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Leitfaden

für Ärztinnen
und Ärzte

K indesmisshandlung ist eine nicht zu-


fällige (bewusste oder unbewusste)
gewaltsame körperliche und/oder seeli-
sche Schädigung, die in Familien oder
Institutionen (z.B. Kindertagesstätten,
Schulen, Heimen) geschieht und die zu
Verletzungen, Entwicklungsverzögerungen
oder sogar zum Tode führt und die somit

Gewalt
das Wohl und die Rechte eines Kindes be-
einträchtigt oder bedroht.“
(Quellle: Drucksache 10/4560 des Deutschen Bundestages 1996)

gegen
Kinder

www.ärztekammer-bw.de
Gewalt
gegen
Kinder

1
Herausgeber:
Landesärztekammer Baden-Württemberg
Körperschaft des öffentlichen Rechts
Jahnstraße 40, 70597 Stuttgart
www.ärztekammer-bw.de

Gestaltung:
Ärztliche Pressestelle, Leiter: Dr. med. Oliver Erens

Redaktionsschluss:
Juli 2013

© 2013 Landesärztekammer Baden-Württemberg, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Vervielfältigung auf Papier und elektronischen Datenträgern sowie Einspei-
sung in Datennetze nur mit Genehmigung des Herausgebers.

Überarbeitete Fassung des Leitfadens mit freundlicher Genehmigung der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und
Verbraucherschutz (BSG) Freie und Hansestadt Hamburg, Amt für Gesundheit und Verbraucherschutz: Fachabteilung
Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsförderung, Billstraße 80 a, D-20539 Hamburg

2
Geleitwort

Die Kinder in unserem Land sollen die bestmöglichen Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen ha-
ben. Sie haben ein Recht darauf, vor Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung geschützt zu wer-
den. In den vergangenen Jahren hat sich auf dem Gebiet des Kinderschutzes und der Frühen Hilfen
bei der Prävention von Gewalt gegen Kinder und der Frühintervention bereits eine Menge getan.

Ärztinnen und Ärzte haben eine besondere Rolle bei der Sicherstellung von Kindergesundheit und
Kinderschutz. Nachdem durch das Landeskinderschutzgesetz die Teilnahme an den Früherkennungs-
untersuchungen bei Kindern verbindlich geworden ist, ist diese Verantwortung der Ärzteschaft noch
gestärkt worden. Gleichzeitig haben Ärztinnen und Ärzte als Vertrauenspersonen einen besonderen
Zugang zu Kindern und Eltern.

Wichtig ist, dass Kindeswohlgefährdungen früh erkannt werden. Hierzu bedarf es profunden Wissens
und einer Kultur des Hinsehens. Sodann gilt es, besonnen zu handeln und Hilfe zu vermitteln. Eine
gute Fortbildung und Vernetzung der Ärztinnen und Ärzte ist für die Wahrnehmung von Kindeswohl-
gefährdungen und die Qualität des weiteren Vorgehens von großer Bedeutung. Ganz entscheidend ist
auch die Fähigkeit, mit den Eltern über die Wahrnehmung von Anhaltspunkten für eine Kindeswohl-
gefährdung zu sprechen und sie ins Hilfesystem zu vermitteln, und dabei die bestehende Vertrauens-
beziehung aufrechtzuerhalten.
In Baden-Württemberg wirken Ärztinnen und Ärzte flächendeckend in regionalen Netzwerken zwi-
schen Gesundheitswesen und Kinder- und Jugendhilfe mit. Das Land unterstützt im Schulterschluss
mit den Kommunen den Auf- und Ausbau solcher Netzwerke zu Frühen Hilfen und Kinderschutz.
Im Projekt „Netzwerk Frühe Hilfen und Kinderschutz“ erhalten 35 Stadt- und Landkreise in Baden-
Württemberg eine fachkundige, auf die örtlichen Verhältnisse zugeschnittene Beratung zum Ausbau
der Netzwerke.

Es wurde schon vor Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes im Land mit dem Aufbau der not-
wendigen Strukturen begonnen. Dies zeigt sich nun auch bei der Umsetzung der Bundesinitiative
„Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen“ und der Verteilung der vom Bund bereitgestell-
ten Mittel: Wir können auf bereits vorhandene, gut entwickelte Strukturen im Bereich Frühe Hilfen,
Netzwerke und Familienhebammen aufbauen.

Gemeinsam mit allen am Kinderschutz beteiligten Institutionen und Berufsgruppen haben wir in
Baden-Württemberg bereits viel erreicht. Die Landesärztekammer ist hierbei ein wichtiger und enga-
gierter Partner. Dies hat sie mit der Neuauflage dieses für die Fortbildung der Ärzteschaft wichtigen
Leitfadens nun ein weiteres Mal bewiesen.

Wir freuen uns, weiterhin gemeinsam mit der Landesärztekammer für die Kinder in unserem Lande
die Grundlage für einen guten Start ins Leben zu schaffen.

Katrin Altpeter MdL


Ministerin für Arbeit und Sozialordnung,
Familie, Frauen und Senioren

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Wir schauen hin!

Seit 1992 und damit seit mehr als zwei Jahrzehnten beschäftigt sich die Landesärztekammer Baden-
Württemberg in einem eigens hierfür eingerichteten Ausschuss mit der Problematik der Gewalt gegen
Kinder. Seither hat sich viel getan!

1998 wurde der Leitfaden „Gewalt gegen Kinder“ der Landesärztekammer zum ersten Mal herausge-
geben. Ein Ziel des Leitfadens war und ist es, dazu beizutragen, hinzusehen statt wegzuschauen, um
frühzeitiges Erkennen und Handeln möglich zu machen.

1999 wurden in Baden-Württemberg 2.300 Fälle sexueller Missbrauchs bekannt. 2006 waren es zirka
4.100 Fälle, 2011 rund 12.400 Fälle und 2012 etwa 12.600 Fälle.

Alle Experten sind sich einig: nicht die Zahl der Fälle ist gestiegen, sondern die Zahl deren Anzeige.
Somit sind wir diesem Ziel des Leitfadens ein gutes Stück näher gekommen. Wir schauen hin!

Aber auch die fach- und berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit sowie Kooperation mit den
anderen Institutionen, wie Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendämter, Sozialämter und andere hat sich
in den letzten Jahren stark verbessert und Berührungsängste wurden abgebaut, wie die Vielzahl auch
ärztlicher Initiativen im Rahmen der Frühen Hilfen und die durchgeführten Fachtagungen belegen.

In der nunmehr dritten Auflage des Leitfadens werden nun neu erläutert insbesondere die Änderungen
in der Bundes- und Landesgesetzgebung der letzten Jahre, die zu deutlich mehr Rechtssicherheit für
das ärztliche Handeln beim Erkennen der Gewalt gegen Kinder führt, sowie die neuen Formen der
Gewalt gegen Kinder – Mobbing und Cybermobbing.

Bei der Überarbeitung konnten wir wieder auf die Vorarbeiten des Amtes für Gesundheit und Verbrau-
cherschutz der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (BSG) der Freien
und Hansestadt Hamburg zurückgreifen, dem wir an dieser Stelle ganz herzlich danken.

Mit der Veröffentlichung des Leitfadens hoffen wir weiterhin, dass die Sensibilität und Sicherheit im
Umgang mit betroffenen Kindern weiter erhöht und bei allen beteiligten Institutionen und Berufs-
gruppe verbessert werden kann – zum Wohl und Schutz unserer Kinder!

Dr. Christian Benninger


Vorsitzender des Ausschusses „Gewalt gegen Kinder“

Dr. Ulrich Clever


Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg

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Vorwort der Redaktion

Körperliche und seelische Gewalt, Vernachlässigung, emotionale Misshandlung, Demütigung, sexu-


eller Missbrauch hinterlassen bei Kindern ein Leben lang Spuren. Die Polizeiliche Kriminalstatistik
verzeichnete für das Jahr 2011 insgesamt 3.583 Fälle von Kindesmisshandlung (§ 225 StGB). Insge-
samt gab es 4.126 Opfer, 55,6 Prozent davon waren männlich, 44,4 Prozent weiblich (Quelle: www.
polizeiberatung.de).

1998 hat die Landesärztekammer Baden-Württemberg den Leitfaden „Gewalt gegen Kinder“ heraus-
gegeben. Dieser war schnell vergriffen. 2001 folgte die 2. Auflage, diese ist ebenfalls vergriffen und
entspricht nicht mehr dem aktuellen Stand.

Ein Redaktionsteam aus den Reihen der Mitglieder des Ausschusses „Gewalt gegen Kinder“ der LÄK
BW hat 1997/98 diesen Leitfaden erarbeitet. Basierend auf dem Hamburger Leitfaden von 1996 wur-
de unser Leitfaden aktualisiert und auf die Verhältnisse in BW umgearbeitet. Seit der 2. Auflage 2001
sind viele Jahre vergangen, aber weiterhin ist das Interesse groß, mehr über die Möglichkeiten des
frühen Erkennens von Gewalt gegen Kinder und über die frühzeitigen und geeigneten Hilfen für die
betroffenen Kinder und deren Familien zu erfahren.2012 beauftragte die LÄK BW das Redaktions-
team, den Leitfaden an heutige aktuelle Verhältnisse anzupassen. Mit tatkräftiger Unterstützung aller
Mitglieder des Ausschusses „Gewalt gegen Kinder“ haben wir unseren Leitfaden von 1998 und 2001
in wesentlichen Teilen neu geschrieben. Hilfreich war uns hierbei der von der TK NRW herausgege-
bene Leitfaden „Gewalt gegen Kinder“, 3. Auflage 2011.

Der vorliegende Leitfaden möchte allen Personen, die mit dem Thema Gewalt gegen und Missbrauch
von Kindern und Jugendlichen in irgendeiner Form konfrontiert sind, eine Hilfestellung geben. Wir
alle, die wir Dank unseres Berufes nah am Kind bzw. Jugendlichen sind, haben die Chance, aber auch
die Aufgabe, die Symptome früh zu erkennen, die die Folge von Vernachlässigung und körperlicher
bzw. psychischer Gewalt sein können.

Neu eingefügt wurde der Abschnitt über das Mobbing und Cybermobbing als eine Form der Gewalt
von Kindern und Jugendlichen untereinander. Das Kapitel „Rechtliche Rahmenbedingungen“ musste
in großen Teilen neu geschrieben werden. Eine wesentliche Schwierigkeit bereitet die Entscheidung,
wann Informationen entgegen der ärztlichen Schweigepflicht an wen weiter gegeben werden dürfen.
Das neue Bundeskinderschutzgesetz trägt hier zu einer Klärung bei.

Dieser Leitfaden soll Ihnen in der täglichen Praxis das frühzeitige Erkennen und Helfen erleichtern.
Für alle mit Kindern und Jugendlichen befassten Personen ist es wichtig, an die Symptome der Kin-
desmisshandlung ebenso rasch und entschlossen zu denken wie an den banalen Infekt.

Wenn dieser Leitfaden zur Verbesserung der Situation beitragen kann, dann freuen wir uns zusammen
mit den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen.

Das Redaktionsteam ­

Andreas Oberle,
Eberhard Schilling,
Volker Stechele

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Inhalt

1. Was ist Gewalt gegen Kinder und Jugendliche?......................................................................8


1.1 Körperliche Gewalt.....................................................................................................................9
1.2 Seelische Gewalt.........................................................................................................................9
1.3 Vernachlässigung........................................................................................................................9
1.4 Sexuelle Gewalt........................................................................................................................10
1.5 Cybermobbing...........................................................................................................................10

2. Rahmenbedingungen für das ärztliche Handeln...................................................................11


2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen..............................................................................................11
2.2. Das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) bzw. das darin enthaltene
„Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG)“
vom 22. Dezember 2011, in Kraft getreten am 1.1.2012......................................................13
2.3. Mit anderen Institutionen kooperieren.....................................................................................17
2.4. Handlungsempfehlungen bei dringendem Verdacht von Kindesmisshandlungen...................19
Musterbrief für eine schriftliche Meldung an das Jugendamt........................................................21

3. Früherkennung und Prävention von Kindeswohlgefährdungen


in der frühen Kindheit........................................................................................................23
Bessere Prognose durch Früherkennung.........................................................................................23
Schutzfaktoren erkennen.................................................................................................................23
3.1 Früherkennung von Risikomerkmalen zur Kindeswohlgefährdung.........................................24

6
3.2 Vorgehen bei Aufenthalt in der Geburtshilfeklinik oder Kinderklinik
und in der ärztlichen Praxis...................................................................................................25
3.3 Etablierung früher Unterstützung und früher Hilfen................................................................26
3.4 Nachverfolgung der Risikobelastungen, des Vorsorgeverhaltens
und der Entwicklung des Kindes...........................................................................................26

4. Diagnostik und Befunderhebung.............................................................................................28


4.1 Diagnostik als Prozess..............................................................................................................28
4.3 Psychischer Befund und das Verhalten des Kindes..................................................................33
4.4 Sexueller Missbrauch................................................................................................................34
4.5 Beurteilung der familiären Situation.........................................................................................36
4.6 Bewertung der Befunde............................................................................................................37

5. Fallmanagement in der Arztpraxis..........................................................................................38


5.1 Erst- und Wiederholungsuntersuchungen.................................................................................38
5.2 Verhalten während des Praxisbesuchs......................................................................................39
5.3 Zwischen den Praxisbesuchen..................................................................................................40
5.4 Eröffnung der Diagnose gegenüber Eltern oder Begleitpersonen............................................41

6. Mobbing und Cybermobbing..................................................................................................43


6.1 Cybermobbing – Was ist das eigentlich?..................................................................................43
6.2 Mobbing und Cybermobbing – Gemeinsamkeiten und Unterschiede......................................44
6.3 Wie gefährdet sind Kinder und Jugendliche im Netz?..............................................................44
6.4 Folgen von Cybermobbing.......................................................................................................45
6.5 Was kann man gegen Cybermobbing tun?................................................................................47

7. Dokumentationsbogen..............................................................................................................49
Dokumentationsbogen....................................................................................................................50

Wichtige Adressen auf einen Blick..............................................................................................56

7
K indesmisshandlung ist eine nicht zufällige
(bewusste oder unbewusste) gewaltsame körper-
liche und/oder seelische Schädigung, die in Fami-
lien oder Institutionen (z.B. Kindertagesstätten,
Schulen, Heimen) geschieht und die zu Verlet-
zungen, Entwicklungsverzögerungen oder sogar zum
Tode führt und die somit das Wohl und die Rechte
eines Kindes beeinträchtigt oder bedroht.“
(Quelle: Drucksache 10/4560 des Deutschen Bundestages 1996)

1. Was ist Gewalt gegen immer in der Familie oder in anderen Zusam-
menlebenssystemen ausgeübt. Häufig ist die Ge-
Kinder und Jugendliche? waltanwendung der Erwachsenen ein Ausdruck
eigener Hilflosigkeit und Überforderung.
Die zunehmende Auseinandersetzung mit der
Definition Kindesmisshandlung Gewalt gegen Kinder in unserer Gesellschaft
darf nicht dazu führen, dass wir unsere Auf-
Die eingangs zitierte Definition stimmt nicht
merksamkeit ausschließlich auf misshandelnde
ohne Weiteres mit den entsprechenden straf-
Personen (und ihre Opfer) richten und dabei die
oder familienrechtlichen Definitionen überein.
Gewaltförmigkeit der gesellschaftlichen Le-
Sie ist jedoch Ausgangspunkt für die Frage,
bensverhältnisse vergessen. Diesen Verhältnis-
wann aus der Sicht der helfenden Berufsgrup-
sen sind alle Menschen – je nach ihrer sozialen
pen (z. B. Ärzte*, Sozialarbeiter) von Gewalt
Lage ausgesetzt. Gewalt hat vielschichtige Ur-
gegen Kinder gesprochen werden kann.
sachen und ist in gesellschaftliche Verhältnisse
Auch der Deutsche Bundestag verwendet die eingebunden. Die Häufung von Einschränkun-
obige Definition unter diesem Aspekt. In ihr gen und Belastungen, von sozialen Benachtei-
wird deutlich, dass Gewalt gegen Kinder fol- ligungen, von materieller Armut und psychi-
gende Formen annehmen kann: schem Elend ist eine häufig übersehene Ursache
• Körperliche Gewalt für Gewalt gegen Kinder.

• Seelische Gewalt Vernetzte Hilfe verschiedener


• Vernachlässigung Institutionen ist erforderlich

• Sexuelle Gewalt Den verantwortlichen Erwachsenen sollen früh-


zeitig Hilfen zur Selbsthilfe angeboten werden.
• Cybermobbing Dabei müssen verschiedene Institutionen unter-
stützend zusammenarbeiten, um dem komple-
Gewalt wird meist in
xen Problem gerecht zu werden. Das Bundes-
der Familie ausgeübt
kinderschutzgesetz vom 1. Januar 2012 hat die
Bei der Kindesmisshandlung geschieht die Schä- Prävention und Intervention im Kinderschutz
digung des Kindes nicht zufällig. Meist wird eine zum Ziel und stärkt alle Akteure, die sich für das
verantwortliche erwachsene Person wiederholt Wohlergehen von Kindern engagieren – ange-
gegen ein Kind gewalttätig. Gewalt wird fast fangen bei den Eltern, über den Kinderarzt oder
die Hebamme bis hin zum Jugendamt oder Fa-
* Die Bezeichnung „Arzt“ gilt hier, wie im Folgenden, miliengericht. In diesem Leitfaden sollen dabei
als weibliche und männliche Form. Dieses gilt auch für Ihre Rolle als Ärztin und Arzt sowie die Hilfen
die weiteren Berufsbezeichnungen.

8
für das Kind im Vordergrund stehen. Möglich- des, Drohungen, Anbinden. Vielfach beschimp-
keiten für ein gemeinsames Fallmanagement fen Eltern ihre Kinder in einem extrem überzo-
mit anderen Einrichtungen und Berufsgruppen genen Maß oder brechen in Wutanfälle aus, die
werden aufgezeigt. für das Kind nicht nachvollziehbar sind.

Kinder werden in partnerschaftlichen


1.1 Körperliche Gewalt Konflikten missbraucht
Formen der körperlichen Mädchen und Jungen werden auch für die Be-
Gewalt sind vielfältig dürfnisse der Eltern missbraucht, indem sie ge-
zwungen werden, sich elterliche Streitereien an-
Erwachsene üben körperliche Gewalt an Kin-
zuhören, oder indem sie in Beziehungskonflikten
dern in vielen verschiedenen Formen aus. Ver-
instrumentalisiert werden. Auch überbehütendes
breitet sind Prügel, Schläge mit Gegenständen,
und überfürsorgliches Verhalten kann zu seeli-
Kneifen, Treten und Schütteln des Kindes. Da-
scher Gewalt werden, wenn es Ohnmacht, Wert-
neben werden Stichverletzungen, Vergiftungen,
losigkeit und Abhängigkeit vermittelt.
Würgen und Ersticken sowie thermische Schä-
den (Verbrennen, Verbrühen, Unterkühlen)
beobachtet. Das Kind kann durch diese Ver- 1.3 Vernachlässigung
letzungen bleibende körperliche, geistige und
seelische Schäden davontragen oder in Extrem- Mangel an Fürsorge und Förderung
fällen daran sterben.
Die Vernachlässigung stellt eine Besonderheit
sowohl der körperlichen als auch der seelischen
1.2 Seelische Gewalt Kindesmisshandlung dar. Eltern können Kinder
Eltern-Kind-Beziehung vernachlässigen, indem sie ihnen Zuwendung,
ist beeinträchtigt Liebe und Akzeptanz, Betreuung, Schutz und
Förderung verweigern oder indem die Kinder
Seelische oder psychische Gewalt sind „Haltun- physischen Mangel erleiden müssen. Dazu ge-
gen, Gefühle und Aktionen, die zu einer schwe- hören mangelnde Ernährung, unzureichende
ren Beeinträchtigung einer vertrauensvollen Pflege und gesundheitliche Fürsorge bis hin zur
Beziehung zwischen Bezugsperson und Kind völligen Verwahrlosung.
führen und dessen geistig/seelische Entwick-
lung zu einer autonomen und lebensbejahenden Diese andauernde oder wiederholte Unterlas-
Persönlichkeit behindern“ (EGGERS, 1994). sung fürsorglichen Handelns kann aktiv oder
passiv (auch unbewusst), aufgrund unzurei-
Das Kind erlebt Ablehnung chender Einsicht oder unzureichenden Wis-
sens erfolgen und ist Ausdruck einer stark be-
Seelische Gewalt liegt beispielsweise dann einträchtigten Beziehung zwischen Eltern und
vor, wenn dem Kind ein Gefühl der Ablehnung Kind. Um gerade die langfristige Auswirkung
vermittelt wird. Diese Ablehnung wird ausge- von Vernachlässigung zu verdeutlichen, ist fol-
drückt, indem das Kind gedemütigt und herab- gende Definition hilfreich:
gesetzt, durch unangemessene Anforderungen
(Schule, Sport,) überfordert oder durch Liebes­ „Die durch Vernachlässigung bewirkte chro-
entzug, Zurücksetzung, Gleichgültigkeit und nische Unterversorgung des Kindes durch die
Ignorieren bestraft wird. nachhaltige Nichtberücksichtigung, Missach-
tung oder Versagung seiner Lebensbedürfnisse
Überzogene Bestrafungen hemmt, beeinträchtigt oder schädigt seine kör-
sind Gewaltakte perliche, geistige und seelische Entwicklung und
kann zu gravierenden bleibenden Schäden oder
Schwerwiegend sind ebenfalls Situationen, die gar zum Tode des Kindes führen“ (SCHONE,
dem Kind Angst machen: Einsperren in einen 1997).
dunklen Raum, Alleinlassen, Isolation des Kin-

9
1.4 Sexuelle Gewalt Sexuelle Gewalt ist nicht nur
körperlicher Missbrauch
Definition von sexueller Gewalt
Formen sexueller Gewalt sind das Berühren des
Im Unterschied zu körperlicher oder seelischer Kindes an den Geschlechtsteilen, die Aufforde-
Gewalt gegen Kinder, die häufig aus Hilflosig- rung, den Täter anzufassen, Zungenküsse, ora-
keit und Überforderung ausgeübt wird, ist die ler, vaginaler und analer Geschlechtsverkehr,
sexuelle Gewalt an Kindern in der Regel ein Penetration mit Fingern oder Gegenständen.
planvolles, oft über Jahre andauerndes Verhal- Auch Handlungen ohne Körperkontakt wie
ten, das sich in seiner Intensität allmählich stei- Exhibitionismus, Darbieten von Pornografie,
gert. Während Kindesmisshandlung von Män- sexualisierte Sprache und Herstellung von Kin-
nern und Frauen verübt wird, geht die sexuelle derpornografie sind sexuelle Gewaltakte.
Gewalt überwiegend von Männern bzw. männ-
lichen Jugendlichen aus. Diese Formen der sexuellen Gewalt werden zu-
nehmend auch im Internet dargestellt.
Unter sexueller Gewalt versteht man sexuelle
Handlungen eines Erwachsenen oder eines in
der Regel älteren Jugendlichen an und mit ei- 1.5 Cybermobbing
nem Kind. Der Erwachsene benutzt das Kind Mobbing ist weder unter Kindern und Jugend-
als Objekt zur Befriedigung seiner sexuellen lichen in der Schule noch in der Forschung ein
Bedürfnisse. Dabei ist das Kind nicht imstande, neues Phänomen. Dazu gehören beispielsweise
die Situation zu kontrollieren. Auch wenn Kin- körperliche Aggression (z. B. schlagen, stoßen,
der sexuelle Handlungen mit einem Erwachse- treten) oder verbale Angriffe (z. B. „dumme
nen situativ nicht als unangenehm empfinden, Sprüche“ nachrufen, drohen, hänseln).
liegt trotzdem ein Missbrauch vor.
In den letzten zehn Jahren, und untrennbar mit
Die Erwachsenen oder Jugendlichen nutzen ihre dem rasanten Aufstieg des Internets und der
Macht als Ältere oder ihre Autorität innerhalb mobilen Kommunikationstechnologien ver-
eines spezifischen Abhängigkeitsverhältnisses bunden, macht ein neues Phänomen von sich
(als Vater, Lehrer, Fußballtrainer o. ä.) aus, um reden: Cybermobbing. Dabe handelt es sich um
ihre Interessen durchzusetzen. Sie erreichen alle Formen von Schikane, Verunglimpfung,
dies, indem sie emotionalen Druck ausüben, Betrug, Verrat und Ausgrenzung mit Hilfe von
die Loyalität eines Kindes ausnutzen, durch Informations- und Kommunikationstechnologi-
Bestechung mit Geschenken, Versprechungen en, bei denen sich das Opfer hilflos oder ausge-
oder Erpressungen, aber auch mit dem Einsatz liefert und (emotional) belastet fühlt. Circa je-
körperlicher Gewalt. Viele missbrauchende Er- der dritte Jugendliche war schon einmal Opfer
wachsene verpflichten oder erpressen die Kin- von Cybermobbing.
der zum Schweigen über den Missbrauch.

10
I m Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses
gehört die ärztliche Schweigepflicht zu den
essenziellen Berufspflichten eines Arztes. Die
Verschwiegenheitspflicht dient dem Schutz der Ge-
heimsphäre des einzelnen, aber auch dem Interesse
der Allgemeinheit, dass das Vertrauen zwischen
Arzt und Patient nicht beeinträchtigt wird.“

2. Rahmenbedingungen für mation im Kinderschutz“, in Kraft seit dem


1.1.2012 –) oder „als Arzt“ (§ 203 Abs. 1 Satz
das ärztliche Handeln 1 StGB) im Rahmen eines bestehenden Arzt-
Patienten-Verhältnisses behandelt oder behan-
2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen delt hat. Angesprochen ist auch der Arzt, der,
wie beispielsweise Sachverständige im Auftrag
Einleitung Dritter (z.B. eines Gerichts) oder im Rahmen
eines Notfalls tätig geworden ist.
Die nachfolgenden Hinweise auf die „rechtli-
chen Rahmenbedingungen“ informieren die Nicht erfasst sind damit Vorgänge, beispiels-
Ärzte darüber, was anlässlich von „Gewalt ge- weise von Gewalt gegen Kinder oder Jugend-
gen Kinder und Jugendliche“ (rechtlich) zu be- liche, die Sie, wie jede oder jeder andere auch
achten ist. – zum Beispiel als Nachbarin oder Nachbar
– wahrnehmen. In diesen, nicht eine ärztliche
Erhebliche Schwierigkeiten bereitet in diesem Tätigkeit betreffenden Fällen dürfen Sie das Ju-
Zusammenhang die Entscheidung der Ärzte- gendamt, das Familiengericht, die Polizei oder
schaft, wann Informationen entgegen der ärzt- die Staatsanwaltschaft informieren bzw. hinzu-
lichen Schweigepflicht an wen weiter gegeben ziehen.
werden dürfen.
Das Arzt-Patienten-Verhältnis
Hierüber soll diese Schrift grundlegende Hilfe-
stellung leisten. Behandeln Sie minderjährige Patienten (Patien-
ten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres),
Geltungsbereich kommt in der Regel ein Behandlungsvertrag
zwischen Ihnen einerseits und dem oder den
§ 9 der Berufsordnung der Landesärztekammer Sorgeberechtigten des Minderjährigen ande-
Baden-Württemberg vom 10.12.2012 (Schwei- rerseits zustande (es handelt sich um einen so-
gepflicht) schreibt vor, dass „Ärztinnen und genannten Behandlungsvertrag zu Gunsten des
Ärzte über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft minderjährigen Kindes, §§ 328 ff, 611 ff, 630
als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt ge- a ff BGB –neues Patientenrechtegesetz, gültig
worden ist – auch über den Tod der Patientinnen seit dem 26.2.2013).
und Patienten hinaus – zu schweigen haben“.
Zu beachten ist demzufolge, dass neben den
Die nachfolgenden Hinweise wenden sich dem vertraglichen Beziehungen zwischen Ihnen und
entsprechend nur an den Arzt, der „in Ausübung dem oder den Sorgeberechtigten im Rahmen
seiner beruflichen Tätigkeit“ (so § 4 Abs. 1 Satz des Behandlungsvertrages dem minderjährigen
1 KKG – „Gesetz zur Kooperation und Infor- Patienten auch höchst persönliche Rechte (z. B.

11
ein Recht auf Information oder Vetorecht bei Patientenrechtegesetz regelt insoweit nichts.
schweren medizinischen Eingriffen, auch das
Recht auf ärztliche Schweigepflicht) zustehen Eingeschränkte Weitergeltung landes-
können (Näheres siehe unten: Allgemein aner- rechtlicher Regelungen zum Kinderschutz
kannte Befreiung von der ärztlichen Schweige-
pflicht). Bisherige landesrechtliche Regelungen werden,
soweit Personen, „die der Schweige- oder Ge-
Die Rechtspflichten der heimhaltungspflicht gemäß § 203 StGB unter-
Ärztin oder des Arztes liegen“, berechtigt oder gar verpflichtet waren,
eine Kindeswohlgefährdung dem Jugendamt
Gemäß § 1 Absatz 1 Satz 1 der Berufsordnung mitzuteilen, durch das KKG ersetzt (vergleiche:
der Landesärztekammer Baden-Württemberg Gesetz zum präventiven Schutz der Gesundheit
in der Fassung vom 10.12.2012 „dienen Ärz- von Kindern und Jugendlichen in Baden-Würt-
tinnen und Ärzte der Gesundheit des einzelnen temberg vom 18. Februar 2009).
Menschen und der Bevölkerung“.
Weiterhin gilt nach dem Kinderschutzgesetz
Für Sie besteht vorrangig als eine so genann- Baden-Württemberg vom 18. Februar 2009 die
te „Hauptleistungspflicht“ die Heilbehandlung Pflicht der Personensorgeberechtigten, die Teil-
des Patienten. nahme ihrer Kinder an den Früherkennungsun-
tersuchungen sicherzustellen. Da diese Vorsor-
Im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses gemaßnahme der Gesundheit der Kleinkinder
gehört die ärztliche Schweigepflicht zu den dient, ist der Arzt, sollten die Sorgeberechtigten
essenziellen Berufspflichten eines Arztes. Die nach Anhörung die Durchführung der Vorsor-
Verschwiegenheitspflicht dient (schon ab An- geuntersuchung unterlassen, berechtigt , dem
bahnung des Arzt-Patienten-Verhältnisses) dem Jugendamt hiervon Kenntnis zu geben.
Schutz der Geheimsphäre des einzelnen, aber
auch dem Interesse der Allgemeinheit, dass Allgemein anerkannte Regeln
das Vertrauen zwischen Arzt und Patient nicht zur Befreiung von der
beeinträchtigt wird (Handbuch Medizinrecht, ärztlichen Schweigepflicht
Ratzel/ Luxenburger/Giring, § 14, RN. 106).
Die ärztliche Schweigepflicht bezieht sich nicht Dennoch gab und gibt es zahlreiche Erlaubni-
nur auf die mitbeteiligten Sorgeberechtigten statbestände, die Sie in die Lage versetzen, die
(Eltern) des Minderjährigen, sondern gleicher- „ärztliche Schweigepflicht“ zu durchbrechen.
maßen auch auf den minderjährigen Patienten
selber. Sie sind von der ärztlichen Schweigepflicht be-
freit, sofern Sie nicht „unbefugt“ (§ 203 StGB)
Die Nichtbeachtung der ärztlichen Schweige- handeln.
pflicht kann Schadensersatzansprüche (§ 823
BGB), aber auch die strafrechtliche Verfolgung
Dies ist der Fall, wenn
gemäß § 203 StGB („Verletzung von Privatge-
heimnissen“) sowie berufsrechtliche Maßnah- • der Patient Sie ausdrücklich oder still-
men (Berufsordnung der Landesärztekammer schweigend von der Schweigepflicht
Baden-Württemberg) nach sich ziehen. entbindet.
Bei der „Einwilligung“ zur Offenba-
Befreiung von der
rung des „ärztlichen Geheimnisses“ ist
ärztlichen Schweigepflicht
in den Fällen, in denen minderjährige
Patienten behandelt werden, wichtig
Die Befreiung von der ärztlichen Schweige-
zu beachten, dass sowohl die Einwilli-
pflicht als solche ist bisher im Einzelnen ins-
gung der Eltern oder der Sorgeberech-
besondere durch ein Bundesgesetz und im Ver-
tigten, aber auch die Einwilligung des
tragsrecht gesetzlich nicht geregelt. Auch das
minderjährigen Patienten vorliegen

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muss, sofern „dieser ein solches Maß Hierher gehören auch all die Fälle der
an Verstandesreife erreicht hat, dass Nichtanzeige geplanter (schwerer)
er die Tragweite seiner Entscheidung Straftaten, die im § 138 StGB geregelt
zu übersehen vermag“ (Palandt, BGB, sind. Davon erfasst ist insbesondere
72. Auflage, Überblick vor § 104, RN. die „glaubhafte“ Kenntnisnahme eines
8). Allgemein wird angenommen, dass geplanten Mordes oder Totschlags, ei-
jedenfalls ab Vollendung des 15. Le- ner Straftat gegen die persönliche Frei-
bensjahres minderjährige Patienten heit, eines bevorstehenden Raubes,
über diese Verstandesreife verfügen. einer räuberischen Erpressung oder
Bei Patienten unter 14 Jahren ist eine einer gemeingefährlichen Straftat, bei-
Einwilligung nicht erforderlich. spielsweise einer Brandstiftung.
• ein rechtfertigender Notstand gemäß §
34 StGB vorliegt: Für die ärztliche Praxis ist bedeutsam, dass die
Kindesmisshandlung sowie der sexuelle Miss-
Als Grundregel gilt, dass die Offen- brauch nicht zu den Pflichtstrafanzeigen nach §
barung eines ärztlichen Geheimnisses 138 StGB gehört. (Zur erlaubten Befugnis zur
ohne Einwilligung zum Schutz eines Offenbarung in diesen Fällen siehe oben § 34
höherrangigen Rechtsguts – dazu zählt StGB und die Ausführungen zum KKG, Ziff.
das Leben oder die körperliche Integri- 2.2.).
tät eines anderen Menschen – zulässig
und damit gerechtfertigt ist. Dies gilt
jedoch nur, soweit die Offenbarung 2.2. Das Bundeskinderschutzgesetz
des Geheimnisses ein angemessenes (BKiSchG) bzw. das darin enthal-
Mittel ist, eine unmittelbar bevorste- tene „Gesetz zur Kooperation und
hende Gefahr abzuwenden. Information im Kinderschutz (KKG)“
Einschlägige Beispiele sind (verglei- vom 22. Dezember 2011, in Kraft
che Fischer, StGB, 58 Aufl. § 203 RN. getreten am 1.1.2012
47): Ein Kinderarzt stößt bei der Be-
handlung auf eindeutige, auf Kindes- Gesetzesziel
missbrauch oder Kindesmisshandlung
Das „Gesetz zur Kooperation und Informati-
hinweisende Indizien, wobei er von
on im Kinderschutz (KKG)“ hat zum Ziel, das
akuter Wiederholungsgefahr ausge-
Wohl von Kindern und Jugendlichen zu schüt-
hen muss (siehe jetzt aber im Einzel-
zen und ihre körperliche, geistige und seelische
nen nachfolgend § 4 KKG). Erfahren
Entwicklung zu fördern (§ 1 Abs. 1 KKG).
Sie im Rahmen der Behandlung von
einer nahe liegenden erheblichen Ge- Das Gesetz schafft Rahmenbedingungen für ver-
fährdung anderer (z. B. Ankündigung bindliche Netzwerkstrukturen im Kinderschutz
eines Amoklaufes, einer Trunkenheits- und bezieht dabei ausdrücklich die Angehöri-
fahrt), sind Sie jedenfalls zur Mittei- gen der Heilberufe mit ein (§ 3 KKG) (Vergl.
lung an die Polizei befugt. Unzulässig zum Ganzen: Wiesner, SGB VIII, BKiSchG,
ist die Offenbarung in Fällen, in denen Beck online-Nachtrag Einf. Rn. N 3; Meysen/
nur ein allgemeines Interesse an der Eschelbach, Das Neue Bundeskinderschutzge-
Strafverfolgung besteht. setz):
• gesetzlich geregelte Offenbarungs-
pflichten bestehen Keine gesetzliche Verpflichtung zur
Information bei Kindeswohlgefährdung
Hierunter fallen beispielsweise Mittei-
lungen von Sozialdaten gem. §§ 202, Das KKG greift unter keinem Gesichtspunkt in
203 SGB VII, § 100 SGB X, sowie den ärztlichen Behandlungsvertrag ein. (Zusätz-
nach dem Infektionsschutzgesetz. liche) vertragliche Verpflichtungen zur Infor-

13
mationsweitergabe bei Kindeswohlgefährdung
Liegen die Voraussetzungen für eine allge-
werden durch das Gesetz nicht geschaffen.
mein anerkannte Befreiung von der ärztlichen
Schweigepflicht vor (z. B. zum Schutz eines
Die in § 4KKG aufgenommene Regelung: „Be-
höherwertigen Rechtsgutes), kann wie bisher
ratung und Übermittlung von Informationen
die ärztliche Schweigepflicht durchbrochen
durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefähr-
werden. (Beachten Sie bitte die oben unter 2.1.
dung“ schafft für Sie (nur) einen Erlaubnistat-
entwickelten Grundsätze). Sie gelten neben
bestand für die Weitergabe personenbezogener
dem KKG.
Daten bei gewichtigen Anhaltspunkten für die
Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Ju-
gendlichen an das Jugendamt; dies kann auch Das KKG, das generell „das Wohl von Kindern
gegen den Willen der Personensorgeberechtig- und Jugendlichen schützen und ihre körperli-
ten und eventuell des jugendlichen Patienten che, geistige und seelische Entwicklung fördern
geschehen, wenn Sie im Rahmen der ärztlichen will“, regelt ergänzend, wann „Ärztinnen oder
Behandlung davon Kenntnis erhalten. Ärzte befugt sind, dem Jugendamt die erforder-
lichen, personenbezogene Daten mitzuteilen“.
Entbindung von der ärztlichen Schwei- Dabei sind die Voraussetzungen zur Weiterga-
gepflicht gem. § 4 KKG im Einzelnen be personenbezogener Daten weiter gefasst als
bisher in § 203 StGB geregelt.
Von besonderer Bedeutung für den Arzt ist § 4
KKG, der jetzt eine bundeseinheitliche, erst- Sie sollen sich bei der Vorlage „gewichtiger
mals gesetzliche Regelung zur Beratung und Anhaltspunkte von Kindeswohlgefährdung“
Weitergabe von Informationen bei Kindeswohl- nicht gehindert sehen, die zur Abwendung der
gefährdung an das Jugendamt regelt. Gefahr erforderlichen jugendrechtlichen Maß-
nahmen einzuleiten.
Vorgeschrieben ist ein zweistufiges Verfahren
(vergleiche auch die Übersicht, Seite 22). Prüfung in zwei Stufen

Die Gesetzesbegründung sagt dazu: Das KKG regelt keine, auch keine berufsrecht-
liche ärztliche Pflicht, im Falle einer Kindes-
„Im Hinblick auf die vorrangige elterliche Er- wohlgefährdung Informationen an das Jugend-
ziehungsverantwortung und den Primat der el- amt weiterzuleiten. Entschließen Sie sich aber
terlichen Gefahrenabwendung verpflichtet die zum Schutze des Kindes oder Jugendlichen die
Vorschrift kind- und jugendnah beschäftigte unter die Schweigepflicht fallenden, personen-
Berufsgeheimnisträger zur Beratung der (per- bezogenen Daten (nur) an das Jugendamt mit-
sonensorgeberechtigten) Eltern und zur Mo- zuteilen, ist dies nach dem KKG grundsätzlich
tivation für die Inanspruchnahme geeigneter möglich, wenn Sie in zwei Stufen wie folgt vor-
Hilfen (§ 4 Abs. 1 und 2 KKG – erste Stufe)“ gegangen sind:
und „bestimmt im Interesse eines aktiven Kin-
derschutzes auch die Voraussetzungen, unter Erste Stufe:
denen die Adressaten befugt sind, Informatio-
nen an das Jugendamt weiterzugeben (Abs. 3 Ihnen müssen „gewichtige Anhaltspunkte für
– zweite Stufe)“. die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder
eines Jugendlichen bekannt werden“ (§ 4 Abs.
Sie sind im Grundsatz auch dann an die Schwei- 1 Satz 1 KKB).
gepflicht und den Datenschutz gebunden, wenn
sie „in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit“ Der Gesetzgeber umschreibt im KKG nicht,
unter anderem von „Gewalt gegen Kinder und was er unter „Gefährdung des Kindeswohls“
Jugendliche“ Kenntnis erhalten oder gewichti- versteht. Er hat jedoch dem Begriff der „Ge-
ge Anhaltspunkte dafür vorliegen. Die Rechte fährdung des Kindeswohls“ in diesem Gesetz
der Minderjährigen und deren Eltern oder Sor- dieselbe Bedeutung gegeben wie in § 1666
geberechtigten bleiben damit geschützt. BGB und § 8a SGB VIII. Diesen unbestimm-

14
ten Rechtsbegriff zu beurteilen, stößt häufig dung der Gefährdung erforderlich sind.
auf Schwierigkeiten. Da letztlich das Famili-
engericht in eigener Verantwortung über diese Der Begriff „Gefährdung des Kindeswohls“
Voraussetzungen zu urteilen hat, wird der maß- bezieht sich auf alle schwerwiegenden Beein-
gebende familienrechtliche Paragraph des BGB trächtigungen der Integritätsinteressen und
zur Auslegung herangezogen: Entfaltungsinteressen eines jungen Menschen
(vergleiche Schwab, Familienrecht, 17. Aufla-
§ 1666 BGB, Gerichtliche Maßnahmen bei Ge- ge, RN. 708 ff).
fährdung des Kindeswohls
Die Integritätsinteressen eines Minderjährigen,
(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische bei denen Sie regelmäßig tätig werden können,
Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet umfassen die Wahrung der körperlichen wie
und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in psychischen Gesundheit, die Versorgung mit
der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Nahrung, Kleidung und Wohnung sowie ein
Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die Mindestmaß an persönlicher Zuwendung.
zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
Die Entfaltungsinteressen beziehen sich auf
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Ab- die Entwicklung des Kindes durch Erziehung,
satz 1 gehören insbesondere durch geeignete soziale Kontakte, die Schul-
1. Gebote, öffentliche Hilfen wie zum und Berufsausbildung, die Pflege geistiger
Beispiel Leistungen der Kinder- und und kultureller Interessen, mit zunehmendem
Jugendhilfe und der Gesundheitsfür- Alter auch auf die Möglichkeit zu wachsender
sorge in Anspruch zu nehmen, Selbstbestimmung. Ob deren Beeinträchtigung
vorliegt, kann regelmäßig ein Arzt nicht beur-
2. Gebote, für die Einhaltung der Schul- teilen.
pflicht zu sorgen,
3. Verbote, vorübergehend oder auf un- Es geht für Sie als Arzt hauptsächlich um be-
bestimmte Zeit die Familienwohnung deutsame Fälle, die eine gravierende, miss-
oder eine andere Wohnung zu nutzen, bräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge
sich in einem bestimmten Umkreis der oder Vernachlässigung betreffen, also um ein
Wohnung aufzuhalten oder zu bestim- objektiv zweck- und sinnwidriges, den Bewah-
mende andere Orte aufzusuchen, an rung- und Entfaltungsinteressen eines Kindes
denen sich das Kind regelmäßig auf- grob zuwiderlaufendes Sorgeverhalten der El-
hält, tern. Gemeint sind auch gravierende Verstöße
4. Verbote, Verbindung zum Kind auf- gegen das Recht des Kindes auf gewaltfreie
zunehmen oder ein Zusammentreffen Erziehung, körperliche und seelische Miss-
mit dem Kind herbeizuführen, handlungen, Zufügung seelischer Qualen, Ein-
schüchterung, Verweigerung der Zustimmung
5. die Ersetzung von Erklärungen des In- zu notwendigen ärztlichen Maßnahmen (z. B.
habers der elterlichen Sorge, Bluttransfusion), unzureichende Versorgung
6. die teilweise oder vollständige Entzie- hinsichtlich elementarer Lebensbedürfnisse,
hung der elterlichen Sorge. unzureichende, nachhaltig die Gesundheit be-
treffende Aufsicht, mangelnde persönliche
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann Zuwendung, kindschädliche Umgangsverbote
das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung ge- oder Umgangsgewährung, Verleitung zur Kri-
gen einen Dritten treffen. minalität oder Duldung derselben (Schwab, a.
a. O.).
Auf Ihre ärztliche Tätigkeit übertragen, dürfen
Sie „bei gewichtigen Anhaltspunkten einer Kin-
deswohlgefährdung“ an das Jugendamt perso-
nenbezogene Daten mitteilen, die zur Abwen-

15
Gesetzlicher Anspruch auf Beratung des oder des Jugendlichen nicht infrage gestellt
durch das Jugendamt wird (§ 4 Abs. 1 KKG)“. Selbstverständlich
kann eine Erörterung auch dann stattfinden,
Sie können im Hinblick auf die nicht immer wenn die strengen Voraussetzungen der Kin-
leichte Beurteilung einer Kindeswohlgefähr- deswohlgefährdung nicht vorliegen.
dung fachlichen Rat beim (für sie zuständigen)
Bei Bekannt werden von „gewichtigen Anhalts-
Jugendamt einholen. Sie haben gemäß § 4 Abs.
punkten für eine Kindeswohlgefährdung“ wird
2 KKG „zur Einschätzung der Kindeswohlge-
also an Sie appelliert, nicht aus der unmittel-
fährdung gegenüber dem Träger der öffentli-
baren Heilbehandlung auszusteigen, sondern
chen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch
die Sorge um das Wohl des Kindes zum Anlass
eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ („ieF“). Sie
zu nehmen, auf die Beteiligten zuzugehen, um
sind zu diesem Zweck befugt, dieser Fachkraft
mit ihnen die eigenen Wahrnehmungen zur Si-
die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln.
tuation des Kindes oder Jugendlichen bzw. in
Bei dieser Beratung müssen Sie lediglich die
der Familie sowie die Einschätzungen zu einem
Daten „pseudonymisieren“.
weiteren Hilfebedarf zu „erörtern.“
„Pseudonymisieren“ bedeutet, dass die Identi-
fizierung der betroffenen Person wesentlich er- Die Kindeswohlgefährdung ist stets auch ein
schwert wird. Dies kann beispielsweise dadurch Hinweis auf Hilfebedarf!
geschehen, dass die Namen der Beteiligten ge- Mit dem Gebot auf Erörterung wird auch dem
ändert, abgekürzt oder durch andere Zeichen zentralen Grundsatz des Schutzes der „infor-
ersetzt werden (Wiesner, Nachtragskommentie- mationellen Selbstbestimmung“ nach Art. 1
rung zum BKiSchG, N 27). Im Gegensatz zur GG, „dem Transparenzgebot“, aber auch dem
„Anonymisierung“ sind Sie im Rahmen der Be- „rechtlichen Gehör“ Rechnung getragen. Die
ratung nicht verpflichtet, den Sachverhalt so zu Beteiligten sollen wissen, was mit den anver-
ändern, dass keine Zuordnung zu dem betrof- trauten Informationen geschieht. Ergibt sich
fenen Patienten möglich ist. Ist aufgrund des eine Situation, in der eine Datenübermittlung
Beratungsgespräches trotz „pseudonymisieren“ gegen den Willen der Beteiligten (Kind und/
die betroffene Person letztlich erkennbar, scha- oder Eltern) angezeigt und zulässig ist, gilt der
det dies nicht. Grundsatz: „Vielleicht gegen den Willen, aber
nicht ohne Wissen“ (vergleiche insoweit Mey-
Die „insoweit erfahrene Fachkraft“, die selbst- sen/Eschelbach, a.a.O. Kap. 3, RN. 75 ff).
verständlich auch der Schweigepflicht unter-
liegt, ist nicht identisch mit der Fachkraft des Zweite Stufe
Jugendamtes, die eventuell später nach Mittei-
lung durch Sie die Minderjährigen gemäß § 8 a Mitteilung der erforderlichen
SGB VIII zu betreuen hat. Die Fachkraft ist nur Daten an das Jugendamt
beratend tätig und nicht verpflichtet, von Amts
wegen einzuschreiten. Eine „Haftung“ für die § 4 Abs. 3 KKG umschreibt für Sie die Vorge-
Auskunft kann sie jedoch nicht übernehmen. hensweise, wenn bei Gefährdung des Kindes-
wohls die Mitwirkung des Minderjährigen oder
Information des Minderjährigen und dessen Eltern bzw. Sorgeberechtigten insbeson-
deren Eltern bzw. Sorgeberechtigten dere durch Inanspruchnahme der Hilfe durch
Sie oder das Jugendamt scheitert oder eine Er-
Stellen Sie „in Ausübung ihrer beruflichen örterung im Interesse des Kindes ausscheidet.
Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die
Gefährdung des Wohls des Kindes oder des Die Regelung lautet: „Scheidet eine Abwen-
Jugendlichen fest“, sollen Sie zunächst „mit dung der Gefährdung nach Absatz 1 aus oder
diesen die Situation erörtern und, soweit erfor- ist ein Vorgehen nach Absatz 1 erfolglos und
derlich, bei den Personensorgeberechtigten auf halten die in Absatz 1 genannten Personen ein
die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich,
soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kin- um eine Gefährdung des Wohls eines Kindes

16
oder eines Jugendlichen abzuwenden, so sind werden, wenn Sie nach eigener Überzeugungs-
sie befugt, das Jugendamt zu informieren; hier- bildung zu dem Schluss gekommen sind, dass
auf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindes-
sei denn, dass damit der wirksame Schutz des wohlgefährdung vorlagen.
Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt
wird. Zu diesem Zweck sind die Personen nach Unerheblich dabei ist, ob das informierte Ju-
Satz 1 befugt, dem Jugendamt die erforderli- gendamt tatsächlich für den Minderjährigen
chen Daten mitzuteilen.“ zuständig war oder ist. Gegebenenfalls hat das
Jugendamt die eigene Zuständigkeit zu prüfen.
Pflicht zur vorherigen Information der
Beteiligten vor Weitergabe der Daten Sie sollten in jedem Falle bei einer Information
an das Jugendamt des Jugendamtes die „beiden Stufen“ dokumen-
tieren (siehe auch „Fallmanagement“).
Zu beachten ist dabei grundsätzlich, dass vor
Mitteilung der personenbezogenen Daten an 2.3. Mit anderen Institutionen
das Jugendamt sowohl der Minderjährige als kooperieren
auch dessen Eltern bzw. Sorgeberechtigten
von der Weitergabe informiert werden (Trans- Das Bundeskinderschutzgesetz schafft Rahmen-
parenzgebot). Sie sollten in diesem Fall darauf bedingungen für verbindliche Netzwerkstruktu-
hinwirken, dass die Betroffenen in eine Weiter- ren im Kinderschutz (vergl. § 3KKG). Ziele des
gabe der Daten ausschließlich an das Jugend- Netzwerkes sollen sein, dass sich die beteilig-
amt einwilligen. ten Institutionen gegenseitig über das jeweilige
Angebots- und Aufgabenspektrum informieren,
Das Gesetz erlaubt nach seinem ausdrücklichen miteinander die strukturellen Fragen der Ange-
Wortlaut auch die Information Ihrer Gefahren- botsgestaltung und – entwicklung klären sowie
einschätzung an das Kind gegen den Willen der Verfahren im Kinderschutz aufeinander ab-
Eltern bzw. an die Eltern gegen den Willen des stimmen. In das Netzwerk sollen insbesondere
Kindes. Einrichtungen und Dienste der öffentlichen und
freien Jugendhilfe, Gesundheitsämter, Sozial-
Von dieser Pflicht zur Information der Kin- ämter, Schulen, Polizei- und Ordnungsbehör-
der und Sorgeberechtigten darf nur abgewi- den, Agenturen für Arbeit, Krankenhäuser, so-
chen werden, wenn gewichtige Anhaltspunk- zialpädiatrische Zentren, Beratungsstellen für
te vorliegen, die einen wirksamen Schutz des soziale Problemlagen, Beratungsstellen nach
Minderjährigen infrage stellen würden. Allein dem Schwangerschaftskonfliktgesetz, Einrich-
arbeitsökonomische Gründe oder ein zu erwar- tungen zum Schutz gegen Gewalt in engen
tender Konflikt mit den Beteiligten entbinden sozialen Beziehungen, Familiengerichte und
Sie nicht von der Informationspflicht. schließlich Angehörige der Heilberufe einbezo-
gen werden (§ 3 Abs. 2 KKG).
Eine Gefährdung des wirksamen Schutzes des
Minderjährigen kommt vor allem bei sexuellem Darüber hinaus eröffnet das KKG eine enge
Missbrauch oder bei andauernder Kindesmiss- Zusammenarbeit zwischen der Ärzteschaft
handlung im Familienbereich in Betracht. und dem Jugendamt. Institutionen wie Allge-
meine Soziale Dienste und Kinderschutzor-
Erst nach „Durchlaufen der beiden Stufen“ sind ganisationen können meist dem Kind und der
Sie im Sinne der zivilrechtlichen und strafrecht- Familie direkter helfen. So ist es auch Aufgabe
lichen Vorschriften von der ärztlichen Schwei- des Jugendamtes und der Allgemeinen Sozia-
gepflicht befreit. len Dienste, einem Verdacht auf Gewalt gegen
Kinder nachzugehen und die Misshandlung zu
Sollte sich später herausstellen, dass beispiels- stoppen.
weise das Jugendamt Sie unzureichend beraten
hat, kann Ihnen dann kein Vorwurf gemacht Die Interventionsmöglichkeiten dieser Einrich-

17
tungen sind stets hilfeorientiert und sehr un- neten Person, in einer geeigneten Einrichtung
terschiedlich. Hilfen werden, soweit möglich, oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig un-
unter Beteiligung der Eltern und Kinder entwi- terzubringen; im Fall von Satz 1 Nr. 2 auch ein
ckelt, um damit den Schutz von Kindern – auch Kind oder einen Jugendlichen von einer ande-
in ihren Familien – sicherzustellen. Die Palette ren Person wegzunehmen.
reicht von präventiven Hilfen über ambulante
(anonyme) Beratung und Therapie bis zu lang- Einschalten des Familiengerichts
fristigen und stationären Maßnahmen. (nur) durch das Jugendamt

Die gesetzliche Regelung zum Kinderschutz, Das Bundeskinderschutzgesetz erlaubt es Ih-


vor allem § 8a des Kinder- und Jugendhilfe- nen nicht, unter Missachtung der ärztlichen
gesetzes (SGB VIII), betont den Hilfe- und Schweigepflicht im Falle einer Gefährdung
Unterstützungsauftrag der Jugendhilfe. Das des Kindeswohls direkt das Familiengericht
Jugendamt ist im Gegensatz zu den anderen zu informieren. Dem Gesetzgeber erschien es
Einrichtungen gesetzlich zur Gefährdungsein- ausreichend, dass im Falle der Kindeswohlge-
schätzung und Hilfe verpflichtet. fährdung nur das Jugendamt (nach Prüfung der
beiden Stufen – siehe oben) informiert werden
Vorübergehende Inobhutnahme durch darf. Diese Regelung entspricht der öffentlich-
das Jugendamt als sofortige Hilfe rechtlichen Gesetzessystematik, wonach das
Jugendamt kraft Gesetzes gemäß § 8 a Abs. 1
In Fällen einer akuten Gefährdung kann das SGB VIII verpflichtet ist,
Jugendamt bzw. der Allgemeine Soziale Dienst
(ASD) Kinder und Jugendliche gemäß § 42 des bei bekannt werden gewichtiger Anhaltspunk-
Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) je- te für die Gefährdung des Wohls eines Kindes
derzeit vorübergehend in seine Obhut nehmen. oder Jugendlichen das Gefährdungsrisiko ein-
zuschätzen und zur Abwendung der Gefährdung
§ 42 SGB VIII Inobhutnahme die Gewährung von Hilfen den Erziehungsbe-
von Kindern und Jugendlichen rechtigten anzubieten hat.
(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflich- § 8 a Abs. 2 SGB VIII in der Fassung vom
tet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine 1.1.2012 sieht insoweit ausdrücklich vor:
Obhut zu nehmen, wenn
„Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Fa-
miliengerichts für erforderlich, so hat es das Ge-
1. das Kind oder der Jugendliche um Obhut bit- richt anzurufen; dies gilt auch, wenn die Erzie-
tet oder hungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage
2. eine dringende Gefahr für das Wohl des Kin- sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsri-
des oder des Jugendlichen die Inobhutnahme sikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Ge-
erfordert und fahr oder kann die Entscheidung des Gerichts
nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt
a) die Personensorgeberechtigten nicht wider- verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in
sprechen oder Obhut zu nehmen“.

b) eine familiengerichtliche Entscheidung nicht Auch die Einrichtung der „insoweit erfahrenen
rechtzeitig eingeholt werden kann oder Fachkraft“ nach dem KKG macht deutlich, dass
die entsprechende Sachkompetenz zur ange-
3. ein ausländisches Kind oder ein ausländischer
messenen Hilfe der Minderjährigen bei Kindes-
Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland
wohlgefährdung beim Jugendamt angesiedelt
kommt und sich weder Personensorge- noch
ist.
Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.

Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, ein


Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeig-

18
Verantwortung des Familiengerichts 177 StGB (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung)
in Kindschaftssachen zur Anzeige gebracht werden. Jugendliche un-
ter 18 Jahren sind durch § 182 StGB (sexuel-
Das Familiengericht seinerseits wird auf Antrag ler Missbrauch von Jugendlichen) geschützt.
oder von Amts wegen tätig. Es hat das famili- Nach § 182 Abs. 1 StGB wird jeder, der eine
enrechtliche Verfahren vorrangig und beschleu- Person unter 18 Jahren unter Ausnutzung einer
nigt durchzuführen, hat mit den Eltern und in Zwangslage missbraucht, bestraft.
geeigneten Fällen mit dem Kind die Gefährdung
zu erörtern und bei Kindeswohlgefährdung die Nach § 182 Abs. 2 StGB werden Erwachsene
Eltern persönlich anzuhören. Das Familienge- (Personen über 18 Jahren) bestraft, die eine
richt hat auch in jeder Lage des Verfahrens zu Person unter 18 Jahren dadurch missbrauchen,
prüfen, ob eine einstweilige Anordnung gebo- dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an
ten ist. Es darf seine Entscheidungen stets abän- ihr vornehmen oder an sich von ihr vornehmen
dern, wenn dies aus nachhaltigen Gründen er- lassen. Schließlich verbietet § 182 Abs. 3 StGB
forderlich ist. In allen Sorgerechtsverfahren ist sexuelle Handlungen von Personen über 21 Jah-
im Übrigen das Jugendamt zu beteiligen (und ren mit Minderjährigen unter 16 Jahren, wenn
beschwerdeberechtigt). der Erwachsene dabei die fehlende Fähigkeit
des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung
Sexueller Missbrauch an Kindern und ausnutzt.
Schutzbefohlenen im StGB
Für die ärztliche Praxis ist relevant, dass die
Erhalten Sie von einem sexuellen Missbrauch vorgenannten Straftaten nicht zu den Pflicht-
an Kindern und Schutzbefohlenen Kenntnis, strafanzeigen nach § 138 StGB gehören. Es gibt
sind Sie bei (möglicher) Fortdauer regelmäßig keine allgemeine Meldepflicht bei Verdacht auf
befugt, zum Schutze des Kindes und möglicher Kindesmisshandlung.
anderer Geschädigter das Jugendamt und ge-
gebenenfalls die Strafverfolgungsbehörden zu Das Landesberufsgericht für Ärzte in Stuttgart
informieren (§ 34 StGB) (siehe 2.4) . Erscheint (LBGÄ 9/2012, Beschluss vom 14. Juli 2012)
ihnen die Benachrichtigung des Jugendamtes hat beispielsweise entschieden, dass die Mittei-
ausreichend, um das Kind zu schützen, scheidet lung eines Arztes über den Verdacht „unüblicher
eine Benachrichtigung der Strafverfolgungsbe- Berührungen eines Vaters in der Schamgegend
hörden aus. Anders abwendbar ist die Gefahr der Tochter“ zum Schutze des höherwertigen
insbesondere auch, wenn rechtzeitig staatliche Rechtsgutes des Kindes auch ohne Schweige-
Hilfe möglich ist (Fischer, StGB, 58. Auflage, pflichtentbindung gerechtfertigt ist.
§ 34 Rn. 5). Das Jugendamt leistet staatliche
Hilfe. 2.4. Handlungsempfehlungen bei
Der Gesetzgeber stellt die Misshandlung von dringendem Verdacht von Kindes-
Kindern, und zwar die Vernachlässigung, den misshandlungen
sexuellen Missbrauch und die körperliche
Gewalt, unter Strafe. Die Misshandlung von Das Wohl des Kindes ist Maßstab
Schutzbefohlenen wird nach § 225 StGB mit der ärztlichen Behandlung
Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn
Jahren bestraft. Die meisten Anklagen beru- In der ärztlichen Versorgung steht die Behand-
hen auf § 174 StGB (sexueller Missbrauch von lung des minderjährigen Patienten im Vorder-
Schutzbefohlenen) und §§ 176, 176 a StGB (se- grund. Erst, wenn die medizinische Hilfe ge-
xueller Missbrauch von Kindern). leistet ist, prüfen oder überlegen Sie, ob darüber
hinaus angesichts der möglichen oder (medizi-
Wird eine Person (auch Minderjährige) durch nisch) festgestellt Kindesmisshandlung oder
Gewalt oder Drohung zu sexuellen Handlungen Kindeswohlgefährdung ein weiteres ärztliches
gezwungen, so kann diese Handlung nach § Tätigwerden erforderlich erscheint.

19
Nicht in Aktionismus verfallen gebot“ der Verdacht der Gefährdung
des Kindeswohls mit den Beteiligten
Das Wohlergehen des Kindes ist stets zu be- besprochen werden kann, sofern nicht
rücksichtigen. Daher sollten Sie die Problema- das Wohl des Kindes dadurch gefähr-
tik zunächst mit den Sorgeberechtigten und, det werden kann
wenn das Alter es zulässt, mit dem Minderjähri- • bei Weigerung der Annahme von Hil-
gen erörtern. Besteht die konkrete Gefahr einer fe durch den Arzt oder das Jugend-
fortdauernden Beeinträchtigung des Kindes- amt Prüfung der „zwei Stufen“ nach
wohls, dürfen Sie das Jugendamt konsultieren § 4 KKG (nach Meysen/Eschelbach,
bzw. informieren (siehe oben: Prüfung der zwei BKiSchG, Kap. 3, RN. 91):
Stufen)
Erste Stufe:
Eigene Bewertung und
Einstellung klären Eigenverantwortliche Gefährdungseinschät-
zung und Beurteilung der „gewichtigen An-
Sie sollten in einem Fall von Kindesmisshand- haltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines
lung oder sexuellem Missbrauch dem Kind ge- Kindes oder Jugendlichen“. Fragen Sie sich: Ist
genüber unbefangen bleiben. Dadurch wird dem das Gefährdungspotentzial eher hoch oder sehr
Kind ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Auch hoch und ist der Grad der Gewissheit der Kin-
das Verhalten gegenüber den Sorgeberechtigten deswohlgefährdung eher sicher oder noch un-
sollte freundlich sein. Vorwürfe, Vermutungen sicher.
und Vorurteile gegenüber Erziehungsberech-
tigten oder ein Dramatisieren des Falles helfen
Bestehen insoweit Zweifel, dürfen Sie die „in-
nicht weiter.
soweit erfahrenen Fachkraft“ beim Jugendamt
Eigene Möglichkeiten konsultieren, wobei ein Pseudonym für den Pa-
und Grenzen kennen tienten zu verwenden ist.

Wenn in einer Familie Gewalt ausgeübt wurde, Liegt eine Kindeswohlgefährdung vor und wol-
werden auch an die Ärzteschaft insbesondere len Sie das Jugendamt informieren, haben Sie
dann, wenn von ihr das Problem direkt ange- dies mit dem Kind und dem Personensorgebe-
sprochen wurde, hohe Erwartungen gerichtet. rechtigten zu erörtern und (erneut) auf Hilfen
Eine Bitte um Hilfe kann sowohl vom Kind als (nicht notwendig des Jugendamtes) hinzuwir-
auch von der begleitenden Person ausgehen. ken. Die Erörterungspflicht entfällt, soweit
Hier müssen Sie Ihre eigenen Möglichkeiten hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder
und Grenzen genau kennen. Das Vertrauen, das des Jugendlichen infrage gestellt wird.
Ihnen entgegengebracht wird, darf nicht durch
Versprechen, die Sie später nicht einhalten kön- Zweite Stufe:
nen, zerstört werden.
Liegen nach Ihrer Gefährdungseinschätzung
Was sollte bei „Gewalt gegen Kinder“ „gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung
und „Kindeswohlgefährdung“ des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen
beachtet werden: vor“ und werden Hilfen von ihnen nicht ange-
• zu aller erst: Die medizinische Versor- nommen, dürfen Sie (allein) dem Jugendamt
gung des minderjährigen Patienten si- die erforderlichen Daten mitteilen. Sie handeln
cherstellen in diesem Fall nicht arztwidrig und machen sich
dadurch insbesondere nicht strafbar.
• sorgfältige Diagnose bei einem Ver-
dacht der physischen und/oder psychi-
Vergessen Sie nicht, alles zu dokumentieren.
schen Gewaltanwendung erstellen
• prüfen, ob nach dem „Transparenz-

20
Musterbrief für eine schriftliche Meldung an das Jugendamt

An die

Sozial- und Jugendbehörde

der Stadt/des Landkreises

Mitteilung einer Kindeswohlgefährdung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 KKG

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie werden hiermit nach § 4 Abs. 3 Satz 2 KKG über „gewichtige Anhaltspunkte für die Gefähr-
dung des Wohls des nachbenannten Kindes/der nachbenannten Kinder informiert“.

Name des Kindes:

Geburtstag:

Erziehungsberechtigte:

Adresse:

Vorstellungsgrund in der Praxis/Klinik:

Vorläufige Diagnose/n:

Begründung:

Die Erziehungsberechtigten wurden informiert/nicht informiert.

Mit freundlichen Grüßen

Ärztin/Arzt

21
Der Handlungsablauf in der Übersicht

x Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung Minderjähriger liegen vor

Kenntnis in Ausübung der beruflichen, Kenntnis außerhalb der ärztlichen


ärztlichen Tätigkeit Tätigkeit

Zuerst: Keine Pflicht Pflicht


Ärztliche Behandlung Ihres Patienten zum zum
Tätigwerden Tätigwerden

Anzeige § 138 StGB


zulässig bei: (Anzeigepflicht
Es gilt die ärztliche Schweigepflicht für von geplanten
die Eltern/Personensorgeberechtigten und Jugendamt Straftaten,
den Minderjährigen (z.B. Mord,
Familien- Totschlag, Raub
gericht Erpressung)

Polizei § 323 c StGB


(Hilfe bei
Das Schweigegebot darf durchbrochen werden Staatsan- Unglücksfällen,
waltschaft gemeiner Gefahr
oder Not)

§ 4 Abs. 3 KKG

Einwilligung Freiwillige Mitteilung der § 34 StGB Gesetzliche


(ausdrücklich oder erforderlichen Daten
Mitteilungspflicht
mutmaßlich) Rechtfertigender
bei gewichtigen
Anhaltspunkten einer Notstand Sozialdaten nach
der Eltern/Personensorge- Kindeswohlgefährdung dem Sozialrecht
berechtigten und Nur bei InfektionsschutzG
nach Anhörung und gegenwärtiger Anzeige von
des Minderjährigen gegen den Willen des nicht anders geplanten
(jedenfalls ab 15 J) Minderjährigen und dessen
abwendbarer Straftaten (§ 138
Eltern/Sorgeberechtigten
Gefahr StGB)
(nur) an das Jugendamt

Gewichtige Anhaltspunkte liegen vor:


Schwerwiegende Beeinträchtigung des „Integritätsinteresses“:
Gravierende, missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge wie
Vernachlässigung, körperliche und seelische Misshandlung (Recht auf
gewaltfreie Erziehung), sexueller Missbrauch, Verweigerung einer
notwendigen ärztlichen Behandlung, schädliche Umgangsverbote oder
Umgangsgewährung, Verleitung zur erheblichen Kriminalität oder Duldung
derselben, unterlassene Vorsorgeuntersuchung bei Kleinkindern

22
J e mehr psychosoziale Risikofaktoren im frühen
Lebensalter vorliegen, je länger eine Störung
andauert und je älter diese Kinder werden, des-
to komplexer werden die Folgen, desto größer wird
die Zahl der Helfer und umso ungünstiger wird die
Prognose.“

3. Früherkennung und ßer wird die Zahl der Helfer und umso ungüns-
tiger wird die Prognose.
Prävention von
Kindeswohlgefährdungen Schutzfaktoren erkennen
in der frühen Kindheit Aus den Untersuchungen von Werner und Laucht
geht hervor, dass nicht alle Hochrisikokinder
Dr. Wilfried Kratzsch, Ltd. Oberarzt i.R. des massive Störungen zeigen, sondern ein Drittel
Kinderneurologischen Zentrums der Sana Kli- davon sich unauffällig entwickelt. Bei diesen
niken Düsseldorf, Vorstandsvorsitzender der Kindern liegen Resilienzfaktoren vor, durch die
Stiftung Deutsches Forum Kinderzukunft. Risikobelastungen vermindert und eine unge-
störte Entwicklung ermöglicht werden.
Nach übereinstimmenden Ergebnissen von
Präventionsprojekten in Ludwigshafen („guter Früherkennung in der Geburtshilfe,
Start ins Kinderleben“), Hamburg („Babylot- Kinderklinik und kinder- und jugend-
se“) und Düsseldorf (Klinik-Projekt) weisen ärztlicher Praxis
fünf bis acht Prozent aller Neugeborenen ge-
sundheitliche und psychosoziale Risikomerk- Früherkennung und Prävention von Kindes-
male auf, die zu schweren Entwicklungs- und wohlgefährdungen sind in der frühen Kindheit
Verhaltensstörungen und/oder zu einer ernst- durch den Einsatz eines Risikoscreeningbogens,
haften Kindeswohlgefährdung in der frühen Beobachtung der Eltern/Kind-Interaktion sowie
Kindheit führen können. durch das interdisziplinäre Angebot früher Un-
terstützung und Hilfen möglich – sowohl in der
Bessere Prognose durch Geburtshilfe, Kinderklinik auch in der kinder-
und jugendärztlichen Praxis.
Früherkennung
Je früher die Risikomerkmale erkannt und frühe Ziel der Früherkennung und Prävention ist der
Hilfen angeboten werden, umso günstiger sind Abbau von Stressfaktoren, Förderung der El-
Prognose und so größer die Wahrscheinlichkeit, ternkompetenz, Aufbau einer sicheren Eltern-
Kindeswohlgefährdungen vorzubeugen, die zu Kind-Bindung und die Förderung der gesunden
Vernachlässigungen und Gewalt an Kindern Entwicklung des Kindes und der Familienge-
führen können. sundheit.

Je mehr psychosoziale Risikofaktoren im frü- Bestimmend für das interdisziplinäre Vorgehen


hen Lebensalter vorliegen, je länger eine Stö- sind ein abgestimmtes Miteinander der einbe-
rung andauert und je älter diese Kinder werden, zogenen Stellen und eine Stärkung der elterli-
desto komplexer werden die Folgen, desto grö- chen Kompetenz.

23
3.1 Früherkennung von Risikomerk- 5. Psychosoziale Belastungen in Hinblick auf
malen zur Kindeswohlgefährdung
• die finanzielle Situation: hohe Schul-
Risikobelastungen erkennen den, Erstausstattung des Babys kann
nicht angeschafft werden, Grundver-
Hinweise auf Risikobelastungen ergeben sich sorgung ist nicht gesichert,
in der Geburtsklinik durch Erkennung von spe-
zifischen gesundheitlichen und psychosozialen Wohnungssituation
Risikoziffern im Mutterpass, über den Einsatz • die Partnersituation: durch Konflikte mit
eines Screeningbogens zur Erfassung von in der dem Partner, Trennung vom Partner,
Geburtshilfe erkennbaren Belastungen, durch
die Beobachtung einer auffälligen Mutter-Kind- • die eigene Person: Überforderung
Interaktion und eines auffälligen mütterlichen durch Haushaltsführung, Kindererzie-
Verhaltens auf der Wöchnerinnenstation. hung, Doppelbelastung durch Beruf
und Haushalt, Behördengänge, man-
In der Kinderklinik, kinder- und jugendärztli- gelnde Wertschätzung.
chen Praxis und Notfallambulanz können sich
ebenfalls Hinweise auf Risikobelastungen er- Erhöhte Gefährdungen lassen sich nicht auf ei-
geben. nen Risikofaktor, sondern in der Regel auf die
Kombination mehrerer Belastungen zurückfüh-
Dabei sind zu beachten: ren. Dies ist zum Beispiel der Fall bei
• alleinstehenden Müttern mit finan-
1. die gesundheitlichen und psychosozialen ziellen Problemen, Überforderung
Belastungen im Mutterpass und im Vorsor- durch Doppelbelastungen (Haushalts-
geheft für Kinder und Jugendliche führung, Kindererziehung), bei man-
gelnder Unterstützung durch Familie,
2. die persönlichen Daten der Mutter und des Freunde, sozialer Isolation und
Vaters wie Alter, beispielsweise unter 18
Jahren, Familienstand, beispielsweise al- • Eltern mit Arbeitslosigkeit, wirtschaft-
leinstehend; Kinderzahl, beispielsweise lichen und Wohnungsproblemen, man-
mehrere Kleinkinder; Geschwisterkinder gelndem Vorsorgeverhalten, mangeln-
leben in Pflegefamilien, der Kommunikation.

3. gesundheitliche Risikofaktoren, zum Bei- Andere Risikofaktoren weisen bereits allein für sich
spiel chronische und psychische Erkrankun- genommen ein hohes Gefährdungspotential auf,
gen der Familienmitglieder, die die Lebens- sind aber ebenfalls zumeist kombiniert mit weite-
qualität der Familie beeinträchtigen; Gewalt ren Belastungen. Hierzu zählen beispielsweise:
in der Partnerschaft und Herkunftsfamilie; • Eltern mit psychischen Störungen, bei-
Suchtverhalten der Mutter/Eltern sowie spielsweise Depressionen, Psychosen,
4. Hinweise auf postpartale Depression. Borderline-Symptomatik,

Das können beispielsweise folgende • Eltern mit Gewaltkonflikten und Ge-


Aussagen sein: walt- und Heimerfahrungen in der ei-
genen Kindheit,
• Ich habe selber Schuld, wenn die Din-
ge nicht gut verlaufen. • Eltern mit Suchtverhalten (Alkohol,
Tabletten, Drogen).
• Ich habe Angst oder bin besorgt ohne
guten Grund. 6. Mangelhaftes Vorsorgeverhalten während
• Ich fühlte mich ängstlich oder panisch der Schwangerschaft: fehlender Mutterpass
ohne guten Grund. weniger als fünf Vorsorgeuntersuchungen
während der Schwangerschaft.

24
7. Mangelnde Unterstützung durch Familie, Bei allen Hochrisikofamilien ist auf das Vorlie-
Freunde, keine sozialen Kontakte. gen von Resilienzschutzfaktoren zu achten, die
Risikobelastungen vermindern können: zum
8. Erhöhte Fürsorge-Anforderungen durch das
Bei­spiel Unterstützung durch Familie, Freunde,
Kind bei:
sicheres Bindungsverhalten, kontaktfreudiges
• ehemaligem Frühgeborenen, Temperament des Kindes.
• Mehrlingen,
• chronisch krankem Kind, 3.2 Vorgehen bei Aufenthalt in der
Geburtshilfeklinik oder Kinderklinik
• behindertem Kind,
und in der ärztlichen Praxis
• entwicklungsgestörtem Kind,
• Anamneseerhebung: Bei Stichwörtern
• Kind mit schwierigem Temperament. mit Hinweisen auf Risikobelastungen
9. Gestörte Eltern-Kind-Interaktion: sollte ein weiterführendes, eingehen-
des Gespräch über die gesundheitli-
• negative Äußerungen der Eltern über chen und psychosozialen Belastungen/
das Kind, Überforderungen geführt werden;
• mangelnde Feinfühligkeit, wenig • Erhebung der Risikobelastungen durch
Kommunikation mit dem Kind, Nicht- Einsatz des Basis-Risikoscreeningbo-
wahrnehmung frühkindlicher Signale gens;
(Blickkontakt, Lautieren, Lachen),
• Beurteilung der Mutter-Kind Interak-
• wenig Interesse am Kind, Bevorzu- tion auf der Wöchnerinnenstation, in
gung von Fernsehen und Handyge- der Kinderklinik, ärztlichen Praxis;
sprächen, Beurteilung der Eltern/Kind Bindung;
• impulsiver, inkonsequenter Erzie- • Beachtung von Schutzfaktoren;
hungsstil.
• Einstufung der Risikolage: kann flie-
10. Auffälliges Bindungsverhalten ßend sein, ist abhängig vom Ausmaß
• unsicher-vermeidend, der jeweiligen Risikobelastung, bei-
spielsweise sind chronische psychi-
• unsicher-ambivalent. sche Belastungen bzw. akute Psycho-
sen unterschiedlich zu bewerten;
11. Merkmale mütterlicher und väterlicher Ver-
• Monitoring früher Hilfen, Nachverfol-
nachlässigung und Ablehnung im frühen
gung der frühkindlichen Entwicklung;
Säuglingsalter
• Beachtung des Vorsorgeverhalten
12. Besondere Gefährdungszeiträume: Zusam- während des ersten und zweiten Le-
mentreffen von Risikobelastungen und ris- bensjahres, des Nicht-Einhaltens von
kanten Entwicklungsphasen, beispielswei- Vorsorgeterminen bei der „Ärztehop-
se Regulationsstörungen, wie Fütter- und ping“, häufiger Wechsel der Arztpra-
Schlafstörungen, auffälliges Trotzverhal- xen.
ten; beginnende Entwicklungsstörungen
und Behinderung.

25
3.3 Etablierung früher Unterstützung zu einer zunehmenden Kindeswohlgefährdung
und früher Hilfen führen und wie einer Gefährdung durch eine
frühe Unterstützung der Familie und des Kin-
• Einsatz niedrigschwelliger aufsuchen- des bzw. Weiterleitung an geeignete Beratungs-
der Dienste, wie Hebamme/ Familien- stellen vorgebeugt und Belastungen vermindert
hebamme, Familien-Kinderkranken- werden können.
schwestern bzw. Familienpflegerinnen
von Anfang an, beginnend in der Ge-
Im Einzelnen wird das besondere Augenmerk
burtshilfe;
auf folgende Punkte gelenkt:
• Familienentlastung durch Haushalts-
• Nachverfolgung der Risikobelastun-
hilfe über die Krankenkasse, Verord-
gen (Zu- oder Abnahme von Belas-
nung erfolgt über den Arzt;
tungen), Beachtung kritischer Lebens-
ereignisse, wie Erkrankung, Tod von
Hinweis auf präventive und gesundheitsför-
Familienmitgliedern, Trennung des
dernde Leistungen der GKV und PKV, § 20
Partners, Wahrnehmung zunehmen-
SGB V: Raucherentwöhnung, Suchtprävention,
der Überforderung, beispielsweise bei
stressreduzierende Maßnahmen.
alleinstehenden Müttern, mangelnder
• Hinweis auf finanzielle Unterstützung Unterstützung, mangelnden Kontak-
durch die „ während der Schwanger- ten, Betreuung mehrerer Kleinkinder,
schaft durch die Schwangerenbera-
• Beachtung und Nachverfolgung auf-
tungsstellen oder zum Zeitpunkt der
fälliger Entwicklung und auffälligen
Geburt in der Geburtsklinik;
Verhaltens im Säuglingsalter, Beach-
• Kontakt zu den „Frühen Hilfen“ des tung des Auftretens riskanter Ent-
Jugendamtes bzw. Jugendhilfeträger, wicklungen, wie beispielsweise Re-
gegebenenfalls Einsatz einer Haus- gulationsstörungen, Verhaltens- und
haltshilfe, einer sozialpädagogischen Entwicklungsstörungen,
Familienhilfe, Schuldnerberatung und
• Beachtung und Nachverfolgung chro-
anderes mehr;
nischer Erkrankungen, insbesondere
• Hinweis auf Elternkurse, Müttercafe; Infekte der oberen Atemwege, begin-
• Hinweis auf Kurse zur Bindungsförde- nender Behinderungen.
rung, Safe , „Steep“, entwicklungspsy- • Bei Auftauchen von Kindern mit
chologische Förderung ; Schrei-, Fütter-, Schlafstörungen und
• Bei Überforderung zu Hause und feh- unklaren Verletzungen in der Not-
lender Entlastung Hinweis auf die fallambulanz beispielsweise der Kin-
Möglichkeit einer frühen Aufnahme derklinik Beachtung möglicher Risi-
für Säuglinge ab acht Wochen in die kobelastungen und eines auffälligen
Kinderkrippe, Familienzentrum; Vorsorgeverhaltens, eventuell Rück-
griff auf stationäre Befundberichte,
• interdisziplinärer Austausch der ein- Basis-Risikoscreeningbogen in der
bezogenen Stellen, Bestimmung eines Geburtshilfe zur Sichtung psychosozi-
Koordinators bzw. Casemanagers. al auffälliger Befunde und gesundheit-
licher Risikobelastungen,
3.4 Nachverfolgung der Risikobelas- • Beratung zum „plötzlichen Kindstod“,
tungen, des Vorsorgeverhaltens und Schüttelhirntrauma,
der Entwicklung des Kindes • früher Hinweis oder Weiterleitung an
eine Schreiambulanz, gegebenenfalls
Bei der Nachverfolgung ist darauf zu achten,
stationäre Aufnahme bei Fütterstörun-
wie sich die Risikobelastungen auf die frühkind-
gen.
liche Entwicklung auswirken, möglicherweise

26
Kooperation mit den Frühen Hilfen der • interdisziplinärer Austausch zwischen
Jugend- und Gesundheitshilfe Klinik, ärztlicher Praxis, Hebamme,
Kinderkrankenschwester Gesundheits-
• bei Abbrüchen von Kontakten und
amt, Jugendhilfe vor oder bei Eintritt
Therapien Nachhaken und „am Ball
einer Kindeswohlgefährdung,
bleiben“,
• bei akuten Zeichen einer Kindeswohl-
• bei beginnenden Entwicklungs- und
gefährdung Kontakt zum und Inter-
Verhaltensauffälligkeiten frühzeitige
vention durch das Jugendamt, gegebe-
Weiterleitung an Frühförderung und
nenfalls mit Inobhutnahme.
Sozialpädiatrisches Zentrum,

27
W ichtig ist ein dem Patientenalter gerechtes
Untersuchungsverhalten. Die Symptomsuche soll-
te in unauffälliger Form erfolgen. Heben Sie immer
auch das Positive der Untersuchung hervor. Be-
stätigen Sie dem Kind, dass es grundsätzlich ge-
sund ist. Ziel ist es, dem Kind die Sicherheit zu
vermitteln, dass es über seine Gewalterfahrungen
frei sprechen kann.“

chung hervor. Bestätigen Sie dem Kind, dass es


4. Diagnostik und grundsätzlich gesund ist. Ziel ist es, dem Kind
Befunderhebung die Sicherheit zu vermitteln, dass es über sei-
ne Gewalterfahrungen frei sprechen kann. Eine
Orientierung und Hilfestellung für den Ablauf
4.1 Diagnostik als Prozess der Untersuchung sowie die Dokumentation
geben Ihnen die Befundbögen im Anhang.
Der Verdacht auf Misshandlung, Vernachlässi-
gung oder Missbrauch kann auf verschiedene 4.2 Körperlicher Befund
Weise entstehen
Bei Verdacht auf Misshandlung das
• aufgrund von körperlichen Sympto- unbekleidete Kind untersuchen
men, beispielsweise eine ungeklärte
Fraktur beim Säugling oder Zeichen
Symptome, die auf körperliche Misshandlung
mangelnder Hygiene,
deuten können, sind häufig nicht einfach zu
• aufgrund von auffälligem Verhalten bestimmen. Sie müssen in jedem Fall das un-
des Kindes, beispielsweise plötzlich bekleidete Kind untersuchen. Es gibt mehrere
eintretender Schulleistungsknick mit Symptome, die den Verdacht auf Misshandlung
sozialem Rückzug, sofort wecken sollten.
• aufgrund von anamnestischen Anga-
Stresssymptome
ben, beispielsweise unvollständige
Vorsorgeuntersuchungen und Impfun- Überängstliches Verhalten oder eine stark ange-
gen oder gehäufte Unfälle, spannte Bauchdecke in der Untersuchungssitu-
• aufgrund einer gestörten familiären In- ation sollten Sie an die Möglichkeit von Stress
teraktion, und Anspannung beim Kind und eine belasten-
de Lebenssituation denken lassen.
• beispielsweise mangelnde Zuwendung
der Mutter oder feindseliges Verhalten Kriterien für Hämatome
gegen das Kind. und Wunden auf der Haut

Auf ein patientengerechtes Hämatome und Hautwunden sind die Befunde,


Untersuchungsverhalten achten die in der täglichen Praxis am häufigsten im Zu-
sammenhang mit Misshandlung vorkommen.
Wichtig ist ein dem Patientenalter gerechtes Auf folgende Kriterien sollten Sie achten:
Untersuchungsverhalten. Die Symptomsu- • Lokalisation,
che sollte in unauffälliger Form erfolgen. He-
• Gruppierung,
ben Sie immer auch das Positive der Untersu-
• Formung und Mehrzeitigkeit.

28
Abbildung 1:
Misshandlungsverletzungen

Abbildung 2:
Sturzverletzungen

Abbildung 3:
„Hutkrempen“-Regel
bei Schlag- und
Hiebverletzungen

29
Subdurales Hämatom
Bei 90 % der Misshandlungsopfer werden Sym-
durch Schütteltrauma
ptome der Haut (Hämatome, Striemen, Narben)
an nicht exponierten Stellen (untypisch für
Besonders schwerwiegende Folgen hat das
Sturzverletzungen) und in verschiedenen Al-
„Schütteltrauma“ der Säuglinge. Hierbei wird
tersstadien (Verfärbungen und Verschorfungen)
das Kind am Rumpf oder an den Armen fest-
beobachtet.
gehalten und geschüttelt. Dadurch schwingt der
Zwischen Verletzung und Kopf hin und her, und es reißen feine Blutgefä-
Misshandlung differenzieren ße unter der harten Hirnhaut. Blutungen vor der
Netzhaut oder blutiger Liqour bei der Liquor-
punktion (subarachnoidale Blutungen) müssen
Dabei deuten Lokalisationen im Gesicht, am
den Verdacht auf ein Schütteltrauma erwecken.
Gesäß, am Rücken, an den Oberarminnensei-
In der Akutphase kommt es nicht selten zu ei-
ten, im Brustbereich und auf dem Bauch eher
ner dramatischen Steigerung des intracraniellen
auf Misshandlung hin (Abb. 1).
Drucks, wobei das Kind bewusstlos wird und
Sturzverletzungen zu krampfen beginnt. Oftmals fehlen dabei äu-
ßerlich erkennbare Verletzungen.
Typisch für Sturzverletzungen sind hingegen
Lokalisationen an Handballen, Ellenbogen, Die Symptome des subduralen Hämatoms sind
Knie und Schienbein (Abb. 2) sowie am Kopf vielfältig. Akut kommt es zu Benommenheit,
im Bereich der „Hutkrempenlinie“ oder darun- Schläfrigkeit bis hin zur Bewusstlosigkeit sowie
ter (Abb. 3). zu Erbrechen und zu Krampfanfällen. Zusätz-
lich können, müssen aber nicht zwingend, beim
Hinweise auf Schlaggegenstände Schütteltrauma Griffmarken an Brustwand und
Armen oder an den Knöcheln zu beobachten
Gelegentlich sind diese Hämatome geformt und sein. Durch den Peitschenschlagmechanismus
lassen auf einen Schlaggegenstand schließen. können sogar Wirbelkörperkompressionsfrak-
Einwirkungen von stockähnlichen Werkzeugen turen entstehen. Langfristig resultieren neuro-
oder Gürteln können Doppelstriemen hinterlas- logische Abweichungen, Bewegungs- und Ent-
sen (Abb. 4). Auch Kratz- und Bisswunden sind wicklungsstörungen oder Anfallsleiden.
oft Hinweise auf Misshandlung. Bissverletzun-
gen mit einem Abstand von mehr als 3 cm zwi- Nicht selten kommt zu dem Schütteln als pa-
schen den abgezeichneten Eckzähnen deuten thologischer Mechanismus auch noch das Auf-
auf einen erwachsenen Täter hin und sollten schlagen des Kopfes an einem Gegenstand
ggf. auch an einen sexuellen Missbrauch den- hinzu, das heißt, das Kind erleidet noch zusätz-
ken lassen. liche, oft mehrfache Hirnprellungen (JACOBI,
1995).

Abbildung 4:
Entstehung von
Doppelstriemen und
Stauungsblutung

30
Epidurales Hämatom Kinder auf die heiße Herdplatte gesetzt wer-
den.
Beim epiduralen Hämatom kommt es nach eini-
gen Stunden oder wenigen Tagen zu Erbrechen, Verletzungen des Skeletts
zunehmenden Bewusstseinsstörungen, neurolo- auch ohne Markersymptome
gischen Ausfallserscheinungen und schließlich Bei Skelettverletzungen ist zu beachten, dass
zu Bewusstlosigkeit. Eine Operation ist dann äußere Schwellungen und Hautblutungen als
meist unumgänglich, um das Leben des Kindes Markersymptome häufig, aber nicht immer
zu retten. vorhanden sind. Wenn ein völlig ruhiges Kind
immer wieder schreit, wenn es hochgenommen
Augenverletzungen
oder gefüttert wird, kann unter Umständen ein
Rippenbruch vorliegen, der von außen nicht er-
Unerklärliches plötzliches Schielen ist ein kennbar ist.
Symptom, das auf Misshandlung hinweisen
kann. Ursache sind in diesem Fall Augenhinter-
Polytope Brüche verschiedenen Alters sowie
grundverletzungen oder ein Hirnschaden. Sel-
periostale Reaktionen in unterschiedlichen Hei-
ten auftretende mögliche Augenveränderungen
lungsstadien deuten fast immer auf Misshand-
sind Glaskörperblutungen im Anschluss an ein
lungen hin. Besonders betroffen sind meistens
Schädelhirntrauma mit intracranieller Blutung.
Rippen und lange Röhrenknochen. Sehr typisch
Feine flohstichartige Blutungen in den Augen- sind Absprengungen von Metaphysenkanten am
bindehäuten und an den äußeren Lidhäuten kön- Ende der langen Röhrenknochen und Epiphy-
nen als Stauungsblutungen entstehen, wenn die senablösungen bei normaler Knochenstruktur,
Halsvenen beim Würgen oder Drosseln zuge- wenn ein adäquates Trauma in der Anamnese
drückt wurden, der arterielle Zufluss aber noch fehlt (sogenanntes „Battered-Child-Syndrom“).
erfolgte (Abb. 5). Flächenhafte Blutungen sind Hier können die Sonografie und die Skeletts-
Folgen eines direkten Schlages auf das Auge. zintigrafie unter Umständen wertvolle diagnos-
tische Hilfe leisten.
Verbrennungen und Verbrühungen
Schädelfrakturen, die über mehrere Nähte ver-
Bei Verbrennungen und Verbrühungen lässt ein laufen, Impressions- oder Trümmerfrakturen
dem Entwicklungsstand des Kindes nicht ent- ohne entsprechende Vorgeschichte und wach-
sprechendes Muster der Läsionen an Misshand- sende Frakturen müssen immer den Verdacht auf
lung denken. Unfallmäßige Verbrühungen ent- eine Misshandlung aussprechen lassen. Wenn
stehen, wenn ein Kleinkind heiße Flüssigkeit zu solchen Schädelfrakturen noch verschiede-
vom Tisch herunterzieht. In diesem Fall sind ne alte und verschieden lokalisierte Hämatome
Hals, Brust, Schultern und Gesicht betroffen. am übrigen Körper und / oder ältere Frakturen
Wenn ein Kind absichtlich in ein heißes Bad anderer Skelettanteile hinzukommen, muss die
gesetzt wird, sind Gesäß und Hände gleichzei- Diagnose der Kindesmisshandlung ausgespro-
tig oder Hände und Füße gleichzeitig betroffen. chen werden, auch wenn dies von den Eltern
Dieses Verletzungsmuster kann nicht entstehen, verneint wird.
wenn das Kind selbstständig in die Badewanne
steigt. Dann ist nur eine Hand oder ein Fuß be- Innere Verletzungen
troffen. Sie sollten sich bei jeder Verbrühungs-
verletzung den genauen Hergang schildern Bei Misshandlung können innere Verletzungen
lassen und den Entwicklungsstand des Kindes entstehen, die durch stumpfe Schläge auf den
berücksichtigen. Leib verursacht werden. Innere Verletzungen
Kreisförmige Verbrennungen können durch Zi- sind selten und schwer zu erkennen, weil meist
garetten verursacht sein. Große runde Verbren- keinerlei Hautbefunde auftreten. Andererseits
nungen am Gesäß entstehen auch dadurch, dass können sie sehr gefährlich werden. Sie sind die
zweithäufigste Todesursache bei körperlicher

31
Misshandlung. Im Einzelnen kommen vor: tersuchung als einen weiteren Übergriff erleben
• Magen- oder Dünndarmperforationen, kann. Daher sollte die Untersuchung äußerst
behutsam durchgeführt werden.
• Einrisse der Mesenterialwurzel,
• Leber-, Nieren-, Milz- und Bauchspei- Erläutern Sie dem Kind
cheldrüseneinrisse, die Untersuchungsschritte

• Lungenverletzungen, Hämatothorax Sie sollten offen über das Thema sprechen kön-
und Hämatoperikard. nen und sich nicht überängstlich verhalten. Wei-
gert sich ein Kind, so sollte es Zeit bekommen,
Darmverletzungen mit der Situation vertrauter zu werden. Wichtig
ist das Einbeziehen einer Bezugsperson.
Anhaltendes Erbrechen, Schmerzen, ein aufge-
triebener Bauch, Ausbleiben der Darmgeräu- Somatische Untersuchung
sche, Störungen des Stuhlgangs, Entzündun-
Die somatische Untersuchung bei Verdacht auf
gen des Bauchfells und Schock können durch
sexuellen Missbrauch setzt sich zusammen aus
Darmverletzungen hervorgerufen sein.
der Erhebung eines Allgemeinstatus und eines
Vergiftungen Genitalstatus. Bei der Allgemeinuntersuchung
ist ein pädiatrischer Status enthalten, bei dem
An Vergiftungen ist bei folgenden Symptomen insbesondere die Körperteile, die in sexuelle
zu denken: Müdigkeit, Apathie, „Abwesen- Aktivitäten oft einbezogen sind, genau unter-
heit“, Gangunsicherheit und Bewusstlosigkeit. sucht werden, wie z. B. Brustbereich, Mund,
Vergiftungen kommen bei Säuglingen und Gesäß, Oberschenkelinnenseite. Wenn der Arzt
Kleinkindern aus folgenden Gründen vor: mit den Besonderheiten der genitalen Befunder-
• Überdosierung eines verordneten hebung vertraut ist, kann er einen Genitalstatus
Schlaf- oder Beruhigungsmittels (das erheben, der vorwiegend aus einer genauen Ins-
Kind schläft nicht, das Kind ist unru- pektion der Genital- und Analregion besteht.
hig). Eventuell wurden Beruhigungs-
mittel auch verabreicht, um das Kind Bei der Inspektion werden neben dem Gesamta-
ruhig zu stellen, damit die Betreuungs- spekt des Genitalbereiches die Klitoris, große
person ungestört ist bzw. anderen Ak- und kleine Labien, Vulvaränder, Urethralbereich,
tivitäten nachgehen kann. Hymen in allen Anteilen sowie die Inguinalre-
gion und der Anus beurteilt. Mithilfe der Sepa-
• Einnahme eines ungesicherten Medi- rations- oder Traktionsmethode kann die Weite
kaments durch Kleinkinder (Aufbe- und Konfiguration des Introitus vaginae, die dis-
wahrung von Medikamenten und Si- tale Vagina, die Fossa navicularis und die hintere
cherungsmaßnahmen diskutieren). Kommissur untersucht werden. Je nach Befund
• Medikamentengabe als Tötungsver- und Anamnese werden zusätzliche Untersuchun-
such bei erweitertem Selbstmordver- gen erforderlich, z. B. mikrobiologische oder vi-
such oder im Rahmen eines Münch- rologische Kulturen, serologische Untersuchun-
hausen-by-proxy-Syndroms. gen oder der Nachweis von Sperma.

Beim Verdacht auf Vergiftung sollte unbedingt Eine gynäkologische Untersuchung, das heißt eine
eine Klinikeinweisung erfolgen (Drogenscree- instrumentelle Untersuchung mit Vaginoskop oder
ning und Blutalkoholuntersuchung). Spekulum, soll nicht routinemäßig durchgeführt
werden, sondern in Abhängigkeit von der Anam-
Untersuchung bei Verdacht nese, dem Befund bei der Inspektion und dem Alter
auf sexuelle Gewalt der Patientin. Bei äußeren Verletzungen, Blutungen
oder auch rezidivierenden Genitalinfektionen ist
Bei der Untersuchung sollten Sie beachten, eine Untersuchung immer erforderlich.
dass das betroffene Kind eine körperliche Un-

32
Körperlicher Befund bei Kollegen oder multidisziplinären Einrichtun-
sexuellem Missbrauch gen beraten lassen, damit die Abklärung im Sin-
ne des Kindes optimal verläuft und Schutz vor
Beim sexuellen Missbrauch gibt es kaum ein- weiteren Übergriffen gewährt. Damit wird das
deutige Befunde. Als spezifische Symptome Kind vor einer Retraumatisierung durch Ver-
gelten alle Verletzungen im Anogenitalbereich meidung von überstürztem, wiederholtem, fal-
ohne plausible Anamnese. Dazu gehören Hä- schem oder unüberlegtem Handeln geschützt.
matome, Quetschungen, Striemen, Einrisse und
Bisswunden. Häufig entstehen auch ein weiter 4.3 Psychischer Befund und das
Eingang der Vagina bzw. eine Rötung, Einrisse
oder eine venöse Stauung im Analbereich.
Verhalten des Kindes
Merkmale von misshandelten und ver-
Im Zusammenhang mit dem Verdacht bzw. nachlässigten Kindern
der Anschuldigung des sexuellen Kindesmiss-
brauchs bleiben allerdings auch immer wieder In der Literatur zum Thema Kindesmisshand-
Beweisfragen ungeklärt. Beispielsweise ist aus lung wird ein Merkmal als typisch für misshan-
diversen Literaturangaben bekannt, dass keines- delte Kinder beschrieben: Das Kind zeigt eine
wegs jedes Einführen eines männlichen Gliedes „gefrorene Aufmerksamkeit“ (frozen watchful-
bzw. intravaginale Manipulationen zwangsläufig ness). Es sitzt still auf seinem Platz und beob-
mit dem Zerreißen des Jungfernhäutchens oder achtet seine Umgebung quasi aus dem Augen-
mit sichtbaren Verletzungen im Scheidenbe- winkel heraus, ohne sich zu bewegen. Es bewegt
reich einhergehen (LOCKEMANN/PÜSCHEL sich erst dann, wenn es sich unbeobachtet fühlt.
1999). Die Intaktheit des Hymens schließt die Als weitere typische Symptome für misshandel-
Möglichkeit des sexuellen Missbrauchs (auch te Kinder werden emotionale Störungen (anhal-
mit Einführen des Penis bei einem jungen Mäd- tende Traurigkeit, Ängstlichkeit, Stimmungs-
chen) nicht aus. Sehr schwierig ist auch die Be- labilität und mangelndes Selbstvertrauen) und
urteilung von alten Vernarbungen des Hymens, Schwierigkeiten im Sozialverhalten beschrie-
bei denen regelmäßig die Differenzialdiagnose ben. Die Kinder sind entweder auffallend ruhig
einer früheren unfallmäßigen Pfählungsverlet- und zurückgezogen oder aber besonders aktiv,
zung in die Diskussion gebracht wird. unruhig und schwierig (Aggressivität, Distanz-
losigkeit). Bei der Entwicklungsbeurteilung
Sexuell übertragbare Krankheiten als findet man häufig Rückstände in der Motorik
Hinweis auf sexuellen Missbrauch und Sprache.

Sexuell übertragbare Krankheiten, wie bei- Manchmal senden Kinder verschlüsselte Bot-
spielsweise Gonorrhoe oder Condylomata ac- schaften wie „Hier gefällt es mir“ oder „Ich
cuminata, vor der Geschlechtsreife des Kindes gehe gern ins Krankenhaus“, die aussagen kön-
sind mit größter Wahrscheinlichkeit Folge von nen, dass die Situation zu Hause schwer erträg-
Missbrauch. Bei einer Schwangerschaft in der lich ist, ohne sie als solche zu benennen.
Frühpubertät muss man immer an die Folge ei-
nes Missbrauchs denken. Daneben gibt es noch Auffälliges Verhalten des Kindes
unspezifische Symptome, die ebenfalls beim
Der Verdacht auf sexuellen Missbrauch entsteht
Missbrauch entstehen können. Dazu zählen re-
manchmal durch auffälliges Verhalten des Kin-
zidivierende Harnwegsinfekte, vaginale Infek-
des. Es zeigt inadäquates, sexualisiertes Verhal-
tionen, sekundäre Enuresis und Enkopresis.
ten oder nicht altersentsprechendes Wissen über
Trotzdem lässt sich sagen, dass sexueller Miss- Sexualität, das im Spiel oder in Zeichnungen
brauch sehr häufig durch eine körperliche Un- dargestellt wird. Als Folge einer Missbrauchssi-
tersuchung nicht eindeutig diagnostizierbar ist. tuation kann eine plötzliche Verhaltensverände-
Bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch sollten rung ohne ersichtlichen Grund entstehen. Kin-
Sie sich – falls erforderlich – von erfahrenen der meiden das Alleinsein mit einer bestimmten

33
Person oder haben einen Schulleistungsknick, Körperliche Symptome
häufig verbunden mit sozialem Rückzug (inter-
nalisierendes Verhalten) oder unangemessener Unterleibsverletzungen und Geschlechtskrank-
Aggressivität (externalisierendes Verhalten). heiten bei Kindern, wie beispielsweise Gonor-
rhoe, sollten immer als Hinweise auf sexuelle
Seelische Gewalt Gewalt betrachtet werden. Entzündungen im
Seelische Gewalt und psychische Vernachläs- Genitalbereich sind kein primäres Anzeichen
sigung können nur durch Verhaltensauffällig- für Missbrauch; unspezifische Infektionen
keiten diagnostiziert werden. Diese Verhalten- durch Darmbakterien sind relativ häufig. Spe-
sauffälligkeiten sind allerdings nicht spezifisch zifische Infektionen, beispielsweise durch Tri-
für Misshandlung, sondern können viele andere chomonaden oder Candida, kommen dagegen
Ursachen haben. bei Mädchen vor der Pubertät sehr selten vor,
wenn kein sexueller Missbrauch vorliegt. Con-
Diagnose nur durch dylomata accuminata sind mit großer Wahr-
Verhaltensauffälligkeiten scheinlichkeit eine Folge von Missbrauch.

Es gibt kein eindeutiges Merkmal und kein gesi- Außerdem sind Hämatome und Bisswunden im
chertes diagnostisches Instrument, um seelische Genital- und Analbereich ein Zeichen von sexuel-
Gewalt zu erkennen. Es ist jedoch möglich, zu- ler Gewalt. Allergien und Hautkrankheiten mit aty-
mindest einen Verdacht zu erhärten. In der Lite- pischem Verlauf (Pyodermien, Exzeme) können
ratur werden eine Vielzahl von diagnostischen ebenfalls auf sexuellen Missbrauch hindeuten. Sehr
Hinweisen auf seelische Misshandlung gege- oft jedoch ist sexueller Missbrauch bei der körperli-
ben, wenn organische Ursachen ausgeschlossen chen Untersuchung nicht diagnostizierbar.
sind. Die meisten dieser Symptome (siehe Ta-
Die beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten
belle) sind auch bei sexuellem Missbrauch zu
sind keineswegs Beweise für eine Misshand-
beobachten oder gehen mit körperlicher Gewalt
lungs- oder Vernachlässigungssituation. Sie
einher (EGGERS, 1994).
dienen allenfalls als Hinweise und können
selbstverständlich auch andere Ursachen ha-
4.4 Sexueller Missbrauch ben. Sie als Arzt sollten allerdings bei diesen
Befunden „körperliche, psychische oder sexu-
Bei sexuellem Missbrauch gibt es kaum ein- elle Gewalt gegen das Kind“ bzw. „belastende
deutige Symptome. Deshalb sollten Sie immer Lebensumstände“ in Ihre differenzialdiagnosti-
Differenzialdiagnosen aufstellen. Zu den be- schen Überlegungen einbeziehen.
schriebenen Verhaltensweisen werden weitere
Verhaltensauffälligkeiten beobachtet. Diese Sym- Vermeiden Sie Suggestivfragen
ptome sind ebenfalls unspezifisch und müssen
weiter abgeklärt werden: gestörtes Essverhalten, Sollte es zu einem Gespräch mit dem Kind oder
Schlafstörungen, Rückfall in ein Kleinkindver- einer Betreuungsperson über den Verdacht auf
halten (Regression), Weglaufen von zu Hause, Misshandlung bzw. Missbrauch kommen, ist
Distanzlosigkeit, sexualisiertes Verhalten, Ab- für ein eventuell folgendes Strafverfahren vor
lehnung des eigenen Körpers, Sexualstörungen, allem Folgendes wichtig: Jede Befragung des
Alkohol- und Drogenmissbrauch, Affektlabili- Kindes, insbesondere eine suggestive Befra-
tät, Depressivität, erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, gung, kann bezüglich einer späteren Beurtei-
Albträume, unklare Angstzustände, Schmerzen lung der Glaubwürdigkeit des Kindes äußerst
(z. B. Bauchschmerzen), Sprachstörungen, Steh- problematisch sein. Sie sollten deshalb in Ihrem
len und anderes delinquentes Verhalten, Bezie- Gespräch alles unterlassen, was als Suggestiv-
hungsschwierigkeiten, Borderline-Persönlich- frage gewertet werden könnte. Wenn sich das
keitsstörungen und Konversionssyndrome. Kind von sich aus mitteilt, so sollten dessen ei-
gene Angaben schriftlich, wenn möglich wört-
lich, niedergelegt werden.

34
Symptome bei seelischer Gewalt und auch Vernachlässigung

Gefühlsebene Verhaltensebene

Frühe Kindheit (bis 3 Jahre)

Angenehme und unangenehme Empfindun- Schlaf-, Essensstörungen; Tendenz zu


gen; Angst; Verwirrung Verhaltensextremen; Angst vor Fremden;
Rückzug, Altersunangemessenes, sexuel-
les Spielen
Vorschulalter (3-6 Jahre)

Angenehme und unangenehme Empfindun- Regressives Verhalten: Babysprache, Ein-


gen; Verwirrung; Angst; Scham nässen, Daumenlutschen, Festklammern;
Rückzug; Schlafstörungen (Alpträume)
Vorschulalter (3-6 Jahre)

Schuldgefühle; Wut; Gefühl der Schutz- und Aggressives Verhalten; willfähriges Verhal-
Hilflosigkeit; Angst, beschädigt und verdor- ten; häufiges und andauerndes sexuelles
ben zu sein Spielen; öffentliches und andauerndes Mas-
turbieren
Schulalter (6-9 Jahre)

Ambivalente Gefühle Erwachsenen gegen- Sozialer Rückzug; Kopfschmerzen; Bauch-


über; Verwirrung über die Geschlechtsrol- schmerzen; Schlaf- und Essensstörun-
lenverteilung und Rollenverteilung innerhalb gen; aggressives Verhalten; plötzliches
der Familie; Angst; Scham; Schuldgefühle; und unerklärliches Schulversagen; Prob-
Unruhe und Unsicherheit; Wut; Angst, be- leme, Grenzen einzuhalten; Willfährigkeit;
schmutzt und beschädigt zu sein; Misstrau- Zwangshandlungen, wie exzessives Baden,
en Waschen; sexuelles Ausagieren mit Gleich-
altrigen und jüngeren Kindern; sexuell pro-
vozierendes Verhalten; keine adäquaten so-
zialen Beziehungen mit Gleichaltrigen

Schulalter (9-13 Jahre)

Ambivalente Gefühle Erwachsenen gegen- Sozialer Rückzug, keine adäquaten sozia-


über; Wut; Angst; Scham; Schuldgefühle; len Beziehungen mit Gleichaltrigen, Schu-
Depression; Angst, beschädigt zu sein; Ge- leschwänzen; manipulatives Verhalten an-
fühl der Inkompetenz; Misstrauen; Selbst- deren gegenüber; sexueller Missbrauch von
mordgedanken jüngeren Kindern; promiskuöses Verhalten

Adoleszenz (13-18 Jahre)

Wut, Scham; Schuldgefühle; sich betrogen Selbstdestruktives Verhalten, Drogenkon-


fühlen; Misstrauen; Ambivalente Gefühle Er- sum; von zu Hause weglaufen; aggressives
wachsenen gegenüber; Konflikte bezüglich Verhalten, Ausbeuten anderer; Übernehmen
Sexualität, Geschlechterrolle und Rollenver- der Rolle des Opfers; Vermeiden von kör-
teilung innerhalb der Familie; Gefühle, be- perlicher und emotionaler Intimität; Promis-
schädigt, schmutzig und verdorben zu sein; kuöses Verhalten; Selbstmordversuche
Selbstmordgedanken

35
Sorgfältige Dokumentation Anamneseerhebung im
sozialen Nahbereich
Bitte beachten Sie, dass das Ergebnis der Un-
tersuchung – auch zur Sicherung von Beweisen Im Rahmen der Anamneseerhebung sollten Sie
für ein etwaiges Strafverfahren – sorgfältig do- sich unbedingt auch ein Bild bezüglich des Vor-
kumentiert wird. Zu diesem Zweck wird insbe- kommens von Belastungsfaktoren im sozialen
sondere auf die im Anhang beiliegenden Unter- Umfeld des Kindes bzw. Jugendlichen machen.
suchungsbögen hingewiesen. Hierbei können Fragen zur Familiensituation
helfen:
4.5 Beurteilung der Familiensituation:
familiären Situation
• Wer gehört zur Familie?
Beobachtungen bei Eltern • Kultureller Hintergrund?
und Begleitpersonen
• Ist jemand weggegangen (Todesfall,
Partnerverlust, Trennung) oder dazu-
Um einen Verdacht auf Kindesmisshandlung
gekommen (Geschwisterkind, neuer
zu erhärten, können Sie durch Beobachten der
Partner)?
Eltern oder Begleitpersonen weitere Hinweise
erhalten. Eltern, die ihr Kind misshandelt ha- • Wen gibt es sonst noch an Angehöri-
ben, verhalten sich in vielerlei Hinsicht anders gen?
als Eltern, deren Kinder durch einen Unfall ver- • Wie geht es den Eltern oder Sorgebe-
letzt wurden. rechtigten?
Unkooperatives Verhalten der Eltern • Wie kommt die Mutter mit dem Kind
(den Kindern) zurecht?
Manche Eltern lehnen eine adäquate Behand- • Gibt es Konfliktstoffe (mit dem Kind,
lung oder weitergehende Untersuchungen ab, Alkohol, Schulden)?
obwohl dieses dringend angezeigt ist. Viele El-
• Hat das Kind schulische Probleme?
tern berichten widersprüchlich von dem „Un-
fall“, der sich zugetragen haben soll. • Wie ist die Wohnsituation?
• Gibt es Spielsachen für das Kind, hat
Unangemessene Reaktion der Eltern
es ein eigenes Bett?
Die Reaktion der Eltern kann der Verletzung • Wie ist der Kontakt zu Angehörigen?
nicht angemessen sein. Sie ist entweder über-
• Gibt es Nachbarn, Freunde, Bekannte,
trieben oder untertrieben. Manchmal klagen
an die man sich auch im Notfall wen-
Eltern im Detail über Belanglosigkeiten, die in
den kann?
keinem Zusammenhang zur Verletzung stehen.
• Wurden die Vorsorgeuntersuchungen
Umgang der Eltern mit dem Kind zeitgerecht wahrgenommen?
Ein Kind kann deutliche Anzeichen von Pflege- • Haben die Eltern oder das Kind Kon-
mangel und Unterernährung aufweisen, die Eltern takt zum Jugendamt oder zu Bera-
stellen sich jedoch als perfekte Eltern dar. Der tungsstellen?
Entwicklungsstand des Kindes kann nicht alters-
gerecht sein, die Eltern berücksichtigen dies aber
nicht. Der Umgang mancher Eltern mit dem Kind
ist ständig lieblos oder überfordernd; die Erwar-
tungen an das Kind sind völlig unrealistisch. Ge-
gebenenfalls beobachten Sie Erregungszustände
oder Kontrollverlust bei den Eltern.

36
Hausbesuch als auch zu den Eltern eine positive Beziehung
aufbauen können. So stehen Sie weiterhin dem
Bei einem Hausbesuch können Sie den Lebens- Kind und der Familie beratend zur Seite und
raum des Kindes beurteilen. Der niedergelas- können den Gesundheitszustand des Kindes be-
sene Arzt hat gegenüber dem Klinikarzt den obachten. Es gibt keine allgemeingültige Gren-
Vorteil, die soziale Situation und die Lebens- ze, bei der unbedingt eingeschritten werden
situation des Kindes zu sehen und in seine dif- muss. Diese Entscheidung können Sie nur im
ferenzialdiagnostischen Überlegungen mit ein- Einzelfall nach Abwägung der Risiken treffen.
fließen zu lassen.
Unterstützung durch ein zweites Urteil
bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch
4.6 Bewertung der Befunde
In einigen Fällen kann die Einholung eines
Verifizieren der Verdachtsdiagnose zweiten Urteils erforderlich sein. Insbesondere
bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch können
Alle erhobenen Befunde müssen zusammen-
Sie an die Grenzen Ihrer diagnostischen Mög-
fassend bewertet werden. Die Diagnose soll
lichkeiten gelangen. Sie sollten dann auf die
den körperlichen und psychischen Befund des
Konsiliaruntersuchung durch Kindergynäkolo-
Kindes, die familiäre Interaktion und die Fami-
ginnen zurückkommen. Sie müssen allerdings
liensituation beschreiben. Es wird festgestellt,
abwägen, ob dem Kind eine gynäkologische
ob ein Kind normal entwickelt ist, ob Auffällig-
Untersuchung zuzumuten ist. Grundsätzlich
keiten in seiner Entwicklung bestehen und ob
sollten möglichst wenige Untersuchungen statt-
diese Auffälligkeiten das Ausmaß von Behand-
finden.
lungsbedürftigkeit erreichen.
Zusammenarbeit mit
Bei einem Verdacht zuerst Vertrauen
anderen Professionen
schaffen
Wenn Sie psychologischen und sozialpädago-
Wenn der Verdacht noch nicht ganz abgesichert gischen Sachverstand einbeziehen, können Ver-
ist, sollten Sie zunächst vermeiden, mit der haltensauffälligkeiten eher in Zusammenhang
Familie bzw. den Eltern darüber zu sprechen. mit der Diagnose gebracht werden. Kooperati-
Wichtiger ist zuerst, das Vertrauen der Familie onen zwischen den Ärzten und entsprechenden
zu gewinnen. Das Kind sollte häufiger wieder Professionen sind anzustreben.
einbestellt werden, damit Sie sowohl zum Kind

37
G emeinsames Fallmanagement beruht bei guten Rah-
menbedingungen auf persönlichen Kontakten zwi-
schen Arztpraxen, Allgemeinen Sozialen Diensten,
Gesundheits- und Umweltämtern, Beratungsstellen
öffentlicher und freier Träger, spezialisierten
Krankenhausabteilungen und weiteren Einrichtun-
gen, die sich mit dem Problem Gewalt gegen Kinder
befassen.“

5. Fallmanagement Bindung an die Arztpraxis im Ver-


dachtsfall besonders wichtig
in der Arztpraxis
Sie sollten darüber hinaus Ihre persönliche Hal-
Die folgenden Empfehlungen für ein gemeinsa- tung zum Problem Kindesmisshandlung und
mes Fallmanagement wurden im Rahmen von Kindesmissbrauch kritisch prüfen. Der Kontakt
Kooperationstreffen zwischen niedergelasse- zu Opfern und möglichen Tätern erfordert ei-
nen Ärzten sowie weiteren Hilfeeinrichtungen nen vorurteilslosen Umgang mit dem Problem.
und Behörden entwickelt. Diese Empfehlungen Ihre Aufgabe ist es, die nach einem Erstkontakt
gehen über Diagnostik und Befundsicherung mit der Diagnose „Verdacht auf Gewalt gegen
hinaus. Kinder“ möglicherweise gefährdete Arzt-Pati-
enten-Beziehung zu stabilisieren. Nur so ist ein
Gewaltprävention als Ziel des gemeinsames Fallmanagement in Kooperation
gemeinsamen Fallmanagements zwischen Ihnen, Allgemeinen Sozialen Diens-
ten und spezialisierten Beratungseinrichtungen
Gemeinsames Fallmanagement beruht bei gu- möglich.
ten Rahmenbedingungen auf persönlichen
Kontakten zwischen Arztpraxen, Allgemeinen
Sozialen Diensten, Gesundheits- und Umwelt- 5.1 Erst- und Wiederholungsunter-
ämtern, Beratungsstellen öffentlicher und freier suchungen
Träger, spezialisierten Krankenhausabteilungen
und weiteren Einrichtungen, die sich mit dem Nach dem vorbehandelnden Arzt fragen
Problem Gewalt gegen Kinder befassen.
Bei der Erstuntersuchung stehen die Befund-
Gemeinsames Fallmanagement setzt erhebung und -sicherung einschließlich einer
persönliche Kontakte voraus Befragung der Eltern oder Begleitpersonen im
Vordergrund. In diesem Zusammenhang sollte
Einen Rahmen zum Aufbau entsprechender Kon- auch nach dem vorbehandelnden Arzt gefragt
takte bieten regionale Kooperationsgruppen. werden. Jedes Kind mit einer Verdachtsdiagno-
se „Misshandlung“ oder „Missbrauch“ sollte in
Grundlage für ein gemeinsames Fallmanage- kurzen Abständen wiedereinbestellt werden. In
ment sind Kenntnisse in der Arztpraxis über schweren Fällen ist die Einweisung in eine Kli-
entsprechende Beratungs- und Hilfsangebote. nik angezeigt.
Die Angebote müssen für die Eltern oder Be-
gleitpersonen des Kindes erreichbar sein.

38
Möglichkeit eines Hausbesuchs Gegenüber Eltern und Begleitpersonen
einbeziehen Vertrauen aufbauen

Manchmal reicht die Diagnostik in der Arzt- Für eine erfolgreiche Prävention weiterer
praxis, insbesondere bei Verdacht auf eine Ver- Gewalt ist es wichtig, dass der Arzt eine ver-
nachlässigung des Kindes, nicht aus. In diesem trauensvolle Situation gegenüber Eltern oder
Fall sollten Sie sich durch einen Hausbesuch Begleitpersonen schafft. Nur so können die
über die Wohnsituation und das familiäre Um- behandelnden Ärzte ihre Vertrauensstellung im
feld des Kindes informieren. Sinne des Fallmanagements einsetzen.

Kindergynäkologische Untersuchung • Machen Sie deutlich, dass Sie sich um


die Gesundheit des Kindes sorgen.
Die Zeit bis zur Wiederholungsuntersuchung
• Vermeiden Sie wertende Haltungen ge-
können Sie nutzen, um durch Rückfragen beim
genüber Eltern oder potenziellen Tätern.
vorbehandelnden Arzt, bei Kollegen oder spe-
ziellen Beratungseinrichtungen zusätzliche Si- • Bieten Sie keine Beratungen und The-
cherheit in der Diagnosestellung zu gewinnen. rapien an, die Sie selbst nicht leisten
Beim Verdacht auf sexuellen Missbrauch von können.
Mädchen durch penetrierende Sexualpraktiken • Führen Sie nach Möglichkeit eine
wird eine Überweisung an eine gynäkologische gemeinsame Entscheidung zur Inan-
Praxis zur kindergynäkologischen Untersu- spruchnahme oder Information von
chung empfohlen. Beratungsstellen und Allgemeinen So-
zialen Diensten herbei.
5.2 Verhalten während Sofern eine Kontaktaufnahme zu den Allgemei-
des Praxisbesuchs nen Sozialen Diensten oder Beratungseinrich-
tungen notwendig wird, sollten Sie Eltern oder
Grundsätzlich Ganzkörper- Begleitpersonen über diesen Schritt informie-
Untersuchung durchführen ren. Ziel der Gespräche ist es, bei Verdacht auf
Misshandlung oder Missbrauch des Kindes Vor-
Nach Möglichkeit sollte eine ausführliche Un- behalte oder Bedenken seitens der Eltern bzw.
tersuchung des Kindes durchgeführt werden. Begleitpersonen gegenüber der Inanspruchnah-
Beim Verdacht auf sexuellen Missbrauch an me einer speziellen Beratungseinrichtung oder
Mädchen erfolgt diese Untersuchung idealer- der Allgemeinen Sozialen Dienste abzubauen.
weise durch einen Kindergynäkologen. Die
Untersuchung ist in jedem Fall als Ganzkörper- Persönliche Kenntnis der empfohlenen
untersuchung durchzuführen. Einrichtungen schafft Glaubwürdigkeit

Dem Kind Sicherheit geben Die Kontaktaufnahme zu den Beratungsstellen


freier Träger ist zu empfehlen, wenn die persön-
liche Problembewältigung der Familie im Vor-
Wichtig ist hierbei ein kindgerechtes Untersu-
dergrund steht und keine Kindeswohlgefähr-
chungsverhalten. Die Symptomsuche sollte in
dung vorliegt. Allgemeine Soziale Dienste sind
unauffälliger Form erfolgen. Heben Sie immer
zu empfehlen, wenn es um die Bewilligung so-
auch das Positive der Untersuchung hervor. Be-
zialer Hilfen geht oder bereits eine Gefährdung
stätigen Sie dem Kind, dass es grundsätzlich
nicht ausgeschlossen werden kann. In Fällen se-
gesund ist. Ziel ist es, dem Kind die Sicherheit
xuellen Missbrauchs sollte in jedem Fall Bera-
zu vermitteln, dass es über seine Gewalterfah-
tung durch Fachleute vermittelt werden. Die ak-
rungen frei sprechen kann.
tuelle Fassung des Paragrafen 8a „Schutzauftrag
bei Kindeswohlgefährdung“ finden Sie unter:
http://bundesrecht.juris.de/sgb_8/__8a.html

39
5.3 Zwischen den Praxisbesuchen über die Entwicklung des Gesundheitszustan-
des des Kindes von Ihnen erwartet. Die Infor-
Einholung zusätzlicher Informationen mationsvereinbarung kann beispielsweise die
von Allgemeinen Sozialen Diensten Mitteilung über einen Abbruch des Kontaktes
zwischen Ihnen und dem betreuten Kind um-
Durch Kontaktaufnahme mit den Allgemeinen fassen. Zu beachten ist die ärztliche Schweige-
Sozialen Diensten und den Jugendpsychiatri- pflicht bzw. die befugte Weitergabe bei Kindes-
schen Diensten können weitere Einschätzungen wohlgefährdung (s.o).
zur Beurteilung einer Verdachtsdiagnose einge-
holt werden. Die Mitarbeiterinnen erhalten un- Informationen behördlicher Stellen auch
ter anderem durch Hausbesuche Informationen ohne Einverständnis der Eltern möglich
über das soziale Umfeld der Kinder. Die bezirk-
lich organisierten Stellen besitzen im Rahmen Die Information von Behörden oder Beratungs-
ihrer Tätigkeiten möglicherweise Fallkenntnis. einrichtungen freier Träger hat grundsätzlich
mit dem Einverständnis der Eltern des Kindes
Anzeige eines Gewaltdeliktes zu erfolgen. Behördliche Stellen können auch
sorgfältig abwägen ohne dieses Einverständnis einbezogen werden,
wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist:
Bei Anzeichen für ein Gewaltdelikt muss der
• Das aktuelle Ausmaß der gesundheit-
Arzt sorgfältig abwägen, ob er sich an die So-
lichen Schäden erfordert die sofortige
zialen Dienste wendet. Die ärztliche Entschei-
Herausnahme des Kindes aus seiner
dung sollte davon abhängig gemacht werden,
häuslichen Umgebung.
wie die Gefahr weiterer Schädigungen dieses
Kindes oder anderer Kinder einzuschätzen ist. • Beim Verbleib in der häuslichen Um-
Wenn keine Gefahr im Verzug ist, sollte ein gebung droht eine akute Gefahr für die
Verdacht zuerst gegenüber den Sozialen Diens- Gesundheit.
ten geäußert werden.
Falldokumentation für eventuelle
Informationen über Vormundschafts- gerichtliche Beweissicherung
verhältnisse einholen
Neben einer ausführlichen Dokumentation der
Familiengerichte stehen Ihnen für allgemeine Anamnese wird eine Dokumentation der Aus-
juristische Auskünfte zur Verfügung. Insbeson- sagen von Eltern/Begleitpersonen einschließ-
dere bei Ehen mit ausländischen Partnern kann lich ergänzender Eindrücke empfohlen. Die
eine Information zu Sorgerechtsfragen hilfreich Dokumentation kann durch Fotos der äußeren
sein. Eine Rückfrage beim Familiengericht ist Verletzungen des Kindes ergänzt werden. Ent-
ebenfalls angezeigt, wenn die Vormundschaft sprechende Dokumente sind möglicherweise
geklärt werden soll und die Begleitperson des Grundlage für eine gerichtliche Beweissiche-
Kindes eine entsprechende Bestellungsurkunde rung. Eine ausführliche Dokumentation ist der
nicht vorweisen kann. Nachweis, dass eine mögliche Veranlassung
behördlicher Maßnahmen durch den Arzt auf
Art und Umfang der Informationswei- sorgfältiger Abwägung der Situation des Kin-
tergabe persönlich vereinbaren des beruht. Im Anhang dieses Leitfadens finden
Inhalt, Umfang und Anlass der Weitergabe von Sie eine Vorlage, mit der Sie die Dokumentati-
fallbezogenen Informationen zwischen dem on strukturieren können.
Arzt und den Allgemeinen Sozialen Diensten
oder Beratungsstellen freier Träger sind mit
Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der entspre-
chenden Einrichtungen möglichst persönlich
zu vereinbaren. Seitens der kooperierenden
Einrichtungen werden zunächst Informationen

40
5.4 Eröffnung der Diagnose gegen- Abgestufte Reaktion auch
über Eltern oder Begleitpersonen im Gefahrenfall möglich

Eröffnungsgespräch vorbereiten Bei den meisten in der Arztpraxis vorgestellten


Fällen von Missbrauch, Misshandlung und Ver-
Wird der Verdacht auf Kindesmisshandlung nachlässigung ist ein sofortiges Handeln nicht
oder Kindesmissbrauch bestätigt, sollte die Di- erforderlich.
agnose im Gespräch mit den Eltern oder Be-
gleitpersonen eröffnet werden (HUTZ 1994/95; Im Notfall – Gefahr für Leben, Suizidgefahr,
KOPECKY-WENZEL & FRANK 1995). In Gefahr der unkontrollierbaren Gewaltbereit-
Fällen sexueller Misshandlung, akuter Gefähr- schaft, Eskalation von Familienkonflikten vor
dung des Kindes bei körperlicher Gewalt oder oder an Wochenenden – besteht immer die
extremer, lebensbedrohender Vernachlässigung Möglichkeit des Einschaltens des Jugendamtes
muss vor einem solchen Gespräch der Schutz und bei Nichterreichen der Polizei.
des Kindes vor weiteren Übergriffen oder einer
Eskalation unbedingt sichergestellt sein. Die Selbst in den Fällen, die ein sofortiges Eingrei-
vernetzte Kooperation mit der öffentlichen Ju- fen erfordern, ist entsprechend der Gefahrenbe-
gendhilfe oder spezialisierten Beratungsstellen wertung eine abgestufte Reaktion möglich:
kann hierbei eine wichtige Hilfestellung sein. • Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt
Gesprächsführung • Krankenhauseinweisung
• Einschaltung der Polizei, sofern sonst
Beginnen Sie das Gespräch mit den Befun-
keine Gefahrenabwendung möglich
den, die Sie bei dem Kind beobachtet haben.
ist.
Die Symptomatik des Kindes bietet Ihnen eine
Möglichkeit, mit den Eltern ins Gespräch zu Die entsprechenden Maßnahmen sind gegenüber
kommen („Ihr Sohn macht schon seit längerer den Eltern bzw. den Begleitpersonen des Kindes
Zeit einen sehr ängstlichen Eindruck auf mich. eindeutig zu begründen („Ich muss jetzt die All-
Haben Sie eine Vorstellung, woran es liegen gemeinen Sozialen Dienste anrufen, weil ...“).
kann?“). Manchmal stellen Sie in der Sprech-
stunde fest, dass ein Kind, das wegen Husten In der Praxis auftretende Krisenfälle können Sie
vorgestellt wird, mehrere Hämatome aufweist. durch einfache Maßnahmen entschärfen (z. B. ein
Sie sollten den Eltern diese Befunde unbedingt kurzes Erstgespräch, die Bitte um Aufenthalt im
mitteilen und mit ihnen über mögliche Ursa- Wartezimmer, die Ablenkung durch Zeitschrif-
chen und weiteres notwendiges Vorgehen reden ten oder andere Medien, eine zwischenzeitliche
(Transparenzgebot nach dem KKG). Informationseinholung bei einer Kollegin oder
einem Kollegen oder Kooperationspartner, ein
5.5 Notmaßnahmen bei unmittelbar ausführliches Wiederholungsgespräch).
drohender Gefahr für das Kind
Die Einschätzung einer unmittelbaren Ge-
Zum Zeitpunkt des Praxisbesuchs
fahrensituation für das Kind muss von Ihnen
meist keine unmittelbare Gefahr
grundsätzlich in eigener Verantwortung vorge-
für das Kind
nommen werden. Sofern der Fall erstmalig in
Zum Zeitpunkt des Praxisbesuchs ist eine un- der Praxis vorstellig wird, ist das Einbeziehen
mittelbar abzuwendende Gefahr für das Kind, weiterer Stellen aus Zeitgründen meist nicht
von Ausnahmen abgesehen, meist nicht gege- möglich. Diese Situation ist jedoch selten.
ben. Um besonders in Krisensituationen ange- Die Anonymisierung des Falls stellt eine Mög-
messen zu reagieren, sollten Sie Ihr Verhalten lichkeit dar, sich ohne Verletzung der Schwei-
an folgenden Überlegungen ausrichten: gepflicht kompetenten Rat beim Jugendamt
einzuholen.

41
5.6 Feedback Die hohen Anforderungen des Praxisalltags füh-
ren mitunter dazu, dass Informationsabsprachen
Rückmeldungen sind wichtig für trotz bester Absichten nicht eingehalten werden
gemeinsames Fallmanagement können. In diesem Fall können regelmäßige
Kooperationstreffen eine leicht organisierbare
Ein gemeinsames Fallmanagement beruht in Möglichkeit zum Austausch von Informationen
hohem Maße auf einem verantwortungsvollen und Erfahrungen sein. Sowohl die Fallarbeit als
Austausch von Informationen zwischen der be- auch der präventive Ansatz erfordern ein hohes
handelnden Arztpraxis, Kollegen, Allgemeinen Maß an Einsatz und Energie. Der niedergelas-
Sozialen Diensten, Psychologen, Kinder- und sene Arzt hat die Möglichkeit, durch längerfris-
Jugendpsychiatern, Gesundheitsämtern und tige Verläufe den Erfolg Ihrer Bemühungen zu
Beratungseinrichtungen. Die entsprechenden sehen. Dann kann die Betreuung von Familien,
Informationsbeziehungen sind umso belastba- in denen Gewalt gegen Kinder geschieht, eine
rer, je schneller gegenseitige Rückmeldungen lohnende Arbeit sein.
über Ergebnisse der weiteren Behandlung des
Falls durch die jeweilige Einrichtung erfolgen.

42
C ybermobbing ist vereinfacht gesagt Mobbing
mit Hilfe von Internet- oder Handyanwendun-
gen. Wichtig ist dabei, dass die Täter dem Opfer
schaden möchten, dass sich das Opfer nicht weh-
ren kann und dass die Angriffe über längere Zeit
hinweg immer wieder passieren.“

• Verunglimpfung (engl. Denigrati-


6. Mobbing und on): öffentliches Verbreiten unwahrer
Cybermobbing Gerüchte über einen Dritten, die dessen
Ansehen schaden, beispielsweise über
Dr. Stephanie Pieschl, Torsten Porsch & Soziale Netzwerke wie Facebook,
Christopher Hohage – Westfälische Wilhelms-
Universität Münster, Institut für Psychologie • Betrug (engl. Impersonation): unbe-
fugtes Auftreten unter falscher Identi-
tät, das dem Ansehen der betroffenen
6.1 Cybermobbing – Person schadet, beispielsweise in ei-
Was ist das eigentlich? nem Chat,
• Verrat (engl. Outing & Trickery):
Mobbing ist weder unter Kindern und Jugend- öffentliches Verbreiten von Geheim-
lichen in der Schule noch in der Forschung ein nissen oder privaten Fotos/Videos ge-
neues Phänomen. Dazu gehören beispielsweise gen den Willen des Betroffenen, um
körperliche Aggression (z. B. schlagen, stoßen, den Betroffenen bloßzustellen, bei-
treten) oder verbale Angriffe (z. B. „dumme spielsweise auf YouTube,
Sprüche“ nachrufen, drohen, hänseln).
• Ausgrenzung (engl. Exclusion):
Wichtig ist dabei, dass die Täter dem Opfer systematischer Ausschluss einer Per-
schaden möchten (Absicht), dass sich das Op- son von einer Online-Gruppe, deren
fer nicht wehren kann (Machtungleichgewicht) Kommunikationskanälen und Online-
und dass die Angriffe über längere Zeit hinweg Aktivitäten, beispielsweise aus einer
immer wieder passieren (Wiederholung). Gruppe bei Facebook.

In den letzten zehn Jahren, und untrennbar mit dem Anhand dieser Auflistung wird deutlich, dass
rasanten Aufstieg des Internets und der mobilen Cybermobbing nicht zwangsläufig vom Op-
Kommunikationstechnologien verbunden, macht fer bemerkt werden muss, sondern hinter dem
ein neues Phänomen von sich reden: Cybermob- Rücken der Betroffenen stattfinden kann. Au-
bing. Cybermobbing ist vereinfacht gesagt Mob- ßerdem sind im Cyberspace nicht alle Kriterien
bing mit Hilfe von Internet- oder Handyanwen- von Mobbing eindeutig feststellbar.
dungen. Es kann folgende Formen annehmen:
Ein einmaliges Cybermobbing kann vom Opfer
• Schikane (engl. Harassment): direkte als wiederholtes Mobbing empfunden werden,
(teilweise öffentliche) Beleidigungen da die Inhalte einem großen Personnenkreis
und Drohungen bzw. Zusenden von bekannt sein können und nicht mehr gelöscht
unhöflichen oder verletzenden Nach- werden können.
richten, beispielsweise E-Mails,

43
fühlen sich geschützter vor den Konsequenzen,
Das Machtungleichgewicht kann bei Cyberm-
die Hemmschwelle sinkt im Vergleich zu Mob-
obbing andere Formen annehmen, beispiels-
bing im persönlichen Kontakt und somit werden
weise durch die Hilflosigkeit der Opfer ange-
auch Kinder und Jugendliche zu Cyber-Tätern,
sichts der Anonymität oder der technischen
die in der Schule nicht zum Täter werden.
Versiertheit der Täter. Auch können Opfer von
Cybermobbing häufig nicht unterscheiden, ob Darüber hinaus bekommt der Täter keine di-
ein Täter eine Schädigungsabsicht hatte oder ob rekte Rückmeldung vom Opfer, da er ihm nicht
eine (empfundene) Attacke im Internet eigent- von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht.
lich als Spaß gemeint war. Dadurch bleiben die emotionalen Reaktionen
des Opfers für den Täter im Verborgenen, und
Um diesen Punkten gerecht zu werden und er kann nicht immer erkennen, wann für das
schon die ersten Anzeichen von Cybermobbing Opfer Grenzen überschritten sind (15). Des-
erkennen zu können, definieren wir daher für halb können im Cybermobbing die aggressiven
die Praxis Cybermobbing wie folgt: Handlungen besonders brutal und grausam aus-
fallen.
„Cybermobbing sind alle Formen von Schi-
kane, Verunglimpfung, Betrug, Verrat und Aufgrund der großen Verbreitung von (mobi-
Ausgrenzung mit Hilfe von Informations- und lem) Internet und Handys ist Cybermobbing
Kommunikationstechnologien, bei denen sich örtlich und zeitlich unbegrenzt. Cybermobbing
das Opfer hilflos oder ausgeliefert und (emotio- dringt rund um die Uhr in das Leben zu Hause
nal) belastet fühlt […]“. ein. Für die Opfer ist es daher viel schwieriger,
sich dem zu entziehen.
6.2 Mobbing und Cybermobbing – Dazu kommt, dass sich Cybermobbing sehr
Gemeinsamkeiten und Unterschiede schnell an ein großes Publikum verbreiten kann.
Was einmal im Netz steht, kann niemand mehr
Es gibt einige Überschneidungen von Mobbing
kontrollieren – weder Opfer noch Täter von
und Cybermobbing, die über die bloße Defini-
Cybermobbing –, und es kann kaum mehr dau-
tion hinausgehen. Der Übergang von Mobbing
erhaft gelöscht werden. Durch diese potentiell
und Cybermobbing ist oft fließend, da die Op-
große Öffentlichkeit kann es zu verstärkten ne-
fer von Mobbing in der Schule häufig auch im
gativen Auswirkungen auf die Opfer kommen.
Internet von den Tätern weiter gemobbt werden
und umgekehrt.
Eine weitere Besonderheit des Cybermob-
Darüber hinaus übt in beiden Phänomenen das bings ist ein erweiterter Kreis von potentiellen
soziale Umfeld eine wesentliche Funktion aus. Opfern. So können beim Cybermobbing auch
Neben Täter und Opfer finden sich beim (Cy- Erwachsene, beispielsweise Lehrer, zu Opfern
ber-)Mobbing: Assistenten (unterstützen den werden, die ansonsten durch ihr Alter oder ihre
Täter), Verstärker (durch positive Aufmerk- körperliche Überlegenheit üblicherweise nicht
samkeit bestärken sie den Täter), Verteidiger zum Opferkreis beim Mobbing durch Kinder
(unterstützen das Opfer) und Außenstehende und Jugendliche zählen.
(entziehen sich der Situation, ignorieren die Si-
tuation).
6.3 Wie gefährdet sind Kinder und
Neben diesen Gemeinsamkeiten von Mobbing Jugendliche im Netz?
und Cybermobbing gibt es deutliche konzeptu-
elle Unterschiede: Im Gegensatz zu Mobbing Cybermobbing ist ein verbreitetes Phänomen
kann ein Täter bei Cybermobbing leichter an- und somit Realität im Alltag von deutschen
onym bleiben. SchülernInternationale Forschung an Schülern
kommt zu dem Schluss, dass durchschnittlich
Diese Anonymität hat zur Folge, dass der Tä- 20 bis 40 Prozent der Befragten Opfer von Cy-
terkreis sich deutlich vergrößert, denn die Täter bermobbing geworden sind. In einer deutschen

44
Studie hatten 18 % der Schüler Schikane erlebt, Chaträumen mit sexualisierten Inhalten), steigt
13 % Verundglimpfung, 8 % Betrug, 5% Aus- die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Cybermob-
gegrenzung und 3 % Verrat an der eigenen Per- bing zu werden.
son erlebt.
Darüber hinaus gaben in derselben Studie 21 6.4 Folgen von Cybermobbing
Prozent der Schüler an, dass sie sich vorstel-
len könnten, zu Tätern von Cybermobbing zu Die Folgen für die Opfer sind einerseits abhän-
werden, und acht Prozent gaben zu, tatsächlich gig sein von Ausmaß, Häufigkeit und Dauer des
schon einmal Cybermobbing betrieben zu ha- Cybermobbings, andererseits aber auch vom
ben. Andere Studien kommen auf 15 bis 55 % Erleben der Betroffenen selbst.
Täter.
Folgen für die Opfer
In anderen deutschen Studien gaben 25 Prozent
der befragten Jugendlichen an, dass sie Cy- Besonders öffentliches Cybermobbing mit
bermobbing für eine der drei größten Gefahren (peinlichen) Fotos und Videos wird als belas-
im Internet halten und knapp 60 Prozent der tend empfunden. Diese Belastung steigt, wenn
befragten Lehrerschaft gab an, dass Cybermob- Cyber-Opfer in der Realität auf die peinlichen
bing in den letzten zwei Jahren an ihrer Schule und belastenden Inhalte angesprochen werden.
zugenommen hat. Dennoch hängen die Folgen für die Opfer von
der Art des Cybermobbings und ihrer eigenen
Man kann man festhalten, dass Cybermobbing Bewertung ab.
ein zunehmend verbreitetes Problem ist. Es
schließen sich weitere Fragen an, beispielswei-
In internationalen Studien berichten circa ein
se über mögliche Risikofaktoren und Folgen
Fünftel der Cyber-Opfer von ernsthafter emo-
von Cybermobbing. Bei diesen Fragen steht die
tionaler Belastung, ein Drittel von keiner emp-
wissenschaftliche Forschung noch am Anfang.
fundenen Belastung und der Rest von leichtere-
Wer wird Opfer? motionaler Belastung.

Generell ist festzuhalten, dass Jeder, besonders In einer deutschen Studie waren 66 Prozent der
als Nutzer neuer Kommunikationstechnologi- Betroffenen wütend, 35 Prozent fühlten sich
en, Opfer von Cybermobbing werden kann. verletzt, je 20% fühlten sich verzweifelt oder
hilflos und mehr als 18 Prozent berichteten von
Das Geschlecht ist beim Cybermobbing kein psychosomatischen Beschwerden.
Risikofaktor, weder für Opfer noch für Täter.
Die Häufigkeit nimm tbis zur siebten oder ach- Opfer von Cybermobbing zeigen mehr depres-
ten Klasse deutlich zu und anschließend lang- sive Symptome, mehr soziale Ängste, mehr su-
sam wieder ab. Möglicherweise sind Haupt- izidale Gedanken, generell mehr affektive Stö-
schule (Werkrealschulen) stärker betroffen. rungen, und sie konsumieren häufiger Drogen,
Faktoren die sie möglicherweise auch leichter
Opfer von Mobbing in der Schule werden häu- zum Opfer werden ließen.
figer auch Opfer von Cybermobbing. Opfer von
Cybermobbing berichten auch häufig, selbst Gleiches gilt für Auswirkungen auf das Verhal-
Täter zu sein. ten der Betroffenen: Opfer von Cybermobbing
zeigen häufiger delinquentes Verhalten, mehr
Bei Jugendlichen, die viel Zeit im Internet Fehlzeiten in der Schule und meiden teilweise
verbringen, häufig Kommunikationstechnolo- ihre Freunde. Sie fangen teilweise an, Kommu-
gien wie Instant Messenger oder Chat nutzen, nikationstechnologien zu meiden, sind bei oder
ein aktives Profil in einem sozialen Netzwerk nach der Nutzung häufig ungewöhnlich ange-
betreiben und generelles Risikoverhalten im spannt oder ängstlich und reden ungern über
Internet zeigen (z. B. Preisgabe persönlicher ihre Erfahrungen.
Daten im Internet oder Besuch von extremen

45
Wer wird Täter? strebt, auch helfend tätig zu werden. Stellt sie
jedoch einen Verdacht einer Straftat fest, be-
Forschungsergebnisse legen nahe, dass Jungen nachrichtigt sie nach Abschluss der Ermittlun-
häufiger Cyber-Täter werden als Mädchen. Für gen die Staatsanwaltschaft, die jeden Verdacht
Klassen- oder Altersstufen und für Schulfor- einer Straftat verfolgt und gegebenenfalls bei
men gibt es bisher keine eindeutig gesicherten Gericht Anklage erhebt.
Erkenntnisse.
Jedes Opfer oder jeder Zeuge von Cybermob-
Täter von Mobbing in der Schule werden häu- bing kann eine Strafanzeige stellen. Allerdings
figer auch Täter von Cybermobbing. Nur beim ist zu beachten, dass Kinder unter 14 Jahren
Cybermobbing berichten Täter auch häufig, nicht strafmündig sind.
selbst Opfer zu sein.
Grundsätzlich hat jeder nach Art. 5 Grundgesetz
Weitere Risikofaktoren beziehen sich – ähnlich das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und
wie bei den Cyber-Opfern – auf das eigene Ver- Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich
halten im Internet: Bei Jugendlichen, die ausge- aus allgemein zugänglichen Quellen ungehin-
prägte Computerkenntnisse besitzen, viel Zeit dert zu unterrichten. Diese Rechte finden ihre
im Internet verbringen, häufig Kommunikati- Schranken in den Vorschriften der allgemeinen
onstechnologien nutzen und generelles Risiko- Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum
verhalten im Internet zeigen (z. B. Besuch von Schutze der Jugend und in dem Recht der per-
extremen Chaträumen mit sexualisierten Inhal- sönlichen Ehre.
ten oder manipulatives Chatverhalten), steigt
die Wahrscheinlichkeit, Täter von Cybermob- Straftaten*, die ein Teil von
bing zu werden. Cyber-Mobbing sein können:

Auch wenn Cyber-Täter kurzfristig Spaß am Beleidigung (§ 185 StGB): Beleidigung ist der
Cybermobbing haben können, so zeigen sich Angriff auf die Ehre einer Person durch Kund-
auch bei Tätern langfristig eher negative psy- gabe von Missachtung.
chosoziale Phänomene: Sie weisen im Vergleich
zu anderen Kindern und Jugendlichen ein nied- Dazu zählt die Bezeichnung als „Nazi, Faschist,
rigeres Selbstbewusstsein, häufigere suizida- Trottel, Hure, Berufslügner, Zeigen des „Stin-
le Gedanken, mehr depressive Symptome, ein kefingers“ usw.“
stärkeres delinquentes Verhalten und häufigeres
Versagen in der Schule auf. Die so genannte üble Nachrede (§ 186 StGB)
bezeichnet eine erweislich unwahre Tatsachen-
Straf- und zivilrechtliche
behauptung. Sie ist gegeben wenn, jemand in
Folgen für die Täter
Beziehung auf einen anderen eine Tatsache
Cybermobbing kann nicht nur im sozialen Um- behauptet oder verbreitet, welche denselben
feld wie der Schule, Familie oder Freundeskreis verächtlich zu machen oder in der öffentlichen
Maßnahmen nach sich ziehen. Meinung herabzuwürdigen geeignet ist.
Gem. § 187 StGB ist wegen Verleumdung
Ein Täter, eine Täterin muss bei Cyber-Mob- strafbar, wer wider besseres Wissen in Bezie-
bing auch mit strafrechtlichen Folgen rechnen. hung auf einen anderen eine unwahre Tatsache
Cyber-Mobbing ist in Deutschland kein eigener behauptet oder verbreitet, welche denselben
Straftatbestand. Allerdings sind einzelne For- verächtlich zu machen oder in der öffentlichen
men von Mobbing strafbar (s.u.). Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit

Aufgrund einer Anzeige bei der Polizei muss


diese aktiv werden, sobald sie von einer Cy- * Alle thematisierten Gesetze und Paragraphen können Sie
bermobbing-Attacke erfährt. Sie ist dabei be- unter http://bundesrecht.juris.de/aktuell.html nachschlagen.

46
zu gefährden geeignet ist. gendlichen zu tun haben (Ärzte, Sozialarbeiter,
Ehrenamtler, Betreuer etc.).
Jemanden durch starken Druck und der Andro-
hung schlimmer Konsequenzen gegen seinen Es sollte eine Atmosphäre des Vertrauens ge-
Willen zu etwas zwingen, heißt Nötigung und schaffen werden. Kinder und Jugendliche
ist durch § 240 StGB strafwürdig. Wer einen müssen mit ihren Problemen ernst genommen
Menschen mit der Begehung eines gegen ihn werden und mit Erwachsenen über diese reden
oder eine ihm nahestehende Person gerichteten können, ohne dass sie selbst dabei Konsequen-
Verbrechens (z. B. Tötung, Raub) bedroht, wird zen zu fürchten haben.
nach § 241 StGB bestraft.
Eine restriktive Medienerziehung und ein (ver-
meintlicher) Schutz der Opfer durch Nutzungs-
Wer das nichtöffentlich gesprochene Wort ei- verbote sind kontraproduktive Vorgehens-
nes anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder weisen, die dazu führen, dass viele Opfer von
eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder Cybermobbing aus Angst vor einem Internet-
einem Dritten zugänglich macht, kann gemäß bzw. Handyverbot ihre negativen Erfahrungen
§ 201 StGB bestraft werden. Dasselbe gilt, vor Erwachsenen verschweigen.
wenn jemand unbefugt (heimlich) Bildaufnah-
men in einer Wohnung oder einem besonders Wichtig für die Kinder und Jugendlichen ist es,
geschützten Raum (Dusche, Sauna, Umkleide- dass ihnen schon früh in der Mediensozialisati-
raum, Toilette) von einem anderen Aufnahmen on Strategien an die Hand gegeben werden, um
macht und/oder verbreitet, wird nach § 201a Cybermobbing im Netz angemessen zu begeg-
StGB verfolgt. nen.

Bei Bildaufnahmen, dazu zählen auch Videos, Was kann man tun, bevor es
ist in erster Linie § 22 KUG (KunsturheberG) zu Cybermobbing kommt?
wichtig. Danach dürfen nur Bildnisse mit Ein-
Sobald Kinder und Jugendliche anfangen, das
willigung des Abgebildeten verbreitet bzw. ver-
Internet zu nutzen, sollten Eltern sich ebenfalls
öffentlich werden. Bevor man ein Foto einer
mit dem Internet beschäftigen, um Gefahrenpo-
Person, auch eines Freundes, ins Internet ein-
tentiale realistisch einschätzen zu können, ihre
stellt, müssen diese vorab um Erlaubnis gefragt
Kinder bei der Internetnutzung zu begleiten
werden.
und ihnen einen verantwortlichen Umgang mit
Anderen im Netz beizubringen.
Daneben kann das Cyber-Opfer Unterlassungs-
und Schadensersatzansprüche zivilrechtlich Auch ist es sinnvoll, die Namen, Nicknamen
geltend machen (§§ 823, 1004 BGB). Bei Ver- und E-Mail-Adressen der Kinder regelmäßig
letzungen von Persönlichkeitsrechten (Privat-/ im Netz zu suchen, um Einträge über sie und
Intimsphäre), des Datenschutzes und der Rech- von ihnen zu finden. Wenn Eltern vermuten,
te am eigenen Bild, aber auch aufgrund von dass ihr Kind ein Cyber-Opfer oder ein Cyber-
psychischen Folgen kann das Opfer auf Scha- Täter ist, sollten sie das Gespräch suchen und
densersatz oder Schmerzensgeld klagen (z. B. verdeutlichen, dass sie an einer gemeinsamen
psychische Schäden). konstruktiven Lösung interessiert sind und
nicht auf Internet- oder Handyverbote zurück-
greifen werden.
6.5 Was kann man gegen
Cybermobbing tun? Zu Hause und in der Schule sind klare Verhal-
tensregeln der Mediennutzung (Netiquette) zu
Opfer brauchen Unterstützung. Diese kann entwickeln und diese per Selbstverpflichtung
durch ihr familiäres (Eltern, Geschwister) oder einführen. Eltern und Lehrer finden gute Infor-
schulisches Umfeld (Lehrer, Mitschüler, Freun- mationen und Unterrichtsmaterialien auf den In-
de) geleistet werden, aber auch von allen wei- ternetseiten von Klicksafe (www.klicksafe.de).
teren Berufsgruppen, die mit Kindern und Ju-

47
Damit kann verhindert werden, dass Cyberm-
Geschulte Vertrauenspersonen, Erwachsene
obbing – beispielsweise gemeine Kommentare
oder Gleichaltrige, sollten als Ansprechpartner
oder peinliche Fotos – weiterhin öffentlich zu
für Internetprobleme benannt werden.
sehen sind.
Was kann man als Reaktion Außerdem kann es ratsam sein, den Cyber-
auf Cybermobbing tun? Täter auf die Blockieren-/Ignorieren-Liste zu
setzen, um keine weiteren Nachrichten von ihm
Das Vorgehen sollte in jedem Fall individuell
zu empfangen. Ist ein Cyber-Täter unter dem
und nicht nur mit den Betroffenen selbst, son-
Namen eines anderen im Netz unterwegs und
dern auch – je nach Bedarf – mit Eltern, Lehrern,
treibt sein Unwesen oder hat Zugang zu dem
Schulleitung und gegebenenfalls professionel-
echten Profil eines anderen (Betrug), so sollte
len Hilfsangeboten wie Schulpsychologischen
der Betroffene dem Betreiber dieses ebenfalls
Beratungsstellen abgestimmt werden.
sofort melden.
Bei leichteren Fällen von Cybermobbing sollte
man unbedingt selbst aktiv werden. Wenn das Und viertens gilt: Cyber-Opfer sollten Freun-
Cybermobbing jedoch nicht aufhört, sollten den, Eltern oder anderen Vertrauenspersonen
auch Anwälte und Strafverfolgungsbehörden über ihre Erfahrungen berichten und sich bei
einbezogen werden. Es kann sich zum Beispiel ihnen Hilfe holen. Einerseits können Gleich-
um ernst zu nehmende Gewaltandrohungen, altrige emotionale Unterstützungen leisten und
Nötigungen oder gar Erpressungen handeln, haben vielleicht Tipps für technische Lösungen,
wie auch um Situationen, bei denen die Besei- wie beispielsweise Cybermobbing beim Anbie-
tigung von Spuren des Cybermobbings (z. B. ter zu melden.
Fotos) Probleme bereitet.
Andererseits sollten in jedem Fall Erwachsene
Ein gutes Vorgehen ist folgende Vier-Stufen- hinzugezogen werden, da diese besser beurtei-
Strategie: len können, in welchen Situationen weitere pro-
Beruhigen – Sichern – Melden – Hilfe holen fessionelle Hilfe nötig ist. Professionelle Hilfe
gibt es an ganz unterschiedlichen Stellen.
Als erstes gilt: Sich und die Cybermobbing-Si-
tuation zu beruhigen. Inne halten und nachden- Kompetente Ansprechpartner sind zu finden in
ken, jedoch nie auf Schikane im Netz mit ähn- Schulen, Schulpsychologische Beratungsstel-
lichem Verhalten antworten, denn dies bestätigt len, Erziehungsberatungsstellen, Jugendämter
nur den Täter und führt zum Aufschaukeln der und Polizeidienststellen mit kompetenten An-
Situation. sprechpartnern. Falls Betroffene im Elternhaus
und in der Schule keine Ansprechpartner finden,
Als zweites gilt: Immer das Cybermobbing zu können sie sich auch anonym und kostenfrei
dokumentieren und somit Beweise zu sichern. von Handy und Festnetz an eine bundesweite
E-Mails oder SMS nicht löschen, Screenshots „Nummer gegen Kummer“ (0800 111 0333)
von Beiträgen/Bildern auf den Internetseiten wenden oder sich von Gleichaltrigen im Inter-
machen bei Videos einen Mitschnitt machen. net beraten lassen (www.juuuport.de).
Als drittes gilt: Dem Betreiber des Internetan- Einen ausführlichen Text zum Thema „Mob-
gebotes die Inhalte sowie den Täter (Profil, bing und Cybermobbing“ können Sie in der
Nickname) zu melden und deren Löschung zu zweiten Auflage des Leitfadens „Gewalt ge-
fordern. Die meisten Seiten haben z. B. einen gen Kinder“ auf der Homepage der Techniker
„Melde-Button“ in ihr Angebot implementiert, Krankenkasse, Landesvertretung NRW, unter
oder es gibt Kontaktadressen der Betreiber. www.gewalt-gegen-kinder.de nachlesen.

48
B ei der Betreuung von Kindern, die vernach-
lässigt, körperlich oder sexuell misshandelt
wurden, sind die Diagnostik und die Dokumentation
der erhobenen Befunde für den weiteren Verlauf
wesentlich.“

Dieser Dokumentationsbogen soll eine Arbeits-


7. Dokumentationsbogen anleitung sein. Er erfüllt zwei Aufgaben:
Bei der Betreuung von Kindern, die vernachläs- 1. er dient als Ablaufschema bei vermuteter
sigt, körperlich oder sexuell misshandelt wur- Kindesmisshandlung zur raschen Diagnos-
den, sind tik und Einleitung notwendiger therapeuti-
scher Maßnahmen;
die Diagnostik
2. er ist gleichzeitig ein ausführlicher Doku-
und mentationsbogen für somatische, psychi-
sche und soziale Befunde für therapeutische
die Dokumentation der erhobenen Befunde
und juristische Interventionen im koopera-
für den weiteren Verlauf wesentlich. tiven Handeln mit den verschiedenen Hel-
fersystemen.

4.3
Eltern-Kind-Int
eraktion

Häufiger Blickk
gen
ontakt:
sbo
Dokumentation Positive Äußer
ungen über das
Kind:
Befu nd des Kindes
Frank) Psychischer
(modifiziert nach 4.2 Interesse am
Kind:
3. Skizzen zur Befu icklungsstand
nddokumentatio Orien tierender Entw
n 4.2.1 Erkennen der
Bedürfnisse des
nd: Kindes:
altersentspreche
Testverfahren:
Psychomotorik: Feinfühligkeit
der Eltern:
Untersucher Ganzkörpersch Auffälligkeiten:
ema�/�körperli
Datum che�Untersuch
ung� Sprache: Mangelnde Zuwe
ndung der Mutte
r/des Vaters:

es
Daten des Kind Kognition: Offene oder verste
Persönliche
ckte Ablehnung
des Kindes:
1.
Geburtsdatum Mutter/Vater
vermeidet Körpe
törung: rkontakt mit dem
Name Sozialverhalten Aufmerksamkeitss Kind:
4.2.2
Nationalität Geste igerte Aktivität: Fehlen verba
ler Stimulation
| m | w ktverhalten: gegenüber dem
Kind:
Geschlecht Auffälliges Konta

Aggressivität: Mangelnde Impul


skontrolle:

Kostenträger
Apathie: Strenger Erzieh
ungsstil:

n)
ss (Begleitperso Emotionale Prob
lematik 4.4
tellungsanla Ängstlichkeit: Familiensituati
mnese – Vors 4.2.3 on
2. Aktuelle Ana Traurigkeit:
tvertrauen:Geno
Geringes Selbs gramm
bilität:
Stimmungsla

che Störungen
psychosomatis 4.4.1
Hinweise auf Kopfschmerzen:
Soziale Anam
nese
4.2.4
rzen:
Bauchschme Mutter
Durchfälle: Vater
Erbrechen: Alter:
Obstipation: Alter:
Atemstörungen: Nationalität:
Enkopresis: Nationalität:
Enuresis: Beruf:

Beruf:
andere: Schulabschluss:
Anamnese:
n zur früheren Schulabschluss:
Wichtige Date cklungsstörungen
etc.)
Berufstätigke
nkungen, Entwi it:
(z.B. chron. Erkra
Berufstätigke
it:

53

50

52

51

49
Dokumentationsbogen
(modifiziert nach Frank)

Datum Untersucher

1. Persönliche Daten des Kindes

Name Geburtsdatum

Geschlecht | m | w Nationalität

Kostenträger

2. Aktuelle Anamnese – Vorstellungsanlass (Begleitperson)

Wichtige Daten zur früheren Anamnese:


(z.B. chron. Erkrankungen, Entwicklungsstörungen etc.)

50
3. Skizzen zur Befunddokumentation

Ganzkörperschema/körperlicheUntersuchung

51
4.2 Psychischer Befund des Kindes

4.2.1 Orientierender Entwicklungsstand

altersentsprechend:

Auffälligkeiten: Psychomotorik: Testverfahren:

Sprache:

Kognition:

4.2.2 Sozialverhalten

Gesteigerte Aktivität: Aufmerksamkeitsstörung:

Aggressivität: Auffälliges Kontaktverhalten:

Apathie:

4.2.3 Emotionale Problematik

Traurigkeit: Ängstlichkeit:

Stimmungslabilität: Geringes Selbstvertrauen:

4.2.4 Hinweise auf psychosomatische Störungen

Bauchschmerzen: Kopfschmerzen:

Erbrechen: Durchfälle:

Atemstörungen: Obstipation:

Enuresis: Enkopresis:

andere:

52
4.3 Eltern-Kind-Interaktion

Häufiger Blickkontakt:

Positive Äußerungen über das Kind:

Interesse am Kind:

Erkennen der Bedürfnisse des Kindes:

Feinfühligkeit der Eltern:

Mangelnde Zuwendung der Mutter/des Vaters:

Offene oder versteckte Ablehnung des Kindes:

Mutter/Vater vermeidet Körperkontakt mit dem Kind:

Fehlen verbaler Stimulation gegenüber dem Kind:

Mangelnde Impulskontrolle:

Strenger Erziehungsstil:

4.4 Familiensituation

Genogramm

4.4.1 Soziale Anamnese

Mutter Vater

Alter: Alter:

Nationalität: Nationalität:

Beruf: Beruf:

Schulabschluss: Schulabschluss:

Berufstätigkeit: Berufstätigkeit:

53
Kind lebt bei

Mutter allein: Vater allein: leiblichen Eltern:

Pflegefamilie: Heim: Sonstiges:

Anzahl der Geschwister: Stellung in der Geschwisterreihe:

Rechtsstellung des Kindes:

ehelich: nicht ehelich:

Pflegekind: Adoptivkind:

Wohnverhältnisse:

Finanzielle Situation:

4.4.2 Belastungsfaktoren

Schwierige sozioökonomische Situation:

Mangelnde Unterstützung und Entlastung:

Soziale Isolation der Familie:

Konflikte in der Familie

Eheliche Auseinandersetzungen: Trennung oder Scheidung:

Alkoholproblematik/Drogen: Psychische Erkrankung der Eltern:

Bericht der Eltern über andere Belastungen:

4.4.3 Andere Risikofaktoren

Frühe Trennung des Kindes von den Eltern (>3 Monate): Vorsorgeheft:

Häufige Klinikaufenthalte:

Häufiger Arztwechsel:

Zeitverzögerung des Arztbesuches:

54
5. Diagnose

5.1 Somatische Diagnose des Kindes

5.2 Psychische Diagnose des Kindes

Entwicklungsstand:

Sozialverhalten:

Emotionale Situation:

5.3 Familiäre Belastung

| niedrig | hoch

5.4 Zusatzdiagnose

Misshandlung | möglich | sicher

Vernachlässigung | möglich | sicher

Sexueller Missbrauch | möglich | sicher

6. Therapeutische Maßnahmen

6.1 Therapie der somatischen Beschwerden

6.2 Therapie der psychischen Beschwerden

6.3 Konsiliaruntersuchungen

Kinder- und Jugendpsychiatrie:

Kindergynäkologie: Andere:

6.4 Kontaktaufnahme zu

Vorbehandelnde Ärztin/Arzt:

Erziehungsberatungsstellen:

Jugendamt: Schule/Kindergarten:

Kinderschutzbund/-zentrum: Andere Stellen:

6.5 Fallkonferenz

wann: wer:

Ziele:

55
Wichtige Adressen auf einen Blick

Tragen Sie hier wichtige lokale Ansprechpartner (Jugendamt, Kliniken, etc.) ein, damit Sie für
den Fall der Fälle vorbereitet sind. Die „insoweit erfahrene Fachkraft“ (s. Seite 16) nennt Ihnen
das Jugendamt. Eine Übersicht aller Jugendämter in Baden-Württemberg finden Sie im Internet:
Meine persönlichen Ansprechpartner bei Verdacht auf Kindesmisshandlung
www.gesundheitsamt-bw.de/SiteCollectionDocuments/50_Wir_ueber_uns/UebersichtGAeBW.pdf
(z. B. Jugendamt, Klinikum):

Institution Kontaktdaten Anmerkung

56
Leitfaden
für Ärztinnen
und Ärzte

K indesmisshandlung ist eine nicht zu-


fällige (bewusste oder unbewusste)
gewaltsame körperliche und/oder seeli-
sche Schädigung, die in Familien oder
Institutionen (z.B. Kindertagesstätten,
Schulen, Heimen) geschieht und die zu
Verletzungen, Entwicklungsverzögerungen
oder sogar zum Tode führt und die somit

Gewalt
das Wohl und die Rechte eines Kindes be-
einträchtigt oder bedroht.“
(Quellle: Drucksache 10/4560 des Deutschen Bundestages 1996)

gegen
Kinder

www.ärztekammer-bw.de

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