ⃗ ⋅⃗p
σ v−S (p) = mit χ1/2 = und χ−1/2 =
Ep +m S
χ χS 0 1

Hierbei steht uS (p) für das Teilchen und vS (p) beschreibt das Antiteilchen. Mathematisch lau-
fen Teilchen vorwärts in der Zeit, wogegen Antiteilchen rückwärts laufen. Diese Konvention
ist vor allem beim Erstellen und Auswerten von Feynman- Diagrammen zu beachten.

(γµ pµ − m)uS (p) = 0 (γµ pµ + m)vS (p) = 0

1
N ist die Normierungskonstante
Teilchen und Kerne
116 Elektromagnetische Wechselwirkung

Abb. 4.1: Faynmandiagramm für Teilchen und Antiteilchen

4.2 Grundzüge der QED


Hinweis: Im folgenden benutzen wir sog. rationalisierte“ bzw. natürliche“ Einheiten mit
” ”
c = 1 und = 1. Diese sind sehr nützlich und weit verbreitet (im Gegensatz zu den Weiß-

kopfeinheiten“ mit zusätzlich = 1 oder gar den supernatürlichen“ Einheiten mit außerdem

2 = 1).

Das elektromagnetische Feld wird beschrieben durch das skalare Potential φ (⃗r, t) und das Vek-
torpotential ⃗A(⃗r, t). Diese beiden Potentiale werden im Viererpotential Aµ (x) = (φ (x), ⃗A(x)) mit
(x = (t,⃗r)) zusammengefasst.
Die Maxwellgleichung für ein freies elektromagnetisches Feld (in der Lorentz-Eichung mit
∂µ Aµ = 0) lauten:
$ %
µ ∂2 ⃗ 2
✷A = −∇ Aµ (⃗r, t) = 0 (4.10)
∂ t2
Ladungs- und Stromquellen sind über die nachfolgenden Gleichungen mit den Potentialen ver-
knüpft. Die Viererstromdichte ist eine Zusammenfassung der beiden Quellen zu einem Vierer-
vektor jµ = (ρ ,⃗j).
H
∂t2 φ (x) = ρ (x) (Ladungsdichte)
⃗ 2⃗A(x) = ⃗j(x) ✷Aµ (x) = jµ (x) (4.11)
∇ (Stromdichte)

Die Kontinuitätsgleichung für die Ströme lautet:

∂ρ ⃗ ⃗
∂µ jµ = +∇⋅j=0 (4.12)
∂t
Für Diracteilchen (relativistische Spin- 12 -Teilchen; z. B. e, , ) gelten die Beziehungen:
Teilchen und Kerne
4.2 Grundzüge der QED 117

ρ (⃗r, t) = e ψ † (⃗r, t)ψ (⃗r, t) = e ψ̄γ 0 ψ

⃗j(⃗r, t) = e ψ † (⃗r, t)α


⃗ ψ (⃗r, t) = e ψ̄⃗γ ψ

mit ψ̄ = ψ † γ0 ; γ0 2 = 4×4 ; ⃗γ = γ0 α
⃗ . Im Vierervektorschreibweise ergibt sich die Dirac-
Stromdichte.

jµ = e ψ̄γ µ ψ

Die Matrix γ µ ist über die Pauli-Spin-Matrizen definiert:


$ % $ %
0 2×2 0 ⃗
0 σ
γ0 = γ = β = , ⃗γ =
0 − 2×2 ⃗ 0
−σ

Die freie Dirac-Gleichung in der hamiltonschen Form ergibt sich zu:

1 2
−α ⃗ + β m ψ = Eψ = ∂ ψ
⃗ ⋅∇ (4.13)
∂t
!
Mit der relativistischen Energie E = ⃗p 2 + m2 und dem Impulsoperator ⃗p = − ∇, ⃗ sowie dem
Gesamtenergieoperator E = ∂∂t . In kovarianter Form vereinfacht sich diese Gleichung zu:

(γµ pµ − m)ψ = 0 (4.14)

Für die minimale (eichinvariante) Kopplung von geladenen Teilchen an das elektromagnetische
Feld gilt:
H
E → E − e φ (⃗r, t)
⇒ p µ → p µ − e Aµ
⃗p → ⃗p − e⃗A(⃗r, t)

Um den Überblick zu behalten sind hier noch einmal die wichtigsten Gleichungen der QED
zusammengefasst:

✷Aµ (x) = e ψ̄ (x)γ µ ψ (x) (4.15)

" " # #
γµ pµ − e Aµ (x) − m ψ (x) = 0 (4.16)

Als Wechselwirkungsterm (Hamiltondichte) zwischen einer Ladungsverteilung bzw. einem Strom


und einem Viererpotential Aµ (x) ergibt sich Gl. 4.17. Die Wechselwirkungsenergie berechnet
sich aus Gl. 4.18.

H int = ρ (⃗r, t)φ (⃗r, t) − ⃗j(⃗r, t) ⋅ ⃗A(⃗r, t) = jµ (x)Aµ (x) = eψ̄ (x)γµ ψ (x)Aµ (x) (4.17)
Teilchen und Kerne
118 Elektromagnetische Wechselwirkung

0 0 0 0
W= dt 3
d r H int = e dt d3 rψ̄ (x)γµ ψ (x)Aµ (x) (4.18)

Die Lösungen der QED-Gleichungen lassen sich störungstheoretisch nach Potenzen der Fein-
1
struktur-Konstante = e2 /4 = 137 , ausgehend von den Lösungen für freie Teilchen, ent-
wickeln.

Beispiel: Wechselwirkung zwischen zwei Elektronen (siehe Abb. 4.2)


Der Viererstrom von Elektron 2 (jµ (x′ ) = eΨ̄(y)γ µ Ψ(y)) erzeugt ein Viererpotential Aµ (x). Die
Lösung der Maxwellgleichung ✷Aµ (x) = jµ (x) erfolgt mittels der zugehörigen Green-Funktion:

✷D(x − x′ ) = δ 4 (x − x′ ) = δ (t − t′ )δ (⃗r − ⃗r ′ )

Für das Viererpotential ergibt sich somit:

0 0
4 ′ ′ ′
µ
A (x) = µν
d x D (x − x )jν (x ) = e d4 x′ D(x − x′ )ψ̄ (x′ )γ µ ψ (x′ )

Für den statischen Grenzfall gilt:

δ (t − t′ )
Dµν (x − x′ ) = gµν
4 |⃗x − ⃗x ′ |

Der Viererstrom von Elektron 1 (jµ (x)) koppelt and dieses 4-Potential und man erhält nach Gl.
4.18 die Wechselwirkungsenergie.

0 0
W=e 2 4
dx d4 y ψ̄ (x)γ µ ψ (x) Dµν (x − y) ψ̄ (y)γ ν ψ (y)
9 :; < 9 :; < 9 :; <
Strom 1 Propagator Strom 2

Quantenmechanisch lässt sich diese Gleichung als zweite Ordnung Störungstheorie in der Wech-
selwirkungsdichte H int beschreiben:

Elektron 1 Elektron 2´
vernichtet erzeugt
↓ ↓
H int (x)H int (y) = e ψ̄ (x)γ Aµ (x)ψ (x)ψ̄ (y)γ ν Aν (y)ψ (y)
2 µ
(4.19)
↑ ↑ ↑ ↑
Elektron 1´ virtuelles virtuelles Elektron 2
erzeugt Photon Photon vernichtet
erzeugt/ erzeugt/
vernichtet vernichtet
9 :; <
zugehörige Amplitude = Photonpropagator
Teilchen und Kerne
4.2 Grundzüge der QED 119

virtuelles
x y
Photon

Strom 1 Strom 2

Abb. 4.2: Austausch eines Photons zwischen den Elektronen

Diese Wechselwirkung läst sich als Austausch eines Photons zwischen den beiden Elektronen
deuten. Von den Zuordnungen in (4.19) kommt man zu den Feynmanregeln, in welche wir hier
eine kurze Einführung geben wollen (dazu später mehr):

Feynmanregeln der QED

Elektron im Anfangszustand: u(p, s) im Endzustand: ū(p, s)

Positron im Anfangszustand: v̄(p, s) im Endzustand: v(p, s)

Photon im Anfangszustand: ε µ (k) im Endzustand: ε µ ∗ (k)

Wechselwirkungsvertex: µ − eγ µ

µ ν − gµν
Photon-Propagator: ∼ ✷−1
k q2 + ε im Impuls-
raum

Elektron-Positron-Propagator:
p γ µ pµ − m + ε
∼ ( γ µ ∂µ − m)−1
im Impulsraum

An jedem Vertex gilt 4-Impulserhaltung: ← k = p′ − p

p′

Das Matrixelement Tƒi im Impulsraum (z.B. für Elektron-Myon-Streuung) ist in Gl. 4.20 dar-
gestellt. Der Impulsübertrag ist q2 = (∆E)2 − ⃗q 2 ist kleiner Null und somit raumartig. Der
Wirkungsquerschnitt berechnet sich dann nach der Formel dσ /dΩ ∝ |Tƒi |2 .
Teilchen und Kerne
120 Elektromagnetische Wechselwirkung

gµν
Tƒi = −e2 ū(p′ )γµ u(p) ū(k′ )γν u(k) mit ū = u† γ 0 und qµ = (p′ − p)µ = (k − k′ )µ (4.20)
q2

Abb. 4.3: Elektron- Myon Streuung

4.2.1 Berechnung von Wirkungsquerschnitten


Es soll nun gezeigt werden, wie man aus einem Feynman- Diagramm auf das Wechselwir-
kungsmatrixelement der streuenden Teilchen schließen kann und wie dieses Matrixelement in
den differentiellen Wirkungsquerschnitt des Streuvorganges eingeht.
Zunächst betrachten wir hierzu einen beliebigen Streuprozess zweier Teilchen 1 und 2, welcher
als Produkt Teilchen 3 und 4 liefert. Es gilt somit:

Teilchen 1 + Teilchen 2 → Teilchen 3 + Teilchen 4


Ganz allgemein definiert man zur Beschreibung eines Streuvorganges die sogenannten Mandelstam-
Variablen:

s = (p1 + p2 )2 t = (p1 − p3 )2 u = (p1 − p4 )2 (4.21)


Hierbei sind die pi Vierer- Impulse. Daher handelt es bei den Mandelstamvariablen, da sie qua-
drierte Linearkombinationen aus Vierer-Vektoren sind, um lorentzinvariante Größen. Wie man
leicht aus der obigen Definition entnehmen kann, beschreibt t den Vierer-Impulsübertrag und s
die Schwerpunktsenergie (es gilt also W 2 = s). Weiterhin kann man durch einfache Rechnung
zeigen, daß lediglich zwei der drei Variablen unabhängig voneinander sind; es gilt:

s + t + u = m21 + m22 + m23 + m24 (wobei hier mi die Masse des i-ten Teilchens ist)
Kommen wir nun zum eigentlichen Thema:
Teilchen und Kerne
4.2 Grundzüge der QED 121

• Berechnung von Wirkungsquerschnitten:


Es gilt für den Zusammenhang zwischen differentiellem Wirkungsquerschnitt und Wechsel-
wirkungsmatrixelement im Schwerpunktsystem (p⃗1 = −p⃗2 ):

dσ 1 |p⃗3 |
= 2
⋅ |M fi |2 (4.22)
dΩ (8π ) ⋅ s |p⃗1 |

Betrachtet man nun die Feynman- Diagramme für Teilchen-Teilchen- (Abb. 4.4), sowie für
Teilchen-Antiteilchen-Streuung (Abb. 4.5), so sieht man, daß die Mandelstam- Variablen je-
weils als ,,Koordinatenachsen” im Graphen interpretiert werden können. Geht man nun von
der Streuung an einem Teilchen zur Streuung an einem Antiteilchen über, so tauschen s und
t ihre Rollen (entspricht einer Drehung des Feynman- Graphen um 90◦ )
Diese Vertauschung von s und t beim Übergang Teilchen → Antiteilchen nennt man Crossing-
Symmetrie.

Abb. 4.4: Teilchen- Teilchen- Abb. 4.5: Teilchen- Antiteilchen-


Streuung Streuung

• QED- Matrixelemente und Feynman- Regeln: Man erhält die Matrixelemente der QED über
M fi = − Tƒi . Unter Beachtung der bereits oben dargestellten Feynman- Regeln ist das Matrix-
element direkt aus einem Feynman- Graphen berechenbar. Dies wird nun für einige Beispiel √
illustriert. Hierbei ist zu beachten, dass für jeden Wechselwirkungsvertex stets ein Faktor α
im Matrixelement M fi auftaucht.
Teilchen und Kerne
122 Elektromagnetische Wechselwirkung

e− + µ − → e− + µ − −e2 [ū(p3 )γµ u(p1 )] 1t [ū(p4 )γ µ u(p2 )]

e− e−
wobei t = q2 = (p1 − p3 )2

e− + µ + → e− + µ + −e2 [ū(p3 )γµ u(p1 )] 1t [v̄(p4 )γ µ v(p2 ]

e− e−
− +

e+ + e− → µ + + µ − −e2 [ū(p4 )γµ v(p2 )] 1s̄ [v̄(p3 )γ µ u(p1 ]

e− e+
wobei s̄ = (p1 + p¯2 )2 = (p1 − p3 )2 = t

4.3 Elementare Prozesse der QED

4.3.1 Streuung von relativistischen Elektronen an einer Punktladung oh-


ne Spin
(Mott-Streuung)
Hier: Berücksichtigung des Elektron-Spins durch Spinmittelung im Anfangszustand und Spin-
summation im Endzustand
= ′ =2
= p , sf = ± 12 =
P′ =
=
= =
= =
= =
$ % > = =
dσ 2 1 = =
∝ |M fi | = = =
dΩ Mott 2 s ,s == =
=
i f
= =
= =
= =
= =
= p, si = ± 12 P=

" # θ
q2 = (p − p′ )2 = 2m2e − 2 EE′ − |⃗p||⃗p ′ | cos θ ≈ −4EE′ sin2 (4.23)
2
Teilchen und Kerne
4.3 Elementare Prozesse der QED 123

Ergebnis (im Laborsystem):

$ % $ % $ %
dσ Z2 2
E′ 2 2 θ β ≈1 dσ E′ θ
= ⋅ ⋅ 1 − β sin = ⋅ cos2 (4.24)
dΩ Mott 4E2 sin4 θ
2
E 2 dΩ Rutherford E 2

Interpretation am Beispiel der Rückwärtsstreuung am spinlosen Target: Der cos2 θ2 -Faktor ver-
bietet Rückwärtsstreuung. Für relativistische Elektronen (β = 1) bleibt in der elektromagneti-
schen Wechselwirkung die Helizität erhalten. Ein spinloses Teilchen kann den Drehimpulsübert-
rag ∆l = 1, welcher zur Helizitätserhaltung nötig ist, nicht aufnehmen – es wäre ein Spin-Flip
nötig (siehe auch Anhang A.2). Daher wird die Rückwärtsstreuung ohne Spin- flip stark unter-
drückt:

⃗p,⃗si ⇒
⃗S⋅⃗
P
Helizität h = |⃗S|⋅|⃗
P|
bleibt erhalten

⃗p ,⃗sf ⇐

Abb. 4.6: Am spinlosen Target ist die Rückwärtsstreuung ohne Spin-Flip unterdrückt

4.3.2 Elektronenstreuung an (punktförmigen) Spin-0- und Spin- 21 -Teilchen


4.3.2.1 Spin-0-Boson

k′ p′

eū(k′ )γ µ u(k) e(p + p′ )ν


gµν
q2
k p

Elektron geladenes oder K

Strom des Klein-Gordon-Feldes: jµ = (φ ∗ ∂ µ φ − φ ∂ µ φ ∗ )


$ %e-Spin-0 $ %
dσ dσ
=
dΩ lab dΩ Mott

Aber: Ein reales Pion/Kaon hat eine innere Struktur:


$ %e- /K $ %
dσ dσ = 2 =2
=
= =F /K (q )
dΩ lab dΩ Mott Pion/Kaon-
Ladungs-
formfaktor
Teilchen und Kerne
124 Elektromagnetische Wechselwirkung

4.3.2.2 Spin- 12 -Dirac-Teilchen

k′ p′

eū(k′ )γ µ u(k) eū(p′ )γ µ u(p)


gµν
q2
k p

Elektron Punkt-Proton

$ %e-Spin- 12 $ % $ %
dσ dσ q2 2 θ
= ⋅ 1− tan =
dΩ lab dΩ Mott 2M 2 2
$ %
2
E′ 2 θ |q|2 2 θ
= ⋅ ⋅ cos + sin (4.25)
4E2 sin4 θ2 E 2 2
92M :; 2<
magnetische Streuung

⃗ × ⃗q erlaubt einen Spinflip, so daß auch Rückwärtsstreuung


Die magnetische Wechselwirkung σ
erlaubt ist.

• Ein reales Proton hat aber eine innere Struktur (siehe (5.11)):
$ %ep $ % K L
q2
dσ dσ G2E (q2 ) − 4M 2 2
2 GM (q ) q2 2 2 θ
= q2
− G (q ) tan2
2 M
dΩ lab dΩ Mott 1− 2 2M 2
4M

• Im Breit-System, in dem keine Energie vom virtuellen Photon übertragen wird (q0 = 0),
lassen sich die Formfaktoren folgendermaßen interpretieren:

– elektrischer Formfaktor ↔ Ladungsverteilung


⃗q
M 1 2= = 1 2N " # 2
= =
P + ⃗q2 =ρ =P − ⃗q2 = GE −⃗q 2 ⃗q
−⃗q
– magnetischer Formfaktor ↔ Stromverteilung 2

M 1 2= = 1 2N " #
==
P + ⃗2q =⃗j=P − ⃗q2 = ⃗ × ⃗q GM −⃗q 2
σ
2M Abb. 4.7: Der im Breitsystem über-
tragene Impuls
Teilchen und Kerne
4.3 Elementare Prozesse der QED 125

4.3.3 Streuung geladener Leptonen


• im Schwerpunktsystem:

Lepton E Θ E Lepton
(e± , ± ) (e± , ± )

Abb. 4.8: Streuung geladener Leptonen

• QED-Rechnung ergibt im CM-System für die Wirkungsquerschnitte:


2

= F(θ ), s = W 2 = 4E2 (4.26)
dΩ 2s
• Beispiele:

– Elektron-Myon-Streuung

θ
1 + cos4 2
F(θ ) = (4.27)
sin4 θ2
e± ±

– Elektron-Elektron-Streuung (Møller-Streuung)


Pauli-
Prinzip

e− e− e− e−

1 + cos4 θ
2 2 1 + sin4 θ2
F(θ ) = + + (4.28)
sin4 θ2 2 θ
sin 2 cos2 θ
2
cos4 θ2
Interferenz-
term
Teilchen und Kerne
126 Elektromagnetische Wechselwirkung

Abb. 4.9: Wirkungsquerschnitt für Bhabha-Streuung (aus [It85])

– Elektron-Positron-Streuung (Bhabha-Streuung, siehe auch Abb. 4.9)


e− e+
e− e+

e− e+
e− e+
a) virtueller Photon-Austausch b) Annihilation
1 + cos 2 2 cos4 θ2 1 + cos2 θ
4 θ
F(θ ) = − + (4.29)
sin4 θ2 sin2 θ2 2
a) Interferenz b)

– e+ e− → + − (siehe auch Abb. 4.10, 4.11 und 4.12)


− +

1 + cos2 θ
F(θ ) = (4.30)
2
2
4
σ (e+ e− → + −
)= (4.31)
3s

e− e+

Bemerkung: Wenn bei der Streuung mehrere Prozesse gleichzeitig ablaufen, das heißt mehrere
verschiedene Feynman- Graphen relevant sind, so ergibt sich das Wechselwirkungsmatrixele-
ment des Vorganges als kohärente Summe der einzelnen Diagramme.

4.3.4 Paarvernichtung in Photonen


• Feynman-Diagramm:
Teilchen und Kerne
4.3 Elementare Prozesse der QED 127

Abb. 4.10: Wirkungsquerschnitt für e+ e− → + − .


Die durchgezogene Linie entspricht Gl. (4.31) (aus
Abb. 4.11: Wirkungsquerschnitt für e+ e− → + −
(aus
[Ha84]).
[Lo86])

+ e+ e− →

e− e+ e− e+

• Der differentielle Wirkungsquerschnitt (s. Abb. 4.13) ist im Schwerpunktsystem für hoch-
energetische Elektronen/Positronen mit E ≫ m:

dσ 2 cos4 θ2 + sin4 θ
2
2
1 + cos2 θ
= ⋅ = ⋅ (4.32)
dΩ 2E2 sin2 θ 4E2 sin2 θ
Teilchen und Kerne
128 Elektromagnetische Wechselwirkung

+ −

Z0
e+ e− −→ + −

e+ e−

Abb. 4.12: Wirkungsquerschnitte bei Myon-Paar-Produktion in der Nähe der Z0 -Resonanz


Teilchen und Kerne
4.3 Elementare Prozesse der QED 129

Abb. 4.13: Differentieller Wirkungsquerschnitt für e+ e− -Vernichtung in zwei Photonen (aus [Be92])

4.3.5 Compton-Streuung

• Feynman-Diagramme:

e− (k′ )
(k′ ) e−

e→ e

e− (k)

e (k)
Teilchen und Kerne
130 Elektromagnetische Wechselwirkung

k′
• Beschreibung im Laborsystem:

=⇒ ΘL z
k
e−

e−

Abb. 4.14: Compton-Streuung


1 2 1 2
k = ω , ⃗k , k′ = ω ′ , ⃗k′

ω
ω′ = ω
1+ me
(1 − cos θLab )
• Klein-Nishina-Formel:
$ %2 $ ′ %
dσ 1 2 ω ′ ω ω 2
= r + − sin θLab (4.33)
dΩ 2 0 ω ω ω′
mit dem klassischen Elektronenradius r0 :

r0 = ≈ 2.82 fm (4.34)
me c

4.4 Präzisionstests der QED


Ziel dieses Abschnittes ist es, eine experimentelle Überprüfung der soeben dargestellten Theo-
rie der Quantenelektrodynamik anzugehen. Eine Möglichkeit bietet hierzu der Elektronen g-
Faktor. Wie im Folgenden gezeigt wird, kann dieser Wert sehr genau gemessen werden; er stellt
in der Tat eine der am besten bekannten Messgrößen der Physik dar. Ein anschließender Ver-
gleich mit der Theorie wird aufzeigen, daß Experiment und theoretische Vorhersage bis auf 11
Kommastellen miteinander übereinstimmen. Dies wiederum macht die QED zu der genausten
und bestüberprüften Theorie der gesamten Physik.

4.4.1 Magnetische Momente


Die allgemeine, klassische Definition für ein magnetisches Moment lautet:

1 qV
µ = (Strom × Fläche) Fläche = r2 , Strom = .
c 2 r
Somit gilt für den rein klassischen Fall:

q ⃗ ⃗L = ⃗p × ⃗r = mV
⃗ × ⃗r
⃗ =
µ L .
2mc
Teilchen und Kerne
4.4 Präzisionstests der QED 131

Ergebnis der Beobachtungen: Elektron und Myon sind punktförmig, bzw.

re < 10−3 fm = 10−18 m

Abb. 4.15: Winkelabhängigkeit der wichtigsten Prozesse der Elektronenstreuung


Teilchen und Kerne
132 Elektromagnetische Wechselwirkung

+3/2

+1/2
E0
−1/2

−3/2
B=0 ⃗B ≠ 0

Abb. 4.16: Aufspaltung im Magnetfeld

In der QED hingegen gilt (⃗J in Einheiten von ):

e ⃗ e ⃗J ⃗J
⃗µ = g ⋅ J =g⋅ ⋅ = g ⋅ µ0 ⋅ (4.35)
2mc 2mc
$ %
e
= µ0 = Magneton
2mc

e MeV
Bohrsches Magneton: B = = 5.788 ⋅ 10−15 (für Elektron)
2me c Gauß
e MeV
Kernmagneton: K = = 3.1525 ⋅ 10−18
2mp c Gauß

Die Information über die Struktur des Kreisstroms“ steckt in g. Der Hamiltonoperator für die

Wechselwirkung von µ mit einem Magnetfeld lautet (analog zur Zeeman-Aufspaltung beim
Atom im Magnetfeld):

⃗ ⋅ ⃗B = −gµ0⃗J ⋅ ⃗B/!
H int = −µ (4.36)

Ist etwa g < 0, so ergibt sich eine Energieaufspaltung der folgenden Art:
Die Entartung ist also im B-Feld aufgehoben, wodurch ⃗J entlang des ⃗B-Feldes quantisiert wird
(Quantenzahl m). Für die Aufspaltung zwischen zwei Niveaus gilt:

∆E = g B ⋅B

Die Gesamtaufspaltung (für alle Niveaus) ist

∆Etotal = 2µ B = 2g B ⋅ J ⋅ B/!

Für ein Elektron e− ist die minimale Energie bei minimalen Hamiltonoperator Ĥmin realisiert.
Dieser ist erreicht, wenn das magnetische Moment µ ⃗ und das magnetische Feld ⃗B parallel steh-
ten. Also stehen der Spin des Elektrons ⃗s und das Magnetfeld ⃗B nach Gl. 4.35 antiparallel.

Emin ⇒ Ĥmin bei ⃗µ ∥⃗B ⇒ ⃗s ⇔↑ ⃗B ⇔↓


Teilchen und Kerne
4.4 Präzisionstests der QED 133

n=4

n=4 n=3

n=3 n=2

n=2 n=1

n=1 n=0
∆En = !ωc ∆Es = !ωs
n=0

Spin ↓ Spin ↑

Abb. 4.17: Aufspaltung im Magnetfeld und Berücksichtigung des Spins

4.4.1.1 Bewegung eines geladenen Teilchens in einer Falle und die Messung von g − 2

Bewegung in einem homogenen Magnetfeld: Hier bewegt sich das Elektron auf einer Kreis-
bahn mit der Umlauffrequenz ωc . Nach der Quantenmechanik hat das Elektron aber nur diskrete
Energiezustände, d.h. Vielfache von !ωc . Es ergibt sich eine Energieleiter (vgl. Abb. 4.17) mit
einem Energieunterschied zwischen den Stufen von:

eB
∆En = ! ⋅ ωc = 2 ⋅ µB ⋅ B ωc =
mc
∆En hängt nur vom Magnetfeld B und Naturkonstanten ab.

Berücksichtigung des Spins ⃗s :


Der Elektronenspin hat zwei unterschiedliche Ausrichtungen und damit auch zwei unterschied-
liche Energien. Hier ist die Aufspaltung der einzelnen Niveaus

∆Es = g ⋅ µB ⋅ B

wobei g ≈ 2 gilt (siehe Abb. 4.17). Auch hier hängt die Aufspaltung nur von dem Magnetfeld B
ab.
Die beiden Aufspaltungen ∆En und ∆Es können in derselben Anordnung (d.h. im selben Ma-
gnetfeld B) unabhängig voneinander bestimmt werden. Bestimmt man nun das Verhältniss von

∆Es g
=
∆En 2
erhält man einen Wert für g unabhängig vom Magnetfeld B.
Es sind aber noch weitere Verbesserungen möglich. Wenn man die beiden Energieleitern für
die Aufspaltung nach Spin sortiert erkennt man einen kleinen Unterschied der Energieniveaus
(siehe Abb. 4.18).
Teilchen und Kerne
134 Elektromagnetische Wechselwirkung

n=1 ∆Eg−2
n=2 n=1

n=0
n=1 n=0

n=0

Spin ↓ Spin ↑ Spin ↑

g=2 g≠2

Abb. 4.18: Aufspaltung mit Spin

Man erkennt:

• Für g = 2 sind beide Leitern genau um ∆n = 1 versetzt. Ein Übergang von ∆s = 1 entspricht
einem Übergang von ∆n = 1.
• Für g ≠ 2 sind die Leitern aber um etwas mehr als ∆n = 1 versetzt.

Wir betrachten nun den Übergang ∆n = −1, ∆s = +1. Für die Energien ergibt sich:

∆Eg−2 = −∆En + ∆Es = −2 ⋅ µB ⋅ B + g ⋅ µB ⋅ B = (g − 2)µB ⋅ B

Um das Magnetfeld nicht bestimmen zu müssen, bestimmen wir wieder ein Verhältnis:

∆Eg−2 g − 2
=
∆En 2

• Somit bestimmen wir direkt die Abweichung von g von dem Wert 2 (g − 2 ≈ 10−3 ) und
erhöhen gleichzeitig, bei gleichem Fehler ∆ν in der Frequenzmessung unsere Genauigkeit
um den Faktor 1000.
• Desweiteren muss das Magnetfeld nicht bestimmt werden, ebenso wie:
• Die nicht exakte Kenntnis von µB nicht in die Messung eingeht.

Durch Bestrahlung mit ωHF lassen sich nun ωc und ωg messen. Idealerweise würde diese
Messung über Resonanzabsorption erfolgen. Dies geht aber nur theoretisch, da in der Falle
lediglich ein einzelnes Elektron gespeichert wird, weil mehrere Elektronen sich gegenseitig
beeinflussen würden. In der Praxis wird also ein anderes Verfahren verwendet.

Die Penning-Falle: Der prinzipielle Aufbau einer Penningfalle ist in Abb. 4.19 dargestellt. In
dem zylindersymmetrischen Aufbau werden magnetische und elektrische Felder überlagert. Es
wird ein elektrischer Quadrupol und ein magnetischer Dipol verwendet.
Die Elektronen werden von den negativen Polschuhen in vertikaler Richtung zum Zentrum (der
zentralen Ebene) zurückgestoßen. Daraus ergibt sich die axiale Oszillation.
Teilchen und Kerne
4.4 Präzisionstests der QED 135

⃗B

e−

Abb. 4.19: Feld einer Penning-Falle

Abb. 4.20: 3D Ansicht

Abb. 4.21: Komponenten der Bewegung Abb. 4.22: Gesamtbewegung

In der zentralen Ebene werden die Elektronen zu den positiven Polschuhen hin beschleunigt.
⃗ r . Da diese Geschwindigkeit senkrecht zu dem ange-
Daraus ergibt sich eine Geschwindigkeit V
legten Magnetfeld steht werden die Elektronen auf eine Kreisbahn gezwungen, die Magnetron-
bahn.
Diese Bewegung überlagern sich mit der Zyklotronbewegung. Die beiden Bewegungen sind in
Abb. 4.22 abgebildet. Typische Werte für das angelegte Magnetfeld sind B = 5T und für die
Spannung U = 10V. Für die verschiedenen Frequenzen ergeben sich dann folgende Werte:

Frequenz Axial Magnetron Zyklotron


Wert νA = 60MHz νM = 35kHz νZ = 50GHz

Die zu bestimmende Frequenz νg−2 lässt sich auf etwa 1kHz genau messen und liegt in der
Grössenordnung von 10−3 ν̇n . Die Messung von g − 2 ist dann auf 10−9 genau. Für g selber ergibt
sich eine Genauigkeit von 10−12 .
Das gesamte System wirkt wie ein künstliches Atom, auch Geonium genannt. Die axialen
Schwingungen sind über einen hochempfindlichen Schwingkreis nachweißbar. Das schwingen-
de Elektron wirkt hierbei sowohl als Kapazität, wie auch aufgrund seiner Trägheit als Induk-
tivität; also letztendlich wie ein Resonanzschwingkreis. Das Einspeisen der Resonanzfrequenz
erhöht die Amplitude der axialen Schwingung, bis ein Elektron eine Anode trifft und damit aus
Teilchen und Kerne
136 Elektromagnetische Wechselwirkung

Abb. 4.23: Ersatzschaltkreise für die Penningfalle mit und ohne Elektron in der Falle.

der Falle entfernt ist. So lässt sich die Anzahl der Elektronen bis auf ein einzelnes Elektron re-
duzieren. In Abb. 4.23 sind Ersatzschaltbilder für die Falle mit und ohne Elektron gezeigt. Aus
den Daten lässt sich die Anzahl der Elektronen in der Falle bestimmen. Hierbei ist besonders
das “rauschfreie Arbeiten“ wichtig.
Durch eine Verformung der Magnetfeldlinien in der Falle (Br ≠ 0) lassen sich Kreis- und axiale
Bewegung koppeln. So lässt sich die Zyklotronbewegung sichtbar machen.

|g| − 2
Experiment: = 1159652187.9(±4.3) ⋅ 10−12
2
|g| − 2
Theorie: = 1159652133(±29) ⋅ 10−12
2

Das Meßergebnis stimmt bis auf 10−11 mit der Theorie überein. Zur Zeit ist das Experiment
genauer – die Unsicherheiten in der Theorie ergeben sich aus der QCD, denn hier müssen ab
5. Ordnung neben den Effekten der QED auch noch diejenigen der, nun gleichwahrscheinli-
chen, starken Wechselwirkung berücksichtigt werden. Dies bewirkt eine enorme Zunahme an
relevanten Feynman- Graphen, weshalb bis dato noch keine exakte Berechnung in 5. Ord-
nung existiert. Jedoch wurde allgemein bewiesen, dass die relevanten Wechselwirkungsma-
trixelemente bis in 14. Ordnung konvergent sind. Da die QED-Rechnung unter der Annahme
eines punktförmigen Elektrons gemacht wurde, ergibt sich eine obere Grenze für den Radius
des Elektrons von

re < 10−18 m.

4.4.1.2 Myonen und der g-Faktor

Für das Myon, das praktisch ein schwereres Elektron ist, lässt sich ein ganz ähnliches Expe-
riment durchführen. Die Masse des Myons ist m = 105, 7MeV/c2 . Desweiteren zerfällt das
Myon mit einer Halbwertszeit von τ ≈ 10−6 s in der Reaktion:


→ e− ¯ e
Teilchen und Kerne
4.4 Präzisionstests der QED 137

Abb. 4.24: Prinzip von Dehmelts Apparatur (Nobelpreisa 1989)


a
http://www.nobel.se/laureates/physics-1989.html
Teilchen und Kerne
138 Elektromagnetische Wechselwirkung

Der Zerfall verläuft über die schwache Wechselwirkung (siehe Kapitel 7), die bewirkt, dass das
Elektron vornehmlich entgegen der Richtung des Myonenspins emittiert wird.
In Brookhaven (USA) wurden Messungen im magnetischen Myonenspeicherringen durchgeführt.
Die Umlauffrequenz ωc entspricht der Präzessionsfrequenz des Myonen-Spins nur, wenn gµ = 2
ist. Die Präzessionsfrequenz der Myonen im magnetischen Haltefeld wurde über die Modulati-
on der Emissionrichtung der Elektronen entlang des Speicherrings beobachtet.
Das Ergebnis aus dem Jahr 2004 ist:

g −2
a = = 11659235 ⋅ 10−10
2
Die Theorie sagt jedoch einen Wert von

a = 11659181 ⋅ 10−10

voraus. Dies ist eine Abweichung um 3σ . Hierfür gibt es verschiedene Erklärungsansätze:

• Ist die Abweichung ein Hinweis auf eine “neue“ Physik?


• Gibt es statistische Fluktuationen des Messergebnisses?
• Ist die Rechengenauigkeit der theoretischen Physik noch
nicht groß genug?
• ...

4.4.1.3 Magnetisches Moment des Elektrons

Das magnetisches Moment des Elektrons ist definiert als (⃗l ist der Drehimpuls):

e ⃗
⃗ =
µ l
2me
Berücksichtigt man den Elektronen-Spin ergibt sich:

e σ⃗
⃗s = g
µ
2me 2
Nach der Dirac-Theorie ist g = 2. Messungen zeigen allerdings (siehe oben) eine (g − 2)-
Anomalie:

g−2
ae = ≠0
2
Aus dem Experiment ergibt sich der Wert:

aexp
e = 1 159 652 188.4(±4.3) ⋅ 10
−12
Teilchen und Kerne
4.4 Präzisionstests der QED 139

Betrachten wir also auch Prozesse höherer Ordnungen in Feynman- Diagrammen bei der theo-
retischen Berechnung von a, wobei man hierbei sieht, wie sich atheor
e immer stärker dem experi-
mentellen Wert annähert:

• 1-Loop (J. Schwinger2 1947)

ae (1-loop) = = 1 161.41 ⋅ 10−6


2

" & #
• 2-loop ζ (3) = ∞n=1 n−3
1 22 $ 197 3 2
%2
ae (2-loop) = + − ln 2 + ζ (3) = −1.77231 ⋅ 10−6
144 12 2 4
• 3-loop (analytischer Ausdruck, Ettore Rimidi 1999)
1 23
ae (3-loop) = ⋅ 1.181241456 …

4.4.1.4 Vergleich mit dem Proton

Beim Elektron wird der g-Faktor durch die QED modifiziert (heisst: Wechselwirkungsprozesse/
Feynman- Diagramme höherer Ordnung sind zu berücksichtigen):

= + + e

e− e−
e− e−
Dirac virtuelles …
Photon

Beim Proton spielt jedoch auch die starke Wechselwirkung eine Rolle:

= + n +

p p
p

Die Effekte der QCD sind größer (gProton ≈ 5.59) aber nicht so gut bekannt wie die der QED.
2
http://www.nobel.se/laureates/physics-1965.html
Teilchen und Kerne
140 Elektromagnetische Wechselwirkung

4.4.2 Lamb-Shift
Der Lamb-Shift (Nobelpreis3 1955 für W. E. Lamb) ist eine Aufspaltung der 2s 1 -2p 1 -Entartung
2 2
im Wasserstoff-Atom. Die s-Welle hat – im Gegensatz zur p-Welle – eine nicht verschwindende
Aufenthaltswahrscheinlichkeit bei r = 0. Hierdurch sieht“ die s-Welle mehr von den Quanten-

fluktuationen als die p-Welle, was zu einer Energieaufspaltung führt.
Die Aufspaltung beträgt 4.4 ⋅ 10−4 eV (zum Vergleich: 2p 1 -1s 1 -Übergang ≈ 10eV).
2 2

Die Messung des Übergangs erfolgt mit Mikrowellenstrahlung für verschiedene B-Felder (Rabi-
Diagramm). Die Messwerte können dann gegen B = 0 extrapoliert werden.
Siehe hierzu auch Experimentalphysik 4 (z.B. Vorlesungsskrpit von Prof. R. Groß, Walther
Meissner Institut für Tieftemperaturforschung in Garching)

3
http://mirror.nobel.ki.se/laureates/physics-1955.html
Teilchen und Kerne
4.4 Präzisionstests der QED 141

e e e e

e e

e e

e e e

e e
e e

e e
e e

e e
e e

" #3
Tab. 4.1: Beiträge der Ordnung e zum anomalen magnetischen Moment des Myons
Teilchen und Kerne
142 Übungen

Übungen zu Kapitel 4
Übung 4.1: Eigenschaften des Myons.

a) Die mittlere Lebensdauer des Myons beträgt τ = 2.19 s. Welche Strecke legen Myonen
der kosmischen Strahlung mit einem Impuls von 100 GeV/c in der Atmosphäre im Mittel
zurück?
b) Beschreiben Sie, wie sich Myonen in ihrer Wechselwirkung mit Materie von Pionen und
Elektronen unterscheiden. Welche Auswirkungen hat dies auf den Nachweis von Myonen
im Experiment?
c) Das Higgs-Boson ist ein vom Standardmodell der elektroschwachen Wechselwirkung
vorhergesagtes Teilchen, dessen Masse im Bereich von 52 … 770 GeV/c2 erwartet wird.
Warum erwägt man zur Erzeugung dieses Teilchens ein so exotisches Instrument wie
einen Myonen-Collider mit Energien im TeV-Bereich? Wieviele Umläufe kann ein Myon
im Mittel in einem Synchrotron mit 6 km Umfang bei einem Impuls von 1 TeV/c machen,
bevor es zerfällt?

Hinweis: mµ = 105.658 MeV/c2

Übung 4.2: Bornsche Näherung beim Coulombpotential. Die Amplitude in Bornscher



Näherung für die Streuung
5 3 eines Teilchens der Ladung Z e und der Masse m an einer Ladungs-
verteilung eρ (⃗r) mit d rρ (⃗r) = Z lautet:

0
2m ⃗′ ⃗
ƒ(θ , E) = − d3 re− k ⃗r V(⃗r)e k⃗r
4 2

wobei
0
Z ′ e2 ρ (⃗r ′ )
V(⃗r) = d3 r ′
4 |⃗r − ⃗r ′ |

und

2⃗ 2
θ k
⃗q = ⃗k − ⃗k′ , q = |⃗q| = 2|⃗k| sin , E=
2 2m

a) Zeigen Sie, daß für eine Punktladung mit ρ (⃗r) = Z δ 3 (⃗r) der Rutherfordsche Streuquer-
schnitt folgt:
$ % $ %2
dσ 2mZZ ′ c e2
= 2 q2
mit =
dΩ Punkt 4 0 c
Teilchen und Kerne
Übungen 143

b) Zeigen Sie, daß für eine ausgedehnte Ladungsverteilung gilt

$ %
dσ dσ
= |F(⃗q)|2
dΩ dΩ Punkt

mit dem Formfaktor:


0
1
F(⃗q) = d3 re− ⃗q⃗r ρ (⃗r)
Z

Hinweis:
0 0
d3 q ⃗q(⃗r−⃗r ′ ) 1 1 ′ )⃗
e = ; d3 re−i(⃗q−⃗q r
= (2 )3 δ 3 (⃗q − ⃗q ′ )
(2 ) 3 ⃗q 2 4 |⃗r − ⃗r ′ |

Übung 4.3: Ladungsradien von Kernen. Die Ladungsdichtverteilungen ρ (r) für leichte
Kerne werden in guter Näherung durch Gaußfunktionen ρ (r) = n exp(−r2 /α 2 ) dargestellt.
5
a) Bestimmen Sie die Normierungskonstante n gemäß d3 rρ (r) = Z (Kernladungszahl).
@ ? 5
b) Drücken Sie den mittleren quadratischen Radius r2 = Z −1 d3 r r2 ρ (r) durch den Para-
meter α aus.
5
c) Berechnen Sie den Ladungsformfaktor F(⃗q 2 ) = Z1 d3 re−i⃗q⋅⃗r ρ (r). Zeigen Sie die ferner
Gültigkeit von (3.12).
!
d) Schätzen Sie die Ladungsradien ⟨r2 ⟩ der Kerne 4 He und 6 Li aus den gemessenen Form-
faktoren ab (s. Abb. 4.25).

Übung 4.4: Optisches Theorem. Die Partialwellenentwicklung der Streuamplitude für die
elastische Streuung spinloser Teilchen ist gegeben durch:


>
ƒ(θ , E) = (2ℓ + 1)aℓ (E)Pℓ (cos θ )
ℓ=0

wobei
1 2 δℓ (E)
aℓ (E) = (e − 1).
2k
Dabei ist k der Impuls, E die Energie und θ der Streuwinkel im Schwerpunktsystem. Leiten
Sie daraus das optische Theorem für den totalen Wirkungsquerschnitt her:


σtot (E) = Imƒ(θ = 0, E)
k
Für welche Werte der Streuphase δl besitzt σtot Maxima?
Teilchen und Kerne
144 Übungen

Abb. 4.25: Gemessene Formfaktoren von 4 He und 6 Li

Übung 4.5: Resonanz in p-Streuung. Der totale Wirkungsquerschnitt σ (ω ) für die Streu-
ung von Photonen am Proton hat im Bereich von Photonenenergien ω < 600 MeV die in Abb.
4.26 gezeigte Resonanzstruktur, die ∆-Resonanz mit Spin J = 3/2.

a) Nähern Sie die p-Vorwärtsstreuamplitude durch die Breit-Wigner-Form an:


$ %
2J + 1 K Γ/2
F(ω ) =
(2S1 + 1)(2S2 + 1) q ω − ER − Γ/2
Hierbei ist S1,2 der Spin des Photons bzw. des Protons, q der Impuls des Photons und K
eine Konstante. Berechnen Sie den totalen p-Wirkungsquerschnitt nach dem optischen
Theorem.

b) Bestimmen Sie die invariante Masse m∆ = s, die Anregungsenergie ER und die Zerfalls-
breite Γ der ∆-Resonanz. Welche Lebensdauer τ = 1/Γ besitzt die ∆-Resonanz? Entneh-
men Sie die dafür notwendigen Daten der Abbildung. Warum kann man m∆ nicht direkt
im obigen Spektrum aus der Photonenenergie im Maximum ablesen?
c) Schätzen Sie die Konstante K durch Vergleich mit den Daten der Abbildung ab und ver-
gleichen Sie das Ergebnis mit der typischen Größenordnung = e2 /4 = 1/137 der
Kopplungskonstanten in der elektromagnetischen Wechselwirkung.

Hinweis: In dieser Aufgabe werden die in Abschn. 1.1 besprochenen rationalisierten“ Einhei-

ten verwendet, bei denen = 1 und c = 1 gesetzt wird. Für die Umrechnung sind folgende
Werte nützlich: c ≈ 0.197 GeV fm; c ≈ 3 ⋅ 1023 fm s−1 .
Teilchen und Kerne
Übungen 145

Abb. 4.26: Totaler Wirkungsquerschnitt für Photon-Proton-Streuung aus [Er88])


Teilchen und Kerne
146 Übungen
Kapitel 5

Struktur des Nukleons

Wie groß sind Atomkerne? Welche Struktur besitzen sie? Mit diesen und anderen, die Geome-
trie der Nukleonen betreffenden Fragen wollen wir uns im folgenden beschäftigen. Wir werden
durch elastische Elektronenstreuung Informationen über Proton und Nukleon gewinnen, wo-
bei wir Spin und Asymmetrien beim Streuprozeß beachten. Neben den Maxima der elastischen
Streuung treten auch solche der inelsatischen Streuung auf, die von Anregungen des Nukleons
stammen. Wir werden die Ergebnisse dahin gehender Untersuchungen auswerten, das Parton-
modell einführen und erste Eigenschaften der Nukleon-Konstituenten, der Quarks, studieren.
Informationen über diese Nukleonbestandteile erhalten wir aus der sogenannten tiefinelasti-
schen Streuung.

5.1 Elektromagnetische Formfaktoren des Nukleons

5.1.1 Magnetische und elektrische Formfaktoren des Protons


Wir wollen uns mit der elektromagnetischen Streuung von Elektronen (e− , mit Masse me ) am
Nukleon N (Masse M) beschäftigen. Hierzu betrachten wir die aus der Atomphysik bekannten
Zusammenhänge für gebundene Zustände im Wasserstoffatom, und gehen zunächst davon aus,

V(r)

Kontinuum

V(r) ∼ 1/r

gebundene Zustände

Abb. 5.1: Coulombpotential im Wasserstoffatom

147
Teilchen und Kerne
148 Struktur des Nukleons

daß weder Elektron noch Proton spinbehaftet sind. Dann sind die Energieniveaus im Atom wie
in Abb. 5.1 gegeben:

2 1 me mp
E∝ µ mit µ = ≡ reduzierte Masse (5.1)
n2 me + mp

Entsprechend kennen wir für die Streuung (Kontiuumszustände) den Zusammenhang

2 " #2

∝ mit q2 = ⃗p − ⃗p ′ (Dreierimpulsübertrag), (5.2)
dq2 q4
welcher die Rutherfordstreuung spinloser Teilchen charakterisiert. Jetzt modifizieren wir (5.1)
und (5.2), indem wir den Spin des Elektrons berücksichtigen.
Bisher betrachteten wir den Impulsübertrag q2 = (⃗p − ⃗p′ )2 . Dies ist aber nur dann richtig, wenn
wir keinen Rückstoß vorliegen haben, also beim elastischen Stoß im CM-System. Besser ist es,
Viererimpulse zu betrachten: q2 = (p − p′ )2 < 0. Dazu definieren wir uns noch Q2 = −q2 , um mit
positiven Größen arbeiten zu können. Unter Berücksichtigung des Rückstoßes modifiziert sich
der Wirkungsquerschnitt gemäß1 :
$ % $ %∗
dσ dσ E′
= ← Phasenraumkorrektur (5.3)
dΩ Ruth. dΩ 9E :; <
9 :; Ruth.< ′
Streuung an Masse M=∞ wegen Rückstoß:E ≠E im Labor

Die Spin-Bahn-Kopplung (⃗ℓ-⃗s-Kopplung) führt beim Wasserstoffatom zur Feinstrukturaufspal-


tung in den gebundenen Zuständen. In der Nukleonstreuung erhalten wir eine Vorwärts-Rück-
wärts-Asymmetrie (Mott-Streuung): für β → 1:
$ % $ % $ %
dσ dσ 2 2 ϑ dσ 2 θ
= ⋅ 1 − β sin ( ) = ⋅ cos (5.4)
dQ2 dQ2 Ruth. 2 dQ2 Ruth. 2

Die Helizität eines Teilchens ist über den Spin und den Impuls definiert:

⃗ ⋅ ⃗p
σ
H = (5.5)
⃗ ||⃗p|

Für ein Teilchen mit Spin s = 1/2 ergibt sich eine Heilizität von H = ±1. Nach der QED wird
die Helizität bei einer Wechselwirkung zwischen Teilchen nicht geändert und für β = V/c ≈ 1
ist die Helizität eine Erhaltungsgröße.
Für ein masseloses Teilchen findet man kein Bezugssystem, in dem sich die Richtung von ⃗p
ändert, zumal sich solche Teilchen mit Lichtgeschwindigkeit c fortbewegen. Also ist auch hier
die Helizität erhalten.
1
$ %
′ 2 EE′ 4EE′ 2 ϑ
(p − p ) = 2me c − 2 2
− |⃗p||⃗p ′ | cos ϑ ≈− sin mit |⃗p| ≈ E
c2 c2 2
Teilchen und Kerne
5.1 Elektromagnetische Formfaktoren des Nukleons 149

⇒ ⇒
——— → ⃗pe ⃗pe ← ———

Laborsystem Bezugssystem
mit VSystem = c
H = +1 H = −1
Ve < c, da me ≠ 0

Abb. 5.2: Bezugssysteme und Helizität

Für ein massebehaftetes Teilchen ändert sich aber in einem Bezugssystem mit größerer Ge-
schwindigkeit als der des Teilchen (VSystem > VTeilchen ) die Richtung des Impulses und damit
auch das Vorzeichen der Helizität. Sie ist somit nicht mehr erhalten (Abb. 5.2).
Bei der Rückwärtsstreuung wechselt also die Helizität ihr Vorzeichen. Wegen der Drehimpul-
serhaltung kann der Spin aber nicht seine Richtung ändern und wegen ⃗LBahn ⊥ ⃗s ist keine
Kopplung möglich. Somit ist die Rückwärtsstreuung wegen der Helizitätserhaltung verboten
(im Laborsystem gilt: cos2 θ2 = 0 für θ = 180◦ , Abb. 5.3, vgl. Abschn. A.2).
Nun gestehen wir auch dem Proton einen Spin zu: In den gebunden Zuständen führt die ⃗I-⃗J-
Kopplung zur Hyperfeinstrukturaufspaltung. In den Streuzuständen müssen wir entsprechend
die kurzreichweitige Spin-Spin-Wechselwirkung berücksichtigen (∝ 1/r3 ), welche durch einen
sin2 θ -Term zum Ausdruck kommt (immer noch für β → 1):

⎛ ⎞
$ %Lab $ %Lab
dσ dσ ⎜ 2θ Q2 ⎟
2 θ⎟
= ⋅ ⎜cos − sin
dQ2 dQ2 Ruth. ⎝9 :; 2< 92M 2 :; 2<⎠
Mott Spin-Flip
$ %Lab $ %
dσ Q2 2 θ
= ⋅ 1− tan (5.6)
dQ2 Mott 2M 2 2

Ein Spin-Flip des Elektrons kann nun durch einen Spin-Flip des Kerns kompensiert werden.
Der Faktor Q2 /M 2 für die erlaubte Rückwärtsstreuung lässt sich über die Spinwechselwirkung
erklären:
0
e ! 1
V = −µ ∇B ⋅ dl mit µ = g ∝
2M 2 M

Auch wächst B(r) mit der Eindringtiefe und damit auch mit Q. Da für den Wirkungsquerschnitt
2 2
σ ∝ |V|2 ∝ MQ 2 gilt, erklärt sich der Faktor ∝ MQ 2 .
Am sin2 θ/ 2-Term läßt sich erkennen, daß bestimmte Streuwinkel (z. B. θ = 0) unterdrückt
werden; magnetische Wechselwirkung bedeutet immer Spin-Flip: Der Spin-Flip müßte durch
einen Drehimpulsübertrag kompensiert werden. Da ℓ = 0 bei θ = 0, ist dies aber nicht möglich,
weswegen der differentielle Wirkungsquerschnitt für diesen Winkel verschwindet. Rückwärts-
streuung ist nur mit magnetischem Spin-Flip möglich.
Teilchen und Kerne
150 Struktur des Nukleons

ψL ψL
ψL Θ Θ Θ
e e e z
ψL
erlaubt verboten Jz = −1/2 Jz = −1/2

Abb. 5.3: Erlaubte und unterdrückte Streuwinkel bei Berücksichtigung des Spins

Das Nukleon N ist nicht punktförmig, es besitzt eine endliche Ausdehnung: In den gebunde-
nen Zuständen beobachten wir daher eine Isotopieverschiebung der untersten Niveaus (in der
Hyperfeinstruktur), bei Streuzuständen wird der Wirkungsquerschnitt bei kleinen Abständen
(hohen Q2 ) modifiziert: Wir ergänzen daher (5.6) um den Formfaktor F(q2 ), der die Vertei-
lung der elektrischen Ladung im Nukleon beschreibt. Diese Beschreibung ist allerdings nur im
Breit-System möglich:
-" dσ # " 2#
dσ F
1 Q 2 (Spin=0)
= " dΩ

#Mott " 2# " 2 # Q2 (5.7)
dΩ dΩ Mott
A Q − B Q M2 tan2 θ2 (Spin= 21 )

Zusätzlich zur Wechselwirkung zwischen der Ladung des Elektrons und der des Kerns muß
auch die Wechselwirkung zwischen dem Strom des Elektrons und dem magnetischen Moment
des Nukleons berücksichtigt werden." Aus# diesem Grund haben wir es hier mit zwei Formfak-
2
toren A und B zu tun. Der Faktor F Q gibt Aufschluss über die Verteilung der elektrischen
" #
Ladung im Nukelon und wird daher elektrischer Formfaktor genannt. Der Faktor B Q2 heißt
magnetischer Formfaktor und gibt Aufschluss über die Verteilung des magnetischen Momentes.
Die Auswirkungen von Spin und Spin-Bahn-Kopplung bei der Streuung von Elektronen an
Wasserstoff illustriert abschließend nochmals Abb. 5.4. Die Gestalt des magnetischen Formfak-
tors GM des Protons, den wir im folgenden Kapitel einführen und genauer betrachten werden,
zeigt Abb. 5.5.

5.1.2 Messung der Formfaktoren des Protons


Der Streuquerschnitt lässt sich aus der QED herleiten. Dabei sind die Formfaktoren in den
Amplituden zu berücksichtigen, woraus sich Interferenzen ergeben. Es ergibt sich:
$ % 7$ % 8
dσ dσ 2 χ 2 Q2 2 2 ϑ Q2 " #2 2 ϑ
= F1 + F cos + F1 + χ F2 sin (5.8)
dQ2 dQ2 Ruth 4M 2 2 2 2M 2 2
Mit den Dirac-Formfaktoren und dem anomalen magnetischen Moment χ ∼ g−2 2
. Für ein punktförmi-
ges Teilchen ist χ = 0. Durch die Interferenzen ergibt sich eine ”unschöne” Schreibweise mit
Mischtermen aus F1 und F2 . Durch die Einführung neuer Formfaktoren als Linearkombinatio-
nen von F1 und F2 kann dies umgangen werden:

χ 2 Q2
GE ≡ F 1 − F2 elektrischer Formfaktor (5.9)
4M 2
GM ≡ F 1 + χ F 2 magnetischer Formfaktor (5.10)
Teilchen und Kerne
5.1 Elektromagnetische Formfaktoren des Nukleons 151

Abb. 5.4: Elektronenstreuung am Wasserstoff (aus [Fr91])


Teilchen und Kerne
152 Struktur des Nukleons

Abb. 5.5: Beispiel: Magnetischer Formfaktor des Protons (aus [Pe87])


Teilchen und Kerne
5.1 Elektromagnetische Formfaktoren des Nukleons 153

Proton läuft gegen


eine Wand
→ kein
Energieübertrag

Abb. 5.6: Proton im Breitsystem

Mit diesen neuen Formfaktoren ergibt sich der Wirkungsquerschnitt:


$ % 7 8
dσ dσ G2E (Q2 ) + τ G2M (Q2 ) θ
= + 2τ G2M (Q2 ) tan2 (5.11)
dΩ dQ2 Mott 1+τ 2
wobei
$ %Lab $ %
dσ α2 E′ θ
= 4 θ
⋅ ⋅ cos2
dQ2 Mott
2
4E sin ( 2 ) E 2
2
mit τ = (4MQ2 c2 ) und dem positiv definierten Vierer-Impulsübertrag (zum Quadrat) bei der Streu-
ung Q2 ≡ −q2 (hier). GE und GM sind die elektrischen und magnetischen Formfaktoren (re-
lativistische Generalisierungen der nichtrelativistischen Formfaktoren), die aber keine direkte
Interpretation im Laborsystem haben. Wechselt man dagegen ins Breitsystem (siehe Abb. 5.6),
so werden sie zu den sogenannten Sachs-Formfaktoren . Dann gibt GE die Fouriertransformierte
der Ladungsverteilung und GM die Fouriertransformierte der Stromverteilung an.
1
Für kleine Q2 (große Wellenlängen, λ ∼ |⃗p|
) ergibt sich die natürliche Normierung der Formfak-
toren:

GNE (Q2 = 0) = q Normierung auf gesamte Ladung


GNM (Q2 = 0) = µN Normierung auf gesamtes magnetisches Moment

Für solch kleine Q2 ergibt sich aber eine unendliche Wellenlänge. Folglich lässt sich die Struktur
des Nukelons nicht mehr auflösen. Die Werte für Q2 = 0 müssen also anderweitig bestimmt
werden.
Man kann die Formfaktoren sehr einfach mit Hilfe der Rosenbluth-Methode bestimmen (Abb.
5.7). Wie verteilen sich Ladungen und Ströme im Nukleon (Q2 -Verhalten der Formfaktoren)?
Mißt man den gemessenen Wirkungsquerschnitt bei verschiedenen, jeweils festen Werten von
Q2 , dividiert ihn durch den Mott-Streuquerschnitt, und trägt die Resultate gegen tan2 (θ /2) auf,
so ergibt sich nach (5.11) eine Gerade, aus der sich die Sachs-Formfaktoren direkt ablesen
lassen: Aus der Steigung erhält man G2M (Q2 ), aus dem Achsenabschnitt läßt sich G2E (Q2 ) be-
stimmen.
Jedoch ist zu beachten, daß Q2 eine Funktion des Winkels θ ist (aus 3er Impulsübertrag); da-
her muß bei eine Variation von θ zugleich mit einer Änderung der Strahlengergie kombiniert
werden, um Q2 konstant zu halten.
Teilchen und Kerne
154 Struktur des Nukleons

" d σ # " dσ #
dΩ / dΩ Mott

θ
tan2 2
" dσ # " dσ #
Abb. 5.7: Für konstantes Q2 ergibt sich im tan2 θ2 - dΩ / dΩ Mott -Diagramm eine Gerade

Funktionale Form der Formfaktoren: Im folgenden geben wir die experimentell bestimmte
Form der Sachs-Formfaktoren für Protonen (p) und Neutronen (n) an. Die Streuung an Protonen
ist leicht zu realisieren; auf Grund der Instabilität von Neutronen ist hier die Streuung wesentlich
schwieriger. Kennt man allerdings alle Parameter des Protons, so lassen sich aus der Streuung
an Deuterium die Parameter des Neutrons bestimmen. Für das Proton findet man:
$ %−2
2 q2
GE (q ) = 1+ 2 Dipolform“ (5.12)
MV ”

mit MV2 = (0.84GeV)2 . Experimentell findet man:

1
GpE (q2 ) = GpM (q2 )
µp
1
= GnM (q2 ) = G(Q2 )
µn
n 2 ∼
GE (q ) = 0

mit µp = 2.79, µn = −1.91. Diese magnetischen Momente werden in Einheiten des Kernmagnetons
µN = /(2Mp ) skaliert. Die Formfaktoren haben universelle Form (Q2 -Abhängigkeit). Abb. 5.8
zeigt gemessene Formfaktoren. Die Graphen stellen jeweils nur den Quotienten zur Dipolform
(5.12) dar. Im allgemeinen beobachtet man nur kleine Abweichungen davon.

Interpretation der Formfaktoren: Eine Interpretation der Formfaktoren kann im Breit-System


erfolgen, wo sie die Fouriertransformierte der Ladungsverteilung darstellen. Man hat also etwas
wie

−ar
ρ (r) = ρ (0) mit a = 4.27 fm.

Diese exponentiell abfallende Ladungsverteilung zeigt uns also deutlich, daß Nukleonen diffu-
se Gebilde sind. Erste Messungen der Formfaktoren wurden von D. R. Hofstader in Stanford
mittels eines Elektronenbeschleunigers durchgeführt, dessen Prinzip in Abb. 5.11 gezeigt ist
(Nobelpreis2 1961).
2
http://www.nobel.se/laureates/physics-1961.html
Teilchen und Kerne
5.1 Elektromagnetische Formfaktoren des Nukleons 155

Abb. 5.8: Elastische Proton-Formfaktoren GE (links) und GM (rechts). Dargestellt sind nur Abweichungen von der
Dipolform (5.12)

⃗B ECAL

LH2
e− Θ
60 cm
Θ : 21o , 25o , 33o
E(e− ) : 5 … 21.5 GeV

Abb. 5.9: Aufbau zur Messung der elastischen e-p-Streuung: LH2 -Target (flüssiger Wasserstoff H2 ), 25 cm lang,
bzw. 65 cm lang für Messungen mit hohem Impulsübertrag Q2 ; Schwellenčerenkovzähler zur Elektronenidentifi-
kation; 10 Ebenen Drahtkammern; Pb-Glas-Schauerzähler (Elektronen im Trigger; totale Pionen-Verwerfung: 104 )

Messung der elastischen e-p-Streuung bei hohem Impulsübertrag Q2 (1986): Am SLAC


steht ein Elektronenstrahl mit Emax = 50 GeV zur Verfügung, welcher bei Ee = 5 GeV bzw.
Ee = 21.5 GeV verwendet wird, wobei wegen des kleinen Wirkungsquerschnittes hohe Strahl-
intensitäten von Nöten sind (4 ⋅ 1011 Elektronen pro Puls, Pulsdauer 1.6 s, Wiederholfrequenz
180 Hz, ∆E = 0.2%). Der Versuchsaufbau ist in Abb. 5.9 skizziert.

Der Impuls der gestreuten Elektronen wird mittels eines ⃗B-Feldes bestimmt, ein Schwellen-
V̌erenkovzähler dient zur Diskriminierung anderer erzeugter Teilchen (z. B. Pionen), zumal bei
solch hohen Elektronenenergien elastische Streuung nur einen von vielen möglichen Prozes-
sen darstellt. Schließlich wird die Teilchenenergie mit einem ECAL (Abschn. 2.2.9) gemessen
und mit dem Impuls verglichen, um eine weitere Pionenunterdrückung zu erhalten. Gestreute
Elektronen wurden unter 21◦ , 25◦ und 33◦ detektiert.
Teilchen und Kerne
156 Struktur des Nukleons

e′
n′
n
e

e p
Abb. 5.10: Inverse Kinematik: fast ruhendes Hülle-
Abb. 5.11: Elektronenbeschleuniger (Hofstaders
nelektron; Neutronen aus Reaktor
Experiment)

5.1.3 Messung der Formfaktoren des Neutrons


Ladungsradius des Neutrons – kleine Q2 : Man streut Neutronen an Elektronen. Diese Um-
kehr der Streukinematik erreicht man mit einem Elektronentarget“, welches einfach durch ein

Material mit hoher Elektronenanzahl Z realisieren werden kann (Abb. 5.10) – die Streuung fin-
det an den atomaren Elektronen statt. Den benötigten Neutronenstrahl erhält man beispielsweise
einfach aus einem Reaktor.
Alternativ kann man sich auch des von D. R. Hofstader vorgeschlagenen Elektronenbeschleu-
nigers bedienen, den wir im letzten Abschnitt bereits angesprochen haben.
Bei der Messung des Ladungsradius sind nur kleine Impulsüberträge möglich: Man mißt die
Verteilung der auslaufenden Neutronen, und erhält die Formfaktoren der Neutronen für Q2 ∼
= 0.
Die Streulänge der starken Wechselwirkung, modifiziert mit dem elektromagnetischen Effekt
des elektrischen Ladungsradius, ist definiert durch:
= $ %2
2 dGnE (Q2 ) == 3 µn @ 2 ?
−6 = = + rE,n (5.13)
dQ 2 2µ mc
Q2 =0 9 N :; n <
Foldy-Term

Der Foldy-Term berücksichtigt die Wechselwirkung des Neutron-Spins mit dem Coulombfeld
des Kerns. 1971 schließlich wurde 〈rn2 〉 wie folgt bestimmt:
=
@ 2? dGnE (Q2 ) ==
rn = −6 2
= (−0.117 ± 0.002) fm2 (5.14)
dQ2 =Q2 =0

Warum ergibt sich hier ein negatives mittleres Quadrat des Nukleonenradius 〈rn2 〉? Nun, das
magnetische Moment des Neutrons wechselwirkt mit dem Coulombfeld der Elektronen. Die-
ser Effekt ist größer als die Ladung des Neutrons“ und findet Ausdruck im Foldy-Term. Da

die magnetischen Komponenten nicht lorentzinvariant von den Ladungskomponenten getrennt
werden können, tritt dieser Term stets auf. Wird er subtrahiert (= −0.127 fm2 ), so erhält man:
!
〈rn2 〉 = (0.1 ± 0.01) fm

Die Untersuchungen wurden 1976 am Physik-Department der Technischen Universität Mün-


chen durchgeführt.
Wir erinnern uns an die Herleitung des Ausdrucks zur Bestimmung von Kernradien bei der
Besprechung von Formfaktoren und deren Eigenschaften in Abschn. 3.7.2.
Teilchen und Kerne
5.1 Elektromagnetische Formfaktoren des Nukleons 157

Als Ergebnis erhalten wir: Neutronen sind nach außen neutral, sie setzen sich aber offensichtlich
aus geladenen Teilchen zusammen. Zum Vergleich bringen wir noch das mittlere Radiusquadrat
〈rp2 〉 des Protons:
= 3@ ?
@ 2? 2 dGpE (Q2 ) == 2
rp = −6 = 0.66 fm ⇒ rp2 = 0.862 fm
dQ2 =Q2 =0
Interessanterweise stimmen diese Werte aus der Elektronenstreuung nicht mit neuen Erkennt-
nissen aus der Präzissionsspektroskopie von Wasserstoff überein. Diese wurden von Professor
Hänsch am Max-Plack-Institut für Quantenoptik in Garching durchgeführt.

Formfaktoren des Neutrons – höhere Q2 : Hier werden Elektronen an gebundenen Neutro-


nen im Kern gestreut, da keine Targets mit freien Neutronen verfügbar sind. Somit werden
Korrekturen durch Bindungseffekte notwendig, weswegen man gerne zu Kernen mit kleinen
Bindungsenergien (2 H, 3 He) greift, sodaß dann quasifreie Streuung am Neutron vorliegt. Al-
lerdings limitieren immer noch theoretische Unsicherheiten bezüglich der Wellenfunktionen
der Kerne (kohärente Überlagerung der Streuung an Neutron und Proton: Wellenfunktion muß
bekannt sein) die absolute Genauigkeit der Messung, vor allem bei niedrigen Q2 < 1 (GeV/c)2 .
Bei neueren Messungen des magnetischen Formfaktors GnM (bestimmt durch µn ) mißt man bei-
spielsweise am 2 H das Verhältnis der Formfaktoren von Proton GpM (Q2 ) und Neutron GnM (Q2 ).
Somit heben sich zunächst die Korrekturen heraus. Durch Nachweis des Rückstoßkerns kann
man feststellen, ob man an einem Proton oder Neutron gestreut hat. Durch den Vergleich mit
den absoluten Messungen von GpM, frei (Q2 ) kann man GnM, frei (Q2 ) gut bestimmen (Abb. 5.12).
Praktisch könnte man die Neutronen-Formfaktoren nach der Rosenbluth-Methode (Abschn.
5.1.2) bestimmen, wenn nicht in (5.11) der Ladungs-Formfaktor GnE ∼
= 0 wäre. Weiterhin ist
die Messung des Ladungsradius empfindlich gegen induzierte magnetische Effekte, wie bei-
spielsweise gegen die Wechselwirkung von µN mit dem induzierten ⃗B-Feld bei der Neutron-
Elektron-Streuung (siehe Foldy- Term).
Als Lösung bietet sich hier die Nutzung von polarisierten Photonen an (siehe Abb. 5.13). Wegen
der kohärente Überlagerung der “elektrischen“ und “magnetischen“ Streuung bekommt man
Interferenzen.

Verstärkungsfaktoren
;<9:
Messeffekt ∝ GnM 2
+ GnE 2 + GnM ⋅ GnE (5.15)
9:;< 9:;<
bekannt klein, ≈0
Im Experiment streut man nun polarisierte Elektronen am Deuteron. Hier sind die Austausch-
photonen auch polarisiert, je nach Streukinematik longitudinal oder transversal. Gemessen wird
nun die Polarisation des auslaufenden Neutrons.

Vecpn ∼ GnE GnM + (GnM )2


Diese lässt sich über eine weitere Streuung an Protonen (meist 12 C) bestimmen. Wegen der
starken Wechselwirkung gibt es eine longitudinal/transversal Asymmetrie des Streuungsquer-
schnitts (siehe Abb. 5.14). Als Ergebnis erhält man:
Teilchen und Kerne
158 Struktur des Nukleons

Abb. 5.12: GnM , Dipolfit, µn


Teilchen und Kerne
5.1 Elektromagnetische Formfaktoren des Nukleons 159

Jz = −1
L.H. k

Jz = +1 ε
Jz = 0
R.H. k

transversal polarisiertes Photon (m = 0) longitudinal polarisiertes Photon (m ≠ 0)

Abb. 5.13: Polarisierte Photonen aus Streuung. Links ein reelles, rechts ein virtuelles Photon. Die Photonen weisen
eine Polarisationsrichtung entsprechend der Magnetfeldrichtung auf.

Abb. 5.14: Streuung von Neutronen an Protonen in einem Kohlenstofftarget. Die Polarisationsachse steht senkrecht
zu Streuebene.

GnE (Q2 ) ≠ 0

Man sieht also, dass man hierdurch eine Verstärkung des sehr kleinen elektrischen Formfaktors
GnE erhält.
Diese sehr empfindliche Methode kann man auch verwenden um alle magnetischen und elektri-
schen Formfaktoren von Neutronen und Protonen zu bestimmen, als Alternative zu der Rosenbluth-
Methode. Möglich wurde diese Messung durch die Bereitstellung von sehr intensiven polarisier-
ten Elektronenstrahlen, z.B. am MAMI in Mainz oder JLAB in den USA. Wie man in Abb. 5.15
sieht, unterscheiden sich allerdings die Ergebnisse.
Zur Erklärung der Unterschiede ist die Theorie gefragt. Eine Annahme ist, dass bei der unploa-
risierten Streuung der 2-Photonen-Austausch wichtiger ist, als bisher angenommen. Aus diesen
Überlegungen ergeben sich Korrekturen zu der Rosenbluth-Formel.

Neueste Elektronenbeschleuniger für Messungen am Neutron: Beim Mainzer Mikrotron


(MAMI), das wir hier exemplarisch besprechen wollen, handelt es sich um einen Elektronenbe-
schleuniger mit racetrack. Seine Besonderheit besteht darin, daß er nur eine HF-Strecke enthält:
Teilchen und Kerne
160 Struktur des Nukleons

Abb. 5.15: Vergleich der Messung nach der Polarisations-Methode und nach der Rosenbluth-Methode

HF 1 2 3 ...

Abb. 5.16: Räumliche Trennung der Teilchenbahnen bei MAMI

Die Bahnen von Teilchen nach n bzw. n + 1 Durchläufen der HF-Strecke werden so räumlich
getrennt (Abb. 5.16).

Für jede Bahn existiert ein separates Strahlrohr sowie eine separate Magnetführung. Man erhält
so eine wohldefinierte Fokussierung, die sehr gute Strahleigenschaften liefert: Mit MAMI er-
reicht man ein eine Energieschärfe von 50 keV bei E = 850 MeV, ferner eine Intensität von
100 µ A. In Mainz werden drei Mikrotrons in Serie betrieben. Nachteilig wirkt sich neben dem
aufwendigen Aufbau eines solchen Mikrotrons aus, daß die Variation des Bahnradius die Größe
des Magneten vorgibt, welche ihrerseits technisch limitiert ist. So begrenzt Synchrotronstrah-
lung das maximal erreichbare Emax auf relativ niedrige Energien. Der schematische Aufbau des
Mainzer Mikrotrons ist in Abb. 5.17 skizziert.
Teilchen und Kerne
5.1 Elektromagnetische Formfaktoren des Nukleons 161

Ablenkmagnet Ablenkmagnet
Ejektionsmagnet

zum Experiment
Injektions−
Fokussierungs− Elektronenkanone
magnet
magnete
Beschleunigungs−
HF-Sender strecke

Abb. 5.17: Schematischer Aufbau des Mainzer Mikrotrons.

Abb. 5.18: Messungen des elektrischen Formfaktors des Neutrons bei MAMI gemäß (5.15). Die Signaturen geben
die verwendeten leichten Target-Atome (mit niedrigen Bindungsenergien) an.
Teilchen und Kerne
162 Struktur des Nukleons

Abb. 5.19: Streuung von Elektronen an einem Kern

5.2 Quasielastische und inelastische Elektronenstreuung

5.2.1 Quasielastische Streuung


Für eine reine Streuung an einem Punktteilchen gilt für die gestreuten Elektronen

E
E′ = E
1+ Mc2
(1− cos ϑ )
also eine direkte Korrelation zwischen der Energie und dem Streuwinkel. Bei der Streuung
an Wasser (H2 O) werden aber auch Elektronen am Sauerstoff gestreut, also auch an, im Kern
gebundenen, Nukleonen. Damit ist der Energieübertrag (Rückstoß) eines solchen gebundenen
Teilchens nicht mehr wohldefiniert (siehe Abb. 5.19).
Das gebundene Nukleon hat eine effektive Masse m∗N > mN . Es muss Arbeit aufgewendet wer-
den, um das Nukleon aus dem Kernverband zu lösen . Folglich ist das Maximum des Streuquer-
schnitts verschoben.
Desweitern ruht ein gebundenes Nukleon nicht und es gilt die Heißenberg’sche Unschärferela-
tion ∆x ⋅ ∆p > !. Folglich ist die Anfangskinematik nicht exakt bestimmbar, woraus sich eine
Verbreiterung des elatischen Maximums ergibt.
Wir bezeichnen den Energieverlust des Elektrons mit ν .

ν = E − E′

Aus der Energiedifferenz ν lassen sich nun Aussagen über das Austauschteilchen treffen:

Q2 ν2 ν2
ν= Q2 = (P − P′ )2 = − p
(⃗ e − p
⃗ ′ 2
e ) = − ⃗p′N 2
2mA c2 c2
Teilchen und Kerne
5.2 Quasielastische und inelastische Elektronenstreuung 163

wobei mA die Masse des Rückstoßpartners bezeichnet.


Für ein gebundenes Nukleon mit der Bindungsenergie EB = −S gilt weiterhin:

$ % $ %
′ 2⃗p′ 2 2 ⃗p 2
ν =E − E = Mc + − Mc + −S =
2M 2M
⃗p′
; <9 :
(p + ⃗q)2 ⃗p 2
⃗ ⃗q 2 2|⃗q||⃗p| cos α
=Ep′ − Ep = − +S= +S+
2M 2M 2M 2M

wobei α der Winkel zwischen dem einlaufenden Impuls ⃗p und dem ausgetauschten Impuls ⃗q
ist. Das gebundene Nukleon ruht auch nicht, sondern besitzt eine Impulsverteilung, welche der
Bindungsenergie entspricht. Unter der Annahme, dass die Bewegung der Nukleonen im Kern
kugelsymmetrisch ist, gilt:


cos α dα = 0
0

Es ergibt sich ein mittleres ν mit:

⃗q 2
ν̄ = ν0 = +S
2M
Aus der Verschiebung der Maxima im Vergleich zum freien Nukleon lässt sich S = −EB bestim-
men.

Verschmierung von ν : Für die Varianz von ν gilt:


!
σν = 〈(ν − ν0 )2 〉
5
Mit σ 2 = (ν − ν0 )2 ƒ(ν )dν und dem durch die Streukinematik bestimmten ⃗q ergibt sich:
6
|⃗q| ! 2 |⃗q| 1 2
σν = 〈⃗p ⋅ cos2 α 〉 = 〈⃗p ⋅〉
M M 3
!
Aus der Breite der Verteilung lässt sich nun der mittlere Impuls der Nukleonen 〈⃗p 2 〉 bestim-
men. Dieser Impuls wird auch Fermiimpuls genannt (zumal ein Kern als Fermi- Gas beschrie-
ben werden kann). Aus dem Experiment erhält man:
!
〈⃗p 2 〉 ≈ 150 MeV/c

Der genaue Wert ist abhängig von der Massenzahl des Kernes, da hier die Bindungsenergie
eingeht.
Teilchen und Kerne
164 Struktur des Nukleons

p′ = p − q P′ = P + q

Elektron q = (ν ,⃗q) Proton

p = (E,⃗p) P = (M, 0)

Abb. 5.20: Inelastische Streuung am Nukleon im Feynmandiagramm. Es bedeuten: M Masse des Nukleons, ν =
E − E′ übertragene Energie, ⃗q = ⃗p − ⃗p′ übertragener Impuls, Q2 = −q 2 = ⃗q 2 − ν 2

!
〈⃗p 2 〉Pb SPb
! ≈ 1, 6 ≈ 2, 6
〈⃗p 2 〉6 Li S6 Li

5.2.2 Inelastische Streuung


Bisher haben wir nur elastische Streuung am Nukleon betrachtet: Das Nukleon blieb beim
Streuprozeß immer im Grundzustand, und die vom ausgetauschten Photon übertragene Ener-
gie ging in die Rückstoßbewegung des Nukleons.
Bei den nun betrachteten Prozessen wird das Nukleon durch Übertragung von Energie und
Impuls in einen angeregten Zustand versetzt (Abb. 5.20). Auch die Masse des nun angeregten
Teilchens ändert sich.
Für die invariante Masse W des angeregten Zustands gilt:

2
W 2 = P′ = (P + q)2 = M 2 + 2 P ⋅ Q − Q2

Im Laborsystem (⃗pN = 0; P = (MN , 0); q = (E − E′ ,⃗q)) gilt außerdem:

P ⋅ Q = νM ⇒ W 2 = M 2 − Q2 + 2M ν

Für ν = E − E′ ergibt sich für die, vom virtuellen Photon übertragene, Energie EK′ :

Ek′ = ν + m

• Für die elastische Streuung gilt: W = M

Q2
ν= (elastische Streuung) (5.16)
2M
Teilchen und Kerne
5.3 Angeregte Zustände des Nukleons 165

• Für die inelastische Streuung gilt: W > M

2M ν − Q2 > 0 (inelastische Streuung) (5.17)

Differentieller Wirkungsquerschnitt: Zur Erinnerung: Für die elastische Streuung am punktförmi-


gen Proton fanden wir in (5.6):
7 8 $ %
d2 σ 2
cos2 θ2 Q2 2 θ Q2
= 1+ tan δ ν− (5.18)
dΩdE′ 4E2 sin4 θ2 2M 2 2 2M

mit ν = E − E′ . Um ( dΩ )Mott aus (5.6) zurückzuerhalten, integriere (5.18) einfach über E′ .
Für die inelastische Streuung gilt nun:
7 8
d2 σ 2
cos2 θ2 2 2 2 θ
= W2 (ν , Q ) + 2W1 (ν , Q ) tan (5.19)
dΩdE′ 4E2 sin4 θ2 2
9 :; <
Strukturfunktionen“ des Nukleons

Die Strukturfunktionen W1 (ν , Q2 ) und W2 (ν , Q2 ) reduzieren sich im Fall der elastischen Streu-
ung auf die Formfaktoren, die nur noch von Q2 abhängen. Sie lassen sich – wie die Formfaktoren
– durch das Rosenbluth-Verfahren (Abschn. 5.1.2) bestimmen.

5.3 Angeregte Zustände des Nukleons


Beobachtung von Resonanzerscheinungen in der inelastischen Elektronenstreuung am Proton.
Der Wirkungsquerschnitt für inelastische Elektron-Proton-Streuung im Resonanzbereich ist in
Abb. 5.21 gezeigt.
Wichtig ist der erste angeregte Zustand im Nukleon, die ∆-Resonanz (erhöhter Peak auf rechter
Seite, d.h. bei niedrigem W, in Abb. 5.21). Die Masse dieses angeregten Zustandes ist M∆ =
1232MeV/c2 (auch ∆(1232) geschrieben). Dieser kommt in vier Ladungszuständen vor:

∆− ∆0 ∆+ ∆++

Für eine genauere Beschreibung (auf Quark- Niveau) der ∆- Teilchen sei hier auf Kapitel 6
verwiesen.
Die Breite dieser Erhöhung (des Resonanzpeaks) im Wirkungsquerschnitt ist größer als die
experimentelle Auflösung. Der ∆-Zustand ist also energieunscharf (∆E = Γ ).
Mit ∆E ⋅ ∆t = ! gilt:

! !
∆t = τ = =
∆E Γ
Teilchen und Kerne
166 Struktur des Nukleons

Abb. 5.21: Differentieller Wirkungsquerschnitt für die inelastische Elektron-Proton-Streuung im Resonanzbereich


– Spektrum der gestreuten Elektronen bei Elektron-Proton-Streuung, aufgenommen bei einer Elektronenenergie
E = 4.9 GeV unter einem Streuwinkel von ϑ = 10◦ (aus [Ba68]).

Abb. 5.22: Angeregte Zustände des Nukleons. Resonanzen, die in der Pion-Nukleon- und Photon-Nukleon-
Streuung beobachtet werden, geordnet nach ihrem Spin (Gesamtdrehimpuls) und ihrer Parität (Eigenschaften des
Zustands unter einer Raumspiegelung).
Teilchen und Kerne
5.4 Tiefinelastische Streuung 167

Abb. 5.23: Erzeugung und Zerfall eines ∆-Zusatandes, hier ∆+

Für den ∆-Zustand misst man: Γ∆ ≈ 120MeV. Somit ergibt sich eine Halbwertszeit von τ =
5, 5 ⋅ 10−24 s, also ein sehr schneller Zerfall. Der Zustand zerfällt über die starke Wechselwirkung
(siehe Abb. 5.23), wobei Prozesse auf solchen Zeitskalen charakteristisch für diese Wechsel-
wirkung sind:

∆+ →p + 0

∆+ →n + +

Es gibt viele Nukelonresonanzen, auf die wir später noch genauer eingehen werden. Allgemein
lässt sich aber sagen:

• Die Breite der Resonanzen wächst mit ihrer Masse W = MRes .


• Bei großen Massen W überlappen sich die Resonanzen.
• Einzelne Resonanzen sind für Massen größer als 2,5 GeV kaum noch erkennbar, sie ver-
schmieren zu einem Kontinuum.

5.4 Tiefinelastische Streuung


Bei der tiefinelastischen Streuung werden keine Resonanzen erzeugt, sondern, wie in Abb. 5.24
gezeigt, direkt viele Hadronen.
Die Bedeutung des Kontinuums wächst mit der Einschussenergie Ee (siehe Abb. 5.25):

Kleine Energien Ee (kleine Q2 ): Für Werte von Q2 ≈ 0, 09 GeV2 ergibt sich eine Wellenlänge
von λγ ≈ 0, 6 fm. Bei einem Radius des Protons von etwa 0, 8 fm wird die Struktur des Nukelons
kaum aufgelöst. Hier werden Kernresonanzen angeregt (Resonanzregion).

Große Energien Ee (große Q2 ): Für Werte von Q2 ≈ 4 GeV2 ergibt sich eine Wellenlänge
von etwa 0, 1 fm. In dieser Größenordnung lässt sich die Struktur des Nukelons gut auflösen,
und Einzelteile des Nukleons können sichtbar gemacht werden.
Teilchen und Kerne
168 Struktur des Nukleons

Abb. 5.24: Tiefinelastische Streuung von Elektronen an einem Proton

elastische
Streuung

quasi-elastische Streuung
an gebundenen Protonen

angeregte
Kernzustände

Fermibewegung

ν = E − E′
Q2 Q2
2MA 2MP S
+ 9:;<
(Separationsenergie)

Abb. 5.25: Spektrum der gestreuten Elektronen am Kern


Teilchen und Kerne
5.4 Tiefinelastische Streuung 169

Wir vergleichen nun den Wirkungsquerschnitt einer solchen hochenergetischen Streuung mit
dem schon bekannten Mott-Wirkungsquerschnitt bei Streuung an punktförmigen Teilchen, wie
bei der Extraktion der Formfaktoren.

d2 σ

R ≡ $ dΩdE
%

dΩ Mott
Der Vergleich ist nur für feste Werte von W sinnvoll.

W 2 = M 2 + 2M(E − E′ ) − Q2
Aus Abb. 5.26 erkennt man, das sich der Wirkungsquerschnitt immer mehr an den Mott-Wirkungsquerschnitt
annähert, je größer W wird. Ab W > 3, 5GeV wird der Streuungsquerschnitt mottartig und damit
unabhängig von Q2 .

Abb. 5.26: Q2 -Abhängigkeit des Elektron-Proton-Streuquerschnitts (aus [Br69])

Wie schon früher festgestellt, bedeutet ein Streuungsquerschnitt unabhängig von Q2 , dass an
punktförmigen Teilchen gestreut wurde. Wir streuen also elastisch an punktförmigen ,,Parto-
nen“ im Nukleon und W1 (ν , Q2 ) und W2 (ν , Q2 ) werden unabhängig von Q2 . Hier ist ein Wechsel
zu den sogenannten Bjorken-Skalenvariablen sinnvoll.
Für die weitere Diskussion wollen wir diese Bjorkenschen-Skalenvariable einführen:

Q2 Q2
x= =
2P ⋅ q 2M ν
Teilchen und Kerne
170 Struktur des Nukleons

Diese Variablen gelten in jedem Bezugssystem und sind daher lorentzinvariant. Man beachten,
dass das Bjorken x für höhere Energieüberträge kleiner wird. Für elastische Streuung gilt folg-
lich x = 1, für inelastische Streuung 0 < x < 1 (eine Deutung dieser Skalenvariable werden wir
in Abschn. 5.5 vornehmen). Mit Hilfe der Bjorken-Skalenvariable können wir nun dimensions-
lose Strukturfunktionen einführen:

F1 (x, Q2 )=MW1 (ν , Q2 )
F2 (x, Q2 )=ν W2 (ν , Q2 )

Betrachten wir als Beispiel die elastische Streuung am punktförmigen Nukleon (aus Vergleich
mit dem Mott-Streuquerschnitt):

$ %
Q2 Q2 x
W1el (ν , Q2 )=2
δ ν− = δ (1 − x), (5.20)
4M 2M 2M
$ %
el 2 Q2 1
W2 (ν , Q )=δ ν − = δ (1 − x), (5.21)
2M ν

also:
x
F1el = δ (1 − x), (5.22)
2
el
F2 =δ (1 − x) (5.23)

Man beachte: Es gibt keine Q2 –Abhängigkeit für die Streuung an punktförmigen Teilchen. Ty-
pische Spektren zeigt Abb. 5.27. Ein Vorteil die Strukturfunktionen in Abhängigkeit von x zu
formulieren liegt in deren Lorentzinvarianz begründet. Waren die Strukturfunktionen Wi (ν , Q2 )
an das jeweilige Bezugssystem gekoppelt, gelten die oben definierten “Strukturfunktionen“ da,
wie wir später sehen werden, diese Strukturfunktionen als Formfaktoren der Quarks interpre-
tiert werden können) Fi (x) in jedem beliebigen System, zumal diese nur von x abhängen und
sich jene Eigenschaft von x vererbt.
Als Ergebnis können wir festhalten:

• Die Strukturfunktion zeigt Skalenverhalten, sogenanntes ,,Bjorken- Scaling”, im tiefinelasti-


schen Bereich. Dort hängen F1 (x), F2 (x) nur noch von x ab (siehe Abb. 5.29). Dies bedeutet:
• Im Inneren des Nukleons befinden sich punktförmige Konstituenten.

5.5 Das Partonmodell


Man interpretiert die Daten zur tiefinelastischen Leptonstreuung am Proton im sogenannten infi-
nite momentum frame (IMF). Dies ist dasjenige (hypothetische) Bezugssystem, in welchem sich
das Proton so schnell bewegt, daß transversale Impulskomponenten und Massen vernachlässig-
bar sind (Abb. 5.30, 5.31, siehe auch die Diskussion zum Breit- System).
Teilchen und Kerne
5.5 Das Partonmodell 171

Abb. 5.27: Elektron-Proton-Streuung: gemessene Anregungsspektren in der tiefinelastischen Elektron-Nukleon-


Streuung als Funktion der invarianten Masse W. Man beachte die unterschiedlichen Skalen an der Ordinatenachse.
Die Messungen wurden bei einem festen Streuwinkel von ϑ = 4◦ durchgeführt. Mit zunehmender Einfallsenergie
E wächst der mittlere Q2 -Bereich der Daten. Während insbesondere die erste Resonanz (W = 1.232 GeV/c2 ) immer
weniger ausgeprägt wird, nimmt das Kontinuum (W " 2.5 GeV/c2 ) nur geringfügig ab (aus [St75]).

e′ Proton

e Kern

Abb. 5.28: Quasi-elastische Elektronenstreuung an gebundenen Protonen


Teilchen und Kerne
172 Struktur des Nukleons

Abb. 5.29: Die Strukturfunktion F2 des Protons als Funktion von x bei Q2 -Werten zwischen 2 (GeV/c)2 und
18 (GeV/c)2 (aus [At82])

Partonen: Als Feynman Bjorkens Daten und Arbeit in die Hände bekam, gab“ es die Quarks

noch nicht, und niemandem war klar, was Bjorken da im Nukleon sah. Darum war Feynman so
vorsichtig, diese punktförmigen Konstituenten im Nukleon zunächst als Partonen zu bezeich-
nen. Basierend auf literarischen Vorbildern wurden sie dann von Gell-Mann als Quarks“ be-

zeichnet (nach James Joyce in Finnegans Wake“: Three quarks for master Mark). Geladene

Partonen werden heute landläufig mit Quarks identifiziert.
Wir betrachten nun ein einzelnes Parton im IMF, an dem ein hochenergetisches Elektron ela-
stisch streut. Das Parton besitze vor dem Stoß den Viererimpuls

p = ξP

Anschaulich: Das Parton trägt den Bruchteil ξ des Proton-Impulses P. Nach dem Stoß ist der
Partonimpuls p+q. Da wir die elastische Streuung am Parton betrachten, ist die invariante Masse
vor und nach dem Stoß identisch:

p2 = (p + q)2

also:

p 2 = p 2 + 2 p ⋅ q + q 2 = p 2 + 2 ξ P ⋅ q − Q2

oder:

2 ξ P ⋅ q − Q2 = 0
Teilchen und Kerne
5.6 Callan-Gross-Relation 173

Elektron -xP

Proton xP
Elektron P

Proton
Parton (1-x)P

Abb. 5.30: Laborsystem Abb. 5.31: infinite momentum frame

Q2
⇒ξ = ≡x
2P ⋅ q

Interpretation: Im IMF entspricht die Bjorken-Skalenvariable x dem Bruchteil des Protonimpul-


ses, den das, vom Photon getroffene Parton, trägt.

5.6 Callan-Gross-Relation

Bisher haben wir den Spin der Partonen nicht berücksichtigt. Das wollen wir nun nachholen:
Betrachten wir dazu die elastische Streuung an einem punktförmigen Spin- 12 -Parton, das im
IMF einen Impulsbruchteil x des Protons trägt. Dem entspricht einen Parton- Masse“ µ = xM.

Nach (5.16) lautet die kinematische Bedingung für elastische Streuung Q2 = 2µν = 2Mxν .
Nun vergleichen wir den differentiellen Wirkungsquerschnitt für elastische Streuung am einzel-
nen Parton,

$ % $ %
d2 σ α 2 cos2 θ2 Q2 2 θ Q2
= 1 + 2 tan δ ν− (5.24)
dΩdE′ 4E2 sin4 θ2 2µ 2 2µ

mit dem Wirkungsquerschnitt, der sich aus (5.20 – 5.23) sowie (5.7) zu

$ %
d2 σ α 2 cos2 θ2 F2 (x) 2F1 (x) θ
= + tan2
dΩdE′ 4E2 sin4 θ2 ν M 2

ergibt, und erhalten daraus die Callan-Gross-Relation:

F2 (x) = 2xF1 (x) .

Diese ist charakteristisch für punktförmige Spin- 12 -Teilchen (Abb. 5.32). Für Spin-0-Partonen
wäre F1 = 0.
Teilchen und Kerne
174 Struktur des Nukleons

Abb. 5.32: Verhältnis der Strukturfunktionen 2xF1 (x) und F2 (x). Die Daten stammen aus Experimenten am SLAC.
Wie man sieht, ist der Quotient etwa konstant Eins (aus [Po96]).

5.7 Quarkverteilungen im Nukleon

Die tiefinelastischen Lepton-Streuung am Proton liefert uns eine kohärente Superposition von
elastischen Streuprozessen an punktförmigen Spin- 21 -Teilchen, den Partonen. Identifizieren wir
nun die (geladenen) Partonen mit Quarks! Es gibt zwei verschiedene Sorten von Quarks:

⎛ ⎞
p′ , sf = ± 12 P′ p′ , sf = ± 12 P′
⎜ ⎟
⎜ ⎟
⎜ ⎟
⎜ ⎟
>0 1 ⎜ ⎟
2⎜ ⎟
= dξ z i ⎜ ⎟ (5.25)
i 0 ⎜ ⎟
⎜ ⎟
⎜ ⎟
⎝ ⎠
p, si = ± 12 P p, si = ± 12 P

Valenzquarks: Diese sind für die Quantenzahlen des Nukleons verantwortlich. Für die La-
dung des u-Quarks finden wir zu = 2/3, für die des d-Quarks zd = −1/3. Somit können wir die
Nukleonen wie folgt beschreiben:
Teilchen und Kerne
5.7 Quarkverteilungen im Nukleon 175

Proton: Valenzquark-Inhalt uud, Ladung +1


Valenzquark q
Neutron: Valenzquark-Inhalt udd, Ladung 0
Gluon
See-Quarks: Quark-Antiquark-Paare, welche zusätz- q̄
lich zu den Valenzquarks durch starke Wechselwirkung
im Nukleon existieren können (Abb. 5.33).
Abb. 5.33: See-Quarks

Quark-Verteilungsfunktion im Partonmodell:

qi (x): Wahrscheinlichkeitsdichte für Quarks der Sorte i (= u, d, s, … )


q̄i (x): Wahrscheinlichkeitsdichte für Antiquarks der Sorte i

Mit der Definition:

qi (x) dx := Zahl der Quarks vom Typ i mit Impulsbruchteil im Intervall [x, x + dx]

Strukturfunktionen: Für die Untersuchung der Verteilung des Nukleonimpulses auf die Par-
tonen schreiben wir gemäß (5.25):

>0 1 $ %
1 2
. / Q2
F2 (ξ ) = dξ zi qi (ξ ) + q̄i (ξ ) δ ν − (5.26)
ν 0 2M ξ
i=u, d, . . . 9 :; <
elastische Streuung am punktförmigen Parton

Nun benutzen wir noch


$ % $ % $ %
Q2 1 Q2 1 x ξ " # x " #
δ ν− = δ 1− = δ 1− = δ ξ −x = δ ξ −x
2M ξ ν 2M νξ ν ξ ν ν

und erhalten damit:


> . /
F2 (x) = x z2i qi (x) + q̄i (x) . (5.27)
i=u, d, . . .

Tiefinelastische Elektron- und Myonstreuung am Proton:


7 8
ep 4" # 1" #
F2 (x) = x up (x) + ūp (x) + dp (x) + d̄p (x) + …
9 9

. . . am Neutron: 7 8
4 1" #
F2en (x) =x (un (x) + ūn (x)) + dn (x) + d̄n (x) + …
9 9
Teilchen und Kerne
176 Struktur des Nukleons

Nutzen wir die Symmetrie unter Vertauschung von u ↔ d-Quarks, un (x) = dp (x) ≡ d(x) und
dn (x) = up (x) ≡ u(x), erhalten wir F2eN (x) gemittelt über Proton und Neutron:

1 . ep / 5 . /
F2eN = F2 (x) + F2en (x) = x u(x) + ūx (x) + d(x) + d̄x (x)
2 18
Konvention (Strukturfunktion des Nukleons):
18 eN >. /
F2 (x) = F2 = x qi (x) + q̄i (x)
5 i

Die Valenzquarkverteilung
>. /
V(x) = qi (x) − q̄i (x) ≡ F3 (x)
i

kann aus der Kombination von tiefinelastischer Elektron- (oder Myon-) Neutrinostreuung ge-
wonnen werden:

qi =qVal See
i + qi ,
q̄i =q̄See
i = qSee
i
Val
⇒ qi − q̄i =qi

Ergebnisse werden in Abb. 5.34 gezeigt.


Teilchen und Kerne
5.7 Quarkverteilungen im Nukleon 177

Abb. 5.34: Vergleich der Strukturfunktionen, die man bei der tiefinelastischen Streuung mit geladenen Leptonen
und Neutrinos erhält. Neben der Strukturfunktion F2 sind die Verteilung der Antiquarks q̄(x) (offene Symbole), aus
der sich die Seequarkverteilung ergibt, und die Verteilung der Valenzquarks (hier mit xF3 (x) bezeichnet) angegeben
(nach [PD94]).
Teilchen und Kerne
178 Struktur des Nukleons

Strukturfunktion F2 P

Drei Valenzquarks

1 1 x
3

Drei gebundene
Valenzquarks

1 1 x
3
Drei gebundene
Valenzquarks
+ langsame Seequarks

See“

Valenz

kleines x: q̄
q 1 1 x
3

Abb. 5.35: Schematische Darstellung der Strukturfunktion


Teilchen und Kerne
Übungen 179

Übungen zu Kapitel 5
Übung 5.1: Formfaktor einer homogenen Kugelladung. Bestimmen Sie den Formfaktor,
der aus der Ladungsverteilung einer homogen geladenen Kugel folgt:
-
3
1 4 R3
für r ≤ R,
ƒ(r) = ρ (r) =
Z 0 für r > R.

In der elastischen Streuung von Elektronen an Kohlenstoff erhält man ein Minimum des dif-
ferentiellen Wirkungsquerschnitts bei q ≈ 1.8 fm−1 . Bestimmen Sie daraus mit der obigen La-
dungsverteilung den Radius des Kohlenstoffkerns.

Übung 5.2: Zerfall des 0 -Mesons. Ein 0 -Meson mit einem Impuls von 135 MeV/c zerfällt
in zwei Photonen. Wie weit fliegt das Pion im Labor, bevor es zerfällt? Was ist der kleinste und
größte Öffnungswinkel zwischen den Impulsen der beiden Photonen im Laborsystem? Hinweis:
m 0 = 135 MeV/c2 , τ 0 =8.4⋅10−17 s.

Übung 5.3: + e− - und e+ e− → + − -Streuung. Aus dem Wirkungsquerschnitt für die Elektron-
Myon-Streuung, gegeben durch
θ
dσ ( + e− → + −
e ) α 2 1 + cos4 2
=
dΩ 2W 2 sin4 θ2

mit der totalen Schwerpunktsenergie W läßt sich unter Ausnutzung der crossing“-Symmetrie,

die dem Übergang zwischen s- und t-Kanal entspricht, der Wirkungsquerschnitt für die Reaktion
e+ e− → + − ableiten.
Drücken Sie hierzu zunächst den oben gegebenen Wirkungsquerschnitt mit Hilfe der Mandel-
stam-Variablen aus, die unter Vernachlässigung der Massen (d. h. bei hohen Impulsen) durch
s = 2k ⋅ p = 2k′ ⋅ p′ , t = −2p ⋅ p′ = −2k ⋅ k′ und u = −2k′ ⋅ p = −2k ⋅ p′
gegeben sind.
e− e− e− +

p k′
p p′

k k′
k → −p′ p′ → −k
+ +
e+ −

Leiten Sie hieraus den totalen Wirkungsquerschnitt für die e+ e− -Annihilation in + −


ab.

Übung 5.4: Ladungsformfaktor des Protons.


Teilchen und Kerne
180 Übungen

p
G (Q 2 )
E

2 2
Q /(GeV/c)

Der Formfaktor GE (Q2 ) des Protons (mit Q2 = ⃗q 2 − q20) wird experimentell bei der Streuung von
hochenergetischen Elektronen an Protonen bestimmt

a) Zeigen Sie, daß der gemessene Formfaktor durch den Dipolfit“



1
GE (Q2 ) = 2
(1 + QΛ2 )2

gut reproduziert werden kann. Bestimmen Sie Λ aus den Daten.


@ ?
b) Bestimmen Sie den mittleren quadratischen Radius r2 .
c) Wie lautet die räumliche Ladungsverteilung ρ (r), die man durch Fouriertransformation
von GE (Q2 = ⃗q 2 ) im sog. Breit-System (q0 = 0) erhält?

Übung 5.5: Compton-Streuung. Man betrachte den Prozeß e + →e+ .

a) Zeigen Sie, daß im Laborsystem (anfangs ruhendes Elektron) die Beziehung zwischen
den Energien des ein- und auslaufenden Photons durch
me ω
ω′ =
me + ω (1 − cos θ )
gegeben ist, wobei me die Masse des Elektrons, θ der Streuwinkel, und ω und ω ′ die
Energien des ein- bzw. auslaufenden Photons sind.
b) Der differentielle Wirkungsquerschnitt für die Compton-Streuung an Elektronen im La-
borsystem lautet
$ % $ %$ %
dσ 1 2 ω ′2 ω ω′ 2
= r + − sin θ ,
dΩ Labor 2 e ω 2 ω′ ω

wobei re = e2 /(3π me ) = 2.82 × 10−13 cm der klassische Elektronenradius ist.

i. Skizzieren Sie den Verlauf von dσ /dΩ als Funktion des Streuwinkels bei fester
Energie ω des einlaufenden Photons.
Teilchen und Kerne
Übungen 181

ii. Zeigen Sie, daß im Grenzfall ω ≫ me für den totalen Wirkungsquerschnitt gilt
1 2 $ 2ω 1 %
2 me
σtot = π re ln + ,
ω me 2
und interpretieren Sie das Ergebnis.

Übung 5.6: Tiefinelastische Elektron-Nukleon-Streuung. Der differentielle Wirkungsquer-


schnitt für die inelastische Streuung hochenergetischer Elektronen am Proton im Laborsystem
ist: 7 8
d2 σ 2
cos2 θ2 2 2 θ 2
= 2W1 (ν , Q ) tan + W2 (ν , Q )
dΩdE′ 4E2 sin4 θ2 2
mit den Strukturfunktionen W1 und W2 . Hierbei ist ν = E′ − E die übertragene Energie und
Q2 = (⃗p ′ − ⃗p)2 − ν 2 das Quadrat des Viererimpulsübertrags.

a) Nehmen Sie zunächst an, das Proton sei punktförmig und strukturlos. Dann ist nur rein
elastische Streuung möglich. Zeigen Sie, daß in diesem Fall
Q2 θ
E′ = E + mit Q2 ≈ 4EE′ sin2 ,
2M 2
wobei M die Protonenmasse ist.
b) Der bekannte Wirkungsquerschnitt für die elastische Streuung an punktförmigen Spin- 12 -
Teilchen ist
$ % 7 8 $ %
dσ dσ Q2 2 θ dσ α 2 cos2 θ2
= 1+ tan mit = " #.
dΩ dΩ Mott 2M 2 2 dΩ Mott 4E2 sin4 θ2 1 + 2E M
sin2 θ2
Zeigen Sie, daß daraus für die Strukturfunktion folgt:
$ % $ %
2 Q2 Q2 2 Q2
W1 (ν , Q ) = δ ν− , W2 (ν , Q ) = δ ν −
4M 2 2M 2M

bzw.

2F1 (x, Q2 ) = 2MW1 = xδ (1 − x), F2 (x, Q2 ) = ν W2 = δ (1 − x)

Q2
d. h. sie hängen nur von der Bjorken-Skalenvariablen x = 2M ν
ab.

Der differentielle Wirkungsquerschnitt für die inelastische Streuung hochenergetischer Elektro-


nen am Proton im Laborsystem ist:
7 8
d2 σ 2
cos2 θ2 2F1 (x, Q2 ) 2 θ 2MxF2 (x, Q2 )
= tan +
dΩdE′ 4E2 sin4 θ2 M 2 Q2
Q 2
mit den Strukturfunktionen F1 und F2 . Hierbei ist x = 2M die Bjorken-Skalenvariable, ν = E−E′
2 ′ 2 2
die übertragene Energie und Q = (⃗p − ⃗p) − ν das Quadrat des Viererimpulsübertrags.
Teilchen und Kerne
182 Übungen

Abb. 5.36: Tiefinelastische eN-Streuung Abb. 5.37: Strukturfunktion des Protons

c) Der Streuprozeß finde als elastische Streuung an drei quasifreien, punktförmigen Quarks
statt, wie in Abb. 5.36 dargestellt. Jedes Quark besitze die effektive Masse m = M/3.
Zeigen Sie, daß jetzt die Strukturfunktion F2 (x) ein Maximum bei x = 1/3 besitzen sollte.
d) Die experimentell bestimmte Strukturfunktion F2 (x) bei Q2 ≈ 1 GeV2 hat den in Abb.
5.37 gezeigten Verlauf. Interpretieren Sie das Resultat. Wodurch erklärt sich (qualitativ)
die Breite des quasi-elastischen Peaks bei x ≈ 1/3?

Übung 5.7: e+ e− -Vernichtung in Mesonen. Die neutralen Vektormesonen ( , Ω, , J/ , )


lassen sich in e+ e− -Speicherringen direkt erzeugen, falls die Strahlenergie entsprechend gewählt
wird. Die erzeugten Mesonen zerfallen wieder in Leptonen und Hadronen. Für den Wirkungs-
querschnitt gilt die Breit-Wigner-Formel:
(2J + 1) 4m2 Γee Γƒ
σ (e+ e− → J/ → ƒ) = 2
W 2 (W 2 − m2 )2 + m2 Γtot
wobei ƒ den Endzustand (z. B. e+ e− oder aus Hadronen) bezeichnet und W 2 = Q2γ = 4EStrahl
2
.

e+


q

e−

Für die J/ Resonanz ist die totale Breite Γtot = ΓHadr. + Γee + Γ = 6.0 keV und somit wesent-
lich kleiner als die Energieunschärfe von 1 MeV der gespeicherten Teilchenstrahlen. Die be-
obachtete Resonanzkurve ist also stark durch die Energieunschärfe verbreitert. Trotzdem kann
Teilchen und Kerne
Übungen 183

man die unbekannten partiellen Zerfallsbreiten und die Gesamtbreite bestimmen, wenn man
die Breit-Wigner-Formel und die gemessenen Wirkungsquerschnitte (für die leptonischen und
hadronischen Endzustände) über den Resonanzbereich integriert.
Zeigen Sie hierzu:

a) Für Γtot ≪ m in der Nähe der Resonanz (W ≈ m) kann man folgenden Ausdruck benutzen:
π (2J + 1)Γee Γƒ
σ (e+ e− → J/ → ƒ) = 2
m2 ((W − m)2 + Γtot /4)
b) Mit dem durch 0
>
= σ (e+ e− → J/ → ƒ)dW
ƒ

definierten Integral des Wirkungsquerschnitts der e+ e− -Vernichtung in einen Endzustand


ƒ gilt:
I J &
m2 > > >
Γee = 2 + + und Γtot = &tot Γee
6 Hadr. ee ee
Teilchen und Kerne
184 Übungen
Kapitel 6

Starke Wechselwirkung

Was wissen wir über Quarks? In Abschnitt 5.4 erkannten wir mit Hilfe der tiefinelastischen
Elektronenstreuung, daß Quarks Ladung tragen. Ferner besitzen sie Spin 12 , wie wir im Zusam-
menhang mit der Callan-Gross-Relation (Abschn. 5.6) sahen. Schließlich wissen wir, daß sich
im Nukleon, oder allgemeiner: im Baryonen, 3 Valenzquarks befinden (im Meson: ein Quark
sowie ein Antiquark, wie wir in Abschnitt 6.3 sehen werden). In der Einführung (Abschnitt
1.3.1) erfuhren wir zudem:

• Es gibt Quarks in verschiedenen Flavours,


• Quarks haben Masse.

Wie wir bald sehen werden, ist Flavour eine Eigenschaft der Quarks, welche nicht durch
elektromagnetische und starke Wechselwirkung geändert werden kann. Quarks eines bestimm-
ten Flavours können mit elektromagnetischer oder starker Wechselwirkung nur paarweise, als
Quark-Antiquark-Paar, erzeugt werden. Der Erhaltungsgröße Flavour wird folglich eine Quan-
tenzahl zugeordnet. Diese wird mit den Bezeichnungen “up“, “down“, “strange“, “charm“,
“beauty“ und “top“ beschrieben.
Diese Charakteristika der Quarks bestimmen die Eigenschaften der Hadronen, welche aus den
Quarks gebildet werden. Haben Quarks weitere Eigenschaften, welche wir bisher noch nicht
bemerkt haben? Beginnen wir das Studium der Quarks damit, die Erzeugung von Hadronen in
e+ e− -Stößen zu betrachten!

6.1 Die Quarks bekennen Farbe


In der Quantenelektrodynamik, Abschnitt 4.3.3, betrachteten wir in (4.31) den Streuquerschnitt
bei der Bhabha-Streuung, die in Abb. 6.1 nochmals skizziert ist.

4 2
σtot (e+ e− → + −
)= (4.31’)
3Q2

185
Teilchen und Kerne
186 Starke Wechselwirkung

q q̄
− + q

e+ e−
e− e +

Abb. 6.2: Ersetzen wir die Elektronen durch


Abb. 6.1: Bhabha-Streuung Quarks!

Dieser elektromagnetische Prozeß ist nur empfindlich auf Ladungen. Betrachten wir nun einen
analogen Prozeß, wie die in Abb. 6.2 skizzierte Quark-Antiquark-Erzeugung. Nur können hier
keine einzelnen Quarks erzeugt werden.

σtot (e+ e− → qi q̄i ) = Zq2 σtot (e+ e− → + −


)

Confinement: Quarks werden immer paarweise erzeugt, was die Erhaltung der entsprechen-
den Quantenzahlen sicherstellt. Im Gegensatz zu Leptonen sind Quarks nicht frei beobachtbar.
Dies ist ein experimenteller Befund: Man hat lange aber bisher vergeblich nach freien Quarks
gesucht!
In der einfachsten vorstellbaren Messung vergleichen wir einfach die Myonen- und die Hadro-
nenproduktion, wobei wir die einzelnen Hadronen nicht unterscheiden wollen. Ferner sind, wie
wir gerade gesehen haben, nur Elektronen, Positronen und Hadronen sichtbar, nicht aber die
Quarks selbst:

e+ e− −→ qi q̄i −→ Hadronen
9:;<
nicht beobachtbar

Messbar ist also:

Nx &NFlavour + −
σtot (e+ e− → Hadronen) > i=1 Zq2i σtot
R= = + − (6.1)
σtot (e+ e− → + − ) j=1
σtot
9:;<
unbekannte Eigenschaften

Wir summieren hier also über hypothetische, uns bisher noch unbekannte Eigenschaften der
Quarks. Würden sie derer keine besitzen, könnte man die Summe über j weglassen. Was also
liegt näher, als NFlavour und Nx durch ein Experiment zu bestimmen?
Teilchen und Kerne
6.1 Die Quarks bekennen Farbe 187

Abb. 6.3: R-Verhältnis aus Speicherringen


Durch Messung von R bei verschiedenen Schwerpunktsenergien s erhält man dann:

1. Die Anzahl der Quarks mit 2Mq = Mq + Mq < s
2. Nx
3. Aus dem Anstieg von R bei gewissen Schwellenenergien, ab denen Quarks mit neuen“

Flavours erzeugt werden, kann die Ladung der neuen Quarks bestimmt werden.


Farbe: Für s < 3 GeV können u-, d- und s-Quarks erzeugt werden:

Nx $ % > Nx =
> 4 1 1 2 2 ==
erwartet: R = + + = = = (6.2)
i=1
9 9 9 i=1
3 3 Nx =1
u d s
9 :; <
Zq2i

gemessen: R = 2
⇒ Nx = 3

R ist also um einen Faktor 3 zu groß, folglich muß hier eine versteckte, nach außen hin nicht
sichtbare Eigenschaft der Quarks in einer 3-Symmetrie vorliegen. Man nennt sie Farbe. Ha-
dronen sind farbneutrale Gebilde, und somit ist die Farbladung der erzeugten Quarks nicht
beobachtbar. Wir messen daher:
Teilchen und Kerne
188 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.4: R-Verhältnis aus Speicherringen

Farben N
N> >Flavor
+ −
σtot (e e → Hadronen) = Zq2i σtot (e+ e− → + −
)
i=1 j=1

mit NFarben = 3:

Nƒlavour
K$ % $ % $ % L
> 2 2 2
2 1 1
R=3 Zq2j = 3 + − + −
j
3 3 3
√ √
Wir beobachten Sprünge von R bei s ≈ 3, 7GeV und bei s ≈ 5GeV. Dies sind Hinweise auf
die Erzeugung neuer Quarksorten oder Flavors:

" #2
• Charm-Quark mit Zq2charm = + 32
" #2
• Beauty-Quark mit Zq2beauty = − 13

Bei genauer Betrachtung von R im Bereich um 4 GeV (Region des Charm-Quarks) stellt man
eine Abweichung vom erwarteten Wert fest, wenn man die Ladung des Charm-Quarks zu 23
annimmt:

&Nfl
erwartet: R = 3 ⋅ i=1 Zq2i ≈ 3
gemessen: R ≈4

Grund ist ein konkurrierender, rein leptonischer Prozess:


Teilchen und Kerne
6.1 Die Quarks bekennen Farbe 189

Abb. 6.5: Wirkungsquerschnitt √ der Reaktion e+ e− → Hadronen, normiert auf den Prozess e+ e− → + − als Funk-
tion der Schwerpunktsenergie s (schematisch). Die horizontalen Linien entsprechen R = 6/3, R = 10/3 und
R = 11/3, den Werten, die man aus (6.1) und √ (6.2) je nach Zahl der beteiligten Quarks erwartet. Wie man sieht,
können ab bestimmten Schwellenenergien s neben dem up-, down- und strange-Quark noch weitere Quarks
erzeugt werden. Ferner erkennt man Resonanzen, an denen Mesonen wie das ρ , das oder das J/ entstehen
(siehe Abschnitt 6.7.1). Gestrichelt ist außerdem der Wert R = 15/3 eingezeichnet, der sich bei Beteiligung des
top-Quarks ergeben sollte (aus [Po96]).
Teilchen und Kerne
190 Starke Wechselwirkung

e+ + e− → +
+ −
→ Hadronen,

wobei das vor allem in Hadronen zerfällt. Zufällig entspricht die Masse des etwa der des
leichtesten Hadrons mit charm, des D-Mesons. Dieser Prozess addiert eine Einheit zu R:
− +

√ ±
−→ Hadronen
s " 3 GeV
Lebensdauer: 1 ps

e− e+
Bei höheren Energien fällt jedoch sein Wirkungsquerschnitt stark ab, so dass er nicht mehr
berücksichtigt werden muß. Entdeckt wurde das - Lepton durch Martin Pearl (Nobelpreis1
1995) am SLAC2 in den USA, in etwa zur selben Zeit, als auch R am DESY3 und am SLAC
gemessen wurde.
√ " #2
Für s > 10 GeV findet man auch das b-Quark. Hier steigt R nochmals um − 31 an.

e+ e− → 9:;<
bb → 9:;<
BB
Quarks Hadronen

R ist auch zwischen den verschiedenen Stufen nicht konstant. Hierbei spielt die resonate Erzeu-
gung von Mesonen, sowie Korrekturen bei der starken Wechselwirkung eine Rolle. Bei hohen
Energieskalen ändert sich die Kopplungskonstante der starken Wechselwirkung αs .

Für den Energiebereich von s > 55GeV steigt R stetig an und erreicht bei etwa 90 GeV ein
Maximum. Hier wird das Z0 -Boson erzeugt.

Z0 → q i q i

Hier ist aber die Kopplung anders als beim Photon, da hier die schwache Wechselwirkung bei-
trägt.
Man fragt sich nun, wo denn das top- Quark in dieser Aufstellung abgelieben ist. Dies sei mit ei-
ner kleinen
√ historischen Annektode erklärt: Der PETRA-Speicherring am DESY war ursprüng-
lich für sMax ∼ 17 GeV konzipiert worden – Theoretiker sagten die Masse des top-Quarks
in diesem Massenbereich voraus. Nachdem man aber zunächst nichts fand, wurde erheblicher
Aufwand
√ getrieben, die HF-Leistung des Synchrotrons sukzessive aufzustocken, um langsam
bis s ∼ 46 GeV zu gelangen. Viel Geld, Zeit und Frust wurde so auf der Suche nach dem
t-Quark vergeudet: Erst etwa 20 Jahre später wurde es am Fermilab gefunden – bei einer Masse
von etwa 180 GeV! Daher verschieben wir die Suche und den Beweis der Existenz des top-
Quarks auf später.
1
http://www.slac.stanford.edu/slac/hottomperl95/mperl95.html
2
http://www.slac.stanford.edu/
3
http://www.desy.de/
Teilchen und Kerne
6.2 Symmetrien und Erhaltungssätze 191

6.2 Symmetrien und Erhaltungssätze

6.2.1 Noether-Theorem
Mechanische Systeme werden durch eine Lagrangefunktion beschrieben, die von den Teilchen-
koordinaten xj , deren Geschwindigkeiten ẋj sowie der Zeit t abhängt:

" #
L xj , ẋj , t (6.3)

Die Bewegungsgleichungen ergeben sich damit aus:

d L L
− =0 (6.4)
dt ẋj xj

Noether-Theorem: Jede Symmetrie impliziert eine Erhaltungsgröße.

• Invarianz unter Raumtranslationen: ⃗x → ⃗x + δ⃗x ⇔ Erhaltung des Impulses ⃗p


• Invarianz unter Zeittranslationen: t → t+ δ t ⇔ Erhaltung der Energie E (O
= Hamiltonfunktion)

Zusammenfassend: Invarianz unter Translationen im Minkowski-Raum: xµ → xµ + ∆xµ ⇔


Erhaltung des Viererimpulses Pµ = (E,⃗p)

⃗ × ⃗x + … Erhaltung des Drehimpulses


• Invarianz unter Raum-Drehungen: ⃗x → D ⋅ ⃗x = ⃗x + δ ω

Drehmatrix
⃗J einschließlich Spin ⃗S
• Invarianz unter Raum-Spiegelungen: ⃗x → −⃗x ⇔ Erhaltung der Parität P = ±1

Elementarteilchen und ihre Wechselwirkungen werden durch Felder φ (x) beschrieben: Lepton-
felder, Photon- und W- bzw. Z0 -Felder, Quarkfelder, Gluonfelder. So gelangt man zur Quanten-
feldtheorie. Die Dynamik dieser Felder kann von einer sogenannten Lagrangedichte

" #
L φ (x), µ φ (x) (6.5)

abgeleitet werden, die Ausgangspunkt für unsere Betrachtungen sein soll. Die Bewegungsglei-
chungen erhält man daraus analog zu (6.4):

L L
µ − =0 (6.6)
( µ φ (x)) φ (x)

Wir geben einige wichtige Lagrangedichten an:


Teilchen und Kerne
192 Starke Wechselwirkung

• Klein-Gordon-Feld:

1 µ m2 2
L Klein-Gordon = µ φ (x) φ (x) − φ (x)
2 2
ergibt

µ
µ φ (x) − m2 φ (x) = 0 (Klein-Gordon-Gleichung)
• Dirac-Feld:
. µ
/
L Dirac = ψ̄ (x) γµ − M ψ (x)

L Dirac " µ
#
=0 (Dirac-Gleichung) γµ − M ψ (x) = 0
ψ̄ (x)

Unter dem Begriff Symmetrien faßt man alle Transformationen der Felder φ (x) zusammen, unter
denen die Lagrangedichte invariant bleibt. Somit führen alle Symmetrien der Lagrangedichte
L (φ , µ φ ) zu Erhaltungsgrößen, z. B. erhaltenen Strömen.

6.2.2 Symmetrien in der Quantenmechanik


Quantenmechanische Systeme werden durch einen Hamiltonoperator beschrieben:

H ψ = Eψ .

Beispiel:

⃗2

H =− + V(r)
2m ↑
zentralsymmetrisches
Potential

H ist rotationsinvariant, wir können also ψ (r) in Radial- und Winkelanteil aufspalten:

ψ (⃗r) = Rnℓ (r)Yℓm (ϑ , ϕ )

Der Energieeigenwert Enℓ ist bezüglich der magnetischen Quantenzahl m insgesamt (2ℓ+1)-fach
entartet.

• (kontinuierliche) Symmetrien des Hamiltonoperators führen zu Multipletts von energetisch


entarteten Zuständen
E F
• Erhaltungsgrößen kommutieren mit dem Hamiltonoperator, z. B. H , ⃗L = 0 (Drehimpuls).
• bei diskreten Symmetrien, z. B. der Parität P ψ (⃗r) = ψ (−r)
⃗ gilt: [H , P ] = 0 ⇒ Die Energieei-
genzustände haben wohldefinierte Parität P ψ (⃗r) = ±ψ (−r)

Teilchen und Kerne
6.2 Symmetrien und Erhaltungssätze 193

6.2.3 Innere Symmetrien


Diese sind mit den inneren Eigenschaften der Elementarteilchen verknüpft, welche unabhängig
von deren Raum-Zeit-Verhalten sind.
Man beobachtet Gruppen von Teilchen mit verschiedener elektrischer Ladung und fast gleicher
Masse (=Ruheenergie):

H
p : Mp = 938.27 MeV
Nukleon: 2 Zustände
n : Mn = 939.56 MeV
±
H
: M ± = 139.57 MeV
0 Pion: 3 Zustände
: M 0 = 134.97 MeV
H
K+ : MK+ = 493.65 MeV
Kaon: 2 Zustände
K0 : MK0 = 497.67 MeV
H
K− : MK− = 493.65 MeV
Anti-Kaon: 2 Zustände
K̄0 : MK̄0 = 497.67 MeV

und viele andere Beispiele. Dieser Massenentartung liegt eine innere Symmetrie zugrunde:

Isospin-Symmetrie ⇔ Gruppe SU(2)

Den tieferen Grund dieser Symmetrie stellt die Tatsache dar, dass Hadronen aus Quarks zusam-
mengesetzte Systeme sind.

Isospin der Quarks: u- und d-Quarks sind bis auf eine geringe Massendifferenz identisch
bezüglich ihrer starken Wechselwirkung. Proton (uud) und Neutron (udd) sind somit in ihren
Eigenschaften diesbezüglich ununterscheidbar. Ebenso sind die drei Ladungszustände des Pi-
ons, + (ud̄), 0 (uū−dd̄) und − (dū) in Bezug auf die starke Wechselwirkung ununterscheidbar.
Man stellt deshalb die u- und die d-Quarks als Flavour-Dublett (Nƒ = 2) dar:
$ %
u
ψ (x) =
d

• Isospin-Symmetrie = Invarianz der Lagrangedichte der starken Wechselwirkung unter unitä-


ren Transformationen im Raum der u- und d-Quarks:
$ % $ %
u u
→U
d d
mit speziellen unitären 2 × 2-Matrizen U (U † U = 1, det U = 1, U ∈ SU(2)), die wie folgt
darstellbar sind:
Teilchen und Kerne
194 Starke Wechselwirkung

7 8

α i
U = exp ⃗τ ⋅ = 1 + ⃗τ ⋅ α⃗ +…
2 2
⃗τ ⋅ α
⃗ = τ 1 α1 + τ 2 α2 + τ 3 α3 ,

wobei α⃗ = (α1 , α2 , α3 ) beliebige reelle Parameter sind. Die Pauli-Matrizen τ1 , τ2 und τ3


(hermitesch, spurfrei) sind die Generatoren der Flavourgruppe SU(2)f :
$ % $ % $ %
0 1 0 − 1 0
τ1 = , τ2 = , τ3 =
1 0 0 0 −1
Sie erfüllen die Kommutatorrelationen

[τa , τb ] = 2 εabc τc

Strukturkonstanten

• Isospin-Operator. ⃗I = 21 ⃗τ , wobei gilt:

$ %$
$ % %
1 1 0 1 1 1 1
I3 |u〉 = = == |u〉
2 0 −1 2 0 0 2
$ %$ % $ %
1 1 0 0 1 0 1
I3 |d〉 = =− = − |d〉
2 0 −1 1 2 1 2

H
⃗I 2 |u〉 = I(I + 1)|u〉 1
⃗I 2 |d〉 = I(I + 1)|d〉 mit I=
2
u- und
P d-Quark bilden
Q ein Isospin-Dublett mit Isospin I = 12 . Ein Isospinmultiplett mit Isospin
I ∈ 0, 21 , 1, 32 , … besteht aus 2I + 1 Zuständen

|I, m〉, m = −I, −I + 1, … , I − 1, I


9 :; <
Werte von I3

• Kopplung der Isospins. Genau wie die Kopplung von Drehimpulsen oder Spins:

⃗I = ⃗I(1) + ⃗I(2)

>
|IM〉 = |I (1) m1 〉|I (2) m2 〉〈I (1) m1 I (2) m2 |IM〉
m1 ,m2

mit Clebsch-Gordan-Koeffizienten: 〈I (1) m1 I (2) m2 |IM〉 (s. Abschn. A.1).


• Darstellung durch Gewichtsdiagramme, wie hier das Dublett I = 21 :

I3
− 12 + 21
Teilchen und Kerne
6.2 Symmetrien und Erhaltungssätze 195

1
Kopplung von I (1) = 2
⊗ I (2) = 21 :
= =
> = 1 R== 1 RS 1 1 = R
|IM〉 = = = m1 m2 ==IM
= 2 m1 = 2 m2 2 2
(I = 0, 1)
m ,m
1 2

Konkret bedeutet dies für I = 1:

1 1 1 1
|1, +1〉 = | , + 〉| , + 〉
2 72 2 2 8
1 1 1 1 1 1 1 1 1
|1, 0〉 = √ | , + 〉| , − 〉 + | , − 〉| , + 〉
2 2 2 2 2 2 2 2 2
1 1 1 1
|1, −1〉 = | , − 〉| , − 〉
2 2 2 2

und für I = 0:

7 8
1 1 1 1 1 1 1 1 1
|0, 0〉 = √ | , + 〉| , − 〉 − | , − 〉| , + 〉
2 2 2 2 2 2 2 2 2

Hierbei gilt die Zuordnung:

|1, +1〉 ↔ |uu〉


|1, −1〉 ↔ |dd〉
1
|1, 0〉 ↔ √ |ud + du〉
2
1
|0, 0〉 ↔ √ |ud − du〉
2

• Multiplikation“ der Gewichtsdiagramme (Stempelmethode):



$ % $ %
1 1
I= ⊗ I= = (I = 1) ⊕ (I = 0)
2 2
T U
= I3
− 12 + 12 − 12 + 21 −1 0 +1 0

T = U
[2] [2] [3] [1]

Dublett Dublett Triplett Singlett

Allgemein gilt für SU(2)-Darstellungen:

I1 ⊗ I2 = (I1 + I2 ) ⊕ (I1 + I2 − 1) ⊕ · · · ⊕ |I1 − I2 |


Teilchen und Kerne
196 Starke Wechselwirkung

ijk 123 147 156 246 257 345 367 458 678
√ √
1
ƒijk 1 2
− 12 1
2
1
2
1
2
− 12 2
3
2
3

ƒikj = −ƒijk = ƒjki

Tab. 6.1: Total antisymmetrische Strukturkonstanten ƒijk der SU(3)

Erweiterung auf u-, d- und s-Quarks – Quarks mit Strangeness: Im Grenzfall gleicher
Quarkmassen ist die Lagrangedichte der starken Wechselwirkung invariant unter unitären Trans-
formationen:
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
u u
⎝ d ⎠ → U⎝ d ⎠
s s

mit speziellen unitären 3 × 3-Matrizen U (Flavour-Gruppe SU(3)f : UU † = , det U = 1).


Darstellung:

87
⃗⋅ ⃗
α
U = exp λ
2
>8
⃗ ⋅α
λ ⃗ = λj αj (8 reelle Parameter)
j=1

mit den Gell-Mann-Matrizen λ1 , . . . , λ8 als Generatoren der SU(3)- Flavour Gruppe:

⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
0 1 0 0 − 0 1 0 0
λ1 = ⎝ 1 0 0 ⎠, λ2 = ⎝ 0 0 ⎠, λ3 = ⎝ 0 -1 0 ⎠,
0 0 0 0 0 0 0 0 0
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
0 0 1 0 0 − 0 0 0
λ4 = ⎝ 0 0 0 ⎠, λ5 = ⎝ 0 0 0 ⎠, λ6 = ⎝ 0 0 1 ⎠ ,
1 0 0 0 0 0 1 0
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
0 0 0 1 0 0
λ7 = ⎝ 0 0 − ⎠, λ8 = √13 ⎝ 0 1 0 ⎠
0 0 0 0 −2

. /
• Kommutator-Relationen: λi , λj = 2 ƒijk λk , mit den total antisymmetrischen Strukturkon-
stanten ƒijk der SU(3), wie sie in Tab. 6.1 angegeben sind.
1
• Dritte Komponente des Isospins: I3 = λ3
2
Teilchen und Kerne
6.2 Symmetrien und Erhaltungssätze 197

Y Y
2
3 s̄

d 1
u
3
− 12 + 12
I3 I3
− 21 + 21

ū − 31 d̄
2
s−3

Abb. 6.6: Gewichtsdiagramme für die Quarks u, d, und s (Triplett [3], links), sowie für die Antiquarks ū, d̄, und s̄
(Anti-Triplett [3̄], rechts)

• Hyperladung:
⎛ 1 ⎞
0 0
1 3
Y = B + S = √ λ8 = ⎝ 0 31 0 ⎠
3 0 0 − 23

mit Baryonzahl B = 13 für alle Quarks (B = − 13 für Antiquarks) und Strangeness S = 0 für u-
und d-Quarks, S = −1 sowie für das s-Quark bzw. S = +1 für das Anti-Strange-Quark.
• Basis:
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
1 0 0
|u〉 = ⎝ 0 ⎠ , |d〉 = ⎝ 1 ⎠ , |s〉 = ⎝ 0 ⎠
0 0 1
Die Quark-Eigenzustände werden durch (I3 , Y) charakterisiert. Eine angemessene Darstel-
lung stellen die Gewichtsdiagramme der Gruppe SU(3) dar, wie sie in Abb. 6.6 gezeigt sind.
• Regeln für Produkte von Triplett- und Antitriplett-Darstellungen (mit graphischer Veran-
schaulichung in Abb. 6.7):

– [3] ⊗ [3̄] = [8] ⊕ [1]


Triplett Anti-Triplett Oktett Singulett

– [3] ⊗ [3] = [6] ⊕ [3̄]


Triplett Triplett Sextett Anti-Triplett
" #
– [3] ⊗ [3] ⊗ [3] = [6] ⊕ [3̄] ⊗ [3] = [10] ⊕ [8] ⊕ [8] ⊕ [1]
Dekuplett Oktett Oktett Singulett
Teilchen und Kerne
198 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.7: Oktett (links) und Dekuplett (rechts)

Ladung Strangeness Hyperladung


Q = I3 + Y/2 S Y =B+S
2 1
u 3
0 3
d − 31 0 1
3
s − 31 −1 − 23
Tab. 6.2: Ladung, Strangeness und Hyperladung der Quarks der Gruppe SU(3)ƒ .

6.3 Das Quarkmodell


Ziehen wir kurz Zwischenbilanz: Quarks als elementare Bausteine der Hadronen sind Fer-
mionen mit Spin 12 und Baryonzahl B = 13 .
Die (u, d, s)-Quarks bilden die fundamentale Triplett-[3]-Darstellung der Gruppe SU(3)ƒ ;
entsprechend bilden die Antiquarks (ū, d̄, s̄) die Antitriplett-[3̄]-Darstellung. Die innerhalb
der SU(3) vorhandenen Quarks sind mit ihren Quantenzahlen in Tab. 6.2 zusammengefaßt.
Die Antiquarks haben genau die entsprechenden negativen Quantenzahlen.
Alle aus u-, d- und s-Quarks zusammengesetzten Teilchen sind höhere Darstellungen der
Gruppe SU(3)ƒ :

1. Mesonen: Quarkinhalt qq̄

[3] ⊗ [3̄] = [8] ⊕ [1]


Oktett Singulett

2. Baryonen: Quarkinhalt qqq


Teilchen und Kerne
6.4 Quark-Wellenfunktionen der Mesonen 199

ud̄, uū, dd̄ uū, dd̄, cc̄ cc̄ bb̄ s̄u, s̄d cū, cd̄ cs̄ b̄u,b̄d b̄s b̄c
1 1 1
N 2S+1 LJ J PC I=1 I=0 I=0 I=0 I= 2
I= 2
I=0 I= 2
I=0 I=0
1 1 S0 0−+ , ′ K D Ds B Bs Bc
c
1 3 S1 1−− , J/ (1S) (1S) K∗ (892) D∗ (2010) D∗s B∗ B∗s
1 1 P1 1+− b1 (1235) h1 (1170), h1 (1380) hc (1P) K†1B D1 (2420) Ds1 (2536)
1 3 P0 0++ a0 (1450)∗ ƒ0 (1370)∗ c0 (1P)

b0 (1P) K0 (1430)
1 3 P1 1++ a1 (1260) ƒ1 (1285), ƒ1 (1420) c1 (1P) b1 (1P) K†1A
1 3 P2 2++ a2 (1320) ƒ2 (1270), ƒ′2 (1525) c2 (1P) b2 (1P)

K2 (1430) D∗0 (2460)
1 1 D2 2−+ 2 (1670) 2 (1645), 2 (1870) K2 (1770)
1 3 D1 1−− (1700) (1600) (3770) K∗ (1680)‡
1 3 D2 2−− K2 (1820)
1 3 D3 3−− 3 (1690) 3 (1670), 3 (1850) K∗3 (1780)
1 3 F4 4++ a4 (2040) ƒ4 (2050), ƒ4 (2220) K∗4 (2045)
2 1 S0 0+− (1300) (1295), (1440) c (2S) K(1460)
2 3 S1 1−− (1450) (1420), (1680) (2S) (2S) K∗ (1410)‡
2 3 P2 2++ ƒ2 (1810), ƒ2 (2010) b2 (2P) K∗2 (1980)
3 1 S0 0+− (1800) K(1830)

Tab. 6.3: Bekannte Mesonen im Quarkmodell

[3] ⊗ [3] ⊗ [3] = [10] ⊕ [8] ⊕ [8] ⊕ [1]


Dekuplett Oktetts

Durch Erweiterung auf Flavour-SU(4) unter Einbeziehung der c-Quarks (charm) ergeben sich
SU(4)ƒ -Multipletts, wie sie in Abb. 6.8 gezeigt sind.

6.4 Quark-Wellenfunktionen der Mesonen


Wir betrachten im folgenden qq̄-Systeme mit
$ %
u
q= .
d
Up- und down-Quark bilden hierbei ein Isospindublett analog zum Spin, sodaß wir wie bei der
Kopplung zweier halbzahliger Spins mittels

[2] ⊗ [2] = [3] ⊕ [1]

Triplett-Zustände

= ?= ?
|1, 1〉 = =↑ 1 =↑ 2
1 "= ? = ? = ? = ? #
|1, 0〉 = √ =↑ 1 =↓ 2 + =↓ 1 =↑ 2
2
= ?= ?
|1, −1〉 = =↓ 1 =↓ 2
Teilchen und Kerne
200 Starke Wechselwirkung

Pseudoskalare Mesonen (J P = 0− ) Vektormesonen (J P = 1− )


D+s D∗s +
cs̄ cs̄
cū cd̄ cū cd̄
D0 D+ D∗ 0 D∗ +

K0 K+ K∗ 0 K∗ +
ds̄ us̄ ds̄ us̄
0 0
− − +
dū ud̄ + dū ud̄
c ′ J/
sū sd̄ sū sd̄
K− K̄0 K∗ − K̄∗0
dc̄ uc̄ dc̄ uc̄
D− D̄0 D∗ − D̄∗0

sc̄ sc̄
D−s D∗s −

Baryonen (J = 12 ) Baryonen (J = 32 )
ccc Ω++
ccc

Ξ+cc dcc ucc Ξ++


cc
Ξ+cc dcc ucc Ξ++
cc
scc Ω+cc
scc Ω+cc
Σ+c
Λ+c , Σ+c Σ0c ddc uuc Σ++
c
Σ0c ddc uuc Σ++
c udc
udc dsc usc
dsc usc Ξ0c Ξ+c
Ξ0c Ξ+c ssc Ω0c
ssc Ω0c ∆0 ∆+ uuu
p ∆− ddd ∆++
n udd uud
udd uud dds uus
uds Σ0
Σ− Λ, Σ0 uus Σ− Σ+
dds uds Σ+
dss uss
dss uss Ξ− Ξ0

Ξ Ξ0 sss Ω−

Abb. 6.8: SU(4) Flavour-Multipletts.


Teilchen und Kerne
6.4 Quark-Wellenfunktionen der Mesonen 201

sowie einen Singulett-Zustand

1 "= ? = ? = ? = ? #
|0, 0〉 = √ =↑ 1 =↓ 2 − =↓ 1 =↑ 2
2

konstruieren können. Hierbei verwenden wir analog zu Abschn. 6.2.3 die Nomenklatur

= ?
|u〉 = =↑
= ?
|d〉 = =↓ .

Aber wie müssen wir Antiquarks zuordnen? Dazu schreiben wir das Transformationsverhalten
bei Drehung um die z-Achse an:

$ % $ %
u′ u
= exp ( τ3 θ )
d′ d
$ ′ % $ %$ %
u cos θ sin θ u
′ =
d − sin θ cos θ d

Gehen wir nun zu Antiquarks über, indem wir die korrekten dritten Komponenten des Isospins
für ū und d̄ einsetzen. Wir schreiben zunächst verschiedene Antiquark-Dubletts an:

$ % $ %$ %
ū′ cos θ sin θ ū
=
d̄′ − sin θ cos θ d̄
$ ′ % $ %$ %
d̄ cos θ − sin θ d̄
=
ū′ sin θ cos θ ū
$ ′ % $ %$ %
−d̄ cos θ sin θ −d̄
=
ū′ − sin θ cos θ ū

$ %
−d̄
Wir sehen, daß gerade das Antiquarkdublett q = dasselbe Isospin-Transformationsver-
$ % ū
u
halten zeigt wie q = . Folglich können wir folgende Zuordnung treffen:
d

= ? = ?
=d̄ = −=↑
= ?
|ū〉 = =↓ .

So können wir uns die Quark-Wellenfunktionen im Isospinraum wie folgt konstruieren:


Teilchen und Kerne
202 Starke Wechselwirkung

| + 〉 = −|u〉|d̄〉
1 " #
| 0 〉 = √ |u〉|ū〉 − |d〉|d̄〉
2

| 〉 = |d〉|ū〉
1 " #
| 〉 = √ |u〉|ū〉 + |d〉|d̄〉
2

Analog konstruiert man die Vektormesonen | + 〉, | 0 〉, | − 〉 sowie | 〉.

6.5 Diskrete Symmetrien

6.5.1 Raumspiegelung bzw. P -Parität



Die Paritätstransformation P : ⃗r → ⃗r = −⃗r entspricht einer Spiegelung am Ursprung.

• Aus der Quantenmechanik wissen wir, dass der Paritätsoperator

P ψ (⃗r, t) := ψ (−⃗r, t) (6.7)


eine Spiegelung der (nicht-relativistischen) Wellenfunktion am Ursprung bewirkt. Man hat

PP ψ (⃗r, t) := P ψ (−⃗r, t) = ψ (⃗r, t) ⇔ P 2 = 1. (6.8)

P ψ = Pψ , P = ±1

Die Eigenwerte der Parität sind also ±1. P = +1 nennen wir gerade Parität, P = −1 ungerade
Parität.
• Die Wellenfunktion der Bahnbewegung ist eine Kugelflächenfunktion Yℓm (θ , ϕ ), für deren
Transformationsverhalten unter P gilt: θ → − θ , ϕ → ϕ + ⇒ Yℓm ( − θ , + ϕ ) =
(−1)ℓ Yℓm (θ , ϕ )

PBahn = (−1)ℓ

• Unterscheidung von polaren und axialen Vektoren: polare Vektoren transformieren sich unter
der Parität wie der Ortsvektor ⃗r. Axiale Vektoren, auch Pseudovektoren genannt, ändern ihr
Vorzeichen hingegen nicht. Beispiele sind in Tab. 6.4 angegeben.
• Quarks (u, d, s, c, b, t) und Leptonen (e− , − , − , e , , ) haben eine positive innere Parität.
Ihre Antiteilchen, Antiquarks (ū, d̄, s̄, c̄, b̄, t̄) und Antileptonen (e+ , + , + , ¯ e , ¯ , ¯ ) hingegen
haben negative innere Parität.
Teilchen und Kerne
6.5 Diskrete Symmetrien 203

polare Vektoren axiale Vektoren


Ort ⃗r
Drehimpuls ⃗L = ⃗r × ⃗p
Impuls ⃗p = M d⃗
r
dt
⃗ φ (erzeugt von der Ladungsdichte ρ ) Spin 21 σ
Elektrisches Feld ⃗E = −∇ ⃗ × ⃗A
Magnetfeld ⃗B = ∇
Vektorpotential ⃗A (erzeugt von der Stromdichte ⃗ȷ = ρ V)

Tab. 6.4: Beispiele für polare und axiale Vektoren

• Für die Parität von Dirac-Spinoren (Spin- 12 -Teilchen) gilt:

(z.B. benötigen wir zur Betrachtung eines Quark- Antiquark- Bindungszustandes die Paritäts-
information bezüglich eines Dirac- Spinors)
Wir gehen aus von der Dirac-Gleichung:
$ %
γ0 ⃗
+ ⃗γ ⋅ ∇ − M ψ (⃗r, t) = 0 (6.9)
t
nehmen eine Paritätstransformation vor und multiplizieren von links mit γ0 :
$ %
d ⃗
γ 0
γ0 − ⃗γ ⋅ ∇ − M ψ ′ (−⃗r, t) = 0 (6.10)
dt
Unter Verwendung der Vertauschungsrelation γ 0⃗γ = −⃗γ γ 0 erhalten wir somit:
$ %
d ⃗
γ0 + ⃗γ ⋅ ∇ − M γ0 ψ ′ (−⃗r, t) = 0 (6.11)
dt

⇒ γ0 ψ ′ (−⃗r, t) = ψ (⃗r, t) bzw. ψ ′ (⃗r, t) = γ0 ψ (−⃗r, t)

Damit können wir das Verhalten eines Dirac-Spinors unter Paritätstransformationen angeben:

P ψ (⃗r, t) = γ0 ψ (−⃗r, t)

$ %
0 1 0
Dabei ist γ = die erste der vier Diracschen Gamma-Matrizen.
0 −1
Die oberen zwei Komponenten des Dirac-Spinors beschreiben (ruhende) Teilchenlösungen,
die unteren Komponenten entsprechend Antiteilchenlösungen. Also ist die innere Parität ei-
nes Fermions +1, entsprechend die innere Parität eines Antifermions −1. Für Mesonen folgern
wir:

P ψ (qq̄) = (−1)(+1)(−1)ℓ ψ (qq̄) ⇒ P(qq̄) = (−1)ℓ+1

Die Klassifizierung von Skalaren und Vektoren nach ihrer Parität ist in Tab. 6.5 angegeben.
Teilchen und Kerne
204 Starke Wechselwirkung

Drehimpuls / Parität Klassifizierung


0+ Skalar
0− Pseudoskalar
1− Vektor
1+ Pseudo- oder Axialvektor
2+ Tensor
2− Tensor
Tab. 6.5: Klassifizierung von Objekten nach der Parität

Beispiele.

• Parität des Photons: P( ) = −1. Polarvektorcharakter des Photonfeldes ⃗A(⃗r, t)


• Parität der Pionen + (−ud̄), 0 (uū − dd̄), − (ūd) und Kaonen K+ (us̄), K0 (ds̄), K− (ūs), K̄0 (d̄s):
P( ) = P(K) = (−1)0+1 = −1
S-Wellen-Bindungszustände (L = 0) von Quark und Antiquark: Pseudoskalares Meson-Ok-
tett J P = 0− .
Parität der Vektormesonen + , 0 , − , , , K∗ : P( ) = P( ) = (−1)0+1 = −1 ⇒ J P = 1−
• Zum Nachweis der negativen Parität des geladenen Pions: betrachten wir die Deuteron-
spaltung durch Pioneinfang. Das Deuteron ist ein pn-Bindungszustand (s-Welle):

+ d → nn
Der Drehimpuls im Eingangskanal ist dabei ℓ = 0. Die Pionen werden aus der S-Schale
pionischer Atome eingefangen.

P(nn) = (−1)ℓ=0 P( )P(d)


↑ ↑
=1 =1

Ein nn-Systeme aus zwei identischen Teilchen muss dem Pauli-Prinzip genügen, daher muss
seine Wellenfunktion ungerade sein unter Teilchenaustausch:

−1 = (−1)ℓnn +snn +1 ℓnn + snn gerade


Die Drehimpulserhaltung verlangt J = 0 + 1 = 1 ⇒ ℓnn = snn = 1 (Pion und Deuteron koppeln
zu J=1).

P(nn) = (−1)ℓnn = −1 = P( )

6.5.2 Zeitumkehr
Bei der Zeitumkehr wird die Zeitachse umgedreht: T : t → −t. Sie bedeutet eine Umkehr von
Bewegungsrichtungen.

• Impulse drehen sich um: ⃗p → −⃗p


• Drehimpulse und Spins drehen sich um: ⃗L → −⃗L, σ
⃗ → −σ

Teilchen und Kerne
6.5 Diskrete Symmetrien 205

• einlaufende und auslaufende Teilchen werden vertauscht (Anfangszustand ⇔ Endzustand)

Man spricht auch vom Prinzip des detaillierten Gleichgewichts, wenn die Matrixelemente für
eine Reaktion und ihre Umkehrreaktion gleich sind.

Beispiele.

• Wellenfunktionen eines freien Teilchens

T
Ψ(⃗x, t) = exp( ⃗p ⋅ ⃗x − Et) ⇒ exp(− ⃗p ⋅ ⃗x − Et)

⇒ T Ψ(⃗x, t) = Ψ∗ (⃗x, −t)

• Zeitumkehr-Transformation des Dirac-Spinors (( γ0 t


⃗ − M)ψ (r, t) = 0):
+ ⃗γ ∇

T ψ (⃗r, t) = γ 1 γ 3 ψ ∗ (⃗r, −t)

• pp ↔ d + : Die Wirkungsquerschnitte σ (pp → d + ) und σ (d + → pp) sind gleich bis auf


kinematische Faktoren (Phasenraum, Flussfaktor, Spinmultiplizitäten).

6.5.3 Ladungskonjugation bzw. C -Parität

Die Ladungskonjugation führt Teilchen in ihre jeweiligen Antiteilchen über.

• Quarks q = u, d …

C |q〉 = |q〉 C |q〉 = |q〉

• Leptonen l=e, ,. . .

C |l〉 = |l〉 C |l〉 = |l〉

• Teilchen α , die ihre eigenen Antiteilchen sind (α = , 0 ) oder ladungsneutrale Teilchen-


Antiteilchen-Bindungszustände können Eigenzustände der C -Parität sein:

C |α 〉 = Cα |α 〉 mit Cα = ±1
Teilchen und Kerne
206 Starke Wechselwirkung

Ladungskonjugation des Photons: Man betrachtet hierzu die Ladungsquellen in den Maxwell-
Gleichungen. Durch die Operation C ändern Ladungen ihr Vorzeichen, ebenso ändern das elek-
trische Feld ⃗E, das elektrische Potential Φ, wie auch elektromagnetische Ströme ⃗j ihre Vorzei-
chen:

C (φ , ⃗A) = −(φ , ⃗A) elektromagnetische Potentiale


C (⃗E, ⃗B) = −(⃗E, ⃗B) elektrische und magnetische Felder
Folglich gilt:

C | 〉 = −| 〉 C( ) = −1

Ladungskonjugation eines neutralen qq̄-Systems: C vertauscht die Rollen von Quark und
Antiquark. Im Ortsraum entspricht diese Vertauschung genau der Parität (−1)L . Im Spinraum
ergibt sich insgesamt (−1)S und damit ein symmetrischer Triplettzustand
1 . / 2
↑↑, √12 ↑↓ + ↓↑ , ↓↓ mit S = 1, sowie ein antisymmetrischer Singulettzustand √12 (↑↓ − ↓↑
) mit S = 0.

C(qq̄) = (−1)L+S

C( 0 ) = +1, 0
→ 2 , 0 ̸→ 3
C( 0 , ) = −1 können direkt ans Photon koppeln

(Diese Paritätsaussage gilt natürlich für alle Fermion- Antifermion- Paare.)

Ladungskonjugation des Dirac-Feldes:


. " µ # /
γµ − Aµ − M ψ = 0|∗
. " µ # /
γµ + Aµ − M ψc = 0

. " µ
# /
γ 2 γµ∗ − Aµ − M ψ ∗ ( γ 2 )2 = 1

γ 2 γ2∗ = −γµ γ 2 (γ 2 imaginär, γ0,1,3 reell)

. " µ
# /
γµ − Aµ − M γ 2 ψ ∗ = 0

Ladungskonjugierter Spinor: ψc = γ 2 ψ ∗
Teilchen und Kerne
6.5 Diskrete Symmetrien 207

G -Parität: Für Isospin-Multipletts, welche Teilchen und zugehörige Antiteilchen umfassen,


führt man die G -Parität ein:

+ π ÎZ
G =C

Ladungskonjugation

Der Phasenfaktor exp(+ π ÎZ ) vermittelt eine Drehung im Isospinraum um bezüglich der z-
Achse. Betrachten wir die Wirkung auf (u, d)-Quarks:

$ %
Îz τ 0 1
= 2 z = cos + τz sin =
2 2 −1 0

+ Îz
(u, d, ū, d̄) = (−d, u, −d̄, ū)

G -Parität wirkend auf (u,d)-Quarks:

G (u, d, ū, d̄) = (−d, u, −d̄, ū)

G (q̄q) = (−1)L+S+I

I stellt dabei den Isospin des qq̄-Systems dar.


Betrachten wir nun einen neutralen Zustand mit I3 = 0,

− Îz
|I = 0, I3 = 0〉 = (+1)|I = 0, I3 = 0〉
− Îz
|I = 1, I3 = 0〉 = (−1)|I = 1, I3 = 0〉
⎛ ⎞⎛ ⎞ ⎛ ⎞
−1 0 0 0 0
⎝ 0 −1 0 ⎠ ⎝ 0 ⎠ = ⎝ 0 ⎠
0 0 −1 1 −1

G -Parität verschiedener Teilchen: Pion: G ( ) = −1 (L = S = 0, I = 1), -Meson: G ( ) = +1


(L = 0, S = I = 1), -Meson: G ( ) = −1 (L = I = 0, S = 1), -Meson: G ( ) = +1 (L = S = I = 0),
-Meson: G ( ) = −1 (I = L = 0, S = 1)
Damit hat man Auswahlregeln aufgrund der G -Paritätserhaltung der starken Wechselwirkung,
beispielsweise: → 2 , → 3 , → 3 , aber: ̸→ 3 in der starken Wechselwirkung.
Teilchen und Kerne
208 Starke Wechselwirkung

6.5.4 Das CPT-Theorem


Unter sehr allgemeinen Bedingungen kann man für jede lokale Quantenfeldtheorie zeigen:

In jeder lokal lorentzinvarianten Feldtheorie ist das Produkt CPT eine exakte Sym-
metrie bzw. für alle physikalischen Systeme mit beliebiger Wechselwirkung gilt die
Invarianz unter der kombinierten Transformation C P T .

Es ergeben sich unmittelbar einige Folgerungen:

• Die Lebensdauern und Massen von Teilchen und Antiteilchen müssen gleich sein.
• Falls ein Prozeß nicht invariant unter einer der Operationen C , P oder T ist, ist er ebenfalls
nicht invariant unter einer der beiden Restlichen.

Tabelle 6.6 enthält eine Übersicht, welche Größen von welchen Wechselwirkungen erhalten
werden.

Wechselwirkung
stark el.-magn. schwach
Energie, Impuls, Drehimpuls # # #
elektrische Ladung, Leptonzahl, Baryonzahl # # #
Strangeness s # # —
Charm c # # —
Beauty b, Truth t # # —
starker Isospin I # — —
Parität P # # —
Ladungskonjugation C # # —
Zeitumkehr T # # —
C P bzw. T # # —
CPT # # #

Tab. 6.6: Übersicht über die Erhaltungssätze

6.6 Von Quarks zu Hadronen


Nachdem wir uns über die Quarks als Bausteine der Hadronen klar geworden sind und Flavour,
Confinement, Farbe und die theoretischen Grundlagen im Rahmen der Gruppentheorie bespro-
chen haben, wollen wir nun zur Synthese übergehen und vom experimentellen Standpunkt se-
hen, wie Quarks in e+ e− -Kollisionen entstehen und wie sich daraus Hadronen formieren.
Teilchen und Kerne
6.6 Von Quarks zu Hadronen 209

6.6.1 Hadronisierung aus dem Vakuum


Haben zwei Quarks Relativimpulse, die größer sind als die Masse leichter Quarks, so kann de-
ren Energie zur Erzeugung von qq̄-Paaren aus dem Vakuum genutzt werden, wie es in Abb. 6.11
gezeigt ist. Diese neuen Quarks lagern sich an die ursprünglichen Quarks an und bilden Hadro-
nen. Wird nur ein Teil der in der Reaktion verfügbaren Überschussenergie zur Erzeugung von
Quarks aus dem Vakuum genutzt, so werden alle erzeugten Hadronen in Richtung der beiden
ursprünglich erzeugten Quarks mitgeschleift“ (Abb. 6.9), und es entstehen Teilchenstrahlen,

sogenannte Jets, welche sich gut mit einem 4 -Detektor nachweisen lassen.

Fragmentation von Quarks. Sei z der Bruchteil des Impulses der ursprünglich erzeugten
Quarks, den ein Hadron im Jet erhält. Der Zwei-Stufen-Prozess für die Erzeugung eines Ha-
drons h kann wie folgt geschrieben werden:

dσ (e+ e− → h + X) > . /
= σ (e+ e− → qq̄) Dhq (z) + Dhq̄ (z) , (6.12)
dz q

wobei über alle Quarks q summiert wird, aus denen das Hadron h fragmentieren kann. Dhq (z)
sind die sogenannten Fragmentationsfunktionen und stellen die Wahrscheinlichkeit dar, in der
Fragmentation eines Quarks (oder Antiquarks) ein Hadron mit dem Impulsanteil z zu finden.
Dabei gilt für z:

Eh Eh 2Eh √
z= = = mit Q = s (6.13)
Eq Ebeam Q

D(z) (Quark → Hadron) ist das Analogon zur Strukturfunktion F(x) (Hadron → Quark). Wegen
der Impulserhaltung gilt

>0 1
z Dhq (z) dz = 1 , (6.14)
h 0

wegen der Erhaltung der Wahrscheinlichkeit gilt

>0 1 . /
Dhq (z) + Dhq̄ (z) dz = nh . (6.15)
q zmin

Dabei ist zmin die Schwellenenergie 2mh /Q und nh die mittlere Multiplizität der Hadronsorte h
mit Masse mh .
Man kann zeigen, dass im sog. 2-Jet Prozess
$ %
Q
nh ∝ log
2mh

gilt. Außerdem kann abgeleitet werden:


Teilchen und Kerne
210 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.9: Typisches 2-Jet- und 3-Jet-Ereignis, gemessen mit dem JADE-Detektor am e+ e− -Speicherring PETRA.
Die Bilder zeigen eine Projektion senkrecht zur Strahlachse, die sich im Zentrum des zylinderförmigen Detektors
befindet. Gezeigt sind Spuren geladener (durchgezogene Linien) und ungeladener (gepunktete Linien) Teilchen,
die aufgrund ihrer Signale in der innen angeordneten Drahtkammer und des sie umgebenden Bleiglaskalorime-
ters rekonstruiert wurden. In dieser Projektion ist die Konzentration der erzeugten Hadronen auf zwei bzw. drei
Teilchenbündel deutlich zu erkennen (aus [Po96]).
Teilchen und Kerne
6.6 Von Quarks zu Hadronen 211

Abb. 6.10: Gegenüberstellung der Strukturfunktion und der Fragmentationsfunktion

& 2
" h h
#
1 dσ (e+ e− → h + X) z
q q D q (z) + D q̄ (z)
= & 2 = ƒ(z)
σ dz z
q q

mit σ = σ (e+ e− → qq). Für die Ableitung wird benötigt:

σ (e+ e− → qq) = 3Zq2 σ (e+ e− → + − )


> >
σ (e+ e− → h + X) = σ (e+ e− → qq) = 3 Zq2 σ (e+ e− → + −
)
q q

Die Hadronisierung hängt also nicht von Q2 ab, sondern nur von z (Scaling, analog wie bei der
Strukturfunktion F(x), für Vergleich siehe Abb: 6.10). Aber auch ƒ(z) weist eine kleine aber
bedeutende Abhängigkeit von Q2 auf. Hier erzeugt die Gluonenemission eine Skalenbrechung.
Abweichungen des Skalierungverhaltens geben Anlass zur Suche nach neuen, schweren Quarks.
An
√ der Energieschwelle, an der die Erzeugung eines solchen Quarks gerade möglich wird
( s " 2mQ ), ist die verbleibende Restenergie, die für die kinetische Energie aufgewendet wer-
den kann, klein. Das erzeugte, fast statische Quark zerfällt schnell isotrop in viele Hadronen,
welche allesamt kleine z aufweisen.

Prozesse höherer Ordnung: Analog zur e− -Bremsstrahlung kann in der starken Wechselwir-
kung Bremsstrahlung auftreten. Möglich sind QED-Bremsstrahlung (Abstrahlung eines Pho-
tons) und QCD- oder Gluonbremsstrahlung (Abb. 6.11). Gluonbremsstrahlung führt zur Beob-
achtung von sog. 3-Jet-Ereignissen, da das abgestrahlte Gluon einen eigenen Jet bildet, falls es
eine genügend hohe Energie besitzt. Hierbei kommt es zur Generation neuer Quark- Antiquark-
Paare aus dem Vakuum, welche nun wieder fragmentieren und hadronisieren (siehe Abb. 6.12).
Dies führt zur Entstehung des 3. Jets. Man beachte allerdings, daß für das Auftreten der Gluon-
bremsstrahlung das zugrunde liegende Gluon mindestens die Energie zur Bildung eines Quark-
Antiquark- Paares besitzen muß, zumal Gluonen ebenfalls dem Confinement unterliegen und
nicht frei auftreten (vgl. Photonen). Der erste direkte“ Nachweis des Gluons gelang bei PE-

Teilchen und Kerne
212 Starke Wechselwirkung

q q̄

e+ e−

Abb. 6.11: Abstrahlung eines weichen“ Gluons (Gluonbremsstrahlung bei Elektron- Positron- Kollisionen)

Abb. 6.12: Abstrahlung von Bremsgluonen, Erzeugung neuer Quark- Antiquark- Paare, sowie deren Hadronisation.

TRA4 . Durch die Gluonabstahlung wird der Wert von R, wie er uns zuerst in Gl. (6.1) begegnete,
verändert:

Nq
> $ %
αs (Q2 )
R=3 z2qi 1+ (6.16)
i=1
π

Die Abhängigkeit des Verhältnisses 3-Jet/2-Jet von s wird auch zur Bestimmung der Q2 -
Abhängigkeit von s (Q2 ) benutzt (siehe Abschn. 6.13.5). Bei PETRA ist s (Q2 ) ≈ 0.1 − 0.2,
d. h. ca. 10 - 20 % der Ereignisse haben drei Jets.

6.7 Quarkonia (qq̄-Zustände)

6.7.1 Resonante Produktion von Vektormesonen


Im Folgenden betrachten wir die resonante Produktion von flavourneutralen Mesonen (qq̄ mit
Flavour(q) = Flavour(q̄)). Dabei bildet sich bei der Annihilation von Elektronen und Positronen
4
http://www-hasylab.desy.de/facility/petra/main.htm
Teilchen und Kerne
6.7 Quarkonia (qq̄-Zustände) 213

ein resonanter Zwischenzustand X, der wiederum in die Endzustände zerfällt. Dieser unterliegt
der Resonanzbedingung:


Ee+ + Ee− = s ∼ Mx ⋅ c2
Gesucht ist nun der Wirkungsquerschnitt σ der Reaktion e+ e− → → X → a + b.
Betrachte einen Zustand X, der mit der Lebensdauer τ in ein Elektron und ein Positron zerfällt.
Es gilt:

1
τ= =
Γ Γ
natürliche Einheiten

Für die Zeitabhängigkeit der Wellenfunktion gilt nach dem exponentiellen Zerfallsgesetz:

|Ψ(t)|2 = |Ψ(t = 0)|2 e−Γt


und somit:

Γt
Ψ(t) ∝ e− Mt e− 2
Der Term e− Mt gibt die zeitliche Entwicklung der Wellenfunktion des freien Teilchens wieder,
Γt
der Term e− 2 die Dämpfung durch den Zerfall.
Mit der Schwerpunktsenergie E von Elektron und Positron gilt für die Fouriertransformierte
χ (E):
0
1
χ (E) = Ψ(t)e Et dt ∝ Γ
E−M+ 2

D.h. für die zeitumgekehrte Reaktion e+ e− → X gilt:

A
σ = |χ (E)|2 = " Γ #2
(E − M)2 + 2

Für die Produktion von Vektormesonen gilt die Breit-Wigner-Formel:

3πλ 2 Γi Γƒ
σ (E) = 2
(6.17)
4 (E − E0 )2 + Γtot /4
Dabei bedeuten:
" #
Γtot die totale Breite eines Zustandes τ
berücksichtigt alle Arten eines Teilchens zu zerfallen
Γi,ƒ die partiellen Breiten,
Γi /Γtot Wahrscheinlichkeit für den Zerfall von X nach e+ e− ,
Γƒ /Γtot Wahrscheinlichkeit für den Zerfall von X nach a + b,
λ De-Broglie-Wellenlänge von e+ , e− im CMS,
E0 Resonanzenergie des Zustandes X (E0 = Mc2 ).
Teilchen und Kerne
214 Starke Wechselwirkung

Name Quark-Wellenfunktion
√ M[MeV/c2 ] Γtot [MeV/c2 ]
1/√2(uū − dd̄) 770 150.7
1/ 2(uū + dd̄) 781.94 8.41
ss̄ 1019.413 4.43
J/ cc̄ 3096.88(4) 0.087(5)
bb̄ 9460.37(21) 0.0525(18)

Tab. 6.7: Einige Vektormesonen

Das X besitzt (automatisch) die Quantenzahlen des Photons, Drehimpuls 1, Eigenparität nega-
tiv: J P = 1− . Es werden also nur Mesonen mit Spin 1, sogenannte Vektormesonen, produziert,
Beispiele siehe Tab. 6.7. Bis auf das -Meson haben diese Mesonen kleine Zerfallsbreiten und
σ
tragen zum Wirkungsquerschnitt, das heißt zum Meßwert von R = σe+ e+− →Hadronen , nur lokal bei,
e e− →µ + µ −

also bei bestimmtem festen Wert von s. Außerhalb der Resonanzregion findet die Hadronpro-
duktion via Quarkfragmentation statt. Aus den großen Massenunterschieden der Vektormeso-
nen kann man auf die unterschiedlichen Quarkmassen schließen.

6.7.2 Zerfall von Vektormesonen


Betrachten wir flavourneutrale Systeme (Flavour-Quantenzahl = 0, Ladung = 0), wie beispiels-
weise:

1 " #
= √ uū + dd̄
2
1 " #
= √ uū − dd̄
2
= ss̄

Diese Systeme haben Spin-Parität J P = 1− und ihr Zerfall erfolgt gemäß Abb. 6.13. Die Abbil-
dung zeigt ein Flavorflussdiagramm, d.h. ohne die (meist starken) Wechselwirkungen. Der dort
gezeigte Zerfalls-Mechanismus läuft in etwa in 90% aller Fälle ab.

Γhadronisch
≈ 90%
Γelektromagnetisch

Für den Zerfall → 3 ist der Phasenraum klein und somit ergibt sich eine kleine Breite
Γ ≈ 11 MeV.
Wegen der Erhaltung der Quantenzahlen (Isospin und Ladungsparität, allg. die G -Parität, siehe
Kap. 6.5.3) kann das -Meson auch in zwei Pionen zerfallen, und besitzt wegen des größeren
Phasenraumes bei diesem Zerfall eine Breite von Γ ≈ 150 MeV. Das -Meson dagegen zerfällt
zu etwa 84% gemäß dem in Abb. 6.14 gezeigten Schema in zwei K-Mesonen. Die Breite beträgt
hier Γ ≈ 4 MeV: Der Phasenraum ist wegen der großen Masse der K-Mesonen klein. Der
Teilchen und Kerne
6.7 Quarkonia (qq̄-Zustände) 215

+ 0 −

d d

u u

Abb. 6.13: Zerfall des in drei Pionen

+ 0 −
− +
K K
d d
u
u
s s
s

Abb. 6.15: Nach Zweig-Regel unterdrückter Zerfall


Abb. 6.14: Zerfallsschema des -Mesons des ’s in drei Pionen

phasenraummäßig günstigere Zerfall analog zum dem des ’s, wie er in Abb. 6.15 gezeigt ist,
ist unterdrückt. Diese Unterdrückung von Prozessen mit nichtverbundenen Quarklinien nennt
man nach dem Physiker George Zweig die Zweig-Regel: Der Zerfall → 3 macht nur etwa
15% aller Zerfälle aus.

6.7.3 Leptonische Zerfälle von Vektormesonen

Die Kopplung von Quarks an Leptonen ist nur über die elektromagnetische ( ) oder die schwa-
che Wechselwirkung (Z0 und W) möglich. Hier ist der elektromagnetische Fall dominant.
Um zu zeigen, dass die Zuordnung der Flavour-Spin-Wellenfunktionen zu den Mesonen richtig
ist und dass ferner die Quarkladungen durch das R-Verhältnis korrekt bestimmt sind, messen
wir den Zerfall von Vektormesonen in Leptonenpaare über die elektromagnetische Kopplung,
wie er in Abb. 6.16 skizziert ist.
Betrachten wir folgende Zerfälle:
Teilchen und Kerne
216 Starke Wechselwirkung

e+ , +
, +

e− , −
, −

Abb. 6.16: Ein Vektormeson qq̄ zerfällt in ein Lepton-Antilepton-Paar

→ e+ e− ( + −
)
0
→ e+ e− ( + −
)
→ e+ e− ( + −
)

Die Übergangsrate wird durch die partielle Zerfallsbreite (Γe+ e− ) ausgedrückt:

16πα 2 Z 2
+ −
Γ(V → e e ) = 2
|ψ (0)|2 (6.18)
MV

Hier symbolisiert V Vektormesonen wie , , . Es gilt:

= =2
=> =
= =
Z2 = = ai Zi =
= =
i

wegen der Kopplung an Quarkladungen Zi mit dem Gewicht ai . Hierbei ist die kohärente Sum-
me zu nehmen, da die Wellenfunktionen der verschiedenen Quarkflavours ununterscheidbar
sind. Ferner bedeuten
1 1
MV2
Propagator des Photons ⋅ Phasenraum (Zweikörperzerfall) Q4
Q2 , mit Q2 = MV2
|ψ (0)|2 Wellenfunktionsüberlapp am Ursprung von q und q̄
(man beachte die Punktförmigkeit des Photons)
Mit der vernünftigen Annahme einer SU(3)-Flavour-Symmetrie ergibt sich:

|ψ (0)|2
M ≈M ≈M ⇒ ≈ konstant ⇒ Γe+ e− ∝ Z 2 ,
MV2

d. h. die leptonische Breite hängt nur von den Quarkladungen und ihren Gewichten ab. Insbe-
sondere gilt:
Teilchen und Kerne
6.7 Quarkonia (qq̄-Zustände) 217

= =2 G 7 $ %8H2
=> = 1 2 1 1
= =
für : = ai Zi = = √ − − =
= = 2 3 3 2
i
= =2 G 7 $ %8H2
=> = 1 2 1 1
= =
für : = ai Zi = = √ + − =
= = 2 3 3 18
i
= =2 $ %
=> = 1
2
1
= =
für : = ai Zi = = =
= = 3 9
i

und damit für Γe+ e− ( 0 ) : Γe+ e− ( ) : Γe+ e− ( ) = 9 : 1 : 2 . Gemessen wurde in guter Über-
einstimmung 11 : 1 : 2, 2 . Somit können Ladungen und relative Phase der Quarks in der
Wellenfunktion gemessen werden. Analog können Vektormesonen auch in e+ e− -Stößen erzeugt
werden.

6.7.4 Schwere Vektormesonen (Quarkonia)


Aus dem R-Plot (Abb. 6.5) ist klar ersichtlich, dass auch Vektormesonen mit schweren Quarks
(M > 3 GeV) in e+ e− -Stößen generiert werden können (natürlich beschränkt auf solche mit
den Quantenzahlen des Photons). Bis 1974 waren nur 3 verschiedene Quarks gefunden (als
Vektormesonen der Klasse der ρ −, ω −, φ − Mesonen). Die Theorie sagte jedoch voraus, dass
es mindestens 4 Quark-Flavours geben muss (aufgrund der schwachen Wechselwirkung, siehe
Kapitel 7).
Die Suche nach schweren Quarks, allen voran nach dem Charm-Quark, fand simultan am SPE-
AR5 -Speicherring am SLAC in Stanford und an einem Protonenstrahl (28 GeV) des AGS6 am
Brookhaven National Laboratory statt. Das Wettrennen ging durch gleichzeitige Veröffentli-
chung [Au74a, Au74b] der J/ -Entdeckung (Abb. 6.17) zu Ende. Für diese Entdeckung erhiel-
ten 1976 Richter (SLAC) und Ting (BNL) den Nobelpreis7.
In Brookhaven wurden der leptonische Zerfall des Vektormesons betrachtet, indem schwere Tar-
gets mit Protonen bombardiert und dann der Endzustand von e+ e− oder + − durch Bildung der
invarianten Masse, also des Betrages der Summe der 4-Impuls-Vektoren der beiden Leptonen,
untersucht wurden:

p + A → cc̄ + X = J/ + X → e+ e− + X

Hierdurch ist ein weiter Massenbereich zugänglich ohne das Experiment ändern zu müssen, der
Wirkungsquerschnitt hingegen ist klein.
Am SLAC dagegen wurde mühsam die Schwerpunktsenergie des Colliders variiert, um das
Vektormeson resonant zu erzeugen. Der Wirkungsquerschnitt für getrennte Endzustände bei
diesem Experiment ist in Abb. 6.20 aufgetragen.
5
http://www.slac.stanford.edu/welcome/spear.html
6
http://www.agshome.bnl.gov/
7
http://mirror.nobel.ki.se/laureates/physics-1976.html
Teilchen und Kerne
218 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.17: Wie das Ψ zu seinem Namen kam. . . Beispiel für die Beobachtung eines Zerfalls J/ (3.7) → J/ (3.1) +
+
+ − in einem Funkenkammer-Detektor. Das J/ (3.1) zerfällt in e+ + e− . Die Spuren (3) und (4) gehören zu den
relativ niederenergetischen Pionen (150 MeV), (1) und (2) zu den 1.5 GeV-Elektronen. Das Magnetfeld und die
Strahlröhre des SPEAR stehen senkrecht auf der Zeichenebene. Die eingezeichnete Bahn jedes der vier Teilchen
ist die beste Anpassung durch die beobachteten Funken, durch Kreuze symbolisiert (nach [Ab75]).

Abb. 6.18: Die Entdeckung des J/ am 28 GeV-AGS des Brookhaven National Laboratory. Man sieht die schmale
J/ -Resonanz in der Verteilung der invarianten Masse des e+ e− -Paars, das in Reaktionen von Protonen an einem
Beryllium-Target erzeugt wurde (nach [Au74a]).
Teilchen und Kerne
6.7 Quarkonia (qq̄-Zustände) 219

Abb. 6.19: Schematischer Aufbau zur Produktion des charm-Quarks in Brookhaven

Letztendlich fand man das J/ bei M ∼ 3, 1 GeV/c2.


Man fand nicht nur den Grundzustand des Mesons, sondern auch angeregte Zustände, welche
unter Emission von Pionen in den Grundzustand übergehen.

+ −
Ψ(3.7) → Ψ(3.1) + + mit Ψ(3.1) → e+ e−

Allerdings überraschte, daß die Breite des neuen Vektormesons sehr klein war. Dies war nur
durch einen neuen Flavour zu erklären, charm genannt. Der Zerfall des J/Ψ erfolgt analog zum
(Abb. 6.21). Der Zerfall in zwei D-Mesonen mit charm (analog zu → K+ K− ) ist nicht
möglich, da die Masse des J/ (3.1) kleiner ist, als die zweier D Mesonen (M(J/ (3.1)) < 2MD ).
Der Zerfall in drei Pionen ist möglich, kann aber aus Symmetriegründen (Abb. 6.22) nur über
den Austausch von drei Gluonen erfolgen und ist damit stark unterdrückt (Zweig-Regel), da
Matrixelement proportional zu αs6 < 1. Hierdurch wird die geringe Breite von Γ(J/ ) = 4 keV
verständlich.
Teilchen und Kerne
220 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.20: Resonante Erzeugung des J/ am SLAC. Wirkungsquerschnitt für getrennte Endzustände: (a) Hadro-
nen, (b) + − und (c) e+ e− . Die Resonanz wurde in e+ e− -Kollisionen am Speicherring SPEAR am SLAC erzeugt
(nach [Au74b]).

+ 0 −
D D̄
d d d
u
c c

J/ J/
6
nicht möglich möglich, aber ∼ s

Abb. 6.21: Zerfall des J/Ψ


Teilchen und Kerne
6.7 Quarkonia (qq̄-Zustände) 221

Analoge Betrachtungen gelten für ein System aus b-Quarks (bb̄, bzw. Bottomium genannt),
welches 1977 am Fermilab8 gefunden wurde. Neben dem Grundzustand mit

m( 1s ) ≈ 9.47 GeV , Γtot = 52 keV

wurden drei schmale angeregte Zustände gefunden. Das B-Meson ist als leichtestes bq̄-Meson
mehr als halb so schwer wie das ,

m < 2mB ,

so daß Zerfälle in zwei B-Mesonen nicht möglich sind. Wie steht es nun mit den leptonischen
J/
Breiten? Es gilt für die totalen Breiten Γtot ≪ Γtot , jedoch wird für die leptonischen Breiten
gemessen:

$ %2
2 4
ΓeJ/− e+ = 5.26 keV Theorie : Z = 2
=
3 9
$ %2
1 1
Γe− e+ = 1.32 keV Theorie : Z 2 = =
3 9
! 1 J/
Und damit: Γee ≈ Γee ≈ Γee
4

Im Rahmen des Quarkmodells ergibt sich also eine hervorragende Übereinstimmung.


Die Besonderheit der schweren Quarksysteme hat ihre Ursache im qq̄-Potential der QCD, das
in den folgenden Abschnitten näher besprochen wird. Die Quarkonia erlauben präzise Spektro-
skopie mit schmalen Anregungszuständen.

6.7.5 Quarkonia und die Zweig-Regel


Analog zum Orthopositronium (J P = 1− , siehe Abschn. 6.8.1) kann das J/ (1− ) nur elektro-
magnetisch (leptonischer Zerfall Γee ) oder hadronisch über einen Zwischenzustand aus drei
Gluonen zerfallen. Die Zweig-Regel (Abschn. 6.7.2) sorgt für kleine Zerfallsbreiten von Char-
monium und allen anderen Quarkonia mit

mqq̄ $ 2mqx .

leichtestes Meson
mit Flavour q

Was können wir aus dem Vergleich von Γee und Γhadr lernen? Aus dem leptonischen Vektorme-
sonenzerfall wissen wir:

16
Γ( → → e+ e− ) = 2
|ψ (0)|2 Z 2 ≈ 5 keV (6.19)
M2
8
http://www.fnal.gov/
Teilchen und Kerne
222 Starke Wechselwirkung

e+ e−

c J/ J/
c c̄ c c̄ c c̄
1 3 3
S S S
2 3
∝ ∝ s

Abb. 6.22: Mögliche Zerfallsmoden von Quarkonia. Der hadronische Zerfall könnte wegen der Farberhaltung in
zwei oder drei Gluonen erfolgen. Wegen J P (g) = J P (cc̄) = 1− ist aufgrund der Paritätserhaltung jedoch nur der
Zerfall in drei Gluonen möglich.

Aus dem Zerfall des Orthopositroniums können wir in Analogie ableiten:

160( 2 − 9)
Γ( → 3g → Hadronen) = 3
s |ψ (0)|2 ≈ 70 keV
81M 2
5
Abweichend von Gl. (6.19) erhält man einen Faktor 18 aus der Farbladung in qq̄ → 3g. Außer-
dem geht natürlich → s . Der Vergleich der beiden Zerfallsbreiten hilft bei der Bestimmung
der Kopplungskonstante s und den Ladungen Zi . Experimentelle Beobachtung:

Γee /Γtot Γee [keV] s


ss̄ 2 ⋅ 10−3 1.31 ± 0.06 0.44
cc̄ 7.4 ⋅ 10−2 4.7 ± 1.0 0.21
bb̄ 3.0 ⋅ 10−2 1.2 ± 0.2 0.18

Hieraus können wir folgern:

1. Der leptonischer Zerfall ist auch bei 10 GeV noch proportional zu Z 2 :


c-Quark: Z = + 32 b-Quark: Z = − 13
2. s ≫
3. s hängt von der Energieskala Q2 , d. h. der im Zerfall zur Verfügung stehenden Energie,
ab und wird mit steigender Energie kleiner. Dies nennt man asymptotische Freiheit, d. h.
bei sehr hohen Energien (kleinen Abständen) bewegen sich die Quarks frei.

Bemerkungen zum Zerfall des J/

Der Zerfall J/ → DD̄ ist auf Grund der Energieerhaltung wie schon oben angemerkt nicht
möglich. Der Zerfall des 11 S0 Zustandes ηC → bzw. ηC → gg →Hadronen ist wegen der
Erhaltung der Quantenzahlen (J P ( ) = 1− ) möglich, da das ηC positive Parität hat. Der 13 S0
Teilchen und Kerne
6.8 Das Potential der starken Wechselwirkung für Quarks 223

Zustand kann dagegen nur über J/ → bzw. J/ → ggg zerfallen. Die Paritätserhaltung er-
fordert eine Kopplung an eine ungerade Zahl von Eichbosonen (g, ), Farb- und Impulserhaltung
erfordern ng, > 1, also mehr als ein Eichbosonen.
Zusätzlich muss die Farbe auch erhalten sein. Es sind also nur farbneutrale Endzustände möglich.

Partikel J P
J/ 1−
g 1−
1−

Man erkennt aus der obigen Tabelle, dass das J/ nur in eine ungerade Anzahl von Photonen
bzw. Gluonen zerfallen kann.

J/ → ∗ gg → +Hadronen ∝ αs2 ⋅ α
J/ → ∗ → Leptonen ∝ ⋅α 2 ≈ 30%
J/ → ggg → Hadronen ∝ ⋅αs3 ≈ 70%

Der schwache Zerfall J/ → Ds + e− + ¯ e hat keine praktische Bedeutung.


Insgesamt sind Zustände des Charmonium schmal. Für J/ gilt z.B:

Γ ≈ 88keV bei einer Masse von M ≈ 3, 1GeV

Für die zweite Anregung hingegen gilt:

Γ ≈ 24MeV bei einer Masse von M = 3, 770GeV

Bei Bottoniumsystemen kann erst der dritte angeregte schnell Zustand zerfallen:

(4s) → BB

6.8 Das Potential der starken Wechselwirkung für Quarks

6.8.1 Wasserstoffatom und Positronium


Als Analogie zum qq̄-System studieren wir zunächst das Wasserstoffatom und das Positronium,
wie sie in Abb. 6.23 skizziert sind.
Unter der Annahme eines kurzreichweitigen ein Gluon Austausches (analog zum ein Photon-
Austausch) lassen sich beide Systeme durch das Potential

c
V=− ,
r
beschreiben. Die Systeme unterscheiden sich aber in ihren Massen und Radien:
Teilchen und Kerne
224 Starke Wechselwirkung

p e− e+ e−
!c 2!c
α ⋅ me c2 α ⋅ me c2

Wasserstoff-Atom Positronium

Abb. 6.23: Wasserstoff und Positronium

m1 m2 me
reduzierte Masse: µred = , µred (H) ≈ me , µred (e+ e− ) =
m1 + m2 2
c
Bohrscher Radius: rBohr = ≈ 0.5Å für das H-Atom
αµred c2

Die entarteten Energiezustände ergeben sich zu:

Bahndrehimpuls
α 2 µred c2 ↓
En = − mit n = N + ℓ + 1
2n2 ↑
radiale
Knotenzahl

Die Entartung der Energieniveaus wird aufgehoben durch:

2
Spin-Bahn-Wechselwirkung (Feinstruktur) ∝
2 p
Spin-Spin-Wechselwirkung (Hyperfeinstruktur) ∝ ⋅ e

EHFS
= 5 ⋅ 10−7
∆E = E2 − E1
Wasserstoff und Positronium haben ähnliche Termschemata (Abb. 6.24), es gibt jedoch einige
Unterschiede:

+ − 1
Ene e = EnH
2
e+ e− H
rBohr = 2rBohr
+ −
e e H H
EHFS ∼ p / e EHFS ≈ 2000 ⋅ EHFS

Damit ist die Hyperfeinaufspaltung aufgrund der Spin-Spin-Wechselwirkung im Positronium


ähnlich groß wie die Feinstrukturaufspaltung, da die Masse des Positrons viel kleiner als die
des Protons ist (und damit e ≫ p ).
Teilchen und Kerne
6.8 Das Potential der starken Wechselwirkung für Quarks 225

Bindungsenergie [eV] Bindungsenergie [eV]

f
2
0 2p3/2 0
4S
1 3S 23 S1

2s 2S 23 P2
4.5 ⋅ 10−5 eV 21 P1 −5
23 P1 10 eV
−4 2p −2 2P
1 23 P0
2s1/2 −7 21 S0
0 7 ⋅ 10 eV
2p1/2 1
0
−8 −4

−12 −6 13 S1
1
1s 1s1/2 1S 8 ⋅ 10−4 eV
6 ⋅ 10−6 eV
11 S0
0
−16 −8

Abb. 6.24: Termschemata von Wasserstoff und Positronium im Vergleich.

Hauptquantenzahlen: Beim Positronium werden Zustände folgendermaßen bezeichnet:

Zustandsnotation: n2S+1 LJ

Hauptquantenzahl: n 0, 1, 2, …
Gesamtspin: S 0, 1
Dabei sind:
Bahndrehimpuls: L 0, 1, 2, …
Gesamtdrehimpuls: J |L − S|, … , L + S
Je nach Gesamtspin unterscheidet man:
Parapositronium S = 0 11 S 0
Orthopositronium S = 1 13 S1

Zerfall: Wegen der Annihilation von e+ und e− hat das Positronium nur eine endliche Le-
bensdauer. Um zu sehen, wie es zerfällt, betrachten wir zunächst die Quantenzahlen S, L und
C -Parität C:

S L C = (−1)S+L
1 0 −1
11 S0 0 0 +1
13 S1 1 0 −1

Möglich sind damit die beiden Zerfälle


Teilchen und Kerne
226 Starke Wechselwirkung

• 11 S0 → 2 mit

Γ2 = 4 re2 !c |ψ (0)|2
6
1
Wobei re = e2 /4 me c2 der klassische Elektronenradius9und |ψ (0)|2 = sind. Damit
2 (2re )3
ist die Zerfallsbreite:
1
Γ2 = me c2 5
2
• 13 S1 → 3 mit
2
3 2( − 9)
Γ = me c2 6
9

Die daraus resultierenden Lebensdauern,

τ11 S0 = 1.252 ⋅ 10−10 s ,


τ13 S1 = 1.374 ⋅ 10−7 s ,

sind durch Messungen (τ11 S0 = 1.252(17) ⋅ 10−10 s bzw. τ13 S1 = 1.377(4) ⋅ 10−7 s) hervorragend
bestätigt.

6.8.2 Vergleich von Positronium und Quarkonium


Das Positronium ist das zum Quarkonium analoge System unter Austausch der elektromagneti-
schen und der starken Wechselwirkung und damit α 2 ↔ αs2 . Ferner gilt für die Massen im Falle
des Charmoniums mc ≈ 3000 ⋅ me . Aufgrund dieser beiden Tatsachen ist die Energieskala des
Massenspektrums um einen Faktor 3 ⋅ 108 größer.
Die Messung des Charmonium-Spektrums erfolgte unter anderem am SPEAR10 (SLAC) mit
dem Crystal-Ball-Photonendetekor (Abb. 6.25), um elektromagnetische Übergänge (Abb. 6.26)
zwischen verschiedenen Zuständen beobachten zu können und wird heute an dem Speicherring
CESR in Cornell und in China weiter verfolgt.
Direkt erzeugt werden nur Zustände mit den Quantenzahlen des J/ , also 1− . In diesem Fall
betrachten wir den radial angeregten Zustand (23 S1 ) mit m = 3685 MeV und dem Zerfall
(23 S1 ) → + cc̄(χc ). In NaI-Szintillatoren werden Photonen aus elektrischen (∆L = 1) und ma-
gnetischen (∆S = 1) Dipolübergängen beobachtet. Die Unterscheidung erfolgt über die Winkel-
verteilung. Während in Atomen die magnetischen Übergänge (Spin-Flip) gegenüber den elektri-
schen Übergängen unterdrückt sind, sind sie hier wegen der starken Spin-Spin-Wechselwirkung
gut beobachtbar.
Die verschiedenen cc̄-Zustände werden folgendermaßen benannt:
9
Der klassische Elektronenradius beschreibt den Radius einer Kugel um die Punktladung e, in welcher die
Coulombenergie entsprechend E = mc2 enthalten ist.
10
http://www.slac.stanford.edu/welcome/spear.html
Teilchen und Kerne
6.8 Das Potential der starken Wechselwirkung für Quarks 227

Abb. 6.25: Crystal-Ball-Detektor aus kugelförmig angeordneten NaI-Kristallen (Kristallkugel). In diesen Kristal-
len werden die (hochenergetischen) Photonen aus elektromagnetischen cc̄-Übergängen absorbiert. Sie erzeugen da-
bei einen Schauer von Elektron-Positron-Paaren, die ihrerseits Emissionszentren im Kristall anregen und dadurch
viele niederenergetische Photonen im sichtbaren Bereich erzeugen. Diese werden an der Rückseite der Kristalle
von Sekundärelektronenvervielfachern (Photomultipliern) nachgewiesen. Der gemessene Photomultiplierstrom ist
dann proportional zur Energie des primären Zerfallsphotons (aus [Kö86]).
Teilchen und Kerne
228 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.26: Ergebnisse von SPEAR: Photonenspektrum beim Zerfall des Ψ(23 S1 ), wie es mit einer Kristallkugel ge-
messen wurde, und daraus abgeleitetes Termschema des Charmoniums. Die scharfen Linien im Photonenspektrum
entsprechen gerade den ihnen durch die Nummern zugeordneten Übergängen im Termschema. Die im Termschema
durchgezogenen Linen entsprechen elektrischen Dipolübergängen mit Paritätsänderung, die gestrichelten Linien
magnetischen Dipolübergängen ohne Paritätsänderung (aus [Kö86]).

J PC
1− − J/ ( Orthocharmonium“)

J+ + c (P-Zustand)

0− + c, c ( Paracharmonium“)

Vergleichen wir nun die Termschemata von Charmonium und Positronium, wie dies in Abb.
6.27 getan wird, so erkennen wir, daß sich das Spektrum der unteren Zustände sehr ähneln; Ab-
weichungen vom Spektrum des Positroniums erhalten wir erst bei höheren Anregungen. Über
das Potential des Charmonium-Systems können wir also folgende Aussagen machen: Analog
zum Ein-Photonaustausch des Coulomb-Potentials kann man sich den Ein-Gluonaustausch mit
einem 1/r-Potential für kleine Abstände denken. Dies legt nahe, dass die Austauschteilchen
(g, ) ähnliche Eigenschaften haben (J + = 1− , mg, = 0). Allerdings gilt es zu beachten, daß wir
für große Abstände Abweichungen hiervon erhalten. Phänomenologisch wird das Spektrum
z.B. durch einen linearen Anstieg des Potentials mit dem Abstand (Abb. 6.28, k ≈ 1 GeVfm−1 )
beschrieben:

4 s (r)
V =− + kr
3 r
Farbfaktor

Die Annahme eines solchen Potentials erweist sich als sinnvoll, man erhält aber keine eindeu-
tige Lösung, da nur ein Bereich von 0.2 fm – 0.1 fm abgetastet wird. Der lineare anstieg trägt
Teilchen und Kerne
6.9 Baryonen im Quarkmodell 229

Masse [GeV/c2 ] Bindungsenergie [eV]

33 S1

4.0

3.8 0
DD̄-Schwelle 13 D1 4S
3S 23 S1
23 S1
2S 23 P2
21 P1 −5
23 P1 10 eV
3.6 −2 2P
21 S0
13 P2 23 P0
13 P1 21 S0

11 P1
3.4 13 P0 −4

3.2 −6 13 S1
3
1 S1 1S 8 ⋅ 10−4 eV
1
1 S0
3.0 11 S0 −8

Abb. 6.27: Termschemata von Charmonium und Positronium im Vergleich.

dem Confinement Rechnung, das auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass Gluonen anders als
Photonen selbst Träger der Farbladungen sind (siehe Kap. 6.13).
Die Spektren von Charmonium und Bottonium sind sehr ähnlich (Abb. 6.30), wenn man die
Energieskala entsprechend der unterschiedlichen Massen (mc ≈ 1.8 GeV, mb ≈ 5 GeV) skaliert.

Fazit:

Das qq̄-Potential ist bei kleinen Abständen von der Form 1/r und wird analog zur QED durch
den Austausch eines Gluons erzeugt. Bei großen Abständen wird die Wechselwirkung durch
ein lineares Potential V ∼ k ⋅ r beschrieben (vergleichbar mit einem, die Teilchen zusammen-
haltenden, Gummiband), welches das Confinement widerspiegelt. Die Konstante k nennt man
String-Tension“. Typischerweise zu erwartende Feldlinien zeigt Abb. 6.29.

Abschließend stellen wir fest, daß für Systeme wie ep (H), e+ e− (Positronium), cc̄ und bb̄, wel-
che durch die nichtrelativistische Schrödingergleichung mit Potential V beschrieben werden,
das Energieschema nur durch die jeweiligen Massen und Kopplungskonstanten bestimmt wird.

6.9 Baryonen im Quarkmodell

• Wir wissen, dass Quarks Farbladungen tragen (Zahl der Farben: Nc = 3). Die Zustände
können in der (fundamentalen) [3]-Darstellung der Gruppe SU(3)c folgendermaßen beschrie-
Triplett
ben werden:
Teilchen und Kerne
230 Starke Wechselwirkung

V = − 34 αrs + kr

V = − 34 αrs
V [GeV]

−1

−2

0 0.5 1.0
r [fm]

Abb. 6.28: Form des QCD-Potentials V = − 34 ( s /r) + kr

Abb. 6.29: Typische Feldlinien der elektromagnetischen (links) und starken (rechts) Wechselwirkung.
Teilchen und Kerne
6.9 Baryonen im Quarkmodell 231

M [GeV/c2 ]

10.6
ϒ(43 S)
M [GeV/c2 ] BB̄

33 S
4.0
10.4
ϒ(33 S)

3.8
23 P
3
D1
DD̄
10.2
Ψ′ (23 S)

3.6 ηc′ (21 S)


3 ϒ(23 S)
P2 10.0
3
P1

3
P0
13 P
3.4
9.8

3.2

9.6
J/ψ (13 S)

3.0
ηc (11 S) ϒ(13 S)
9.4

Abb. 6.30: Termschemata von Charmonium und Ypsilonium im Vergleich

⎛ ⎞
qr
q = qg ⎠

qb
Dementsprechend tragen die Antiquarks Antifarben. In der (fundamentalen) [3̄]-Darstellung
Antitriplett
von SU(3)c :
⎛ ⎞
q̄r̄
q̄ = ⎝q̄ḡ ⎠
q̄b̄
• Hadronen sind farblos“, bzw. SU(3)c -Singuletts. Farbe ist eine versteckte Eigenschaft.

– Mesonen sind q̄q-Systeme: [3] ⊗ [3] = [8] ⊕ [1]


Farbwellenfunktion von Mesonen:

1 " = ? = ? = ?#
Meson
φFarbe = √ |R〉=R̄ + |G〉=Ḡ + |B〉=B̄
3
Wegen ihrer Farbsingulett-Eigenschaft sind sie unter unitären Transformationen Uc im Far-
braum invariant:

q̄q → q̄ Uc† Uc q = q̄q


Teilchen und Kerne
232 Starke Wechselwirkung

– Baryonen sind qqq-Systeme: [3] ⊗ [3] ⊗ [3] = [10] ⊕ [8] ⊕ [8] ⊕ [1]
9 :; < 9:;<
nicht beobachtet beobachtet
Farbwellenfunktion von Baryonen:

Baryon 1 > > >


φFarbe =√ εαβ γ |α 〉|β 〉|γ 〉
6 α =R,G,B β =R,G,B γ =R,G,B
1 "
= √ |R〉|G〉|B〉 + |G〉|B〉|R〉 + |B〉|R〉|G〉−
6 #
|G〉|R〉|B〉 − |B〉|G〉|R〉 − |R〉|B〉|G〉

Diese ist total antisymmetrisch unter Teilchenaustausch.


Hinweis: Das Spatprodukt dreier Vektoren ⃗χ1 ⋅ (⃗χ2 × ⃗χ3 ) ist invariant unter Rotationen. Ein
analoger Sachverhalt gilt in SU(3)c .

6.9.1 Baryonen als Zustände aus drei Quarks

• Quarks als Fermionen müssen dem Pauli-Prinzip genügen. Die Wellenfunktion eines Baryons
muß deshalb total antisymmetrisch unter der Vertauschung zweier Quarks sein:

|B〉 = |qqq〉A = |Farbe〉A ⊗ |Ort, Spin, Flavour〉S

Da die Farbwellenfunktion als Farbsingulett antisymmetrisch ist, muß die restliche Orts-,
Spin- und Flavour-Wellenfunktion total symmetrisch sein.

• In den Zuständen niedrigster Masse haben die Quarks Bahndrehimpuls ℓ = 0 und keine
radialen Anregungen. Die drei Quarkspins s = 12 können zu den Gesamtspins S = 23 und S = 12
koppeln:

[2] ⊗ [2] ⊗ [2] = ([3] ⊕ [1]) ⊗ [2] = [4] ⊕ [2] ⊕ [2]

Wegen ℓ = 0 ist der Gesamtspin S = 32 , 21 gleich dem Gesamtdrehimpuls J = 32 , 12 des Baryons.


+
• Baryondekuplett JP = 23 (siehe Abb. 6.8 auf Seite 200)
Die drei Quarkspins sind parallel ausgerichtet:
= R
=3 3 = ?= ?= ?
= ,+ = = =
=2 2 = ↑ ↑ ↑ …

Die Spinwellenfunktion ist also symmetrisch unter Teilchenaustausch. Wegen ℓ = 0 der drei
Quarks gilt dies ebenso für die Ortswellenfunktion. Damit muß die Flavourwellenfunktion
ebenfalls symmetrisch unter Teilchenaustausch sein.
Es gibt folgende 10 Flavourzustände:
Teilchen und Kerne
6.9 Baryonen im Quarkmodell 233

Masse
⎧ ++

⎪ |∆ 〉 = |uuu〉



⎪ + 1 1 2

⎨ |∆ 〉 = √ |uud〉 + |udu〉 + |duu〉
3
1232 MeV = ? 1 2


⎪ =∆0 = √1 |ddu〉 + |dud〉 + |udd〉



⎪ 3
⎩ −
|∆ 〉 = |ddd〉

⎪ ∗+ 1 1 2

⎪ | 〉 = √ |uus〉 + |usu〉 + |suu〉

⎪ 3

⎨= ?
= ∗0 1 1 2
1385 MeV = √ |uds〉 + |dsu〉 + |sdu〉 + |usd〉 + |dus〉 + |sud〉

⎪ 6



⎪ 1 1 2
⎩ | ∗− 〉 = √ |dds〉 + |dsd〉 + |sdd〉
3

⎧= ?
⎪ = ∗0 1 1 2

⎨ Ξ = √ |uss〉 + |sus〉 + |ssu〉
3
1530 MeV 1 2

⎪ 1
⎩ |Ξ∗− 〉 = √ |dss〉 + |sds〉 + |ssd〉
3
1672 MeV |Ω− 〉 = |sss〉
+
• Baryonoktett JP = 12 (siehe Abb. 6.8 auf Seite 200)
Für Gesamtspin J = 1/2 muß ein Quarkspin antiparallel zu den Spins der beiden anderen
Quarks stehen.
↑↑↓ ist weder total symmetrisch noch total antisymmetrisch, sondern gemischt symmetrisch.
Deshalb muß die Flavourwellenfunktion ebenso gemischt symmetrisch sein, damit die ge-
samte Spin-Flavour-Wellenfunktion total symmetrisch sein kann.
Folglich sind die Quarkkombinationen uuu, ddd und sss (symmetrisch im Flavour) nicht als
J = 21 Baryongrundzustände möglich.

– Um die Wellenfunktion des Protons mit Spin ↑ zu konstruieren, koppelt man zuerst die
Spin- 21 der beiden u-Quarks zum Gesamtspin 1 und koppelt dann den Spin- 12 des d-Quarks
dazu.
Clebsch-Gordan-Koeffizienten
der Kopplung 1 ⊗ 12 → 12

$ 6↓ N 61 = N%
= ?
=p ↑ = 2 == ms =1 = ms =0
=[uu] d↓ − =[uu]S=1 d ↑
3 9˛ :;S=1¸< 3 9 :;
`˛ ¸ ˛
< ¸´ sym
˛u ↑ u ↑ √1 ˛u ↑ u ↓ + ˛u ↓ u ↑
2
$ %
= ? 1 = ? = ? = ?
=p ↑ = √ 2=u ↑ u ↑ d ↓ − =u ↑ u ↓ d ↑ − =u ↓ u ↑ d ↑
6 sym
Teilchen und Kerne
234 Starke Wechselwirkung

Die angegebenen Terme sind nur symmetrisch unter Austausch des ersten und des zweiten
Quarks. Zur vollständigen Symmetrisierung muß man noch die Terme addieren, die durch
Vertauschung des ersten und dritten sowie des zweiten und dritten Quarks entstehen.

= ? Y = ? = ? = ?
=p ↑ = √1 2=u ↑ u ↑ d ↓ + 2=u ↑ d ↓ u ↑ + 2=d ↓ u ↑ u ↑ −
18
= ? = ? = ?
− =u ↑ u ↓ d ↑ − =u ↑ d ↑ u ↓ − =d ↑ u ↓ u ↑ −
= ? = ? = ? Z
− =u ↓ u ↑ d ↑ − =u ↓ d ↑ u ↑ − =d ↑ u ↑ u ↓

Diese Wellenfunktion läßt sich nicht in Spin- und Isospinanteile faktorisieren.


– Neutron: vertausche d ↔ u
– Hyperonen:
= ? = ?
∗ = + ↑ (uus): vertausche d ↔ s in =p ↑
= ? = ?
∗ = − ↑ (dds): vertausche u ↔ d und d ↔ s in =p ↑
= ? = ?
∗ =Ξ0 ↑ (uss), =Ξ− ↑ (dss): analog
∗ zwei Zustände gehören zur Quarkkombination uds:
= ? = ?
· = 0 ↑ = =u ↑ d ↑ s ↓ sym : Isospintriplett mit I = 1 (Isospin des s-Quarks ist Null)
Kopple Spins und Isospins von u- und d-Quarks zu 1 (Wellenfunktion hat 18 Terme),
dadurch symmetrisch 1. ↔ 2. Teilchen
= ? = ?
· =Λ ↑ = =u ↑ d ↓ s ↑ : Isospinsingulett
sym
Kopple Spins und Isospins von u- und d-Quarks zu 0 (Wellenfunktion hat 12 Terme)

6.9.2 Nichtrelativistisches Konstituentenquarkmodell für


Baryonen
Die Konstituentenquarks sind nicht mit den Partonen der tiefinelastischen Streuung identisch.
Sie sind vielmehr effektive“ massive Teilchen mit den Quantenzahlen der Quarks.

Hamilton-Operator: (ein Modell)

H = H0 + VSpin

>3 $ %
⃗pi 2 κ> 2 " #
H0 = mi + + ⃗r ⃗rij = ⃗ri − ⃗rj
i=1
2mi 2 i<j ij

mit der Oszillatorfrequenz


6

ω=
mi
Teilchen und Kerne
6.9 Baryonen im Quarkmodell 235

und den Konstituenenquarkmassen mi .


Hierbei wurde der Anteil der relativistischen, kinetischen Energie bis in 1. Ordnung Taylor-
entwickelt, wodurch sich der bekannte, nichtrelativistische Term der Schrödinger- Gleichung
ergibt.
Man benutzt ein quadratische Confinementpotential (siehe Abb. 6.31), weil dieses analytisch
lösbar ist (harmonischer Oszillator).

Spinabhängige Wechselwirkung aus dem magnetischen Teil des Gluon-Austauschpotentials


⃗e ⋅ σ
zwischen Quarks (analog zur Hyperfein-Wechselwirkung in der Atomphysik, ∼ σ ⃗ p e p ):

4 > " #σ ⃗i ⋅ σ
⃗j
VSpin = s δ 3 ⃗rij
9 i<j
mi mj

i j
Erwartungswert von VSpin :

[ \
> 1 1 2
σ ⃗j
⃗i ⋅ σ = (σ ⃗ 3 )2 − (σ
⃗2 + σ
⃗1 + σ ⃗ +σ ⃗ 22 + σ
⃗ 32 ) =
i<j
2 9 :; < 2 1
2⃗S
-
9 −3 S = 12
= 2S(S + 1) − = für
2 +3 S = 32

Die spinabhängige Wechselwirkung verursacht eine Massenaufspaltung zwischen J = 32 - und


J = 21 -Baryonen von ca. 300 MeV.

Spektroskopie der Baryonen:


Man betrachte hierzu die Abb. 6.31 und 6.32:

N∗
1− 3− 5−
l=1 JP = 2 , 2 , 2

!ω ≃ 0.5GeV
∆(1232)
3+
JP = 2
l=0
1+
JP = 2
N(938)

Abb. 6.31: Spektroskopie der Baryonen


Teilchen und Kerne
236 Starke Wechselwirkung

6.9.3 Magnetische Momente der Oktett-Baryonen


Nach der Dirac-Theorie ist der Vektor des magnetischen Moments eines Spin- 21 -Teilchens der
Masse m gegeben durch:

eq
⃗ =
µ ⃗,
σ q = elektrische Ladung
2m
Der Erwartungswert des magnetischen Moments ist dann

eq
µ := 〈↑|µz |↑〉 =
2m
Sind alle drei Konstituentenquarks im l = 0-Zustand, so kann es keinen Konvektionsstrom durch
die Bahnbewegung geben und es gilt:

3
>
⃗ Baryon =
µ ⃗i
µi σ
9:;<
i=1
magnet. Momente und
Spins der Quarks

Beispiele:
M =& = N
= =
• Proton: µp = p ↑= i µi σzi =p ↑
6 = mS =+1 N 61 = mS =0 N
= ? 2 = =
=p ↑ = ↑↑
=[uu]S=1 d ↓ − ↑↓
=[uu]S=1 d↑
3 3
2" # 1" # 4 1
=⇒ µp = µu + µu − µd + µu − µu + µd = µu − µd
3 3 3 3
• Neutron: µn = 34 µd − 13 µu
• Hyperonen:
1 1
µ + = (4µu − µs ) µ − = (4µd − µs )
3 3
1 1
µΞ0 = (4µs − µu ) µΞ− = (4µs − µd )
3 3
1 1
µ 0 = (2µu + 2µd − µs ) = (µ + + µ − )
3 2
• Λ-Hyperon:
M => = N
= =
µΛ = Λ ↑= µi σzi =Λ ↑
i
= ? 1= ? = ?2
=Λ ↑ = =u ↑ d ↓ =s ↑ =⇒ µΛ = µs
9 :; S=0< sym
tragen nicht zum
magn. Moment bei
Teilchen und Kerne
6.9 Baryonen im Quarkmodell 237

Annahme: Die magnetischen Momente der Konstituentenquarks seien durch ihre Dirac-Werte
µq = 2mQq gegeben.

2e e e e
µu = = , µd = − , µs = −
3 ⋅ 2mu 3mu 6md 6ms

Daraus lassen sich die Konstituentenquarkmassen bestimmen (unter Annahme der Isospinsym-
metrie, mu = md ):

1 3 e e
µp = (4µu − µd ) = µu = = 2.793
3 2 2mu 2mp

e e
µΛ = µs = − = −0.61
6ms 2mp

mu = md ≈ 336 MeV
ms ≈ 510 MeV

Sowie:

µp 3 2, 79
=− experimentell: − ≈ −1, 46
µn 2 1, 91

Daraus ergibt sich

ms − mu = 174 MeV (6.20)

Die Massenaufspaltungen im Baryonoktett sind:

m − mN = (1193 − 939) MeV = 254 MeV


mΞ − m = (1318 − 1193) MeV = 125 MeV
mΛ − mN = (1115 − 939) MeV = 176 MeV,

Was in etwa mit (6.20) übereinstimmt. Außerdem ergibt sich µp /µn = −3/2, was bis auf 3% mit
dem experimentellen Wert von −2.79/1.91 ≈ −1.46 im Einklang ist. Das Konstituentenquark-
modell ist also recht erfolgreich bei der Beschreibung von Spektroskopie und magnetischen
Momenten der Baryonen.
Teilchen und Kerne
238 Starke Wechselwirkung

Baryon naives Quarkmodell beobachtet


p 2.79 2.793
n −1.86 −1.913
Konstituentenquarks:
Λ −0.61 −0.613 ± 0.004
+
2.68 2.46 ± 0.01 Zq e
0
0.82 — µq =

2mq
−1.04 −1.160 ± 0.025
Ξ0 −1.43 −1.250 ± 0.014
Ξ− −0.50 −0.651 ± 0.003

Tab. 6.8: Magnetische Momente einiger Baryonen in Einheiten von K . Vergleich der Vorhersagen des naiven
Quarkmodells mit mu = md = 336 MeV und ms = 510 MeV mit den experimentellen Werten.

3/2− (1700)
5/2− (1675)
1/2− (1650)
1600
N∗

1/2− (1535)
3/2− (1500)

ℓ=0 ℓ=1

∆(1232) ω = 500 MeV


@ 2? 1
r = ≈ (0.5 fm)2 (zu klein!)
Mq ω

Vspin

N(939)

Abb. 6.32: Spektrum niedrig liegender Nukleon- und N∗ -Resonanzzustände


Teilchen und Kerne
6.10 Streuung von Hadronen 239

6.10 Streuung von Hadronen

6.10.1 Nichtrelativistische Potentialstreuung


Die Schrödinger-Gleichung mit kugelsymmetrischem Potential (Abb. 6.33) lautet (ohne Spin):
I J $ %
⃗2
− 2∇ M1 ⋅ M2
+ V(r) ψ (⃗r) = Eψ (⃗r) M= : reduzierte Masse
2M M1 + M2
3
2ME
mit Impuls p = k und Wellenzahl k = !2
.

• Asymptotisch verhält sich die Wellenfunktion wie


kr
kz
ψ (⃗r) −→ + ƒ(θ , k)
r→∞ r
ƒ(θ , k) ist die komplexe Streuamplitude.
• Stromdichte:
1 2
⃗j = 1 ψ ∗ ∇
⃗ ψ − (∇
⃗ ψ ∗ )ψ
2M
⃗ = ∂ /∂ r):
Einlaufende Stromdiche und radiale Stromdichte der Streuwelle sind (r̂ ⋅ ∇

k k |ƒ(θ , k)|2
jein = jStreu =
M M r2
Die Stromdichte ist definiert durch

Anzahl Teilchen
Stromdichte = ,
Zeit ⋅ Fläche
folglich ist also:

Anzahl gestreuter Teilchen


= jStreu 9r2:;
dΩ<
Zeit
Fläche

• Der differentielle Wirkungsquerschnitt ist dann:

dσ Anzahl gestreuter Teilchen/(Zeit ⋅ dΩ)


=
dΩ einlaufende Stromdichte

(θ , k) = |ƒ(θ , k)|2 (6.21)
dΩ
• Den totalen Wirkungsquerschnitt erhält man durch Integration:
0

σtot (k) = dΩ (θ , k) (6.22)
dΩ
Teilchen und Kerne
240 Starke Wechselwirkung

Θ
z
⃗k

Abb. 6.33: Streuung am kugelsymmetrischen Potential

• Optisches Theorem:

4 " #
σtot (E) = Im ƒ(θ = 0, E)
k

6.10.2 Partialwellenentwicklung
• Eine Partialwellenentwicklung der Streuamplitude ist mit den Legendrepolynomen Pℓ (x)

1
P0 (x) = 1, P1 (x) = x, P2 (x) = (3x2 − 1), …
2
möglich:

>
ƒ(θ , k) = (2ℓ + 1) ƒℓ (k) Pℓ (cos θ )
ℓ=0 ↑
Partialwellenamplituden

Dabei ist ℓ die Bahndrehimpulsquantenzahl ℓ = 0, 1, 2, … (für die s-, p-, d-, … - Welle). Bei
kurzreichweitiger Wechselwirkung sind nur die Partialwellen mit niedrigem ℓ von Bedeu-
tung.
• Die Legendrepolynome erfüllen die Orthogonalitätsrelation
0 +1
2
dx Pℓ (x)Pℓ′ (x) = δℓℓ′ (6.23)
−1 2ℓ + 1
• Die Partialwellenzerlegung der ebenen Welle lautet:

>
kz ℓ
= (2ℓ + 1) jℓ (kr) Pℓ (cos θ )
ℓ=0 ↑
sphärische Besselfunktion

Dabei haben die Besselfunktionen folgendes asymptotisches Verhalten:


" #
sin kr − ℓ2
jℓ (kr) −→
r→∞ kr
• Damit läßt sich das asymptotische Verhalten der Wellenfunktion als Superposition von ein-
laufenden Kugelwellen − kr /r mit Amplitude (−1)ℓ+1 /2 k und auslaufenden Kugelwellen mit
Amplitude 21k + ƒℓ (k) darstellen:
Teilchen und Kerne
6.10 Streuung von Hadronen 241


> $ %
1 1 " kr − kr+ ℓ
# kr
ψ (⃗r) −→ (2ℓ + 1)Pℓ (cos θ ) − + ƒℓ (k)
r→∞
ℓ=0
r 2k

Natürlich kann die radiale Stromdichte der auslaufenden Kugelwelle maximal so groß sein
wie die radiale Stromdichte der einlaufenden Kugelwelle, d.h. es können nicht mehr Teilchen
aus dem Streuzentrum kommen als hineinfließen.
= = = =
= 1 = = 1 =
=ƒℓ (k) + =≤= = (6.24)
= 2 k= =2 k=
• Bei elastischer Streuung (d. h. in (6.24) gilt das Gleichheitszeichen) folgt für die sog. S-
Matrix:

2 δℓ (k)
1 + 2 kƒℓ (k) = =: Sℓ (k)

Dabei sind die δℓ (k) die (reellen) Streuphasen der ℓ-ten Partialwelle. Aus der Unitarität (Stro-
merhaltung) bei der elastischen Streuung folgt also:

2 δℓ (k)
−1 1 δℓ (k)
ƒℓ (k) = = sin δℓ (k)
2k k
Für reelle δl ist die Streumatrix unitär, d.h. es gilt:

Sl∗ ⋅ Sl = 1

• Aus dem Optischen Theorem folgt, daß der totale Wirkungsquerschnitt gleich dem Ima-
ginärteil der Vorwärtsstreuamplitude ist:

4
σtot (k) = Imƒ(θ = 0, k) (6.25)
k
• Andererseits ist der totale Wirkungsquerschnitt nach (6.22) und (6.21):
0 ∞
>
σtot (k) = 2 dθ sin θ Pℓ (cos θ ) Pℓ′ (cos θ ) (2ℓ + 1)(2ℓ′ + 1)ƒ∗ℓ (k)ƒℓ′ (k)
0 ℓ,ℓ′ =0

Mit der Orthogonalitätsrelation (6.23) der Legendrepolynome ergibt sich daraus jedoch:


> ∞
4 >
σtot (k) = 4 (2ℓ + 1)|ƒℓ (k)|2 = 2
(2ℓ + 1) sin2 δℓ (k)
ℓ=0
k ℓ=0

Es gilt also:

4 4 >
Imƒ(θ = 0, k) = 2 (2ℓ + 1) sin2 δℓ (k)
k k ℓ=0
Teilchen und Kerne
242 Starke Wechselwirkung

6.10.3 Resonanzstreuung
Betrachtet wird eine Resonanz in einer Partialwelle mit Drehimpuls ℓ:

σtot

E
ER

Abb. 6.34: Resonanz in σtot

Das Maximum des totalen Wirkungsquerschnitts

(ℓ) 4
σtot (E) = (2ℓ + 1) sin2 δℓ (E)
k2
liegt bei der Resonanzenergie E = ER mit
$ %
1
δℓ (ER ) = n+ ; n = 0, 1, 2, …
2
Dort ist die Partialwellenstreuamplitude rein imaginär:

1 " 2 δℓ (ER ) #
ƒℓ (ER ) = 9 :; < −1 =
2k k
−1
Betrachten wir nun

sin δℓ (E) sin δl (E) 1


kƒℓ (E) = − δℓ (E)
= = .
cos δl (E) − sin δl (E) cot δℓ (E) −
Entwicklung in der Nähe der Resonanzenergie ER liefert:
=
d =
cot δℓ (E) = cot δℓ (ER ) +(E − ER ) cot δℓ (E)== +···
9 :; < dE E=ER
Null an der 9 :; <
Resonanz −2/Γ
Γ = Breite

Damit ist die Partialwellenamplitude in der Nähe der Resonanz:

Γ
1 2k
ƒℓ (E) = 2 =
Γ
(ER − E) − ER − E − Γ/2
Teilchen und Kerne
6.10 Streuung von Hadronen 243

Die Resonanz ist hier ein Pol in der komplexen Ebene. Die Lebensdauer der Resonanz ist
gegeben durch:

τR =
Γ
Der Wirkungsquerschnitt in der Nähe der Resonanz ergibt sich zu:

(ℓ) 4 Γ2 /4
σtot (E) = 2 (2ℓ + 1) (6.26)
k (ER − E)2 + Γ2 /4

Dies ist die sogenannte Breit-Wigner-Resonanzkurve , mit der Breit-Wigner-Funktion:

Γl (E)/2k
ƒl (E) =
ER − E − 2 Γl (E)

Die Resonanz stellt hier einen Pol in der komplexen E- Ebene dar.

6.10.4 Inelastische Streuung und Argand-Diagramme


Die S-Matrix,

Amplitude der auslaufenden Kugelwelle


S-Matrix =
(−1)ℓ+1 ⋅ Amplitude der einlaufenden Kugelwelle

1
ƒℓ (k) + 2k
Sℓ (k) = 1
= 1 + 2 kƒℓ (k),
2k

enthält alle Informationen über den Streuprozess. Falls keine Streuung stattfindet, gilt Sℓ (k) ≡ 1.

Elastische Streuung: Die Streuphasen δℓ sind reell und

! 2 δℓ (k)
|Sℓ (k)| = Sℓ∗ Sℓ = 1, Sℓ (k) =

Inelastische Streuung: Es werden Teilchen vom Streuzentrum absorbiert. Die radiale Strom-
dichte der auslaufenden Kugelwelle ist kleiner als die der Einlaufenden:

|Sℓ (k)| < 1

Die Streuphasen sind hier komplex mit δℓ = ℜ(δℓ ) + ℑ(δℓ ). Es gilt

2 (ℜδℓ (k))
Sℓ (k) = 1 + 2 kƒℓ (k) = ηℓ (k)
Teilchen und Kerne
244 Starke Wechselwirkung

mit dem Inelastizitätsparameter ηℓ (k) = exp[−2ℑ(δℓ (k))] im Bereich


" 0 ≤ ηℓ (k) < 1.# Dieser
Sachverhalt läßt sich in einem sog. Argand-Diagramm darstellen kƒℓ = 21 (Sℓ (k) − 1) ):

Im k ƒℓ

Resonanz
δℓ = π /2
ηℓ
2
i
2 2δℓ

Trajektorie mit
wachsender k |ƒℓ |
Energie E

Re k ƒℓ
− 21 0 1
2

Abb. 6.35: Argand-Diagramm für inelastische Streuung

Im Falle elastischer Streuung (ηℓ = 1) ergibt sich der Unitaritätskreis“.


6.10.5 Streuung von Spin-0- an Spin-1/2-Teilchen

Beispiel: Pion-Nukleon-Streuung:

⃗q ′
⃗q
Pion

Nukleon

Abb. 6.36: Streuung von Pionen an Nukleonen

Wir betrachten die N-Streuung im Schwerpunktsystem. Dort gilt:


Teilchen und Kerne
6.10 Streuung von Hadronen 245

(⃗q ′ )

(⃗q ) θ
N(−⃗q )

N(−⃗q ′ )
|⃗q| = |⃗q ′ |
cos θ = q̂ ⋅ q̂′

Aufgrund der Rotationsinvarianz ist der Gesamtdrehimpuls erhalten:

⃗j = ⃗ℓ +⃗s, 1
⃗s = σ⃗
2
Die zugehörige Quantenzahl ist

1
j=ℓ± mit ℓ = 0, 1, 2, …
2
(analog zur Spin-Bahn-Kopplung in der Atomphysik).
" # " # " #
Die Partialwellen sind dann S 1 ℓ = 0, j = 12 , P 1 ℓ = 1, j = 12 , P 3 ℓ = 1, j = 32 , etc. Die Partial-
2 2 !2
wellenentwicklung der N-Streuamplitude hat die Form (E = m2 + q2 ):


> 1 2
ƒ(θ , E) = (2ℓ + 1) ƒℓ+ (E) Q̂ℓ+ + ƒℓ− (E) Q̂ℓ− Pℓ (cos θ )
ℓ=0 ↑ ↑
1 1
j=ℓ+ 2
j=ℓ− 2

mit den Projektionsoperatoren auf die Zustände mit j = ℓ ± 21 :

Q̂ℓ+ + Q̂ℓ− = 1
ℓ + 1 + ⃗ℓ ⋅ σ
⃗ ℓ − ⃗ℓ ⋅ σ

Q̂ℓ+ = , Q̂ℓ− = Q̂2ℓ+ = Q̂ℓ+
2ℓ + 1 2ℓ + 1
Q̂2ℓ− = Q̂ℓ−

Eine weitere mögliche Darstellung der N-Streuamplitude ist:

⃗ ⋅ n̂ h(θ , E)
ƒ(θ , E) = g(θ , E) + σ
9 :; <
Spinflipamplitude

Dabei ist n̂ die Normale auf die Streuebene:


q̂ × q̂′ ⃗q ⃗q ′
n̂ = ; q̂ =
sin θ |⃗q|
Θ
⃗q
Teilchen und Kerne
246 Starke Wechselwirkung

Damit ergeben sich als Partialwellenzerlegungen die spinunabhängige Streuamplitude,

∞ 1
> 2
g(θ , E) = (ℓ + 1)ƒℓ+ (E) + ℓƒℓ− (E) Pℓ (cos θ ),
ℓ=0

sowie die Spinflip-Amplitude:


∞ 1
> 2 d
h(θ , E) = sin θ ƒℓ+ (E) − ƒℓ− (E) P′ℓ (cos θ ) P′ℓ (x) = Pℓ (x)
ℓ=1
dx

Der unpolarisierte differentielle Wirkungsquerschnitt ist (siehe auch Übung 6.9):


=
dσ ==
= = |g(θ , E)|2 + |h(θ , E)|2
dΩ unpol

6.11 Erzeugung von Hadronenresonanzen


Die Erzeugung von neuen Hadronen kann mit zwei verschiedenen Experimentiertechniken er-
reicht werden, der Formation und der Produktion. Beispiel: Erzeugung von Hyperonresonanzen
(Baryonresonanzen mit Baryonenzahl B = 1 mit Strangeness S = −1).

6.11.1 Formationsprozesse
In Formationsexperimenten geht man analog zur e+ e− -Vernichtung vor: Man nimmt Hadron-
strahlen (z.B. K− -Strahlen) und
√ lenkt diese auf ein feststehendes Target. Dabei variiert man die
Schwerpunktsenergie Mx = s (und damit die mögliche Masse eines resonant erzeugten Zwi-
schenzustandes) durch Variation der Strahlenergie und betrachtet einen möglichen Endzustand
(oder auch nur die elastische Streuung).
√ !
s= MN + MK− + 2EK− MN
So erhält man eine Anregungskurve (ähnlich des R-Verhältnisses). Eine Resonanz zeigt sich
als Überhöhung im Wirkungsquerschnitt – auch im elastischen. Der Formationsprozeß K− p →
Σ∗0 → K− p ist in Abb. 6.37 dargestellt.
Die Strukturen in den Diagrammen in Abb. 6.38 entsprechen den möglichen Resonanzen im
Zwischenzustand (M > mp + mK ≈ 1425 MeV/c2 ). Die nachgewiesenen Resonanzen werden
nach ihrer Masse, ihrem Isospin und ihrer Strangeness benannt, hier beispielsweise Λ(1820),
Σ(1775).
Es gilt stets die Erhaltung der Quantenzahlen vom Anfangszustand im resonanten Zwischenzu-
stand. Daher können nur Quantenzahlen resonant erzeugt werden, welche im Eingangszustand
verfügbar sind. Es entstehen also keine neuen Quarks bei Formationsprozessen, wodurch nur
relative wenige Teilchenarten erzeugt werden können.
Teilchen und Kerne
6.11 Erzeugung von Hadronenresonanzen 247

p K−
u

u s

∗0 uds

u s

u
p K−

Abb. 6.37: Der Formationsprozeß K+ p → Σ∗0 → K+ p

6.11.2 Produktionsprozesse
Mit sog. Produktionsexperimenten lassen sich wesentlich mehr Teilchenarten erzeugen. Hier-
bei schießt man p, , Σ oder K mit möglichst hoher Energie auf ein Target oder benutzt einen
Collider (e+ e− , pp, pp̄). Zur Erzeugung von neuen Teilchen steht maximal die Schwerpunkts-
energie dieser Reaktion zur Verfügung. Neue Teilchen können als Resonanzen in einem Teil der
beobachteten Endprodukte gesichtet werden. Die neuen Teilchen können auch andere Quanten-
zahlen haben, da nur der gesamte Endzustand die Anfangsquantenzahlen darstellen muß.
Oft sind die Reaktionsprodukte jedoch sehr kurzlebig, so daß sich nur noch ihre Zerfallspro-
dukte nachweisen lassen. Gelingt es, die Impulse ⃗pi und die Energien Ei aller Zerfallsprodukte
zu bestimmen (Abb. 6.40), so kann man mit der Methode der invarianten Masse auf die Masse
MX des zerfallenen Teilchens schließen:
I J2 I J2 I J2
> > >
MX2 c4 = PX2 c2 = Pi c = Ei − ⃗pi c
i i i

Bei einer großen Anzahl von Ereignissen erscheint das Teilchen dann als Maximum im invari-
anten Massenspektrum. Als Beispiel wird in Abb. 6.39 die Reaktion

K− + p → −
+ +
+ Λ0

betrachtet, bei der alle Teilchen im Grundzustand nachgewiesen werden. Beim Nachweis vieler
solcher Ereignisse weisen sowohl das System Λ0 + + als auch Λ0 + − angeregte Zustände auf.
Bei Variation der Strahlenergie ändert sich die Form der Resonanz nicht, sondern nur die Form
des modifizierten Phasenraumes.
Allgemein müssen bei Produktionsexperimenten oft komplizierte Kaskaden nachgewiesen wer-
den, beispielsweise:
Teilchen und Kerne
248 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.38: Totaler und elastischer Streuquerschnitt der Reaktion von + -Mesonen mit Protonen (oben) bzw. von
K− -Mesonen mit Protonen (unten) als Funktion des Impulses des Mesonenstrahls bzw. der Schwerpunktsenergie
(aus [Po96])
Teilchen und Kerne
6.11 Erzeugung von Hadronenresonanzen 249

Abb. 6.39: Invariantes Massenspektrum der Teilchenkombination Λ0 + + (links) bzw. Λ0 + − (rechts) aus der
Reaktion K− + p → − + + + Λ0 . In beiden Spektren sieht man jeweils ein Maximum bei ca. 1385MeV/c2 , das
einem Σ∗+ bzw. einem Σ∗− entspricht. Die Energie des jeweils beim Zerfall unbeteiligten Pions ist kinematisch
festgelegt. Daher ergibt sich durch die Kombination des Λ0 mit dem falschen“ Pion ein weiteres Maximum bei

höherer Energie, das jedoch keiner Baryonresonanz entspricht ( Modifizierter Phasenraum“; aus [Po96]).

⃗B (Impuls-
messung)


Σ
Target

Spurendetektor 1530 MeV

Abb. 6.40: Nachweis der Zerfallsprodukte in Spurendetektoren


Teilchen und Kerne
250 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.41: Detektoranordnung zur Messung eines Hyperonenstrahls

Σ − + A → Ξ ∗0 + K+ + −
+ A′
sdd Kern ssu
Ξ ∗0
→ Ξ− + +
ssd

Ξ → Λ0 + −

Λ0 → p + −

Hier wird unter anderem ein Teilchen mit Strangeness S = −2 erzeugt, obwohl im Anfangszu-
stand nur S = −1 war. Die Strangeness wird durch Erzeugung eines Kaons mit S = +1 trotzdem
erhalten. Der Zerfall des Ξ− erfolgt über die schwache Wechselwirkung, deshalb ist hier die
Strangenessverletzung möglich.
Eine Detektoranordnung zur Messung der Zerfallsprodukte ist in Abb. 6.41 gezeigt.

Exklusive Reaktionen bei niedrigen Energien:

K− p → Λ + −


Betrachte das (Λ )-Subsystem. Dieses repräsentiert einen Zwischenzustand. Möglich sind:

∗− −
→Λ
∗+ +
→Λ


Ist der Phasenraum der Reaktion klein (d.h. s ≥ mΛ +m − +m + ) besteht eine starke Korrelation
zwischen den Massen der beiden Subsysteme Λ − und Λ + . Bildlich lässt sich die Korrelation
schön in einem Dalitzplot darstellen (Abb. 6.42)11 . Das Maximum bei 1.6 GeV entspricht einer
Reflexion der echten Resonanz bei 1370 MeV im adjungierten Kanal.
11
Im Darlitzplot werden die Massenquadrate verschiedener Felderkombinationen ereignisweise gegeneinander
aufgetragen. Die Verteilung füllt den offenen Phasenraum
Teilchen und Kerne
6.11 Erzeugung von Hadronenresonanzen 251

Abb. 6.42: Dalitzplot für das Subsystem Λ


Teilchen und Kerne
252 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.43: Allgemeiner Dalitzplot für drei erzeugte Teilchen


Die Maxima lassen sich durch eine Variation der Schwerpunktsenergie s, und damit des Pha-
senraumes, in echte Resonanzen und reine Phasenraumeffekte auftrennen.

Dalitzplot: Wir betrachten die exklusive Reaktion

A+B→ 1+2+3

Mit dem Impulsen PA und PB haben wir insgesamt 8 Freiheitsgrade. Diese teilen sich wie folgt
auf:

1. Die Massen m1 , m2 und m3 haben 3 Freiheitsgrade.


&
2. Die Energieerhaltung EA + EB = i Ei liefert einen Freiheitsgrad.
& &
3. Die Impulserhaltung für PAx + PBx = i Pix und PAy + PBy = i Piy liefert zwei weitere.
4. Die beiden letzten kommen aus den invarianten Massen m212 und m213 .

Ein Beispiel für einen Dalitzplot ist in Abb. 6.43 angegeben.

• Eine zufällige und unkorrelierte Produktion der Teilchen 1, 2 und 3 ergibt eine gleichmäßige
Verteilung der Ereignisse im Dalitzplot.
• Werden hingegen die zwei Teilchen (1-2, 2-3 oder 1-3) über einen resonanten Zwischenzu-
stand erzeugt, so ergeben sich Strukturen im Diagramm.
Teilchen und Kerne
6.12 Hadronstreuung bei hohen Energien 253

• Die Verteilung der Strukturen in Dalitzplot erlaubt Aussagen über die Masse und die
Drehimpulse (und damit der Winkelverteilung) der Teilchen.

Betrachte die Reaktion

A+B→ M → 1+2+3

Aus der Vierer-Impulserhaltung

m212 + m213 + m223 = M 2 + m21 + m22 + m23

sowie der Energieerhaltung

M 2 + m23 − m212
E3 =
2M

ergibt sich mit m2ij = (Pi + Pj )2 :

m212 = Konst − m213 − m223

Folglich ist m12 nicht unabhängig von m13 und m23 und wird in der Diagonalen eines Darlitzplots
mit m13 und m23 sichtbar.

6.12 Hadronstreuung bei hohen Energien

6.12.1 Beobachtungen

Allgemein hat der Wirkungsquerschnitt (Abb. 6.44) bei Hadronenstreuung folgende Eigen-
schaften:

• Inelastischer Wirkungsquerschnitt:

σinel → 0 für p ≪ 1 GeV/c


• Elastischer Wirkungsquerschnitt:

σel ≈ 10% ab ca. 5 GeV/c


• Bei hohen Energien ist der totale Wirkungsquerschnitt näherungsweise konstant:

σtot ≈ 40 mbarn = konst


Teilchen und Kerne
254 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.44: Wirkungsquerschnitt bei Hadronenstreuung (aus [Pe87])

• Zum Vergleich der geometrische Wirkungsquerschnitt (effektive Fläche der streuenden Ob-
jekte):

σgeom ≈ R2

R ≈ 1 fm ⇒ σgeom ≈ 30 mbarn
Dabei ist 1 fm die ungefähre Reichweite der starken Wechselwirkung.

Vergleicht man die Wirkungsquerschnitte verschiedener Reaktionen (Abb. 6.45), beobachtet


man folgendes:

• Der Wirkungsquerschnitt für Teilchen- und Antiteilchenkurven nähern sich bei hohen Ener-
gien an. Dies ist konsistent mit einer Vorhersage der Quantenfeldtheorie (sog. Pomeranschuk-
Theorem).
• Die Wirkungsquerschnitte steigen bei sehr hohen Energien logarithmisch an.
• Bei höheren Energien (200 GeV > E > 30 GeV) gilt:

2
σ p ≈ σpp
3

Dies wird plausibel, wenn man bedenkt, dass das Pion nur zwei, Baryonen aber drei Valenz-
quarks enthalten.
Teilchen und Kerne
6.12 Hadronstreuung bei hohen Energien 255


s

Abb. 6.45: totale Wirkungsquerschnitte bei Streuung verschiedener Hadronen (aus [Pe87])
Teilchen und Kerne
256 Starke Wechselwirkung

Die Wirkungsquerschnitte bei K-p- und -p-Streuung zeigen bei niedrigen Energien eine Ladungs-
abhängigkeit, weil die Anzahl der offenen Endzustände vom Isospin abhängt. So sind zum Bei-
spiel die folgenden Reaktionen nicht möglich, da Baryonen nur s-Quarks und keine s̄ enthalten
und weil die Erzeugung von Λ̄ wegen der Baryonenzahlerhaltung schwierig ist:

K+ + p ̸→ Λ + X aber K+ + p → Λ̄ + X

+
+ p→∆++ − X 0
→∆+ + X 0


+ p→∆0 − X 0
→∆+ + X −
→∆− + X +

Da bei hohen Energien in größerem Maße andere Teilchen erzeugt werden, verringern sich dort
die Unterschiede zwischen den Wirkungsquerschnitten.
Ähnliche Argumente gelten für Pion und Antiproton, wobei bei der Annihilation von p̄p die
verfügbare Energie zur Erzeugung von Pionen im Endzustand um 2mp größer ist als bei der
pp-Reaktion.

6.12.2 Optisches Modell der Hadronenstreuung


Wir vergleichen nun die Hadronenstreuung mit der Streuung und Absorption an einer schwarzen
Scheibe mit Radius R. Dies entspricht η = 0 in der Streuphasenzerlegung.

ℓmax = =2 ℓmax
> = ηℓ − 1 ==
2 δℓ >
σel = 4 λ2 (2ℓ + 1)== = = λ
2
(2ℓ + 1) = R2
ℓ=0
2 ℓ=0
ℓmax
> ℓmax
>
2
σinel = λ (2ℓ + 1)(1 − ηℓ2 ) = λ 2
(2ℓ + 1) = R2
ℓ=0 ℓ=0
σtot = σel + σinel = 2 R2

λ ist dabei die de-Broglie-Wellenlänge und ℓmax = R/λ . (Mit p = 20 GeV bzw. λ = 1k =
0.01 fm und R = 1 fm ergibt sich z. B. ℓmax = 100.) σtot entspricht, analog zur Optik, in etwa der
geometrischen Fläche der Teilchen.
Die ℓ-te Partialwelle ist proportional zum Legendrepolynom Pℓ (cos θ ). Für kleine Winkel θ
kann man folgendermaßen nähern (J1 ist die Besselfunktion):
Teilchen und Kerne
6.12 Hadronstreuung bei hohen Energien 257

= =
Abb. 6.46: Differentieller Wirkungsquerschnitt für elastische pp-Streuung als Funktion des Quadrats |t| = =q2 = des
Impulsübertrags (aus [Pe87])

>
Pℓ (cos θ ) ∝ J1

Für elastische Streuung (ηl = 0) gilt:

l
dσ 1 >max

= 2| (2l + 1)Pl (cos θ )|2


dΩ 4k l=0

Damit erhält man dann für kleine Werte von qR, was kleinen Winkeln θ entspricht, zumal
q ≈ 2p sin θ2 :
= =2
dσ = =
2 = J1 (qR) = R4 −R2 q2 /4 θ
= R= ≈ q ≈ 2p sin
d(q2 ) qR = 4 2

Für größere Werte von qR durchläuft J1 (qR)/(qR) Maxima und Minima (wie bei allen Dif-
fraktionsphänomenen). Nullstellen liegen bei qR ≈ 3.83, 7.02, 10.12, … Damit liegt die erste
Nullstelle bei q2 ≈ 1.15 GeV2 (R ≈ 0.7 fm).
Die Maxima und Minima verschieben sich bei steigender Energie zu kleineren q2 , d.h. der
Durchmesser der Scheibe wächst mit der Energie an, wie auch der totale Wirkungsquerschnitt
(Abb. 6.46).
Teilchen und Kerne
258 Starke Wechselwirkung

Das optische Modell ist zwar qualitativ richtig, quantitativ ergibt es aber falsche Werte: Tat-
sächlich ist z. B. σel /σtot ≪ 0.5.
Teilchen und Kerne
6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik 259

6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik

6.13.1 Vorbereitung: Eichinvarianz


Den Ausgangspunkt für unsere Betrachtungen bilden freie Fermionen (Masse m), welche die
Dirac-Gleichung erfüllen:

" # ∂
γµ ∂ µ − m ψ (x) = 0 mit ∂ µ = (6.27)
∂ xµ

Treffen zwei gleiche Indizes aufeinander (einer oben, einer unten), so muss über alle möglichen
Werte des Index summiert werden (Einstein’sche Summenkonvention). Tritt ein Index nur ein-
fach auf, so gilt die Gleichung für jeden Wert des Index, es handelt es sich also um mehrere
Gleichungen bzw. eine Vektorgleichung.
Die Lagrangedichte für ein freies Diracteilchen ist gegeben durch:

" #
L Dirac = ψ̄ (x) γµ ∂ µ − m ψ (x) , ψ̄ = ψ † γ 0 (6.28)
5 5
Gemäß dem Prinzip der kleinsten Wirkung ist das Wirkungsintegral dt LDirac = d4 x L Dirac
extremal. Im Extremum ergibt sich die Bedingung, dass der Integrand L Dirac gegenüber einer
Variation bezüglich ψ invariant ist.
Untersucht wird nun das Verhalten unter Phasentransformationen:

ψ (x) −→ θ
ψ (x) ≡ U ψ (x) , ψ̄ (x) −→ ψ̄ (x) −θ
, wobei θ
∈ U(1) mit U † = U −1

Damit ist U unitär.


Man unterscheidet lokale und globale Eichtransformationen:
-
const globale Eichtransformation
θ=
θ (x) lokale Eichtransformation

Die Dirac-Lagrangedichte (6.28) ist offensichtlich invariant unter globalen Eichtransformatio-


nen. Dies gilt jedoch nicht für lokale Eichtransformationen:

" # θ (x) θ (x)


∂µ U ψ (x) = ∂µ ψ (x) + ψ (x)∂µ θ (x)

L Dirac → L Dirac − ψ̄ (x)γµ ψ (x)∂ µ θ (x) ≠ L Dirac (6.29)

Daraus folgt, dass es keine freien Diracteilchen geben kann; die Existenz einer Wechselwirkung
folgt direkt aus der Eichinvarianz. Die Wechselwirkung wird durch Eichfelder (z.B. Gluonfeld,
Photonfeld) vermittelt ( Eichfeldtheorie“).

Teilchen und Kerne
260 Starke Wechselwirkung

Zur Rettung der Eichinvarianz führt man die Ankopplung eines Eichfeldes A µ (x) ein, so dass
der Zusatzterm in (6.29) kompensiert wird.

Eich-
A µ (x) −→ A µ (x) + ∂µ θ (x)
transf.

Desweitern haben wir die sogenannte minimale Substitution durchgeführt:

∂µ → ∂µ − eAµ (x) =: Dµ (x)


normale ↑ eichkovariante
Ableitung Photonfeld Ableitung

Die Dirac-Gleichung mit der kovarianten Ableitung Dµ (x) ist invariant unter der unitären Trans-
formation U = θ (x) aus der Eichgruppe U(1):

. / . /
U † γµ Dµ − m U ψ (x) = γµ Dµ − m ψ (x) = 0

Die Lagrangedichte mit Kopplung,

" # " #
L Koppl = ψ̄ γµ Dµ − m ψ = ψ̄ (x) γµ ∂ µ + γµ A µ (x) − m ψ (x) , (6.30)

ist invariant unter lokalen U(1)-Transformationen (z.B: U = eiθ (x) ).

Beispiel QED: Für die QED ist das Eichfeld schon bekannt. Dies ist gerade die Eichtransfor-
mation des Vektorpotentials in der Elektrodynamik.

A µ = −eAµ Dµ (x) = ∂µ + eAµ (x)

Die Feldstärken können in einem Feldstärketensor Fµν (x) zusammengefasst werden:

E F E F
Fµν (x) = Dµ (x), Dν (x) = ∂µ − eAµ (x), ∂ν − eAν (x) = ∂µ Aν (x) − ∂ν Aµ (x) = −Fνµ (x)
e e

Wegen der Vertauschbarkeit der partiellen Ableitungen ist dieser nicht von θ (x) abhängig und
deshalb eichinvariant. Es ergibt sich:
⎛ ⎞
0 −E1 −E2 −E3
⎜E1 0 −B3 B2 ⎟
Fµν =⎜
⎝E2 B3

0 −B1 ⎠
E3 −B2 B1 0

Das Eichfeld Photon trägt natürlich zur Energie des Gesamtsystems bei, so dass die Lagrange-
dichte um einen entsprechenden Term erweitert werden muss:

" # 1
L QED = ψ̄ (x) γµ Dµ − m ψ (x) − Fµν (x)F µν (x) (6.31)
4
Teilchen und Kerne
6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik 261

Wir haben also gesehen wie die Forderung nach lokaler U(1)-Eichinvarianz zu der wechselwir-
kenden Feldtheorie der QED führt. Außerdem folgt, dass das Photon masselos sein muss, da
ein eventuell vorhandener Massenterm

( ) m2 µ
L Masse = A (x)Aµ (x)
2

die Eichinvarianz bricht.

6.13.2 Quarks mit Farbe

Quarks existieren in Nf = 6 Flavours (u, d, s, c, b, t) und besitzen jeweils Nc = 3 Farben.

⎛ ⎞
ui
⎜di ⎟
⎜ ⎟
⎜ si ⎟
ψi (x) = ⎜
⎜ci ⎟
⎟ (i = 1, 2, 3: Farbe)
⎜ ⎟
⎝bi ⎠
ti

Hierbei sind die ui , … , ti jeweils vierkomponentige Dirac-Spinoren, d.h. die Wellenfunktion ψ


besteht aus 6 (Flavour) mal 3 (Farbe) mal 4 (Spinor) gleich 72 Komponenten.
Wir fassen (ui , … , ti) (mit i = 1, 2, 3), sprich den ,,Vektor” aller Farben zu einer bestimmen
Quarkflavour, als [3]-Basis-Dartellung der Farbgruppe SU(3)c auf.
Die Farbströme sind gegeben durch:

3
> λija λa
Jµa (x) = ψ̄i (x)γµ ψj (x) = ψ̄ (x)γµ ψ (x)
i,j=1
2 2

Die hermiteschen und spurfreien 3 × 3-Matrizen λ a (a = 1, … , 8), die sog. Gell-Mann-Matrizen


(siehe Abschn. 6.2.3), sind die Generatoren der Farbgruppe SU(3)c .

Postulat:

Die starke Wechselwirkung wird durch eine Eichfeldtheorie beschrieben, deren


Lagrange-Dichte invariant unter der lokalen Eichgruppe SU(3)c ist.

ψ (x) → U(x)ψ (x) mit U(x) ∈ SU(3)


Teilchen und Kerne
262 Starke Wechselwirkung

6.13.3 Gluonen
In Analogie zur QED stellen wir folgende Hypothese auf:

Die Farbgruppe SU(3)c ist die lokale Eichgruppe der starken Wechselwirkung. Die
zugehörigen Eichfelder sind die Gluonen.

Die lokale SU(3)c -Eichtransformation der Quarkfelder ist gegeben durch:

ψ (x) −→ U(x)ψ (x), ψ̄ (x) −→ ψ̄ (x)U † (x)


U(x) wirkt dabei nur im Farbraum (i = 1, 2, 3) und rotiert hier die Farbe. Der Operator wirkt
nicht im Flavor- und im Diracraum. Es ist
$ %
λa
U(x) = exp θa (x) ; UU † = , det U(x) = 1
2
Die Generatoren λ a der SU(3)c erfüllen die Kommutator-Algebra:
. /
λ a , λ b = 2 ƒabc λ c
Dabei sind ƒabc die Strukturkonstanten von SU(3)c . Für eine abelsche Gruppe (wie U(1)) wären
alle ƒabc = 0, was hier jedoch nicht erfüllt ist. Die QCD ist also eine nicht-abelsche Eichfeld-
theorie.
Die Eichfelder der QCD, nämlich die Gluonfelder werden mit Gaµ (x); (a = 1, … , 8) bezeichnet.
Sie können zusammengefasst werden zu dem Gluonfeld

8
> λa
G(x)µ = Gaµ (x) (kontrahiertes Gluonfeld)
a=1
2

Die Forderung nach lokaler SU(3)c -Eichinvarianz der Lagrangedichte der Quarks verlangt die
Ankopplung dieses Eichfeldes gemäß der minimalen Substitution:

∂µ → Dµ = ∂µ − gGµ (x)
; <9 :
entspricht e

Der Gluonfeldstärketensor wird zu:

8
. / > λa a
Gµν (x) = Dµ (x), Dν (x) = G (x) (6.32)
g a=1
2 µν
nicht eichinvariant weg. Nicht-Kommutativität
; <9 :
a
Gµν (x) = ∂µ Gνa (x) − ∂ν Gaµ (x) + gƒabc Gbµ (x)Gcµ (x) (6.33)
9 :; <
nichtlinear!
Teilchen und Kerne
6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik 263

Die Lagrangedichte der Gluonen ist wie bei den Photonen gegeben durch:

1
L Gluon = − Gaµν (x)Gµν
a (x)
4

Durch den nichtlinearen Term in (6.33) können nun auch Gluonen miteinander wechselwirken
(mit der gleichen Kopplungsstärke). Sie tragen selbst Farbladung im Gegensatz zu den ungela-
denen Photonen der QED.

∝g ∝ g2

Abb. 6.47: Mögliche Wechselwirkungen von Gluonen

6.13.4 Lagrangedichte der QCD

Die Lagrangedichte der QCD hinzuschreiben ist ungeheuer einfach. Sie lautet:

⎛ ⎞
1
L QCD = ψ̄ (x)⎝ γµ Dµ −m̂⎠ψ (x) − Gaµν (x)Gµν
a (x) (6.34)
9 :; <
≡Abb. 6.48
94 :; <
≡Abb. 6.49; 6.50

⎛ ⎞
u
⎜d ⎟
⎜ ⎟
⎜s⎟
mit ψ = ⎜ ⎟
⎜c⎟ , Dµ = ∂ µ − gGµ (x) und der
⎜ ⎟
⎝ b⎠
t

Quarkmassen-Matrix m̂:

⎛ ⎞
mu
⎜ .. ⎟
m̂ = ⎝ . ⎠
mt

• Die Quarkmassen haben folgende Werte (bei einer Skala von 1 GeV, da es keine freien
Quarks gibt und stets Gluonen mit dabei sind):
Teilchen und Kerne
264 Starke Wechselwirkung

mu = (5 ± 1) MeV/c2
md = (8 ± 2) MeV/c2
ms = (164 ± 33) MeV/c2
mc = (1.2 ± 0.1) GeV/c2
mb = (4.2 ± 0.1) GeV/c2
mt = (165 ± 5) GeV/c2

Es soll hier angemerkt sein, daß die hier aufgeführten Quarkmassen nichts mit den bereits
erwähnten Konstituentenquarkmassen zu tun haben.
• Die Gluonen sind masselos. (Wegen der SU(3)c -Eichinvarianz)
• Die Kopplung der acht Gluonfelder an die Quarkfarbströme ist:

8
> λa
L qqg = −g ψ̄ (x)γ µ ψ (x)Gaµ (x) (6.35)
a=1
2

Der dem Quark-Gluon-Kopplungsvertex (Abb.


i
6.48) in den Feynman-Diagrammen entsprechen-
de Faktor lautet: g
a
λija
g γµ j
2
Abb. 6.48: Quark-Gluon-Kopplungsvertex

. /
gƒabc gµν (p − q)τ + gντ (q − k)µ + gτµ (k − p)ν ∝g

Abb. 6.49: 3 Gluonen Vertex

. /
− g2 ƒace ƒbde gαβ gγδ − gαδ gγβ ∝ g2
. /
− g2 ƒade ƒbce gαβ gγδ − gαγ gβ β
. /
− g2 ƒabe ƒcde gαγ gβ δ − gαδ gβ γ
Abb. 6.50: 4 Gluonen Vertex

• Die kubischen und quartischen Terme in − 14 Gaµν Gµν


a bedingen die Gluonselbstwechselwir-
kung, siehe auch den Kommentar zu (6.33). Die SU(3)c -Eichinvarianz erlaubt nur die Kopp-
lung von jeweils drei oder vier Gluonen.

Die QCD ist eine auf der Farbgruppe SU(3)c basierende nichtabelsche Feldtheorie. Später wer-
den wir die elektroschwache Wechselwirkung kennenlernen, die analog abgeleitet werden kann.
Teilchen und Kerne
6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik 265

6.13.5 Laufende Kopplungsstärke der QCD

In der QED können durch Vakuumpolarisation kurzzeitig e+ e− -Paare entstehen:

e−
e+

e−
e−

Abb. 6.51: Vakuumpolarisation in der QED

In der Umgebung einer Punktladung haben diese Einfluss auf die effektive (gemessene) Kopp-
lungsstärke.
Man findet in erster Ordnung Störungstheorie:

(µ 2 )
(Q2 ) = (µ 2 ) Q2
(für große Q2 ) (6.36)
1− 3
ln µ2

Dabei ist µ eine beliebige Renormierungsskala, die man benötigt, um bei der Berechnung auf-
tretende Divergenzen zu eliminieren. Es ist beispielsweise:

1 1
(m2e ) = , (MZ2 ) = mit MZ = 91.9 GeV
137.036 129

Man sieht, dass die QED-Feinstrukturkonstante schwach Q2 -abhängig ist. Die Effekte der lau-
fenden QED-Kopplung (verursacht durch Vakuumpolarisation) sind experimentell beobachtbar,
z. B. bei der e+ e− -Bhabha-Streuung.

Anschauliche Interpretation der Vakuumpolarisation

Jede Punktladung ist umgeben von einer Wolke aus virtuellen Elektron-Positron-Paaren. Diese
bilden effektive Dipole der Länge ∼ 1/me und schirmen die Punktladung ab. Analog zu den
Polarisationsphänomenen in der Festkörperphysik ist das Vakuum also ein polarisierbares Me-
dium.
Bei geringem Q2 (und damit geringer Ortsauflösung r2 ) sieht“ man nicht die Punktladung

selbst, sondern eine effektive Ladung, zu der auch die e+ e− -Paare beitragen (Abb. 6.52). Bei
hohen Impulsen (⇒ Auflösung kurzer Distanzen) dringt man tiefer in die abschirmende Wolke
aus e+ e− -Paaren ein und die effektive Ladung wächst dadurch an.
Teilchen und Kerne
266 Starke Wechselwirkung

−+

−+
r2
r1
−+ +
−+ (r2) < (r1)

−+

−+
Abb. 6.52: Abhängigkeit von vom Abstand

QCD:

Wegen der Farbladung der Gluonen können in der QCD bei der Vakuumpolarisation neben
Quark-Antiquark-Paaren auch Gluonen erzeugt werden:

q q

+
q

q q

Abb. 6.53: Vakuumpolarisation in der QCD

Für die Kopplungsstärke erhält man in erster Ordnung:

2
2 s (µ )
s (Q )= 2 2
1+ β0 s4(µ ) ln Qµ 2

Beitrag der Gluonen


↓ 2
mit β0 = 11 − Nf
3 <
9 :;
Beitrag der Quarks

wobei Nf die Anzahl der beteiligten Quarkflavours ist (von Q2 abhängig). Der Beitrag der
Quarks kommt analog zur QED zustande, wobei noch ein Farbfaktor 21 berücksichtigt werden
muß.
Für Nf < 16 überkompensiert der Gluonbeitrag zur Vakuumpolarisation den der Quarks.
Teilchen und Kerne
6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik 267

−+


+

+
r2
• Abschirmung der Farbladung durch
+
−+ r1 −+ qq̄-Paare
• Verstärkung der Farbladung durch
Gluonen
+

+


−+
s (r2 ) > s (r1 )

−+ qq̄-Paare

+ − Gluonen

Abb. 6.54: Abhängigkeit von s vom Abstand (die + und - stehen symbolisch für die Farbladungen)

s kann auch folgendermaßen geschrieben werden:

2 4
s (Q )= $ 2 %
" 2
# Q
11 − 3 Nf ln
Λ2QCD

Die Konstante
$ %
2
ΛQCD = µ exp −
β0 s (µ )

ist der Skalenparameter der QCD und kann aus Meßdaten bestimmt werden.

ΛQCD = (200 … 300) MeV

Bei hohen Impulsen (kurzen Abständen) nimmt die laufende QCD-Kopplungskonstante ab,

2
s (Q → ∞) → 0 .

Dieses Verschwinden der starken Wechselwirkung auf sehr kurzen Distanzen nennt man die
asymptotische Freiheit der QCD.

6.13.6 Skalenbrechung in der tiefinelastischen Streuung


Im einfachen Partonmodell hängt die Quarkverteilung q(x, Q2 ) und damit die Strukturfunktion
F2 (x, Q2 ) nur von der Bjorken-Variable x = Q2 /2M ν ab und nicht von Q2 . Daraus hatten wir in
Abschnitt 5.5 gefolgert, dass Quarks punktförmig sind.
Teilchen und Kerne
268 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.55: Q-Abhängigkeit von s

Q2
x = Bruchteil des Nukleon-
e/ impulses P, den das Parton
xP
trägt
(1 − x)P

N(P)

Abb. 6.56: Tiefinelastische Streuung im naiven Partonmodell


Teilchen und Kerne
6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik 269

Quark-
> " ↓ #
F2 (x) = x Zi2 qi (x) + q̄i (x)
i=u,d ↑
Antiquarkverteilung

Welchen Anteil des Nukleon-Impulses tragen nun die u- und d-Quarks?

0 1 " #
dx u(x) + ū(x) xP = εu P
0
0 1 " #
dx d(x) + d̄(x) xP = εd P
0

u(x), ū(x), … seien die Verteilungsfunktionen im Proton. Nun gilt:

$ %
4" # 1" #
F2ep (x)
=x u(x) + ū(x) + d(x) + d̄(x)
9 9
$ %
en 4 " # 1" #
F2 (x) = x d(x) + d̄(x) + u(x) + ū(x)
9 9

Und damit:

0 1
4 1 exp.
dx F2ep (x) = εu + εd = 0.18
0 9 9
0 1
1 4 exp.
dx F2en (x) = εu + εd = 0.12
0 9 9
⇒ εu = 0.36 , εd = 0.18

Die u- und die d-Quarks tragen nur etwa 50 % des Nukleonimpulses. Die anderen 50 % des
Nukleonimpulses werden von elektrisch neutralen Partonen, den Gluonen getragen.

εg ≈ 0.46

Gemäß der QCD wechselwirken Quarks und Gluonen kontinuierlich über:

q→q+g Gluonbremsstrahlung

g → q + q̄ Paarerzeugung von Quarks und Antiquarks


Teilchen und Kerne
270 Starke Wechselwirkung

Diese Prozesse führen zur Skalenbrechung (d.h. Q2 -Abhängigkeit) in den Partonverteilungen.


Anschaulich kann man sich dies folgendermaßen vorstellen:



(Q20 ) (Q2 )

x
y y−x
x
q(x) q(y)

Abb. 6.57: Geringes Auflösungsvermögen Q20 Abb. 6.58: Erhöhtes Auflösungsvermögen Q2

Man sieht, dass das Parton selbst wieder von einer Wolke aus Partonen umgeben ist. Durch
Gluonabstrahlung wie in Abb. 6.58 wird die Quarkverteilung q(x) verändert, weiterhin tritt an
einem Vertex der Gluonbremsstrahlung jewils eine sogenannte Verzweigungsfunktion (splitting
function) P( yx ) auf. In erster Ordnung der QCD-Störungsrechnung wird dies durch die Altarelli-
Parisi-Gleichungen beschrieben.

Altarelli-Parisi-Gleichungen:
2 0 1 $ %
2 ∂ s (Q ) dy " # x
Q q(x, Q2 ) = 2
q y, Q Pqq
∂ Q2 2 x y y
9 :; <
(∗)

Diese Gleichung stellt eine Integrodifferentialgleichung dar. Die Integration erfolgt ab x, da nur
mit y > x Gluonen abgestahlt werden können. Die eigenartige Form (∗) der Ableitung auf der
linken Seite kommt zustande, weil auf der rechten Seite nur dimensionslose Größen stehen. Die
Splittingfunktion,

4 1 + z2 x
Pqq (z) = , z= ≠ 1, x = yz
3 1−z y
Pqq y(1 − z)

ist proportional zu der Wahrscheinlichkeit, dass q → q + g aufspaltet.


Noch sind unsere Betrachtungen unvollständig, denn Gluonen können ja qq̄-Paare erzeugen.
Die zugehörige Splittingfunktion lautet:
Teilchen und Kerne
6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik 271

q
1" 2 #
Pqg (z) = z + (1 − z)2 x
2 y q̄
y−x

Damit ergibt sich für jeden Flavour i:

2 0 1 7 $ % $ %8
2∂ s (Q ) dy " # x " # x
Q qi (x, Q2 ) = 2
qi y, Q Pqq 2
+ g y, Q Pqg (6.37)
∂ Q2 2 x y y 9 :; < y
Gluonverteilung

Völlig analog läuft die Evolution der Gluonverteilung:

x = yz x

g(x, Q2 )
2∂ y
Q ( ) = y +
∂ Q2 Pgq Pgg

y−x y−x

Die Splittingfunktion im ersten Fall,

4 1 + (1 − z)2
Pgq (z) = = Pqq (1 − z) ,
3 z
kann man folgendermaßen verstehen: Das Gluon hat den Impulsbruchteil yz. Aufgrund der
Impulserhaltung muß das Quark dann den Bruchteil y(1 − z) tragen.
In gleicher Weise ergibt sich für den zweiten Fall:
$ %
1−z z
Pgg (z) = 6 + + z(1 − z) = Pgg (1 − z)
z 1−z

Die zu (6.37) analoge Integro-Differentialgleichung lautet dann:


Q2 g(x, Q2 ) =
∂ Q2
K Nƒ $ %L
2 0 1
dy > 1 " # " # 2 $x% " # x
s (Q )
= qi y, Q2 + q̄i y, Q2 Pgq + g y, Q2 Pgg (6.38)
2 x y i=1 y y

(6.37) und (6.38) sind die QCD-Evolutionsgleichungen der Partonverteilungen, die sogenannten
Altarelli-Parisi- oder — nach Dokhshitzer, Gribov, Lipatov, Altarelli und Parisi — DGLAP-
Gleichungen:
Teilchen und Kerne
272 Starke Wechselwirkung

⎛ 1 2 1 2 ⎞
$ % 01 x x $ %
2 ∂ qi (x, Q2 ) αs (Q) dy ⎝ Pqq 1 2 Pqg 1 y 2 ⎠
y qi (x, Q2 )
Q = (6.39)
∂ Q2 g(x, Q2 ) 2π y Pqg yx Pqq xy g(x, Q2 )
x
9 :; <
Verzweigungs- (splitting) Funktionen

Die gemessene Strukturfunktion F2 (x, Q2 ) (Abb. 6.59) zeigt folgendes Verhalten:

• Bei konstantem x > 0.2 nimmt F2 (x, Q2 ) mit wachsendem Q2 ab. Aufgrund der Gluonabstrah-
lung (Abb. 6.58) findet man mit wachsendem Q2 weniger Quarks mit großem Impulsbruchteil
und mehr mit kleinem Impulsbruchteil im Nukleon vor.
• Bei konstantem x < 0.2 nimmt F2 (x, Q2 ) mit wachsendem Q2 zu. Die Gluonen tragen nur
kleine Bruchteile des Nukleonimpulses, x < 0.4. Aufgrund der qq̄-Paarerzeugung findet man
mit wachsendem Q2 (Auflösungsvermögen) mehr Quarks und Antiquarks mit kleinem Im-
pulsbruchteil.

Mit Hilfe der DGLAP-Gleichungen kann die Gluonverteilung g(x, Q2 ) und die Quarkverteilung
qi (x, Q2 ) (für die verschiedenen Flavors u, d, s, …) aus den gemessenen Strukturfunktionen ex-
trahiert werden (Abb. 6.60).

6.13.7 Darstellung in der “zweiten Quantisierung“


Quarkfelder: Die Wellenfunktion eines Quarksfeldes mit dem Flavor ƒ, Farbe und Spin lässt
sich auch schreiben als:

3 > 0
> d3 p E − ⃗p⋅⃗x †
F
Ψƒ = bƒ,c (⃗p, s)us (⃗p) + dƒ,c (⃗p, s)vs (⃗p) + ⃗p⋅⃗x
c=1 s=±1/2
(2π )3 2Ep

Hierbei beschreibt c die Farbe und s den Spin. Weiter sind b bzw b† die Vernichtungs- bzw
Erzeugungsoperatoren für Quarks, d bzw d † die Vernichtungs- bzw Erzeugungsoperatoren für
Antiquarks. us bzw vs sind die Dirac-Spinoren der Quarks bzw Antiquarks.
I J I J

σ ⋅⃗p
χs Ep +m s
χ
us (⃗p) = N (⃗p) ⃗
σ ⋅⃗p vs (⃗p) = N (⃗p)
Ep +m s
χ χs
!
mit den Pauli-Spinoren σ und der Energie Ep = + ⃗p2 + m2 .
Man definiert den Vakuum- Zustand |0〉 über die Erzeuger und Vernichter durch:

bƒ,i (⃗p, s)|0〉 = 0 (6.40)


b† (⃗p, s)|0〉 = |qƒ,i (⃗p, s)〉 Quark (6.41)
dƒ,i (⃗p, s)|0〉 = 0 (6.42)
d † (⃗p, s)|0〉 = |q̄ƒ,i (⃗p, s)〉 Anti- Quark (6.43)
Teilchen und Kerne
6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik 273

Abb. 6.59: Q2 -Evolution der Strukturfunktion F2 des Protons


Teilchen und Kerne
274 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.60: Quark- und Gluon-Verteilungen im Proton (QCD-Analyse)

Abb. 6.61: Quarks und Gluonen tragen jeweils etwa die Hälfte des Gesamtimpulses
Teilchen und Kerne
6.13 Grundzüge der Quantenchromodynamik 275

Die Vertauschungsrelationen für Quarks (Fermionen) sind mit {b, b† } ≡ bb† + b† b:

{bƒ,c (⃗p, s), b†ƒ′,c′ (⃗p′ , s′ )} = (2π )3 δ 3 (⃗p − ⃗p′ )䃃′ δcc′ δss′ = {dƒ,c (⃗p, s), dƒ†′ ,c′ (⃗p′ , s′)}

und

{b† , b†} = {d † , d † } = {b, b} = {d, d} = 0 für alle Kombinationen von Indizies

Gluonenfelder
>0 d3 k E ⃗ F
− ⃗k⋅⃗x + ⃗k⋅⃗x
Aµa (x) = aa (k, λ )ε µ (λ ) + a†a (⃗k, λ )ε ∗µ (λ )
(2π )3 2ωk
λ

Hierbei ist a der Farbindex (a = 1, 2, … , 8), λ ist der Polarisationsfreiheitsgrad zu den Polarisa-
tionsvektoren ε µ und ε ∗µ . a†a (⃗k, λ ) und aa (⃗k, λ ) sind die Erzeuger bzw. Vernichter für Gluonen.
Die einzelnen Zustände der Gluonen werden erzeugt durch (analog zu Quark- Feldern):

|ga (⃗k, λ 〉 = a†a (⃗k, λ )|0〉 .

Die zugehörigen bosonischen Vertauschungsrelationen sind:


E F
† ⃗′

aa (k, λ ), ab(k , λ ) = (2π )3 δ 3 (⃗k − ⃗k′ )δab δλ λ ′ .

6.13.8 Perturbative QCD

Für Q > 2GeV oder einem Radius von r < 0, 1fm ist die Kopplungsstärke αs :

g2
αs = < 0, 3 .

In diesem Bereich ist eine störungstheoretische Entwicklung von Observablen als Potentzreihe
in αs möglich. Dies nennt man auch perturbative QCD.

Beispiele

• DGLAP - Evolutionsgleichungen in der tiefinelastischen Lepton-Nukleon-Streuung.


• Gluon-Austausch-Wechselwirkung zwischen schweren Quarks / Antiquarks bei Abständen
von r < 0, 1fm.

Betrachten wir den zweiten Punkt genauer . . .


Teilchen und Kerne
276 Starke Wechselwirkung

Gluon-Austausch-Potential : Für schwere Quarks gilt bei kleinen Abständen r:


7 8
αs 2 π
V(⃗r) = C − αs δ 3 (⃗r)σ
⃗1 ⋅ σ
⃗2 + …
r 3m2q

Mögliche Farb-Konfigurationen sind:

Quark-Quark [3] ⊗ [3] = [3] ⊕ [6]


-
− 23 … [3] attraktiv
C=
+ 13 … [6] repulsiv

Quark-Antiquark [3] ⊗ [3] = [1] ⊕ [8]


-
− 43 … [1] attraktiv
C=
+ 16 … [8] repulsiv

6.13.9 QCD auf dem Gitter


Um QCD-Simulationen auf Computern berechnen zu können, müssen verschiedene Vorausset-
zungen erfüllt werden:

• Übergang zu einem euklidischen Raum mit t = − τ . Im diesem Raum wird nun ein Gitter G
aufgespannt:

G = {xi ; xi /a ∈ ; i = 1, … 4 ; x4 = τ }
• Die Quarkfelder befinden sich auf den Gitterpunkten und haben periodische Randbedingun-
gen.
• Die Eichfelder (Gluonen) werden zu Link-Variablen.
8
> λb
Ux,x+dx = 1 + Ai (x)dx Ai (x) = g Abi (x)
b=1
2

Ux,x = 1 − Gij (x)dxi dyj Gij = ∂i Aj − ∂j Ai + [Ai , Aj ]


Dabei ist Gij der gluonische Feldstärketensor.

Man verwendet solche Berechnungen auf dem Gitter speziell bei Problemen mit großen Kopp-
lungsstärken, zumal hier ein störungstheoretischer Ansatz der perturbativen QCD nicht zulässig
ist. Weiterhin hat man ebenfalls damit begonnen, Vielteilchensysteme aus Quarks und Gluonen
(z.B. Atomkerne) mit dieser Methode zu behandeln, um deren Verhalten auf dem elementaren
Niveau der starken Wechselwirkung zu verstehen.
Teilchen und Kerne
6.14 Streuprozesse der starken Wechselwirkung 277

6.14 Streuprozesse der starken Wechselwirkung


Wir werden im Folgenden verschiedene Prozesse der Streuung und der Teilchenproduktion be-
trachten.

6.14.1 Streuprozesse
6.14.1.1 Hadronische Streuprozesse

Wir erinnern uns an die Partialwellenzerlegung aus 6.10.2. Dabei haben wir bereits die An-
regungsfunktion diskutiert. Wir haben die Streuung von Pionen (Spin 0) an Protonen (Spin
= α (s = 1/2, ms = ±1/2)) betrachtet. Bei niedrigen Energien (Ekin ≈ 100 − 300MeV) tragen nur
wenige Partialwellen (l ∈ [0, 1]) zur Streuung bei (Reichweite R ≈ 1fm ⇒ RpCM ≈ l/!).

• Für l = 0 erfolgt nur s-Wellenstreuung, also eine isotrope Winkelverteilung.


• Für l = 1 gilt für die Drehimpulswellenfunktion:

(s = 0) → (s = 0, l = 1) Φ(l, m) = Φ(1, 0)
Wegen der Drehimpulserhaltung muss ⃗L senkrecht auf der Streuebene stehen, somit ist für
die Quantenzahl m nur der Wert m = 0 möglich.
Für den Gesamtzustand ergibt sich:
$ % $ %
3 1 1 1
Ψ(j, m) = Ψ ,± und Ψ(j, m) = Ψ ,±
2 2 2 2
+
Wir wollen uns nun für die ∆-Resonanz interessieren, wobei I = 3/2 gilt. Dies ist für die p-
Streuung (|I , I3 〉|I p , I3p 〉 = |1, +1〉|1/2, +1/2〉) immer gegeben. Für J∆ gibt J = 3/2.
Bei der Resonanzenergie (Ekin ≈ 190 MeV) wird ein ∆ erzeugt und zerfällt sofort wieder in ein
+
+ p. Für die elastische Streuung betrachten wir nur den Zerfall in p.
$ % 6 $ % 6 $ %
3 1 1 ′ 1 1 2 ′ 1 1
Ψ , = Φ (1, 1)α ′ ,− + Φ (1, 0)α ,
2 2 3 2 2 3 2 2
9 :; < 9 :; <
Protonspinflip kein Protonspinflip
√ √
Die auftretenden Vorfaktoren 1/3 und 2/3 sind die Clebsch-Gordon-Koeffizienten. Unsere
winkelabhängigen Ortswellenfunktionen Φ′ lassen sich über Kugelflächenfunktionen Yml dar-
stellen:
6 6
φ
3 3
Φ′ (1, 1) = Y11 = − sin ϑ Φ′ (1, 0) = Y01 = cos ϑ
4π ΓL 4π
Betrachten wir nun die Winkelverteilung I(ϑ ) des gestreuten Pions:

1 " 1 #2 2 " 1 #2
I(ϑ ) = ΨΨ∗ = Y + Y
3 1 3 0
Teilchen und Kerne
278 Starke Wechselwirkung

• Terme mit Y01 Y11 oder α (1/2, 1/2)α (1/2, −1/2) verschwinden auf Grund der Orthogonalität der
Wellenfunktionen.
• Die Integration über den Winkel φ ergibt einen Faktor 2π

Somit folgt:

I(ϑ ) ∝ sin2 ϑ + 4 cos2 ϑ = 1 + 3 cos2 ϑ (6.44)

Außerhalb der Resonanz erfolgt eine starke Vermischung mit der s-Wellenstreuung. Man erhält
nun auch Terme ∝ cos ϑ (Abb. 6.62).

6.14.2 Teilchenerzeugung bei hohen Energien


6.14.2.1 Bei niedrigen Energien

Hier ist der Phasenraum nur klein, es gilt:

• Energieerhaltung
• Isospinerhaltung
• Strangenesserhaltung

Beispiele:
K− p → K− p , Λ 0 , , Ξ− K+
S=−1 S=−1

K p → K+ p, −−, −−, ΛK+ K+


+
S=+1 S=+1

Daher hat die Reaktion K− p bei niedrigen Energien einen höheren totalen Wirkungsquerschnitt
als die Reaktion K+ p.

6.14.2.2 Bei hohen Energien


n>
Teilchen

mn ≪ s
n=1

Somit ergibt sich ein großer Phasenraum.

• Bei hohen Energien dominiert der inelastische Prozess im totalen Wirkungsquerschnitt.


• Es werden Sekundärteilchen erzeugt:

– Meist Pionen (≈ 90%) und Kaonen (≈ 10%).


– Aber auch Baryonen-Antibaryonen Paare (beachte Baryonenzahlerhaltung).
Teilchen und Kerne
6.14 Streuprozesse der starken Wechselwirkung 279

Abb. 6.62: Bestätigung der Formel 6.44


Teilchen und Kerne
280 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.63: Energien und Impulse CMS

3
– Beobachtet wurden auch schon Antideuteronen D, Antitritium T = 3 H und Antihelium(3)
3
He.

• Experimentell hat man folgendes beobachtet:


Sei n die Anzahl (Multiplizität) der Teilchen:

n = A + B ⋅ ln s mit der Schwerpunktsenergie s

6.14.3 Kinematik
Bei hohen Energien definiert man sich drei neue kinematische Variablen. Wichtig ist hier als
erstes die Trennung von transversalen und longitudinalen Bewegungen. Zunächst führen wir
die nicht Lorentz- invariante Größe des sog. Feynman-x ein:

pl
xFeynman = xF =
pl (max)
Im Laborsystem ist diese Größe:

pTeilchen
xF ≈ xF ∈ [0, 1]
pStrahl
Im Schwerpunktssystem (CMS) hingegen ist XF

2pTeilchen
xF ≈ √
s

Bei hohen Energien ist die Ruheenergie der Teilchen vernachlässigbar und es gilt: E ≈ |⃗p|.
Betrachtet man die Abb. 6.63, welche den Streuprozess im Schwerpunktssystem zeigt, erkennt
man:


• Die Schwerpunktsenergie s teilt sich auf mindestens zwei Teilchen auf.
Teilchen und Kerne
6.14 Streuprozesse der starken Wechselwirkung 281

• Wenn man alle Massen vernachlässigt (≡ hohe Energien), so gilt:



A s ⃗pl 2
Emax = = |⃗pmax | = |⃗p max
l | xF = max = pl √ xƒ ∈ [−1, 1]
2 |⃗p l | s

Interpretation von xF für ein Teilchen:

xF > 0 Das Teilchen stammt von der Fragmentation von Eb(1) , also aus dem “Projektil“.
xF < 0 Das Teilchen stammt aus dem Target (Eb(2) ); hierbei spricht man auch von “Targetfragmentation“.

Transversalimpuls:
|⃗p|2 = p2x + p2y + p2z

Wir wählen die z-Achse entlang der Strahlachse, womit dann gilt:

|⃗p|2 = p2x + p2y +p2z


9 :; <
p2⊥

Analog folgt:
3
|p⊥ | = p2x + p2y =ˆ p⊥ =ˆ pT ⃗p⊥ = ⃗ex ⋅ px + ⃗ey ⋅ py

Bei hohen Energien (E > 10 GeV in pp-Stößen) kann das longitudinale und transversale Ver-
halten des Wirkungsquerschnittes getrennt voneinander behandelt werden.

Lorentz-invarianter Wirkungsquerschnitt:

Man schreibt für den Lorentz-invarianten Wirkungsquerschnitt:

d3 σ
E⋅
d3⃗p

Ableitung: Es sei (E,⃗p) der Vierervektor eines produzierten Teilchens im Laborsystem. Dann
ist der Phasenraumfaktor:

d3⃗p = dpx ⋅ dpy ⋅ dpz

Betrachten wir nun eine Lorentztransformation in ein Inertialsystem mit der Geschwindigkeit
+β in x- Richtung:

p′x = γ (px − β E) , p′y = py , p′z = pz , E′ = γ (E − β px )

Für das totale Differential des Impulses in x-Richtung gilt nun:


Teilchen und Kerne
282 Starke Wechselwirkung

∂ p′x ∂ p′ 1 px 2
dp′x = dpx + x dE = γ dpx − γβ dE = γ 1 − β dpx
∂ px ∂E E

mit p2x + p2y + p2z − E2 = −m2 und px dx = EdE. Es folgt:


" p
#
dp′x γ 1 − β Ex dpx dpx
= " # =
E′ γ E 1 − β pEx E

Auf Grund der freien Wahl der x−Achse (Drehung in Boostrichtung immer möglich) ergibt sich
der invariante Ausdruck:

d3 σ Ed3 σ
1 3 2= 3
d ⃗p d ⃗p
E

Kehren wir nach dieser Herleitung nun zu der oben angegebenen Form des Wirkungsquerschnit-
tes (siehe 6.14.3) zurück und führen eine Variablentransformation von den ursprünglichen kar-
tesischen auf die von uns gewählten kinematischen Variablen durch, so erhalten wir:

Ed3 σ Ed3 σ
=
d3⃗p p⊥ ⋅ dp⊥ ⋅ dpl ⋅ dpφ

Hierbei wurde eine Variablentransformation von dpx dpy nach dp⊥ dpφ . Wir integrieren über φ ,
zumal das Problem rotationssymmetrisch um die Strahlachse ist, und erhalten:

02π
Ed3 σ d3 σ
= " # =ˆ F(xF , p⊥ , s) mit dp2⊥ = 2p⊥ ⋅ dp⊥
p⊥ ⋅ dp⊥ ⋅ dpl ⋅ dpφ π ⋅ dp2⊥ ⋅ d pEl
0

Aus der Beobachtung erhält man:

F(xF , p⊥ , s) = F ′ (xF ) ⋅ F ′′ (p⊥ )

Hierbei ist F ′′ unabhängig von s und pL , aber proportional zu −bp⊥


.

Rapidität: Die longitudinale Impulsverteilung der erzeugten Teilchen wird oft in Einheiten
der Rapidität diskutiert. Wir definieren diese neue Größe als:

$ % I J
1 E + pL E + pL
y = ln = ln ! 2 (6.45)
2 E − pL p ⊥ + m2

!
• E= p2⊥ + m2 ⋅ cosh(y) ≡ m⊥ ⋅ cosh(y)
˙
• pL = m⊥ sinh(y)
Teilchen und Kerne
6.14 Streuprozesse der starken Wechselwirkung 283

pL
• βL = = arctanh(y)
E

Eigenschaften der Rapidität:

1. Im CMS gilt für pL = 0 automatisch y = 0


2. y ist nicht Lorentz-invariant, hat aber einfache Transformationseigenschaften beim Über-
gang vom System S (y) in ein anderes Inertialsystem S′ (y′ ) mit Relativgeschwindigkeit
β:
1 1−β
y′ = y − yS′ mit yS′ = ln
2 1+β
Dabei ist ys′ die Rapidität des Systems S′ gemessen im System S. Somit ist die Rapidität
additiv und die Form der Rapiditätsspektren ändert sich bei Transformationen nicht.
3. Der Maximalwert der Rapidität ymax im CMS ist:
$ %
1 s
ymax = ln ymin = −ymax
2 p2⊥ + m2
4. Totales Differential der Rapidität
dpL
dy =
dE

Aus Beobachtungen wissen wir, dass F (xF ) =konstant= B, wodurch für das Differential
des Wirkungsquerschnittes nach der Rapidität gilt:

= Konstant
dy

Oft wird noch eine weitere Variable eingeführt: die Pseudorapidität η . Für p⊥ ≫ m gilt:


E 2 −̸m2
;3 <9 : ⎡ ⎤
p2L + p2⊥ +pL pL 7 $ %8
E + pL p⊥
=cot ϑ
⎢√ ⎥ ϑ
y = ln ! 2 ≈ = ln ⎣9 1 + cot2:;ϑ + cot ϑ<⎦ = ln cot =η
p ⊥ + m2 p⊥ ϑ
2
cot( 2 )

$ %
ϑ
η = − ln tan (6.46)
2

Der maximale Impuls eines Teilchens entspricht dem Strahlimpuls (xF = 1). Somit ist die ma-
ximale Rapidität die Strahlrapidität.

E+p
yStrahl = ln = ymax
m
Teilchen und Kerne
284 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.64: Zur Erklaerung des Winkels


Theta in der Pseudorapidität Abb. 6.65: Pseudorapiditätverteilung

Hierbei geht ein, dass für den Strahl der Transversalimpuls Null ist. Für den invarianten Wir-
kungsquerschnitt gilt:

dpL
E ⋅ d3 σ E= dY 1 d3 σ 1 1 d3 σ
= =
d3⃗p p⊥ dp⊥ dφ dy 2π p⊥ dp⊥ dy

6.15 Hochenergiereaktionen und Konstituenten der Hadro-


nen

6.15.1 Leptonpaar Produktion in hadronischen Kollisionen


Im Zuge der Hadronisierung von Quarks haben wir die Reaktion e+ e− → qq̄ →Hadronen be-
trachtet und mit der Reaktion e+ e− → + − verglichen. Für den Wirkungsquerschnitt der zwei-
ten Reaktionen haben wir gefunden:

4πα 2
σ (e+ e− → + −
)=
3s
Betrachten wir nun die Reaktion e+ e− →Jet+Jet nach Abb 6.66. Hierbei gilt:

s = (Ee+ + Ee− )2 = (2EStrahl )2

Da nur die elektrische Ladung involviert ist, gilt:


+ − 4πα 2 > 2
σ (e e → qq̄ → Jet + Jet) = ⋅ ei
3s
9i=1:; <

Teilchen und Kerne
6.15 Hochenergiereaktionen und Konstituenten der Hadronen 285

Abb. 6.66: Erzeugung von zwei Jets bei e− e+ -Kollision

Abb. 6.67: Winkelverteilung von zwei Jets bei e− e+ -Kollision


Der Faktor ∗ ergibt für eine Strahlenergie von s > 10 GeV (reicht für die Produktion von
u, d, s, c und b) 11/9.
Nun betrachten wir zusätzlich die Winkelverteilung der Jets (siehe Abb. 6.67). Hierbei ist die
Strahlachse die Quantisierungsachse.

J P ( ∗ ) = 1−
Mit dem Spin der Quarks von 1/2 ergibt sich:

dN
∝ (1 + cos2 ϑ )
dΩ
Der Faktor cos2 ϑ kommt aus der Ununterscheidbarkeit der Jets unter 90◦ -Symmetrie. Weiter-
hin gilt wie bei der Mott-Streuung:

• Wegen me , m ≪ s ist die Helizität

⃗ ⋅ ⃗p
σ
= ±1
⃗ ||⃗p|

erhalten.
Teilchen und Kerne
286 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.68: e− e+ -Paarvernichtung

Abb. 6.69: Tiefinelastische Myonen-Streuung an eine Parton mit dem Impulsbruchteil x

• Wegen der Parität und der reinen s-Wellenstreuung ist die 90◦ -Streuung unterdrückt.

Was ist mit dem Umkehrprozess? Betrachten wir die Abbildungen 6.68 und 6.69. Aus der
Kombination erhalten wir einen neuen Graphen, Abb. 6.70, die Leptonen-Produktion aus zwei
Quarks.
Hier gilt nun nach “Drell-Yan“:

+ −
pp → +X

Abb. 6.70: Leptonen-Produktion aus zwei Quarks


Teilchen und Kerne
6.15 Hochenergiereaktionen und Konstituenten der Hadronen 287

− + 4 πα 2 2 4 πα 2 2 dσ − + 4 πα 2 2
σ (qq̄ → )= e = e ⇒ (qq̄ → )= e
3 s i 3 Q2 i dQ2 3 Q4 i

mit der Ladung der annihilierenden Quarks ei und der Masse des virtuellen Gammas M 2∗ =
ˆ 2.
M 2 =Q
Q2 = ŝ hängt wiederum nur von den Impulsbruchteilen x und x ab!

M 2∗ = ŝ2 = (xi P1 + xi P2 )2 = 2P1 P2 xi xi + x2i P21 + xi 2 P22 = M 2+ −

M 2+ − ist eine messbare Größe. Im Proton-Proton System gilt:

s = (P1 + P2 )2 = 2P1 P2 + P21 + P22


m2p m2p

Mit s ≫ m2p ergibt sich:

M = s ⋅ xi xi

Definiere dem dimensionslosen Parameter τ

M2
τ= = xi xi
s
Somit ergibt sich für den differentiellen Wirkungsquerschnitt:

dσ 4πα 2
= F(τ )
dQ2 3Q4
Die interessante Physik steckt nun in F(τ ):

> 01 01
1
F(τ ) = e2i xi dxi xi dxi ƒ1i (xi )ƒ2i (xi ) ⋅ δ (xi xi − τ )
Nc
9 i :; < 90 0
:; <

∗∗

Der Faktor ∗ stellt sicher, dass nur zwei gleich Quarksorten mit Farbe und passender Antifarbe
miteinander annihilieren. Der Faktor ∗∗ ist eine Summation über alle Impulsbruchteile xi und xi
der Quarksorten i über die Quarkdichteverteilugen ƒ1i (xi ) und ƒ2i (xi ). Der Faktor Nc beschreibt
die Anzahl der Farben und ist somit Nc = 3.

• Für die beobachteten Winkelverteilungen gilt dasselbe wie zuvor:


dN
∝ (1 + cos2 ϑ )
dΩ
Somit steht fest, das Quarks im Proton Spin1/2-Teilchen sind.
Teilchen und Kerne
288 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.71: Winkelverteilung bei Leptonen-Produktion aus zwei Protonen

• Aus der bekannten Verteilung ƒ1i (xi ) und



∝ F(τ ) ∝ ƒ1i (xi ) ⋅ ƒ2i (xi )
dM 2− +

lässt sich nun die Impulsverteilung der Antiquarks im Nukleon ermitteln.

6.16 Elastische Quarkstreuung bei hohen Energien


Aus den Anregungsspektren der cc̄- und bb̄-Zustände haben wir gefolgert, dass das Potential
der starken Wechselwirkung sich für kleine Abstände wie V(r) ∝ 1/r und für große Abstände
wie V(r) ∝ r verhält. Diese Information gilt aber bisher nur bis hin zu r ≈ 0.2 fm. Um die
Wechselwirkung bei noch kleineren Distanzen zu testen benötigt man höhere Energien.

6.16.1 Analogie zur e+ e− -Streuung


Zur Erinnerung betrachten wir die Analogie zur e+ e− -Streuung, deren Potential bis zu r ≈
10−19 m getestet ist. Es gibt zwei konkurrierende Streuprozesse:

t e− e+

t

e− e+ e− e+

x x

Abb. 6.72: -Austausch Abb. 6.73: virtueller -Zwischenzustand


Teilchen und Kerne
6.16 Elastische Quarkstreuung bei hohen Energien 289

t-Kanal
s-Kanal

t = (P′e− − Pe− )2 = q2 =
θ∗ s = (Pe− + Pe+ )2 = 4(E∗ )2
2 ∗ 2 2
= −Q = −4|⃗p | sin
2
2
2s
2
+ u2 2t + u2
2
|M | ∝ |M |2 ∝
t2 s2

wobei s, t und u = (P′e+ − Pe− )2 die drei (lorentzinvarianten) Mandelstam-Variablen sind12 .


Für kleine Winkel ist s ≫ t bzw. 1/t2 ≫ 1/s2 . In diesem Fall dominiert also der -Austausch.

2 2

∝ 4 ∝ ∗ (Rutherford-Querschnitt) (6.47)
dθ q sin4 θ2

Diese Form des Wirkungsquerschnitts ist eine direkte Folge des 1-Photon-Austausches mit m =
0 und Spin( ) = 1 sowie J P = 1−

6.16.2 Quarkstreuung (qq̄)

Wir gehen von der Annahme aus, daß mg = 0 und Spin(g) = 1. Dann gibt es ebenfalls zwei
konkurrierende Prozesse:

q q̄

g∗
g∗

q q̄
q q̄

Abb. 6.74: t-Kanal“



Abb. 6.75: s-Kanal“

t-Kanal“ (s. Abb. 6.74): s-Kanal“ (s. Abb. 6.75):


” ”
s 2 + u2 t 2 + u2
|M | ∝ s2 2 |M | ∝ s2 2
t s
12
Die beiden Prozesse sind über die Crossing-Symmetrie verknüpft.
Teilchen und Kerne
290 Starke Wechselwirkung

Leider gibt es aber keine freien Quarkstrahlen, mit denen man dieses überprüfen könnte. Des-
halb benutzt man hochenergetische p- und p̄-Strahlen (z.B. am CERN13 mit 310 GeV+ 310 GeV
oder am FNAL14 mit 1 TeV + 1 TeV).
Dabei sucht man (analog zur e+ e− -Streuung) nach 2-Jet-Ereignissen. Diese machen nur 10−6 al-
ler Ereignisse aus. Um eine Auswahl zu ermöglichen muss genügend Energie in die transversale
Bewegung umgesetzt werden (harter Stoß), so dass

N
>
ET = Ei sin θi > 15 GeV , N ∝ Anzahl aller Teilchen im Jet.
i=1

Ei ist die Energie, θi ist der Polarwinkel des Teilchens i bezogen auf die Strahlachse.
Die ausgewählten Ereignisse sehen im Laborsystem folgendermaßen aus:

Jet 1

p3
p1 p2
p p̄
p4

Jet 2

Im Schwerpunktsystem der Partonen hat man folgende Impulse:

p∗3

p∗1 ⃗p1∗ = −⃗p2∗


p∗2
p∗4

Gemessen wird die harte Wechselwirkung von zwei Partonen aus q und q̄. Die nicht getroffe-

nen“ Partonen laufen fast ungestört weiter, fragmentieren und verschwinden vorne und hinten
aus dem Detektor. Die wechselwirkenden Partonen tragen die Impulsbruchteile x1 und x2 der
Strahlteilchen (xi : Bjorkensche Variablen).

p1 = x1 pStrahl
p , p2 = x2 pStrahl

Aufgrund der Impulserhaltung müssen sich die Transversalimpulse von p3 und p4 aufheben und
es gilt (pzi sind die Longitudinalimpulse)
13
http://www.cern.ch/
14
http://www.fnal.gov/
Teilchen und Kerne
6.16 Elastische Quarkstreuung bei hohen Energien 291

p1 + p2 = pz3 + pz4 = p3 + p4 und q = p3 − p1 = p2 − p4

Desweiteren lässt sich ableiten:

pz3 + pz4 2pL


x1 − x2 = = xF =ˆ √
EStrahl s

Die für den Parton-Parton-Stoß relevanten kinematischen Größen sind

ŝ = (p3 + p4 )2 = 4x1 x2 EStrahl


2
= x1 x2 s
meßbar

" Jet #
Strahl 2 s √
t̂ = p3 − x1 p = −2x1 E3Jet (1 − cos θ ) = −x1 s E3Jet (1 − cos θ )
2

mit

(⃗p3 − ⃗p4 ) ⋅ (⃗p1 − ⃗p2 )


cos θ =
|⃗p3 − ⃗p4 | |⃗p1 − ⃗p2 |

Dabei ist zu beachten, dass eine Zuordnung von einlaufenden Partonen zu Jets nicht eindeutig
möglich ist, der Winkel ist mehrdeutig θ ↔ π − θ . Konventionsgemäß ist θ immer der kleinere
der beiden Streuwinkel.
Da im Nukleon nicht nur Quarks sondern auch Antiquarks und Gluonen vorkommen, müssen
die aus der e+ e− -Streuung bekannten Streuprozesse erweitert werden. (Die Zahlen an den Verti-
ces sind die Farbfaktoren, die in den Matrixelementen auftauchen.)

4 4 4
+ 3 + 3 3
3 3 3 t̂-Kanal

q q̄ q, q̄
q q̄ g g

+ ŝ-Kanal

q q̄ g g

Für kleine Winkel gilt im CMS wiederum t̂ ≪ ŝ, weshalb die t̂-Kanal Prozesse dominieren.

dσ ab 2 1
∝ s cF
dt̂ ↑ t̂
Farbfaktor
Teilchen und Kerne
292 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.76: Aufbau des CDF-Detektors sowie ein damit gemessenes Ereignis
Teilchen und Kerne
6.16 Elastische Quarkstreuung bei hohen Energien 293

Ein Problem bei der Analyse ist, dass die xi für ein einzelnes Ereignis nicht vorhersehbar sind.
Sie sind aber messbar. Die Verteilungen aller möglichen xi werden jedoch durch die Quarkdich-
teverteilungen qa (x) beschrieben (a: Partonsorte). Für Quarks gilt:
>1 2
a a
F2 (x) = x q (x) + q̄ (x)
9 :; <
aus a
tiefinelastischer
Neutrinostreuung

Wegen der Hadronisierung kann das Quarkflavour im Endzustand nicht gemessen werden. Man
muss daher geeignet summieren:

d3 σ (pp̄ → 2 Jets) > Fpa (x, Q2 ) Fp̄b (x, Q2 ) dσ→2


ab
Jets
> ab
dσ→2 Jets
= = qap (x, Q2 ) qbp̄ (x, Q2 )
dx1 dx2 dcos θ x x dcos θ dcos
9 :; θ <
9 :; < a,b a,b
Hadronischer WQ Partonischer WQ

Unter Verwendung gewichteter Strukturfunktionen F(x, Q2 ) und gewichtet gemittelter Wirkungs-


querschnitte ergibt sich:

d3 σ (pp̄ → 2 Jets) dσ ab
= F(x1 , Q2 ) F(x2 , Q2 ) →2 Jets
dx1 dx2 dcos θ dcos θ
Dabei enthält F(x1 , Q2) ⋅ F(x2 , Q2 ) alle drei Austauschgraphen in der richtigen Stärke, da in

41 2
F(x, Q2 ) = g(x, Q2 ) + q(x, Q2 ) + q̄(x, Q2 )
9
der Faktor 4/9 die relative Stärke von 3-Gluon- und Quark-Gluon-Quark-Kopplung berücksich-
tigt. Die Größe des Verhältnisses ergibt sich aus der Farbsymmetrie.
Es gibt zwei Arten, die Daten der 2-Jet-Produktion zu analysieren:

1. Winkelverteilung der Jets, d. h. man integriert über alle x1 und x2 . Man kann zeigen, dass
dann für cos θ ≈ 1 (also Vorwärtsstreuung) gilt:
2
dσ 9
≈ ⋅ 2 s 4θ
dΩ 8 4E0 sin 2
Man sieht, dass die Winkelverteilung sich analog zum Rutherford-Streuquerschnitt (6.47)
verhält. Sie unterscheidet sich nur durch die Ersetzung → s und den Farbfaktor 89 . θ
ist hier der Winkel im Schwerpunktsystem der Jets und nicht der Winkel in dem von pp̄.
Diese Analogie zur Rutherford-Streuung bedeutet bis zu Q2 $ 2000 GeV, also Abständen
über 4 ⋅ 10−18 m:
1
• Potential ∼ r
• mg = 0
• Spin(g) = 1
Teilchen und Kerne
294 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.77: Differentielle Wirkungsquerschnitte bei der Streuung punktförmiger Teilchen an einem 1/r-Potential
(Rutherford-Streuung) (aus [Pe87])
Teilchen und Kerne
6.17 Bestimmung magnetischer Momente 295

Bei großen Winkeln muss man in der Praxis noch Abweichungen berücksichtigen, die
durch Spineffekte, die relativistische Näherung und die Winkelzweideutigkeit zustande
kommen.
Als Resultat erhält man:
1
• Das Potential ist proportional zu 1/r: V(r) ∝ r
• Gluonen besitzen keine Ruhemasse: mGluon = 0
• Gluonen tragen ganzzahligen Spin (Bosonen): sGluon = 1
2. Man benutzt die bekannte Winkelabhängigkeit des Streuquerschnitts
ab
dσ→2 Jets
dcos θ
und analysiert die Messdaten um F(x, Q2 ) zu bestimmen. Die unbekannten x1 und x2
werden experimentell bestimmt aus
" Jet 1 # " 3 #
pz − pJet
z
2
= pz − p4z = (x1 − x2 )pStrahl
(d. h. der Longitudinalimpuls des Schwerpunktes bestimmt ∆x) und
" #2
2
M12 = pJet 1 + pJet 2 = (p3 + p4 )2 = ŝ = x1 x2 s

4E 2

Mit den so bestimmten x1 und x2 analysiert man den Wirkungsquerschnitt als Funktion
dieser beiden Variablen und erhält so F(x, Q2 ). Das Ergebnis vergleicht man dan mit g(x)+
F2 (x) aus der Leptonstreuung.
Wie man in Abb. 6.78 sieht ist die Übereinstimmung hervorragend. Die Leptonen sehen
also die gleichen Partonen wie die Partonen selbst. In dieser Hinsicht ist also unsere
Beschreibung der starken Wechselwirkung konsistent.

6.17 Bestimmung magnetischer Momente


Als Beispiel verwenden wir hier das Λ-Hyperon. Die allgemeine Methode ist die Bestimmung
der Spinpräzession im Magnetfeld, wie in der Atomphysik bei der Hyperfeinstruktur. Nur wer-
den hier externe magnetische Felder verwendet. Notwendige Voraussetzungen sind:

• Polarisation der Teilchen (nach Spinausrichtung)


• Analyse der Spinstellung

Polarisation: Bei Hyperonen findet man in Experimenten, daß sich bei P⊥ ≥ 0.7 GeV spontan
eine Polarisation bis zu 30% senkrecht zur Produktionsebene (Abb. 6.79) einstellt. Die Ursache
hierfür ist noch unklar.
Die Produktionsebene wird durch den Strahl (Protonen) und den Impuls des Hyperons (Λ) auf-
gespannt. Die Normale n̂ hierzu berechnet sich aus:
Teilchen und Kerne
296 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.78: Die Punkte zeigen die Kombination der Strukurfunktionen g(x) + 4/9(q(x) + q̄(x)) bei Q2 ≈ 2000 GeV2 .
Die durchgezogene Linie erhält man aus der Messungen bei Q2 ≈ 20 GeV2 (gestrichelte Linie) durch QCD-
Entwicklung zu Q2 ≈ 2000 GeV2 . Ohne den Gluonbeitrag ergibt sich dabei die gestrichpunktete Linie (aus [Pe87]).
Teilchen und Kerne
6.17 Bestimmung magnetischer Momente 297

Abb. 6.79: Polarisation bei Produktion von Hyperonen

n̂ ∝ ⃗pStrahl × ⃗pHyperon = ⃗pp × ⃗pΛ

Die Polarisation P⃗ steht dann parallel zu n̂. Dabei bedeutet ↑ eine Polarisation in Richtung n̂.

N ↑ − NΛ↓
P⃗ ∝ Λ
NΛ↑ + NΛ↓

Spinanalyse: Aus der schwachen Wechselwirkung (siehe Kap. 7) wissen wir, dass beim Zer-
fall des Λ die Emission des Pions nicht isotrop in alle Raumrichtungen erfolgt (Abb. 6.80). Es
gilt:

I(cos ϑ ) = 1 + α ⋅ P ⋅ cos ϑ

Hierbei ist α die Analysierstärke und P der Polarisationsgrad.


Man verwendet nun eine statistische Analyse und betrachtete die Anzahl der emittierten Pionen
als Funktion von cos ϑ .

• ϑ ist der Winkel zwischen n̂ (der Produktionsnormalen) und dem Tochterteilchen .


• Man beachte, daß ⃗P ∥n̂.

Aus der Winkelverteilung bei bekanntem α (α ≈ 0, 6 für Λ) ergibt sich der Polarisationsgrad P .

Wie erhält man nun das magnetische Moment µΛ ? Hierzu läßt man polarisierte Λ-Hyperonen
durch ein Magnetfeld laufen. Die zeitliche Änderung des Spinvektors ⃗s im Magnetfeld ist

d⃗s e E1 ⃗ 2 F
=µ ⃗s × b + m
dt γ ⋅ mN
Teilchen und Kerne
298 Starke Wechselwirkung

Abb. 6.80: Abstrahlung von Pionen bei Zerfall von Hyperonen

wobei die zusätzlichen Terme durch geeignete Symmetrien verschwinden. Der Drehwinkel ε
des magnetischem Momentes µΛ (in Einheiten des magnetischem Momentes eines Nukleons
µN ) ergibt sich zu

e mΛ
ε = µΛ l⋅B.
mN p ⋅ c

Typische Werte sind:

• p ⋅ c ≈ 100 GeV
• B ⋅ l ≈ 8 Tm

Man bestimmt nun das magnetische ⃗µΛ Moment aus dem Drehwinkel (über den Impuls ⃗pΛ ) bei
verschiedenen B ⋅ l. Als Ergebnis ergibt sich:

Teilchen µ [µN ]
Λ −0, 613 ± 0, 004
+
2, 419 ± 0, 022

−1, 156 ± 0, 014
Ξ0 −1, 253 ± 0, 014
Ξ− −0, 651 ± 0, 017
Ω− −2 ± 0, 2

Die Bestimmung von µΩ− des Ω− Baryons ist schwierig, da hier die Analysierstärke α nur sehr
klein ist.
Teilchen und Kerne
Übungen 299

Abb. 6.81: Strukturfunktion des Nukleons

Übungen zu Kapitel 6

Übung 6.1: Quarkverteilungen im Nukleon. Abb. 6.81 zeigt die Zerlegung der Struktur-
funktion F2 (x) = x(q(x) + q(x)) des Nukleons in einen Valenzquark- und einen Antiquarkanteil.

a) Für den Valenzquarkanteil gilt V(x) = q(x) − q(x). Die Valenzquarkverteilung in der Ab-
bildung wird parametrisiert durch

xV(x) = 3.6x0.55 (1 − x)3 .


51
Man schätze 0
dxV(x) ab und bestätige, daß es drei Valenzquarks gibt.
b) Warum ist F2 (x) für kleine Werte von x ca. das Doppelte der Antiquarkverteilungsfunkti-
on?

Übung 6.2: Zerfälle von Hadronen. Begründen Sie, welche der folgenden Prozesse nicht
durch die starke Wechselwirkung ablaufen können:

a) K− → −
+ 0
e) K− + n → Λ0 + −

b) K+ → +
+ 0
+ 0
f) +
+n→ −
+p
− 0 0 +
c) K + p → K + n g) Λ → +n
d) K+ + n → Λ0 + +
h) −
+ p → K− + +
Teilchen und Kerne
300 Übungen

Übung 6.3: Baryonen-Multipletts. Im SU(3)-Schema werden Teilchen mit vorgegebenem


Spin gemäß der Hyperladung Y = B+S und der dritten Komponente ihres Isospins I3 klassifizert.
B ist hierbei die Baryonenzahl und S die Strangeness der Teilchen. So findet man z. B. für
Baryonen mit Spin J = 21 ein Oktett und mit J = 32 ein Dekuplett.
Y

1 n (udd) p (uud) Y

+ ∆-(ddd)
0
∆(udd) ∆+(uud) ∆++(uuu)
0
Σ (sdd) Σ (suu) 1

Λ0 ,Σ0(sud) 0
Σ (sdu)
Σ -
(sdd) Σ +(suu)
-1
Ξ (ssd) Ξ 0(ssu) -1
Ξ-(ssd) Ξ0(ssu)
-2
-2 -
Ω(sss)
1 3
Oktett mit J = 2 Dekuplett mit J = 2

Die Massen der Oktett-Zustände sind näherungsweise gegeben durch mn/p = 939 MeV/c2 , mΛ =
1116 MeV/c2 , m = 1193 MeV/c2 und mΞ = 1318 MeV/c2 . Die Massen der Dekuplett-Zustände
sind näherungsweise m∆ = 1232 MeV/c2 , mΣ(3/2) = 1385 MeV/c2 , mΞ(3/2) = 1530 MeVc2 und
mΩ = 1672 MeV/c2 .

a) Zeigen Sie, daß für die elektrische Ladung Q die Relation


1
Q = I3 + (B + S)
2
generell erfüllt ist.
b) Wäre die Flavour-SU(3)-Symmetrie in der starken Wechselwirkung exakt erfüllt, so wä-
ren alle Zustände eines Multipletts entartet, d. h. alle Teilchen eines Multipletts hätten
dieselbe Masse. Die Brechung der Symmetrie führt zur Aufhebung der Massenentartung.
Gruppentheoretische Überlegungen führten Gell-Mann und Okubo zu einer Massenfor-
mel für die Masse M der Zustände eines Multipletts:
$ %
1 2
M = M0 + aY + b I(I + 1) − Y
4
Hierbei sind M0 , a und b feste Parameter in einem gegebenen Multiplett.
Testen Sie die Gell-Mann-Okubo-Massenformel anhand der empirischen Daten im Bary-
onen-Oktett und -Dekuplett. Zeigen Sie insbesondere, daß die Massenformel zu folgen-
den Relationen führt:

1
MN + MΞ = (3MΛ + MΞ ) im Oktett und
2
MΣ(3/2) − M∆ = MΞ(3/2) − MΣ(3/2) = MΩ − MΞ(3/2) im Dekuplett.
Machen Sie eine Vorhersage für die Masse des Ω− im Dekuplett. Welche Reaktion würden
Sie vorschlagen, um das Ω− zu erzeugen?
Teilchen und Kerne
Übungen 301

Übung 6.4: Positronium. Das Positronium ist ein wasserstoffähnlicher gebundener Zustand
aus einem Elektron und einem Positron. Je nach Kopplung der Spins von Elektron und Positron
unterscheidet man Para-Positronium (S = 0) und Ortho-Positronium (S = 1).

a) Das Positronium hat nur eine endliche Lebensdauer, da sich Elektron und Positron anni-
hilieren. Bei diesem Prozeß werden Photonen erzeugt. Überlegen Sie, wieviele Photonen
beim Zerfall des Positroniums mindestens enstehen müssen. Welche Unterschiede zwi-
schen Ortho- und Para-Positronium gibt es hierbei? Hinweis: Fermionen und Antifermio-
nen haben entgegengesetzte innere Parität.
b) Schätzen Sie das Verhältnis der Zerfallsbreiten (bzw. Lebensdauern) von Ortho- und Para-
Positronium ab.
c) Bestimmen Sie unter Verwendung der Grundzustandswellenfunktion für ein wasserstoff-
ähnliches System J/ (0) ausgewertet am Ursprung die Lebensdauer von Ortho-Positroni-
um. Geben Sie hierzu zunächst die Wahrscheinlichkeit für ein Zusammentreffen von
Elektron und Positron an. Die Übergangsrate erhalten Sie dann aus der Übergangswahr-
scheinlichkeit und der Dauer“ der Wechselwirkung.

Übung 6.5: SU(3)-Operatoren. Die λ -Matrizen der Gruppe SU(3) besitzen die auf S. 196
gegebene Darstellung.
Y
d u
1/3

I3
-1/2 1/2

s -2/3

Erläutern Sie anhand des Gewichtsdiagramms der Fundamentaldarstellung mit

1
Isospin: I3 = λ3
2
1
Hyperladung: Y = √ λ8
3
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
1 0 0
u = ⎝ 0 ⎠,d = ⎝ 1 ⎠,s = ⎝ 0 ⎠
0 0 1

die Wirkung der Operatoren

1 1 1
T± = (λ1 ± λ2 ), U± = (λ6 ± λ7 ), V± = (λ4 ± λ5 )
2 2 2
Teilchen und Kerne
302 Übungen

Übung 6.6: Magnetische Momente im Quarkmodell.

a) Konstruieren Sie durch geeignete Kombination von u-Quarks (I3 = 12 , Y = 31 ), d-Quarks


(I3 = − 12 , Y = 13 ) und s-Quarks (I3 = 0, Y = − 23 ) die Spin-Flavour-Wellenfunktionen für
Proton (uud), Neutron (udd) und das Λ-Hyperon (uds). Diese müssen symmetrisch un-
ter der Vertauschung zweier Quarks sein. Für das Λ-Hyperon muß hierbei berücksichtigt
werden, daß aus Symmetriegründen der ud-Anteil der Wellenfunktion zu Spin Null kop-
pelt.
&
b) Berechnen Sie die magnetischen Momente gemäß µ ⃗ = g⃗J, wobei ⃗J = i ⃗si der Gesamt-
spin der Valenzquarks ist. Für die magnetischen Momente wird angenommen, daß:

$ % $ %
e e
⃗ u,d = Qu,d
µ ⃗ u,d
σ und ⃗ s = Qs
µ ⃗s
σ
2mc 2ms c

c) Bestimmen Sie mit Hilfe der Wellenfunktionen die Verhältnisse

gp Daten gΛ Daten
= −1.459898 und = 0.320 ± 0.003
gn gn
und vergleichen Sie diese mit den Daten.

Hinweis: Bestimmen Sie die effektive s-Quarkmasse aus mΛ = 1115 MeV/c2 mit Hilfe von
m = mu = md und MProton = 3m.

Übung 6.7: Charmonium. Wie das Positronium (e+ e− ) hat das Charmonium (cc̄) Energie-
niveaus, die ähnlich dem Wasserstoffatom mit der nichtrelativistischen Schrödingergleichung
beschrieben werden können.
Für kleine Abstände wird die starke Wechselwirkung näherungsweise durch das coulombartige
Potential

4 s c
V=−
3 r
beschrieben. Analog zur Spin-Spin-Wechselwirkung im Atom läßt sich eine farbmagnetische
Wechselwirkung

3 ⃗c ⋅ σ
⃗ c̄
8 σ
Vss = αs δ (⃗r)
9c mc mc̄
definieren, bei der die starke Kopplung s an die Stelle der elektromagnetischen Kopplungs-
stärke tritt und die Vorfaktoren berücksichtigen, daß es drei Ladungen gibt.
Berechnen Sie in Analogie zum Wasserstoffatom die Aufspaltung des Grundzustands zum er-
sten angeregten Zustand und ermitteln Sie mit Hilfe des gemessenen Massensplittings von
1 3
c (1 S0 ) zu J/ (1 S1 ) von 120 MeV Werte für s und mc .
Teilchen und Kerne
Übungen 303

Abb. 6.82: Differentieller Wirkungsquerschnitt für Pion-Proton-Streuung (aus [Er88])

Übung 6.8: Parität des Pions. In der Reaktion − + d → 2n wird ein gestopptes negativ
geladenes Pion in einem atomaren“ s-Orbital eingefangen und am Deuteron (d) absobiert. Im

Deuteron (Spin 1) sind Proton und Neutron überwiegend in einem Zustand mit relativem Bahn-
drehimpuls ℓ = 0. Bestimmen Sie die innere Parität des Pions unter der Voraussetzung, daß die
innere Parität der Nukleonen positiv ist.

Übung 6.9: Spin der ∆(1232)-Resonanz.


√ Der differentielle Wirkungsquerschnitt für + p →
+
p im Bereich der ∆-Resonanz bei s = 1232MeV hat die in Abb. 6.82 gezeigte Winkelver-
teilung.

a) Drücken Sie diesen differentiellen Wirkungsquerschnitt in der Form

dσ dσ . /
(θ ) = (θ = 0) A + B cos θ + C cos2 θ
dΩ dΩ
aus und bestimmen sie die Koeffizienten A, B und C.
+
b) Die Partialwellenentwicklung der + p-Streuamplitude lautet (mit dσ /dΩ = |g|2 + |h|2 ):

>. /
g(θ , E) = (ℓ + 1)a+ℓ (E) + ℓ a−ℓ (E) Pℓ (cos θ )

>. /
h(θ , E) = sin θ a+ℓ (E) − a−ℓ (E) P′ℓ (cos θ )

Dabei sind a±ℓ die Amplituden zum Gesamtdrehimpuls j = ℓ ± 12 des Pion-Nukleon-


Systems. Man berechne dσ /dΩ unter Berücksichtigung von s- und p-Wellen.
c) Durch Vergleich mit der experimentellen Winkelverteilung aus der Abbildungzeige man,
daß das N-System bei der Formation der ∆-Resonanz den Bahndrehimpuls ℓ = 1 und
den Gesamtdrehimpuls j = 32 besitzt.
Teilchen und Kerne
304 Übungen

Übung 6.10: Charmonium-Spektroskopie. Das Spektrum der niedrigliegenden Zustände


von Charmonium ist in Abb. 6.27 (S. 229) gezeigt. Diskutieren Sie die Auswahlregeln (Dreh-
impuls und Parität) für elektrische und magnetische Dipolübergänge vom angeregeten Zustand
J/ (23 S1 ) in die darunterliegenden Zustände des cc̄-Systems. Vergleichen Sie mit dem gemes-
senen Photonenspektrum aus dem Zerfall des J/ (23 S1 ) in Abb. 6.26 und diskutieren Sie die
Zuordnung der Linien zu entsprechenden Übergängen.

Übung 6.11: Hadron-Proton-Wirkungsquerschnitte. Die mittlere freie Weglänge λ eines


Hadrons in Kernmaterie der Dichte ρ ist gegeben durch

1
λ= .
ρσ
Dabei ist σ der totale Wirkungsquerschnitt für die Hadron-Nukleon-Streuung. Bestimmen Sie
die mittleren freien Weglängen für Antiprotonen, Protonen, Pionen, K− - und K+ -Mesonen aus
den in Abb. 6.45 auf S. 255 gezeigten Wirkungsquerschnitten. Vergleichen Sie die Werte mit
typischen Kernradien gemäß R = r0 A1/3 mit r0 = 1.2 fm für 4 He, 12 C und 208 Pb. Interpretieren
Sie das Resultat.

Übung 6.12: Datenanalyse mit dem Dalitz-Plot. Wir betrachten die Vernichtung von Pro-
tonen und Antiprotonen in Ruhe:

0 0 0
p + p̄ → X → + + .

Zur Beschreibung des Endzustands definieren wir

pij = pi + pj und m2ij = p2ij , i, j = 1, 2, 3

woraus folgt, daß

m212 + m223 + m213 = MX2 + m21 + m22 + m23 und


m212 2
= (P − p3 ) = M +2
m23 − 2ME3

gilt. Im Ruhesystem ergibt sich für ein spinloses Teilchen X eine Endzustandsdichte

ρ = |M (E1 , E2)|2 dE1 dE2 .

Hierbei beschreibt das Matrixelement M (E1 , E2) die Reaktionsdynamik.

a) Überprüfen Sie, daß sich die Zustandsdichte auch schreiben läßt als

1
ρ= |M |2 dm212 dm223 .
4M 2
Teilchen und Kerne
Übungen 305

0 0 0
Abb. 6.83: Dalitz-Plot in (Crystal-Barrel-Experiment, CERN)

b) Zur Analyse der Endzustände und Auffindung von Resonanzen im Zwischenzustand X,


die aus zwei der drei Pionen gebildet werden, wird häufig der sogenannte Dalitz-Plot ver-
wendet. Hierbei trägt man m212 gegen m223 auf. Ein konstantes Matrixelement M würde
sich durch eine konstante Zustandsdichte im Dalitz-Plot ausdrücken. Aus Strukturen im
Dalitz-Plot kann man Rückschlüsse auf das Matrixelement ziehen, z. B. auf Resonan-
zen, die in der Reaktion entstehen, und auf deren Spin. Geben Sie die Massen der vier
Resonanzen an, die im Dalitz-Plot in Abb. 6.83 sichtbar sind.

c) Überlegen Sie, welche Gesamtspins ein aus zwei identischen Pionen gebildeter Zustand
haben kann unter Berücksichtigung eines möglichen relativen Drehimpulses. Wie wirkt
sich der Gesamtspin auf die Zustandsdichte aus, wenn man die beiden niedrigsten Mög-
lichkeiten betrachtet? Geben Sie Ihren Überlegungen folgend die Spins der vier im Dalitz-
Plot identifizierten Resonanzen an.

Übung 6.13: Hochenergetische elastische Proton-Proton-Streuung. Wir untersuchen √ die


elastische Streuung von Protonen (p + p → p + p) bei hohen Schwerpunktsenergien ( s ≫ Mp ).
Es sei t = (p − p′ )2 , wobei p und p′ die Viererimpulse im Schwerpunktsystem (CMS) vor und
nach der Streuung und θ ∗ der Streuwinkel im CMS sind.
Teilchen und Kerne
306 Übungen

a) Für elastische Streuung und s ≫ 4Mp2 zeige


man:
dσ s dσ
=
dΩ∗ 4 d|t|
b) Der differentielle Wirkungsquerschnitt unter
Vorwärtswinkeln wird in guter Näherung durch

7 8
dσ dσ
= A exp−B|t| mit A =
d|t| d|t| θ ∗ =0

beschrieben. Schätzen sie√A und B aus den ex-


perimentellen Daten für s = 23 GeV in Abb.
6.84 ab. Bestimmen Sie den elastischen Wir-
kungsquerschnitt
0

σel = dΩ∗ ∗
dΩ
bei dieser Energie und vergleichen Sie mit dem
totalen Wirkungsquerschnitt σtot (pp) aus Auf-
gabe 6.10. Wie groß ist folglich der inelastische

Proton-Proton-Wirkungsquerschnitt bei s =
23 GeV? √
Abb. 6.84: Elastische pp-Streuung bei s=
23 GeV

c) Unter Verwendung des optischen Theorems zeige man, daß für den elastischen differen-
tiellen Wirkungsquerschnitt in Vorwärtsrichtung gilt
7 8
dσ σ2
= tot (1 + ξ 2 )
d|t| t=0 16
Dabei ist ξ = Reƒ(0)/Imƒ(0) das Verhältnis von
√ Real- und Imaginärteil der elastischen
Vorwärtsstreuamplitude. Ermitteln Sie ξ bei s = 23 GeV und interpretieren Sie das
Resultat.
Kapitel 7

Schwache Wechselwirkung

Unter allen vier Wechselwirkungen nimmt die schwache Wechselwirkung eine besondere Stel-
lung ein. Die bisher besprochenen fundamentalen Wechselwirkungen, die elektromagnetische
und die starke Wechselwirkung, gehorchen Auswahlregeln und beachten die Symmetrien

• Raumspiegelung ⃗r → −⃗r
• Zeitumkehr t → −t
• Ladungskonjugation q → −q
• Isospin und G-Parität I und I3
• Flavorerhaltung u, d, … und e, , …

Die schwache Wechselwirkung ist zwar theoretisch gut verstanden, aber doch immer wieder für
Überraschungen gut.

7.1 Überblick
Zum ersten Mal wurde die schwache Wechselwirkung in niederenergetischen Prozessen, vor
allem beim -Zerfall von Kernen, beobachtet. Obwohl alle Teilchen an ihr teilnehmen, ist die
schwache Wechselwirkung selten sichtbar, da sie im allgemeinen durch elektromagnetische und
starke Wechselwirkung maskiert wird. Folglich wird sie nur in Prozessen, welche nicht über die
beiden letztgenannten Wechselwirkungen ablaufen, der Beobachtung zugänglich sein.
Typisch für die schwache Wechselwirkung ist die Beteiligung von Leptonen; diese sind aber
nicht unerläßlich. Einige der typischen Prozesse der schwachen Wechselwirkung sind in Tab.
7.1 zusammengestellt.
Für diese Vielzahl von Prozessen ist also gerade eine Wechselwirkung verantwortlich. Daher
nimmt man folgende Klassifizierung vor:

• semileptonische Prozesse (Abb. 7.1) stellen die häufigsten Prozesse der schwachen Wech-
selwirkung dar ( -Zerfälle). Sie involvieren sowohl Hadronen als auch Leptonen.

307
Teilchen und Kerne
308 Schwache Wechselwirkung

Prozeß Übergangsrate
40 40
Kern- -Zerfall K → Ca + e− + ¯ e 10−9 a−1
-Zerfall des Neutrons n → p + e− + ¯ e 10−3 s−1
− −
Pion-Zerfall → +¯ 108 s−1

Myon-Zerfall → e− + ¯ e + 106 s−1
Lambda-Zerfall Λ → p+ − 1010 s−1
Fusion in der Sonne p+p → d + e+ + e
Antineutrino-Streuung ¯ e + p → n + e+ 10−38 cm2
Neutraler Strom e+ + e− → +¯
Tab. 7.1: Einige Prozesse der schwachen Wechselwirkung

• nichtleptonische oder hadronische Prozesse (Abb. 7.2): Zerfälle von Hadronen.

• leptonische Prozesse (Abb. 7.3): Die am seltensten vorkommenden Prozesse; hier hat man
ausschließlich Leptonen als Wechselwirkungspartner.

7.1.1 Eigenschaften der schwachen Wechselwirkung

• Der zugrundeliegende Prozess involviert Quarks und Leptonen, sowie die Austauschteilchen
der schwachen Wechselwirkung, die Wechselwirkungsbosonen Z0 und W± . Da man feststellt,
dass die Wechselwirkungsstärke dieselbe für alle Teilchen ist, wird analog zur elektromagne-
tischen Ladung bzw. zur Farbladung eine schwache Ladung eingeführt, welche universell ist.

• Die Übergangsraten der schwachen Wechselwirkung sind klein im Vergleich zu anderen Pro-
zessen, man findet charakteristische Reaktionszeiten von 103 s bis 10−13 s.

• Die schwache Wechselwirkung weist eine große Bandbreite an Raten auf. Die Übergangsra-
ten werden dominiert vom Phasenraum und wenigen Erhaltungsgrößen.

• Die Wirkungsquerschnitte sind nur klein. Typische Werte sind σschwach $ 10−38 cm2 im Ver-
gleich zu typischen Werten der starken Wechselwirkung σstark ≈ 10−24 cm2 .
Teilchen und Kerne
7.1 Überblick 309

7.1.2 Grundlegende Prozesse

e− ū

W− ¯e W− d
d s

u u

Abb. 7.1: semileptonischer Prozess Abb. 7.2: hadronischer Prozess

e− e+

W− ¯e W+ e
− +

Abb. 7.3: leptonische Zerfälle

e− e e e−

W− Z0

e e− e e−

Abb. 7.4: geladener Strom (CC) Abb. 7.5: neutraler Strom (NC)

Anmerkung:

Als Voraussetzung für den Prozess in Abb. 7.2, also die Erzeugung eines Pions ist:

Q = Ein − Eout ≥ m −

Diese Voraussetzung ist nur bei dem Zerfall schwerer Quarks gegeben.

Stärke der schwachen Wechselwirkung und typische Übergangsraten: Fermis goldene


Regel kennen wir bereits aus Kap. 3.3:
Teilchen und Kerne
310 Schwache Wechselwirkung

2π dN
W= |M ƒi |2 (3.1)
dE0

dN
= Endzustandsdichte
dE0

mit M ƒi2 : Quadrat des Matrixelementes. Für den Austausch eines Spin-1-Teilchens, zum Beispiel
eines W-Bosons, ergibt die Auswertung des Propagators im Matrixelement:

0
M = dx j1 (x)j2 (x′ )G(x, x′ )

g2
G(q) ≈ 2
(Fourier-Transformation)
|q|2 + MW

Dabei ist g eine Kopplungskonstante (analog wie bei der elektromagnetischen Wechselwir-
kung). Mit MW ≈ 80 − 90 GeV/c2 und MW 2
≫ |q|2 ergibt sich, daß das Matrixelement konstant
für Niederenergieprozesse (wie Zerfälle) ist. Wie wir schon mehrfach erfahren haben, impliziert
dies die Punktförmigkeit der zugehörigen Wechselwirkung (Ausnahmen: Prozesse bei hohen
Energien, wie sie beim LEP, Tevatron oder beim LHC erreicht werden). Mit dem konstanten
Matrixelement können wir eine neue Kopplungskonstante für den geladenen Strom definieren:


2g2
GF = 2
(Fermikonstante) (7.1)
8MW

Für die Reichweite der Wechselwirkung ergibt sich λ ≈ /MW c = 2 ⋅ 10−3 fm.

7.2 Leptonen
Analog zu den drei Quarkfamilien mit insgesamt sechs Quarkflavours kennt man drei Lepto-
nenfamilien, e, und . Jede dieser Familien hat zwei Mitglieder, die als Dubletts it gleicher
Leptonenfamilienzahl geschrieben werden können:

Leptonenzahl el. Ladung


$ −% $ −% $ −%
e Z = −1
L=1
e Z=0
Le = 1 L =1 L =1
$ +% $ +% $ +%
e Z=1
L = −1
¯e ¯ ¯ Z=0
Le = −1 L = −1 L = −1
Teilchen und Kerne
7.2 Leptonen 311

Die Erfahrung zeigt, dass die Leptonenzahl L immer erhalten bleibt. Neuste Ergebnisse zeigen
allerdings, dass die Leptonenfamilienzahl nicht erhalten sein muss. Bei der Beobachtung von
Neutrinooszillationen wurden Prozesse gefunden, welche die Leptonenfamilienzahl nicht er-
halten; der genaue Vorgang unterliegt allerdings noch intensiver Erforschung und ist noch nicht
vollständig verstanden. In den meisten Fällen ist die Leptonenfamilienzahl aber erhalten, so daß
bisher auch noch keine Prozesse der Art − → e− beobachtet wurden.
Die Leptonen haben folgende Massen:

me = 0, 511 MeV
m = 105, 7 MeV
m = 1771, 1 MeV

Bisher galt für die Massen der Neutrinos: m = 0. Direkte Messungen haben aber nun obere
Grenzen gesetzt:

m e < 2, 3 eV
m < 190 keV
m < 18, 2 MeV

Die hier genannten Obergrenzen stellen solche aus der Teilchenphysik dar, astrophysikalischen
Berechnungen zu Folge müsste die Gesamtmasse aller drei Neutrinos unterhalb von ≈ 0, 5 eV
liegen. Neutrinooszillation ist nur möglich, wenn Neutrinos Masse besitzen, wie wir in Kapi-
tel 8 noch sehen werden. Für die meisten Rechnungen ist die Annahme m = 0 aber völlig
ausreichend.
Das gesamte Wissen über die schwache Wechselwirkung stammt aus Experimenten, also Be-
obachtungen bzw. Nichtbeobachtungen aus denen sich die Theorie ergibt. Die Erfahrung hat
gezeigt, dass präzise Experimente heutige Vorstellungen falsifizieren oder ergänzen können.
Hier nun einige solcher “Erfahrungstatsachen“ . . .
Wir wissen, dass Neutrinos und Antineutrinos verschiedene Teilchen sind. Dies folgt aus der
Beobachtung bzw. Nichtbeobachtung der folgenden Zerfälle:

n → p + e− + ¯ e
¯ e + p → n + e+
¯ e + n ̸→ p + e−

Die Entdeckung des Neutrino: Das Neutrino wurde erstmals 1930 von W. Pauli zur Er-
klärung des kontinuierlichen -Spektrums im radioaktiven Zerfall gefordert. Beobachtet wurde
dann als erstes eine Neutrino ( e ) induzierten Reaktion durch F. Reines und C. Cowan.
Teilchen und Kerne
312 Schwache Wechselwirkung

Dies wurde mit Neutrinos durchgeführt, die in einem Kernreaktor entstehen und diesen ver-
lassen. Um eine Verfälschung durch kosmische Hintergrundstrahlung zu vermeiden, wurde in
einem Untergrundlabor 12 m unter der Erdoberfläche gearbeitet. Die beobachtete Reaktion ist:

¯ e p → e+ n

Die entstehenden Positronen werden über die Reaktion e+ e− → nachgewiesen, wobei man
die beiden ’s auch gleichzeitig als Trigger für die Reaktion verwendet. Zum Neutronennach-
weis verwendet man die Reaktion n + Cd → Cd∗ → Cd + x , wobei die hier entstehenden ’s
durch die endliche Lebensdauer des angeregten Kernzustandes etwas verzögert auftreten.
Durchgeführt wurde das Experiment erstmals 1953, der Nobelpreis wurde 1995 für das Expe-
riment verliehen.
Bis dato wurde die schwache Wechselwirkung nur bei - bzw beim inversen -Zerfall studiert.
Schließlich kam die Idee zur Erzeugung von Neutrinostrahlen auf, welche sich beispielsweise
mit den folgenden Reaktionen herstellen lassen:

±
p+A → +X

− −
→ +¯
+ +
→ +

Durch Wahl der elektrischen Ladung des Pions über ein Magnetfeld lässt sich selektieren, wel-
che Neutrinos im Strahl sind.
Beobachtet wurde:

+A→ −+X
+ A ̸→ e− + X

Mit diesen Neutrinos lässt sich auch noch die Unterschiedlichkeit von e und zeigen (Expe-
riment von Steinberg, Schwarz und Lederman, Nobelpreis 1988):

¯ +p→n+ +
+ p ̸→ n + +
¯ + p ̸→ n + e+
Teilchen und Kerne
7.2 Leptonen 313

Abb. 7.6: Elektronen- Myonen- Paare gegen die Schwerpunktsenergie bei der Entdeckung des tau- Neutrinos

Die Entdeckung des -Leptons: Das -Lepton wurde 1973 am SLAC entdeckt (Nobelpreis
1995).
Erste Versuche in den 60’er Jahren mit Proton/Myon und Proton/Elektron Kollisionen blieben
erfolglos.


p→ −+X
e− p → e− + X

Der Erfolg stellte sich erst mit dem MARK1-Detektor am ersten e− e+ Speicherring (SPEAR)
am SLAC ein. Der Nachweis erfolgt über folgende Auswahl an Reaktionen:

e− e+ → − +

→ e− + X
+
→ ++X

Also:

± ∓
e+ e− → e +X

Gezählt wurden die ± e∓ Ereignisse
√ als Funktion von s (siehe Abb. 7.6). Die Masse lässt sich
über den Wirkungsquerschnitt σ ( s) und das Impulsspektrum von ± e∓ unter der Annahme
des Zerfalls ± → ± ¯ abschätzen. Heute gilt:
Teilchen und Kerne
314 Schwache Wechselwirkung

⃗p
= rechtshändig

Abb. 7.7: Definition der Rechtshändigkeit

m = 1777, 1 MeV/c2 .

Aus einem -Strahl wurde auch das zugehörige Neutrino nachgewiesen. Ein lässt sich über

• Emulsionen
• elektronische (SciFi)-Detektoren und
• Spektrometer

nachweisen.
Außerdem ist noch bemerkenswert, dass das Tauon wegen seiner großen Masse auch in ein Pion
zerfallen kann:


→ +n

Dieser Prozess macht ungefähr 50% der -Zerfälle aus.

7.3 Paritätsverletzung
Die Paritätsverletzung ist eine besondere Eigenschaft der schwachen Wechselwirkung. Diese
Aufhebung der Spiegelsymmetrie setzt natürlich die Existenz einer Vorzugsrichtung im Raum
voraus. Typischerweise wird diese Vorzugsrichtung durch die Korrelation von Spinrichtung
und der kinematisch davon unabhängigen Impulsrichtung dargestellt.Diese Korrelation wird
beschrieben durch die Helizität H:

⃗ ⋅ ⃗p
σ
H=
⃗ | |⃗p|

Für ein masseloses Photon ist Jz = ±1 und damit die Helizität H = ±1. In diesem Fall ist also die
Helizität gleich der Chiralität1oder Händigkeit, das Photon ist entweder rechts- oder linkshändig
(Abb. 7.7).
In der elektromagnetischen Wechselwirkung werden bei Lichtemission unpolarisierter Atome
gleichviele Photonen mit Jz = H = +1 und Jz = H = −1 ausgesandt. Da keine Richtung
bevorzugt ist, gibt es keine effektive Polarisation. Wie stehen die Dinge nun beim Neutrino?
Die Antwort auf diese Frage liefert das Goldhaber-Experiment:
1
Die Chiralität entspricht der Händigkeit gemessen im Bezugssystem des Teilchens und findet sich mathema-
tisch im Dirac-spinor des Teilchens wieder
Teilchen und Kerne
7.3 Paritätsverletzung 315

m = −1/2
me = +1/2
=
p + e− → n + +
m = +1

Abb. 7.9: Spinrichtungen beim Goldhaber-Experiment

152
Eu Atome 152
Sm∗ 152
Sm
m=1 m=1
Erzeugung Zerfall
p e− n n +

m = 1/2 m = −1/2 E = 960keV

Abb. 7.10: Der im Goldhaber-Experiment betrachtete Übergang

Goldhaber-Experiment: Bei diesem Experiment wird folgender Umkehrprozess des Neu-


tronzerfalls betrachtet (Abb. 7.8):

p + e− → n + e

Anfangs-
zustand 0− Eu
EC

1− Sm∗

End- 0+ Sm
zustand

Abb. 7.8: Niveauschema beim Prozess p + e− → n + e (im Atomkern!)

Dabei untersucht man diesen Übergang nicht an freien Protonen, sondern in Kernen, die im
Anfangs- und Endzustand Spin 0 haben und nach dem sogenannten Electron-Capture-Zerfall“

noch ein aussenden. Im Spinbild sieht das Ganze dann folgendermaßen aus (Abb. 7.9):
Man sieht, dass der -Spin dem -Spin genau entgegengesetzt sein muß. Im Goldhaber-Experi-
ment verwendet man 152 Eu-Atome, welche in 152 Sm zerfallen (Abb. 7.10).
Die Paritätsverletzung läßt sich untersuchen, indem man die Helizität des Neutrinos (Abb. 7.11)
betrachtet. Diese ist nach Abb. 7.11 stets gleich der Helizität des Sm∗ . Dessen Helizität bestimmt
man durch Messung seiner Spinrichtung σ ⃗ Sm∗ und Impulsrichtung ⃗pSm∗ . Um σ⃗ Sm∗ zu bestimmen,
genügt es nach Abb. 7.10 die Polarisationsrichtung σ ⃗ des Photons zu kennen. Sie läßt sich über
ein sog. Spin-Filter messen. Bei diesem nutzt man aus, dass die Absorption von polarisierten
in magnetisiertem Eisen von der Richtung der Magnetisierung abhängt: Bei ↑ ↓Fe ist eine
Wechselwirkung wahrscheinlicher als bei ↑ ↑Fe . Nach Durchgang durch einen magnetisierten
Eisenabsorber ist also eine σ ⃗ -Richtung bevorzugt.
Teilchen und Kerne
316 Schwache Wechselwirkung

e Sm∗ H = +1
Eu + e−

in Ruhe
Sm∗ e H = −1

Abb. 7.11: Helizitäten beim Goldhaber-Experiment

Da das Elektron beim EC-Zerfall keinen Impuls überträgt, ist der Neutrinoimpuls gleich dem
Sm∗ -Rückstoßimpuls:
= ∗= keV
= Sm =
E = 950 keV =PRück = = 950
c
Je nach Emissionsrichtung des Gammas wird dessen Energie E ≈ 961 keV durch den Doppler-
effekt verschoben, was man durch Resonanzstreuung an Samarium messen kann. Normalerwei-
se ist E < EResonanz , da das ja nur einen Teil der Anregungsenergie bekommt und der Rest für
den Rückstoß des Sm-Kerns sorgt. In diesem Fall ist der Streuquerschnitt gering. Wird jedoch
das genau in Bewegungsrichtung des Kerns ausgesandt, so ist seine Energie E ≈ EResonanz 2 .
Da außerdem der Sm-Impuls dem -Impuls entgegengerichtet ist, selektiert man bei Resonanz-
streuung genau den Fall mit antiparallelen Impulsen von und und hat so p gemessen.
Experimenteller Aufbau und Ergebnis des Goldhaber-Experiments sind in Abb. 7.12 dargestellt.
Die gestreuten Photonen werden über einen NaI Kristall nachgewiesen, der von der Eu-Quelle
durch einen Bleimantel abgeschirmt ist, so dass Photonen nur über den Umweg der Streuung
zum Detektor gelangen können. Es ergab sich eine Asymmetrie bei Umkehrung der Magneti-
sierung im Streumagneten von:

N+ − N−
2 = 0.017 ± 0.003
N+ + N−
Daraus kann man auf eine Linkszirkularpolarisation von 0.66 ± 0.15 für das schließen. Neuere
Experimente haben gezeigt, dass die Linkszirkularpolarisation wesentlich höher ist und bei etwa
1, 0 liegt, was gleichbedeutend mit der Linkshändigkeit des Neutrinos ist:

H = −1 linkshändig

Fazit: Die schwache Wechselwirkung verletzt die P -Invarianz. Rechts- und linkshändige Teil-
chen sind nicht gleichberechtigt.

+ + + +
Γ( → L) ≠ Γ( → R) =0
2
Das liegt an der geschickten Auswahl der genutzten Kerne EU und SM und ist damit eher dem Zufall der
Natur zu verdanken
Teilchen und Kerne
7.3 Paritätsverletzung 317

Abb. 7.12: Aufbau und Messergebnis des Goldhaber-Experiments


Teilchen und Kerne
318 Schwache Wechselwirkung

Auch die C -Invarianz ist verletzt: auch Teilchen und Antiteilchen sind nicht gleichberechtigt:

+ + − −
Γ( → L) ≠ Γ( → ¯ L) = 0

Die CP -Parität ist aber erhalten!

+ + − −
Γ( → L) = Γ( → ¯ R)

Es gibt aber auch Verletzungen der CP -Invariantz, z.B. den Kaon oder B-Meson Zerfall.

7.4 Die V–A-Theorie der schwachen Wechselwirkung

Wie wir gesehen haben, übernehmen in der Quantenelektrody-


namik virtuelle Photonen (Spin 1) mit Ruhemasse Null die Rol-
le der Austauschteilchen. Das Feynman-Diagramm beschreibt die e e
Kopplung des Photonenfeldes Aµ (x) an den Vektorstrom ψ̄γµ ψ (für
Dirac-Teilchen). Für die Lagrangedichte gilt hier:

eff.
L inf = i ⋅ eΨ̄(x)γµ Ψ(x) Aµ (x)
9 :; < 9 :; <
Vektorstrom Photonƒeld

Für den Vektorstrom gilt allgemein:


-
V0 = Ψ̄γ0 Ψ = Ψ† γ02 Ψ = Ψ† Ψ “Dichte“
Vµ (x) = Ψ̄(x)γµ Ψ(x) =
V⃗ = Ψ̄⃗γ Ψ = Ψ† γ0⃗γ Ψ = Ψ† α
⃗ Ψ “Stromdichte“

Unter Raumspiegelung mit ⃗x → −⃗x gilt:

V0 → V0 ⃗ → −V
V ⃗

Es handelt sich also um einen polaren Vektor unter Spiegelung.

7.4.1 Der Axialvektorstrom


Neben Vektorströmen tauchen hier zum ersten Mal auch sog. Axialvektorströme auf, die wie
folgt definiert sind:
⎛ ⎞
0 0 1 0
⎜ 0 0 0 1 ⎟
Axialvektorstrom: Aµ = ψγ µ γ5 ψ mit γ5 = γ0 γ1 γ2 γ3 = ⎜
⎝ 1

0 0 0 ⎠
0 1 0 0
Teilchen und Kerne
7.4 Die V–A-Theorie der schwachen Wechselwirkung 319

P Q
wobei γ5 = γ0 γ1 γ2 γ3 mit allen anderen γ -Matrizen antikommutiert: γµ , γ5 + = γµ γ5 + γ5 γµ = 0.

$ %$ % % $
⃗A(x) = Ψ̄⃗γ γ5 Ψ(x) = Ψ† (x)γ0⃗γ γ5 Ψ(x) = Ψ† (x) ⃗
0 σ 0 1 ⃗ 0
σ†
Ψ = Ψ (x) Ψ(x)
⃗ 0
σ 1 0 ⃗
0 σ
9 :; <
Spin

Damit ist ⃗A ein “Pseudovektor“, der unter Raumspiegelung sein Vorzeichen nicht ändert. Vek-
toren und Pseudovektoren sind also wie folgt definiert:

⃗x → −⃗x
• Vektor −→ - Vektor
⃗x → −⃗x
• Axialvektor −→ + Axialvektor
• Spin/ Drehimpuls ⇐⇒ Pseudovektor (Axialvektor)

Die V–A-Theorie impliziert bereits eine Paritätsverletzung, da sich die beiden enthaltenen Vek-
toren und Axialvektoren (siehe 7.2) unter Parität verschieden transformieren:

Vektorstrom Vµ = Ψ̄γµ Ψ Axialvektorstrom Aµ = Ψ̄γµ γ5 Ψ


Dichte: V0 → V0 Pseudoskalare Dichte: A0 → −A0
Stromdichte: ⃗
V → −V ⃗ Spindichte: ⃗A → ⃗A

Anwendung von γ5 auf masselose Diracteilchen: Für Diracteilchen ist der Spinor für m = 0
und damit E = |⃗p| gegeben durch:
I J
Χ − |⃗p|t ⃗p⃗x
Ψ(x) = N ⃗ ⃗p
σ .
|⃗p|
χ

⃗ ⋅ ⃗a) = ⃗a2 :
⃗ ⋅ ⃗a)(σ
Die Anwendung von γ5 auf Ψ(x) ergibt mit (σ
I J I J

σ⃗p
|⃗p|
χ − |⃗p|t ⃗p⃗x
⃗ ⃗p
σ Χ − |⃗p|t ⃗p⃗x
⃗ ⋅ ⃗p
σ
γ5 Ψ(x) = N = N ⃗
σ⃗p = Ψ(x) .
Χ |⃗p| |⃗p|
χ |⃗p|

Die Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung, die virtuellen W± -Vektorbosonen (Spin


1) sind elektrisch geladen, es handelt sich also um Ladungsaustauschreaktionen. Zudem sind
sie sehr schwer: das Z0 -Boson hat eine Masse von MZ0 = (80.22 ± 0.26) GeV/c2 (experimentell
nachgewiesen am CERN3 1983, Nobelpreis 19844), die W± -Bosonen sind noch schwerer.
W± -Bosonen koppeln an die Differenz aus Vektor- und Axialvektorstrom, weshalb man auch
von der V–A-Theorie der schwachen Wechselwirkung spricht. Für dieses Verhalten existiert
bislang keine wirklich tiefe Begründung, es ist vielmehr im Einklang mit dem Experiment so
gefunden worden.
3
http://www.cern.ch/
4
http://www.nobel.se/laureates/physics-1984.html
Teilchen und Kerne
320 Schwache Wechselwirkung

Außerdem stellt man fest, dass nur linkshändige Leptonen und Quarks sowie rechtshändige
Antileptonen und Antiquarks an die geladenen W± -Bosonen koppeln. Dabei ist die Händigkeit
oder Chiralität folgendermaßen definiert:

linkshändig: Eigenwert von γ5 ist −1


γ5 ψL,R = ∓ψL,R
rechtshändig: Eigenwert von γ5 ist +1

Bei masselosen Dirac-Teilchen ist

⃗ ⋅ ⃗p
σ
Chiralität = Helizität = ⃗ ⋅ p̂

|⃗p|

Dies gilt nicht für m ≠ 0. Man erhält als Projektoren auf rechts- bzw. linkhändige Teilchen:

1 1
PR = (1 + γ5 ) PL = (1 − γ5 ) mit P2L,R = PL,R
2 2

7.4.2 Kopplungen der Leptonen:


e, , ¯ e ,¯ ,¯

W− W+

e− , − , − e+ , + , +

Die Lagrangedichte der schwachen Wechselwirkung ist:


7 8
g µ 1 − γ5 1 − γ
Wµ + ¯γ
+ µ 5 −
L weak = √ ν̄ γ ν Wµ (7.2)
2 2 2

Dabei sind:
PL = 1−2γ5 Projektor auf linkshändige Zustände der Chiralität −1 (P2L = PL )
g universelle schwache Kopplungskonstante (analog der elektrischen Ladung e)
Wµ± Feld der W± -Bosonen (analog Aµ für Photonen)
,ν Dirac-Spinoren der Leptonenfelder (l = (ψe , ψ , ψ )T , . . . )
Der W-Boson-Propagator ist gegeben durch:

qµ qν
gµν − MW2
− 2
q2 − MW

Man beachte, daß bei der schwachen Wechselwirkung stets nur linkshändige Leptonen und
rechtshändige Antileptonen an die W ± , Z 0 Bosonen koppeln, sprich, nur Teilchen mit dieser
Teilchen und Kerne
7.5 Anwendungen der V–A-Theorie 321

Chiralität nehmen überhaupt an der schwachen Wechselwirkung teil. Dies ist in der oben defi-
nierten Lagrange- Dichte enthalten, woraus folgt, daß die V- A- Theorie die Paritätsverletzung
der schwachen Wechselwirkung impliziert.
= =
Für niedrige Energien mit =q2 = ≪ MW 2
ergibt sich dadurch für die Streuung eine Strom-Strom-
Kontaktwechselwirkung:

contact GF 1 21
¯ µ
2
L weak = √ ν̄ γµ (1 − γ5 ) γ (1 − γ5 )ν
2
Diese Kontaktwechselwirkung kann im jeweiligen Feynman- Graphen dadurch dargestellt wer-
den, daß man das Austauschboson entfallen läßt und sich somit die beiden wechselwirkenden
Ströme in einem Vertex berühren.

contact
Herleitung von L weak :

7 8 g − qµ qν 7 8
g2 ′ 1 − γ 5 µν MW2
′ 1 − γ5 q=0
Tƒi = − ū(p )γµ u(p) ū(k )γµ u(k) =
2 2 q − MW 2
2 . /. ′ /
g ′
= 2
ū(p )γ µ (1 − γ 5 )u(p) ū(p )γ µ (1 − γ 5 )u(p)
8MW

mit γµ gµν γν = γµ γν .

GF ist die Fermi-Konstante:



2 g2
GF = 2
= 1.16637 ⋅ 10−5 GeV−2 ≈ 10−5 ⋅ Mp−2
8MW
Daraus ergibt sich:
$ %
g2 1 e2 1
= vergleiche: =
4 29.6 4 137
Hier erkennt man, dass die schwache Wechselwirkung nur wegen der großen Masse der Aus-
tauschteilchen und nicht
= 2 = wegen einer kleinen intrinsischen Kopplungskonstanten schwach ist.
= = 2
Bei hohen Energien ( q > MW ) wird die schwache Wechselwirkung stärker als die elektroma-
gnetische.

7.5 Anwendungen der V–A-Theorie

7.5.1 Elektronenspektrum im Myonzerfall


Wir vernachlässingen im weiteren mögliche Komplikationen, die sich durch die starke Wech-
selwirkung ergeben würden.
Teilchen und Kerne
322 Schwache Wechselwirkung

(k) e− (p′ )



¯ e (k′ ) : p = (m , 0)
W
e : p′ = (E′ ,⃗p ′ ) ⃗p ′ ||z-Achse

: k = (ω , ⃗k)


¯ e : k′ = (ω ′ , ⃗k′ )
(p)

Abb. 7.13: Impulse beim Myonenzerfall

Das Matrixelement ergibt sich aus Abb. 7.5.1 zu:

GF
M ƒi = √ ū(k)γµ (1 − γ5 )u(p) ū(p′ )γ µ (1 − γ5 )v(k′ )
2

Wir vernachlässigen nun die Elektronenmasse (me = 0) und verwenden linkshändige Spinoren
für und e− sowie rechtshändige Spinoren für ¯ e , beispielsweise
I J
! 1
u(k) = ω +m ⃗
σ ⋅k̂ χ− , ⃗ ⋅ k̂ χ± = ±χ±
σ
ω +m

Dabei sind:
⎛ ⎞
⃗k sin θ cos φ $ −φ
%
⎝ sin θ sin φ ⎠ , cos θ sin θ
k̂ = ⃗ ⋅ k̂ =
σ φ
|⃗k| sin θ − cos θ
cos θ
$ % $ %
cos θ2 − −φ
sin θ2
χ+ = , χ− = ,
φ
sin θ2 cos θ2

Diese Spinoren berechnen Sie auch in Übung 7.1, Teilaufgabe b). Somit ergibt sich:

GF
M ƒi = √ ū(k)γµ (1 − γ5 )u(p) ⋅ ū(p′ )γ µ (1 − γ 5 )v(k′ ) =
2 -
! θ cos θ2¯ e Myonspin ↑ bzgl. z-Achse
= 16GF m ω ′ ω E′ sin θ¯e
2 − sin 2 Myonspin ↓ bzgl. z-Achse

Quadriert und summiert man dies unter Verwendung von

θ
4ω E′ sin2 = 2ω E′ (1 − cos θ ) = 2k ⋅ p′ = (k + p′ )2 = (p − k′ )2 = m2 − 2m ω ′ (7.3)
2
so erhält man
Teilchen und Kerne
7.5 Anwendungen der V–A-Theorie 323

Abb. 7.14: Energiespektrum des Elektrons beim Myonzerfall

1>
|M ƒi |2 = 32 G2F m2 ω ′ (m − 2ω ′ ) (7.4)
2
↑↓

Mit der Dichte der Anfangszustände 1/(2m ), die man durch Auswerten der Stromdichte eines
Klein-Gordon-Feldes für eine ebene Welle erhält, und dem lorentzinvarianten Drei-Teilchen-
Phasenraum des Endzustandes, der auch explizit in Übung 7.3 berechnet wird,

d3 k d3 p′ d3 k ′ 1
3 3 ′ 3 ′
(2 )4 δ (4) (p − p′ − k − k′ ) = dE′ dω ′
(2 ) 2ω (2 ) 2E (2 ) 2ω 32 3
ergibt sich aus (7.4) die differentielle Zerfallsbreite:

d2 Γ G2F
= m ω ′ (m − 2ω ′ ) (7.5)
dω ′ dE′ 2 3
Aus (7.3) lassen sich die möglichen Energiewerte ω ′ des ¯ e bestimmen. Mit θ = ergibt sich
zunächst:

m
m (m − 2ω ′ ) = 4E′ ω = 4E′ (m − E′ − ω ′ ) ⇒ ω ′ = − E′
2
Mit θ = 0 erhält man dann:

m m
− E′ < ω ′ <
2 2
Teilchen und Kerne
324 Schwache Wechselwirkung

Über diesen Bereich integrieren wir nun (7.5) über ω ′ und erhalten:

m
02
dΓ d2 Γ m G2F ′ 2
= dω ′ = (E ) (3m − 4E′ ) (7.6)
dE′ dω ′ dE′ 12 3
m
2
−E ′

Die Zerfallsbreite des Myons ergibt sich dann durch Integration von E′ = 0 bis E′ = m /2:

− −
G2F m5
Γ( → e ¯e )= 3
= (2.197 ⋅ 10−6 s)−1 (7.7)
192

Die in (7.7) enthaltene m5 -Abhängigkeit wird durch die sog. Sargent-Regel beschrieben.

7.5.2 Berechnung des R-Verhältnisses beim -Zerfall.


e− (p)
d

(p + k) W−
− −
Γ( → e ¯e)
R= −
Γ( → −¯ )
u
¯ e (k)
Die relevanten Vektor- bzw. Axialvektorströme der Quarks sind:

Vud (x) = Ψ̄u (x)γ µ Ψd (x) Aud (x) = Ψ̄u (x)γ µ γ 5 Ψd (x)

Damit gilt:

〈0|Aud (x)| − (q)〉 = 2ƒ qµ 〈0|Vud (x)| − (q)〉 = 0

〈0|Vud (x)| − (q)〉 = 0 gilt wegen der Parität auf der linken bzw. rechten Seite der Gleichung: eine
pseudoskalare Größe (hier | − (q)〉) mal einem Vektor ergibt einen Axialvektor. In der Gleichung
ist jedoch kein Axialvektor vorhanden.
ƒ = 92, 4MeV ist die Pionzerfallskonstante. Für das Matrixelement gilt:

M fi ∝ GF ƒ (pµ + kµ ) ū (p)γµ (1 − γ5 )v (k) ∝


$ %
µ µ
∝ ū (p) γµ p (1 − γ5 ) + γµ k (1 − γ5 ) v (k) =
9:;< 9:;<
=m =m ≈0
aus Dirac-Gl.
= m ū (p)(1 − γ5 )v (k)
P Q
Dabei haben wir γµ , γ5 + = 0 sowie die Dirac-Gleichung benutzt.
Teilchen und Kerne
7.5 Anwendungen der V–A-Theorie 325

> " #
|M fi |2 ∝ m2 p ⋅ k = m2 E E + ⃗p 2 =
Spin ⃗p =−⃗p

= m2 E (E + E ) = m2 E m

Aus der Energieerhaltung und mit |⃗p | = |−⃗p | = |−E | bekommt man die Neutrinoenergie:

3 3
m = E + m + ⃗p = E + m2 + E2
2 2

m2 − m2
⇒E =
2m

Die Dichte der Anfangszustände ist 1/(2m ). Wir werten den lorentzinvarianten 2-Teilchen-
Phasenraum des Endzustandes im Schwerpunktsystem Pµ = (m , 0) aus und erhalten:

0
d3 p d3 k
(2 )4 δ (4) (P − p − k) =
(2 )3 2E (2 )3 2E
0
1 1
2
4 dp p2 δ (m − E (p) − E (p)) =
4 EE
= =
1 p2 E E =⃗p = E m2 − m2
= = = = , (7.8)
4 E E pm 4 m 4 m 8 m2

Daraus ergibt sich:

Γ( → ¯ ) ∝ m2 (m2 − m2 )2

Woraus man schließlich das Verhältnis


$ %2
me (m2 − m2e )
R= = 1.28 ⋅ 10−4
m (m2 − m2 )

erhält, was gut mit dem experimentellen Wert von R = (1.27 ± 0.23) ⋅ 10−4 übereinstimmt. Im
Gegensatz dazu ist das Phasenraumverhältnis RPhasenraum = (m2 − m2e )/(m2 − m2 ) ≈ 2.34 grob
falsch. Der Grund dafür ist, dass nur linkshändige Leptonen und rechtshändige Antileptonen
an die W± -Bosonen koppeln, PL,R = 21 (1 ∓ γ5 ). Nur für masselose Leptonen gilt dabei Chi-
ralität = Helizität, bei massiven Leptonen ist die Chiralität ≠ Helizität, und der Anteil positiver
Helizität eines linkshändigen Leptons geht wie

V2 ⃗p 2 E2 − ⃗p 2 m2
1 − β 2 == 1 − = 1 − = = 2 .
c2 E2 E2 E
Da m ≫ me ist, gilt beim -Zerfall (m > m )
Teilchen und Kerne
326 Schwache Wechselwirkung

Target -Stopper (12 C) -Stopper (12 C)

p
+ +

e+

Abb. 7.15: Experiment zur Untersuchung des -Zerfalls

V Ve
≪ ≈1
c c
Beim K-Zerfall findet man den gleichen Sachverhalt, jedoch ist hier der Effekt größer, da der
e-Impuls noch größer ist (mK ≈ 490 MeV/c2 ):

K→e
RK = = 2.5 ⋅ 10−5
K→

7.5.3 Paritätsverletzung bei - und -Zerfall


Der -Zerfall erfolgt als Zweikörperzerfall: → + , wobei der Spin der Pionen S( ) = 0
ist. Ein möglicher experimenteller Aufbau zur Untersuchung dieses Zerfalls und der daraus ent-
stehenden Myonen ist in Abb. 7.15 dargestellt. Wir wissen, dass das entstehende Antineutrino
rechtshändig ist. Wegen der Drehimpulserhaltung müssen dann die Myonen polarisiert sein:


− ¯

− −
Abb. 7.16: Spinverhältnisse bei → + ¯ . Das ¯ ist rechtshändig.

Um nun den Myonzerfall zu untersuchen, werden die aus dem Pionzerfall gestoppt. Die Myo-
nen zerfallen dann in Ruhe mit der Lebensdauer τ = 2.19 s:


→ e− + ¯ e +

Bei diesem Übergang wollen wir jetzt die Winkelverteilung der emittierten Elektronen bestim-
men. Da im Elektronenspektrum hohe Energien bevorzugt sind, betrachten wir dabei nur den
Fall, bei dem das e− den maximalen Rückstoß erhält (Abb. 7.17). In diesem Fall sind die er-
sten zwei in Abb. 7.18 abgebildeten Konfigurationen möglich, eine mit rechts- und eine mit
linkshändigem Elektron. Wie wir sehen werden ist Fall b) deutlich bevorzugt.

e−
¯e

Abb. 7.17: Myonzerfall mit maximalem e− -Rückstoß


Teilchen und Kerne
7.5 Anwendungen der V–A-Theorie 327

e− ¯e

− − −

¯e e− e− ¯ e
(a) (b) (c)
Abb. 7.18: Spinkonfigurationen beim Myonzerfall

Die Helizität für massive Teilchen ist gegeben durch:

⃗ ⋅ ⃗pc
σ ⃗ ⃗
σ ⃗ V
σ ⃗
H= = ⋅β = ⋅
⃗ ||E| |σ
|σ ⃗| ⃗| c

Für E ≫ mc2 , d. h. β ≈ 1, ist die Helizität eine gute Quantenzahl, unabhängig vom Bezugssy-
stem.
Die für das Elektron gefundene Winkelverteilung hat die Form:
pe

dN α
= 1 − cos θ
dΩ 3
Die cos-Verteilung ergibt sich wegen σ ⃗ ||⃗p| cos θ . Der Faktor 31 berücksichtigt, dass auch
⃗ ⋅⃗p = |σ
Fälle mit kleineren Elektronenenergien möglich sind (Abb. 7.18c).
Gemessen wurde α = 1, was einer maximalen Asymmetrie und somit einer maximalen Paritäts-
verletzung entspricht. Wir können deshalb folgern:

In der schwachen Wechselwirkung haben alle Leptonen die Helizität


-
+ Vc für Antileptonen (e+ , ¯, … )
H= (7.9)
− Vc für Leptonen (e− , , … )

Wir haben also gesehen, dass die schwache Wechselwirkung die P -Invarianz verletzt:

+ + + +
Γ( → + L) ≠ Γ( → + R) =0

Ebenso wird die C -Invarianz verletzt:

+ + − −
Γ( → + L) ≠ Γ( → + ¯ L) = 0
Teilchen und Kerne
328 Schwache Wechselwirkung

Dagegen bleibt die CP -Invarianz erhalten:

+ + − −
Γ( → + L) = Γ( → + ¯ R)

Später werden wir allerdings noch Beispiele sehen, in denen CP nicht erhalten ist (K- und B-
Zerfall).
Aus dem -Zerfall können wir noch weitere Informationen gewinnen:

-Lebensdauer: Nach der Sargent-Regel zum 3-Körper- -Zerfall (s. Kap. 7.5.1) ist die Zer-
fallsbreite des Myons:

G2F m5
Γ = = (7.10)
τ 192 3

Lebensdauer und Masse des sind sehr genau bekannt:

m = (105.658389 ± 0.000034) MeV/c2


τ = (2.197035 ± 0.000040) ⋅ 10−6 s

Aus diesen Daten läßt sich mit (7.10) die Fermi-Kopplungskonstante sehr genau bestimmen:

GF = (1.16639 ± 0.00002) ⋅ 10−5 GeV−2

Dabei definieren wir:


2g2 2
GF = 2
für E ≪ MW
8MW

In Abb. 7.19 ist das komplette Elektronenspektrum aus dem Zerfall gestoppter Pionen abgebil-
det.

7.5.4 -Zerfälle

Das -Lepton wurde 1975 durch Martin Pearl et. al. bei e+ e− -Streuung am SLAC5 entdeckt (No-
belpreis 1995, Kap. 7.26 ). Wegen seiner großen Masse, m ≈ 1.78 GeV ≫ m , kann das nicht
nur in Leptonen sondern auch in Mesonen zerfallen:
5
http://www.slac.stanford.edu/
6
http://www.nobel.se/laureates/physics-1995.html
Teilchen und Kerne
7.5 Anwendungen der V–A-Theorie 329

Abb. 7.19: e-Spektrum gestoppter Pionen


→ + ¯ e + e−

→ +¯ + −

→ + ū + d → + Mesonen

Bei näherer Betrachtung dieser Zerfälle taucht unweigerlich die Frage auf, ob die Kopplungs-
stärke der schwachen Wechselwirkung für Leptonen und Quarks gleich groß ist. Wir nehmen
an, dass die Masse der Mesonen und Leptonen im Endzustand vernachlässigbar ist (m ≫ mX ).
Dann ist:

Γ e ≈ Γ
Γ ud̄ ≈ 3⋅Γ

Dabei kommt der Faktor 3 durch die drei Farbladungen zustande (analog (6.1)). Wie groß sind
nun diese Zerfallsbreiten? Wir haben in Abschn. 7.5.1 die -Zerfallsbreite (7.7) hergeleitet, aus
der folgt:
$ %5
m
Γe= Γ e
m
Damit ergibt sich mit den partiellen Breiten Γi :

> $ %5
m
Γtot = Γi = Γ →e +Γ → + Γ →ud̄ ≈ 5Γ e = 5Γ e
9 :; < m
i 3Γ →e
Teilchen und Kerne
330 Schwache Wechselwirkung

Die Lebensdauer ist dann:


$ %5 $ %5
m τ m
τ = ≈ ⋅ = ⋅ = 3.1 ⋅ 10−13 s
Γtot 5Γ e m 5 m
Experimentell findet man:

τ = (2.956 ± 0.031) ⋅ 10−13 s

Diese gute Übereinstimmung gibt Anlaß zu der Hypothese, dass die Kopplung der W-Bosonen
an Quarks und Leptonen identisch ist. Man bezeichnet dies als Universalität der schwachen
Wechselwirkung.

7.5.5 Zerfall schwerer Mesonen


Im Folgenden werden wir untersuchen, ob sich die Betrachtungen zum -Lepton auf schwere
Mesonen übertragen lassen. Bei diesen sind mit

mc ≈ 1.35 GeV mb ≈ 4.9 GeV

die Massen der Quarks groß im Vergleich zu ihrer Bindungsenergie“ im Meson7. Es sind bei-

spielsweise:

mD = 1.864 GeV mB = 5.278 GeV

Da im Bereich der Quarkmassen s (Q2 ≈ m2q ) ≪ 1 gilt, sollten die Effekte der starken Wech-
selwirkung klein sein. Analog zum -Zerfall sollte sich also aus der Sargent-Regel ergeben:
$ %5
1 m
τD ≈ τ ⋅ ≈ 0.7 ⋅ 10−12 s
8 mc
Der Faktor 1/4 ergibt sich wegen der möglichen Endzustände c → W+ s, W+ d sowie zweier
leptonischer Endzustände. Experimentell findet man in guter Übereinstimmung:

τD ≈ 1.0 ⋅ 10−12 s

Für B-Mesonen gilt analog:


$ %5
1 m
τB ≈ τ ⋅ ≈ 0, 73 ⋅ 10−15 s
9 mb
Hier ist wegen der größeren b-Masse auch der Zerfall in den Tau-Kanal möglich. Man erhält als
Endkanäle also: e, µ , τ , c, u (beide Quarkflavours jeweils gewichtet mit einem Faktor 3, wegen
7
Quarkmassen sind im Vergleich zu Leptonenmassen prinzipiell schwer bestimmbar, da sie nicht frei beobach-
tet werden können. Diese Werte sind also Richtwerte.
Teilchen und Kerne
7.6 Neutronenzerfall 331

1
der möglichen Farben), wodurch der Vorfaktor 9
zustande kommt. Experimentell findet man
jedoch:

τB ≈ 1.65 ⋅ 10−12 s

Es stellt sich also die Frage: Warum stimmt die Sargent-Regel für ∆c = 1, nicht aber für ∆s = 1
und ∆b = 1? Bei den s- und b-Zerfällen findet ein Übergang von der zweiten in die erste bzw.
von der dritten in die zweite Quarkgeneration statt. Wie wir in Abschn. 7.8 sehen werden,
sind die Quarkübergänge nicht alle gleichwertig. Sie werden durch eine Übergangs“- oder

Mischungsmatrix, die CKM-Matrix, beschrieben.

7.6 Neutronenzerfall
Zerfallsrate (Lebensdauer): Wir betrachten den Neutronenzerfall, also

n → e− + p + ¯ e .

Mit der differentiellen Zerfallsrate dW/dEe gilt:

0 Emax 0 Emax
dW 2 dρ (Emax , Ee )
=W= dEe = G2F |M fi |2 dEe (7.11)
τ 0 dEe 0 dEe

Für kleine Emax ist M fi konstant, d.h. unabhängig von der Energie Ee . Wir berechnen nun den
dreiteilchen Phasenraum. Es seien q und E Impuls und Energie des ¯ sowie p und Ee bzw.
P und T Impuls und kinetische Energie von e− bzw. p. Nimmt man an, dass das Neutron am
Anfang in Ruhe ist, muß außerdem

⃗P + ⃗p + ⃗q = 0 (7.12)

und damit

T + E + Ee = E0 = freiwerdende Energie = Emax ≈ 780 keV (7.13)

sein. Mit E0 $ 1 MeV folgt aus (7.12) außerdem, dass Pc $ 1 MeV. Das bedeutet, dass man
die kinetische Energie des Protons vernachlässigen kann:

P2
T= $ 10−3 MeV
2Mp

Unter Verwendung von m = 0 erhält man damit aus (7.13):

E = qc = E0 − Ee (7.14)
Teilchen und Kerne
332 Schwache Wechselwirkung

N(E)

E[keV]
780

Abb. 7.20: Elektronenspektrum beim -Zerfall

Wir integrieren nun die Anzahl der Phasenraumzustände für Elektronen im Volumen V mit
Impulsen [p, p + dp] in Richtung des Raumwinkelelements dΩ,

VdΩ 2
N= p dp ,
h3

über alle Raumwinkel. Der Faktor V fällt wegen der Normierung der Wellenfunktion auf 1/ V
weg. Damit und aus der analogen Vorgehensweise für das Neutrino erhalten wir:

4 p2
dρ e = dp für das Elektron
h3

4 q2
dρ = dq für das Neutrino
h3
Der Impuls des Protons ist bei gegebenen ⃗p und ⃗q festgelegt, P = −(p + q). Da wir in (7.11) nur
über Ee integrieren, betrachten wir die Zahl der möglichen Endzustände bei fester Elektronen-
energie:

16 2 2 2
d2 ρ (Ee , E0 ) = d2 ρ (E, E0 ) = dρe ⋅ dρ = 6
p q dp dq (7.15)
9 h :; <
Produkt der Anzahl
der Zustände für e,ν̄

Verwendung von (7.14) und dq = dE0 /c (bei fester Elektronenenergie) liefert schließlich das
Elektronenspektrum eines -Zerfalls (Abb. 7.20):

d2 ρ (Ee , E0 ) 16 2 2
= 6 3 p (E0 − Ee )2 dp = N(p)dp (7.16)
dE0 hc
Meistens wird für das e− -Spektrum beim -Zerfall (n, Kerne) eine andere Darstellung gewählt:
c
N(p)
Kurie-Diagramm: gegen E
p2
Teilchen und Kerne
7.6 Neutronenzerfall 333

Abb. 7.21: Kurieplot des Elektronenspektrums

In dieser Darstellung liegt das Elektronenspektrum (bei verschwindender Neutrinomasse) auf


einer Geraden. Abweichungen von der Geraden-Form können Hinweise auf eine endliche Mas-
se des Elektron-Neutrinos geben, der Endpunkt des Spektrums müßte um |m | verschoben
sein. Bisher konnte man hieraus jedoch nur eine obere Grenze für die e -Masse bestimmen.
Das derzeit beste Limit haben Otten (Mainz) und Lobashev (Troitsk) aus dem Tritium-Zerfall
3
H → 3 He + e− + ¯ e bestimmt: m e $ 2.5 eV/c2 . Allgemein ist allerdings anzumerken, daß die
momentan niedrigste Obergrenze zur Neutrinomasse indirekt aus der Astrophysik erhalten wird
und nicht aus der Teilchenphysik.
Integriert man die Phasenraumdichte (7.16) unter der Annahme, dass E ≈ pc (relativistische
Näherung), so erhält man:
0 E0
E05
ρ (E0 ) ≈ Ee2 (E0 − Ee )2 dEe = (7.17)
0 30

Die Abhängigkeit von der fünften Potenz von E0 ist die bekannte Sargent-Regel, der wir auch
in (7.7) beim Myonzerfall begegnet sind.
Für die Berechnungen haben wir nur den Phasenraum betrachtet. Genauere Beschreibungen des
Matrixelementes folgt im weiteren Verlauf der Kapitels. Da das Matrixelement für Zerfälle von
Quarks und Leptonen aber sehr ähnlich ist, spielt der Phasenraum bei der totalen Übergangsrate
eine große Rolle.

Abschätzung der Neutronlebensdauer: Unter der Annahme, dass das Übergangsmatrixele-


ment nicht von Ee abhängt, ist die Zerfallsrate des Neutrons
0 E0
dW G2 E 5
Γ= = dEe = F 20 .
τ 0 dEe 30

Daraus ergibt sich mit GF = 1.16 ⋅ 10−5 GeV−2 (aus dem -Zerfall) und E0 = 780 keV eine
Lebensdauer von τ ≈ 5 ⋅ 103 s.
Um das Matrixelement zu bestimmen betrachten wir nun die axiale und vektorielle Kopplung
beim Nukleon. Die Übergangsrate wurde bereits in (7.11) dargestellt, das Matrixelement ergibt
sich aus Abb. 7.22.
Teilchen und Kerne
334 Schwache Wechselwirkung

Abb. 7.22: Feymangraph des Neutronenzerfalls

Wir kombinieren den hadronischen und den leptonischen Strom.


Leptonischer Anteil mit den schwachen Ladungen cV = cA = 1:

" #
〈 |¯γ α cV − cA γ5 e | e 〉 = ūe (p) γ α (1 − γ5 )u e (p) (7.18)
9:;< 9 :; <
Wellenfkt. Spinor

Hadronischer Anteil:

" #
〈p| ūγα 1 − γ5 d |n〉 = Vα − Aα (7.19)
9 :; <
Quarkstrom

Die schwache Wechselwirkung agiert auf dem Quarkniveau. Die Quarks sind aber gleichzeitig
auch noch im Nukleon durch die starke Wechselwirkung gebunden.

" #
ūp (⃗p)γα gV + gA γ5 un (⃗p)

Das “+“-Zeichen ist Konvention. gV und gA sind die schwachen Ladungen des Neutrons. Diese
müssen noch bestimmt werden.
Dazu betrachten wir die Spin-Verhältnisse. Es sind sowohl Übergänge möglich, bei denen Elek-
tron und Neutrino zu S = 0 koppeln und das Proton den Neutron-Spin beibehält, als auch solche
bei denen der Quarkübergang wegen S(e, ¯) = 1 mit einen Spin-Flip verbunden ist:
Fermi-Übergang: S(e, ¯) = 0 ∆S(n → p) = 0 statistisches Gewicht: 2S + 1 = 1
Gamow-Teller-Übergang: S(e, ¯) = 1 ∆S(n → p) = 1 statistisches Gewicht: 2S + 1 = 3
In der schwachen Wechselwirkung sind Leptonen immer linkshändig und Antileptonen immer
rechtshändig. Wir betrachten nun den hadronischen Strom, der sich aus den beiden möglichen
Zerfällen zusammensetzt:

Hα = 〈ƒ|ūγα d|i〉gV + 〈ƒ|ūγα γ5 d|i〉gA (7.20)


9 :; < 9 :; <
Fermizerfall Gamow-Teller-Zerfall
Teilchen und Kerne
7.6 Neutronenzerfall 335

Abb. 7.23: Möglichkeiten des Neutronenzerfalls

1. Matrixelement für den Fermizerfall


Betrachte den Übergang Quark ↔ Nukleon:

>3
GF
|M F | = cV |〈uud| Ti+ |udd〉| (7.21)
V i=1

Die Summe läuft über die drei Valenzquarks des Neutrons. Für die Normierung auf V
gilt:
1 1
√ ≈ 3/2 ,
V R
da λe, ≫ RNukleon ≈ 1fm gilt. Ti+ ist der Leiteroperator des schwachen Isospins, er ver-
knüpft die Eigenzustände der schwachen Wechselwirkung 〈u| und 〈d′ | = cos ϑC 〈d|, für
die starke Wechselwirkung ist I + Isospinleiteroperator. Für den Zusammenhang zwischen
beiden folgt somit durch die Mischung über den Cabibbowinkel:

〈u|T + |d〉 = 〈u|I + |d〉 cos ϑc


Also gilt auf Grund der Isospinsymmetrie zwischen Neutron und Proton (I + |n〉 = |p〉):
3
>
〈uud| Ii+ |udd〉 = 1 (7.22)
i=1

Für das Matrixelement gilt nun:


GF
|M fi |F =
cV cos ϑc ⋅ 1 (7.23)
V
Also bleibt der Vektorstrom erhalten und wir haben keine Struktureffekte der starken Wech-
selwirkung.
2. Gamov-Teller-Übergang
Hier ist der Spin des Systems Elektron-Neutrino Se e = 1, es wird also Drehimpuls fort-
getragen.
Teilchen und Kerne
336 Schwache Wechselwirkung

> 3
GF
|M fi |GT = cA |〈uud| Ti+ σ
⃗ |udd〉| (7.24)
V i=1

⃗ , für den gilt:


Mit dem Spinoperator σ
> 2 > y2 > 2
〈 σix 〉 = 〈 σi 〉 = 〈 σiz 〉
i i i
8
Es läßt sich zeigen , dass gilt:
3
> 5
〈uud| Ii+ σ
⃗ |udd〉 cos ϑc = cos ϑc
i=1
3
Aus unserer Diskussion zur Struktur des Nukleons, sowie zur starken Wechselwirkung
kennen wir die Wellenfunktion des Protons:
6 6 6
2 1 1
〈p| = 〈uud| = 〈u ↑ u ↑ d ↓| − 〈u ↑ u ↓ d ↑| − 〈u ↓ u ↑ d ↑|
3 6 6
Hiermit ergibt sich:

5
gA = cos ϑc CA ⋅ (7.25)
3
gV = cos ϑc CA (7.26)

Damit ergibt sich für das Matrixelement mit dem starken Isospindublett |p〉 = I + |n〉:

g2V 2 g2A 2 g2V + 3g2A 2


|M fi |2 = |〈p|I +
|n〉| + |〈p|I+ ⃗
σ |n〉| = GF (7.27)
V2 V2 V2
⃗ gibt einen Faktor 3, wegen der dreifachen Evaluierung von σx , σy und σz .
I+ σ

Es gibt insgesamt vier verschiedene Zerfallskonfigurationen. Die Vektorkomponente hat hier-


bei das statistische Gewicht 1; die Axialvektorkomponente eines von 3, welches den 3 Ein-
stellungsmöglichkeiten des weggetragenen Spins resultiert (Anzahl(ms ) = 2(s + 1)). Folglich
erwartet man mit gV = gA = 1 für die Lebensdauer τ ≈ 1316 s. Mit dem gemessenen Verhältnis
von gV /gA ergibt sich τ = 914 s.
Tatsächlich beobachtet man jedoch:

τ = 886 s ± 1 s

Zu unserer Rechnung sind allerdings auch noch Korrekturen notwendig, da das Elektron ja
nicht immer relativistisch ist und deshalb die Integration in (7.17) nicht ganz korrekt sein kann.
Darüber hinaus verursacht die starke Wechselwirkung ebenfalls Abweichungen.
8
Sukzessives Anwenden des Operators auf die vollständige Spin-Flavour-Wellenfunktion des Protons (siehe
Kap. 6.9.1)
Teilchen und Kerne
7.6 Neutronenzerfall 337

Hinweis zur W-Emission im n-Zerfall: Die Vektorkopplung ist das Analogon zur elektroma-
gnetischen Wechselwirkung. Dem zeitartigen (q2 > 0) Photon entsprechend wird ein zeitartiges
W (Spin = 0) übertragen. Dies ist ohne 3-Impulsübertrag möglich.
Bei der Axialvektorkopplung wird dagegen ein raumartiges (q2 < 0) W emittiert, d. h. die 3-
Impuls-Komponenten sind ungleich Null. Dies geht in der elektromagnetischen Wechselwir-
kung nur bei q ≠ 0 über die magnetische Wechselwirkung. Dann wird ein raumartiges virtuelles
Photon übertragen.

Paritätsverletzung beim Neutronenzerfall: Bei manchen n-Zerfällen in Kernen, etwa

14
O → 14 N∗ + e− + ¯ e ,
S=0 S=0

kann es keinen ∆S = 1 Anteil geben, da die Quantenzahl von Mutter- und Tochterkern dies
verbieten. Es handelt sich also um einen reinen Vektorübergang. Die Verteilung des e, -Öff-
nungswinkels ist dann für Ee ≫ me wegen ⃗p ∥⃗pe−

dN
∝ (1 + cos θ ) .
dcos θ

Ebenso beobachten wir Paritätsverletzung beim Zerfall von polarisierten Neutronen. Betrachtet
man alle Möglichkeiten (siehe Abb. 7.23), so erkennt man eine Asymmetrie von ⃗pe relativ zu
Polarisationsrichtung des Neutrons (⇑).

N ⇑↑ − N ⇑↓ λ (λ + 1) gA
A= = −2 mit λ =
⇑↑
N +N ⇑↓ (1 + 3λ 2 ) gV

Man misst A = −0, 1162 ± 0, 0013. Daraus ergibt sich λ = −1, 267 ± 0, 004. Erwartet wurde aus
der Theorie ein Wert von λ th = −5/3.
Die Tatsache, das die Formel gA = cA ⋅ cos ϑc nicht gilt, nennt man auch Partially conserved
Axial Current oder kurz PCAC.

Experimentelle Bestimmung der n-Lebensdauer: Sie läuft stets nach folgendem Prinzip ab:
Man bestimmt die zeitliche Abnahme eines Ensembles von Neutronen aufgrund des -Zerfalls.
Die lange“ Lebensdauer von ca. 15 Minuten stellt in der Praxis jedoch ein großes Problem dar.

Eine Methode, um damit zurechtzukommen, ist die Speicherung von VCN (very cold neutrons,
Vn ≈ 50 m/s) oder UCN (ultra cold neutrons, Vn ≈ 5 m/s, Ekin ≈ 10−7 eV) in magnetischen
Ringen, Materieflaschen oder im Gravitationsfeld.
Als Beispiel ist in Abb. 7.24 die Speicherung von VCN in einem magnetischen Speicherring
gezeigt. Dabei wird die Anzahl der nach der Zeit t überlebenden Neutronen gemessen. Die
zugehörige Meßkurve findet sich in Abb. 7.25.
Teilchen und Kerne
338 Schwache Wechselwirkung

Abb. 7.24: Magnetische Speicherung von Neutronen in einem magnetischen Torus

Abb. 7.25: Neutronenlebensdauer im Speicherring (normiert auf N = 1000)


Teilchen und Kerne
7.6 Neutronenzerfall 339

Abb. 7.26: Magnetspeicherring des UCN Experiments am E18

Speicherung von Neutronen: Das Neutron hat zwar keine Ladung (q = 0), aber ein magneti-
sches Moment von µ = −1.9 K . Somit ergibt sich in einem inhomogenen Magnetfeld eine Kraft
auf das Neutron:

∂ ∂B
Fr = (µ ⋅ B) = ±µ
∂r ∂r

Für lineare rücktreibende Kraft F ∝ −kr muss gelten:

⇒ B ∝ −r2 Sextupolfeld, Abb. 7.24

Im Speicherring müssen sich die rücktreibende und die Zentripetalkraft genau aufheben.

mV 2
Fzentr = = Frück = −kr
r

Aus der Messung der Anzahl der Neutronen in Abhängigkeit von der Zeit (N(t)) folgt die Halb-
wertszeit.
Als Ergebnis auf vielen Messungen hat man τn = 885, 7 ± 0, 8 s erhalten. Die neuste Messung
(Stand Mai 2006) hat aber einen Wert von τn = 878, 5 ± 0, 7 s ergeben.
Ein weiters unabhängiges Experiment wird am Lehrstuhl E18 der TU München durchgeführt
(siehe u.a. Abb. 7.26). Hierbei werden UCN in einer magnetischen Falle gespeichert und die
Zerfälle mit sehr hoher Präzession bestimmt.
Teilchen und Kerne
340 Schwache Wechselwirkung

Messung von gV und gA : Aus der Bestimmung der totalen Zerfallsrate Γtot und der Halb-
wertszeit τn ist der Faktor g2V + 3g2A bestimmbar.
g2V ergibt sich aus der totalen Zerfallsrate τnKern von Kernzerfällen. Hierbei wählt man Kerne mit
den Anfangs- und Endzuständen 0+ . Somit sind nur Fermi-Übergänge möglich.

7.7 Hadronische Zerfälle seltsamer Teilchen

7.7.1 ∆I = 1/2 – Regel


Als Beispiel betrachten wir den Zerfall des Λ = |uds〉. Mögliche Zerfälle sind:
d→u+ ¯
d → u + qi q̄j
oder s → u + ¯
s → u + qi q̄j
Da Γq ∝ (mq c2 )5 und ms ≫ md können wir die Zerfälle d → … vernachlässigen. Der Grund
dafür, dass wir nicht auch s → d + … betrachten, ist folgende Eigenschaft der schwachen
Wechselwirkung: Es gibt keine flavour-ändernden Zerfälle ohne Ladungsänderung. Die Ursa-
che hierfür werden wir später kennenlernen (siehe Gleichung (7.80)). Das Ergebnis der Be-
trachtung der obigen Zerfälle ist, dass schwache Hyperonzerfälle ( Λ , , Ξ , Ω) mit ∆S = 1
uds uds uss sss
ablaufen. Dies bedeutet, dass die Erhaltung der Quarkflavourquantenzahl, welche in der starken
und der elektromagnetischen Wechselwirkung gilt, in der schwachen Wechselwirkung verletzt
wird. Der gleiche Sachverhalt ist uns auch schon bei -, K-, und n-Zerfällen begegnet.
Da Quarks in Hadronen gebunden sind, ist anzunehmen, dass bei ihrem Zerfall auch die starke
Wechselwirkung eine Rolle spielt. Wir wenden uns deshalb nun dem Isospin zu:
s → u +X
1 1
I =0 → I = d. h. ∆I =
2 2
1
I3 = 0 → I3 =
2
Wir können uns nun überlegen, ob dies Auswirkungen auf die Selektion möglicher Endzustände
hat:
− 0
Λ → p Λ → n
Q 0 0 0 0 0 0
I 0 1/2 1 0 1/2 1
I3 0 1/2 -1 0 -1/2 0
Der Endzustand N ist ein Gemisch aus:
⃗I N + ⃗I = 1 , 3
1/2 1 2 2
Welche Anteile I = 1/2 und I = 3/2 an den Kombinationen p bzw. n haben, sagen uns die
Clebsch-Gordan-Koeffizienten:
Teilchen und Kerne
7.7 Hadronische Zerfälle seltsamer Teilchen 341

− 0
Λ → p Λ → n
I3 1/2 -1 -1/2 0
I = 1/2 2/3 Gewicht 1/3 Gewicht
I = 3/2 1/3 Gewicht 2/3 Gewicht
Nehmen wir nun an, dass ∆I = 1/2. Dann müßte das R-Verhältnis sein:
Γ(Λ → n 0 ) 1
RΛ,th
1 = 0 −
= (1 + x)
2 Γ(Λ → n ) + Γ(Λ → p ) 3 ↑
Phasenraum-
Korrektur

Die Tatsache, dass dies gut mit dem gemessenen Wert von
RΛ,exp
1 = 0.358 ± 0.005
2

übereinstimmt, führt zu der sogenannten ∆I = 21 –Regel .


Für semileptonische Zerfälle, etwa Λ → pe− ¯ e , ist die Isospinregel jedoch nicht definiert. Hier
heißt die Auswahlregel:
∆Q = ∆S
Es gibt aber auch Prozesse, bei denen man eine Abweichung von der ∆I = 12 -Regel beobachtet:
Γ(Ω− → Ξ0 −
)
RΩ,exp
1 = = 2.94 ± 0.35 ≠ RΩ,th
1 =2
2 Γ(Ω− → Ξ− 0) 2

Offenbar gibt es eine ∆I = 23 Amplitude, die jedoch unterdrückt ist. Man interpretiert dies
als Effekt der starken Wechselwirkung, welcher den schwachen Quarkzerfall begleitet. Man
beachte: Das Ω gehört zum Baryon-Dekuplett, während die anderen Hyperonen zum Oktett
gehören. Es handelt sich also nicht um Isospinpartner.

7.7.2 ∆S = 1 – Übergänge
+
Schwache Zerfälle seltsamer Teilchen laufen auf Quarkniveau analog zum Pionzerfall →
+
ab:
u
K +
W+

K+ → +
+
s̄ +

Vergleicht man die beiden Zerfälle (Abb. 7.27), so erwartet man wegen des größeren Phasen-
raumes beim Kaonzerfall:

K, Γ(K+ → +
) m3 (m2K − m2 )2
R = = ≈ 20
Γ( + → + ) m3K (m2 − m2 )2
Gemessen hat man jedoch einen Wert von RK, = 1.35, d. h. ∆S = 1 Übergänge sind stark un-
terdrückt. Ähnliche Unterdrückungen findet man auch beim Vergleich der semileptonischen
Zerfälle Λ → p e− ¯ e kleinere für n → p e− ¯ e .
Teilchen und Kerne
342 Schwache Wechselwirkung

+ +
u u

W+ W+

s̄ d̄
Γ(K+ → +
) Γ( +
→ +
)

Abb. 7.27: Schwache Zerfälle von K+ und +

7.8 Kopplung der W-Bosonen an die Quarkfamilien

Wie wir inzwischen verstanden haben, vermitteln geladene W± -Bosonen Übergänge innerhalb
der linkshändigen Leptondubletts:

d$ % d$ % d$ %
⏐ e ⏐ ⏐ Q= 0
⏐ − ⏐ − ⏐ −
f e f f Q = −1
L L L

Wir kennen drei separat erhaltene Leptonzahlen; die Fermikonstante GF ist universell. Entspre-
chend den Leptondubletts erwartet man auch Übergänge innerhalb der drei Quarkfamilien:

d$ % d$ % d$ %
⏐ u ⏐ c ⏐ t Q = + 23
⏐ ⏐ ⏐
f d f s f b Q = − 13
L L L

+ +
Dadurch würde der Pion-Zerfall → erklärt:


+
= ud̄ Γ = (2.6 ⋅ 10−8 s)−1
u W+

Bei dieser Betrachtungsweise wäre jedoch kein Platz für den semileptonischen Kaon-Zerfall
K+ → + , der immerhin ein Verzweigungsverhältnis von 63,5% hat:


K+ = us̄ ΓKtot = (1.23 ⋅ 10−8 s)−1
u W+

+
Teilchen und Kerne
7.8 Kopplung der W-Bosonen an die Quarkfamilien 343

7.8.1 Cabibbo-Hypothese
Umgehen kann man dieses Problem mit der Cabibbo-Hypothese: Man nimmt an, dass das W-
Boson Übergänge zwischen dem u-Quark und einer Linearkombination aus d- und s-Quark
vermittelt:

|d′ 〉 = cos θC |d〉 + sin θC |s〉 (7.28)

|d′ 〉 und |s′ 〉 sind dabei die Eigenzustände der Quarks d und s bezüglich der schwachen Wechsel-
wirkung. Die ungestrichenen Zustände |d〉 und |s〉 stellen die Masseneigenzustände dar, sprich
Eigenzustände zur starken Wechselwirkung. Der Mischungswinkel θC heißt Cabibbo-Winkel.
Mit dieser Hypothese läßt sich für die Zerfallsbreite des Kaons zeigen:
$ %3 $ 2 %2
Γ(K+ → +
) 2 m mK − m2
≈ tan θC
Γ( + → + ) mK m2 − m2
G
◦ sin θC = 0.22
Experimentell findet man: θC ≈ 13
cos θC = 0.97
Aus der Cabibbo-Hypothese gelangen wir zu folgender wichtigen Feststellung: Die Masse-
neigenzustände der Quarks sind nicht gleich den schwachen Eigenzuständen, an welche die
W± -Bosonen universell koppeln.
Analog zu (7.28) gibt es auch eine orthogonale Linearkombination,

|s′ 〉 = − sin θC |d〉 + cos θC |s〉 , (7.29)

die an das c-Quark koppelt.


Betrachtet man beispielsweise den Zerfall des D+ -Mesons mit mD+ = 1869 MeV, so erwartet
man, dass der Übergang c → sud̄ ∝ cos2 θC Cabibbo-erlaubt, der Übergang c → dus̄ ∝ sin2 θC
dagegen Cabibbo-verboten ist (man mache sich beide Möglichkeiten an Hand der entsprechen-
den Diagramme klar). Somit sollten bevorzugt Antikaonen, welche das im erlaubten Übergang
erzeugte s-Quark enthalten als Zerfallsprodukte des D+ auftreten. Experimentell findet man nun
folgende Verzweigungsverhältnisse:

BR(D+ → K− … ) = (24.2 ± 2.8)%


BR(D+ → K+ … ) = ( 5.8 ± 1.4)%
0
BR(D+ → K /K0 … ) = (59.0 ± 7.0)%

GIM-Mechanismus: (1970). Man fand, dass der Zerfallskanal K0 → + − ein sehr kleines
Verzweigungsverhältnis, nämlich Γ(K0 → + − )/Γtot (K0 ) ≈ 10−7 , hat. Außerdem wissen wir,
dass flavourändernde neutrale Ströme unterdrückt sind (Kap. 7.7.1). Um zu erklären, warum
der Zerfall auch beim geladenen Strom unterdrückt ist, führten Glashow, Iliopoulos und Maiani
1970 hypothetisch das Charm-Quark ein. In Abbildung 7.28 sind die beiden dann möglichen
Teilchen und Kerne
344 Schwache Wechselwirkung

− − − −

W− W+ W− W+

u c
d s d s

∼ cos θC ⋅ sin θC ∼ − sin θC ⋅ cos θC


9 :; <
addieren sich zu Null

+ −
Abb. 7.28: Mögliche CC-Zerfallskanäle bei K →

Prozesse gezeigt. Einer alleine hätte eine zu große Wahrscheinlichkeit, um das beobachtete
Verzweigungsverhältnis zu erklären. Für mu ≈ mc ≪ mW addieren sich jedoch die beiden
Amplituden zu Null, so dass das Problem gelöst ist. Der erstmalige experimentelle Nachweis
des c-Quarks gelang schließlich 1974 bei der Reaktion

e+ + e− → J/ = cc̄ (gebundenes System).

Zusammenfassend schreiben wir die Linearkombinationen (7.28) und (7.29) als Rotation im
Flavourraum:

$ ′% $ %$ %
d cos θC sin θC d
= (7.30)
s′ − sin θC cos θC s
schwache Eigenzustände Masseneigenzustände

Dabei ist es reine Konvention, dass d und s und nicht u und c rotiert werden.
Als V − A-Ansatz für die schwache Wechselwirkung der Quarks ergibt sich:

-7 8 7 8† g
5 5 5 5 " #
Quarks GF 1 − γ 1 − γ 1 − γ 1 − γ †
L Weak = −√ Ψ̄u γ µ Ψd′ + Ψ̄c γ µ Ψs′ Wµ+ + Ψ̄u γ µ Ψd′ + Ψ̄c γ µ Ψs′ Wµ+
2 2 2 2 2

mit

$ % $ %$ %
Ψd′ cos θC sin θC Ψd
=
Ψs′ − sin θC cos θC Ψs
Teilchen und Kerne
7.8 Kopplung der W-Bosonen an die Quarkfamilien 345

7.8.2 Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix
Dieses Schema läßt sich auch auf drei Quarkfamilien erweitern. Man erhält dann die Cabibbo-
Kobayashi-Maskawa-Matrix (1973):
⎛ ′⎞ ⎛ ⎞⎛ ⎞
t c d Vud Vus Vub d
⎝ s′ ⎠ = ⎝Vcd Vcs Vcb ⎠ ⎝ s ⎠ (7.31)
d´ W u b′ Vtd Vts Vtb b
9 :; <
schwache CKM-Matrix Massen-
s´ b´ Eigenzustände eigenzustände

Die CKM-Matrix ist unitär, d. h. VV † = . Sie wird durch drei Winkel und eine Phase δ parame-
trisiert (kanonische Form). Die Winkel sind die Mischungswinkel zwischen den verschiedenen
Generationen 1 → 2, 1 → 3 und 2 → 3. Mit cij = cos θij und sij = sin θi gilt für die verschiede-
nen Drehungen der Zustände:
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
c12 s12 0 1 0 0
R1 (θ12 ) = ⎝ −s12 c12 0 ⎠ R2 (θ23 ) = ⎝ 0 c23 s23 ⎠
0 0 1 0 −s23 c23
9 :; < 9 :; <
Mischung zw. Generation 1↔2 Mischung zw. Generation 2↔3

⎛ ⎞
c13 0 s13
R3 (θ13 ) = ⎝ 0 1 0 ⎠
−s13 0 c13
9 :; <
Mischung zw. Generation 1↔3

⎛ ⎞
c12 c13 s12 c13 s13 −Iδ
VCKM = R1 R2 R3 = ⎝−s12 c23 − c12 s23 s13 − δ c12 c23 − s12 s23 s13 δ c13 s23 ⎠ (7.32)
s12 s23 − c12 c23 s13 δ −c12 s23 − c23 s12 s13 δ c13 c23
⎛ ⎞
1 2 0.9745 … 0.9760 0.217 … 0.224 0.0018 … 0.0045
|Vij | = ⎝0.217 … 0.224 0.9737 … 0.9752 0.036 … 0.042 ⎠
0.004 … 0.013 0.035 … 0.042 0.9991 … 0.9994

Wir stellen fest:

• Aus der Unitarität der Matrix folgt z.B.

|Vud |2 + |Vus |2 + |Vub |2 = 1 usw.


• Empirische Informationen über die Matrixelemente:
-Zerfall von Kernen und Myonen Vud = 0, 9735 ± 0, 0008
K-Zerfall Vus = 0, 2196 ± 0, 0023
B-Zerfall Vub < 0, 01
D-Zerfall Vcs = 1.04 ± 0, 16
B → D-Zerfall Vcb = 0, 0402 ± 0, 0019
Teilchen und Kerne
346 Schwache Wechselwirkung

• Hierarchie der Generationen:

– Hauptdiagonalelemente ≈ 1: starke Übergänge innerhalb derselben Quarkgeneration


– Elemente neben der Diagonalen klein: schwache Übergänge zur nächsten Generation
– Eckelemente sehr klein: sehr schwache Übergänge zur übernächsten Generation
– Generation 1 ↔ Generation 2 : ≈ 0.2
Generation 2 ↔ Generation 3 : ≈ 0.04 ≈ (0, 2)2
Generation 1 ↔ Generation 3 : ≈ 0.008 ≈ (0, 2)3

7.9 Axiale und vektorielle Ladung beim Nukleon


Die Übergangsrate des Neutronenzerfalls n → e− p ¯ e ist uns aus Abschn. 7.6 schon bekannt:

2 dρf (E0 , Ee )
dW(Ee ) = |M fi |2 dEe
dEe
9 :; <
Dichte der Endzustände e¯ e

mit E0 = Gesamtenergie und Ee = Elektronenenergie.


In diesem Kapitel soll nun näher auf die Details von |M fi | eingegangen werden. Aus den letzten
Abschnitten wissen wir, daß bei der schwachen Wechselwirkung Vektor- (V) und Axialvektor-
(A) Übergänge auftreten.

Bei Leptonen: @= = ?
Lα = =γα (cV − cA γ5 )= − kx
= ū (p)γ α (1 − γ5 )u (p)
9 :; <
leptonischer Strom

Wobei sich aus den Konstanten cV = 1 und cA = 1 der Name V−A-Wechselwirkung ableitet. cV
und cA werden auch als schwache vektorielle bzw. axiale Ladung bezeichnet.

p e−

Hα Lα

n e

Bei Hadronen: Beim hadronischen Anteil der schwachen Wechselwirkung agiert sie auf
Quarkniveau, wobei die Quarks in den Nukleonen gebunden sind. Hier stellt sich die Frage,
ob sie auch im gebundenen System der starken Wechselwirkung immer noch durch V − A be-
schrieben wird und wie groß die schwachen Ladungen dann sind. Für den hadronischen Anteil
des Matrixelements gilt:
Teilchen und Kerne
7.9 Axiale und vektorielle Ladung beim Nukleon 347

Quarkstrom Gamow-Teller-Zerfall:S
e¯e =1
;<9:1 ; <9 :2
− kx
Hα = Vα − Aα = ūp (p)γα (gV − gA γ5 )un (p) = 〈ƒ|ūγα d|i〉 ⋅ gV − 〈ƒ|ūγα γ5 d|i〉 ⋅ gA
9 :; <
Fermizerfall:Se ¯ e = 0

Wie groß ist hierbei gV /gA ?

1. Matrixelement für den Fermizerfall:


= =
GF ==M ==> + == N==
3
|M fi |F = cV = uud= Ti =udd =
V = =
9i=1:; <
Summe über 3 Quarks

Dabei sind: √
V Normierungskonstante der Wellenfunktion von e und (jeweils 1/ V)
Ti+ Isospinleiteroperator (verknüpft |u〉 und |d′ 〉 = cos θC |d〉 )
Außerdem gilt:

〈u|T + |d〉 = 〈u|I + |d〉 cos θC


; <9 :
starker Isospin
M => = N
= +=
uud= Ii =udd =
i
GF
|M fi |F = cV cos θC ⋅
V
Hierbei tritt also kein Struktureffekt der starken Wechselwirkung auf.

Vektorstrom bleibt erhalten

2. Gamow-Teller-Übergang:
Se¯ e = 1 (Drehimpuls wird weggetragen).
= N==
GF ==M ==> + ==
3
|M fi |GT = cA uud= ⃗ =udd ==
Ti σ
V = i=1

⃗ den Spinoperator bezeichnet. Es gilt:


Wobei σ
[ \2 [ \2 [ \2
> > >
σix = σiy = σiz
i i i

Man kann zeigen, daß


S = 3 = R
=> + = 5
uud== Ii σiz ==udd cos θC = cos θC
i=1
3
Teilchen und Kerne
348 Schwache Wechselwirkung

Hiermit und mit


5
gA = GF cos θC cA ⋅
3
gV = GF cos θC cV
ergibt sich:
g2V == =2 g2A = =2
|M fi |2 = 〈p|I+ |n〉= + =〈p|I+ σ
⃗ |n〉=
V2 V2
g2 + 3g2
= V 2 A
V
Der Faktor drei folgt aus dem Spinoperator.
p und n befinden sich im Isospindublett:
|p〉 = I+ |n〉

Messung: g2V + 3g2A wird durch die Bestimmung der totalen Zerfallsrate des freien Neutrons
gemessen, d. h. durch τnfrei = (887 ± 1) s. gV wird aus Kernübergängen bestimmt, d. h. durch den
Zerfall des gebundenen Neutrons. Durch die Auswahl der Anfangs und Endzustände 0+ → 0+
wird S(e ) = 0, d. h. der Fermiübergang ausgesucht. Aus dem Zerfall des polarisierten Neutrons
und der Bestimmung der e− –Winkelverteilung erhält man gV /gA .
Aus all diesen Ergebnissen zusammen ergibt sich:
gA
= +1.2601 ± 0.0025 ≠ 1
gV

Dies nennt man teilweise erhaltenen Axialvektorstrom, da gA ≠ cA ⋅ cos θC :

Partially conserved axial current = PCAC

Hinweis: In manchen Textbüchern wird gA /gV mit negativem Vorzeichen angegeben, wobei die
Wechselwirkung als gV V + gA A dargestellt wird.

7.10 -Lepton-Streuung
Im folgenden betrachten wir die Streuung eines an einem e− im Rahmen der V−A-Theorie:

e

W−

e−
Teilchen und Kerne
7.10 -Lepton-Streuung 349

(k) e− (p′ )

¯ e (k′ )
W−


(p)

Abb. 7.29: Myonenzerfall

Das Elektron wechselwirkt an dem Neutrino über den geladenen Strome9 , der die negative
Ladung vom rechten in den linken Vertex überträgt. Nun stellt sich die Frage nach dem Wir-
kungsquerschnitt für ein solches Ereignis. Hierfür liefert Fermis goldene Regel

dσ 1
= |M ƒi |2 (7.33)
dΩ 64π 2 ⋅ s
Der numerische Faktor 64π12 ⋅s kommt durch den zugänglichen Phasenraum sowie durch Fluß-
normierung zustande, weiterhin haben wir hierbei die Masse der Neutrinos und der Elektronen
mν = me ∼ 0 angenommen.
Zur Bestimmung des Matrixelements |M ƒi |2 nutzen wir die Analogie der Neutrino- Lepton-
Streuung zum Myonenzerfall aus (siehe Abb. 7.29: µ − → ν ν¯e e− , Kap. 7.5.1)
2 4
Wir betrachten Streuung bei einer Schwerpunktsenergie s << MW c und berechnen wie beim
Myonzerfall:

1>
|M ƒi |2 = 64G2F (⃗k ⋅ ⃗p)(k⃗′ ⋅ p⃗′ )
2 Spins

mit der Schwerpunktsenergie s = (k + p)2 = mν2µ + m2e +2⃗k ⋅ ⃗p ∼ 2⃗k ⋅ ⃗p = 2k⃗′ ⋅ p⃗′
9 :; <
∼0
Hieraus erhalten wir dann den differentiellen Wirkungsquerschnitt zu:

dσ 1 64G2F ⋅ s2 G2F ⋅ s
= = (7.34)
dΩ 64π 2 ⋅ s 4 4π 2

• Der Wirkungsquerschnitt ist isotrop, wegen der kurzreichweitigen Wechselwirkung


5
Nach der Integration über den Raumwinkel dΩ = 4π erhalten wir:

G2F
σ (νµ e− ) =
⋅s (7.35)
π
• Der Wirkungsquerschnitt steigt also linear mit der Schwerpunktsenergie s an.
9
Bei der Streuung eines e wäre zusätzlich der Austausch eines ungeladenen Z0 möglich, was zu Interferenzen
zwischen den beiden Diagrammen führen könnte.
Teilchen und Kerne
350 Schwache Wechselwirkung

e e− ¯e e−

e e− ¯e e−

Abb. 7.30: Die Impulserhaltung verbietet die Rückwärtsstreuung von rechtshändigen Antineutrinos an linkshändi-
gen Elektronen

Betrachten wir als Beispiel eine Streuung an Eisen im Laborsystem, bei welcher die Elektronen
gebunden im Target vorliegen, . Die Schwerpunktsenergie ergibt sich zu:

s = 2me Eν + m2e ∼ 2me Eν


und wir erhalten für den totalen Wirkungsquerschnitt:

2 2
σ (νµ e− ) = G me E ν
π F
Wächst nun der Wirkungsquerschnitt stets immer weiter an, wenn die Neutrions höhere Ener-
gien haben? Um diese Frage zu beantworten, betrachten wir den Propagator des W- Bosons
1
und beachten, daß die Fermikopplungskonstante GF ∼ M21 c4 ist (welches aus der
Q2 c2 +MW2 c4 W
9:;<
=s
Niederenergienäherung des Propagators hervorgegangen ist):

− G2F MW2 4
c
σ (νµ e ) = 2 4
⋅ s → const. für s → ∞ (7.36)
π s + MW c
Der Wirkungsquerschnitt wird also für sehr hochenergetische Neutrinos konstant.
Man beachte hier, daß die Streuung eines Elektronneutrinos an einem Elektron auch noch
über den Austausch eines Z 0 Bosons ablaufen kann. Beide Streuprozesse intereferieren da-
her kohärent. Als numerischen Wert für den totalen Wirkungsquerschnitt der Myonneutrino-
Elektron-Streuung erhält man in etwa: σ (νµ e− ) ≈ 1, 7 ⋅ 10−41 cm2 ⋅ Eν [GeV]. Dieser Wirkungs-
querschnitt ist sehr klein. Um ein Gefühl für den Wirkungsquerschnitt zu erhalten wollen wir
überlegen, ob es möglich ist, Neutrinos zu stoppen.
Betrachen wir die Wechselwirkung eines Neutrinos im Eisen mit einer Elektronendichte von
e−
ne = AZ ⋅ ρ ⋅ NA = 22 ⋅ 1023 cm 3 bei einer Neutrinoenergie von Eν ≈ 1 MeV, wie sie typischer-

weise bei Neutrinos auftritt, die bei der Fusionsreaktion unserer Sonne frei werden. Als Ab-
schirmlänge ergibt sich somit L = (ne σ )−1 ≈ 2, 6 ⋅ 1017 m. Dies stellt eine riesige Länge dar,
welche selbst mit dem gesamten, auf der Erde vorhandenen Eisen, nicht erreicht werden kann.
Somit läßt sich festhalten, daß es nahezu unmöglich ist, Neutrinos zu stoppen und ebenfalls sehr
kompliziert, diese zu verlangsamen.

7.10.1 Was passiert bei der Streuung an Antineutrinos?


Da Antineutrinos rechtshändig und Elektronen aus der schwachen Wechselwirkung linkshändig
sind, würde bei der Rückwärtsstreuung die Drehimpulserhaltung verletzt (siehe Abb. 7.30).
Teilchen und Kerne
7.10 -Lepton-Streuung 351

Somit muß diese im differentiellen Streuquerschnitt unterdrückt sein. Außerdem müssen die
Spins von Antineutrino und Elektron in einen Triplettzustand koppeln, von dem nur derjenige
mit positiver Spinprojektion zur Reaktion beiträgt (d.h. nur eine von drei möglichen Zwischen-
zuständen wird verwirklicht)10; man erwartet einen Wirkungsquerschnitt, der nur etwa ein Drit-
tel des Wirkungsquerschnittes der Streuung von Elektron und Myonneutrino ausmacht.
Analog zur Mott-Streuung erhält man

dσ G2F ( c)2 ∗2 ∗ 2 G2F ( c)2


= p (1 + cos ϑ ) = 2
s(1 − cos ϑ ∗ )2 (7.37)
dΩ 4 16

Hier liefert die Raumwinkelintegration

G2F ( c)2 1
σ ¯e = s= σ e (7.38)
3 3

Diese Betrachtungen gelten aber nur für geladene Ströme. Die Streuung von ¯ und e− ist aber
auch über einen neutralen Strom möglich (siehe 7.10.2).

Notation: Häufig verwendet man statt des Streuwinkels die dimensionslose Größe y. Sie ist
Lorentzinvariant, da hier nur lorentzinvatiante Größen (die Viererimpulse der einlaufenden Teil-
chen) eingehen.

P⋅Q
y= mit Q = K − K ′
P⋅K

Im Laborsystem ergibt sich y zu:

E − E′
yLab = = (7.39)
E E

E ist die Anfangs- und E′ die Endenergie des Neutrinos; y ist der abgegebene Energiebruchteil
des Neutrinos und läuft von 0 bis 1.
Im CM-System gilt

1
1 − y = (1 + cos ϑ ∗ ) .
2

Die obigen Streuformeln sind in dieser Notation recht einprägsam und gelten für alle geladenen
Ströme:
10
Beachte: anders als bei der Multiplizität eines endzustandes, wo der Phasenraum durch (2s + 1) erweitert wird,
geht hier nur die “effektive“ Nutzung des Austauschteilchensein, welche reduziert ist.
Teilchen und Kerne
352 Schwache Wechselwirkung

dσ G2F ( c)2
Antineutrino-Lepton: = (1 − y)2 s
dy
(7.40)
dσ G2F ( c)2
Neutrino-Lepton: = s
dy

7.10.2 Tiefinelastische -Streuung

Wegen der Universalität der schwachen Wechselwirkung kann man die -Quark-Streuung ana-
log der -Lepton-Streuung behandeln, so dass sich dieselben Winkelverteilungen ergeben:


u,c

W+

e

W+
−→ +
d,s
d,s

W−
e−

¯ u,c

Der einzige Unterschied ist, dass Quarks nicht frei vorkommen und die Streuung somit an
Nukleonen durchgeführt wird. Wegen der Leptonenfamilienzahlerhaltung streuen linkshändige
Quarks und rechtshändige Antiquarks nur an (Ladung der Quarks negativ) bzw. rechtshändi-
ge Quarks und linkshändige Antiquarks nur an ¯ (Ladung der Quarks positiv).
Zur Beschreibung der gebundenen Quarks benutzen wir wieder die Bjorken-Skalenvariable x,
die im Infinite Momentum Frame den Impulsbruchteil des Quarks im Nukleon beschreibt:

s → ŝ ≈ 2Mp c2 x ⋅ E (7.41)

Für den nun doppelt-differentiellen Wirkungsquerschnitt (dx und dy) erhält man (siehe Abb.
7.31):
$ %
d2 σ > dσi
= ƒi (x) ⋅ (7.42)
dxdy i
dy ŝ=s⋅x
Teilchen und Kerne
7.10 -Lepton-Streuung 353

Abb. 7.31: Tiefinelastische Streuung an Nukleonen

Abb. 7.32: Differentieller Wirkungsquerschnitt der tiefinelastischen Neutrino-Quark-Streuung

Dieser nun auch von den Quarkverteilungen abhängt, welche durch einen x-abhängigen Faktor
k ausgedrückt wird.

$ %2 $ %2
d2 σ G2F ( c)2 MW2 4
c 2 G2F ( c)2 MW2 4
c
= 2 4
2Mp c E ⋅ x ⋅ K = 2 4
ŝ ⋅ K (7.43)
dxdy Q2 c2 + MW c Q2 c2 + MW c
" #
K = d(x) + s(x) + ū(x) + c̄(x) (1 − y)2 (7.44)
" #
K ¯ = d̄(x) + s̄(x) + u(x) + c(x) (1 − y)2 (7.45)

Die Faktoren K berücksichtigen die Streuung an allen möglichen Quarks im Nukleon. Integriert
man über x, so erhält man den differentiellen Wirkungsquerschnitt aus Abb. 7.32. Im Falle
der Neutrinostreuung erhält man einen konstant hohen Beitrag von den Quarks und einen mit
(1 − y)2 abfallenden Beitrag von den Antiquarks, während bei der Antineutrinostreuung die
Rollen vertauscht sind und die wesentlich häufiger in Nukleonen auftretenden Quarks mit (1−y)2
gewichtet werden.
Teilchen und Kerne
354 Schwache Wechselwirkung

7.10.3 Anwendung
Aus der tiefinelastischen Streuung von Elektronen am Nukleon kennen wir die Strukturfunktio-
nen des Nukleons im Zusammenhang mit dem doppelt differentiellen Wirkungsquerschnitt
7 8
d2 σ 4 2
y2
= (1 − y)F2eN (x, q2 ) eN 2
+ 2xF1 (x, q ) . (7.46)
dq2 dx q4 2
9:;<
γ −Austausch

Wegen der Paritätsverletzung der schwachen Wechselwirkung gibt es bei der Neutrinostreuung
drei unterschiedliche Strukturfunktionen für die drei möglichen Helizitäten (Jz = ±1, 0) des aus-
getauschten massiven W± . Bei der elektromagnetischen Wechselwirkung gibt es eine kohärente
Überlagerung der Amplituden mit Jz = ±1, und damit ein Emission mit den gleichen Wahr-
scheinlichkeiten für die beiden Einstellungen. Verwendet man isoskalare Targets, z. B. 56 28 Fe, so
kann man aus den Verteilungen der Jz gemittelte Strukturfunktionen für das Nukleon definieren:

1 1
Fi N = (Fi p + Fi n ) = (Fi¯p + Fi¯n ) = Fi¯N (7.47)
2 2
Für die dritte Strukturfunktion gilt hingegen F3N = −F3¯N . Der Zusammenhang mit den Quark-
dichteverteilungen dieser Strukturfunktionen ist F2N = 2x[q(x) + q̄(x)] sowie xF3N = 2x[q(x) −
q̄(x)]. Unter Verwendung der Callan-Gross-Relation 2xF1 = F2 erhält man schließlich

7 1 8
d2 σ 2G2F ⋅ MN E N y2 N y2 N
= (1 − y)F2 (x) + 2xF1 (x) ± y 1 − F (x) ⋅ x =
dydx 2 2 3
G2F ME E" # " # 2
F
= F2 (x) + xF3 (x) − F2 (x) − xF3 (x) (1 − y) (7.48)

Die Quarkverteilungsfunktionen aus Abb. 7.33 erhält man durch Vergleich der Streuquerschnit-
te für Neutrino- und Antineutrinostreuung für welche sich das Vorzeichen ändert. Eine Über-
prüfung der Konsistenz liefert der Vergleich mit der tiefinelastischen Elektronstreuung (unter
Vernachlässigung der s-Quarks):

F2N = x[u(x) + d(x) + ū(x) + d̄(x)] (7.49)


F2eN = x 185 [u(x) + d(x) + ū(x) + d̄(x)] = F2N ⋅ 5
18
(7.50)

Der Vorfaktor rührt von der Tatsache her, dass die Elektronen an die drittelzahligen Ladun-
gen der Quarks koppeln, über deren Flavour hier gemittelt wurde. Abb. 7.34 zeigt die gute
experimentelle Übereinstimmung der beiden Streumethoden. Abb. 7.35 zeigt nochmal zusam-
menfassend die beiden relevanten Strukturfunktionen. Die Zahl der Valenzquarks im Nukleon
erhält man durch Integration von F3N über x:

01 01
F N (x)
I= x 3 dx = F3N (x)dx = 3 (7.51)
x
0 0
Teilchen und Kerne
7.10 -Lepton-Streuung 355

Abb. 7.33: Quarkverteilungsfunktionen aus tiefinelastischer Neutrinostreuung

Abb. 7.34: Zusammenhang mit tiefinelastischer Elektronstreuung


Teilchen und Kerne
356 Schwache Wechselwirkung

Abb. 7.35: Zusammenfassung der Strukturfunktionen

Abb. 7.36: UA2-Experiment mit einem Neutrinostrahl

Experimentell erhält man: I = 2.8 ± 0.5.

7.10.4 Wie realisiert man -Streuung?


Zur Erzeugung hochenergetischer -Strahlen verwendet man hochenergetische - oder K-Strah-
len, die in einigen hundert Meter langen Vakuumröhren zerfallen:

+ +
−→ + K+ −→ +
+ (7.52)
− −
−→ +¯ K− −→ −
+¯ (7.53)

Dies zeigt Abb. 7.36. Durch eine Preparierung des jeweiligen - oder K-Strahls kann man

• per Energieselektion und Fokussierung einen schmalbandigen -Strahl erzeugen; dies erlaubt
eine Energiemarkierung der Neutrinos
• einen Breitbandstrahl mit hoher Intensität bereitstellen.
Teilchen und Kerne
7.10 -Lepton-Streuung 357

Abb. 7.37: Neutrinoenergie für die verschiedenen Produktionskanäle


Teilchen und Kerne
358 Schwache Wechselwirkung

Abb. 7.38: Aufbau eines Neutrinohornes

Die Fokusierung des Neutrino-Strahls erfolgt über ein “Neutrion-Horn“. Es werden aber nicht
die Neutrinos, sondern die Pionen und Kaonen fokusiert. Sind diese Strahlen gut fokusiert, so
erhält man einen Neutrino-Strahl mit kleinem Querschnitt, d.h. mit hoher Intensität. Die aus
den Zerfällen entstehende Neutrinos sind fokussiert (sieh Abb. 7.38).
Die Funktionsweise der Horns läuft über ein Magnetfeld, welches parallel zur Flugrichtung der
Pionen bzw. Kaonen eingestellt ist. Die geladenen Teilchen werden durch Lorentzkraft auf Spi-
ralbahnen um die Magnetfeldlinien gezwungen. Variiert man nun das Magnetfeld, so verändert
man auch den Präzessionsradius der Teilchen und damit auch ihren Transversalimpuls. Ziel
ist nun, diesen soweit möglich zu minimieren, da bei anschließendem Zerfall das entstehende
Neutrino wegen Impulserhaltung einen Transverslimpuls kleiner/ gleich demjenigen des Aus-
gangsteilchens haben muß. Dies bewirkt eine Fokussierung der entstehenden Neutrinos.

7.11 Vereinheitlichung von elektromagnetischer und schwa-


cher Wechselwirkung
Wir wissen, daß die Phase einer Wellenfunktion nicht meßbar ist. Man kann sie mit einer glo-
balen Eichtransformation beliebig umdefinieren. Die Tatsache, daß sich dadurch nichts ändert,
nennt man globale Eichinvarianz. In Quantenfeldtheorien fordert man darüber hinaus auch eine
lokale Eichinvarianz, d. h. die Invarianz unter einer zeit- und ortsabhängigen Phasentransforma-
tion. Wir wollen dies Anhand der QED rekapitulieren:

Λ(x) − Λ(x)
ψ (x) → ψ (x) ψ̄ (x) → ψ̄ (x) (7.54)

Dabei darf Λ(x) eine beliebige Funktion sein. Die lokalen Eichtransformationen bilden zusam-
men die Gruppe U(1)lokal :

Λ(x)
∈ U(1)lokal

Wie wir in Abschnitt 6.13.1 gesehen haben, ist jedoch die freie Dirac-Lagrangedichte,

" #
L 0 = ψ̄ (x) γµ ∂ µ − m ψ (x),

nicht invariant gegenüber lokalen Eichtransformationen. Dies kann erst durch die Einführung
eines Eichfeldes und einer kovarianter Ableitung (minimale Substitution) behoben werden:
Teilchen und Kerne
7.11 Vereinheitlichung von elektromagnetischer und schwacher Wechselwirkung 359

1
Aµ (x) → Aµ (x) + ∂µ Λ(x) (7.55)
e
Dµ = ∂µ − eAµ (x) (7.56)

Mit dem Feldstärketensor

. µ /
Fµν (x) = F µν (x) = D (x), Dν (x) = ∂ µ Aν (x) − ∂ ν Aµ (x) = −F νµ (x) (7.57)
e
erhielten wir schließlich die Lagrangedichte der QED (6.31):
1 2 1
L QED = ψ̄ (x) γµ ∂ µ − m + e γµ Aµ (x) ψ (x) − Fµν (x)F µν (x) (7.58)
9 :; < 9 :; < 94 :; <
freies Ankopplung
Diracfeld an Photonfeld freies
(Elektron, Myon, Quark, etc.) Photonfeld

Da das Photon masselos ist, enthält (7.58) keinen Massenterm der Form

m2 µ
A Aµ .
2
Dieser würde auch die Eichinvarianz unter der Transformation (7.55) brechen.

7.11.1 Eichtheorie der elektro-schwachen Wechselwirkung


Unser Ziel ist es nun, eine Eichtheorie für die elektroschwache Wechselwirkung aufzustel-
len. Dabei werden wir vorerst nur die Leptonen = e, , , = e , , berücksichtigen –
die Quarks können ganz analog behandelt werden. Die linkshändigen Zustände der Leptonen
können wir als linkshändiges Dublett schreiben und entsprechende Projektionsoperatoren defi-
nieren:

$ % $ %
= PL linkshändiges Dublett
L
1 1
PL = (1 − γ5 ) = ( − γ5 ) Projektor auf linkshändiges Dublett
2 2
1
L = (1 − γ5 ) linkshändiges Lepton
2
Wir fassen nun dieses linkshändige Dublett als Basisdarstellung einer neuen Symmetrie SU(2)L ,
dem schwachen Isospin, auf. Die zugehörigen Quantenzahlen sind:

1 1
L : T= , T3 = +
2 2
1 1
L : T= , T3 = −
2 2
Teilchen und Kerne
360 Schwache Wechselwirkung

Das Triplett der schwachen Isospinströme ist gegeben durch:


$ %
"# τα
Jµα = ¯, ¯ L γµ (α = 1, 2, 3) (7.59)
2 L

Dabei sind die τα die Pauli-Matrizen,


$ % $ % $ %
0 1 0 − 1 0
τ1 = , τ2 = , τ3 = , (7.60)
1 0 0 0 −1

welche die Generatoren der Gruppe SU(2)L darstellen.


Die W± -Bosonen koppeln an Linearkombinationen τ± = 12 (τ1 ± τ2 ) der Komponenten des schwa-
chen Isospinstromes, mit den Leiteroperatoren τ± :
e

$ %$ % W+
" # 0 1
Jµ+ = ¯, ¯ L γµ = ¯ L γµ L = ¯ γµ P L
0 0 L

e−
e−

$ %$ % W−
" # 0 0
Jµ− = ¯, ¯ L γµ = ¯L γµ L = ¯γµ PL
1 0 L

Diese beiden Viererströme stellen die geladenen Ströme der schwachen Wechselwirkung dar.
Auf die Relevanz des neutralen schwachen Stromes Jµ3 ,
$ % $ %$ %
" # " # 1 0 1 1
Jµ3 = ¯, ¯ L γµ τ3 = ¯, ¯ L γµ = ¯ L γµ L − ¯L γµ L , (7.61)
L
0 −1 L 2 2

werden wir später eingehen (s. Seite 363).


Im Gegensatz zur schwachen Wechselwirkung (hier ist derjenige Wechselwirkungsanteil ge-
meint, welcher durch die W ± vermittelt wird) koppelt die elektromagnetische Wechselwirkung
auch an rechtshändige geladene Leptonen R = 21 (1 + γ5) . Um dies zu berücksichtigen, zerlegen
wir zunächst den elektromagnetischen Vektorstrom in rechts- und linkshändigen Anteil:

Jµelm = −¯γµ = −¯L γµ L − ¯R γµ R

Dabei führen wir das rechtshändige Singulett R = 1+2γ5 ein, dem wir bezüglich SU(2)L die
Quantenzahlen T = 0, T3 = 0 zuordnen und der somit einen Singulett- Zustand bezüglich
Teilchen und Kerne
7.11 Vereinheitlichung von elektromagnetischer und schwacher Wechselwirkung 361

SU(2)L bildet. Hier tritt das Problem auf, daß der elektromagnetische Strom nicht mit den bis-
her betrachteten geladenen Strömen zusammenpaßt. Da unser Ziel jedoch eine Vereinheitli-
chung der schwachen und der elektromagnetischen Wechselwirkung ist, sind wir gezwungen,
zu einem Trick zu greifen. Wir betrachten die schwache Hyperladung Y mit zugehöriger Sym-
metrie U(1)Y . Letztendlich werden wir nun im Folgenden nicht die Symmetriegruppe U(1)Y
mit SU(2)L zusammenfassen (nicht die U(1) der e.m. WW, welche das Photon als Generator
besitzt). Die schwache Hyperladung ist über die Gell-Mann-Nishina-Relation (7.62) mit der
elektrischen Ladung und dem schwachen Isospin verknüpft:

1
Q = T3 + Y (7.62)
2

Wir erhalten dann:


$ %
: T = 21 , T3 = ± 21 , Y = −1 linkshändiges Dublett
L
R : T = 0, T3 = 0, Y = −2 rechtshändiges Singulett

Analog zu (7.59) ergibt sich der schwache Hyperladungsstrom zu:

JµY = −2¯R γµ R − ¯ L γµ L − ¯ L γµ L (7.63)

Y wird durch SU(2)L Transformationen nicht geändert, somit kommutiert Y mit den Ti (wegen
der Definition der schwachen Hyperladung mittels Linearkombination). Wir generieren also
eine neue Symmetriegruppe SU(2)L × U(1)Y .

Eichprinzip: Wir fordern nun für die freie Lagrangedichte der Leptonen (bei vernachlässigter
Masse)
$ %
" #
L Lepton = ¯ L , ¯ L γµ ∂ µ L
+ ¯R γµ ∂ µ R , (7.64)
L

eine Invarianz unter lokalen SU(2)L × U(1)Y Transformationen:

$ % $ %
⃗τ
L ⃗ (x)
⋅α − λ (x) L
→ 9 :; <2
9 :; <
L L
SU(2)L × U(1)Y
3 Parameter 1 Parameter
−2 λ (x)
R → R

Daraus ergeben sich die (noch masselosen) Eichbosonen

SU(2)L 3 Vektorbosonen Wµi i = 1, 2, 3


U(2)Y 1 Vektorboson Bµ
Teilchen und Kerne
362 Schwache Wechselwirkung

Wie üblich führt man dazu eine minimale Substitution durch:

$ %
L ⃗τ
⃗ g′
: ∂µ → ∂µ − g ⋅ Wµ + Bµ
L 2 2

R : ∂µ → ∂µ + g Bµ

⃗ µ bzw. Bµ die SU(2)L - bzw. U(1)Y -Eichfelder und g bzw. g′ die zugehörigen
Dabei sind W
Kopplungskonstanten. Die Feldstärketensoren lauten dann analog wie in QED (7.57) und QCD
(6.33):

W ⃗ ν − ∂ν W
⃗ µν = ∂µ W ⃗µ −gW
⃗µ ×W
⃗ν (7.65)
9 :; <
⃗ µ , ⃗τ ⋅ W
[⃗τ ⋅ W ⃗ν] ≠ 0
nichtabelsches Eichfeld
Bµν = ∂µ Bν − ∂ν Bµ (7.66)

Die Lagrangedichte der elektroschwachen Wechselwirkung lautet dann:

$ ′
%$ %
" # ⃗τ " #
L weak = ¯, ¯ L γ µ ⃗ µ + g Bµ
∂µ − g ⋅ W + ¯R γ µ ∂µ + g′ Bµ R −
2 2 L
1 ⃗ ⃗ µν − 1 Bµν ⋅ Bµν (7.67)
Wµν ⋅ W
4 9 :; < 4
(∗)

Hierbei bewirkt der Term (∗) in (7.67) eine Selbstwechselwirkung der Eichfelder, nämlich die
Kopplungen von drei und vier W-Feldern. Es sei hier nochmals angemerkt, daß bis hierher
alle 4 Eichbosonen der SU(2)L × U(1)Y Eichsymmetriegruppe noch masselos sind. Diesen
offensichtlich fehlerhaften Sachverhalt werden wir später über spontane Symmetriebrechung
und Higgs- Formalismus beheben.

7.11.2 Wechselwirkung mit geladenen Strömen:


I √ J
√ 3
2Wµ+
⃗µ =
⃗τ ⋅ W 2(τ+ Wµ+ + τ− Wµ− + τ3 Wµ3 ) = √Wµ − (7.68)
2Wµ −Wµ3
1
Wµ± = √ (Wµ1 ∓ Wµ2 ) (7.69)
2

Die geladenen W± -Bosonen sind die Wµ± -Eichfelder in (7.69), womit sich die bekannte V−A-
Theorie für Leptonen ergibt:

g " #
L CC = − √ ¯ L γ µ L Wµ+ + ¯L γ µ −
L Wµ (7.70)
2
Teilchen und Kerne
7.11 Vereinheitlichung von elektromagnetischer und schwacher Wechselwirkung 363

Wechselwirkung mit neutralen Strömen:


g" µ ¯ µ
# g′ " µ #
L NC = − ¯ Lγ L − Lγ L Wµ3 + ¯ Lγ L + ¯L γ µ L + 2¯R γ µ R Bµ (7.71)
2 2
Die Lagrangedichte (7.71) enthält auch die Kopplung des Photonfeldes Aµ an den elektroma-
gnetischen Strom. Photon und Z0 sind durch eine Drehung mit Bµ und Wµ3 verbunden:

Photon: Aµ = Bµ cos ϑW + Wµ3 sin ϑW (7.72)


Z-Boson: Zµ = − Bµ sin ϑW + Wµ3 cos ϑW (7.73)

Der Drehwinkel ϑW heißt Weinberg-Winkel. Experimentell erhält man:

sin2 ϑW ≈ 0.23120 ± 0, 00035 ϑW ≈ 28.74◦

Aus (7.71) ergibt sich mit (7.72) und (7.73) die Lagrangedichte des neutralen Stromes:

g "¯ µ #
L NC = Lγ L − ¯ Lγ µ L (cos ϑW Zµ + sin ϑW Aµ ) +
2
g′ " µ #
+ ¯ Lγ L + ¯L γ µ L + 2¯Rγ µ R (cos ϑW Aµ − sin ϑW Zµ ) (7.74)
2
Da Neutrinos nicht an Photonen koppeln, muß gelten:

g g′
− sin ϑW + cos ϑW = 0 (7.75)
2 2
Photonen koppeln gleich an links- und rechtshändige geladene Leptonen, d. h. rein vektoriell.
Deshalb muß gelten:

g g′
sin ϑW + cos ϑW = e (7.76)
2 2
Aus (7.75) und (7.76) ergibt sich:

g sin ϑW = g′ cos ϑW = e (7.77)


g′
= tan ϑW (7.78)
g

Die Lagrangedichte (7.74) kann damit auch folgendermaßen geschrieben werden:

e " 3 #
L NC = −eJµelm Aµ − Jµ − sin2 ϑW Jµelm Z µ (7.79)

sin ϑW cos ϑW ↑
elektrom. Strom, V−A-Strom
reiner Vektorstrom neutral
Teilchen und Kerne
364 Schwache Wechselwirkung

An (7.79) kann man erkennen, daß auch die Z0 -Lepton-Kopplung paritätsverletzend ist (wegen
sin2 ϑW < 1). Anders als bei W± ist hier jedoch die Paritätsverletzung nicht maximal, sondern
nur teilweise. Wie wir nun gesehen haben, kann die elektromagnetische nicht vollständig von
der schwachen Wechselwirkung getrennt werden, beide hängen über den Weinberg- Winkel zu-
sammen. Somit ergeben sich Interferenzeffekte bei elektromagnetischer Wechselwirkung, her-
vorgerufen durch die Schwache. Solche Effekte sind beispielsweise bereits bei der Präzessions-
spektroskopie von Atomen erkennbar. Hierbei kann eine Polarisationsasymmetrie von emittier-
ten Photonen, welche aus Relaxationen zwischen langlebigen, verbotenen Übergängen entste-
hen, beobachtet werden. Diese Effekte sind allerdings sehr klein, zumal die hierbei verwendeten
Energieskalen im Bereich von eV liegen.

Feynman-Regeln:

Z0 e 1 − γ5
− γµ
sin 2ϑW 2

$ %

2e µ 1 1 − γ5 2
e − γ − − sin ϑW (−1) =
sin 2ϑW 2 2 ↑
↑ Q
0 T3
Z
Axialvektorkopplung
e 1 ↓
2
=− γ µ 4 sin2 ϑW − 1 +γ5
2 sin 2ϑW 9 :; <
e− Vektorkopplung

7.11.3 Einbeziehung der Quarks


Da die Konstruktion von L weak allein auf Symmetrieprinzipien basiert, müssen wir nur die Quan-
tenzahlen der Quarks bezüglich des schwachen Isospins und der schwachen Hyperladung fest-
legen.
$ % $ % $ %
u c t 1 1 1 Y
′ , ′ , T = , T3 = ± , Y = , Q = T3 +
d L s L b′ L 2 2 3 2
9 :; <
linkshändige Dubletts

Y ist gleich der Summe der elektrischen Ladungen in einem Dublett.


⎛ ′⎞ ⎛ ⎞
d d
⎝ s′ ⎠ = VCKM ⎝ s ⎠
b′ ↑ b
CKM-Matrix
Teilchen und Kerne
7.11 Vereinheitlichung von elektromagnetischer und schwacher Wechselwirkung 365

-
rechtshändige uR , cR , tR T = 0, T3 = 0, Y = 43
Singuletts d′R , s′R, b′R T = 0, T3 = 0, Y = − 32

L q = −e Jµelmag-Quarks Aµ ⇒ −eγ µ Q

eZ µ " 3,Quarks #
L Z0 q = − Jµ − sin2 ϑW jµelm,Quarks
sin ϑW cos ϑW

(1 + γ5 ) + (1 − γ5 )

− e µ1 2
0
Z ↓
⇒ γ (1 − γ5 )T3 − 2 sin2 ϑW Q
sin 2ϑW 9 :; <
für links- und rechtshändige Quarks


Da die CKM-Matrix unitär ist (VCKM VCKM = 1), hat sie keinen Einfluß auf den neutralen schwa-
0
chen Strom bzw. die Z -Quark-Kopplung:

1" #
Jµ3 ,Quarks = ūL γµ uL + c̄L γµ cL + t̄L γµ tL − d̄′L γµ d′L − s̄′L γµ s′L − b̄′L γµ b′L =
2 (7.80)
1" #
= ūL γµ uL + c̄L γµ cL + t̄L γµ tL − d̄L γµ dL − s̄L γµ sL − b̄L γµ bL
2

7.11.4 Masse des W ±- und Z 0 -Bosons: der Higgs-Mechanismus


Noch nicht behandelt haben wir das Problem, daß bislang alle vier Eichbosonen W± , Z0 und
masselos sind. Dies ist eine Konsequenz der SU(2)L ×U(1)Y -Eichsymmetrie: Die Massenterme

2
MW ⃗µ ⋅W
⃗ µ, MB2
W Bµ Bµ (7.81)
2 2
verletzen die SU(2)L ×U(1)Y -Eichsymmetrie. Lösen läßt sich dieses Problem durch spontane
Symmetriebrechung. Der Preis für diese Lösung ist allerdings die Einführung neuer skalarer
Higgsfelder, die bislang experimentell nicht nachgewiesen wurden. Wir definieren nun:
Teilchen und Kerne
366 Schwache Wechselwirkung

V(Φ) V(Φ)


v/ 2
√ √
|Φ| = Φ† Φ |Φ| = Φ† Φ

h(x)

Abb. 7.39: Das Higgspotential in der Frühphase Abb. 7.40: Das Higgspotential heute bei T ≈ 0
des Universums vor der elektroschwachen Symme-
triebrechung bei T ≈ 100 GeV

Komplexes skalares Higgsdublett:


$ %
φ+ 1 1
Φ= T = , T3 = ± , Y = 1
φ0 2 2
Lagrangedichte mit Selbstwechselwirkung:

L Higgs = ∂µ Φ† ∂ µ Φ − V(Φ) (7.82)

Mit dem Potential:

V(Φ) = − µ 2 Φ† Φ + λ (Φ† Φ)2 (7.83)


9 :; < √ 9 :; <
Massentern mH = µ Rückstellkraft

Man stellt sich vor, daß das Potential V im Frühstadium des Universums nur ein Minimum bei
Φ = 0 hatte (Abb. 7.39). Später kam es nach einiger Abkühlung zu einer spontanen Symme-
triebrechung (Abb. 7.40), die mit der beim Ferromagnetismus vergleichbar ist.
Im heutigen
√ Grundzustand ist nach Abb. 7.40 der Vakuumerwartungswert 〈Φ〉0 ≠ 0. Er wird von
v = 2〈Φ〉0 , den Erwartungswert des skalaren Higgs- Feldes im Grundzustand des Universums,
repräsentiert.
$ % 6
0 ∂V µ2
〈Φ〉0 = √v
, = 0 = −µ 2 v + λ v3 , v=
2 ∂v λ
⃗ µ und Bµ an das Higgsdublett erfolgt wie-
Die Ankopplung der elektroschwachen Eichfelder W
der durch minimale Substitution

⃗τ ′
⃗ µ Φ + g Bµ Φ
∂µ Φ → ∂µ Φ + g ⋅ W (7.84)
2 2
Teilchen und Kerne
7.11 Vereinheitlichung von elektromagnetischer und schwacher Wechselwirkung 367

Die eichinvariante Lagrangedichte lautet dann:

L Higgs+Kopplung =
7$ % 8 7$ % 8
g ⃗ g′ † g ⃗ g′
= ∂µ − ⃗τ ⋅ Wµ − Bµ Φ ∂µ + ⃗τ ⋅ Wµ + Bµ Φ − V(Φ† Φ) (7.85)
2 2 2 2

Die vier Higgs-Freiheitsgrade lassen sich durch ⃗ξ (x) und h(x) parametrisieren:
$ %
⃗τ ⋅⃗
ξ (x) 0
Φ(x) = 9 :; < v+h(x)

(7.86)
2
SU(2)L -
Eichtransformation

h(x) beschreibt dabei die Elementaranregungen des Higgsfeldes.


$ % $ %
⃗τ ⋅⃗
ξ (x) 0 0
Alle √v
sind mit √v entartete, gleichwertige Grundzustände (Vakua), da das Po-
2 2
tential V für alle diese Zustände den gleichen Wert annimmt. Die drei Freiheitsgrade ⃗ξ (x) be-
schreiben sogenannte masselose Goldstone-Bosonen. Diese können jedoch weggeeicht werden.
Vernachlässigt man die Higgsteilchen h(x), so erhält man:

v2 1 22 $ %
⃗ µ + g Bµ
′ 0
L Higgs+Kopplung = (0, 1) g⃗τ ⋅ W
8 1
v2 1 2 ⃗ ⃗ µ + g′2 Bµ Bµ − 2gg′ Bµ Wµ3
2
= g Wµ ⋅ W
8$
v2 1 22 %
2 + −µ 3µ ′ µ
= 2g Wµ W + gW − g B (7.87)
8 9 :; <
g ` ´
= cos ϑW
cos ϑW W 3µ − sin ϑW Bµ =
g
= cos ϑ Z µ
W

Dies sind genau Massenterme der Art (7.81) für W± - und Z0 -Bosonen mit folgenden Massen:
W± -Boson Masse: Z0 -Boson Masse:
gv gv
MW ± = MZ 0 =
2 2 cos ϑW
Theoretisch ergibt sich also die Massenrelation:

MW ±
= cos ϑW = 0.877
MZ 0

Experimentell findet man:

MW ±
= 0.881 ± 0.005
MZ 0
Teilchen und Kerne
368 Schwache Wechselwirkung


Mit der Fermikonstante GF = 2g2 /(8MW
2
) erhält man außerdem als Erwartungswert des Higgs-
feldes:

2MW 1
v= = !√ ≈ 250 GeV
g 2GF
Die orthogonale Linearkombination

Aµ = Bµ cos ϑW + Wµ3 sin ϑW (7.88)


ist masselos und kann mit dem Photon identifiziert werden.
Der Higgsmechanismus liefert also eine

Spontane Brechung der Eichsymmetrie

SU(2)L × U(1)Y → U(1)elmag

Higgsmasse: Durch Einsetzen in (7.83) und Entwicklung nach h(x) erhält man:

$$ %%
0 µ2 " #2 µ 2 " #4
V V+h(x)

=− v + h(x) + 2 v + h(x) =
2 2 4v
$ 2 %
µ 3µ 2
= const + − + h(x)2 + …
2
9 :; < 2
1 2
m
2 H

Die Higgsmasse

mH = 2µ
ist ein freier Parameter der Theorie. Die aus elektroschwachen Strahlungskorrekturen bestimm-
te empirische Untergrenze liegt bei

300 GeV > mH > 110 GeV (Stand: Mai 2006)

Vollständiges Standardmodell der Teilchenphysik: Als das Standardmodell der Teilchen-


physik bezeichnet man nun gewöhnlich die vereinheitlichte elektroschwache Wechselwirkung
zusammen mit der Theorie der starken Wechselwirkung: ⇒ Eichgruppe:

SU(2)L × U(1)Y × SU(3)C


9 :; < 9 :; <
elektroschwache QCDStarke Wechselwirkung
Wechselwirkung

spontane
Symmetriebrechung
Teilchen und Kerne
7.12 Bestimmung einiger Parameter des Standardmodells 369

7.12 Bestimmung einiger Parameter des Standardmodells

7.12.1 Bestimmung des Weinberg-Winkels für neutrale Ströme


Der neutrale Strom in der elektroschwachen Wechselwirkung ist eine Mischung aus elektroma-
gnetischen und schwachen Komponenten, die durch den Weinberg-Winkel ausgedrückt wird.
Für die Kopplungsstärke des Z0 an Fermionen gilt daher:

gL = I3 − Q sin2 ϑW (7.89)
gR = −Q sin2 ϑW (7.90)

Die erste Zeile entspricht dem linkshändigen Strom Jµ3 − sin2 ϑW Jµem .
Der schwache Isospin der rechtshändigen Fermionen ist null, da diese nicht an Wi koppeln
können.
Hieraus ergeben sich zwei orthogonale Linearkombinationen für den neutralen Vektor- und den
Axialvektorstrom:

CV = gL + gR = I3 − 2Q sin2 ϑW (7.91)
CA = gL − gR = I3 (7.92)

Da es in der elektromagnetischen Wechselwirkung keinen Axialvektorstrom gibt, kommt kein


Term mit Q in CA vor. Für die Kopplungsstärke11des Z0 an Fermionen erhält man nun

2CV 2CA
e, , 1 1
e, , −1 + 4 sin2 ϑW −1
u, c, t 1 − 38 sin2 ϑW 1
d, s, b −1 + 34 sin2 ϑW −1

e−

Beispiel für einen neutralen Strom ist die Reaktion e− −→ Z0


e− , die auch zu dessen Entdeckung geführt hat.

e−
Der Wirkungsquerschnitt für diese Reaktion ist gegeben durch

dσ e 2G2F mE( c)2 " 2 #


= gL + g2R (1 − y)2 (7.93)
dy
11
Beachte: da das Z0 mit einer Komponente des Hyperladungssystems verknüpft ist, können auch rechtshändige
geladene Fermionen an das Z0 koppeln, anders als für die W± .
Teilchen und Kerne
370 Schwache Wechselwirkung

Im Unterschied zum geladenen Strom muß hier auch die Kopplung an rechtshändige Fermio-
nen berücksichtigt werden. Für den geladenen Strom gilt dagegen gL = 1 und gR = 0. Der
Wirkungsquerschnitt für die Streuung am Nukleon berechnet sich ganz analog unter Verwen-
dung der Bjorken-Skalenvariable x und der Quarkverteilungen. Allerdings werden wir diesmal
in einer einfachen Näherung nur u- und d-Quarks mitnehmen. Der doppelt differentielle Wir-
kungsquerschnitt lautet analog zur Gleichung Gl. (7.48):

d2 σ p 2G2F MxE 1 2 " #2


= gL u(x) + g2L d(x) + (1 − y)2 g2R u(x) + g2R d(x)
dxdy
$
G2F MxE " #2 " #2
= 1 − 34 sin2 ϑW u(x) + −1 + 23 sin2 ϑW d(x)
2
1" #2 " 2 2 #2 2%
2 4 2
+ (1 − y) − 3 sin ϑW u(x) + 3 sin ϑW d(x) (7.94)

Um den Wirkungsquerschnitt für die Streuung an Neutronen zu erhalten, müssen nur u(x) und
d(x) vertauscht werden. Benutzt man als Target isoskalare Kerne, d. h. Kerne, die gleich viele
Protonen und Neutronen enthalten, so ergibt sich der doppelt differentielle Wirkungsquerschnitt
für die Streuung an einem Nukleon unter Austausch eines neutralen Stromes (NC)

d2 σNCN G2F MxE( c)2 " #


= u(x) + d(x)
dxdy 2
" #
× (1 − 2 sin2 ϑW + 109 sin4 ϑW ) + (1 − y)2 10
9
sin4
ϑ W (7.95)

Da die Streuung an Antineutrinos die Rolle von gR und gL vertauscht, zieht man in diesem Fall
einfach den Faktor (1 − y)2 vor den ersten Ausdruck. Wir vergleichen dies mit dem entsprechen-
den ausdruck für den geladenen Strom (CC), den iwr aus Gl. (7.40) unter Berücksichtigung der
Quarkverteilungen u(x) und d(x) erhalten.

d2 σCCN G2F MxE( c)2 " #


= u(x) + d(x) (7.96)
dxdy

d2 σCC
¯N
G2 MxE( c)2 " #
= F u(x) + d(x) (1 − y)2 (7.97)
dxdy

Um diese Berechnungen für Experimente einfacher nutzbar zu machen, definiert man das Verhält-
nis R als Quotient der totalen Wirkungsquerschnitte für den neutralen und den geladenen Strom.
Die beiden Streuprozesse kann man in der Auswertung eines Streuexperimentes durch Ausnut-
zung der Ereignischarakteristika voneinander trennen und so R direkt messen. Man erhält nach
Integration und Division
Teilchen und Kerne
7.12 Bestimmung einiger Parameter des Standardmodells 371

Abb. 7.41: Bestimmung des Weinbergwinkels

σNCN
R= = 1
− sin2 ϑW + 20
sin4 ϑW (7.98)
σCCN 2 27

¯N
σNC
R̄ = ¯N =
1
2
− sin2 ϑW + 20
9
sin4 ϑW (7.99)
σCC

Aus den Messungen für R und R̄ ergibt sich, daß der Weinberg-Winkel ähnlich der starken
Kopplungskonstante α von der Energie abhängt, bei der man das Experiment durchführt. Das
Resultat der Messung aus Abb. 7.41 ist sin2 ϑW = 0.233 ± 0.003. Nimmt