Sie sind auf Seite 1von 24

WERKMONOGRAPHIEN ZUR BILDENDEN KUNST

IN RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK
HERAUSGEBER CARL GEORG HEISE je Ehemals Staatlichen Múseen in Berlin bewahren
in ihrer Skulpturenabteilung viele Meisterwerke
Nr. 51 deutscher Bildhauerkunst; doch sind nur wenige über den
Kreis der Fachgelehrten hinaus zum wirklichen Besitz
der Öffentlichkeit und zum geistigen Allgemeingut ge-
worden; und zu diesen wenigen gehört die Christus-
erschicnene1
Neubearbeitung des ím Gebr. Mann Verlag, Berlin, Johannes-Gruppe aus Sigmaringen (Abb. 1 und S). Sie
„Kunstbriefes": Die Christus-Johannes-Gruppen des 14. Jahr- ist im Original und durch Reproduktionen — von der
hunderts schwarz-weißen oder farbigen Kunstpostkarte bis zur
originalgetreu bemalten Gipsabformung — vielen Men-
schen vertraut, ja häufig zur beliebtesten deutschen
Holzfigur des Mittelalters geworden. Auch die kunst-
geschichtliche Forschung hat das Bildwerk „bevorzugt",
denn sie hat durch Bücher und Aufsätze schon vor Jahr-
zehiiteń nicht nur die Volkstümlichkeit recht eigentlich
vorbereitet, sondern ist bis in die Gegenwart hinein
Umschlagbild: Gneppe in Cleveland. Aus Abb.2 immer wieder auf die Probleme um diese Gruppe als
zu einem wichtigen Anliegen zurückgekehrt. Dieses
Phänomen erklärt sich nun nicht durch etwa überragende
Universal-Bibliothek Nr. B 9051 künstlerische Gestal.tung, denn es gibt zahlreiche andere
© Philipp Reclam jun. Stuttgart, 1960 deutsche Holz&guten derselben Zeit von gleich guter
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der phots oder noch höherer Qualität, die bei weitem nicht so
mechanischen Wiedergabe und der t7bersetzung, vorbehalten. Geset: populär sind. Auch geht der Gruppe keineswegs eine
in Garamond -Antiqua. Printed in Germany 1960.
Herstelluni Berühmtheit von alters her, eine Erzählung von merk-
Reclam Stuttgart. Klischees: Walter Huber, Ludwigsburg würdigen Schicksalen oder gar von ihrem Meister vor-
aus; vielmehr ist der Schnitzer unbekannt, und von Zeit
NACHWEIS DER ABBILDUNGEN und Ort ihrer Entstehung weiß man nichts Sicheres, da
Umschla sich darüber keine urkundlichen Nachrichten erhalten
Foto Marburg: 1, 5. The Cleveland Museum of Art: 2,
bill A. C. L., Brüssel: 3, 8. Museum Ulm: 4. Landesbildstel haben. Sie ist wie so viele Kunstwerke des Mittelalters
St'. gart: 6, 9. Bernhard Holtmann, Stuttgart: 7. Bayerisch anonym. Wenn sie sich troτzdem die Aufmerksamkeit
N. nalmuseum, München: 10. Städt. Galerie, Frankfurt/M.: 1 der Fachleute und die Liebe weiter Kreise zu erwerben
Prof. Dr. A. Stange, Tutzing: 12. Stift Admont: 13a. Aus
„Bullet vermochte, so könnte das am Thema des Bildwerkes
de la Société Française de Reproductions de Manuscrits á Pei gelegen haben. Allerdings ist der Inhalt der Darstellung
turcs", 21. année, Paris 1936 (1937): 13 b. Staatl. Museen, Berli nicht erzählend und schon gar nicht anekdotisch, was
14. Städt. Museen, Straßburg: 15. Dr. B. HaUelsberger, Haardt: : beides eine starke Anziehungskraft auf den Beschauer
— Testabbildungen: Umzeichnungen von Ulf -Dietrich Korn, Mi- auszuüben pflegt: es geschieht hier gar nichts, die Gruppe
ster: S. 24, 27, 28, 29. Staatl. Museen, Berlin: S. 25 ist völlig undramatisch und still. ,,. . . Ein bärtiger

3
Mann sitzt aufrecht da und sieht gedankenvoll und stet, außerdem ist sie „quellenmäßig" leicht auf den
schwermütig in das Dunkel der Welt. Und ein Jüngling Text des Johannes-Evangeliums zum Abendmahl zu
sitzt neben ihm und hat mit einer beinahe mädchen- beziehen: „Es war aber einer unter seinen Jüngern,
haften Gebärde seinen lockigen Kopf an die Brust des welchen Jesus lieb hatte, der saß zu Tisch an der Brust
Gedankenvollen gelehnt und schläft und träumt und Jesu . . ." (Joh.13, 1.23). Aus der Szene des Abend-
tastet träumend mit seiner Hand nach der Hand des mahls, bei deren Darstellung im Mittelalter Johannes
anderen. Und der andere nimmt ihn, ohne es recht zu — der Textstelle entsprechend — am Herzen Jesu ruhte,
wissen, noch ein wenig näher zu sich heran und läßt scheint die Gruppe herausgelöst zu sein. Zugunsten die-
nicht ab, zu sinnen und zu trauern. Christus und Jo- ses Ausschnitts und unter Konzentrierung auf ihn ver-
hannes ..." (Manfred Hausmann). zichtete man auf das historische vielfigurige Bild, das
Die Gruppe erscheint als ein Denkmal der Zuneigung, auch die anderen Junger umschließt. So könnte die
weil Christus und Johannes sich zueinander neigen; die Gruppe nicht nur thematisch-inhaltlich, sondern vor al-
Mäntel über ihren Knien fließen ineinander, und alle lem im Hinblick auf den künstlerischen Entstehungs-
Falten und Säume dienen in innerem Gleichklang dem vorgang verständlich werden. Eine solche Isolierung des
Motiv des Aufeinanderbezogenseins und des Zuein- Abendmahl-Mittelstücks müßte ja zur Versenkung und
andergehörens. So ist das Bildwerk auch ein Sinnbild persönlichen Andacht besonders geeignet gewesen sein:
des Vertrautseins miteinander, des Trauens und des Ge- kam doch das stille Thema dem religiäsen Empfinden
borgenseins. Trauung und Verlöbnis — das Mittelalter entgegen und konnte dem nachdenklich-nacherlebenden
sprach von Christus als dem sponsus, dem Bräutigam, Gläubigen geradezu eine gültige Formel für das eigene
und von der minnenden Seele („die minnekliche Scie angestrebte Verhältnis zu Christus sein.
verzogen und versofet von Minnen", Seuse) als der Es wäre demnach der kunstgeschichtliche Tatbestand
sponsa, der Braut, abs deren Verkörperung Johannes ganz einfach so zu verstehen: Der Meister der Sig-
hier wirken mag. maringer Skulptur• hätte das Christus-Johannes-Motiv
Mit solchen Gedanken bei der Betrachtung des Bild- in einmaliger Erkénntnis und Konzeption seines gleich-
werks köńnen das Motiv und seine Formulierung gerade- nishaften und stimmungsmäßigen Wertes aus dem ge-
zu als Symbol gotischen Denkens und gotischer Ge- läufigen Abendmahlsbild herausgelöst und zu einer
staltungsweise und als Gleichnis frommer mittelalter- Statue umgeformt. Er hätte damit in der Verdichtung
licher Kunst schlechthin erscheinen. Doch bleibt diese und Konzentrierung einer Szene auf eine Gruppe in
Interpretation — und sei sie auch aus einem noch so ähnlicher Weise und zu ungefähr derselben Zeit einen
echt gefühlten Staunen vor dem großen Kunstwerk neuen Bildtypus geschaffen, wie der kreuztragende Chri-
geboren — modern und subjektiv, wenn sie nicht mit stus aus dem „Weg nach Golgatha" oder die Maria im
dem ursprünglichen geschichtlichen Sinn übereinstimmt. Wochenbett aus der „Geburt Christi" und einige an-
Der Weg zur Entstehung der Gruppe muß also auf- dere Andachtsbilder entstanden. Nur so und nicht an-
gezeigt, d. h. freigelegt werden — und ein solches Vor- ders scheint der Entstehungsvorgang unserer Gruppe
gehen wird zugleich einen Einblick in die Schaffens- gewesen sein zu können.
weise und die Bild-Erfindung der Hochgotik vermitteln. Allerdings, es trim schon zunächst nicht zu, daß das
Die Benennung der Figuren unserer Gruppe als Chri- Abendmahlsgeschehen auf die wesentlichen Erzählungs-
stus und Johannes ergibt sich für den Freund mittel- träger verdichtet und konzentriert worden sei, denn als
alterlicher Kunst aus dem Wissen von den festen Typen stellvertretend für das Ganze hätten dann entweder
zur bildlichen Charakterisierung Christi und der Apo- Christus allein bei der Einsetzung des Abendmahls oder

4 5
aber die Gestalten von Christus und Judas in ihrem der Apokalypse. Um ihn als „Autor" treffend zu
dramatischen Gegenspiel von Gut und Böse gewählt charakterisieren, konnte man keine bessere Kennzeich-
werden und vor allem hätte der Tisch einbezogen wer- nung wählen als die, die er selbst bei Nennung seiner
den müssen. Jedoch, wenn es sich bei der Christus- Person im Evangelientext anführt, nämlich „der Jünger,
Johannes-Gruppe bedeutungsmäßig nicht um eine „Ab- den Jesus lieb hatte". Und da die Eigenschaft, der
kürzung" der Abendmahlsszene handeln kann, wo sind Lieblingsjünger zu sein, am besten durch das Ruhen an
dann die Wurzeln des Bildwerks zu suchen? Tatsäch- der Brest Christi während dés Abendmahls illustriert
lich sind sie sehr verzweigt und führen weit von der wird, so gab man dem Evangelisten statt eines anderen
Abendmahlsdarstellung fort. Attributs den über ihm wachenden Christus bei. Man
Das Motiv der isolierten Figuren von Christus und dachte also bei diesen Miniaturmalereien nicht an den
Johannes kommt in der Buchmalerei — in jenem un- Vorgang des Abendmahls, sondern nur an den Jünger,
erschöpflichen mittelalterlichen Bilderkompendium, in der an der Brust Christi göttliche Geheimnisse erfuhr.
dem nahezu alles schon einmal illustriert worden ist — Deshalb konnten die beiden Figuren — abweichend von
lange vor der Entstehungszeit der Sigmaringer Skulptur der Mittelgruppe des Abendmahlsbildes stehend
vor. Und zwar erscheinen diese Darstellungen in den wiedergegeben werden, konnte Johannes zu Füßen
Initialen, also in den sehr vergrößerten zierenden An- Christi knien, oder sitzen (Liste S. 31 f . Nr. 25-29, 31-34).
fangsbuchstaben des Johannesevangeliums oder der Gibt es doch in der stattlichen Reihe der Beispiele aus
Apokalypse des Johannes. Bei dem aus dem frühen der Miniaturmalerei und dem Kunstgewerbe überhaupt
13. Jahrhundert stammenden Beispiel aus Rheinau (Abb. nur drei (Nr. 30, 32 alb; auch 25 a?; Abb. S. 28 und 29),
S. 24) steht Johannes kniend-gebeugt an der rechten die Christus und Johannes am Tisch zeigen, und von
Seite von Christus, und dieser wendet sich zu ihm, um- ihnen ist nur eine (Nr. 30) nah der Gebärdensprache als
faßt ihn mit der Rechten und zieht ihn an seine Brust. Reduktion aus dem szenischen Geschehen zu erkennen.
Auf anderen, wenig jüngeren Buchmalereien aus Eng- Allerdings waren, alle diese Darstellungen sinnvoll zu-
land und Deutschland (Abb. S. 24) sitzt Johannes ent- nächst nur als Illustrationen innerhalb bzw. zu Anfang
weder zu Füßen Christi oder neben ihm und legt sein eines Johannes-Textes.
Haupt auf den Schoß Christi oder stützt es auf dessen Aus einem ganz anderen Bereich der mittelalterlichen
Knie. In dem Aschaffenburger Evangeliar (Abb. S. 27) Buchmalerei stammt das überhaupt älteste der bisher
steht Johannes gar neben Christus, lehnt sein Haupt bekannten Beispiele von Christus-Johannes-Gruppen:
an dessen Herz, und Christus umhüllt ihn mit seinem es ist eine Federzeichnung etwa der Zeit um 1150 in
Mantel. Es enthalten also diese kleinen Miniaturen des Admont in einem Codex der Meditationen und Gebete
13. Jahrhunderts schon alle Grundzüge der jüngeren des hl. Anselm von Canterbury (Abb. 13 a). Hier dienen
plastischen Gruppe: das Beieinander, " das Umarmen, als Illustration zu einem Johannes-Gebet Christus und
die Zuneigung Christi, das vertrauensvolle Ruhen neben der Lieblingsjünger nebeneinander auf einer Thronbank:
Christus — und keines dieser Beispiele hat etwas mit Johannes lehnt mit geschlossenen Augen sein Haupt an
der Einsetzung des Abendmahls zu tun. Diese gemalten die Brust Christi, der ihn mit seiner Rechten umfängt
Figürchen passen auch nach ihrer Anordnung, ihren und sich über ihn neigt. Erstaunlich ist nicht nur, daß
Schriftbändern und ihren Gebärden nicht an einen Tisch zu so früher Zeit schon die Mittelfiguren des Abend-
und in den Kreis der Jünger. Gemeint ist jeweils — wie mahlsbildes isoliert in ganz anderem textlichem Zu-
aus dem Platz der Initiale im Neuen Testament deut- sammenhang erscheinen, sondern vor allem, daß sie nur
lίch wird — der Verfasser des vierten Evangeliums oder die eine Hälfte einer Miniaturmalerei bilden: links von

6 7
der Gruppe sehen wir Johannes noch einmal, er schreitet nes-Gruppen keine Kopien in der Art von geistlosen
nach rechts und wendet sich zurlick zu einer traurig Abglissen, aber es werden doch die wirklich charakteri-
dastehenden Frau. Auf dem Rand des Bildes ist die stischen Merkmale, sowohl in der Zuordnung der Figu-
Erklärung zu lesen: „Tu leve coniugis pectus respuisti ren zueinander als auch in den Einzelheiten, wiederholt.
rυρr ι pectus domíni Jesu recumbens"; d. h., daß Jo- Dabei wissen wir durch die Abendmahlsdarstellungen
hannes = nach einer , apokryphen Legende — seine Frau und vor allem durch die erwähnten Johannes-Minia-
verlassen habe, um am Herzen Jesu zu ruhen. — 200 turen, daß für dás Thema nicht etwa von vornherein
Jahre später wird das noch einmal in einer franzö- nur eine, eben diese Lösung der Sigmaringer Skulptur
sischen Buchmalerei erzählt (Abb. 13 b): hier nimmt Jo- denkbar war, sondern auch ganz andere: etwa fur die
hannes Abschied von seiner jungen, m dchenhafken Gebärdensprache, das Sitzmotiv des Johannes, die Ge-
Frau, und Christus fiihrt ihm (wie es im Text heißt:• sichtstypen, die Gewänder usw. Weshalb ist das Christus-
von der körperlichen zur spirituellen, reinen Hochzeit) Johannes-Thema also nicht von den verschiedenen Bild-
die neue Sponsa, die Ekklesia, als Verlobte zu. hauern je nach Temperament oder Zeitstil leidenschafE-
Kehren wir nun nach diesem Blick, auf die bildliche licher, dramatischer, räumlicher oder ernster oder aber
Vorgeschichte des Themas zu unserer Sigmaringer lieblicher aufgefaßt und gestaltet worden? Zu dieser
Gruppe zurΰck. Hat ihr Meister unter Kenntnis oder ungewöhnlichen Ähnlichkeit der Bildwerke untereinan-
Verwendung sowohl der isolierten Christus-Johannes- der kommt eine auffallende zeitliche und geographische
Gruppen in der deutschen wie englischen Buchmalerei Verteilung: liber die Hälfte der bisher bekannten 24 Bei-
als natlirlich auch der Abendmahlsdarstellung nun sein spiele stammt aus dem 14. Jahrhundert und aus dem
Werk geschaffen, indem er die Hände der beiden Figuren Bereich Schwaben-Bodensee, und auch die jiingeren
ineinanderfligte und die endgΥltige Gestalt des Eins- bleiben — mit einer Ausnahme (Nr. 20) — auf den
werdens und Ineinanderruhens erfand? Nein. Denn so- alemannischen Bezirk beschränkt. Gewili gibt es auch
sehr die Gestaltung der Skulptur auf den Beschauer sonst zeitlich begrenzte Bildtypen im Mittelalter, wie
auch als einmalige Formulierung wirken mag, so ist die etwa das „Pestkreuz" und den „Schmerzensmann", doch
Gruppe doch nicht nur einmal — als eben diese Schöp- sind deren einzelne Beispiele viel stärker voneinander
fung dieses Meisters — vorhanden, vielmehr gibt es sie verschieden als unsere Gruppen und außerdem liber
„noch mehrmals". Die meisten Exemplare sind zwar weite Räume hin dargestellt worden. Die geographische
jünger, aber einige auch älter als das Sigmaringer Bild- wie zeitliche Verteilung wird auch nicht durch die
werk (vgl. die Liste auf S. 30 ff .). Das ist verwunderlich geringe Zahl der erhaltenen Exemplare erklärt, denn
— auch dann, wenn man von der Relativität des Be- eine andere und eigenwilligere neue Bildschöpfung des
griffs „Original" im Mittelalter weiß; denn im all- 13. Jahrhunderts, die Maria mit dem Jesusknaben an
gemeinen — etwa bei den zahllosen gotischen Madonnen- der Hand, ist in der gesamten Ausdehnung des deut-
und Heiligenstatuen — wiederholen nur jene ein Vor- schen Sprachgebiets trotz der relativen Seltenheit der
bild gleichförmig oder monoton, deren Erfindungsarmut Beispiele dargestellt worden.
gleichbedeutend mit geringer kiinsstlerischer Qualität ist. Wegen dieser motivischen, zeitlichen und lokalen
Und dieses Werturteil läßt sich gewiß auf die meisten Begrenzung können die Christus-Johannes-Gruppen
Christus-Johannes-Gruppen nicht anwenden. Trotzdem nicht nur Varianten eines in der Buchmalerei geschaf-
gleichen sich die vielen Exemplare in einem Maße, wie fenen ikonographischen Typs sein. Aber handelt es sich
es bei gotischen Marien- und Heiligenbildern sonst nicht. vielleicht um Reproduktionen eines und desselben Bild-
derFall ist. Gewiß sind diese weiteren Christus-Johan- werks? Dabei wlire „reproduziert" allerdings in mítte'-

8 9
alterlichem (und nicht in antikem oder modernem) tiirlich, daß ein Bild kopiert wird, das in unübertreff-
Sinne zu verstehen, d. h. das entscheidende religiöse und licher Weise eine endgültige Aussage über das Stilwollen
figürliche Motiv mußte bei der Wiederholung genau mit einer Epoche zum Ausdruck bringt. Es war die deutsche
dem Vorbild übereinstimmen, wogegen bei dem man- Hochgotik in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine
gelnden stilgeschichtlichen Gefühl des mittélalterlichen sozusagen undramatische Kunst, still, auf Formeln und
Menschen keine klischeeartige Wiedergabe des Formalen Regeln ausgerichtet, von knapper künstlerischer Prä-
erforderlich war. gung, arm an' erzählenden, reich an symbolhaften Ele-
Die Frage, ob es .sich bei den Christus-Johannes-Grup- menten. Wenn nun in einer solchen Zeit anstelle der
pen um ein aus bestimmten Gründen repliziertes, also älteren und ihrer Stilepoche entsprechend spannungs-
wiederholtes, Bildwerk handeln kann, läßt an wunder- reichen Christus-Johannes-Miniaturen (Abb. 13 a; siehe
tätige Gnadenbilder wie die Madonnen von Alt-Ötting S. 6 f .) eine so vereinfachende Formel gefunden wurde,
oder Einsiedeln denken, von denen es zahlreiche, aber daß geringster äußerer Aufwand mit stärkster Symbol-
im künstlerischen Wert meist geringe Nachbildungen kraft und Verinnerlichung verbunden wurde, und das
gibt. In unserem Fall könnte für die Wiederholung einer an einem Thema, das auf die mystischen Gedanken-
berühmten Skulptur die lokale Begrenzung sprechen, in gänge und Bestrebungen der Zeit wie zugeschnitten
gewissem Sinne auch die zeitliche — beides würde sich war — so mußte diese Lösung stärksten Anklang und
aus dem Geltungsbereich des Urbildes erklären —, fer- eifrige Nachfolge gerade in jener Landschaft Südwest
ner die weitgehende Übereinstimmung der Exemplare deutschlands finden, die in ihrer Kunstgeschichte allen
vom Motivischen bis zu trachtlichen, modischen und betont expressiven oder erregten Formulierungen stets
zufälligen Einzelheiten, die späteren „Kleinausgaben ablehnend gegenüberstand. Trotzdem würde es uns sehr
für den Privatgebrauch". (gegenüber den älteren, großen interessieren, das eigentliche Schöpfungswerk, das Ur-
Standbildern), die vereinzelten Repliken der Barock- bild, kennenzulernen oder doch eine Gruppe, die es
und Rokokozeit und manches méhr. möglichst genau wiedergibt.
Das vermutete „Gnadenbild" müßte ja nicht bis heute Am altertümlkhsten im Sinne der deutschen Plastik
als wundertätiges Bild erhalten sein, sind doch Teile des des ausgehenden 13. Jahrhunderts ist mit der gewal-
alemannischen Bereichs seit langem protestantisch oder tigen Schwere, Breite und Tiefe des Figurenblocks, mit
haben, wie die deutsche Schweiz oder Württemberg, dem strengen, in seiner Majestät thronenden und über
Bilderstürme und andere Zerstörungen über sich ergehen Johannes gerade hinwegschauenden Christus jene Gruppe
lassen müssen. Ja, es muß ja kein Gnadenbild im theo- (Abb. Z und 4), die aus .der Gegend von Zwiefalten
logisch anerkannten Sinn, keine wundertätige Figur (vielleicht aus Zwiefalten selbst?) stammt und heute
gewesen sein, denn dann wären darüber wohl urkund- sich im Museum von Cleveland/Ohio befindet. ,,... Chri-
liche Nachrichten erhalten, und diese fehlen uns. Viel- stus, noch vom monumentalen Salvator des 13. Jahr-
leicht war es nur eine an berühmtem oder zentral gele- hunderts abstammend, aber eigener, innerlicher, auf-
genem Ort aufgestellte erste Christws-Johannes-Gruppe, gerichtet und weltenweit entrüdtt blickend, das ernste
die bald so bekannt wurde, daß andere Kirchen und Haupt auf dem schweren Halse ...Die Linke liegt auf
Klöster, später auch Privatpersonen, sich Wiederholun- der Schulter des Jüngers, die Rechte nimmt dessen
gen anfertigen ließen. Sind doch auch ohne die An- Rechte leise auf. Das linke Bein hochgeschoben; eine
nahme eines Bildes, zu dem .man wallfahrtete, die zwar zarte, aber magisch zwingende Macht setzt die
Gründe der Beliebtheit allein aus der Betrachtung der Form nach rechts aufwärts in schräge Bewegung. Beim
Sigmaringer Gruppe leicht zu begreifen. Es ist nur na- Knie des Jüngers angelangt, gerät sie in sanft geschlän-

10 11
gelte Wellen, nimmt die freiliegende Linke des Johannes nicht mehr der ganz andere, sondern Christus im Men-
eingeschmiegt in ihren Gang auf, um im gelehnten Kopf schenbild verwandt. Dieser neigt, wenn auch nur leise,
zu dem ragenden Heiland wie das Menschlich-Bedingte sein Haupt aus der strengen Vertikalen zur Seite zum
zum Göttlich-Unbedingten zurückzuströmen. Der Ge- Jünger. Waren bei den Figuren aus Oberschwaben die
sichtsausdruck des Johannes ist wahrhaft mystisch — im Hände nur lose (hohl) ineinandergelegt, die Finger
engen geschichtlichen Sinne. Das ist jene mädchenhafte merkwürdig scheu und tastend vorgestreckt und ohne
Hingabe und Bräutlichkeit, die die Gottesfreunde in sich zu"berühΙ en oder anzufassen, so ergreift Christus
ihren Konventikeln pflegten. Keine der anderen erhal- hier die Hand des Apostels: die Hände sind fest in-
tenen Gruppen hat diese Innigkeit in ein so erhaben- einandergefügt und bilden, leicht erhoben, eine Art
stilles Gefäß einzuschließen, keine mit so wenig erhobe- Brückenbogen zwischen Meister und Jünger. Christus
ner Stimme so tief das überragend Ewige als Achse, Born hat nicht mehr die Linke nur leicht auf die Schulter von
und Ziel vom angeschmiegten Menschlichen als Bogen, Johannes gelegt, sondern er umfaßt ihn, zieht ihn eng
Brücke und Sehnsucht abzusetzen vermocht. Jede der an sich heran. Bei der älteren Gruppe waren es tat-
großen und rundströmenden Falten ist selbstverständ- sächlich zwei Figuren im Nebeneinander, die (ob-
liche, ungesuchte Sprache des Gefühls, die nur in sehr gleich beide aus einem einzigen Holzblock geschnitzt)
großer, sehr echter Kunst 'so unmerklich und ungewußt ein deutlich sichtbarer Zwischenraum trennte, und diesen
fließt ... Die Ruhe einer Fassade breitet sich über ein übergriffen nur der Kopf des Jüngers und die Arme.
tiefstes Erlebnis des Gefühls — es ist noch etwas vom Hier nun erscheinen die Figuren enger zusammen-
Geiste der Hüttenkunst spürbar ..." (Wzlhelm Pinder). gerückt, so dicht, daß sie nichts mehr trennt. Wie ein
,,... alles ist derb und obenhin, was nicht unmittelbar Schutzmantelbild birgt Christus den sich an sein Herz
dem Ausdruck dient, so die Füße und das Gewand. anschmiegenden und in seiner Umarmung Schlafenden:
Aber wo die Seele ihren Sitz hat, da blüht zarteste Johannes ist im Sinne der Mystik „in den Heiland ein-
Feinheit; so in der Berührung beider Hände, so in der -gegangen". — Zu slieser Veränderung des seelischen Ge-
~ vertrauensvollen Kopfneigung des Schlafenden, so im halts tritt eine netze Gelöstheit und Freiheit der äußeren
ruhevollen ' Blick Christi, der etwas unendlich Gütiges Erscheinung. Der innere Gleichklang zwischen den bei-
und Allwissendes hat ..." (Leo Bruhns). Zu Aus- den Figuren wird nun formal sinnfällig durch die Ein-
gang des 13. Jahrhunderts wird das fast einen Meter spannung aller Einzelheiten in den das Grundmotiv
hohe Bildwerk aus Eichenholz in Schwaben entstan- begleitenden Wohllaut eines alles verbindenden, weichen
den sein. Linienrhythmus. Der Kopf Johannis ruht nicht wie
Dieser Bildtypus wird zu Beginn des 14. Jahrhunderts bei der älteren Gruppe neben dem Herzen Jesu, sondern
von einem jüngeren Bildschnitzer namens „Meister Hein- dicht vor der Brust Christi und ist in die Umrißlinie
rich von Konstanz" umgeprägt. Seine Gruppe ist um von Christi Schultern und Hals eingebettet. Die über
40 cm höher, zeigt also die Figuren fast in Lebensgröße; dem Schoß liegenden Mäntel fließen in ihrem um-
sie steht heute in Antwerpen, geschaffen wurde sie geschlagenen Saum wie ein gemeinsam deckendes Band
für das Dominikanerinnenkloster Katharinental in der in ungebrochener Wellenlinie über die Knie. Das ver-
Schweiz (Abb. 3 und 8). gleichsweise selbständige Gerüst eines schweren und
Die ferne Unnahbarkeit der oberschwäbischen Gruppe sperrigen Gewandunterbaus bei den Figuren in Cleve-
(Abb. 2 und 4) ist geschwunden. Christus erscheint mil- land erscheinϊ hier geordnet: die Stoffbahnen und
der und jünger (Haupt- und Barthaar und Schnurrbart Falten zwischen Füßen und Knien wirken nicht mehr
sind reich und modisch gewellt);. Johannes ist im Typus als seien sie bei jeder Figur für sich entworfen, sondern

12 13
sie korrespondieren miteinander, sie nehmen das Motiv Gruppe ebenso wie die frühen Buchmalereien damals
der einander zugeneigten Körper auf und schwingen zu- als Johannes-Darstellung galt — wiederholt worden, so
einander hin, wie eine Parallele zu den aus der Waage- für die Zisterzienserinnenkirche in Heiligkreuztal in
rechten sanft erhobenen Händen. — Gegenüber der ar- Oberschwaben (Abb. 6 und 9). Genau ist das Motiv,
chaischen Form und dem aus harten und strengen Hori- also das damals für eine Nachbildung unentbehrlich
zontalen und Vertikalen gefügten Bau der älteren Erscheinende, übernommen worden, wie man es leicht
Skulptur hat der Meister Heinrich ein Bild von starkem bis in die Eińzelheiten von Gewändern, Gewandlage,
Gefühlsgehalt geschaffen, bei dem die Empfindsamkeit Mantelsaum und Falten ablesen kann. Nicht erwartet
des Ausdrucksmäßigen mit der Schönlinigkeit des For- dagegen wurde von dem Künstler, daß er auch die
malen zusammenklingt. Diese Umformung vollzog sich persönlich-handschriftlichen Stilmerkmale des Vorbildes
unter dem Einfluß der Kunstsprache des nuovo stile wiederhole: das war und mußte dem Mittelalter ganz
dolce, jenes „süßen Stils" französischer Prägung, der gleichgültig oder doch unwesentlich sein, und so erklärt
der Gruppe ihren zarten Liebreiz verleiht — und durch sich das andere Aussehen gegenüber Katharinental. Der
den .sie zu dem bevorzugten Andachtsbild in Frauen- Meister, ein Oberschwabe, scharr in seiner persönlichen
klöstern geradezu werden mußte. Ausdrucksweise und übersetzt die virtuose Formen-
Nicht nur weil das Bildwerk in idealem Maße dem sprache des Katharinentalers in seine etwas schwer-
Stilwillen des frühen 14. Jahrhunderts entsprach und fälligere oberschwäbische Art, wie denn — gegenüber
nicht nur wegen seiner anmutigen Schönheit wird das dem Liebreiz des Seeschwäbischen in der Kunst des
Werk des Meisters Heinrich bekannt geworden sein: zu Meisters Heinrich — hier noch etwas von dem Geist
seiner Wertschätzung trug die Aufstellung in einem be- jener älteren Gruppe spürbar zu sein scheint, die sich
deutenden und reichen Dominikanerinnenkloster nicht heute in Cleveland befindet. Während man vor den
wenig bei. In Katharinental wurden die beiden Johannes, Figuren aus Katharinental die westliche und fast hö-
der Täufer und der Evangelist, verehrt, und offenbar fische Feinheit als, „etwas erkühlend" empfinden mag,
stellte _man dabei den Evangelisten eben wegen dieser fühlen wir in Heiiigkreúztal in hohem Maße eine ernste
Holzgruppe weit über den Täufer (vgl. den Bericht religiöse Innigkeit — die uns aber nur dann als „deut-
S. 23 f .); denn eine Klosterchronik sagt: „St. Johanńes scher" erscheinen wird, wenn wir vergessen haben, daß
Bild wart von Meister Heinrich, dem Bildhauern aus das Sinnlich-Frische und das Jugendlich Schöne sowohl
Constantz, uss einem Nussbaum so schön gemacht, dass in der Mystik als auch in der deutschen Plastik der frühen
jedermann sich verwunderte, der Meister selbst." Die Hochgotik durchaus enthalten waren. Die Hände liegen
Nonnen beten „ín dem Kor vor dem Bild, da Sant in einer leichten Schräge ineinander, etwas stärker neigt
Johans ruwet uff unsers Herrn Herczen". Für Johannes- sich Christus mit seinem Oberkörper zum Jünger, ohne
Visionen, Gesichte und Erlebnisse wird dieses Bild der allerdings den Kopf ihm zuzuwenden. Die besondere
Ausgangspunkt gewesen sein. Auch von einer Kranken- Wärme und Güte, die diese Gruppe kennzeichnet, liegt
heilung vor ihm wissen die (allerdings erst nachmittel- in der Figur des Johannes beschlossen, der wie getröstet
alterlichen) Quellen zu berichten. Seuse muß die Gruppe an der Schulter des Herrn Frieden gefunden zu haben
bei seinem Besuch in Katharinental kennengelernt haben: scheint; Vertrauen und Glück des Geborgenseins strahlt
sie kann für ihn der Anlaß zu seinen Meditationen über das Antlitz des Lieblingsjüngers aus — wie denn an der
das Christus-Johannes-Thema (s. S. 28) gewesen sein. Gestaltung der Gesichtszüge des Johannes, der ja stets
Sehr bald ist das Bild von „Saft Johans" — hier die Zentral- und Titelfigur der jeweiligen Replik ist,
erfahren wir einmal ausdrücklich, daß auch diese am eindeutigsten das persönliche Temperament, die

14 15
Schulung und stilgeschichtliche Stellung des ausführenden
Meisters ablesbar sind.
Eine Wiederholung der Katharinentaler Gruppe ist
auch das Sigmaringer Bildwerk in Berlin (Abb. 1 und S).
Es entstand in Konstanz. Der Schnitzer war vermutlich
ein Schüler des Meisters Heinrich — und selbst ein be-
deutender Künstler; denn nur ein solcher konnte unter
Wahrung des damals schon traditionellen Typus doch
eine neue Form finden, trotz Bemühung um die Wieder-
holung des Gegebenen ein Meisterwerk schaffen. Er zieht
nicht nur gleichsam die Summe aus den Varianten seiner
älteren Vorgänger, sondern er vertritt nun auch beispiel-
haft eine jüngere Stufe der deutschen hochgotischen
Plastik mit seinen vergeistigten, fast körperlosen und
geradezu symbolhaft-abstrakt anmutenden Gestalten.
Von den älteren Gruppen und vom Standpunkt einer
naturgetreuen Wiedergabe her wird zunächst das Nega-
tive deutlich: die Körpervorstellung ist weitgehend
einfacher, aber auch ungenauer geworden. Die Kraff-
losigkeit (die Köpfe sitzen schwer auf dünnem Hals)
mag wie eine Erschöpfung aussehen, dabei ist es ein
Nicht-Wollen, ein Anderssein — wie stilgeschichtlich im-
mer das Neue nur durch den Verzicht auf etwas über-
kommenes gutes Altes erkauft werden muß. Aus dem
Räumlichen (die Katharinentaler Gruppe war blockhaft
tief, die Sigmaringer ist ganz flach) werden die Akzente
in die Fläche verlegt, die Figuren werden auseinander-
gezogen, Johannis Haupt und Oberkörper liegen nicht
mehr vor, sondern neben Christus. Das ist aber kein
Rückgriff auf das Sitzmotiv der ältesten oberschwäbi-
schen Gruppe (Abb. 2) und bedeutet nicht etwa eine
Entfremdung der Figuren, sondern hat künstlerische,
formale Gründe. Das Vor und Zurück, das in so reichem
Maße in Katharinental zwischen den Figuren, aber auch
zwischen den Gliedmaßen und den Falten vorhanden
war, wird in die Ebene eingebunden, eine beruhigte,
feine Umrißlinie ersetzt den plastischen Reichtum. Was
an Körperlichkeit noch in Erscheinung tritt, ist Anleh-
nung an das Vorbild, aber für den Meister gestalterisch
gleichgültig; die Falten dienen nicht mehr dazu, eine

16

1. Gruppe aus Sigmaringen.


Berlin, Ehem. Staatliche Museen
~
2. Gruppe aus Oberschwaben. 3. Gruppe aus Katharinental (Schweiz).
Cleveland/Ohio, Museum Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh

~
I
4. Christuskopf. Aus Abb.2 5. Christuskopf. Aus Abb. i
ι

B. Johannes-
kopf. Aus
Abb. 3

9. Johannes-
kopf. Aus
Abb. 6
ι

1o. Gruppe in Riederau/Ammersee, Sammlung Haniel 11. Gruppe aus dem Dominikanerkloster Adelshausen.
Frankfurt/Main, Stadt. Galerie
ι

13. Οben: Johannes verläßt seine Frau; Johannes an der Brust Chri-
sti. Um 1150. Admont (Steiermark). — Unten: Johannes nimmt
12. Buchmalerei (Initiale „Q") aus der Bodenseegegend. Abschied von seiner Frau, Christus führt ihm die Ekklesia als
Um 1300. Basel, Sammlung R. von Hirsch Sponsa zu. Um 1350. Leningrad, Bibliothek
14. Gruppe aus Hutdingen (Schwaben). 15. Gruppe aus Kolmar (Elsaß).
Berlin, Staatliche Museen Straßburg, Städtische Museen
Raumvorstellung zu schallen, sondern sie sind Ausdrucks-
mittel, Begleitmusik zum seelischen Grundton: sie haben
einen linearen und dekorativen Wert und Reiz. In der
Erfindung der Motive sind manche Faltenbäusche und
-schlaufen wörtlich von der Katharinentaler Gruppe
„abgeschrieben", doch sind sie hier nur mehr wie ein
Ornament verwendet — wie denn diese Verwandlung
in eine liebliche, jugendliche Schönheit vor allem auch
in den .Gesichtern splirbar wird: alle Einzelheiten sind
beim Werk des Meisters Heinrich vorgebildet, und doch
ergibt die „Nachschrift." ein höchst verändertes Bild in
ihrer zarten Sensibilität und dem fast Fremdartig-
Feinen des Antlitzes mit den schräg nach oben ausgezo-
genen Augenlidern und Brauen. Gewiß ist gegenδber
der• älteren Skulptur alles vereinfacht, wie auf eine
Formel gebracht, aber dadurch erscheint die Gruppe
auch konzentrierter. Durch das Weglassen der drei-
dimensionalen Vielfalt des Vorbildes und allen Beiwerks
scheint das Form-Anliegen dés Andachtsbildes erst hier
vollendet. Nicht nur ist alles noch Harte und Ungelenke
der Katharinentaler Gruppe — die fast klobigen Hände,
die abrupte Gewandlösung an der seitlichen Thronwand
Christi — gelöst und in den Linienrhythmus des Ge-
samten eingeordnet; auch ist der Typus der Figuren in
~ merkwürdiger Weise eingedeutscht, wie denn die Zu-
wendung Christi zum Jδnger die Gruppe als so beson-
ders innig erscheinen läßt. Konnte man die Gruppe aus
Oberschwaben (Abb.2) vielleicht als im Gefiihlsklang
ausgesprochen „männlich" und im Aufbau als tektonisch
bezeichnen, war die Katharinentaler demgegeniiber ma-
lerisch und vor allem schöner, aber vom eigentlich
Mystischen her — um mit Pinder zu sprechen — „um
so viel ärmer, als sie schöner ist", so mag man die
Sigmaringer Gruppe als mädchenhaft zart und sozusagen
als graphisch bezeichnen; entsprechend hat der Meister
auf das strahlend Gesunde der Katharinentaler Figuren
mit ihren roten Wangen verzichtet. Das fast Lyrisch-
Stimmungshafte und die lauschende, demütige Ver-
haltenheit des Ausdrucks mußten vornehmlich das weib-
liche Gefϋhl ansprechen und daher zu der Welt der

17

16. Gruppe in Schbmberg bei Rottweil, 18. Jahrhundert


Frauenklöster jener Zeit passen. Man möchte sich vor- Bedingtheiten der Epoche beruht und gleichsam von ihr
stellen, daß eine Gruppe wie die Sigmaringer die Vi- mitgeschaffen wurde, erläutern die nach 1350 entstan-
sionen der Dominikanerin Margarethe Ebner von denen Beispiele. Denn mit dem Einsetzen der jiingeren,
Maria-Medíngen (t 1351) inspiriert hat: „S. Johannes wirklichkeitsfreudigen Spätgotik ging zwar nicht die
ruowet uf dem sliezzen Herzen mins Herren Jhesu Ausstrahlungskraft des Andachtsbildes, aber doch die
Christi, so berlieret mich amn as siiezziu Genade daz innere. Sicherheit gegeniiber dem rein aus dem Geistigen
ich das Wort nit wol gesprechen mag ... des sϋezzen geborenen Symbol — zeitlich wie kiinstlerisch die Ver-
Tranches daz er trank und sok us den sliezzen Brϋsten ankerung in der Mystik — verloren. Eine Vergegen-
Jhesu Christi — — — und bin denne in dem Lust und in wärtigung im alltäglichen, im „richtigen" Bezug sollte
der Begirde, daz ich von Minnen gern da stiirb." sie ersetzen. Das so zarte Motiv der ineinandergefilgten
Das Sigmaringer Bildwerk stellte wahrscheinlich für Hände fehlt nun (Nr. 10, 14), oder es wird das in „na-
die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts die glücklichste tϋrlichem" Sinn überzeugendere und vom Rationalisti-
Lösung dar, denn über sie hinaus hat es nicht eigentlich schen her durchdachtere Wenden des Johanneskopfes ins
eine Weiterentwicklung gegeben. Doch kennen wir außer gesenkte Profil gewählt (Abb. 14; Nr. 15) — das demii-
den hier besprochenen vier Beispielen ja mancherlei tige Neigen .statt der mystischen Verzückung und des
andere (vgl. die Liste S. 30».); allerdings ordnen sie sich entriickten Schlafens der Communio. Auch legt Christus
meist entweder der oberschwäbischen (Abb. 2) oder der etwa seine Rechte auf das Haupt des Jiingers (Abb. 14),
Konstanzer (Abb. 3) Gruppe zu. Das Katharinen- und in späteren Beispielen stiitzt dieser sich gar breit
taler Vorbild strahlte vor allem im Bereich des Boden- und schläfrig hingelagert auf den Schoß Christi auf
sees und bis zum Oberrhein aus — dafür mag stell- (Nr. 14, 16, 20, 22). Sogar wenn in dem dekorativen
vertretend die sehr kleine Skulptur aus dem Freiburger „Weichen Stil" des friihen 15. Jahrhunderts noch ein-
Dominikanerkloster Adelshausen (Abb. 11) genannt mal die Hände ineinandergefligt werden (Abb. 15)
sein. Im, schwäbisch-oberschwäbischen Bereich blieb da- — aber nun die Richte Christi in die Linke des Johan-
gegen lange das Vorbild jenes Bildwerkes lebendig, das nes —, so bewirkt das doch keine Wiederbelebung des
sich hei.ite. in Cleveland befindet: eine echte Replik ist ursprUnglichen Andachtsbildes, weil dieser Gruppe in
etwa die Stuttgarter Gruppe (Abb. 7), denn alle Motive ihrer bürgerlichen Beruhigtheit die aristokratische Ent-
sind bis in Einzelheiten der Faltenfδhrung (Mantel- riicktheit und das überlegene Konzentrieren und Ab-
bausch liber dem rechten Knie des Johannes!) genau strahieren fehlen, die zur meisterlichen Gestaltung des
reproduziert, nur der Zeitstil und die kϋnstlerische Themas notwendig waren.
Handschrift sind anders. Das gleiche gilt noch für das Schon schließt sich der Kreislauf im ikonographischen
Beispiel der Sammlung Haniel (Abb. 10), nur in der Sinn: bei allen spätgotischen Beispielen bilden die beiden
„Siiße" des Stils erinnert es an die Werke aus Ka- Figuren -- wie einstmals bei Buchmalereien des 13. Jahr-
tharinental und Sigmaringen, nicht dagegen in den For- hunderts (Abb. S. 28) — lediglich einen Ausschnitt aus
meln flir die Gestaltung der Figuren und ihrer Gewänder. einer Abendmahlsdarstellung, „das Gnaden- und Heils-
Auch diese Repliken sind treffende Beispiele fϋr den bild ist wieder zur Abbildung zurückgesunken . ."
gerade im deutschen Südwesten zwischen 1300 und 1350 (F. Neumeyer).
ausgebildeten „Andachtsbild-Stil" mit seiner Vorliebe Erst mit der Gegenreformation — der Renaissance
für beschauliche und zuständlíche Themen und anmutig- mußten Thema und Formulierung als zu sonderbar-
liebenswürdige Gestaltungen. Wie weitgehend die Aus- fremd erscheinen — tritt die Gruppe erneut in unser
formung des Themas dabei auf den Möglichkeiten und Gesichtsfeld, und zwar entweder im frühesten Typus
18
19
der mystischen Verzückung (Nr. 23) oder in der Wieder- 26, 27, 32 a) und Deutschland (Nr. 25 b, 28, 29, 31)
holung des spätgotischen „Abendmahlsausschnittes" (Nr. — nur ganz selten in Frankreich (Nr. 33, 39a) —
21). In diesen Variationen bleibt das Andachtsbild sogar „Autorenbilder" des Johannes, die ihn stehend, kniend,
im Rokoko lebendig (Nr. 23a und Abb. 16). Ähnlich sitzend oder ruhend an der Seite Christi zeigen; das
wie nach der Reformation das alte Thema durch eine Motiv der. Umarmung und der liebevollen Zuneigung
Gegenbewegung des Katholizismus neu zum Leben er- mag in Anlehnung an die bräutliche Gruppe von Spon-
weckt wurde, so wird es auch nach Aufklärung und sus und Sponsa im Hohenlied entwickelt worden sein
Rationalismus des 18. Jahrhunderts noch einmal im (wie denn gerade und nur im 13. Jahrhundert sich in
19. Jahrhundert in einem Erneuerungsbestreben der der Liebeslyrik jener Zeit, in den Parzival- und Tristan-
kirchlichen Kunst entdeckt. Der große „Nazarener" illustrationen, das sich umfangende Liebespaar findet,
Friedrich Overbeck hat um 1836 das Motiv von Christus das in den „maazen" der höfischen Minne erinnern kann
und Johannes, der an der Brust des Herrn ruht und an unser Bildthema von dem spirituellen Verlöbnis des
von diesem umfangen wird, in einer bildmäßigen Zeich- Menschen, der sich der Hand Gottes anvertraut). Aber
nung neu gestaltet: obgleich seine Zeichnung den goti- alle dichterischen und ikonographischen Wurzeln und
schen Gruppen sehr nahe kommt, kannte Overbeck doch Vorstufen ergaben noch nicht das plastische Andachts-
~ ,• keines der mittelalterlichen Bildwerke, denn das zeigen bild. Nicht in der frühen Mystik des 12. und 13. Jahr-
.9
, ~~+,-., • gerade die Entwurfskizzen (Abb. S. 25); ihn hatte viel- hunderts mit den Johannes-Visionen frommer eksta-
mehr seit seiner Jugend im Lukasbund 1809 das Zwei- tischer Frauen und Männer wird unsere Gruppe geboren,
;υ Figuren-Motiv des Glaubens, Vertrauens und der christ- sondern die Synthese aus den mannigfachen, vieldeuti-
.~ lichen Liebe immer wieder beschäftίgt und bewegt. So gen und vielschichtigen Vorformen der Malerei erfolgt
{ ,,;•µ s• , ,~~ ,: ~- schließt sonderbarerweise die Kette • unserer Beispiele zu erst dann, als in der deutschen Plastik um 1280 (West-
~ `•. α λι ~ ~^
ι,}7 Γ ,;►~i ι ':~~:. ~ .ιrr
rf
dem deutschen Andachtsbild mit einer Lithographie von _portal mit dem „Fürsten der Welt" am Straßburger
tis•, ^λι~`r;r ;- 1896, in der, lange nach Overbecks Tod, dessen Zeich- Münster) eine Sttιfe erreicht war, in der einer nicht-
•η nung in Itàlien gedruckt und vervielfältigt wurde. naturalistischen Formensprache Motive von sinnbild-
-~"~s~~~.t ~?'ι_ •τt~
licher Einkleidung und starkem Appell an die Bereit-
*
schaft zum nachdenklichen und andächtigen Verweilen
. entsprachen. Ob nun die Gruppe aus Oberschwaben
twτ~,,~;
,! η_
Worte des Neuen Testaments sind der Ausgangspunkt (Abb. 2) die älteste auch ursprünglich war, bleibt un-
~ unseres Motivs. Die früh- und hochmittelalterliche Theo- gewiß — das „Urbild" muß ja nicht eine Statue, son-
ά~
~; y.τ. logie und Poesie, Denker und Dichter seit Augustin,
~,Γ ~: , I dern kann etwa eine kleine Edelmetallgruppe oder ein
t~ Ambrosius und Beda entzünden sich an dem Bild des Johannesreliquiar gewesen sein —, jedenfalls spiegelt
t~
,- ~ an Christi Herz ruhenden Menschen, an dem Gleichnis diese Skulptur den Geist des 13. Jahrhunderts am in-
von der bei Gott geborgenen minnenden Seele; durch tensivsten wider; erst nach 1300 erfolgt die Umprä-
Ó~ Y ς die am Johannesfest am 27. Dezember gesungenen Anti-
~~j ?'~wr= ι. •τ,ι τ~
gung in die dann fur lange Zeit verbindliche Form
phonen wird diese Vorstellung vom Einssein Christi (Abb. 1, 3, S, 8).
mit seinem Lieblingsjünger geläufig und weitverbreitet. Genauso wie das Minnesängerbildnis nicht zur Zeit
~r , : ~—• :ι j n Als Illustration zu einem Gebet von Anselm von Canter-
•- 1 .■
der großen Liederdichter, zur Zeit Walthers von der
τ- bury (Abb. 13 a) wird das erste gezeichnete Bild einer Vogelweide, geschaffen wurde, sondern erst in einer
Christus-Johannes-Gruppe geschaffen. Ein bis zwei Ge-
' ; .1',.,,~• ι9_ ..
~ späteren, nacherlebenden Generation aus dem Kreis des
~ ιι j .Τ nerationen später entstehen dann in England (Nr. 254, hochgebildeten Züricher Stadtpatriziats um 1300, so
` , ,~~~~ t~~ --•ι
~
~•y _~ :r '~~. 20 21
' •
_1ι.η~ :~• '
ιl.
.~j_ "1.1 τ. • • ~t„+ι'
•ryr: h
ξ? ι ti14T

y. ~

verkörpert auch die Christus-Johannes-Gruppe nur die WIE IN KATHARINENTAL EINE VER-
greifbare und monumentale Schauform fu r einen bereits EHRERIN DES EVANGELISTEN JOHAN-
geprägten Inhalt. Und wie bei der Manesse-Liederhand-
schrift die Dichterbilder gleichsam stellvertretend für NES DEN TÄUFER SCHMÄHTE UND
die Lieder stehen und nicht eigentlich Illustrationen DAF Τ3 R BESTRAFT WURDE
oder gar individuelle Porträts sind, sondern eher zu-
ständliche und austauschbare Symbole oder heraldische Im Kloster Katharinental, dem ehemaligen Aufstellungs-
Zeichen, so sind die Skulpturen unserer Reihe keine ort der schönen Christus-Johannes-Gruppe, Abb. 3, wurde
Textillustrationen zum Neuen Testament oder zu An- auch der Täufer Johannes verehrt (wie denn gerade in
selm von Canterbury, sondern wie die meisten An- Süddeutschland das Altarpatrozinium des Evangelisten
dachtsbilder als eine „imago pietatis" zu verstehen. Johannes verbunden zu sein pflegte mit dem des Täυ f ers).
Gewiß ist die Sigmaringer Christus-Johannes-Gruppe Unter den Verehrerinnen des einen und anderen Johan-
(Abb. 1) nicht etwa allein wegen ihres Themas in hb- nes brachen Eifersüchteleien aus; um sich voneinander zu
herem Maße ein religiöses Kunstwerk als irgendein unterscheiden, nannten sich die einen „Evangelisterinnen"
anderes Beispiel der mittelalterlichen kirchlichen Plastik; und die anderen „Baptisterinnen". Die Evangelisterin
jedoch sind gerade bei ihr Inhalt und Form gleich- Claranna von Hochenberg (f 1423 zu Schönenstainbach)
klingend derart zur Deckung gebracht, daß mit dem ließ sich eines Tages. hinreißen, das Bild des Täufers
empfindsamen und weltfern-klösterlichen Stimmungs- höhnisch als „Holzknecht" zu bezeichnen, worauf Gott
gehalt das sozusagen „nichtgegenständliche" Bild der sie stra fie und zur Einsicht führte.
Christusminne als fromme Plastik schlechthin erscheinen
kann — als Exempel jener holzgeschnitzten und bemal- ,,... Denn da zuo mal und och dar vor in demselben
ten Kult- und Andachtsbilder der mittelalterlichen Kloster an sölliche fröwliche (= frevelhafte) Gewonheit
Kunst, die so leicht im Schatten der Kathedralplastik waz, daz an TaiΙ' Swöstren hat Liebe zuo s. Johannes
übersehen werden. Baptisten, an Tail zuo sant Johannes Evangelysten mit
Im Inh .Ιtlichen ein Gleichnis und im Formalen ein söllich unloblicher Andacht, daz víl der Swösteren, die
„Zeichen" ist das Christus-Johannes-Bild in England, it Andacht zuo dem amen sant Johannes hattent, daz
Deutschland und Frankreich formuliert worden, die frei- dieselben den anderen sant Johannes etwas warent
plastische Gruppe jedoch ist eine Sonderleistung der smechen, und darumm so namt sich amn Tail der Swö-
deutschen Kunst. -steren Baptisterin, dazander Tail Evangelisterin, und
hattent amn wunderliche Unruob under in selbs, also
!~-+_•': daz sy Partyen (= Parteien) mit Kriegen hieltent gegen
am n andren von der beden •sancte Johannes wegen. Also
fuogt es sich, daz dise Swöster Claranna uff sant Jo-
hannes Baptisten Tag in dem Crützgang gieng für sin
-'sΓki
i L~
Bild, daz da gemalet waz, und sprach ,Luogent, wie
scat der Holzthdwer hye!` Damit maíner sy, daz sy
+~ : ..— : ~ •i
,a~λλ.T•~~~~ ½.+ iren sant Johannes den Evangelysten wer erhöchen und
- fürsetzen; aber Got, der in allen sinen Hailgen wí1
~
geeret sin, gab it under andren zuo verstent, daz im
?. sölliches nit gevellig i-st. Darumb ward sy unsichtparlich
_`•α _. 'ε~ d ι~~ ~ 22 23
,-~_.__ ,h'~'.
C U.ί
,.~:~~: • ~_
τ:
!}
• ..}'r ~,{
i: ~Ι ~.
'- ι1'
niedergeschlagen uff die Erd, und lang lag sy mit wyten VISION EINER DOMINIKANERIN IN
uffgetonen Ogen, und sack noch sprach noch verstuond AD Ε LS HAUS EN
sy nit .. . Dar nach do sy wider zuo it selbs kam
und merket, wie hertiklich sy von Got gestraffet und (wo ehemals die Christus-Johannes-Gruppe Abb. 11
gemanit waz, do gewan sy s. Johannes Baptisten also stand)
eb, :ils sy s. Johannes Evangelysten hatt ..."
(Aus dem Buch der Ref ormacio Predigerordens des Johannes Er erscheinet als ein schöner minneklicher Jung-
Mayer, t 1422 in Zürich, herausgegeben von B. M. Reichert, ling. und wird dis Gaden alles vel Engel und Heiligen.
Leipzig 1908, S. 62.) Er sitzt für mich und sicket mich gar gütlich an. Aber
die Engee stant alle vor ire, er kurt nie zu mir al-
leine, die Engel kumeńt alwegent mit íme. Und sprichet
zuo mir: ich will aber und aber komen und wil dich
schier zuo .mir niimme und wil mich ewiklich von dir
nieme scheiden. Und unbevachet mich mit einem in-
wendigen Umbfangen ... Sin Rede ist also gar minek-
lích, das da von nieman kan sagen. Er kan reden, das
durch die Sele gat und durch des Hertzen Grunde .. .
Und spricht: Herz lieb, trut (= Geliebtes) mins."
(Aus der Chronik von 1318 der Priörin Anna von Munzingen,
abgedruckt im Freiburger Diözesan-Ardhiv 13, 1880.)

_~.

~ Ε ~
. ~•,~ ~ ~ ~~~?

• ~•~ '1λ ~.~ ~


London Zürich
(Liste Nr. 27) (Liste Nr. 25 b)
Overbeck (Liste Nr. 42)

Ι P.-~~Λ' - ~λ• 24 25
CHRISTUS - MINNE VISION DER SCHWESTER HEILTRAUT
VONBERNHAUSEN IIDOMINIKANER-
Mechthild von Magdeburg, um 1250: KLOSTER WEILER BEI ESSLINGEN
(U 113 0 0)
Ich stürbe gern aus Liebe,
Sein Aug in mein Auge, ,,... Sie het auch gar líp den-Ewangelisten Johannes.
Sein Herz in mein Herze, Eines Tagz waz sie vereinet in dem Chor, da erschein
Seine Seele in meine Seele, er ir als gar schöne und minniklich und was angelegt
Umfangen — für ewig. mit himelvarben Kleydern und het ein glildein Flir-
spang vorn an seim Hertzen. Da ward ir zu versten
geben, daz dy plaben Kleyder bezeichnet sein himelisch
EIN NIEDERDEUTSCHES JOHANNES- Ler und daz Fürspang dy götlich Mynn, dy sein Hertz
• GEBET AUS DER ZEIT UM 1400 als gar entzündet het. Da erzeigeten auch dy Buch-
staben, dy also dar inn ergraben waren, caritas Dei.
Wie der hl. Johannes an deinem Herzen ruhte, so um- Und stund vor ir als gar mynniklichen und flirt an
fange auch meine Seele mit deinen göttlichen Armen und seiner Haft dass allerwunniklichst Kint, unsern Herren
drücke sie an dein heiliges Herz. Laß sie aus dir gött- Jesum Christum, und mit der andern Haft zeyget er
liche Weisheit sdiöpfen und gib ihr die Gewißheit, daß an daz Kint und sprach zu ir: „du solt dein Hertz und
sie hier in der ewigen Freude dich schauen werde in dein Mynn legen an dicen Schöpfer und nicht an die
Seligkeit von Angesicht zu Angesicht. Geschöpfe.
(Köln, Stadtarchiv, Nr. IX/W 19, Blatt 103 bis 105.) (Aus: Württembergische Vierteljahreshefle für Landgeschichte,
Neue Folge, Band 25„ 1916, S. 61 ff.)

VISION DER ZISTERZIENSERIN IDA


IN LEEUW BEI LÖWEN (t 1300)

Im Geiste entrückt schaute sie, nicht mit den Augen des


Leibes, sondern rein geistig, wie ihr Jesus, unser Herr,
schön vor allen Menschenkindern, erschien, auf sie zu-
kam, das Kleid öffnete und ihr seine Brust zeigte. Er
winkte ihr, näher heranzutreten und aus seiner Brust
den süßen gnadenreichen Trank zu empfangen. Sie
schaute zugleich den heiligen Johannes in ehrwürdiger
Gestalt gegenwärtig.
(Aus: Karl Richstätter, Die Herz-Jesu-Verehrung des Deut-
schen Mittelalters; Regensburg, Kösel & Pustet, 1924, 2. Auf-
lage, S. 79)9:., S. 95 und S. 251.) Aschaffenburg (Liste Nr. 31)

26 27
~

New York (Liste Nr. 32e)


Ι

VISION DES DOMINIKANERS SEUSE


ι
η
„Und eins males nach einem lidenden zite, do geschah
eins morgens früh, daz er och ungeben waz mit dem
himelschen ingesinde in einer gesiht. Do begert er von ire
einen klaren himelfursten, daz 'er ím zogti, in welcher
wise gores ,verborgeni wonung in siner sele gestalt were.
Do sprach der engel zuo im also: Nu tu einen froeh-
lichen inblik in dich und luog wie der minneklich got Canterbury (Liste Nr. 25e)
mit diner minnenden sele tribet sin minnespil. Ge-
schwind sah er dar und sah, daz der lip ob sinem her-
zen ward als luter als ein kristalle und sah emmiten
in dem herzen ruoweklich sitzen di ewigen Wisheit in LITERATURNACHWEIS
minneklicher gestalt, und bi dem saß des dienern sele
in himelscher senung; die waz minneklich of sin siten H. Wentzel, Christus-Johannes-Gruppe, Reallexikon zur Deutschen
geneiget und mit linen armen umbvangen und an sin Kunstgeschichte, 1952, Bd. 3, Sp. 658-669; Nachträge in: „Un-
goetlich herze gedruket und lag also verzogen und bekannte Christus-Johannes-Gruppen", ZeitschrifE für Kunstwissen-
versofet von minnen under des geminnten gotes armen." schaft 13, 1959, S. 155 ff.; dort ist auch die ältere Literatur zu-
sammengestellt, auf die hier Bezug genommen wurde (W. Pinder,
(Nach Ernst Benz, Christliche Mystik und christliche Kunst. H. Swarzenski, O. Pächt usw.). Nach neuen Untersuchungen (1960)
Zur theologischen Interpretation mittelalterlicher Kunst. Deut- stammt das früher als „Schülzburger Gruppe" bezeichnete Bild-
sche Vierteljahreshefle für Literaturwissenschafl und Geistes- werk in Cleveland (Abb.2) aus einer noch nicht identifizierten
geschichte 12, 1934, S. 46/47.)' Kirche in der Gegend von Zwiefalten.

28 29

ι
LISTE DER BISHER BEKANNTEN CHR I STUS- 22. MΊnchen, Bayer. Nationalmuseum. Linde, 18 cm. Volks-
JOHANNES - GRUPPEN tümliche (schwäbische?) Replik
23. Straßburg/Elsaß, Stadt. Museen. Replik einer hochgoiischen
Gruppe; 17. Jh.? Linde, 80 cm
1. Cleveland/Ohio, Museum of Art. Aus der Gegend von 23a. Frankfurt/Main, Sammlung Pfoh. Replik einer Gruppe
Zwief alten. Eiche, 92 cm (Abb. 2 u. 4) des frühen 14. Jh.; um 1740? Nadelholz? Aus Oberschwa-
2. Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh. Vermutlich aus ben. -Etwa 66-70 cm
Kloster Katharinental b. Dießenhofen/Schweiz. Nußbaum, 24. Schömberg/Kr. Rottweil, Pfarrkirche. Aus dem Zister-
131 cm (Abb. 3 u. 8) zien5erkloster Rottenmünster? Replik einer gotischen
3. Heiligkreuztal/Oberschwaben, Zisterzienserkirche. Nuß- Gruppe; Mitte des 18. Jh. Holz, 35 cm (Abb. 16)
baum? 101 cs (Abb. 6 u. 9) 24a. Toulouse, Musée des Beaux-Arts. Fragment einer grii-
4. Berlin, Ehem. Staatl. Museen. Aus der Umgebung von Sig- ßeren Abendmahlsgruppe am Tisch? Stein. 13. Jh. 135 cm
maringen. Eiche, 89 cm (Abb. 1 u. 5)
5. Freiburg/Breisgau, Augustiner-Museum. Aus der Gegend
von Haigerloch / Württ. Eiche, 62 cm CHRISTUS-JOHANNES-GRUPPEN
6. Ehem. Magdeburg, Museum. Aus der Sammlung Gedon, DER BUCH-, WAND- UND GLASMALEREI,
Miindien. Linde, 15 cm. Nachmittelalterliche Replik ALS ZEICHNUNG UND AUF TEXTILIEN
7. Frankfurt/Main, Stadt. Galerie. Aus dem Dominikaner-
kloster Adelshausen b. Freiburg/Br. 35 cm (Abb. 11) 25. Admont/Steiermark, Stifkbibliothek. Anselmi Cantua-
B. Stuttgart, Württ. Landesmuseum. Eiche, 128 cm (Abb. 7) riensis Meditationes et Orationes. Mitte des 12. Jh. (Abb. 13a).
9. Riederau/Ammersee, Sammlung HanieL Eiche, 67 cm (Ab- -25a. Canterbury, Kathedrale. Krypta. Ritzzeidhnung, unter-
bildung 10) lebensgroß. Ende des 12. Jh.? (Textabb. S. 29). - 25b. Zu-
10. Hermetswil/Schweiz, Benediktinerkirche. 36 cm -rich, Zentralbibliothek. Missale aus dem Benediktinerkloster
11. Basel, Histor. Museum. Aus Kloster Katharinental. 31 cm Rheinau am Rhein,' Initiale zum Johannes-Evangelium. Zw.
12. Berlin, Staatl. Museen. Aus Hüttlingen am Kocher. Linde, 1206 u. 1233 (Textabb. S. 24). - 26. London, Sir John Soáne
88,5 cm (Abb. 14) Museum. Englische Vulgata, Initiale zum Johannes-Evange-
13. Stuttgart, Wiirtt. Landesmuseum. Aus der Johanneskapelle lium. 1. Hälfte d. 13. Jh. - 27. London, British Museum.
zu Sulzdorf bei Hüttlingen am Kocher. Linde, 115 cm Bibel des Abtes Robert de Bello von Canterbury (1224-53),
14. Lochau bei Bregenz, Sammlung Sagmeister. Ton, 15,3 cm Initiale zum Johannes-Evangelium (Textabb. 5.24). - 28.
15. Ehem. Isenheim/Elsaß, Sammlung Spetz (1925 in New
York versteigert). Aus Kolmar / Elsaß. Nußbaum, 36 cm Fulda, Landesbibliothek. Missale aus Weingarten, Initiale „D"
mit Christus und Johannes, die sich stehend umarmen. 1. Hälfte
16. Karlsruhe, Bad. Landesmuseum. Wohl aus einem Domi-
nikanerinnenkloster. Linde, 47,5 cm d. 13. Jh. -29. Luzern, Kantonatsbibliothek. Antiphonar
17. Straßburg/Elsaß, Stadt. Museen. Aus Kolmar. Eiche, 69 cm aus der Zisterzienserabtei St. Urban. Mitte d. 13. Jh. Initiale
(Abb. 1 S) „Q" mit Johannes, im Schoße Christi ruhend. - 30. Frei-
18. Ehem. 4atharinental/Schweiz. Silber. Verschollen burg/Breisgau, Siegel des Dominikanerklosters. Christus-Jo-
hannes-Gruppe am Tisch. Vor 1252. - 31. Aschaffenburg,
19. Ehem. Schlettstadt, Johanniterkirdie. Aus Holz. 1470 und
Stadtbibliothek. Evangeliar aus Mainz. Initiale zum Johannes-
1487 bezeugt. Verschollen
evangelium. Um 1250 / 60 (Textabb. S. 27). - 32. London,
20. Osnabriick, Stadt. Museum. Eiche, 114 cm
21. St. Gallen, Sammlung W. Schuchter. Linde, 21,5 cm. Nach- Bibliothek von Chester Beatty. Deutsche Vulgata um 1250.
mittelalterliche Replik einer spätgotischen Gruppe Initiale zur Johannes-Epistel. - 32a. New York, Sammlung

30 31
~ιΡ ~r ~r~ten llrτiιderstt
σι ! •;
William S. Glazier. Englische Bibel um 1260. Initiale „A"
zur Apokalypse (Textabb. S. 28). — 32b. Aarau/Schweiz,
/ L (ιd
WERK MONOGRAPHIEN ZUR
Kantonatsbibliothek. Bibel aus dem Zisterzienserkloster Wet-
tingen. Zur Apostelgeschichte. Um 1280. — 33. Orléans, Bi- BILDENDEN KUNST IN RECLAMS
Γ
bliothek. Vulgata vom Ende d. 13. Jh. Initiale „A" zur Apo- UNIVERSAL- BIBLIOTHEK
kalypse. — 34. Basel, Sammlung Robert von Hirsch. Aus-
geschnittene Miniatur-Initiale „Q", um 1300. Aus der Boden- HERAUSGEBER CARL GEORG HEISE
seegegend (Abb. 12). — 35. Paris, Cluny-Museum. Ober-
rheinisches gesticktes Antependium aus Mecheln, um 1300. — Bisher erschienene Titel (siehe auch folgende Seite):
35a. Ziírich, Großmünster. Wandmalerei. Christus-Johannes-
Gruppe mit der Figur des hl. Petrus, ohne Tisch. — 36. Berlin, LS PERIKOPENBUCH KAISER HEINRICHS
II. (Prof. D`r. Albert
eckler f) 1 DER ENGELSPFEILER IM STRASSBURGER
Staatsbibliothek. Vulgata, um 1310/20, wohl aus Böhmen, ER (Prof. Dr. Harald Keller, Frankfurt)
MON -
„A"-Initiale der Apokalypse. — 37. Zuurich, Landesmuseum. Ι DIE NAUMBURGER
'IFTERFIGUREN (Prof. Dr.
Graduale aus Katharinental, Initiale „V", 1312. — 38. Kö- Hans Janezen, Freiburg) / GIOTTO,
e Geschichte von Joadsim und Anna (Prof. Dr.
Theodor Hetzer f) /
nigsfelden/Schweiz, Glasmalerei im Westfenster. Um 1330. — EISTER BERTRAM, Die Schöpfungsgesd~ídite
(Dr. Hans Platte,
39. Metten, Klosterbibliothek. Antiphonar um 1400. Initiale imburg) / DIE CHRIST US-JOHANNES-GRUPPEN
DES 14. JAHR-
zum Hymnus auf das Johannesfest am 27. Dezember. — 39a. JNDERTS (Prof. Dr. Hans Wentzel, Stuttgart)
/ VAN EYCK,
Wien, Nationalbibliothek. Französisches Stundenbuch um 1425. e Madonna des Kanonikus Paele (Dr. Günter
Busch, Bremen) /
)NATELLO, Das Reiterdenkmal des Gactamelata
Beginn des Johannes-Evangeliums. — 40. Darmstadt, Landes- (Dr. Martin Gose-
.idi, Freiburg) / LUCA DELLA ROBBIA, Die
bibliothek. Gebetbuch um 1450. Initiale zu einem Johannes- irgrit Lisner, Florenz) / BOTTICELLI, Die Geburt
Sängerkanzel (Dr.
gebet. — 41. St. Paul im Lavanttal/Kärnten, Stifbbibliothek. der Venus (Dr.
s Lauts, Karlsruhe) / MANTEGNA, Die Madonna della Vittoria
Martyrologium aus dem Dominikanerinnenkloster Kirchheim r. Jan Lauts, Karlsruhe) / PACHER, Der Kirchenväter-Altar (Dr.
unter Teck/Wϋτtt. Initiale „A" mit 6 Johannes-Szenen. 15. Jh. ter Halm, h inchen),! GRUNEWALD, Die Erasmus-Mauritius-Tafel
— 42. Friedrich Overbeck, Entwürfe zu einem 1836 von der of. Dr. Ludwig Gtote, Níírnberg) / DORER, Die Apokalypse des
Fϋrstiń Radziwill in Auftrag gegebenen Gemälde mit einer bannes (Prof. Dr. Werner Körte f) / ALTDORFER, Dic Alexander -
lacht (Prof. Dr. Ernst Buchner, Mlindien) / CRANACH d. J., Der
Christus-Johannes-Gruppe (zwei Skizzen in der National-
ngbrunncn (Prof. Dr. G. F. Hartlaub, Heidelberg) / HOLBEIN
galerie in Berlin, Textabb. S. 25, eine bildmäßig ausgeführte J., Die Gesandten (Prof. Dr. Carl Georg Heise, Hamburg) /
Zeichnung im Privatbesitz in Perugia; diese wurde 1896 in iIT STOSS, Der Bamberger Marien-Altar (Prof. Dr. Harald Keller,
Italien als Lithographie gedruckt). snkfurt) / RIEMENSCHNEIDER, Die Beweinung in Maidbronn
r. Max H. von Freeden, Würzburg) / BRUEGEL d. Ä., Die nieder-
~díschen Sprichwbrter (Dr. Franz Roh, h rochen) / LEONARDO
. VINCI, Das Abendmahl (Prof. Dr. Ludwig H. Heydenreich,
inchen) / RAFFAEL, Die Verklärung Christi (Dr. Ordenberg Bock
Wülflngen, Miltenberg) / MICHELANGELO, Die Pietá im Dom
Florenz (Prof. Dr. Herbert v. Einem, Bonn) / TIZIAN, Danae
r. Ordenberg Bock v. WülEngen, Miltenberg) / EL GRECO, Das
griibnis des Grafen Orgaz (Prof. Dr. Alfred Neumeyer, Oakland/
.A) / VELAZQUEZ, Die Übergabe von Breda (Prof. Dr. Werner
iger, Münster) / RUBENS, Dic Geíßblattlaube (Prof. Dr. Wolf-
❑g Schöne, Hamburg) / REMBRANDT VAN RIJN, Die Nacht -
the (Prof. Dr. Kurt Bauch, Freiburg) / POUSSIN, Das Reich der
sra (Prof. Dr. Robert Oertel;
Freie
:phne (Dr. Peter Anselm Riedl
32 ild des Kunsthändlers Gersaint

ι ιι ΙΙ
1339520/188

Das könnte Ihnen auch gefallen