Sie sind auf Seite 1von 393

Über dieses Buch

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei – eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.

Nutzungsrichtlinien

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.

Über Google Buchsuche

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http://books.google.com durchsuchen.
NATIONALBIBLIOTHEK
IN WIEN

146984 -B

NEU

Mer
33. D.58.

D
0

D
o

0.

b
Österreichische Nationalbibliothek

+Z219236103
1
Sieben kleinere Schriften

des

heiligen Kirchenlehrers Bonaventura.

Aus deffen

sämmtlichen Werken genommen.

Uebersezt

und mit einer Vorrede begleitet


1..
von

Nikolaus Caffeder.

Zweite Auflage.

Prag , 1872.
Verlag von F. Tempsty.
tr

146984 - B
Euch nenne ich selig und herrlich, und sonst
reine , die ihr errungen habt jene Höhe des
Geiftes, wo die sinnliche Neigung nicht mehr
sprechen darf, der innere und äußere Mensch
aber bereit ist, freiwilligen Herzens unter jede
Schmach sich zu stellen: ihr seid die Seligen
und die Herrlichen, wer immer und wo immer
ihr seid, otpflichtgedrungen in Ehren und
Würden stehend oder verachtet und übersehen .
Gerlach Petri Selbstgespräche, 24 Kap. 4. V.

32

THE
L
O

D* ?
Druck des Titels von Heinr, Mercy in Brag.
75
Pix

Borrede.

Was hier dem gottseligen Lefer gegeben

wird, sind sieben kleine Schriften des heiligen

Kirchenlehrers Bonaventura, der Anfangs des

dreizehnten Jahrhunderts lebte und zu seiner

Zeit nicht nur durch Tugend und wahre Hei

ligkeit des Lebens, sondern auch durch Wissen

schaft und hohen weltlichen Ruhm ausgezeichnet

war. Der damals hochberühmte Alexander

von Ales, Bonaventura's Lehrer, seines Schü

lers innere und äußere Trefflichkeit bewundernd,

nahm keinen Anstand, von ihm zu sagen : Er


Yout
ist ein wahrer Ifraelit, und es scheint, Adam
1*
IV

habe in diesem Menschen nicht gesündigt. In

seinem drei und zwanzigsten Lebensjahre trat

er in den neuerrichteten Orden des heiligen

Franziscus von Assis und zeichnete sich durch

unermüdete Uebung in allen Tugenden, durch

ein wahres Leben des Geistes in Demuth,

Selbstverläugnung und innigster Gottes -Liebe

aus. Nach sieben Jahren seines Klösterlichen

Lebens wurde er nach Paris gesendet und er

hielt hier nicht nur die Würde eines Lehrers

der Gottesgelehrtheit, sondern lehrte auch durch

drei Jahre mit ausgezeichnetem Ruhme und

allgemeinem Beifall de auf der dortigen Hohen

Schule. Im dreizehnten Jahre seines geist

lichen Ordens - Lebens wurde you er415 allgemeiner

Vorsteherf und Minister des Ordens ; endlich

ernannte ihn der Papst Gregor der Zehnte

zum Kardinal der römischen Kirche und zum

Bischof von Alba. Er starb im Jahre ein


Y

tausend zweihundert zwei und siebenzig , im

drei und fünfzigsten Jahre seines Alters.

Das ist die kurze Skizze feines äußern

Lebens ; wie er innen lebte und was er da

erleßte, finden wir in seinen geistvollen Schrif

ten. Von ihm und seinen Werken sagt der

gelehrte und fromine Gerfon : Soll ich sagen,

wer unter allen Lehrern mir der brauchbarste

und nüglichste fcheine , so behaupte ich , ohne

auch nur einem nahe treten zu wollen , Bo

naventura ist dieser, der, so wie er den Verz

stand des Lesers erleuchtet, zugleich das Herz

hinreißt und mit Gottes Liebe entzündet. Sein

Vortrag ist gründlich , fährt er fort, er selbst

ift fromm, gerecht und voll Andacht ; weit ent

fernt von eitlem Vorwit und heillofer Spiß

findigkeit , läßt er sich, wenn er die Seelen

zu. Gott führen will , in fremde , weltliche

Meinungen , in die Träumereien der Schule


VI

nicht ein, mischt unter das Wort Gottes und

der Wahrheit nicht Grübeleien der Dialektik

und Sophiſtik und färbt sie , zum Truge,

mit den Ausbrücken der Schrift und der

Gottesgelehrtheit , wie es Viele thun. Will

er den Verstand des Lesers erleuchten, so weiß

er Alles auf die Frömmigkeit und den Gottes

sinn hinzuleiten; daher kam es, daß die geist

losen Lehrer der Schulen, derer es leider ! so

viele giebt, ihn wenig mochten , da doch ein

ächter Gottes - Lehrer keine erhabenere , keine

göttlichere, keine heilsamere, mehr tröstende und

erquickende Lehre vortragen kann, als die wir

in Bonaventura finden , von dem man mit

Wahrheit sagen kann, was Christus von Jo

Hannes fagte *) : „ Er war ein brennendes und

leuchtendes Licht."

7 Und Trithem schreibt von ihm : Er war


1
* Jeb. 5, 35.
VII

ein in göttlichen und menschlichen Wiffen

schaften höchst erfahrener und ausgezeichneter

Mann, von hohem Talent und doch so klar

und deutlich in seinem Vortrage , ein Mann


1
voll innigster Andacht und Lebensheiligkeit.

Die vielen Schriften , die er hinterließ , sind

tiefgedachte und tief empfangene Werke; Flame

men sind seine Worte, die in das Herz ein

schlagen und es entzünden in der Liebe Christi,

so wie sie zugleich den Verstand erleuchten

durch heilige Lehren. Er übertrifft wahrlich

alle Lehrer seiner Zeit in Hinsicht der Treffe

lichkeit seiner Werke, wenn wir , wie sich's

gebührt , auf den Geist der Gottes-Liebe und

der unverfälschten christlichen Andacht blicken,

die sich in ihm so mächtig wid kräftig aus

sprechen. Er ist tief, aber kein Wortmacher,

scharfsinnig , hascht aber nicht nach Fliegen,

er ist beredt, aber kein hohler Schwäger, sein


VIII

Wort entzündet, bläht aber nicht auf ; darum

geht der sicher , welcher ihn liest , der hat

großen Vortheil, welcher sich ihm öfter nähert,


f
und wer sein Wort behält, befizt etwas Lieb

liches und Heilbringendes.

Er war ein Zeitgenoffe des heiligen Tho

mas von Aquin und Beide waren vertraute

Freunde. Thomas , staunend und entzückt

über den Geist und die tiefe Weisheit in den

Schriften seines Freundes, besuchte ihn einmal

und bat: er möge ihm doch die schönen Bücher

und Schriften zeigen , woraus er forherrliche

Schäße nehme. Da führte ihn denn Bona

ventura zu einem Bildnisse des Gekreuzigten

und sprach : Sieh' hier das Buch und die

Bibliothek , die einzig mir hilft ! Er ist die

Quelle , woraus ich Alles schöpfe und hole,

was ich lese und schreibe *) .

*) Wadding, Annal. Minorum. Romae, 1732. Tom. IV p . 139.


IX

Der gottselige Antonin , Erzbischof von

Florenz, sagt : Wer Bonaventura's Schriften

liest , wird den Scharfblick seines Verständes

gewiß erkennen , wenn er anders die Wiſſen

schaft, die aus Gott ist, lieber hat und höher

ehrt, als die ariſtotelische Eitelkeit * ) .

Doch wozu diese Zeugnisse ? Die Wider

finnigen lachen ihrer **),,,da sie die Leute sind,


mit denen die Weisheit erst geboren wurde

und sterben wird." Diese aber seien ents

schuldigt , denn sie wissen wahrlich oft nicht,

selbst in ihren eigenen Dingen nicht , was sie

wollen und thun ; auch 7 haben sie sich's noch

überdieß fest in den Kopf gesetzt, weil ihrer

viele es von einigen ihrer Meister so ver

nommen haben : nichts als die kraffeste Un

wiffenheit , der dimmste Aberglaube u. dgl.

*) Wadding 1. c. p. 140.
**) Job. 12, 2..
X

habe die Geister niedergehalten namentlich im

zwölften und dreizehnten Jahrhunderte.

Das wird dich aber nicht irre machen, a

Mensch Gottes, für den einzig dieses Büchlein

bestimmt ist , weißt du ja , daß es überall

finster ist, wo Gott nicht ist und kein Chriſtus,

ſei es nun im dreizehnten oder neunzehnten


家用
Jahrhunderte. Wo es da fehlte und fehlt,

da war kein - Licht und ist kein Licht, und

das Jahrhundert trägt die Schuld nicht,

Christus aber und zwar der Gekreuzigte

leibte und lebte , liebte und wirkte und war

in dem Geiste und dem Herzen des gottseligen

Bonaventura, was der Gottgesinnte in diesem

Büchlein finden wird; und so fragt er denn

nicht nach dem Jahrhunderte , wie das und

jenės damals war , 5 sondern wie der Geist

Gottes sich äußerte in dieser oder jeder an

deren heiligen Seele , freut sich der schönen


XI

Früchte des kräftigen Baumes, genießt sie und

geneset, unbekümmert, ob der fruchtbare Baum

in dem Garten eines Königs oder in dem

Gärtchen hinter der schlichten Hütte des : Land

mannes stehe..
Prüfet die Geister , mahnt
yo
Paulus , ob fie aus Gott sind. Mit Gott

und in Gott geschehe diese Prüfung und nicht

mit dem Maßstabe irgend einer Zeit und ihrer

angeblichen Weisheit, die da kommt, sich äne

dert und verschwindet, des Herrn Wort aber

bleibt ewig, und in diesem allein finden und

lernen wir das Geheimniß der wahren Gotte

seligkeit, die da ist ein göttlicher Wandel im

Lichte der Heiligen, ein Fortschreiten des Geistes

im Leben Christi, eine himmlische Gemeinschaft

in der Liebe des heiligen Geistes , was ɔ uns

Gott gefällig, den auserwählten Geiſtern : an

genehm und den Menschen werth macht. 黎 Die

sen Wandel der Gottseligkeit werden wir lernen,


XII

wenn wir Lust haben zu Gottes Wort , zu

feinem Willen und seinen Geboten, wenn wir

die Furcht des Herrn in uns pflanzen und

uns zu gottgesinnten Menschen halten ; wenn

wir uns mit heiligen Gedanken, mit geistlichen

Worten, in heilbringender Lehre, in göttlichen

Werken nach unserem Berufe üben,C darin wir

Gott mit reinem Herzen, mit gutem Gewissen

und heiligem Leben, in Einfalt und Umsicht

und Lauterkeit f dienen ; denn nur das ist ein

heiliges Leben , welches seine Gebote lieb hat

und hält, und nicht lieb hat die Welt und was

in ihr ist , nämlich Fleischeslust , Augenlust

und Hoffart des Lebens ; dazu gehört nun ein

reines Auge, rein wie ein Licht mit welchem

wir alle Dinge in Gott ansehen, ihn in keinem

dieser Dinge je übersehen und folglich belei

digen , auch den Nebenmenschen nicht ärgern,

nicht nach dem Unziemlichen gelüſten , nicht


XIII

den Bruder mit irgend etwas zur bösen • Lust

reizen, vielmehr einzig und allein in Allem und

durch Alles hin auf Gott fehen, fein heiligstes

Angesicht, allenthalben gegenwärtig, scheuen und

uns immer und überall, vor seinem Angesichte

stehend , betrachten und auf der ganzen Welt

nichts Lieberes hören und wissen wollen , als

von seinem heiligen Worte, und deshalb selbst

alles Fleißes daran sind , überall davon zu

reben , nämlich nach geistlicher , göttlicher und


;
himmlischer Weisheit , dagegen alle unnüße,

vergebliche und eitle, noch mehr aber alle ärger

liche , ungereimte und fündliche Worte meiden

und wohl erwägen : „ daß die Menschen Rechen

schaft geben werden von einem jeden unnüßen

Worte, das sie geredet haben.“ Und rein muß

das Herz sein, und streben müssen wir nach

aller Vollkommenheit so lange , bis wir uns

felbst keines Bösen in uns mehr bewußt sind,


XIV

demungeachtet aber uns selbst nimmermehr


}
rechtfertigen , denn Gott ist's , der uns recht

fertigt und richtet ; wir hingegen sollen ohne

alle nichtswürdige Heuchelei von ganzem Herzen

uns als unnüße Knechte ansehen, wenn gleich

wir auch Alles gethan hätten, und täglich und

immer uns selbst prüfen, damit wir das Böse

von dem Guten unterscheiden, jenem entfagen,

dieſem aber mit allem Ernſte nachjagen und

anhängen und so +1 das Böse mit Gutem , übers

winden. Thun wir so , dann wird Christus,

der göttliche Lehrmeister, seinen heiligen Geiſt

in uns senden , der uns alle Wahrheit lehren

und uns enthüllen wird das Verborgene, und

wir nun nicht mehr wandeln als Unweise,

sondern als Weise , und die Zeit wohl be

achten , weil die Tage böse waren , die wir


berlebten.

Jetzt erst werden wir die Stimme des in


XV

uns redenden heiligen Geistes klar und deutlich

vernehmen, eben weil wir sie hören wollen und

nun fähig sind , sie zu verstehen , obgleich er

längst und immer in uns geredet hat und in

allen Menschen redet, wie die Schrift fagt *) :

daß er inwendig in uns wohne , daß er da

wirke , daß er da ohne Unterlaß bete, daß er da

seufze, daß er da bitte , was wir selbst nicht

zu bitten verstehen, daß er uns treibe, uns bes

lebe , uns in alle Wahrheit leite und sich so

vereinige mit uns, daß wir nur ,,Ein Geist mit


Ĉ
Gott ſind.“ Nur wollen nicht Alle feine

Stimme hören, obgleich er unaufhörlich in uns

Allen redet und wohnt. Er redet, sagt Fette

fon **), in den unbußfertigen Sündern ; aber

diese Sünder , durch das Geräusch der Welt


spring desig hem sie di ord che amino
*) Röm
. 8, 26. 27. Joh. 14. Kap.
**) Fenelon's Werke religiösen Inhalts , nach M.
Claudius. 1. Bd . S. 164 f.
XVI

und ihrer Leidenschaften betäubt , können ihn

nicht hören, sein Wort ist ihnen ein Mährchen.

Er redet in den Sündern , die sich bekehren ;

diese fühlen die Bisse * ihres Gewissens , und,

diese Bisse sind die Stimme Gottes , der ihnen

inwendig ihre Unthaten vorwirft. Wenn solche

Sünder recht gerührt sind, so können sie dieſe

geheime Stimme wohl verstehen ; denn sie ist

gerade das, was sie so lebendig durchdringt ; sie

ist in ihnen jenes zweischneidige Schwert“, da

von der heilige Paulus redet *) : ,,Es durch

dringet , bis daß es die Seele von sich selbst

scheidet." Gott macht, daß wir ihn empfinden,

ihn schmecken und ihm folgen ; man hört diese

sanfte Stimme, die tief im Grunde, des Her

zens freundlich zürnt, und das Herz wird davon

zerriſſen ; und das ist die wahre und reine


"
Zerknirschung. Gott redet in den Personen,

*) Hebr. 4, 12.
XVII

die aufgeklärt und gelehrt sind und deren

Leben, äußerlich in Allem regelmäßig, mit viel

Tugenden geschmückt scheint ; aber oft hören

diese von sich selbst und ihren Einsichten er

füllten Personen sich selbst zu sehr , als daß fie

Gott hören könnten. Man behandelt Alles

als ein .,,welches zu erweiſen war“ …… .Man

macht sich Grundsätze natürlicher Weisheit und

Methoden der Klugheit über Alles , was uns

durch den Kanal der Einfalt und der Geleh

rigkeit zu den Füßen des heiligen Geistes

unendlich besser kommen würde. Diese Men

schen scheinen gut und bisweilen mehr als

andere ;`ſie ſind es ſogar bis auf einen gewiſſen

Punkt, aber es ist ein vermischtes Gutsein.

Man besitzt sich, man will sich allzeit besigen

nach dem Maß der Vernunft , man will

immer in der Hand feines eigenen Nathes

sein ; man ist stark und groß in seinen eigenen


2
XVIII

Argen. D Gott, ich preise dich mit *) Jeſu

Christo , daß du deine unaussprechlichen Ge


4
heimnisse diesen Weisen und diesen Klugen

verbirgst, indeß} es dein Wohlgefallen iſt , ſie

den Kleinen und den Unmündigen zu offen


1
baren ; Keinen als den Kindern vertrausti du

dich ohne Zurückhaltung , die Andern behan

delst du nach ihrer Weise. Sie wollen Auf

klärung und hohe Tugenden ; du giebst ihnen

glänzende Gelehrsamkeit und machst eine Art

Helden aus ihnen. Aber dieß ist nicht das

beste Theil ; es giebt etwas Berborgeneres für

deine liebsten Kinder. Diese liegen mit Jo

hannes an deiner Brust , und jene Großen,

die allzeit fürchten, sich etwas zu vergeben und

sich herabzusehen, die läsfest du in ihrer Größe,

du begegnest ihnen nach ihrer Gravität. Deine

traulichen Liebkofungen werden ihnen nimmers

**) Matth. 11 , 25
XIX

mehr zu Theil werden ; man muß Kind sein


+
und auf deinem Schooß spielen, sonst ist man

ihrer nicht werth. Ich habe oft bemerkt, daß

ein unwissender grober Sünder, der in seiner

Bekehrung von der Liebe Gottes lebendig

gerührt zu werden anfängt, viel geschickter iſt,

die inwendige Sprache des Geistes der Gnade

zu hören, als gewisse aufgeklärte und gelehrte

Leute, die in ihrer eigenen Weisheit alt geworden

find. Gott, der sich allzeit mitzutheilen sucht,

weiß bei diesen von sich selbst angefüllten und

mit ihrer Weisheit und mit ihren Tugenden

glatt gemästeten Seelen, so zu sagen, nicht, wo

er den Fuß hinseßen soll , aber sein vertrau


qu
licher Umgang " ist“, wie die Schrift ſagt *),

,,mit den Einfältigen".nar eng L

Wo sind aber diese Einfältigen ? Ich sehe

ihrer keine. Gott sieht sie und in ihnen hat er

*) Sprüchwörter 3, 32.
2*
XX

Lust zu wohnen *). „ Mein Vater und ich“, sagt

Jesus Christus,,,wir werden zu 3 ihm kommen

und Wohnung bei ihm machen.“ D, wie ers

fährt eine Seele, die ohne alle Selbstsucht der

Gnade hingegeben ist, die sich für nichts rechnet

und gänzlich und unbedingt nach dem Willen

der reinen Liebe, die der vollkommene Führer

ist, wandelt, Dinge, welche die Weisen weder

erfahren, noch begreifen können ! Und, fährt

Fenelon weiter fort, ich sage : daß man als

dann Alles wiffe, ohne etwas zu wissen. Das

heißt nicht, als ob man den Dünkel hätte, daß

man alle Wahrheit in sich besite ; nein, keines

wegs, man fühlt vielmehr, daß man nichts ein

ſieht, daß man nichts kann, daß man nichts iſt.

Man fühlt es und man ist hoch erfreut darüber.

Aber in diefer völligen Enteignung findet man


"
von Augenblick zu Augenblick in dem Unend

*) Joh. 14, 23.


XXI

lichen Gottes Alles, was man nach dem Lauf

seiner Vorsehung nöthig hat. Da findet man

das tägliche Brod von Erkenntniß wie von jeder

andern Sache, ohne davon aufzuschütten. Und


A
alsdann lehrt die Salbung uns alle Wahrheit,

indem sie uns alle Weisheit , alle Ehre, alles

Interesse , allen eigenen Willen nimmt and

macht, daß wir in unserer Ohnmacht und unter

aller Kreatur zufrieden und fröhlich sind, bereit,

dem geringsten Wurme der Erde Platz zu

machen, bereit, unsere geheimsten Gebrechen vor

dem Angesicht aller Menschen zu bekennen, und

daß wir bei den Vergehungen die Untreue mehr

fürchten, als die Strafe und die Beschämung.

In diesem Zustande, sage ich, lehrt der Geist

uns alle Wahrheit ; denn alle Wahrheit ist

vorzüglich in diesem Opfer der Liebe enthalten,

wo die Seele sich Alles nimmt , um Gott

Alles zu geben. Das ist das Manna, das,


XXII

„ ohne ein jedwedes beſondere Fleiſch_zu ſein,

den Geschmack alles Fleisches hat."

Und dieses Geben Alles an Gott , dieſes

Manna werdet ihr , ihr Christus - Freunde,

auch in diesem Büchlein finden , ihr werdet

die Sprache des heiligen Geistes in seiner Eins

falt und Reinheit hören und die göttliche

Flamme seiner Liebe wird euer Herz entzünden ;


I
und sollte es euch lieb und erwünscht sein, so

soll, wenn Gott Gesundheit gibt und Leben,

eine zweite , größere Schrift des gottseligen


Baters folgen ... 0109 Vine

Geschrieben im Mai -Monate 1822.


[**** .
Der Ueberseßer.
9590

7 900 3100

10990

1521 I
Inhalts - Anzeige.

Seite
Die Entflammung der Liebe 1
Die fünf Feste des Kindes Jeſu 44
Der Baum des Lebens 81
Selbstgespräche · • 135 4
Drei und zwanzig Lektionen in der Schule Gottes 271
Zwei Sendschreiben . . 277
Das Büchlein von der Vollkommenheit des Lebens 307
‫)‪121‬‬
‫ܕܐ‬
‫‪$ 14‬‬
‫ܕ‬
‫ܘܐ‬
‫܀‬
‫ܘ‬ ‫ܘܐ‬
‫ܐ ܘ ܘܘ ܘ‬
‫ܐ‬ ‫‪2 derby‬‬
‫‪,rYara$‬‬
‫܀‬
1910 Ba
1
782 1207190
#
00

Die Entflammung der Liebe.


b. A
-09 ‫ار‬ un' di 14
rujena v dubio Borrede Baku Engiraamat
tode mi 39d
des heiligen Bonaventurantom .
102 Impak po daftry " bin ona jur
Ich erwache und strebe , meine durch Erkale
tung gleichsam erstarrte und verdüsterte : Seele
zu erwärmen und die in der Andacht ganz lau
und öde gewordene zu entzünden. Daß mir's
gelingen : werde , dieselbe durch inniges Sehnen
und Berlangen über alles Jrdische hin zu erhe
ben, weiß ich gewiß. Nur in träger , starrer
Ruhe erreiche ; ich nicht die Fülle der ewigen
Liebe , nicht wenn mein Geist niedergebeugt ist,
durch zeitliches Treiben auf meiner Wanderschaft
oder ich für Andere forge zur Ungebühr , sie
tröstend und ihre Geschäfte ordnend , nicht da
konnte ich fühlen und erfahren die geheime in
nere Flamme ; das Alles machte mich nur lau
und kalt, bis ich alle diese Dinge , diese äußer
ren. Fesseln wieder abmarf; mich vor das An
gesicht meines Erlösers stellte und der lieblichen
Innigkeit wieder pflegte. Darum sei denn auch
dieses Büchlein nicht den Weltweisen , nicht den
1
2

Klugen dieser Welt , auch nicht jenen großen


Theologen , die da verstrickt sind in unendlichen
Fragen und Feinheiten, sondern den Ungelehrten,
den Armen , den vor der Welt Unweijen gewid
met, denen Gott lieben mehr anliegt , als viel
wissen. Denn nur sie wissen , daß die Kunſt zu
A
lieben nicht durch vieles Reden , noch weniger
durch Streiten , sondern durch Leben und Thun
erlernt werde.
Ja , ich glaube fogar , die Dinge , welche ge
genwärtiges Büchlein enthält, möchten die großen
Kämpfer , die da Meister sind in allen Wissen=
schaften , aber in der Liebe Christi leider ! " die
Leßten, gar nicht verstehen ; darum habe ich auch
solches für sie weder geschrieben , noch schreiben
wollen und können, oder -- sie wollten ihr welt
liches Treiben und Wissen ganz aufgeben und
ihrem Schöpfer und Väter sich ganz hingeben
und ihn herzlich zu lieben verlangen ; und zwar
müßten sie erstens auf alles Ansehen vor der
Welt verzichten ; zweitens verachten , ja haffen
ihre Weisheits- Prahlerei und eitle Ruhmsucht,
und drittens die wahre Armuth des Geistes er
greifen, beten, betrachten und der göttlichen Liebe
ich ganz hingeben : dann wird sich in ihrem
Inneren regen und sich sichtbar machen jenes
Fünklein der unerschaffenen Kraft, wird ihr Herz
empfänglich machen , zu empfinden und zu faſſen
jene Wärme und das Licht , das alle Finsterniß
verscheucht , wird sie erheben zu jener lieblichen
und füßen Inbrunst, in welcher sie sichA über das
Zeitliche schwingen und ihre Stätte nicht nur
finden , sondern standhaft behaupten können im
3

Ziele des Friedens und der Ruhe ; dann wären


fie aber, eben weil sie geschickter sind, als Andere,
auch fähiger , oder könnten es wenigstens sein,
zur Liebe , wenn anders sie sich selbst gering
achten, auch fremde Berachtung mit Freude er
tragen würden.
Endlich, da ich hier Alle und Jede ermuntere
und auffordere zur Liebe und zwar zur heftigen
übernatürlichen Liebesneigung , will ich , Beides
in gegenwärtigem Büchlein zu zeigen, daran sein
und ihm die Aufschrift geben : ,,Die Entstammung
der Liebe."

Erster Abschnitt.

Erstes Kapitel.

§. 1.
Siehe , ich habe sie dir dreifach vorgeschrie
ben" *). Da jede Wissenschaft ein Bild der
Dreiheit sein sollte , so muß das noch viel mehr
gelten } von jener Wissenschaft , die wir in der
Heiligen Schrift gelehrt werden ; hier muß die
Lehre die Spur der Dreiheit zeigen, deshalb sagt
der Weise : ,,Ich habe sie dir dreifach vorge
schrieben , und zwar wegen des dreifachen geisti
gen Sinnes der heiligen Schrift , nämlich des
fittlichen , des allegorischen (verblümten) , des
anagogischen oder myſtiſchen - geheimen Sinnes.
Dieser dreifache Verstand und Sinn der Schrift
stimmt mit der dreifachen Stufenfolge des Geiſtes

*) Sprüchw. 22, 20.


1*
überein , nämlich dem Wege der Reinigung,
der Erleuchtung und der Vollendung. Die
Reinigung führt zum Friedens die Erleuchtung
zur Wahrheit , die Vollendung zur Liebe Hat
der Geist diese drei Wege durchwandert, dann ist
er selig und verherrlicht , und kann doch immer
wachsen und zunehmen . Kennen wir diese drei
Wege, dann sind wir wahre Gottesgelehrte und ken
nen den Weg und den Werth des ewigen Lebens .
: Nun müssen wir, wiſſen , daß wir uns auf
"1
diesen drei Wegen auch auf dreifache Weise üben
sollen ; die erste ist : Lesen , das Vieles umfaßt;,
die zweite : Betrachten , was kürzer uns führt ;
die dritte : Beten, was noch schneller fördert.
Das Lesen auf diesem dreifachen Wege erstreckt
sich auf die ganze heilige Schrift und die ganze
Lehre des Heils . Anderswo sagte ich von der
Uebung auf diesem dreifachen Wege so : Betrachte,
bete beschaue ! glo of aded overs
Wir wollen nun zuerst die Art und Form
der Betrachtung erwägen. Wir finden dreierlei
in uns , das wir berücksichtigen und inawelchem
wir uns auf diesem dreifachen Wege üben sollen,
nämlich ein unspist die Stimme und der
Stachel des Gewissens , der 1 Strähl der
Vernunft, dass Fünkte in der Weisheit.
Willst du demnach rein werden wende dich san
die Stimme des Gewissens ; willst du erleuchtet
werden, blicke hin auf den Strahl der Vernunft
willst du vollkommen werden, suche das Fünklein
der Weisheit auf. Willst du die Stimme des
Gewissens hören , so übe dich auf dem Wege
der Reinigung in folgender Betrachtung :
5

zuerst, entrüste dich selbst durch Erinnerung deiner


Sünden ; zweitens, schärfe deinen Blick in strenger
Betrachtung deiner selbst ; drittens, leite und führe
dich ein durch Erwägung des Guten . Die Erwä
gung deiner Sünden bestehe in der Selbstanklage
über deine vielfache Nachlässigkeit, über deine viel
seitige Begierlichkeit , über deine mehrfache und
große Verdorbenheit. Auf diese drei Punkte bezie=
hen sich beinahe alle unsere entweder begangenen
oder uns zugezogenen Sünden und Uebel. In Rück
sicht auf deine Nachlässigkeit erwäge : ob sie statt
fand in der genauen Bewahrung deines Herzens,
oder in der gehörigen Anwendung der Zeit, oder in
sträflicher Uebersehung des wahren Zieles und der
ächten Absicht bei deinem Thun und Laffen. Auf
diese drei Punkte müssen wir Alle die genauste Auf
sicht haben, nämlich daß das Herz wohl bewahrt,
die Zeit gehörig verwendet , das wahre Ziel in
T
unserem Thun nie außer Acht gelaffen werde.
Zweitens bedenke : ob du nachlässig warest
im Gebete, im Lesen, in Verrichtung des Guten ;
darauf sehe mit allent Fleiße und mit möglichster
Sorgfalt, damit du gute Früchte bringen könnest
zu seiner Zeit , denn einer dieser Punkte reicht
ohne den anderen keineswegs aus) lemon za
Drittens , erwägenalles Fleißes , ob du nach
;
lässig warest, deine Sünden zu bereuen, nachlässig
im Widerstehen der Versuchung zum Bösen, nach
lässig das Gute zu thun. Denn es ist + Pflicht
für Alle , das Begangene zu bereuen , dem Vere
sucher zu widerstehen , voran zu schreiten von
einer Tugend zur anderen , bis wir zum Lande
der Verheißung gelangen.
6

§. 2.
Hinsichtlich der bösen Begierlichkeit erwäge :
ob in dir die Neigung zur Wollust , der Hang
zum Vorwiz und der Neugierde , die ! Neigung
und Lust zur Eitelkeit lebe ; diese drei find die
Wurzel alles Bösen.
Zuerst also bedenke , ob in dir die Begierde
zur bösen Lust lebe ; das wirst du daran erkennen,
ob du Neigung habest zum Weichlichen , zum
Fleischlichen , zu Näschereien , ob du verlangest
nach üppiger Kleiderpracht, nach üppiger Freude.
Diese Dinge zu begehren mit Ueberlegung ist
nicht nur fündlich, sondern Pflicht ist es , die
erste Anregung dazu sogleich zu unterdrücken .
Zweitens , sehe nach , ob die Neigung zum
Vorwiße, die fündliche Neugierde in dir entweder
noch lebe oder doch schon gelebt habe. Ob das
ſei , wirst du erkennen , wenn du nachsiehst : ob
du gern Heimlichkeiten wissen , reizende Dinge
sehen , etwas dir Werthes haben und besigen
möchtest. Diesen Neigungen liegt nicht allein das
Gebrechen des Vorwiges, sondern selbst das Laster
der Habsucht zu Grunde , welches sehr strafbar
Con A
an deinem Herzen ist.
Drittens, bedenke : ob die Neigung zur Eitel
feit in dir lebe , die dann wirklich in dir iſt,
wenn du lüſterſt nach der Gunst, nach dem Lobe,
nach Ehre von Anderen. Das ist die lautere
Eitelkeit, das macht dich ganz eitel, dem entsage,
wie der fündlichen Weiberlust ; darüber laſſe dich
von deinem Gewissen scharf strafen.
m

S. 3.
In Rücksicht der Verdorbenheit und Schalk
haftigkeit erwäge : ob dieselbe sich äußere oder
sonst geäußert habe durch Zornmüthigkeit , durch
Neid, durch Trägheit , und zwar :
Zuerst bedenke das Verderben des Zornmu
thes, das sich äußert im Gemüthe durch Ausbruch
nach Außen , oder im Herzen , sich aussprechend
in der Miene oder im sonstigen heftigen Ergriffen
sein, sich verkündigend durch Wort und Sprache,
durch Schreien und eine That. n
Zweitens erinnere dich an die Sünde und
das Verderben des Neides, das sich deutlich zeigt,
wenn du trauerst über des Nächsten Wohlergehen,
4 dich freust seines
Mißgeschicks , gleichgültig und
kalt bleibst bei seiner Noth und Armuth. < +
Drittens denke an das Laster der Trägheit,
von dem böser Argwohn , lüsterne Gedanken,
schädliche Verleumdungen ausgehen ; das sind
fluchwürdige Dinge ! Aus dieser dreifachen
Erwägung wird der Stachel deines Gewissens
*
sich schärfen und die Seele sich über sich selbst
entrüsten, aber auch nur so zu ihrer Genesung
gelangen.

Zweites Kapitel.

Da wir nun gesehen haben , wie der Stachel


-
-die Stimme des Gewissens durch Erwägung
der Sünde müſſe erregt werden, so wollen wir denn
nun auch lernen , wie er zu schärfen sei in Rück
ficht unserer selbst. Und hier sind abermals drei
Dinge, die wir in Beziehung auf uns zu bedenken
8

haben, und zwar erstens : den uns bevorstehenden


Todestag zweitens : das für uns vergossene
Blut Christi drittens: das gegenwärtige An
gesicht 4 des Richters . Diese Drei schärfen den
Stachel unseres Gewissens $ gegen jeder Sündels
2. Erstens . Erinnern wir uns an unsern Sterbe
tag, dann wird der Stachel des Gewissens stechend,
denn dieser Tag ist unabänderlich , er ist unver
meidlich, er ist unwiderruflich. 7. Blicken wir nun
ernstlich auf diesen schweren Tag , dann werden
wir mit aller Anstrengung daran sein , uns , da
wir augenblicklich noch Zeit haben, zu reinigen
von aller Nachlässigkeit , von aller Begierlichkeit,
1
von aller Bosheit ; denn wer sollte in der Sünde
verharren wollen , da wir nicht sicher sind vor
dem morgigen!!Tage? 12 104 old Thi
Zweitens. Schärfen wird den Stachel des
Gewissens der ernste Blick auf das für uns vere
goffene Blut Christi , welches er vergoffen hat,
um unser Herz aufzuregen , um uns durch selbes
zu waschen, um unser hartes Herz zu erweichen;
vergossen zur Reinigung unserer Unreinigkeit,
vergoffen , um Leben zu schaffen 4 in den Tod,
vergossen, um unser vertrocknetes Herz von Neuem
zu befruchten und zu beleben. Sollten wir so
finnlos sein und die Sünde frder Nachlässigkeit,
das Verderbliche der Begierlichkeit , die Schuld
der Bosheit in uns noch herrschen lassen , wenn
wir wahrhaftig daran denken : Chriſti kostbares
Blut ist über uns ausgegossen ?
Drittens wird dieser Stachel des Gewissens
in uns geschärft, wenn wir das Angesicht des
Richters betrachten , des intrüglichen , des uner
bittlichen, dem wir nimmermehr entweichen können.
Nie kannst du täuschen und belügen seine Weis
heit, nie beugen seine Gerechtigkeit, nie entgehen
seiner Rache. Und 1 bedenkst du dabei , daß , so
wie er feine Sünde ungestraft, er eben auch das
Gute nicht unbelohnt lassen will , sprich , wie
sollte dieser Gedanke dein Gewissen nicht schärfen
gegen jede Sünden s

100
Drittes Kapitel.
dimak
Aber wir sollen nicht nur den Stachel des
Gewissens "7 durch Erwägung der Sünde schärfen,
er muß auch geleitet und geordnet werden durch
Erwägung des Guten , und das ist dreifach,
welches , wenn wir es uns eigen machen, unser
Gewissen auf die ächte Bahn bringen wird, näm
lich der Starkmuth, die feste Entschlossenheit gegen
die Nachlässigkeit, die Strenge gegen die Begier
lichkeit , die Güte gegen die Bosheit. Machen
wir uns diese drei eigen, dann ist unser Gewiſſen
ein gutes, ein reines, ein recht geordnetes Daz
von spricht Gott bei dem Propheten *) : Es iſt
dir gesagt, o Mensch, was gut ist und was der
Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten
und Liebe üben und demüthig sein vor deinem
Gott" ; in diesem Ausspruche des Herrn sind
diese drei Punkte enthalten, oder wie der Herr bei
Lukas sagt **): ,,Eure Lenden seien umgürtet. "
Das Erste ist demnach der Starkmuth, dieser
SCILI GPS #I
id 2.51
*) Mich. 6. Kap . V. 8. "
**) Luk. Kap. 12. V. 35. i ATU MORAS
10

führt die beiden anderen sich nach; diesen Stark


muth nenne ich eine feste Entschlossenheit des
Gemüthes , zu widerstehen jeder Fahrlässigkeit,
und selbiges zu befähigen zur Uebung aller guten
Werke , und zwar sie zu wirken emsig , muthig
und in gebührender Weise. Auf diesem Wege
gelangen wir zu den zwei folgenden Gütern, näm
lich zweitens zur Strenge gegen die Begierlichkeit,
diese ist der Muth und die Kraft des Gemüths ,
zügelnd alle Lust, stärkend die Seele, sie treibend
und befeuernd zur Liebe der Armuth , der Ver
achtung und Niedrigkeit , und eines männlichen,
das Harte und Rauhe nicht scheuenden Lebens ;
drittens zur Güte, zu jener liebenden Gesinnung
des Herzens , die unfähig ist aller Bösartigkeit
und Schalthaftigkeit, dagegen die Seele zum Wohl
wollen , zur Verträglichkeit neigt und ihr innere
Freudigkeit schenkt ; und hier in diesem seligen
Gefühle des Friedens ist das Ende ihrer Reini
gung auf dem Wege der Betrachtung , denn das
Gewissen ist nun rein und das reine Gewissen
ist freudig , friedlich und fröhlich. Wer immer
nun nach dieser Reinigung strebt, der wende den
Blick auf den Stachel seines Gewissens nach der
jezt vorgezeichneten Weise ; doch ist es eben nicht
nöthig , jich pünktlich so daran zu binden , als
müßten diese Punkte gerade so, wie sie hier ver
zeichnet sind , vorgenommen werden , wir dürfen
und können bei jedem derselben anfangen und
dann auf den anderen übergehen , nur aber so
lange müssen wir uns in denselben üben , bis
wir in unserem Inneren fühlen und inne werden
Freude und Friede, die den Geiſt fröhlich machen ;
11

in diesem freudigen Bewußtsein ist es dem Gemüthe


möglich, sich nach oben zu erheben . So nimmt
denn dieser Weg der Reinigung seinen Anfang
von dem schmerzenden Stachel des Gewissens,
endet aber im Bewußtsein der Freude des Geistes ,
fängt an in Schmerzen und wird vollendet in
der Liebe.

Zweiter Abschnitt.
~
Von dem Wege der Erleuchtung.
§. 1.
Der zweite Weg , der jenem der Reinigung
folgt, ist der Weg der Erleuchtung. Auf
diesem Wege blicke mit dem Strahle der Ver
nunft erstens hin auf die dir schon vergebenen
Sünden ; zweitens erweitere diesen Blick und
erstrecke ihn auf die dir von Gott verliehenen
Gnaden und Wohlthaten ; drittens richte ihn
auf die dir von ihm gegebenen Verheißungen.
Zuerst also suche zu erkennen , was dir der
Herr schon verziehen habe ; erwägst du das sorg
fältig , so wirst du erkennen , daß diese seine
Verzeihung an dich so vielfach sei, als die Sünden,
die du gegen ihn begangen hast , so groß , wie
groß dein Verderben und der Verlust des Guten
war. Das wird sich dir Alles deutlich zeigen,
wenn du das erwägst , was du auf dem Wege
der Reinigung, der Eingangs verzeichnet wurde,
erkannt hast. Und nicht nur auf das vielfach
verübte Böse blicke hin, sondern auch darauf
sehe, in welche noch größere und mehrere Sünden
12

4
du noch gefallen wärest , wenn der Herr es
1
zugelassen hätte. Erwägst du das ernstlich , uso
wird der Strahl der Wernunft deine Verfinsterung
dir deutlich und klar entdecken ; aber von innigem
Dankgefühle gegen den Herrn muß diese Erleuch L
tung beseelt sein, sonst ist sie keine himmlische
Erleuchtung, sie wird dich nicht erwärmen, obgleich
ihr Licht leuchtet, denn göttliche Erleuchtung bringt
Licht und Wärme. Darum danke dem Herrn für
die Gnade seiner Berzeihung deiner begangenen
Sünden, danke ihm für die Bewahrung vor jenen,
die du begangen hättest, wenn er dich nicht gnädig
behütet hätte , da du so schwach , dein Wille so 12
verkehrt und der 1 Sünde Andrang 1 auf dich so •
heftig warenslig 301
durns and Wild gook
21 Room 13 § 2. ind en 193
1 Zweitens , lerne, wie der Strahl ¿der Ver
nunft sich erweitern und ausdehnen müſſe in
Erwägung der . dir verliehenen Wohlthaten des
Herrn , die er dir auf dreifache Weise erwiesen
hat und zwar was er dir verliehen hat erstens
zur Verherrlichung deiner Natur , zweitens als
Beistand feiner Gnade , drittens als Ueberfluß
1
seiner Gnade. Zur Verherrlichung deiner
Natur gab er dir gerade Glieder , Gesundheit
des Leibes , gesundes Auge , gesundes Gehör,
deutliche Aussprache , in Hinsicht deiner Seele
empfingst du von ihm einen hellen Verstand,
richtige Urtheilskraft, ein gutes Herz . Als Bei
stand seiner Gnade gab er dir er stens die
Gabe der Taufe, durch welche die Schuld getilgt,
die Unschuld wieder hergestellt , die Gerechtigkeit
13

vor ihm ertheilt wird, und du würdig wirst des


ewigen Lebens. Zweitens : Er gab dir die
Gnade der Buße, da er deinen Willen dazu an
regt, dir Zeit giebt und . Gelegenheit dazu und
durch seine heilbringende erhabene Lehre dich dazu
auffordert. Drittens : Er verlieh dir die Gabe
des Priesterthums , durch dieses verkündigt er dir
feine Lehre , läßt dir die Sünde nach, theilt dir
aus das Sakrament seines Leibes ; in allen diesen

heilsamen Einrichtungen theilt er mehr oder we
niger die Worte des Lebens • an dich aus. In
Hinsicht des Ueberflusses seiner Gnade
erwägergab dir er stens die ganze Welt
und zwar , was unter "dir it dir zum Dienste,
was gleich dir ist, zum Mitverdienste, was höher
ist , zu deiner Hülfei Zweitens : Er gab dir
feinen Sohn und zwar als Bruder und Freund,
als dein Lösegeld, als deine tägliche Speise, năm
lich das Erste durch seine Menschwerdung , das
Zweite durch sein Leiden, das Dritte im Safra
mente des Altars. Drittens : Er gab dir den
an dir, als Vore dich als sein Kind

angenommen habe, als Pfand und Brautring


seiner Bermählung mit dir , ja , dazu hat er die
Seele des Christen bestimmt, sie soll seine vertraute
Freundin, feine Tochter, seine Braut sein. Das
find unaussprechliche und wundervolle Gnaden ;
betrachte sie, und du wirst ihm danken, wiesnar
eine Braut danken kannish sits an #point
^149 3 e 21 12018 WASAN
Lämmit§. 3.5 Maic
Drittens soll der auf dem Wege der Er
14

leuchtung Wandernde in heilsamer Betrachtung


seinen Blick richten auf die ihm von dem Herrn
geschehenen Verheißungen , damit er auf die Ur
quelle alles Guten zurückkomme. So soll er denn
alles Ernstes und öfters erwägen , was Gott,
der die ewige Wahrheit und in welchem keine
Lüge ist, denen verheißen hat, die an ihn glauben
und die ihn lieben , nämlich daß er von ihnen
hinwegnehmen und sie befreien wolle von allem
Bösen, fie verfeßen in die Gesellschaft seiner aus
erwählten Freunde , alle ihre Wünsche erfüllen
wolle durch sich selbst, der da ist die Fülle alles
Guten, übersteigend alle unsere Bitten, alle unsere
Wünsche, all' unser Meinen und Vorstellen ; und
dieses unermeßliche Gut will er uns zutheilen,
wenn wir ihn lieben und ihn einzig verlangen
feinetwegen ; so wollen wir denn unsere ganze
Liebe, unsere ganze Sehnsucht, unsere ganze Her
zensneigung ihm opfern und ihn lieben um seiner
selbst willen.

Dritter Abschnitt.
Von dem Wege der Vereinigung und der Vollendung.
§. 1.
Endlich wollen wir kennen lernen , wie wir
uns üben sollen, um das Fünklein der Weisheit
zu erlangen ; dahin werden wir es nur dann
bringen, wenn wir fleißig daran sind , solches
erstens zu sammeln , zweitens, es zu entzün =
den und anzufachen , drittens, ſelbes zu er
heben. Gesammelt aber wird es, wenn wir
15

unser Herz reinigen von aller Anhänglichkeit an


die Kreaturen; dieser Liebe müſſen wir entsagen,
denn alle irdische Liebe ist unkräftig , und wäre
fie es nicht , so würde sie die Seele doch nicht
erquicken ; und würde auch das sein , so fänden
wir doch nicht volle Genüge in ihr, darum muß
solche Liebe fern von uns sein .
Zweitens , entzündet und angefacht wird
selbes , wenn wir unsere Liebesneigung ansehen
und betrachten als Bräutigamsliebe, nämlich un
sere Liebe mit der ächten Liebe selbst , oder mit
ihrer Wirkung in den Heiligen , oder mit dem
Bräutigam selbst vergleichen, was uns nicht schwer
sein wird , wenn wir bemerken , daß diese Liebe
alle unsere Bedürfnisse befriedigen könne , sie die
überfließende Seligkeit der Heiligen sei, ja durch
fie und in ihr der sehnlichst Erwartete selbst uns
gegenwärtig ist. Diese Ueberzeugung ist wohl
mächtig genug , dieses Fünklein zur Flamme an
zufachen .

§. 2.
Drittens , erhoben muß es werden über
alles Sinnliche, Bildliche, Vorstellbare, und zwar
so , daß der Mensch diesen höchsten Gegenstand
ſeiner Liebe betrachte als den, der nicht gesehen,
nicht gehört, nicht geschmeckt, nicht berührt, nicht
sinnlich empfunden werden könne, obgleich er höchst
liebenswürdig und sehnenswerth ist; ferner erwäge
er , daß Der , den er liebend sucht , von keinem
Raume umschlossen , in keiner Gestalt befangen,
in keiner Zahl bestehend , unumgränzt , unverän
derlich und durch keine Vorstellung begreiflich ist,
16

und doch ist er der Liebenswürdigste, aller Sehn


sucht. Werthe. Endlich betrachte der Mensch, daß
sein Geliebter nicht durch die Vernunft erwiesen,
durch sie nicht erklärt , durch Meinungen nicht
erkannt , von Niemanden nach seinem f: Werthe
geschäßt werden könne , daß er unbegreiflich und
unfindlich und dennoch der Liebenswürdigste und
der Gegenstand der höchsten Liebe 5^ ist. Daraus
wird es flar, wie und auf welche Weise man zur V
Weisheit der heiligen Schrift gelangen könne,
nämlich durch Betrachtung auf dem Wege der
Reinigung, der Erleuchtung 1 und der Vollendung,
und nicht nur der Inhalt der heiligen Schrift,
foudern unser 1 ganzes Denken und alle unsere
Betrachtung muß auf diesem Wege gesucht und
darin geübt werden. Denn alle Betrachtung der
Weisheit besteht entweder in Erwägung des
menschlichen Thuns, d. i was der Mensch gethan
hat oder " hätte thun sollen und was ihn dazu
bewogen hat ; oder sie sieht auf die Werke Gottes,
da wir bedenken, wie Vieles Gott dem Menschen
gegeben, wie er Alles erschaffen habe seinetwegen,
wie vieler ihm verziehen und welche große
Verheißungen der ihm gegeben habe. In diesen
Punkten sind alle, Werke Gottes in der Schöpfung,
in#! der Erlösung und in der künftigen Verherr
lichung beschloffen. Oder der Menschen Geiſt
beschäftigt sich mit beiden zugleich , nämlich mit
Gott und der Seele , die aller Werke : Gottes
Grund und Ursache sind , und denkt nach, in
welchem Bunde 2 beide stehen und wie sie mit
einander vereinigt werden können ; und das muß
der Gegenstand aller unserer Betrachtung ſein ;
17

dahin zielt und soll zielen alle unsere Erkenntniß,


all' unser Wirken , das ist die wahre Weisheit,
denn was wir da wiffen und kennen, das haben
wir in Wahrheit erfahren und durch Erfahrung
erlebt.

§. 3.
In dergleichen Betrachtung aber muß unsere
ganze ..Seele gesammelt sein nach allen ihren
Kräften , nämlich nach der Vernunft , nach der
Stimme und dem Ausspruche des Gewissens, nach
dem Willen , fie alle wirken und müssen hier
zuſammen wirken ; die Vernunft untersucht und
stellt den Saß auf, die innere Stimme urtheilt
und giebt die Erklärung , das Gewissen bezeugt
und fertigt den Schluß, der Wille entschließt sich
und macht die Lösung des Ganzen. Z. B. du
wolltest auf dem Wege der Reinigung betrachten,
so stellt zuerst die Vernunft die Frage auf: was
der verdiene , welcher Gottes Tempel geschändet
habe ? Die innere Stimme antwortet: Er hat
den Tod verdient , oder er reinige sich ernstlich
*
durch aufrichtige Buße. Nun spricht das Ge
wissen : Du bist der ! Du bist entweder auf immer
verloren oder du mußt zur strengen Buße greifen .
Endlich wählt der Wille , er sträubt sich gegen
die ewige Verwerfung , freiwillig übernimmt er
die Büßung .

2
****

18
K^^^ V

Lebbek Vierter Abschnitt.


Wie man durch Gebet zur Weisheit der heiligen Schrift
; J. # *__gelangen könne. "3

S. 1.
Da wir bisher gehört haben, wie man durch
Lesen und Betrachten zur wahren Weisheit ge
41 T
langen könne , wollen wir nun auch sehen , wie
wir diese durch das Gebet erwerben können.
Vor Allem müſſen wir aber wissen , daß dás
Gebet drei Stufen oder drei Theile habe , deren
erster ist die Beweinung unseres Elends , der S
zweite das Flehen zu der Barmherzigkeit des 1
Herrn und der dritte unsere gänzliche Unter
werfung unter die Majestät Gottes , d. i. seine
3.49 "
Anbetung. Wir vermögen aber nicht , ihn ge
bührend anzubeten ohne seine Gnade ; dieses
sein Erbarmen über uns , diese seine Gnade will
er uns aber nur dann geben , wenn wir zu ihm
flehen und ihm unsere Roth und unser Elend

flagen und darlegen. Darum muß das wahré
除濕 Gebet allemal auf diese drei Punkte sich gründen,
X
feiner kann des anderen entbehren und einzeln
"
bringen fie uns nicht zum vollkommenen Ziele ;
darum müssen sie immer alle drei vereinigt sein .

§. 2.
Die Beweinung unseres Elends kann sich auf
jede unserer Armseligkeiten beziehen , entweder
daß wir so elend gesündigt , oder Gottes Gnade
verloren, oder unsere Seligkeit dadurch weit hin
ausgeschoben und uns von ihr entfernt haben .
19

Das wird unser Herz mit Schmerzen, #: mit Scham,


mit Furcht erfüllen ; mit Schmerzen über den
erlittenen Berlust , mit t Scham wegen Häßlichkeit
der Sünde mit • Furcht der Gefahr wegen , in
die wir uns gebracht haben. Die Erinnerung
an das 7 Bergangene erzeugt in uns den Schmerz,
denn der Gedanke: Was habe ich unterlassen,
wie viele Gebote des gerechten Gottes bei Seite
gesezt ? was habe ich begangen , welche Schuld
und Sünden f habe ich über mich gebracht? was
habe ich i verscherst, * wie viele Wohlthaten und
Gnaden des Herrn ? Dieser Gedanke wird schmer
zend in unser Herz einschneiden: Blicken wir auf
das Gegenwärtige, so wird sich Scham unserer
bemächtigen ; erwägen und sagen wir uns : Wo
bin ich nun wie tief bin ich gesunken, ich, der
ich dem Ziele 2, so nahe war ? wer bin ich, wie
schändlich , verunstaltet, ich, ehemals das schöne
Bild Gottes ! ich, nun Sclave und ehemals Freier !
Das wird Schamröthe unser ganzes Herz ergreifen.
Sehen wir auf die Zukunft hin, dann wird Furcht
uns überfallen, wenn wir erwägen und uns fra
gen : Wo eilest du hin ? Du rennest an einen
offenen , ewigen Abgrund ! Was kommt dir ent
gegen ? Ein unausweichliches Gericht , aber ein
gerechtes ! Was wartet deiner ? Der Sold A der
Sünde, * der ewiges Lod ! 4

§. 3.
Flehen wir zur Barmherzigkeit Gottes um
welche Gnade immer, so muß es geschehen mit
innigster Sehnsucht und herzlichem Verlangen,
welches der heilige Geist in uns erregen wird,
2*
20

,,der mit unaussprechlichem Seufzen für uns bit


tet"; mit vollem Glauben auf die Verheißung,
die Christus uns gegeben hat, der den Tod er
litten hat für uns alle ; mit der tröstlichen Ueber
zeugung des Beistandes und der Theilnahme aller
Heiligen und auserwählten Freunde Gottes.
Die innigste Sehnsucht und das herzliche Vers
langen haben wir vom heiligen Geiste, denn durch
Q
ihn hat uns der Vater von Ewigkeit her als
seine Kinder angenommen , durch ihn sind wir
geistlich wiedergeboren in der Taufe , durch ihn
find wir vereinigt in der Gemeinſchaft der heiligen
Kirche. Das Vertrauen und die feste Hoffnung
haben wir von Christus dem Herrn , denn für 10
uns hat er sich aufgeopfert am Kreuze hier auf
der Erde, für uns wird er geopfert von der Kirche,
unserer Mutter , in dem Sakramente des Altars
zu seinem steten Gedächtniß, für uns steht er im
Himmel vor dem Angesicht des Baters in seiner
Herrlichkeit. Auf den Beistand der Heiligen ver
trauen wir, denn wir glauben ,,eine Gemeinschaft "
der Heiligen" , die wir kennen in dem Dienste "
der Engel , welchen sie uns leisten nach Gottes
Anordnung und Befehl , die wir kennen in der
Liebe unserer triumphirenden Brüder im Himmel
gegen uns, die wir kennen, da wir uns das Gebet
der frommen, hier noch lebenden gottseligen Men
schen erbitten .
‫ه ت‬

S. 4.
Die Anbetung Gottes aber , die wir ihm
#
erweisen müssen für seine einzelnen , wie für alle
seine Gnaden, muß eben auch dreifach sein und
21
www

zwar erstens foll unser Herz sich beugen vor


4
seiner Majestät in tiefster Ehrfurcht und An
"
betung zweitens soll es sich erweitern zur herz
lichsten Liebe und zum innigsten Danke ; drittens
muß es sich erheben zu seinem göttlichen Wohl
gefallen und zum Wechsel-Gespräche der Liebe mit
ihm , wie der Bräutigam * mit der Braut spricht,
wie es der heilige Geist lehrt im Buche der Liebe.
Thut die Seele das und zwar in gehöriger Ord
nung, dann kommt sie in wunderbare Freude, in
hohes Frohlocken , sie kommt außer sich und ruft
mit Petrus : ,,Hier ist gut sein ! Nun aber ist
auch das Gebet zu Ende ; eher aber , als dieser
hohe Jubel der Seele geworden ist , darf sie im
Gebete nicht nachlassen, bis 1 sie eingeht in die
Stätte der wunderbaren Wohnung Gottes , bis
hin in den Tempel des Herrn mit Dank und
Preis, frohlockend wie bei einem köstlichen Gast
",
mahl. " Bewundere die Unermeßlichkeit Gottes
und blicke zurück auf deine Geringfügigkeit , und
dein Herz wird sich beugen in Ehrfurcht vor dem
Unendlichen. Erwäge die Huld und Güte deines
Gottes und vergleiche damit deine Unwürdigkeit,
und dein Herz wird sich erweitern in Liebe gegen
ihn. Denke der göttlichen Liebe und blicke auf
deine Lauheit , dein Herz wird sich schwingen

zur innigen Gegenliebe und die Vergleichung
beider wird dein ganzes Gemüth16 ergreifen und
dahin reißen. GIÁ 20 porn
Jere Sa 28
$18.9. S. 5. ‫آن‬
Ehrfurcht sind wir dem Herrn in dreifacher
Hinsicht schuldig : denn er ist unser Vater , der
14
22

uns geschaffen, erneuert, érzogen und gebildet hat,


Er ist unser Herr, der uns gerettet hat aus
des Feindes Rachen , der uns erlöset hat aus
#
dem harten Kerker, der uns geführt und gedungen
hat in seinen Weinberg um den Preis des Para
dieses Er ist unser Ehrfurcht gebietender Richter,
vor dem wir angeklagt ff find durch die Stimme
unseres Gewissens , vor dem wir überführt find
103 durch unser gegen uns zeugendes Leben, sbor dent
wir bekennen müssen und nicht leugnen können,
da seiner Weisheit Alles bewußt, iſt und wir
selbst gestehen müffen, daß Gottes Urtheil gerecht
fei und wider uns ausfallen müsse. Die erste Art
der Ehrfurcht istt groß, größer die zweite , die
höchste ist die dritte die erste ist Beugung vor
ihm , die zweite : Kniebeugung bei der dritten
liegen wir hingeworfen vor dem Herrn; in der
ersten untergeben wir uns ihm in der zweiten
finken wir nieder vor ihm , in der dritten liegen
wir vor ihm die erſte macht uns klein, die zweite
noch geringer, die dritte vernichtet uns ganzuive
Many Enmind st an dud oid opium® mblidnom !!
fistaid tamil sulod timS. 6. schielprsu dan Go
Auch unsere Liebe und Ergebenheit muß sich
+ gegen Gott in dreifacher Weise zeigen fie muß
groß fein in Berücksichtigung unserer Schwäche,
größer in Hinsicht der Größe seiner Gnade , die
höchste in Erwägung des Uebermaßes seiner Batm
J
herzigkeit ; groß die Liebe für das , was er uns
gegeben , größer für das , was er uns verziehen,
die höchste für seine uns gegebenen Verheißungen ;
die erste erweitert unser Herz , die zweite öffnet
es, die dritte schüttet es aus , wie der Prophet
23

sagt *): ,,Schütte dein Herz aus gegen den Herrn


wie Wasser! " *** i wil op up w
hooung gir $ nd our 30 magumise
med opserito de red ni qui
Die Begierde , Gott einzig zu gefallen, zeigt
fich eben auch auf dreifache Art und sie muß kom
men aus ganzem Herzen; nämlich erstens müssen
wir Gott so zu gefallen streben , wie er an sich
selbst sein Wohlgefallen hat zweitens darf uns
nur das gefallen , wodurch einzig wir ihm wohl
gefallen können , drittens darf uns nur das ge
fallen woran andere ihm wohlgefällige Seelen
Theil nehmen. Die erste Weise ist 3, Denn
fie ist freie Liebe, die zweite größer, denn sie ist
schuldige Liebe, die dritte ist die höchste, denn sie
umschließt beide ersteren; in der ersten wird dem
Menschen die Welt gekreuzigt, in der zweiten er
der Welt, in der dritten wird der Mensch für
die Welt gekreuzigt, er ist nämlich entschlossen
und bereit, für Alle zu sterben , damit sie Alle
Gott wohlgefallen, und das ist der Stand und
die Stufe der vollkommenen Liebe ; wer es bis
dahin noch nicht gebracht hat , der s doch
ja nicht von Bollkommenheit. Dann aber hat
die Seele diese Vollkommenheit wirklich erreicht,
wenn sie nicht nur allein den Willen, sondern
den sehnlichsten Wunsch in sich findet, zu sterben
für das Heil Anderer, wie Paulus von sich be
kannte **) : ,,Ich will gerne darlegen und dar
A
gelegt werden für eure Seelen. isda anish

*) Klagel. 2 , 19. . I do
**) 2. Korinth. 12 , 15. JJ 24 (**
24

§. 8.
Doch zu dieser Höhe der Liebe des Nächsten
gelangen wir nur dann , wenn wir zuvor voll
kommen sind in der Liebe Gottes , wegen deſſen
wir den Nächsten lieben , den wir nicht lieben
dürfen außer um Gottes willen. Damit wir also
die Vollkommenheit in der Liebe Gottes erken
müssen wir die Stufen kennen lernen , auf
welchen wir zu dieser Vollendung hinansteigen
und sie erreichen können , und deren sind séchs ,
die in gehöriger Ordnung betreten werden müſſen.
Die erste Stufe zur Liebe in ihrer Vollen
dung ist die Lieblichkeit , welche die Seele
erfahren wird , wenn sie den Herrn kennen zu
lernen sucht und dann kostet, wie süß und lieblich
er ist , was ihr werden wird , wenn sie in Ruhe
des Herzens und in heiligen Betrachtungen den
hehren Sabbath des Geistes feiert und der Liebe
des Herrn gedenkt in heiliger Stille.
Die zweite Stufe ist die Sehnsucht , die
erwacht, sobald die Seele an die süße Lieblichkeit
.
gewöhnt ist, und die dann in solchen Hunger
- ✓
übergeht, daß außer ihr sie nichts befrie
digen kann , bis sie Den besißt und ganz erhält,
den fie liebt ; da ihr aber dieser Besiß, von dem
fie noch sehr fern ist , jezt noch nicht werden
kann, so kommt sie ganz außer sich im heftigsten
"
Liebedrang und ruft klagend mit Job aus *):
,,Meine Seele wünschet erhangen zu sein, und
meine Gebeine den Tod" , oder mit David **) :

Job 7, 15.
**) Pf. 41. 1.
25

,,Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so


schreiet meine Seele , Gott, zu Dir !"
Die dritte Stufe ist die Sättigung , ei
gentlich der Ekel vor allem Frdischen , der eben
aus der vorhergegangenen Sehnsucht nach Gott
in der Seele sich erzeugt ; eben weil die Seele
Gott auf das Heftigste liebt und sich hinauf zu
ihm zu schwingen strebt , ekelt sie Alles , was
unter ihr ist, an, nichts kann ihr genügen außer
dem ersehnten Geliebten, und wie der Satte durch
nochmalige Speise nicht gestärkt, vielmehr in Ekel
und Grauen versezt wird , so macht auf dieser
Stufe die Liebe alles Erschaffene der Seele zum
Abscheu und Etel , recht wie der Weise gesagt
hat *): ,,Eine volle Seele zertritt wohl Honig
feim."
Die vierte Stufe ist die Trunkenheit
des Geistes , kommend aus der Sättigung def
selben. Die Seele wird trunken, wenn ihre Liebe
T
zu Gott so hoch gesteigert ist , daß sie nicht nur
aller irdische Trost und weltliche Freude anekelt,
sondern sie sich vielmehr freut alles zeitlichen Lei
dens , solches selbst aufsucht , die Verachtung,
Schmach, Mißhandlung liebt aus Liebe zu ihrem
Geliebten , wie Paulus that **). Sie macht es
wie der leiblich Trunkene, er schämt sich seiner
Blöße nicht , er· duldet Schläge und fühlt sie
nicht ; Gleiches thaten die Apostel ***) : ,,Sie
gingen fröhlich von des Rathes Angesicht , daß

*) Sprüchw. 27, 7.
**) 2. Kor. 12, 10.
***) Ap. - Geſch. 5, 41.
26

fie würdig geweſen waren, um des Namens Jeſu


willen Schmach zu leiden."
Die fünfte Stufe ist die Sicherheit ,
welche die Folge der Trunkenheit des Geistes ist. 16
Fühlt die liebende Seele die Stärke ihrer Liebe,
um des Geliebten f willen allen Schaden , jede
Schande und Berachtung ertragen 8 zu können,
dann ist aus ihr alle Furcht verschwunden , sie
ermuthigt sich in solchem Bertrauen auf des
Herrn Hülfe , daß sie gewiß ist , nichts könne sie
ferner von ihm scheiden , sie ruft aus C mit Bau
lus *) ,Wer will uns scheiden von der Liebe
Gottes ? Trübsal ! oder Angst ? oder Verfolgung?
oder Hunger ? oder "1 Blöße ? • oder Fährlichkeit ?
oder Schwert ? +++ ich bin gewiß, daß 2weder Tod
noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum noch
Gemalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Krea
tur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die
in Christo Jesu ist , unserm Herrn.fou
Die sechste Stufe ist } wahre und volle
Beruhigung ; jest ist Friede , hjeßt vollkom
mene Ruhe, die Seele ist in einer seligen Stille,
wie in einem süßen Schlafe, kein Sturm dringt
auf sie mehr ein, fie ruht sicher in Noe's schüßen
der Arche, und was sollte sie noch belästigen und
quälen können, ist ja der Stachel, der Begierlich
keit ganz gebrochen ? jede Furcht , aller Kummer
verschwunden ? Da ist lauter Friede, sichere Muhe,
die höchste Stufe ist errungen ; der wahre Salo
mon, der Bräutigam ist gefunden, in Salem ist
Orgene s
*) Röm. 8, 35-39. 16.9
27

sein Gezelt und seine Wohnung in Sion. Diese


sechs Stufen sind vorgebildet durch jene sechs,
die zu Salomo's Thrones führten *) ; davon heißt
esimohenliede **) ,Die Stufen waren pur
1 ་་
purn , der Bodens mitten innerwar } lieblich ged
pflastert." Dahin aber kann die Liebe nur führeng
ist diese einmal der Seele Eigenthum geworden,
dann ist ihr Alles leicht , sei es Leiden , sei es
Wirken, sei es Lebent oder Sterben sie ist und
wirkt vollkommen; D, so wollen wir dennctrach
ten nach dieser Völle der Liebe , sie führt uns
+1
zut Bollkommenheit in allem Guten, sie selbst ist
der Gipfel und die Summe alles Guten! isset
gojusovačk clownstidy ung dun er 5 typi Gatt
Stoung Festtolo gmnoise restock tajjiż ni
Damit bu aber lieber Seele zu dieser Höhe
der Vollendung, nach der du dich sehnst, gewisser
gelangen könnest, will ich dir die bisher weitläufig
vorgetragene Stufenfolge und die Erwägungspunkte
in gedrängter Schilderung zur leichteren Uebersicht
vorlegensinnnday 100 at and then y
The Der Anfang ist die Betrachtung ; in dieser
fuche den Stachel deines Gewissens zu erregen
und aufzureizen, suche ihn zu schärfen, strebe end
lich ihm die gehörige Richtung zugebengnie
wende dich > an den Strahl der Vernunft den
du ausdehnen, erweitern und wieder zurücklenken
sollst ; jest wird es dir möglich sein dich zu
nähern dem Fünklein der Weisheit, das du fam
meln, entzünden und anfachen und erheben sollst ;
unmródrid zat☺ lism ( s: / isd ni Wis.
* 3. B. d. Kön. 10. und 2. Paral. Incall pr
**) Hohel. 3, 10. JN4X
28

jezt wirst du beten können und zwar beweinen


dein Elend , dich betrübend über den erlittenen
Verlust, dich schämend deiner Schande, dich fürch
tend vor der nahen , gewissen Gefahr ; du wirst
1
beten können und anflehen die Barmherzigkeit
des Herrn mit innigem Erseufzen des heiligen
Geistes in dir, mit festem Glauben und Vertrauen
durch Jesus Christus den Getreuzigten , unter
stüßt von der liebenden Beihülfe der Heiligen.
Du wirst jest beten können , ja anbeten deinen
Gott in tiefster Ehrfurcht, mit innigster Ergeben=
heit, mit dem sehnlichsten Verlangen, ihm wohls
zugefallen. Daraus ergiebt sich nun ein regel
mäßiger Saß, und zwar erstens als Vorderſat
in Hinsicht Gottes : Bewunderung Gottes ; zwei
tens in Rücksicht unserer als zweiter Vordersat
die Erwägung, drittens als Schlußfolge wahre
Anbetung Gottescien 2.1.
Wer sich nun in diesen Punkten ernstlich und
unausgesezt übt , der wird fortschreiten in der
Liebe nach den sechs erst genannten Stufen; so
wird er gelangen zur vollkommenen Ruhe , zur
Fülle des Friedens , zur höchsten, seligsten Stille
des Geistes , zu jenem Frieden , den der Herr
seinen Aposteln 7 hinterlassen und Paulus feinen
lieben Gemeinden in allen seinen Briefen gewünscht
hat, die Gnade und den Frieden unseres Herrn
Jesu Christi , die Gnade als den Anfang , den
Frieden als das Ziel und Ende ; 1 in dem Briefe
an Timotheus seßt er das Wort Barmherzig
feit" in beider Mitte , weil Gottes Erbarmen
der Ursprung ist von seiner Gnade und seinem
Frieden. .01.2
29

Fünfter Abschnitt.
Von der Beschanung, wie man durch selbe zur Weisheit
der heiligen Schrift gelange.

§. 1. ‫ܐ܂‬
Da wir bisher gezeigt haben , wie wir zur
Weisheit uns befähigen sollen durch Betrachtung
und Gebet, so 哼 wollen wir nun sehen, wie wir
zur wahren Weisheit gelangen können durch Bes
schauung. Diese führt uns wirklich ein in das
himmlische Jerusalem, nach dessen Bilde die Kirche
Gottes hienieden gestaltet ist, wie das Wort der
Schrift lautet *) : ,,Siehe zu, daß du es macheſt
nach ihrem Bilde, das du auf dem Berge gesehen
hast" ; denn die streitende Kirche auf Erden muß
der triumphirenden im Himmel ähnlich sein , die
Kämpfe und Verdienste der ersten müssen mit den
Belohnungen der zweiten, und die Pilger hienie
den mit den Seligen oben übereinstimmen, soweit
das möglich ist. Dreifach aber ist der Lohn , der
Herrlichkeit , nämlich ewige Dauer des süßesten
Friedens , Schauung der höchsten und reinsten
Wahrheit , Genuß der höchsten Liebe , die sind
der Lohn der Vollendung ; und so wie der Lohn
dreifach ist, so ist auch dreifach die Ordnung der
himmlischen Geister , nämlich der Thronen , der
Cherubim und der Seraphim ; wer demnach zu
dieser Seligkeit gelangen will , der strebe, in sei
nem Leben, so viel hier möglich, die Aehnlichkeit
F
mit diesen sich zu erwerben , nämlich die Stille

*) Exod. 25, i 40,


30
reinen
die Dreien ruht
des süß eWonnu
Friedens, diesen
s reine volle Licht
das der Wahrheit,
Liebe.
Gott, er wohnt hier und: herrscht als auf seinem
ihm eigenen . Throne, Darum ist es nothwendig,
diese drei erstgenannten Seligkeiten durch die drei
Wege von einander zu unterscheiden und zwar
durch den Weg der Reinigung , auf welchem die
Sünde ausgetrieben wird , durch den Weg der
Erleuchtung, der in der Nachfolge Chriſti besteht,
durch den Weg der 1 Vereinigung, auf welchem
wit den heiligen Geist empfangen. Jeder dieser
drei Wege hat seine Stufen piwo wir von der
untersten bis zur höchsten gelangen sollen und
können. TOTEMA
SON
S. 2. +1440
Der Stufen, die zur Stille des Friedens
führen , sind sieben : die erste ist die Scham
über das verübte Böfe , die unausbleiblich uns
ergreifen wird , wenn wir denken an die Größe,
an die Menge unserer Verbrechen, an ihre Schänd
lichkeit, an unsere Undankbarkeit. Die zweite
ist die Furcht, welch' ein Urtheil über uns er
gehe und zwar , wie unser Werk als unnüz zer
fallen , unsere Vernunft in ihrer Verblendung
erscheinen , unsere Herzens = Verhärtung beschämt
und enthüllt und wir und unser Thun verworfen
werden wird. Die dritte ist der Schmerz in
F
Rücksicht dessen , was wir verloren haben , und
zwar verloren die Freundschaft Gottesberloren
unsere Unschuld, geschändet unsere Natur unnüt
verschwendet unsere sündlich verlebten Tage. Die
vierte ist unser Hülfe - Ruf um Beistand
331

an Gott den Vater , an Gott den Sohn , unsern


Erlöser , unser Hülfe - Ruf um Fürbitte für uns
zur Mutter des Herrn und der Himmels -Bürger.
Die fünfte ist die heilsame Strenge ,bbie
wir anwenden müssen den Zunder desU Bösen
in uns auszulöschen, nämlich unsere Zerschlagen
heit, die da ist, die Trägheit, unsere Verkehrtheit,
die Bösartigkeit ist, die böse Lust der Begierlich
feit , die Eitelkeit was der Hoffarts ist. Die
sechste das Verlangen zu leiden, um volle
Verzeihung unserer Sünden, um volle Reinigung
von der Sünden Makel 1 zu erlangen , möglichst
genug zu thun für das Verübte, zu tilgen die
"}
böse Begierlichkeit. Die siebente giebt uns
den Frieden , schenkt die Ruhe; Christus stellt
uns unter seinen Schatten, er ist unser Schüßer,
er stellt uns unter den Schatten seiner Flügel,
"
jezt fühlt die Seele die Hiße der Begierlichkeit
nicht ferner , nicht mehr ängstigt sie die Furcht
der Strafe , was ihr aber Alles nicht geworden
wäre ohne Begierde zum Leiden, und diese Begierde
wäre ihr nicht möglich gewesen ohne Tödtung des
Sünden-Zunders ; aber diesen zu tödten hätte fie
nimmermehr vermocht ohne Anflehen um Hülfe
des Herrn , den sie nicht hätte anflehen können,
hätte sie nicht zuvor ihren Seelen- Schaden be
weint; aber diesen hätte sie nicht beweinen können,
hätte sie das Gericht des Herrn nicht gefürchtet ;
doch auch diese Furcht hätte in ihr nicht entstehen
können , würde sie an ihre Sünden nicht gedacht
und sich ihrer geschämt haben. Berlangst du dem
nach nach dieser stillen, sanften Ruhe des Friedens ,
betrete nach dieser Vorschrift diese sieben Stufen.
32

§. 3.
Der Stufen, auf welchen wir zum klaren
Lichte der Wahrheit gelangen , sind eben
auch sieben, und zwar durch die Nachfolge Chriſti
wirklich, wenn die Vernunft ihm beistimmt, unser
Mitleid sich belebt , unser Herz ihn bewundert,
34

unsere Seele in Andacht erglüht , wir ihm uns


gleichförmig zu machen suchen, sein Kreuz um
fassen und in ihm die Wahrheit sehen. Wir
wollen nun dieses nach der Ordnung vornehmen.
as Erwäge zuerst, wer der sei, der leidet ;
unterwerfe dich ihm mit deiner Vernunft und
glaube festiglich, daß er wahrhaft sei der Sohn
Gottes , der Anfang aller Dinge , der Heiland
der Menschen, der Vergelter alles unseres Thuns
und Lassens .
Zweitens bedenke, welcher leide, und suche
dich ihm gleichförmig zu machen durch herzliches
Mitleid gegen den Unschuldigsten, den Mildeſten,
den Edelſten , den Liebenswertheſten.
Drittens erwäge , wie groß der Leidende
sei und trete vor ihn hin t mit erstauntem und
von Bewunderung tief erschüttertem Herzen, sage
dir selbst: Der ist der Unermeßliche an Macht,
an Schönheit, an Seligkeit, an Ewigkeit, an der
schreckbaren Macht, dich zu vernichten ! so staune
denn, daß die unermessene Schönheit entstellt, die
Seligkeit gemartert, die Ewigkeit sterben soll!
Biertens frage : warum er leidet, und vers
finke über die Antwort in die heißeste Andacht !
Dich will er erlösen, dich will er erleuchten, dich
will er heiligen , dich will er verherrlichen.
Fünftens frage, in welcher Gestalt er leidet,
-44
அடம் . 9 6
33

und suche dich ihm gleichförmig zu machen. Er


litt wie ein wahres Lamm mit aller Liebe 1. für
dich, mit aller Härte gegen sich, mit vollkommenſtem
Gehorsam gegen den Vater , mit aller Weisheit
und Vorsicht gegen den Feind . Umkleide dich
mit dem Kleide deines Heilandes , in treuer Nach
folgung seines Bildes in der Liebe, in der Strenge,
in der Demuth, in der weisen Vorsicht.
Sechstens frage, was leidet er, und um
fasse das Kreuz und wolle hangen daran mit
ihm und leiden mit ihm , was er gelitten hat,
Stricke und Bande, er, der Allmächtige in Ohn=
macht, Schimpf und Schmach, er, die Güte , und
so verhöhnt , Spott und Mißhandlung , er die
Weisheit , verspottet wie ein Thor , Todesstrafe,
wie ein Missethäter , er , die Gerechtigkeit ! Ja,
erwäge sein Leiden am Kreuze , angefüllt mit
Unbilden durch Thaten gegen ihn, voll Lästerungen
in Worten gegen ihn, voll Spottes in Aeußerungen
über ihn, voll Dual und Schmerzen in seiner Miß
handlung ! →→→
Siebentens erwäge , was unseres Herrn
Leiden gewirkt habe, und schaue mit dem Auge
des Geistes das flare , helle Licht ! Weil das
Lamm gelitten hat, so sind die sieben Siegel
des verschlossenen Buches geöffnet worden *).
Dieses Buch enthält 7 die Lehre aller Dinge , in
***
welcher sieben Dinge " den Menschen unbekannt
waren , die ihnen aber durch die Kraft des Lei
dens Christi nun offenbart worden sind , nämlich
der wunderbare Gött, der vernünftige Geist, die

*) Offenb. 5,5
3
34

finnliche Welt, das lustvolle Paradies, die furcht


bare Hölle, die ehrenwerthe Tugend, die straf
würdige Sünde
POR
S. 4. O 311A
15 Zuerst ist uns durch den Kreuzestod Chriſti
der wunderbare Gott in seiner unerforschlichen
Weisheit, in seiner heiligsten Gerechtigkeit , in
seiner höchsten und unaussprechlichen Barmherzig
feit geoffenbart worden seine Weisheit machte
irre und blendete den Satan , seine Gerechtigkeit
forderte zur Erlösung ein hohes Opfer , feine
Barmherzigkeit gab für uns den Sohn . Erwä
gen wir das mit eruſtem Gemüthe , so erkennen
wir Gott in seiner deutlichsten Offenbarung.
Zweitens hat sich durch den Kreuzestod
Hesu die Natur des ( Vernunft Geistes enthüllt
und zwar in dreifacher Hinsicht , nämlich in
seiner Güte, in Beziehung auf den Engel- Geist,
J
die Engel hinderten den Kreuzestod ihres Herrn
für unsere Erlösung nicht ; dann in seiner
Würde, in Hinsicht auf den Menschen , denn
des Menschen wegen ist der Sohn Gottes ge=
kreuzigt worden ; endlich in seiner Grausam=
feit , in dem wilden Geiste " des Satans und
seiner gefallenen Engel, denn sie hezten die Feinde
unſeres Herrn zum grausamsten Morde an 1 ihm.
Drittens entdeckte der Kreuzestod Jesu
die finnliche Welt, voll Finsterniß und Irrthum,
wo Blindheit herrscht , die das wahre , einzige,
höchste Licht nicht begreifen konnte ; wo Unkraft
ist , unfähig zu erkennen die wahre Kraft , und
unfruchtbar in ſich ſelbſt für dieſe , denn sie hat
35

die Kraft Christi nicht erkannt und sie sogar


als unnüß ausgegeben ; wo die Gottesverges
senheit herrscht , welche ihren Herrn und Gott,
ihren Freund und Wohlthäter, den Unschuldigen
verdammt und gemordet hat. 18
Biertens offenbarte uns der Kreuzestod
des Herrn das herrliche Paradies , wo die Summe
aller Berherrlichung, der Anblick der höchsten
Freude , die Stätte alles Ueberflusses und Reich
thums ist; wir haben es verloren , und daß
wir es wieder erhalten sollten , ist der Sohn
Gottes Mensch für uns geworden , ein gemeiner,
elender , armer Mensch , die Erhabenheit hüllte
sich in die Niedrigkeit / der Reichthum wurde
arm , der höchste Herrscher Himmels und der
Erde ward Knecht auf Erden , um uns zu ver
r
herrlichen im Himmel , der erhabenste Richter
unterwarf sich dem schimpflichsten Todesurtheile,
um die Schuldigen von der verdienten Strafe zu
befreien , Der , dessen Eigenthum Himmel und
Erde ist , warf sich in die tiefste Armuth , um
uns zu bereichern bis zum Ueberfluß.
Fünftens zeigte uns der Kreuzestod Jesu
die Hölle in ihren Grauen , voll ungeheuern
Elends und Noth , voll Schmach und Verwor
fenheit, voll Jammers und Trauerns ; da wird
uns deutlich, daß , da es nothwendig war , daß
Christus für } unserer Sünden Tilgung leiden
mußte, die " Verdammten mit C weit größerem
Rechte dieser Qualen pflichtig sind und nach
Verdienst ihrer Gottlosigkeit dieselbe leiden müssen.
Sechstens öffnete uns der Kreuzestod
Jesu die Würde der Tugend in ihrer Köstlichkeit,
3*
36

Schönheit und Fruchtbarkeit ; ihrer Köstlichkeit


wegen wollte Christus eher leiblich sterben , als
je ihr entgegenhandeln , ihre Schönheit, strahlte
in ihrer Lieblichkeit selbst da noch als er mit
Schmach und Verachtung ganz bedeckt wurde,
ihre heilbringende Frucht zeigte sich , da der
-

Herr. mit Vollbringung der vollkommenen Tu


gend die Höllen-Macht beraubt und besiegt hat.
Siebentens "1 erblicken wir an dem Kreu
zestode Jesu die Strafwürdigkeit der Sünde und
ihre Abscheulichkeit, denn um sie zu tilgen, ward
14
ein so großer Preis , ein so erhabenes Opfer,
so entsegliches Heilungsmittel gefordert. 1
So schaust du denn , meine Seele , an dem
*
Kreuzer des Herrn alle Geheimnisse enthüllt,
wenn du sie auf diese sieben Punkte zurückführst,
auf welche sie denn auch bezogen werden müſſen.
1 Und so ist das heilige Kreuz des Herrn wahr
haftig der Schlüssel, die Thüre , ·· der Weg , das
་་ ན
Licht der Wahrheit ; so umfasse , denn dieſes
Kreuz, folge Christo nach in dieser dir hier vor
gezeichneten Weise, dann wirst du nicht wandern
in der Finsterniß , du wirst vielmehr das Licht
des Lebens haben..

§. 5.
Die Stufen , auf welchen du zur Süßig፡
keit der Liebe kommen kannst , sind folgende
sieben : die stets rege Wachsamkeit , das kräftige
、』; Vertrauen , die flammende Begierde , der Auf
schwung nach oben, das beruhigende wechselseitige
Wohlgefallen , die Wonne der Freude, die unzer
trennliche Anhänglichkeit.

Як мат
37

Willst du nun zur Vollkommenheit der Liebe


und der Freude des heiligen Geistes gelangen,
dann fange so an:
Zuerst sei stets aufsichtig und wachsam,
merte sorgfältig auf, denn der Bräutigam ist
immer bereit , zu ‫ الحمد‬kommen ; spreche das Wort
des Propheten 9 immer in deinem Herzen nach:
Gott , mein Gott , zu dir erwache ich" , oder
sprich mit der Braut im Hohenliede : Ich schlafe,
mein Herz aber wachet", oder mit Jesaias :
,,Von Herzen begehre ich dein des Nachts , dazu
mit meinem Geiste in mir wache ich frühe zu
dir." addy ke
s3weitens stärke dich im Vertrauen, denn
der Bräutigam kommt gewiß, sprich aufrichtig
in deinem Herzen : Auf den Herrn baue ich" ,
oder : Auf dich, o herr , habe ich gehoffet"
oder mit Job: ,,und wollte er mich tödten , so
will ich ihm doch vertrauen."
Drittens entflamme die Sehnsucht , denn
der Bräutigam ist höchst lieblich und süß ; dir
muß sein , wie im Psalme steht : "Wie der
Hirsch verlanget zum frischen F Wasserquell , so
4
verlanget meine Seele nach dir, o Gott ", "oder :
Start wie der Tod ist die Liebe " , oder : "Ich
liege krank vor Liebe." 41
Biertens schwinge den Geist nach * oben,
dennehoch und erhaben ist der Bräutigam , bete
mit David ,Wie süß und lieblich sind deine
Wohnungen , o Herr ! " oder mit der Braut :
Ziehe mich nach dir vorne
Fünftens beruhige dich in des Bräuti
gams Wohlgefallen , denn er ist schön und ´aus
38

erwählt ; sprich im seligen Gefühle mit der


"N Braut: ,,Mein Geliebter ist mein , und ich bin
fein." " Mein Geliebter ist weise und roth,
auserwählet aus Tausenden."
Sechstens frohlocke , im Wonnegefühl über
den Reichthum und die " Fülle des Bräutigams ;
sprich in deines Herzens Entzücken : ,,Ich hatte
viel Bekümmerniß in meinem Herzen , aber deine
"
Tröstungen ergößten meine Seele." Oder : Wie
groß ist die Fülle deiner Süßigkeit , o Herr !"
oder mit Paulus : ,,Ich bin voll Trostes , ich
fließe über in Freude !"
Siebentens hange ihm unverrückt und un
zertrennlich an , denn mächtig und groß ist die
Liebe des Bräutigams ; rufe aus mit dem Pro
pheten : Das ist mein Trost und meine 1 Freude,
daß ich dem Herrn anhange", oder mit dem
Apostel : ,,Wer mag uns trennen von der Liebe
Christi ?" 100 mei di
and Diese Stufen sollst du nun nach und nach
ersteigen ; canfangend von der ersten , verfolgend
die anderen , kommst du zur höchſten ; übersprungen
24-1
aber fann feine werden , denn eine erzeugt die
andere. Die : erste Stufe verlangt genaue Ermä
gung und 2 Aufsicht, in den übrigen muß 1 die
Begierde und das Verlangen vorherrschen ; die
Wachsamkeit als erste erwägt , wie schön , wie
heilsam und freudenreich Gott-Lieben sei ; daraus
entsteht nun das feste Vertrauen auf Gott, und
aus diesem entwickelt sich die Begierde , die sich
flammend hinanschwingt zum Kuffe, zur Umfas
fung, zur Vereinigung mit dem liebenswürdigsten
Geliebten. JE ITG0
;

39

and gaming bid qual§6,,


8.66 th, der Jin
Diese sämmtlichen bisher bezeichneten Stufen
auf dem dreifachen Wege der Reinigung , der
Erleuchtung und der "1"Bollendung können auch
so gegeben und genommen werden :
Auf dem Wege der Reinigung "! wandernd
schäme dich deiner Missethat , erzittere por dem
Gerichte , beweine deinen Verlust , sehe dich um
nach Rettungsmitteln .4 und finde fie bei dem
Herrn , lösche aus die Flamme der Sünde,
verlange nach dem Kleinode des Leidens und
Martyrthums, nähere dich T Christo, deinem Hort.
Die Stufen in ihrer gehörigen Ordnung
auf dem Wege der Erleuchtung sind die Fragen :
Wer leidet ? und unterwerfe dich glaubend dem
Leidenden. Wer ist der Leidende ? und dein
Herz erfinke in Bitterkeit und Mitleid. Welche
Größe hat der Leidende ? und staune in tiefer
Bewunderung. Warum leidet er ? und flebe
vertrauensvoll zu ihm. In welcher Gestalt leidet
er ? und folge ihm nach in J ähnlicher Gestalt.
Welche Leiden trägt er ? und umfasse ihn in
Liebe. Was ist die Folge seines Leidens ? ers
kenne und erwäge es ernstlich
Die Stufen auf dem Wege der Vereinigung
können so angegeben werden : Sei munter in der
Wachsamkeit wegen des Bräutigams Bereitwillig
feit. Dein Vertrauen stärke sich wegen des
Bräutigams Gewißheit. Deine Sehnsucht ent
flamme seine Süßigkeit. Seine Erhabenheit ziehe
dich nach oben. Seine Holdseligkeit errege dein
berausche in an ihm . Die Fülle seiner Liebe
hoher Freude Seiner
40

Macht und Stärke wegen lasse dich nimmermehr


von ihm scheiden. Ist es so in dir , meine,
Seele , dann sprich mit Herz und Mund : Dich
+
suche ich , auf dich vertraue ich, nach dir ver
lange ich, in dir erhebe ich mich, dich umfasse ich,
in dir erfreue ich mich, dir hange ich ewig an,
o Herr! 9.6
www . MN NA
§. 7. dia.eps
(054
Auch so kann der Weg des Geistes bezeich
net werden, nämlich nach der dreifachen Verschie
"
denheit der dreifachen Ordnung und geistlichen
Stufenfolge, denn dret Dinge sind dem, der vor
und fortschreiten will , vonnöthen , als : die Be
trübniß oder die Bitterkeit , die Dankbarkeit und
die Gleichförmigkeit. Die erste ist nothwendig
geworden , weil der Mensch gesündigt hat , denn
hätte er nicht gesündigt , dann wären nur die
beiden anderen, die Dankbarkeit nämlich und die
1
Gleichförmigkeit, für ihn Pflicht gewesen ; die
Dankbarkeit zwar für des Herrn Gnade und
Beistand , die Gleichförmigkeit der Gerechtigkeit
wegen , die sein Leben hätte bezeugen müssen.
Nun ist aber auch die Betrübniß , des Herzens
bittere Empfindung nöthig geworden als Hei
lungsmittel. Denn da die Sünde durch böse
Lust geschehen ist, so kann sie auch auf keine an
dere Weise geheilt, gereinigt und getilgt werden,
als durch das Gegentheil derselben, nämlich durch
Leiden und Bitterkeit. In dieser unausweich
lichen Bitterkeit nun muß die Seele das verübte
Böse wegen seiner eigenen Bösartigkeit erwägen,
fie muß leiden, weil Christus für die Sünde und
41

die Sünderin gelitten hat, fie muß um Rettungs


mittel flehen wegen ihres und ihrer Brüder
Elend.
In der Pflicht der Dankbarkeit muß sie be
wundern die Wohlthaten des Herrn, der sie aus
7 "
Nichts erschaffen hat ; sie muß sich in ihrem
Wandel so benehmen, daß sie , wenn es möglich
wäre , ihre Errettung und Herstellung aus dem
Sünden Uebel durch den Hertwr verdient hätte,
fie muß danken für die ihr gewordene Erlösung
aus der Verdammniß, 1 denn nach Gottes Bilde
ward sie geschaffen, durch das Blut Jefu Chriſti
erlöset, aus dem tiefsten Verderben gerettet und
bis zur Himmelshöhe und Würde erhoben.
In der Pflicht der Gleichförmigkeit richte die
Seele den Blick der Wahrheit nach dem was
oben ist , die Liebesneigung erweitere sich auf
das, was außer ihr ist, und mit muthiger Kraft
ordne sie das , was innen ist. Zur Erhebung
ihres Geistes nach oben leite sie die Wahrheit,
was geschehen wird, wenn sie mit Bernunft nach
denkt und Gott beschaut , wenn sie Alles, was
Gott geschaffen hat, betrachtet mit Weisheit, wenn
fie ihre eigene Meinung und Urtheile gefangen
nimmt unter dem Gehorsam des Glaubens . Dehnt
sie ihre Betrachtung auf die äußeren Dinge aus,
so sei hier die Liebe ihre Führerin, in Weisheit
liebe sie und strebe nach himmlischer Freude , in
Freundschaft umfasse sie das Vernünftige, in Zucht
und Ehrbarkeit stoße sie von sich ab die sinnliche
Lust. Die Ordnung ihres Inneren nehme sie
"
muthig und entschlossen vor durch Starkmuth in
2
Ergreifung des Schweren , durch Großmuth in
42

Uebung des Löblichen , durch Demuth in der


Liebe zum Geringen. or gi 10:

500 210 S. 8.
Die Reinigung der Seele durch Bitterkeit
und Betrübniß geschieht : erstens durch Reue,
durch Schmerzen und Traurigkeit über sich 3 selbst,
erwägend , wie die Sünde sie selbst quale , wie
fie Jesum gequält habe , wie sie dadurch den
Nächsten beleidige ; zweitens durch Mitleiden
an den leidenden Chriftus, in ehrerbietiger Furcht
vor seiner Würde, in Zittern vor den verborgenen
Urtheilen Gottes, die, obgleich ihr nicht bekannt,
doch gewiß und wahrhaftig sind , wie die Zeit,
der Tag und die Stunde ; drittens durch
Theilnahme an dem Elende des Nächsten, welches
fien zubBitten und Flehen bewegen soll zu dem
Herrn , fest glaubend und vertrauend , er werde
helfen, wie er verheißen hat.
Die Erleuchtung der Seele durch Gleichförmig:
keit geschieht durch den Blick der Wahrheit, der
gerichtet sein muß nach dem Unbegreiflichen, der sich
erstrecken muß auf das Begreifliche, der leer sein
muß von eigenen und fremden Meinungen. Auch
die Liebe muß zu dieser Gleichförmigkeit wirken,
fie muß sich zu Gott erheben , auf den Nächsten
verbreiten der Welt entsagen; ( 1 dazu nun ist
Starkmuth vonnöthen , Muth , das Wahre und
Gute zu unternehmen , Muth , sich für alles Ge=
meinnüßliche zu gemeinsamen, Muth, alles Schlechte
zu verabscheuen. *adi
Die Vollkommenheit durch Dankbarkeit wird
erreicht , wenn wir wachſam ſind auf den Herrn
43

und seine heilsamen Wohlthaten , wenn wir uns


freuen über die Köstlichkeit und den hohen Werth
ſeiner Gaben , wenn wir in Liebesneigung und
innigster Ergebenheit an ihn erglühen über seine
höchste Freigiebigkeit.
Wozu uns verhelfen wolle der Dreieinige
und Eine !
Buil della sig

9090308

sundvor sy nogulism EC

Send a tall med dnu salud for d


200 Arancio ) 91 ? FAI
pokamatias medije Cita
maitoje are red gunum.3 sd 2000 juta or
nd prend joth sellaisten sie om wing andşik
od
bloce ale dji gli eshato čuto!!? notuli orig
Folk Ak ein Torldof c
cid dnsion dine ad dnschfur bod
and A of and dro) th tar dhe D
doib' tuig und 33 med
21 Nordbfod slam al mhmodel 3992)
www up tha hd slie ma ni orta) hasting
-quinoll old good ting would al rand eri - de son
moglass Ch. astbotika Qongos) Vod predhoor
dork and (198, is i Cum sharpn lldar
rem folren dau sempf un
ipfic us dusunch Jours i sin ...
and done upid ul gets. Conion
Sopivad muis dona thi of
cables tim les
12 MORE 1994 :$1
197 46:06
* །།། NO
..) 3.
ky
+ WB
Die fünfHefte des Kindes Jesu .
mmm

Borrede

des heiligen Bonaventura.

Da nach der Lehre und dem Urtheile erha


bener , von Gottes Lichte besonders erleuchteter
und durch hohe Andacht entflammter Lehrer in
der Kirche Gottes die Betrachtung des holdſeligen
Kindes Jesu und die gottselige Beschauung des
eingefleischten Wortes Gottes süßer ist als Honig
und Honigseim und lieblicher als die süßesten
Gerüche , berauschend den Geist , tröstend die
f Seele und stärkend den Willen , so fing denn
auch ich, nachdem ich den Lärm vielfach zer
streuender Gedanken in mir beschwichtigt und
Highwaft
entfernt hatte, in der Stille bei mir zu erwägen
an, was ich denn in dieser Zeit über die Mensch
werdung des Sohnes betrachten und erwägen
wollte, damit auch mein Herz den Trost des
Geistes empfange und verkosten möge , obgleich
nur wie im Spiegel schauend , die Süßigkeit
meines Gottes in diesem Thale der Thränen,
damit mir , würde ich auch nur Weniges davon
-40
45

kosten , vollends alle Lust an irdischen , doch nur


erträumten Tröſtungen entginge ; da entwickelte
sich ganz im Geheim in meiner Seele der Gedanke :
wie eine gottergebene Seele das hochheilige Wort
des Vaters , den eingebornen Sohn unter dem
wa
Beistande der göttlichen Gnade und durch die
Kraft des Allerhöchsten geistlicher Weise empfangen,
gebären, ihn nennen , mit den frommen Weisen
ihn suchen und anbeten und ihn nach Vorschrift
des Gesezes dem himmlischen Vater seliglich im
Tempel darstellen und opfern und so als eine
wahre Schülerin des christlichen Glaubens die
fünf Feste des Kindes Jesus, welche die heilige
Kirche feiert , mit frommem Sinne und tiefster
Ehrerbietigkeit mitfeiern und in sich verherrlichen
könne. So 1 habe ich denn in Demuth das Fol
gende vortragen und mit einfältigen Worten
niederschreiben wollen . 1
Wer nun in dieser kleinen und geringen Abs
handlung auch nur zu einiger Andacht und Liebe
gegen Jesus den Liebenswürdigsten durch Lesung
derselben erweckt wird , der lobe und preise ihn
als den Urheber , den Anfang und die Quelle
alles Guten ; wirkt sie aber Nichts oder nur
Weniges dergleichen in seinem Gemüthe , der
rechne es nur dem unwürdigen Verfasser oder
vielleicht sich selbst und seinem unandächtigen,
etwa nicht demüthigen Lesen zu.

!..
4.A

46

むっ fir? sila &dpollos #t


**19 Erstes. Kapitel. M

Das erste Fest, die Empfängniß des Kindes Jesu.

29
are
SCUSA SON 51190
Zuerst also wollen wir mit einem durch Buße
{4 und Reue zerknirschten und dadurch gereinigten,
t durch das Feuer der Liebe entflammten und
nach oben erhobenen Herzewin heiliger Betrach
tung und mit frommen Gedanken erwägen , wie
eine fromme Seele den hochheiligen Sohn Gottes
Jesus Christus dem Geiste nachempfangen könne.
Wenn die Gott ergebene Seele erregt und
angetrieben entweder von der Hoffnung des ewigen
seligen Lebens oder von der Furcht der ewigen
--Auf *
Strafe, oder im Ueberdruſſe ihrer langen Pilger
fahrt in diesem Thränenthale in heiliger • Liebe
gegen den Herrn entzündet , mit göttlichen Ein
sprechungen heimgesucht, in himmlischen Betrach
tungen geübt ist und die alte Unart von sich abe
J
geworfen , den ehemaligen thörichten Wünschen
völlig entfagt hat und nun von dem Vater
TAY

der Lichter , von dem alle gute und vollkommene


Gabe tömmt, mit dem Entschlusse eines in Gott
und seinem heiligen Geiste erneuerten Lebens
durch den Geist der Gnade im Geiste befruchtet
4
wird , was geht da Anderes vor , als daß
durch Ueberkommung der Kraft des Allerhöchſten
und Ueberschattung der göttlichen Gnade, und
in dieser Kraft zähmend die unordentlichen Be
gierden, erhebend und stärkend das geistige Auge
nach oben , der himmlische Vater mit göttlichem
Samen sie befruchtet und den Keim des Lebens
in sie legt ? Und daß diese heiligste Empfängniß
一番
47

wirklich ihr geworden sei, dafür zeugen an ihr


alle Merkmale. Ihr Angesicht erbleicht. Kennst
du diese Blässe ? Sie ist ihr in wahrer Demuth
geführter Lebenswandel Speise und Tranknekelt
fie an. Kennst du den Ekel? Es ist der Ab
scheu alles Vergänglichen , die volle Verzichtlei
stung auf alles Jrdische. ... Sic
the Sie hat mancherlei
Wünsche, möchte dies und das. Verstehst du
diesen Wechsel der Neigung und des ! Wollens ?
Sie hat der himmlischen Güter so viele vor sich
und jedes reizt sie, sie wünscht, sie zumal zu be
fizen. Sie wird zuweilen matt und erkrankt.
Weißt du von dieser Krankheit ? Sic ist die Ver
Leugnung ihres Eigenwillens . Du siehst sie trau
rig und betrübt. Kennst du die Ursache ? Sie
trauert über ihre ehemaligen Sünden und Ver
brechen, über den traurigen Zeitverlust im Sün
"
denleben, fie trauert J über den harten , unaus
weichlichen Zwang, mit irdisch Gesinnten, mit
Weltlingen leben und sich abgeben zu müſſen.
Nun wird ihr allgemach Alles zum Ekel , was
fie umgiebt. Woher das ? Sie erblickt nämlich
außer sich Alles, was, trauernd und sie schmerzend,
innen fich regt. Aber o selige Empfängniß, wel
cher solcher Welt- Ekel und solches Verlangen
nach dem Himmlischen folgt ! Das Fleisch erfeufzt,
das Irdische verschwindet jobgleich der Geist
nur Einiges erst gekostet hat. Nun erhebt sich
die Seele mit Maria , fie eilt mit ihr über das
Gebirge , fie kann nicht ferner im Niederen wei
len , sie sehnt sich nach der Höhe , nach dem
Himmel, nach dem Ewigen, sie vermag sich nicht
mehr zu halten in der Gesellschaft der irdisch
48

Gesinnten, sie sucht den Umgang und die Freund


schaft derer , welche nach dem Himmlischen ver
langen. Nun dient fie mit Maria der Elisabeth,
jenen nämlich , in welchen die göttliche Gnade
durch größere Liebe sichtbar ist. Und das ist
wohl zu bemerken und wirklich für Biele: sehr
14
tw nöthig. Je mehr sie sich J der Welt entziehen,
um so genauer und enger sollen (1 sie sich den
Guten anschließen , dadurch würde ihnen aller
dings der Umgang mit Schlimmen noch weit
है तकोंके eher und mehr verleidet , denn lieblich ist's , mit
guten j und geistlichen Menschen umzugehen; ihr
frommer Wandel zieht das Herz an und das
gottliebende Herz entzündet das andere mit glei
冲撞 cher Liebe. Der heilige Gregorius sagt :: Wer
einem frommen Manne sich ergiebt , den wird .
dessen steter Anblick , seine Art zu reden , das
Beispiel seines Wandels ! entzünden in der Liebe
zur Wahrheit , tilgen die Finsterniß der Sünde
in ihm und ihn verlangen machen nach dem
Lichte Gottes. So spricht auch der Lehrer Ifidor :
R tor
Suche den Umgang mit Guten , es wird nicht
Wy fehlen , daß, wie du ihr Gesellschafter im Leben
bist , du auch an ihren Tugenden Theil nehmen
‫ܕ‬

4 wiritusel Poster 3
t Das erwäge, du fromme Seele , und denke
dich" in die Gesellschaft der Maria und Elisabeth,
welche heilige , reine , fromme Gespräche von
Beiden geführt worden , wie sie sich wechselseitig
*』
erbaut, wie in frommer Liebe sie zusammen gewirkt
und sich gedient, haben , wohl haben Beide ein
ander durch Wort und Beispiel zu immer höherem
PROD Das ahme
Guten aufgefordert und ermuntert.
49

du nach, o meine Seele, überzeugst du dich, daß


du empfangen habest vom heiligen Geiste das
erneuerte Verlangen nach himmlischem Wandel,
fliehe die Gesellschaft der Bösen, erhebe dich mit
Maria , suche den Rath erleuchteter Seelen, ahme
die Vollkommenen nach, merke auf die Worte,
Werke und Beispiele der Guten , höre nicht an
den verderblichen Rath der Sünder , die immer
nur verderben und verführen , die dich nur hin
dern , dein rühmliches Vorhaben vernichten , we
nigstens den dir ; vom heiligen Geiste gegebenen
Muth lähmen wollen, die, um dich um so sicherer
verführen zu können, unter der Larve des Guten
und selbst der Frömmigkeit das Gift der sünd
lichen Nachlässigkeit dir beizubringen suchen, die
zu dir sprechen : Es ist doch wohl zu viel , was
du unternimmst , zu schwer , was du anheben
willst , unerträglich , was du dir aufbürdest ; da
zu reicht deine Kraft nicht aus , nimmermehr
vermagst du das , dein Körper unterliegt , der
Kopf wird dir schwindeln , deine Sinne schwächst
du nur und deine Gesundheit , du wirst dir ge=
fährliche Krankheiten zuziehen, wirst dich schwächen
bis zur völligen Abzehrung , zur gänzlichen Ab
ſtumpfung aller Sinne, selbst dein Verstand wird
sich verdüstern , du wirst dich ganz zu Grunde
richten ; das werden die traurigen Folgen sein,
lässest du nicht ab von deinem Vorhaben und
bedenkst besser deine Gesundheit. Die Dinge,
welche du vorhast, geziemen nicht deinem Stande,
du kömmst dadurch um Ehre und Ansehen.
Siehe doch, wie die Leute Zuchtmeister , ja selbst
Aerzte geworden sind , die sich selbst weder in
4
50

der Zucht zu halten , noch ihr eigenes Verderben


zu heilen verstehen. Ach leider ! wie Viele , ja "
411
selbst wie viele schon Gute haben dergleichen
A
verfluchte Reden zu Grunde gerichtet und den
durch Wirkung des heiligen Geistes schon empfan
genen Sohn Gottes in ihnen getödtet ! Das ist
sory jener gottloje , 1 vergiftete Trank , jene teuflische
‫ف‬ Einflüsterung, die das empfangene Göttliche in
jeinem Entstehen verhindert , das durch aufrichti
gen Vorsaß schon Gebildete , durch heiliges Ge
-
lübde schon Belebte tödtet, zerstört und vernichtet.
Doch nicht Alle , die dagegen sprechen , ge
hören unter die Zahl dieser bösen Verführer,
auch manche gute und selbst religiöse Menschen
erlauben sich oft, ihre Einwendungen zu machen, .
und obgleich ich alle Achtung habe gegen ihren
Stand und ihre Würde, muß ich sie dennochschwache
und übertrieben furchtsame Seelen heißen , die
da nicht erwägen wollen , daß die Hand des
Herrn noch nicht abgekürzt sei , daß er , so wie
ehemals , auch jetzt noch die Macht und die Liebe
habe , uns zu helfen und liebend uns helfen zu
wollen ; sie eifern zwar für Gott , aber wahrlich ✓
nicht mit Weisheit ; sie sind vielmehr jene schwachen
Mutterherzen , die einen fremden Schmerz gar
nicht sehen können, die immer zittern und sogleich
den Tod des Leibes oder Krankheit wenigstens
ahnen , wo sie den Nebenmenschen kräftig , obgleich
unter Leiden des Leibes, wirken, leben und han
deln sehen ; als recht und gut erkennen sie es
zwar und haben es immer dafür gehalten, hatten
wohl auch schon ehemals und öfters den Willen,
dergleichen selbst zu versuchen ; aber der Muth
**!
51

fehlte zum ersten Anfange, daher ihr fürchtsames


Warnen, ihr unmännliches Mahnen, was gleich
gültig wäre , zögen sie nur nicht dadurch Andere
vom Wege der Vollkommenheit ab ; den gemeinen
Weg, ihren Weg , die gemeine Lebensweise , ihre
Weise rühmen sie an , vor Allem , was darüber
hinausgeht, warnen sie selbstklug ; aber die Kurz
fichtigen , sie hindern in dir den Rath Gottes
an dich , und du mußt dich vor ihren Mah
nungen und Reden mehr hüten , als vor den
schlechten Zuredungen der Ersteren , weil ihre
Zusprache weit gefährlicher für dich ist , da die
Ehrbarkeit ihres Lebens für sie bei den Ersteren
aber ihr Wandel gegen sie spricht.
Aber noch Andere sind, die dir in der jeßigen
seligen Fruchtbarkeit deines Geistes höchst ver
derblich werden können , wenn du fie hörst , fie
führen die giftige Sprache der alten Schlange, dich
zu verderben, sie sprechen zu dir : Wenn du freilich
so lebst, wie du jezt wirklich lebst, so müssen dich
alle Leute als einen Heiligen, als einen Gerechten
und Frommen ansehen ; aber sehe doch zu , ob
du der seiest , der so Etwas wagen darf; noch
ist in dir das nicht , was Andere dir zutrauen,
vor dem Auge des höchsten Richters liegen deine
alten, greulichen und vielen Sünden ganz offen
dar, er kennet dich , wer du warst , du bist
schuldig vor ihm dir wird er streng vergelten,
dein Unternehmen wird dir wenig helfen , du
wirit nur als Heuchler und Gleißner vor ihm
stehen , dessen du dich jezt unterfängst ; daran
dürfen sich nur die wagen , welche rein sind und
von jeher rein waren , welche stets in Unschuld
4*
52

und , Heiligkeit gelebt haben , welche um Gottes


willen Allem entsagten , welche ihr ganzes Leben
hindurch Gott vollkommen angehangen haben ; und
unter die Zahl dieser gehörst du doch wohl nicht ?
Aber , du geliebte fromme Seele , höre diese
schimpflichen Menschen nicht , fliehe von ihnen,
fliehe mit Maria auf das Gebirge und erinnere
dich an Paulus , den ehemaligen Sünder Saul ;
der stand noch nicht gar lange im Dienste des
Herrn , als er ihn in den dritten Himmel ent
zückt hatte , wo er den Herrn von Angesicht zu
Angesicht schaute. Denke an Maria , die Sün
derin, die hoffärtige , die gefallsüchtige , die eitle,
die unzüchtige ! Nicht lange nach ihres Herzens
Aenderung erblickt du sie an den Füßen Jesu
fißen in der Mitte der Apostel des Herrn und
mit dem Heißhunger der Liebe die Lehre der
Vollkommenheit aus seinem Munde vernehmend ;
sie war die Erste, die vor Allen gewürdigt wurde
des ersten Sehens des auferstandenen Gottmen
schen; sie war die erste und standhafte Verkün
digerin der seligen Botschaft an die Anderen,
denn bei Gott ist kein Ansehen der Person , er
sieht nicht auf unseren hohen oder niederen Ur=
sprung, nicht , wie lange und wie viel wir in
seinem Dienste gewirkt , sondern mit welchem
Eifer, mit welcher Liebe wir ihm gedient haben,
er will nicht mehr wissen, wer du ehemals warst;
wer du aber geworden seist durch die Liebe, das
1
weiß er jeßt. Darum fliehe , o Seele , die du
den göttlichen Samen in dir trägst , dergleichen
"
unsinnige Reden, wenn sie die Dummheit spricht,
oder solche gottlose Reden , wenn sie Satan aus
53

eines Menschen Munde vorbringt. Bist du auch


noch nicht durchaus und ganz so , wie du sein
solltest und wolltest, so tröste dich doch dessen,
was dir schon geworden ist ; es ist doch wohl
besser, einen Theil zu haben, als gar nichts . Thö
richt wäre es ja , die Sache als verloren aufzu=
geben, weil wir sie ehemals verloren hatten oder
noch verlieren könnten, und dumm wäre es, das
nicht hinausführen zu wollen aus Furcht , es
. möchte etwa nicht gelingen , weil es ehemals in
dem alten Sündenstande nicht gelang. Kannst
du dein Heil nicht mehr finden in der Unschuld,
die du verloren , suche es in der Buße , und du
wirst es in ihr finden. Bist du keine reine
Jungfrau mehr , so schäme dich nicht , eine Bü
Berin zu sein , wie die beiden Marien aus
Magdala und Egypten. Hast du deine Jugend
nicht wohl angewendet zu deinem Heile , so ver
säume wenigstens dich in deinem Alter nicht ;
triebst du dich im wilden Meeres - Sturme herum,
sterbe wenigstens am friedlichen , stillen Ufer.
Sobald du also fühlst , daß du das holdſe
lige Kind Jesus durch ernsten heiligen Vorsag
in dir empfangen habest, so schließe dein Ohr
und Herz vor allen diesen genannten giftigen
Einflüsterungen und sei daran , deine Heiligen
Entschlüsse und Hoffnungen bald zu einer glück
lichen Geburt zu bringen. Doch das erwäge
und bedenke noch : nicht gleich nach der Empfäng
niß hat die selige Jungfrau den Sohn geboren,
sondern es vergingen bis dahin noch neun Mo
nate. Darum liegt zu deiner Lehre ein ver
borgener Sinn : traue nicht jedem Geiste, schreite
54

vielmehr, o geliebte Seele , wenn in dir neue


Lichter aufgehen, neue Offenbarungen dir werden,
ungewöhnliche Triebe nach hoher Vollkommen
heit erwachen und dein Herz entzünden , nicht
sogleich auf eigenen Rath zu Werke , sondern
überlege Alles sowohl mit dir selbst, als auch
vorzüglich mit anderen gottseligen und in diesen
Dingen erfahrenen Seelen , ob die Eingebungen
die ächten und 2 erlaubten , ob Lat sie anständig und
heilsam seien , ob sie mit der Lehre der Prophe
ten übereinstimmen , ob sie nicht der Lehre der
Apostel, der heiligen Väter widersprechen und
ob sie mit dem Leben und den Beispielen der
Heiligen übereinstimmen oder diesen wohl gar
widerstreben. Ist das gehörig geschehen , dann
:
eile zum Werke, denn nicht ohne Gefahr für
dich würde es sein , wenn du lange und immer
mit dergleichen Einsprechungen dich im Herzen
"
beschäftigen und doch zur Ausführung und Boll
endung des Guten so langsam oder gar nicht
vorschreiten wollteſt.
11
37
Zweites Kapitel. Rix
Die Geburt des Kindes Jesu, als zweites Fest.

Merke und erwäge, wie der gebenedeite. Sohn


Gottes geistlicher Weise im 2 Innern + unseres Her
zens geboren werde, la moda 4bafod out
Hat die Seele den heilsamen Entschluß_ge
faßt , hat sie Alles , was sie thun will und foll,
wohl erwogen, Gott um seinen Beistand ange
fleht, dann schreitet sie zur Ausführung ihres
55

Vorhabens , jezt wirkt sie , was sie sich vorge


nommen hat , der reife Gedenke wird That , der
fromme Wille wird wirkliche Wahrheit, sie greift
mit Muth zum Werke, zu dem sie sich längstens
entschlossen hat und von dessen Ausführung sie
bisher nur die Furcht abhielt, ob es ihr gelingen
werde und sie nicht unterliege. Siehe , das ist
die geistliche Geburt des Kindes Jesus in deinem
Herzen! Dieser seligsten Geburt erfreuen sich die
Engel, verherrlichen und preisen Gott und ver
kündigen Friede, denn Friede ist dir geworden,
o Seele , in deinem Innern , weil du das lange
erwogene Werk ausgeboren und vollbracht hast ;
nun ist der Kampf. siegreich vollendet , nicht fer
ner verlangt das Fleisch wider den Geist und
der Geist gegen das Fleisch. Wo nimmermehr
Friede sein kann , da der Geist fordert das Eine
und das Einsame , das Fleisch hingegen den
Lärm liebt und die Bielheit , der Geist nach
Christus verlangt , das Fleisch nach der Welt
lüstert , der I Geist Gott in der Ruhe schauen,
das Fleisch hingegen geehrt und vorgezogen sein
möchte in der Welt ; nur wenn dieses einmal
untergeben ist unter die Herrschaft des Geistes,
nur wenn das an seinem Werden und Erscheinen
durch das Fleisch lange genug gehinderte Werk
vollendet ist , dann ist Friede von innen , Jubel
und Freude t des Geistes . Bei dieser Geburt
ertönt kein Jammer und Klagen , da ist nicht
Wehe und Angst, nicht Schmerzen und Thränen,
vielmehr hohes Entzücken , Jubel und Gottes
Berherrlichung über " die neue , unversehrte , hei
lige Vollendung der Geburt. selige Geburt,
56
པལ་བ

begleitet und hoch gefeiert von allgemeinem Froh


locken der Engel und Menschen, jezt erst, o Šeele,
erlebst du die Wahrheit des Wortes deines
Herrn , da er dich aufmuntert zu sich , da er dir
sagt : Nehmet auf euch mein Joch und lernet
von mir , daß ich sanftmüthig bin und demüthig
von Herzen , und eure Seelen werden Ruhe fin
den , denn sanft ist mein Joch und leicht die
Bürde, die ich auflege.
Freut dich nun, o geliebte Seele, diese fröh
liche Geburt, so erwäge aber auch, daß du Maria
sein müſseſt, was ein bitteres Meer heißt , auch
eine Erleuchterin, eine Frau oder Gebieterin . So
sei denn ein bitteres Meer in scharfen Thränen
der Buße und Reue , beweine deine begangenen
Miffethaten , erseufze aus der Tiefe deines Her
zens über das vielfach unterlassene Gute , klage
über die so nuglos verlebten Tage. Werde zwei
tens eine Erleuchtung für Andere, leuchte ihnen
vor im tugendlichen Wandel und frommen Leben,
Jehre sie das Gute kennen , das Gute und Gott
gefällige suchen und lieben. Sei drittens eine
Gebieterin , sei Gebieterin über deine Sinne,
gebiete der sinnlichen Lust , ordne und leite alle
deine Handlungen , alle deine Werke nach der
Richtschnur deines Gewissens , einzig bezweckend
deine Heiligung und des Nächsten Erbauung, nichts
wollend als Gottes Lob , Preis und Verherr
1
lichung; das ist jene glückliche Maria , beweinend
ihre Sünden, erglänzend in Tugenden , gebietend
der Lust des Fleisches , von ihr läßt Jesus
Christus sich geistlich gebären ohne Schmerzen
und Arbeit in großer Freude , und hat sie ihn
57

geboren , dann erst erkennt und kostet sie , wie


süß und lieblich der Herr Jesus ist , ja wahr
haft süß und lieblich, wenn sie ihn nährt durch
heilige Betrachtungen, wenn sie ihn badet in den
warmen Thränen der Liebe und Inbrunst, wenn
sie ihn einfätschet mit keuschen Begierden wie
..
mit reinen , weichen Hüllen , wenn sie ihn trägt
im Armé der heiligen Liebe, wenn sie ihn küsset
in heiliger Flamme der Andacht , wenn sie ihn
wärmt und liebkoset im Schooße ihres innersten
Herzensgrundes , denn geboren wurde er , nicht
daß er verstoßen und gering geachtet , sondern
daß er als ein königlich Kind mit aller Sorgfalt
und Liebe gepflegt und erhalten werde
Nach der Väter Lehre und Nachricht haben
sich bei der Geburt unseres Herrn viele Zeichen
und Wunder ergeben ; wie muß ich wünschen, daß
Alles , was da in der äußeren Natur geschah,
in dir , o glückliche Seele , geistlicher Weise ge
schehen möge ! So sollen an dem Tage der Geburt
des Herrn die Mauern des Tempels des Friedens
in Rom vom Grunde aus eingeſtürzt sein , die
Weinberge Engaddi in selbiger Nacht geblüht
und Balsam getragen haben, eine Quelle in Rom
goß statt Waſſers Del aus , welches floß bis
in die Tiber die ganze Nacht hindurch. Ein
großer Stern erschien in Gestalt eines schönen
Knaben mit einem leuchtenden Kreuz auf seinem
Haupte. Drei Sonnen ließen sich sehen und zer
flossen nach und nach in eine. Ein goldener
Ring umgab die Sonne am hellen Mittage, und
in des Ringes Mitte prangte eine herrliche Jung
W
frau , im Schooße ein Kind tragend. Doch
58.

genug davon. Sagt uns ja das Evangelium, daß


an diesem heiligen Geburtsfeste das Engel-Heer
erschien , die Hirten des Heilandes Geburt ver
kündigten. Sehe zu , gläubige , geliebte Seele,
"
daß das , was da geschehen ist in der äußeren
Welt , in dir geistlich erfunden werde , wenn du
anders die Mutter Jeſu aus Gnaden ſein willſt ;
das würde dich erst recht versichern , daß diese
heilbringende Geburt sich in dir ergeben habe.
Ist einer der Gößen- Tempel , jener des Stolzes
und der eitlen Ehrfucht, in dir eingestürzt , iſt
das Gößenbild der Habsucht und des Geizes zer
trümmert ? Merke : das wären wohl die erſten
Zeichen dieser heiligen Geburt , denn jezt fühlte
deine Seele sich entledigt der blinden Chrſucht,
an ihrer Stelle. stände die Demuth , den Geiz
hätte die Liebe f der Armuth vertrieben, die Liebe
der Keuschheit die böse Luft. Blüht in dir in
süßem Wohlgeruche dein, Weinberg, die Menge
der heiligen Begierden ? Fließt Del aus deinem
Brunnen , aus deinem Herzen die Werke der
Barmherzigkeit ? Leuchten die drei Sonnen im
Aufgange, in deinem Geiste die drei göttlichen
Tugenden und fließen zusammen in schöner wechsel
seitiger Vereinigung ? Glänzt noch der neue win
dervolle Stern in seiner Klarheit der göttlichen
Erkenntniß , steht noch der goldene Ring um
die Sonne , die heilige3 Neigung^ um die Gottes
kenntniß ?19 Ist die Jungfrau noch darin mit
dem holden Knaben , das reine Gebet 2 mit
brennender Andacht in heiliger Liebe ? Suchen
die Weisen in heiligem Verlangen und in er
neuerter Sehnsucht die Tugenden, die zu Jesus
59

führen ? Frohlocken dieM Engel, die tugendlichen


Gewohnheiten in Fertigkeiten in dir in hoher
Freude , verkündigen sie den Frieden im stillen,
sanften Herzen, verkündigen sie Jefum in deinem
hochbeglückten Herzen ? Endlich sehe wohl nach,
ob die Hirten die heiligen Betrachtungen den
kleinen neugebornen Jesus , der dir gegeben ist,
in seiner Krippe finden. Wohl ist dein, Herz die
Krippe Jesu , wenn es geschlossen ist ; nach unten
durch) Verachtung des Irdischen, wenn es nach
oben geöffnet ist durch die Sehnsucht nach dem
Ewigen ; hier, hier ist die Ruhestätte des Königs
der Armuth, dort ward erniedergelegt von
der Mutter , als sie ihn 1 geboren hatte , dort
fanden ihn liegend und ruhend die Hirten. D
köstliche , ! glückliche Krippe , in dir finde ich den
König der Herrlichkeit aus dirnehmen die
Thiere ihre Nahrung und die Engel ihre Freude,
die fromme Seele , ihren Trost und ihre Erquit
kung , dich preise, ich glücklich , aber noch glück
licher das Herz , denn das hat geistlich in sich,
was du zwar leiblich, aber bewußtlos trugſt !
MREX # 1

Drittes Kapitel .
Den Kinde wird der Name Jesus gegeben , und ist des
Kindes Jeſus drittes Feſt.
#N
eine eele
Betrachte nun, mmeine SSeele , wie du das in
dir geistlich geborene Kindlein nennen willst,
ich halte dafür , du könntest selbiges mit keinem
wahrhafteren Namen benennen , als mit dem
heilbringenden Worte Jesus ! ,, Sein Name ward
60

genannt Jesus , der vom Engel genannt wurde,


ehe er im Mutterleibe empfangen war " , sagt
das heilige Evangelium. Das ist der allerhei
ligste Name, längst verkündet durch die Propheten,
ein mächtiger Name , voll Freude , voll Gnade,
voll Süßigkeit, voll aller Herrlichkeit ; ein mäch
tiger. Name, der den Feind besiegt , die Guten
vereinigt , die Kraft erneuert , den Geist zu
fich bringt; ein gnadenvoller Name : auf ihm
ruht der Grund und Boden unseres Glau
bens , er ist die Stüße unserer Hoffnung , er iſt
die Fülle der Liebe , er ist das Ende und Ziel
der Gerechtigkeit ; ein freudenvoller Name : er
bringt dem Herzen Jubel , dem Ohre ist er ein
lieblicher Gesang , im Munde Honig , das Licht
des Geistes ; ein lieblicher Name : denkst du
ſeiner , er nährt dich , sprichst du ihn aus , er
tröstet dich , rufft du ihn an, er sänftigt dich,
schreibst du ihn nieder, er stärkt 2 dich , liesest du
ihn, er wird dein, Lehrer ; ein glorreicher Name :
den Blinden gab er das Gesicht , den Tauben
das Gehör, den Stummen die Rede, den Todten
das Leben , den Lahmen die geraden Glieder.
O hochheiligster Name, der so mächtig wirkt !
O meine Seele, wenn du lieſeſt , ſchreibst,

lehrst oder was immer thust , lasse teine
Freude, kein Wohlgefallen in dich eingehen außer
Jesus , er ist ja deines von dir geistlicher Weise
#
gebornen Jesus Name ; heiße er immer der
Sohn Gottes , der Abglanz der Herrlichkeit , das
Bild der Wesenheit Gottes , das Wort des Va
ters, die Kraft des Allmächtigen , der Erbe aller
Dinge, der Köuig der Könige , der Herrscher
61

aller Herrschenden ; heiße er Christus , der Ge


falbte , und zwar mit allem Rechte , da er ge=
falbt war zum Propheten in der Weisheit seiner
Lehre , zum Helden und Sieger über den Teufel,
zum Priester , als Versöhner der Menschen bei
dem Vater , zum Könige , da er den Seinen das
Reich geben wird. Alle diese Namen gebühren
ihm , so mögen ihn nennen alle Engel und Hei
ligen , mir heißet er Jesus ! Er sei mein
Erlöser und Retter in diesem armen , elenden
Leben , er soll mich reinigen von der Thorheit
der Welt, die mich versucht , mich retten von
der Arglist des Satans , der mir nachstellt, von
des Fleisches Gebrechlichkeit , die mich quält.
Rufe , o meine Seele , unter so vielen Plagen
dieses elenden Lebens : O Jesu , du Heiland der
Welt , errette uns, der du uns erlöset hast durch
dein Kreuz und dein Blut, stehe mir bei, o süßester
Erlöser, stärke mich Schwachen, tröste mich Armen,
hilf mir Gebrechlichen, kräftige mich Wankenden !
Doch wehe mir! Eines habe ich noch nicht
ermogen , ich muß es weinend sagen , und ein
hohes Geheimniß liegt darin zu unserer Darnach
achtung nicht gleich nach seiner Geburt wird
er beschnitten , nicht gleich wird ihm der Name
gegeben , sondern nach dem Geseße. muß der
achte Tag erwartet werden . Ich denke durch
diese Sieben-Zahl , die in der achten enthalten
ist, wären alle göttlichen und sittlichen Tugenden
in Bereinigung und im Bande des Friedens vor
gebildet ; denn nachdem er vermöge seiner Macht
alles Widrige erduldet , nach seiner Gerechtigkeit
den Elenden und Verlassenen geholfen, nach seiner
62

Unschuld und Heiligkeit die Begierlichkeit besiegt,


durch seine Weisheit die Arglist der Welt und
der alten Schlange abgewiesen hat , so ist er
unser Vorbild und Muster geworden, wir müſſen
in den erstgenannten Tugenden uns geübt, dann
im Glauben Gott als den Schöpfer aller Dinge
erkannt, durch Hoffnung und Vertrauen auf ihn
in allen unfern Werken ihn als unseren Vergelter
bekannt, ihn durch die Liebe als den Geber, alles
Guten aus ganzem Herzen geliebt haben , dann
kommt endlich der achte Tag der Beschneidung,
wo von der Seele hinweggenommen werden alle
trügerischen Einbildungen, alle unnüßen und eitlen
Gedanken, alle Unruhe gestillt und die regellosen
Neigungen durch den Ernst der Beschauung be
schwichtigt werden , wo dann endlich die Seele
selig in dem Herrn ruht. Jezt erst wird dem
Kinde der Name gegeben , jeßt erst vernehmen
wir den holden Namen Jesus , jezt erst fühlen
und kosten wir seine Süßigkeit , jezt erst seine
Kraft, jezt erst bringt er uns Freude..
Welche Süßigkeit meinest du wohl , meine
Seele , wird die glückliche so wie natürliche so
auch geistliche Mutter Jesu, die Jungfrau Maria,
nachdem dem Kinde der Name Jesus gegeben
war , gefühlt haben , als 7 sie erfuhr , daß in
diesem Namen die Teufel ausgetrieben, die Blinden
sehend , die Kranken gesund , die Todten aufer
weckt und der Wunderthaten so viele durch diesen
Namen gewirkt wurden ? Gleiche Freude wird
auch dir werden , o Seele , du geistliche Mutter
Jesu, wenn du inne werden wirst , daß dein ges
1
benedeiter Sohn Jeſus aus dir und aus . Anderen
63

die bösen Geister vertreibt , indem er die Sünde


nachläßt , die Blinden erleuchtet durch Mitthei
lung der wahren Erkenntniß, die Todten erweckt,
da er sie wieder zu Gnaden aufnimmt , die Kranken,
die Lahmen , die Gichtbrüchigen , die Krüppel
heilt , da er sie aufrichtet durch Stärkung des
Geistes , daß sie nun zur wahren Manneskraft
des Geistes erstarkt sind durch seine Gnade , die
zuvor so J matt und elend ". waren durch ihre
eigene Schuld. O wahrhaft seliger und heiliger
Name, dem solche Kraft und Wirkung inne wohnt,
der Freude spendet , das Herz im Jubel der
Liebe berauscht und seine Süßigkeit Allen mit
theilt !

Viertes Kapitel.

Die vierte Feierlichkeit des Kindes Jesu in der Anbetung


der Weisen.
}
Wenn die Seele durch die göttliche Gnade
das holdselige Kind Jesus geistlich in sich em=
pfangen , geboren und ihm den füßen Namen
gegeben hat , dann suchen die drei Könige (die
Weisen) nämlich die drei Seelen-Kräfte, die aller
dings den Namen der Könige verdienen , da 1 fie
den Sinner und dem Fleische gebieten und sich
allein mit göttlichen Dingen als wahre Könige
beschäftigen, das ihnen schon mannichfaltig geoffen
barte kind in der Hauptstadt , d. h. in dem
ganzen Weltall , und hoffen , es da zu finden.
Sie suchen dasselbe in frommen Betrachtungen,
in gottseligen Begierden , und in heiligen Ge
danken fragen sie : Wo ist der Neugeborne ?
64

Wir haben seinen Stern im Morgenlande ge=


R
sehen", haben ihn leuchten sehen im Gott erge=
benen Herzen , seine Klarheit erkannt in dem
innersten Grunde der Seele ; wir haben seine
Stimme , die liebliche , vernommen , haben seine
Süßigkeit gekostet , die Alles übertrifft , seinen
Wohlgeruch, den bezaubernden, er hat uns seinen
Kuß gegeben , den wir in seiner Süße nie ver 2

gessen. So befriedige denn , Herodes , unsere
Sehnsucht , antworte uns , zeige uns unsern Ge
liebten, lass' uns sehen das ersehnte Kind ! Dei= VM
netwegen sind wir nicht gekommen , wir wollen #1
deine Herrlichkeit nicht sehen, wir verlangen keine Q
Gnade von dir, wir wollen deiner Königs - Würde
nicht huldigen, denn deine Gnade, die du ertheilen
wolltst, wäre doch nur ein Geschenk von ihm an
dich, deine Königs - Würde hast du von ihm, deine
hohe Stelle ist seiner Macht Werk , deine Reich
thümer sind sein Schatte , deine Herrlichkeit und
Größe zusammen find ein kleines Fünklein von
seiner unendlichen Güte und Macht ; zwar finden
wir Etwas an dir als Könige , was wir auch
an ihm erkennen, lieben und verlangen, aber das
kann uns nicht genügen , denn deine Ehre und
Ruhm ist nur ein Wink seiner Herrlichkeit ; so
ſage uns denn und halte uns mit nuglosem
Schweigen nicht lange hin , sprich: wo ist der
Neugeborne ? wo iſt die Majeſtät, die sich unter
thänig gemacht hat ? wo ist die Größe , die so
klein geworden ist ? wo ist die Länge , nun fo
kurz begrenzt ? wo die Breite , die zur Linie ge
schwunden ist? wo ist das flimmernde Licht,
wo das Waffer , das ſelbſt dürstet ? wo das
65

Brod, das jezt hungert ? Sag' an , wo ist die


Macht , die im Gehorsam regiert wird , wo die
Weisheit , die Unterricht empfängt , wo die
Stärke , die Unterstügung bedarf, wo ist das.
Wort des Vaters , das als Säugling an der
Mutter liegt? Sage uns , wo der ewige Sohn
Gottes als Kind gefunden wird, wo der Abglanz
7
der Majestät des Vaters in Windel gefätschet
zu sehen ist, wo wir Den in der Wiege weinen
hören, welcher der Tröster der. Elenden ist ? Wo
können wir den auf der Mutter Armen Getra=
genen schauen , der die Grundveste und der Er
halter aller Engel, aller Menschen, des Himmels
und aller Kreaturen ist ? Den suchen wir, nach
dem verlangen wir. -O süßes, innigst geliebtes
Kind , du Emiger , du Kind vom Anfange der
Welt , wann werden wir dich sehen, wann dich
finden , wann werden wir vor deinem holden
Angesichte erscheinen ? Nimmermehr können wir
uns freuen ohne dich , mit dir wollen wir uns
freuen , mit dir weinen , was dir mißfällig ist,
ist auch uns zuwider , dir wohlzugefallen , ist
unsere stete Freude, unser Verlangen. D , wenn
Weinen über dich schon so süß ist, wie süß wird
es sein , sich freuen über dich ! Wo bist du also,
den wir suchen , wo bist du , du in Allen und
über Alles Ersehnter und Erwarteter ? wo ist
der neugeborene König der Juden , die Vorschrift
der Frommen , der Schüßer der Unglücklichen,
das Licht der Blinden, das Leben der Sterbenden,
-
das Heil der ewig Lebenden ? Nun erfolgt
die Antwort auf die zärtlichen Fragen der Liebe,
die ächte, ganz passende Antwort : In Bethlehem
5
66

Juda !" Das ist das Haus des Brodes , Juda


ist der Gottes : Bekenner. Hier wird Christus
gefunden , wo die Sünde bekannt , dann das
himmlische Brod des Lebens , die Lehre des
Evangeliums vernominen , erwägt und im guten,
frommen Herzen bewahrt wird zur Darnachach
tung für sich und Andere. Da wird das Kind
Jesus mit der Mutter Maria gefunden, wo nach
Herzlicher Reue , nach heilsamer Bekenntniß der
Sünden manchmal unter einem " Strome/ von
Thränen die Süßigkeit der himmlischen Tröftung
gekostet wird , wo das Gebet , das unser Herz
beinahe in Verzweiflung anfing , sich in Freude
endet über die gewisse Hoffnung der Verzeihung.
O selige Maria, die Jesum empfangen, die Jesum
geboren hat und bei der Jesus so liebreich und
freudvoll gefunden wird !
Hier bemerke , v Seele , die Könige suchen
Jesus , um ihn in tiefster Ehrfurcht anzubeten,
die Weisen und Lehrer juchen ihn , um von ihm
die Lehren der Wahrheit mit aller Aufmerksamkeit
zu vernehmen , die Braut sucht ihn , um sich
seiner im geheimen wechselseitigen Liebe- Gespräche
zu erfreuen, Maria sucht ihn, um den Verlornen
wieder zu finden und den Gefundenen nie mehr
zu verlieren. So sucht denn auch ihr, ihr fromm
gestimmten Kräfte der Seele , ihr drei Könige
des Menschen, mit diesen irdischen Königen Jefum,
um ihn anzubeten , in Ehrfurcht anzubeten, denn
er ist euer Schöpfer , euer Erlöser , euer Ver
gelter ; euer Schöpfer nach dem natürlichen Leben ,
euer Erlöser durch die Erneuerung des geistigen
Lebens , euer Vergelter mit dem ewigen Leben.
67

Betet ihn an in Ehrfurcht , den allmächtigen


König, betet ihn an in Anerkennung seiner Würde,
er ist der höchste Lehrer der Weisheit, betet ihn
an mit Freude und Fröhlichkeit , er ist der frei
gebigste Herr, ja mit Freude betet ihn an, er ist
'
der Fürst der Gerechtigkeit , betet ihn an nach
ſeiner Würde , er ist das Licht der Wahrheit,
betet ihn an mit Inbrunst, er ist die helle Flamme
der Liebe. Aber nicht bloß Beten und Anbeten,
auch Opfer müßt ihr ihm bringen, Opfer im Golde,
im Golde der brennendsten Liebe, Opfer am Weih
rauche der innigsten Ergebenheit, Opfer an Myrrhen
der bittersten Reue, und zwar das Gold der Liebe
für erhaltene Wohlthaten , den Weihrauch der
Andacht für die euch von ihm verheißenen Gaben,
die Myrrhe der Reue über eure begangenen Sünden.
Das Opfer des Goldes gebührt seiner heiligsten
Menschheit , die Myrrhe seinem Leiden. Sucht
ihn auf, ihr Könige , ihr Lehrer , damit er euch
offenbare die Geheimnisse seiner unerforschlichen
Weisheit, daß er euch zeige die Großthaten seiner
wunderbaren Macht, daß er euch lehre seinen
T
Willen und den ihm gefälligen Wandel. Sucht,
ich wiederhole es , mit Ehrfurcht die Merkmale
feiner Allmacht, die Alles aus Nichts schuf , die
Spuren seiner Weisheit, die Alles so herrlich ge=
ordnet , jedes Einzelne so huldvoll geziert hat ;
sucht ihn in Demuth , den unerforschlichen Gott,
wenn es anders dem armen Erdenpilger erlaubt
ist , hier schon nachzuforschen dem höchsten Ge
heimnisse Gottes in der Dreieinigkeit, dem höchsten
Geheimnisse des menschgewordenen Sohnes , wie
der menschliche Leib , die menschliche Seele und
5*
68

die Gottheit in einer und derselben Person


bestehen ; wie der Vater von Ewigkeit aus sich
selbst, der Sohn vom Vater allein sei und der
heilige Geist von Beiden ausgehe. Den ihr
sucht , ihr Kräfte der Seele , ist der Lehrer und
Inhaber aller Wahrheit , bei ihm nur kann die
Wahrheit ursprünglich gesucht, aber auch gefunden
werden , durch ihn ist die Wahrheit sichtbar er
schienen, auf ihn als das Ziel und Ende muß
alle Wahrheit zurückgeführt werden . Er lehrt
alle Wahrheit , die Wahrheit des Lebens , welche
von der Ueppigkeit des Lebens so vielfach entstellt
worden ist , er hat die wahre Lehre , die leider
die nur Lust suchende Eitelkeit in so vielen Herzen
geblendet hat; er lehrt die wahre Gerechtigkeit,
welche die schändliche Habsucht so jämmerlich ver
dunkelt hat. So sucht denn , ihr drei Menschen
Könige , ihr Christus liebenden Seelen - Kräfte,
sucht Jesum , daß er euch lehre alle Wahrheit,
die Wahrheit des Lebens, um zu wissen, wie ihr
euch selbst heilsam und ersprießlich regieren könnt,
die Wahrheit der Lehre, um zu erkennen, wie ihr
die euch untergebenen leiten und löblich führen
könnt , die Wahrheit der Gerechtigkeit, um einzu
sehen, wie ihr Gott in ſtrengstem Gehorsam dienen
follt.
Auch mit der liebsten Braut sucht Jesum im
Garten der Ergözung und der Freude , wo er
mit den Jungfrauen wandelt , Lilien pflückt mit
den Reinen, wo er die Frucht seines Gartens mit
ihnen genießt ; sucht ihn in dem Weinkeller, dort
hat er sein Abendmahl bereitet , wozu er aber
nur seine geheimſten, vertrauteſten Freundinnen,
69

die ihm folgen, wo immer er wandelt, eingeladen


hat, wo er sich umgürten wird , als ihr Diener,
fie niedersißen heißt und umgehend selbst sie be
dienen will, wo er ihnen die edelsten Gaben aus
der Fülle seiner ewigen ‫ مو‬hochheiligsten und ver
borgenen Gottheit zu genießen, den Trank seiner
+
reinsten und liebevollsten Menschheit zu kosten
geben wird ; sie trinken, die Lieben, und sie werden
berauscht, die Allerliebsten. Sucht ihn in der
Schlafkammer , hier ruht er mit der t Braut in
füßer Umarmung und dem Kusse der Liebe , da
ruht er am Mittage, wann der Glanz der ewigen
Wahrheit im vollen Lichte strahlt , die Hiße der
göttlichen Liebe in süßer Lohe flammt, hier flüstert
er der Braut die höchsten Geheimnisse seiner tiefen
und unerforschlichen Weisheit ein , hier theilt
er ihr die Gaben seiner höchsten Herrlichkeit mit,
hier liebloset er ihr , hier tröstet er sie hier
spricht er sie unmittelbar an, bietet ihr Alles an :
Begehre von mir, was du willst, es soll dir werden !
Dihr Seligen, ihr Ueberseligen , die ihr Jesum
findet in seinem geheimen Schlafgemache , ihr
Glücklichen, die ihr hier einzutreten wagt ! Aber
nur Wenige finden Jesum im Garten der Freude,
Wenigere ihn in der Weinkammer, und die Zahl
derer , die in das geheime Schlafgemach einzu
treten wagen, ist leider die geringstes fte fürchten
das Wort: Ich beschwöre euch, ihr Töchter Je
rusalems, daß ihr mir nicht die Geliebte aufweckt
und im Schlummer stört, bis daß sie selbst wolle. “
Darum genügt euch nur ihr Könige , da noch
Erdenlust in euch ist, da das Zeitliche noch " An
spruch an euch macht, genügt euch , daß ihr we
70

nigstens ernstlich ihn suchet und so das Kind


Jesus findet in der Krippe ; denn noch ist euer
Herz kein Garten seiner Freude und Lust , noch
erblühen nicht in ihm die schönen Blumen der
Betrachtung, nicht duften eure Werke den Wohl
geruch der Tugend aus , nicht prangen in lieb
licher Blüthe die süßen Liebes - Neigungen. Noch
weniger kann die Rede sein vom Weinkeller des
Bräutigams , wo der göttlichen Speise Wohlge
ruch ist , wo der Wein der Engel gekostet wird,
der hienieden nur einigen Vertrauten, zur Labung
gespendet wird ; und von dem Schlafgemache, fürchte
ich leider, darf ich gar nicht mit euch reden, von
dem verschlossenen, allen Kreaturen unzugänglichen,
weil verborgenen , dem Bräutigam allein zube
reiteten, für ihn allein geordneten und geschmückten,
wo nur der Bräutigam und die Braut ruhen,
der Geliebte mit der Geliebten in geheimen und
euch unerklärbaren , unbekannten Liebkosungen,
wo zuweilen solche Worte gehört, solche Geheim
nisse geoffenbart werden, die zwar von der Braut
verstanden, aber nimmermehr ausgesprochen, noch
weniger von irdisch Gesinnten jemals begriffen
werden. Doch sollte je aus Uebermaß der gött
lichen Güte und Erbarmung es euch geglückt sein,
nach Weinen und Seufzen , unter vielem Flehen
und Thränen , nach Beseitigung alles weltlichen
Treibens nur wenig blicken zu dürfen in den Garten
der Ergötungen und der Freude des Herrn oder,
was wahrscheinlicher ist, durch die Fugen der euch
noch verschlossenen Thüre zu blicken in die Weins
kammer des Bräutigams und ihn für den Augen
blick erschaut zu Jhaben in seinem Bräutigams
71

Echmucke , aufgeschürzt, hin und her wandelnd und


seine geliebten Gäste bedienend , die Speisen und
den süßen Wein reichend , euch zumal unbekannt
und nie gekostet von euch als ganz noch Un=
fähigen , - fiehe da , es kamen die Thürhüter
und ihr wurdet hinausgejagt ! Und ihr ginget,
nicht trauernd über die versagte Freude , wieder
hin an euer altes , gewöhntes Welt- Leben und
Treiben! Doch nicht lange und euer Herz erwachte,
erinnerte sich wieder an jene selige im Garten
der Ergözungen des Herrn von euch in Freude
geschaute Gesellschaft oder an jenen hehren Fest=
Jubel, den ihr durch die enge , schmale Thür
Riße erblickt und dessen Erschauen euch mit einem
durch ein passendes Wort nicht zu bezeichnenden
Troste , doch mit einem solchen Troste und solcher
Erquickung, die allen Sinn und alle Festlichkeiten
der Erde weit übersteigt , erfüllt hat. Hat
euch einmal der Herr diese hohe Gnade erleben
lassen , o so sucht dann mit Maria der Mutter
Jesu mit vielem Schmerzen und Trauern den
verlornen Jesus wieder , eilt und sucht ihn unter
Seufzen und Weinen , sucht ihn und sagt mit
Thränen-Reue : O wann werden wir dich wieder
finden , dich unsern Tröster , wann werden wir
dich finden unsere Sehnsucht , unsere Freude ? D
könnten wir nur einmal wieder dahin gelangen,
wo wir gewesen sind , wo nicht zu deiner Üm
armung und zu dem Kuffe der vertrauten Liebe,
doch wenigstens zu dem Garten deiner Ergözungen,
strömend von Wohlgerüchen, zu der Weinkammer,
duftend vom köstlichsten Weine !
O Seele, suche jest Jesum, den du verloren
72

hast, durch dich selbst, suche ihn mit eigener Mühe,


deinen Geliebten , du hast ihn ja empfangen , du
hast ihn geboren , er ist ja dein Sohn ! Warum
hast du ihn von dir gelassen, deinen Freuden- Geber,
der dich so hoch und so vielseitig beglückt hat ?
Ihr ehrwürdigen Weisen, ihr seid meine Mithelfer,
mit euch will ich Jesum suchen , ihr habt ihn
gesucht als einen König , der euch verherrlichen
sollte durch seine Gnade, als einen Lehrer, damit
er euch erleuchte durch seine Weisheit , als einen
Tröster, der durch seine Güte euch erquicken sollte ;
da ihr das nun gethan habt, so habe ich die Pflicht,
ihn zu suchen als meinen Sohn , den ich verloren
habe, als meinen geliebten Jesus, den ich leider im
Tempel verloren habe, dann verloren habe, als ich
mich abermals der Eitelkeit, der Lüge und der Thor
heit hingegeben habe ; da entwich er von mir und ich
feufze nun als eine Verlaffene , Trostlose , Ver
schmähte ! O warum habe ich doch seinem Rathe nicht
gefolgt , warum war ich seinen Mahnungen nicht
treu ? So lange er bei mir war , blieb mein
Herz so ruhig, seine Gegenwart war mein Trost,
in und mit ihm hatte ich alles Gute in Fülle !
Ich Unglückliche , ich Elende, ich wählte die Noth
und verlor den Reichthum , ich zog das Beschwer
liche vor und sehte die Freude zurück, ich lief der
Unruhe und Sorge nach und verlor den hohen
Frieden und des Geistes Süßigkeit ; um Fremdes
nahm ich mich an und versäumte das Eigene, mich
selbst ; um den Herrn zu spielen über Andere,
verlor ich meinen Gott, meinen Geliebten, meinen
Tröster, meinen holdseligen süßen Sohn Jesus !
Was soll ich nun thun, wohin ſoll ich mich wenden,
73

wò soll ich suchen , um "; ihn wieder zu finden ?


So habe ich ihn leider wegen solcher elenden Nichts
würdigkeiten verloren, aber der Vater der Barm
herzigkeit hat sich nach seiner höchsten Güte meiner
erbarmt, er hat mir den Weg entdeckt , weil ich
arbeite in seinem Weinberge , weil ich seinen
Willen thue unter dem Gehorsam und der Führung
meiner Vorgesezten, zu deffen Verherrlichung und
zur Ausbreitung seiner Ehre ich oft in nöthigen
Verrichtungen des süßen Trostes meines Jesu mich
(
selbst beraube , zu dessen Ehre und Erhaltung
derselben ich mich manchen Leiden aussehe ; dieser
gütige Vater hat nach seiner gewohnten Huld
und Gnade mir geholfen, ich habe den Verlorenen
wieder gefunden, nach vielem Seufzen und häu
figen Thränen habe ich ihn unter unfäglicher Freude
wieder gefunden ! So habe ich ihn damals wieder
gefunden; o möchte ich ihn jest wieder so finden!
Nimmermehr würde ich von ihm laffen, mit allen
meinen Kräften wollte ich ihn umschließen ! Was
thue ich also ? Ich will mich aufmachen und suchen,
den ineine Seele liebt ! Alle Geschäfte , alle Sorg
lichkeiten will ich bei Seite seßen , zum Gebete
will ich fliehen , und reicht das nicht hin , dann
suche ich ihn unter den Verwandten und Bekannten,
bei Geistes - Menschen und Gott ergebenen Herzen,
bei denen ist er gern , dahin kömmt er, wenn
Andere ihn verlieren , dort ist sein stiller Aufent
halt, wenn er von mir Elenden und von dem
Lärm der wogenden Gedanken 1 in mir fliehen
muß. Wehe mir ! Als ich noch eine dieser Glück
lichen war , da hatte ich ihn da hielt ich ihn,
da lag ich in seinen Armen , an seinem Munde,
74

da empfing ich den Kuß meines Jeſu ; nun aber


ist er entwichen, unter meinen vielen und unnüßen
Sorgen und Zerstreuungen ist er entwichen von
mir! O so sagt mir denn , ihr frommen Diener
Gottes, ihr Stillen , in frommen Betrachtungen
Gott lebend , habt ihr Den gesehen , den meine
Seele liebt ? Gewiß ist er bei euch, gewiß wisset
ihr seinen Aufenthalt , ihr fühlt ihn ja , ihr er
freut euch seiner ; ach , so gebt mir ihn denn in
Liebe, ihn, den ihr doch nicht verliert, laßt mich
Theil nehmen an Dem , den ihr nicht entlasset !
Hat gleichwohl die Zerstreuung den Eifer der
1
Liebe auf einige Augenblicke erkalten gemacht,
so hat doch die Fertigkeit und die Gewohnheit,
ihn zu lieben, wie ich hoffe, mich noch nicht ver
lassen , nicht verloren habe ich die Liebe , wenn
gleich die häusliche Beschäftigung mich an der
Ansprache des Geliebten gehindert hat ; dem Näch
ſten zu frommen , zu seiner Erbauung etwas
Weniges beizutragen, das hat zuweilen die volle
Aufmerksamkeit auf ihn gestört , doch unveräu
Berlich blieb in mir der Gedanke, sogleich wieder
zu ihm zurückzukehren. Und damit ich die Wahr
heit ganz heraussage, aber wahrlich nicht in der
Absicht, mich zu rühmen , ach , einzig den ver 0
Iornen Geliebten wieder zu erhalten, sage ich es
in Demuth , mir soll das Bekenntniß , außer
seinem Wieder-Besiße , nichts nüßen , nicht meine
Ehre bezwecke ich damit , sondern seine ewige
Berherrlichung und seinen Preis ; nicht um mich
groß zu machen vor den Menschen, that ich das,
des Nächsten Heil wollte ich gründen und fördern,
das war die Quelle und die Ursache meiner
75

Sorgen und Angelegenheiten. Warum sollte mir


das, was ich in frommer Meinung und gleichsam
seufzend that , die Gegenwart des Geliebten ente
ziehen ? Bin ich ihrer 姜 auch nicht immer würdig,
ach, manchmal werde ich es doch sein !: Wahrlich,
das wäre unbillig , ja , wenn ich es gerade her
aussagen soll , es wäre Unrecht und unerlaubt,
und mein frommer Jesus will das nicht gestatten
und Gottes Gesetz hat es nirgends gutgeheißen ;
eines Freundes wegen entzieht man sich ja oft
der gegenwärtigen liebsten Freude , und er ist
damit zufrieden , denn ist das Geschäft abgethan,
dann können die beiden Herzensfreunde in unge
störter Ruhe und Liebe sich wechselseitig genießen ;
so habe auch ich ihn seinetwegen zuweilen ver
Lassen. Wenn ich nun zur Vermehrung seiner
Ehre Mühe , Verfolgung, Verläumdungen , An
fälle ausgestanden habe, wenn ich mit dergleichen
bis zur gänzlichen Entschöpfung überfüllt bin
und nun seufzend und liebend zu ihm zurückkomme,
ſollte mir da sein Trost nicht werden und ich
feine Erleichterung finden in meiner Qual ? Was
sprecht ihr dazu ? Ja, mein Geliebter spricht zu
mir , hört , was das Evangelium mir und euch
aus seinem Munde zuspricht : ,,kommet alle zu
mir, die ihr mit Mühe und Arbeit beladen seid,
ich will euch erquicken !" Sollte ich allein, wenn
ich für seine Ehre die Last des Tages und der
Hiße ertragen habe , nicht so glücklich sein , mit
den Brosamen , die von des Herrn Tische fallen,
gelabt zu werden ? Nein, das ist nicht so. Nicht
bei euch allein , ihr stillen Beschauer , weilt der
Geliebte, und nicht verlassen und verschmäht von
76

ihm steht der im Schweiße seines Angesichts


arbeitende Ackersmann . Sagt es nicht die Schrift :
,,Der Arbeiter ist seines Lohnes werth“ , und
auch ihm muß und wird von den Früchten des
himmlischen Vaterlandes gereicht werden , daß
er nicht unterliege in seinen Mühen. So em
pfanden die Apostel unter mannigfaltigen Mißhand
lungen, so die Märtyrer unter Bein und Geißel=
hieben, so die Jungfrauen unter schweren Dualen
und Leiden die Tröstungen des Geliebten ; 鼻 fie
alle ,,gingen mit Freuden von des Rathes An

gesicht, lobend und preisend den Herrn , weil sie

würdig erfunden waren , um des Namens Jesu
willen Schmach zu leiden." So empfanden die
heiligen Beichtiger die frommen (Mönche und
Einsiedler in ihren Wachen , Fasten, in Thränen
und Seufzen die Freude des Herrn.. So wurden
die Herzen der Lehrer, Väter und Vorſteher der
Kirche, die durch Sorgen und Mühen für die
Sache des Herrn sich ganz erschöpften , mit der
Liebe des füßen Jesus seliglich getröstet und
gestärkt; denn nicht allein besaß Maria ! den Herrn,
auch Martha nahm den kommenden , den von
der Reise und Lehre Ermüdeten freundlich und
fröhlich auf.
So traue denn auch ich auf den Herrn , be=
lehrt und gestärkt durch so viele Beispiele seiner
Huld ; ich will ihu suchen , meinen süßen Jesus,
jest mit der Mutter Maria 4 im Tempel, jest
D
mit der Brautz im Schlafgemache, jezt mit den
Jüngern im Speise-Saal , jezt mit den Weiſen
in der Hütte und dem Stalle. 1
C 6.1 onli
77

Fünftes Kapitel.
Das fünfte Fest des Kindes Jesn in seiner Darstellung
1
in dem Tempel.

Endlich und schließlich erwäge , du gläubige


Seele, wie das Kind Jesus, nachdem es geboren
und ihm nach Vollführung verschiedener Tugend
Werke der Name beigelegt , durch Kostung himm
lischer Süßigkeit gesucht, gefunden, angebetet und
beehrt worden ist durch Opferung geistiger Gaben,
nun auch dem Herrn im Tempel müſſe dargebracht
und geopfert werden durch geziemende, demüthige,
innige Danksagung.
Ist die Seele, die glückliche geistliche Mutter
durch dieses gebenedeiten Sohnes Empfängniß ge=
reinigt in der Buße , ist sie nach der Geburt
einigermaßen gekräftigt durch die Gnade , ist ihr
Trost, innigster Trost geworden durch Beilegung
des heiligsten Namens des Kindes, iſt ſie mit den
Weisen belehrt durch Gott über die Weise der
Anbetung des Kindes , dann tritt die Pflicht für
sie ein, dasselbe in die heilige Stadt Gottes zu
tragen, den Gott von Gott und den Sohn der
Jungfrau in dem Tempel der Gottheit darzustellen .
So erhebe dich denn , du geistliche Maria, nicht
auf das Gebirge , sondern nach dem himmlischen
Jerusalem , in die Wohnftätte der seligsten Drei
einigkeit und unzertheilten Einheit. In tiefster
Demuth werfe dich hier nieder in der Wohnung
der Herrlichkeit Gottes , bringe vor dem ewigen
Throne Gott dem Vater deinen Sohn dar, lobe,
perherrliche und preise Gott den Vater und den
78

Sohn und den heiligen Geist. Lobe frohlockend


Gott den Vater, durch dessen Eingebung du den
heiligen Vorsas empfangen hast ; verherrliche in
Freude den Sohn, durch dessen Unterweisung du
den empfangenen Vorsaß wirklich ausgeführt hast ;
benedeie den heiligen Geist, durch dessen Tröstung
und Beistand du in der frommen heiligen Uebung
bis jezt standhaft verharrt bist. Verherrliche, o
meine Seelc, Gott den Vater in allen feinen Gaben
und Gnaden an dich, denn er ist's, der dich berufen,
der dich durch seine innere Einsprechung von dem
Verderben der Welt herausgerufen, zu dir gesprochen
hat : "/ Kehre zurück , kehre zurück, Sulamith, kehre
schnell zurück !" Verherrliche den Sohn in allen
seinen Werken an dir , er ist es , der dich durch
feine geheimnißreiche Lehre von der Knechtschaft
des Satans erlöst hat , der dich ermahnt , fein
Joch auf dich zu nehmen , abzuwerfen das Joch
des Feindes, der dir gesagt hat : Mein Joch ist süß,
das des Feindes bitter und unerträglich; * trägst
du mein Joch, dann wird dir die süßeste Frucht
erwachsen und reicher Friede des Herzens ; nimmst
du das andere auf dich , dann wird ewige Qual
dein endliches Loos sein ; sein Joch zwar scheint
auch manchmal süß, aber es ist nur Schein und
nur augenblicklicher , die Süßigkeit meines Joches
aber ist wahre heilbringende Freude ; er erhebt
zwar manchmal seine Knechte und macht sie groß,
aber zu Schanden macht er sie2: ewig ; wer mich
aber ehrt, der wird zwar augenblicklichgedemüthigt,
damit er einst herrschen könne und verherrlicht
werde in Ewigkeit. Eich' , das ist die Lehre des
Sohnes Gottes an dich, die er dir entweder un
79

mittelbar in dein Herz legte oder sie burch seine


Freunde, durch die Lehrer dir vortragen ließ zu
deiner Befferung und Sinnesänderung , wodurch
er dich gerettet hat von der Arglist des Teufels,
von den verführenden Reizen des Fleisches , von
den Täuschungen der Welt. Benedeie und
preise den heiligen Geist , der durch seine sanften
Tröstungen im Guten dich gestärkt hat ; denn sprich,
wie hättest du denn auskommen , wie aushalten
können , du die Schwache , die Berzärtelte , die
Gebrechliche , die Kranke , gewöhnt an die Lüfte
der Welt, angefüllt mit ihren Freuden und voll
von ihnen wie Schweine von den Trebern ? Jch
wiederhole es, wie hättest du Stand halten können
unter so vielen und gefährlichen Neßen der alten
Schlange, unterso vielen trügerischen Rathschlägen,
unter so vielen Hindernissen, unter so vielen, das
Menschen-Herz oft tief verwundenden Angriffen
und Einschreitungen deiner Freunde, Verwandten
und anderer Bekannten ? Wie hättest du , befangen
in so vielen Stricken der Sünde , im Guten fort
schreiten können , wäre die Gnade des heiligen
Geistes dir nicht beigestanden , hätte er dich nicht
so oft getröstet und ermuntert ? Darum schreibe
ihm all dein Thun und Laffen zu, dir halte davon
nichts zurück ; sprich in Inbrunst des Dankes und
der Liebe : Du hast Alles gewirkt, o Herr ! Vor
deinem Angesichte bin ich nichts, vermag ich nichts,
deine Gabe ist's , daß ich noch bestehe , ohne dich
bin ich ohnmächtig ; dir, gnädigster Vater, Vater
der Barmherzigkeit, opfere ich deine eigenen Gaben
auf, dir übergebe ich mich und erkenne in schul
digster Demuth , daß ich deiner mir ertheilten
80

Gnaden und Gaben ganz unwerth , ja sogar un


dankbar bin . Dir sei die Ehre, dir der Ruhm,
dir der Dank, o heiligster Vater, ewige Majestät,
deren Allmacht mich aus Nichts erschaffen hat!
Dich preise und verherrliche ich , dir danke ich, o
allerheiligster Sohn, du Abglanz des Vaters , der
du mich durch deine Weisheit vou ewigen Tode
erlöset hast ; dich benedeie ich, dich bete ich an, o
heiligster Geist , du Tröster der Seelen , der du
mich durch deine heiligmachende Gnade von der
Sünde zur Gnade, von dem Verderben der Welt
zum wahren Leben des Geistes, von meiner Ver
weisung in das Vaterland , von der Arbeit zur
Ruhe , von 2 der Traurigkeit zur Freude , zum
seligsten, füßesten Genuß deiner Liebe gerufen hast.
Verleihe uns Allen diese hohe Seligkeit der
füße Jesus, der mit dem Vater und heiligen Geiste
lebt und regiert in Ewigkeit ! .!
3516
Der Baum des Lebens :

Vorrede

eiligen Bonaventura.
des

„ Ich bin mit Christo gekreuzigt. Ein wahrer


Gottesverehrer und Schüler Christi , der sich un
serem gekreuzigten Erlöser ganz gleichförmig machen
will , soll vor Allem und in Allem mit möglichster
Aufmerksamkeit darauf bedacht sein , das Kreuz
Jesu Christi unausgesetzt in seiner Seele und seinem
Herzen sowie an seinem Leibe zu tragen, will er
anders den erstgenannten Ausdruck des Apostels
in sich wahrhaft empfinden und sich dessen wirklich
überzeugen ; zu dieser lebendigen Empfindung wird
er aber nur dann gelangen , wenn er , eingedenk
des Leidens seines Herrn im schuldigsten Danke,
der Mühe, der Schmerzen, der Liebe des gekreuzigten
Jesus so lebendig, so thätig, so nachdrücklich und
mit so vielem liebenden Willen gedenkt und sich
darin stets beschäftigt , daß er in wahrer Ueber
zeugung das Wort der Braut nachsprechen kann :
Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen, das
zwischen meinen Brüsten hanget."
6
82

Damit nun dieſe Liebesneigung in uns er


weckt, das stete Denken dessen gebildet und unserem
Gedächtnisse fest eingedrückt werde und bleibe, so
habe ich aus dem großen evangelischen Garten,
welcher der Blumen aus dem Leben, Leiden und der
Verherrlichung Chriſti ſo viele hat, dieses Myrrhen
Büschlein zusammengelesen und mit kurzen, jedoch
zweckdienlichen und zusammenhängenden Worten
in einen Strauß gebunden und, um nicht den
Fehler unnüßen Vorwißes und nugloſer Grübelei
zu begehen, das Ganze mit einfältigen, bekannten
und ungezierten Worten dargelegt, in der einzigen
Absicht, die Andacht zu erregen, den Glauben zu
beleben und den fleißigen Betrachter und Leser
۳۱
in seinem frommen Sinne zu stärken.
Weil nun aber , wie bekannt , eine äußere
Vorstellung dem inneren Verständnisse sehr zu
träglich ist , so wollte ich aus . Vielem etwas
Weniges sammeln und dieses in der Form eines
Baumes so ordnen ↓ und stellen , daß unten, wo
die ersten Zweige des Baumes 11 fich ausbreiten,
der Heiland als Stamm und Leben des Baumes
dargestellt, in der Mitte desselben sein Leiden und
oben seine Verherrlichung erscheine. Auf der
ersten Reihe der Zweige zu beiden Seiten kommen
nach der Buchstaben -Ordnung vier Verſe zu stehen,
eben so auf der zweiten 4 und dritten ; an jedem
Zweige hängt eine Frucht , so daß sie jene zwölf
Aeste des Baumes seien , von denen geschrieben
steht * ): ,,Auf beiden Seiten des Stromes stund
Holz des Lebens , daß trug zwölferlei Früchte, und
lojatve mi dia
*) Offenb. 22, 2.0 " mihi? Just
83

#1
brachte seine Früchte alle Monden." Stelle dir
demnach im Geiste einen Baum vor, dessen Wurzel
von einer immer fließenden Quelle getränkt wird,
die endlich zu einem Strome erwächst , zu einem
großen lebendigmachenden Strome , der in seinen
vier Ausflüssen das ganze Paradies Gottes, ſeine
heilige Kirche, durchströmt und fruchtbar macht.
Endlich sollen aus dem Stamme des Baumes.
zwölf Aeste, mit Blättern, Blüthen und Früchten
gesegnet, sich in die Höhe erheben,,,und die Blätter
des Baumes dienen zur Gesundheit," und sind
das kräftigste Heilmittel gegen alle Art der Krank
heiten sowohl in ihrer den Krankheiten vorbeugen
den , als die schon bestehenden heilenden Kraft,
denn das Wort des Kreuzes ist Gottes Kraft zum
Heile aller Gläubigen . Die Blüthe aber prange
in aller Farben-Pracht, ausduftend den lieblichsten
Geruch, der die kummervollen Herzen der Lieb
haber des Kreuzes anziehe und stärke. Die Früchte
aber seien zwölferlei, alle Lust und den lieblichsten
Geschmack besigend , die sollen den Hausgenossen
:
des großen Gottes werden, sie sollen sie effen und
allzeit gesättigt werden , die Glücklichen , und sie
sollen und werden ihnen nie zum Ekel werden.
Ich nenne euch die Frucht, sie ist die aus dem
jungfräulichen Leibe geborne, am Kreuzholze zur
süßesten Reise durch die Hiße der ewigen Sonne
am Mittage, nämlich durch die heiße brennende
Liebe Jesu Christi gediehene Frucht, welche denen,
die ihrer begehren, in dem Garten des himmlischen
Paradieses in der heiligen Kirche Gottes , zur
Speise gereicht wird ; und das zeigt der erste Vers
an, wo es heißt : O Kreuz , du Heil bringender
6*
84

Stamm, getränkt von der lebendigen Quelle, deffen


Blüthe wohlriechend , dessen Frucht sehnenswerth
iſt ! ――
Indessen obgleich diese Frucht eine und die
selbe ist, sie aber dennoch nach ihrer Kraft, ihrem
Werthe, ihrer Wirkung auf eine Gott ergebene
Seele vielseitig wirkt und selbe mit mannigfaltigen
Tröstungen nährt , welche in der Zwölfzahl ent
halten sind , so wollte ich denn auch diese Frucht
vom Baume des Lebens in zwölf Aesten , gleich
ſam in zwölferlei Geschmacken und Koſtungen, dar
stellen ; und zwar am ersten Zweige empfange
die Christus liebende Seele den Geschmack der
Süßigkeit , indem sie erwägt den hohen Ursprung
ihres Heilandes und seine süße Geburt. Am zwei
ten erwäge sie ihres Erlösers freiwillige , selbst
eigene Erniedrigung und seinen so demüthigen,
armen Wandel auf Erden. Bei dem dritten :
die Erhabenheit und Vollkommenheit der Tugend
in ihm. Am vierten : die Fülle seiner über
:
fließenden Barmherzigkeit. Bei dem fünften
bewundere sie den Muth des Herrn in der An
nahme des schweren Leidens über ihn. Bei dem
sechsten die Geduld, die er zeigte unter vielen
Lästerungen, Schmach und Mißhandlungen. Bei
dem siebenten betrachte sie die Standhaftigkeit
Jesu bei der wirklichen Kreuzigung und unter den
Schmerzen am harten Kreuzholze. Bei dem achten
freue fie sich des Sieges, den ihr Herr errungen
hat durch seinen Todeskampf. Bei dem neunten.
frohlocke sie über die frohe mit wunderbaren Gaben
gesegnete Urstände des Herrn. Bei dem zehen3
ten freue sie sich über die hohe Himmelfährt des
85

Herrn , welche die Einleitung war zur Ausspen


dung der Gaben des heiligen Geistes . Bei dem
eilften erwäge sie die Gerechtigkeit des künftigen
Gerichts. Endlich an dem zwölften Zweige
erschaue sie die ewige Dauer des göttlichen Reiches.
Früchte nenne ich diese zwölf Betrachtungen,
weil sie der betrachtenden Seele so viele Süßig
keiten geben und sie kräftigen auf dem Wege zu
Gott. Darum, o Seele, betrachte ernstlich diesen
gefegneten Baum, genieße einzeln die Früchte des
felben , genieße sie alle , untersuche , koste sie mit
allem Fleiße, nur den bösen Vorwig lasse nicht
beikommen , lasse dich nicht gelüften , wie der
Sünder Adam, nach dem Baume der Erkenntniß
des Guten und des Bösen, ziehe diesen ja nicht
dem Baume des Lebens vor. Diesem Unheile aber
wirst du nicht entgehen, wenn du nicht den Glauben
über die Vernunft, die Andacht über die Prüfung,
die Einfalt über den Vorwih , das Kreuz Christi
über den fleischlichen Sinn und alle sogenannte
Klugheit und Wigeleien der Welt stellst und pflan
zest ; das Kreuz Christi nehme über Alles die erste
Stelle ein, nur vom Kreuze herab strömt die Liebe
des heiligen Geistes und gießt sich aus in un
sere Herzen, nährt und stärkt sie durch seine sieben
fachen Gaben .

S. 1.
Jesus aus Gott gezeugt.

Wohlan denn, du fromme, Christum liebende


Seele, erwäge mit allem Fleiße Alles , was du
von deinem Jesus hören wirst. & Hörst du das
86

Wort : Jesus aus Gott gezeugt ! so beherzige das


aufmerksam und ernstlich. Hüte dich, daß deinem
Herzen nicht etwa ein niedriger, erdegeborner Ge
danke entquelle , schaue vielmehr mit reinem und er
habenem Auge, mit dem Blicke der Einfalt, mit dem
Auge des Glaubens , das hell sieht , dieses hohe
Geheimniß : wie von jenem ewigen, unermeßlichen,
einfachsten, hellsten und tief verborgenen Lichte ein
gleich ewiger, ganz gleicher , mit ihm vollkommen
wesentlicher Strahl ausgehe , der da ist die Kraft
und die Weisheit des zeugenden Vaters, in welcher
der Vater Alles angeordnet von Ewigkeit , durch
die er die Welt erschaffen hat, durch die er seine
Schöpfung regiert und ordnet zu seiner Ehre ent
weder durch die Kräfte der Natur, die er in fie
gelegt hat, oder durch die Gnade oder durch seine
Gerechtigkeit oder durch seine Barmherzigkeit , so
daß nichts übersehen , nichts vergessen , nichts sich
selbst in Unordnung überlassen blieb.
' O ONIK
§. 2.vi .
Jesus vorgebildet .

Ursprünglich seßte Gott die ersten Menschen


in das Paradies ; da fie aber wegen des Genusses
von dem verbotenen Baume durch des Herrn ge
rechtes und strenges Urtheil daraus verstoßen
wurden , so wollte denn doch Gott nach seiner
Erbarmung den armen verirrten Menschen bald
wieder zur Sinnesänderung zurückführen und ihm
den Weg zeigen und Hoffnung ihm geben der
Verzeihung in der Verheißung eines künftigen Er
lösers. Und damit nicht durch Unwissenheit , Ver
87

geffenheit und Undank die hohe Verheißung


Gottes zur Wiederbringung unseres Heils unkräftig
würde , jo ließ er in den fünf Weltaltern durch
die Patriarchen , durch die Richter des Vol
tes Israel, durch dessen Priester und Könige und
durch die Propheten von Abel dem Gerechten
an bis auf Johannes den Täufer herab feines
Sohnes Ankunft verkündigen , verheißen und
versinnbilden , um ‫ ין‬so durch Jahrtausende hin
durch in mannigfaltigen und wundervollen Aus
sprüchen unsern Verstand zum Glauben und
Vertrauen auf ihn zu erheben , unsere Sehnsucht
zu entzünden und das Verlangen nach ihm zu
mehren.
151
S. 3. PALS C40
Jefus vom Himmel gesendet. De ni ve
who st
Da endlich die Völle der Zeiten gekommen
war , wurde im Anfange des sechsten Welt- Alters ;
so wie ehemals der Mensch durch Gottes all
mächtige Hand und Weisheit am sechsten Tage
der Schöpfung gebildet und geschaffen wurde ,
der Erzengel Gabriel zur Jungfrau gesendet, und
da sie dem Befehle Gottes im Gehorsam sich neigte,
kam der heilige Geist über sie, wie göttliches Feuer
ihre Seele entflammend und ihren Leib in höchster
Reinheit heiligend , aber die Kraft des Allerhöchsten
überschattete sie, um ertragen zu können die Flamme
des Geistes, so wurde augenblicklich der Leib des
Verheißenen gestaltet , die Seele geschaffen, und
beide mit der Gottheit in der Person des Sohnes
vereinigt, daß Gott und Mensch Gines war und
88

doch beide Naturen , jede in ihrer Eigenheit, be


standen. O könntest du nur einigermaßen inne
werden und erfahren , welche und wie groß die H
Flamme, die geschehene Ueberschattung , der ge
gebene Trost war ! Möchtest du dir denken können
die Erhöhung der jungfräulichen Mutter, begreifen
können die dem Menschengeschlechte gewordene
Würde, genugsam erwägen, wie die Majestät Gottes
unser wegen sich herabließ, könntest du hören die
im hohen Jubel des Entzückens Gott lobpreisende
Jungfrau, sie begleiten auf das Gebirge, mit an
sehen die holde Begrüßung , die wechselseitige
Umarmung der Jungfrau und der so lange un
fruchtbaren Elisabeth, wo der Knecht den Herrn,
der Verkündiger und Bote den Richter, die Stimme
das Wort erkannte ? Ja, kannst du das Alles
dir in heiliger Andacht des Herzens denken und
so mitfühlen diese Seligkeiten, dann weiß ich, daß
du mithingst mit der seligsten der Jungfrauen in
füßen Freudentönen : ,,Meine Seele machet groß
den Herrn , und mein Geist frohlocket in Gott
meinem Heiland !" daß du aufspringen würdest
mit dem kleinen Propheten im Mutterleibe und
in hohem Entzücken anbeten die wundervolle Em
pfängniß der Jungfrau.

S. 4.
Jesus aus Maria geboren.

Da unter der Regierung des Kaisers Augustus


ein allgemeiner Friede herrschte , so daß es ihm
möglich war , eine allgemeine Verzeichnung der
ihm pflichtigen Unterthanen vorzunehmen, geschah
89

es unter der Fügung der göttlichen Vorsehung,


daß Joseph der Verlobte der Jungfrau dieselbe
nach Bethlehem, der Stadt ihres Stammes, führte.
Und da die neun Monate zu Ende waren , trat
der König des Friedens, wie der Bräutigam aus
seinem Schlafgemache , aus dem jungfräulichen
Leibe hervor , unversehrt und unbefleckt ; so wie
er empfangen war , trat er hervor. Aus Liebe
zu uns ward der Reiche arm , der Große klein,
geboren nicht in der eigenen Wohnung , sondern
in der Ferne, in einer armen Hütte, eingefätschet
in Windeln und niedergelegt in eine Krippe.
Da ist für uns der Tag der neuen Erlösung,
der alten Wiedererstattung , der Tag des ewigen
Heils angebrochen, da träufelte der Himmel Honig
auf die Erde. -- So nähere dich denn, o meine
Seele , dieser göttlichen Krippe , küsse die Füße
des holden Kindes in gedoppelten Küssen. Denke
der frommen wachenden Hirten , richte den Blick
nach Oben und bewundere die englischen Heere,
reihe dich unter die heiligen Sänger , stimme ein
in den himmlischen Lobgesang , singe mit Herz
und Mund: " Ehre sei Gott in der Höhe und
Friede den Menschen auf Erden, die eines guten
Willens sind!"

§. 5. .:
Jesus unter dem Gesetze.

Am achten Tage ward das Kind beschnitten


und fein Name Jesus genannt. Als Jesus , als
Heiland wollte er sich sogleich zeigen , er zögert
nicht, sein Blut zu vergießen , durch das Wort
90

und durch das Zeichen wollte er sich als den

13
22
BW
den Vätern verheißenen Retter beweisen, er wollte

ro
ihnen in Allem gleich werden , außer der Sünde
und Unwissenheit, darum unterwarf er sich der
Beschneidung, darum erschien er unter uns in
der Gestalt des sündigen Fleisches , um uns zu
erlösen von der Sünde , unser Heil zu werden,
unsere ewige Gerechtigkeit , darum fing er in
Demuth und Erniedrigung an , denn sie ist die
Wurzel und die Schüßerin der Tugend. Und du
Staub und Asche willst dich erheben ? Das schuld
lose Lamm, das der Welt Sünden trägt, weigert
sich nicht , das Merkmal der Beschneidung zu
tragen wie ein Schuldiger, und du Sünder giebſt
dich als einen Gerechten aus ? Dir ekelt vor dem
Mittel deines ewigen Heils, das du nimmerinehr
erreichen wirst ; willst du nicht deinem demüthigen
Heilande nachfolgen ?
WEX 19
§. 6.
Jesus den Weisen gezeigt. ⠀⠀

Als Jesus in Bethlehem Juda geboren war,


erschien } den Weisen im Morgenlande ein Stern
und führte sie, ihnen vorleuchtend, bis zur Stätte
des demüthigen Königs . Wende auch du den
Blick nicht ab von dem Glanze des dir im Auf
gange vorleuchtenden Sterns , schließe dich viel
mehr den frommen Weisen an, glaube der Schrift
der Juden, die da Zeugniß giebt über Christus ;
nur des arglistigen Königs Herodes Tücke und
Falschheit entziehe dich, I zeige durch dein Opfer
in Gold , Weihrauch und Myrrhen , daß du
91

Christus anbeteſt als deinen König , als Gott


und Mensch, bekenne, mit den Erstlingen der
Berufenen aus dem Heidenthume den in der Krippe
liegenden erniedrigten Gott , bete ihn an und
lobpreise ihn , dann wird auch dich der Herr
im Schlafe mahnen , nicht nachzuhangen dem
Stolze und der Hoffart des Herodes , sondern
auf dem Pfade des demüthigen Christus wirst
du glücklich heimkehren in dein Vaterland..

S. + 7.
Jesus unter dem Gehorsam des Gesezes .
CH
Der Lehrmeister der vollkommenen Demuth,
obgleich er dem Vater in Allem gleich war, wollte
sich nicht nur in demüthigem Gehorsam der jung
fräulichen Mutter unterwerfen , auch dem Geseze
untergab er sich , um diejenigen , "1 welche unter
dem Geseze standen , von der Knechtschaft der
Sünde zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder
Gottes zu erlösen ; darum sollte auch die reinste
der Mütter dem Geseße der Reinigung sich unter
werfen und ihn, den Erlöser der Welt, als ihren
Erstgebornen loskaufen, ihn dem Herrn darstellen
und das Opfer des Geseßes für ihn im Tempel
öffentlich 11 darbringen. So erfreue denn auch du
dich mit dem x+ frommen Greise Simeon und der
alten ehrwürdigen Anna , gehe der Mutter und
dem Kinde entgegen ; fürchte dich nicht , die Zu
neigung überwindet die Furcht , schäme dich nicht,
denn die Liebe schämt sich nicht ; nimm das Kind
Jesus vom Arme der Mutter in deine Arme und
rufe mit der Braut im Hohenliede : ,,Nun´ halte
92

ich ihn und will ihn nicht lassen !" frohlocke mit
dem ehrwürdigen Simeon und stimme mit ihm
den Freudengesang an : ,,Nun , Herr , läsfest du
deinen Diener im Frieden dahin fahren !"

§ . 8.
Jesus aus seinem Vaterlande vertrieben.

Da 3 die Demuth nie allein sein kann , so


geht sie immer in Gesellschaft dreier Tugenden
einher , nämlich der Armuth, die den Reichthum
flieht als Zunder der Hoffart, der Geduld, welche
die Verachtung gern trägt , und des Gehorsams,
der fremden Willen gern thut. So hat es Gott
nach dem Rathe seiner höchsten Vorsehung zuge
lassen, daß der gottlose Herodes den neugebornen
König suchte , ihn zu tödten ; höhere Eingebung
aber verhindert den unmittelbaren Mord des
Kindes , es wird eilends nach Egypten gebracht

als ein armer Fremdling und in seinem Vater
lande wird es gewissermaßen getödtet in all den
unschuldigen Kindlein, die seinetwegen der Tyrann
-
morden ließ. Nach dem Tode des Herodes
ward das Kind Jesus auf göttlichen Befehl in
das Land Juda wieder zurückgebracht ; da lebte
der Knabe und wuchs heran an Alter und Gnade
vor Gott und den Menschen, in der Eltern Hause
!
im genausten Gehorsam gegen sie , bis er im
zwölften Lebensjahre im Tempel zu Jerusalem
zurückblieb , unter großem Leidwesen von der
Mutter gesucht und mit großer Freude wieder
gefunden wurde. Lasse die flüchtende Mutter
und das Kind nicht allein nach Egypten fliehen ;
93

deine Augen werden in Thränen fließen , wenn


dein Herz erwägt und sieht die holdselige jung
fräuliche Mutter und das zarte Kind als Fremd
linge , als Flüchtende in ein fremdes Land ! -
Suche mit der betrübten Mutter das verlorene
Kind , bis du es findest mit ihr ; Thränen der
erfreuten Liebe würden auch deinen Augen ent
quellen , wenn du die liebende , zarte Zurecht
weisung, diesen süßen Ton der geängsteten Mut
terliebe vernähmest : ,,Sohn , wie hast du uns
das thun können ?" wie hast du den Lieben und
der liebenden Mutter so viele Ursache des Schmerzes
bereiten können ?
S. 9.
Jesus im Jordan himmliſch getauft.
Im dreißigsten Lebensjahre aber wollte der
Erlöser zu unserem Heile wirken und er fing
damit an, das selbst zuvor zu thun , was er
hernach lehrte. Er wollte die Taufe , als der
Heiligung Erstes und den Grund der Tugenden,
von Johannes empfangen ; damit wollte er alle
Gerechtigkeit erfüllen und dem Wasser die wieder
gebärende Kraft durch seines reinsten Leibes Be
rührung mittheilen. Wandere mit ihm an
diese geheiligte Stätte , damit auch du wiederge
boren werdest in ihm , lasse dich einweihen in
seine Geheimnisse , daß du am Jordan in der
von Oben herab kommenden Stimme den Vater,
im Fleische den Sohn und in der Tauben- Gestalt
den heiligen Geist schauest , daß der Himmel der
dreieinigen Gottheit auch dir sich öffne und dein
Herz und Sinn hinauf sich schwinge zu Gott.
94

31. Of §. 10.
owni Jesus vom Feinde versucht.
Jesus ward vom Geiste in die Wüste geführt,
um vom Teufel versucht zu werden. Der demü
thige Jesus läßt sich vom Feinde versuchen , das
foll uns demüthigen , er besiegt den Feind , das
soll uns Muth geben gegen den Versucher ; der
Sieg wird uns gelingen , wenn wir nach seinem
Vorbilde kämpfen. Ein rauhes und einsames
Leben führte er hier ; er , will dadurch seiner.
Gläubigen Sinn anregen zur männlichen Ergrei E
fung der Vollkommenheit , welche das Schwere
und Rauhe nie scheuen darf. Wohlan denn , du
Jünger Christi , wandere mit deinem frommen
Meister in die Wüste in die stille Einsamkeit,
lerne von ihm das innere Schweigen, das wahre
Beten , das ächte Fasten , die Gefahr und die
Kunst des dreifachen Kampfes mit dem arglistigen
Feinde , überzeuge dich hier , daß du in allen
Anfällen und Versuchungen bei ihm die sicherste
Zuflucht habest , denn ,,er ist der Hohepriester, +
der da Mitleiden hat mit unseren Gebrechen,
der selbst versucht worden ist und geprüft in
Allem uns zum Vorbilde , außer der Sünde."
S. 11. C
in
Jesus verherrlicht durch Zeichen und Wunder."

Er ist es, der allein hohe, wunderbare Dinge "


wirkt , da er die Elemente verändert , das Brod 1
mehret , über das Meer wandert , die tobende
See beschwichtigt , die Teufel bändigt und aus
treibt , die Aussäßigen reinigt , die Blinden I
95

fehend, die Stummen redend, die Lahmen gehend


macht und die Todten zum Leben erweckt. Zu
ihm rufe das sündige Herz mit den Worten des
Ausfähigen : „ Herr, wenn Du willst, kannst Du
mich reinigen !" oder mit dem Hauptmann : ,,Herr,
mein Knecht liegt gichtbrüchig zu Hause und leidet
große Bein oder mit der Kananäerin : „ Sohn
David's , erbarme Dich meiner“ ; oder mit der
Blutflüssigen: „ Wenn ich nur den Saum ſeines
Kleides berühre , dann bin ich genesen ; oder
mit Maria und Martha : Herr , den du liebeſt,
der ist frant."
Rad
§. 12. !
Jesus verklärt.
2017 C
Um der Menschen Herz zu stärken in der Hoff
nung der künftigen ewigen Belohnung, nahm Jesus
den Petrus, Jacobus und Johannes zu sich auf
den Berg ; ihnen enthüllte er das Geheimniß
seines Leidens, seiner Mißkennung und seiner Auf
erstehung , sie ließ er schauen das Geheimniß der
*
Dreieinigkeit in jener hohen Verklärung unter
dem Zeugnisse des Gesezes und der Propheten
durch das Erscheinen des Mofes und Elias, unter
der Bezeugung des Vaters und des heiligen Geistes
in der gehörten Stimme und der erschienenen Wolte.
}
Das , du Christus liebende Seele , muß dich in
der Wahrheit stärken, das wird dich auf die wahre
Höhe der Tugend führen , hier wirst du gläubig
mit Petrus ausrufen : ,,Herr, hier ist gut seyn ! "
in dem seligen Genusse deiner Schauung, o Herr,
iſt gut ſein ; entzückſt du unſeren Geiſt und reißeſt
96
~

ihn zu dir , dann hören wir dein verborgenes


Wort, von dem zu sprechen du nicht erlaubſt.

§. 13.
Jesus der sorgfältige Hirt.

Wie groß die Sorgfalt des gütigsten Hirten


gegen die verlornen Schafe war und mit welcher
unermüdeten Güte er sie aufsuchte, das gefundene
auf seine Schulter legte und heimtrug in herz
licher Freude, das lehrt uns das Gleichniß von
dem verlornen, unter hundert, dem einzigen Schafe;
und er selbst sagt das von sich in den Worten : ,,Der
gute Hirt seßet sein Leben für seine Schafe ";
und von ihm hat der Prophet gesprochen , wenn
er sagt : ,,Er wird seine Heerde weiden , wie ein
Hirt"; denn der Schafe wegen nahm er so viel
Mühe, Sorge, Hunger und Durst unter so vielen
Nachstellungen und Gefahren von Seite ſeiner
Feinde, der Pharisäer, auf sich, er durchwanderte
Städte und Flecken , das Reich Gottes verkün
digend , durchwachte Nächte im Gebete und achtete
nicht der Pharisäer Murren und Tadeln in seiner
freundlichen Annäherung an die Publikanen und
Sünder, frei behauptend: der Sünder, der Kranken
1'4
und Verlassenen wegen sei, er in die Welt ge
kommen ; mit väterlicher Zuneigung nahm er die
Reuevollen auf und zeigte ihnen den geöffneten
Schooß der göttlichen Erbarmung ; Zeugen deſſen
find : Mathäus , Zachäus , die zu seinen Füßen
liegende Sünderin und das in Ehebruch ertappte
Weib. So folge denn deinem liebevollsten Hirten
ganz und wahrhaft nach wie Mathäus, nimm ihn
97

Form
auf in dein Haus, wie Zachäus, salbe seine Füße
Lake
und wasche fie mit deinen Thränen, wie die Sün
derin that , damit, wenn du einst dargestellt wirst
vor seinem Gerichte mit der betroffenen Sünderin,
auch du von ihm, wie jene, das verzeihende Wort
vernehmest : Hat niemand dich verdammt , so
will auch ich dich nicht verdammen ; gehe hin und
fündige nicht mehr. ”

bnig S. 14.
130
en: Der weinende Jesus.
Schut
11, I Um uns seine höchste Liebe und sein innigstes
Erbarmen gegen uns zu zeigen, weinte der gütige
Jesus, der Brunnen aller Barmherzigkeit, über uns
to Arme, Elende und Verblendete und nicht nur einmal,
jea sondern öfters . Er weinte über Lazarus, er weinte
wander über Jerusalem, er weinte am Kreuze . Er beweinte
Dap die menschliche Armseligkeit, die Finsterniß der ver
Dache blendeten Herzen und das Verderben der Herzens
infe Verhärtung. Und du Unsinniger und Ruchloser, du
en Berstockter und dem übernatürlichen Leben gänz
Bronte lich Erstorbener , du kannst in so erschrecklichem
Belt Unheile wie ein Wahnsinniger dich noch freuen
J.
er und guter Dinge sein, kannst lachen, wenn die
Office Weisheit des Vaters weint, über dich weint ? Der
D Arzt weint über den unheilbaren Kranken , und
der Unglückliche lacht ! Ach, erwache,,,weine über
dich Tag und Nacht , lass' Thränen fließen , wie
ein Bach, höre nicht auf, und dein Augapfel laſſe
nicht ab."
7

1
98

S. 15.
Jesus als König der Welt erkannt.

Nachdem Lazarus vom Tode erweckt, die köſt


liche Salbe über das Haupt Jesu , ausgegossen
und der Ruf und Ruhm über ihn allenthalben
verbreitet war, wohl wissend, daß das Volk ihm
entgegenkommen würde , bestieg er einen Esel und
30g unter dem Beifall - Rufen des Volkes , das
Zweige streute und seine Kleider auf dem Wege
ausbreitete, als demüthiger König voll Sanftmuth
einher ; aber unter dem ehrenden Lobgesange des
Volks regte sich in tiefem Erbarmen das liebende
Herz Jesu , er beklagte das kommende Unglück
und die Zerstörung der Stadt, - So erhebe
dich denn, meine Seele, als Magd des Heilandes,
als eine aus den Töchtern Jerusalems , und be
trachte den König Salomon in feiner Ehre , mit
der ihn seine Mutter , die Synagoge, als Vorbild
der neu zu gründenden Kirche geziert hat , begleite
ihn, den Herrn Himmels und der Erde, sigend
auf einer Eselin mit Delzweigen und Palmen,
mit Werken der Barmherzigkeit und Sieges - Pal
men der Tugenden.

S. 16.
Jesus das geheiligte Brod.
Unter allen Denkwürdigkeiten des Herrn ist
jenes hochheilige lezte Abendmahl das würdigste,
in welchem nicht allein das Osterlamm vorgeseßt,
sondern das unschuldige Lamm Gottes , das der
Welt Sünde trägt , unter der Gestalt des Brodes,
das alle Lust und Wohlgeschmack in sich begreift,
99

zur Speise dargereicht wird . In diesem Abend


mahle offenbarte sich die wunderbare Güte und
Huld Christi vorzüglich , er hielt es nicht unter
seiner Würde, mit seinen armen Jüngern, sondern
selbst mit dem Berräther Judas an einem Tische
zu ſizen und aus einer Schüffel zu essen ; von
seiner Demuth gab er den liebenswürdigsten und
hohen Beweis , da er die Füße der Fischer , ja
sogar jene des gottlosen Verräthers , er, der König
der Glorie, umgürtet mit dem Schurze , liebend
wusch. Seine wunderbare Freigebigkeit erprobte
fich, da er den Aposteln, als den ersten Priestern,
und in ihrer Nachfolge der ganzen Kirche auf
Erden seinen heiligsten Leib und ſein Blut als
eine wahre Speise und als einen wahren Trank
gegeben , damit das Gott wohlgefällige , in fur
zen Stunden darauf 带有folgende Opfer , dieser un
schägbare Breis unserer Erlösung, uns zur Weg
zehrung und Stärkung würde. Das Uebermaaß
seiner unendlichen Liebe zeigte sich endlich, als
er , der die Seinen liebte bis an das Ende , sie
in den lezten Augenblicken seines sichtbaren Da
seins bei ihnen in so füßen , liebenden Worten
und Ermahnungen im Guten stärkte , namentlich
den Petrus warnend, zur Standhaftigkeit im Glau
ben aufforderte und den Johannes feliglich ruhen
ließ an seiner Brust. Dwie lieblich und wun
derbar ist das Alles jener Seele , die eingeladen
zu diesem herrlichen Abendmahle mit brennender
Liebe eilt und deshalb mit dem Propheten, aus
rufen kann: Wie der Hirsch verlanget nach der
Wasserquelle, so verlanget meine Seele nach dir,
D. Gott.!!
7*
100

§. 17.
Jeſus durch Verrätherei verkauft .

Betrachten wir das Leiden des liebenswür


digsten Jesu Chriſti , dann fällt uns zuerst die
Treulosigkeit des Verräthers2 auf, der so vom
Gifte der Treulosigkeit angesteckt war , daß er
sogar seinen Herrn und Meister verrathen konnte ;
so arg hatte sich das Feuer des Geizes und der
Habsucht in ihm entzündet, daß er Gott um Geld
verkaufte und das hochheilige Blut_Chriſti um
schnöden Gewinn dahin gab so entseßlich war
feine Undankbarkeit, daß er Den, welcher ihm Alles
vertraute, welcher ihn zur Ehre 9 und Würde der
apostolischen Gewalt erhob , in den Tod brachte ;
so hart war sein Herz , daß ihn weder der ge
meinsame Tisch des Herrn noch sein menschen
freundliches Benehmen gegen ihn , noch die sanfte
Ansprache des Herrn ihn von seinem boshaften
Borhaben abbringen konnte. D wunderbare Sanft
muth des Lehrers gegen den verstockten Schüler,
des gütigen Herrn gegen einen nichtswürdigen
音量
Knecht ! Ja , für ihn wäre ses besser gewesen,
wenn er nicht grboren worden ware ; allein so
unbeschreiblich groß des Verräthers Gottlosigkeit
war , um so überschwänglich größer war des
Lanimes Gottes ‫الي‬Sanftmuth, dir zur Lehre, meine
Seele, daß du, wenn etwa der Freund dich hart
behandelt und dich zur Empfindlichkeit reizt, nicht
ferner das Wort aussprechen mögest : ,,Hätte mein
Feind mir Böses gewünscht, das hätte ichertragen !"
denn sieh', nicht ein gewöhnlicher Freund, sondern
des Herrn Gefelle , sein Pfleger und sein Ver
101

wandter, der Christi Brod aß,pre dem er die herr


liche Speise des Abendmahls gab, dieſer trat ihn
unter die Füße , 1 und das sanftmüthigſte Lamm,
in dessen Munde nie ein Trug·· erfunden worden,
entzog feinen Mund jenem vergifteten Kuffe des
gottlosen Berräthers , selbst in der Stunde und
der Minute des Berraths, nicht um an ihm Alles
:
zu versuchen , wash etwa das harte Herz treffen
und erweichen 1 könnte. win dimod
.00 45 H
1 1 S. 18. 298009
Jeſus betend und auf der Erde legend21be

Da Jesus Alles wußte, was nach dem vers


borgenen Rathschlusse der göttlichen Anordnung
über ihn ergehen sollte, ging er nach geendigtem
Lobgesang nach seiner Gewohnheit hinaus auf
den Delberg , um den Vater zu • bitten. Seine
armen Schafe,(2 die er ſo zärtlich liebte, sollen nun
von ihm geriffen und trostlos und verlaſſen zerstreut
werden , die grausame Todesart und die " schreck
liche Stunde stand lebhaft in seiner Seele ; da
ergriff seine Natur folcher Schrecken und solche
Todesangst, daß er in die Worte ausbrach : ,,Vater,
"
ist es möglich , so gehe dieser Kelch von mir !"
Wie groß die aus mannigfaltigen Ursachen ent
standene Betrübniß und Angst seiner Seele war,
bezeugt der blutige Schweiß, welcher in I Tropfen
von ihm auf die Erde herablief. Herr
Jefu Christe, du gewaltiger und mächtiger Herr
scher, wie überkam dich so heftige Angst und woher
die jammernde Bitte zum Vater ? Du hast dich
** **Bu
ja freiwillig zum Opfer dargegeben ! —
102

unserer Ueberzeugung geschah es , meine Seele,


wir sollen glauben , daß Jesus wahrhaft unsere
arme sterbliche Natur angenommen habe , zum
Glauben und Vertrauen in Kreuz und Leiden
wollte er uns ermuntern unsere Liebe zu ihm
wollte er mehren und entzünden, darum, o Jesu,
hast du die Schwachheit unserer armen Natur leiden
und selbige sichtbar und deutlich an dir ausbrechen
lassen, damit wir es wahrhaft erkennen und be
kennen müssen : Jesus Christus hat wahrhaftig
unsere Schmerzen auf sich genommen und die
Bitterkeit des Leidens wirklich empfunden.

To wod 16dan arut §. 197 Bali) on

triesJesusMAN
von den Kriegsknechten
10 PE 2686 umgeben.

1 Wie bereit Jesus im Geiste zu ſeinem Leiden


war sehen wir deutlich daraus : da er dem mit
dem Verräther sich ihm nahenden Haufen der
Blut Menschen , die da tamen des Nachts mit
"
Laternen Fackeln und Waffen ihn zu 1 fangen,
freiwillig entgegenging und ihnen sich selbst ent
deckte ; und damit die menschliche Tollkühnheit
und Frechheit erkenne , daß sie nichts vermöge
gegen ihn, als das , wasder selbst gestattete , so
machte er durch sein allmächtiges Wort den tecken
Häfcher-Haufen niederstürzen auf die Erde Aber
auch hier in dieser Entrüstung über die Bösen
febte er seiner Barmherzigkeit teine Schranke,
sein mildes Erbarmen ergoß sich auch über sie,
er heilte mit seiner Hand das dem frechen
Knechte von dem Jünger abgehauene Ohr und
dämpfte den Muth seines Vertheidigers vor fer
103

nerer Verlegung seiner Feinde. „ Verflucht ſei


ihr Zorn, daß er so. heftig ist der sich weder
durch das Wunder der Majestät, $ noch durch die
Wohlthat der Erbarmung des Herrn bändigen ließ.

bile §. 2017 !
7
Jesus gebunden .
123 Wer kann ohne Klage und Jammer es an
sehen und hören, wie in jener Stunde die Mörder
ihre verbrecherischen Hände anlegten an den König
der Herrlichkeit, des fanftmüthigen Jesu unschuldige
Hände mit Stricken banden und das geduldige
Lamm , welches keine Widerrede that, wie einen
Mörder unter Schmach und Mißhandlung zur
Schlachtbank führten ? Welch stechender Schmerz
muß das Herz der Jünger durchbohrt haben, da
fie ihren geliebtesten Herrn und Meister, verrathen
selbst von Einem aus ihrer Mitte, mit rückwärts
gebundenen Händen wie einen Uebelthäter zum
Lode führen sahen ? als sie erfuhren, daß der gott
lose Judas, von Reue und bitterer Verzweiflung
ergriffen, lieber sterben und sich selbst tödten, als
länger so leben wollte ? Aber wehe diesem Men
schen, den solche Reue zu dem Brunnen der Barm
herzigkeit und zur Hoffnung der Verzeihung nicht
brachte , der vielmehr in ungeheuerem
QUE Schrecken
über die Gräßlichkeit seiner Unthat verzweifelte.
16 the day sebula tein. sigh
S. 21 .
"
Jesus der Bekannte wird als Unbekannter erklärt.
Als der Hirt gefangen, der Meister den Schü
lern entrissen war, flüchtete die Heerde, zerstreuten
104

"
sich die Schüler. Petrus, als der Treuere, folgte
ihm von der Ferne bis in den Vorhof des Hohen
priesters , wo er auf die Frage einer Magd mit
einem Schmure bekräftigte und das dreimal wie
derholte er kenne Christum nicht. Nur der mit
leidige Blick Jesu auf den geliebten Jünger, der
Blick seiner erbarmenden Gnade mahnte Petrus
nd weinte
bin uund
beim Hahnen-Rufe, und er ging hinaus
bitterlich. D, wer du immer bist und hast
den für dich leidenden Jesus auf die Anrede der
Magd - des Fleisches -deiner Sinnlichkeit
-freventlich entweder durch bösen Willen oder
mit der That selbst verläugnet , trete aus mit
Petrus, weine mit ihm über deine Sünde, vielleicht
blickt auch er, der den weinenden Petrus begna
digte, auf dich gnädig hin und erfüllt dein Herz
mit doppelter Bitterkeit , der Reue nämlich und
des Mitleids , damit auch dir verziehen werde
dein Verbrechen wie dem Petrus und du mit ihm
den Geist der Heiligen empfangest. ***

eif Ho
§. 22.00 ) C
164 29
Jesus mit verhülltem Angesicht.

Nach dem Rathschlusse der Verderben brüten


den Hohenpriester wurde unser Hohepriester Jesus t
Christus wegen seines frei von ihm abgelegten J
Bekenntnisses : er sei der Sohn Gottes , als Gottes
lästerer erklärt, zum Tode verurtheilt und namen
Lofer Schmach und Mißhandlung preisgegeben,
denn jenes ehrwürdige Angesicht, das zu [ schauen 1
die Engel gelüftet und den ganzen Himmel_er
105

freut, wurde ekelhaft verspieen, von den Händen


der Sünder geschlagen , zur Verspottung verhüllt
und der Herr aller Menschen wie ein verächtlicher
Sclave in's Angesicht geschlagen, obgleicher, als
ihn der Knecht des Hohenpriesters vor diesem in's
Angesicht schlug , ihn mit gelassener Miene und
Rede sanftmüthig mit der Frage zurecht wies :
Habe ich unrecht geredet , so beweise es , habe
ich aber recht geredet, warum schlägst du mich ?"
Jesu, du Wahrheit und Sanftmuth , welcher
deiner Treuen kann das hören und ansehen und
nicht weinen in tiefstem Schmerz und Mitleids
Gefühlete vond) 17 **** 197
a Crus
116 S. 23.1 39 & 11
Jesus dem Pilatus überantwortet .
ATT HON $14
Die ungeheuere jüdiſche Gottlosigkeit war durch
die dem Herrn angethanen Mißhandlungen nicht
gesättigts vielmehr wüthend in tödtlichem Hasse
übergaben sie die Seele des Gerechten dem "punge
rechten Richter als eine Beute zum Lode. Die
Hohenpriester führten nämlich Jeſus gebunden zu
dem Pilatus und forderten von ihm das Todes
urtheil über den Schuldlösen. Er aber, der Sanfte
müthige, stand schweigend vor dem Richter wie
ein Lamm vor dem, deres scheeren will, umgeben
von dem wilden Haufen der falschen Zeugen, der
wüthenden Ankläger , welche den Tod forderten
über den Urheber des Lebens und dem aufrüh
rerischen Mörder das Leben erbaten , das Lamm
dem Wolfe, das Licht der Finsterniß , das Leben
dem Tode so unfinnig miegottlos nachſezten .
106

Süßester Jesu, weſſen Herz wäre ſo hart , der


jenes wüthende , erschreckliche Schreien : Hinweg
mit dem , hinweg mit dem , den kreuzige ! ohne
Seufzen und innigſten Jammer des. Herzens leib
lich hören oder im Geiste erwägen kann ?
1 des di
: 124 * 199 §. 24.1
S
Jesus zum Tode verurtheilt.
11: 1
Obgleich Pilatus gar wohl wußte, daß das
Volk der Juden nicht nach Gerechtigkeit , son
dern nur aus Haß und Neid gegen Jejus eiferte,
und selbst offen bekannte , er finde auch nicht
die geringste Schuld an ihm , die den Tod ver
diene, so ließ er sich **vdoch von Menschenfurcht
befiegen , verlegte sein besseres Wissen und Ge
wissen und übergab den König der Wahrheit der
Willkür des grausamen Königs J Herodes, der ihn
dann wieder an ihn zurückschickte, nachdem er ihn
perspottet hatte, wo er denn 1 den Herrn seiner
Kleider entblößen , ihn nackt unter den Haufen
seiner Feinde und Spötter hinſtellen und von
grausamen, Geißelhieben den jungfräulichen, reinen
Leib des Herrn zerreißen und zerfeßen ließ ; da
floß jenes kostbare Blut des unschuldigen, liebens
würdigsten Mannes pon allen Seiten seines hei=
ligen Leibes 1 herab, und er war ohne Schuld,
ohne Sünde , ohne Verbrechen ! Und du verderbter
Mensch, du die einzige Ursache dieser Mißhand
lung und Zerfleischung , du wolltest nicht weinen
und wehklagen ? Sich , das unschuldige Lamm
läßt sich so ungerecht richten , unterwirft ſich
dem gottlosen Gerichte, um "dich zu cerretten vou
107

dem gerechten Gerichte der Verdammniß über dich,


fieh' , er, der nichts genommen, nichts entwendet
hat , zahlet für dich! Und du meine Seele , du
Sünderin und Verbrecherin, zeigst nicht Andacht,
nicht Dank, nicht Mitleid gegen deinen für dich
so schrecklich mißhandelten Herrn? Montá
To rod monolog
§. 25.
Jesus von Allen verspottet.
DAN Calen
Nachdem Pilatus in der Juden gottloses Ver=
langen eingewilligt hatte, begnügten sich die ruch
losen Kriegsknechte nicht damit , Jesum den Hei
land zu kreuzigen, sondern mit Schimpf und Spott
wollten sie zuvor sein heiliges Herz erfüllen . Sie
riefen nämlich in den Vorhof des Richters die
ganze Rotte zusammen , zogen ihm seine Kleider
aus , legten ihm einen Purpurmantel um , be
deckten sein Haupt mit einer Dornen-Krone, gaben
ihm ein Rohrnin die Hand, beugten, seiner spot:
tend, die kniee vor ihm, gaben ihm Backenstreiche;
spieenihnan und schlugen sein heiliges Haupt
mit einem Rohre Stehe auf, du hochmüthiges
Menschen-Herz, das vor jeder auch nur geringen
Verachtung zurückschaudert und nur immer geehrt
und geachtet sein willjeschaue auf! Wer ist der,
den du siebeste unter dem Bilde eines Königs und
doch in der Schmach des verachtetsten Knechts ?
Er ist dein König, er ist dein Gott, der geachtet
wurde als ein Ausfähiger, als ein Auswurf der
Menschen, und einzig , deinetwegen , damit er dich
"
retten möge von der ewigen Schmach, damitser
dich heilen möge von der Best der Hoffarthe
108

Wehe dir und abermals wehe denen, die vor diesem


hellen Spiegel der Demuth ſich brüſten in ſcham
loser Hoffart, die da auf's Neue verspotten und
zum Gelächter haben Jesum den Sohn Gottes,
der um so höhere Ehrfurcht , um so demüthigere
Ehrerbietung verdient , je mehr Entehrendes er
ausgestanden hat der Menschen wegen.

S. 26.
Jesus an das Kreuz genagelt.
#1
Da der gottlose Haufe seine Rache an den
Mißhandlungen des sanftmüthigsten Königs ge
fättigt hatte , werden unserem Könige abermals
jeine Kleider umgethan , um ihn derselben auf
dem Schmerzens -Berge wieder zu beraubens sein
Kreuz tragend , führen sie ihn auf die Schädel
stätte ; hier entkleiden sie ihn ganz , einzig ums
geben mit dem Scham-Tuche , werfen , ihn grau
fam hin auf das Kreuz , dehnen zerren und
strecken seinen Leib auf allen Seiten und durch
schlagen ihm hände und Füße mit Nägeln, be
festigen ihn an das Kreuz und verwunden so
seine heiligen Hände und Füße auf die grau
samste Weise, seine Kleider werden getheilt , über
das Unterkleid wird 1 gelooset. Hier betrachte, o
Seele, wie der über Alles hochgelobte Gott von
der Fußsohle bis auf den Scheitel ganz in das
Wasser der Leiden und Schmerzen versenkt ist;
um dich von deinen Leiden ganz zu erlöſen, darum
drangen die Gewässer des Jammers bis in seine
Seele ein. Mit Dornen gekrönt muß er den
blutenden Rücken unter die Last des Kreuzes
109

beugen , feine eigene Schmach tragen und zur


in id Gerichts-Stätte geführt werden ihm die 1 Kleider
Atten abgerissen , alle in der grimmigen Geißelung ers
Go haltenen Wunden an dem Rücken und der Seite
nute dadurch aufgerissen; so steht er denn nackt da
rende vor Aller Augen wie ein Aussäßiger ! Blicke ihn
an, deinen Geliebten mit Nägeln ist er durch
bohrt, zerrissen am ganzen Leibe , eine lautere
Wunde, und das Alles wegen dir und zu deiner
Heilung ! Wer giebt mir , was ich wünsche ? O
Gott , erhöre mein Flehen , durchbohre mir Leib
De und Seele, damit ich mit dem Geliebten am
1108 * Kreuzespfahle hange ! AR
berm
S. 27.
ben
Jesus den Mördern beigesellt, 60 20 .
en;
chade Um die Mißhandlungen , die Schmach, die
319 D Schande und die Schmerzen zu mehren , wird
7 gro das unschuldige Lamm aus der Stadt hinaus
zur Richtstättender Verbrecher geführt und am
Outd Borabende des hohen Festes , zur Mittagszeit,
in der Mitte zweier Mörder an das Kreuz ge
Denp nagelt, zum Schauspiel aller Anwesenden unter
gra den Thränen seiner Freunde und Lieben , unter
be dem Spotte und Hohngelächter seiner Feinde
te, am Kreuze erhöht ! Und die da vorübergingen,
t von schüttelten ihre Häupter , und die da standen,
Do spotteten seiner und lästerten ihn, indem sie spra=
chen : Er hat Anderen geholfen , nun mag er
tww sich selbst helfen, wenn er kann ! Ja , sogar der
Teme Mitgekreuzigten einer konnte sich nicht enthalten,
seiner zu spotten ! Und das fanftmüthigste Lamm
bat liebevoll für seine Kreuziger und Lästerer
110

zum Bater und in hoher Liebe verhieß er dem


reumüthigen und ihn anflehenden Mörder das
Paradies ! O Wort der innigſten Liebe und Ver
zeihung : "Bater , vergieb ihnen !" ¡O Wort der
Gnade und der Liebe : ,,Heute noch wirst du bei
mir ini Paradiese sein!" Seele, du Sünderin,
du große Sünderin, ermanne, dich, noch ist Hoff=
nung dazur , Vergebung ! Bist du anders ent
schlossen , in die Fußtapfen deines für dich so
leidenden Herrn und Gottes einzutreten, der nie
feinen Mund öffnete zur Klage in allen feinen
Leiden sich nie entschuldigte , wenn er geläſtert
wurde , nie dräute , wenn sie ihn verfluchten,
gegen jene wüthenden und fluchwürdigen Hunde
nie, auch nicht das leiseste Wort aussprach, viel
mehr das bis jezt noch nie gehörte Wort, das Wort
eines ganz neuen und unerhörten Segens über
"
ste aussprach , o so rufe denn mit allem Ver
trauen zu ihm : ,,Erbarme dich meiner , mein
Gott, erbarme dich meiner, denn auf dich ver
traut meine Seele !" Ach , vielleicht hörst auch
du , wie der reumüthige Mörder, einſt in deiner
Todes-Stunde das Wort der Gnade : Heute wirſt
du bei mir im Paradiese sein!
71
§. 28 30
Jesus mit Galle und Effig getränkt.

,,Darnach, als Jesus wußte, daß schon Alles


vollbracht war , daß die Schrift erfüllet würde,
spricht er : Mich dürstet ! Da stund ein Gefäß
voll Effigs . Sie aber fülleten einen Schwamm
mit Essig und legten ihn um einen Ysop und
111

ie c a hielten ihm es där zum Munde." So bezeugt


order es Johannes , der gegenwärtig war , und fügt
und& bei: Jesus sprach : ,,Es ist vollbracht !" Voll
Sort bracht das ganze bittere Leiden OX gewissermaßen
rit dat in dieser kostung des Essigs und der Galle ;
Sunder denn da der erste Ursprung unseres . Verderbens
durch Adam den Uebertreter in dem Genusse der
ders reizenden und verbotenen Frucht bestand, so war
ar di es wohl eben auch geziemend , daß das Mittel
, der unserer Erlösung und Verzeihung gerade auf dem,
len jen dem ersten ganz entgegengesetzten Wege mußte
r gelitz gefunden werden. Und da alle { Gliedmaßen des
erflu Herrn von den heftigsten Schmerzen und Leiden
Jen H ergriffen und durchwühlt waren bis zur gänz
rach, vi lichen Erschöpfung , so sollte auch sein Mund,
dasBr als Tonleiter der Sprache , j nicht leer an Leiden
gens it ausgehen, und es sollte ganz an unserem Retter
llem und Arzte wahr und erfüllt werden das Wort.
et, des Propheten ,,Er hat mich mit Bitterfeit
= dich gesättiget und mit Wermuth getränket." Aber
hörst ut auch an unseres Herrn heiliger Mutter sollte
in bein das schwere Wort ganz wahr werden : Der
cute w Herr hat mich voll Jammers und zu nichte ge
"
macht. Ach , wer kann sie aussprechen und
ganz fassen die Schwere deiner Leiden , du heilige
Jungfrau ! Immer gegenwärtig deinem gemarterten
Sohne und den nächsten und innigsten Antheil
an feinen Qualen nehmend, mußtest du mit Augen
on Alles sehen , wie der Heiligste , den du als Jungfrau
t work empfangen , mit so vieler Liebe erzogen und ge
n Geri nährt hast , der als holdes Kind in deinem
Schwamm Schooße lag , den du mit mütterlicher Zärtlich
jop und keit füßtest , nun durch Geißelhiebe zerfleischt,
112

sein Haupt mit Dornen durchstochen , mit einem


Rohre geschlagen , mit Fäusten in das Angesicht
geschlagen , Hände und Füße mit Nägeln durch
bohrt , der ganze Leib an das Kreuz geheftet
und hangend daran unter namenlosen Schmerzen,
verspottet und gelästert von Allen , mit Galle
und Effig getränkt wurde ! Das sah dein leibliches
Auge, dein Gemüth aber und dein Geist fühlten
und fahen die heiligste Seele des Sohnes ganz
ins ein Meer , der Bitterkeit versenkt , zagend,
trostlos , mit dem Tode ringend , geängstigt , ge
quält, mit allem Jammer und der schreckbarsten
Traurigkeit erfüllt , was Alles in des göttlichen
Sohnes Herzen und Seele war theils wegen
des heftigsten Gefühls der schrecklichen Schmerzen,
theils wegen des brennendsten Eifers für die
Ehre Gottes , durch die Sünde Gott " entzogen,
theils wegen des innigsten Gefühls der Erbarm
nig über das Elend der Menschen , theils aus
kindlichem Mitleid und Theilnahme an dem
Jammer der geliebten, namenlos leidenden Mutter,
die er freundlich und mit halbgebrochenem Auge
ansah und zu ihr sagte: Weib , sieh da , dein
Sohn ! Ach , er wollte deine Seele trösten in
deinem gränzenlosen Jammer, er sah, ja er selbst
fühlte " das Schwert der Schmerzen , das deine
Seele durchdrang.

§. 29.
Jeſus , die Sonne, erblaßt im Tode.

Da nun das unschuldige Lamm , die wahre


Sonne der Gerechtigkeit, drei Stunden lang am
113

Kreuze hing und zugleich die natürliche Sonne,


mitleidend mit ihrem Schöpfer , sich verfinsterte
und Alles "} erfüllt und vollendet war , versiechte
der Brunnen des Lebens um die neunte Stunde,
Jesus der Gott-Mensch schrie mit lauter Stimme,
zum Beweise seiner Erbarmung über uns und
feiner Gottesmacht , empfahl seinen Geist in die
Hände des Vaters und verschied . Da zerriß
der Vorhang im Tempel von oben bis unten
hinaus , die Erde erbebte , die Felsen bersteten
und die Gräber öffneten sich ; der Hauptmann
bekannte den Gemordeten als Gottes Sohn , die
Spötter und Lästerer gingen heim und schlugen
an ihre Brust. Da wurde der Schönste unter
den Menschenkindern verunstaltet, mit gebrochenen
Augen und erblaßtem Antlige hing er da , ein
Opfer des lieblichsten Wohlgeruchs vor dem Vater
der Herrlichkeit , um feine Ungnade von uns abs
zuwenden. So siehe denn herab , o Herr , du
heiligster Vater , von deiner heiligen Wohnung,
vom Himmel , schaue an das Angesicht deines
Gesalbten , siehe herab auf dieses allerheiligste
Opfer , das dir unser Hoherpriester für unsere
Sünden darbringt , und sei gnädig über die
Bosheit deines Volks ! - Aber auch du , o
Mensch, du Erlöseter , bedenke , wer und von
welcher Würde Der sei , welcher für dich hier
am Kreuze hängt , dessen Tod den Todten das
Leben bringt, über deffen Tod Himmel und
Erde weinen, die harten Felsen- Steine zerspringen,
gleichsam mitleidend und schaudernd über die
----
That ! Menschenherz , gefühlloser und här
ter als der harte Stein wärest du , könntest du
8
114

ohne Schauder an dieses Sühnopfer denken, würde


dein Herz nicht vom innigsten Mitleiden ergriffen,
zerrissen von Reue und Schmerz , nicht erweicht
von den Thränen der Buße !

§. 30.
Jeſus mit einer Lanze durchſtochen.

Da aus der Seite des entschlafenen Chriftus


seine Kirche gebildet und die Schrift erfüllt werden
sollte , die sagt : ,,Sie werden sehen , den sie
durchstochen haben" , so geschah es durch göttliche
Anordnung, daß einer der Soldaten seine heilige
Seite mit einer Lanze durchbohrte.. Da sollte
denn als der Preis unserer Erlösung Blut mit
Wasser gemischt ausfließen und aus dieser gehei
ligten 1 Quelle des Herzens sollten die Geheim
nisse der Kirche ihre Kraft erhalten zur Aus
spendung des Lebens der Gnade , und denen,
(+
die da leben in Christo, sollte der Trank des
lebendigen Waffers gereicht werden, das hinüber
strömt in das ewige Leben. Sieh' , meine Seele,
so mußte durch Gottes Erbarmen die grausame
Lanze Saul's , nämlich der Meineid des ver
worfenen Judenvolks , vergeblich für ihre Rache
in eine Mauer stoßen , für dich aber eine Deff
nung machen in diesem Felsen und dieser Stein
rize, eine Wohnung für die fromme, stille Taube !
So stehe denn auf , du Freundin Christi , sei
du dieſe Taube, niste dich ein in dem Eingange
der Höhle , wie ein einsamer Vogel , der ein
Nestchen gefunden hat und immer wach und froh
ist ; verbirg hier die jungen zarten Küchlein der
115

keuschen Liebe vor dem Raubthiere , lege deinen


Mund an die süße Quelle , daß du ,,Waffer
,
schöpfest aus den Heilbrunnen" , denn das ist
die Quelle, die da ausströmt aus der Mitte des
Paradieses , in vier Haupt-Ströme sich theilt,
sich ausgießt in alle Gott ergebene Herzen und
die ganze Erde befruchtet und durchwässert.

-S. 31.
Jesus von Blut überronnen.

Mit seinem Blute war Jesus , unser Herr,


ganz überronnen erstens durch seinen blutigen
Angstschweiß, zweitens durch die Geißelung, drits
tens durch die Krönung mit Dornen , endlich
durch die Annagelung an das Kreuz und den
Lanzenstich; so war er denn "mit Blute allents
halben umgeben , so war denn "1 Gnade bei dem
Herrn und viel Erlösung bei ihm. " Unser Hohe
priester trug somit das hohepriesterliche Kleid,
denn sein Gewand war rothfarb und sein Kleid
wie eines Keltertreters ." So war er der wahre
Joseph , den die falschen und liebelosen Brüder
in die Cisterne brachten, sein Kleid in Thierblut
eintauchten und dasselbe dem Vater zur Ueber
zeugung des durch ein wildes Thier ihm zuge=
fügten Mordes überbrachten. Oso erkenne, gnä
digster Vater , das Kleid deines innig geliebten
Sohnes Joseph , denn auch ihn 1 hat der Neid
seiner Brüder nach dem Fleische , dieser wilden,
bösen Thiere, zu Grund gerichtet und sie haben
ſein Kleid zerrissen in dem wilden Grimme ihres
Herzens , es mit Blute befleckt und durch fünf
8*
116

bejammernswürdige Risse entehrt und verunstaltet.


Das ist jenes Kleid , o Herr , welches dein un
schuldiger Sohn in den Händen der egyptischen
Chebrecherin , nämlich der Synagoge , freiwillig
zurückgelassen hat , der eher nackt und blos in
den Kerker des Todes : hinabsteigen , als in das
schändliche Begehren f des ehebrecherischen Ges
schlechtes für zeitlichen Ruhm und weltliche Herr
schaft einwilligen wollte , denn statt der Freude
wählte er das Kreuz , sich hinwegseßend über
alle Schmach und Verachtung . Aber auch du,
o betrübte Mutter und Jungfrau , betrachte das
Heilige Kleid deines geliebten Sohnes , gebildet
aus deinem reinen Fleische und Blute durch die
Kraft des Allerhöchsten , erftehe für die , welche
dich lieben und ehren , Verzeihung und Gnade,
"
daß wir nicht einst als Sünder dem künftigen
Strafgerichte des göttlichen Richters heimfallen.

§. 32.
Jesus im Grabe .

Endlich kam der edle Hauptmann Joseph von


Arimathia und nahm den Leichnam des Herrn,
nach der ihm von Pilatus ertheilten Erlaubniß,
mit Nicodemus vom Kreuze herab , salbte ihn
ein , wickelte ihn in Leinwand und legte ihn
ehrerbietig in sein neues Grab , das er sich in
feinem Garten aus einem Felsen hatte hauen lassen.
Als nun der Herr im Grabe lag und bei dem
Grabe die Soldaten zur Wache aufgestellt waren,
wollten jene frommen und heiligen Weiber , die
dem Herrn folgten in seinem Leben , ihm nun
117

auch in seinem Tode die lehte Pflicht der Liebe


und treuen Ergebenheit erweisen ; fie kauften
deshalb köstliche Salben, um den heiligsten Leich
nam Christi damit zu falben. Unter diesen treuen
Seelen erblicken wir vorzüglich Maria Magda=
lena ; ihr brannte das Herz , die Liebe zog sie
fo gewaltig und mächtig , daß sie , der Schwäche
ihres Geschlechtes vergeffend , die Finsterniß der
Nacht nicht achtend , ohne Furcht vor der Grau
famkeit und Rohheit der Feinde ihres Herrn,
sich nicht abhalten ließ von dem Besuche des
die
GrabesSchwelle weinend und mit ihren í Thränen
, ja nehend
stand sie dem Grabe ;
und da auch die Jünger vom Grabe wieder
heimkehrten , bliebsfie da ; sie konnte sich nicht
trennen von der Stätte Deffen , den ihre Seele
liebte , das Feuer der göttlichen Liebe J hielt fie
fest, das Verlangen und die immer mehr wachsende
Sehnsucht ließ sie nicht von der Stelle , namen
ཐ་
Jos verwundet von der Liebe konnte sie nur
weinen und wollte nur weinen ; fie konnte mit
dem 3 Propheten wahrhaft seufzen und klagen :
14
,,Meine Thränen sind meine Speise Tag und
Nacht , weil man täglich zu mir faget : wo ist
nun dein Gott ? — Jeſu , du mein Herr und
Gott, gieb auch mir , obgleich ich dessen ganz
unwerth11 bin und leiblich dabei mich nicht ein
finden kann , gieb mir , flehe ich zu dir , daß ich
im lebendigen Glauben das schaue , dich schaue,
meinen Gott , meinen für mich gekreuzigten und
gestorbenen Erlöser, daß ich im gläubigen Herzen
dich als Solchen in mir erlebe und fühle , wie
deine unschuldige Mutter und die büßende Mag
118

dalena in dieser Stunde deines Leidens das er


fahren und gefühlt haben. ** 07
PROS
2)

§. 33.

Der im Tode triumphirende Jesus."


4C
Des Herrn Leiden waren geendigt , der blut
dürftige Löme, der grausame Drache hielt sich als
den Sieger über das unschuldig gewürgte Lamm.
Aber sieh' , da erschien die Seele Chriſti in götts
licher Macht in der Hölle, der machthabende Löwe
aus der Zunft Juda erhob sich gegen den starken
Bewaffneten, er entriß ihm seinen Raub , durch
brach die Pforten der Hölle, band die alte Schlange
und hat ausgezogen die Fürstenthümer und Ge=
waltigen, und sie zur Schau, getragen öffentlich,
und einen Triumph aus ihnen gemacht durch sich
selbst. Da , ward er denn doch + herausgezogen,
der Beviathan , herausgezogen mit dem Hamen
durch Christus , und mit einer Stachel ihm die
Backen durchbohret ; denn F da er das Haupt der
Menschheit anging, zu welchem er kein Recht hatte,
so sollte ihm auch der Leib entriſſen werden, auf
welchen er Anspruch zu machen vorgab. So hat
der, sterbende und wahrhafte Samson seine Feinde
und Quäler erschlagen. Da führte das unbefleckte
Lamm durch das Blut seines Bundes die Ge
fangenen aus der Grube, da erschien denen , die
im Lande des Schattens des Todes waren , das
Licht und die längst erwartete und ersehnte Herr
lichkeit des neuen Lichtes , ging ihnen aufer suit 2
119

S. 34. 14. 1.'


Jesus der verherrlichte Auferstandene .

Da nun der dritte Tag der heiligen Ruhe


des Herrn im Grabe , der in der gewöhnlichen
Zeitordnung der achte, unseres Gottes aber der
erste Tag nun ist, anbrach, besiegte Gottes Weis
heit, Christus der Sohn Gottes, den Fürsten und
Urheber des Todes , triumphirte glorreich über
den Tod selbst und öffnete uns den Eingang zur
Ewigkeit, da er sich durch eigene Macht vom Tode
erweckte , um uns einzuführen auf den Weg des
Lebens. Es geschah ein großes Erdbeben , und
der Engel des Herrn kam vom Himmel herab,
seine Gestalt war wie der Blig und sein Kleid
weiß wie der Schnee, sanft und tröstend erscheinend
den JFrommen, aber schreckbar den Frevlern ; die
freche Rotte beim 1 Grabe warf er zu Boden und
tröstete die erschrockenen Frauen. Diesen nun er
schien der auferstandene Herr selbst , was ihnen
ihre herzliche Liebe und die treue Ergebenheit
gegen ihn verdiente ; darauf erschien er auch dem
Petrus, dann den nach Emaus gehenden Jüngern,
endlich den sämmtlichen Aposteln, außer Thomas,
zuleßt ließ er sich auch von diesem sogar betasten,
1
der , über dieses Uebermaaß der Liebe seines
Meisters innigst ergriffen, ausrief : Mein Herr
und mein Gott! ➖ So 1:ging er nun vierzig Tage
mit ihnen um , erschien ihnen zum Defteren , äß
und trank mit ihnen. Durch die wiederholten
Erscheinungen nun und durch seine dabei gegebenen
Lehren zündete er in ihnen und in uns das Licht
des Glaubens an und durch seine Verheißungen
120

legte er in unser Herz die Hoffnung, wodurch er,


wenn er in Kurzem seine himmlischen Gaben senden
würde , unsere Liebe zu ihm erwecken und ents
flammen wollte. JET

S. 35.
ichen rherrlichung
Jeſus in seiner unvergleichl Ve .
404
Jene herrliche Blume , entsproffen aus der
Wurzel Jesse , blühte hervor in seiner Mensch
werdung , verblühte in seinem Leiden und brach
abermals ganz erneuert und verherrlicht in feiner
Auferstehung hervor ; sein verherrlichter Leib,
durchdringlich , unsterblich, wurde J mit solcher
Herrlichkeit und solchem Glanze überkleidet , daß
er leuchtender war als die Sonne ; und auch hierin
ward der Herr unser Lehrer und Vorbild , denn
in gleicher Herrlichkeit sollen dereinst bei der
Auferstehung die Leiber der Heiligen und Ge=
**
rechten erscheinen , das hat er uns verheißen
in den Worten : // Die Gerechten werden leuchten
wie die Sonne in dem Reiche meines Vaters."
Wird nun jeder einzelne Gerechte leuchten wie die
Sonne, sprich, wie werden sie alle zumal leuchten,
und noch mehr : wie wird die Sonne der Gerech
tigkeit selbst leuchten und glänzen ? Wahrlich,
nur ein mattes Bild kann hier von •1 der Sonne
Licht und dem Glanze der Sterne, im Vergleiche
jener Herrlichkeit, genommen werden ; so ist denn
Jesus, der verherrlichte Auferstandene, der Schönste
und Herrlichste ohne Gleichen ! O selige Augen, die
ihn fahen ! Aber auch dein Auge wird ſelig ſein,
121

wenn du als * ) der gesegnete Samenals einer


von denen, die da übrig sind und die selig werden
sollen ", den Herrn schauen wirst nach Außen, wie
im Inneren in seiner Herrlichkeit.nordman
Nude Kovo 122 IT CH 9010 No nis
§. 36.
Jeſus der Herr des Himmels und der Erde.
love pod torge
In Galiläa zeigte sich der Herr den versam
melten Jüngern und erklärte ihnen , daß ihm alle
Gewalt im Himmel und auf Erde vom Vater
übergeben sei; deshalb sandte er sie aus in alle
Welt, zu predigen das Evangelium, allen Menschen,
单身
Rettung und2' Heil zu verheißen Allen , die da
glauben, und ewiges Unheil zu verkünden denen,
die nicht glauben werden ; er sagte ihnen, er werde
bei ihnen sein, mit ihnen wirken und bekräftigen
das Wort mit folgenden Zeichen: 11 sie würden
Krankheiten heilen , Teufel austreiben, schädliche
Thiere vertreiben und so der ganzen Welt beweisen,
daß Jesus Christus der Sohn des allerhöchsten
Vaters als wahrhaftiger Heiland und Retter lebe
und herrsche, und nicht nur herrsche, wie ehemals
Joseph, der Retter, Egyptens, in einem Lande
auf der Erde , sondern daß er der allgemeine
Herrscher sei. auf der ganzen Erde , der wahrhaf
tige König aller Menschen , der , entnommen aus
dem Kerker des Todes, als Gott herrsche im Him=
mel, der die sterbliche Hülle abgelegt und die un
sterbliche Herrlichkeit übernommen hat , der , als
der zweite und wahre Moses aus den Wäffern
lund 1920
*) Nôm. 9. Kap. 27. und 29. B.
122

des Verderbens und des Todes errettet, Pharao's


Herrschaft entkräftet hat und zu solcher Würde
und Höhe erhoben worden ist,,,daß sich in seinem
Namen beugen müssen alle Kniee derer, die im
Himmel , auf Erde und unter der Erde ſind .“

‫را‬ §. 37. & 19 254 Pej


Jesus der Herzog der Seelen.
317 001
Bierzig Tage nach seiner Auferstehung , und
zwar am vierzigsten Lage selbst, da er seine Jünger
versammelt hatte, begab sich der gütige Meister
auf den Delberg, was ohne bedeutungsvolles Ge
heimniß nicht geschehen ist , ward aufgehoben
day
zusehends gen Himmel, und eine Wolke nahm ihn
auf, vor ihren Augen hinweg. Und so ist er
aufgefahren in die Höhe und hat das Gefängniß
gefangen geführet“ , die Himmels = Pforte seinen
Nachfolgern geöffnet und sie zu Mitbürgern der
Engel und zu Hausgenossen Gottes gemacht, daß
fie die Stellen der gefallenen Engel zur Ber
mehrung der Ehre seines Vaters einnehmen sollten.
So hat er sich denn als wahren Sieger erwiesen
und als den Herrn der Heerschaaren und Herzog
der Seelen.. !! #Stat
T 11
S. 38. TI
Jesus in den Himmel erhoben .
41 13
Unter dem Lobgesange und dem Freuden-Rufe
aller Engel und , Heiligen ist Gott , der Herr
aller Engel und Menschen , gegen den Himmel
aufgefahren " und hat sich gesebete zur Rechten
123
1
des Baters, und ist so viel besser worden , denn
die Engel, soG gar viel er einen höhern Namen
vor ihnen ererbet hat" ; hier ist 5 er nunals
unser ewiger Mittler vor dem Angesichte des
Vaters , verherrlicht in seinen Wunden , dieser
wegen uns und zu unserem Heile fich hat schlagen
Lassen , zeigend dieselben dem Bater zur Versöh
nung mit uns, denn einen solchen Hohenpriester
sollten wir haben, der da wäre heilig, unschuldig,
unbefleckt und höher denn der Himmel ist." . So
danke dir denn, o allerheiligster Bater, jede Zunge
für die unaussprechliche 3 Gabe deiner unermeß
lichen Liebe, nach welcher du deines eingebornen,
geliebten Sohnes nicht geschont, sondern für uns
ihn dargegeben hast in den Tod, daß wir in ihm
unſeren treuen, erbarmenden Mittler und Stell
vertreter im Himmel vor deinem Angesichte haben .

$ 39
Jeſus der Sender des Geiſtes.

Am fünfzigsten Tage nach der TAuferstehung


des Herrn, da die Jünger mit den Frauen und
der Mutter Jesu einmüthig bei einander waren,
geschah schnell ein Brausen vom Himmel , als
eines gewaltigen Windes , der ‫ و‬über die hundert
und zwanzig Bersammelten herabkam und in Ge
t
ſtalt feueriger Zungen über ihnen sich sette, denn
ihr Mund sollte das rechte Wort , ihr Verstand
das ächte Licht und ihr Herz das nöthige Feuer
empfangen , und L sie alle wurden erfüllet mit
dem heiligen Geiste, und fingen an zu reden mit
mancherlei Zungen, nachdem der Geist ihnen gab
124

auszusprechen", der sie dann lehrte alle Wahrheit,


der in ihr Herz die Fülle der Liebe goß und sie
kräftigte in allen Tugenden ; denn die Gnade des
heiligen Geistes war es, die sie erleuchtete in der
Lehre, die sie stärkte und muthvoll machte , daß
fie, die Wenigen und Kleinen , die heilige Kirche
Goltes theils durch eindringende Worte , theils
durch ihren heiligen Lebenswandel , theils durch
Wunder und Zeichen auf der ganzen Erde grün
deten und ausbreiteten ; und desselben heiligen
1
Geistes Kraft und Wirkung war es , die diese
Kirche Gottes reinigte , erleuchtete , vollkommen
und liebenswürdig machte ihrem Bräutigam Jeſu
Christo, damit sie herrlich und auserwählt prange
im köstlichsten Schmucke vor dem Bräutigam,
schrecklich aber wie Heerspißen" dem Satan und
seinen Abgesandten.do the ない end@ ml voorber

S. 40.
Jesus der Sünden-Vergeber.

In dieser heiligen , durch die wundervolle


z
Gnade des heiligen Geistes in der ganzen Welt
und unter allerlei Volk vielseitig verbreiteten,
i
jedoch ↓ in Einheit unter sich verbundenen Kirche
regiert der einzige Hohepriester Christus als der
höchste und unumschränkte Herrscher , hier theilt
er auf wunderbare Weise und nach dem Vorbilde
der himmlischen überirdischen Stadt die Aemter
in seiner Kirche aus und spendet die Gaben des
Geistes,,,denn er hat gesezt in der Kirche einige
ju Aposteln , einige zu Propheten , einige zu
Evangelisten , einige zu Hirten und Lehrern, daß
$125

die Heiligen zugerichtet werden zum Werk , des


Amts, daß Der Leib Christi erbauet werde."
Auch
Auch hater 1 nach der siehenförmigen Gabe des
heiligen Geistes fieben Sakramente als Heilsmittel
unferer Gebrechlichkeit eingeseßt, durch deren Aus
spendung er die heiligmachende Gnade austheilt
und die Sünden nachläßt, die uns aber nur nach
gelassen werden, wenn wir glauben und mit un
ferer heiligen Mutter in Einheit verbunden, bleis
ben ; und da durch, die Feuerprobe der Leiden

und Verfolgungen die Sünden getilgt und die
Sünder gereinigt werden, so hat es Gott veran=
staltet , daß, so wie das Oberhaupt der Kirche,
Christus, leiden mußte, auch sein Leib, die Kirche,
bis an das Ende der Tage zu ihrer Reinigung,
Prüfung und Läuterung verfolgt und geplagt
werde ; diesen Weg mußten alle Patriarchen,
Propheten, Apostel, Märtyrer, Beichtiger, Junge
frauen und Alle , die Gott wohlgefielen , unter
vielen Verfolgungen und Drangsalen wandern,
und alle auserwählten Glieder Christi werden bis
an der Welt Ende , bis zum Gerichtstage des
Herrn denselben Weg wandern.

T §. 41 .
Jesus der wahrhaftige Zeuge.

An diesem künftigen Gerichtstage , wo Gott


das Verborgene der Herzen richten wird,,,gehet
Feuer vor dem Richter her", gesendet von ihm,
werden die Engel mit der Posaune die Auser=
wählten rufen und versammeln von allen vier
Himmelsgegenden, und Alle, die in den Gräbern
126

find , werden auf Gottes Befehl auferstehen und


vor jenen Richterstuhl gestellt werden ; hier werden
alle Geheimnisse der Finsterniß offenbar und alle
Anschläge der Herzen enthüllt werden, hier werden
die Gewissensbücher geöffnet, ja, selbst das Buch
des Lebens wird offen daliegen ; hier nämlich
werden auf einmal und in einem Augenblicke alle
verborgenen Dinge mit solcher Klarheit und Ge
wißheit vor allen Menschen erscheinen, daß gegen
f
das Zeugniß der Wahrheit , die da spricht aus
dem Munde Christi, und gegen das " Zeugniß
des selbst bekennenden Gewiffens eine Leugnung,
Bertheidigung , Entschuldigung, Verkleinerung un
möglich ist, so daß jeder wahrhaftig nur empfangen
wird, jenachdem und was er gewirkt hat. D
wie sollte das uns drängen zum frommen , gott
gefälligen Leben ! Wir thun ja wirklich Alles
vor dem Angesichte des allsehenden Richters .
9 02.
11 44013§ . 42.
Jesus der erzürnte Richter .

Wenn das Zeichen des allmächtigen Sohnes


Gottes in den Wolken erscheinen , die Kräfte der
Himmel sich bewegen , die Welt in Feuer ver
brennen und die Gerechten zur Rechten gestellt,
die Gottlosen zur Linken stehen werden , dann
wird der Richter der Welt den Gottlosen so furcht
bar und schrecklich erscheinen , daß sie ausrufen
werden : Ihr Berge und Felsen fallet über uns,
und ihr Hügel bedecket uns , entziehet uns dem
Anblicke dessen, der auf dem Throne ſizet, und
dem Zorne des Lammes ! Denner wird die
127

Gerechtigkeit anziehen zum Panzer und wird das


a
ernste Gericht auffeßen als Helm, er wird Heilig
teit nehmen zum unüberwindlichen Schilde , er
wird den strengen Zorn weßen zum Schwert,
und die Welt wird mit ihm zum Streit ausziehen
wider die Unweisen" , denn die gesündigt haben
gegen den Urheber aller Dinge N freventlich und
unbeugfam; gegen diese müssen sich nach dem ge
rechten Urtheile Gottes alle Dinge bewaffnen 14 zu
ihrer Vertilgung. Welche entsegliche Stellung!
Oben der erzürnte Richter , unten der grausende
Höllenabgrund, hier die Sünden und Verbrechen
die gegen fie klagen, dort die Teufel, die sie in den
Abgrund stürzen wollen , innen das nagende
schreiende • Gewissen ! So allenthalben umfangen
von Schauder, Elend und Jammer , wohin soll
er fliehen, der Sünder , sich verbergen ? Das ist
unmöglich! Offen dastehen ? Das ist unerträglich;
denn , wenn kaum der Gerechte gerettet wird, wo
soll der Gottlose und Sünder erscheinen ?" -
Herr, gehe nicht ein zum Gerichte mit deinem
Knechte l EM
40.
S.43.
Jesus der herrliche Sieger.

Ist nun das Urtheil der Verdammung über


die Gottlosen ausgesprochen, sind die Feinde Jesu
Christi , dieser Unkraut- Same im Weizenacker des
Hausvaters , gesammelt zum Verbrennen, daun
wird die allmächtige Kraft. Gottes fie nach Leib
und Seele der Flammenpein übergeben , # von der
fie nimmermehr verzehrt, aber ewig gemartert
128

von ihr, ewig fie empfinden werden ,,,und der


Rauch gehet auf ewiglich. : ,, Da wird das Thier
und der falsche Prophet, und ST die des Thieres
Bild und Zeichen tragen, geworfen in den Pfuhl
von 1 Feuer und Schwefel, der bereitet ist für den
Teufel und seine Engel ,,Da wird denn das fieg
reiche Lamm , alle seine Feinde zum Schemel seiner
Füße legen , da die Gottlosen werden hinunter
fahren unter die Erde, wo sie ins Schwert fallen
und den Füchsen , den höllischen Geiſtern → zu
Theil werden" , von welchen sie sich durch ihre
Arglist und Bosheit 1 verführen ließen.dem
$145 07 1700 S
MOROT Q S.441
$ 1 Bräutigams -Schmucke.
Jesus in seinem Bratis
7514

Ist endlich der jeßigen Welt ihre 1 alte Ge
4
ſtalt entnommen und sie durchaus erneuert
worden ,,,da des Mondes Schein sein wird wie
་།
der Sonnenschein , und der Sonnenschein sieben
mal heller sein wird, als jezt “ , wird jene himm
lische Stadt Jerusalem , die vom Himmel ge
kommen wie eine geschmückte Braut und nun
bereitet ist zur Hochzeit des Lammes , cingeführt
werden in den Pallast des M himmlischen Hofes
und geleitet in jenes heilige , geheime , glorreiche
Brautgemach, wo sie dem himinlischen Lamme so
innig wird vermählt werden , daß von nun an
zwischen Bräutigam und Braut nur ein Geist
und ein Sinn sein wird. Hier wird sich Christus
in der Schönheit seiner Auserwählten zeigen, wie
in einem buntfarbigen Rocke, glänzend im vollsten
Schmucke , überfäet mit köstlichen Edelsteinen,
129

Dann wird der füße Brautgesang ertönen, und


durch alle Straßen Jerusalems wird das Alle
luja ! erschallen , jezt werden die klugen Jung
frauen , die da gewacht haben und bereit sind,
eingehen mit dem Bräutigam zur Hochzeit , wo
dann die Thüre geschlossen wird , daß sie dort
wohnen im schönen, ungestörten Frieden, in sichern
Wohnungen und in stolzer Ruhe. "

S. 45.
Jesus der König.

Gottes Reich ist ein ewiges und da der


Herrscher desselben der Allmächtige ist , ein glor
reiches und einziges Reich, denn nicht hat dieser
König seinen Namen von dem Reiche , vielmehr
kömmt dieses Reich einzig nur von diesem Könige
her , und er ist jener König,,,der einen Namen
geschrieben hat auf seinem Kleide und auf seiner
Hüfte also : Ein König aller Könige und ein
Herr aller Herren !" dessen Macht ewig währt
und seines Reiches ist kein Ende ; dem alle Völker,
alle Geschlechter und Zungen ewig unterworfen
sein werden. Er ist der wahre König des Frie
dens, dessen Antlig zu schauen Himmel und Erde
verlangen. Wie glorreich ist das Reich dieses
einzigen höchsten Königs ? Hier herrschen mit
Christus alle Heiligen , das einzige Geseß dieses
Reichs ist die Wahrheit, der Friede in demselben
ist die Liebe und die Dauer desselben die Ewig
keit ; und da hier nur Wahrheit herrscht und
Liebe , so ist es bei aller Theilnahme der Mit
herrschenden ein unzertheiltes , nie geſchwächtes
geschwächtes
130

Reich, wo die Vielheit keine Verwirrung , die


Ungleichheit keine Störung stiftet ; denn Alles
ordnet die Wahrheit und die Liebe ; es ist ein
unermeßliches, ein unbewegliches, Zeit und Raum
übersteigendes Reich."
1
§ . 46.
Jesus das versiegelte Buch.

Zur vollkommenen Verherrlichung eines Reiches


ist nicht allein ausgezeichnete Macht und Herr
schaft erforderlich , sondern auch ausgezeichnete
Weisheit ; nicht nach unbeugsamer Willkür des
Herrschers darf da regiert werden , sondern der
Lichtstrahl der ewigen Geseße , urspringend aus
dem Lichte der unfehlbaren Weisheit , muß das
Ganze leiten und lenken ; und diese Weisheit
ist einzig zu finden in Christo Jesu , dem wahr
haftigen und einzigen Buche des Lebens,,, ,,worin
Gott alle Schäße der Weisheit und Wissenschaft
niedergelegt hat. " Deshalb ist der eingeborne
Sohn Gottes , als das unerschaffene Wort , das
Buch der Weisheit und das Licht in Gott, dem
höchsten Werkmeister aller Dinge, das volle Licht,
der lebendig machende, ewige Grund Alles , was
da ist , als eingegeistetes Wort in den Engel
Geistern, als eingefleischtes Wort in den vernünf
tigen mit einem Leibe vereinigten Seelen der
Menschen, so daß die vielgestaltige Weisheit
Gottes aus ihm und in ihm durch das ganze
Reich Gottes strahlt und leuchtet, wie aus einem
alle Schönheit und Zierde , alle Gestaltungen
und Lichter darstellenden und wiederſtrahlenden
131

Tuna, Spiegel, und in ihm, als dem Buche des Lebens ,


211
alle Tiefen und Geheimnisse der Gottheit nieder
Qu gelegt und verzeichnet sind. D wäre ich würdig,
dieses Buch zu finden , dessen Ursprung ewig,
dessen Inhalt unverweslich , dessen Kenntniß das
Leben ist , dessen Schriftzüge
+ unvertilgbar sind,
in welches zu schauen alle heiligen Geister ge
lüstet , dessen Lehre leicht, dessen Wissen süß und
lieblich , dessen ! Tiefe unerforschlich ist , dessen
Worte unaussprechlich sind und in einem ein
und he zigen Worte Alles enthalten ist ! O wer dieſes
Buch findet,,,der hat wahrhaft das Leben ge
fir funden und wird Heil sich erwerben von dem
Ondern Herrn." ‫ܘܪܐ‬
gend
mus S. 47.
Jesus das ursprüngliche Licht.
em ma
8,,,1000 In diesem ewigen Reiche ,,kommt alle gute
Sienia Gabe und alle vollkommene Gabe von Oben
ingeben herab , von dem Vater des Lichts ", und zwar
Sort, im Uebermaße durch ihn , ! der da ist der über
Soft, wesentliche Lichtstrahl, Jesus Christus, der, da er
olle Sik der Eine ist , ! Alles vermag und als das unver
les, me änderliche Sein Alles ändert und erneuert ; denn
17 Cinc er ist der reine Ausfluß der Klarheit und Kraft
Verno des allmächtigen Gottes , und deshalb kann in
elen diesen ursprünglichen Lichtstrahl nichts Unreines
eindringen. Du fromme, Gott ergebene Seele,
13 gan wer du immer bist, eile mit lebendigem Verlangen
Is einen zu diesem Brunnen des Lebens und des Lichts ,
altunge rufe mit aller Anstrengung deines Herzens und
s
Ablema Gemüths zu ihm : O unaussprechliche Herrlichkeit
9*
132

des allmächtigen Gottes , o Abglanz des ewigen


Lichtes, du unerschöpfliches alles Leben schaffende
1
Leben , du ursprüngliches Licht , von dem alles
Licht kommt , durch den alle Lichter erhalten
werden im unaufhörlichen Glanze , die da in
vielerlei Gestalten leuchten vom ersten Anbeginn
der Welt vor dem Throne deiner Gottheit ! D
ewiger, unzugänglicher, süßer, klarer und köstlicher
Ausfluß der jedem sterblichen Auge verborgenen
Duelle, deren Tiefe grundlos, deren Höhe gränzen
los , deren Umfang unfaßlich , deren Klarheit
nicht zu trüben ist , von dir aus strömt das
Freuden - Del ,,,dessen sich ergießenden Bächlein
die Stadt Gottes erfreuen", ein wahrer Feuer
Strom , ein Strom der göttlichen Wollust , von
dem in hoher Freude trunken werden die Him
mels- Gäste und unaufhörlich frohlocken in Lob
gefängen dem Allmächtigen ! O salbe mich mit
diesem geheiligten Dele, erfrische und labe, ach!
nur mit einigen Tröpfchen dieses süßen Stromes
mein dürstendes, schmachtendes, vertrocknetes Herz,
damit auch ich mit lauten Jubelliedern, mit Dank
und Preis dir lobsinge und aus selbstgemachter
feliger Erfahrung vor Allen bekennen könne : " Bei
dir , o Herr , ist die lebendige Quelle und in
deinem Lichte sehen wir das Licht !"

§. 48.
Jesus das erwünschte Ziel.

Das Ziel aller unserer Wünsche ist bekanntlich


die Seligkeit und diese ist der vollkommene Besit
alles Guten ; dahin aber kann Keiner anders
133

gelangen, als durch endliches Uebergehen in Den,


welcher ist der Ursprung und die Quelle alles
Guten , jenes der Natur , wie der Gnade , des
Leibes, wie des Geistes, der Zeit, 兽 wie der Ewig
keit, 7der sich nennt ,,das A und das O, der An
fang und das Ende." Denn + so wie durch das
Wort , das da war im Anfange , Alles gemacht.
worden ist , eben so muß und wird Alles durch
das Wort,,,das Fleisch geworden ist", erneuert,
gefördert und vollendet werden, und darum heißt
er wahrhaft und im eigensten Sinne Jesus , der
Heiland, und Retter ,,,und ist in keinem andern
Heil , ist auch kein anderer Name unter dem
Himmel den Menschen gegeben , in welchem wir
――― Nach dir also , geliebter
sollen selig werden."
Jesus , du mein und aller Menschen einziges
Ziel und Ende, sei mein gläubiger Blick gerichtet,
auf dich meine einzige Hoffnung gegründet, dich
will ich lieben aus ganzem Herzen , aus ganzer
Seele , aus meinem ganzen Gemüthe und aus
allen meinen Kräften, denn du allein genügst, du
allein rettest, du allein bist hold und gütig gegen
Alle , die dich suchen und deinen Namen lieben.
Nur du , o gütiger Jesu , bist der Erlöser der
Berlornen , nur du der Heiland deiner Erlösten,
du die Hoffnung der Verwiesenen, du die Stärke
der Müden und Abgematteten, du die Hülfe der
Unterdrückten und der Gequälten, ein füßer Trö
,*
ster des beklemmten Herzens , die 博 Krone der
Triumphirenden, der Thron ihrer Verherrlichung ;
du bist der Lohn und die Freude aller Himmels
bürger, du bist der Eingeborne des Allmächtigen,
du die heilige Frucht des keuschen, jungfräulichen
134

Leibes, du die reichste Quelle aller Gnaden,,,von


,"
dessen Fülle wir Alle empfangen haben !" - So
flehen wir denn zu unserem, gütigsten Vater [ durch
dich, seinen Eingebornen, der für uns Mensch ge
worden, für uns gekreuzigt, für uns verherrlicht
worden ist, 0 daß er uns sende aus seinem reichen
Schabe den heiligen Geist , den Geist der sieben
förmigen Gaben , der über dir einst 3 auf Erden
in ganzer Fülle ruhte , nämlich den Geist der
Weisheit, daß wir die Frucht des Lebensbaumes,
der du ཝཱ་ bist, diese lebendigmachende 1 Frucht kosten ;
den Geist , die Gabe des Verstandes , daß unser
inneres Auge ? Har und richtig sehe ; die Gabe
des Rathes, daß wir, folgend deinen Fußtapfen,
auf dem rechten und geraden Wege wandeln , die
Gabe der Stärke , widerstehen zu können den
gewaltigen Anfällen unserer Feinde ; die Gabe
der Wissenschaft , daß das Licht J deiner Heiligen
in uns aufgehe , daß wir gehörig unterscheiden
das Gute von dem Bösen, die Gabe der Güte,
Barmherzigkeit zu üben gegen Alle die Gabe
der Furcht des Herrn, daß wir verabscheuen das
Böse aus Ehrfurcht vor der ewigen Majestät
Gottes und so den Frieden der Seele bewahren
um das 醬 zu bitten, hast du selbst ja in deinem
heiligen " uns gegebenen Gebete uns befohlen.
Berleibe uns das durch dein heiliges Kreuz zur
Ehre deines allerheiligsten Namens , dem mit dem
Vater und dem heiligen Geiste Ehre und Ruhm,
Dank, Preis und Herrschaft gebührt 2 durch alle
Ewigkeit. Amen. sidd now red aid us
Schwalbe god omodoprio nos hic is comiN
Madiseni procblunt end ioburg 4 Pog sið me
"; 20

Selbstgespräche

des heiligen Bonaventura über vier

innere Uebungen der Seele. Sonst


auch das Bild des Lebens genannt.
2 U ‫زار‬ .11
126 $ 18
*******
Vorrede. 07

Ich beuge meine Kniee gegen den Vater un


sers Herrn Jesu " Christi, der der rechte Bater
ist über Alles, was da Kinder heißet im Himmel
und auf Erden , daß er euch Kraft gebe nach dem
Reichthum 14 seiner Herrlichkeit , stark zu werden
durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen,
und Christum zu wohnen durch den Glauben in
euern Herzen , und durch die Liebe eingewurzelt
und gegründet 1 werden , auf daß ihr begreifen
möget mit allen, Heiligen, welches da sei die Breite
und die Länge und die Tiefe und die Höhe ; auch
erkennen, daß Christum liebhaben, viel besser ist,
denn alles Wissen , auf daß J ihr erfüllet werdet
mit allerlei Gottes-Fülle. " Der Apostel Paulus,
das Gefäß 1 der ewigen Auserwählung , diefer ge
M
heiligte Tempel Gottes , dieser Spiegel und das
Muster der himmlischen Betrachtung und der
136

Gottes-Schauung, hat uns in diesen Worten den


Anfang, den Gegenstand und den Nußen der in
neren Uebung der Seele gezeigt ; denn soll dieſe
innere Uebung ächt und ersprießlich sein, ſo iſt der
Seele die übernatürliche Kraft zu ihrer Stärkung,
die Weisheit von Oben zu ihrer Leitung, die Gnade
und Huld des Herrn zu ihrer Tröftung unum
gänglich nothwendig. So beuge denn die fromme
Seele, entbrannt von der Liebe zur Betrachtung
göttlicher Dinge, ihre Kniee, ihren Geist vor dem
Throne der hochheiligsten und unerforschlichen
Dreieinigkeit , sie klopfe in wahrer Demuth an,
fie flehe und bitte mit Weisheit zur Macht des
Vaters, um Stärke, damit sie in ihrem Vorhaben
nicht unterliege , zur ordnenden Weisheit des
Sohnes , daß sie nicht in Irrthum falle und ab
irre vom Wege der Wahrheit , zur Trost spen
denden Güte und Gnade des heiligen Geistes, da
mit sie nicht ermatte und unterliege ; "1denn alle
gute Gabe und alle vollkommene Gabe kömmt
von Oben herab von dem Vater der Lichter", und
nach Augustin's Lehre ist alles Gute entweder
Gott selbst oder es ist von ihm ; so müssen wir
denn, wenn wir etwas Gutes anfangen wollen,
immer zu ihm uns vor Allem wenden , ihn an=
rufen , da alles Gute ursprünglich von ihm aus
geht , durch den Alles gut und erwünscht fort
schreitet und auf den alles wahrhaft Gute als
das + eigentliche Ziel und Ende bezogen werden
muß. Von dieser unaussprechlichen Dreieinigkeit
des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes
redet der Apostel in den Eingangs angeführten
Worten, wo er sagt : „ Ich beuge meine Kniee gegen
137

den Vater unsers Herrn Jesu Christi , der der


rechte Vater ist über Alles, was da Kinder heißet
im Himmel und auf Erden , daß er euch Kraft
gebe nach dem Reichthum seiner Herrlichkeit, stark
zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen
Menschen und Christum zu wohnen durch den
Glauben in euren Herzen und durch die Liebe
eingewurzelt und gegründet werden. Er zeigt
auch den Gegenstand dieser heilbringenden Uebung
der Seele, und dieser Gegenstand besteht in dem
Inneren und in dem Aeußeren , in dem Untern
und in dem Oberen ; denn die in Andacht sich
innerlich übende Seele muß den Blick ihrer Bes
schauung zuerst auf ihr Inneres richten , um zu
erkennen ihre Gestalt nach der Natur, ihre Miß
gestalt durch ihre Sünde, ihre erneuerte Gestalt
durch die Gnade. Dann muß sie schauend er
wägen das Aeußere in der Hinfälligkeit aller
Weltpracht , in der Veränderlichkeit aller Welt
ehre und in dem wahren Elende aller Welt
Herrlichkeit. Ferner muß sie betrachtend eingehen
auf das Untere , nämlich auf die unvermeidliche
Nothwendigkeit des Sterbens , des endlichen Ge
richts furchtbare Strenge, der Hölle unerträgliche
Pein. Endlich muß sie nach f Oben blicken und
schauen, liebgewinnen und seufzen nach des Himmels
unaussprechlichen Freuden, in ihrem unnennbaren
Entzücken der Wonne und ihrer ewigen Dauer.
Das ist jenes selige Kreuz in seinen vier En
den , an welchem du , meine fromme Seele , mit
Jesus Christus deinem süßen Bräutigam in steter
Betrachtung hangen sollst. Das ist jener feuerige
Wagen mit seinen vier Rädern, auf welchem du
138

in unausgesetter Schauung auf deinen treuesten


Freund hinan fahren solleft und eingehen in des
Himmels Herrlichkeit. Das iſt jenes vierſeitige Land
nach Aufgang, Untergang, Mittag und Mitternacht,
wohin du, o Seele, du Pilgerin, täglich wandern
follest, wo du deinen Geliebten , deinen Einzigen
stets aufsuchen , ihm nachspüren und nachgehen
follest wie die Braut nach dem Bräutigam ,,Die
ganze Nacht hindurch suchte ich ihn , den meine
Seele liebet", bekennt diese von sich. 1 Das sind
jene pier , von welchen der Apostel in den erst=
angeführten Worten spricht,,,auf daß ihr begreifen
möget mit allen Heiligen, welches da ſei die Breite
und die Länge und die Tiefe und die Höhe."
**
Die Frucht aber dieser heilsamen Uebung,
wenn sie recht und geziemend vollführt wird , ist
die ewige Seligkeit, jene volle Genüge, die außer
sich nichts bedarf, das sie das Beste , das Herr
lichste, das höchste 4 besigt ; denn hiero Seele,
wirst du schauen, lieben und loben ewig den und
ruhen in ihm , der da ist hochgelobt in Ewig
སྠཽ E
keit. Diese Frucht verspricht Paulus in den
Schlußworten der pbigen 9 Stelle , wenn 彩 er sagt:
,,damit ihr erfüllet werdet mit aller Fülle Gottes."
Diese Fülle werden wir dann finden und empfangen,
wenn unser }. Wille selig in Gott gefriedigt, unsere
Vernunft von seinem Lichte ganz erleuchtet, unser
Gedächtniß nichts sich vergegenwärtigt als das
Ewige, als ihn den Ewigen ; jest wird Gott
Alles in Allem sein, nicht mehr irren wird diese
Vernunft , nicht mehr uns beunruhigen die Wahr
heit als 鑫 Zeugin gegen uns , nichts Schreckendes
wird ferner unserem Gedächtnisse sich darstellen,
139

da wird in uns nichts sein, als heitere, munder


volle Freude, nach der wir uns so lange sehnten,
nichts als göttliche Fröhlichkeit und Wonne, nichts
als ewige, nie zu störende Sicherheit.
Diese Abhandlung niederzuschreiben, trieb mich
mein Inneres an ich habe selbige den frommen
und einfältigen Herzen, zu Liebe eben auch in ein
fältigen , kunstlosen Worten verzeichnet ; größten
theils aus den Schriften und Zeugnissen heiliger
Männer zusammengetragen und ihr die Form
eines Gesprächs Y gegeben, in welchem die Gott
suchende und ihn liebende Seele als Lehrjüngerin
der ewigen Wahrheit in ihren Betrachtungen fragt
und der innere Mensch , geistig redend , ihr ant
wortet. Damit wir aber zu dieser unschäßbaren
Betrachtung dieser inneren geistigen Uebung ge
langen, so wollen wir den rechten Anfang machen
und den Vater der Lichter demüthig anflehen, uns
im Geiste vor dem Throne seiner ewigen Majestät
niederwerfen und vor dem dreieinigen Gott seufzen
!
und weinen, " daß der Vater durch seinen, hoch
heiligen Sohn uns schenken möge im heiligen
Geiste die Gnade dieser inneren Uebung , damit
wir erkennen und begreifen können , welches da
fei, die Breite und die Länge und die Tiefe und
die Höhe, und ſo gelangen zu +3dem, der da ist
das Ziel und Ende all unseres Verlangens. Amen.
993 #di od r. W
1000 of 29 11857 VILLA list of
jera Canouad Erstes Kapitel. ni mad
t ut avde diów moonlund bim ...
Wie die Seele in ihrer inneren Uebung den
Blick, ihrer Betrachtung #1 auf ihr Inneres lenken
140

foll, um zu erkennen ihre natürliche Gestalt, dann


die ihr durch die Sünde gewordene Mißgestalt
und die Erneuerung ihrer ursprünglichen Geſtalt
durch die Gnade.
Die Seele. Sage mir, wenn ich die götte
liche Herrlichkeit ernstlich angerufen , in Demuth
die ewige Weisheit angefleht, vor der göttlichen
Barmherzigkeit mich niedergeworfen habe, weinend
vor ihr um die Gnade, mich geistig üben zu können
in dem vierfachen Gegenstande , der Länge , der
Breite, der Höhe und der Tiese, wo habe ich dann
anzufangen , um nicht verlustig zu werden des
Werthes und der Frucht dieser Uebung, was mir
allerdings widerfahren würde, träfe ich die rechte
Ordnung nicht, zumal da ich weiß, was Ambro
fius sagt: Nicht wissen die rechte Ordnung,
trübet und schwächet das Verdienst des Guten
und das heißet nicht recht erkennen , wenn man
nur weiß, was man thun , aber nicht weiß , in
welcher Ordnung man das thun müſſe ?
Der innere Mensch. Bei dir , o Seele,
muß die Betrachtung anfangen ; übergehst du dich,
dann ist Alles umsonst für dich, was außer dir
ist. Bernardus sagt: Biele sind , die Vieles
wissen, sich selbst aber wissen und kennen sie nicht ;
fie sehen auf Andere , sich aber übersehen sie ; in
äußeren Dingen suchen sie Gott, ihr Inneres aber
übergehen sie , wo eben Gott ihnen der nächste
ist ; so will ich denn , fährt er fort , von dem
Aeußeren in mein Inneres mich kehren und von
da aus mich schwingen nach Oben , so werde ich
inne werden, woher mein Ursprung, wohin mein
Lauf, von wem ich komme und wer ich sei ? So
f

141

steige ich von der Kenntniß meiner zur Kenntniß


-
Gottes auf. Die Hauptsache der Weisheit, sagt
Chrysostomus, ist , sich selbst kennen ; und derselbe
Ambrosius spricht : Kenne dich selbst, o Mensch, be
obachte dich und merke, welche Gedanken dein Herz
hege , welche Rede und Sprache von da ausgehe .
Prüfe dich täglich, prüfe genau deinen Wandel, schaue
emsig nach, wieviel du zu- oder abnehmest, wie dein
Benehmen, wie deine Neigungen seien, wie ähnlich
Gott oder wie unähnlich , wie nahe oder wie
entfernt von ihm ? Sei fest überzeugt : es ist weit
rühmlicher für dich, es ist dir weit heilsamer, dich
selbst kennen, als wenn du unter Vernachlässigung
deiner den Lauf der Gestirne, die Kräfte der Kräu
ter, die Beschaffenheit und Natur der Menschen
und aller Thiere kenntest und wüßtest Alles, was
vorgeht und lebt im Himmel und auf der Erde.
So gieb denn dich dir selbst wieder , und ist dir
das nicht immer möglich, thue es doch zuweilen,
thue es öfters , ordne deine Neigungen , regele
deine Handlungen , überschaue dein Leben , folge
dem Rathe der Heiligen , richte den ersten Blick
deines betrachtenden Herzens nach dem Aufgange,
nach dir selbst und deinem Zustande; erwäge, wie
edel der höchste Schöpfer dich geschaffen habe, wie
sehr du dich durch deinen eigenen verderbten Willen
verunstaltet habest und wie huldvoll die Barm
herzigkeit und Gnade Gottes dich so oft erneuert
habe.
Zuerst also erwäge die dir von Gott ursprüng
lich gegebene Würde. Dieser hohe Adel deiner
ursprünglichen Würde wird allerdings darin be
stehen , daß du empfangen das Bild der seligſten
142

Dreieinigkeit. Anselmus sagt: JIch bekenne es,


f
o Herr , 4 und ich danke dir , daß du mich er
schaffen hast nach deinem Bilde , daß ich deiner
gedenken , dich denken und dich lieben kann.
und Bernardus .‫ ال‬spricht Nach meinem inheren
Menschen finde ich ein Dreifaches in mir , nach
welchem ich 1 Gottes gedenke , ihn sehe , nach ihm
verlange ; dieses Dreifache ist mein Gedächtniß,
die Vernunft und der Wille Denke ich meines
Gottes, so fühle ich Freude, denn seiner gedenken
ist füßer denn Wein, fehe ich ihn mit meiner
Vernunft, wie er unbegreiflich, da er der Anfang
und das Ende ist , wie er sehnenswerth ist , da
die Engel gelüften , ihn anzuschauen , wie er die
Wonne der Heiligen ist und sie sich in ihm un
aufhörlich selig fühlen , wie er der Wunderbare
ist in allen seinen Geschöpfen , die alle seine
Allmachterschufseine Weisheit regiert seine
Gütehuldvoll austheilt , wenn ich das Alles
ansehe , dann verlange ich wohl nach ihm. Lie
bet mein Wille Gott , so gestaltet diese Liebe
mich in ihn um , denn das ist der Liebe Kraft
*
und Vermögen , daß sie dich nach dem geliebten
Gegenstande umformt. So weit Bernardus. So
erkenne denn , o meine Seele , deine wundervolle
und unschäßbare Würde , nicht nur bist du ein
fichtbares Merkmal des Schöpfers , was alle
Geschöpfe sind , du bist auch sein Bild , und du,
o Mensch, bist es allein. So lobe denn, meine
Seele , den Herrn , lobe deinen Gott , o Sion,
erwache , preise , frohlocke in deinem Gott , freue
dich seiner, der dich geziert hat mit seinem Bilde,
der dich verherrlicht hat , da er dich sich ähnlich
143

gemacht hat, da er dir die Gabe der Vernunft


gegeben , dich des ewigen Heiles fähig gemacht
hat ; und da das zusammen immer noch wenig
wäre , wenn es nur endlich wäre und mit des
Leibes Fallen auch fiele und verschwände , • fo
frohlocke und preise ihn abermals , daß er zu
dem Allen die Unsterblichkeit des Geistes dir
beigelegt hat, ein unvergängliches Wesen dich
geschaffen zu einem ewigen, unzerstörbaren Leben,
denn könnte der Tod dich endigen , nimmermehr
wärest du das Bild des dreieinigen * Gottes.
Augustin sagt : Erwäge , v Seele, wie dein Gott
mit deinem Sein dir das ewige Dasein gegeben
hat , dann erhieltst du von ihm das Leben , die
Empfindung , die Kraft , zu unterscheiden. Er
hat dir Sinne gegeben, Weisheit dir mitgetheilt.
0
Ev erwäge denn deine Schöne, damit du wiſſeſt,
welche Schönheit du an dir lieben sollest , und

solltest du etwa nicht vermögend sein , diese dir
eigene Schönheit dir selbst zur Kenntniß zu
entwickeln , höre darüber das Wort eines An
deren , höre mich an : Dir ist ein Bräutigam
geworden , dessen Schönheit , wenn du sie ganz
kenntest , dir ihn als den Liebenswürdigsten,
als den Holdseligsten zeigen würde , dir zeigen
würde, daß er sei der eingeborene Sohn Gottes,
der nimmermehr von deinem Anblicke gerührt
1
worden wäre , hätte ihn nicht deine besondere
und über alle andere wunderbare Gestalt ange=
zogen. So weit Augustin.
Doch wenn es möglich wäre , daß alle diese
dir gewordene Herrlichkeit dir nur klein schiene,
du undankbare Seele , so vernimm denn auch
144

die dritte fo wunderbare Würde : diese ist so


einzig und einfach und gelegt in den innern
Grund deines Geistes , in dem nichts bleiben
*?
und Play fassen kann , als die einfache , die
reine , die ewige Dreieinigkeit . Merke , was
dein Bräutigam sagt: ,,Ich und der Vater werden
zu ihm kommen, und Wohnung bei ihm machen“,
und das Wort an Zachäus : ,, Steige eilends
herab , heute muß ich bleiben in deinem Hause."
Ja, in deinen inneren Grund kann nichts ein
dringen, als Der, welcher ihn erschaffen hat, er ist der
Innigste deinem Innern. So freue dich denn, o
glückliche Seele , die du fähig biſt, einen solchen
Gast aufzunehmen . Bernardus spricht dich an :
O glückliche Seele, die da täglich reinigt ihr Herz,
daß der inwohnende Gott eine bleibende Stätte
da finde, fie den Gast aufnehmen könne, der nichts
bedarf, da er der Urheber und die Quelle alles
Guten ist ; selige Seele , in welcher Gott Ruhe
gefunden hat, die da sagen kann : „ Der mich er
schaffen hat, hat in mir geruhet !" denn nimmer
mehr f kann er die himmlische Ruhe versagen,
die ihm Ruhe gestattet hat in ihrem zeitlichen
Leben. So weit Bernardus. D Seele , wohl
wärest du unersättlich, wenn solche Gastes - Gegen
wart dir nicht genügte , dessen Freigebigkeit ich
kenne, der gern mittheilt von seinen Gütern und
nicht nur mittheilt, sondern nach seiner gewöhnten
Huld und Güte dich sogar bereichern will.mit
seinen Gütern , denn das würde der Hohe und
Erhabene unter seiner Würde finden , die gaſt=
freundliche Seele in Noth zu verseßen und sie
wohl gar Mangel leiden zu 17 lassen . So bereite
145

{
denn das Schlafgemach , nimm auf den König,
deinen Vater und Schöpfer , über deffen Gegen
wart dein ganzes Haus , all die Deinen froh
locken und jubeln werden . D wirklich wunder
bares und staunenswerthes Wort , der König,
deffen Schönheit Sonne und Mond bewundern",
deffen Größe Himmel und Erde fürchten , durch
dessen Weisheit alle himmlischen Heere erleuchtet
werden , durch dessen Güte die ganze Gesellschaft
der Heiligen gesättigt wird, dieser Hohe, Erhabene,
Allgenügende will in dir wohnen, o Seele, will ,
daß 3 du den Speise- Saal für ihn bereiten sollest,
nach dem ihn mehr verlangt , als nach dem
Himmel,,,seine Lust ist es nämlich , bei den
Menschenkindern zu sein."
Und verlangst du noch mehr ? Wohlan , so
richte deinen Blick und betrachte die vierte
Wohlthat : Gott hat dein Herz , seine Wohnung
in dir , so weit und umfassend gemacht , daß
nichts des Geschaffenen solches ausfüllen und seine
Sehnsucht stillen kann. Höre , was der fromme
Hugo vom heiligen Viktor fagt : Alle Lieblichkeit,
alle Süßigkeit , alle Macht und aller Reichthum
des Geschaffenen könne das Menschenherz wohl
ansprechen, aber niemals ihm genügen , es nie
fättigen. Anselmus spricht : Alles Geschaffene,
was mein Gott nicht ist , ist Armuth mir und
Elend, und warum das ? Wir finden die Erklärung
darüber bei Gregorius : Wahrlich, sagt er, die
menschliche Seele , die geschaffen ist , ihren Gott
zu wollen, kann sich nie begnügen mit dem, was
unter Gott ist, es ist ihr Alles und Alles
zu wenig , 31.1
10
146

Nun sollte ich glauben, meine Seele , du


hättest deine Würde und deinen hohen Adel ge
nugsam erkannt, so wende denn nun deine Be
trachtung hinauf die Macht welche Idir Gott
gegeben hat über alle anderen Geschöpfe , sie ist
wahrlich wunderbar. Ich rede dich mit den
ii
Worten desselben Hugo an : O Seele , was hat
dir dein Bräutigam gegeben ? Blicke auf dieſe
ganze Welt hin, die ganze Natur verrichtet ihren
Kreislauf und arbeitet zu deinem Dienste, zu
deinem • Nußen , zu deiner Freude in allen ihren
Veränderungen und Zeitläufen ; so erwäge denn,
Seele , wie dein Schöpfer, dein Bräutigam,
dein Freund das ganze sichtbare All zu deinem
Dienste geordnet habe. Ja, auch die unsichtbare
Welt arbeitet für dich Die Engel sind es , o
meine Seele, die deine Neigung reinigen und
himmlisch sie entzünden , die dich belehren und
unterrichten , die dich schüßen und führen , und
sölche Lehrer, solche Tröster , solche Mahner und
Schüber zu haben, ist gewiß ehrenvoll. Könntest
du sehen, mit welcher Freude , mit welcher Fröh=
lichkeit sie um dich stehen , wenn du beteſt , wie
fie fich dir beigefellen in deinen Betrachtungen,
wie sorgsam sie daran sind , dich zu schüßen,
wie sehnlich sie uns und unserer einstigen Selig
keit entgegensehen ! Blicke nach Himmel und
Erde, fie dienen dir mit ihren Kräften , für dich
bewegt sich der Himmel , die Sonne giebt dir
den Tag, der Mond erleuchtet die Nacht , das
Feuer schüßt dich gegen die Kälte die Luft kühlt
die brennende Hige das Wasser reinigt dich,
tränkt dich und befruchtet die Erde , dieſe trägt
61
147

dich, nährt dich durch ihre Gaben , erfreut dein


Herz durch ihren Schmuck. So bist du denn
gewandert , o meine Seele , durch jedes einzelne
der Dinge hienieden und bist gekommen an Das,
was oben ist, und hast dich überzeugt, daß alles
Geschaffene nach dem Befehl und der Anordnung
deines Gottes sich regt, lebt und bewegt zu
deinem Dienste, zu deiner Freude; nur hüte dich,
D. Seele , daß du gegen den Herrn , nicht wie
seine Braut , sondern wie eine Chebrecherin dich
benehmest, was leider der Fall sein würde, wenn
dir die Gaben des Gebers lieber: wären als
feine Liebe. Dir ruft Auguſtin zur ( Wehe dir,
wenn du mir stehen bleibst auf den Fußtapfen
1
des Herrn, wenn du, statt seiner selbst nur seine
Werke liebst , wenn du nicht reinen Herzens
erkennst, was jenes heiligste Licht, dein Gott,
mit allen diesen seinen Werken, seinen fegnenden
Fußtritten , gleichsam seinen Winken an dich,
(
wolle, nämlich dir zeigen : er sei aller dieser
Segnungen Vater, ihr Licht, ihr Schmuck , ihre
Zierde. Dir rufe ich zu : ,,Kennst du dich nicht,
du Schönste unter den Weibern, so gehe hinaus
auf die Fußtapfen der Heerde d. h. der ver
"
nunftlosen Geschöpfe, erkenne sie als die Fuß
• dich aber als den Spiegel
tritte deines Schöpfers,
und das Abbild des breieinigen Gottes , folglich
erhabener} und herrlicher als sie alle, und weide
deine Böcke bei den Hirtenhäusern " , nämlich
erhebe deine Gedanken hinauf zu den Engel-Chören,
denen du gewissermaßen ähnlich bist nach der
Natur und seinſt Mitbürgerin mit ihnen in der
Herrlichkeit.
10 *
148

Die Seele. Ich war jest lange stille,


+
habe lange geschwiegen, nun aber will ich reden
und muß schamroth bekennen : diese meine Würde
habe ich leider ! wenig beachtet , meine Liebe
habe ich Elende und Unselige sehr entehrt , ich
habe meinen Schöpfer für seine Gaben und in
seinen Gaben nicht verherrlicht , nicht erkannt,
ihm nicht gedankt , ein seiner Liebe und Hoheit
ganz unwürdiges Leben geführt , hingegeben der
Eitelkeit und Trägheit ; und damit ich die Wahr
heit bekenne, sage ich mit Bernardus : Je ernst
licher ich meine Würde erwäge, um so mehr
schäme ich mich der Unordnung meines Lebens,
denn mit Recht fürchte ich die Größe meiner
Schuld, je erhabener und edler der Stand meiner
Natur ist , in den der Herr mich gestellt hat ;
auch ist allerdings die Beleidigung größer , je
höher und erhabener der Beleidigte ist, schwerer
die Mißhandlung und Verachtung , je zahlreicher
die Wohlthaten dessen sind , den ich verschmäht
habe. O mein Herr und mein Gott, die Würde,
die du mir gegeben hast , zeigt mir die Nichts
würdigkeit meines Herzens, die Erhabenheit meiner
Natur, die Schändlichkeit meiner Schuld', die
Summe deiner Wohlthaten an mich mein undank
bares und unwürdiges Leben ! Wehe mir Elenden!
Nun sehe ich, nun erkenne ich, daß ich die Gaben
meines höchsten Wohlthäters , gegeben mir von
ihm zum nöthigen Gebrauche , schändlich gemiß
braucht habe zur Sünde und Schuld ; die Ruhe
des zeitlichen Lebens , eine Gabe von dir, wirkte
in mir nur fündliche Sicherheit , die Pilgerfahrt
hienieden gewann ich lieb , als wäre sie mein
149

Vaterland , meine endliche Bestimmung, des


Leibes Gesundheit und Schönheit mißbrauchte
ich zum Dienste der Wollust, reichliche Habe
würde nicht verwendet zur Befriedigung der
Nothdurft , sondern praffen wollte ich und Ge=
nüge thun der unersättlichen sinnlichen Begierde,
selbst der heitere Himmel, die Milde der Witterung,
die schönen Tage wurden mißbraucht und ver
schwendet in irdischer Lust und thörichter Freude ;
ich fürchte und erzittere , daß alle mißbrauchten
Gaben, deine Gaben , sich rächen werden an
mir, da ich sie herabgewürdigt habe zum Sünden
dienste, und so die Edlen und Guten Knechte des
Verderbens werden 1 mußten.
Der innere Mensch. Du hast wohl er
wagt , meine Seele , und ich sehe , daß meine
Mahnung an dich nicht vergebens war ; ich über
zeuge mich, daß Gottes Licht einigermaßen dir
geworden, daß sein Lichtstrahl dich getroffen und
aufgeschreckt habe, denn nach der Lehre des Gre
gorius ist das ein Zeichen, daß Gottes Hand
und Licht walte in der Seele, wenn der Mensch
sich selbst sieht und erkennt an der 8 Gerechtigkeit
und Güte des Herrn seine Schuld , die ihn ver
blendet; selbst heilige Seelen, je mehr sie in der
Würde der Tugenden vor Gott zunehmen, umso sicht
barer wird ihnen ihr Unwerth , denn je näher fie
dem Lichte kommen, um so klarer entdeckt sich ihnen,
was sich bisweilen immer in ihrem Innern ver

steckt hielt. So sagt Gregorius. Ist nun, meine
Seele , Gottes Lichtstrahl in dich gefallen und hat
dir deine Würde gezeigt , die du bisher nicht
erkannt , nicht geachtet haſt , iſt dir deine Schuld
150

gegen deinen Schöpfer deutlichtal geworden,


te siehst du
jezt, wie huldvoll er dich ges hat nach &der
Natur , so erkenne denn nun auch wie du vers
unstaltet worden bist durchT deine Schuld. Der
Lehrer Anfelmus ruft dir zu Erinnere dich , du
elende und bedauerungswürdiger Seele, deines
schweren Verbrechens , erhebe die Stimme des
Jammers und der Klage I bis in den Himmel,
denke, du Untreue gegen Gott, du Eid- und Bund
brüchige gegen Christus , was dungethan hast !
Den keuschen himmlischen Liebhaber hast du ver
laffen , verachtet deinen Schöpfer , dich abgewens
"
det von deinem Bräutigam , deinen Gott betrübt,
dich unwürdig und ohne alle Ehrfurcht gegen deinen
7
schüßenden Engel benommen ; Gottes Tempel warst
du, Christi Braut, des heiligen Geistes Wohnung,
wie hast du dich so schnell geändert , wie bist du
fo ganz anders geworden ? Die himmlische reine
Jungfrau vom Satan geschändet, die Braut Chriſti
eine Meze des Teufels ! Das sagt dir Anselmus.
Antworte mir , Seele, warum hast du deine
Schönheit verkauft, warum deiner Ehre entsagt,
gegen was hast du die herrliche Gestalt deines
Angesichts vertauscht, wie das Herrlichste um eine
Nichtswürdigkeit hingegeben ? Warum hast du dich
so vieler Güter beraubt, warum hast du so hohe
21
Ehren abgegeben, warum so viel Gutes vernach=
lässigt ? warum fo viele Jahre, Tage und Stunden
nuglos verschwendet ? vui mollared mi dam
Die Seele.. Owich erkenne die Wahrheit
deiner Rede , gerecht ist deinestrafende Zurecht
weisung, ich habe sie verdient, ich, die Verbrecherin!
Ich rufe mit Bernardus aus: D Herr, mein Gott,
151

welche lange Zeit ist dahin gegangen, in welcher


ich ohne allen Werth vor dir gelebt habe ! Wie
kann ich vor dir bestehen , wie kann ich mein Auge
aufheben zu dir an jenem großen und erschreck
lichen Gerichtstage, wo jeder Tag meines Lebens
geprüft werden soll, ob ich Früchte brachte an
demselben ! Herr, mein Gott, warum habe ich
auch nur einen Augenblick unterlassen, an dich zu
denken , mich mit ganzem Gemüthe dir zu ergeben,
mich zu erfreuen in deiner Lieblichkeit ? Wo war
denn mein Geist, wenn er nicht bei dir war ? Hat
er ja doch nichts 粤 und feine Kreatur nichts, keine
Freude, keinen Beistand, wenn er dich nicht hat!
so rufe ich mit Bernardus. Ich selbst aber be
fenne, Herr, daß mir Alles klar vor Augen
stehe, aber leider ! muß ich mich schämen , es zu
bekennen der trügerische Zauber des Jrdischen
hat mein Auge getäuscht und ich habe es nicht
bemerkt , daß der 1 Reiz, des Geschaffenen nur ein
Tropfen deiner namenlosen Schönheit ist, den du
der Kreatur gegeben hast , du hast ja den Himmel
mit Sternen geschmückt, diede Luft mit Vögeln, das
Wasser mit Fischen, die mit Kräutern und
Blumen, den Menschen die vielseitigen Gestalten
und Farben gegeben und ihr Inneres mit man
nigfaltigen Kräften begabt ; bist du es t nicht , du
huldvollster Vater, der die himmlischen Heere mit
so vielen Gaben , bereichert hat ? Du hast in den
Seraphinen die Liebe zur Flamme angefacht, den
Cherubinen". die hohe Erleuchtung gegeben , durch
deine Gnade herrschen, die Thronen und dein Ge
schenk ist es, daß die Herrschaften so mächtig walten.
Doch was sind alle diese Herrlichkeiten ? Ein Funke
152

find sie von deiner Schönheit und Herrlichkeit.


gütigster Jesu, du Ursprung aller Schönheit,
verzeihe mir Armen und Elenden, die deine Schöne
so spät erkennt, so spät geliebt hat und so lange
in der Jrre und im Elende umherlief, denn auch
die täuschende Süße der Kreaturen machte meinen
Geschmack irren und ich vergaß darüber deiner,
o du höchste Süßigkeit, obgleich du derjenige bist,
welcher alles Geschaffene mit einigen Tropfen seiner
füßen Huld gesegnet hat. Alle irdische Süßigkeit
in deiner Welt , o Herr , sollte mich und jeden
vernünftigen Beobachter hinleiten und führen auf
dich, den Ursprung dieser Lieblichkeiten . Verzeihe
mir, o Jesu, du Quelle aller Süßigkeit , daß ich
dich, den Holden und Süßen, in deinen Kreaturen
nicht erkannte, nicht in einem dich in ihnen fin=
denden und liebenden Herzen kostete, darum irrte
ich im Elende so lange , suchte meine Sättigung
in den Trebern der Schweine und habe leider !
noch nie das Brod deiner Kinder gekostet ; fo
blieb ich denn immer leer und hungerig mitten unter
Genüffen der Welt und ihrer 1 sogenannten füßen
Thorheiten. Nun, o süßester Jesu , sehe ich,
nun erkenne ich, daß Alles, was süß mich dünkte
und dir mißfällig war , nichts als ein wahres
Elend und Unglück für mich gewesen ist, denn du,
o erbarmungsvoller Gott, sagt Augustin , warst
immer bei mir und bliebst bei mir , auch wenn
ich fündigte, trugst in Langmuth alle meine thö
richten Freuden , alle meine sündlichen Lüſte, nur
aber würztest du sie, mir zum Heile , immer mit
vieler Bitterkeit und machtest mich endlich durch
deine Züchtigungen begreifen , daß ich nur dann
153

reiner und ungetrübter Freude fähig und em


pfänglich wäre, wenn ich sie einzig in dir suchte,
o Herr. Ich habe diese Lehre nicht erkannt,
wie Augustin, darum ging ich immer in der Frre
herum ; doch bei allen meinen thörichten Freuden
fürchtete ich immer Verrath, immer einen
" Ankläger,
immer Vorwürfe, mein Herz schrie mir entgegen
‫لود‬
und mich ängstigend war der Schrei , auch der
Gedanke der Unehre schreckte mich öfters , die
Hölle machte mich grausen , und doch unter fo
vielen Dualen und Vorwürfen wollte mein Wille,
mein böser Eigenwille nicht brechen. - Auch
der finnliche Geruch betrog mich, denn ich wußte
nicht, daß dein Geruch, o milder Jesus, alle Wohl=
gerüche übertreffe. O Jesus , du Ursprung alles
Wohlgeruches , der , wenn er gekostet wird , die
Seele in Liebe dir nacheilen macht, verzeihe mir,
daß ich dich so spät erkannte , so spät in dem
}
Geruche der Salben , so gar dir nicht nachgeeilt
bin; doch meine ich und will mich darüber nicht
entschuldigen , der Geruch der himmlischen Ges
würzkammer möchte sich wohl mit dem ekelhaften
Gestante, von dem ich erfüllt war , nimmermehr
haben vereinigen laffen. - Auch das Gehör
"
war mein Verführer , falsche Töne drangen in
dasselbe ein, die irreleitenden Töne der Kreaturen ;
aber leider , das erkannte ich nicht , wie lieblich
und hold deine Worte ~ der auserwählten Seele
find , wie süß den Ohren deiner Freunde deine
Mahnungen ! O Jesus, du Ursprung der Weisheit,
du Urheber der Wissenschaft , du Mittheiler des
heilsamen Rathes , laffe mich, o laſſe wenigstens
jezt mich deine Stimme hören , lasse deine süße
154

Stimme in meinen Ohren ertönen. Wie bitter


ist mir das Andenken an jene trügerijche, falsche
und Jammer bereitende Stimme , die mir so oft
erschallte im bösen Gesange und loser Rede : ,,Wohl
her nun und lasset uns wohlleben, weil's da ist,
laffet uns Kränze tragen von jungen Rosen, ehe
fie well, werden, wir wollen uns mit dem besten
Wein und Salben füllen , man ſoll allenthalben
spüren, wo wir fröhlich gewesen sind. " Diese
Stimme hörte ich und erkannte ihre Nichtswür
digkeit nicht, da Alles eitel und vergänglich ist und
derlei Thorheiten wirklich lächerlich sind , wie
Schatten sind sie dahin gefahren und verschwunden,
Welchen Nugen brachten sie ihren Freunden und
Liebhabern ? Außer Schande , Scham und Ber
wirrung ! wahrlich nichts . Herr, mein Gott,
du Licht meines Herzens und Speise meiner Seele,
du Kraft, 1. die dem Herzen die Thorheit bitter
macht, dich habe ich nicht geliebt, in Untreue mich
von dir gewendet !! Und da jauchzten mir die
Sclaven der Thorheit Beifall zu; das gefiel mir
Glenden, weil ich1 nicht erkannte, daß die Freund
schaft der Welt Untreue gegen dich ist. D, was
it elender als der Elende, der sich seines eigenen
Elendes nicht erbarmt ! Doch unter allen diesen
schändlichen Verirrungen entzogst du, o Herr, dich
mir nicht ganz, du, bliebst bei mir, ich hörte immer
deine Stimme, fühlte dein heiliges Einsprechen,
aber gehorchen wollte ich nicht , wie oft hast du
den heilsamen , Rath an mich in meinem Herzen
gesprochen: Du hast gesündigt, mache eine Ende,
höre auff und schäme dich! Aber ich Elende
führte die nämliche Sprache gegen dich, wie Au
155

gustinus in ſeiner Verblendung ; ich sprach wie


ein Schlaftrunkener : Herr, harre meiner noch
eine Weile, lasse mich noch weniges, ich will
bald zu mir kommen, bald der Leerheit, der Sünde
entsagen Iund mich abwenden von ihnen ; saber
dieses : nur noch Weniges, dieses Jeßt und Bald
überſtieg Zeit und Schranke und das Bald ward zu
Langen Beiti Von dieser Schläfrigkeit , von
dieser Zerschlagenheit des Herzens sagt derselbe
heilige Augustin : fie richte Biele auf immer zu
Grund, und halte fie fest in der Sünde gefangen
bisan's Ende, weil sie sich nie bessern, obgleich
der Herr so oft mahnt und sie seine Einsprache
in ihrem Inneren zwar gar wohl vernehmen,"" aber
dennoch sich nicht bessern{ und immer nur fagen:
Morgenmorgen ! y Aber siehe " da ! !!. Die Thüre
wird geschlossen und außen steht der Sünder mit
feiner Raben-Stimme der wie erſeufzen wollte
für seine Missethaten mit der Taube. Der lange
Friede , sagt Gregorius, hat Viete träge und nach
Lässig gemacht; und weil es ihnen wohl erging,
stürztensie leider diese 1 Ruhe noch tiefer darnieder;
und da der böse Feind sie in dieser gefährlichen
Ruhe ganz eingeschlafen, und fahrlässig fand, schlug
er fie um so härter und tödtlicher, und je länger
Gott auf des Menschen 3 Belehrung wartet und
er dennoch nicht zurückkehrt, um so schwerer
schlägt er ihn, um so empfindlicher wird seine Ver
dammung. #G Bodite Condo gipat ang tim
Diraber, o innerer Mensch, meju Geist, dir
muß ich den unseligen Hergang meines sündlichen
Lebens noch mehr und weiter enthüllen, dir will
ich bekennen, daß das bisher Genannte noch nicht

!
156

die ganze Summe meines Unglücks ist , sondern


leider ! hat auch die Verzärtelung, die schimpfliche
Weichlichkeit den Betastungssinn an mir Elenden
verführt , und ich wußte nicht , wie süß deine
Umfassung, o gütigster Jesus, wie rein und keusch
deine Berührung, wie lieblich und wonnevoll dein
Zusammensein , der Umgang mit dir sei ; denn
wenn ich dich liebe, dann bin ich rein,‫ ܐ‬wenn ich
dich berühre, bin ich keusch, wenn ich mit dir
lebe, bin ich Jungfrau, deine Umarmung, o süße:
ster Jesu , befleckt nicht , fie reinigt mich , deine
Berührung verunreinigt nicht , sie heiligt. mich.
Jesu, du Ursprung aller Huld und Lieblichkeit,
verzeihe mir , daß ich so spät erst erkannt habe,
wie monniglich, wie keusch und rein, wie ergößend
es sei, wenn deine Linke, die Hand deiner ewigen
Weisheit und Erkenntniß unter meinem Haupte
liegt, d. h. in meiner Vernunft ruht, wenn deine
Rechte , die Hand deiner Gnade und Liebe mich
umfaßt , d. h. meinen Willen umgiebt. Wehe
mir Elenden, das erkannte ich nicht, ich wollte nicht
wiſſen , nicht erfahren , wie süß und lieblich, wie
wonnevoll und heilbringend es sei, in den Armen
des Bräutigams zu ruhen, unter den Küssen eines
f
solchen Königs und } Freundes selig einzuschlum
mern! Nur die Gott liebende , ihm ergebene
Seele empfand diese Seligkeit, kannte diese Wonne,
da sie sich wünschte : D , möge er mich küssen
mit dem Kuſſe ſeines Mundes , denn seine Liebe
ist lieblicher, denn Wein ! Ja , ihr wurde diese
Seligkeit, das fie in Inbrunst und namenloser
Sehnsucht nach dem Geliebten gleichsam ver
schmachtend ausrief : ,, daß ich dich, mei
$157

Bruder, der du meiner 6 Mutter Brüste, saught,


1 *ཎཱ
draußen fände und dich küssen könnte , daß mich
Niemand höhnte ; ich wollte dich führen und in
meines Vaters Haus bringen und in das Gemach
meiner Mutter, da du mich lehren solltest ; da
wollte ich dich tränken mit gemachtem Wein und
mit dem Most meiner Granatäpfel ! Wer kann
das sagen und aussprechen, ohne es erfahren und
gekostet zu haben, was diese füßen und lieblichen
Worte in fich faffen ? Nur die fromme, dem Herrn
ganz hingegebene Seele denkt so und nur sie kann
so sprechen ; darum will ich die Erklärung dieser
Worte auch nur der Gott ergebenen Seele allein
überlassen. -Aber, o Herr, mein Gott, wenn
dergleichen nur zu denken schon so süß ist , wie
wonnevoll und selig muß es erst sein , es selbst
zu kosten und zu erleben ! Entzückt es mich schon,
wenn ich es lese, welcher Trost würde mir werden,
wenn in heiliger Liebes- Neigung ich es wirklich
fühlte ! Darum bittet Augustin , wenn er sagt :
Lasse mich, o süßester Jesu , das durch die Liebe
innen kosten , was ich von außen durch die Er
kenntniß habe; laffe mich das fühlen durch liebende
Neigung, wovon ich mich überzeuge durch den
Verstand. So durchbohre denn , o süßester
Jesu , auch mein Herz , verwunde es mit deiner
heilbringenden süßen Liebe, daß es sich entflamme,
daß es brenne, daß es zerfließe und schmelze, daß
es ganz in deiner Liebe erſterbe, daß es nichts
Anderes verlange , als aufgelöst zu werden und
bei dir zu sein, daß es einzig 12nach dir, dem Brode
des ewigen Lebens , das vom Himmel herabge
kommen ist , hungere, nach dir , f dem Brunnen
158
MAA

des Lebens , des ewigen Lichtes , dem Stroine


Caller wahren Lust und Freude dürfte , daß es
einzig nach dir strebe , dich suche , dich finde und
selig in dir ruhet Aber, o Herr, welcher Unsinn,
welch höllischer Wahnsinn hat mich so lange
gehindert an der Kostung solchen Trostes, solcher
göttlichen Freuden, solcher himmlischen Gastmahle?
Entdecke mir, o mein Geist , die Ursache dieses
meines Elendes , meines gefährlichen Zustandes
und die Quelle, woraus mir solcher Schade und
Verlust gekommen! JuanSenolomontid par
Der innere Mensch. Ich sehendich , o
meine Seelejezt ganz abgemattet, gequält von
Schmerzen und in dieser betrübten Lage deines
Herzens unfähig , die Ursache selbst zu 23 finden,
woher dieser beklagenswerthe Verlust dir gekom
men sei so bitte ich dich denn, du mögeſt mir
jegt in Geduld zuhören, wenn ich dir die Ursache
entdecke dir den Feind zeige , welcher dich in
solchen Schaden und Verlust gebracht hat ; zum
Theil 9 zwar haft du wohl selbst schon in deiner
Rede den Feind berührt, doch vielleicht im tiefen
Schmerzgefühle ihn nicht deutlich wahrgenommen.
Dein ✓Feind, meine Seeley wohnt in deinem eige
nen Hause , er ist dein Hausseind, dir gar nahe,
und du selbst haft Freundschaft und Verbindung
mit ihm ; er aber , der Falsche , vergilt dir das
Gute mit Bösem , unter der Maskender Freund
schaft ist er leider ! dein graufamster Feind , er,
der Schlimme, hat dir alle dieſe unendlichen Güter
geraubt. Ich nenne ihn dirundridu wirst es
nicht übel nehmen, wenn ich dir kurz und gerâde
hin sage : dein, Feind ist dein unſeliger , elender
159

Leib, den du so liebst und zärtlich pflegst; thu


*
nährst du sonsorgfältig , deinen ärgsten Feind
Į
machst du ſo ſtart, muthig und kräftig, du ehrst
T
ihn und giebst, ihm so selbst die Waffen " gegen
dich in die Händeidu, schmückſt ihn sonzierlich
und köstlich und hast dich deshalb aller inneren
Zierde und Schönheit beraubt , du hast nicht ge
wußt und erwogen was der " selige Gregorius .
sagt : Was des Fleisches zeitliches Wohlleben ist,
J
ist des Geistes ewige Qual und ewiger Jammer,
dagegen des Fletsches Züchtigung und Zähmung
des Geistes Aufschwung zur Gewißheit himmli
scher Hoffnung. Deswegen nun konnte ich es
nicht unterlassen , id da dieses Fleisch dir und mir
so viele Schmach und Schaden zugefügt, dir sein
Verderben für dich aufzudecken und diese wichtige
Sache nicht, wie bisher, im schädlichen Still
schweigen zu übergehen , und deshalb sollst du
nun auch hören , was Bernardus davon sagt:
Ich kenne Einen Seele, der viele Jahre mit
dir lebte , mit dir an einem Tische saß, von
dir gespeist wurde , in deinem Schooße lag, nach
Belieben mit dir sprach, obgleich er nur, rechtlich
genommen, dein Knecht ist aber du hast ihn sehr
2
zärtlich aufgezogen , die Ruthe an ihm gespart,
so ist er denn frech geworden, hat sich wider dich
aufgelehnt und hat dich zu seinem Knechte gemacht.
Delende und befammernswerthe Seele, wer wird
dich von dieser schmählichen Knechtschaft befreien
und retten ! Gott mache sich auf und stürze den
bewaffneten Frevler, zertrete den Feind, den Feind,
sage ich diesen Verächter Gottes , diesen Welt
Freund, diesen Diener des Teufels ! Was meinst
160

du, o Seele , was willst du deinerseits thun ?


Urtheilst du billig und gerecht, dann wirst du mit
mir ausrufen : Er ist des Todes fchuldig, er werde
gekreuzigt ! Nun wohlan denn , zaudere nicht,
hehle nicht , schone nicht , kreuzige, kreuzige ihn !
Ja , an das Kreuz mit ihm ! Aber an welches
Kreuz ? Wohl an das Kreuz B unseres Herrn Jesu
Christi, an dem unser Heil, Leben und unsere
Auferstehung ist. Erinnere dich nur , o meine
Seele , an deinen Ursprung , erwäge deine Gott
ähnlichkeit, bedenke, daß du sein Bild trägſt, ihm
vermählt bist durch den Glauben , zum Braut
schage die Hoffnung von ihm empfangen hast und
auserwählt bist durch die Liebe, erlöst durch sein
Blut, theilhaft geworden seiner Gnade, empfänge

lich der Seligkeit ; was hast du mit dem
Fleische zu schaffen, das dir so viele Qual bringt?
Blicke hin auf seine Natur und Beschaffenheit ;
kaum wirst du etwas Ekelhafteres finden. Wie
viel Elend und welche Armseligkeiten liegen in
ihm , niedergedrückt von der Sünde , entflammt
von bösen Neigungen , gestachelt durch Leiden=

schaften, befleckt durch schändliche Bilder , voll
Schande und Verwirrung ? Was Anderes erhältst
du von ihm als schändliche und unzüchtige Ge=
danken ? So schäme dich denn, p . Seele, prangend
mit Gottes Ebenbilde , dich in die Gestalt des
Schweines zu hüllen , schäme dich , mit dem Un
flätigen dich im Kothe zu wälzen, die du stammst
von Gott. So lange du , o Seele , im Fleische
pilgerst , steckst du unter Dornen und kannſt den
Versuchungen, den Dornen der sündlichen Anfälle
nicht entweichen , du wirst hart mitgenommen,
161

darum steht im Buche der Liebe von dir ge=


schrieben: ,,Wie die Lilie unter den Dornen , so
steht meine Freundin unter den Töchtern der
Welt." , schöne, zarte, hell und weiß glänzende
Lilie, o holde Blume, du stehst unter Ungläubigen
und Verführern , um dich herum hausen Scor=
pionen; siehe zu, wie du behutsam wandelst unter
den Dornen , das Fleisch und die Welt sind voll
von diesen ; mit beiden umgehen und nicht verlegt
werden , dazu gehört Gottes Macht , deine Kraft
und aller Menschen Vermögen reicht nicht hin.
Das ist die Rede und die Mahnung des heiligen
Bernardus an dich. ―― Nun merke : Mit diesem
deinem Hausfeinde , mit deinem Fleische , steht
noch ein anderer Feind im Bunde, ein gewaltiger
und grausamer Feind, der mit besonderer Arglist
eines Jeden Gewohnheiten nachspürt , was uns
Anliegen oder sonstige Sorge macht , wohl aus
fundschaftet, auf unsere Neigungen genaue Aufsicht
nimmt und Jedem da beizukommen sucht zu sei=
nem Schaden , wo er ihn und womit er ihn
besonders beschäftigt findet ; darum weiß er, dieser
alte Feind, dieser allgemeine Menschenfeind, vom
Anfange her gar wohl , welche Waffen er gegen
jeden Einzelnen zu richten habe , weiß , wen er
reizen soll durch Fraß und Völlerei , in weſſen
Herz er das Gift des Neides träufeln könne,
welches er durch den Zauber der Ueppigkeit,
welches durch Hoffart und Eitelkeit locken könne.
Sieht er, daß er durch Furcht sein Ziel erreichen
könne , sogleich bedient er sich dieser Waffe und
macht muthlos , oder ist ihm Freude dienlicher,
so flößt er auch diese ein und bethört das Herz,
11
162

oder er reizt Andere zur Bewunderung deiner


und blendet ſo diese, wie dich selbst, denn er hat
Knechte, hat Vertraute unter den Menschen, deren
Talente, deren Zunge er sich bedient, Andere zu
betrügen. D Seele, so schwach zum Widerstand,
ſo bereit zum Falle , so unbehülflich und unge
schickt zum Aufstehen , wie wirst du Arme den
Fallstricken dieses grausamen Feindes entgehen
können, 1 der so viele Arglist , so viele Ränke und
schlaue Kuiffe kennt , die ihm zu Gebote stehen ?
Die Seele. Jeßt sehe ich, jest erst erkenne
ich , wie wahr das Wort Augustin's ist. Die
Gewohnheit der Sünde , sagt er, erkennt der
nicht leicht, der noch in ihr befangen ist ; nur
wenn er angefangen hat , sich zu entfernen von
der Sünde , dann erst erkennt er die Häßlichkeit,
in welcher er seither gelegen ist. f Darum, weil
ich jest anfange, mich , einigermaßen wenigstens,
zu entfernen von der Sünde und so mich selbst
und die Sünde erkenne, kann ich mich der Thränen
und des Jammers über mich selbst nicht enthalten,
ich rufe zu dir , o Herr , mein Gott, ich bekenne
vor dir: Dein herrliches Ebenbild hast du mir
eingedrückt, ich aber verhüllte es unter die häßliche
、 Larve des Teufels . Wehe , wehe mir Elenden
und Nichtswürdigen , des Teufels Ebenbild habe
ich dem Gottes - Bilde eingedrückt ! Ich scheute
mich nicht, den nachzuahmen, dessen Namen aus
zusprechen mir ein Gräuel ist ; dieser Gottlose
fiel aus freiem Willen, auch ich fiel aus meinem
Willen , er kannte noch nicht des Herrn Strafe
gegen den Sünder und sündigte durch Hoffart,
ich aber kenne diese Strafe des Hochmuths, achtete
163

das nicht und fündigte ; er ist einmal in Un


fchuld erschaffen, ich aber bin so vielmals wieder
durch des Herrn Gnade gereinigt worden, er hat
sich empört gegen seinen Schöpfer, ich aber gegen
Den, welcher mich erlöset , welcher mich erneuert
und mir aufgeholfen hat von der Sünde ; er
wendete sich ab von Gott, der seinen Abfall zuließ,
ich aber verließ Den , welcher mir nachging und
mich aufsuchte ; er verharrt in seiner Bosheit,
weil der Herr ihn verstoßen hat , > ich aber ent
laufe Dem , welcher mir so erbarmend nachrüft,
und obgleich beide wir gegen Gott sind, so ist
jener doch nur gegen Den, 4 welcher ihn nicht will ;
ich aber widerseße mich Dem , welcher für mich
gestorben ist. Welch' ein Ungeheuer bin ich !
Bor Satans Bild entseße ich mich, und leider
erblicke ich mich scheußlicher als ihn.
Der innere Mensch. Entweiche von mir,
fliehe, du ekelhaftes Wesen , fliehe vor dir selbst,
entseße dich vor dir selbst, entseßen muß sich dein
Herz vor deinem eigenen Scheusal, laut aufschreien
muß es vor Entseßen , du selbst biſt dir unaus
stehlich, oder ist es nicht so , dann kennst du Tdich
nicht ; und nicht Starkmuth wäre das , sondern
Stumpfsinn , nicht Gesundheit des Herzens ,
verstockte Bosheit und • ſtarrsinnige Verstockung
wäre es.
Die Seele. Wie unglücklich bin ich ! Erblicke
ich mich, so bin ich mir unerträglich, sehe ich nicht
auf mich, so ist der ewige Tod mein Loos. Welch'
ein Jammer, sich selbst unausstehlich zu sein, und
welch' weit größerer Jammer , dem ewigen Tode
anheimzufallen !" Ach, ich muß mit dem Lehrer
11 *
164

Anselmus zu Gott aufschreien : O Vater, voll


Langmuth und Erbarmen , o König voll Huld
und Gnade , meine Schande, kann ich nicht be=
decken , mein Verbrechen nicht entſchuldigen und
es zu bekennen erröthe ich ! Ich erkenne nun die
Ursache so schrecklicher Uebel , ich erkenne das so
lange und böse verborgene und versteckte Unheil.
Ich erkenne mit dem heiligen Bernardus : Weil
mein elendes Herz die künftige Freude nicht
achtete , sich nicht nach Gottes Rath richtete,
entfernte es sich immer weiter von Gott , verlor
es sich immer tiefer in } der Liebe des Vergäng
lichen, und in dieser Entfernung von dem Ersteren
und in diesem Versinken in das Leßtere nahm
die Eitelkeit mich gefangen, die Ueppigkeit befleckte
mich , der Vorwig führte mich irre , der Neid
quälte mich , der Zornmuth peinigte mich, der
Geiz lähmte mich , die Faulheit ängstigte mich ;
ſo ging ich unter und versant in alle Laster,
einzig , weil ich das eine , mir allein Genüge
gebende Gut verlassen habe. , so vergiß
denn, du erbarmender Gott , alle die Tage und
Zeiten , die ich so böse und nuglos verschwendet
habe ! Mögen sie verschwinden und vergessen
werden auf immer ! Schenke mir deine Gnade,
daß ich die mir noch übrige , vielleicht nur kurze
Zeit zu deiner Ehre anwende , sie mir heilsam
+
werde und meinem Nächsten zur Erbauung ge=
reiche. Doch auch das sehe ich ein, o gütigster.
Gott, daß, da mein Unglück so groß iſt, in welches
ich mich gestürzt habe, ich mich und meine Sünden
nicht , wie ich schuldig wäre und meines Ver
brechens Größe es erheischt, beweinen und bereuen.
165

kann, soll anders die Reue und der Schmerz so


groß sein , als des verderbten Willens böse Lust
gewesen ist.
Der innere Mensch. Seele, bist du, wie
du sagst, nicht allein vermögend , dein Vergehen
hinlänglich zu bereuen und zu beweinen, so wende
dich an einen der auserwählten Freunde Gottes ;
ist dir unbekannt, daß nach der Lehre des Ber
nardus der einen sicheren Zugang zu Gott habe,
welcher die Mutter vor dem Sohne und den
Sohn vor dem Vater hat , die Mutter Mutter
liebe und der Sohn die für dich geöffnete Seite,
1
die zu deinem Heile ihm geschlagenen Wunden
hat, solltest du da abgewiesen zu werden fürchten,
wo so viele Merkmale der Liebe vorhanden sind ?
Bist du in Gefahr , in Angst , in Verlegenheit,
denke an Maria , rufe zu ihr, ihr Andenken
weiche nie aus deinem Herzen , ihren Namen
vergesse nie dein Mund ; folgst du ihr nach,
dann gehst du nicht irre , rufft du fie an , dann
kann dir nicht bangen , nimmt sie sich deiner an,
dann wirst du nicht fallen , nimmt sie dich in
ihren Schuß, dann fürchte dich nicht, ist sie deine
Führerin , dann wirst du nicht ermüden , ist sie
deine Fürsprecherin , dann wird dir Vergebung.
Sprich mit dem Vater Anfelmus : Wenn dein
Sohn, o Mutter , durch dich unser Bruder ge
worden C ist, so bist du ja durch ihn unsere Mutter
geworden ; darum freue ich mich und frohlocke,
weil das Urtheil über mich die Liebe fällt , die
Liebe der Mutter , die Liebe meines Bruders .
Die Seele. Aber ich habe die Mutter be
trübt , da ich fündigte gegen den Sohn , und die
166

Mutter konnte ich nicht betrüben ohne Beleidigung


"
des Sohnes ; was soll ich demnach thun , wer
wird mich dem Sohne versöhnen können , da die
Mutter mir abhold ist, wer mit der Mutter, da
der Sohn meiner zürnt ? 18
Der innere Mensch. Nimm statt meines
Wortes abermals jenes des Anfelmus : O Seele,
spricht er zu dir, zage nicht, zweifle nicht ; hast du
fie auch beide beleidigt, so sind doch beide voll Huld.
Schreckt dich der Zorn des gerechten Gottes ; fliehe
zur Mutter der Liebe, hast du Ursache, dich von der
Mutter zu flüchten, fliehe zum Sohne und sprich:
DeGott , der du aus Erbarmen über der Men
schen Elend der Sohn eines Weibes t geworden
bist, Weib, das Gottes Erbarmen zur Gottes :
Mutter erhob, erbarmt euch beide über mich arme,
böse Sünderin ; wo nicht, so zeigt mir eine größere
Stätte der Barmherzigkeit, damit ich Elende dort
hin mich flüchten könne. ind the 167
Die Seele. Heilsam ist allerdings dein
Rath, o mein Geist, und tröstlich für mich Arme,
doch erwäge ich recht mein Vergehen, dann finde
ich , dann wird mir's klar , daß ich Alles gegen
mich gereizt habe die Elemente der Natur habe
ich durch meine Sünden befleckt, den Himmel ge
schändet , das Licht des Himmels getrübt , die
Engel, zu meinem Schüße mir gegeben, ohne Ehr
furcht behandelt; wie sollte ich es wagen , wie
mich nicht fürchten , von allen dieſen Hülfe zu
bitten oder zu erwarten, wie zu ihnen mich flüchten,
die ich alle und zumal beleidigt habe und die mir
nach Verdienst abhold sind? ole 3019
Der inuere Mensch. Zu groß und über
167

trieben ist deine Furcht, meine Seele , doch deine


demüthige . Erniedrigung gefällt mir ; so höre denn
und erinnere dich, wie viele, die jest Heilige sind
und, die du fürchtest , ehemals Sünder waren.
Die haben wohl alle aus ihrer eigenen traurigen
Erfahrung gelernt , Mitleiden zu haben mit uns
Sündern. Denke an Moses, den hohen Gottes
Propheten, er zweifelte an der erprobten Macht
und Güte des Herrn ; denke an David, den frömm
sten der Könige, ach ! er } sündigte einst als Ehe
brecher und Todtschläger ; blicke hin auf Salomon,
den weisesten der Menschen , er beugte sich an
betend vor schändlichen Gößen; denke an Manaffes,
er war ein gottloser König, der mehr und schwerer
fündigte , als alle Könige in Israel , der selbst
bekannte: ,,Meine Sünden übersteigen den Sand
am Ufer des Meeres, ich bin nicht würdig, gegen
den Himmel aufzublicken vor der Menge meiner
Berbrechen !" Auf diese schaue hin und wiffe
der Herr hat ihnen Verzeihung gegeben. Doch
nicht nur aus dem alten Bunde Gottes lerne feine
Erbarmungen kennen, auch im neuen hat er sich
in gleicher Huld gezeigt an vielen Sündern ; sehe
hin auf Mathäus, er saß an der Zöllner Bank,
der Sünder, und ist nun ein Apostel des Herrn ;
sehe: Paulus, er ist ein Mitgehülfe der Steinigung
des Stephanus und nun ein auserwähltes Rüst
zeug des Herrn ; denke an Petrus, der den Herrn
verleugnet und ihn nicht kennen will , er erhielt
7
augenblickliche Verzeihung ; blicke auf den Kriegs
knecht , der des Herrn Seite durchſtach; auf den
Hauptmann, der zu ſeiner Kreuzigung half, er
1 *
schlägt auf seine Brust und bekennt Jesum den
168

Sohn Gottes, und seine Erbarmung überſah ihn


nicht ; sehe an den Mörder am Kreuze, ihm wird
Alles verziehen ; endlich denke doch nur an jene
berüchtigte, unkeusche Sünderin Magdalena , ist
sie nicht die innigste Liebhaberin Chrifti geworden ?
O Seele, Alle, Alle, die jest herrschen mit Gott,
haben ehemals entweder wirklich so gesündigt, wie
wir, oder sie würden doch alle gesündigt haben,
hätte nicht die erbarmende Gnade Gottes sie vor
der Sünde bewahrt ; und fänden wir Einen, dem
die Gabe geworden, gar nicht sündigen zu können,
so lag das nicht in seiner gebrechlichen , mensch
Lichen Natur , sondern Gottes Gnade wirkte das.
Die Seele. Nun fasse ich Muth , ohne
Furcht wende ich mich an die Propheten und Könige,
ohne Angst rufe ich die Apostel , die Märtyrer
des Herrn an, vertrauensvoll bitte ich um ihre
Fürsprache die Beichtiger, Jungfrauen und Wittwen,
doch mein größeres Vertrauen sehe ich auf die
Gottes- Gebärerin , die heilige Jungfrau Maria,
fie ist mir so hold und süß, sie wird meine Liebe
stärken , durch sie ist die Erlösung geschehen, sagt
Bernardus , und der Lehrer Anselmus spricht :
Dwunderbare Frau, durch dich ist das Schwache
geheilt, der Mensch gerettet und die Engel find
erfreut worden. Du Gnadenvolle , von dir ist
die Erneuerung der Welt . ausgegangen. Und
Bernardus ruft aus : D du gesegnete Lebens
Gebärerin, du Mutter des Heils, durch dich haben
wir Zugang zu deinem Sohne, nehme er uns auf
durch dich, der durch dich uns gegeben ist, deine
Unschuld und Reinheit entschuldige bei ihm die
Schuld unseres Verderbens, deine Gott gefällige
169

Demuth erlange uns Berzeihung unserer Eitelkeit.


Gesegnete durch die Gnade , die du gefunden
hast , durch den Vorzug , den du verdient hast,
durch die Barmherzigkeit, die du geboren hast,
bitte, daß Der, welcher sich gewürdigt hat, durch
dich Theil zu nehmen an unserm Elende , uns
einst seiner Herrlichkeit theilhaftig mache.
Der innere Mensch. Nun Seele, glaube
ich, du habest dich gehörig geübt in der Betrachtung,
wie der Herr dich gestaltet habe nach der Natur
und wie du dich selbst mißgestaltet habeſt durch
eigene Schuld , erwäge nun, und ich hoffe mit
mehr gereinigtem Blicke durch die empfundene Reue,
wie die Gnade dich wieder erneuert habe. Wisse
jedoch, je reiner die Thränen der Buße dich ge
waschen haben und je mehr dadurch die Finsterniß
deinem Herzen entnommen ist , um so klarer und
leuchtender wird dir die Gnade deiner dir durch
Gott geschehenen Erneuerung entgegenstrahlen,
denn die Sünde ist , nach Augustin , eine Finster
niß, die den Verstand umhüllt und den Geist ganz
verdunkelt ; darum ist es so sehr nöthig, daß das
innere Auge von dem Dunkel der Sünde durch
die Thränen der Reue um so sorgfältiger gereinigt
werde, je mehr die Sünde mit ihrer sie begleitenden
Finsterniß den Blick des Beschauers trübt. -- Nun
so richte denn, o Seele, da die, Neigungen deines
Herzens gereinigt und geläutert sind, deine Betrach=
tung auf das innige Erbarmen Gottes, auf seine
hohe Weisheit, auf seine wundervolle Macht, nach
welchen er dich durch seine Gnade wieder erneuert hat.
Erwäge zuerst, wie er dich durch die Gnade
der Erlösung von der Erbsünde befreit hat. Be
$170

denke , daß du durch diese aller natürlichen und


geistlichen Güter beraubt warst , hingegeben der
Gewalt des Fürsten der Finsterniß , verwiesen
und entfremdet von deinem Vaterlande. Aber
die erhabene Majestät , sagt Bernardus , wollte
sterben, damit wir leben , sie wollte dienen,
damit wir herrschen, sie wollte fremd sein , damit
wir wieder gelangen in's Vaterland ; sie übernahm
das Verächtlichste, nahm die Gestalt eines Knechtes
any damit sie uns erheben möge über alle ihre
Werke,,,denn des Menschensohn ist gekommen,
zu suchen und selig zu machen , was vertoren
11 181
war! Er ist gekommen , die Hoffart zu demüte
thigen ; darum nahm der eingeborne Sohn Gottes,
fagt Gregorius , die Gestalt unserer Armseligkeit
an, darum ward der Unsichtbare nicht nur sichtbar,
sondern sichtbar in Armuth und Berachtung,
darum ließ er sich schmähen und verspotten,
darum nahm er die Marter des Leidens auf
sich, der erniedrigte , demüthige Gott wollte uns
lehren : der Mensch habe nie Ursache, sich zu
erheben, und stolz zu sein,J sei Berbrechen. Der
Sohn Gottes , spricht Augustin , verachtete alles
Frdische , um uns Weltverachtung zu lehren,
nahm alle Erden-Leiden auf sich, dich zu lehren,
auch du sollest sie ertragen lernen und nicht
suchen im ersten dein Heil und die " zweiten
nicht fürchten als Unheil. Der Sohn Gottes
kam zweitens , dich zu versöhnen mit dem
Bater. Augustin spricht in seinem Namen mit
dir: Ich bin gekommen , da du feindlich gesinnt
warst gegen den Vater , dich mit ihm zu ver
söhnen , da du entfernt warſt , dich zurückzu
171

bringen ; da du in der Irre herumliefst in Wäl


dern und Bergen , suchte ich dich auf, ich ging
dir nach, zwischen Steinen und Wildnissen fand
ich dich, auf meine Schultern legte ich dich, trug
dich heim und gab dich dem Vater zurück , ich
habe mich abgemattet , gearbeitet , Schweiß ver
goffen für dich für dich ward mein Haupt mit
Dornen umflochten, für dich ließ ich meine Hände
mit Nägeln durchschlagen , für dich meine Seite
eröffnen , für dich vergoß ich mein Blut , für
dich ließ ich mich nicht nur verschmähen und
verspotten , auch die grausamsten Mißhandlungen
ertrug ich wegen dir , aber leider ! der Sünde
wegen , deiner Sünde wegen trennst du " dich von
mir. Drittens ist der Sohn. Gottes ge
kommen , den verkauften Knecht frei zu machen.
Darüber sagt derselbe 1 Augustinus : Lasset uns
staunen , bewundern , } uns Glück wünschen ihn
lieben, loben und anbeten, denn unseres Erlösers
Tod brachte die Todten zum Leben , von der
Finsterniß zum Lichte, von der Verbannung in's
Baterland, vom Verderben zum cheile , vom
Elend zur Herrlichkeit, vom Jammer zur Freude .
Dunerhörte und wundervolle Gestaltung , der
Schöpfer wird ein Geschöpf, der Unermeßliche
wird beschränkt , der Geber Alles an Alle wird
arm ! Er nahm die Gestalt meines Fleisches an,
um das Bild , mir von ihm gegeben , aber ver
unstaltet von mir, wieder zu erneuern , das
Sterbliche unsterblich zu machen. So erwache
denn , meine Seele , blicke hin auf deinen: Ge
falbten , auf deinen Christus , betrachte jenes
ehemalshellglänzende Angesicht , nun verhüllt
172

wegen dir , ohne allen Liebereiz , jenes holdſelige


Angesicht , geschlagen und geschwollen , ohne alle
Schönheit , jenes füße , liebenswürdige Angesicht
angespieen, im scheußlichsten Etel, jenes in Liebe
strahlende und Liebe erregende Angesicht greulich
verunstaltet , ohne alle Huld ! - Schaue , o
meine Seele , diese Wunder , diese unerhörten
Zeichen , die der Herr gewirkt hat auf Erde :
daß du zu Ehren kommest , läßt Gott sich ver
spotten , daß Tröstung dir werde , wird der Un
schuldige gegeißelt , 1 daß du in Freiheit kommst,
hängt der Gerechte am Kreuze , daß Speise dir
werde und Erquickung , wird das unbefleckte
Lamm geschlachtet , daß Labung du erhalteft,
fließt für dich aus der durchstochenen Seite Waffer
und Blut! So erkenne denn den Werth deiner
Erlösung, die Versöhnung deiner Untreue und
Schuld , fieh' hin auf das Muster der Lehre,
die dich zur Heiligung führt , blick hin auf den
Beistand , der dir gegeben ist , auf die Hand,
die dich aus dem Kerker führte ; empfange den
Preis der f Vergeltung , die dir die Gnade der
"1
Rechtfertigung ertheilt. Blicke auf, o Seele,
du so zärtlich behandelte , erwäge stets , was
dir gezeigt worden ist auf dem Berge, und handle
darnach durch wahre Nachfolge ! Oder willst du
nicht कक erkennen , wie , während du in irdischen
Ergötungen erglühst , Christus dein Herr , dein
König , dein Bräutigam , t dein Lehrer und dein
Freund von allen Gattungen der ! Leiden und
Schmerzen, an allen Sinnen , von Menschen
aller Stände und Klassen gepeinigt und gequält
ist ? wie Herodes , der König , ihn verspottet,
173

der Landpfleger ihn verurtheilt , der Jünger ihn


verkauft , die Apostel ihn verlassen , die Hohen
priester, Pharisäer und Schriftgelehrten ihn über
antworten , die Heiden ihn geißeln , der Pöbel
ihn verdammt und die Kriegsknechte ihn kreuzigen?
Jenes Haupt , sagt Bernardus ; vor dem die
Engel in tiefster Ehrfurcht erzittern , wird von
dichtgeflochtenen Dornen durchstochen , jenes hold
seligste Angesicht wird mit Speichel verunstaltet,
jene sonnenklare Augen verdunkeln sich sterbend,
die Ohren, denen der Engel Lobgefänge erschallten,
ertönen von den Schmach- und Lästerreden der
Sünder , der Mund , der die Engel lehrt , wird
mit Galle und Effig angefüllt , die Füße , deren
Fußschemel schon als Heiligthum ehrwürdig ist,
werden mit Nägeln an das Kreuz geheftet , die
Hände , die die Himmel gestaltet haben , werden
ausgedehnt und an das Kreuz genagelt , der
ganze Leib wird geschlagen und gegeißelt , die
Seite mit einer Lanze durchstochen ! Ja , nicht
ein Pläßchen, nicht eine Stelle am ganzen Leibe
ist leidenfrei , nur die Zunge , nur diese ist frei,
ist frei , um vorzubitten für die Sünder , um zu
-
empfehlen die Mutter dem geliebten Schüler !
Doch wozu das Viele ? Nichts , o meine Seele,
keine Versuche , keine Prüfungen , keine Anfälle
der Feindseligen gegen ihn , sie alle nicht ver
mögen unsern Erlöser abzuhalten, uns zu erretten ;
aber je klarer und deutlicher uns seine Sorgfalt,
sein Eifer für uns entgegenleuchtet, um so schwerer
wird die Verdammniß sein , in die wir uns
stürzen , wenn wir das Alles verachten.
Die Seele. O mein Geist , deine Rede
174
WIM ~

hat mich inof Freude und Leid versenkt , darum


schwieg ich so lange ; so will ich mich denn freuen
in dem Herrn in höchster Freude , weil er mich
so geliebt und meinetwegen nicht verschont hat
des eingebornen Sohnes. O unschäßbare Huld
der Liebe, die den Sohn hingegeben hat 1.um
die Magd, die , sogar dieses Namens unwür
dige, zu erretten ! O Herr, Jesu Christe , der du
dich aus Liebe meiner selbst nicht geschont hast,
verwunde mein Herz durch deine heiligen Wunden,
ро
berausche } mein Herz und überfülle es so mit
deinem Blute, daß, wohin immer ich mich wende,
ich dich, den Gekreuzigten , überall erblicke, und
was ich sehe ich an Allem die Farbe deines
Blutes erkenne , damit ich , einzig dich wollend,
nichts finde, außer dich , nichts sehe , als deine
Wunden; mit dir gekreuziget zu werden, o Herr,
sei mein Trost , an dich nicht zu denken , mich
in etwas Anderes einzulassen außer dir , mein
größtes Leid ; denn , wie der fromme, Hugo sagt,
das ist die größte Liebe , die deutlichste , reinste,
stärkste Liebe , wenn der Unschuldige für mich
stirbt, für mich, an welchem er nichts fand, was
seiner Liebe würdig gewesen wäre . Aber leider,
nur zu wenig und so selten gedenken wir dieser
wundervollen Güte unseres Gottes , und o wie
schäme ich mich dieses sträflichen Undanks , wie
erröthe ich über mich selbst !
*
Der innere Mensch. Ich will die Rede
des seligen Hugo fortseßen : du hast deinen Bräu
tigam verlassen , o Seele , deine Liebe entehrt,
bist undankbar gewesen für der Gnaden so viele,
er fand es nicht unter seiner Würde , von jener
175

Höhe, herabzusteigen, von welcher du herabgestürzt


bist , und das für dich zu leiden und auf sich zu
nehmen , was dich drückte und schwer auf dir lag ;
darum bedenke, wie sehr er dich liebte, darer dich
vom Tode nicht anders 14 retten wollte , als durch
jeinen Tod. Darum, o Seele , je mehr du
erkennst den Werth der Wohlthaten deines Er
lösers , um so schändlicher sind die Sünden deines
Undanks , darum spare den Dank, nicht, * da so
Großes dir geworden ist, denn groß" ist die Sünde
des Undanks. Die Undankbarkeit nennt Ber
nardus einen sengenden, verzehrenden Wind , der
da austrocknet die Gnaden- Bächlein des Herrn,
die Quelle seiner Güte verstechen macht und tilgt
die Gnadenströme. Darum hüte dich , o Seele,
vergiß jenes furchtbare Wort nicht , denke stets
desselben, was an dich im Namen und in der Person
des Erlösers gesprochen ist : So vieles, p Seele,
erdulde ich für dich, zu dir rufe und schreie ich,
für dich 紧sterbe ich ; sich die Qualen, die ich leide,
fieh' die Nägel, die mich durchbohren, höre die
Schmähungen, mit welchen sie mich lästern ; doch
so groß der Schmerz von Außen ist , so ist er
doch innen noch stärker , da ich dich so undankbar
finde ! Und abermals ruft dich derselbe Bernardus
in deines Heilandes Namen auf und klagt : Mein
Volk, was habe ich dir gethan , womit habe ich
dich betrübt , antworte mir , sage : warum gefällt
es dir , eher meinem Feinde zu dienen , als mir ;
erwäge doch: Ich, ich bin dein Schöpfer , ich habe
dich mit Allem ausgestattet; und wäre deinem ge=
fühllosen und undankbaren, Herzen das noch zu
wenig, so wiffe : mit meinem theueren Blute habe
176

ich dich erlöst , dessen solltest du stets gedenken,


davon solltest du immer reden , nie solltest du
des Dankes vergessen , nie aufhören , den einge
borenen Sohn Gottes für so viele und hohe
Wohlthaten zu preiſen und _ zu verherrlichen , dein
Y
Geliebter sollte dir ein Myrrhen- Büschel sein
an und in deinem Herzen, in deinem Gemüthe ein
Freudenruf, in deinem Munde ein Lobgesang,
deinem Ohre ein holdes Lied.
"
Die Seele. Ich muß dich unterbrechen ;
nicht vermag ich, länger einzuhalten, sprich : „ Was
soll ich dem Herrn vergelten für Alles , was er
mir gethan hat ?"
Der innere Mensch. Dir, o Seele, foll
cs Bernardus sagen : Dein ganzes Leben, spricht
er, bist du ihm schuldig und das von Rechtswegen,
denn er hat sein Leben für dich dargegeben, hat
der bittersten Leiden so viele auf sich genommen,
um dich vom ewigen Leiden zu befreien ; was
könnte dir noch hart und schwer sein , wenn du
gedenkst : der erhabene, hochheilige Sohn Gottes
ließ sich für mich kreuzigen ! O Erbarmung über
alles Maaß, v Huld über alle Erwartung, o Liebe
gegen alles Hoffen , o staunenswürdigste Gnade,
der König der Herrlichkeit stirbt und läßt sich
kreuzigen für den verächtlichsten Wurm ! du
süßer Freund, du mächtiger Beistand und Helfer,
du weiser Rathgeber !
: Die Seele. Ich erkenne und bekenne , o
mein Geist , daß , wenn ich aller Menschen Leben
befäße und hingäbe, die Tage aller Jahrhunderte
und Jahrtausende hinopferte, die Arbeit und Mühe
aller Menschen auf mich nähme, derer , die da
177

find , die gewesen sind und noch sein werden, das


zumal nichts wäre im Vergleiche gegen das, was
mein Bräutigam für mich gethan , was der Sohn
Gottes für meine Sünden gelitten hat ; wenn ich
ihm auch Alles hingebe, was ich bin und vermag,
ist es *. wohl mehr als ein Sternchen gegen die
Sonne, als ein Tropfen gegen einen Strom, als
ein Stäubchen gegen einen Berg ?.
Der innere Mensch. Nun überzeuge ich
mich, meine Secle, daß du mit gereinigtem Auge
der Beschauung die Gnade der göttlichen Erlösung,
in welcher dich dein Bräutigam von der Erbsünde
befreit hat, erkennst ; nun will ich nur noch Einiges
für Gott mit dir sprechen und zur größeren Ver=
herrlichung der Erbarmungen Gottes auch deine
Befreiung und Erlösung von der wirklichen Sünde
durch seine erbarmende Gnade zeigen.. So richte
denn den Blick der Beschauung auf die Wohlthat
der Rechtfertigung und erwäge Gottes deines
Herrn Gnade , nach welcher er dich so väterlich
durch inneres Einsprechen und Mahnen von dem
Sündenwege abgerufen , wie füß und freundlich
er in deinem Herzen dir zugerufen habe : Kehre
zurück , kehre zurück, Sulamith, kehre zurück, die
du so arm und elend geworden bist durch die
Sünde , die dich zur Sclavin gemacht , die dich
in den Tod gestürzt hat , kehre zurück , o Seele,
zu mir, zu deinem Schöpfer, kehre zurück zu deinem
Erlöser, kehre zurück zu deinem Tröster , und iſt
dir das 暫 zu wenig, so rufe ich dich zum lezten
Male zurück und sage dir : Kehre zurück zu deinem
so reichen Vergelter ! So komme denn, komme zu
mir, ich bin es, der dich so edel gestaltet und ge
12
178

schaffen , komme zu mir, ich bin der , welcher


"
dich durch seinen Tod nach seiner Erbarmniß
über dich vom ewigen Tode erlöset hat ; komme
zu mir, ich bin der, der dich so vielseitig mit
geistlichen und leiblichen Gütern bereichert hat ;
komme endlich zu mir, o Seele, ich bin der, wel
cher dich durch eine dir längst schon bereitete
Seligkeit so freigebig belohnt hat ; komme zurück,
ruft er , von den sündlichen Gedanken , zurück
von der sündlichen Rede , zurück von der sünd
haften That , zurück von den bösen und schlechten
Gewohnheiten ; kehre zurück, o Seele, komme, dich
erwarten in liebendem Verlangen alle Heiligen
und Auserwählten , die Engel freuen sich deiner
Ankunft, kehre zurück , dein Heiland ruft , Jeſus
Christus am Kreuze mit ausgespannten Armen
hängend , kehre zurück ; daß du kommest , ist der
erbarmende Wille der hochheiligsten Dreieinigkeit,
Das, o Seele, ist, wenn du es wohl erwägst, die
Stimme deines dich rufenden Geliebten.
Erwäge nun auch seine Langmuth, die er dir
erwiesen hat, da er deiner so lange wartete. Wie
lange schon, o Seele, harrt er deiner Ankunft,
wie lange schon duldet und trägt er dich in deinen
Sünden, o wie viele, und leider ! welche oft, 'hat
er nicht schon vor deiner Rückkehr zu ihm , in
ihren Sünden auf immer verstoßen ? Und auf
dich , die beharrliche Sünderin , wartet er ers
barmungsvoll ! So kehre doch endlich zurück, o
Seele ! Christus am Kreuze wartet deiner, er neigt
jein Haupt herab, um dich, v Sünderin, dich Un
reine, zu küssen, er breitet seine Arme aus , dich
zu umfassen,"ſeine Hände sind geöffnet, Alles hin
179

zugeben und nachzulaſſen, ſeine Füße befestigt, um


nie von dir zu weichen, seine Seite ist geöffnet,
damit du eingehen könnest ; so sei denn, o Seele,
,,die Taube , die da nistet in den Felslöchern , in
den Steinrißen" , umfliege die Hände , umfliege
die Füße, fleuch hinein in die Seite , darin ist
Ruhe , hier volle Sicherheit! Erwäge das
Wort des Hugo : O Seele, spricht er , wenn du
ernstlich bedenken wolltest, wie Biele und, im Ver
gleiche mit dir , welche verstoßen wurden , welche
die dir gewordene Gnade nicht empfangen haben !
Dich aber hat er , dein Bräutigam , auserwählt
und vorgezogen, dich hat er ausgezeichnet vor An
deren , dich hat er mehr geliebt , als sie , und du
selbst weißt es, wie elend du ehemals, wie befleckt,
wie entblößt von allem Guten du warst , aber
er hat dich gewaschen durch das Bad der Wieder
geburt, dich gespeist mit seinem heiligen Leibe,
dich bekleidet mit 1 dem Kleide der Tugend , ge=
deckt deine Blöße , ja sogar dich geziert und ver
herrlicht, dich hat er gesalbt mit dem Wohlgeruche
guter , Gott wohlgefälliger Werke und so den
ekelhaften Geruch der Sünde dir entnommen , dir
gab er sein Wort in der heiligen Schrift als einen
Spiegel , worin du dich schauen könntest. -
So hast du denn , o Seele , die Langmuth
deines Herrn gesehen, nach welcher er deiner so
lange harrte ; richte nun dein inneres Auge auf
die Gnade des dich rechtfertigenden Gottes. Er
wäge , wie es nur möglich war , daß dir nach
Allem diesen noch die unschäßbare Gnade habe
werden können , zu heißen die Braut des Bräu

tigams , den zu schauen die Engel sich sehnen.
12 *
180

Sprich, was willst du dem Heern vergelten für


Alles , was er dir erwiesen hat ? Seine Gnade
machte dich zur Genossin seines Tisches , seines
Reiches, seiner Ruhestätte, bedenke : wie du dieſen
Bräutigam umfassen sollst, wie rein die Arme, wie
keusch der Mund sein müssen für solchen Bräu
tigam , der so sehr dich liebte , so hohen Werth
auf dich legte, daß er dich mit seinem eigenen
Blute reinigte und deinetwegen in den Todes
schlummer sank ?
Die Seele. Ich erkenne und bekenne , ich
sehe ein, ja, ich habe es erfahren : noch mehr als
das hat mein Gott an mir gethan, aber wahrlich,
für dieses Uebermaß seiner Huld gegen mich habe
ich noch Weniges gethan ; doch will ich loben und
preisen den Herrn mit Bernardus und mit ihm
aufzählen die Summe seiner Gnaden an mich :
Die Erbarmungen des Herrn will ich ewig be
fingen" , denn siebenfach ist seine Huld , die er,
der Gütige und Gnädige, an mir erzeigt hat, da
er erstens vor vielen Sünden mich bewahrt ;
zweitens , da ich sündigte, mich nicht sogleich ver
stoßen hat , vielmehr , da ich das Sündenleben
verlängerte, auch er seine Gnade gegen mich ver
längerte ; drittens, da er mein Herz änderte und
mir das, was mir in meiner Verblendung füß war,
zur Bitterkeit und zum Abscheu machte : viertens,
daß seine Barmherzigkeit mich aufnahm , als ich
mich als reuevoller Sünder ihr näherte ; fünftens ,
daß er mir die Kraft und das Vermögen gab,
mich zu bessern und mich der Sünde zu enthalten;
sechstens, daß er mir die Gnade und die Gelegenheit
gab, etwas zu verdienen für mein Heil ; ſiebentens,
181

daß er die Hoffnung und Zuversicht mir gab,


dasselbe zu erreichen. So zeige mir nun , mein
Geist, ich bitte dich durch Gottes Erbarmen, fage
mir, was ich dem Herrn vergelten 1 foll für Alles
das ? Ich möchte seine fernere Huld erwerben,
die er mir aber versagen würde , wäre ich un
dankbar für das Empfangene. Doch Augustin
jagt es mir: Die Wiedervergeltung an den Herrn
ist Liebe und Dank, ist Lobpreisung und Bekennt
niß seines allerheiligsten Namens , denn eben so
bereit Į ist er, mir die Sünde nachzulassen, als un
schäßbare Güter mir 1 zu ertheilen ; seine Gnade
an mir löste die Sünde , wie Eis schmilzt im
Sonnenstrahle, seine Gnade ist es , was immer
Böses ich nicht that ; darum glaube ich , daß er
mir Alles nachgelassen J und verziehen habe , so
das Geschehene, wie das Ungeschehene, vor welchem
mich wahrlich nicht meine Schwäche, sondern seine
Gnade nur bewahrt hat.
Der innere Mensch. Wisse , o Seele,
Alles, was dein Geliebter dir gethan und erwiesen,
Alles, was er für dich ausgestanden hat, ist um=
schlossen , bestätigt und vollendet in seiner ewigen
Liebe, mit der er dich geliebt hat ; darum glaube
ich , die ächte und beste Wiedervergeltung für
feine Liebe fei Gegenliebe, was aus Liebe gegeben
wird, kann nur in Liebe empfangen und mit Liebe
vergolten werden, vind dan
Die Seele. D Herr mein Gott, wenn das
so ist, wie muß ich Arme und Elende dich lieben,
dich , meinen Gott , der mich vom Nichts zum
Dasein rief, der mich erlöste, da ich verloren war,
der aus so vielen Gefahren mich rettete , der die
182
⌁^^^~~

Berirrte zurückbrachte, der die Unwissende lehrte,


der die Sünderin strafte und so zurecht wies,
der die Betrübte und * Berlaffene tröstete , der
mich stärkte und hielt, wenn ich "tstand , der mich
aufhob , wenn ich fiel , der mich geleitete auf
meiner Pilgerfahrt , der mich huldvoll aufnahm,
wenn ich ankam. Das Alles und noch Bieles
mehr hat mein Gott mir gethan; davon zu reden,
daran zu denken , dafür ewig zu danken , wird
meine Seligkeit sein. D, könnte ich nur für alle
diese Gnaden ihm genugsam danken , ihn nach
Verdienst lieben ; denn obgleicher Allen und
Jeden vorsteht, Alle erfüllt, Allen C gegenwärtig
ist , für Alle sorgt und Alle wie jeder Einzelne
unter dem Auge seiner Vorsehung steht, so finde
und fühle ich doch, daß er mit 22meinem Heil und
Schuß so sehr beschäftigt ist, als vergäße er alle
Anderen und wolle nur einzig und allein auf mich
sehen ; denn so gegenwärtig zeigt er sich überall ge
gen mich, so bereitwillig ist er gegen mich, findet er
anders mich selbst bereitet, daß, wohin immer ich
mich wende , er mich nie verläßt , oder ich müßte
ihn zuerst verlassen; und für alle diese Sorgfalt
und Liebe steht nichts in meinem Vermögen, als
Gegenliebe , sgütigster Jesus, ich bete mit Ber
nardus zu dir: Wie oft hast 5du nach vielen und
unzählbaren Thränen, nach vielen Klagen und Seuf
zern mein verwundetes und beinahe hoffnungsloses
Herz mit dem Balsam deiner Erbarmung gesalbt,
das ohnmächtige aufgerichtet mit deiner Huld und
Liebe , hast nicht verlaffen das nach Verzeihung
lechzende Herz Deine Liebe, Jesu , erkannte
ich, und gewiß mit allem 0Rechte, an dem Kelche
183

des Leidens, den du trankit, an dem Werke meiner


Erlösung, das du unternahmst ; das fordert meine
ganze Liebe zu dir, das ist der süßeste Reiz mei
ner Andacht, meiner Inbrunst zu dir , das ist
das feſteſte Band , welches mich bindet an dich,
welches mein ganzes Herz durch und durch er
greift , denn eben aus deiner Demüthigung , aus
der Bernichtung und Verhüllung deiner höchsten
Würde strahlt deine 7 Liebe um so herrlicher,
leuchtet, deine Gnade um so glänzender und voller
hervor: ,,, so beschwöre ich euch denn, ihr
Töchter Jerusalems , wenn ihr meinen Geliebten
findet , ihr ihm es kündet, daß ich krank sei vor
Liebe !" Warum rede ich hier so unverhohlen
von meinem Geliebten ? Aber warum soll ich es
verhehlen , warum soll ich nicht Alle auffordern,
fie kennen ihn ja Alle , ich weiß , er ist ihnen
Allen nahe , fie fühlen und finden ihn in ihren
Herzen, denn aus meinem weicht er nie; darum
sage ich mit Augustin : Dich liebe ich , o Herr,
und meine Liebe ist ungeduldig , alle Thränen
löschen sie nicht aus, sie ermatten und, beschwich
རྒྱུ་
tigen sie nicht, bis sie Den hat, welchen sie liebt,
fie tröstet nichts in ihrer trauernden Klage , bis
Der sich zeigt ihrem Auge, welcher ihr Verlangen,
welcher ihre Sehnsucht ist. - Aber, o mein Geist,
ich fürchte , der nur dürfe Gott lieben , der sich
fagen und freuen kann, das nicht begangen zu
haben, was ich gethan habe. sier
Der innere Mensch. Werde, nicht irre, so
Seele , Niemand spotte deiner bisherigen Krank
heit, du sollst als Kranke geheilt werden, geheilt
werden von Dem , deſſen Gnade es ist , daß der
84

Andere nicht auch erkrankte oder nicht in größere


Sünden fiel und der Gefahr dazu sorgfältiger
entgehen konnte, und solcher ist schuldig, Gott um
so mehr zu lieben, wenn er sieht , daß Gott, der
dich aus so sündlicher Krankheit rettet und dich
heilt, ihn bewahrt hat, in solche Schmerzen und
Jammer nicht gerathen zu sein . Liebe nur, liebe
ungescheut deinen Gott , o Seele , höre Hierony
mus : Ohne Liebe, ohne Gottesliebe ist der Glaube
leer , ohne sie kannst du nicht selig werden , die
Weiſsagung und selbst das Märtyrerthum sind
ohne Liebe( nichts, der Liebe kömmt nichts gleich,
fie ist die Königin aller Tugenden. Darum sagt
Augustin : Gieb dich mir, o mein Gott, gieb mir
dich wieder, ich liebe dich , und ist es zu wenig,
so will ich dich stärker lieben
1 ; ich kann es nicht
ermessen, kann nicht wissen, wie viel meiner Liebe
zu dir noch mangle zum vollen Maaße , daß ich
es werth bin , in deine Arme zu fallen , daß
meines Lebens Lauf ohne Aufenthalt gerichtet sei
nach dir und ich eingehe in dich und • mich ver
berge in das geheime Schauen deines Antlißes ;
nur so viel weiß ich: ich traure , wenn ich dich
nicht habe , und fäße ich im größten Ueberfluffe
und du wäreſt er nicht, so bin ich elend undT arm.
Die Seele. Da ich nun weiß, o mein Geist,
daß ich meinen geliebten Liebhaber zu lieben
schuldig bin, so sage mir denn auch, wie ich ihn
lieben solle , wie stark meine Liebe zu ihm sein
müsse , um als wahre Gegenliebe vor dem Ge
liebten zu gelten . ****
Der innere Mensch. Obgleich , o Seele,
nach der Aeußerung des Bernardus der Grund,
185

Gott zu lieben , Gott selbst sein muß , die Weise


aber, ihn zu lieben, ohne Weise , d . h. über alle
Weise ist, so kann ich dir denn doch, und zwar
selbst aus einigen Stellen der heiligen Schrift,
eine Weise , ihn zu lieben , zeigen , denn der,
welcher dir die Liebe gegeben hat, zeigt dir auch
die Art und Weise , wie du lieben sollst und
zwar in den Worten : ,,Du sollst Gott deinen
Herrn lieben aus ganzem deinem Herzen , aus
ganzer deiner Seele, aus ganzem deinem Gemüthe
und aus allen deinen Kräften. So liebe denn,
o Seele, mit besonderer und einziger Liebe Gott
den Vater , der dich aus Nichts erschaffen und
als ein edles Geschöpf dich gebildet hat, liebe
mit einziger Liebe Gott , den Sohn , der dich
durch seinen unschätzbaren Tod aus deinem Ver
derben errettet hat , liebe mit einziger Liebe den
heiligen Geist, der dich so oft schon und so innig
getröstet, sich deiner erbarmt, vor der Sünde dich
bewahrt und im Guten gestärkt hat. Stark sei
demnach deine Liebe gegen Gott, den Vater, un
überwindlich und nie weichend einer anderen und
fremden Liebe , weise sei deine Liebe gegen Gott,
den Sohn , daß fremde Liebe sie nicht täusche
und irre leite , süß sei deine Liebe gegen Gott,
den heiligen Geist , damit sich deinem Herzen die
Weltliebe nicht einschleiche und die keusche Liebe
vergifte ; höre , wie Bernardus davon spricht :
Lerne von Christus , o christliche Seele , wie du
Christum lieben müſſeſt, du sollst ihn lieben süß,
weise und stark ; die süße Liebe zu ihm wird dir
jede andere Liebe zum Ekel machen , er allein
wird Honig sein in deinem Munde , ein süßer
186

Gesang in deinem Dhre, ein Freudenlied in dei


nem Herzen ; die weiſe Liebe wird dich einzig an
t
ihn binden, gegen ihn allein,hhmit ei Ausschluß jedes
b e e a c en
Anderen
r
e
ke Si wirst i rd dueiin
d c s t ärk , ;wirdie
hw Liebe erglühen
n steter d
a w S
dich freudig hinüber heben über alles Harte und
Rauhe aus Liebe und Anhänglichkeit an ihn, du
wirst sagen : Alles ist der Liebe leicht , was ich
leide, was mich drücken will, find einige Augen
blicke, und währt es länger, ich fühle den Druck
nicht, die Liebe hebt mich hinüber. Das sagt
auch Hieronymus : Die Liebe des Christen zu
Christus muß so anhaltend und stark sein , daß
er Christus wegen Alles wage , dulde und leide,
bis er zu ihm gelangt. Lasset 3 uns Christum
lieben, ruft Ambrosius , laffet 3 uns immer und
unaufhörlich in seinen Armen ruhen , das wird
uns alles scheinbar Schwere leicht machen ," denken
wir nur stets an seine füße Liebe gegen uns,
uns geoffenbart in feiner Menschwerdung , an
seine, weise Liebe , sichtbar in seinem heiligen
Wandel auf Erden, an seine starke, unüberwind
liche Liebe , göttlich strahlend in seinem Leiden.
Steine Liebe ist größer, sagt Hugo , teine Zunei
gung reiner, fein Liebesdrang mächtiger, als wie
er an Jesus Christus sich zeigt, da der Unschuldige
für uns starb, die wir keiner Liebe 1 werth und
ihrer ganz leer und beraubt waren. 301
Die Seele. Aber , o mein Geiſt verzeihe
mir , eine Frage an dich 9habe ich , sie macht
nicht der Vorwiß , nicht der " Frevel , die Demuth
stellt sie und des Herzens innerer Drang, fage
mir: Was liebe ich denn , wenn ich Gott liebe ?
187

Der innere Mensch. Seele, geschähe diese


Frage wirklich aus Vorwig, dann wäre es wahrer
Frevel, aber da sie das fromme Herz stellt, so
verdient sie auch H die 7 Antwort des Herzens ; so
höre denn, was jener große Liebhaber Gottes ,
Augustinus sagt : Wenn ich Gott liebe , spricht
er, so liebe ich keine Gestalt , keine Zierde, keine
Zeit , liebe nicht das dem Auge sichtbare und
wohlthätige Licht , nicht süße Töne , nicht Wohl=
gerüche , nicht Honig und Süßigkeiten des Gau
miens, nicht , was der leibliche Arm in Liebe
umschließt , das zumal liebe ich nicht , wenn ich
Gott liebe. Aber was liebe ich denn ? Ich liebe
ein gewisses Licht , eine 1 gewisse Stimme , einen
gewissen Wohlgeruch , eine gewisse Speiſe , eine
gewisse umfassung meines inneren Menschen , da
leuchtet meiner Seele entgegen , was kein Raum
umfaßt, da ertönt eine Stimme , welche die Zeit
C
nicht versteht, da empfinde ich einen Wohlgeruch,
den die Lüfte mir nicht zubringen , da koste ich
Etwas , das nicht abnimmt , wenn ich's genieße,
da bleibt Etwas bei mir, dessen ich nie überdrüffig
werde. 512 .II 2016019 , Þ.
Die Seele Sage mir auch noch Einiges
von der Kraft der Liebe , damit , wenn ich sie
kenne, ich um so mächtiger entzündet werde , zur
Liebe meines Gottes . Serp 92
Der innere Mensch. Groß, FOR Seele,
wahrlich groß ist die Kraft und die Frucht der
Liebe , aber eine verborgene und geheime , sie
duldet und trägt, " nach Augustin , die Leiden, fie
giebt Bescheidenheit und Mäßigung im Glücke,
fie ist start, wenn schwere Versuchungen stürmen,
188

fie ist fröhlich, wenn Gutes gewirkt wird und


werden soll , sie ist sicher, wenn die Leidenschaft
tobt, die Gastfreundschaft übt sie mit aller Frei
gebigkeit , unter aufrichtigen wahren Brüdern ist
fie höchst fröhlich, unter falschen höchst duldsam ;.
wird sie geschmäht , so wird sie nicht unruhig,
haßt man sie, so bleibt sie gütig, zürnt man ihr
und schilt sie , so kommt sie nicht außer Fassung,
stellt man ihr nach und behandelt sie hinterlistig,
so bleibt sie in ihrer Einfachheit , Offenheit und
Unschuld, die Gottvergessenheit und Gottlosigkeit
macht sie erseufzen , die Wahrheit aber giebt ihr
neues Leben. D, glückselige Liebe, ruft Bernardus
aus , du bist die Mutter des Starkmuths , der
reinen Sitten , der keuschen Neigungen, du giebst
dem Verstande Gewandtheit und Scharfsinn , du
heiligst das Verlangen, du verherrlichst die Werke
und des Menschen Thun , du bist der Tugenden
Mutter, du giebst jedem Werke seinen Werth und
sein Verdienst, du bist die Höhe der Belohnungen
und der Chre. O Süßigkeit der Liebe, o selige
Liebe voll Süßigkeit, mein Herz spricht Alles für
dich, erfülle das Innerste meiner Seele mit deiner
Lieblichkeit! Wie süß, o Seele, ist die Speise der
Liebe, welche die Matten erquickt, die Schwachen
stärkt, die Betrübten erfreut , denn süß macht sie
das Joch der Wahrheit und leicht ihre Bürde.
Ja, ich bekenne vor dir , o Herr, ich trage nicht
die Last des Tages und der Hige , ich trage ein
sanftes Joch , eine leichte Bürde , währt ja doch
die ganze Mühe kaum eine Stunde , und dauert
fie länger , die Liebe läßt sie mich nicht fühlen.
Doch ich faffe das Ganze in kurze Worte des
189

gottseligen Hugo : D Seele , sagt er , so groß ist


die Gewalt der Liebe , daß sie dich nöthigt , das
selbe zu sein , was du liebst , und an Wen die
Zuneigung dich bindet , in dessen Aehnlichkeit
gehst du über unter dem Geleite der Liebe.

Zweites Kapitel .

Wie die Seele in innerer Uebung ihren be


schauenden Blick richten müsse auf das , was
außer ihr ist , um zu erkennen , wie wandelbar
aller irdische Reichthum, wie veränderlich alle
irdische Herrlichkeit und wie armselig alle mensch
liche Größe sei.
Die Seele. Ich erkenne jezt mit Augustin,
wie elend das Herz ist, das seine Lust findet an
zeitlichen Dingen , die mit Mühe erworben , mit
Furcht besessen, unter Schmerzen verloren werden ;
aber selig, o Herr, ist, der dich liebt, den Freund
liebt in dir und den Feind wegen dir , denn er
allein verliert nichts Liebes , denn alle seine
Lieben sind in dir , er liebt und besißt sie alle
in dir , und dich kann er nicht verlieren oder er
müßte selbst dich verlassen ; weraber scheidet von
dir , o Herr , wo geht der hin ? Wahrlich , nur
vom Gütigen zum Schlimmen und Bösen !
Liebe , die du allzeit brennst , nie erlöschest,
o Liebe, du mein Gott, entzünde mich, du heißest
mich dich lieben , gieb mir , was du befiehlst,
und befehle dann, was du willst ; doch ich weiß,
was du befiehlst : ich soll mich enthalten von der
Begierlichkeit des Fleisches , von der Begierlich
190

keit der Augen, von der Hoffart der Welt. Der


liebt dich nur wenig , ſagt Ambroſius, der etwas
neben dir liebt, was er nicht wegen dir liebt.
mein Geist , so wollen wir denn Christum
lieben und uns bestreben, stets in seinen Armen
zu ruhen , dann wird uns alles Schwere leicht
werden.
Der innere Mensch. Seele , ich spreche
dich mit den Worten des großen Gregorius an :
Du erkennst, wie ich merke , wie selig und glück
lich der Mensch ist , den die Liebe einzig in dem
Verlangen nach dem Ewigen festhält, der im
sogenannten Glücke nicht übermüthig wird und
im Unglücke nicht unterliegt und der in der
ganzen Welt nichts fürchtet , da die ganze Welt
ihm Nichts bieten kann , was er liebt. - So
wende denn nun , o Seele , dein beschauendes
Auge auf Das , was außer dir , aber doch in
deiner Nähe ist , nämlich auf die sichtbare Welt,
daß du sie mit Allem , was sie hat, verachten
" •
lernst und in dieser Welt-Verachtung in der
Liebe deines Bräutigams um so inniger entbrennst,
denn wohl hättest du nur schwache Liebe gegen
ihn, wenn du noch Etwas verlangtest außer ihm
und nicht seinetwegen und in ihm suchtest ; denn
nach demselben Gregorius entfernt sich der um
so weiter von jener höheren und höchsten Liebe,
je tiefer und niedriger das ist , wessen er sich
freut, und um so schneller gelangt der zu Gott,
welcher in der Welt nichts hat , was ihn an=
zieht oder um so mehr erhebt sich der von der
Erden-Lust und Erden-Liebe , je geneigter sein
Herz ist zur Liebe des Ewigen ; alles Geschaffene
191

müſſe dir gering " sein , dann wird dein Schöpfer


deinem Herzen theuer und süß J sein. So bedenke
denn , mahnt Augustin , bedenke es stets und
immer , wie unbeständig alle Güter der Welt,
wie veränderlich alles irdische Ansehen , wie
trügerisch und armselig alle menschliche Größe
und Herrlichkeit sei , das lerne ‫ ام‬und bedenke,
aber nicht blos vom Hörensagen, sondern erfahre
es , nicht aus fremder Rede , auch nicht aus
deiner eigenen Rede , sondern thue es und zeige
es in der That. Alle , sagt Gregorius , die
hier hoch stehen , haben weit mehr Leiden , als

Freuden in ihrem Ansehen. Das zählt nun
Bernardus umständlicher auf; er sagt : Siehe da,
die Weltfreunde spazieren auf dem großen Welt
markte herum und suchen Reichthümer und Schäße ;
jene wollen Ehre kaufen , diese seufzen nachh
Ruhm. Aber was soll ich von dem Reichthume
sagen ? Sie erwerben ihn mit Mühe und Schweiß,
besigen ihn unter Furcht und unter vielen Schmerzen
entgeht er ihnen. Oder von den Ehrenstellen ?
Wer hoch steht , den richten Alle , den tadeln
Alle ; wo ist Ehre ohne Kränkung , wer steht
Anderen vor , ohne geplagt , ohne gequält zu
sein ? wer steht in der Höhe , ohne daß die
Eitelkeit ihn plage ? Was kann ich vom Ruhme
sagen ? Ist er etwas Anderes , als ein hohler,
leerer Ton im Ohre , unterliegt er nicht auch
fremdem Urtheile ? Blicke hin auf die, denen er
vorgeht; so viele ihrer sind, die ihm nachstehen,
so viele Neider zählt er. Wahrlich, wer danach
geist, über Andern zu stehen , der will wohl
nur des abtrünnigen Engels Gefelle " werden !
192

Vernimm auch , was Hieronymus fagt : Nichts


schwindet flüchtiger dahin als die Welt und was
ihr angehört ; glaubst du , es festzuhalten , siehe
da , schon hast du es verloren ! Du hast wohl
Regenten , Heerführer , Statthalter , Kriegsheere,
Siegesgepränge, Triumphaufzüge gesehen, gestern
waren sie, heute sind sie nicht mehr , gestern
prangten sie wie Blumen , heute liegen sie und
find verdorrt wie Heu ; darum ist nichts wahr
haft gut, als das , was ewig währt
Die Seele. Da nun dem so ist , was
wollen und suchen denn, o mein Geist, die armen .
Menschen , da sie der Welt Thorheit so hißig
nachjagen ? O wie blind sind sie, die da Ansehen
verlangen und Ruhm in der Welt ! Wohl recht
sagt Gregorius : Wenn Manche sehen , wie diese
und jene so geehrt und berühmt sind in der
Welt, so dünkt sie das groß und wichtig , sie
wünschen , Gleiches erringen zu können ; erblicken
fie aber die Beneideten und Bewunderten auf
dem Sterbebette , dann erkennen und bekennen
7
fie , wie eitel der Ruhm sei, ach, sprechen sie,
wahrlich,
· nichts ist der Mensch!
Der innere Mensch. O theuere Seele,
sind wohl nicht alle irdischen Dinge leere Träume ?.
Was half der Hoffart und der Uebermuth des
Reichthums ihren Liebhabern ? Das flog Alles
dahin wie ein Schatten , schwamm schnell dahin
wie das Schiff 1 auf dem Wasser , dessen Pfad
nicht mehr zu finden ist; 暑 sie sind untergegangen
in ihrem eigenen Verderben und von den meisten
ist keine Spur , kein Andenken vorhanden. Wo
find die Fürsten der Völker, wo ſind die Völker
193

Bändiger , die da gewaltig herrschten auf der


Erde, wo die, welche sich Schäße sammelten und
fie anhäuften mit Gold und Silber ? wo die
Erbauer der Städte und Burgen , die durch ge
waltige Kriege Könige bezwangen und Reiche
fich unterjochten ? wo die Weisen, wo die Schrift=
forscher , wo die Richter der Erde ? wo ist Sa
lomon der Weiseste , wo Alexander der Gewaltige,
wo Samson mit seiner Riesenstärke, wo Absolon
der schönste der Jünglinge , wo sind die mäch
tigsten Kaiser , Könige und erhabenen . Fürsten ?
Was half ihnen der große , eitle Ruhm , was
die kurze Freude , was die hohe Weltmacht , der
glänzende Hof, des Fleisches Wollust , der trü
gerische Reichthum , der losen Begierde sanftes
Schmeicheln? Wie ist doch das schallende Gelächter,
die lärmende Freude , der Alles zurückstoßende
Uebermuth , die nichts scheuende Tollkühnheit
verstummt , eingesunken , vernichtet ! Sieh', der
Adel des Geblütes , die Schönheit des Leibes,
die holde Gestalt , der jugendliche Liebreiz , die
ungeheueren Palläste , die Lust- Siße , der uner
meßliche Hausrath, und ich zähle mit Recht dazu
die Weisen und die Weisheit der Welt , die alle
find Dinge der Welt und die Welt liebt sie als
ihr Eigenthum , fie alle aber sind verschwunden,
wie die Welt zumal einst verschwinden und das
hin gehen wird sammt ihrer Begierlichkeit. Du
also, wenn du weise bist , wenn dein Auge noch
nicht erblindet ist , stehe ab , dem nachzulaufen,
dessen Erreichung nur Elend, dessen Besit eine
Laſt , deſſen Liebe ein Makel , dessen Verlust
eine Bein ist ; entsage diesen Thorheiten aus
13
3194

Liebe zu Dem , der über Alles ist. Diese Mah


nung , o Seele , giebt bir Bernardus , und ich
fahre fort in seinen Worten : So fliehe denn, o
Seele , flüchte dich in die schüßende Stadt , die
keine andere ist, als das geistliche, Gott ergebene
Leben; hier wirst du Gelegenheit haben und
Kaum zur Buße über das Vergangene, des Herrn
Gnade zu erlangen für die Gegenwart und froh
entgegenzusehen der künftigen Herrlichkeit ; nicht
soll dich das Bewußtsein deiner Sünden schrecken
und zurückhalten , denn wo das Verderben
überhand genommen hat , eben da pflegt auch
die Gnade sich im Uebermaße zu zeigen ; erschrecke
und zage nicht über die Strenge der Buß- Uebungen,
du weißt ja, daß die Leiden dieser Zeit in keinem
Verhältnisse stehen zu deinem vergangenen Sün
denleben , davon du nun " frei werden sollst , in
keinem Verhältnisse zu dem Maaß der Gnade,
j
die jest über dich ausgegossen werden soll , in
keinem Verhältnisse zu der zukünftigen Herrlich
feit , die dir verheißen ist.
Die Seele. Ich erkenne mun allerdings
den Trug und die Unbeständigkeit der Welt, doch
fühle ich noch die Fessel , die mich an sie bindet,
ich vermag nicht , mich von ihr loszureißen .
Derinnere Mensch. Würdest du, o Seele,
die Gefahr , welche die Welt dir bringt, ernstlich
und gründlich erwägen , dann solltest du wohl
ohne allen Zweifel dein Herz ihren Eitelkeiten
entziehen, denn der Umgang mit ihr ist wahrlich
eine Laſt und voll der Gefahren ; ihre Lustbar
teiten, sagt Bernardus , sind die Schlingen der
Keuschheit, ihre Reichthümer verderben den be
$195

scheidenen, demüthigen Sinn, ihre Geschäfte sind


Hindernisse der Gerechtigkeit und Billigkeit , thre
Plaudereien machen unedel und niedrig , ihre
Schalkheit vernichtet alle Liebe , und dahinein
wolltest du dich wagen, du schwache , gebrechliche,
der Betrügerei so offen 1 stehende , zum Falle so
..
geneigte , zum Wiederaufstehen J for unbehülfliche 20
Seele ? Jst dir's unbekannt , daß Bäume , an
die gemeinen Landstraßen gepflanzt , selten ihre
?
schönen Früchte bis zur vollen Reife behalten,
wer kann sie schüßen gegen die Menge , die da
vorübergeht ? Und willst du hierin nicht dein
Bild erkennen ? Wie sollte es nicht eben so schwer
für dich sein , mitten im Andrange der Welt, in
ihrer steten Umgebung die Gerechtigkeit , die
Tugend unbefleckt zu bewahren bis an das Ende ?
Der erfahrene Augustin sagt : Wahrhaft rauh
sind die Bande der Welt, ihr Frohsinn ist Trug
und Lüge , der Schmerz , den sie bringt ist ge
wiß, ungewiß aber ihre Freude ; was fie auflegt,

ist schwer , mit der Ruhe, die sie etwa giebt,
ist immer Furcht verbunden ; macht sie elend,
dann ist's wahres Elend , macht sie scheinbar
glücklich , das Glück ist reiner Trug , giebt fie
Aussicht und Hoffnung , da äfft die Leerheit.
Darum, o meine Seele, spricht Bernardus, wenn
du das ernstlich bedächtest , dich dessen stets er
innertest , würdest du * wahrlich die Welt und
Alles , was ihr angehört , verachten. Sage mir
doch, o Liebe, was liebst du denn eigentlich, was
ist es denn nach dem du gelüſtest , was suchst
du und was willst du finden in der Welt ? Du
verlangſt etwa ein Vorsteheramt ? Aber, du gute,
13 *

1
196

damit verlangst du nichts Anderes für dich, als


ftete Unruhe des Lebens und Beschämung. Kann
dir es doch nicht unbekannt sein, wie abenteuerlich
und widersprechend es ist : auf der ersten Stufe
stehen, der Erste sein in der Stelle und der
Lehte am Geiste und an Gesinnung, der Sig hoch
und der Lebenswandel niedrig , große Worte im
Munde und die träge Hand im Schooße , eine
Menge Worte und Nichts der Früchte , eine
Miene voll Ernstes und ein Leben voll Leichtsinns,
übergroßes Ansehen und ein 1 Schilfrohr vom
Winde dahin und dorthin bewegt ! Allerdings,
entgegnest du, wünsche ich ein Vorsteheramt, doch
der wollte ich nicht sein, dessen Bild du entwor
fen hast, ich selbst wollte fromm und heilig leben ;
**
das ist wohl alles Lobes werth, aber warum
finde ich denn so selten , was Lob verdient ?
Darum fürchte ich die Wahrheit des Wortes des
heiligen Gregorius : Das Leben und Verdienst
1
der Vorsteher und der Untergebenen hängen so
genau zusammen , daß , wenn diese unordentlich
leben , auch die Untergebenen verderben , und je
schlimmer der Vorsteher , desto verderbter die
Heerde sei , und je schlimmer diese , desto tiefer
auch jene sinken. Oder suchst du die Weisheit
der Welt ? Sieh ' zu , in welche Gefahr du dich
stürzest ! Nimm das aus dem Munde des Ber
nardus : Wie Viele leider ! und Welche " hat die
"
unselige Weisheit der Welt verführt und den
empfangenen Geist Gottes ganz ausgelöscht , den
der Herr in ihrem Inneren noch stärker entflammen
wollte ! Ist dir es unbewußt , daß die Weisheit
der Welt irdisch, thierisch , teufeliſch und eine
197

Feindin deines Heils ist , die das Leben tödtet,


aber die Begierlichkeit nährt ? Der heilige Au
gustin sagt : Wer ohne den Menschen- Erlöser das
Heil suchen will und ohne die wahre Weisheit,
die aus Gott ist, weise werden zu können wähnt,
der ist nicht gesund , er ist " ein Kranker , kein
$
Weiser / sondern ein Narr , der nie gesundet,
und wer da wächst an Wissenschaft , aber nicht
an einem heiligen Leben , der steht fern von
Gott ; willst du weise werden, so lerne das hier,
was einst dir ewig bleiben wird bort. Hier
lerne, sagt Hieronymus, wie du zu ihm gelangen
könnest ; hast du ihn einmal geschaut , dann hast
du auch Alles gelernt, er ist die ewige Wahrheit,
ohne welche alles Wiffen Thorheit , und sie
allein Kennen die höchste und vollkommenste
a
Wissenschaft ist. Unselig ist der Mensch , sagt
Augustin , der Alles weiß dich aber , o Herr,
nicht weiß; felig aber der , A welcher dich kennt,
wenn ihm auch alles Andere unbekannt ist ;
kennt er aber dich und das Andere , so ist er
deshalb nicht seliger , selig ist er wegen dir
allein. Oder, fragt Anselmus , liebst du etwa
den Reichthum, zeitliche Pracht , sinnliche Freude:
黑了
und kannst dich deshalb der Welt nicht wohl
entziehen ? So sieh' doch , o Seele, siehe hin auf
dieser Dinge Vergänglichkeit ! Wo sind die großen
**
Weltfreunde, wo die Könige und Fürsten ? Ach,
ich fürchte , viele aus ihnen sind verloren und
in die Hölle abgestiegen! Was nüßt すnun ihnen
des Lebens Uebermuth, was der Reichthum und
das thörichte Prahlen ? Denn wer die Welt mehr
liebt, als Gott , die Zerstreuung mehr als die
198

Zurückgezogenheit, das Praffen mehr als die


Mäßigkeit , die Ueppigkeit mehr als die Ent
haltsamkeit , der folgt dem Satan und wandert
"
mit ihm in die ewige Duak : Wollen wir , sagt
Augustin, doch Etwas hier besigen , so wollen
mir Gott uns eigen machen, er sei hienieden
P
unser Theil; haben wir ihn , dann " haben wir
Alles , was unser Gemüth Seliges und Heiliges
wünschen kann. Aber nicht der Reichthum an
sich selbst , sagt Gregorius, ist dem , welcher ihn
hat , verderblicher gebrauche ihn nur wohl, so
wenig 1 die Noth den Armen gut macht, wenn
er Bettler und Sünder zugleich ist. → Aber ich
merke es wohl an dir , o . Seele, du hast noch
einen Einwurf, du sagst : Ich verachte wohl die
Welt, aber von meinen Freunden , von Eltern
und Verwandten fann id " mich nicht trennen.
Wie nichtssagend ist dieser Vorwand ! Höre, was
Bernardus dir antwortet : Wenn es gottlos ist,
sagt er , Vater und Mutter zurückzusehen , so ist
es auch gottselig, fie Christus wegen zu verlaffen ;
wohl wäre das ein grausamer Vater und eine
schlimme Mutter , nicht Eltern ; sondern Mörder
wären sie , die dir Christus entnehmen wollten,
die es lieber: fähen , wenn du zu Grunde gingſt
mit ihnen, als daß du herrschtest mit Christus
ohne sie. Hieronymus spricht : Stünde die,
welche dich geboren und gesäugt hat, mit offener
Brustam der du gelegen bist , mit zerrauften
Haaren, wehklagend über dich vor dir , läge
dein Vater an der Thürschwelle , um dir den
Austritt zu hinderny achte die Mutter nicht,
schreite über den Vater hin mit trockenem Auge,
199

eile, fliehe zur Fahne des Kreuzes , hier allein


ist die Härte, die Unbeugsamkeit Lugend, Wisse,
sagt Chrysostomus , o Seele , wer Jesum hat,
9
der hat Vater und Mutter und alle Freunde .
Willst du den Todten folgen ? Folge du dem Leben
digen , laffe die Todten ihre Todten begraben.
1. Die Seele. Du hast mich genugsam belehrt,
mein Geist, und ich selbst erkenne es aus vieler
Erfahrung , daß die Welt in sich selbst dahin
schwinde ; aber woher kommt es, daß sie denn doch
noch in so vielen Herzen སྙ * hoch aufblüht und so
viele noch ihre Bitterkeiten lieben , die ihr nach=
.
laufen , wenn sie sich ihnen entzieht , die sie mit
beiden Armen umfassen , wenn sie ihnen ent
schwinden will , sprich : was ist die Ursache dieser
Verblendung ?
Derinnere Mensch. Du weißt, o Seele,
daß , da dein Bräutigam und Schöpfer dich so
edel und herrlich gebildet hat , du ohne Liebe
nicht sein und bestehen kannst ; Hieronymus fagt :
Es ist schwer, daß die Seele nicht liebe ; das
Gemüth neigt sich nothwendiger Weise auf man
cherleiAL Gegenstände , und nach Bernardus ". kann
der Mensch nicht umhin, Etwas, sei es nun das
Höchste oder das Niedrigste , zu lieben. Nun sagt
Gregorius : Viele vernachlässigen ihr Leben und
wissen es nicht zu würdigen , sie verlangen nach
dem Vergänglichen und blicken11 nicht , auf nach
dem Ewigen , das ihnen somit verschlossen bleibt,
oder sie finden es , verachten es aber7 und fühlen
die Wunde nicht ,.: die sie sich selbst schlagen ; die
Elenden wähnen nun , es stehe Alles gut mit
ihnen, sehen, die Verweisung als ihr. Vaterland
200

an, gewinnen sie lieb, freuen sich der Finsterniß


und jubeln in ihr, als umstrahle sie die lichteste
Helle ; das ist der Thorheit Lauf. Die Auser
wählten hingegen, die da weise sind in dem Herrn,
betrachten das Bergängliche als ein Nichts und
streben nach dem, wozu sie geschaffen find, und
da ihnen außer Gott nichts genügt, sie Alles un
befriedigt läßt, so finden sie diese einzige Genüge
in Gott ihrem Schöpfer, sie sehnen sich nach dem
Umgange der Himmlischen, und obgleich noch um
fangen vom Fleische und lebend in dieser Welt,
erheben sie sich über diese Welt. und an einer
anderen Stelle sagt Gregorius : Süß scheinen die
Dinge dieser Welt, aber wahrlich nur denen, die
des Himmlischen Süßigkeit noch nicht gekostet
f1
haben; denn je weniger der Geist das Ewige
kennt, um so lieber begnügt er sich mit dem Zeit
lichen und verliert sich in dasselbe, sobald er aber
auch nur Weniges gekostet hat von der künftigen
Belohnung Süßigkeit , um so bitterer wird ihm
alles Aeußere , besonders wenn das Innere um
so huldvoller sich ihm enthüllt. sk . ‫ܐܐ ܐ ܐ‬
"
Die Seele. So schiebe es denn nicht län
ger hinaus , o mein Geist , sage mir Etwas von
der Welt-Freude und jener des Himmels, dadurch
wird es um so sicherer gelingen, wenn ich beider
Natur völlig kenne , die eine um so gewisser zu
verachten und zur Erreichung der zweiten mich
um so thätiger anzuschicken ; denn ich meine, daß,
wie das Gute unerkannt nicht geliebt wird, eben
so das Böse , wenn t es nicht ganz erkannt wird,
nicht könne gemieden werden.
Der innere Mensch. Ich, o Seele, halte
201

dafür , man könne die Weltfreude , wenn sie ans


ders diesen Namen und nicht vielmehr den einer
unerkannten Geißel verdient , nie besser erkennen,
"
als wenn man sie völlig verabscheut. Doch sollst
du vernehmen, was vollendete Weltverächter dar
über sagen, sie geben fünf Dinge an, warum
die Weltfreude hauptsächlich zu verachten sei, und
1
zwar erstens wegen der Niedrigkeit des Gegen
standes selbst , denn, sagen sie, was ist wohl die
Freude der Welt ? und führen als Antwort darauf
die Worte Augustin's an : Sie ist nichts als eine
strafbare, aber hier nicht gestrafte Nichtswürdigkeit
im Schwelgen, im Saufen und Fressen, im steten
Jagen nach Thorheiten und nichtswerthen Zers
streuungen, und das ungeahndet und ungerügt hies
1
nieden forttreiben dürfen. Diese Straflosigkeit
nun halten die Sünder für Freude und die nicht
gezähmte. Zügellosigkeit gilt ihnen als herrliche
Freiheit ; aber die Thoren , sie wissen nicht, wie
unglücklich und elend sie sich selbst machen, sie
nähren ja nur ihre strafbare Gebrechlichkeit , des
Geistes Ohnmacht und des Willens Verderbtheit.
3weitens wegen der Unlauterkeit , welche die
befällt, die sich ihr ergeben , denn nur sein durch
Sünden und Laster schon verderbtes Gemüth hascht
immer nach fündlichen Zerstreuungen, nach Welte
Lust und Ergögung , nur soches Gemüth freut
sich der verübten Schlechtigkeit, es ermuthigt sich
in eigentlichen Verworfenheiten ; darum sagt der
selige Hieronymus ganz recht : Nur Rasende, nicht
die ruhigen und vernünftigen Sinnes ſind, treiben
sich immer im wilden > Gelächter und sinnloser
Ueppigkeit herum. Gewiß, meine Seele , ein
202

reines Herz giebt sich mit der unreinen Welt nicht


+
ab, seine Freude ist , mit Gott und in Gott ſein.
Drittens wegen der Kürze , die ihr ganz eigen
12
ist; die Freude des Lügners ist wie ein Punkt.
Dieser Lügner ist wohl die Welt und ein Pünktchen
ist ihre Lust, das nicht Breite, nicht Länge, nicht
Höhe , nicht Tiefen hat. Der i heilige Auguſtin
spricht : Der Welt Lust, ist eine Eitelkeit; man
wartet mit Sehnsucht auf sie, bis sie kommt, und
ist "*sie da , so hältst du sie nimmermehr fest.
Seele , so vergänglich, so gebrechlich, so schnell
dahin eilend ist die Freude der Welt , denn des
Menschen Tage ſelbſt find kurz. #! Viertens
wegen des traurigen Endes und des betrübenden
Ausganges , den sie nimmt. Die Elenden ! ,,Sie
bringen in guten Tagen ihr Leben dahin und in
einem Augenblicke stürzen sie in die Hölle ; 1/denn
das Ende solcher Freude ist Weheklagen." Doch
nicht allein das Ende ist traurig, sondern,, o Seele,
wenn du solche Freude recht erkennst , schon mit
ihr selbst, an ihrer Seite , in ihrer Mitte geht
ein Trauern, ein Mißmuth , eine Unruhe , es
schreit ja immer das aufgereizte, verlegte Gewissen
dazwischen hinein! Solange du isfest und trinkit,
#d
so lange du die Freude und Lust genießest , so
lange und nicht länger währt sie ; List's genossen,
"
sogleich steht der Trübsinn , Alles störend , da.
Fünftens wegen des Schadens , den fies dem
Menschenstiftet; dem Geistes entnimmt sie die
wahre Freudeste läßt ihn nie dazu kommen.
Das erwäge, o: Seele , fie. find wahrhaft elend,
die der elenden Welt folgen, denn das Leben des
Geistes , dieſes einzige, wahre Leben entgeht ihnen
203

immer, der Welt Trost hindert Gottes Tröstungen ;


darum suche micht Freude und Trost bei der Welt,
Seele, foll anders das Andenken an Gott dir
tröstlich werden ; gering werde in deinem Auge
$
das Geschöpf, um so größer, herrlicher und be=
seligender wird der Schöpfer deinem Herzen sein.
Die Seele. Ja , ich verachte die Welt, ihre
trügerische Freude als wahre Betrübniß des Geistes,
ihre falsche Süßigkeit erkenne ich nun als wahre
Bitterkeit, und weil ich vollends durch deine Rede,
durch dein Mahnen ganz davon überzeugt bin,
so will ich ihr denn , ganz wie sie es verdient,
entsagen; allein du sagtest oben : ohne alle Liebe
könne der Mensch nicht sein, er müsse etwas lieben ;
sprich nun was soll ich thun ? "wohin soll sich
meine Liebe wenden ? wo ist der ihr würdige
Gegenstand ?
Der innere Mensch. Seele, kenntest du
dich selbst recht , so würdest du nach dieser Er
kenntniß deiner selbst, ohne mein Wort, die Welt
und Alles , was ihr angehört, ernstlich verachten
und selbst erkennen und wissen , was einer Liebe
werth und dich wahrhaft erfreuen und trösten
könnte. Lerne nur einsehen, o 1 Seele , daß du
göttlichen Ursprungs bist, dann werden von ſelbſt
alle irdischen Tröstungen dich anekeln ; schäme dich,
daß der Erden Staub dich trösten solle, dich, die
du vom Himmel stammst, schäme dich, Freude zu
fuchen im Miederen , die nur im Höchsten und
Besten ihre Befriedigung finden kann ; ließenes
nur die Thorheit des Fleisches zu , dann würdest
du wissen und selbst fühlen , daß 1 deine , wie ich
dafür halte, himmlische Natur auch nur himuis
204

lische Tröstungen verlange und nur diese verlangen


könne. Wie süß und wonnevoll , sagt Bernardus ,
wäre es, wenn wir, Gottes Liebe und seine Huld
im Herzen, der Natur gemäß lebten und uns die
zeitliche Thorheit nicht daran störte ! Wäre dieſe
aus uns entfernt und unser Herz davon geheilt,
dann würde unsere wahre , ursprüngliche Be=
schaffenheit , dieses naturgemäße Leben als die
einzig entsprechende Lebensweise uns erscheinen.
Die Seele. Sprich , was nennst du nach
der Natur leben ?
Der innere Mensch. Das eigentliche Leben
nach der Natur ist , hienieden himmlisch leben,
von dem Aeußeren eingehen in das Innere, von
!
da sich erheben nach dem , was oben ist , und
Alles thun und verrichten nach dem Höchsten und
Edelsten in uns , nämlich nach Vorschrift der Ver
nunft und des Geistes. jt tj 92
Die Seele. Ist es aber auch möglich, hier
auf dieser Erde und in diesem Thale der Thränen
ein himmlischesI Leben zu führen ? nude
"
Der innere J Mensch Zweifelst du an
meinen Worten , an den Worten eines Sünders
und kommt die meine Rede sonderbar vor, so höre
statt meiner einen Heiligen, höre , was Auguſtin
sagt: Sobald wir etwas Ewiges in Liebe und
Kenntniß erfassen , dann sind wir mit unserem
Gemüthe schon nicht mehr in der Welt , da ist's
schon wahr geworden , was der Apostel sagt:
,,Unser Wandel ist im Himmel" ; und ich, o
Seele, behaupte: wo wir lieben , dort leben wir
weit eher und wahrer, als wo wir athmen, denn
die Macht des geliebten Gegenstandes bringt uns
205

in Gleichförmigkeit mit ihm ; beschäftigst du dich


denn mit dem Himmlischen, liebst du das Himm
lische, so lebst du ja wohl auch im Himmel und
wirst hienieden ähnlich den himmlischen Geistern.
Die Seele. O ich Elende und Unglückliche,
wie erkenne ich jezt meine armselige Verblendung!
Wie lange trieb ich mich in Erforschung des Jr
dischen, wie lange # im Jagen und Haschen nach
r
Erkenntniß des Vergänglichen herum ! An das
".
Zeitliche , an das Niedere band 1sich mein Herz,
das mir so wenigen Trost , aber um #1 so mehr
Bitterkeit und Unlust, so unbedeutende Freude,
aber desto mannigfaltigere und tiefere Betrübniß
meinem Herzen brachte ! Entdecke mir , o mein
Geist, das Hohe und Süße, sprich, was ist himm=
lische Tröstung, zeige mir, wie ich dieselbe erreichen
könne in diesem Thale der Thränen und des
Jammers , enthülle mir das Geheimniß , nenne
mir das mit Namen , was ich finde in meinem
Gott , da mir's so leicht wird, Alles seinetwegen
•zu verachten , Alles seinetwegen bei Seite zu
jeßen , wenn es in freudigem Gefühle in meinem
Herzen ruft : Du Gott meines Herzens, du mein
Theil, o Gott , in Ewigkeit , was ist's, was ich
in jenen seligen Augenblicken, bei meinem und in
meinem Geliebten koste , wo ich nicht nur bereit
bin , sondern stark und entschlossen mich fühle,
ja sogar wünsche, alles Harte, Echwere und Bit
tere um seiner Liebe willen zu tragen , wenn ich
fage und ausrufe : D ,,wie gut ist's mir , an
Gott zu halten , wer mag mich * scheiden von der
Liebe Christi ?"
Der innere Mensch. Deine Frage soll
206

Bernardus beantworten ; er sagt dir : Dieſe in


nere Tröstung, diese Freude ist die Gnade des
frommen Gebetes , welches aus der Zuversicht
entspringt , daß der Herr uns verzeihe , sie ist
ein Vorgeschmack des Guten, obgleich nur noch
im geringeren Maaße, sie ist ein süßer Tropfen,
womit der gütige Gott die trauernde und betrübte
Seele erquickt , wodurch er sie ermuntert zum
ferneren Suchen seiner und sie heftiger entzünden
will in der göttlichen Liebe. Der gottselige Hugo
spricht darüber Folgendes : Was ist jenes Süße
und Liebliche , wovon die fromme Seele , denkt
fie ihres Geliebten , ergriffen wird , das so sehr
fie entzückt , so innig ihr Herz durchdringt , daß
sie sich selbst nicht mehr kennt, sich selbst ganz
fremd wird ? Das Gewissen erleichtert sich, das
Herz öffnet sich in hoher Wonne, alle Leiden sind
vergessen, Jubel und Freude ist im Gemüthe, das
Herz ist erleuchtet, der Verstand erhellt sich, Alles
ist Wonne ! Sie weiß nicht mehr , wo sie ist ;
innen ist Etwas , was die Liebe fest umklammert,
fie aber kennt es nicht , obgleich sie dasselbe mit
allen Kräften festzuhalten strebt, obgleich sie kämpft
und ringt, daß es ihr nicht entgehe, denn ihr ist
es, als habe sie in diesem das Ziel aller ihrer
Wünsche und Sehnsucht gefunden. Und derselbe
Bernardus sagt abermals : Wenn ich zuweilen
gleichsam mit geschlossenen Augen nach dir, o gütiger
Jesu, michsehne dann legst du mir Etwas ins Herz,
das ich aber nicht kenne , nicht weiß und nicht
11
wissen soll, was es ist , # seine Lieblichkeit fühle
ich, seine Süßigkeit koste ich , wie sehr mich es
stärkt, empfinde ich, und bliebe es immer in mir,
207

nie würde ich etivas Anderes verlangen , denn


das Herz ist im hohen Jubel ; ja , spricht Gres
gorius , das Herz jubelt es schwimmt in un
nennbarer Freude , die nicht zurückgehalten, aber
mit Worten nicht ausgesprochen werden kann, in
gewissen Regungen zwar entdeckt sie sich , das
Eigentliche aber von ihr kann nicht deutlich ge
macht werden , 1 darum heißt es im Psalm-Buche :
,,Wohl dem Volke, das jauchzen kann !" Es heißt
nicht , das seinen Jubel aussprechen kann,
fondern das jauchzen kann ; wohl wird der
1
Jubel gefühlt, die Seele weiß ihn , ihn aber zu
schildern in Worten, ist ihr unmöglich. Giebst du
mir diesen inneren Geschmack , o Herr , so sieht
ihn mein Auge nicht, meine Seele weiß nicht, wie
J
es zugeht, mein Geist versteht es nicht, du läsfest
es nicht zu, o Herr, daß ich erkenne, was es sei ;
habe ich 2 es empfangen, will ich es prüfen und un
tersuchen, sogleich ist alle Süßigkeit vorüber, heiß
hungerig zwar verschlinge ich es , dieses Unaus
sprechliche, das da Hoffnung giebt und Zuversicht
des ewigen Lebens, will ich aber seine wirkende
Kraft gleichsam zerkauen und recht zertheilen und
fie eingießen in das Innerste und in alle Ein
gänge meiner Seele als einen lebendig machenden
Saft, um so dem Herzen alle andere Neigung zu
entnehmen, und es allein verlangen lassen nach
ihm, dann eilt es schnell vorüber, und versuche ich
es , die Art seines Daseins in mir , die Weise,
wie es mir geworden ist , meinem Gedächtnisse in
gewissen bleibenden Zügen fest einzudrücken oder
es niederzuschreiben, um dem Gedächtnisse besser
zu Hülfe zu kommen, dann muß ich aus Erfahrung
208

fagen : ,,Du weißt nicht , woher es tomme und


wohin es gehe !" Was dir so füß und lieblich
ist, was dein Herz in so große Freude verseßt,
o meine Seele, das ist allerdings eine himmlische
Tröftung . andwas
Die Seele. O mein Geist, wer giebt mir,
daß auch meinem Herzen dieſe mir noch unbekannte
Tröstung werde , daß auch ich meines Elendes
vergesse , daß mir aller irdische Troſt zum - Ekel
werde, daß auch ich mir selig entwerde ?
Der innere Mensch. Du verlangst Großes,
o Seele, du begehrst eine unschäßbare Gabe ; durch
deinen Fleiß, durch eigenes Bestreben wirst du ſic
nicht erreichen , auch verdienen aus eigener Kraft
kannst du sie nicht , nur demüthiges Beten , nur
ein gottergebener Sinn und einzig nur die deiner
sich erbarmende Huld Gottes kann dir sie geben ;
denn so edel ist sie , daß alles Gold gegen fie
wie ein geringer Sand und Silber wie Koth gegen
fie zu rechnen ist."
Die Seele. So sage mir denn , o mein
Geist, wodurch kann ich mich befähigen, wie muß
die Stimmung des Betenden sein, der diese Gabe
erhalten will ?
Der innere Mensch. Davon könnten die
jenigen, welche dessen Erfahrung haben , dir Vie
les sagen ; ich aber , der ich mich als einen dieser
·
Erfahrenen nicht ausgeben kann , bin in Ver
legenheit, auch nur Weniges davon zu sagen ; ich
fürchte den Ausspruch des A Herrn gegen mich:
Warum sprichst du von meinem Worte", warum
erkühnst du dich, von dem zu reden, was dir nicht
***! MIGHT DIS
209

geworden ist, wie kannst du das anpreisen , was


dir unbekannt ist ?
Die Seele, Fürchte dich nicht, mein Geist,
das in Ehrfurcht und Demuth mir zu verkündigen,
was dir , wenn auch nur vom Hören und Lesen,
bekannt geworden ist , haben ja doch schon Viele
von hohen und erhabenen Dingen mit Anderen,
und zwar sehr heilsam für diese, gesprochen, was
fie eben auch nicht aus eigener Erfahrung, sondern
von Anderen und fremder Erfahrung erlernt haben.
Der innere Mensch. So will ich's , denn
versuchen , dein ۴۱ Wort macht mich etwas kühner,
und ich hoffe , die Liebe möge das an meinem
Worte ersehen, was die selbstgemachte Erfahrung
mir versagt, wie ich es verstehe , will ich's vor
tragen. Meine Meinung, ohne Maßgabe für eine
andere und bessere , ist die : willst du dich zur
Kostung dieser himmlischen Süßigkeit vorbereiten,
so gehört dazu erstens Reinigung, zweitens Uebung,
drittens Aufschwung ; in der ersten ahnst und
riechst du die himmlische Süße , in der zweiten
kostest du sie, im dritten trinkst du sie in Fülle und
Uebermaß , oft bis zur Berauschung . Zuerst
also muß die Reinigung von der Sünde voraus
gehen, die Entledigung von unordentlichen Neigun
gen, von irdischen Tröstungen, von ungeordneter
Liebe und Anhänglichkeit an die Kreaturen; denn
nach Bernardus irrt der gewaltig , welcher da
wähnt , es könne diese himmlische Süßigkeit mit
diesem Erdenstaube , jener göttliche Balsam mit
dem Gifte irdischer Lust, es könnten die Gaben
und Heiligungen des Geistes Gottes mit den
Reizungen der Welt vermischt und gemengt werden.
14
210

Nur dann , wenn alle diese Unlauterkeiten der


Seele entnommen sind , wenn die Thränen der
Reue sie gewaschen und rein gemacht haben, nur
dann ist der Anfang, der erste und ächte Anfang
gemacht , was so nothwendig und folgerecht ist,
weil , wie Augustin sagt , jenes Herz allzeit
Schmerzen in sich fühlen muß, welches mit Zu
rückseßung Gottes seines Schöpfers seine Lust nur
in sich und in den Kreaturen suchte. Darum ist
das Wort des seligen Gregorius schön und wahr,
das er, jené Worte Job's : Ehe ich effen soll,
muß ich seufzen" , erklärend , ſagt : Das Effen
der Seele geschieht, wenn sie in Echauung des
göttlichen Lichtes geweidet wird , sie erseufzt dem
nach, ehe sie iffet , und zwar mit Recht , weil,
wer sich in diesem Elende hienicden durch Sehn
sucht und Seufzen nach dem Himmlischen nicht
erniedrigt, nie die Freude des himmlischen Vater
landes kosten kann ; denn nie speist die Wahrheit
die, welche sich mit den Armseligkeiten dieser irdischen
Pilgerfahrt genügen. Zweitens muß die Uebung
eintreten, die Uebung in tugendlichen und gottgefäl
ligen Werken, in starkmüthiger Ertragung der Leiden
und Widerwärtigkeiten ,,,selig sind , die weinen
und Leid tragen , fie follen getröstet werden",
denn die aus Liebe zur Wahrheit leiden , denen
wird die Tröstung des Himmels. Der erfahrene
Bernardus sagt : O gütiger Jefu , wie oft schon
hast du meine Seele, wenn sie durch unzählbare
Thränen und anhaltendes Flehen und Seufzen
ganz ermattet und zerschlagen war , mit dem
Balsame deiner Erbarmung gesalbt, wie oft mich,
da ich beinahe allen Muth verloren hatte, freund
211

lich aufgenommen ; sobald ich aber getröstet und


guter Dinge war und auf deine Gnade Anspruch
zu machen mich erdreistete, entzogst du dich mir.
Siehst du, o Seele, welch' ein Schatz für dich in
den Thränen der Reue und der Buße liegt ! Laffe
immerhin im Anfange den Weg, der zum Leben
führt, einen engen und rauhen sein, er öffnet sich
nach und nach und , wenn du wacker darauf fort
schreitest, bringt er dich an die süße Quelle unaus
sprechlicher Liebe. O selige Tröftung , die Gott
über jene ausgießt, die da arbeiten und sich mühen
für Christus ! Drittens wenn das Gemüth
sich nach oben schwingt , dann strömt der Seele
die Süßigkeit des Herrn im Uebermaße , bis zur
Berauschung zu ; ↓ hat sich das Herz alles Jrdischen
entledigt und sich gleichsam über sich selbst empor
geschwungen , hinüber über die Welt und über
alle Kreaturen, dann wird sie sagen können , die
Seele, die seligen Worte : ,, Der König hat mich
in seine Kammern geführt !" Ja, in des Königs
Weinkammer wird sie nun eingeführt, dort trinkt
fie von dem Weine des Königs, von dem Weine
des unaussprechlichen Gottes, trinkt von der süßen
Milch seiner unbefleckten Menschheit ! O Seele,
hier trinken die Freunde, die Liebsten aber werden
berauscht! gesegnete Berauschung , welche die
Seele so keusch, so heilig, so nüchtern macht ! Die
Seele wird trunken , nicht achtend , ja, sich sogar
freuend der Leiden , muthig und furchtlos in Ge
fahren, klug und bescheiden im Glücke, großmüthig
und gütig in Verzeihung der A Unbilden , bis sie
endlich , die Selige , Trunkene , einschlummert in
den Armen des Herrn , wo der Bräutigam , die
14 *
212

Linke unter das Haupt der Braut legend , fte


freundlich hält und des Geliebten Rechte die Ge
liebte traulich umfaßt.inde da mur
Die Seele. Ich bekenne , o mein Geist,
bekenne es in tiefer Ehrfurcht und Demuth :
von dem , was du hier sagst , habe ich ehemals ,
aber leider ! nur selten , U Etwas elbst erfahren,
da ich im Anfange meiner Bekehrung mit aller
Gewalt mein Herz dem Zeitlichen entriß und mich
zur 3 Schauung des Himmlischen mit aller An
strengung zu erheben strebte ; damals wurde auch
mir der Eingang gestattet , zitternd trat ich ein,
beschämt blickte ich umher, ich sah die Chöre der
Engel, die herrlichen Wohnungen und die Freuden
der Patriarchen, der Propheten und Apostel, sah
die Freuden-Mahle der Märtyrer, die Tröstungen
der Jungfrauen und Bekenner des Herrn , ich
ging um Alle herum , erbat mir von ihnen eine
milde: Gabe , irgend etwas Tröstliches, bat um
die Brosamen, die von dieser Herren Tische fielen,
bat inständigst darum , mir aber wurde nichts
gereichtja , zich Arme , schmerzlich empfand
ich das und noch jest, da ich dies sage, fühle ich
"
es, ich Arme wurde von Allen als eine Fremde
"
und ganz Unheimische abgewiesen ! Ach , was
half mir dann meine Anstrengung, was meines
Herzens Aufschwung ? Ist mir doch auch gar
teine Tröftung geworden! daleg nuts
Der inneve . Mensch. D Seele, nicht ohne
Grund wurdest du so , ohne allen Trost, abge=
wiesen. " Nach meiner Ansicht mag wohl das die
Ursache gewesen sein : du wolltest Theil haben
an ihren Tröstungen und hattest doch noch nicht
#it
213

Theil genommen an ihren Leiden, wolltest gleiche sbuck!


Belohnung mit ihnen und hatteſt ihre Tugenden
nicht ! J Darum rathe ich dir , damit dir's in
Zukunft gelinge, befleißige dich, den Engeln ähnlich ༤ མ༥
"
zu werden durch Reinheit und Unschuld , den
Patriarchen und Propheten durch Demuth, durch
Festigkeit des Glaubens und der Hoffnung, strebe,
eine Schülerin, ja eine Tochter zu werden der
Apostel und Märtyrer durch Liebe und Geduld,
gleichförmig zu werden den Bekennern und Jung
frauen durch Frömmigkeit und Enthaltsamkeit;
dann sei versicherte auch hier in diesem Elende
wird dir die Gabe der Barmherzigkeit gegeben
werden , wenigstens jene, die auch der verlorene
Sohn erhielt aus der Hand des gütigen Vaters.
Die Seele. O mein Geist, jest , jezt sehe
ich es ganz ein , wie 1 eitel und elend alles Ber
gängliche sei , und darum verachte ich von Herzen
die Welt und alle ihre leeren Tröjtungen , ich
verabscheue ihre Freuden wie tödtliches Gift, ich
beweine mein vergangenes Leben . Ach, es Par
kein Leben , es war ein Tod ! Ich will mein
armes sündliches Hetz abwaschen und reinigen
unter Seufzen und mit den Thränen der Buße ;
Fly
und sollte es mir dann f gelingen, endlich einmal
unter Weinen und Wehtlagen den Geruch, den
Vorgeschmack der göttlichen Huld auch nur wenig
zu ahnen, so will ich mich nicht sogleich erkühnen,
7

die Speise der Engel, den Wein der Freunde und


der Vertrauten kosten zu wollen, die mir Armen,
Elenden, Hungrigen und Durstigen noch nicht
geziemt, mit Bernardus will ich bekennen : Mein 17
Herz , o Herr , ist noch nicht würdig und fähig
214

der Fülle deiner Süßigkeiten , die du nur vorbe


halten 3 hast denen, die dich fürchten ; ich stehe
noch außen und schon der Geruch. von innen er
quickt mich, er ist mit mehr als der wohlriechendste
Balsam und alle Wohlgerüche. O Herr , mein
Gott, ist schon der Geruch so köstlich, wie süß
muß nicht erst das Kosten deiner Süßigkeit sein!
Und wenn einige Tröpflein schon mich so stärken,
wie entzückend und wonnevoll muß nicht die volle
Berauschung von diesem Himmelsstrome sein !
Ower giebt mir , daß du kommest in mein Herz,
daß du mich trunken machest mit deinem Weine
und ich dich umfaffe, o mein Gott !
Der innere Mensch. Seele , ich will dir,
r
doch ohne dich kränken zu wollen , einige Worte
des heiligen Augustin sagen. Ihr verlangt, sagt
er, doch gar zu viel , ihr seid wahrlich sehr hab
süchtig, wo nicht gar kühn und unbescheiden ; prüft
doch eure Kräfte, seht, was ihr denn verdient oder
verdient habt, untersucht das an euch, was euch als
Tugend an euch erscheint, und habt ihr auch dann
noch Muth ; so seid zufrieden , daß ihr laufen
dürft demüthig mit den Mägden nach dem guten
Geruche der göttlichen Salbe" , und nicht mehr
fordert über euern Werth und Verdienst.
1
Die Seele. Du giebt mir Armen harte
Worte. Welch ein trauriger und niederschlagender
Tröster bist du , o mein Geist, und , darf ich's
"
sagen, bugeizest. mit des Herrn Gnade und
Huldan mir! Darum will ich es nur frei
heraussagen und nicht zurückhalten das Wort
meines Herzens : ich begnüge mich nicht an dem
lieblichen Geruche, das Kosten im geringen Maße
215

sättigt mich eben auch nicht , es reizt vielmehr


noch das Verlangen , trunken will ich werden,
das ist mein Verlangen , das meine Sehnsucht;
ich verstehe sein Wort , wohl weiß ich , was er [
gesagt hat und sagen will in den Worten : „ Trinket,
meine Freunde, werdet trunken, ihr Allerliebsten !"
Schlägt mein Unwerth meinen Muth nieder , so
richtet ihn sein huldvolles Versprechen , sein
freundliches Einladen wieder auf. Nein , mein
Geist , nimmermehr kann ich zweifeln , daß Der
nicht bereit sein sollte, das Beste zu geben, welcher
sich gewürdigt, für mich das Schlimmste zu dulden.
Hast du etwa vergessen , was du Andere sonst
so schön gelehrt, wie huldvoll nämlich und gnädig
der Herr sei , was du von dem feligen Augustin
erlernt hast, der dir und mir sagt : Schäme dich,
du träger Mensch ! Gott will mehr geben und
Größeres , als du von ihm zu J bitten wagst ; er
gab uns das Unterpfand des Geistes , in welchem
wir seine Huld und Süßigkeit wahrnehmen, der
uns ihn kosten läßt, diesen Brunnen des Lebens,
der uns tränkt mit dem Wasser, des , Heils und
uns trunken macht , daß wir heranwachsen wie
Bäume gepflanzt an Wasser-Bächen . Und nie
sollen die Worte des Kirchenlehrers Chrysostomus
meinem Herzen entschwinden Nichts , sagt er,
offenbart Gottes Allmacht heller und herrlicher,
als daß sie die, welche ihm vertrauen, allmächtig
macht ; denn das Herz, das im festen Vertrauen
an Gott fich hält und auf ihn sich stüßt , kann
nicht irre geleitet , nicht durch trügerische Reize
und Lockungen verführt , nie besiegt werden , so
lange es in Gott steht und ihm ergeben bleibt.
216

So welche denn schamroth zurück, du menschlicher


Kleinmuth, ja verwünscht sei jedes furchtſame
Zagen und Zaudern , das da wähnt , der über
reiche und höchst freigebige Gott gegen Alle , die
ihn anrufen und ihr ganzes Vertrauen auf ihn
sében , könne oder wolle solchen Seelen seine
Gnade und Huld versagen ; ist er nicht der ewige
Bater , bei dem keine Veränderung statt findet
und 1 der aus Uebermaß seiner Güte und Liebe
seinen eigenen Sohn gesendet und in ihm und
mit ihm uns seinen ganzen Reichthum geschenkt
hat, seine ganze Macht und Alles, 1 was er selbst
ist ? Dann freilich, wenn seine Freigebigkeit durch
seine unendliche Güte gemindert worden wäre,
dann müßten wir Schwachen und Ärmen aller
‫וי‬
dings zittern , aber da er die Güte aus 4 und in
sich selbst ist und nicht aus zufälligen Gaben
erst seine Huld sich offenbart , so kann sie sich,
*
auch durch stete Ausspendung seiner Gaben,
nimmermehr mindern , sowie sie durch fremde
Güte nicht wachsen kann. f
Der innere Mensch . D. Seele , dein
Glaube ist groß , mächtig deine Hoffnung und
Zuversicht ! Doch so lieb dem Herrn des Menschen
Zuversicht auf ihn ist, die aus frommem Herzen
tommt und auf seine Gnade baut , so rathe ich
dir doch , du mögest , ehe du nach der vollen
Sättigung , 13 nach der Fülle bis zur Trunkenheit
ſtrebst und die Höhe erklimmen willst , zuerst in
Betrachtung deiner selbst, und gewiß ersprießlich
für dich, abwärts steigen, damit du zuerst lernſt,
1
deinen Bräutigam ehrerbietig zu fürchten , ehe
du dich unterfängst , in seine geheime Kammer
217

eingehen zu wollen ; denn nicht nur fürchten mußt


du ihn , 1 wenn er zürnt , sondern auch fürchten,
wenn er holdſelig und liebreich mit dir umgeht.

4
I'
Drittes Kapitel .
; *****
Wie die Seele durch innere Uebung ihren *
beschauenden Blick auf das wenden müsse , was
unter ihr ist, damit sie erkenne, wie unausweich
lich der Tod , wie furchtbar streng das endliche
Gericht wie unerträglich die Qual der ewigen
Strafe sei.: " 1"
Die Seele. Zähle mir , mein Geist , kürze 13X
lich das auf, was du Dinge unter mir nennst
und zu deren Betrachtung du mich aufforderst ;
thue das mit kurzen Worten , denn ich eile , mich
nach oben zu schwingen, ich strebe nach der Fülle
der göttlichen Labung, ich kann nicht lange mehr
unten verweilen. D ich sehne mich nach deinen
geliebten Wohnungen, du Herr der Stärke ! Jch
will in den Vorhöfen meines Herrn wohnen ;
dahin strebt mein Herz , dahin iſt alle Sehnsucht
gerichtet. pro
Derinnere Mensch. Die Dinge, o Seele,
die unter dir sind und wohin du dein Auge.
richten sollst, sind : die unausweichliche Gewißheit
des Todes , die du erwägen sollst , die unfehl
bare Gerechtigkeit des göttlichen Gerichtes , über
die du erseufzen sollst , die unausstehliche Qual
der Höllenstrafe , die dich zittern machen soll.
So erwäge denn zuerst und lasse den Gedanken
nie deinem Herzen entschwinden : unvermeidlich
218

ist der Tod , unbekannt die Stunde , unabänder


lich der Zeitpunkt, den Gott bestimmt hat. Der
Lehrer Isidorus sagt : Unter allen menschlichen
Dingen ist der Tod das Gewisseste und nichts
ist ungewisser als die Stunde des Todes ; er
verschont den Armen nicht , er achtet den Mäch
tigen nicht , er berücksichtigt nicht Stand , nicht
Lebensweise , er ergreift die Jugend , wie das
Alter , dem Greise steht er unter der Thüre, der
Jugend lauert er auf.
Die Seele. So ist demnach das , was
wir Leben nennen , nichts als ein Uebergang
zum Tode. Wie geht es nun zu, daß demunge
achtet die Menschen so sehr noch am Zeitlichen
hangen, das doch nur von einer ungewissen Zeit
des Besizes abhängt ? woher die Liebe zu diesem
Leben , welches , je länger es währt , desto mehr
mit Sünden befleckt wird, und so mit den Jahren
auch die Schuld sich mehrt. Täglich wächst das
Böse heran und täglich mindert sich das Gute.
Wer kann die Fehler , Sünden und Verirrungen
zählen , die im Verlaufe der Zeit begangen
werden , und das Gute und Rechte , das unter
laſſen wird ? Wohl ist das Verbrechen groß, nicht
nur nichts Gutes zu thun und zu denken, sondern
Herz und Sinn der Thorheit und Nichtswürdigkeit
ganz preiszugeben ...
Der innere Mensch. Davon sagt Gre
gorius : Fleischliche Menschen , o . Seele, lieben
deswegen das Zeitliche , weil sie über die Flüch
tigkeit dieses zeitlichen Lebens " nie nachdenken ;
thäten sie das , unmöglich könnten sie , ginge es
ihnen auchnoch so gut, diese kurze Dauer lieben ;
219

wir leben , wie Leute auf einem Schiffe , wachen


oder schlafen wir im Schiffe , immer geht es in
Eile zum Ende. Du Erden-Leben , wie täuscheſt
du die Menge ! Fliehst du , so bist du nichts,
sieht man dich , so bist du ein bloßer Schaffe,
geht es hoch her mit dir , der Rauch steigt eben
auch hoch hinauf , wie du , und verschwindet ; Jt
>
der Thor findet dich süß , der Weise bitter ; die
dich lieben, kennen dich nicht, und die dich kennen,
hüten sich vor dir ; die Einen lockst du mit vielen
Tagen , Monaten und Jahren , sieh , du willst
fie betrügen , die Anderen schreckst du mit Kürze
der Dauer, du willst sie zum Kleinmuth und zur
Verzweiflung bringen. Düben wir uns doch in
fteter Erwägung unseres Elendes hienieden ! Unter
Schmerzen treten wir in dieses Leben ein , mit
Mühseligkeiten , unter Arbeit und Plage seßen.
wir es fort, unter Angst und Zagen verlassen
wires. Bernardus spricht : Wir Alle , die da
leben in diesem Lande des Schattens des Todes,
in einem gebrechlichen Leibe , in beständigem
Kampfe und unter so vielen Versuchungen, leiden,
wollen wir es reiflich erwägen , an einem drei
fachen Uebel wir sind leicht zu verführen , schwach,
zu widerstehen, und gebrechlich im Wirken.
Die Seele. Die Nuglosigkeit dieſes Lebens
sehe ich ganz ein , wenn wir nicht suchen und
streben , uns das zu verschaffen , wovon wir in
der Ewigkeit leben können , und nichts ist daran
gelegen , wie lange wir leben , sondern darauf
kommt es einzig an , ob wir das Rechte und wie
gut wir es wirken; zum Gutes -Wirken will uns
der Herr seine Gnade geben , ein langes Leben .
சி
220

aber hat er keinem versprochen . So ist demnach,


nach Bernardus, nur das ein ſicheres Leben , wo
ein reines Gewissen ist , das dem Tode ohne
Furcht entgegensieht, das ſogar ihn wünſcht, das
16
mit Gottseligkeit ihn annimmt.
} Der innere. Mensch. Ist das , o Seele,
deine wahre Ueberzeugung, so höre meinen " Rath
und wirke in diesem Leben , so lange es währt,
für das ewige , unvergängliche Leben ; so lange
du im Fleische lebst, stirb der Welt und lebe für
Gott! Nie wird Einer den Tod froh und freudig
empfangen , er Y habe sich denn im Leben durch
Uebung gottgefälliger Werke auf seine Ankunft
vorbereitet. Höre, was sogar ein Heide sagt :
Der: Thor , spricht Seneka (und dem Christen ist
der Sünder und der Lasterhafte ein Thor), unter
liegt dem Tode wirklich, wenn er stirbt, der Weise
"
hingegen besiegt den Tod , eben da er ſtirbt.
Die Seele. So ist es denn klar , o mein
Geist, daß der Tod der Guten ein seliger und
jener der Sünder ein unseliger seinlag
Der innere Mensch. Das ist ganz wahr,.
o Seele. Bernardus stellt den Tod des Gerechten.
in dreifächer Beziehung als einen feligen dar:
er nennt ihn selig und gut, weil er Ruhe bringt ;
er nennt ihn besser und seliger, weil er neue herr
·
lich Aussichten öffnet; er nennt ihn den seligsten
und besten , weil er Sicherheit bringt ohne alle
Gefährde. Den Tod des Sünders aber 11 heißt.
er den bösesten und zwar deswegen : weil er böse
ist, da die Welt den Sünder verläßt, böjer , da
C
der Geist sich sondert vom Leibe, diesem Sünden
diener , der böseste in dreifacher Hinsicht , des
221

magenden Wurmes wegen , der nicht stirbt, des


Feuers wegen, das nicht verlischt , der ewigen
Beraubung der Anschauung Gottes wegen.
Die Seele. Ueber den Tod hast du ‫ ل‬mir
nun genug gesagt , rede jezt vom Zustande : des
endlichen Gerichts .
Der innere Mensch. , Gern thue ich, wozu
9
du mich aufforderst , bitte dich aber , in Geduld
zuzuhören. So wisse denn : obleich die Betrachtung
des Todes schreckbar ist , so mag doch der Ge
danke an das endliche Gericht noch weit furcht
barer sein , denn hier richtet eine Weisheit , die
nicht betrogen werden kann , eine Gerechtigkeit,
die sich nicht bengen läßt , eine. Gnade , die sich
nicht kaufen läßt, ein Richterspruch über. Strafe und
Bergeltung , der unwiderruflich ist! Erzittere, o
Seele, sagt Bernardus, und bedenke, was an jenem
Tage über dich ergehen wird : dein Gewissen zeugt
gegen dich über deine Gedanken , die Elemente
flagen dich an wegen deiner Thaten , das Kreuz
Christi steht als Zeugniß über dich da, die Wunden
1 des Herrn schreien gegen dich , sein zerschlagener
Leib zeugt gegen dich, die Nägel werden sprechen
und die Wundmale über dich Klage führen. D
welch ein Jammer , welche Noth und Angst !
Hier angeklagt44 von den Sünden , dort die furcht
bare Gerechtigkeit, innen das nagende Gewissen,
unter dir der entsegliche Höllenschlund , über dir
der erzürnte Richter mit seinem gerechten Urtheile,
außer dir die in Flammen zusammenstürzende
Welt , in dir das furchtbare Bewußtsein der rich
tenden Gerechtigkeit, und wenn dann der Gerechte
kaum gerettet wird , wie wird der Gottlose und
222

der Sünder bestehen ? Wohin kann er sich flüchten ?


Sich verbergen , ist unmöglich, erscheinen ist uner
träglich. sündige Seele , ruft Anselmus aus,
du dürrer, früchteleerer Baum , bestimmt zum ewigen
Feuer,‫ ܕ‬. was wirst du antworten an jenem Tage,
wo du Rechenschaft geben sollst über jeden Augen
blick deines Lebens , über die Verwendung eines
jeden ? Ach Seele , was soll, da werden aus den
eiteln und unnüßen Gedanken , aus jenen leicht
fertigen und abgeschmackten Worten , aus jenen
heillosen und sündlichen Werken ? Wehe mir,
ruft Ambrosius , wenn ich meine Sünden nicht
beweint habe , wehe mir , wenn ich zu deinem
Lobe, o Herr, mich nicht ermuntert habe ! Nun
ist die Art dem Baume angeseht, er bringe nun
Früchte und zwar Früchte der Buße. O Seele,
du wachst oder schläfst , lasse immer in deinen
Ohren jene furchtbare Posaune erschallen : Steht
auf, ihr Todten , und kommt zum Gerichte ! Nie
vergesse das Wort der Entseßung : Weichet von
mir, ihr Vermaledeiten, in das ewige Feuer! jenes
entzückende Wort : Kommt her , ihr Gebenedeiten ,
befizet das Reich ! O das entsegliche und jam
"
mervolle Wort : Geht ! o das seligste Wort :
Kommt ! zwei Worte, o Seele, wovon das eine das
Entseßlichste, das andere die Summe aller Seligkeit
ist! O so trenne dich denn von der Welt, dann
wirst du ewig bei Christus bleiben können, fliehe
die Welt und folge Gott , entreiße dich jezt den
bösen Gesellen, dann wirst du einst mit den Aus
erwählten gehen und wandern . Endlich blicke
noch hin auf die Pein der Verworfenen , wie
´entseglich, wie mannigfaltig , wie unerträglich fie
223

ist. Ich erstarre über den gefräßigen Wurm,


sagt Bernardus , über diesen lebendigen Tod , o
entjegliche Höllenstätte , wo das Feuer immer
brennt , die Kälte Alles erstarrt, der Wurm nie
mals stirbt , der Gestank unerträglich ist , das
Jammergeschrei ewig wiederhallt, die scheußlichsten
Gestalten sichtbar sind , der Sünder ewig ver
zweifelt , das schreckliche Band ewig fesselt , die
Teufel die scheußlichsten Scheusale sind ! - Wehe
jenen , spricht Augustin , die der fressende Wurm
ergreifen wird , die brennende Flamme, der Durst
ohne Labung , das Heulen und Zähneklappern,
wo der Unselige den Tod wünscht , aber nicht
findet, wo ewige Verwirrung, Greuel und Jammer
wohnen. Stelle dir das Trauern , das Heulen,
das Klaggeschrei vor , das da fich erheben wird,
wenn die Gottlosen auf immer von der Gesellschaft
der Guten gesondert , in die Gewalt des Satans B
gegeben und mit den Teufeln wandern werden .
in die ewige Pein , wo unaufhörliches Weinen,
Seufzen und Wehklagen ist , so weit entfernt von
der Freude der Seligen , niemals Linderung
fühlend , sondern durch Jahrtausende gepeinigt,
nie einer Erlösung entgegensehend , wo der Pei
niger nie müde wird und der Gemarterte nie
sterben kann ; denn so wird das Feuer brennen,
daß sie immer erhalten werden , und die alten
Qualen werden immer mit neuen wechseln . So
werden sie denn ohne alle Hoffnung der Verzeihung
und Barmherzigkeit ewig leben , um immer zu
sterben, und so sterben , daß sie nimmer auf
hören.
Die Seele. Aber , o mein Geist , warum

"
T
224

werden fie in der Hölle den Tod fuchen und


nicht finden und warum werden sie ewig gestraft,
da sie nur zeitlich gesündigt haben ?
Der innere Mensch. Die Antwort giebt
dir der selige Gregorius ; er sagt : Da ihnen
in diesem Leben hier das Leben angeboten wurde,
fie es aber nicht annehmen wollten , so werden
ſie denn in der Hölle den Tod ſuchen , ihn aber
nicht finden können. Die Gottlosen , sagt er
ferner , hätten wohl gern hier ewig gelebt, um
ewig fündigen und in ihren Gottlosigkeiten stets
leben zu können ; und so handelt denn der ſtrenge,
200 aber gerechte Richter ganz recht, daß ihnen auch
nie und nimmer die Strafe fehle , da ihr Wille
in diesem Leben auch nie die Sünde verlaſſen
wollte. O Tod, sagt Hieronymus, wie erwünscht
wärst du denen jezt , die dich ehemals für so
bitter hielten, nach dir allein sehnen sie sich jest,
die dich ehevor so sehr verabscheuten. - Machen
diese Worte dich erschrecken, o Seele, so vernimm
noch das Schwerere und Härtere , höre , was
Chrysostomus sagt : Stelle mir tausend Höllen
vor, die zumal fürchte ich nicht so, als den ente
seglichen Verlust , aus der hehren Gesellschaft
der Seligen ausgestoßen zu werden und ewig
von Gott gehaßt zu sein. , Ja , Seele , sie ist
allerdings schrecklich, ry die Hölle, aber weit schreck
licher ist das erzürnte Angesicht des Richters ;
aber was allen Jammer und Schrecken übersteigt,
ist: auf ewig verstoßen zu werden von der An
schauung der hochheiligsten Dreieinigkeit . Und
Chrysologus sagt : Ausgeschlossen werden von
den ewigen Gütern, enterbt werden Alles dessen,
225

was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben;


das ist solche Pein und Marter dem Herzen,
daß , wäre auch keine Hölle und feine ihrer
Qualen , diese allein hinreichte und es erträg
licher wäre, tausend und abermals tausend Höllen
flammen zu leiden , als das sanftmüthige Ange
sicht Chriſti erzürnt zu sehen und von demselben
ewig geschieden zu werden. Fit Gott mit dem
hoffärtigen Engel so verfahren, spricht Anselmus,
was wird über dich Staub und Asche ergehen?
Er übernahm sich im Siße der Herrlichkeit, und
duthust es sißend im Kothe. Jit doch der
Stolz eines Reichen weit erträglicher , als jener
eines Bettlers ? Wehe mir, wenn der hoffärtige
t
Engel so streng behandelt und gestraft wurde,
welch' ein Gericht wird über mich ergehen , über
den stolzen eigenliebigen Bettler , über mich
Elenden ! O gütigster Jesu , um deines Namens
willen sei mir barmherzig , verzeih mir meinen
frechen Uebermuth, ich flehe demüthig zu dir ;
blicke herab 6 auf mich Armen , erkenne huldvoll
dein Eigenthum , nimm hinweg von mir alles
Fremde , erbarme dich meiner , o Herr, da noch
die Zeit der Erbarmung da ist ; verstoße mich
nicht am Tage deines Gerichtes ! Wohl weiß ich,
verdient habe ich die Verwerfung und alle meine
Reue und Buße reicht nicht hin zur ** Genugthu
ung ; aber , Herr , deine Erbarmungen über
-- D
steigen alle meine Sünden. Herr , bittet
Augustin , sebe nicht so sehr auf meine Sünde,
daß du deiner Güte vergessest ; gütiger Herr,
habe ich gleichwohl das verloren, wegen dessen
Verlust du mich verstoßen könnteſt , ſo haſt du
15
226
..
doch das nicht verloren , womit du uns retten
kannst und willst. Könnte der Mensch den hohen
Aufruf faffen, der in den Worten liegt : „ Sieh' ,
der Bräutigam kommt !" könnte er ganz fühlen
die Lieblichkeit in den Worten : ,,Die bereitet
waren, gingen mit ihm ein zum Hochzeitsmahle !"
würde er ganz empfinden das Schreckliche und
Bittere: ,,und die Thüre wurde gesperrt !" wie
--
müßte ihm sein , wie würde er sein ! Der
selige Prosper sagt : Erwäge das Elend , vom
Angesichte Chriſti auf immer getrennt zu sein.
Der Anschauung Gottes ewig beraubt, ausgestoßen
zu fein für immer aus der Gesellschaft der Heiligen,
abzusterben dem ewigen Leben und immer zu leben
im ewigen Tode , versunken im töbenden Höllen
abgrunde, eine Speiſe des nie sterbenden Wurms,
ohne Aussicht einer Rettung aus den tobenden
Flammen , nimmermehr das Licht zu erblicken
und ewig zu fühlen die Schmerzen , und die
$
Heftigkeit dieser Schmerzen , spricht Augustin,
wird so entseglich und empfindlich sein , daß kein
anderer Gedanke der unglücklichen Seele möglich
sein wird. 1
Die Seele. Ich zittere vor Schrecken, dieser
entseßliche Greuel hat mich durch und durch er
griffen. Sprich , o mein Geist , wozu aber eine
folche jammervolle Betrachtung ?
Der innere Mensch. Dazu , o Seele,
daß der Sünder der Sünde entsage, daß er dem
Guten nachstrebe, daß er sich in Ertragung der
Leiden dieser Zeit um Chriſti willen heilsam
ube ; darum redet dich Bernardus an : Du fürchtest
die Mühen des jeßigen Lebens , dir will es hart
227

fallen , für den Herrn zu wachen ? Wird dir die



ewige Flamme leichter zu ertragen sein? Dir
mißfällt die Einsamkeit ? Wie wirst du die ewige
Nacht ertragen ? Läſtig iſt dir das Stillschweigen?
Aber bedenke : von jedem unnüßen Worte giebst
du einst Rechenschaft ! Dir gefällt nicht das harte
Lager ? Aber das Liegen in der Flamme und
Heulen und Zähnklappern willst du aushalten ?
das menschliche Herz , sagt Auguſtin , dieser
Sclave sinnlicher Lust und irdischer Verzärtelung
scheut die Mühe, will sich nicht anstrengen , jagt
nur der Wollust nach und kann nicht so viel
nur über sich gewinnen , der elenden , alten Ge
wohnheit zu entsagen ! Nur dann , wenn es gé
denkt des unausweichlichen Gerichtes, der Unaus
stehlichkeit der ewigen Strafen , dann rafft es
fich auf, dann tritt es gern in den Kampf gegen
die Leidenschaften, da der Lohn ihm entgegenwinkt
oder die Strafe es schreckt ; jezt bekämpft es
die alte böse Lust , jest braucht es Gewalt gegen
-
fich selbst. Darum wird immer der Spruch
wahr bleiben: Glückliche Menschen , die immer
die ewigen Güter betrachten, nimmer des schreck
lichen Endes der sündlichen Thorheit vergessen!

Viertes Kapitel .

Wie die Seele durch innere Uebung ihre


Betrachtung richten solle auf das , was oben
ist , um zu erkennen und liebzugewinnen die un
schäßbare himmlische Herrlichkeit, die unaussprech
liche Freude und beider unzerstörliche Ewigkeit.
15 *
228

Die Seele. Nun , o mein Geist , hast du


mich Elende, in dieses Thal der Thränen ver
stoßen , genug geschreckt , obgleich deine i Rede
mir sehr heilsam war ; erbarme dich nun über
mich Arme und thue das an mir , was du mir
längst versprochen hast, sage mir Etwas von der
ewigen Seligkeit , was mich allerdings wieder
trösten und aufrichten wird , da bekanntlich die
Darstellung einer Sache von zwei entgegengesezten
Seiten immer angenehm und belehrend ist ; denn
nach dem seligen Augustin ist es zur Besserung
des Menschen allemal zweckmäßig , ob die Rede
strafend , schreckend oder tröstend und verzeihend
fei. Auch bitte ich dich, zu bedenken : des Menschen
Herz ist ursprünglich ein edles Herz , als solches
läßt es sich leichter lenken durch, sanfte und gute,
als durch rauhe und harte Worte, mehr vermögen
auf dasselbe Verheißungen und Tröſtungen , als
Dräuen und Schrecken ; darum verlangte auch
unsere Schwester, die Braut, durch den Wohlgeruch
der himmlischen Salben und durch Kostung der
*
göttlichen Huld und Gnade gezogen zu werden,

um dem Bräutigam nachzueilen und den Weg
der göttlichen Gebote nicht aus Furcht , sondern
aus Liebe und in Freude zu durchwandern.
Der innere Mensch. Deine Rede , o
Seele , ist allerdings wahr ! Doch leider , Viele
folgen Gott nicht auf diesem Wege , seine Liebe
"
lockt nicht ihre Liebe , fie lieben das Gute nicht,
darum muß ihnen das Schreckliche gegeben werden ;
mie Viele erkennen die göttliche Huld und seine
Gnaden nicht, da sie verblendet sind , wie Viele
vernachlässigen sie , hingegeben der Eitelkeit und
229

nußlosen Zerstreuungen ! Ich zweifle gar nicht,


Gott , als die 哎 höchste und unendliche Güte und
Liebe , sei immer eher bereit , zu trösten als zu
"T
schrecken , wäre das menschliche Herz nur immer
fähig , seine Liebe und Tröstungen aufzunehmen,
die , da sie so köstlich und beseligend sind , wohl
nicht auf Geradewohl, ohne Berücksichtigung des
Empfängers , hingegeben werden können , was
öfters nur schädlich und verderblich wäre. Du
also , nachdem die Worte des Schreckens dich
aufgerissen haben und du nun nach der Liebe des
Herrn verlangst , " forge , daß dein Verstand ge
reinigt und die Neigung geläutert sei, denn nach
Augustin kann nur 112 das reinste Gemüth das
höchste Gut schauen , und nach meiner Meinung
kann es noch weniger gekostet werden , als nur
in den geläutertſten Neigungen, denn glaube mir,
Viele zwar schauen es , aber nur Wenige kosten
es ; darum bittet derselbe Augustin und sagt:
Gieb, o Herr, daß ich das koste, durch die Neigung,
was ich nach der Einsicht erkenne , laffe mich
fühlen durch die Liebe , was ich verstehe durch
die Erkenntniß. }
Die Seele. So sage mir denn, mein Geist,
was muß geschehen und vorausgehen , damit der
Verstand und das Herz , die Erkenntniß und die
Neigung in die gehörige Stimmung gefeßt werden,
damit der Beschauer wenigstens zu einiger Fülle
der himmlischen Süßigkeit gelange und obgleich
nicht mit vollen Zügen, doch mit einiger kostung,
mit einzelnen Tropfen gelabt werde ; ich wenigstens
bekenne dir : längst schon habe ich mein Gemüth
in Beschauungen geübt , aber leider ist mir nie
230

auch nur ein Tröpflein gegeben worden. Vieles


habe ich gelesen und erwogen von dem Leben und
Wandel der Heiligen , Vieles von der Natur,
von den Wirkungen und Ordnungen der Engel,
Einiges auch von der hochheiligen Einheit Gottes,
von der unbegreiflichen Dreieinigkeit Gottes, Meh
reres von der hohen Seligkeit der Freunde Gottes,
und nachdem ich das Alles gelesen und möglichst
erwogen habe, blieb mir leider der leere Hunger,
nichts hatte ich ; in diesem traurigen Gefühle rief
ich mit dem seligen Augustin aus : Gütigster
Vater, lasse mich das fühlen, was ich gelesen und
erkannt habe ! Aber das half Alles nichts. Wenn
ich dann durch langes Nachdenken ermüdet und
über mich selbst entrüstet war , hoffend, ob nicht
einige Brosamen wenigstens, die von der Herren
Tische fallen, mir würden, rief ich mit demPro
pheten aus : ,,Herr, wie lange willst du mein so
gar vergessen ? wie lange verbirgst du dein Antlig
vor mir ? Bin ich auch, wie ich es erkenne , nicht
werth , das Brod der Kinder zu effen , so sehne
ich mich doch nach den kleinen Brosamen , die da
abfallen ; aber leider ging ich gemeinlich leer aus
und dem offenen gierigen Munde wurde nichts
gereicht.
Der innere Mensch. Seele, worüber du
hier so bitterlich klagst, das kommt aus zwei Ur
fachen, und der Herr, der das versagt, geht wahr=
haft liebevoll mit dir um ; zuweilen ist es eine
wahre gütige und heilbringende Veranstaltung
Gottes. Ich will hier statt meiner den seligen
Gregorius, reden lassen , er sagt : Der gütige
Vater pflegt manchmal die. Gewährung der Bitte
231

der Seele zu verschieben , damit ihr Verlangen


wachse und sie um so würdiger werde der Erhörung,
je später er die Bitte gewährt, denn die fromme
Sehnsucht mehrt sich , je länger die Bitte nicht
erhört wird ; erstirbt aber während dieser Zögerung
des Herrn der Seele Begierde, dann war sie auch
keine wahre und lebendige ; denn Gott, aus seiner
Natur die Güte selbst , hält das, was er so gern
geben wollte , manchmal zurück, damit du lernest,
Großes und mit innigster Sehnsucht von ihm zu
verlangen und, wenn du es endlich von ihm er
hältst , es in tiefer Danksagung sorgfältiger zu
bewahren. Zuweilen auch zögert der Herr mit
seinen Gaben, weil der Bittende nicht in der ge
hörigen Stimmung ist. Bernardus sagt : Du irrst
dich sehr, o Mensch, wenn du wähnſt, jene himm
lische Süßigkeit gebe sich dem Staube hin , jener
göttliche Balsam vermische sich mit dem Gifte
irdischer Lust , die Gaben und Salbungen des
heiligen Geistes mit den Betrügereien der Welt.
Doch, o Seele, damit ich dich nicht länger hin
halte und so dich in deinem Verlangen nur quäle,
so vernimm die dir nöthige Vorbereitung : reinige
deinen Verstand von allen eitlen und unnüßen
Einbildungen, von allen Vernünfteleien und dem
Vorwige der Natur, von allen äußeren, A wie auch
wissenschaftlichen Wißeleien ; reinige die Neigung
deines Herzens von aller Schuld, von den Folgen
der Sünde und Schuld, von jeder Gelegenheit und
jedem Anlaß zur Sünde ; erhebe den Geist , er
weitere das Herz, gehe ein in deines Herrn Freude,
die kein sterbliches Auge hier je vollkommen ge=
schaut, kein Ohr gehört hat und in keines Menschen
232

Herz gekommen ist. Entbrenne demnach, o Seele,


in Liebe und Sehnsucht nach dem überirdischen
Leben der Heiligen, wo, wie Augustin sagt, volle
Thätigkeit ohne 4 Mühe , Ruhe ohne Schlaffheit,
Leben ohne Abnahme, Lob Gottes ohne Aufhören
ist. Freue dich demnach, sagt Bernardus , und
frohlocke, blicke hin auf den Lohn deiner Arbeit,
der wahrlich unzählbar und allseitig ist , auf den
großen Lohn , der nicht gemessen , auf den herr
lichen Lohn, der nicht geschäßt, und auf die Menge,
die nie abnehmen kann. 2008
Die Seele. Vieles hast du mir, mein Geiſt,
Hier im Allgemeinen gesagt ; wohlan , zähle mir
nun auch das Einzelne auf, denn Jedes , einzeln
vernommen , ist weit faßlicher , als das Ganze
im Allgemeinen. D poort set
Der innere Mensch. O. Seele, was kann
ich sagen, wenn mir die künftige Freude entgegen
wintt! Ich staune und unterliege der Empfindung,
denn Freude wird uns werden in uns, außer uns,
unter uns, über uns, um und neben uns freuen
wirst du dich über Alles; in Allem ; die Freude,
die dir werden wird , finde ich vorgebildet im
,
Buche der Offenbarung des heiligen Johannes,
vorgebildet in jenem seligen Weibe, das umgeben
ist mit der Sonne , das den Mond unter seinen
Füßen hat, dessen Haupt zwölf
# Sterne umglänzen ;
in diesem Weibe schaue ich eine heilige Seele,
diese Tochter des ewigen Königs , seine Braut
und Königin, seine Tochter durch die Schöpfung,
feine Braut durch die gnadenreiche Einkindschaftung,
eine Königin durch die ihr gewordene Verherrlichung;
fie ist umgeben mit der Sonne , denn die * Herr
233

lichkeit Gottes hat sie umstrahlt , sie ist gekrönt


46 mit der Würde der ewigen Seligkeit und die zwölf
fie umstrahlenden Sterne sind zwölf Freuden,
welche die himmlische Seligkeit verschönern und
verherrlichen. An diese Freuden denke du täglich,
o Seele, ſie werden dir alle irdische Freude, alle
67490 Tröstungen der Welt in diesem armen, elenden
287280SLABETES

1k Leben verleiden , nimmermehr wirst du sie vers


langen, die Hoffnung, jene zu erreichen, wird dich
SHER

über alle Erden-Leiden hinübertragen, mit Stark


muth ja mit Freude wirst du fie tragen. Höre
#
den ehrwürdigen Beda ! D Seele , spricht er zu
dir , werde nicht irre und unruhig, wenn es den
Bösen hier unten wohl geht, du aber leiden mußt,
wenn sie sich freuen, du aber bedrängt bist, haben
fie doch dort oben nichts zu erwarten ; wolltest
du sie, um die elende kurze Erden-Freude beneiden ?
Ergreife die Hoffnung , die gewisse , die unfehl
bare, Freude wartet deiner dort, wohin du wallst,
sei es, daß Widerwärtigkeiten dir aufstoßen • auf
deinem Wege, deine Sehnsucht nach Gott und die
frohe Aussicht läßt sie alle duldend und freudig
Det# dich ertragen. Will irdische Freude , sagt Ber
nardus, dein Herz bethören, will die falsche Ehre,
das vergängliche Ansehen vor der Welt dich locken,
erhebe dein Gemüth nach oben , und alle diese
vergänglichen Herrlichkeiten wirst du als Koth
SH achten. Darum laufe, o Seele, ruft dir Hiero
nymus zu, laufe, nicht dem Leibe nach , eile mit
der Sehnsucht und der frommen Begierde , denn
nicht allein die Engel und alle Seligen , sondern
der Herr und Meister aller Engel und Seligen
1
wartet deiner ; es harrt deiner Gott der Vater
234

als seiner geliebtesten Tochter , es sieht dir ent


gegen Gott der Sohn als seiner auserwählten
Braut , es will dich umfangen Gott der heilige
Geist als seine vertraute Freundin , der Bater
wartet mit dem Erbe auf dich, das dich be=
rechtigen soll aller seiner Güter , der Sohn,
um dich dem Vater darzustellen als die Frucht
seiner Geburt , als den Preis seines vergossenen
kostbaren Blutes , der heilige Geist , um dich
Theil nehmen zu lassen an seiner ewigen Huld
und Seligkeit, dir sehen und sehnen sich ent
gegen der ganze himmlische Hof, alle heiligen
Geister und Seelen , allzumal Kinder und Haus
genossen des ewigen Königs , sie wollen dich ein
führen in ihre Mitte. So verlange denn auch
du, erhaben über Alles , was da unten iſt, nach
dieser hehren Gesellschaft ; liebtest du sie und
freutest dich ihrer nicht hienieden schon , dann
würdest du ja einst nur beschämt in ihre Mitte
treten können. Will sich demnach deinem Herzen
die eitle Welt-Lust , schmeichelnd deiner Sinnlich
teit, nähern , will weltliches Ansehen Eindruck
machen auf dasselbe, erhebe unverzüglich dein Ge
müth nach oben, fange sogleich an , das jezt zu
sein , was du einst werden willst und sollst.
Würdest du, o Seele, die Freuden des Himmels
dir stets im Gemüthe gegenwärtig erhalten, wahr
lich, du würdest den jeßigen Ort deiner Verweisung
als die Vorstadt des Himmels dir, bauen und
dein Geist würde in : ihr jezt schon das kosten,
was dir einst in Fülle ewig werden und bleiben
soll, denn lebt das Ewige im Gemüthe, dann sind
wir ja nicht mehr in der Welt , sondern unsere
235

Wohnung ist im Himmel. So mächtig ist die Liebe,


spricht Augustin , daß die Seele weit wahrer dort
wohnt, wo sie liebend schaut, als wo sie, natürlich
lebend, ist ; und das nennt Bernardus das Reich
Gottes, das da innen iſt, das wir leider, ſo elend
und blind, vernachlässigen, da wir, der Thorheit
und Eitelkeit hingegeben , uns immer nur im
Aeußeren herumtreiben. Im Aeußeren , spricht
Gregorius , jagen wir uns herum , das Reich
Gottes in uns achten wir nicht , im Aeußeren
suchen wir Trost, bei der Eitelkeit, bei der Lüge
und Thorheit betteln wir um Trost und haben
uns darin so weit verirrt , daß wir die ehemalige
F
so selige Verbindung ganz verloren haben und
auch nicht der Schein der alten ehrwürdigen
Christen-Sitte uns übrig geblieben ist . - Da
du nun, o Seele , die Aussprüche der Heiligen
und Großen im Reiche Gottes vernommen hast,
so erfasse sie denn mit frommem Sinne, du Tochter
des ewigen Königs, neige dein Ohr und dein Herz
zur heiligen und heilsamen Annahme derselben,
übe dich in frommer Beschauung der Tröstungen
von oben, vergiß , verachte , ja verabscheue dein
Volk, dein Vaterhaus, d. h. die Welt, den Teufel,
dich selbst und alles irdische, eitle Streben . Sieh'
und erwäge mit frommem Gemüthe , wie jene
himmlischen nun ganz vergöttlichten Geister , die
nun den Gefahren und dem Elende dieses gegen
wärtigen Lebens entgangen sind, obgleich sie von
dem Glanze der ewigen Sonne sich nie abwenden
können, dennoch zuweilen ihren beschauenden Blick
bald nach unten , bald nach Oben , bald auf das
Innere , bald auf das Aeußere richten , wie sie

1
236

freudig herabschauen auf das Niedere , wie ste


fich erfreuen und zwar in dreifacher Hinsicht :
erstens, daß sie, durch die göttliche Gnade gestärkt,
so gottlose, furchtbare und grausame Feinde hier
unten glücklich besiegten ; zweitens , daß sie der
Sünde und der fündlichen Gebrechlichkeit, geleitet
von der Weisheit Gottes , entweder ganz ent
gingen oder das etwa begangene Böse mit der
Gnade des Herrn längst besserten ; drittens, daß
sie durch die Barmherzigkeit Gottes der ewigen,
"
schrecklichen Bein
" entrissen wurden. O Seele,
denke dir, wie sie sich täglich der ihnen gewor=
denen Gnade freuen , wenn sie sehen und bemerken,
wie so Viele dem Fleische , dem Teufel und der
Welt schmählich unterliegen , fo Biele in tiefem
Sünden Pfuhle versenkt liegen und ihrer Ver
stockung wegen nie Verzeihung erlangen, so Biele
" ! ewig verloren gehen, wahrlich, das sehen
leider
und denken: Ich bin entgangen dem Tode, ein
gegangen in das Leben, das muß zweimal süß machen
das neue Leben ! - Herr, mein Gott, ist die
Gefahr so schwer und groß im Kriege , wie groß
wird nicht die Freude sein , wenn ich siege ; ist
die Welt besiegt und überwunden, in den Fluthen
der Gott widerstrebende Pharao und sein Heer
ertränkt, dann erschallt das Sieges - Lied aus dem
Munde der Geretteten, dann fingen fie mit Mirjam,
der Schwester Aaron's, lobpreisend und benedeiend
den Herrn, und rufen: ,,Lasset uns dem Herrn
fingen, denn er hat eine herrliche That gethan !"
dann treten zwei Chöre der Auserwählten hervor,
die Kinder der Unschuld nämlich und jene der
Buße, und rufen sich wechselseitig zu : ,,Heilig,
237

heilig , heilig ist der Herr der Heerschaaren !"


heilig der Vater, durch dessen Macht wir gerettet
sind von der Welt , dem Fleische und dem Teufel,
heilig der Sohn , der uns durch seine Weisheit
erlöset hat von der Strafe und Schuld, heilig der
heilige Geist , der uns nach seiner Liebe bewahrt
hat vor dem ewigen Verderben, die Erde ist voll
der Herrlichkeit Dessen, der uns aus dem Elende
der Welt zur Freude seines Reichs berufen hat ! →
Seele, welch' ein Tag wird der für dich 1 sein,
wo du aufgenommen wirst in diesen seligen Kreis,
wo jede Qual des Lebens, geduldig und im frommen,
gottergebenen Sinne getragen , in ewigen Jubel
für dich sich endigen wird ; dann wirst du für
alle diese Leiden den Herrn deinen Gott loben
und preisen, das Dankopfer der Lippen ihm bringen
und sagen: Die Erbarmungen des Herrn will ich
ewig preisen ! und dieser Lobgesang , der nach
Augustin's Behauptung ein Gesang des Preises
der Herrlichkeit Christi ist, durch dessen Blut wir
erlöset sind , wird der lieblichste und erfreulichste
der Stadt Gottes sein . Wirst du demnach durch
Bersuchungen geprüft , fällt dich die Verfolgung
an , wirst du von mannigfaltigen Trübsalen ge
ängstigt, dann schwinge dich mit deinem Gemüthe
hinauf zum Himmel und denke : Alle diese Leiden
sind Stoffe meiner künftigen ewigen Freude. Und
nach Gregorius ist die Betrachtung des Lohnes
die Minderung der uns schlagenden Geißel ; er
wägen wir , sagt er , was und wie Vieles uns
gegeben werden soll im Himmel, dann achtet die
Seele Alles gering , was ihr auf der Erde zu
stößt, und zwar nicht nur das , was der sinnliche
238

Mensch als ein Gut mit Freude besißt , sondern


auch das Harte und Schlimme , was er unter
Wehllagen aussteht. Bernardus sagt : Die Leiden
dieser Zeit können nicht in Vergleich kommen mit
der Größe der Schuld , die wir uns zugezogen
haben und die uns erlassen wird , können nicht
verglichen werden mit der Gnade , die uns zuge
theilt wird , nicht mit der künftigen Herrlichkeit,
die uns verheißen ist . Mit welcher Freude wirst
du, o Seele , dann das Viele besigen, das dir
geworden ist, da du jezt erst vollkommen erkennen
wirst, in welcher Gefahr du dich ehemals hienieden
befunden, in der so Biele untergegangen sind,
wie wirst du dich freuen , so vielen Fallstricken
des Satans entgangen zu sein , in die so Viele
gefallen sind , wie dich freuen , der ewigen Bein
entgangen zu sein , in welcher so Viele gepeinigt
werden !
tDie Seele: Wie heilsam und gut, o mein
o tröstest du mich ! Erwäge ich deine Worte,
f
regt sich in meinem Gemüthe die fröhlichste
Hoffnung , die tröstlichste Zuversicht ; aber , o
mein Gott , was wird es denn erst dann sein,
wenn die Hoffnung zur Wirklichkeit , das Wort
zur That, die Verheißung zum wirklichen Besize
geworden ist ?
Der innere Mensch. Nur Weniges noch,
meine Seele , hast du vernommen , und im Ver
gleiche zu Dem, was das Eigentlichste und Höchſte,
ist es gewissermaßen nichts ; so richte denn dein
inneres Auge auf jene Freuden , die dir werden
sollen aus dem , was um dich ist , was dich
umgeben wird. Erblicke und erwäge die herrliche
239

Stätte , welche die Weisheit Gottes dir erbaut


hat, erwäge die köstliche Nahrung , das herrliche
Kleid , den kostbaren Schat , den dir die ewige
Allmacht gesammelt hat, blicke hin auf die Gesell
schaft , mit welcher du dich nach der Güte des
Herrn ewig und innigst erfreuen sollst. Seele,
betrachte das herrliche , das berühmte , das 3 .
freudenvolle Haus Gottes, die himmlische Stadt,
die sichere Wohnung , das Vaterland , das alle C
Wonne in sich begreift. Betrachte, sagt Bernardus,
wie klar , hell und glänzend die Stadt Gottes
ist,,,die der Sonne und des Mondes nicht be=
darf, denn der Herr selbst , die Sonne der Ge
rechtigkeit , der Glanz des ewigen Lichtes ist ihr
Licht und ihre Leuchte das Lamm. " -D Seele,
erwäge die Höhe , die Weite , die Schönheit , die 新[]車
Herrlichkeit , die Zierde und den Ruhm dieſer
Stadt, die seligste Dreieinigkeit selbst ist ihre
Zierde ; " herrliche Dinge werden von dir gesagt,
du Stadt Gottes " ,,,0 Israel , wie herrlich ist
das Haus des Herrn , wie weit und groß ist
die Stätte ſeiner Wohnung !" Blicke hin auf die
Zelte der Patriarchen und Propheten , auf die
Wohnungen der Apostel und Märtyrer , auf die
Säle der Bekenner und Jungfrauen , auf die
Paläste der himmlischen Engel - Geister , auf den
herrlichsten Thron der heiligsten Dreieinigkeit !
Durchwandere Alles , o Seele , suche überall
nach, besuche Alles , trete überall ein , bis du
gelangst zur heiligsten Wohnung des höchsten
Königs ; dahin , o Seele , stehe der Gedanke,
dahin gerichtet sei dein Gemüth , hier wirst du
Ruhe finden ; Auguſtin mahnt dich deſſen besonders :
240

Seele , spricht er , sei gern in dieser heiligen


Stadt , wandere darin öfters , denn hier nur ist
Leben ohne Tod , hier altert die Jugend nicht,
hier ist Licht ohne Wechsel der Finsterniß , hier
ist Friede, ohne alle Gefährde und Störung,
,,denn mein Volk, spricht der Herr, wird wohnen
in Häusern des Friedens, in sichern Wohnungen
und in stolzer #1 Ruhe. " Ferner bemerke die
köstliche Nahrung , die herrliche Kleidung , den
kostbaren Schaß; und was wird uns nähren,
was wird die Speise sein , die wir genießen.
werden ? Gewiß jenes allerheiligste , unbefleckte,
keusche Lamm Jesus , Gottes und der Jungfrau
Sohn , das wird unsere köstliche Speise sein zur
völligen Sättigung, eine köstliche Speise hinsichtlich
seiner reinsten Menschheit , die köstlichste Speiſe
in Hinsicht seiner heiligsten Gottheit ; hier wird
die Seele eingehen, zu kosten die Gottheit, aus
gehen , zu genießen die Menschheit , und wird
Weide finden in Ueberfluß und aller Fülle ; 0
selig und wahrhaft selig , die da gerufen sind
1
zum Hochzeitsmahle des Lammes !" Hier wird
das Leben aus seiner eigentlichen Quelle getrunken ;
ergießt sich einiges dieses lebendigen Waſſers in
dein Leben hienieden , o Seele , dann bist du
stark, bleibst schuldlos und gerecht in jeder Ver
suchung , wandelst nüchtern , gerecht und weise
vor Gott und den Menschen. Wer bei dieser
Quelle ist, der dürstet immer, obgleich sein Durſt
gestillt wird , aber nicht quälend wird dieser
Durst sein und nimmermehr anekeln die Seele,
auch wenn sie im Uebermaße getrunken hat,
Sie werden trunken werden von dem Ueberflusse
241

deines Hauses , mit einem Strome der Wonne


wirst du sie tränken ", sagt der Prophet.
Die Seele. Und wann wird das geschehen ?
Der innere Mensch. Das wird nicht
eher geschehen , bis jener holde Speise-Meister
des höchsten Königs , der Glanz der Herrlichkeit
des Vaters , der Strahl des ewigen Lichtes , die
Gestalt der Wesenheit Gottes , der reine Spiegel
der göttlichen Klarheit, in den alle heiligen Geister
zu schauen gelüften , bis dieser Hohe und Erha
bene sich umgürten , die Gäste niedersißen heißen
und sie persönlich, um sie herwandernd, bedienen
wird. Seele , hier erwäge mit innigster
Andacht die Freude, die diese Guten und Frommen
durchströmen wird , denn unendlich erhaben un
ehrwürdig ist der Diener , und die Gäste alle
umschlingt fest die innigste Liebe, und der schmack
vollsten Gerichte Menge und der umstehenden
Diener zahllose Gegenwart und den von Lobliedern
und Lobpreisungen des Königs der Herrlichkeit,
des Sohnes Gottes , lieblich wiederhallenden
Speise-Saal ! hier die Engel , frohlockend dem
Herrn , dort die Apostel lobsingend dem Lamme,
hier die Patriarchen , Propheten , Märtyrer,
Bekenner und Jungfrauen einstimmig lobpreisend
den Vater und den Sohn und den heiligen Geist
und alle mit einer Stimme rufend : ~ ,,Heilig,
heilig , heilig ist der Herr Gott Sabaoth, die
ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit !" D seliges,
o herrliches Reich , in welchem mit Christus
alle Heiligen herrschen ,,,angethan mit weißen
Kleidern und folgend dem Lamme, wohin immer
es geht." Seele, in solchem Uebermaße der
16
242

Freude , wie sollte dir da noch Etwas mangeln ?


Alle Schäße des ewigen Gottes stehen dir offen,
hier theilt er , der ewige Vater , jedem seiner
Freunde, jenachdem es einer verdient , all seinen
Reichthum , seine sämmtlichen , mannigfaltigen
Gaben und Geschenke aus. Doch jollte das
dir noch nicht genügen , so erblicke , was um
dich ist die Versammlung aller Heiligen umgiebt
dich ! Sie hat der gütige Gott zur Vermehrung
deiner Seligkeit um dich her versammelt , er
will den Spruch an dir bewähren, der da heißt :
ein einſam besessenes Gut bringt keine Freude,
die Theilnahme Anderer stiftet erst Freude ; darum
schaue hin und wage es, ob dein Verstand und
deine Worte hinreichen , zu fassen und auszu
drücken die Freuden jener himmlischen Stadt,
das Dasein mitten unter den Chören der Engel,
mit diesen seligsten Geiſtern immer der Herrlichkeit
des Schöpfers nahe zu sein und nie getrennt zu wer=
den von dieser entzückenden Gesellschaft, vielmehr
ewig fich zu freuen so ihrer selbst, wie mit ihnen.
In dieser seligsten Gesellschaft, spricht Anselmus,
wird jeder Einzelne Alle und Alle werden jeden Ein
zelnen kennen, jeder wird wissen, welches Vaterland,
welcher Völkerstamm , welches Stammgeschlecht
jedem eigen sei, denn die Liebe der Gerechten
wird dort so selig und vollkommen sein , daß
jeder den Anderen wirklich so lieben wird , wie
sich selbst , und aus dieser wechselseitigen wahren
Liebe kommt es denn auch , daß jeder über des
Anderen Heil und Freude sich so erfreuen wird,
wie über die eigene , und , da die Zahl dieser
Auserwählten` unzählbar ist , so erfaſſe daraus
243

und schließe auf die daraus entspringende allge =


meine Freude dieser heiligen Seelen ! Diese Freude
zeigt Hieronymus in den Worten : Trete ein
wenig heraus, o Seele, aus dieser deiner irdischen
Hütte, daß du an der Schwelle stehend die
Herrlichkeit Gottes vorübergehen sehest und den
künftigen Lohn für dieses gegenwärtige mühselige
Leben erschauen könnest. Welch' ein Tag wird
das sein für dich, wenn Maria , die Mutter des
Herrn, umgeben von den Chören der Jungfrauen,
dir entgegenkommen , der Bräutigam selbst mit
allen Heiligen dich einholen und zu dir sagen
wird: ,,Stehe auf, meine Freundin, meine Schöne,
und komme her , denn siehe , der Winter ist ver
gangen , der Regen ist weg und dahin !" Dann
werden die Engel , deine Verherrlichung bewun
dernd , sprechen : ,,Wer ist die , die herauf geht
aus der Wüste, wie ein Geruch von Myrrhen,
gelehnt an ihren Geliebten ?" Sion's Töchter
werden dich sehen und dich preisen. Dann werden
jene hundert vier und vierzig tausend vor dem
Throne Gottes und den Äeltesten mit ihren
Harfen das neue Lied singen , dann wirst du
gerettet in die Arme deines Bräutigams sinken
und im höchsten Jubel deines Geistes ausrufen :
,,Nun habe ich funden , den meine Seele liebt,
ich will ihn nimmermehr laſſen
lassen !" Dann werden
die sieben Söhne jenes großen Job, jenes Herr
lichen unter Allen, die in jenem heiligen Morgen
lande wohnen, jeder einzeln an seinem bestimmten
Tage ein Gastmahl bereiten und dazu laden ihre
#
Schwester, dich ihre Mitgenossin , jeder von
ihnen wird dir zusprechen und sagen : Trinke
16 *
244

nun und ſei fröhlich , denn du hast Gnade ge


funden vor dem höchsten Könige ! und freudig
wirst du antworten und sprechen : Ich will
trinken und meine Freude erhöhen , denn meine
Seele ist heute perherrlicht , wie sie nimmermehr
gewesen. wahrhaft unerhörte Herrlichkeit , o
freudenvolle Seligkeit, o unaussprechlicher Friede,
die zumal die Zeitlichkeit nimmermehr geben
können , was ist doch alle Pracht der Welt im
Vergleich zu dieser Herrlichkeit ? kaum ein kleiner
Tropfen !
Die Seele. Lange, o mein Geiſt habe ich
geschwiegen und in inniger Freude ſtill dir zu
gehört, deine Rede hat mich entzückt und in hohe
Bewunderung gesezt , o so fahre denn fort und
erzähle mir genauer und das Ganze von diesem
Gastmahle der himmlischen Geister ; zwar hast du
oben schon etwas davon berührt, aber zu schnell
bist du davon abgegangen .
Der innere Mensch. Auch diesmal , o
Seele , möchte ich das , was du begehrst , mit
Stillschweigen übergehen , denn weit besser wäre
es , davon gänzlich zu schweigen , als von diesem
verborgenen himmlischen Geheimnisse auch nur
Weniges als Unwürdiger zu reden oder als
solcher deffen zu 1: gedenken ; denn noch ist mein
Herz von unnüßen Dingen der Zeitlichkeit be
fangen, noch nähre ich mich leider ! wie andere
Weltkinder mit den Trebern der Schweine ; darum
schäme ich mich bis in mein Innerstes hinein,

von diesen nur den Seligen bekannten Geheim
niffen und himmlischen Diensten zu reden. Da
ich aber doch anderer Seits deinen frommen und
245

gottseligen Wünschen nicht widerstehen kann , so


will ich wenigstens das , was manchmal der
huldvolle Geist des Herrn mir Unwürdigen in
der Betrachtung gnädig gestattet , dir kürzlich
vortragen. Bei jenem himmlischen Hofe nehmen
Alle an der Fülle alles Guten den vollkommenſten
gemeinschaftlichen Antheil , und obgleich Einigen
in Hinsicht ihres größeren geistigen Werthes
auch größere und herrlichere Dinge beigelegt
werden , so hat dennoch die unschäßbare Huld
und Güte Gottes das Ganze der gemeinschaftlichen
Seligkeit so geordnet ,T daß keiner der Seligen
gewissermaßen etwas Einzelnes und gleichsam
für ihn allein Daſeiendes besige, vielmehr haben
Alle gemeinschaftlichen Antheil an Allem , weil
Der, welcher in Allen ist , ihnen zumal Alles
ist ; denn hier freut sich die Jungfrau über den
Werth des ehrwürdig und gottselig geführten
Wittwenstandes , hier frohlockt die Wittwe über
den Vorzug der keuschen und reinen Jungfrau
schaft, den Bekenner entzückt der Sieg des Mär=
tyrers , der Märtyrer erfreut sich hoch der Be
Iohnung und des Preises des Beichtigers , der
Prophet lobpreiset das heilige Leben der Pa
triarchen, diese frohlocken über den Glauben und
die hohe Schauung der Propheten , die Apostel
und die heiligen Engel , freuen sich selig über
den Werth Aller , die unter ihnen sind , diese
hingegen sind innigst entzückt über die Herrlichkeit
und die Ehren-Kronen dieser Großen und Hohen,
das Band der heiligen und vollkommenen Liebe
nämlich umschlingt sie Alle , und diese wechsel
seitige , innigste , reinste Liebe theilt Jedem das
246

von dem Anderen mit , was er in sich selbst


nicht hat.
Die Seele. Was du hier gesagt hast , o
mein Geist, ist allerdings herrlich und erfreulich,
dennoch will es meinem Gemüthe noch nicht ge
nügen ; darum bitte ich dich , übersehe es nicht,
sage mir das Weitere und Umständlichere von dem
oben berührten seligen Gastmahle.
Der innere Mensch. Seele , du wirst
wissen, daß der Menschengeist nur stammeln könne,
wenn er reden soll von der Herrlichkeit Gottes,
denn da er, selbe zu begreifen , schon so schwach
aus sich selbst ist , wie sollte er im Stande sein,
schicklich und geziemend davon zu reden ? Kann
doch das kranke Auge nie so die Wahrheit schauen,
als sie an sich selbst ist, und kommt auch zuweilen
die Erkenntniß der Wahrheit näher , so fehlen
denn doch noch 1 die Worte , sie auszusprechen.
Um dich aber nicht noch länger hinzuhalten , so
vernimm, was eher der Verstand sich denkt , als
das Herz je hinreichend noch erfahren und ſelig
1
gekostet hat. Unter den sieben Söhnen jenes
Großen und Herrlichen , von welchen ich oben
sprach, will ich Niemanden verstanden wissen, als
alle heiligen und auserwählten Kinder und Erben
des allerhöchsten Vaters . Sie allzumal bereiten
und veranſtalten, jeder an seinem bestimmten Tage,
ein seliges Mahl , wenn sie sich wechselseitig in
himmlischen Freuden erquicken , wo jeder von der
ihm gewordenen Seligkeit den Anderen mittheilt .
Den Anfang dazu machen nun die Erstgebornen,
die himmlischen Engel- Schaaren , die allerdings
das Recht der Erstgeburt besißen, da sie die Erſt
247

Linge der Schöpfung sind, die ersten Diener Gottes,


die nie durch Sünde sich von ihm entfernt haben,
vielmehr in unverbrüchlicher Liebe dem allerhöch
sten Vater treu geblieben sind und somit das
himmlische Erbe, das Reich Gottes eher als alle
Andere selig besessen haben. Diese Erstlinge der
Schöpfung Gottes und seines Reiches werden dir,
o Seele , der Speisen viele und herrliche und
köstliche darbringen , jede Klasse und Ordnung
derselben wird dir besondere Freuden bringen
von der Gabe , die ihnen herrlicher als Anderen
geworden ist. Denke jeßt , o Seele , was jene
höchsten Engel- Geister, die wir Seraphinen nennen,
welche die nächsten sind dem ewigen Vater , den
Allerheiligsten unmittelbar schauen und alle ewigen
Güter in höchster Vollkommenheit genießen , dir
bringen werden. Wie wirst du entzückt sein,
wenn sie dir die hohe Würde ihrer Natur ent
hüllen , was wirst du empfinden , wenn sie dir
von der Klarheit ihrer Gottes - Schauung sagen
werden, wie wird dein Herz in Wonne zerfließen,
wenn sie dich die Reinheit ihrer Gottes - Liebe
lehren ! Die Inbrunst der göttlichen Liebe wird
die Zierde und der Schmuck ihres Mahles sein,
dagegen umstrahlen dasselbe die Cherubin mit
dem Lichte der ewigen Klarheit, die Thronen mit
der Gerechtigkeit und Heiligkeit der Majestät
Gottes ; ebenso werden dieses Gastmahl verherr
lichen die Herrschaften durch ihre Erhabenheit der
Herrschaft über Andere , die Fürstenthümer mit
dem ihnen gewordenen Vorzuge , zu beherrschen
das Untere , die Mächte mit ihrer Gewalt , die
Geister der Bosheit im Zaume zu halten , zieren
248

werden auch dieses seligste Mahl die Kräfte mit


der ihnen eigenen Macht, Wunderbares zu wirken,
die Erz-Engel mit der hohen Würde als Gesandte
des Allerhöchsten , seinen Willen zu verkündigen,
die Engel mit der ihnen gewordenen Gabe , die
Geheimnisse der göttlichen Weisheit zu offenbaren .
Siehe doch, wie alle himmlischen Geister die
Seelen der Seligen mit himmlischen Freuden
weiden und nähren , jeder mit der ihm von dem
allmächtigen Herrscher verliehenen Gabe ! Und
daß sie uns das leisten und mit aller Liebe und
Freude noch weit mehr und uns jezt nicht Faß
liches leisten werden , dessen sollst du dich wohl
nicht wundern , sind sie ja jezt schon , hier schon
in unserer Pilgerfahrt, in diesem Thränen- Thale
unsere treuen, lieben, füßen Freunde und Schüßer,
die sich unsere Führung , unsere Pflege , unferen
sichern Heimgang in das selige Vaterland so
thätig und helfend angelegen fein lassen ! Ver
nimm, was Bernardus sagt : Wäre deinem Auge,
spricht er , der Blick gestattet , daß du sie sehen
könntest die Guten und Theilnehmenden , wie fie
fich freuen , wenn du lobsingst dem Herrn , wie
fie fich dir beigefellen , wenn du betest , wie sie
bei dir sind , wenn du betrachtest , wie sie dich
umschweben , wenn du ruhst , wie fie dich leiten
und weisen , wenn du wirkst und sorgst ! D
arme, hungerige, matte Seele, hättest du auch nur
ein Brosamen je noch gekostet , das da abfällt
von dem Tische der Herrn , gewiß , dir würde
dieses Pilgerleben hienieden aus Sehnsucht nach
dem Gelofteten beinahe unausstehlich werden !
Hättest du auch erst nur ein Tröpflein von jenem
249

Labewein gekostet , gewiß Alles , was die Welt


lieblich nennt , würde dir längst zum Ekel ge
worden sein ! Wie ist mir, sagt Gregorius, alles
vermeinte Hohe so niedrig und gering geworden,
wenn mir es zuweilen gelungen ist , mich nach
oben zu erheben, und mein Geist das Himmlische
gekostet hat! - Seele, du Geliebte, was foll
ich dir noch sagen von dem Freudenmahle der
Patriarchen, Propheten, Apostel , Märtyrer , Be
tenner und Jungfrauen ? Jeder derselben wird
zur gemeinschaftlichen Freude das beibringen, was
ihn hier im tugendlichen Wirken und gotterge
benen Wandel vor dem Herrn ausgezeichnet hat,
welchen freudigen Antheil werden wir Alle nehmen
an der vollkommenen Demuth und der reinen
Einfalt des Herzens der heiligen Patriarchen, an
dem hohen Glauben und der gewissen Zuversicht
der Propheten , an der standhaften und brennen
den Liebe der Apostel , an dem Starkmuth und
der Geduld der Märtyrer, an der Gottergebenheit
der Bekenner , an der Reinheit und strengen
Enthaltsamkeit der Jungfrauen ? Ja , Seele, die
Zunge kann es nicht aussprechen , der Verstand
es nicht fassen , welche Freude das sein wird,
den Chören der Engel beigesellt zu sein , mit
diesen feligsten Geistern in der Nähe der Herr
lichkeit Gottes sich einzufinden, den gegenwärtigen
Gott zu schauen , das unermessene Licht sehen zu
dürfen , nicht mehr zu fürchten die Schrecken des
Todes, ewig sich zu erfreuen der Gabe der seligen
Unsterblichkeit ! - O glückseliger Tag , wo wir
heimgekehrt sind in des Erbe unserer Väter , wo
wir empfangen werden von Allen in unausſprech
250

licher Freude , wo wir eingeführt werden in die


Ruhestätte des höchsten Königs ! So ermanne
dich denn , o meine Seele , erhebe dich mit jener
berühmten Königin aus Saba , versehen mit den
Wohlgerüchen der Tugenden , mit den Schäßen
frommer , gottgefälliger Werke , mit dem ganzen
Vorrathe himmlischer Begierden, eile nach Jeru
salem, jenem himmlischen und erhabenen, betrachte
da Alles und Jedes mit möglichstem Fleiße und
fiehe zu, ob nicht die Wahrheit dieser Sache den
Ruf von ihr weit übertreffe, der Herrlichkeit die
Rede davon weit nachstehe , ob dein Geist nicht
hingerissen werde im staunenden Schauen solcher
erhabenen Größe, ob nicht Gottes Geist dich ganz
ergreifen und dich umgestalten werde zu einem
ganz anderen , himmlischen Geiste , ob du nicht
wonnetrunken mit Petrus ausrufen wirst : Herr,
hier ist gut sein ! Hier ist Vater , Bruder,
Schwester , Vaterland ! D Herr , hier lasse uns
sein und bleiben ! O Seele, ruft dir Ambroſius
zu, laff' uns fliehen und zueilen unserem wahren
Vaterlande , nur dieses ist unser wahres Vater
land , für welches wir geschaffen sind , nur dort
ist der rechte Bater , weil er unser Schöpfer ist,
nur dort ist das wahre Jerusalem , die Stätte
des Friedens , die unsere Mutter ist ! So groß,
o Seele, mahnt dich Anselmus , muß deine Liebe
und dein Verlangen nach dem, wozu du geschaffen
bist, sein, so groß dein Schmerz, daß du es noch
nicht erreicht hast , so groß die Furcht , ob du
auch wirklich es noch erreichst , daß nichts dich
freuen soll und kann , als einzig das , was dir,
dazu zu gelangen , entweder verhelfen oder we
251

nigstens die Aussicht und Hoffnung dazu dir


geben kann.
Die Seele. Denke ich dessen, o Geist, erwäge
ich das manchmal in der Stille meines Herzens,
dann durchblißt mein Inneres ein Licht , es er
schüttert mein Herz , aber ohne Verlegung , ich
erstarre , aber ich erglühe auch; ich erfahre das
felbe , wovon Augustin aus gleicher Erfahrung
spricht : Zuweilen entsteht in meinem Gemüth
eine ganz ungewöhnliche Bewegung , ich fühle
eine gewisse Süßigkeit , die ich nicht bezeichnen
kann ; nur so viel weiß ich , daß es , währte sie
fort in mir , das gegenwärtige Leben nicht wäre,
in dem ich lebe und lebte , aber ich sinke , von
der alten Erden- Last gedrückt, wieder zurück, die
Gewohnheiten und Sorgen des Lebens reißen
mich wieder dahin , ich fühle mein Dafcih hie
nieden , gegen meinen Willen , dort möchte ich
sein , aber ich vermag es nicht , und so sehe ich
mich denn elend von beiden Seiten.
& Der innere Mensch. Ich bin überzeugt,
o Seele , daß die himmlischen Dinge von einer
Gott ergebenen Seele ohne Koſtung einer Süßig
keit nicht gedacht werden können ; wie es uns
aber einst dort sein werde, wo wir sie vollkommen ,
wirklich und ohne Bild, in voller Wahrheit kosten,
davon habe ich keine Vorstellung ; und so wun
dere ich mich denn keineswegs , wenn dich , die
du derlei Seligkeit kostest , dieses arme Leben
ganz anekelt und dir mehr als bitter ist , nach
so seligen Erfahrungen und himmlischen Tröstun
gen dich abermals in irdische und vergängliche
Dinge einlassen zu müssen ; daher nun kommt ,
252

der Kampf, die Mühe , die , Angst , dort möchtest


du immer sein und kannst doch nicht , hier sollst
du sein und willst doch nicht, ſtrebst dort hinan,
was so selig dich labt , und da du gekostet hast,
was des Geistes ist , ist dir das Fleisch zum
Gkel geworden .
Nun , o Seele, hast du bisher beschaut die
Freude der Seligen über das , was unten ist,
sowie über das, was um sie ist , so erwäge denn
nun auch, wie du dich einst freuen werdest dessen,
was in dir ist , denn zwiefach ist der Lohn
des Menschen, Leib und Seele sollen verherrlicht
werden und beide in ewiger und unzertrennlicher
Vereinigung. Unser Leib besteht aus den vier
Elementen , und vierfach werden die Gaben sein,
die er erhalten wird, sein Erdentheil erhält ewige
Unsterblichkeit, der Waffertheil volle Unleidbarkeit,
der Lufttheil die höchste Beweglichkeit, der Feuer=
theil die lichtvollste Klarheit ; ,,dann werden die
Gerechten leuchten wie die Sonne , fie werden
daher fahren wie Flammen über die Stoppeln,
denn Gott wird alle Thränen trocknen von den
Augen seiner Heiligen , da wird nicht mehr sein
Seufzen und Klagen , kein Schmerz ferner", son
dern ewiger Friede und ewige Freude. In jenem
ewigen Vaterlande werden die Herzen der Seligen
in wechselseitiger Klarheit sich öffnen und im
reinsten Lichte sich zeigen , jeder wird dem Blicke
des Anderen ganz offen stehen, nicht ferner wird
der Leib das Auge hindern , das Innerste des
Andern zu schauen, und wohin immer das Gemüth
fich wendet und der Geist dahin verlangt , wird
der Leib ohne Verzug und hindernde Weile ihn
253

umgeben; denn wie dann der Geist, sagt Augustin,


Gott den vollkommensten Gehorsam leistet , so
wird auch der Leib dem Geiste , seinem Lenker
und Leiter , die genauste Folge leisten und Gott
wird die Seele mit solcher Fülle der Seligkeit
und der Macht segnen , daß diese sich auch dem
Leibe mittheilen und er unleidentlich, klar, durch
dringend , der schnellsten Bewegung fähig sein
wird , alle Sinne werden in ungehemmter Thä=
tigkeit sein , das Auge ist des reinsten Glanzes
und des klarsten Lichts , der Geschmack des fein=
sten Wohlgeschmacks , der Geruch des lieblichsten
Wohlgeruchs fähig und empfänglich und durch
strömt das Junere Jubel und Freude, so spricht
die Zunge das inwendige Entzücken in einem
Lobliede aus .
Die Seele. Du sprichst Wunder aus , o
mein Geist , aber wahre , wirkliche Wunder !
Erwäge ich das , wie traurig erscheint mir das
gegenwärtige Leben ! Ist es wohl mehr als ein
Schatten des Todes ?
Der innere Mensch. Das hast du wohl
gesagt, o Seele , du hast dich mit den Worten
des großen Gregorius ausgedrückt ; ein Tod ist
dieses Leben , spricht er , wird es verglichen mit
dem ewigen Leben , was find unsere täglichen
Gebrechen und leiblichen Schwächen Anderes, als
ein langwieriges Sterben ? Darum leben alle
weisen und heiligen Seelen , welche die Flüchtig
keit dieses Lebens nie aus dem Auge verlieren,
immer und täglich so, als wäre jeder ihrer Tage
der leßte , immer sind sie bereit und immer ist
Anstalt getroffen zum möglichen Abgang , stets

1
254

erwägend und wohl wissend, wie vergänglich und


Nichts das Alles hier sei ; nur das fleischliche
Gemüth liebt und hängt an der Gegenwart und
bedenkt nie , wie vergänglich dieses Leben des
Fleisches sei ; erwägte es das, so könnte es dieses
Leben, wäre es auch glücklich, nimmermehr lieben.
Darum entfage , o Seele , ruft Auguſtin dir zu,
entſage dieser unvernünftigen Liebe und lasse dich
entzünden von der Flamme des künftigen, welches
kein Leiden trübt , keine Noth quält , keine Be
schwerde niederbeugt , wo vielmehr ewige Freude
herrscht ; denke dieser künftigen Seligkeit, wo alles
Uebel entfernt, alles Gute bereitet ist und Gott
gelobt und verherrlicht wird, der Alles in Allem
ist ; dort erschlafft nicht mehr der Geist , kämpft
er ferner nicht mit Noth und Verlegenheit , aus
dem Leben ist der Tod verschwunden , unserem
Wissen und Erkennen kann sich der Irrthum nicht
beimengen , unsere Liebe kann nimmermehr eine
Beleidigung trüben, hier ist kein Verderben, keine
Ungestalt, feine Krankheit , kein träg ſich ſchlep
pendes Dasein , Himmel und Erde sind neu,
ähnlich geworden sind wir den Engeln Gottes,
wo nicht an Jahren, so doch an gleicher Seligkeit.
Seele , nach diesem Leben trachte , nach
diesem wahren Leben ohne alles Sterben , nach
dieser Jugend, die nie altert, nach dieser Freude,
die nicht getrübt wird, nach diesem Frieden ohne
allen Unfrieden, nach diesem Lichte, das nie ver
löscht, nach diesem Reiche, das nie ſich endet und
ändert ! Wie wird sich dein Herz erfreuen, denn
auch das sollst du bedenken , wenn du den Leib,
deinen Leib wieder erhältst in seiner obgenannten
255
wwww ..

Berherrlichung, nicht jenen , mit dem du dich


ehemals , oft so schmerzlich , schleppen mußtest,
der dir so Vieles zu schaffen machte, ehe du über
ihn siegtest , über den du so oft erseufzen und
dich entrüsten mußtest bis zur Klage : "1Wer wird
mich erlösen von dem Leibe dieses Todes ?"
Wahrlich , der soll dir nicht mehr werden , ein
weit anderer wird er sein , ein geistiger und
gehorsamer Leib , nicht nur nicht dich störend
wird er sein , vielmehr dich tröstend , wenn du
ihn schaust, nicht mindernd die Seligkeit, sondern
fie mehrend.
Die Seele. Du versetest mich in tiefes
Staunen und die Größe dieses gestattet mir
kaum noch eine Frage ; doch das Einzige wünschte
ich noch von dir zu vernehmen , wie es möglich,
ja, wie du sagst , wirklich sei , daß der Leib, der
doch bekanntlich in diesem gegenwärtigen Leben
dem Geiste in seinem Gott-Schauen so hinderlich
ist , diesem in jenem anderen Leben nicht nur
nicht mehr störend , sondern sogar dazu förderlich
werde ?
Der innere Mensch. Diese Frage , o
Seele, ist bedenklich, und da sie eher die Wirkung
des Vorwißes , als der Andacht ist , so soll sie
nur mit Kurzem beantwortet werden. Die Seele
nämlich hat alsdann durch Gottes Wirkung eine
andere Erkenntniß-Weise , als in diesem jezigen
Leben; und dessen sollst du dich nicht wundern,
denn Gott wirkt das , und da er der Schöpfer
und Urheber der gesammten Natur ist , so kann
er denn auch das wirken , und nach Verhältniß
des Ortes und der Zeit den sonst gewöhnlichen
256

Gang und die gemeine Art und Weise zu wirken


abändern, liegt ja, wie bekannt, in den Dingen,
die der Veränderung unterliegen , der ganze
Grund der Wirkung in der Macht des Wirkenden.
Ueberdies , wenn der wieder erhaltene noch so
verherrlichte Leib auch jezt noch die Seele hin
derte an ihrem geistigen Aufschwunge zu Gott,
dann würde diese nimmermehr sich nach jenem
sehnen, niemals seine Zurückgabe an sie wünschen,
und doch liegt tief in der Seele dieser Wunsch
nach ihrem Leibe, ja, nach Auguſtin's Ausspruch
und Lehre sehnen sich selbst heilige Seelen nach
diesem und verlangen seine Zurückgabe und die
Wiedervereinigung mit ihm ; sie betrachten ihn
als einen ihre Seligkeit und ihre Freude vollends
erfeßenden Beitrag ; so mächtig und stark ist
ihre Sehnsucht und ihr Verlangen nach ihm,
daß dieses innige Sehnen und Begehren sogar
gewissermaßen ihre geistige Schauung hindert
und aufhält. O du elendes Fleisch , erseufzt
deshalb Bernardus , du elendes , wie bist du zu
der Ehre gekommen, daß sogar geheiligte Seelen,
geziert mit Gottes Bilde , erlöset durch das
Blut des Sohnes Gottes , nach dir verlangen,
deiner harren und nicht glauben wollen , daß
ihre Seligkeit vollkommen , ihre Freude nicht
vollendet sein könne ohne dich ! Darauf antwortet
Augustin : Empfängt die Seele ihren Leib wieder,
so ist dieser nun kein thierischer , sondern ein
geistiger , die Seele ist somit in ihr ursprüng
fiches vollkommenes Dasein wieder gekommen,
der Leib gehorcht und sie befiehlt , sie ist zum
neuen Leben gekommen und theilt es dem Leibe
257

Welche Herrlichkeit für dich , o Seele,


wenn du angethan bist mit jenem neuen , glanz
vollen Kleide , mit deinem verherrlichten Leibe !
Wirst du da nicht singen dem Herrn ein neu
Lied und in deines Herzens Frohlocken ausrufen:
Ich freue mich im Herrn und meine Seele ist
fröhlich in Gott , denn er hat mich angezogen
mit den Kleidern des Heils und mit dem Rock
der Gerechtigkeit gekleidet und mich geziert mit
einer Krone wie eine Braut !" - Endlich erwäge
3
jene Freude ,ནསྨཱ ཝཱ jene unaussprechliche Ehre , jenen
entzückenden Ruhm , die dir zukommen werden
von Anderen über das, was dein Eigenthum
ist, wenn du erscheinen wirst in voller Ehre
und Würde vor dem dreieinigen Gott , vor der
+
feligsten Bersammlung aller Heiligen , in Chre
und Würde , sage ich, mit deinem keuschen Leibe,
den du rein erhalten hast in starkmüthiger Ent
haltsamkeit , als Sieger über die Welt, mit dem
Schwerte der Armuth gegen ihre Ueppigkeit
kämpfend , als Sieger über den Teufel , mit der
Lanze der Demuth und des Gehorsams bewaffnet,
als Sieger und männlicher Kämpfer gegen alle
Unordnungen der Gedanken , Neigungen und
fündlichen Regungen ! Blicke hin , wie die Alle
dich preisen und loben , die du durch Wort und
Beispiel zum 4 Guten ermuntert und auf der Tu
gendbahn gestärkt hast , ja für jeden Gedanken,
für jedes Wort , für jedes tugendliche Werk, für
jede 3 gerechte Handlung wird dir besonderes,
ewiges Lob werden ; und sollte dir auch Einiges
am eigenen Leben noch mangeln , siehe da ! die
wechselseitige Liebe, jene himmlische und göttliche
17
258

aller Heiligen und Seligen wird dir das ersehen .


An das denke , o Seele , dessen erinnere dich,
wenn dir um Gottes und der Tugend willen
hier Leiden zustoßen , dahin ſchwinge dich , wenn
die irdische Bürde dich niederbeugen will , wenn
"
bie Welt tobt gegen dich , wenn dir der Satan
nachstellt , dann sei das dein Trost , deine Er
muthigung , deine Zufluchtstätte , weißt du ja,
,,nur augenblicklich ist hienieden das Leiden und
deshalb zu ertragen , aber es schafft eine ewige
und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit", ist
ja doch nur einzig die die wahre Freude , bie
nicht von den Kreaturen , sondern allein vom
Schöpfer ausgeht , im Vergleiche zu welcher
jede andere Freude nur Trübniß , jede andere
Luft nur Schmerz , jede andere Ergöhung nur
eine Beschwerde ist ; darum rathe ich dir , o
Seele, wende dich zu deinem Vater und Schöpfer,
was du gehört hast , ist die rufende, mahnende,
einladende Stimme zu ihm, vergesse nicht, welche
Freude den seligen Geistern zuströme aus diesem
Bater ich sage aus Gott , unserem Urheber,
denn aus ihm und von ihm kommt allein die
wahre , genügende Freude ; denn betrachte alle
die Freuden, welche die Seligen haben und welche
ich mit dir bisher erwägte , sie sind entweder
zufällig und als solche reizen sie vielmehr , als
fie fättigen , z. B. alle Freuden , die ihnen zu
kommen von den Dingen , die entweder unter
ihnen oder neben und um fie sind oder in ihrem
eigenen Wefen liegen , nämlich Alles das , was
sie in sich selbst finden , in dieser Hinsicht schon
können sie ihnen nicht genügen ; hingegen jene
TA
259

Freuden , die ihnen von oben , von dem Vater


und Urheber aller Freude zukommen , sind we=
fentliche Freuden , die allein den Menschen als
vernünftiges Wesen sättigen und ihm genügen
können1,; alle Ergötung , spricht der gottselige
Hugo , alle Lieblichkeit und Süßigkeit des Ge
schaffenen kann zwar allerdings das Menschen
Herz ansprechen, aber nimmermehr ihm genügen .
Die Seele. So nenne mir denn , o mein
Geist, und beschreibe mir die Freude, die ich
allein verlangen soll und auch will ; nach ihr
allein sehne ich mich, denn ich bin ↑ überzeugt,
daß sie alle, außer thr, nicht nur nicht genügen,
sondern vielmehr die Seele nur elend , hungerig
und leer lassen .
.1
Der innere Mensch. Großes umfaßt dein
Begehren , o Seele , und kaum werde ich im
Stande sein , dir die Freude zu beschreiben und
ihre Größe , nach der du verlangst ; öfters schon
Habe ich dieselbe Frage an mein Inneres gethan,
aber noch nie eine ganz genügende Antwort
erhalten; darum möge hier statt meiner der
erleuchtete Anselmus sprechen : Wenn , sagt er,
alle oben genannten Dinge und Gegenstände
schon gut und erfreulich sind , so schließe daraus,
wie ohne Vergleich größer , höher , erfreulicher
jenes Gut fein müsse , das die ganze Summe
aller dieser Freuden und Seligkeiten zumal in
fich enthält, und zwar nicht nach dem Maßstabe,
den wir uns aus der Erfahrung und dem Genusse
des Geschaffenen gemacht haben , sondern nach
jenem Uebermaße , in welchem der Schöpfer von
dem Geschöpfe absteht und selbiges unendlich
17 *
260

übertrifft ; denn so hoher Genuß alles Guten


soll dem Menschen werden , daß Alles , was
immer er begehrt , ihm werden , und was er
nicht will, ihm nimmermehr sich nahen soll. —
Und der gottselige Lehrer Cesarius sagt : Das
ewige , selige Leben ist leichter zu erreichen , als
zu beschreiben , denn sein Fortgang ist ohne
Ende, sein Genuß ohne Ueberdruß , seine Er
quickung kein Effen , ewig dieselben Freuden und
doch immer neue Fröhlichkeit, fortwährende Selig
feit ohne Gefahr eines Mangels oder Verlustes.
Augustin spricht : Der Lohn der Tugend ist kein
Anderer , als eben der , der sie gegeben hat , er
selbst , der Erhabenste und Beste , hat sich uns
als Belohnung verheißen , denn was Anderes
hat er gesagt und verheißen bei dem Propheten
in den Worten : ,,Ich werde ihr Gott sein",
als: Ich werde ihre Sättigung und volle Genüge
sein, ich selbst werde das Alles sein , was die
tugendhafte Seele billig erwarten kann ? Er also
ist das Ziel unseres Verlangens, ihn werden wir
unaufhörlich schauen, ihn ewig lieben, unermüdet
ihn preisen; dieser Lohn, diese Liebe, dieser Preis
wird uns wahrhaftig Alles in Allem sein. Doch
damit du auch meine Ansicht hörest und ich dich
nicht länger hinhalte , so vernimm meine Worte :
nach meiner Meinung wird die Freude der Se
ligen eine dreifache sein , da sie aus dreifacher
Quelle ihnen zukommen wird. Ihre Freude wird
erstens eine ergögliche Freude sein , da sie die
göttliche Klarheit vollkommen und auf das Deut
lichste schauen, sie wird zweitens eine süße Freude
sein , da sie die Güte Gottes auf die lieblichste
261

und füßeste Weise kosten , sie wird eine ewige


Freude sein, da sie die Majestät und Herrlichkeit
Gottes ohne alle Gefährde und im tiefsten Seelen
Frieden besigen . Drei Kräfte , o Seele , das
weißt du ja , hat Gott der Menschen = Natur
gegeben , nämlich : die Vernunft , die nur dann
eine vollkommen erleuchtete Vernunft ist, wenn
fie zur deutlichen Erkenntniß der ersten , d. h.
der Urwahrheit gekommen ist, zweitens den Willen,
der nie zur völligen Ruhe gelangen kann , bis
die vollkommene Liebe der höchsten , d. h. der
Urgüte ihn ganz besefigt hat, drittens das Ge
dächtniß , das nur dann völlig befriedigt ist,
wenn es sich vollkommen von dem sichern und
gewissen Besige der ewigen Herrlichkeit und Ma
jestät Gottes überzeugen kann . Von diesen drei
den Menschen von Gott gewordenen Gaben sagt
Bernardus Folgendes : ,, Der deinen Mund fröhlich
macht", der wird auch deine Vernunft einst voll
kommen erleuchten , deinen Willen ganz befrie
digen, deinem Gedächtnisse die volle Ueberzeugung
des gewissen Besißes der Ewigkeit geben ,,,was
betrübst du dich , meine Seele , und bist so un
ruhig in mir ? Harre auf Gott, denn ich werde
ihm noch danken", wenn er meiner Vernunft
allen Jrrthum , meinem Willen jede Unruhe,
meinem Gedächtnisse jede Furcht entnehmen und
dann jene längst ersehnte hohe Heiterkeit , jener
füße Friede, jene ewige Sicherheit eintreten wird !
Wie werden sie sich freuen, wenn sie schauen und
stehen vor jenem Spiegel der Ewigkeit, der ihnen
alles Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige,
den ganzen Inbegriff der Seligkeit enthüllen und

t
262

zeigen wird ; dann, sagt Auguſtin , wird uns die


Ganze Schöpfung klar und deutlich werden, wenn
wir einst zu dem himmlischen Lichte des Vaters
der Lichter gelangen , hier wird den Gerechten
Alles enthüllt werden , was Gott den Menschen
zu wissen bestimmt hat, und wie sollte denen
"
noch Etwas verborgen sein, die den Allwiſſenden
schauen ?
Die Seele. Wie können wir aber das
Viele in der Einheit Gottes schauen , ist das
ohne Widerspruch möglich?
Der innere Mensch. Für mich rede der
Lehrer Fulgentius : Ein natürlicher Spiegel schon,
sagt er, zeigt uns einen dreifachen Gegenstand :
wir sehen uns, den Spiegel selbst und Alles das,
was in seine umfassung fällt ; ebenso werden wir
in der göttlichen Klarheit Gott selbst , uns selbst
und alles übrige Erschaffene erkennen.
Die Seele. O selige Wahrheit, jest erkenne
ich, daß dich nicht zu kennen die eigentliche Un
wissenheit, dich aber zu kennen die wahre und
vollkommene Weisheit ſei..
Der innere Mensch. Da die Neigung zum
Wissen in deiner Natur liegt, o Seele , ſo ſtrebe
nach diesem himmlischen Spiegel, lese fleißig darin
und übe dich, denn hast du nur vorerst und
einmal da hineingeschaut , dann hast du Alles
erlernt ; selbst die Thorheit der Menschen und
ihrer sogenannten Weisen wird dir hier enthüllt
werden, die Träumereien so mancher Weltweisen,
die scheinbar kühnen, im Grunde aber gehaltlosen
Lehr - Gebäude der vermeintlich hohen Geister
werden in ihrer ganzen Leerheit dir erscheinen,
263

denn das Bischen Wahrheit, das hie und da, bei


dieſen oder jenen noch zu finden ist, ist doch weiter
nichts , als ein gar kleines Theilchen dessen und
3 des Vielen, das wir nicht wissen ; dann aber, o
Seele,,,dann wirst du deine Lust ſehen, und aus
brechen , und dein Herz wird sich wundern und
ausbreiten !"
Die Seele. Was werde ich sehen ?
Der innere Mensch. Den König des
Himmels in 1 all' seiner Herrlichkeit ! Der ehr
würdige Beda spricht : So lieblich und entzückend
ist der Glanz der ewigen Schönheit , daß selbst
die Engel , obgleich sie weit herrlicher glänzen
als die Sonne , sich seiner nicht genug erfreuen
können ; ,,dann wirst du deine Lust ſehen und
ausbrechen" über die wundervolle Erkenntniß,
über das seligste Schauen der göttlichen Klarheit,
,,dein Herz wird sich wundern" über das freuden
volle Kennen und Erkennen deiner selbst, du
wirst dich ausbreiten" in unfehlbarer und frucht
voller Forschung und vollkommenem Verständniß
alles Geschaffenen. O wunderbares , erstaunens
volles Schauen , o frohe und selige Betrachtung,
o unaussprechliches freudenreiches Forschen ! D,
wie wahr ist das Wort des Propheten : H Ein
Tag, Herr, in deinen Vorhöfen ist besser, als
taufend andere !" denn wäre es auch wirklich
nur ein einziger Tag , wäre es auch nur eine
Stunde dieses Tages, an welchem wir so unaus
sprechlicher Seligkeit uns 1 freuen dürften und
könnten , so wäre schon dieser kurze Zeitraum
würdig , daß wir tausende , ja unzählbare Tage,
Tage der höchsten irdischen Freude, daran gäben;
264

denn hätten wir einmal solche Seligkeit gekostet,


einmal klar geschaut die Schönheit des ewigen
Lichtes , dann vermöchten wir ja ferner nach
feinem anderen zu verlangen, denn dieser Genuß
und dieses Schauen übersteigt alle Süßigkeit und
jedes fernere Verlangen .
Die Seele. Kannst du mir noch Etwas
sagen, mein Geist, dessen Anblick und Betrachtung
mich eben auch erfreuen würde ? ".
Der innere Mensch. Ich meine , damit
solltest und könntest du dich in jeder Hinsicht
begnügen , wäre es auch wirklich das Einzige ;
doch wartet deiner , um von den anderen noch
t
unzählbaren zu schweigen , noch ein sehr seliger,
entzückender Anblick , nämlich die Gottes - Mutter
in ihrer Herrlichkeit und ihr hochheiligstes Kind
in der verherrlichten Menschheit. D Seele, welch'
feliger, süßer Anblick, diese holde Mutter, die Kö
nigin der Gnade und Heiligkeit zu schauen! sie zu
schauen, nun nicht mehr stehend und pflegend das
weinende Kind in der Krippe, nicht mehr weinend
und angstvoll suchend den Verlorenen, nicht mehr
rufend unter Thränen der Liebe und der Schmer
zen: Habt ihr nicht gesehen , den meine Seele
liebt ? sondern sie sehen in dem seligsten Blicke
auf den göttlichen Sohn ! Auch ihre Leiden und
Schmerzen sind seligst zu Ende ; nicht mehr muß
fie flüchten nach Egypten vor dem Angesichte des
Herodes , denn nun ist der Sohn aufgestiegen
in den Himmel und der Wüthrich in die Hölle
gefahren, nicht mehr durchstechen, wie ein Schwert,
das Mutter - Herz die Greuel - Thaten der Juden
gegen den geliebten Sohn , denn ihm sind nun
265

alle Dinge unterworfen, nicht mehr findest du sie


im Weinen und Wehklagen , nicht mehr ertönt
die Jammerstimme aus der Mutter Mund : Wer
giebt mir , daß ich sterbe für dich, mein Sohn !
denn nun steht sie nicht mehr unter dem Kreuze
neben dem daran hangenden und sterbenden Sohne,
nicht mehr weint sie über den schmerzlichsten und
grausamsten Verlust , nicht mehr über den ung
gleichen Tausch , statt des Lehrers den Schüler,
statt des Herrn den Knecht, statt des Gottes den
Menschen , statt des eingebornen Sohnes Gottes
und des holdseligsten Sohnes den Fremden an
zunehmen ; das Alles ist vorüber , die verlassene,
betrübte Mutter ist erhöht über alle Menschen,
fie ist bei Christus , sie ist in die Wohnung des
dréieinigen Gottes eingegangen , sie singt ihr
Freuden und Sieges ፡ Lied : Ich habe gefunden,
den meine Seele liebt, ich will ihn halten und
nicht mehr laffen ! " ,,kommt her zu mir Alle,
die ihr mein begehrt, und fättigt euch von meinen
Früchten! D Seele, erwäge in deines Her
zens Andacht die süßeste Freude, die Mutter des
Herrn , die seligste Gottes - Gebärerin zu sehen,
unsern Bruder zu schauen , den ehemals verra
thenen, verachteten und verstoßenen , nun wieder
gefunden , nun heimgekehrt , nun herrschend , nun
Allen gebietend! ,,, daß ich dich, mein Bruder,
der du meiner Mutter Brüste säugst , draußen
fände und dich küssen könnte mit dem Kusse der
Andacht , dich umarmen könnte mit den Armen
*
der Liebe und mich Niemand höhnte , wenn ich
dich einführe in mein Inneres , um hier das
Süßeste und Lieblichste zu genießen !“ Nach
266

diesem füßen Genusse sehnte sich der innige An


felmus , wenn er in seinen Betrachtungen sich
äußert : Wann werde ich dich schauen , o hold
seligstes Kind , wann werde ich erscheinen vor
deinem Angesicht , wann werde ich mich sättigen
können an deiner Schöne , wann werde ich jenes
holde Antlig schauen , nach welchem die Engel
gelüsten ! Wehe der Seele , die dich nicht liebt,
dich nicht sucht , deiner nicht begehrt , wehe ihr,
wenn sie statt deiner die Welt liebt , der Sünde
sich hingiebt ! Nie wird sie Ruhe haben, nie ohne
Gefahr leben. Außer dir , o holdes Kind , will
ich nichts lieben , ohne dich kann C nichts mir ge=
fallen, alles Herrliche und Köstliche kann ich nur
in dir finden , wie gering ist mir Alles im Ver
gleich zu dir, wie verabscheue ich Alles, was dir
mißfällt ! dir allein zu gefallen sei mein unauf
hörliches Streben. Wie könnte ich mich freuen
ohne dich, nur mit dir kann ich mich freuen, nur
mit dir kann und will ich weinen ! D , gütigster
Jesu , wenn es schon so süß ist , deinetwegen zu
weinen, wie entzückend muß es sein, deinetwegen
fich zu freuen !
Die Seele. O , mein Geist , die Sehnsucht
und die Liebe , meinen Herrn zu sehen , macht
mich krank, ich verschmachte, wenn ich nicht bald
meinen Jesus , meinen Bruder , meinen Erlöser
schaue ! Mein Herz ist verwundet in Liebe gegen
die glorreiche Jungfrau , die holde Jesus -Mutter !
O, huldvollster Jesus, wann werde ich dich sehen,
dich, meine Freude und mein Verlangen , wann
wird mir deine Herrlichkeit erscheinen , #! nach der
ich mich so sehne , wann wird mein Tröster kom
267

men, auf den ich warte, wann werde ich trunken


werden von den reichen Gütern deines Hauses,
nach welchem ich erseufze ! Wie ekelt mich alles
Irdische an, denke ich der unvergleichlichen Schön
heit dessen, von dem Alles gekommen ist !:
Der innere Mensch. Harre in Geduld
aus , o Seele , eben das mehrt und stärkt dein
Verlangen; denke des Herrn Wortes : ,,Ueber
ein kleines, so werdet ihr mich nicht sehen, und
abermals über ein kleines , so werdet ihr mich
sehen."
9. Die Seele. D , es ist lange , dieses ,,über
ein kleines," es währt gar zu lange ! 3war klein,
das fühle ich wohl, ist mein Verdienst, aber wahr
lich, lange und groß ist mein Verlangen!
Der innere " Mensch. Kommt dir dein
Verlangen , o Seele , nach der Schauung der
ewigen Herrlichkeit und Klarheit lange und groß
vor, traun ! wie innigſt ſollte erst deine Sehnsucht
sein , die ewige Güte und Liebe vollkommen zu
lieben , die höchste Majestät Gottes ewig zu
befizen ! Denn würdest du diese zwei nicht höch=
lichst lieben , wie könntest du dich der Schauung
freuen ? Was würde dir das klarste Schauen
und Erkennen sein, wüßtest du nicht, daß dir das
Alles gewiß und ohne alle Gefährde bleiben soll,
sprich könntest du ohne dieses seligſte Bewußtsein
wirklich selig sein und bleiben ? Darum ist Au
gustin's Wort ein wahres Wort : Dort werden
wir, sagt er , ruhen und schauen , schauen und
lieben , lieben und besigen , denn er ist das Ziel
und Ende unseres Verlangens , ihn werden wir
ewig sehen , ohne Unterlaß ihn lieben , ohne Er
268

mattung ihn ewig preisen ; denn unsere eine und


ganze Kraft ist dort : Lieben , den wir schauen,
und unsere höchste Seligkeit : Den ewig besißen,
welchen wir lieben. Hier strömt das selige Leben
aus seiner Urquelle, hier werden wir vollkommen
getränkt aus der Urquelle, hier wechselt der Durst
und das Stillen desselben wunderbar und erfreu=
lich mit einander ab , nicht quälend aber wird
der Durst und nie zum Ueberdruffe die Stillung
desselben sein.
Doch damit wir einmal zum Ende kommen,
o Seele , so vernimm zum freundlichen Schlufſe
die Worte des innigen Anselmus und höre , wie
er sich äußert über die genannten Freuden des
Himmels : Erhebe dich nun , sagt er , o meine
Seele , nimm deine ganze Ueberlegung zusammen,
erwäge mit möglichster Aufmerksamkeit jenes
höchste, seligste Gut , welches der Inbegriff und
die Summe alles Guten und aller Freude ist !
Ist das erschaffene Leben schon erfreulich , wie
viel mehr muß 2 es das unerschaffene , das selbst
schaffende Wesen sein ? Freust du dich des dir
gewordenen Heils , wie unendlich erhabener und
feliger wird das ursprüngliche Heil sein, von dem
Alles ausgegangen ist , freust du dich der Er
tenntniß des Geschaffenen , wie weit mehr wird
dich das Schauen und Kennen des Unerschaffenen
entzücken ? Warum treibst du dich also in dem
Bielen herum und jagst nach den Gütern der
Zeitlichkeit? Suche und liebe das Eine, und in
ihm ist dir Alles geworden ! Ergößt dich die
Schönheit, nun denn : ,, Die Gerechten werden
leuchten wie die Sonne". Bist du gern frei
269

und mächtig ? Siehe da : ,,Sie werden gleich sein


den Engeln Gottes im Himmel !" Wünschst du
ein langes und glückliches Leben ? Dort ist
ewiges , seliges Leben ! Liebst du den Ueberfluß
und die Fülle ? Dort werden sie gesättigt mit
Herrlichkeit und ,,werden trunken von den reichen
Gütern des Hauses Gottes !" Lockt dich der Wohl
laut der Töne ? Dort ertönt der Engel- Gesang !
Zieht dich Freundschaft und geselliger Umgang
an ? Dort trittst du in die Gesellschaft der Se
ligen, wo ein Wille alle beseelt ! Verlangst du
Ehre und Reichthum ? Ehre , Herrlichkeit und
Ueberfluß ist in dem Hause Gottes ! Trachtest du
nach Sicherheit und Gewißheit ? Dort ist ewige
Dauer ! Du Menschen-Herz, du armes, bedrängtes,
durch vielseitiges Leiden gequältes und nieder
gebeugtes Herz, wie würdest du dich freuen, wenn
das Alles dir würde ? Frage dein Inneres , ob
es die Freude so hoher Seligkeit fassen könne?
Vermagst du nun diese Freude kaum zu begreifen,
wenn sie dir allein werden sollte, wie solltest du
im Stande sein, sie zu fassen, da sie sich über die
zahllose Menge aller Auserwählten erstreckt ? wo
jeder den Anderen wie sich selbst liebt , wo jeder
sich des Anderen freut nach dem Maße dieser
Liebe, wo jeder über die Herrlichkeit, es und
über die Seligkeit aller Auserwählten sich höher
und inniger erfreut, als über die eigene ? Und
da schon die Liebe gegen Gott das ganze Herz,
das ganze Gemüth in Anspruch nimmt, wie meinst
du , sollte da die Seele , das Herz, das Gemüth
die Fülle der ihnen gewordenen Freude noch
faffen können ? Denn so groß die Freude ist, so
270
‫ނ‬

groß ist die Liebe , und diese ist so groß , als


das Schauen. Ja , kein Auge hat es gesehen,
kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz ist
es gekommen, wie ſie dich lieben werden, o Seele,
die Heiligen Gottes , wie sie dich als ihre Mit
genoffin erkennen und schäßen werden ! - D
Herr, mein Gott, gieb, daß ich dich erkenne, daß
ich dich liebe, daß ich mich deiner ewig freue ! Und
bin ich in diesem gegenwärtigen Leben nicht ganz
fähig dazu, so lasse mich wenigstens wachsen und
immer mehr zunehmen in deiner Erkenntniß und
Liebe hier will ich hoffen, dort werde ich es er
halten, hier mich befähigen , dort wird sie mir
gegeben werden die volle Freude ! O Vater, du
befiehlst mir, ja du munterſt mich dazu auf durch
das Wort deines Sohnes, daß ich flehe und bitte
zu dir , du hast mir die Gewährung der Bitte
verheißen , damit unsere Freude vollkommen sei ;
so stehe ich denn zu dir und bitte um das , was
du mir durch deinen wunderbaren Rathgeber,
meinen Herrn, zu bitten befohlen und zur Meh
rung meiner Freude zu geben verheißen hast.
Das sei meines Herzens einziger Gedanke, davon
spreche stets meine Zunge , das • sei die Rede
meines Mundes , nach diesem hungere meine
Seele, darnach dürfte mein Fleisch, mein innerer
und mein äußerer Mensch, bis sie beide eingehen
in die, Freude meines Gottes , der da ist der
Dreieinige und Eine hochgelobt in Ewigkeit.
Amen!
Drei und zwanzig Lektionen,

die in der Schule Gottes erlernt


werden müssen. Sonst das kleine
Alphabet des heiligen Bonaventura
genannt.

,,Herr , zeige mir deine Wege , und lehre


mich deine Steige !" Ich flehe zu dir , o Gott,
lehre mich die Wege eines gottseligen Lebens,
daß meine Seele gerettet werde.
Der Meister spricht : Nimm hin folgende
Lektionen , lerne und befolge fie.
Die erste Lektion ist : Liebe , unbekannt und
unerkannt zu sein und für Nichts geachtet zu
werden. Das wird dich weiter fördern in deinem
Heile , als aller Menschen Lob und Beifall.
Die zweite: Sei wohlwollend gegen Jeder
mann , gegen Gute , wie Schlimme ; dränge dich
Niemandem auf, falle Keinem zur Last.
Die dritte: Bewahre dein Herz vor Zer
streuung , deinen Mund vor unnüßen Reden,
stelle alle deine Sinne unter strenge Zucht.
272

1 Die vierte : Liebe die Einsamkeit und das


Stillschweigen ; das wird dir viel Ruhe bringen
und ein rein Gewiſſeu , denn das Viele und die
Vielen zerstreuen das Herz und im Lärme kann
des Herzens Einheit und Reinheit nie gedeihen.
Die fünfte: Liebe die Einfalt und Armuth,
19
lasse dich mit Wenigem genügen , " dann wirst du
nicht leicht klagen über Mangel und Abgang.
Die sechste: Fliehe die Menschen und das
Welt 3 Getöse , denn Beiden zugleich wirst du
nicht genügen können , Gott und den Menschen,
dem Ewigen und dem Vergänglichen , dazu reicht
deine Kraft nimmermehr 'hin. 1
Die siebente: Dante Gott allzeit mit Herz
und Munde für Alles, was da über dich kommt,
Lieb oder Leid , denn der Herr ist's , der als
wahrhaftiger und gerechter Richter von Ewigkeit
in der Welt Alles weislich austheilt.
Die achte: Demüthige dich in Allem und
unter alle Menschen ; "Tso wirst du wohlgefällig
bei Gott, und die Menschen } werden dich , wo
nicht lieben, doch dulden , fliehen aber wird dich
der Satan , denn nichts " haßt er mehr als die
Demuth und den , welcher sie wahrhaft beſizt.
Die neunte : Bei allem deinem Thun und
Lassen habe keine andere Meinung , Willen und
Absicht , als Gottes Wohlgefallen , der allein
das Herz kennt und das 密 reine und aufrichtige
liebt. X
Die zehente: Diejenigen, welche dich tadeln
und niederdrücken , betrachte als deine besten
Freunde und Patronen , denn wenn du es recht
und vernünftig erwägſt, ſo wird dir der Vortheil,
273

den dir solche bringen , gar wohl einleuchten ;


die verhelfen dir doch allerdings zum Guten, die
dich hindern im Bösen.
Die eilfte: Mit Mühe und Schmerzen , mit
Seufzen und Weinen wird das Reich Gottes
erworben , in Ehren und Lüften wird das Pa=
radies verloren.
Die zwölfte : Es ist wohl eine hohe Gabe
Gottes, arm zu sein in dieser Welt um Christus
willen und verachtet zu sein um feinetwegen.
Große Hoffart ist's , immer voran sein und hoch
stehen zu wollen ; dazu räth der Teufel, er treibt
den Menschen , hohe Ehrenstellen zu suchen und
die Niedrigkeit zu fliehen ; aber fallen soll der
Hochstehende , rückwärts stürzen der stolze Reiter
in Schande und Armuth , das ist seine Absicht ;
du aber halte die kleinsten Gaben für sehr große,
so wirst du werth , die größeren zu empfangen.
Die dreizehente : Verachte Niemanden,
schade Niemanden , habe Mitleiden ¿ mit dem
Nothleidenden und Betrübten.
Die vierzehente : Wende deine Zeit mit
Gott nüglich an , denn nichts ist edler als die
Zeit ; in der Zeit kannst du, sollst du die Ewigkeit
gewinnen. w
Sei liebreich, gütig und freundlich
gegen Jedermann, ohne Uebertreibung " und Aus
gelaffenheit.
Die fünfzehente : Bei jedem Geschäfte
und Werke, das du verrichten willst , frage dich
zuvor : ist das Gott gefällig oder mißfällig ?
Nicht Furcht, nicht Liebe soll dich je verleiten,
gegen dein Gewissen zu handeln ; woran du
zweifelst, darüber frage das Wort in der heiligen
18
274

Schrift, erbitte dir den Rath deines Vorgesezten


und traue dir selbst nie zu viel. Vor Allem
lerne Schweigen, dann Reden ; zuerst lerne Etwas,
dann lehre , denn weit sicherer ist's , verborgen
und ſtill zu leben , als öffentlich aufzutreten.
Die sechzehente : Was dich nichts angeht,
darüber urtheile und richte nicht und mische dich.
nicht ein , damit dir nicht Unfriede werde ſtatt
Friede. Sei kein Sonderling , sondern richte
dich nach der löblich eingeführten Ordnung , fo
wird man dich lieben , und ist deine Absicht
gut , dann wirst du sie eher erreichen. Wer
bald thut, was er thun soll , der ist nach voll
endeter Sache immer fröhlicher, als ein Anderer.
Die siebenzehente : Gehe in das Kämmer
lein deines Herzens ein und schließe die Thüre
ab , daß du nicht ausschweifest und verfallest auf
allerlei Lüste und Begierden durch Anreizung
des Satans. Das gehörte Böse schadet , das
gesehene Schöne reizt und versucht, die empfangene
Unbill betrübt und kränkt ; so meide denn den
Zornmüthigen , weiche dem Dummen aus , fliehe
den Ausschweifenden und bleibe in der Stille
mit Gott.
Die achtzehente : Sei mäßig in Speiſe.
und Trank,
Scully. ehrbar in der Bekleidung, vorsichtig
im Reden , züchtig in dem Betragen , wohl
überlegt dein Rath , stark im Leiden , gelaffen
in der Schmach , demüthig im Glücke , dankbar
für empfangene Wohlthaten , fröhlich , wenn
du verachtet bist , geduldig in Schmerzen , be
scheiden in allem deinem Thun und Lassen.
Die neunzehnte : Fürchte dich , Gott zu
275

beleidigen auch in den geringsten Fahrlässigkeiten


und Gebrechen. Sei nicht übermüthig im Glück,
verzage nicht im Unglück. Die Furcht Gottes
treibt uns ab von der Sünde, fie lockt uns aber
zum Guten und zur ächten Uebung desselben.
Alles stelle Gott anheim, was dich drückt , dann
wirst du Alles ertragen können ; t große Geduld
sei dein Friede. Kurz ist alles Leiden , ewig
das selige Leben ; so sei dir denn Alles leicht
für das ewige Leben .
Die zwanzigste : Uebergieb Gott Alles,
was dir angenehm ist , er wird dir in einer
Stunde durch seine Gnade mehr geben , als das
Ganze war , worauf du verzichtet hast ; der ist
E
wohl der Reichste und Freiste , welcher Gott
fich ganz hingegeben hat, der sich . Christum er
kaufte durch die Liebe , durch die er die Welt
am Kreuze erlöset hat.
Die einundzwanzigste : Christus ſei dein
Leben , Christus dein Lesen , Christus deine Be
trachtung, er dein Gewinn, deine ganze Hoffnung
und dein Lohn ; suchst du etwas Anderes als
Gott allein und rein, dann hast du nur Schaden
und Verlust , mühst dich ab und gelangst doch
nie zur Ruhe.
Die zweiundzwanzigste : Gott lobsingen
und preisen gehört vorzüglich für geistliche Leute,
die Engel Gottes freuen sich solcher Sänger,
denn auch sie loben und preisen Gott ohne Unter
laß im Himmel ; dem Fleische aber dienen ist
der Tod , denn es ist eine Speise der Würmer,
ein Hinterhalt der bösen Geister , das ächte
Leben der Sünder , der Zunder der Krankheiten,
18 *
276

das Verderben der Sitten , der Verlust des


Guten und der traurige Gewinn vieler Uebel und
Leiden ; aber Gott dienen ist Seligkeit der Seele,
es erhält den Leib gesund, macht weise und klug
den Geist , stimmt die Seele zu süßen Liedern
des Lobes des Herrn , sie preiset Gott , auch
wenn sie leidet , und lebt somit ein himmlisches
Leben.
Die dreiundzwanzigste : Endlich steige
herab, mein Bruder , steige mit Zachäus herab
vom Baume , von der Höhe weltlichen Wissens,
komme , seße dich demüthig nieder in der Schule
Gottes , lerne hier den Weg der Demuth , der
Sanftmuth, der Geduld ; auf diesem Wege und
bei dem Lehrmeister Christus wirst du ohne allen
Zweifel zur Herrlichkeit des ewigen Lebens ges
fangen. Amen.
Trage sie ein, diese dreiundzwanzig Lektionen
in dein Herz, gleichsam in das Buch des Lebens,
ziehe täglich diese Blättlein hervor und durchlese
fie emsig , sie werden dich wohlgesinnt und wohl=
gesittet machen ; es sind freilich nur wenige Worte,
aber große Geheimnisse , das Leben und Wirken
der Vollkommenen sind darin , sie zieren deinen
äußeren und beruhigen deinen inneren Menschen,
fie fangen von der Selbstverläugnung an, die der
Anfang des geistlichen Lebens ist, und führen
dich bis hin zum Schauen Gottes .
Ein

Sendschreiben des heiligen Bonaventura,


enthaltend

eine Vorschrift und Anleitung für


Alle, die in Christo fromm und
geistlich leben wollen .
www .

Borrede.

Seinem Geliebten in Christo wünſcht Bona


`ventura als Mitbruder das Ausziehen des alten
Menschen , das Sterben für die Welt und das
Leben in Christo ! Weil du mich, geliebter Bruder
in dem Herrn , da wir noch zusammen wohnten,
dringendst batest , künftig dir etwas Erbauliches
zu schreiben , und ich damals schon , als du das
von mir verlangtest, große Verlegenheit, gewisser
maßen glühende Kohlen von dir auf mein Haupt
gelegt fühlte, du aber nicht nachließest, herzlich in
mich zu dringen , so siegte endlich die bittende
Demuth über mein stolzes Widerstreben ; ich ver
sprach dir die Erfüllung deines Wunsches, obgleich
es weit schicklicher wäre, von dir dergleichen zu
278

empfangen, als solches von mir anzunehmen. Da


nun aber deine dringende Liebe und Andacht mich
hier zwingt , thöricht zu handeln , so will ich es
versuchen , wie immer ich es vermag , das zu
leisten, was du verlangst. Zähle aber auf nichts
Besonderes , es sind gemeine und einfache Dinge,
die ich für mich selbst niederschreiben wollte und
die dir größtentheils schon bekannt sind. Nun
so höre denn , Geliebter : Niemand, wie das die
gewisse Erfahrung außer allen Zweifel seßt, kann
Gott wahrhaft und vollkommen dienen, der nicht
daran ist, sich durchaus von der Welt loszureißen ;
wollen wir dem Herrn unserem Heilande nach
folgen , so müssen wir nach der Lehre der Pro
pheten und Heiligen die Sünden-Bande zerreißen,
die uns darniederdrückende Bürde abwerfen , frei
vom irdischen Treiben unserem Erlöser nachtreten,
denn nach des Apostels Zeugnißflicht sich kein
Streiter Gottes in Händel der Nahrung". So
dürfen wir denn unserem Herzen die ängstliche
Sorge um zeitliche Dinge nicht gestatten , oder
die Kreatur müßte für uns ein besonderer Aufruf
zur Liebe gegen Gott und der Ergebenheit an
ihn sein; denn das mehr als nöthige Einlassen
in die Mannigfaltigkeiten der zeitlichen Dinge
zerstreut nicht nur das Gemüth und nimmt dem
Herzen den süßen Frieden und die nöthige Ruhe,
sondern es erzeugt auch in der Seele allerlei
Phantasieen und treibt sie wie in einem wilden
Sturme umber; diese Last nun und diese Bürde
des Herzens muß abgeworfen werden , und wir
müssen ungehindert und unbeschwert Dem ent
gegeneilen, welcher uns einladet zu unserem Heile,
279

welcher unsere Seele reichlich versorgen , uns


Friede schenken will , überschwenglichen Frieden,
welcher so freundlich uns einladet und spricht :
,,kommet Alle zu mir , die ihr mühselig und be
laden seid , ich will euch erquicken." D. Herr,
bedarfst du denn unser ? Warum rufst du uns ?
Warum willst du dich mit uns gemeinsamen?
gnadenvolle Stimme: Kommet her zu mir, ich
will euch erquicken ! O wundervolle Huld unseres
Gottes , o unaussprechliche Liebe ! Wer hat je
das gethan , wer hat je dergleichen vernommen,
wer hat je solche Huld erfahren ? Denn sieh'
doch, seine Feinde ladet er ein , die Sünder ruft
er, die Undankbaren lockt er herbei , denn Alle
sollen kommen ; ,,kommet Alle zu mir" ; lautet der
Ruf, und lernet von mir, nehmet mein Joch
auf euch, so werdet ihr Ruhe finden für euere
Seelen." süße , göttliche Worte , ihr dringt
tiefer ein als ein zweischneidiges Schwert , ihr
trefft den innersten Punkt der Seele , ihr dringt
ein bis zur Scheidung der Seele und des Geistes,
aber lieblich und höchst süß dringt ihr ein und
scheidet selig ! Oso erwache denn , christliche
Seele, bei diesem Gnaden-Rüfe, bei dieser Stimme
der Liebe , koste die Süßigkeit , eile zu dem köst
lichen Wohlgeruche ! Wahrlich , wer hier noch
gefühllos ist, der ist gewiß krank, wer diesen Ruf
nicht hört, muß in weiter Ferne stehen, wer nicht
kommt , der steht an der Schwelle des Todes .
Ach, entflamme dich , meine Seele , genieße fie
vollauf, diese Liebe , koste ganz diese Süße, Nie
mand kann es dir wehren, offen ist die Thüre,
gehe ein , umschließe die Liebe , koste die Süßig
280

keit ; was suchst du denn sonst noch , auf was


wartest du , was verlangst du noch hienieden ?
Hast du doch in Christo alles Gute ! ― Leider
aber ist unser Herz ermattet und krank , ein
Stumpffinn , ja ein Unsinn hat ſich ſunſerer
bemächtigt, wir sind zur Ruhe eingeladen, laufen
aber der Mühe nach , wir sollen getröstet wer
den , wenn wir kommen , suchen aber die Be
t
trübniß und den Schmerz auf, Freude soll uns
werden , uns aber gelüstet nach Trauer ; das
ist aber doch gewiß eine besondere Krankheit, eine
schändliche Verkehrtheit, wir sind zumal gefühllos
geworden , so f elend , ja noch verächtlicher ;" als
Gößenbilder , wir haben Augen und sehen nicht,
Ohren und hören nicht , Verstand und Bernunft
und vermögen nicht das Herbe und Bittere von
dem Süßen und Lieblichen zu unterscheiden , ja,
finnlos verwechseln wir Beides mit einander.
D. Gott, wie schwer ist die } Anklage unserer Ber=
kehrtheit, wie sind wir im Stande, solche Misses
that zu büßen und das verübte Unrecht gut zu
machen? Wir sind unvermögend dazu ; was wir
etwa thun könnten , wäre einzig deine Gnade,
ein freies Geschenk von dir , du allein, o Gott,
fannst uns bessern, du allein kannst tilgen unsere
Missethaten, denn du allein kennst uns und unsere
Gebrechlichkeit ganz , Su allein bist unser Heil
und unsere Erlösung, du willst es Allen sein, die
fich elend wissen und fühlen , die aus der Liefe
zu dir schreien und die von dir allein ihre Ret
tung erwarten. So wollen wir denn unmittelbar
*།
unsere Augen , unser ganzes Gemüth zu Gott
erheben und einsehen , wo und in welcher Tiefe
281

wir darniederliegen , denn wer nicht weiß und


erkennt, daß er gefallen ist, der sorgt gewiß nicht,
daß er sich erhebe ; wissen und erkennen wir es
aber, dann werden wir auch kräftig und ernstlich
aufschreien aus der Tiefe zu Gott , daß er uns
feine erbarmende Helfer-Hand , reiche, die, uns zu
1
retten , niemals abgekürzt ist. So wollen wir
denn das Vertrauen, nicht verlieren ; dem so
großer Lohn verheißen ist, mit Zuversicht wollen
wir uns seinem Gnaden -Throne nahen und wir
werden die Frucht unseres Glaubens und Ver
trauens davon tragen , nämlich das Heil unserer
Seelen ; nur zaudern und hinausschieben wollen
wir nicht, denn das Leben hat uns gerufen, das
Heil wartet unser und die eigene Noth treibt
uns dahin. Wozu also das faule Stehen- und
Liegenbleiben ? Eilen wir doch , einzugehen in
jene freudenreiche Ruhe , wo uns Großes, Uner
hörtes und Unbegreifliches werden soll. So bebe
dich denn empor , o mein Herz , nach Jerusalem,
erseufze nach deinem Vaterlande, strebe auf zu
deiner Mutter , gehe ein in die Macht deines
Herrn, schaue deinen König in seiner Herrlichkeit
und dein Inneres zerfließe in Betrachtung seiner
Gnade und seiner Erbarmungen , sage ihm Dank
nach deinem ganzen Vermögen , dem Gnädigen;
der, nicht achtend unseres Undanks , seine erbar
mende Güte uns nicht entzogen hat , da er uns
noch in unser Gemüth das Verlangen2 einsenkte,
den Weg seiner Gebote zu gehen , was Keiner
thun kann , er wolle denn ; und dieses Wollen,
dieses Verlangen ist Wirkung der Gnade , was
wir ja nicht übersehen dürfen ; David dankt Gott
282

für die Gnade und bittet darum in den Worten :


Verbirg deine Gebote nicht vor mir , meine
Seele verlanget heftig nach deinen Rechten allzeit.”
Da aber dieses Verlangen · gar oft durch
unsere eigene Trägheit , Schlaffheit und Nach
lässigkeit ermattet , so wollte ich , um das zu
verhindern, Einiges niederschreiben und bemerken,
woraus wir ersehen könnten , was wir , 1 um
nicht im Guten zu ermatten , zu meiden oder
zu thun haben. Gedenken wir dieser Punkte
mit Herz und Sinn , dann wird in uns der
alte Eifer wieder erwachen und wir werden
so lange , unermüdet in göttlicher Liebe , an
Tugenden und Gnaden wachsen , bis sich in uns
das ächte und höchste Verlangen nach den ewigen
Höhen vollkommen ausgebildet haben wird . So
nimm denn , geliebter Bruder , hier zuerst die
allgemeinen Denksprüche hin , die besonderen
sollen dann diefen folgen.

Die allgemeinen Lehren.


Diese allgemeinen Lehren sind erprobte Tu
genden für Anfänger und gleichsam Stufen ihres
Heils und ihrer geistigen Fortbildung , auf
welchen sie ungezweifelt zur Vollkommenheit der
Tugenden und dem Gipfel ihrer Heiligung und
Verherrlichung vor Gott gelangen können , üben
fie fich anders ernstlich und treu darin ; und
zwar dieser Lehren erste ist : eine heilige Scham
haftigkeit in allen Dingen und Handlungen ;
die zweite nicht vorschnell sein im Reden ; drit
tens die Bereitwilligkeit, zu gehorchen ; viertens :
283

das öftere Gebet ; fünftens : Meidung des Müßig


gangs und der Zerstreuung ; sechstens aufrich
tiges, öfteres Sündenbekenntniß ; siebentens : An
deren gern dienen ; achtens unnüßen Umgang
und nußlose Gesellschaft meiden. Diese acht
Punkte sind glänzende Perlen , die ihren Besißer
vor Gott und den Engeln angenehm machen.
Wann es aber einst Dem , welcher dich auser
wählt und berufen hat von Mutterleibe aus,
gefallen wird , daß er in dir das Bild seines
Sohnes offenbare , dich aus der elenden Dienst
barkeit Egyptens herausführe und dich in die
Freiheit der Kinder Gottes verseße , da du denn
auf dem Wege des erneuerten Menschen die
ersten Schritte versuchst , den Weg der Demuth
zwischen Furcht und Liebe betrittſt , dann wird
es dir gelingen, wandernd im Thale der Demuth,
dich nach und nach in die Höhe zu bringen und
dich in höheren Pflichten des Geiſtes zu üben,
aus denen ich dir hier einige verzeichnen will . A

Die besonderen Lehrstücke.


Erstens. Willst du in die Fußtapfen deines
Heilandes Jesu Christi wahrhaft eintreten , so
mußt du dein ganzes Vertrauen unverrückt auf
den Herrn seßen , gänzlich verzichtend auf alle
Tröstungen der Welt.
weitens. Sollst du dich von allen bösen
Neigungen und Fehlern reinigen , so weit es
die gebrechliche menschliche Natur nur immer
gestattet , damit du , wenn der alte Sauerteig
der Bosheit und Schalkheit ausgefegt ist , wan
284

deln könnest in einem durch Christus erneuerten


Leben ; denn nimmermehr wird die Seele , ge=
bunden von den Ketten der Sünde und in ihren
Finsternissen liegend , sich erheben können nach
dem Himmlischen, sie habe sich denn frei gemacht
von diesen schimpflichen Banden und das Leben
des Lichts gewählt .
Drittens. Mache dich auch frei von aller
"S
äußeren Verbindung , die doch nur Verwickelung
ist, so wirst du dich freuen und reinen Herzens
Gott anschließen können.
Biertens. Trage alle Leiden und Widere
wärtigkeiten dieses Lebens mit Gleichmuth aus
Liebe zum Allerhöchsten , der dein Bräutigam
und dein Chriſtus ist ; ja , kannſt du es dahin
bringen , daß nichts dich freut und ermuntert,
als das Leiden deines Herrn und die Gleich
förmigkeit darin mit ihm, so sei das dein höchster
Wunsch und ächtes Gelöbniß an ihn fern sei
dann jede andere zeitliche Freude , denn nur
Leiden ist jetzt deine Freude , es ist der Stoff
der Reinigung deiner Sünden , .L es ist der hohe
Gewinn , welcher deiner Seele werden soll.
Fünftens . Da du ein Sünder bist gegen
deinen und aller Dinge Schöpfer und das nur
zu wohl fühlst , so klage nicht und fordere nicht
Grund und Rechenschaft , wenn du leidestz oder
sonst gekränkt wirst. 71
Sechstens . Verachte dich selbst und nimm
es gern an , wenn Andere dasselbe gegenf dich
thun , das gehört ja zur ächten Armuth des
Geistes an Allem , das du dir eigen machen
willst ; in allen Dingen für dich liebe das Harte,
285

das Geringe , das Wenige , die Anderen aber


behandle ganz anders ; dein Trost und deine
Freude sei der Trost deines Herrn, den Anderen
aber diene als Bruder mit aller Liebe , Folg
samkeit und Bereitwilligkeit und betrachte sie
als solche, die aller Liebe und Hülfe werth sind,
oder , was ferne sei ! du könntest dich wahrhaft
überzeugen, ja es wäre gewiß , dein Nächster sei
wirklich ein Sünder gegen Gott, dann leide mit,
fürchte dich und nimm den herzlichsten Antheil
an seiner unſeligen Verirrung..
Siebentens. Sei stets auf deiner Hut,
daß Welt-Ehre, Ruhm, Gunst und Schmeicheleien
der Menschen dich nicht bethören , fliehe vor
diesen Eitelkeiten , so viel du nur immer kannst,
fliehe sie wie bösartige , ansteckende * Krankheiten ;
schaue stets auf dein L Inneres , traue dir selbst
nicht eine Stunde , beherrsche dich , dann bist
du dein eigener Sieger , dann wird kein Feind
weder von " außen noch innen dir schaden.
Achtens. Aus Liebe zu Dem , welcher,
obgleich er der Herr ist über Alles , was da ist
im Himmel , auf der Erde und unter ihr , für
uns dennoch die arme Knechts - Gestalt angenommen
und in dieser der Gewalt der Menschen sich
freiwillig xx unterworfen hat , aus Liebe zu ihm
demüthige dich unter alle Menschen , betrachte
jeden als deinen Herrn, dich aber als den Diener
Aller ; Alles , was du ihnen leisten mußt, thue
in dieser demüthigen Gesinnung , so wirst du
immer mit Allen in Ruhe und Friede leben und
niemals anstoßen. 3.
Neuntens. Was dich geistlich nicht fördert
286

und deiner Seele nicht nüßlich ist, deſſen nimm


dich nicht an und lasse hierin allen Vorwiß ; du
sollst dich nämlich weder äußerlich noch innerlich
mit Dingen befassen oder dich darin auf irgend
eine Weise verwickeln , worin deine Seele und
ihr Heil nichts gewinnt ; gieb es auch nicht zu,
daß man dich da mithineinziehe , so wirst du
Ruhe finden für deine Seele.
Zehentens. Bewahre die.. Sinne deines
Leibes genau und allseitig , wolle: nichts sehen,
hören , berühren , als das , was heilsam und
nüßlich ist für deine Seele ; bezähme möglichst
deine Zunge, rede nicht eher, als bis man dich
fragt oder die Noth dich dazu zwingt oder ein
augenscheinlicher gerechter Bortheil die Rede
fordert, dann spreche mit Anstand und Ehrer
bietigkeit , jedoch klug und gelaffen , fliehe den
Wortschwall und die nuglose Weitläufigkeit, fuche
jede Gelegenheit dazu sorgfältig abzuschneiden.
Eilftens . Liebe die Einsamkeit , das süße,
felige Alleinsein , wache und bete , das sei deine
liebste und beste Beschäftigung , bringe in diesen
seligen Stunden dein Gebet mit möglichster Auf
merksamkeit , Andacht , Eifer und tiefer Demuth
deinem Gott dar.
Zwölftens. Bei Verrichtung der öffent
lichen Tagsgebete und Gesänge sei dein Gemüth
in solcher Ruhe und inneren Sammlung , daß
du alles Irdischen ganz vergissest und dein Geist
unverrückten Blicks auf die himmlischen Geheim
nisse gerichtet ist und du Alles so mit Andacht,
Eifer , Ehrfurcht und Freude verrichtest , als
stündest du mitten unter den Engelchören und
287

wolltest mit ihnen vor dem Angesichte des Aller


höchsten persönlich ihm Lob- und Preis - Gefänge
darbringen.
Dreizehentens. Habe immer eine beson
dere ehrerbietige Zuneigung und Andacht zur
gebenedeiten Mutter unseres Herrn , in jedem
Anliegen, in aller Gefahr und Noth wende dich
zu ihr als deiner Zuflucht, erwähle sie als deine
Fürsprecherin und übergieb ihr getrost dein An
Liegen , ist sie ja doch die Mutter der Barm
herzigkeit ; so ehre sie denn täglich durch eine
besondere Andacht ; damit aber deine Andacht
und Verehrung gegen sie ihr auch angenehm und
wohlgefällig sei, so bestrebe dich, ihre Reinigkeit
und Keuschheit an Leib und Seele nachzuahmen
und nach dem Muster ihrer Demuth, Sanftmuth
und Gelassenheit deinen Wandel zu ordnen.
Bierzehentens. Fliehe die Weiber, Jung
frauen oder Mägdlein, wer immer und wo immer
sie sind , ‫ ܐ‬oder es würde die Pflicht oder ein er
klärter Nußen für ihr Heil dich dazu auffordern.
Wo immer du lebst, erwähle dir einen gottseligen,
bescheidenen und frommen Mann als deinen geist
lichen Vater ; dieser muß eben ( kein Gelehrter
sein , aber ein durch Erfahrung kluger und weiser
Mann, dessen Werth mehr durch sein Leben, als
durch viele feine und gelehrte Reden erprobt ist,
der wird dich durch Wort und Beispiel in der
8
Liebe Gottes unterrichten , beleben und entflam
men ; so hast du in allen deinen S Anliegen eine
Zufluchtstätte bei ihm und einen geistlichen Lehrer
und Tröster an ihm.
Fünfzehentens. Sei nicht mürriſch, un
288

freundlich und niedergeschlagen, das ist der Weg,


der zur Unordnung führt und diese führt zum
Tode des Geistes ; widerstrebe dieſem düſtern
Sinne möglichst an dir, sei, so von innen wie von
außen, ruhig, gelassen und freundlich ; widerspreche
und widerseße dich Keinem in irgend einer Sache,
bequeme dich vielmehr auf alle Weise und in
allen Dingen nach Anderen, insofern nämlich dein
Nachgeben und sich Fügen nicht gegen Gottes.
Ehre oder das Heil der Seelen ist.
Sechzehentens . Wenn du deinen Willen
und alle deine Neigungen dem göttlichen Willen
unterordnest, dann wird Alles zu deiner Er
bauung dienen , nichts in der Welt wird deine
Reinheit trüben, die dir durch die göttliche Gnade
geworden ist. Eifere auch nicht über die Gebühr,
wenn du Fehler siehst an deinem Nächsten ; thust
du dás, dann fündigst du selbst, wie der sündige
Bruder ; so wird Sünde auf Sünde gehäuft und
fremde Sünde. bringt dir die eigene ; siehe zu,
daß, da du den Bruder retten und vom Ab
grunde aufreißen J willst , du selbst nicht tiefer
hineinstürzst, als jener. Wenn du demnach dich
überzeugt , daß du , ohne größeren Schaden zu
stiften , nicht helfen könnest , so decke den Fehler
mit dem Mantel der Liebe und stelle das Ganze
der Weisheit des Herrn anheim , der Gutes aus
dem Bösen hervorbringen kann ; so wird das
Gute , 41 wie das Böse , unter der Leitung des
Herrn den Fortschritt } deines Geistes und sein
Wachsthum fördern .
Siebenzehentens . Bewahre und bewache
dein Herz mit aller Sorgfalt , lasse es stets sich
289

in Werken des Geistes üben , sorge , daß nicht


irdische Lust und Neigung sich einschleiche ; frei
muß es sein , dieses Herz , entledigt von allem
Geschaffenen, dann wird es sich ungehindert dem
Schöpfer alles Geschaffenen hingeben können.
Achtzehentens. Der Mensch ist Gottes
Ebenbild und Aehnlichkeit , das erkenne und
achte du in jedem Menschen , und so wirst du
fie auch alle herzlich lieben und dich besonders
der Schwachen, der Armen , der Vergessenen
annehmen, wie eine liebende Mutter sich nament
• lich des schwachen , kranken oder des einzigen
Kindes annimmt ; doch auch beobachte die nöthige
Umsicht , dein Geist darf dadurch nicht zerstreut
und die Ruhe und Einheit deines Innern nicht
zerstört werden .
Neunzehentens. Halte dein Gemüth stets
in solcher Ordnung und Uebereinstimmung mit
Gott , daß all dein Thun und Lassen , Alles ,
was du leiblich oder geistlich verrichtest , ein
immerwährendes Gebet ist ; alle Dienstleistungen
und besonders die niedrigen verrichte so eifrig
und mit so vieler Liebe , als wenn du dieselben
Christo persönlich leistetest , und das ist wahrlich
nicht Einbildung und selbstgemachtes Ding , er
selbst hat es ja gesagt : „ Was ihr einem aus
diesen meinen Geringsten gethan habt , das habt
ihr mir gethan."
3wanzigstens. Halte die Hochachtung
und Ehre, die wir Allen schuldig sind , und den
Gehorsam, den wir den Großen wie den Kleinen
leiſten müſſen, ſo unverlegt als deinen Augapfel,
sei du der Untergebene an und gegen Alle, so
19
290

wohl deine Vorsteher als dir Gleiche oder auch


Niedere ; das ist Selbstverläugnung um Christus
willen. In Allem , was an sich recht und gut
oder wenigstens gleichgültig ist , richte dich nach
dem Willen des Anderen , falle in keiner Sache
dem Anderen zur Last , vielmehr sei Allen , in
der Liebe Christi sie herzlich liebend , gefällig
und zu Diensten, nur die besonderen Vertraulich
keiten , die sogenannten geheimen Freund und
Brüderschaften meide. Hüte dich möglichst , daß
weder unmittelbar durch dich , noch durch einen
Anderen Anlaß gegeben werde zu Mißhelligkeiten,
Haß, Schmähung, Geschrei, Unruhe, Murren, Ehr
abschneidung, Aergerniß, nichtswürdigen Schmeiche=
leien und dergleichen fündlichen Dingen.
Einundzwanzigstens. Hat dir der Herr
eine besondere Gabe und Gnade verliehen zu
deinem oder des Nächsten Besten oder drückt
dich ein inneres Leiden oder eine Versuchung
oder fühlst du besondere Anregung der Kraft
des heiligen Geistes in dir , so verhehle das
möglichst vor Anderen ; nur dem , der dein Ge
wissensfreund , dein Beichtvater und Rathgeber
ist , offenbare es , oder sonst einem erprobten
Geistes-Manne ; was der dir nun räth und sagt,
das wird dir allerdings nüßlich sein. ---- Buchere
mit der Zeit , stehle dir die Augenblicke und
Minuten , wo du beten und betrachten kannst,
fige wie der einsame Vogel in deinem Neftchen
und die Flamme der Sehnsucht nach oben lodere
ungestört himmelan.
Zweiundzwanzigstens . Mit aller Kraft
deiner Seele , mit allem Eifer und Verlangen
291

merke auf Gott , wirf alle Erdenlaſt ab , vergiß


Alles , was unten ist ; in Allem , was du thust,
wo immer du bist, was immer man dir aufbürdet,
Tag und Nacht , jede Stunde und in jedem Au
genblicke denke deines Gottes , fest überzeugt , du
stehest wahrhaftig vor seinem allerheiligsten An=
gesichte und sein Auge sehe unverrückt auf dich.
Diesen Gedanken kannst und wirst du aber nur
in tiefer Ehrerbietigkeit , in Furcht und Liebe
und hoher ernstlicher Umsicht denken ; dieser Ge
danke wird höchst fruchtbar in dir wirken , jezt
wirst du dich hinwerfen vor der unermeßlichen
Majestät Gottes und in Bitterkeit und Reue des
Herzens um Verzeihung deiner Sünden flehen,
jezt vor dem Kreuze des Gefreuzigten und Ver
wundeten, theilend seine Schmerzen und Wunden,
unter Thränen und Wehklagen liegen, wirſt ſeinen
heiligsten Lebenswandel als Richtmaß und * Vor
bild deines Lebens (ach , des so vielfach ihm
ungleichen Lebens !) erwägen , ein andermal die
dir erwiesenen unzählbaren Wohlthaten Gottes
dir denken und in innigſtem Dank vor ihm nie
dersinken ; bald wird dein Herz, von tal seiner bren
nenden Liebe ergriffen , ihn schauen und finden
in der ganzen Schöpfung ; hier wird dir seine
Allmacht , Weisheit und Güte , Huld und Gnade
von allen Seiten entgegenstrahlen und du wirst
ihn loben und preisen in allen seinen Werken ;
ein andermal wird dein Herz fich losreißen von
der ganzen Erde , die Sehnsucht des ewigen Va=
terlandes , die Süßigkeit der Heimkehr zu ihm
wird dich ergreifen, du wirst seufzen, dich sehnen
nach der Heimath und flehen darum oder sein
19 *
292

innigstes Erbarmen über uns, ſeine unaussprech


liche Liebe wird deine Seele treffen , • sie wird in
höchsten Freuden - Jubel ausbrechen und Staunen
und Bewundern wird Herz und Gemüth hinreißen.
Jest wieder erwägst du, wie oft du dich übereilt
und gefündigt, wie oft du dem Herrn ausgewichen
und gefallen seist, wie aber der Gnädige dir wieder
aufgeholfen, dich festgehalten, dich an sich gezogen
habe, du aber denn doch wieder deinem Gott dich
undankbar erzeigt habest ; das wird dich denn
schauen laffen in die abgründlichen Erbarmniſſe
Gottes über dich , dein ganzes Wesen wird in
Liebe entbrennen und ein Thränen - Strom wird
dir entstürzen ; auch Gottes verborgene , tiefe,
unerforschliche, höchst bewunderungswürdige Ge
rechtigkeit und der geheimnißvolle Abgrund seiner
Gerichte wird sich dir darstellen und öffnen, und
du wirst deutlich seine Treue , seine Wahrhaftig
keit und unveränderlichkeit erkennen und einsehen
und ihn anbeten und verehren mit höchster Liebe,
mit Furcht und Zittern , demüthig , mit Umsicht
und möglichster Sorge für dein Heil ; vor Allem
aber stehe dir lebendig und immer sein heiligstes
Leiden im Gedächtnisse, im Herzen und Gemüthe.
Dreiundzwanzigstens . Sei immer auf
deiner Hut vor der Arglist und den Betrügereien
des Feindes , der alten Schlange; wie oft und
wie gern nimmt Satan die Gestalt eines Engels
des Lichtes an und legt dem Menschen auf allen
feinen Wegen Fallstricke , die Seelen zu fangen ?
Dagegen sei du höchst vorsichtig und sorgsam,
fliehe wie der Vogel vor dem Neße des Vogel
stellers , halte auf die höchste Reinheit deines
293

Herzens , sei demüthig von Herzen , so wirst du


auch die feinsten seiner Schlingen erkennen und
durchschauen und dich vor ihnen hüten können,
werde Israel , ein Gott - Schauender , als solcher
wirst du unbeschädigt hinwandern ; sieht deine
Seele stets auf Gott, dann wird er dich schüßen,
denn er schläft und schlummert nicht, der Schüßer
Israels ."
Vierundzwanzigstens. Werde nicht nach
lässig, seße die nöthige Strenge und den heiligen
Ernst nie bei Seite, denn zu einem heiligen Leben
hast du dich verbunden, erwecke immer die heilige
Flamme der himmlischen Begierden in dir , halte
Seele und Leib rein , bewahre die Einfalt des
Herzens , die Lauterkeit deines Gewissens und
fliehe die Lauheit. Damit du aber das leichter
und gewisser bewirken könnest , so prüfe und
erforsche dich öfters des Tags , entweder allzeit
vor oder nach dem Gebete, erwäge gewissermaßen
von Stunde zu Stunde , wie du vor Gott ohne
Fehler und auf dem Pfade der Gerechtigkeit würdig
wandelst ; da aber keiner so ist und lebt, der gar
nicht fündigt gegen Gottes Ordnung und die
Gerechtigkeit , niemals etwas übersieht und ver
nachlässigt, darum ist es nothwendig, zum Reini
gungs- Bade der Buße zu eilen und uns in Reue
und Schmerzen über unsere Vergehen öfters an
zuklagen; diese Selbstanklage und dieses Sünden
Bekenntniß muß aber vollständig , wahr , offen,
ohne alle Bemäntelung , ohne alle Selbstentschul
digung und Zurückhaltung, ohne alle Verkleisterung
und Verkleinerung und in gehöriger Ordnung
geschehen ; dem verordneten Priester enthülle alle
294

deine Gebrechen wie vor Gott, fange an von dem,


was du unterlassen hast in dem , was du Gott
schuldig bist , namentlich im Gebete und zwar in
dem zwiefachen Gebete, dem mündlichen und inne
ren, dann gehe an das, was du nach Pflicht und
Gerechtigkeit unterlassen hast gegen deinen Näch=
sten , endlich was du gegen dich selbst gesündigt
hast, da du deine Sinne nicht bewahrtest und auf
diese Weise unordentliche Neigungen und Gedanken
in dir entstanden sind. Dieses Sünden-Bekenntniß
aber muß von Reue und dem ernstlichen Willen,
dafür genug zu thun , begleitet sein, dich müssen
alle deine Sünden , die großen , wie die kleinen,
reuen und schmerzen, der feste Entschluß muß sich
indir regen , nimmermehr zu fündigen , jede
Gelegenheit und Veranlassung zur Sünde abzu
schneiden, und sollte diese Gelegenheit dir bisher
so lieb gewesen sein, wie dein Auge, denn nichts
Geringeres fordert der Heiland von uns ; „ das
Auge , das dich ärgert, sagt er, muß ausgerissen
werden", das Liebste muß beseitigt und hinweg
geschafft werden , denn es kann durchaus nicht
unser Liebstes sein, wenn es uns auch so scheint,
denn seine Wirkung ist böse, und als solche gegen
uns selbst ; darum ist der Kampf in diesen Dingen
wahrlich nicht leicht und gering , und hier geht
es deutlich genug hervor , wie nöthig die For
derung unseres Herrn an uns ist : blind , taub,
stumm , unempfindlich zu sein gegen Alles , was

unserer Seelen Heil nicht fördert oder ihm gar
hinderlich ist. Damit dir aber das Halten der
Gebote und die Forderungen Gottes an uns leichter
und der Eifer für selbige in dir lebendiger werden,
295

so will ich dir fünf Dinge sagen , die du dir


wenigstens alle Tage einmal vorsagen und die
du ernstlich , herzlich und aufrichtig erwägen und
betrachten sollst, und zwar 1 ) kurz ist das Leben,
2) schlüpfrig der Weg , 3) ungewiß die Stunde
des Todes , 4) der Lohn wartet der Gerechten,
5) die Strafe ist bereitet für die Gottlosen. So
wirst du Gott dienen mit Furcht und wirst dich
freuen mit Zittern.
Fünfundzwanzigstens . Solltest du end
lich durch Gottes erbarmende Güte über dich
Alles wohl und recht thun und gethan haben,
so halte dich für nichts als für einen unnüßen,
fündigen Knecht, als Einen , welcher der Gnaden
Gottes ganz unwürdig ist. Halte dich fest und
unerschütterlich im Glauben, erfüllt mit göttlicher
Liebe harre mit aller Zuversicht , daß der Vater
aller Erbarmnisse den Schooß seiner Barmherzig
keit und Gnade dir öffne ; erbaue , ihm eine heilige
Wohnung in dir, lege das Fundament des Glau
A
bens tief in den Grund der Demuth , führe die
Wände auf , rein und schön gestaltet durch die
Liebe , geschmückt das Innere mit den herrlichen
Gemälden aller Tugenden, decke das ganze schöne
Haus , bedecke es mit der seligsten Hoffnung ; ist
nun Alles in gehöriger , guter Ordnung , dann
flehe den Allerhöchsten inbrünstig an : er möge
sich würdigen , da einzuziehen und das Haus zu
bewohnen, er ist ja der süße Gast treuer Seelen,
seine Lust ist es ja , • mit Menschen - Kindern um
zugehen ; flehe ihn an , er möge so lange bei dir
fein und wohnen durch seine Gnade , hier in
diesem armen , verwaisten Leben , bis du einst
296

würdig werdest , angethan von ihm mit dem


Kleide der Unsterblichkeit , die Herrlichkeit seines
Angesichts zu schauen mit allen Heiligen im himm
lischen Vaterlande in ewiger Freude , als dem
Ziele der Vollendung , und der Erfüllung all'
unserer Sehnsucht und Liebe.
Schließlich, mein geliebter Bruder, wisse noch
das : Alles , Alles ist vergebens und umsonst,
wenn wir uns nicht selbst verläugnen, nimmermehr
werden wir in die Fußtapfen unseres Heilandes
eintreten , nimmermehr seine Gnade von ihm er
werben, wir´ gäben uns denn die möglichste Mühe
und wenden den ernstlichsten Fleiß an Klopfst
du nicht fortgesezt an der Pforte , nimmermehr
wird dir aufgethan , nimmermehr wirst du zum
Frieden der Seele gelangen : erhältst du dich nicht
standhaft in der Furcht Gottes, schnell wird dein
Haus einstürzen und in Abgrund fallen . Uebst
du dich aber fleißig , unausgeseßt und treu in
den bisher genannten Punkten , dann hoffe ich
auf die Barmherzigkeit unseres Erlösers, er werde
dich seiner Gnade hier und einst seiner Herrlich
keit dort würdigen. Das wolle dir denn ver
leihen der Dreieinige und Eine, der da hochgelobt
sei in Ewigkeit. Amen. M
Geliebter Bruder , nicht deshalb schreibe ich
dir dieſes, als glaubte ich, es mangle dir daran.
Was ich hier geschrieben habe , habe ich zuvor
schon für mich selbst verzeichnet , denn ich kenne
meinen eigenen Wankelmuth und den wenig festen
Sinn in mir gar wohl ; dir aber , Geliebter,
wollte ich es nur mittheilen, daß du mein treuer
Mithelfer seist und das durch die Größe deines
297

Eifers und der Sorgfalt für mich erseßest , was


ich nach meiner Zaghaftigkeit , Nachlässigkeit und
Lauheit gar leicht übersehen kann ; und um so
mehr traue ich dir das zu , da ich weiß , wie
sehr du in diesen Lehrstücken der Einfalt mit mir
übereinstimmst und du ganz der Mann bist , der
sich dieser mit mir erfreut. Darum bitte ich dich
denn, du Geliebter in Christo, nimm dieses mein
Schreiben mit eben der Liebe auf und an , mit
welcher ich es dir übersende , damit du dir die
aufgezählten Lehren , deren Inhalt eben nicht
freudig und die Beobachtung derselben gar nicht
lustig, vielmehr etwas angreifend und ernst sind,
durch gottselige Uebung ganz eigen machest ; fie
werden dir dereinst allerdings die friedlichste Frucht
der Gerechtigkeit bringen und dich selig trösten
für die Zukunft, sie werden deine Seele mit dem
besten Weizen der innigsten Andacht in Jesu
Christo unserm Herrn speisene und sem wirst
du mich, den Hungerigen und nur an Worten
Reichen , in deinem Gebete anempfehlen , dem
Ehre, Herrlichkeit, Macht und das Reich gebührt
in Ewigkeit. Amen .
C
Noch ein

Sendſchreiben des heiligen Bonaventura,


enthaltend

dreizehn Lehrstücke zur Verhinderung


der Abnahme und zur
"J Förderung des
Wachstums im 7 geistlichen Leben.

Mit aller Einfalt des Herzens kamst du


gestern zu mir , geliebter Bruder Robert , und
batest mich herzlich , dir zu sagen , wie du Gott
wohlgefällig leben könnest. Dieser Bitte konnte
und wollte ich nicht ausweichen, ich sprach dar
über mit Eifer , Ernst und weitläufig mit dir ;
je mehr und anhaltender nun ich mit dir redete,
um so mehr wuchs deine Andacht , deine Auf
merksamkeit und dein Eifer, denn nach dreistündiger
Rede und Mahnung an dich, da ich mich leiblich
ermattet fühlte und deshalb die Rede schloß,
entgegnetest du mir : Vater , rede weiter , ich
höre so gern zu! - Ich aber verwies es dir,
mahnte dich zur Bescheidenheit und erinnerte
an meine weitere Pflicht gegen andere Brüder,
die zu besuchen , zu trösten und , wo es nöthig,
299

zu belehren mich der Gehorsam verbindet ; wehe


that mir , dir das zu sagen , mein Herz seufzte
und das Auge weinte ; du aber gingst ganz be
stürzt und betrübt von mir. Als ich nun nach
meiner Gewohnheit um Mitternacht aufstand,
um Gott meinen Schöpfer um seine Barmherzigkeit.
innigst anzuflehen , fiel mir die Stelle bei Ma
thäus im fünften Kapitel ein : ,,Wenn du deine.
Gabe auf den Altar opferst und erinnerst dich,
daß dein Bruder etwas wider dich habe , so
Lass' allda die Gabe und gehe zuvor hin und
versöhne dich mit deinem Bruder" ; da wurde
es nun auch mir ganz klar : ich könne unmöglich
mein Morgengebet Gott darbringen , bis ich
mich mit dir versöhnt und dich getröstet habe
nach der Gabe , die Gott mir gegeben hat. So
schreibe ich nun dieses kurze Wort für dich hin,
zu deinem Troste und deiner Erbauung ; befolgst
du es , dann wirst du dir und Anderen viel
nüßen. Dieſes kurze Wort aber sei zugleich der
ganzen Brüder - Versammlung gewidmet als ein
Mittel, welches , wohl gebraucht , sie vor Nach
Lässigkeit und dem Stilleſtehen auf dem Wege
des Geistes bewahren, aber ihr Wachsthum und
Fortschreiten in allem Guten und in der Gott
seligkeit befördern wird. Dieses Mittel habe ich
in dreizehen Lehrsäße eingetheilt und unter diesen
ist der erste: Sehe sich jeder als den Geringsten
und aller göttlichen Gnaden durchaus Unwür
digen an ; nie sich selbst gefallen zu wollen , nur
einzig Gott wohlgefällig zu werden , nicht als
ein Demüthiger , sondern als ein Unnüßer und
Nichtswerther von Anderen gehalten zu werden,
300

sei sein Wille und Absehen , er selbst aber sei


von seinem gänzlichen Unwerthe überzeugt und
diese Ueberzeugung danke er wieder der Gnade
und Barmherzigkeit Gottes , der sich gewürdigt
hat , einen so elenden und zu allem Bösen ge=.
neigten, zu allem Guten aber so trägen Menschen
als seinen Knecht anzunehmen , und nicht nur
das , sondern ihn sogar als sein Kind zu erklären
und . auf und anzunehmen. Nicht daß du im
Dienste des Herrn stehst , halte groß , sondern
daß er sich würdigt, dich als Diener anzunehmen,
das halte für die größte Gnade.
Zweitens. Dich betrübe nichts , außer
die Sünde und was dazu verleitet oder vom
Guten abwendet ; was sonst dir widerfährt, Leiden,
Verfolgung Verachtung und Schmach , deffen
freue dich, liebe herzlich die Liebelosen , bete
besonders für sie, danke Gott, daß er dir der=
gleichen an die Seite stellt, erkenne daraus, daß
er dich liebe denn ,,die Gott liebet , die züch
tiget er," und Leiden und Verfolgungen find
der Ruf zu Gott.
Drittens . Was zur Nothdurft des Leibes
und der Zeit gehört , dessen suche und wolle
nicht mehr , als diese Nothdurft erheischt , werde
Christo deinem Herrn in dieser leiblichen Armuth
und Entbehrung ähnlich ; und gestattet der Herr
diese Gleichförmigkeit mit ihm , so sehe das als
den höchsten Vorzug an , daß der König der
Könige, Christus , dich , den Elenden und Un=
werthen , mit seinem Kleide zu bekleiden sich
würdigt und der arme Erdenwurm in seines
Herrn Zierde erscheinen und ihm ähnlich werden
301

darf. Je mehr du dich im Glücke und zeitlichen


Ueberflusse erblickst , um so schmerzlicher sollte
dich das betrüben , da du noch in so weiter
und ungleicher Ferne von dem armen Christus
stehst.
Biertens. In gleichgültigen Dingen thue
immer eher Anderer , als deinen Willen , das
gelte besonders von äußeren Handlungen und
Verrichtungen , hier gelte für dich Selbstverleug
nung; ist die Sache an sich selbst erlaubt, thue
sie , wie es der Andere will , thue es gern, mit
Bereitwilligkeit gegen Alle , am meisten aber
gegen deine Vorgesezten.
Fünftens. Verachte auch den Geringsten
und Armseligsten nicht , trage ein Mutter-Herz
gegen Alle , erbarme dich Aller , wie die Mutter
des eingebornen Sohnes sich erbarmt , betrachte
ihre Noth und ihr Elend als deines , eile Jedem
zu Hülfe , wie dir selbst ; erblicke in den Armen
1
"
deine Helfer und Fürsprecher, ehre sie als solche,
die dich , nach des Herrn Wort , aufnehmen in
die ewigen Wohnungen.
Sechstens . Habe nicht sündlichen Argwohn
über deinen Nächsten , weißt du doch nicht, was
Gottes Gnade in seiner Seele wirkt ; nur die
offenbare , nicht mehr zu deckende Sünde des
Bruders ergreife so schmerzlich 1 dein Herz , als
wenn man dich leiblich tödten wolle , ist ja die
Seele, nun durch die Sünde so tödtlich verwundet,
köstlicher und eines höheren Werthes , als alle
und jede Leiber zumal. So wie du dich also
hütest vor dem leiblichen Tode , so solltest du
noch weit mehr sorgen , deinen Nächsten zu be
302

wahren und zu retten von der Sünde durch Gebet,


Ermahnung und Beispiel.
Siebentens. Das Gut deines Nächsten
liebe wie dein Eigenthum , freut sich doch eine
Mutter des Besizes ihres Sohnes . So sei jedes
Glück des Andern dir zur Freude und zwar zu
um so größerer, wenn die ihm gewordenen Gaben
Gegenstände des Geistes sind oder ihn doch we=
nigstens zum Leben des Geistes führen und
leiten. Wie du für dein Bestes sorgst und es
immer besser förderst , eben das thue und sorge
für das , was des Bruders ist. Traue dem
Anderen immer mehr Gutes zu, als du an ihm siehst.
Achtens. Außer Gott liebe Nichts , Nichts
so wie ihn, liebe ihn rein und geselle ihm nichts
bei. Liebe keinen Menschen mit besonderer
Liebe , sei er noch so fromm , ja heilig oder ein
großer Wohlthäter gegen dich, seine Frömmigkeit,
all sein Gutes , alle Menschen trage in Gott
über und liebe sie in ihm , + den Besseren mehr,
aber um Gotteswillen , vergelte das Gute ihm
mit Gutem , bete zu Gott für ihn.
Neuntens. Was immer du thun und
verrichten müſsest , so vergesse Gottes seiner
Ehre nicht , sein Name und seine Ehre behaupte
überall die erste Stelle ; der gegenwärtige Gott
aber sei dir so gegenwärtig , als schautest du
ihn, den Allgegenwärtigen , Allmächtigen , in
allen Dingen Wesenden , in seinem Wesen , so
ehre und fürchte , so liebe ihn , so genieße ihn ,
so viel als möglich , hienieden ; in ihm allein,
ausschließend Alles und Zedes , suche und sei
deine Ruhestätte .
303

Zehentens. Ist dir das genannte Gott


wesentlich Schauen , ihn Genießen und in ihm
allein Ruhen möglich und hast du es bis dahin
schon gebracht , so sei überzeugt , der Herr habe
dir seine höchsten Gaben gegeben ; doch auch der
anderen Wohlthaten Gottes erinnere dich täglich
und zwar , daß er dich zu seinem Ebenbilde
gemacht , daß er die menschliche Natur ange=
nommen hat und er jegt und für die Zukunft
dein Lohn selbst sein will. Damit dir aber seine
Liebe und Gnade ganz klar und sichtbar werde
und du ste lebendig fühlen könnest , so erblicke
ihn am Kreuze , das wird dein Herz ergreifen
und zum innigsten Mitleiden erregen , du wirst
gewissermaßen seine Wunden an deinem Leibe
tragen und fühlen und dein Schmerz wird sich
mehren , wenn du erwägst , daß diese unermeß
liche Wohlthat Gottes an so vielen Seelen
aus ihrer Schuld - verloren geht ; denkst du
so innigst liebend an Christus , so bete zu ihm
mit folgenden Worten :
Eilftens. Herr Jesu Christe, verwunde
mein Herz durch deine Wunden, tränke und
erfülle mein Inneres mit deinem Blute , daß
du, der Gekreuzigte, mir allenthalben und immer
gegenwärtig seist, wohin immer mein Blick fällt,
Alles nur in deiner Blutfarbe mir erscheine und
ich so, ganz in dich versenkt , nichts mehr finde,
als dich allein , nichts mehr erblicke und sehen
wolle , als deine Wunden ; mit dir zu sterben,
für dich zu leiden , o Herr , sei mein einziger
Trost, sei die immerwährende Betrachtung meiner
innigſten Liebe ! Nicht ruhe mein Herz, o gütigſter
304

Jesu , es ruhe denn in dir , denn nur wehe


kann ¡ mir sein ohne dich , du bist ja die Kraft
des Allmächtigen ! 1
Zwölftens. Es ist wahrlich zu erstaunen,
wie die Seele , die ein Mal nur die Süßigkeit
Gottes gekostet hat, sich je noch davon abwenden,
wie sie nicht Alles und Jedes vergessen könne,
sie, die da trunken worden ist von dem kostbaren
Weine des Herrn , wie sie noch etwas Anderes
berücksichtigen könne und möge , als ihren huld
vollsten Herrn , wie sie sich seiner höchsten Lieb
lichkeit nicht stets erfreuen könne, da sie ihn
allenthalben gegenwärtig weiß und ihn überall
finden 20 in ihm ruhen , ihn schauen , ihn lieben
kann. ,,, wie hat Israel Gott zum Trost, wer
nur reines Herzens ist" ,,,wie freundlich ist der
Herr in seinem Geiste !" wie bitter müßte es
einer solchen Seele sein , die auch nur auf einen
Augenblick feiner Huld und Süßigkeit entbehren
sollte.
Dreizehentens. Bringt Satan die be
unruhigende Versuchung dir bei : ob du der Aus
erwählten des Herrn Einer feiest ? so sollst du
ihm antworten: Stehe es mit mir, wie es wolle,
A
von dir, Satan, ist es gewiß, daß du verdammt
seist ; sollte aber auch ich einst verworfen werden
und meinen Gott nicht ferner befißen , so soll er
doch mein ſein und bleiben mein ganzes gegen
wärtiges Leben lang , und um ſo inbrünstiger
will ich ihn hienieden lieben , eben weil ich ihn
nicht lange, haben und besigen soll , und deshalb
soll auch nicht ein Augenblick hier vergehen, wo
ich seiner nicht innigſt genießen und mich freuen
305

will, da er mir einst entzogen werden soll ; weil


ich aber, wie du mich giftig angähnst , Satan,
einst bei dir sein soll, siehe da ! so will ich denn,
so lange ich nur immer kann, im Dienste meines
Gottes ausharren mit dem Herzen , mit dem
Munde, mit meinem ganzen Leben , mit jedem
Gliede meines Leibes und zwar jeden Augen
blick meines Lebens ; ihm so anhangen , das sei
mein Trost, keinen Anderen sonst will ich achten
und verlangen. Und meinst du , ich würde da
mit nicht ausreichen ? Gewiß, nimmermehr werde
ich verstoßen ! Dafür bürgen mir meines Gottes
Gerechtigkeit und seine Gerichte , die sich nie
widersprechen , dafür redet jeder Ausspruch des
heiligen Evangeliums ; lebe ich darnach , dann ist
eine Verwerfung meiner unmöglich ; auch spricht
der ganze Himmel für mich , die Mutter des
Herrn und alle Heiligen, ich berufe mich auf fie,
Maria ist der Sünder wegen die Mutter Gottes
geworden und der Sohn Gottes wollte der
Sünder wegen ein Menschen- Sohn werden ; Maria
ist somit die Mutter der Menschen und Jesus
der Menschen Erlöser. So steht mir denn der
Schooß der Barmherzigkeit von Beider Seite
offen , meinetwegen werden sie diesen herrlichen
Eigenschaften gewiß nicht entsagen. Bin ich aber
auserwählt und bestimmt zum Besiße des ewigen
Lebens mit allen heiligen Engeln , nun denn,
so will ich auch jezt ein englisches Leben führen
und mit allen Engeln und Heiligen singen : ,,Der
Herr ist mein Heil , darum will ich auf ihn
hoffen !" und daß mir dieser köstlichste Theil nie
entriſſen werde , was nur die Sünde kann , so
20
306

will ich fie meiden und mich vor ihr hüten mit
allem Fleiße. So vernimm denn , Satan , mein
lestes Wort : mag es kommen und werden mit
mir, wie es wolle , nimmermehr werde ich nach
laffen, meinem Gott zu dienen , wehe aber dir,
der du solchem Gott und Herrn nicht dienen
211!
willst !

14.

1½Î!!!

The

11, 1
1.
+

Lin Büchlein

von der Vollkommenheit des Lebens.

Vorrede

des heiligen Bonaventura.

,,Glückselig ist der Mensch, den du lehrst,


o Herr, den du in deinem Gefeße unterweiſeſt."
Y
Niemand ist weise , er habe denn die Salbung
des heiligen Geistes selbst empfangen , er allein
ist der wahre Meister und Lehrer der Weisheit ;
denn nur jener , sagt David der Prophet, ist
wahrhaft glückselig , er allein wahrhaft weise,
dem der Herr selbst das Gemüth 巢 öffnet und ihn
unterweiſet. ,,Das Gesez des Herrn allein ist
ohne Tadel , es allein erquickt die Seele und
führt sie zu ihrem Heile. Diese f Lehre des Ge
feßes Gottes und sein Unterricht darf nicht allein
nur von außen , in dem Buchstaben der Schrift,
gesucht und kann auch da allein nicht gefunden
werden , sondern das Suchen , wie das Finden
wird vielmehr nur dem frommen , gottergebenen
20 *
308

und nach Gott sich sehnenden Herzen vom Herrn


selbst gegeben. Suchen muß man aber im Geiste
und in der Wahrheit , damit Jener innen lehre,
der allein den äußeren trockenen , oft rauhen
Buchstaben in innere Süßigkeit und Salbung
auflösen kann. Der Inhalt des Gefeßes des
Herrn aber ist unsere Vorschrift, was wir thun,
meiden , glauben , um was wir bitten , was wir
verlangen , was wir fürchten sollen ; es lehrt
uns einen untadelhaften , unsträflichen Wandel,
es lehrt uns Zuversicht auf die Verheißung und
mahnt uns zur Reue über die begangenen Sünden
und Verirrungen , es befiehlt uns und lehrt
uns , die Welt zu verachten und dem Fleische
nicht zu huldigen , es lehrt uns nämlich , unser
ganzes Herz, unsere Seele und all unseren Sinn
einzig in Jesus Christus umzuwandeln und zu
gestalten. Sagt , was ihr wollt , ich behaupte :
Niemand ist weise , als der Gott liebt und
fürchtet, und wer nicht ist ein vergeßlicher
Hörer , sondern ein Thäter , derselbe ist wahr
haft weise und selig . " Darum noch ein Mal :
,,Glückselig ist nur der Mensch , den du lehrest,
o Herr, den du in deinem Geseze unterweiſeſt."
Da nun du, geliebte Schwester in Christo , du
fromme , gottergebene Seele , mich ersucht hast,
dir Etwas aus meinem geringen Geistes- Vorrathe
zur einstweiligen frommen Erbauung deines Herzens
schriftlich mitzutheilen , so muß ich dir freilich
bekennen , daß ich nur Einer der Geringen fei,
welcher dergleichen wohl selbst sehr bedarf für
fich, um so mehr, da weder mein äußerer Wandel
sich auszeichnet, noch die Andacht und der Gottes
309

Sinn innen so groß und auch mein Wissen


nicht glänzend ist ; indessen da deine Frömmigkeit
und deine Bitte an mich so dringend und mit
so vieler Demuth an mich gerichtet ist , so bitte
ich dich hinwieder, du fromme Seele , du wollest
in dem , was ich dir hier sende , eher und mehr
meinen guten Willen und meine Absicht berück
fichtigen, als den Inhalt desselben, und dich mehr
freuen der darin enthaltenen Wahrheit als der
zierlichen Schreibart ; und worin ich etwa deinem
heiligen Verlangen nicht ganz genüge , das sehe
mir gütig nach und rechne es der Kürze der
Zeit und meinen anderweitigen Pflichten und
Geschäften an. Damit dir aber das Suchen und
Finden im Büchlein leichter werde , so habe ich
den einzelnen Kapiteln die eigenen Aufschriften
vorgesezt. Das erste handelt von der wahren
Selbstkenntniß , das zweite von der Demuth,
das dritte von der vollkommenen Armuth , das
vierte vom Stillschweigen , das fünfte vom Ge
bete , das sechste vom Andenken an das Leiden
Christi unseres Herrn , das siebente von der
vollkommenen Liebe Gottes , das achte von dem
Verharren bis an das Ende.

Erstes Kapitel.

Wie der Mensch zur Kenntniß seiner selbst gelange.

Will die Braut Christi die höchste Stufe


der Vollkommenheit besteigen, dann muß sie den
Anfang dazu an sich selbst machen, alles Aeußere
bei Seite feßen und vergessen , sich einergeben in
310

7
ihr Inneres und ihre Fehler, Mängel, Gewohn
heiten, Neigungen , Werke , alle ihre begangenen
Sünden , gegenwärtige mie vergangene , alles
Fleißes erforschen , untersuchen und sich möglichst
prüfen ; fände fie auch nur den geringsten Fehler
in sich , so müßte sie ihn bereuen mit ernstlichem
Schmerz ihres Herzens. Damit dir aber, geliebte
Schwester , diese höchst nöthige Kenntniß leichter
und gewisser werde, so wisse : alle unsere Sünden
und lebel entstehen in uns entweder durch unsere
"
Nachlässigkeit oder durch unsere Begierlichkeit
oder durch eigentliche Bosheit. Auf dieſe drei
Punkte nun, welche die wahren giftigen Quellen
unserer Sünden sind, muß unsere Aufmerksamkeit
und Prüfung gerichtet sein ; ist das nicht , dann
werden wir nie zur Kenntniß unserer selbst ge=
Langen , wollen wir sie aber erhalten , so sollen
wir nachsehen , ob in unserem Herzen die Nach
Lässigkeit wohne oder gewohnt habe, nämlich wie
wir unser Herz bewachen , wie fahrlässig etwa
wir mit der Zeit umgehen , welche Absicht wir,
vielleicht eine sündliche , bei unserem Thun und
Lassen haben ? In diesen drei Punkten müssen
wir uns besonders prüfen , damit nämlich unser
Herz wohl bewahrt, die Zeit heilsam angewendet
und das rechte Ziel und Ende unseres Wirkens
im Auge behalten werde. Auch prüfen müſſen
wir uns , wie nachlässig wir gewesen im Gebete,
im frommen Lesen , in unseren Verrichtungen.
Auch diese drei müssen wohl beherzigt werden,
wollen wir anders gute Früchte bringen zu seiner
Zeit, aber nicht Eines nur mit Uebergehung
des Anderen , sondern alle drei müſſen gehörig
311

erwogen werden, denn einzeln genommen werden


fie uns wenig nügen. Ferner muß erwogen
werden unsere Lauheit in der Buße und Reue,
unser unkräftiger , nicht ernstlicher Widerstand
gegen das Böse , unser kaltes Bestreben nach.
Bollkommenheit ; denn schuldig sind wir , unsere
begangenen Sünden herzlich zu bereuen , 哥 den
Versuchungen des Satans kräftig zu widerstehen
und von einer Tugend zur anderen voranzuschreiten,
um in das Land der Verheißung, in das gelobte
Land zu gelangen. Sieh' , unter diesen Fragen
und Prüfungen wird } die Kenntniß deiner selbst
hinsichtlich der Trägheit und Nachlässigkeit f dir
werden. 1. č P
3 Willst du dich aber noch besser kennen lernen,
so prüfe dich zweitens , ob die Begierlichkeit der
bösen Lust , des Vorwizes und der Eitelkeit in
dir lebe oder sonst gelebt habe. Allerdings ist
das bei einem geistlichen Menschen ein Zeichen
des Hanges zur Wollust, wenn er seinem Gaumen
fröhnt , 2 weichlich 1 gekleidet , köstlich genährt sein
und üppig leben wollte. Allerdings würde der
Hang zum Vorwig in einer Magd des Herrn
sein wenn sie immer gern Heimlichkeiten ere
fahren gern etwas Schönes sehen , und immer
das Seltene und Besondere haben wollte. Aller
dings lebt der Hang zur Eitelkeit in der Magd
Christi , die nach Menschen Gunst strebt , sich
1
freut , wenn sie gelobt wird , und sich müht um
Menschen Ehre. O das sollte die Mago Jesu
Christi wie Gift verabscheuen , denn diese Dinge
find die Wurzel alles Bösen ! Ch mi dep of
* #Willst du nun zur gewiſſen und ganzspolle
312

kommenen Kenntniß deiner selbst gelangen, so


1
prüfe dich drittens , ob in dir sich äußere oder
sonst geäußert habe eine Bosheit, die Sünde der
Zornmüthigkeit , 1 des Neides , der Trägheit.
Hier, geliebte Schwester , merke vorzüglich auf,
was ich sage ! Jener geistliche Mensch ist un
widersprechlich ein zornmüthiger Mensch , der sei
nem Nächsten auch nur die kleinste Entrüstung,
nur einen Schein von Rache und sträflicher Em
pfindlichkeit zeigt oder zeigen kann , sei es durch
ein Wort , durch eine Miene , durch ein heftiges
Wort , oder wenn auch dieses sich nicht äußert,
er solches doch empfindet in seinem Herzen und
sich es da regt als Kränkung. Gewiß herrscht
der Neid in jener Seele , wenn man sich freut
über des Nächsten Unglück , betrübt wird über
sein Glück, es inwendig gleichsam wohlthut, wenn
der Mitbruder leidet, und es innen drückt, wenn
ihm Alles gut von Statten geht. Gewiß ist
jenes Herz ein träges , faules und zerschlagenes,
das verdroffen und schläferig ist zu allem Guten,
zum Gebete, zum Lobgesang , ohne Andacht und
Freude beim Gottesdienste , ohne Eifer bei der
Messe , dagegen aufgeweckt , ja leichtfertig in
Plaudereien , nur dann aber trauerig und nie
dergeschlagen, wenn die Einsamkeit und die Stille
ruft. Dem Allen muß die Braut Christi ent
fagen , es fliehen wie tödtendes Gift , denn Leib
C
und Seele gehen dadurch zu Grunde.
Iri Willst du demnach als eine gottgefällige Magd
Christi dich ganz und durchaus kennen lernen,
so gehe ein in dein Herz und lerne deinen Geiſt
prüfen und läutern , forsche , wer du seist , wer
313

du ehemals warst , wer du sein solltest und könn


test ; frage nach , wie dein ursprünglicher Stand
gewesen , wie dein jeßiger sei durch eigene Schuld
und Sünde und was und wie viel die Gnade
an dir noch thun wolle und könne. Höre auch
David's des Propheten Wort noch , es diene dir
zum Muſter der Nachfolge : „ Ich überlege , sagt
er, des Nachts mit meinem Herzen , ich sinne in
meinem Gemüthe nach und forsche meinen Geist. "
Er überlege, spricht er , mit seinem Herzen ; das
thue denn auch du ; er forschte seinen Geist
prüfe und läutere auch du deinen Geist, unter
suche deinen Grund und Boden , thue es ernst
lich, ohne Nachlaß und Schonung , einen Schat
wirst du finden , einen verborgenen , einen köst
lichen , eine Menge Goldes, des reinsten Goldes ;
je mehr du suchen wirst, desto mehr wird es dir
wachsen und sich mehren , mehren die Wissen
schaft und Kenntniß , wachsen und zunehmen die
Weisheit, denn diese Prüfung reinigt das innere
Auge , schärft die Einsicht , erweitert den Ver
stand , und nie wird Einer ein gerechter Beur
theiler sein über Andere , der sich selbst nicht
kennt und seinen eigenen Stand und seine Würde
nicht schäßen kann. Wie sollte der etwas wissen
und verstehen vom Geiste , von dem himmlischen,
von dem göttlichen , der seinen Geist selbst nicht
kennt , nicht achtet, nicht forscht ? Bist du noch
unfähig , in dich selbst einzugehen , bist du noch
nicht würdig , in den ersten Vorhof einzutreten,
wie solltest du es wagen dürfen , in den zweiten
einzugehen ? Möchtest du in den zweiten oder
in den dritten Himmel erhoben werden ? Sieh',
314

da ist der erste Durchgang in dein Herz und


durch dasselbe , und wie du das thun könnest
und sollest, habe ich dir ja oben fattſam gezeigt.
Doch die Lehre des heiligen Bernardus nimm
noch hin: Siehe zu , spricht er , daß du in Allem
rein und lauter wandelst , ; prüfe ernstlich und
immer dein Leben , sehe zu , ob du vor oder
rückwärts schreitest , wie du lebest und was du
"
wollest , wie ähnlich Gott oder wie unähnlich,
wie nahe oder wie fern du ihm seist ? Ach , es
ist nichts gefährlicher für einen geistlichen Men=
schen , als immer nur viel wissen zu wollen, sich
aber nicht zu kennen , von sich nichts wissen zu
wollen ; wie nahe steht solche Seele ihrem Ver
derben, die immer neugierig ist nach dem Frem
den, 1so gern den fremden Knecht beurtheilt und
richtet , um sich selbst aber sich wenig bekümmert.
mein Gott , wie kann ein geistlicher Mensch
so blind sein! Aber nicht fern ist der Grund
folcher Verblendung , das Herz ist nämlich viel
fach und unnüz zerstreut , und so kann es nicht
an sich denken , der Sinn und das Gemüth iſt
mit allerlei Bildern und Gestalten umhüllt, so
ist es nimmermehr fähig, sich selbst zu verstehen,
unordentliche Begierden treiben ihr loses Spiel
innen , so kann wohl das Verlangen nach himm
lischem Troste , nach dem sanften , stillen Frieden,
den 1Gott nur giebt , niemals erwachen , nie sich
bilden ; liegend nun und allenthalben umfangen
von den Schlingen der Sinnlichkeit , wie sollte
folche Seele im Stande sein , in sich einzugehen
und dort das Ebenbild Gottes schauen zu kön
nen? Diese elende Seele bleibt sich, leider ! im
315

mer ein Räthsel. So entferne denn Alles und


Jedes, gedenke deiner und lerne dich kennen.
Der selige Bernardus bat Gott : Lasse mich nichts
Anderes wissen, als mich. kennen, nichts Anderes
thun , als mich ſelbſt prüfen.

1
Zweites Kapitel.
Von der Demuth und wie man stufenweise zu ihr ge
Langen könne.
bune. .
Fi Wer nun aber seine eigenen Gebrechen und
Fehler mit dem inneren Auge schauen will , + der 窗
muß sich aufrichtig if! demüthigen unter die mäch=
1
tige Hand Gottes . So ermahne ich dich denn,
du Magd Christi , dich , sobald du dich in deiner
Schwachheit und Gebrechlichkeit erschaut und dich
kennen gelernt hast, dich zu demüthigen J und dich
selbst zu verachten. Ist ja doch die Demuth jene
Tugend , in welcher der Mensch aus . aufrichtiger
Kenntniß seiner selbst sich gering achtet. Diese
Tugend aber , meine Schwester , kannst du am
besten lernen von dem Sohne Gottes selbst , er
will sie auch uns lehren , denn er sagt : „ Lernet
von mir , denn ich bin sanft und demüthig von
Herzen." Wer sich Tugenden sammelt , sagt der
selige Gregorius , aber die Demuth vergißt , der
wirft Stoppeln in Wind , denn wie der Anfang
aller Sünde die Hoffart ist, so ist der Grund
und Boden aller Tugenden die Demuth ; aber
die wahre , nicht die falsche und verstellte , nicht
V
die Demuth der Heuchler soll unsere sein , davon
spricht der Weise : ,,Ein Schalk kann den Kopf
hängen und ernst sehen, und ist doch eitel Betrug

Na
316

in ihm." Nicht zu scheinen und dafür angefe


hen werden zu wollen als Demüthiger , sondern
es wirklich zu sein , verachtet zu werden von
Anderen und das gern zu tragen , ist Demuth.
Willst du denn also , geliebte Schwester , zur
wahren und ächten Demuth gelangen , so wisse :
drei Stufen führen zu ihr , die sollst du bestei
gen. Die erste ist : Eehe auf Gott und erkenne
ihn als den Urheber und Schöpfer alles Guten,
sprich : Du , o Herr, hast Alles gewirkt in uns !
Und weil er denn Der ist, so mußt du auch ihm
Alles und dir Nichts beilegen , denn nicht * deine
Stärke, nicht deine Macht hat dir das zuwege
gebracht , was du hast des Guten ,,,er hat uns
ja gemacht und nicht wir uns selbst." Dieser
wahre Gedanke schlägt alle Hoffart nieder , und
nur Thoren und Unsinnige können sagen : „ Un
sere starke Hand und nicht der Herr hat das
Alles gewirkt" ; es war die Hoffart : Lucifers, die
ihn aus dem Himmel brachte , der Uebermüthige
dachte nicht , daß Gott ihn aus Nichts gemacht,
er sah nur auf seine Schöne und Herrlichkeit,
die alles Geschaffene übertraf ; so riß ihn der
Hochmuth hin , und weil immer die Hoffart vor
dem Falle und der Schande einhergeht , so ward
er sogleich ausgestoßen von dem Siße seiner
Herrlichkeit und stürzte in die äußerste Schande
und das ungeheuerste Elend ; der erste der En=
gel ist nun der elendeste unter den Teufeln.
D daß doch dieser stolze , freche Geist nicht so
viele Nachfolger , nicht so viele Söhne und Töch
ter hätte, daß er nicht dergleichen ſelbſt unter
sogenannten geistlichen Leuten hätte , an denen
317

die Hoffart Lucifers das Unerträglichste aller


Unerträglichkeiten ist ! Du aber , o Magd Christi,
die du bestimmt bist , einst die herrliche Stelle
des verstoßenen Engels einzunehmen , vergiß der
Demuth nicht , denn sie allein macht den Men
schen wie den Engel Gott wohlgefällig , verge=
bens ist die Jungfrauschaft ohne die Demuth,
nicht wäre die Jungfrau Maria die Mutter Got
tes geworden, hätte Hoffart in ihrer Seele gelebt,
nur die Demuth hat sie in solche Würde verseßt ;
ohne Demuth ist keine Tugend denkbar , und
wäre sie da , sie würde sich als Hoffart zeigen.:
Die zweite Stufe ist das Andenken Christi, A
des bis zur schimpflichsten Todesstrafe erniedrig
ten Christus . Seiner gedenke , er erniedrigte sich
so tief, daß er der Auswurf des Volks wurde,
wir hielten ihn , sagt Jesaias , als einen Aus
säßigen und als einen von Gott Geschlagenen “,
er war das elendeste Menschen - Bild seiner Zeit.
Hat sich nun unser Herr und Meister so tief ges
demüthigt , so werden doch die Knechte des Herrn
nicht höher stehen wollen , als der Herr , und
der Schüler wird nichts Besseres verlangen , als
der Meister ? Du Magd Christi, du seine Schü=
lerin , willst du anders sein ? Wie verabscheuungs
würdig ist vor dem Herrn ein demüthiges Kleid
und darunter ein Herz voll Hoffart ! Welch ein
elender Christ ist der , welcher hinsehen kann auf
seinen in Demuth und Verachtung wandelnden
Herrn und hinschreitet im frechen Stolz und in
großen Dingen über sich ! Was kann fluchwür
diger sein an einer Braut Chriſti, was ſtrafwür

diger an einer Magd Christi , als wenn sie sich
318

beigehen läßt , sich zu erheben , fie , der Wurm ,


der Staub , da sie doch weiß , daß der Bräuti
gam und der Herr Knecht , der Allerhöchste
der Allergeringste , der Unermessene klein und
verächtlich geworden ist ? Recht sagt von solchen
der heilige Augustin : Was dehnſt und blähſt
du dich auf, du todter Balg, wie magst du dich
zeigen, du ekelhaft triefendes Aas ? Das Haupt
in Demuth, das Glied in Hochmuth, iſt das nicht
schändlich und häßlich ?
Die dritte Stufe , welche zur vollkommenen
Demuth führt, ist der ernstliche Hinblick auf dich
felbst. Dann aber blickst du ernstlich auf dich,
geliebte Schwester , wenn du erwägst , woher du
gekommen seist und wohin du gehest. Dein Ur
sprung ist. Staub und Erde , dein erster Wandel
in der Sünde , ein Fremdling ist deine Seele,
vertrieben vom Vaterlande, ausgestoßen aus dem
seligen Paradiese. Bedenkst du das , dann wird
der Stolz des Herzens fich legen , dein Inneres
wird erseufzen und in die Klagworte der drei
Jünglinge bei Daniel ausbrechen : ,,Unserer Miffe
thaten wegen sind wir verachtet auf der ganzen
Erde!" Erwäge , wohin du gehst. Staub und
Asche ist , wie dein Ursprung , so dein Ende,
denn Staub bist du und sollst wieder zu Staub
werden ! Sollte Staub und Erde übermüthig
sein können ? " Heute sind wir und morgen nicht
mehr , heute gefund , morgen e frank ; heute sind

wir flug und weise, morgen etwa sind wir Thoren
und handeln als solche ; heute umgibt uns Reich
thum und Macht , morgen sind wir Bettler und
armselige Geschöpfe. Und ein Christ könnte so
319

4
elend und blind sein und sich brüsten und groß
machen, während ihm so viel Jammer, Armselig
keit und Gefahren von allen Seiten drohen ? So
lerne denn die gottgeweihte Seele den Geist der
Demuth, dieser allein findet Gnade vor Gott,
durch diesen Geist fand Maria Gnade vor dem
Herrn. Er sah an meine Demuth und Niedrig
feit", fang fie in ihrem Dankliede , und dessen
darfst du dich nicht wundern , denn die Demuth
ist's , die der Liebe den Weg bahnt , die dem
Herzen alles Eitle entnimmt ; je leerer wir an
Stolze , sagt Augustin , um so reichlicher ist in
uns der Segen der Liebe , es fließt ja bekannt
lich das Wasser in die Thäler und die Gnade
des heiligen Geistes in den Grund der Demuth,
und je schneller das Wasser fließt und so sein
Ziel cher erreicht , um so schneller führt ein
steter und unausgeseßter Wandel in wahrer
Demuth die Seele . Gott und feiner Gnade ent
gegen. ,,Das Gebet des Demüthigen, sagt Sirach,
dringt durch die Wolken und lässet nicht ab, bis
es hinzukomme , und hört nicht auf, bis der
Höchste drein sehe." " So demüthige dich denn,
du Dienerin Gottes , + du Magd Christi , liebe
die Niedrigkeit , lass' auch den Gedanken des
Stolzes nicht eingehen in dein Herz , ist ja der
Meister der Demuth dein Meister und Lehrer,
unser demüthiger Herr Jesus Christus ! Auch 12
hast du eine demüthige Mutter , deine hochver
ehrte Mutter , die demuthsvolle Jungfrau und
·
Mutter Maria ! So aber sollst und mußt du
fie lieben und üben die Demuth , daß die Ge
duld die Zeugin sei und werde für sie , und
320

nicht nur Zeugin, fie muß die eigentliche Tochter


der Demuth sein , denn nimmermehr iſt jene die
wahre Demuth , die dieser Tochter ermangelt.
Höre , was der selige Augustin sagt: Das ist
weder etwas Besonderes noch Schweres, gering und
arm sich zu kleiden, mit niederhangendem Haupte
einherzugehen und so die Demuth zu beweisen,
die Geduld muß die Probe der Demuth sein ;
Sirach sagt: ,, Alles , was dir widerfährt , das
leide und sei geduldig in allerlei Trübsal." Leider
muß ich aber , fährt Augustin fort , bekennen :
Viele aus uns wollen nun stolz sein als Geistliche,
dien als Weltleute einst nur sehr gering und un
bedeutend waren ! Darüber äußert sich der selige
Bernardus umständlicher : Ich sehe zu meinem
größten Schmerze , sagt er , wie Manche , nach
dem sie der Welt und ihrer Pracht entsagt haben,
nun erst in der Schule der Demuth die Hoffart
lernen und unter dem Schatten des sanften und
demüthigen Lehrmeisters Christus noch über
- müthiger und unleidlicher werden , als sie ehe
mals waren oder nur gewagt haben würden als
Weltleute ; ja , was noch weit verkehrter ist :
Viele wollen und können im Hause des Herrn
durchaus keine Verachtung oder sonst eine Zu
rückseßung ertragen , die ehemals doch in ihrem
eigenen Hause und unter ihren Angehörigen
immer nur die Lehten und Unbedeutendsten ge=
wesen sind und solche wahrlich auch geblieben
wären. So befolge denn , o geliebte Tochter,
befolgt ihr Alle , du und deine Mitschwestern,
meinen Rath : geſellt zur jungfräulichen Reinig
keit die Demuth , ziert die Demuth mit jung
321

fräulicher Reinheit , beide vereinigt sind eine


köstliche Perle in Gold gefaßt. Schließlich bitte
ich als Bruder dich , meine Schwester, thue, was
ich dir jezt sage , es wird dir nüßen : fliehe die
stolzen Mägde, fliehe sie wie giftige Schlangen ;
verabscheue eine stolze Jungfrau , verabscheue sie
wie den Satan, fliehe den Umgang der Stolzen,
fliehe vor ihnen wie vor tödtendem Gifte. Willst .
du wissen, warum ich hier so ernstlich dich mahne ?
Ich möchte dich vor Ansteckung bewahren ; $ denn
höre nur , was ein weiser Mann sagt und wie
er das Bild der Hoffart schildert : Jeder Stolze
ist unerträglich, sein Benehmen ist unausstehlich,
fagt er , der Anzug bis zur Ueberladung ekel
haft ; sieh' den abgemessenen, steifen Schritt, den
trogigen Blick, die wilde, abstoßende Mieue ! Der
erste Plaß muß sein sein , besser als er darf
Keiner sein, denn so wie er kann ja Keiner sein,
feine Worte sind Richter- und Weisheits - Sprüche,
was er sagt , kann keiner sagen , was er thut
und gethan hat , hat keiner gethan ; das ist der
immerwährende Inhalt seines Sprechens , von
der Achtung oder Nachgiebigkeit gegen Andere
weiß er nichts und will das auch nicht wissen.
Und mit solchen Geschöpfen könnte eine Magd
Christi sich einlassen ? die Braut des Herrn nicht
fliehen vor diesen ? sie sollte nicht fürchten , von
diesem Gifte ergriffen und angesteckt zu werden ?
Wisse , was Sirach sagt: Wer sich gesellet zuin
Hoffärtigen , der fernet Hoffart."

21
322

Brittes Kapitel.
Von der geistlichen Armuth.

Die Armuth ist eine zur wahren Vollkom


menheit unumgänglich nothwendige Tugend, ohne
die erste kann die zweite nicht erreicht werden,
der Herr selbst sagt das deutlich genug : Willst
du vollkommen sein, spricht er, so gehe hin, vers
taufe , was du hast , und gieb es den Armen."
Schmeichle sich doch keiner , als habe er die
wahre Vollkommenheit erreicht , ohne die höchste
Armuth sich eigen gemacht zu haben , denn die
höchste Armuth des Geistes ist ja nichts Ande
res , als eben die höchste Vollkommenheit des
Geistes , und diese ist hinwieder jene. Wer die
Armuth nicht liebt , sagt der fromme Hugo vom
heil. Viktor, er habe sonst noch so mancherlei Gaben
des tugendlichen Sinnes , der rede doch ja nichts
von schon errungener Bollkommenheit. Nun aber
find zwei Beweggründe , die den geistlichen Men
schen die Armuth lieb und nachahmungswürdig
machen sollen ; und zwar erstens das Beispiel
unseres göttlichen Herrn selbst , das über allen
Widerspruch erhaben sein muß ; zweitens die
göttliche Verheißung , die uns über Alles gehen
muß. Die Liebe also zu unserem Herrn Jesus
Christus ist der erste Beweggrund zur Liebe der
Armuth bei einer Magd Christi , denn er ward
arm geboren , hat arm gelebt und ist arm ge
storben . Sieh', wie er dir vorgegangen ist als
Muster der Armuth , um dir dieselbe lieb und
werth zu machen. An diese Armuth des Herrn
323

erinnert uns der Apostel in seinem Briefe an


die Corinther : Ihr wisset, sagt er , die Gnade
unseres Herrn Jesu Christi , daß , obgleich er
reich war , ward er doch arm um euertwillen,
auf daß ihr durch seine Armuth reich würdet."
Ja , so arm war hienieden der Herr , daß er
oftmals sein Nachtlager mit seinen Jüngern su
chen mußte außer den Städten und Dörfern ;
so steht geschrieben bei Marcus : ,,Da er Alles
besehen hatte , ging er am Abend hinaus gegen
Bethanien mit den Zwölfen , und des anderen
Tages , da sie von Bethanien gingen , hungerte
ihn." Er besah Alles , d. h . er sah sich allent
halben um , ob ihn jemand aufnehmen wolle zur
Herberge , denn er war so arm und dabei so
wenig zudringlich , daß er in dem großen Jeru
salem keine Herberge fand ; deshalb sagt er von
sich selbst : ,,Die Füchse haben ihre Höhlen und
die Vögel des Himmels ihre Nester , des Men
fchen Sohn aber hat nicht , wohin er sein Haupt
lege." Aber nicht nur als ein armes Kind wollte
er geboren werden , nicht nur als Jüngling und
Mann arm leben , sein Tod sollte der armseligste,
und er der ärmste und verlassenste aller Men
schen sein. O ihr Alle , die ihr die Armuth er
wählt habt , merkt auf und seht , wie der König
des Himmels und der Engel wegen uns so arm
geworden ist in seinem Tode ! Er ward sogar
feiner Kleider beraubt , denn fie looseten über
fein Kleid" ; nicht nur seine göttliche Ehre, auch
die menschliche ward ihm geraubt, denn als Got
teslästerer ward er behandelt. Von dieser tief=
sten Armuth Jesu redet Bernardus : Seht an,
21 *
324

spricht er, den armen Christus , geboren wird er


in keiner menschlichen Wohnung , in einer Krippe
liegt er , arme Windeln sind seine Bekleidung ;
seht ihn auf seiner Flucht nach Egyten , erblickt
ihn nackt und bloß hängend am Kreuze ! Welch
verworfene , nichtswürdige Seele muß der Christ
sein, der noch dem Reichthum nachjagt und die
Armuth verabscheut , der da sieht und hört , wie
Gott, der Herr und König Himmels und der
Erde, der eingeborne Cohn Gottes so unge=
wöhnliche Armuth auf sich nahm ! - Der Heide,
der Gott nicht kennt , der Jude , der nur von
zeitlichen Belohnungen weiß , die mögen dem
Reichthum nachjagen , du aber , die gottgeweihte
Jungfrau, die Magd Christi , wie solltest du im
Stande sein, nach Reichthum und Besiß zu lü
stern? Dich wird doch die Sorgfalt nicht pla
gen für dein zeitliches Fortkommen , du kanuſt
doch nicht denken , es werde der Herr je seiner
Treuen und seiner Nachfolger vergeſſen in diesen
Kleinigkeiten des Leibes ? Ist dir ja doch das
Wort der armen Mutter des armen Jesus be=
kannt: ,,Die hungerigen füllt er mit Gütern
und läßt die Reichen leer", und jenes des Pro
pheten David : ,,Die Reichen müssen darben und
hungern, aber die den Herrn suchen, haben keinen
Mangel an irgend einem Gute ," und das Wort
des Herrn selbst an seine Jünger : ,,Seid nicht
ängstlich besorgt und sprecht : was werden wir
essen und trinken ? weiß ja doch euer Vater Al
les , was ihr bedürft ," endlich die bejahende
frohe Antwort der Jünger auf die Frage Jesu
an sie: ,,Wenn ich euch sendete ohne Säckel, Ta
325

sche und Schuhe , hat euch an Etwas gefehlt ?


und sie antworteten : Nichts hat uns geman
gelt. - hat nun der Herr die Seinen unter
den harten , oft so gefühllosen , ja grausamen
Juden zu erhalten gewußt, wie sollte er nun
die aufrichtigen Nachfolger seines armen Lebens
mitten unter Christen und Gläubigen vergessen ?
Nun denn,,,so werft all eure Sorge auf ihn,
denn er sorgt für euch. " Sorgt nun der himm
lische Vater so väterlich für uns , wie kommt es
denn , daß wir uns dieser vergänglichen Dinge
so ängstlich annehmen ? Ich kann mir wahrlich
keine andere Ursache dessen denken , als : wir
haben Gottes unseres Heilandes vergessen , die
Flamme der Liebe ist eingesunken und erloschen,
erkaltet der sonst rühmliche Eifer. Wer große
und heftige Hiße fühlt , entledigt sich aller über
flüssigen Kleidung , nur der Frost und die Kälte
nöthigen uns zur vielfachen ; fühlten wir denn
in uns die Hiße oder wohl gar die Flamme der
Liebe zu Gott und unserem Herrn Jesus Christus,
wie würden wir nicht Alles von uns abwerfen
und als Nackte und Arme dem armen und nack
ten Jesus nachfolgen ? Aber kalt ist es in und
um uns, darum haschen und greifen wir so ängſt
K
lich nach dem Zeitlichen. 5 wir Harten und
Undankbaren gegen Christus ! Unsertwegen hat
er seine Heimath , den Himmel , verlassen , sich
entfernt von seinen Freunden, den heiligen Engel
Geistern , hat das Haus seines Vaters , den
Schooß seines Vaters verlassen und ist arm,
verächtlich und verstoßen worden um unfertwillen,
und wir wollen und können uns der armseligen
326

Vergänglichkeit dieser Welt nicht entreißen ?


Sprichst du: ich habe ja die Welt verlassen !
nun denn : das hat wohl der äußere Mensch ge=
than , aber der innere , dein Herz , dein Sinn,
dein Gemüth , deine Neigung , wie treiben sich
diese noch herum in ihr, wie sind sie so ganz ver
funken in ihr ? - Du fromme Magd Gottes, sei
du hierin das rühmliche Gegentheil , vergiß nie
deines armen Jesu , verlange nie nach dem, was
er nicht hatte , nicht haben wollte , nach Ehre
und zeitlichem Gute ; fie zu haben und daran zu
hangen , ist ein nuglos Ding , sie zu lieben und
doch nicht zu haben , ist gefährlich , sie zu haben
.
und doch nicht zu lieben und an ihnen zu han
gen , kostet viel Mühe und Ueberwindung ; so ist
nun wohl das Beste , das Sicherste , das Heil
famste und Ruhigste für dich : sic weder zu haben,
noch zu lieben , sie nicht zu besißen , nicht daran
zu hangen ; das ist der Rath deines Herrn , das
war sein Leben , das sein Beispiel , das er dir
giebt und wodurch er dich die Arinuth lieb ge
winnen machen will. Oselige Armuth , wie
werth machst du deine Liebhaber bei Gott , wie
ficher und ungefährdet in der Welt ! Denn wie
follte der Etwas fürchten in der Welt , welcher
nichts hat, was er liebt an und in der Welt ?
Der zweite Beweggrund , der in dir die
Liebe der Armuth erregen soll , ist des Herrn
Verheißung, die unschäßbar ist. O gütigſter
Herr Jesu , der du Allen Alles bist , wer kann
es aussprechen , wer beschreiben und ganz füh
len, was du deinen Armen verheißen hast ? Dieſe
Geistesarmen gehen ein in jene lichtvollen Woh
327

nungen , werden Mitbürger jenes heiligen von


Gott selbst erbauten Jerusalem , umstehen den
Thron der Herrlichkeit Gottes. Das hat dein
heiliger Mund selbst ausgesprochen , das hast du
ihnen selbst verheißen , da du sagtest : ,,Selig
find , die da geistlich arm sind , denn das Him
melreich ist ihr", und dieses Himmelreich bist du ty
selbst , o Herr , A du König der Könige , du Herr E
der Herrschenden , du selbst willst und wirst ihr
+
Lohn , ihre Vergeltung , ihre Freude sein , dich
werden sie genießen , deiner werden sie sich freuen,
du wirst fie sättigen ; da wird das Wort in Er
füllung gegangen sein , das du uns sagen ließeſt
durch den Propheten : ,, Die Elenden und Armen
sollen effen , daß sie satt werden , und die nach
dem Herrn fragen , werden ihn preisen euer
Herz soll ewiglich leben."

Wiertes Kapitel

Von dem Stillschweigen' und wie es den geistlichen Leuten


so nothwendig sei. F

Nicht wenig fördert die Vollkommenheit eines


geistlichen Menschen die Tugend des Schweigens,
denn ,,so wie es da nicht ohne Sünde abgeht,
wo 哥 viel Worte find" , so muß im Gegensage あ
die Sünde sich entfernen , wo nur wenig und
selten Worte sind. Viel Reden beleidigt gemein
lich Gott und den Nächsten , das Schweigen
aber gründet die Gerechtigkeit, die denn zu einem
Baume erwächst, der köstliche Frucht bringt,
nämlich die süße Frucht des Friedens . Da nun
328

aber der Friede und die Eintracht in einer geiſt=


lichen Versammlung so höchst nöthig sind , so ist
wohl das Schweigen , wodurch der äußere wie
der innere Friede erhalten wird , nicht weniger
nöthig. Davon steht bei dem Propheten Isaias
geschrieben : und der Gerechtigkeit Frucht wird
Friede sein , und der Gerechtigkeit Nuß wird
Stille und Sicherheit sein"; das heißt doch wohl :
das Schweigen hat solche Kraft , daß es die
Gerechtigkeit in dem Menschen erhält und zwischen
ihm und seinem Nächsten den Frieden nährt und
bewahrt ? Wer hierin nachlässig ist , wird nicht
nur die ihm durch die freie Gnade des Herrn
gewordenen Gaben schnell verlieren , er wird sich
noch überdieß in mancherlei Uebel und Verge=
hungen stürzen ; ,,die Zunge nämlich , sagt der
Apostel Jacobus , ist zwar nur ein klein Glied
und richtet große Dinge an , die Zunge ist ein
Feuer , eine Welt voll ungerechtigkeit" , denn
durch sie entsteht beinahe jede Unthat. Soll ich
fie dir aufzählen , o Magd Gottes , die Uebel
zumal, die eine zaum- und zuchtlose Zunge her=
vorbringt und stiftet ? Höre sie und erschrecke :
von ihr gehen aus Gottes- und Menschen-Lästerung,
Streit und Zank , Zwiespalt , Meineid , Lüge,
Ehrabschneidung, nichtswürdige Schmeichelei, Flu
chen , Schimpfen, lieblose Neckereien , Hohn über
die Guten, Aufwiegelung, falsche Gerüchte, Groß
sprecherei , Berrätherei des Anvertrauten , un
verschämtes Dräuen , verlogene Zusagen , Plau
dereien, schamlose Zoten und Possen. Das iſt
doch wahrlich eine große Schande für eine gott
geweihte Jungfrau , die Zunge nicht beherrschen
329

zu wollen oder zu können , von der so viele


Schändlichkeiten ausströmen ; der soll doch nicht
reden vom Tugend-Besiß , der schamlos immer
und gegen Alle Zucht und Ordnung schwäßt ;
ihn verurtheilt die Schrift in den Worten : ,,So
sich jemand unter euch lässet dünken , er diene
Gott und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern
verführt sein Herz , deß Gottesdienst ist eitel."
Ihr Bräute Jesu Christi , seht hin auf eueren
Tugend- Spiegel Maria , lernt von ihr die Ord=
nung T des Schweigens , leset das Evangelium ,
und ihr werdet finden , wie selten diese sittsame
Jungfrau und mit wie wenigen Menschen sprechend
fie aufgeführt wird ! Vier Personen nennt die
Schrift , mit denen sie sprach , und sieben Worte
find 1 es, die sie sprach: mit dem Engel zwei, mit
ihrem Sohne zwei , mit Elisabeth zwei und eins
mit den Aufwärtern bei der Hochzeit zu Kana.
Hier mögen wir uns unserer Geschwäßigkeit
fchämen , uns schämen unseres thörichten Hanges
zu fündlichem und unvernünftigem Plaudern,
und zugleich den hohen Nußen des frommen
Schweigens erwägen. Das Schweigen bringt
uns zu uns selbst, zur Kenntniß unserer selbst,
zur Reue und Zerknirschung über uns selbst.
Echweigt die Zunge, ist der äußere Mensch still ,
überlegt der innere dann seine Wege , kann er
ruhig nachdenken über seine vielseitigen Verirrungen
und Mängel , so wird die Scham erwachen und
die Reue, das sagt David in den Worten : ,,Jch
schwieg , ich war still , ich redete nichts vom
Glücke und von der Freude und mein Schmerz er
neuerte sich." Das Reden und das Schweigen.

$
330

zeigen deutlich , wer und woher wir sind , die


Sprache verräth das Vaterland , die fremde
Sprache zeigt uns als Fremde , die einheimische
als Eingeborene ; leben wir nun in der Welt
und reden doch nicht von der Welt, so wird
fich's zeigen , daß unser Vaterland im Himmel,
wo unser Herz , Sinn und Neigung ist; denn
wer von der Erde ist , sagt unser Herr , der
redet von der Erde, und der von oben ist, redet
von dem , was oben , was über alles Jrdische
erhaben ist. Nichts aber wird uns zu dieſem
Stillſein nach außen dienlicher sein , als die
Entfernung von Menschen und das zurückgezogene
einsame Leben ; denn haben wir uns einmal
über das Frdische emporgeschwungen , so dürfen
wir ja wohl nicht Tröſtungen und Tröster suchen
auf der Erde , unser Trost ist Gott , den findest
du aber am gewiſſeſten in der Einsamkeit und
in der Stille ; ist aber er bei uns , wie sollten
wir neben ihm noch nach einem Menschen verlangen ?
Wissen wir ja, und wollen darnach thun , was
der Prophet sagt : „ Er wird einſam ſizen und
still sein und sich erheben über seine Armselig
feit"; er wird einsam figen , dem Lärm der
Menschen sich entziehen und still sein , da er des
Himmlischen und Ueberirdischen gedenkt , er wird
fich emporschwingen über sich selbst , über alle
ihn umgebende menschliche Armseligkeit und so=
mit die himmlische Wonne kosten. Erinnere dich,
du Braut Christi : von jedem unnüßen Worte
müssen wir dem göttlichen Richter Rechenschaft
geben ; das ist aber ein unnüßes Wort , das
ohne Noth und ohne Nußen des Zuhörers ge
331

sprochen wird . Aus dem Allen geht nun der


Schluß hervor : weit beffer und heilsamer iſt
Schweigen als Reden , und der Weise sagt :
Oft hat mich das Reden, nie noch das Schweigen
gereut.

Fünftes Kapitel.

Vom Gebete und wie man zu Gott beten solle.

Eins der nothwendigsten Mittel zu unserem


geistlichen Fortkommen ist die stete Uebung unseres
Herzens im Gebete ; denn der sich Gott ergeben
hat und öfters , ja anhaltend im Gebete sich
nicht übt , ist nicht nur ein ganz elender und.
unnüßer Mensch , sondern er ist wahrhaft todt
vor Gott , obgleich er leiblich lebt. Das Gebet,
meine geliebte Tochter , ist die erſte und sicherste
Waffe gegen die Anfälle und Arglist des Satans,
der uns niederhalten und den Aufschwung nach
oben uns hindern will ; wer demnach das Gebet
versäumt und sich nicht immer darin übt , der
flage nicht, daß er den Versuchungen so oft und.
so schändlich unterliegt. Plagt dich #1 die Ver
fuchung, will sie deiner sich ganz 养 bemächtigen,
sagt der selige Ifidor , fliehe zum Gebete, bete
so oft , als die Sünde sich regt , das öftere
Gebet löscht die böse Flamme. Das hat 2 uns
der Herr in dem Evangelium gesagt mit den
Worten: ,,Betet und wacht , damit ihr nicht in
x
Versuchung fallet." Ja , das wahre Herzens
Gebet ist zu Allem nüße , immer bringt es seine
Früchte ; was die ganze Welt nicht geben kann,

giebt das Gebet , es giebt uns den Himmel.
332

Damit du aber wissest , was und wie du beten


sollst, so nimm von mir die Anweisung , wie der
Herr sie mir gegeben hat , obgleich ich noch gar
sehr fühle, daß ich eher als du einer solchen An
weisung bedarf.
Wisse also , du theuere Magd Gottes : zum
wahren Gebete gehören drei Dinge und zwar
erstens sobald du dein Gebet anfangen willst,
deine äußeren Sinne gesammelt hast , Leib und
Seele zu Gott gerichtet sind , so denke in wahrer
Liebe an Gott und mit reumüthigem und zer
+
knirschtem Herzen an deine Armseligkeiten, Schwach
heiten und Sünden , sowohl an die vergangenen,
als gegenwärtigen und zukünftigen ; erinnere dich
nämlich , wie vielfach und schwer du dein Leben
lang schon gesündigt, wie viel Gutes du ehemals,
selbst jezt noch , wo du dem geistlichen und hö
heren Leben dich gewidmet hast, unterlassen, wie
bu dadurch deines Gottes vielfacher und großer
Gnaden dich verlustig gemacht habest. Da wirst
du deutlich erkennen , wie fern du geworden bist
deinem Schöpfer, du, die ihm einst so nahe war,
wie unähnlich du ihm geworden , die einst ihm
Gleichförmige, wie herrlich und schön einst deine
Seele war vor ihm, die nun so häßlich und elend
vor ihm steht. Erwäge , wohin die Sünde dich
führewahrlich, nur zur Höllen-Pforte ! was dir
bevorstehe ; das schreckbare Gericht ! was dir für
solch Leben werde ; ach, nur der ewige Tod , die
ewige Flamme ! O diese Gedanken werden dir
schwer auf das Herz fallen , du wirst an deine
Brust schlagen mit dem öffentlichen Sünder, du
wirst mit David aufschreien und heulen im tiefsten
333

Schmerz deiner Seele, mit: Maria zu den Füßen


Jesu niedersinken und seine Füße beneßen mit
deinen Thränen, du wirst unmäßig weinen, denn
über alles Maß und Ziel hast du deinen Jesus
beleidigt. Wollen wir unser Gebet anfangen,
sagt der selige Isidor , so müssen wir zuerst
seufzen und weinen , uns erinnern unserer vielen
und schweren Vergehungen , uns erinnern der
Strafe der Hölle , die wir gerecht zu fürchten
haben. Diese ernsten Gedanken , diese Thränen
und Seufzer müssen den Anfang unseres Gebetes
und unserer Betrachtung machen ; dann tritt das
Zweite ein , nämlich die Danksagung an unseren
Gott und Schöpfer in tiefster Demuth und Er
niedrigung vor ihm für Alle uns durch seine
Liebe gewordenen Gnaden und Gaben; dazu
mahnt uns Paulus : ,,Haltet an im Gebete und
wachet in demselben mit Danksagung"; denn
nichts macht uns der ferneren Hülfe und Gnade
des Herrn würdiger und empfänglicher, als stetes
Danken für seine Gaben ; nichts Besseres , sagt
deshalb der heilige Augustin seinem Aurelius,
kann unser Herz fühlen, unser Mund aussprechen,
unsere Feder niederschreiben als das heilige Wort :
Gottsei Dank ! -- So erwäge denn, dankend und prei
send den Herrn, seine Gnade, die dich zum Menschen
bilde geschaffen, zum Christenthume dich berufen, une
zählbare Sünden dir verziehen, die dich vor weiterem
und größerem Sünden-Falle bewahrt , die dich
zum Leben des Geistes berufen hat , die deine
Seele nährt und speist ohne dein Zuthung danke
dem Erbarmer , der für dich Mensch geworden
ist, sich dem Geſeße unterworfen hat, sich hat
334

beschneiden und taufen lassen , der um deinetwil


len arm, nackt , niedrig und verächtlich geworden,
der gefastet , gehungert , gearbeitet, sich ermüdet
hat wegen dir , der geweint , Blut geschwigt,
dich gespeist hat mit seinem heiligsten Fleisch und
Blute , der wegen dir in das Angesicht geſchla
gen, verspieen , verspottet , gegeißelt , verwundet
und gefreuzigt worden ist , der den schmachvoll
ſten und bittersten Tod gelitten hat , begraben
wurde , wieder auferstanden ist , in den Himmel
auffuhr , den heiligen Geist gesendet hat , Alles
deinetwegen , der dir und allen Auserwählten
das Himmelreich verheißen hat. Das erwäge,
geliebte Tochter , das wird dein Herz zum innig
sten. Danke stimmen , und ohne dieses innigst
dankende Herz kann nimmermehr dein Gebet einen
Werth vor dem Herrn haben . Könntest du, um
geben von solchen unendlichen Gaben, undankbar
sein , so höre zu deiner Warnung das Wort des
feligen Bernardus : Der Undank ist ein brennen
der , die Quelle der Erbarmungen des Herrn über
uns austrocknender Wind , der den Thau der
göttlichen Güte und den Brunnen der Gnade
verſiechen macht. Drittens ist nur das ein wah
res Gebet , wenn das betende Herz nichts denkt,
als eben daß es bete und beten wolle ; wohl
wäre es große Ungebühr , mit Gott mündlich zu
reden und innerlich an andere Dinge zu denken,
halb im Himmel und halb auf der Erde zu sein ;
wie können wir denken : Gott werde solch Gebet
erhören ? "Mit ganzem Herzen , fagt David,
habe ich zu dem Herrn gerufen , und der Herr
1
hat mich erhört." Siehst du , den Ruf des gan
335

zen Herzens erhört Gott, das halbe, das getheilte


will und wird er nicht erhören. So reinige
denn , du Magd Gottes , wenn du beten willst,
dein Herz von allen zeitlichen Sorgen und Be
gierden , werfe alle irdische Liebe und Neigung
hinaus , ziehe dich in dich selbst zurück und er
wäge hier mit ganzem Herzen und mit ganzem
Gemüthe, wer Der sei, zu dem du jezt beten willst,
auf ihn allein richte deine ganze Seele , ihn al
lein meine dein Geist ; dieser Rath giebt dir im
Evangelium dein Bräutigam : „ Du aber , wenn
du betest , sagt er , gehe in deine Kammer , ver
schließe die Thüre und bete zu deinem Vater";
dann bist du in die Kammer gegangen, wenn du
alle deine Gedanken , all dein Verlangen , all
dein Wollen in dein Jnneres eingerufen hast,
dann hast du die Thüre verschlossen , wenn du
dein Herz sorgsam bewahrſt , daß nicht ungezie
mende Gedanken dasselbe im Gebete stören fön
nen , denn eine Erhebung , ein Zuwenden des
ganzen Herzens zu Gott ist das Gebet, ein from=
mes, demüthiges Hinneigen zu Gott , ein Gott
Lieben und sich ihm ganz Hingeben . Du gott=
ergebene Schwester , du treue Magd Jesu Christi,
höre mich an , neige dein Ohr zu den Worten
meines Mundes , laffe dich nicht täuschen, täusche
dich nicht selbit , ach , ich will ja nur , daß dir
bie edle , köstliche Frucht des Gebetes nicht ent
gehe , daß du die Lieblichkeit , die Süße nicht
verlierst , die dir werden kann und wird im Ge
bete , denn das Gebet allein ist das Gefäß , das
da schöpft die Gnade des heiligen Geistes aus
dem süßen überströmenden Brunnen der seligsten
336

Dreieinigkeit. Diese Lieblichkeit hat der gottbe


beseelte David erfahren, er hat aus dieſem ſüßen
Brunnen getrunken ; ,,weit öffne ich meinen Mund,
bin begierig einzunehmen “. Hörst du ? Weit öff
nete er seinen Mund und nahm den lieben Trank
begierig ein. Gesagt habe ich dir oben erst, waż
h
das Gebet sei ; ich muß und will es dir aber
mals sagen , denn nimmer wollte ich, daß du
entbehrtest dieser himmlischen Süßigkeit; so höre
denn abermals : das Gebet ist eine völlige Zuwen
dung des Gemüthes zu Gott. Soll ich dir auch
sagen , wie du es anfangen und zu Stande brin
gen könnest ? So merke auf, ich will Alles kürz
lich zusammenfassen : willst du beten , so wende
dich ganz in dein Jnneres ein , gehe mit deinem
Geliebten in das Herzens- Kämmerlein ein , da
weile die Eine mit dem Einen , vergiß Alles,
was außer dir iſt , und erhebe dich nach Leib
und Seele, mit ganzem Gemüthe, mit aller Liebes
Neigung, mit innigster Sehnsucht, mit brünſtigem
Verlangen über dich selbst und über Alles hin
aus und hinan, lasse nicht nach , bete, seufze und
glühe , entzünde und vermehre die Flamme der
Andacht himmelan, bis du eingehst in jene wun
dervolle Stätte, bis hin in die Wohnung Gottes,
wo deine Seele den Geliebten schaut , wo du
fostest, wie süß und lieblich der Herr ist, wo du
in seine Arme sinkst , wo du ihn mit dem Kuffe
der innigsten Andacht und Liebe küſſeſt , wo du
Seiner selbst entworden , in Himmel versest, ganz
in Christus umgestaltet und verklärt , dich nicht
mehr fassen kannst , sondern mit dem Propheten
David aufschreist : Untröstlich war meine Seele,
337

nun ich aber meines Gottes denke ihn habe


-- ist meiner Seele Freude geworden. “
Damit du aber , geliebte Schwester , durch
inniges Gebet dich noch höher schwingest und
dein Herz noch heißer sich entzünde in der Liebe
Gottes , so merke : drei Dinge sind, die uns oder
den Geist dahinreißen , so daß wir unserer ganz
vergessen und nur Gott wissen ; einmal wirkt
solches die Größe der Bewunderung , einmal die
Inbrunst der Andacht , wieder einmal das Ueber
maß der Freude und des Jubels . Einmal, sage
ich , ist es die Inbrunst der Andacht, die das
Gemüth hinreißt , daß die Seele sich selbst nicht
kennt und faßt , daß sie sich über sich selbst
schwingt, nichts mehr von sich weiß, sondern die
Flamme der himmlischen Sehnsucht sie ganz er
griffen und entzündet hat ; nun ist ihr Alles,
was draußen ist , Bitterkeit und Ekel, das Feuer
der göttlichen Liebe mehrt sich in ihr über alles
gewöhnliche Maß , die Seele zerfließt gleichsam
wie Wachs , sie vergeht und hat sich selbst ver
loren ; wie Weihrauch Körner sich auf der Kohle
lösen und als füßer Duft sich gegen den Him
mel schwingen , so schwebt die Seele empor nach
ihrer Heimath, nach dem Vaterlande und erseuf
zet in Liebe und 氰 Andacht mit dem Propheten :
,,Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,
"
so bist du doch, Gott , allzeit meines Herzens 1
Trost und mein Theil." Ein ander Mal bewirkt +
das die Größe der Bewunderung ; der Strahl des
göttlichen Lichts , der zuweilen in die Seele fällt,
ergreift diese in seiner einzigen Schönheit und "
Klarheit so mächtig P und erschütternd , daß ihr
die Gegenwart augenblicklich und gänzlich ent
22
338

schwindet , er trifft sie wie Blisstrahl , und die


Seele, in tiefer Demuth ihre Unterwürfigkeit
fühlend , versinkt wie in einen Abgrund vor dem
Anblick so hoher Schönheit ; allein je tiefer sie
fich demüthigt und sich hinabsenkt , um so höher
und schneller wird sie durch die Flamme der in
nigsten Sehnsucht erhoben , und , über sich selbst
hingerissen , lebt und findet sie sich im Himmel
und ruft mit Esther aus : ,,Da ich dich ansah,
däuchte mich , ich sähe einen Engel Gottes ; dar
um erschrak ich vor deiner großen Majestät, denn
du bist sehr schrecklich und deine Gestalt ist sehr
herrlich." Abermals wieder begegnet das der
Seele vor Uebermaß der Freude und des ent
zückendsten Jubels , ihr wird nämlich zuweilen
der höchste Freuden 3 Becher, voll unaussprechlicher
Süße und Lieblichkeit gereicht, fie trinkt aus ihm
in vollen Zügen, sie wird trunken, ihr entschwin
den Gegenwart und Vergangenheit, sie lebt nicht
mehr hienieden , sie ist entzückt , sie frohlockt in
der überirdischen Welt , fie fühlt sich namenlos
glücklich, sie steht vor dem Eingang des Him
mels , Alles ist anders geworden , nicht mehr die
Erde , der Himmel und Gottes Wohnung öffnen
fich ihr , jest ruft sie aus mit dem Propheten :
Wie lieblich sind deine Wohnungen , Herr Ze=
baoth, meine Seele verlangt und sehnt sich nach
den Vorhöfen des Herrn !" , So soll eine
Magd Gottes sich innen üben im frommen Ge=
bete zu Gott durch Reinigung und Schärfung
des inneren Auges , durch unermüdeten Geist der
Andacht ; so wird sie fähig werden zur Schauung
des Göttlichen , zur Kostung der göttlichen Huld
und Lieblichkeit. Oder sollte eine Magd des
339

Herrn anders thun ? Sie mit Gottes Bilde ge=


ziert, ihm ähnlich gemacht , erlöst mit dem Blute
des Sohnes Gottes , empfänglich und berufen
zur Seligkeit , sollte sich kümmern um das Ver
gängliche , sich nicht himmelan erheben , über die
Cherubim, und fliegen mit den Flügeln der Winde,
mit den heiligen Engel- Chören zur Schauung
Gottes , des dreieinigen Gottes und des mensch
gewordenen Christus , nicht erwägen und sich
freuen der Herrlichkeit und sich mitfreuen der
Freude der Himmelsbürger , der Engel und aller
Heiligen ? Aber leider, wie Viele sind deren heu
tigen Tages, die solcher Betrachtung sich widmen,
1
die da spähen und forschen nach himmlischer
Freude, deren Wandel mit Herz und Gemüthe
im Himmel ist ? Ach, sie sind selten ! Und über
fie , diese Vielen , müssen wir mit dem heiligen
Bernardus klagen : Deren Pflicht und Geschäft
sein sollte , den Himmel durch Andacht zu durch
dringen, mit ihrem Herzen die Wohnungen des
Vaters zu durchwandern , die Apostel und die
Propheten des Herrn zu grüßen , die Siege der
Märtyrer zu bewundern , o diese , sie wollen da=
von nichts wissen , sehen das Alles zurück , fie
wollen dem Leibe nur dienen , die Schändli
chen, dem Fleische fröhnen und nur fressen und
faufen !

Sechstes Tapitel .
Von dem Andenken an das Leiden' Chrifti.

Da es erwiesen ist , daß das öftere Anden


ken an das Leiden Christi den Eifer der Andacht
nährt und erhält, so ist der Schluß daraus
22 *
340

natürlich dieser : soll die Flamme der Andacht


in dir nicht erlöschen , so schaue dein inneres
Auge stets auf Christus am Kreuze und mit dem
Tode ringend ; das findest du in den Worten
des Herrn , im dritten Buche Moſis : „ Das
Feuer auf meinem Altare soll immer brennen
und nie verlöschen, der Priester soll täglich Holz
darauf anzünden." Dieser Altar, meine fromme
Schwester, ist doch wohl dein Herz , hier soll
das Feuer der glühenden Andacht unaufhörlich
brennen , und damit das möglich und wirk
lich sei, so sollst du Holz beilegen und zwar
täglich, Holz vom Kreuze Christi, seines daran
erlittenen Todes und seiner Schmerzen denkend.
Auch der Prophet Isaias mahnt dich dessen :
Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus
den Heilbrunnen." Will er damit nicht sagen :
wer Wasser schöpfen will , Wasser der Gnade,
der Andacht und der Thränen , der schöpfe es
aus dem Brunnen des Heiles, aus den Wunden
Jesu Christi ? So nahe denn auch du dich in
Liebe deinem verwundeten Jesus , deinem mit
Dornen gekrönten Jesus , deinem am Kreuze
hangenden Jesus und schaue mit dem Apostel
Thomas nicht nur die Mahle der Nägel , lege
nicht nur deine Hand in feine Seite , sondern
gehe ganz ein durch diese gnadenvolle Deffnung
bis in das Herz Jesu , worin du denn durch
die innigste Liebe des Gekreuzigten in Christus
umgestaltet, mit den Nägeln der göttlichen Liebe
festgehalten , durchstochen mit der Lanze der
heftigsten Liebe und des herzlichsten Mitleidens
nichts Anderes suchen , nichts verlangen , keinen
anderen Troſt haben willst, als : sterben können
341

mit Christo am Kreuze, denn du wirst mit


Paulus ausrufen : „ Ich bin mit Christo an's
Kreuz geheftet , ich lebe , aber nicht ich, sondern
Christus lebt in mir !"
Die Weise aber betreffend , wie du des Lei
dens deines Herrn gedenken sollst, erwäge : Sein
Leiden war das schmachvollste , das bitterste,
ein allgemeines , ein langwährendes Leiden . So
erwäge denn zuerst , du gottergebene Magd,
den schmachvollsten Tod Jesu Christi deines
Bräutigams : er litt den Tod am Kreuze wie
ein Räuber und Mörder , denn zu solchem Tod
wurden damals nur die gottlosesten und ver
worfensten Menschen , verruchte Mörder und
Räuber verdammt. Auch der Ort , wo er ges
kreuzigt wurde , vermehrte die Schmach seines
Todes , er litt ihn auf der Schädelstätte , allent
halben umfäet mit scheußlichen Todten= Knochen
der Hingerichteten ; und wie höchst entehrend
für ihn war seine Umgebung am Kreuze ? Er
hing zwischen zwei Mördern gleichsam wie der
dritte , ja , als der Rädelsführer unter diesen.
Darum sagt Isaias : „ Sie haben ihn unter die
Gottlosen gezählt." Und hangend zwiſchen Himmel
und Erde , als wäre er nicht werth , auf der
Erde zu sterben oder zu leben ! O entseßliche
Schmach und Mißhandlung , dem Herrn der
Welt und der Erde ward die Erde , um auf ihr
zu sterben , versagt ! So war also der Tod des
Sohnes Gottes wahrhaftig der schmachvollste,
aufgehängt am Kreuzesgalgen , in der Mitte
zweier Mörder, verstoßen unter die Laster - Knechte,
gekreuzigt auf der entehrendsten , grauſenerre
genden Stätte. --- O gütiger Jesu , du gnaden
342

voller Heiland , nicht einmal , sondern so vielmal


und so vielseitig hat man dich beschimpft ! O
Jesu , mein Herr , im Garten band man dir die
Hände , im Hause des Annas schlug man dich
in's Angesicht, im Vorhofe des Kaiphas wurdest
du verspieen , im Hause des Herodes verlacht
und verspottet , auf dem Wege mußtest du das
eigene Kreuz tragen und auf Golgatha wurdest
du gekreuzigt ! Ach wehe mir ! Der Befreier
der Gefangenen , der Preis der Engel , das
Leben der Menschen wird gemordet ! D ihr Un
feligen , nur zu entseßlich habt ihr erfüllt , was
ihr euch vorgenommen hattet und der Prophet
als euer Wort aufbewahrt hat : " Zum schänd
lichsten Tode wollen wir ihn verdammen ." Der
heilige Bernard sagt: Er hat sich selbst vernichtet
und nahm , um dienen zu können , Knechtes - Ge
stalt an , er war der Sohn und ist Knecht ge
worden, und nicht nur eines gewöhnlichen Knechtes
Gestalt nahm er an , sondern die eines verwor=
fenen Knechtes, denn er sollte geschlagen werden,
Strafe leiden , der keine Schuld auf sich hatte ;
und nicht nur ein Knecht der Knechte Gottes,
fondern ein Knecht der Knechte des Teufels iſt
er geworden , um die Schlechtesten vom tiefsten
Verderben zu retten ; und noch nicht zufrieden
mit dem Allen unterwarf er sich einer Todesart,
die schmachvoller und entehrender war , als
tausend Tode , denn ,,er demüthigte sich selbst,
ward gehorsam bis zum Tode und zwar zum
Tode des Kreuzes" , welcher der schimpflichste
unter allen war. Zweitens erwäge, wie das
Leiden deines Christus das bitterste war. Er=
blicke ihn , ausgespannt am Kreuze ! Nicht ein
+

343

Glied konnte er bewegen und anziehen , was


doch noch einigermaßen in Schmerzen und Qual
dem Unglücklichen einige Erleichterung bringt,
sein heiliges Haupt konnte er bis J zur Geistes
Aufgebung nirgends hinlegen ! Je empfindlicher
der Leib , desto grausamer die Bein , und Jesus
war in der ersten Blüthe des Mannes - Alters ;
und daß deines Herrn Leib zart und empfindlich
war , sehen wir an seinem blutigen Schweiße
am Delberge , den ihm das Andenken schon an
sein bevorstehendes Leiden auspreßte ; wie ent
seßlich muß er das Leiden empfunden haben,
da er es wirklich ausstand ? Darum sagt der heilige
Bernardus : Die Angst deines Herzens , o Herr
Jesu Christe , zeigt uns der blutige Schweiß,
der dir während deines Gebetes vom Leibe
herab auf die Erde rann , genugsam an ; wer
hat dich so mißhandelt, wer ist so grausam mit
dir umgegangen , du Holdseligster ? Wehe mir !
ich bin die Ursache deiner Schmerzen , deiner
Marter und deines Todes. Und wisse , geliebte
Tochter, wer unschuldig leidet , dem fällt die
Strafe um so schwerer. Daraus erkenne aber
mals , wie bitter das Leiden deinem Herrn ge
wesen ; hätte Christus seiner Sünden wegen ges
litten , sein Leiden wäre dadurch ihm etwas
erträglicher gewesen ,,,Er aber hat keine Sünde
gethan , und nie ist eine Lüge in seinem Munde
erfunden worden", das mußte selbst Pilatus ,
der Richter , bekennen : Ich finde keine Schuld
an ihm !" Er ist der Glanz des ewigen Lichtes , der
fleckenlose Spiegel der Majestät und Güte Gottes .
Drittens war das Leiden deines Bräutigams
Jesu Christi ein allgemeines , über Alles , was
344

an ihm war , sich hinerstreckendes Leiden , ein


allgemeiner Schmerz ; je mehr nun dieser sich
ausbreitet , um so bitterer und unerträglicher
ist er. Nun hat dein Bräutigam wirklich ge=
litten an jedem Gliede seines Leibes , auch das
kleinste war nicht frei von Schmerzen , so war
denn die Bitterkeit der Bein über ihn ganz
ausgegossen ,,, von der Fußsohle an bis auf den
Scheitel war kein gesundes Pläßchen an ihm“,
er konnte im Uebermaße der Schmerzen mit
Wahrheit ausrufen : Ihr Alle , die ihr da
vorübergeht , seht und erwägt , ob ein Schmerz
fei, der dem meinigen gleiche !" Ja wahrlich,
o Herr Jesu Christe , wie dein Schmerz war je
teiner. gütigster Herr , nicht tropfenweise,
sondern in Strömen floß das Blut aus deinem
Leibe und über deinen Leib dahin , aus Händen
und Füßen durch die Annagelung , vom Haupte
durch die Krönung , vom ganzen Leibe durch
die Geißelhiebe , selbst aus deinem Herzen durch
den 1 Lanzenstich , du vergossest den legten Bluts
Tropfen ! O geliebtester Herr , warum solche
Blut- Menge ? Ach , ein einziger Tropfen hätte
hingereicht zur Erlösung der ganzen Welt ! Doch
ich weiß es , o Herr , und weiß es wahrhaftig,
du wolltest dadurch das Uebermaß deiner Liebe
gegen mich beweisen ; was soll ich dir also ver
gelten , o Herr , für Alles , was du für mich
gethan hast ? Nie , o Herr , mein ganzes Leben.
hindurch , nie will ich vergessen , was du um
meinetwillen ausgestanden hast in Mühseligkeiten
in deinem Lehramte, in deinen Reisen, in Wachen
und Beten , in deinen mitleidigen Thränen über
mich, in deinen Schmerzen, in den Verspottungen,
345

Mißhandlungen und Schlägen wegen mir , nie


vergessen der Nägel, nie der Wunden, die wegen
mir dir sind geschlagen worden. Ach , vergäße
ich dessen, so wäre ich schuldig des Blutes , das
du vergossen hast auf Erden. ,,Ach, daß ichWaffer
genug hätte in meinem Haupte und meine Augen
Thränen-Quellen wären, daß ich Tag und Nacht
beweinen möchte" den Tod meines Herrn Jesu
Christi, den er ausgestanden hat nicht für seine,
sondern für meine Sünden ,,,denn um unserer
Missethat willen ist er verwundet und um un
ferer Sünde willen zerschlagen !" - Viertens
erwäge, daß deines Herrn Leiden ein Leiden durch
fein ganzes Leben hin war ; vom ersten Tage
feiner Geburt bis zum Tage seines Todes war
fein ganzes Leben ein Leiden ; so sagt er selbst
bei dem Propheten : „ Ich bin elend und arm
felig von meiner Jugend an", und : Ich bin
gequälet und geplaget täglich" , mein ganzes
Leben hindurch . Sein Leiden war ein lang=
währendes Leiden , ein fortdauernder Schmerz,
ein lang ihm bekanntes , aber immer hinaus
geschobenes Sterben, eine lange Qual, eine fort
währende Mißhandlung. Daraus kannst du
schließen, du Magd des Herrn, daß deines Bräu
tigams Jesu Christi Leiden und Sterben ein
schmachvolles, ein verachtetes, ein langwährendes
Leiden, ein steter Tod gewesen sei, und das Alles
hat er auf sich genommen, um deine Liebe gegen
ihn zu entzünden , ihn zu lieben aus ganzem
Herzen , aus ganzer Seele , aus deinem ganzen
Gemüthe ; und was sollte des Knechtes Liebe
mächtiger anregen , als wenn der Herr um des
Knechtes willen selbst Knechtes Gestalt und Leben
346

wählt, was kann uns näher und ernstlicher hin


weisen auf unser Heil und unsere Rettung als
des Herrn Beispiel , den Tod zu ertragen um
der Gerechtigkeit Gottes willen und unsern Ge
horsam zu erweisen gegen ihn, was könnte unsere
Liebe gegen Gott inniger erregen, als solche Fülle
der göttlichen Gnade, nach welcher der allerhöchste
Sohn Gottes ohne all' unser Verdienst , ja bei
unserem gänzlichen Unwerth sein Leben für uns
hinopferte ? Können wir uns eine größere Gnade,
Huld, und Barmherzigkeit denken, als diese ? Und
leuchtet uns diese Huld und Gnade nicht daraus
am schönsten und deutlichsten entgegen , daß er
gerade das Schwerste , das Schmachvollste für
uns auf sich nahm ? ,,Der Gott , der seines
eigenen Sohnes nicht geschont hat um unsert
willen, hat er uns in ihm nicht Alles gegeben",
nicht Alles geschenkt, um uns einzuladen, ihn zu
lieben und dem Geliebten nachzufolgen ? Webe
jenen Undankbaren, die solche Liebe, solche Gnade
übersehen , wehe ihnen , für sie iſt Chriſti Blut
und Tod nuplos ! Nochmals mehe jenen , die
durch ihr fündhaftes Leben Chriſtus in ihnen
noch einmal kreuzigen und seine Schmerzen mit
neuen vermehren , seine Wunden mit neuen
Wunden häufen ! Abermals wehe jenen , deren'
Herz nicht in Thränen erweicht bei dem Anblick
solchen Jammers, solcher Liebe, die das vergoffene
Blut des Welt-Erlösers nicht entflammt zur Tu
gend und einem gottgefälligen Wandel , so hoher
Preis , dargegeben für Elende , solche Fülle der
Liebe für Nichtswürdige ! Wahrhaftig, diese ruch
Losen Feinde des Kreuzes Christi kreuzigen den
nun mit dem Vater herrschenden Christus im
347

Himmel entjeglicher , als jene Blinden thaten,


die ihn einst an's Kreuz schlugen ; zu dieſen redet
und über sie klagt der Herr durch den Mund
des seligen Bernardus , da er sagt : Schau' , o
Mensch, was ich leide für dich! Kennst du einen
Schmerz, der dem meinigen gleicht ? Ich erleide
ihn für dich , zu dir rufe ich , der ich sterbe für
dich betrachte die Bein , die ich erdulde , die
Nägel, die mich durchbohren, und da mein Leiden
ein äußeres und inneres Leiden ist , so ist mein
Jammer um so größer, da ich dich so undankbar
finde. so hüte dich denn , geliebte Mutter
und Schwester , hüte dich vor so scheußlichem
Undank, vor solcher Gefühllosigkeit gegen solchen
Preis, sebe vielmehr diesen Gekreuzigten wie ein
Siegel auf dein Herz , drücke ihn , deinen Jesus,
dir ein wie ein Siegel in das weiche Wachs,
damit du sagen kannst mit dem Propheten :
Mein Herz ist wie zerschmolzen Wachs " ; seße
ihn auch wie ein Siegel auf deinen Arm, damit
dieser nie ermüde , das Rechte zu wirken , nie
nachlasse zu arbeiten für den Namen Jesu Christi,
und hast du Alles gethan, dann fange von vorn
an, als hättest du noch gar nichts gethan , und
naht sich dir zuweilen ein Trauern , ein Leid,
eine Bitterkeit oder entschwindet dir manchmal
eine gewisse Hoffnung , ein Gut , dem , du ents
gegensahst , unverzüglich wende dich zu dem ge
kreuzigten, am Kreuze hangenden Jesus , erblicke
die Dornenkrone am Haupte, die eisernen Nägel
an Händen und Füßen , die Lanze , die seine
Seite durchstach , sehe an die Wunden Jesu an
Händen und Füßen , sein verwundetes Haupt,
die Seiten = Wunde und den durch und durch
348

verwundeten Leib, gedenke , wie Der dich geliebt


habe , noch liebe und lieben müsse , welcher für
dich so Vieles erlitten , ſo Entſeßliches geduldet
hat ; glaube mir, dieſer Anblick wird dir sogleich
alle Traurigkeit verscheuchen , wird sie auf der
Stelle in Freude umwandeln , wird dir alles
Schwere leicht , alles Niederschlagende erwünscht,
alles Bittere süß und lieblich machen , so daß
du ausrufen wirst mit dem frommen Job : ,,Was
meine Seele zuvor anzurühren widerte , das ist
nun -- um meines Christi Leiden willen
meine Speise", und lieblich und süß ist fie
mir geworden.

Siebentes Kapitel .
Von der vollkommenen Liebe Gottes.

Bisher habe ich dir , geliebte Schwester,


wie es mir der Herr gegeben hat , gezeigt, wie
du deine Seele üben sollst , damit du stufen
weise dich erheben und von Tugend zu Tugend
aufsteigen und fortschreiten könnest ; nun habe
ich dir , als den siebenten Punkt , die Liebe , als
die Form aller Tugenden , als jené , aus der
fie alle kommen und worin sie alle endigen
sollen , zu zeigen , denn sie allein führt den
Menschen zur Vollkommenheit. Soll die Sünde
getödtet, die Gnade vermehrt werden, sollen alle Tu
genden zur Vollkommenheit gedeihen , so kann
und wird uns dahin einzig die Liebe verhelfen.
Höre , was der selige Prosper in dem Buche
von dem beschaulichen Leben sagt : Die Liebe ist
das Leben der Tugenden , der Tod der Sünde
und der fündlichen Gebrechen , und wie das
349

Wachs zerrinnt vor dem Feuer , so schwindet


die Sünde vor dem Antliß der Liebe. Die
Liebe verschließt die Hölle , öffnet den Himmel,
macht einzig uns Gott wohlgefällig , so mächtig
ist sie ; unter Allem , was tugendlich heißt, ist
fie die eigentliche , die Tugend heißt , und wer
sie hat , der ist reich, der hat das Beste , der
ist selig ; wer ihrer hingegen ermangelt , der ist
bei allem sonstigen Besit arm , elend und ein
wahrer Bettler ; das zeugen uns ja die Worte
des Apostels : ,,Wenn ich die Liebe nicht habe,
so bin ich nichts " , d . h. fehlt diese mir , dann
ist jeder andere Besit , jede andere Gabe eitel
und vergebens , habe ich sie aber , dann habe
ich auch Alles , denn sobald ich sie habe , habe
ich den heiligen Geist, der Alles ist. Der heilige
Augustin sagt : Wenn es wahr ist , daß die
Tugend uns den Himmel öffnet , so kann ich
unter diesem Ausdrucke nichts Anderes verstehen,
als die höchste Gottes - Liebe ; ist nun die Liebe
die Tugend unter und vor allen, die den Himmel
öffnet , so muß unser Streben vor allen auf sie
hingerichtet sein. Doch nicht jede Liebe ist die
ächte und wahre , nur jene ist es , die da Gott
liebt über Alles und nach Gott den Nächsten.
Wie du aber deinen Schöpfer lieben sollst , das
lehrt dich dein himmlischer Bräutigam im Evan
gelium , dort sagt er : ,, Du sollst den Herrn
deinen Gott lieben aus ganzem Herzen , aus
deinem ganzen Gemüthe , aus deiner ganzen
Seele , aus allen deinen Kräften." Merke auf,
du theuere Magd Jesu Christi , wie dein Ge
liebter von dir will geliebt sein ! Dein Brän
tigam fordert zur Liebe dein ganzes Herz , deine
350

ganze Seele , dein ganzes Gemüth , so daß in


deinem ganzen Herzen , in deiner ganzen Seele,
in deinem ganzen Gemüthe Niemand deine Liebe
mit ihm theile. Wie willst du es denn also
anfangen, daß du Gott deinen Herrn aus ganzem
Herzen liebst ? Das soll dir der heilige Chry
sostomus sagen : Aus ganzem Herzen Gott lieben,
heißt : nichts , durchaus nichts so lieben , als
Gott , und sich keines vergänglichen Dinges so
freuen , als Gottes ; ist's nicht so , hängt dein
Herz und deine Liebe an irgend einer Sache,
dann liebst du Gott nicht aus ganzem Herzen.
Darum spricht der heilige Augustin : Der liebt
dich wenig, o Herr , der neben dir noch Etwas
liebt ; liebst du nun Etwas , das in der Liebe
Gottes dich nicht fördert, so liebſt du ihn wahr
lich nicht aus ganzem Herzen ; oder hindert
dich die fremde Liebe an dem , was du dem
Herrn schuldig bist , nun denn , so ist von
der Liebe aus ganzem Herzen wohl gar die
Rede nicht, so liebe denn Gott deinen Herrn
aus ganzem Herzen. Aber nicht nur aus
ganzem Herzen sollst du Jesum Christum deinen
Herrn lieben , sondern auch aus ganzer Seele ;
darüber belehre dich derselbe Augustin : Aus
ganzer Seele Gott lieben , spricht er , ist : ihn
lieben aus ganzem Willen , nämlich ohne allen
Widerspruch, ohne alle Einrede unseres Willens ;
dann aber liebst du ihn aus ganzer Seele und
nach deinem ganzen Willen , wenn du nicht das,
was du willst , was die Welt dir zumuthet,
was das Fleisch dir einflüstert , sondern das,
was du weißt , daß es dein Herr will , ohne
allen Widerstand und gern thust , selbst da nicht
351

zauderst , wenn es darauf ankommt , das Leben


dahin zu geben um der Liebe Jesu Christi willen,
vielmehr es freudig hinzuopfern . Bist du in
einem dieser Punkte träge , dann sprich nicht
ferner von deiner Gottes - Liebe aus ganzer Seele.
So liebe denn Gott deinen Herrn aus ganzer
Seele , mache deinen Willen in allen Dingen.
dem göttlichen Willen gleichförmig. Noch mehr :
auch aus deinem ganzen Gemüthe mußt du Gott
lieben ; das erklärt dir abermals der selige Au
gustin Aus ganzem Gemüthe Gott lieben , sagt
er , ist seiner nun und nimmer zu vergessen,
ihn stets in unserem Inneren gegenwärtig zu haben,
feiner unausgefeßt und immer zu denken. So
werde , sei und bleibe.

Achtes Kapitel.
Von dem Verharren bis an's Ende.

Hat der Mensch auch den besten Anfang im


Tugend-Wege gemacht , so ist er denn doch noch
nicht ein Verherrlichter vor dem Herrn, wenn er
nicht ausharrt darin bis an das Ende und so
dem ganzen Werke die Krone auffeßt. Kein
Mensch, auch der vollkommenste nicht , verdient
unser volles Lob und unsere Hochachtung , ſo
lange er hienieden lebt , bis er das Ganze, was
er angefangen hat, mit einem guten und seligen
Ende beschließt. Sei Gott ergeben, sei demüthig,
sagt der selige Bernardus, sei geduldig, andächtig,
enthaltsam, liebe Gott und besiße alle himmlischen
Tugenden, das zusammen wird wenig gelten,
verharrst du nicht bis an's Ende ; sei nicht stand
352

haft und ausdauernd , dann wird dir deine Tu


gend-Stärke weder Ehre noch Lob, weder Gnade
noch Lohn bringen von dem Herrn , denn alle
Tugenden laufen nach dem Ziele, die Beharrlich
keit aber erhält die Krone ; und nicht wer wohl
anfängt , sondern ,,wer verharret bis an das
Ende, der wird selig". Was nüßt der herrlichſt
blühende Same , wenn er wieder welkt und ver
dorrt ? Hast du dir demnach, du Geliebte in
Christo , einige Tugenden , und, ich weiß , du
hast deren viele , durch die Gnade Gottes eigen
gemacht , so verharre darin bis an das " Ende,
wachse immer mehr und mehr heran, entschlossen
und muthvoll diene. Christo bis in den Tod,
dann wird dir am Ende deiner Laufbahn als
Preis deines tugendlichen Strebens die Krone
der Herrlichkeit gegeben werden ; fieh' , das ver
heißt dir Jesus Christus , dein einzig Geliebter,
in seiner Offenbarung an Johannes : ,, Sei ge
treu bis an den Tod , so will ich dir die Krone
des Lebens geben." Zu diesem Lohne , zu dieser
Krone ruft und ladet dich dein geliebter Bräu
tigam, der holdseligſte Jeſus Chriſtus, im hohen
Liede ein: ,,Komm, meine Braut , vom Libanon,
tomm vom Libanon, du sollst gekrönet werden!"
So erhebe dich denn , du Freundin , du Braut
Jesu Christi , du fromme Taube des ewigen
Bräutigams , komm , eile zur Bermählungsfeier
des Sohnes Gottes , der ganze himmlische Hof
wartet deiner , Alles ist bereitet für dich ; der
Freuden Geber harrt deiner , die edelste , die
lieblichste , die köstlichste Speise hält er dir
bereit, du sollst sie genießen, er ſelbſt will dir
dienen beim Mahle , eine glänzende und liebenge
353

würdige Gesellschaft will dich umgeben, will sich


deiner und mit dir freuen ; so erhebe dich denn
und eile zum Hochzeitfeste ; der dir Freude geben,
ja dich bei dem Mahle bedienen will , ist nicht
einer aus den Engeln , er ist der ewige Sohn
Gottes, er selbst hat das im Evangelium gesagt :
,,Wahrlich, ich sage euch, er wird sich aufſchürzen
und wird sie zu Tische seßen und vor ihnen
umhergehen und ihnen dienen." welch hohe
Ehre wird das für jene Armen und Verachteten
sein , denen der Sohn Gottes , des allerhöchsten
Königes Eingeborner dienen wird , denen das
ganze himmlische Heer dienen wird ! ― Auch
die köstlichste Speise , ist zu deiner Labung be
reitet , den Speise Tisch hat der Sohn Gottes
mit eigener Hand bereitet, das sagt er abermals
im Evangelium : ,,Ich will euch das Reich be
scheiden , wie es mein Vater mir beschieden hat,
daß ihr esset und trinket an meinem Tische in
meinem Reiche." Wie köstlich und schmackvoll
ist die Speise ,,,womit du labest , o Gott , die
Elenden !" ,,selig , der da isset das Brod im
Himmelreiche , und wer von diesem Brode isset,
der wird leben in Ewigkeit. " Mit dieser Speiſe,
mit diesem Brode wird der König des Himmels
feine Auserwählten an seinem Tische speisen ;
so steht es im Buche der Weisheit geschrieben :
Du nährteſt dein Volk mit Engelsspeise und
fandtest ihnen Brod bereitet vom Himmel ohne
Arbeit , welches alle Lust in sich begriff, und
ward einem jeglichen nach seinem Geschmack ge=
geben." Steh' solche Labung wird dir gereicht
am göttlichen Tische und überdieß findet
sich hier eine Gesellschaft ein , liebenswürdig
23
354

und höchst erfreulich , die sich deiner freut und


Theil nimmt an deiner Freude ! Jesus ist hier
mit dem Vater und heiligen Geiste , Maria mit
ihrer blühenden Jungfrauen- Schaar, die Apostel,
Märtyrer , Beichtiger und alle Heiligen und
auserwählten Seelen. Wie bedauerungswürdig
der , welcher ausgeschlossen würde von dieser
Gesellschaft , wie erschlafft und träge müßte der
sein , welcher nicht die innigste Sehnsucht in
fich fühlte nach solchem Umgange ! ― Von dir,
o theuere Magd Gottes, bin ich allerdings über
zeugt , wie du verlangst nach Chriſtus , wie du
dich mühst mit aller Anstrengung , zugesellt zu
werden dem ewigen Könige, zu empfangen seinen
Kuß, zu sinken in seine Arme ; doch immer höher
möchte ich deine Sehnsucht steigern , immer mehr
entflammen das Feuer der verlangenden Liebe,
darum vernimm zur möglichsten Erwägung noch
Folgendes : ist jedes einzelne Gut schon dem
Herzen erfreulich , denke , wie unaussprechlich
entzückend jenes Gut ſein müsse , welches sie alle
zumal in sich begreift ; gefällt uns schon das
*
geschaffene Leben , wie wird uns das erschaffende
Leben entzücken ; freuen wir uns der uns ge
wordenen Erlösung , was werden wir bei dem
Anblicke Dessen fühlen , der sie uns gebracht
und gegeben hat; genügen wir uns jezt schon
im frommen Sinne der Gegenwart , was wird
uns erst jene Gegenwart sein , wo uns Alles
wird , was wir wünschen , und Alles entfernt
ſein wird , was wir nicht wollen ? Alle Güter
und Gaben des Leibes wie der Seele werden
wir besigen, wovon wir uns hier in dieser
Gegenwart keinen Begriff machen können, die
355

das sterbliche Auge nicht sehen , das Ohr nicht


hören und unser Herz jezt noch nicht verstehen
und faffen kann. So wäre es denn also wahr
#
lich nicht weise gethan von einer Magd Gottes,
wenn sie sich einergeben wollte in das Viele
und darin suchen wollte , was ihr nüße für des
Leibes Leben und ihr frommen möge für die
Seele ; liebe das Eine , meine Tochter , dies
Eine umfaßt Alles in sich, und so hast du genug;
strebe dem einfachen Gute nach , das ist der
Inbegriff aller Güter , das wird dir genügen.
Dort ist Alles , was du liebst , meine Mutter,
dort findest du Alles, nach dem du verlangst, du
fromme Jungfrau. Freust du dich der Schön
heit ? Dort glänzen die Gerechten wie die
Sonne". Wünschest du langes und glückliches.
Leben ? Dort ist die ungetrübte Ewigkeit,,,denn
die Gerechten werden ewig leben". Verlangst
du Sättigung und Labung ? „ Wir werden satt
werden, wenn wir erwachen nach Gottes Bilde",
,,wir werden trunken werden von den reichen
Gütern des Hauses Gottes". Entzücken liebliche
Töne dein Herz ? Dort fingen die lobpreisenden
Engelchöre Alleluja ! Ist Freundschaft deinem
Herzen tröstlich ? Dort lieben die Heiligen Gott
mehr als sich, und Gott liebt die Seinen mehr,
als sie sich selbst lieben ! Liebst du die Ein
tracht ? Sie Alle dort haben nur einen Willen,
denn Gottes Wille ist ihr Aller Wille ! Würde
Ehre und Reichthum dich freuen ? Sieh', Gott
stellt seine treuen Knechte und Mägde über Vie
les , ja sie werden Söhne und Töchter Gottes
heißen und Gottes Erben sein ,,,sie sind Erben
Gottes und Miterben Jesu Christi !" Das faffe
23 *
356

zuſammen in deinem Herzen, o Tochter, und faſſe,


wenn es möglich ist, die Freude , welche dir die
Ueberfülle solcher Seligkeit bringen wird. Ja,
o Herr Jesu Chriſte, „ kein Auge hat es geſehen,
kein Ohr es gehört und es ist in keines Menschen
Herz je noch gekommen in diesem Leben" , wie
ie dich lieben werden die Seligen , wie sie sich
deiner im ewigen Leben freuen werden ! -
Wie groß hier unsere Gottes - Liebe ist , so groß
wird dort unsere Gottes-Freude sein . So wollen
wir ihn denn hier möglichst lieben , damit wir
uns einst seiner unaussprechlich freuen ; laſſe ſie
immer höher und höher heranwachsen , die Liebe
Gottes , in deinem Herzen , dort wird dir die
Gottes- Freude als Frucht der Gottes - Liebe im
reichsten Maße werden . Dessen gedenke stets
dein Herz, davon rede deine Zunge , lasse lieben
· das Herz , lasse übergehen den Mund von dieſer
Liebe , deine Seele hungere darnach, dein Leib
lechze nach ihr , dein ganzes Wesen trachte und
sehne sich dahin , bis du eingehst in die Freude
deines Gottes , bis du gelangſt in die Arme
deines Geliebten , bis du eingeführt wirst in
die Brautkammer deines geliebten Bräutigams,
der da mit dem Vater und dem heiligen Geiste
lebt und regiert, Gott von Ewigkeit zu Ewig
feit. Amen 17100

ཨཱ ཛཱ ཡཱ
Druck der Friedr. Mouke'schen Officin (I. Schweiger) in Jena.
E
*
1
S
Hr. Hallasteiner
kk.Hof-Buchbinde
in
WIEN
X.Bez. Sch warzena

Das könnte Ihnen auch gefallen