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Thema 1: Die Frage nach dem richtigen Leben Aufgabe 2 Glick und Gliicksvorstellungen \Verfassen Sie eine Erérterung. Situation: im Rahmen verschiedener Unterrichtstécher haben Sie immer wieder an Diskussionen zu der Frage teligenommen, was jede/n Einzelne/n von uns gliicklich ‘macht und welche Glticksvorstellungen in threr Klasse kursieren. thr/e Deutsch- {ehrer/in hat thnen daher nun den Auftrag erteit, zu diesem Thema eine Erérterung zu verfassen, die Sie anschlieBend auch ihrer Klasse als Diskussionsbeitrag zur Verftigung stellen, Lesen Sie den Text Die Tretmiihlen des Giticks von Mathias Binswanger (Textbellage 1). Verfassen Sie nun die Erérterung und bearbeiten Sie dabei die folgenden Arbeitsauftrage: Fassen Sie die wichtigsten Thesen des Autors zusammen. Erkkiren Sie seine Antiegen vor dem Hintergrund der Wunschtraume vieler Menschen in unserer reichen Gesellschaft. Diskutieren Sie, welche Giticksvorstellungen Ihren eigenen Ideen von einem guten Leben entsprechen und welchen Sie kritisch gegeniiberstehen. Schreiben Sie zwischen 405 und 495 Wérter. Markieren Sie Absatze mittels Leerzeilen. Aufgabe 2/Textbeilage 1 Hinweis: Die Schrelweise nach den Regeln der Schweizer Rechtschreibung wurde im Text beibehatten. Die Tretmthlen des Gliicks Von Mathias Binswanger Das durchschnittliche Glicksempfinden bzw. die Zufriedenheit der Menschen in entwickelten Lander nimmt schon lange nicht mehr zu, obwohl die durchschnittlichen Einkommen sich mit dem Wirtschafts- wachstum stets weiter erhdhen. Das belegt eine Vielzahl von empirischen Studien. Aber das ist noch nicht alles. Umfragen zeigen auch, dass sich immer mehr Menschen gestresst fulhlen. Daraus kisst sich eine Schlussfolgerung ziehen: Offenbar leben Menschen nicht so, wie es fir sie selbst am besten ware. Es ginge ihnen insgesamt besser, wenn sie mehr Zeit hatten und dafr auf zuséitzliches Einkommen verzichten wirden. So zeigt etwa eine Untersuchung, dass Menschen, die Uberstunden machen und deshalb mehr verdienen, dadurch nicht gllicklicher werden. Trotzdem machen aber viele Menschen frei- willig Uberstunden und streben generell nach einem immer noch héheren Einkommen. Die interessante Frage lautet deshalb: Wenn die Menschen ein anderes Verhalten gllklicher machen wiirde, warum &ndem sie es dann nicht? Der Grund liegt in den sogenannten Tretmiihleneffekten, welche ich in meinem Buch Die Tretmdhien des Gliicks beschrieben habe. Auf einer Tretmihle kann man immer schneller laufen und diese im- ‘mer schneller bewegen, doch man bleibt immer am selben Ort. Genau gleich verhait es sich mit dem menschlichen Streben, durch mehr Einkommen gldcklicher zu werden. (..] Im Wesentlichen lassen sich vier solcher Tretmahien unterscheiden. Als erstes haben wir die soge- nannte Statustretmahle. Auf der ganzen Welt empfinden die Menschen Befriedigung darin, mehr zu ver- dienen oder zu besitzen als ihre Kollegen, Nachbam, Freunde oder Familienmitglieder, denn das bringt sozialen Status. Allerdings gibt es da folgendes Problem: Nicht alle knnen mehr als der Durchschnitt verdienen, Deshalb wird das Streben nach mehr Einkommen von allen fir die Wirtschaft als Ganzes zu einem Nullsummenspiel. Auch wenn das allgemeine Einkommensniveau in einem Land absolut stan- dig ansteigt, bleibt doch eine Mehrheit der Bevélkerung unter dem Durchschnittseinkommen und blickt neidvoll auf die oberen Zehntausend. Die starke Bedeutung des relativen Einkommens fiir das Gillick und die Zufriedenheit der Menschen ist somit eine erste Erklarung far die zu beobachtende Stagnation des subjektiven Wohibefindens in ent- wickelten Landem. Solange ein Land arm ist, zahlen erst einmal die absoluten Bedirfnisse wie Essen und ein Dach Uber dem Kopf. Doch kaum sind die Grundbedarfnisse abgedeckt, gewinnen soziales Prestige und Status immer mehr an Bedeutung. Die Menschen fangen an, sich mit Menschen in ihrer Umgebung zu vergleichen, und verhindem damit einen weiteren Anstieg ihres eigenen Gliicksempfin- dens. Ein weiterer Tretmahleneffekt kommt dadurch zustande, dass die Menschen sich relativ rasch an ein hoheres Einkommensniveau gewohnen und dieses nach kurzer Zeit als selbstverstandiich betrachten, Und was selbstverstiindlich ist, macht nicht mehr glcklich. Dies ist die sogenannte Anspruchstretmih- le, ein aus der Psychologie importierter Begriff. So weiss man etwa, dass ein Lottogewinn den Empfan- ger flr kurze Zeit sehr gllicklich macht, aber bald danach pendett sich das Gliicksempfinden wieder auf seinem Normalzustand ein und der Lottogewinner ist so glacklich oder unglcklich wie vor dem Gewinn. tl Auch die Entwicklung zur Muttioptionsgeselischaft fuhrt zu einem Tretmahleneffekt, der sich als Multi- optionstretmuhle beschreiben lasst. Mit dem Wirtschaftswachstum ist eine immer gréssere Vielfalt an Giitern und Dienstleistungen verbunden. Gleichzeitig sind religidése Tabus weggefallen, welche dem menschlichen Handeln friiher moralische Grenzen setzten. Die Optionen fir Arbeit, Freizeit und Kon- sum nehmen sténdig zu, .anything goes". Aber der Entscheid flir die richtige Option wird dadurch immer ‘schwieriger, da die stets steigende Zahl an Optionen auf ein konstantes Zeitbudget trift. Die Auswahl wird so von einem Dirfen zu einem Missen und damit zu einer Tyrannei SchlieStich gibt es auch noch eine Zeitspartretmiihle, die uns ebenfalls zu schaffen macht. Technischer Fortschritt fart dazu, dass wir bestimmte Aktivitaten immer schnelfer und in kiirzerer Zeit durchfllhren kénnen. Trotzdem gelingt es uns im Allgemeinen nicht, tatsdichlich Zeit zu sparen, denn es kommt zu einem sogenannten ,Rebound-Effekt’. Je schneller eine Aktivitét durchgefuht werden kann, umso mehr und umso haufiger wird sie durchgefihrt, Das beste Beispiel dafiir ist der Verkehyr. Je schneller die Transportmittel werden, umso weiter und haufiger fahren wir. Die fir Transport aufgewendete Zeit bleibt immer ungefahr konstant, ganz egal mit welchen Transportmittein wir uns fortbewegen, Die Tretmihlen fahren dazu, dass sich Menschen in Bezug auf ihr Glick haufig nicht optimal verhalten und zu stark ans Geldverdienen denken. Doch ein Mensch, der nur ans Geldverdienen denkt, handett in Wirklichkeit undkonomisch. Er verhait sich ineffizient, in dem Sinn, dass er seine ihm zur Verfligung stehenden Ressourcen nicht optimal fir sein Glick nutzt. Bei der Frage nach dem Gliick des Einzel- ‘en {riff sich somit die 6konomische Betrachtungsweise mit der Psychologie und der Philosophie. Es geht um eine Ruckbesinnung auf den eigentlichen Zweck des Wirtschaftens, der nicht in der Einkom- mensmaximierung, sondern in einem guten Leben liegt. Eine ausschliesslich auf Wirtschaftswachstum ausgerichtete Politik ist aus diesem Grund dkonomisch ebenfalls verfehit, denn das macht nur solange Sinn, wie die Menschen dadurch auch glicklicher oder zuftiedener werden. Mathias Binswanger ist Professor fir Volkswirtschafislehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Autor des Buches ,Die Tretmdhlen des Gliicks*, welches 2006 in der Schweiz zum Bestseller wur- de. Sein neuestes Buch heisst ,Sinnlose Wettbewerbe — Warum wir immer mehr Unsinn produzieren* und ist 2010 erschienen. Quete:htp:/waeubundestag de/bundestag/oremien/enquete wachstury Kommissionsckucksachen/79_Mathias Binswanger Textbotrag.pd 27,03,2072] INFOBOX: Option: Wahiméglichkelt; eine Multioptionsgeselischaff ist eine Gesellschaft, die von einer Vielfalt ‘an Wahiméglichkeiten ihrer Mitglieder geprét ist

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