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Archäologiemuseum Deutsch

Tieropfer
Töten in Kult
und Religion
20.05.–30.10.2016

Archäologiemuseum, Schloss Eggenberg, Eggenberger Allee 90, 8020 Graz


T +43-316/8017-9515, archaeologie@museum-joanneum.at
www.museum-joanneum.at
„Grunderlebnis des ‚Heiligen‘ ist die
Opfertötung.“ (Walter Burkert)

Opfer – Töten als


Gemeinschafts­erfahrung

Glaubensvorstellungen und Opfer­


bräuche von Kulturen, die keine schrift-
lichen Zeugnisse hinterlassen haben,
sind nur vage zu erklären. Manche Funde
verleiten zur detaillierten gedanklichen
Ausgestaltung – wie etwa der heraus­
ragende archäologische Befund am
Frauenberg bei Leibnitz.

Räumlich und zeitlich weit entfernt von


diesem Heiligtum, bietet die griechisch-
römische Antike dennoch Möglichkeiten
zum Vergleich: Anfang und Ende des
Festkalenders der Stadt Athen bildeten
die ­Panathenäen und die Buphonien
– zwei Feste, bei denen Rinder rituell
geschlachtet ­wurden. Das Unbehagen
der Tötung fand seinen Ausdruck im
­Prozess, der dem Beil nach erfolgtem
Opfer gemacht wurde: Die „schuldige“
Waffe wurde eliminiert.
Das Tier wurde vor dem Opfer geweiht,
doch nach der Tötung profaniert,
um verzehrt werden zu können. Den
­Mittelpunkt der Handlung bildet immer
die menschliche Gewalttat, das gemein-
same Erlebnis des Tötens.

Die Jagd kann als Ursprung von Opfer­


ritualen gesehen werden: Aggression, die
eigentlich gegen Artgenossen gerichtet
ist, wird auf ein Tier gelenkt – die
Tötungshemmung setzt zeitweilig aus.
Das gemeinsame (Opfer-)Mahl festigt die
Gemeinschaft und bildet zugleich soziale
Schichten in der Fleisch-Verteilung ab.
„Unschuldiger“ Fleischkonsum?

Die gesellschaftliche Struktur der


Opfergemeinschaft bestimmte wohl
auch die Verteilung des Opferfleisches.
Dies könnte die Selektion der Knochen
am Opferplatz am Frauenberg erklä-
ren: Ein Teil des Opfertieres blieb vor
Ort, ­während die meisten der fleisch­
tragenden Teile von den Festgästen
mitgenommen wurde.

Dem „schuldlosen“ Fleischkonsum die-


nend, wurden Tieropfer in Griechenland
seit dem 5. Jh. v. Chr. als „Unschulds­
komödien“ verspottet. 600 Jahre später
formulierte Paulus in seinem ersten Brief
an die Korinther moralische Richtlinien
zum Verzehr von sogenanntem Götzen-
opferfleisch.
Noch immer bereitet uns das Töten von
Tieren Unbehagen: In Österreich werden
pro Person rund 65 kg Fleisch verzehrt,
doch die dafür notwendigen Tiertötun-
gen sollen verborgen stattfinden. Bilder
vom Schlachten konfrontieren uns mit
dem Leid eines empfindungsfähigen
Wesens – und der „Schuld“ an dessen
Tod. Auf religiöse Legitimationen
­müssen wir dabei verzichten.
Hermann Nitsch Die La-Tenè-Zeit in der
68. Aktion, 20.9. 1980 ­Steiermark
Conventi degli Oblati, Florenz
Dauer: 2–3 Stunden Die Jüngere Eisenzeit (ca. 450
v. Chr. bis Christi Geburt) wird
Dieses Relikt der 68. Aktion nach einem Schweizer Fundort
des Künstlers Hermann auch „La-Tène-Zeit“ genannt.
Nitsch zeigt ein Leinentuch Die ältere Forschung ­verband
mit Blutspuren eines davor sie mit dem „Volk“ der ­„Kelten“.
aufgespannten, gehäuteten
Schafes. In Nitschs Aktionen In der Steiermark sind erst ab
wird nicht geschlachtet, um dem 3. Jh. v. Chr. – relativ spät
eine Gottheit günstig zu – kulturelle Veränderungen zu
­stimmen. Vielmehr wird bei beobachten, zum Beispiel die
seinem Orgien-Mysterien- vermehrte Verwendung der
Theater „anstelle des opfers Töpferscheibe, Münzgeld oder
eine ästhetische, durch die Schwerter mit Eisenklinge. Die
form, die kunst bestimmte ältere, hallstattzeitliche Sitte
ritualhandlung vollzogen“. von Hügelgräbern wurde nun
Nitsch betrachtet die aufgegeben – sie finden sich
Geschichte der Kulte und erst wieder am Ende der La-
­Religionen als Geschichte Tène-Zeit, vielleicht in Anleh-
unserer Psyche. In mythischen nung an die alten Traditionen
Ritualen sieht er einen Aus- aus der Hallstattzeit.
druck unserer unbewussten
Wünsche, Ängste und Bedürf- Um 200 v. Chr. schlossen sich
nisse. Durch äußerste Erregung 13 Stämme unter der Führung
in der Kunst soll das Publikum der Noriker zum Königreich
enthemmt und unbewusst Noricum zusammen, das wahr-
Triebhaftes abreagiert werden. scheinlich auch die heutige
Ziel ist der Durchbruch zu einer Steiermark umfasste.
unbändigen Feier des Lebens.
Vorrömische „Städte“ am Lethkogel bei Stainz, am
Dietenberg bei Ligist und am
Stadtähnliche Orte, soge- Kaiserköpperl bei Bärndorf/
nannte oppida, wurden Rottenmann.
zumeist in erhöhter Lage
angelegt. Einige dieser Zen- Um 15/16 n. Chr. wurde das
tren sind in der Steiermark Königreich Noricum friedlich
bekannt, das Wichtigste vom Römischen Reich annek-
befand sich auf dem Frauen- tiert.
berg bei Leibnitz: Die rund 17
Hektar große Siedlungsfläche
war durch eine teilweise heute Erste „steirische“ Münzen
noch sichtbare Wallanlage
geschützt und nahm das Die Verwendung von Münzgeld
Gipfelplateau und umliegende ersetzte die vorher übliche
Terrassen ein. Bei archäo- Tausch- und Naturalwirt-
logischen Untersuchungen schaft. In der Steiermark gibt
wurden die Reste von drei es eigene Münzprägungen ab
langrechteckigen Holzgebäu- dem 2. Jh. v. Chr.
den gefunden. Von anderen
Gebäuden ist wenig bekannt, Geprägt wurden Großsilber-
da die Fläche durch spätere münzen (Tetradrachmen) und
Bebauungen stark überprägt Kleinsilbermünzen (Obolen).
wurde.
Die in der La-Tène-Zeit von
Weitere latènezeitliche Oberitalien bis Britannien
Siedlungen befanden sich geprägten Goldmünzen
am Königsberg bei Tieschen, ­(Statere) wurden in der
am Ringkogel bei Hartberg, ­Steiermark nicht produziert.
am Hoarachkogel bei Spiel-
feld, auf der Riegersburg,
am Saazkogel bei Feldbach,
Münzprägung auch auf dem Tierknochen vom Frauenberg
Frauenberg?
Im Zuge der archäologischen
Die Siedlung auf dem Magda- Grabung am Frauenberg
lensberg im heutigen Kärnten ­wurden Überreste von zahl-
dürfte als Verwaltungssitz und reichen Tieren gefunden,
Kultzentrum von Noricum das darunter ausgewählte Teile
Recht besessen haben, eigene von etwa 1400 Rindern – vor
Münzen zu prägen. allem Schulterblätter und
Auf dem Frauenberg bei Unterkiefer.
Leibnitz wurden sogenannte
„Tüpfelplatten“ für den Guss Auch Knochen von Schweinen,
von Münzrohlingen sowie Pferden, Schafen, Ziegen,
stempelidente Kleinsilber­ Hunden, Geflügel und Wild-
münzen gefunden. Dies ist tieren wurden hier deponiert.
in der Steiermark der bislang Schweineknochen befanden
­einzige derartige Fund, wes- sich aber großteils außer-
wegen anzunehmen ist, dass halb des Grabens. Wurden
die Siedlung auf dem Frauen- Schweine nicht geopfert,
berg eine Prägestätte war. ­sondern bei begleitenden
Nachdem das Königreich (Kult-)Mahlen verzehrt?
­Noricum ab 15/16 n. Chr. zu
einem Teil des Römischen
Reichs wurde, änderte sich Menschenknochen im
auch der Zahlungsverkehr: ­Opfergraben
Die ­Prägung des Kleinsilbers
wurde zunehmend einge- Noch nicht endgültig geklärt
schränkt und endete wahr- ist, aus welchem Grund sich
scheinlich mit der Errichtung auch Menschenknochen im
der römischen Provinz Noricum Opfergraben befanden. Es
unter Kaiser Claudius im Jahr handelt sich dabei um die
43 n. Chr. Überreste von mindestens
Neun Individuen: Ein Früh- Neben Tierknochen fand
oder Neugeborenes, zwei Kin- man hier vor allem Keramik:
der, zwei Frauen, zwei Männer Drehscheibenware, Grafitton-
sowie zwei Erwachsene, deren keramik, einheimische Grobke-
Geschlecht nicht bestimmt ramik und Importstücke sowie
werden konnte. vereinzelt bemalte Stücke.
Besonders bedeutend sind
Kannibalismus oder eine sim- Gefäßfragmente mit Ritzzei-
ple „Entsorgung“ können mit chen als erste Zeugnisse der
großer Wahrscheinlichkeit aus- Verwendung von Schrift in der
geschlossen werden. Ahnen- Steiermark sowie Gold- und
kult, rituelle Tötungen oder ein Silbermünzen und Trachtbe-
Zusammenhang mit (Kriegs-) standteile.
Trophäen sind mögliche Deu-
tungen für diese rätselhaften Das Heiligtum war vermutlich
Menschenknochenfunde. auch ein Platz, an dem Ver-
sammlungen stattgefanden
und Kriegsbeute ausgestellt
Das latènezeitliche Heiligtum sowie deponiert wurde.
auf dem Frauenberg bei
­Leibnitz Dieser Ort ist eines der größ-
ten bekannten Heiligtümer der
150 Jahre lang wurde hier ein La-Tène-Zeit.
0,8 Hektar großes Sakralareal
kultisch genutzt: von der
Jüngeren Eisenzeit („La-Tène-
Zeit“) bis in die Regierungs-
zeit des römischen Kaisers
Augustus. Ein 5 Meter breiter
Umfassungsgraben umschloss
einen Grabhügel aus der Älte-
ren Eisenzeit („Hallstattzeit“).
1
Rudolf Palla
Schlachthof St. Marx
S/W
A, 1974/75
WStLA, Filmarchiv der media wien
Recut mit freundlicher Genehmigung
von R. Palla (Max Wegscheidler)
A, 2016
2:37

2
Hermann Nitsch
Relikt 68. Aktion, 20.9.1980
Conventi degli Oblati, Florenz
Blut auf Leinen
Gerhard Sommer Gallery, Graz

3
Max Wegscheidler
fleisch und knochen
Video
A, 2006
3:52
Kuratorin
Barbara Porod

Gestaltung & Layout


Leo Kreisel-Strauß

Texte
Barbara Porod und Roman Grabner

Lektorat
Jörg Eipper-Kaiser

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