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Unterirdische Städte in Kappadokien


- Mythos und Wirklichkeit -

von Thomas Krassmann

Panoramaaufnahme Kaymakli mit typischen Verschluß – Rollsteinen Photo : Th. Krassmann

Im September 2002 hatte der Autor Gelegenheit, zwei der


geheimnisvollsten unterirdischen Bauten auf der Welt anzuschauen, 2004
dann nochmals weitere. Die Rede ist von den unterirdischen Städten in
Kappadokien in Zentralanatolien, Türkei. Wahrlich Spektakuläres erzählt
man sich von diesen Städten : 200 unterirdische Städte soll es geben, bis
zu 60 Meter Tiefe sollen sie herabreichen und dabei über 8 - 10
Stockwerke verfügen. 30.000 Menschen sollen in einer Stadt gelebt haben
und viele, wenn nicht sogar alle Städte - von denen bisher nur wenige
entdeckt sind - sollen durch kilometerlange Fluchtstollen miteinander
verbunden sein. Bereits antike Autoren wie Plinius und Xenophon sollen
über sie ehrfürchtig berichtet haben... letzterer mit einem Bericht über
griechische Kolonisten, die die verlassenen unterirdischen Städte im 4.
Jahrhundert vor Christus eine Zeitlang bewohnten. Was aber nun ist dran
an all diesen Mythen und Gerüchten ? Im Folgenden soll versucht werden,
einige Antworten zu geben.

Dr. Thomas Krassmann – D – 91438 Bad Windsheim / Deutschland.


Rückfragen und Kontakt / Please contact : tkrassmann@hotmail.com
Web : www.mineral-exploration.com
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Vorab ein wenig zur Geologie. Das heutige Kappadokien mit seiner
einzigartigen Felsen- und Kulturlandschaft, die seit 1985 zu Recht zum
Weltkulturerbe der Menschheit zählt, verdankt seine Entstehung einem
jungtertiären Vulkanismus um den heute noch imposant bis fast 4000 m
aufragenden Erciyes - Vulkan südlich von Kayseri. Im Gegensatz zu
manchen örtlich erhältlichen Informationen ist dieser jedoch nur zu einem
Teil für die bis zu mehreren hundert Meter mächtigen Tuffablagerungen in
Kappadokien verantwortlich. Vielmehr bestanden in Kappdokien eine
ganze Reihe von vulkanischen Eruptionszentren, die große Volumina eines
schnell aushärtenden hellen Tuffs förderten. Gelegentlich in dem Tuff zu
beobachtende Basaltgänge lassen dabei ebenfalls auf zahlreiche kleinere
Eruptionsherde im direkten Umfeld der Tuffablagerungen schliessen. Der
Vulkanismus endete vor wenigen zehntausend Jahren, wobei einige
Indizien auf kleinere Ausbrüche noch in historischer Zeit hindeuten.

Die mächtigen Tuff- und Ascheablagerungen wurden in den letzten


Jahrtausenden teilweise stark erodiert, wobei sich die für Kappadokien
typische "Feenkaminlandschaft" mit vielen steil aufragenden Einzelfelsen
bildete, wie diese beispielsweise in Göreme selbst oder in den
benachbarten Tälern mustergültig ausgebildet sind.

Abb. 2 : Typische „Feenkamin“ – Tufferosionslandschaft bei Göreme mit Wohnzellen


christlicher Mönche Photo : Th. Krassmann

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Dabei ist der meist sehr helle Tuff im bergfeuchten Zustand weich und
lässt sich leicht bearbeiten und aushöhlen. Bei längerem Luftzutritt härtet
er dann allmählich aus und weist eine erstaunlich hohe Standfestigkeit
auch bei größeren Hohlräumen auf. Dazu kommt ein gutes
Wärmehaltevermögen, sodaß derartige Felsenräume winters wie sommers
angenehm temperiert sind. Diese Eigenschaften und die angenehm
hellbeige Farbe des Tuffes haben seit altersher dazu geführt, das Felsen
ausgehöhlt und als Wohnraum, Klöster, Kirchen, Mönchszellen etc.
genutzt wurden. Und selbst heute noch werden neue Hohlräume zu Lager-
und Wohnzwecken gegraben, u.a. als exklusive Hotelzimmer für
zahlungswillige Touristen.

Neben kleineren unterirdischen Kirchenbauten und Felsenwohnungen, wie


beispielsweise in der verlassenen Stadt Zelve entstanden aber auch
größere unterirdische Komplexe, die eben als die "Unterirdischen Städte
Kappdokiens" in die Literatur Eingang gefunden haben. Verschiedene von
diesen können besichtigt werden, so die beiden bedeutendsten Kaymakli
und Derinkuyu, aber auch kleinere Anlagen wie Özkoniak und Mazikoy.
Insgesamt befinden sich in Zentralkappadokien derzeit etwa 25 bekannte
unterirdische Großkomplexe - siehe hierzu Abbildung 3 . Vermutlich gibt
es weit mehr, denn immer wieder werden neue "Städte" gefunden, im
Übrigen ist es auch eine Frage der Abgrenzung, was "noch" als größere
unterirdische Wohnsiedlung wie im oben genannten Zelve oder eben
"schon“ als unterirdische Stadt gilt.

Abbildung 3 : Verteilung unterirdischer "Städte" in Kappadokien, Quelle : GÜLYAZ &


YENIPINAR , ca. 1995

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Die eigentlichen unterirdischen "Städte" befinden sich dabei meist in


relativ flacher Umgebung und weisen im allgemeinen keine markanten
Oberflächenstrukturen aus oder sind zumindestens teilweise von
modernen Dörfern überbaut

Begibt man sich nach Derinkuyu oder Kaymakli, so betritt man nach
Passage zahlreicher Andenkenläden und nach Entrichtung eines nicht zu
knapp bemessenen Eintrittsgeldes (2002 : 7,50 Euro) den jeweiligen
unterirdischen Komplex. Hier kann man sich relativ frei bewegen, sollte
jedoch im allgemeinen den Pfeilen folgen, um nicht die Orientierung zu
verlieren. Dies geschieht recht leicht, allerdings kommt man früher oder
später wieder auf die beleuchteten Hauptwege zurück. Zu sehen gibt es
ein wahres Labyrinth von Gängen und Räumlichkeiten, die im allgemeinen
leer sind und nur gelegentlich rudimentäre Einrichtungsgegenstände wie
Handmühlen, Speicherkrüge etc. zeigen. Überraschenderweise finden sich
auch nur wenige Verzierungen und Wandmalereien, wie diese für die
zahlreichen christlichen Untertagekirchen der Gegend so typisch sind,
fehlen fast gänzlich. Eindrucksvoller sind da schon die sichtbaren
Verteidigungseinrichtungen in Form von Fallgruben und mühlsteinartigen
Rollsteinen, die zum Verschliessen der Gänge dienten (Abbildungen 1 und
4). Wie aus Abbildung 4 ersichtlich, befinden sich die Einrichtungen zum
Bewegen der Rollsteine immer in dem vom eindringenden Feind nicht
zugänglichen Bereichen. Dabei kann der Gang relativ leicht verschlossen
und der Rollstein gegen unbefugtes Öffnen von Außen durch Verkeilung
gesichert werden. Ein Öffnen ist jedoch praktisch nur von innen möglich.
Dies bedeutet, das die Bewohner der unterirdischen Siedlungen sehr viel
Wert darauf legten, ein Eindringen von außen möglichst zu erschweren.

Abbildung 4 : Schema der Rollsteinverschluss - Technik Bild M. Akok

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Hier ist es nun an der Zeit mit einigen Mythen und Gerüchten um die
unterirdischen Städte oder vielmehr Siedlungen am Beispiel Derinkuyu
und Kaymakli als deren größte bekannte Vertreter aufzuräumen :

1. Die Städte gehen tatsächlich bis auf eine Tiefe von etwa 60 m unter der
Oberfläche herunter, wobei die Räume zwar nach unten zu immer größer
werden, die Anzahl der Räumlichkeiten pro Etage dabei aber rasch
drastisch abnimmt.

2. Die Städte bestehen aus mehreren Stockwerken. Wir selber zählten


davon fünf gut unterscheidbare, nicht jedoch acht oder gar noch mehr.
Dabei ist der Begriff "Stockwerk" sehr irreführend und vermittelt einen
völlig falschen Eindruck, da die unteren Stockwerke nur aus sehr wenigen
Räumen - teilweise nur zwei oder drei, vgl. Abbildung 5 - bestehen und
längst nicht die horizontalen Ausmaße der oberen beiden Stockwerke
erreichen. Hinweise auf noch tiefere Stockwerke lassen sich in keinem Fall
finden.

3. Das in der Literatur oft beschriebene bewundernswerte Ventilations-


system der unterirdischen Städte gibt es zwar tatsächlich, jedoch
beschränkt es sich in den oberen Teufen auf jeweils flache Schächte und
Tagesöffnungen, die den Luftaustausch gewährleisten. Für die unteren
Etagen gibt es dann nur noch einen zentralen Schacht. Mehr braucht es
aber auch nicht, da wie gesagt, die unteren Stockwerke sehr klein
dimensioniert sind.

Im Übrigen werden die Bewohner der unterirdischen Siedlungen bemüht


gewesen sein, ihre Luftschächte so klein und so unauffällig wie möglich zu
gestalten, da hierüber ein Eindringen des Feindes oder aber zumindestens
ein Ausräuchern von der Oberfläche her möglich gewesen wäre.

4. Häufig hört und liest man von kilometerlangen Verbindungsgängen


zwischen einzelnen unteridischen Städten. Hierfür fehlt jedoch jeder
konkrete Hinweis! Weder findet man im Verlauf der hypothetischen
Verbindungsstollen Schachthalden, die bei einer Länge von mehreren
Kilometern zur Ventilation / Wetterführung der langen Stollen und zum
schnelleren Gegenortbetrieb zwingend notwendig gewesen wären noch
gibt es irgendwo erkennbare direkte Ansätze zu solchen Gängen in den
Städten selbst. Natürlich gibt es etliche Stollen und Verbindungsgänge -
besonders in den oberen Stockwerken, die verfüllt oder verbrochen sind
und die grundsätzlich weiterführen könnten. Sämtliche begehbaren Stollen
und Verbindungsgänge zwischen einzelnen „Stadtteilen“ sind jedoch alle
nur relativ kurz und maximal etwa 100 m lang.

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Abbildung 5 : Plan von Derinkuyu mit Einzeichnung der unteren Stockwerke


Planzeichnung : Roberto Bixio, mit eigenen Anmerkungen

Schließlich spricht auch die allgemeine Verteidigungsstrategie gegen


solche geheimen Verbindungsgänge oder Fluchtstollen zwischen
benachbarten Städten. Hätte ein Feind auch nur eine der unterirdischen
Städte eingenommen, so wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, durch die
Verbindungstunnel auch andere Städte von hinten her aufzurollen.

Die These der langen Verbindungsgänge zwischen den Städten ist somit
aus verschiedenen Gründen ad acta zulegen, auch wenn im Einzelfall der
ein oder andere längere Fluchtstollen - dann aber zweifellos nach
Ubertage ! - durchaus vorhanden gewesen sein mag.

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Abbildung 6 : Profil durch Derinkuyu Quelle : GÜLYAZ & YENIPINAR, ca. 1995

Abbildung 7 : Rekonstruktion der unterirdischen Missionsschule in Derinkuyu


Man beachte die insgesamt doch überschaubaren Dimensionen; vgl. auch Abbildung 5
Quelle : GÜLYAZ & YENIPINAR ,ca. 1995

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5. Schließlich wird vielfach behauptet, das Derinkuyu, Kaymakli oder


vergleichbare unterirdische Städte eine sehr große Bevölkerung - die Rede
ist häufig von 30.000 oder mehr Menschen - beherbergt haben sollen.

Hierzu folgende Überlegungen :

Zum einen gab es in der damaligen Zeit – also vor etwa 2500 Jahren -
Städte dieser Größenordnung selbst an der Oberfläche praktisch nicht !
Zum anderen gibt es in ganz Derinkuyu vielleicht 200 Räume. Schätzt
man die Anzahl der bisher nicht ausgegrabenen und somit unbekannten
Räume auf ebenfalls 200, so haben wir 400 benutzbare Räume. In jedem
dieser mit durchschnittlich etwa 4 x 4 m nicht eben sehr großen Räume
war Platz für ungefähr eine Familie, die wir hier auf 5 Mitglieder schätzen
wollen.

Somit gab es in ganz Derinkuyu Lebensraum für 2000 Menschen. Ähnlich


sieht es in den anderen unterirdischen Städten aus, wobei die meisten
bekannten unterirdischen Siedlungen deutlich kleinere Dimensionen als
Derinkuyu aufweisen.

Diese Menschen können nun in zeitlich begrenzten Notzeiten eng


zusammenrücken, dann hätten vielleicht 4000 Menschen in der Stadt
Platz. Dies aber auch nur sehr kurzfristig, weil sich bei so vielen Menschen
die hoffentlich zuvor in hinreichender Menge eingelagerten Vorräte
ziemlich schnell aufzehren. Im Übrigen ist auch zu vermuten, das die
Sauerstoffversorgung / Kohlendioxidentfernung bei den eher engen
Räumlichkeiten für 4000 Menschen nicht ausreichen würde.

Noch zwei weitere Punkte sprechen für eine nur geringe Siedlungsdichte
im Untergrund, beziehunsgweise für eine nur kurze Verweilzeit der
Menschen dort. So sind die vorhandenen Brunnen sehr klein dimensioniert
und haben nur eine begrenzte Fördermenge. Schließlich findet man an
fast keiner Stelle in den UT - Städten sanitäre Anlagen vor. Bei einer
Belegung der Siedlungen mit mehreren Tausend Menschen müssten sich
daher sehr schnell hygienisch katastrophale Zustände entwickeln.

***

Abschließend zu den Besuchen in Derinkuyu und Kaymakli ist zu sagen,


das die unterirdischen Städte touristisch sehr erfolgreich vermarktet
werden. Ihre Ausdehnung ist zweifellos beachtlich, aber gewiß auch nicht
größer als vergleichbare Anlagen in Deutschland wie z.B. die Keller unter
Nürnberg oder diverse militärische UT - Anlagen. Daher bleiben
Derinkuyu, Kaymakli und andere unterirdische Großkomplexe
Kappadokiens trotz ihres im Endeffektes wenig städtischen Charakters
schon aufgrund ihres nachweislich hohen Alters höchst bedeutende

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archäologische Objekte, deren Besuch jedem Interessierten wärmstens


empfohlen werden kann.

Nur sollte man dabei den zweifellos übertriebenen Angaben der Literatur
oder den Informationen der örtlichen Fremdenführer mit der gebotenen
Skepsis begegnen.

Abbildung 8 : Rekonstruktion verschiedener Räumlichkeiten und Tätigkeiten in den


unterirdischen Siedlungen Kappadokiens Quelle : GÜLYAZ & YENIPINAR, ca. 1995
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Danksagung :

Wir bedanken uns beim türkischen Tourismusministerium herzlich für die


großzügige finanzielle Unterstützung beim Besuch und bei der Erstellung
von Panoramabildern in Kaymakli und anderen Weltkulturerbestätten in
Anatolien im Jahr 2004.

Weiterführende Literatur :

GÜLYAZ, M.E.. & YENIPINAR, H. (ca. 1995) : Underground Cities of Cappadocia

KRASSMANN, Th. (2004) Türkischer Honig - Ein 3D - Panorama der


Weltkultuerbestätten - Online Publikation auf http://giantcrystals.strahlen.org

URBAN, M. (1973) : Die Rätsel der unterirdischen Städte Südanatoliens


- Vorland, Zeitschrift für europäische Vorgeschichte, No. 7, S. 174 – 18

Online – Publikation im Herbst 2007

Aktualisierte und erweiterte Onlineversion : Bad Windsheim, im Februar 2010

Anschrift des Autors :

Dr. Ing. Thomas Krassmann


Diplomgeologe
Tel. 09841 – 7302
91438 Bad Windsheim
Email : tkrassmann@hotmail.com

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