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Einladung zu einem Arbeitskreis (online, via Zoom):

Dekonstruktion der evangelischen Predigt


Liebe Interessierte!
Wenn
- ich mir die Mühe mache, eine Predigt wieder und wieder zu lesen, um sie
tiefer zu verstehen,
- wenn ich das nicht mit der Energie tue, sie zu kritisieren, sondern davon
ausgehe, dass es legitim ist, dass der Prediger/die Predigerin das sagt (vgl.
Paulus: Achtet in Demut den anderen höher als euch selbst! Phil 2,3),
- wenn ich mich nicht in der Rolle sehe, dass ich die Aussagen der Predigt
bestätigen oder bestreiten muss (vgl. Jesus: Ihr sollt andere nicht verurteilen,
damit Gott euch nicht verurteilt! Mt 7,1),
- wenn ich davon ausgehe, dass ein Text nur aus seinem Kontext zu verstehen
ist,
- wenn ich auch offen dafür bin, dass eine Predigt viele Botschaften enthalten
kann, auch solche, die der Prediger/die Predigerin unwissentlich
weitergegeben hat, und
- wenn ich auch dafür offen bin, dass diese Botschaften einander widersprechen
können,
dann mache ich regelmäßig die Erfahrung, dass eine Predigt sehr, sehr viel zu sagen
hat - und immer auch Überraschendes!
Wenn
- ich diese geistige Arbeit mit der fortwährenden Einladung an den Heiligen
Geist tue, dass er meine Gedanken leitet, und
- wenn ich mein Denken nicht von meiner Herzensüberzeugung trenne, dass
Jesus das Licht der Welt ist, und
- wenn ich meine Gedanken bewusst als Zeugenaussage für das verstehe, was
ich jetzt als Weg, Wahrheit und Leben ansehe, anders gesagt: wenn ich Zeuge
dafür bin, wie ich Jesus verstanden habe,
dann ergeben sich bei dieser Arbeit unbequeme Fragen an uns alle, die predigen!
Zunächst sind es zwar Fragen an den betreffenden Prediger/die betreffende
Predigerin - und es kann sich daraus ein Gespräch entwickeln. Wichtiger ist mir aber,
dass es unbequeme Fragen an mich selbst und an alle christlichen Predigerinnen und
Prediger sind. Plakativ formuliert: Wie und was predigen wir eigentlich?
Ich möchte gerne mit anderen zusammenarbeiten (es müssen nicht Theologen
sein), die gerne in diesem Sinn Predigten tiefer verstehen wollen. Wer Interesse
hat, hier mitzuarbeiten - oder erst mal das Ganze näher kennenzulernen -, möge
mir schreiben: fritz.thum@elkb.de
Ich sehe es als intellektuell redlich und als fair an, dass ich für diese geistige und
geistliche Arbeit das Wort Dekonstruktion verwende. Meine Gedanken zum Umgang
mit einem Text (hier: mit Predigten) sind stark vom Franzosen Jacques Derrida
geprägt, der diesen Begriff dafür eingeführt hat. Derrida hat zwar selber gesagt, dass
dies ein „hässliches und kompliziertes Wort“ sei, aber er hat es doch beibehalten –
wohl auch deshalb, um seine Haltung gegenüber Texten von einer Destruktion und
von einer Rekonstruktion zu unterscheiden.
„Unbequeme Fragen“, das klingt nach unglücklichen Stunden, oder nicht? Ich
erinnere mich aber an einen bayerischen Dekan i.R., einen promovierten Theologen,
der gar keinen unglücklichen Eindruck machte, als er mir vor vielen Jahren berichtet
hat: „Ich predige jetzt ganz anders als früher. Ich habe alle meine alten Predigten
vernichtet.“
Ich denke jetzt auch an Pastor i.R. Sven Findeisen, Neumünster, der uns
Theologiestudent*innen, damals, in den Achtzigern, in ein grenzüberschreitendes
Nachdenken über Worte hineingenommen hat. Das hat Spaß gemacht und den
Horizont erweitert - und es hat uns Mut gemacht, dass auch wir grenzüberschreitend
denken wollten. Außerdem hat er uns mit Liebe begleitet. Und ohne Liebe ist doch
alles nichts, nicht wahr? Danke, Sven!
Fritz Thum (Pfarrer im Schuldienst in Kempten im Allgäu, Januar 2023)

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