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SCHWEIG‘, ZAGENDES HERZ.


Franz Lehár und die „1000 Jahre“
seines letzten Lebensjahrzehnts
Wolfgang Dosch

„Resignation“ nannte Franz Lehár eine seiner betörendsten und so typisch „lehárianischen“
Melodien. Diese Tenor-Arie aus „DAS FÜRSTENKIND“ (1909, Johann Strauß-Theater, Wien),
die mit Victor Léons Worten „Schweig‘, zagendes Herz“ beginnt, war wohl auch eine seiner
liebsten Melodien. Denn bei dem Konzert, das er mit Richard Tauber am 5. Juni 1946 in Zürich
gab und das ihr legendäres „Abschiedskonzert“ werden sollte, überredete er ihn, diese Arie,
die Tauber nur einmal 1932 aufgenommen hatte, nun zum ersten - und auch zum letzten Mal
in seinem Leben – live zu singen. Und Taubers hochsensible und intelligente Interpretation -
mit dem sechsundsiebzig jährigen Franz Lehár am Pult - lässt den Atem stocken. Zwei Jahre
später starben kurz hintereinander Richard Tauber am 28. Januar 1948 und Franz Lehár am
24. Oktober 1948.
„Schweig‘, zagendes Herz“ könnte auch als Motto über dem letzten Lebensjahrzehnt Franz
Lehárs von 1938 bis 1948 stehen.

1934
Bereits 1934 gerät auch Franz Lehár ins Visier der nationalsozialistischen Politik. Er selbst weiß
damals nichts von der Denunziation durch den Deutschen Musikverlag in Wien, der die
Reichssendeleitung des NS-Rundfunks informiert hatte, dass Lehár „nichtarisch“ verheiratet
sei.
Immer wieder gerät Lehár in Schwierigkeiten mit der nationalsozialistischen Kulturpolitik im
Deutschen Reich und wird zum „strittigen Problem“.
Das Propagandaministerium antwortet am 27. November 1934 auf Anfrage des
Ortsverbandes der NS-Kulturgemeinde Halle/Saale zu Franz Lehár:
„Franz Lehár ist für die Kulturpolitik des Dritten Reiches ein strittiges Problem (…) Seine
Librettis (sic.) stammen ausnahmslos von Juden. Mit seinen jüdischen Mitarbeitern und
Richard Tauber dazu, bewegt er sich ausschließlich in jüdischen Kreisen. Der Aufbau
seiner Operetten zeigt eine gewisse internationale Kitsch-Schablone. Die von Lehár
vertonten Texte entbehren, von Juden geliefert, jeglichen deutschen Empfindens. (…)
Seine nach langjähriger Bekanntschaft vor einigen Jahren geheiratete Frau soll jüdisch
sein. Lehár selbst hat mit einem Schreiben vom 16. August 1933 der Reichsleitung des
Reichsverbandes Deutsche Bühne e. V. seine eigene arische Abstammung versichert.
Trotzdem ist eine Abnahme von Aufführungswerken Lehárs für die NS-Kulturgemeinde
nicht tragbar.
Unterstellt, dass die schwer überprüfbare Behauptung der nichtarischen Verheiratung
sich nicht bestätigen sollte, hat Lehár sich durch seinen ständigen Umgang mit
Nichtariern, seine seit Jahren bestehende Zusammenarbeit mit Juden, seine enge
Freundschaft mit Richard Tauber, nicht zuletzt durch hämische Bemerkungen zum
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Nationalsozialismus außerhalb des Kreises der Mitarbeiter an der Kulturpolitik des


Dritten Reiches gestellt, soweit von einem Werturteil über sein musikalisches Schaffen
abgesehen werden kann.“

1936
Lehár war sich mittlerweile zweifellos seiner
Gefährdung an unterschiedlichsten Fronten
bewusst. Er erwähnt eifrig sein Ariertum
ebenso wie seine ungarische
Staatsangehörigkeit und folgt so 1936 einer
Einladung zum NS-Komponisten- und
Autorenkongress nach Berlin und knüpft
Kontakte zu höchsten Parteikreisen bis hin zu
Goebbels. Einige Wochen später kommt es bei
der Jahrestagung der NS-Kulturkammer zu
einem persönlichen Zusammentreffen mit
Hitler, der den Komponisten seiner
Lieblingsoperette „DIE LUSTIGE WITWE“ (1906,
Theater an der Wien) sogar in die Reichskanzlei
Abbildung 1: Karikatur zur Gründung des Glockenverlags,
lädt. „Der Morgen“, 6. Mai 1935.
Augenzeuge Albert Speer berichtet in seinen
„Spandauer Tagebüchern“, dass Hitler auch „Tage danach noch beglückt über dieses
bedeutungsvolle Zusammentreffen“ war, denn Lehár war „für den Führer allen Ernstes einer
der größten Komponisten der Musikgeschichte. Seine Lustige Witwe rangierte gleich neben
den schönsten Opern“.
Nur drei Tage nach diesem Treffen dirigiert Lehár im Theater am Nollendorfplatz die Premiere
der Neuproduktion seines „ZAREWITSCH“ (1927, Deutsches Künstlertheater, Berlin), bei der
Hitler und Goebbels Ehrengäste sind. Goebbels vermerkt in seinem Tagebuch am 30.
November 1936 über den Führer:
„Er ist ein wahres Genie. Er versteht von allem das Wesentliche. Das ist das
Bewundernswerte an ihm. Abends gehen wir mit ihm in den Zarewitsch. Lehár dirigiert.
Ein richtiges Schmalz für Auge und Ohr. Das Publikum ist begeistert. Das ist auch schön
so. Wir alle haben viel Spaß daran, und Lehár ist ganz glücklich.“
Mehr noch, Lehár darf sich und also auch seine Frau Sophie Pasckis, verehelichte Meth, in
Sicherheit hoffen und ist natürlich durchaus auch als Künstler glücklich auf allen Bühnen des
Reiches „persona grata“ des Führers zu sein.

1938
Als allerdings die Nationalsozialisten in Österreich einmarschieren, zieht sich die Schlinge um
Sophie Lehár enger. Gerne kommt Lehár daher der Aufforderung von Walther Funke, seit
Februar 1938 Hitlers Reichswirtschaftsminister, zuvor Staatsminister in Goebbels‘
Propagandaministerium und Vizepräsident der Reichskulturkammer, nach, dem Führer zu
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seinem 49. Geburtstag am 20. April 1938 mit einem der ‚Als Erinnerung an die 50. Vorstellung
der „Lustigen Witwe“ am 17. Februar 1906‘ gedruckten kleinen Notenheftchen eine Freude zu
machen:
„Staatssekretär Funke sagte mir, dass Hitler, als er in Wien war und kein Geld hatte,
immer auf der Galerie war, um „Die lustige Witwe“ zu hören … „Haben Sie noch so ein
Programm?“ und er gab mir den Rat, es einbinden und oben am Rand ein Hakenkreuz
anbringen zu lassen. Wie unerfahren ich damals war, bezeugt, dass am Titel die beiden
Hauptdarsteller Mizzi Günther und Louis Treumann (ein Jude) abgebildet waren.“
(Lehár, zitiert nach Bernhard Grun, „Gold und Silber“, Langen–Müller, München, Wien,
1970).

Fünf Wochen nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich muss Lehár seine und vor allem die
Existenz seiner Frau wachsender Gefahr ausgesetzt sehen und so scheint es, wie u. a. auch
Peter Herz (jüdischer Librettist und Freund Franz Lehárs) in mehreren Publikationen schreibt,
nachvollziehbar, dass er dieses Geschenk an Hitler als einfaches Mittel sah, sich die Gunst und
auch den Schutz des Führers für sich und seine Gattin weiterhin zu sichern.
Dieses kleine Heftchen wurde nach 1945 in Hitlers Berghof gefunden und von Medien als
Sympathiebeweis Lehárs für Hitler und den Nationalsozialismus ausgeschlachtet.
Peter Herz zitiert Lehár:
„Sympathiebeweis? Am Titelblatt dieser Noten ist Louis Treumann als Danilo zu sehen.
Hitler hat von mir sicher das einzige Bild eines Juden bekommen, mit Freude
entgegengenommen und in Ehren gehalten. Es war mein Verdienst, daß ich ihm das
Bild des Juden Treumann unterschob.“ (Schreiben von Franz Lehár, Zürich, 14. März
1947; zitiert nach Bernhard Grun, „Gold und Silber“)

Peter Herz, der in zahllosen Publikationen stets vehement gegen die Verunglimpfung Lehárs
als „Freund des Nationalsozialismus“ eingetreten ist, berichtet auch, dass sich Lehár beim
Führer um die Freilassung von Louis Treumann, Uraufführungsinterpret des Danilo und vieler
anderer Lehár-Rollen, aus dem Ghetto verwendet haben soll, doch von Hitler mit der
Feststellung abgespeist wird: „Treumann ist in Theresienstadt, dort geschieht ihm nichts.“
(Peter Herz: Da ging er ins Maxim, Gedenken an Louis Treumann, Illustierte Neue Welt, März
1985)

VERMÖGENSABGABE FÜR JUDEN UND DEREN EHEGATTEN


Und tatsächlich vermag die Leidenschaft Hitlers für Lehár-Musik, aber auch die Einsicht des
Propagandaministeriums und der Reichstheaterkammer, dass Franz Lehár ein für das Reich
unverzichtbarer Komponist ist, sein relativ ungestörtes Überleben in Wien und Bad Ischl
zumindest für einige Jahre zu sichern.
Dies belegt bereits der Schriftverkehr zwischen Hans Hinkels, SS-Sturmbannführer, als
Staatsrat zuständig für Theater in Berlin, und Minister Goebbels.
Aktennotiz Hinkels an Goebbels am 29. August 1938:
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„Franz Lehár, dem ich in den vergangenen Monaten alle Schwierigkeiten, die seine
Arbeitsmöglichkeiten beschränken könnten, aus dem Wege räumte – wendet sich
soeben eiligst mit der Bitte an mich, ihm in folgender Angelegenheit behilflich zu sein:
Lehár ist nach den allgemein geltenden Bestimmungen bekanntlich verpflichtet, sein
und seiner katholisch getauften volljüdischen Frau Vermögen bis zum 30. September
anzugeben.
Davon wird er und seine Gattin auch nicht durch die Inhaberschaft des ungarischen
Staatsbriefes befreit. Lehár fühlt sich durch diese Vermögensanmeldepflicht für Juden
und deren Ehegatten außerordentlich bedrängt – sein Rechtsvertreter mußte ihm
erklären, daß nur ein von kompetenter Seite kommendes Wort ihn von dieser Pflicht
befreien kann – und fragt recht verzweifelt um Rat.
Ich habe ihn sogleich beruhigt und ihm versprochen, umgehend dem Herrn Minister zu
berichten.
Ich möchte ergebenst vorschlagen, daß der Herr Reichswirtschaftsminister Funk, der ja
Franz Lehár sehr gut kennt, ersucht wird, Herrn und Frau Lehár von dieser Pflicht zu
entbinden bzw. ihm einen Ausweg zu zeigen. Ich darf noch dazu bemerken, daß die
Vermögensverhältnisse des Ehepaares Lehár schon deshalb sehr kompliziert liegen,
weil Franz Lehár als ungarischer Staatsbürger die bekannten Besitzungen in Wien und
Bad Gastein sic! WD. und eine weitere Besitzung in Ungarn unterhält. Dazu kommen
seine großen Tantièmenansprüche an die deutsche Stagma und die bisherige AKM in
Wien, sodaß eine Vermögensaufstellung für den Künstler tatsächlich mit allerlei
Komplikationen verbunden ist.“

Goebbels stimmt zu und Staatsrat Hinkel schreibt acht Tage später, am 8. September 1938, an
Wirtschaftsminister Funk:
„Herr Reichsminister Dr. Goebbels würde es begrüßen, wenn durch Ihr Ministerium
veranlasst werden könnte, daß Lehár von der Verpflichtung der Vermögensabgabe
befreit oder ihm ein Ausweg gezeigt wird. Ich darf deshalb die Bitte aussprechen, daß
Sie, sehr geehrter Herr Reichsminister, Ihrem persönlichen Referenten, Herrn
Oberregierungsrat Walter, entsprechende Anweisung geben.“

Die Anweisung wird erteilt.


Franz Lehár war sich also sehr wohl der Bedrohung bewusst, die ihm und seiner Gattin
erwachsen können, lebte auf des Messers Schneide und versuchte auf allen Wegen, Unheil
von ihr abzuwenden.

Derartige Vorgänge verführen auch Fritz Löhner-Beda, mit dem Lehár beispielsweise
„FRIEDERIKE“ (1928, Metropol-Theater, Berlin), „DAS LAND DES LÄCHELNS“ (1929, Metropol-
Theater, Berlin) und auch seine letzte Operette „GIUDITTA“ (1934, Wiener Staatsoper)
geschrieben hatte, sich in Sicherheit zu wiegen, unwissend, dass auch er bereits 1934 durch
Rainer Schlösser als Zionist verleumdet worden war. (Vgl. Schlösser an Goebbels, 12.
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September 1934. In: Schaller, Wolfgang Hrsg.: „Operette unterm Hakenkreuz“,


Staatsoperette Dresden, 2007, S. 15).
„Der Hitler liebt meine Lieder, der wird mir nichts tun“, hatte Löhner-Beda vor dem
„Anschluss“ gesagt, und selbst als nach 1933 in Deutschland alle seine Operetten, die er für
jüdische Komponisten wie v. a. Paul Abraham geschrieben hatte, verboten wurden, wollte er
noch glauben „es wird schon nicht so schlimm werden“.
Als dann 1937 sogar seine Operetten, die er für Lehár geschrieben hatte, von den deutschen
Spielplänen verschwinden und alle deutschen Tantièmen ausbleiben, schreibt der
Geschäftsführer des „Glocken-Verlages“ im April 1937 an Lehár, dass Beda „sehr mit seinen
Nerven fertig zu sein“ scheint.
Bereits am 13. oder 14. März 1938, also am unmittelbar nach dem Einmarsch der
Nationalsozialisten in Österreich, wird Löhner-Beda ins Polizeigefängnis in die
Elisabethpromenade (im Volksmund „Lisl“ genannt) abgeführt. Das „Dachau-Lied“, das er für
Hermann Leopoldi, der das KZ überleben kann, schreibt, wird einer seiner letzten Texte
bleiben.

ERPRESSUNG!
Am 1. November 1938 wendet sich Lehár, bedroht von mehrmaligen Erpressungsversuchen
des Regisseurs Paul Guttmann, er inszenierte u. auch die Uraufführung von „DIE GELBE JACKE“
(1923, Theater an der Wien) und war auch Librettist seiner „WO DIE LERCHE SINGT“ (1918,
Theater an der Wien) war, in einem Schreiben an Staatsrat Hinkel. Dieses Schreiben, das 1945
auf mysteriösem Weg der „Basler Zeitung“ zugespielt wird, ist durch den eher „preußischen“
Stil und vor allem durch das mehrmalige Verwenden des Wortes „jüdisch“ völlig untypisch für
die uns durch alle andere Korrespondenz bekannte liebenswürdig „kakanische“ Wortwahl
Lehárs. Dieser Umstand wie vor allem auch die Tatsache, dass in diesem Brief
irrtümlicherweise anstatt von Paul Guttmann von dessen Bruder Arthur (mit beiden war Lehár
jahrelang persönlich bekannt) die Rede ist, hat den deutschen Regisseur und Lehár-Biografen
Otto Schneidereit zu der Überzeugung geführt (die er auch bei einem Lehár-Symposion, Bad
Ischl 1978) vertrat, dass dieser Brief Lehárs an Hinkel eine Fälschung sein müsse.
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Dr. Stefan Frey, der fundierteste Lehár-Forscher unserer Tage, konnte diese Behauptung
Schneidereits allerdings widerlegen, denn das Original dieses Briefes fand sich in der Akte
„Lehár“ des seit kurzem
geöffneten „Berlin Document
Center“.
Wenn wir heute davon ausgehen
müssen, dass Lehár dieses
Schreiben tatsächlich verfasst
hat, dann erkennen wir darin den
verzweifelten Versuch eines fast
siebzigjährigen Mannes, der sich
von verschiedenen Seiten
bedroht fühlt, sein und vor allem
das Leben seiner jüdischen Gattin
mit zweifellos „unkorrekten
Abbildung 2: Adolf Hitler trifft Franz Lehár.
Mitteln“ zu retten:

3. November 1938, Franz Lehár an Staatsrat Hinkel, Berlin:


„Hochverehrter Herr Staatsrat!
Es betrifft eine Erpressungsanzeige gegen den jüdischen Schauspieler Artur Guttmann
und seinen jüdischen Rechtsanwalt Doktor Samuely. … Der Vertreter dieser zwei Juden
ist der jüdische Advokat Dr. Eitelberg. Artur Guttmann und Dr. Samuely werden
bestimmt verurteilt – sie wollen aber eine große Affäre daraus machen und dazu wollen
sie Dr. Eitelberg benutzen, der der berüchtigtste jüdische Advokat Wiens ist. Dr.
Eitelberg wollte, daß ich ihn heute zwischen vier und sechs Uhr anrufen soll. Das darf
ich doch nicht tun. Der Tatbestand ist folgender: Artur Guttmann, der schon wiederholt
an mir Erpressungen verüben wollte, wandte sich seinerzeit schriftlich an Dr. Samuely,
er möge ihn gegen mich vertreten. Dr. Samuely willigte ein, aber nachdem er mir einen
Brief schrieb, aus dem ich klar die Situation übersah, zeigte ich die schon berüchtigten
Herren beim Landesgericht an. Die zwei Juden wurden sofort in Haft gesetzt. Die Sache
ruhte längere Zeit – es kam der Umbruch die Verwendung des in Österreich damals
völlig unüblichen Begriffes „Umbruch“ schien Schneidereit ebenfalls Beleg für die
Fälschung. Anm. WD. – es kamen die Gerichtsferien, nun kam die Nachricht von der
angesetzten Verhandlung für Montag, Dienstag, Mittwoch!!! Der berüchtigte Advokat
Dr. Eitelberg hat nun die Sache in der Hand, und daß eine dreitägige
Verhandlungsdauer angesetzt wurde, beweist, dass er seinen wahrscheinlich nahe
bevorstehenden Abgang mit einem Knalleffekt erster Ordnung bewerkstelligen will
Diese eher „berlinerische“ Formulierung ist ebenfalls völlig unüblich für Lehár. Anm.
WD.. … Sie ersehen, wie früher anerkannte Künstler von jüdischen Advokaten und
Konsorten als Freiwild betrachtet werden konnten …“.
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In einem Fernschreiben von Hinkel an das RPA, das sich mit der „Arisierung der
kulturwirtschaftlichen Betriebe“ zu befassen hatte, heißt es:
„Franz Lehár war durch die Mitteilung, dass in diesen Tagen der Termin gegen
Guttmann steigen sollte, sehr aufgeregt, weil er als Zeuge geladen war. Ich bin der
Meinung, dass wir an der Fortführung dieses Prozesses kein Interesse haben können,
weil er Franz Lehár durch in- und ausländische Berichterstatter mehr schaden würde
als nützen. … Aus diesem Grunde habe ich vorerst fernmündlich den genannten
Staatsanwalt veranlasst, die Verhandlung zu vertagen.“

Dieses in offensichtlicher Not verfasste und zweifellos „unsaubere“ - allerdings auf


mehrmalige Erpressungsversuche reagierende - Schreiben Lehárs hat also Erfolg. Es bewahrt
ihn einerseits tatsächlich vor einem Gerichtsverfahren gegen seine Erpresser und bestätigt
ihm andererseits auch die Wichtigkeit als Künstler, die er für die Nationalsozialisten hatte.
In einem Brief vom Juli 1939 erhielt der „Liebe Meister Lehár“ eine Mitteilung von Hinkel
persönlich, wonach er „auch diesbezüglich beruhigt arbeiten“ könne.

1939
Am 12. Januar 1939 präsentiert das Deutsche Operettenhaus, Berlin Charlottenburg, eine
Neuaufführung der „LUSTIGEN WITWE“, die Lehár dirigiert. Hitler lässt ihn in seine Loge
kommen und überreicht ihm eine Auszeichnung. Zu dieser Neufassung steuert der Wiener
Kabarettist und Schriftsteller Rudolf Weys Texte bei, der 1943-1945 eine Neubearbeitung von
„DER RASTELBINDER“ (1902, Carltheater, Wien) erstellen wird. Dessen Gattin Gerda war
ebenso wie Sophie Lehár Jüdin und so gab Lehár, sonst Umarbeitungen seiner Werke
ablehnend gegenüberstehend, in diesem Fall seine Zustimmung, um Weys und seine Gattin
zu schützen
Dies belegt auch ein späterer Brief Weys über seinen Besuch bei Lehár an seinen Verleger
Sikorski am 9. August 1944: „Gerda war sehr erfreut über alles, was ich zu erzählen hatte, sie
lachte sehr über ihre indirekte ‚Mithilfe‘ am Lehár-Einverständnis zum RASTELBINDER.“
Lehár wusste, dass er selbst als einer der für die Nationalsozialisten wichtigsten
Komponisten trotz seiner jüdischen Gattin in einer ungleich sichereren Position als Weys
war, wie sein Brief vom 1. Oktober 1944 an ihn belegt: „Ich habe zugesagt, den
RASTELBINDER einzurichten. Ich habe das wirklich nur getan, um Ihnen zu helfen. Ich kenne
ihre Situation genau und bin bestrebt, Ihnen entgegenzukommen, soweit es in meinen
Kräften steht.“

LEHÁR SCHÜTZT LÉON


Aber Franz Lehár schützt nicht nur den Bearbeiter des „RASTELBINDER“, sondern auch dessen
Original-Librettisten Victor Léon, mit dem er unter anderem auch „DIE LUSTIGE WITWE“
(1905) geschrieben hatte. Franz Marischka, Enkel Victor Léons, der das „Dritte Reich“ in
London überlebte, berichtet in seinem Buch „Immer nur lächeln“ (Amalthea, Wien, München,
2001), dass die–arische–Freundin Léons, Anna Stift, die Victor und seiner Gattin Ottilie
liebevoll den Haushalt führte, 1939 zufällig erfährt, „dass die Großeltern auf einer Liste der
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Gestapo standen und abgeholt werden sollten. Sie informierte sofort Franz Lehár, der beim
damaligen Gauleiter Bürckel erreichen konnte, dass Victor Léon und seine Frau von der Liste
gestrichen wurden.“

Marischkas Darstellung deckt


sich mit einer eidesstattlichen
Erklärung, die besagte Anna Stift
am 7. Februar 1972 zu Gunsten
von Franz Lehár abgibt:
„Als Universalerbin des
(jüdischen) Schriftstellers und
Operetten-Librettisten Victor
Léon kann ich nachstehenden
Vorfall bezeugen, aus dem sich
die Hilfsbereitschaft für seine
(Lehárs) jüdischen Freunde auch
zur Zeit des Naziregimes ergibt:
Anfang 1939 wurde der damals
80-jährige kranke Victor Léon von
der SS aufgefordert, binnen drei
Abbildung 3: Victor Léon, Miss Austria Lisl Goldarbeiter, Franz Lehár. Wochen seine Villa in Wien XIII,
Wattmanngasse 22, samt seiner
Lebensgefährtin Ottilie Popper zu verlassen. Da die beiden alten Leute entschlossen
waren, sich eher das Leben zu nehmen, als sich diesem Befehl zu fügen, begab ich mich
zu Franz Lehár und bat ihn um Hilfe. Lehár versprach trotz der eigenen Belastung mit
seiner jüdischen Gattin, alles zu versuchen, um der bedrohten Familie zu helfen. Seine
Intervention hatte auch vollen Erfolg. Victor Léon konnte bis zu seinem Tod im Jahr 1940
und Ottilie Popper bis zu ihrem Ableben 1942 unangefochten in ihrer Villa bleiben.“
(Zitiert nach Barbara Denscher, „Victor Léon“, transcripit-verlag, Bielefeld, 2017; Léon-
Nachlass 37/3.21.)

1940
BUDAPEST. GRÜSSE AUS MEINER HEIMAT
An Rudolf Weys schreibt Lehár am 19. Februar 1940 aus Budapest, Hotel Hungaria, eine
Postkarte, die Aufschluss darüber gibt, welcher Nation er sich tatsächlich zugehörig fühlt:
„Herzliche Grüße aus meiner Heimat! Dirigierte hier am 11. 2. im Radio 2 Stunden. Das Konzert
wurde auch von Wien übernommen. Haben Sie es gehört?“

70. GEBURTSTAG – LEHÁR UND „DIE MINDERWERTIGEN MAGYAREN“


Nicht nur diese Affinität seines Herzens und seiner Musik zu Ungarn, sondern natürlich auch
offensichtlichere Gründe, erwiesen sich besonders problematisch in Anbetracht des
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bevorstehenden 70. Geburtstages, bei dem das Propagandaministerium beabsichtigte, Franz


Lehár als „seinen“ größten Operettenmeister gebührend zu feiern.
So wandte sich die Abteilung T. des Propagandaministeriums mit Bedenken an Minister
Goebbels, Berlin 5. April 1940 (BA-R55/1136, S. 301-303):
„Die in Aussicht genommene ‚Goethe-Medaille‘ dürfte sich in Hinblick auf „FRIEDERIKE“ nicht
empfehlen“, andererseits würde er durch die vorgeschlagene Verleihung des „Ordens vom
deutschen Adler“ als Ausländer abgestempelt.
„Franz Lehár ist ungarischer Staatsbürger deutscher Abstammung. Die Magyaren
führen einen erbitterten Kampf um den Nachweis, dass Lehár Magyar sei. … Es liegt
außerordentlich viel daran, zu erreichen, dass … Franz Lehár dem deutschen Volk und
der Welt gegenüber als Deutscher hingestellt wird … Die Magyaren beabsichtigen
ferner, Franz Lehár die Ehrenbürgerschaft der Stadt Ödenburg zu geben …, seit
Jahrhundert ein Streitobjekt zwischen Deutschen und Magyaren. … Es ist deshalb zu
überlegen, ob Lehár auf geeignete Weise die Ablehnung dieser Ehrenbürgerschaft
plausibel gemacht werden soll. Dazu wäre allerdings notwendig, ihm … die
Aufführung seiner Operette „FRIEDERIKE“ freizugeben. Seitens des Reichsdramaturgen
sind gegen die Operette eine Reihe Bedenken geäußert worden. … Wir sind es uns und
unserem Volke schuldig, einen Komponisten wie Lehár, der sich zum Deutschtum
bekennt und dessen Operetten vom Führer außerordentlich geschätzt werden, nicht
kampflos in die Hände minderwertiger Magyaren abgehen zu lassen.“

Das Propagandaministerium erlässt am 27. April 1940, drei Tage vor Lehárs Geburtstag, ein
diesbezügliches Presse-Rundschreiben NR. II/279/40 Berlin:
„Anlässlich des 70. Geburtstages von Franz Lehár am 30. 4. 1940 soll ihm eine
besondere Ehrung zuteilwerden. Da die Ungarn wegen der Ungarischen
Staatsangehörigkeit Lehárs ihn für sich beanspruchen, er aber tatsächlich
deutschstämmig ist, soll in der Presse nicht etwa von dem „ungarischen“ Komponisten
Lehár gesprochen werden, sondern von dem Meister der deutschen Operette. Jede
Polemik in Bezug auf Lehárs Musik und Person ist selbstverständlich unerwünscht.“

Zu seinem 70. Geburtstag wird ihm schließlich dennoch die „Goethe-Medaille“ verliehen,
Regierungspräsident Jung überreicht ihm im Namen von Gauleiter Bürckel am 3. Mai 1940 im
Wiener Rathaus den „Ehrenring der Stadt Wien“. Lehár bedankt sich mit der Neukomposition
einer großen Ouverture zu „DIE LUSTIGE WITWE“, die wenig später von den Wiener
Philharmonikern uraufgeführt wird. In einem Kaufhaus findet eine Ausstellung statt. Bei der
Eröffnung führt der Meister selbst die Gäste, darunter Hubert Marischka und Willy Seidl,
Direktor des Raimundtheaters. Das „Neue Wiener Tagblatt“ vom 4. Mai 1940 schreibt, dass
der Lehár so viele Glückwünsche erhalten hat, „dass der Briefbote mehrmals täglich mit einem
Wäschekorb vor seiner Wohnungstür erschien. Der Meister sieht sich außerstande, Allen die
seiner gedachten, persönlich zu danken und bittet uns deshalb, … auf diesem Weg seinen
herzlichsten Dank abstatten zu können.“
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Lehár selbst verbringt seinen Geburtstag jedoch weder in Wien noch in Bad Ischl, sondern in
„seiner Heimat“ Budapest, wie er es in der oben erwähnter Postkarte an Rudolf Weys
bezeichnete
Zu seiner Verbundenheit zu Ungarn kommt die Tatsache, dass die Budapester Königliche Oper
„DAS LAND DES LÄCHELNS“ anlässlich seines Geburtstages auf den Spielplan setzt und dass
auch seine Schwester Emmy Papházay in Ungarn lebt.
Aber zweifellos fühlte sich Lehár, entgegen aller Beschwörungen des
Propagandaministeriums, doch als Ungar. Und er nimmt auch, entgegen dem Willen des
Ministeriums, sehr wohl die Ehrenbürgerschaft von Ödenburg an und verkündet in seiner
Dankesrede, die die „Oedenburger Zeitung“ am 3. Mai 1940 abdruckte:
„Mein ungarisches Herz dankt für diese ehrende Feier, bei der ich besonders durch den
Umstand gerührt war, dass alle Redner auf mein Ungartum hingewiesen haben, das ich
am überzeugendsten dadurch dokumentiere, dass ich das Gebet zum Himmel
emporsende: Gott erhalte den ersten Ungarn, Nikolaus von Horthy!“

LEHÁR-FEIER 30. MAI – 1. JUNI 1940 UND STADTERHEBUNG BAD ISCHLS


Bad Ischl lässt sich die Ehrung des Meisters, der diesen Ort zu seiner Wahlheimat erkoren hat,
besonderes Anliegen sein, vor allem auch, da dieser Geburtstag mit der Stadterhebung
zusammenfällt.
Am 1. Juni 1940 berichtet das „Kleine Volksblatt“:
„Bad Ischl im Zeichen Meister Lehárs – Die Perle des Salzkammergutes wird zur Stadt
erhoben. Der Name Franz Lehár ist im Reiche der deutschen Musik ein festumrissener
Begriff geworden. Mit besonderer Freude ist der Gau Oberdonau an die Inszenierung
dieser Lehár-Festtage gegangen, weil viele der schönsten Werke des Meisters hier in
der Perle des Salzkammergutes, in Bad Ischl, entstanden sind … Die Veranstaltung
beweist, dass das Reich in dem sicheren Gefühl auf
den Sieg trotz des Krieges sein Kulturleben fördert
und pflegt.“

Die ihm seitens der Politik erwiesenen Ehrungen und vor


allem die ihm von der Bevölkerung entgegengebrachte
Anerkennung erfüllen ihn zweifellos mit Genugtuung.
Dennoch geht sein Herzenswunsch, die Aufhebung des
Aufführungsverbotes seiner „FRIEDERIKE“, trotz
intensiver Bemühungen – noch - nicht in Erfüllung.
In einem Interview für den Reichssender Wien
sagt er charakteristischerweise, „FRIEDERIKE“ sei
das „Deutscheste unter meinen allen möglichen
Nationen angehörenden Kindern (eines ist sogar ein Chinese geworden).“
Am 17. September 1940 versucht er Goebbels erneut umzustimmen. Dieser schreibt in sein
Tagebuch:
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„Privataufführung … von ‚FRIEDERIKE‘ im Theatersaal durch das ‚Theater des Volkes‘.


Text und Vorwurf etwas kitschig. Aber musikalisch von einem unendlichen Reichtum
des Einfalls und der Melodienfreudigkeit. Ich bin schwankend, ob man das Stück
freigeben soll. Goethe ist nicht taktlos behandelt, aber schließlich ist er Goethe. Ich
werde nochmal mit dem Führer sprechen.“ (Goebbels, Tagebücher, Teil I, Band 4, 17.
September 1940)
Erst einige Jahre später schienen die Gespräche mit dem Führer nicht ganz folgenlos zu
bleiben, denn „FRIEDERIKE“ wurde zu mindestens 1943 Leipzig und im Juli 1944 auch an dem
von der Soubrette Friedl Czepa geleiteten Wiener Stadttheater aufgeführt.

Obwohl Lehár es versucht zu vermeiden, scheinen die Politik und der Kriegsalltag ihn als
Künstler zu blockieren. So beantwortet er in einem Interview für Radio Wien anlässlich der
Neuproduktion der „LUSTIGEN WITWE“ 1940 in Berlin die Frage, ob die Anwesenheit des
Führers bei der Premiere nicht „eine stolze Genugtuung“ für ihn bedeute, diplomatisch und
ausweichend:
„Gewiss. Die Berliner Aufführung der „LUSTIGEN WITWE“ war grandios. Etwas noch nie
Dagewesenes, Einmaliges. Das Interesse des Führers verpflichtet mich zu tiefstem
Dank. Ich möchte aber die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, allen jenen zu
danken, die mir und meiner Kunst durch ein Menschenalter die Treue gehalten haben.
Was ich zu bieten hatte, war stets ehrlich empfunden und kam vom Herzen. Ich habe
mein ganzes Leben nie etwas anderes gekannt als meine Kunst, meine Musik. Ihr habe
ich mich restlos hingegeben. ‚Immer nur lächeln!‘, ‚Was geh’n mich an die Leute‘,
‚Resignation‘ im ‚FÜRSTENKIND‘, das Lied an die Geige des ‚PAGANINI‘ sind
Selbstbekenntnisse.
Meine Lebensaufgabe aber sehe ich darin, den grauen Alltag meiner Mitmenschen zu
verschönern.“

Lehár ist wohl auch schmerzlich bewusst, dass er seit 1934 keine Muße und auch keine
geeigneten Mitarbeiter mehr findet, um das zu tun, wofür er sich als Künstler berufen fühlt –
zu komponieren und neue Werke zu schaffen. „Nichts Schlimmeres gibt es, als aus der Arbeit
herausgerissen zu werden Es ist anfangs, als ob einen ein Rausch überkäme. Wird man gestört,
ist dieser Rausch vorbei und die Arbeit, die vorher mühelos war, bedeutet plötzlich eine
Anstrengung“, sagt er der „Kronenzeitung“ am 28. April 1940.

1941 und 1942


Im September 1941 erreicht ihn der Auftrag für die Kompositionen eines Marsches zu einem
Film über Oberst Gerloch, Ritterkreuzträger und Kommandant eines Panzerregiments. Lehár
versucht, sich dieses Auftrages zu entledigen, unter Hinweis auf die Kurzfristigkeit des
Auftrages, seiner Arbeit an einer Neufassung des „GRAF VON LUXEMBURG“ (1909, Theater an
der Wien) für eine Berliner Produktion und auch auf die Unerfahrenheit des Librettisten, Ernst
A. Welisch, Sohn von Ernst Welisch, der gemeinsam mit Rudolf Schanzer u. a. Librettist von
Oscar Straus und Leo Fall („MADAME POMPADOUR“, 1922, Berliner Theater, u. a.) war.
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Am 20. September 1941 schreibt Lehár aus Bad Ischl an den Geschäftsführer seines „Glocken-
Verlages“, Friedrich Fleischer: „Wenn Welisch das Husarenstück vollbringt, mir postwendend
einen zündenden Text zu schicken, so schreibe ich den Marsch gern … Welisch soll zeigen,
was er kann – und ich – ich, ich steh‘ bloß meinen Mann.“
Ernst A. Welisch liefert einen Text, der als propagandistisch und kriegstreiberisch zu
bezeichnen ist – und Lehár, der nichts damit zu tun haben will, unterlegt ihn mit einer merkbar
lustlos aus dem Handgelenk geschüttelten „Allerwelts-Marschmusik“. Es handelt sich bei
diesem „Marsch der Kanoniere“ um die tatsächlich einzige Komposition Lehárs im Sinne der
Nationalsozialisten und ihres Krieges.
Auf einem Druckexemplar dieses Marsches findet sich eine unvollständige und undatierte
Widmung an Gauleiter Bürckel, der Lehár öfters in schwierigsten Situationen, vor allem in
Zusammenhang mit seiner Gattin, behilflich ist.
In all diesen Jahren komponiert Franz Lehár lediglich kurze Einzeltitel wie die
Konzertouverture zu „DIE LUSTIGE WITWE“ für die Salzburger Festspiele 1940 oder auch das
Walzerlied „Wien, Du bist das Herz der Welt“, das am 15. Januar 1942 im Wiener Konzerthaus
anlässlich des Winterhilfswerkes 1941/42 uraufgeführt wird und das er „Den Wiener
Philharmonikern zur Jahrhundertfeier 1842 – 1942 herzlichst gewidmet!“ hat.

Das „Kleine Volksblatt“ berichtet am 16. Januar 1942 über dieses „Wehrmachtskonzert mit
Lehár“:
„Das seit vielen Tagen völlig ausverkauft gewesene vierte Großkonzert der Wehrmacht
stand gestern nicht nur im Zeichen des Meisters der modernen Operette Franz Lehár,
sondern war auch sozusagen der Geburtstag der jüngsten Schöpfung des Komponisten
des Wiener Liedes „Wien, du bist das Herz der Welt!“. Die feschen, leicht
dahinfließenden Verse des Liedes, die Ernst A. Welisch schrieb, kleidete Lehár in eine
beschwingte, echt wienerische Melodie, die den tausenden Zuhörern so gefiel, daß
nicht nur Staatsopernsänger Karl Friedrich und Staatsopernsängerin Esther Réthy das
Lied im Solo singen, sondern dann auch noch im Duett wiederholen mussten. … Über
allen stand Franz Lehár als ewig junger Dirigent.“

März 1942
Immer wieder wurde Lehár aufgefordert, Konzerte für die Wehrmacht zu dirigieren. Diese
Konzerte waren für ihn vermutlich durchaus von Interesse, denn erstens fanden sie in Wien
zumeist im repräsentativen Großen Konzerthaussaal statt, der für Lehár und seine Musik ein
ehrenvolles „klassisches“ Ambiente abgab, außerdem fühlte er sich, der er zu Beginn des
Jahrhunderts selbst Geiger in der Militärkapelle seines Vaters und bald darauf jüngster
Militärkapellmeister Österreich-Ungarns war, den Musikern der Militärkapellen verbunden.
So veröffentlichte das „Neue Wiener Tagblatt“ am 16. März 1942 „Glückliche Künstler,
glückliche Soldaten. Meister Lehár und drei Sänger“:
„Wenn man selber so lange beim Kommiss war, … fühlt man sich direkt zu Haus! Ich
dirigiere unendlich gern gerade vor Soldaten, … die geh’n ja wieder hinaus ins Feld,
an die Front und ich weiß, sie werden manchmal zurückdenken an meine Musik.
13

Vielleicht ist ihnen die Erinnerung wertvoll, vielleicht hilft sie ihnen sogar über einen
schweren Augenblick hinweg. Das ist meine Hoffnung, wenn ich da oben steh‘, und da
hol‘ ich aus meinem Orchester heraus, was irgend möglich ist. Es soll ja nicht vergessen
sein, wenn wir wieder weggehen, sondern bleiben.“
1942
POLITIK, DER ICH IMMER GANZ FERNSTAND
Nahm Lehár auch Einladungen als Dirigent für einige Wehrmachtskonzerte zumeist in großen
Konzertsälen an, so lehnte er Kompositionsaufträge ebenso wie Neubearbeitungen seiner
Werke im Dienst der Partei und der Politik standhaft ab. So ist auch der Brief an den
Intendanten des Gautheaters Westmark Saarbrücken, Bruno von Nissen, vom 30. Mai 1942
mit der Absage einer Neubearbeitung der „BLAUEN MAZUR“ (1920, Theater an der Wien) aus
verschiedenen Gründen bemerkenswert:
„Wenn ich mir auch bewusst bin, zeitlebens nicht viel Aufhebens gemacht zu haben mit
meinem Schaffen und manches Unzutreffende über mich und mein Wirken
widerspruchslos hinnahm – die Korrektur einer späteren, vielleicht vorurteilsloseren
Zeit abwartend – so kann mich doch nichts in der Überzeugung wankend machen, dass
ich in meiner Art wahrhafte, ernsthafte ‚Kunstwerke‘ geschaffen habe. … Ein Jahr
meines Lebens hängt an der „Blauen Mazur“ … Sie ist ein getreues Spiegelbild dessen,
was in diesem Jahr in meiner Seele vorging. Der nationale Grundton, der mit Politik, der
ich immer ganz fernstand, nichts zu tun hat, ist dort nicht nachempfunden, sondern
drängte sich mir von selbst auf, war durch den Stoff gegeben, ist vom Stoff nicht zu
trennen, ist durch den Charakter der zu schildernden Menschen – und es sind wirkliche
Menschen, die dort auftreten, bestimmt.“

1943
NA, BIN ICH KEIN DANILO?! – Hitlers 54. Geburtstag
Am 20. April 1943 feierte Adolf Hitler seinen 54. Geburtstag mit dem Besuch einer Vorstellung
seiner Lieblingsoperette „DIE LUSTIGEN WITWE“. Seine Haushälterin berichtet, danach habe
er sich „vor den großen Spiegel gestellt, der Arme, den Zylinder aufgesetzt und sich einen Schal
umgeworfen und gesagt ‚Na, bin ich kein Danilo?!‘“ (Zitiert n. Heesters, Johannes, „Es kommt
auf die Sekunde an“, Blanvalet, München, 1978.) Geschehen im Kriegswinter 1943, nach der
verlorenen Schlacht um Stalingrad.
Mit dem Auftrittslied des Danilo, „Da geh‘ ich zu Maxim“, soll Hitler sich 1906, zu der Zeit, in
der er die Uraufführungsserie der „LUSTIGEN WITWE“ öfter besuchte, zu deren 50. Jubiläum
eben jenes verhängnisvolle Notenbändchen erschienen war, das Lehár ihm 1938 verehrte, als
Chorist am Theater an der Wien beworben haben. Das Engagement soll lediglich deswegen
nicht zustande gekommen sein, da der junge Hitler nicht, wie vertraglich gefordert, einen
eigenen Frack stellen konnte. Dies überliefern gleichlautend der damalige Direktor des
Theaters an der Wien, Wilhelm Karczag, die Sopranistin Betty Fischer und auch die
Schauspielerin Rosa Albach-Retty, Mutter von Romy Schneider (u. a. Rosa Albach-Retty, „So
kurz sind 100 Jahre“, Erinnerungen aufgezeichnet von G. Svoboda-Srncik, München, Herbig,
1978).
14

UNGARISCHE FREIHEITSOPER UND GESUNDHEITLICHER ZUSAMMENBRUCH


Die einzige Premiere eines neuen Bühnenwerkes von Lehár seit „GIUDITTA“ (1934) war
bezeichnenderweise die Freiheitsoper „GARABONCIÁS DIÁK“ für das Königliche Opernhaus in
Budapest am 20. Februar 1943. Es handelt sich dabei um eine grundlegende Neufassung der
„ZIGEUNERLIEBE“ (1910) durch den Librettisten Ernö-Innocent Vincze, die Lehár begeisterte
und zu einer opernhaften Neukomposition ohne Dialoge anregte.
Er komponierte Tag und Nacht mit Feuereifer, doch als acht Tage vor der Premiere der Dirigent
erkrankte, folgte Lehár der Bitte der Direktion, die musikalische Einstudierung und das Dirigat
der ersten zwei Vorstellungen zu übernehmen. Diese ungeheure Doppelbelastung führte zu
einem gesundheitlichen Zusammenbruch, von dem er sich nie mehr wirklich erholen sollte.
Lehár wurde zunächst nach Wien und dann nach Bad Ischl transferiert, wo er sich einerseits
Genesung und andererseits auch Schutz für seine Sophie erhoffte, die dort auch einen
Krankenpflegekurs absolvierte, um ihrem Mann zur Seite stehen zu können.

FRIEDRICH GOTTLOB FLEISCHER: Lehárs Geschäftsführer


Doch trotz seines schlechten Gesundheitszustandes telefonierte und telegrafierte Lehár
täglich von Ischl mit dem Prokuristen seines „Glocken - Verlages“ in Wien. Diesen hatte er
1935 nach dem Zusammenbruch des Theaters an der Wien und des damit verbundenen
Verlages gegründet, alle Aufführungsmaterialien von dort in sein Wohnhaus in der
Theobaldgasse abholen lassen und war nun auch – damals bereits 65 jährig - für die Erstellung
von Notenmaterialien und den weltweiten Vertrieb aller seiner Werke selbst verantwortlich.
Sein ihm, wie durch den respekt- und liebevollen Brief- u. Telegrammverkehr ersichtlich, treu
ergebener Prokurist war, laut Eintragung im Handelsregister und in Lehmanns Adressbuch
angegeben, ein Mann namens Friedrich Gottlob Fleischer. Der letzte mir derzeit bekannte
Brief Fleischers an Lehár nach Bad Ischl stammt vom 4. August 1944. Dann verliert sich seine
Spur. Erst in einem Schreiben von Dr. Blau, der 1945 den „Glocken – Verlag“ von Franz Lehár
übernommen hatte, findet sich wieder einen Hinweis auf „Herrn Fleischer“:
23. September 1948: „Lieber verehrter Maestro! Besten Dank für Deinen Brief in
Angelegenheit Lombardo. Sowohl nach Ansicht Dr. Fränkels, Tovotes und des Herrn Fleischer
steht die Sache für Herrn Schamberger ungünstig …“

Sicher ist lediglich, dass es sich bei „Herrn Fleischer“ nicht um jenen Fritz Fleischer handeln
kann, der laut „Verzeichnis über das Vermögen von Juden“ am 2. März 1894 geboren und am
27. Februar 1943 in Theresienstadt zu Tode kam, ebenso wenig um einen Friedrich Fleischer,
der am 29. Juni 1924 geboren und Ende 1943 unter den unglücklichen „in die Ostgebiete
evakuierte Juden“ (Vermögensangabe, Österr. Staatsarchiv, handschriftl. Vermerk: D. 46,
Transport 160) war.
Dass der Prokurist seines „Glocken-Verlages“, Friedrich Gottlob Fleischer, möglicherweise
jüdischer Konfession war, ließ sich bisher nicht bestätigen, dass er aber von Lehár geschätzt
und geschützt wurde, belegt auch der Briefverkehr mit seiner Schwester Emmy Papházay, die
in Budapest lebte:
15

17. Juni 1943


Liebe, gute Emmy
„… Da bei unseren Unterredungen Herr Fleischer unbedingt dabei sein muss, und er
unter den jetzigen Bedingungen keinesfalls ein Visum für Ungarn, Anm. WD erhalten
wird, bleibt weiter nichts übrig, als dass wir die beiden Direktoren bitten, nach Wien zu
kommen ….“

SCHWIERIGKEITEN MIT DEM PROPAGANDAMINISTERIUM VERMEIDEN


7. Juli 1943,
Liebe Emmy,
„… Wir erhielten vor einigen Tagen ein Schreiben des Propagandaministeriums, worin
uns mitgeteilt wurde, dass wir nicht mehr mit der nichtarischen Firma Bard (jüdischer
Verlag in Ungarn, WD) arbeiten sollten. Wir mussten auf Aufforderung Bericht geben,
was wir unternommen hätten.
Wir teilten daraufhin mit, dass wir mit der rein arischen staatlich geführten Harmonie
Kunstgenossenschaft … abgeschlossen hätten, dass wir ihr die Generalvertretung
unseres Verlages für Ungarn geben wollten. … Wir müssen alles tun, … damit wir
weiter Schwierigkeiten mit dem Propagandaministerium vermeiden. … Da wir sonst
irgendeinen vom Ministerium in Vorschlag gebrachten Vertreter nehmen müssten, was
gegen unser Aller Intentionen wäre. Wir können leider nicht nach dort kommen, da die
Beschaffung der Einreisegenehmigung besonders für Herrn Fleischer unmöglich ist. …
Ich bitte Dich, diesen Brief nicht aus der Hand zu geben, sondern immer bei Dir zu
behalten ….“

SCHUTZ UND FLUCHTHILFE


Dass Lehár immer wieder behilflich war, Mitarbeiter und Kollegen vor der Einberufung oder
gar der Verschleppung zu schützen belegt auch u. a. ein Brief von Friedrich Fleischer vom 20.
Juni 1941 an Lehár, der damals im Hotel Baur au Lac in Zürich lebte:
„Mein lieber Meister! … Den Aufenthalt und die Abreise ihres Herren Schwager konnte
ich … so angenehm wie möglich gestalten. – Es gelang mir schließlich auch die
Transportfrage zu lösen, dass selbst in Stuttgart keine Schwierigkeiten mehr
entstanden. Es war gut, dass meine Schwester mit war, damit Frau Lilly ebenfalls
beschäftigt und aufgeheitert werden konnte. … Gestern Abend erhielt ich einen Anruf
der Kanzlei Dr. Geutebrück betreffs einer zusätzlichen Überweisung durch die Deutsche
Gold- und Discontobank zu Gunsten des Herrn Paschkis. Es wären 25 000 Mark zu
zahlen. Ich nehme an, dass ich dies ohne weiteres tun könnte.“

Bei diesem Schwager handelte es sich um Hans Paschkis, den jüdischen Bruder von Lehárs
Gattin Sophie, dem Lehár also offensichtlich zur Flucht in die USA verhelfen konnte, wo dieser
als Hans Parker weiterlebte.
Ein anderer Brief Friedrich Fleischers an Franz Lehár belegt dessen Mithilfe zur Flucht seines
bedrohten jüdischen Verlagsmitarbeiters Müller.
16

23. August 1943, Fleischer an Lehár:


„Ich sende Ihnen einen Brief an die Firma Waldheim-Eberle, Wien, mit der Bitte, diesen
unterschrieben so bald als möglich direkt an besagte Firma zur Absendung zu bringen.
Der Direktor, der Herrn Müller bisher betreute und ihm half, ist auf Urlaub, und soll Ihr
Schreiben den Zweck haben, den anderen Direktor der Firma dazu zu bewegen, sich für
Herrn Müller einzusetzen. …“

Der Einsatz Lehárs half und einige Monate später konnte Fleischer an Lehár berichten, dass
Müller „gut in Paris angekommen“ sei.
Wenige Wochen später erhält Lehár die Bestätigung durch seinen Geschäftsführer in Wien,
dass sein Einsatz auch in einem anderen Fall zu r Befreiung verhelfen konnte:
14. September 1943, Fleischer, „Glocken – Verlag“ an Lehár, Bad Ischl:
„Mein lieber Meister! Ich teile Ihnen mit, dass ich einen Brief des Herrn Gegenbauer erhielt. Er
ist frei und dankt Ihnen vielmals für das, was Sie für Ihn getan haben.“
Ende 1943 lebten Franz Lehár, damals 73 jährig und laut ärztlichem Attest „pflegebedürftig“
und seine Gattin, selbst an einer Herzkrankheit leidend, in Bad Ischl. Aber auch dort sollten sie
nicht die Ruhe und Sicherheit finden, die sie sich erhofften.
Der Lehár-Freund und Librettist Bernhard Grun, der als Jude das Glück hatte, das „Dritte
Reich“ in England zu überleben, der dem Meister lebenslang verbunden blieb und eine liebe-
und respektvolle Biografie Lehárs schrieb („Gold und Silber“), zitiert ihn:
„Eines Tages klopften bei mir zwei Männer, die sich als Gestapoleute entpuppten. Sie
zeigten ihre Abzeichen und sagten: ‚Wir sollen Ihre Frau abholen´. Meine Frau, die
zugegen war, fiel in Ohnmacht. Ich fragte: ‚Warum?’ Wieder kamen die energischen
Worte: ‚Wir sollen Ihre Frau abholen!’ Ich war in einer verzweifelten Lage. Da fiel mir
ein, dass ich den ehemaligen Gauleiter Bürckel anrufen könnte. … Ich kannte den
Gauleiter überhaupt nicht. Ich erreichte die Verbindung und in erregten Worten
schilderte ich die Situation. Er sagte: ‚Einer der Männer soll zum Telefon kommen!‘ Der
Mann sprach längere Zeit mit ihm, dann wandte er sich mir zu und sagte: ‚Wir sollen
gehen!’ Wenn ich nicht zufällig zuhause gewesen wäre, hätte ich meine Frau nicht mehr
gesehen.“

Sophie Lehár trug seither, wie Bernhard Grun und auch Peter Herz bestätigen, stets eine
Giftkapsel bei sich.

„HERMANN HEEST’ ER“ NICHT, SONDERN ALBERT!


Wenige Tage nach dem Besuch der Gestapo-Leute, soll Lehár ein offizielles Schreiben erhalten
haben, in dem es hieß, er müsse sich scheiden lassen, sonst werde er selbst als Nicht-Arier
eingestuft, wie William Hastings Burke in seinem Buch „Hermanns Bruder. Wer war Albert
Göring“ (Aufbau Verlag, Berlin, 2012) berichtet. Über den weiteren Verlauf der Causa Lehár -
Göring erfährt man durch eine andere Publikation zu diesem „anderen Göring“ von Erich
Neubach, „Mein Freund Göring“, der Franz Lehár zitiert:
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„In dieser Not bat ich Alberts Albert Göring, Anm. WD Freund, Dr. Nowottny, dem
einzigen Menschen zu telegrafieren, der in jeder Situation für seine Freunde
eingesprungen war, nämlich Albert Göring in Bukarest. Nach drei Tagen war er bei mir
im ‚Schikaneder - Schlössl‘ Lehárs Villa in Wien-Nussdorf, Anm. WD, und schon am
nächsten Tag reiste er nach Berlin“ … Albert Göring ging geradewegs ins Büro seines
Bruders und erzählte ihm von Lehárs Situation. … Nach seiner Schilderung war
Hermann ernstlich besorgt und rief sofort Goebbels an, dessen Reichskulturkammer für
die Drohungen verantwortlich war. … Nach der Schilderung eines Mitarbeiters von
Goebbels empfing Goebbels Albert Goering wie einen alten Freund … ‚Untergeordnete
Organe haben unüberlegt gehandelt. Hier haben Sie eine Ehren-Arier-Urkunde für Frau
Lehár. Überbringen Sie ihr diese mit meinen herzlichen Grüßen an den Meister.‘“
(Erich Neubach: „Mein Freund Göring“, in: „Aktuell, Deutsches Wochenmagazin“, 24.
Februar 1962).
William Hastings Burke relativiert diese Schilderung von Erich Neubach, denn in …
„… Wahrheit war es Goebbels gar nicht möglich, Sophie Lehár den Status einer
„Ehrenarierin“ zu verleihen, doch er konnte eine Ausnahmeregelung für sie geltend
machen und ihre Ehe zur „privilegierten Mischehe“ hinauf stufen. Das bewahrte Sophie
Lehár zwar vor der Deportation, doch es war ihr verboten, ohne Begleitung
auszugehen. Sie musste den Judenstern tragen und hätte sich ihr Mann von ihr
getrennt, wäre sie in ihren vorigen Status zurückversetzt worden.“

„Schweig‘ zagendes Herz!“ - All dies konnte nicht dazu angetan sein, die Genesung des 74-
jährigen Lehár zu beschleunigen.
Noch ein Jahr nach dem gesundheitlichen Zusammenbruch mit Lungenentzündung,
Drüsenerkrankung, Blasen- und Nierenerkrankung, infolgedessen Sehstörungen, attestierte
sein Ischler Hausarzt Dr. Dworaczek am 6. 12. 1944: „Herr Franz Lehár ist wegen eines Blasen-
und Nierenleidens bettlägerig und steht in ständiger ärztlicher Behandlung und ist
pflegebedürftig.“

1944
Selbst an der erstmaligen Aufführung seiner „FRIEDERIKE“ nach dem Anschluss am 14. Juli
1944 an Friedl Czepas Wiener Stadttheater scheint Lehár keinen Anteil genommen zu haben.
Obwohl ihm eine Produktion seines bisher im Reich wegen der „Verunglimpfung“ Goethes als
Operettenheld verbotenen Werkes immer besondere Herzensangelegenheit gewesen war.
Die Aufführung ist vermutlich der Parteitreue der Czepa und der Initiative des Hausregisseurs
Fritz Köchel zu danken, der es bereits 1932 unter der Leitung von Franz Lehár an der Volksoper
inszeniert hatte. Die Aufführung bedeutete vor allem wegen Lehárs opernhaftem Stil eine
Herausforderung für das auf musikalische Komödien spezialisierte Ensemble des
Stadttheaters, wo „FRIEDERIKE“ zuletzt 1937/38 auf dem Spielplan gestanden hatte. Diesmal
dirigierte der Hauskapellmeister und -arrangeur Karl Loubé, als Goethe wurde der
renommierte Staatsoperntenor Richard Sallaba engagiert, der diese Rolle ein Jahr zuvor
bereits in Leipzig gesungen hatte.
18

Das Werk und die Aufführung erfreuten sich regen Zuspruchs beim Publikum, manche Kritiker
konnten sich aber nach wie vor nicht mit Lehárs Goethe-Operette anfreunden:
„Da es nur wenig gute Operetten gibt und es obendrein Hochsommer ist, sei mit
einigem Schweigen über jenes Goethe zum Operettenhelden, den tragischen Sturm-
und Drangdichter Lenz zu einem Trottel machenden Operettenlibretto
hinweggegangen …. Dem Hang Lehárs zu schwermütiger Lyrik mag der einer
gefühlsseligen Zeit entnommene, ganz auf Lyrik und Entsagung gestellte Vorwurf
entgegengekommen sein.“ (Völkischer Beobachter, 16. Juli 1944)

Abbildung 4: Lehár mit seiner Frau Sophie, Vizebürgermeister Schröpfer, Bad Ischl, 1945.

1945
Am 6. Mai 1945 nachmittags, nur wenige Tage nach Lehárs
75. Geburtstag, erschienen amerikanische Panzer in Bad Ischl. Sophie und Franz Lehár,
Österreich und die Welt waren erlöst. Amerikanische GIs statteten dem weltberühmten
Meister einen Besuch in seiner Villa am Traunkai ab und überraschten ihn mit einem
Ständchen. Die nun wieder österreichischen Medien allerdings schienen den alten Meister
vergessen zu haben oder ihn zu meiden.

ICH KANN NICHT MEHR WEITER


Ein berührendes letztes Tondokument von Franz Lehár stellt ein Interview dar, das er
vermutlich 1945 Andreas Reischek vom Rundfunksender Salzburg gab. Lehár, der für sich
selbst spricht und seine Musik für sich sprechen lassen wollte, erzählte aus seinem langen
Leben, spielte auf einem ziemlich unsäglichen Klavier und sang dazu aus seinen Werken. Als
ihm an einer Stelle bewusst wird, dass er die Librettisten vergessen hat, holt er dies spürbar
nervös nach, bei dem Namen „Dr. Beda“ stockt er, als er zuletzt auf „den leider verstorbenen
Louis Treumann“ zu sprechen kommt, versagt ihm die Stimme und gegen Ende des Interviews
sagt er:
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„… wenn ich aufgeregt war und dort und dort ein bisschen gepatzt habe, müssen Sie
verzeihen, aber wissen Sie, wenn ein ganzes Menschenleben vor einem ist … dann denkt
man doch an viele Sachen“, dann bricht er in Tränen aus: „… ich kann nicht mehr
fortsetzen … der Sprecher wird weiter für mich sprechen… ich kann nicht mehr weiter.“

Am 11. Dezember 1945 erging an Lehár ein Schreiben des „Delegierten des Schweizerischen
Generalkonsulates Wien, zur Zeit in Salzburg“, der ihm mitteilte, dass …
„… mich die heimatliche Behörde in der Schweiz ermächtigt hat, Ihnen und Ihrer
geschätzten Gattin ein Visum für einen vorübergehenden Aufenthalt in der Schweiz von
zwei Monaten einzutragen. … Bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen mitteilen, dass Sie
für die Absolvierung eines eventuellen Dirigentengastspiels in der Schweiz noch vorerst
die Zustimmung der Eidgenössischen Fremdenpolizei in Bern einholen müssten.“

Es ist wohl davon auszugehen, dass Lehár sich bereits seit Monaten mit dem Gedanken, in die
Schweiz zu gehen, beschäftigt haben muss. Aus den zunächst genehmigten zwei Monaten
wurden schließlich mehr als zwei Jahre, die Franz und Sophie Lehár in Zürich im Hotel Baur au
Lac verbrachten.

1946
Im Mai und Juni 1946 kam es zum Wiedersehen zweier großer, alter Männer, die die Politik
getrennt hatte: Richard Tauber besuchte „seinen Meister“ in Zürich und am 5. Juni 1946 fand
jenes mittlerweile legendäre Konzert statt, das als ihr „Abschiedskonzert“ in die Geschichte
eingehen sollte. Das Konzert wurde von Radio Beromünster aufgezeichnet, Aufnahmeleiter
war der junge Komponist Paul Burkhard (u. a. „DAS FEUERWERK“, 1950, Staatstheater am
Gärtnerplatz), der im Weiteren Lehárs Vertrauen genoss und dem er auch seinen
„künstlerischen Nachlass“ vermachte. Zum ersten – und auch zum letzten – Mal sang Tauber
die wunderbare „Resignation“ („Schweig‘ zagendes Herz“) aus „DAS FÜRSTENKIND“ (1909).

Abbildung 5: „DAS FÜRSTENKIND“, Schweig, zagendes Herz

Auch Paul Knepler, Librettist u. a. von „PAGANINI“ (1925, Johann Strauß-Theater) und
„GIUDITTA“ (1934, Wiener Staatsoper), der nach London geflüchtet war, hielt seinem Meister
die Treue und besuchte Lehár 1946 in Zürich und man schmiedete neue Operetten-Pläne,
20

„Ich habe noch so viel Musik in mir! So viel Musik!“, sagte ihm Lehár. In einem Brief an Knepler
nach London am 14. August 1946 relativierte er ein wenig:
„Dein Libretto-Entwurf gefällt mir sehr gut. Lasse einstweilen ohne jede gegenseitige
Verpflichtung bei mir. Erstens muss ich trachten, endlich vollkommen gesund zu werden
und andererseits müssen die Verhältnisse wieder so werden, dass ich an Arbeit denken
kann. In diesem Fall will ich ja nach Ischl mich zurückziehen können und die ganze Welt
um mich vergessen. Ich greife nur dann zu, wenn ich die felsenfeste Überzeugung habe,
dass es alle meine bisherigen Werke übertrifft. Ich fühle es, dass ich trotz meiner 76
Jahre noch fähig bin, ein Werk zu schaffen, das uns Freude bereiten wird.“

„DER FALL LEHÁR“: LEHÁR UND DIE SCHWEIZ


Am 28. November 1946 veröffentlichte die „Weltpresse“ unter Berufung auf die Basler
„National Zeitung“ den Briefverkehr Lehárs mit Hans Hinkel vom November 1938 im
Zusammenhang mit dem Erpressungsversuch des Schauspielers Paul Guttmann an Lehár und
kommentierte reichlich despektierlich, ja unverschämt:
„Der Operettenkomponist Franz Lehár, der Österreich verlassen und sich in die Schweiz
begeben hat, sieht sich dort erneut im Mittelpunkt einer öffentlichen Diskussion, die an
sein Verhalten während der Nazizeit anknüpft. Die „Basler Nationalzeitung“
veröffentlicht soeben Dokumente zum „Fall Lehár“, die ihr aus dem Kreise der
Entnazifizierungsleitung in Deutschland zur Verfügung gestellt worden sind, unter
anderem handelt es sich um eine Korrespondenz zwischen Lehár und dem SS-
Oberführer Hans Hinkel. … Die „National Zeitung“ schließt ihre Veröffentlichung des
kompromittierenden Briefwechsels mit folgender sarkastischer Bemerkung: Und dies
Land, darin Hinkels, Goebbels und Gackeleias so viel für ihren „einzigen“ Meister getan,
darin sie ihm sogar neben den Betrieben die „volljüdische“ Frau „arisiert“, die
Vermögensan – und – abgaben liebevoll unterbunden und ihm die bösen, gefährlichen
Juden vom Hals ins Gefängnis und schließlich auch in die Gaskammern geschafft haben
– dieses Wunderland der Ober-Lehár-Schwärmer hat der Meister verlassen, als es ihm
– dem Land – nicht mehr gut ging und mit der Schweiz vertauscht, der es und darin es
ihm wieder und weiter gut geht.“

1947
„LEHÁR-WIDMUNG IM BERGHOF“
So titelte am 3. März 1947 das „Tagblatt am Montag“ und erneut brach von einer weiteren
Seite eine Welle von Anklage, Verleumdung, Schmerz über Lehár herein. Das kleine
Notenheftchen mit 3 Nummern aus der „LUSTIGEN WITWE“ („Es waren zwei Königskinder“,
„Das ist der Zauber der stillen Häuslichkeit“, „Lippen schweigen“), das anlässlich der 50.
Aufführung der „LUSTIGEN WITWE“ am 17. Februar 1906 gedruckt worden war, das Lehár auf
Anraten von Minister Walther Funke dem Führer zu dessen Geburtstag am 20. April 1938 mit
persönlicher Widmung geschenkt hatte, und das am 5. März 1945 in Hitlers Berghof gefunden
worden sein und sich danach im Besitz eines französischen Offiziers befunden haben soll,
wurde wiederum der Basler „National Zeitung“ zugespielt und nun verwendet, um Lehár
21

medienwirksam als Sympathisanten der Nationalsozialisten zu brandmarken: „Also kaum


einen Monat, nachdem die Deutschen in Wien eingezogen sind, hat Lehár sich nicht geschämt,
Hitler ein Geburtstagsgeschenk zu schicken.“ („Tagblatt am Montag“, 3. März 1947)
Das „Tagblatt“ befand „Lehár schwer kompromittiert“ und schloss: „Man kann gespannt
darauf sein, was Meister Lehár zu diesem Artikel der ‚Basler Zeitung‘ zu sagen hat.“
Auch die „Volksstimme“ wertete am 4. März 1947 dieses Autogramm Lehárs als eindeutige
Sympathiekundgebung für Hitler und sah ihn „schwer kompromittiert“.
Diese fatale Geburtstagsgeschenk Lehárs an den Führer ist nicht mehr auffindbar.
Aber auch andere Nachwehen des „1000-jährigen Reiches“ bescherten dem greisen Meister
Probleme und Prozesse.

„GLOCKEN – VERLAG“ UND AKM


Franz Lehár, der nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns 1918 ungarischer
Staatsbürger geworden war, blieb dies natürlich auch während des Dritten Reiches. Da nun
nach dessen Ende Österreich in Zonen eingeteilt war und Lehár selbst in der Schweiz lebte,
wären ihm große finanzielle Schäden durch das Devisenrecht erwachsen.
Die AKM (Österreichische Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger) hat bei
ihrer Neugründung 1946 Lehár einen Vertrag vorgelegt, nach dem er sich verpflichtete, der
AKM für 10 Jahre seine Werke abzutreten. Er konnte damals schwer abwägen, wie die
wirtschaftliche Entwicklung voranschreiten würde und in welcher Form und in welchem Staat
seine Werke und der „Glocken-Verlag“ künftighin am besten vertreten wären. Auch diese
Probleme Lehárs wurden genussvoll, despektierlich und scheinheilig öffentlich breitgetreten.

22. Jänner 1947, „Kurier“:


„Zu der gestern bekannt gewordenen Absicht Franz Lehárs, seine Autorenrechte der
Schweizer Autorengesellschaft zu übertragen, vertritt die Österreichische Gesellschaft
der Autoren, Komponisten und Musikverleger den Standpunkt, dass sich Lehár durch
den Eintritt in die Gesellschaft, die nach Kriegsende neu gegründet werden musste, …
verpflichtet hat, ihr die Abrechnung seiner Tantiemen für zehn Jahre zu überlassen.
Dazu teilte Lehárs Anwalt Dr. Stern mit, dass der Komponist seine Unterschrift noch
nicht für bindend ansehe und daher der Meinung sei, dass von einem Vertrag für zehn
Jahre keine Rede sein könne.“

Die „Neue Zeit“ verstieg sich am 25. Jänner 1947 zu maßlosen, hetzerischen Formulierungen:
„Wenn Lehár die Absicht hat, die Abrechnung seiner Tantiemen in die Schweiz zu
verlegen, so hätte das für ihn die Folge, dass er seine Tantiemen aus den valutastarken
Westländern in Schweizer Franken ausbezahlt erhält und nicht in österreichischen
Schillingen, für Österreich dagegen würde dies die Einbuße einer nicht unerheblichen
Menge an Valuten bedeuten. Franz Lehár ist in Wien und durch Wien groß geworden
… Wiener Künstler und nicht zuletzt das Wiener Publikum haben ihm geholfen,
Weltruhm zu erlangen … und gerade jetzt in diesen Notzeiten wäre es von Lehár
schnöder Undank, das arme Österreich zu verlassen und sich in die reichen Gefilde der
22

Schweiz zurückzuziehen. Aber vielleicht würde dieses Vorgehen zu dem Charakterbild


dieses Mannes passen, … dass Lehár trotz seiner jüdischen Frau in der Nazizeit nicht
ins Ausland ging … damals trug er keine Bedenken, seine Valuten dem Deutschen
Reich zu überlassen. Dafür hat Hitler ihn hoch geehrt und sogar seine Frau zur
Ehrenarierin erklärt. Lehár wieder sah sich dadurch veranlasst, sich gegen seine
jüdischen Librettisten, … in skandalöser Weise zu verhalten.“

Doch trotz dieser unverschämten, polemischen Medienhetze musste der „Kurier“ am 5. April
1947 berichten: „Franz Lehár erhielt Recht“:
„Gleichzeitig wurde der Antrag auf eine einstweilige Verfügung gestellt, der
Autorengesellschaft zu untersagen, Lehár in der selbstständigen Ausübung und
Verwertung seiner ihm zustehenden Urheberrechte zu hindern. … Dem Antrag wurde
stattgegeben. … In der Begründung wird ausgeführt, dass Lehár ungarischer
Staatsbürger sei, dazu komme noch sein derzeitiger Aufenthalt im Ausland. … Bei der
derzeitigen strengen Devisenbewirtschaftung könnte ihm aus dem Inkasso seiner
Tantiemen durch die Autorengesellschaft auch unwiederbringlicher Schaden
erwachsen.“
Das „Neue Österreich“ meldete am 6. April 1947: „Autorengesellschaft legt Berufung ein
gegen die Entscheidung des Zivillandesgerichtes zugunsten von Franz Lehár“ und hält ihm
zynisch vor, bereits 45 Jahre lang als Mitglied der AKM Ausländer gewesen zu sein und vor
allem auch die Kündigungsfrist versäumt zu haben. Und stilisierte im Weiteren das Austreten
Lehárs aus der AKM „weit über eine geschäftliche Auseinandersetzung (…) als eine
gesamtösterreichische Angelegenheit“ hoch und setzte eine geschmacklose, beleidigende
Kampagne in Gang:
„Wenn Lehár vor 1938 der größte Steuerträger Österreichs war, so haben die Theater
(…) und nicht zuletzt das Publikum, das seine Premieren zu internationalen
Sensationserfolgen machte, auch einen Anteil daran. Als die Oper abbrannte und die
tägliche Kalorienanzahl auf 1200 herabgesetzt wurde, übersiedelte Lehár in die
Schweiz. Dorthin möchte er nun auch seine Tantiemen in Devisen mitnehmen. (…) Man
lebt dort bestimmt angenehmer, (…) es gibt aber Verpflichtungen, die über ein gutes
Mittagessen hinausgehen.“
Franz Lehár äußerte sich selbst zu all den Vorwürfen nie öffentlich – „Schweig‘, zagendes
Herz“.
Nach Lehárs Überlegungen, seinen „Glocken-Verlag“ zur Wahrung der internationalen
Vertriebschancen nach Ungarn oder in die Schweiz zu verlegen, traf er Dr. Otto Blau, den
Neffen des Verlegers Josef Weinberger, der in dessen weltberühmtem Verlag bereits
Erfahrungen sammeln konnte und übergab ihm schließlich einen 1935 gegründeten „Glocken-
Verlag“, der somit Subverlag des Josef Weinberger Verlages wurde, dessen Zentrale
mittlerweile in London eröffnet wurde, um direkte Verträge für Theaterproduktionen und
Aufnahmen im englischsprachigen Raum zu lancieren.
Schienen die beruflichen Belange endlich geregelt, so erlitt Lehár den größten privaten
Schicksalsschlag.

„MEINE FRAU IST PLÖTZLICH VERSTORBEN“


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Ein Telegramm mit diesen Zeilen


sandte Franz Lehár am 2. August 1947
aus Zürich an seine Mitarbeiter im
„Glocken-Verlag“.
Ende Juli 1947 besuchte Sophie und
Franz Lehár am Zürcher Stadttheater
noch eine „PAGANINI“–Vorstellung,
am 1. August 1947 gaben sie in ihrem
Appartement im Hotel Baur au Lac
einen kleinen Empfang, während
dessen Sophie Lehár, die seit vielen
Jahren herzleidend war, einem Anfall
erlag. „Sie war in aufgeräumter
Stimmung, dann ist plötzlich ihr müdes
Herz still gestanden (…)
Abbildung 7: Telegramm Franz Lehárs

Das Schicksal hat ihr einen schönen und leichten Abschied vom Leben vergönnt“, sagte der
Zürcher Stadtrat Häberlein in seiner Ansprache bei der Kremation von Sophie Lehár am 5.
August 1947.

Franz Lehár war gezeichnet von diesem Schicksalsschlag und sein Librettist Paul Knepler traf,
nur wenige Wochen nach seinem letzten Besuch bei dem Meister, nun einen gebrochenen
alten Mann wieder. So schildert auch der mit Lehár bekannte Journalist Adolf Kretschy in
seinen „Erinnerungen an Franz Lehár“ („Das Podium“, Wien, April 1970),
“Vornehm gekleidet, wie immer, kam er mir mit zappelnden Schritten entgegen. (…)
Tränen in den Augen betrauerte er den Tod seiner Gattin Sophie. (…) Er sah mich lange
an und sagte: „Ich bin nichts mehr als ein alter, kranker Mann, der sein ganzes Leben
nichts als seine Arbeit kannte, und der eigentlich am Leben vorbeigegangen ist.‘“

Lehárs Schwester Emmy Papházay, damals siebenundfünfzig Jahre alt und verwitwet, war von
Budapest zu ihm nach Zürich gezogen. Er selbst war ernsthaft krank, einsam und verloren in
den Appartements des Hotels. Nach Wien wollte er keinesfalls zurückkehren, zu verbittert war
er über die Anfeindungen der Wiener Presse, und außerdem hätten „seine eigenen Landsleute
in den Nachkriegstagen sein geliebtes Schikaneder - Schlössl geplündert. Er würde das den
Wienern nie verzeihen. (…) Wenn es ihm sein gesundheitlicher Zustand erlauben sollte, würde
er höchstens in seine Villa nach Bad Ischl übersiedeln“, wie Adolf Kretschy sich erinnert.
An Paul Knepler schreibt Lehár am 16. März 1948:
„Unzählige Zuschriften erhalte ich von allen Schichten der Bevölkerung. Man will mir
von maßgebender Stelle goldene Brücken bauen, damit ich nach Wien zurückkehre. Ich
mag nicht mehr kämpfen. 48 Jahre habe ich in Wien gearbeitet und zum Dank hat man
mich beschimpft. Jetzt will ich nichts mehr wissen.“

Der nächste Schicksalsschlag für Lehár war der Tod seines Freundes Richard Tauber, dem er
so viele Lieder und Werke gewidmet hat, am 28. Januar 1948 in London.
In Gedenken an seinen „Lebens - Interpreten“ dirigierte er am 6. Februar 1948 noch ein letztes
Konzert in Zürich.
Anfang Mai 1947 unterzog sich der Achtundsiebzigjährige einer Generaluntersuchung, die für
ihn äußerst strapaziös war und so musste die bereits geplante Rückkehr nach Ischl erneut
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verschoben werden. So übermittelten die „Oberösterreichische Nachrichten“ am 7. Juli 1948


„Grüße von Franz Lehár“, „Franz Lehár, der nun den Pass für seine Reise nach Österreich
erhalten hat, sandte an Vizebürgermeister Schröpfer folgendes Telegramm: „Hoffe in einigen
Tagen bei Euch zu sein. Grüße alle Freunde recht herzlich, Dein getreuer Franz Lehár.“

NACHHAUSE NACH ISCHL


Am 13. August 1948 war es dann doch endlich soweit und der greise, kranke Meister konnte
die beschwerliche Übersiedlung nach Bad Ischl antreten. Am 27. August 1948 meldet „‘Mein
Film‘ besucht Franz Lehár“:
„Die sehnsüchtig erwartete und vom Meister selbst
wiederholt angekündigte und dann im letzten
Augenblick meistens doch immer wieder verschobene
Heimkehr nach Österreich ist nun doch endlich Tatsache
geworden. (…) Mit den erhofften Interviews ist es
allerdings nichts geworden – dazu fühlt sich der greise
Melodienzauberer denn doch noch nicht wohl genug.
(…) Umso mehr freuen wir uns, dass unser mit Meister
Lehár schon längere Zeit bekannter
Sonderkorrespondent, Redakteur Adolf Kretschy, sofort
in liebenswürdigster Weise empfangen wurde.“
Von Redakteur Kretschy stammt auch eines der letzten
berühmt gewordenen Fotos von Lehár mit der
Baskenmütze.
Buchstäblich „in letzter Minute“ verlieh ihm die Stadt
Bad Ischl noch die Ehrenbürgerschaft, was nicht ganz
ohne Komplikationen vor sich ging.

Abbildung 8: Franz Lehár

15. Oktober 1948, „Salzburger Nachrichten“: „Franz Lehár Ehrenbürger von Bad Ischl“:
„Der Gemeinderat von Bad Ischl beschloss gestern den schwerkranken Komponisten
Franz Lehár zum Ehrenbürger zu machen. (…) Die Verleihung des Ehrenbürgerrechtes
sei wegen seiner ungarischen Staatsbürgerschaft ein Ausnahmefall. (…) Die
oberösterreichische Landesregierung habe die erforderliche Zustimmung erteilt.“
Doch es war Franz Lehár nicht vergönnt, die Auszeichnung genießen zu können, denn sein
Gesundheitszustand verschlechterte sich beständig.
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21. Oktober 1948, Oberösterrei-


chische Nachrichten: „Das Befinden
Franz Lehárs“:
„In Bad Ischl sind in den letzten Tagen
Vertreter führender ausländischer
Blätter eingetroffen, um die
Weltöffentlichkeit über das Befinden
Franz Lehárs auf dem laufenden zu
halten. Lehár, der sich des Ernstes
seines Zustandes bewusst ist, hat (…)
beauftragt, im Falle seines Ablebens
seine Villa in das Eigentum der Stadt
zu übernehmen und in ein Lehár-
Museum umzugestalten (…) und hat
der Stadt zehn Prozent aus seinen
laufenden österreichischen
Tantiemen zur Erhaltung der Villa
vermacht.“
Lehár traf seine letzten
Vorkehrungen. Er setzte seine
Schwester Emmy Papházay als
Universalerbin ein, vermachte seinem
Bruder, General Anton Lehár, das
Schikaneder–Schlössl in Wien und um
eventuelle Erbstreitigkeiten zu

Abbildung 9: Ehrenbürgerurkunde

vermeiden legte er fest, dass jeder, der sein Testament anficht, automatisch enterbt würde.
Dass es dennoch zu Zerwürfnissen zwischen den Geschwistern kommen und wertvolle
Originalhandschriften, wie etwa die Partitur des „PAGANINI“ verschollen bleiben würden,
konnte Lehár nicht ahnen.
Beruhigt, seine letzten Dinge geordnet zu haben, soll er, wie seine von ihm selbst eingesetzte
Biografin Maria von Peteani schreibt („Franz Lehár“, Glocken–Verlag, Wien, London, 1950)
gesagt haben „Jetzt geht’s ans Sterben“. Und am 24. Oktober 1948 in seiner Ischler Villa,
begleitet von seiner Schwester Emmy, betreut von seinem Leibarzt, schwieg sein „zagendes
Herz“ für immer.

ABSCHIED
Österreich-typisch gab es am 26. Oktober 1948 in Bad Ischl „a schöne Leich‘“ mit „Wolgalied“
und Regionalprominenz, aber ebenso „die schlechte Nachred‘“. Ausgerechnet jene Zeitung,
die sich vor nur einem Jahr besonders hervortat, Lehár als Verräter Österreichs zu
verunglimpfen, das „Neue Österreich“, beklagte am 14. 11. 1948 unter dem Titel „Das alte
Lied“ nun die Ignoranz Österreichs seinem weltberühmten Sohn gegenüber:
„Als sie ihn zu Grabe trugen, (…) die österreichische Kunst aber (…) war so gut wie gar
nicht vertreten. (…) Da sich die Gruft über Franz Lehár nunmehr geschlossen hat, steht
die Unterlassung zur Debatte. (…) Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, wieviel sein
Name in aller Welt für uns bedeutet. (…) Überall anderswo hätten die Kompetenten das
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Volk aufgerufen, um ihm zu sagen: Seht, er war einer von uns. (…) Der unsere Armut
reich macht, und unsere räumliche Beschränktheit zur weltumspannenden Großmacht
weitet.“

Tatsächlich berührend, im Gegensatz zu dieser typisch österreichisch verlogenen


„Wendigkeit“, erscheint der Brief Emmerich Kálmáns an Paul Knepler, beide noch im
amerikanischen Exil, über das Ableben seines größten lebenslangen Konkurrenten, mit dem
er seit dem Zusammenbruch des Theaters an der Wien und Lehárs Gründung des „Glocken –
Verlages“ 1935, mehr noch durch dessen für Kálmán scheinbar anpasserisches Verhalten
während des Nationalsozialismus, ein angespanntes Verhältnis hatte.
Emmerich Kálmán, 417, Park Avenue, New York 22 NY, an Paul Knepler, November 5, 1948:
„Bezüglich des Todes unseres armen Franz Lehár moechte ich Ihnen sagen, dass mich
dieser Todesfall fuerchterlich mitgenommen hat, dass ich seit dieser Zeit an nichts
anderes denke, als an ihn. Es hat mich besonders gefreut, dass es mir noch gelungen
ist, mich mit ihm einige Wochen vor seinem Tode auszusoehnen, sodass ein sehr
freundschaftlicher Telegrammwechsel zwischen uns beiden stattgefunden hat. Heute
habe ich von seiner Schwester einen sehr lieben Brief erhalten. Sein Scheiden ist daher
nicht so bitter für mich, als wenn wir unversoehnt voneinander gegangen waeren.
Sonst glaube ich, dass sein Tod den Schlusspunkt der neu-klassischen Wiener Operette
bedeutet und dass mit ihm ein ganz grosser Mann gegangen ist. So lange er noch am
Leben war, hat man das Gefuehl gehabt, dass die Wiener Operette noch existiert. Jetzt,
obwohl verschiedene Vertreter dieser einst so erfolgreichen Kunstgattung noch am
Leben sind, habe ich nicht mehr dieses Gefuehl.“
(Lettera n.95 ,.I.N. 190.012, Wienbibliothek).

So schreibt ein Meister über einen anderen Meister!

NACHREDE
„Schweig‘, zagendes Herz“ - Franz
Lehár war es nicht vergönnt, gefangen
in die politischen Katastrophen seines
letzten Lebensjahrzehnts und
befördert durch unreflektierte,
unseriöse, auf Effekt bedachte und
„Korrektheit“ vortäuschende
Berichterstattungen, verstanden und in
Frieden „zu gehen“.
Beim Gedenken soll aber auch das
Bedenken nicht verabsäumt werden.
Also man bedenke!
Beim Einmarsch der Nationalsozialisten
in Österreich war Lehár achtundsechzig
Jahre alt.
Er entschloss sich in Anbetracht seines
Alters und zweifellos im Einvernehmen
Abbildung 10: Emmerich Kálmán am Grabe Franz Lehárs, 1949.

mit seiner jüdischen Gattin, darüber hinaus als Inhaber des „Glocken-Verlages“, als Besitzer
des Schikaneder – Schlössls in Wien und seiner Villa in Bad Ischl, angesichts der
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Unterstützung durch die Nationalsozialisten in privaten und künstlerischen Belangen, nicht


zu emigrieren. Das bedeutete im Weiteren eine ständige Gratwanderung, ständig nicht nur
mit schwindender Gesundheit und Kraft zu leben, sondern vor allem mit Angst, mit
„zagendem Herzen“ und mit Resignation“.

Es bedeutete, ständig Bittsteller zu sein, um das Leben seiner geliebten Frau Sophie zu
schützen und sich also in politischer Abhängigkeit zu wissen.
1940 beging er seinen 70. Geburtstag und entgegen der vom Propagandaministerium
vorgegebenen Maxime „Lehár, der Schöpfer der deutschen Operette“, positioniert er sich
verstärkt als Ungar und versucht den Schlingen der Nationalsozialisten ein wenig zu
entkommen.
1943 komponiert er sein einziges Bühnenwerk nach 1934, „GARABONCIÁS DÍAK“,
bezeichnenderweise eine Freiheitsoper als Bearbeitung seiner „ZIGEUNERLIEBE“ aus dem Jahr
1909, für die Königliche Oper in Budapest. Die Mehrfachbelastung als Komponist und Dirigent
dieser Première führt zu einem gesundheitlichen Zusammenbruch, von dem sich der
mittlerweile Dreiundsiebzigjährige nie wieder vollständig erholen sollte.
Die Befreiung Österreichs 1945 erlebt das greise Ehepaar von Krankheit gezeichnet.
Dazu kommen schwere ungerechtfertigte Angriffe in internationalen und vor allem auch in
österreichischen Medien, in Zusammenhang mit Lehárs Absicht, seinen „Glocken-Verlag“ in
die Schweiz zu verlegen, um diesen weiterhin auf stabile Beine zu stellen.
Hart treffen ihn auch die Nachrichten von Plünderungen in seinem Schikaneder–Schlössl
durch „seine Wiener“ und Anschuldigungen, Sympathisant der Nationalsozialisten gewesen zu
sein und nichts unternommen zu haben, um jüdische Mitarbeiter zu schützen. Was in vielen
Fällen nachweislich unrichtig ist, allerdings in vielen Fällen auch nicht erfolgreich sein konnte,
außerdem war Lehár begreiflicherweise seine eigene jüdische Frau am nächsten. Die
Verlegung des Aufenthaltsortes erst von Wien aus Furcht vor Naziterror nach Bad Ischl, dann
aus Gründen medizinischer Betreuung und auch als Flucht vor Anfeindungen, in ein Hotel nach
Zürich und schließlich nach dem Tod seiner Gattin und wenige Monate vor seinem eigenen,
wieder zurück nach Bad Ischl, zeugen von Zerrissenheit, Hoffnungslosigkeit eines alten
Mannes, der verzweifelt versucht, sein Werk, sein Leben und das Leben seiner Frau zu retten.
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Abbildung 11: Lehár und sein Vogerl

Das letzte Jahrzehnt seines Lebens von seinem achtundsechzigsten, beim „Anschluss“
Österreichs 1938, bis zu seinem Tod im achtundsiebzigsten Jahr, 1948, waren für Franz Lehár
Jahre der Unruhe, Angst und Verzweiflung, der „Resignation“.
„Schweig‘, zagendes Herz!“ wurde zum Überlebens-Motto.
Dies, wie vor allem Franz Lehárs gesamte Lebensleistung nötigen mir Respekt, Verständnis
und – als Musiker vor allem auch – Liebe ab.
Sehr wohl wissend, dass Lehár meiner Verteidigung nicht bedarf.
„Ich habe keine Verteidigung nötig. Sie würde ja doch wieder falsch ausgelegt werden.
Wer mich kennt, der weiß, wie ich bin.“

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