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ADRIANA
Fassung JULI 2014

Oper von Marc-Aurel Floros


Libretto von Elke Heidenreich

Adriana

Jakob, ihr Vater

Selma, ihre Mutter

Fanny, ihre Freundin

Bruno, Fannys Mann

Leander, Adrianas Verlobter/ Mann

Julian, sein Bruder

Claudio, ein Wirt

Chor

.
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1. Szene/ Wohnung von Adriana


Eine schöne Wohnung, man sieht durch ein großes Fenster Abendhimmel, sichtbar
die Wohnung einer Frau, Bilder, Kissen, Blumen- warm, sehr persönlich.
Ein großes Bett, auf dem die Frau liegt, ein Arm hängt herunter. Sie bewegt sich nicht.
Schläft sie? Ist sie tot?

Das Telefon klingelt zweimal, dann springt der Anrufbeantworter an.


Stimme Adriana auf dem Band:

Hier ist Adriana. Bitte hinterlasst mir eine Nachricht.

Fanny, am Telefon:
Ich bin‘s, Fanny. Wir sitzen alle bei Claudio und essen. Leander sucht dich schon. Kommst
du denn nicht?

Das Telefon schweigt. Die Frau auf dem Bett hat sich nicht bewegt.

Schon wieder das Telefon mit Anrufbeantworter, wie oben. Am Telefon ist Leander.

Leander:
Hier ist Leander. Warum kann man dich nie erreichen? Kommst du nicht zum Essen? Und
mach dich schön. Du weißt, ich will dich schön.

Adriana wacht langsam auf, reckt sich, bewegt sich.


Sie steht auf, zieht sich etwas an, betrachtet sich im Spiegel.

Adriana:
Er will mich schön. Dein Bruder will mich schön.
Bin ich dir schön genug?

Auf einmal kommt im Bett noch jemand hoch, den wir bisher noch nicht bemerkt
haben- Julian. Er sieht weich, künstlerisch, verletzlich aus.

Julian:
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Mir bist du schön genug, grad jetzt.

Adriana:
Du siehst mich nicht, wie er mich sieht.

Julian:
Und du siehst mich nicht, wie ich bin.
Das Leben, das du suchst, kann ich nicht bieten.

Adriana:
Was such ich denn?

Julian: (ARIE)
Du suchst das Sichere, das Feste.
Das, was ich nicht sein kann.
Ich bin mir selber unbegreiflich
Und mir gerät die Liebe zur Verwüstung.
Ich kann nichts halten,
nicht einmal mich selbst.
Sähest du mich mit meinen Augen, Adriana,
du sähest mich nicht.
Ich weiß dir keinen Halt.

Adriana: (ARIE)
Ich sehne mich nach etwas, was du hast
und weiß noch nicht mal, was das ist.
Das Sanfte. Die Musik. Die Schönheit. Du.
Du wärest der, mit dem ich gerne leben würde.
Doch du hast Angst. Wie ich.
Uns bricht das Leben weg.
Leander weiß, wie man das Leben packt. Wir nicht.

Julian:
Und darum brauchst du ihn.

Adriana:
Und will doch immer dich, nur dich.
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Sie zieht ihn zurück ins Bett, sie versinken wieder in den Kissen.

Dann steht Julian auf. Er zieht sich an, Jeans, ein weites, weißes, nicht blütensauberes
Hemd, Schuhe ohne Strümpfe. Lässig, nachlässig. Er geht auf die Terrasse. Adriana
kommt zu ihm.

Adriana/Julian: (DUETT)
Wie wenig bleibt von allem-
von dir ein Duft.
Von einem Sommertag die weiche Luft.
Wir leben in so kurzen Augenblicken-
jetzt. Dieser hier.
Vergiss ihn nicht.
Ich träume dein Gesicht.
Wie wenig bleibt.
Mit dir kann ich ins Innere der Stille gehen,
dort rauscht dein Blut an meinem Ohr.
Was ist das, Glück?
Vielleicht ein einziger,
ein angehaltner Augenblick.

Zwischenmusik/Chor

Chor, off:
Wir haben
zwei Leben.
Eins, das wir leben
und eins, das wir träumen...
die Ewigkeit
ist immer
in den Zwischenräumen

2. Szene/Restaurant, bei Claudio


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Eine Szene-Italiener. Der Chef bedient selbst, tänzelt herum, aber auch jemand für den
Wein kommt, ein Mädchen serviert, das ganze Personal (Chor!) scharwenzelt um
diesen Tisch herum, an dem die gut betuchten Stammgäste sitzen. Gäste auch an
anderen Tischen (Chor!)

Chor:
Das Leben ist doch nichts
als nur ein kurzer Halt an einem steilen Hang.
Ob wir trinken oder nicht,
es geht alles seinen Gang!

Leander kommt rein, das Handy noch am Ohr. Er klappt es zusammen, macht eine
Triumphgeste.

Leander:
Perfekter Deal. Sechsstellige Rendite.

Fanny: (ironisch)
Hast du mal wieder spekuliert mit Schweinehälften?

Leander:
Asphalt in Indien, meine Liebe. Das hat Zukunft.
(Arie)
Leander:
Was wollt ihr, wollt ihr euer Leben träumen?
Sind Blümchensträuße euer größtes Glück?
Ihr lebt sehr gern im Luxus,
den wir euch bieten können.
Ach, euch gefallen die Methoden nicht?
Plötzlich Moral? Man kann nicht alles haben.

Fanny, Bruno, Leander, seine Geschäftsfreunde mit ihren Frauen. Claudio bringt
Rotwein, Brot, Essen usw.

Claudio: (Chor?)
Mangiamo, mangiamo!
È tutto nostrano!
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Fanny ist quirlig, umtriebig, flirtet ein bisschen mit Claudio. Ihr Mann Bruno ist eher
gemütlich, raucht eine Zigarre, trinkt Rotwein. Er winkt Leander zu sich.

Bruno:
Leander, was machen wir mit deinem Bruder Julian?
Spielschulden. Mehr als Hunderttausend.

Leander:
Der gottverdammte Bruder.
Nichts als Schulden, Drogen, Pleiten.
Und immer auch zu nah an Adriana.
Schaff mir den Kerl vom Hals, du bist doch Anwalt.

Bruno:
Er ist dein Bruder, alledem zum Trotz.
Soll ich ihn ins Gefängnis schicken?

Leander:
Mir ganz egal, er muss nur endlich weg.
Ich will ihn nicht mehr sehen, den Versager.
Fehlt noch, dass einer kommt,
der ihm die Knochen bricht. In dem Milieu.

Fanny:
Vielleicht Versager, aber schön, Leander –
und so romantisch.
Romantischer als deine Aktien.
Er schenkt uns Frauen selbstgepflückte Veilchen,
wo deine Sekretärin Lilien schickt.

Leander:
Was soll das sein, romantisch?
Was hat er denn gemacht mit all dem Geld,
dem Erbe unsrer Eltern?
Verschwendet, ausgegeben, weg.
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Was hat er noch?


Ein Cello, Drogen, Schulden,
nennst du das romantisch?
Er ist Versager, ist Phantast.
Er kann nicht rechnen. Kann nicht leben.

Adriana kommt ins Lokal. Leander steht auf, Begrüßung mit Kuss, er führt sie an den
Tisch.

Leander:
Da bist du endlich.
Warum dauert das so lange?

Adriana:
Wer kann nicht leben? Oder andersrum gefragt:
Wer lebt denn richtig? (zu Leander) Außer dir natürlich.

Fanny:
Wir reden über Julian, der Blumen pflückt
Und Sterne noch bei ihrem Namen kennt.

Bruno:
Fanny, sei doch endlich einmal still.

Fanny:
Alle Frauen lieben deinen Bruder,
das weißt du doch, Leander.
Er ist so herrlich…fern.

Leander:
Er ist so herrlich fern, was soll das heißen?

Bruno (ironisch):
Das heißt, wir sitzen hier, wir Alltagsmänner,
und er ist fern, der Prinz
mit seinem schönen Haar, den schönen Augen,
der schönen Traurigkeit, dem Cello, seinen Veilchen…
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Fanny:
Und hier seid ihr, mit euren dicken Konten,
mit euren Sekretärinnen und den Geliebten,
mit großen Autos und den dürren Herzen in der fetten Brust.
Bei Julian kann eine Frau noch träumen.

Bruno:
Ich wusste nicht, dass du noch Träume hast.

Fanny:
Was weißt du denn von mir, du dummer Mann.

Sie verwuschelt ihm mit einer Mischung aus alter, selbstverständlicher Vertrautheit
und leichtem Zorn die Haare.

Fanny/Adriana: (DUETT)
Wir wollen manchmal mehr als irgendwas.
Als irgendwas, das ihr uns bieten könnt.
Die schwarz umflorten Augen, dieses Seufzen,
das Scheitern, wo ihr doch nur Siege kennt,
das Leise, das Entrückte,
den Mann, der nicht den Alltag in die Knie zwingt.
Wir wollen, dass man uns in unsere Seele sieht.

Bruno:
Jetzt hat sie plötzlich eine Seele!
Fanny, Liebste, hätt’ ich das geahnt!

Fanny, die fast etwas geträumt hat, gießt ihm Wasser aufs Hemd. Bruno lacht.

Leander: (setzt sich, vertraulich zu Bruno)


Das alles muss ein Ende haben, Bruno.
Du bist doch unser Anwalt.
Mach es so, dass er für eine Weile weg ist.
Du weißt schon, was ich meine.
Es muss ein Ende haben.
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Bruno: (vertraulich, zu Leander)


Die Sache mit den Schulden wiegt nicht schwer. Ich krieg ihn frei.
Die Drogen, das ist sein Problem. Doch hast du mal bedacht,
Wenn Adriana Julian nun liebt, was willst du tun?

Leander (aufgebracht): (ARIE)


Sie liebt ihn nicht.
Sie liebt nur die Idee von ihm.
Sie liebt ein Etwas, das sie nicht versteht.
Sie phantasiert ein Leben, das nicht lebbar ist.
Ich kann ihr etwas bieten von Bestand.
Wer ist er denn? Was kann er denn?
Sie braucht ein festgefügtes Leben, das sie hält.
Er hält ja nicht einmal sich selbst. Er träumt.

Fanny:
Braucht man nicht beides?
Träume und Bestand?

Die Kellner(innen), Köche, Claudio treten mit irgendwas Flambierten oder einem
besonderen Essen an den Tisch, singen (Chor, auch die Geschäftsfreunde)

Chor:
Der Mensch muss essen und der Mensch muss trinken.
Der Mensch darf nicht in Traurigkeit versinken.
Der Mensch will leben und der Mensch will träumen.
Die Ewigkeit ist in den Zwischenräumen.

Am Tisch Bravo-Rufe und Klatschen. Leanders handy klingelt. Er geht abseits,


telefoniert. Wir hören einzelne Wortfetzen wie „verkaufen, abstoßen, zugreifen, mach
den deal…“

Fanny/ Adriana/ Bruno, Terzett:


Wir verlangen Schadenersatz im großen Stil.
Schadenersatz für verwelkte Blumen,
und verwelkte Wünsche,
verwelkte Hoffnung und verwelktes Herz,
Schadenersatz für schlechte Weine,
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für schlechtes Essen, und für Frauen/Männer,


die uns betrügen und verlassen.

Leander kommt dazu, hebt sein Glas.

Leander: (ARIE)
Das Glück wird keinem von uns garantiert.
Wenn die Geschäfte blühen, das ist Glück.
Und dieses Glück muss jeder Mensch sich selber machen.
Das Glück ist da, man muss es halten, fassen, (demonstrativ: das handy)
Man darf es nicht mehr aus den Augen lassen.

Chor:
Man darf es nicht mehr aus den Augen lassen!

In der offenen Tür erscheint Jakob.

Fanny:
Dein Vater, Adriana!

Jakob:
Adriana, komm, wir müssen reden.

Jakob und Adriana gehen etwas abseits oder vor die Tür. Er nimmt sie bei den
Schultern, intensiv, aufgeregt:

Jakob:
Selma kommt zurück.

Adriana:
Wie- was- woher weißt du – nein!

Jakob:
Deine Mutter kommt zurück, nach all den Jahren.
Freust du dich? Ich bin ganz stumm vor Glück.

Adriana:
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Mich freuen? Ich?


Das wagt sie?
Nach so langer Zeit?
Sie hat für einen andern dich verlassen.
Dich und mich. Ihr Kind!

(ARIE)
Sie hat mich damit ganz und gar zerbrochen,
sieh mich doch an. Ich hab es nie verwunden.
Sie hat den Glauben an die Liebe mir genommen.
Ich habe nichts mit ihr zu tun.
Und du, willst du ihr etwa ganz verzeihen?

Jakob: (Arie)
Wer liebt, verzeiht.
Ich habe niemals aufgehört
zu lieben. Also verzeihe ich.
Es mangelt nicht an Liebe in der Welt.
Es mangelt an erträglicher Erwartung.
Wir wollen immer alles, Adriana.
Aber alles, das ist nicht zu haben.
Wir müssen wählen.
Sie hat gewählt,
hat es bereut,
sie kommt zurück.
Sowas ist möglich.
Ich gehe jetzt und treffe sie.
Kommst du mit? Noch ist sie deine Mutter.

Adriana:
Ich habe keine Mutter mehr.

Jakob:
Du willst sie gar nicht sehen?

Adriana:
Als deine Liebste: ja. Als meine Mutter: nein.
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Vater und Tochter umarmen sich. Jakob geht, Adriana setzt sich zu Leander, legt den
Kopf an seine Schulter, während er immer weiter telefoniert.

Leander:
War etwas?

Adriana:
Nein.

3. Szene. Ein Kirchenraum.

Leise Orgelmusik, ein Chor übt, singt. Ein Kirchenlied? Text schreiben? Oder soll es
ein Agnus Dei, Kyrie, Misericordia sein?
Wenige meist alte Menschen sitzen im Raum, in der letzten Bank eine Frau: Selma,
neben sich einen Koffer.
Hinter den Bänken steht Jakob. Er sieht sie, geht aber noch nicht zu ihr. Sie hören
beide dem Chor zu.

Jakob:
Da sitzt mein Herz, mein Glück und meine ganze Liebe.
Die vielen Jahre Warten sind vorbei
wie eine Stunde.
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Die dunklen Räume werden hell.


Das Rot auf Deinem Munde.
Du.

Als er sein fast jauchzendes „Du“ singt, dreht sie sich zu ihm um.
Er geht zu Selma, setzt sich neben sie in die Bank. Abstand, der Koffer zwischen
ihnen. Sie sehen sich an.

Selma:
Bis dass der Tod uns scheidet. Jakob-
hier haben wir es damals uns geschworen.

Jakob:
Ja.

Selma:
Ich wollte mich daran erinnern.

Jakob:
Ja, ich weiß. Willkommen, Selma.

Selma:
Hast du denn keinen Groll auf mich?
Ist nicht dein Herz verhärtet gegen mich?

Jakob:
Wie soll ein Herz, das liebt, verhärten?

Selma: (ARIE)
Meins hat mich weggetrieben,
auf die Suche.
Es war nicht Freiheit, was ich fand,
und Sehnsucht war mein täglicher Begleiter.
Jetzt weiß ich, wo ich hingehöre, Jakob.
Wenn deine Tür noch offen ist…

Jakob: (stellt den Koffer zwischen ihnen weg, neben sich, legt den Arm um Selma)
Sie war doch nie geschlossen.
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Du kannst hier bleiben. Du bist hier zuhause.

Selma:
Das sagst du mir nach so viel bittren Jahren?

Jakob:
Ja.

Selma:
Und unser Kind? Wie geht es Adriana?

Jakob:
Sie ist kein Kind mehr.

Selma:
Ist sie glücklich?

Jakob:
Nein.

Sie legt ihren Kopf an seine Schulter, sie hören zu, bis der Chor das Lied fertig
gesungen hat.

Jakob/Fiona: (Duett)
Wie schwarze Ochsen zogen die Jahre dahin
Aber liebend holen wir nach
alles nicht zuende Geliebte.
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4. Szene/ Adrianas Wohnung


Adriana und Fanny

Adriana:
Mir ist, als falle ich aus diesem Leben
so Stück für Stück und Tag für Tag hinaus.
Meine Mutter kommt zurück!
Es ist doch nicht zu fassen.

Fanny:
Du hast dein Leben. Gönne deinem Vater seines.

Adriana:
Ich hab mein Leben? Interessant.
Wo wäre das? Was wäre denn mein Leben,
sag es mir.
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Den, der mich will, kann ich nicht lieben.


Der, den ich liebe, fällt ins Bodenlose.
Mit Julian kann ich nicht leben.
Doch ob ich‘s mit Leander kann?
Man arrangiert sich irgendwie,
und doch ist keiner wirklich froh.

Fanny:
Man kämpft sich tapfer durch.
Die Träume bleiben schließlich auf der Strecke.
Ein Häppchen Sonne hier, ein Stückchen Glück,
das Ganze ist doch nie an einem Stück.

Adriana:
Wir lachen, und die Tränen fließen
hinter der Maske
direkt ins Herz. Uns allen. Unaufhörlich.

Fanny: (ARIE)
Stell dir einen Abend vor mit Rosen.
Keine Tränen mehr und noch nicht Herbst.
Der Märchenprinz noch nicht zerfleddert
und noch das Herz nicht schwer vom Schmerz.

Adriana:
Was du mit Bruno hast- ist das denn Glück?

Fanny:
Es ist Vertrautheit und Gewöhnung.
Es hält und trägt, doch innen friert das Herz.

Adriana/Fanny (Duett):
Wenn die Märchenprinzen
Den Schlössern unserer Phantasie entfliegen,
dann müssen sie gegen Winde kämpfen,
denen sie nicht gewachsen sind.
Und zerfleddert
Fallen sie zu Boden,
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die kleinen Sparer des Gefühls.

Fanny:
Adriana, ich will schon lange etwas sagen…

Adriana:
Dass mit Leander du geschlafen hast. Ich weiß.

Fanny:
Betrunken und vor Jahren. Es war nichts.
Und jetzt - er hat wieder eine Geliebte, du weißt es?

Adriana: (ARIE)
Ich ahne es, ich will es gar nicht wissen.
Wir sind doch alle einsam und zerstört.
Wir sind perfekt im schönen Schein,
wir sind dabei, uns täglich umzudrehn
und Sodom und Gomorrha anzusehn
und wir erstarren nicht,
wir sind schon längst aus Stein.
Fanny/Adriana: (DUETT)
Am Tag ist es so leicht,
ein Glas zu trinken.
Aber die Nächte lasten schwer.
Nacht spiegelt sich in Nacht,
kein Weg hinaus.
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5. Szene: Galerie von Jakob

Jakob und Selma, die sich umsieht.

Leander kommt herein.

Leander:
Ich störe?

Jakob:
Ich habe dich erwartet. Dein Bild steht dort.

Er zeigt an die Wand, wo ein verpacktes großes Bild lehnt.

Leander verbeugt sich vor Selma.

Leander: (lacht)
Ein Bild für mein Büro. Um Kunden zu verschrecken.
Es kostet ein Vermögen, aber wirkt.
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Jakob (zu Selma):


Leander, weißt du, kauft sich alles.
Asphalt und Macht und Menschen.
Das ist der Mann, den unsre Tochter wählt.
Und er sie.
(zu Leander)
Adrianas Mutter. Selma, meine – Frau.

Leander: (mit Handkuss)


Oh, Überraschung. Ich habe viel gehört. Sie leben- wo?

Selma:
In Rom. In Spanien. Hier und da.

Leander:
Und nun zurück? Die Tochter schon begrüßt?

Selma:
Erst gerade angekommen.

Leander:
Wir werden uns noch kennenlernen.
Jakob, hab Dank, das Geld wird überwiesen.

Jakob winkt ab, Leander nimmt das Bild und geht.

Selma:
Den hat sie sich gewählt?

Jakob:
Nein. Er hat sie gewählt. Wenn es nach Adriana ginge,
dann flöge sie, so sagt sie gern, davon.
Mit seinem Bruder. Doch Flügel tragen nicht.

Selma:
Wie damals ich. So einfach fliegt sich‘s nicht.
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Mein Herz, das flog. Erst fort von Dir, dann oft zurück.

Jakob/Selma: (Duett)
Das Schicksal tritt nie heimlich in unser Leben.
Wir öffnen ihm die Tür. Ein Fremder in uns entscheidet.
Du hattest einen Traum, der gab dir Kraft.
Ich liebte dich, und das war meine Schwäche.
Nun bist du da. Ich freue mich und frage nichts.

Adriana reißt die Tür auf, kommt herein, stellt sich vor Selma.

Adriana:
Dass du es wagst, nach Jahren zu erscheinen!

Selma:
So voller Zorn bist du? Du hattest einen guten Vater.

Adriana:
Ich habe so viel Frost in meiner Seele.
Wo sind die Lieder, die du nie gesungen?
Wo war die Mutter, als ich sie gebraucht?
Du kommst zu spät! Ich will dich nicht mehr haben!
Ich bin zerstört. Warum kommst du zurück?

Selma:
Weil die Einsamkeiten größer werden.
Weil mich die Sehnsucht treibt.
Weil ich euch sehen wollte.

Adriana:
Da siehst du uns. Nun fahr zurück zur Hölle.

Jakob:
Adriana! Sie ist deine Mutter.

Adriana:
Sie ist die Frau, die uns verlassen hat.
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Seitdem war nie mehr Boden unter meinen Füßen.


Geh fort.

Adriana geht im Zorn, Jakob umarmt Selma, die ihren Kopf auf seine Schulter lehnt.

ENDE 1. Akt

2. AKT
6. Szene. Wohnung Julian

Unordnung, fast leeres Zimmer, ungemachtes Bett, der Boden voller Bücher,
Weinflaschen, - ein Hauch von Bohème. Er sitzt am offenen Fenster und spielt Cello.
Die Tür öffnet sich, Leander, ganz smarter Geschäftsmann, kommt in einem eleganten
Mantel. Schon optisch ein krasser Gegensatz zwischen den beiden Brüdern. Leander
lehnt eine Weile in der offenen Tür, ehe Julian ihn bemerkt.

Leander:
Wie wär‘s denn mal mit Arbeit statt Musik?
Wie wär’s, ein Leben anzufangen
Jenseits von Chaos, Schulden, Drogen?
Ich kann es kaum ertragen, was ich sehe.

Julian fährt zu ihm herum, hört zu spielen auf, bleibt aber sitzen.

Julian:
Weißt du noch das Lied, das unsre Mutter spielte?
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Julian fängt neu an mit einer fast kindlichen, zarten Melodie. Es klingt wie eine
Verbindung, eine mögliche Versöhnung zwischen den Brüdern. Leander kommt näher,
zögert, hält aber Abstand.

Julian/Leander: (DUETT)
(J:) Wir waren uns so nah. Trotz allem.
Wir waren Kinder, Brüder, Freunde.
Was ist zerbrochen, wann, woran, warum?
(L:) Das ist vorbei.
Was führst du für ein Leben!
(J:) Und was für eins führst du?

Leander:
Eins, das ich selbst bestimme. Für das ich kämpfe.

Julian:
Ich kämpfe nicht und lebe auch. So wie ich will.

Leander:
So wie du willst? Du willst dies Chaos?
Machst Schulden? Machst zum zweiten Mal Entzug?
Und was ist das?

(Er zeigt auf den Tisch- Spiegel, weisses Pulver, Flaschen, er fegt alles mit der Hand
hinunter)

Julian hört auf zu spielen. Sie sehen sich zum ersten Mal an.

Julian: (ARIE)
Ich bin wie unsre Mutter war,
in Träume tief versunken,
dem Alltag fern und allem,
was man planen muss.
Du bist wie unser Vater,
stark und fordernd,
du hast mein Leben schon gelenkt
als wir noch Kinder waren,
erst recht danach, nach unsrer Eltern Tod.
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So sehr gelenkt, dass ich nichts kann,


nichts weiß, nichts habe, lebe ohne Mut.
Du weißt doch, wie man Geld vermehrt.
Wie man betrügt. Ich nicht.

Leander:
Du warst der Jüngere, ich musste sorgen.
Du lächeltest und tatest nichts
Und dachtest, Drogen zeigen dir den Weg.
Und alle haben immer dich geliebt. Und ich-

Julian:
Und du bist immer mehr verhärtet gegen mich.
Was soll ich tun, Leander?

Leander: (ARIE)
Geh endlich fort aus meinem Leben, Julian.
Ich geb dir Geld so viel du willst,
ich zahle deine Schulden,
und Bruno schlägt dann dein Verfahren nieder.
Du bist frei.
Doch geh und komm nie wieder.
Du kannst doch jede haben, Frauen lieben dich.
Geh endlich weg
und störe mir nicht meine Pläne.

Julian:
Pläne? Du sprichst von Adriana?

Leander:
Von mir aus reise um die ganze Welt.
Von mir aus auf den Mond.
Verschwinde endlich nur aus dieser Stadt,
aus meinem Leben
und aus ihrem Herzen.

Julian:
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Ach, kannst du auch ihr Herz bestimmen?


Hab keine Angst. Ich komm dir nicht dazwischen.
Liebst du sie denn,
kannst du denn lieben?

Leander:
Was nennst du Liebe? Deine Höhenflüge?
Und Absturz mit verbrannten Flügeln?
Ich will mit ihr ein Leben auf der Erde.

Leander zieht ein großes Bündel Scheine aus der Tasche. Er wirft sie vor Julian hin.

Leander:
So, das müsste reichen.
Nimm, geh fort und lebe deine Träume.

Julian: (ARIE)
Träume?
Weißt du, was Träume sind,
Leander, träumst du noch?
Wie mühsam
meine Siege über Nächte ohne Licht…
Was weißt denn du davon.

Sie stehen voreinander, sehen sich an, es sieht aus, als wollten sie sich umarmen, sie
tun es nicht. Leander geht schnell hinaus und wirft die Tür zu.
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7. Szene Wohnung Adriana


Adriana, Leander

Adriana steht am Fenster, sieht hinaus. Leander geht auf und ab.

Leander:
Begreif es endlich:
Julian ist weg.
Julian hat dich verlassen.
Du weißt, es gibt kein Leben für dich
Mit ihm.

Adriana:
Verlassen sind wir immer.
Kein Bleiben, nirgends,
die Liebe – keine sichre Bank.

Leander:
Ich biete Sicherheit.
Ein Leben für uns beide. Sag endlich ja.

Adriana/Leander (Duett)
(A.:) Warum, Leander? Was soll das für ein Leben sein?
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(L.:) Eins ohne Sorgen,


eins, das wir genießen. Sag endlich ja.
(A.:) Welch blinder Gott
Häuft Liebe auf die eine Seite
Und das Begehren schwerer auf die andre?
(L.:) Liebe ist eine Idee am Horizont,
nicht festzuhalten.
Die Liebe wird, ich glaube, überschätzt.
Ein Lebensplan, das ist es, was wir brauchen.
Und vorwärts dann mit Kraft.
Die Wirklichkeit ist hier,
ist Leben.
Ich will mit dir ein Leben, Adriana.
Du bist gemacht für mich,
und alles andere muss Irrtum sein.
(A.:) Und alles andere muss Irrtum sein?
Ich bin ein Fluss,
ich werde nur gelenkt
und kenne meine Ufer nicht.
(L.:) Lass mich dein Ufer sein.
(A.:) Wer dieses Ufer geht, stürzt ab.
(L.) Ich halte dich. Sag ja.

(Sie dreht sich um)

(A.:) Und wenn ich’s sage? Ja?


(L.:) Lass die Gespenster ziehen,
lass die Wunden heilen,
und du wirst sehn: das andre findet sich.
Setz auf die Vernunft.

(Er küsst und umarmt sie)

Adriana:
Als es ein Erdbeben gab,
da hat Voltaire im Namen der Vernunft
dagegen protestiert…
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(Leander lacht)

8. Szene Schlafzimmer bei Bruno und Fanny.

Sie ziehen sich festlich an, er zieht ihr den Reißverschluss zu, sie bindet ihm die
Krawatte usw. Vertraute Gesten

Fanny:
Es war entsetzlich kalt in dieser Kirche.
Beim Ja-Wort dachte ich: jetzt sagt sie nein!

Bruno:
Glaubt jemand an die Dauer dieser Ehe?
An dieses Glück im Flachland? Ich nicht.

Fanny:
Das wird schon halten. Soviel Geld!
Sie hat da alles, was man braucht.

Fanny/Bruno (Duett):
Dann kommt Gewohnheit, eingefahr‘nes Leben
Und Liebe, eingemacht in Gläser wie die Kirschen.
Und ein erfülltes Leben
Ist bestenfalls ein Gleichgewicht
An Unzuträglichkeiten.
Unser Leben ist ein Dämmern,
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und wehe, die Leidenschaft


stürzt sich in unsre Tage.

Bruno:
Gewohnheit, wie bei uns. Sei ehrlich:
Du hast mich doch mit Julian betrogen?

Fanny:
Nein, Lieber. Nicht mit Julian.
Mit Leander. Lange her. Es hat sich so ergeben.

Bruno:
Mit Leander? Mit Leander, dem Filou.
Und nicht mit dem schönen Prinzen?
(er lacht) Das hätt ich nicht gedacht,
und doch: es passt.
Du siehst bezaubernd aus.

Fanny:
Du siehst mich noch nach all den Jahren?

Bruno:
Wen sonst. Ich bin an dich gewöhnt.
Komm, lass uns gehen.

Sie gehen, löschen das Licht, im Abgehen hören wir sie im Dunkeln singen.

Fanny/Bruno:
Sie:
Es hat sich so ergeben, eine Laune.
Aus Langeweile. Ach, ich weiß nicht mehr.
Er:
Ich fass es gar nicht. Mit Leander.
Wie war das? Wie mit einem Stein?
Ist er ein Mensch?
Sie:
Ich kann mich nicht erinnern.
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(Sie lachen)

9. Szene Ein großes Anwesen, ein Park, etwas Elegantes im Freien, wo die Hochzeit
gefeiert wird. Am Eingang seitlich ein bewaffneter Bodyguard.
Als erste kommen, allein, Leander und Adriana.

Die Gäste klatschen und singen zur Begrüßung:

CHOR:
Ein Hoch dem Paar,
dem schönen Paar ein Hoch!
Das neue Leben soll euch glücken!
Das neue Leben soll ein gutes sein
Und Liebe soll es tragen, Liebe!

Adriana:
Ihr Freunde, seid bedankt.
Ja, Liebe. Glück und Liebe.
Gar nicht so einfach!
Heute lasst uns feiern.

Leanders handy klingelt. Er geht zur Seite, telefoniert:

Leander:
Phantastisch, ja, schlag zu, wenn das Geschäft jetzt klappt!
Goodman verkaufen, bringt nichts mehr.
Steig ein bei Hecker Industries.

Adriana sieht und hört ihm zu, er dreht sich weg, redet weiter über Geschäfte.
Jakob und Selma kommen. Adriana stellt sich ihnen entgegen.
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Jakob:
Mein liebes Kind! Ich wünsch dir alles Glück der Welt.

Adriana: (zu Selma)


Mich macht nicht glücklich, heute dich zu sehen.

Selma:
Das kann ich gut verstehen.
Ich will versuchen, dein Herz zurück zu gewinnen.
Und ich will dir sagen, dass kein Gefühl und keine Entscheidung
Für immer sein muss.

Adriana:
Du weißt doch nichts von mir.

Selma: (Arie)
Ich sehe viel. Ich sehe dich, mein Kind,
ich sehe, du willst einen sichern Weg.
Es gibt nichts Sicheres.
Ganz sicher, Adriana,
ist nur dein Herz.
Was es dir sagt, das tu.
Du musst nur vor dir selbst bestehen.

Adriana:
Und warum sagst du das zu mir,
grad hier und heute?

Selm:
Weil ich dich liebe.

Adriana:
Dazu ist es zu spät.

Adriana/ Jakob/ / Selma:


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(Selma) Dinge geschehen, man kann sie nicht erklären.


(Adriana) Verletzungen sind da, die niemals heilen.
(Jakob) Doch halt der Liebe still
wie einem Vogel die Hand hin
und sie wird immer wiederkommen.

Adriana:
Du kommst zu spät. Ich will dich nicht mehr haben.

Selma.
Ich weiß. Ich kann das gut verstehen.
Wir brauchen Zeit. Die gib mir, Adriana.

Adriana:
Die Kluft ist tief. Und keine Brücke da.

Selma/Jakob:
Wie könnten wir uns je erreichen,
wenn über jeder Kluft schon eine Brücke liegt?
Und Dinge gibt’s, die sind nicht zu begreifen-
es ist vielleicht zu lehren, wie man NICHT versteht.

Adriana:
Du warst nicht da, als ich dich brauchte.
Jetzt bin ich, wie ich bin. Und ohne dich.
Warum kommst du zurück?

Sie geht anderen Gästen entgegen. Leander telefoniert immer noch, Gesten des
Erfolgs, gelungene Geschäfte. Selma und Jakob umarmen sich.

Gäste, Chor:
Nun seid ihr endlich Frau und Mann,
jetzt fängt ein neues Leben an.
Alles geht vorwärts,
nichts geht zurück,
wir wünschen euch Glück!
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Selma/Jakob (Duett):
(S.:) Wie schön sie ist! Wie ich als junge Frau.
Und hab es nicht gewusst.
(J.:) Du bist noch immer schön.
Ich liebe dich.
(S.:) Dass du das sagen kannst, nach alledem?
(J.:) Ich hab mein Anfangsherz bewahrt, es schlägt für dich.
(S.:) Wie schön das ist: dein Anfangsherz.
Beide:
Ich dachte, dass die Liebe hell und strahlend ist,
ein Fluss im Sonnenlicht mit Ufern voller Blumen.
Wie hätte ich wissen sollen,
dass es eine Liebe gibt, die tief in dunkler Erde fließt,
ein unterirdischer Strom des Lebens
der nie versiegt?

Feierstimmung, Gläser werden herumgetragen, man prostet sich zu, (Bühnenmusik?)


auch Leander kommt, nimmt sich Adriana, tanzt mit ihr.

Fanny:
Ihre Liebe ist eine Lüge,
aber die Lüge funktioniert.

Bruno:
Vielleicht. Vielleicht auch nicht, mein Schatz.

Fanny:
Mein Schatz! Das klingt ja sonderbar.

Bruno:
Kann einer diese Frau zum Schweigen bringen?
Wir wollen alle auf das Brautpaar singen.

Chor, alle: (ein Text von Friedrich Halm*


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*Friedrich Halm (d.i.Freiherr von Münch-Bellinghausen, 1806-1871, österr. Schriftsteller, von


1867-70 Generalintendant der Wiener Hoftheater und einer der damals beliebtesten
Theaterautoren, heute vergessen.)

(Alle singen, entweder auch Chor/Solisten die Fragen und Antworten versetzt, Fanny,
Bruno, oder Männer- und Frauenchor abwechselnd- eventuell auch nicht alle
Strophen- ganz nach Belieben)

„Mein Herz, ich will dich fragen:


was ist denn Liebe, sag?
„Zwei Seelen und ein Gedanke,
zwei Herzen und ein Schlag.“

Und sprich, woher kommt Liebe?


„Sie kommt und sie ist da!“
Und sprich, wie schwindet Liebe?
„Die war’s nicht, der’s geschah!“

Und was ist reine Liebe?


„Die ihrer selbst vergisst!“
Und wann ist Lieb am tiefsten?
„Wenn sie am stillsten ist.“

Und wann ist Lieb am reichsten?


„Das ist sie, wenn sie gibt!“
Und sprich, wann redet Liebe?
„Sie redet nicht-……..“

Der Chor bricht ab. Am Tor ist Julian erschienen. Er sieht nicht gut aus, klar, nicht
ordentlich, eher abgerissen oder verwirrt. Er lehnt an der Mauer. Fanny, die zuletzt
gesungen hat, bringt die Zeile langsam, mühsam zu Ende:

Fanny:
„Sie redet nicht. Sie liebt.“

Dann ist es ganz still. Adriana sieht Julian an. Leander kommt, stellt sich dazwischen.
34

Leander:
Dich will hier niemand sehen!
Du bist nicht eingeladen!
Du wirst gehen, sofort.

Claudio: (kommt vorbei mit einem Tablett Champagner)


La nostra vita è fragile.
Avrebbe essere finite
Di un mometo al altro.
Chor:
Wie flüchtig unser Leben ist, vorbei-
Vom einen Augenblick zum andern.
Und dabei haben wir
Nur dieses eine.

Julian: (Arie)
Adriana, ich bin hier. für dich.
Für uns.
Ich habe nachgedacht –

(er zieht ein großes Geldbündel aus der Jacke, wirft es Leander vor die Füße)

Ich will das nicht.


Du kannst mich nicht mehr kaufen.
Adriana, mir ist kein Tag mehr möglich ohne dich.
Ich will versuchen, dich zu wärmen,
so wie du mich.
Ich brauchte Zeit, um das zu wissen.
Jetzt bin ich hier.
Wenn du noch willst und kannst:
Dann komm mit mir.

Leander:
Sie will nicht und sie kann nicht.
35

(Er zieht mit einer raschen Bewegung dem Bodyguard die Pistole aus dem Halfter und
richtet sie auf Julian)

Ich habe dich bezahlt.


Du bist gegangen.
Geh weg. Sie bleibt bei mir.

(Adriana stellt sich zwischen Julian und Leander, so dass er jetzt auf sie zielt.
Der Bodyguard will eingreifen, Selma hält ihn zurück. Selma nimmt Leander die Pistole
aus der Hand, er lässt es zu))
Bruno telefoniert nach der Polizei.

Bruno:
Ein Streifenwagen, schnell.

Adriana:
Du hast bezahlt?
Bezahlt damit er geht?
Was bis du für ein Mensch?

(Arie)
Du kannst nicht alles kaufen.
Du bist der Starke nicht,
für den ich dich gehalten.
Du bist nur reich,
du hast kein Herz, Leander.
Ich hätt es wissen sollen.
Er ist zwar schwach (sie umarmt Julian, beide stehen eng zusammen)
und furchtsam vor dem Leben, so wie ich.
Doch ich war blind.
Zusammen können wir es schaffen.
Du bist ein Irrtum,
kannst nicht lieben,
und ich, ich liebe dich nicht.
(zu Julian)
Und du hast dich bezahlen lassen?
Hast sein Geld genommen, bist gegangen?
36

Was seid ihr denn für Menschen?


Wie kann man leben unter euch?
Ich kann es nicht.

Leander:
Dann geht zusammen!
(Er will schießen, da kommt Selma, entreißt ihm die Pistole und schießt oder der
Schuss löst sich- jedenfalls sinkt Leander zu Boden.)

Selma:
Mein Kind soll endlich glücklich werden!
Adriana, löse dich von beiden. Geh deinen eignen Weg.

Claudio/Chor:
S’i fosse foco, arderei ‘l mondo
s’i fosse vento, lo tempesterei,
s’i fosse acqua, i l’annegherei
s’i fosse Dio, mandereil’en profondo.

(Das ist ein rebellisches Sonett von Cecco Angiolieri, einem Zeitgenossen Dantes, in altem
Italienisch. Im volkstümlichen Stil des 14./15. Jahrhunderts vertonen!)
Übersetzung:

Wäre ich Feuer, ich würde die Welt verbrennen


Wäre ich Wind, mit Stürmen würd ich sie verwüsten
Wäre ich Wasser, ich würde sie ertränken
Wäre ich Gott, ich würde sie zur Hölle schicken.

Adriana steht da wie eine Schlafwandlerin. Sie starrt ihre Mutter an.
Adriana:
Mein eigner Weg? Wo soll der sein,
mein eigner Weg?
Ich weiß mir keinen.

Sie nimmt Selma die Pistole aus der Hand, betrachtet sie.

Ich weiß mir keinen Weg in all den Lügen.


37

Das Leben war mir keine Freude, nie.


Ich kann es lassen.

Adriana erschießt sich.

Mit dem tatü-tata der herannahenden Polizei fällt der Vorhang.

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